Innovationsfördernde Regulierung: Innovation und Recht II [1 ed.] 9783428529520, 9783428129522

"Innovationsfördernde Regulierung" bildet den zweiten Band im Rahmen des Projekts "Innovation und Recht&q

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Innovationsfördernde Regulierung: Innovation und Recht II [1 ed.]
 9783428529520, 9783428129522

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INNOVATION UND RECHT II

Innovationsfördernde Regulierung Herausgegeben von

Martin Eifert Wolfgang Hoffmann-Riem

asdfghjk Duncker & Humblot

Innovationsfördernde Regulierung

Innovationsfördernde Regulierung Innovation und Recht II

Herausgegeben von Martin Eifert Wolfgang Hoffmann-Riem

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-12973-7 (Innovation und Recht – Gesamtausgabe) 978-3-428-12952-2 (Innovation und Recht II) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort „Innovationsfördernde Regulierung“ bildet den zweiten Band der Untersuchungen zu Innovation und Recht im Rahmen des von der VW-Stiftung finanzierten Projekts „Innovationsrecht“. Das Projekt untersucht die Einwirkung des staatlich gesetzten Rechts auf die Innovationsprozesse und deren Ergebnisse im Bereich der Technikentwicklung und reflektiert die förderlichen oder hemmenden Einflüsse aus einer trans- und interdisziplinären Perspektive kritisch mit dem Ziel einer Weiterentwicklung innovationsoffenen Rechts. Der erste Band des Projekts hat „Geistiges Eigentum und Innovation“ behandelt. Darin wird zunächst die gängige Grundannahme kritisch hinterfragt, nach der der Schutz Geistigen Eigentums einen notwendigen Anreiz zur Innovation darstellt. Theoretisch sowie anhand aktueller Referenzgebiete wurde dann die Differenzierungsbedürftigkeit von Ausgestaltung und Schutz Geistigen Eigentums zur Innovationsförderung dargelegt. Der vorliegende Band schließt daran an und wendet sich der innovationsfördernden Regulierung zu. Es werden zentrale übergreifende Regulierungsregime, verschiedene Instrumente und beispielhafte Einzelregelungen auf ihre innovationsfördernden Potentiale untersucht und die Querschnittsprobleme regulatorischen Wissens und der Rückwirkungen rechtlicher Regelungen auf die Innovationsprozesse ausgeleuchtet. Der dritte Band wird die „Innovationsverantwortung“ beleuchten. Zum Gelingen der diesem Band zu Grunde liegenden Tagung in Karlsruhe haben viele beigetragen. Wir möchten uns insbesondere bei Gabriele Kaiser, Saskia Fritzsche und Janina Kasiske für die vielfältige Unterstützung bedanken. Die redaktionelle Begleitung dieses Bandes lag in den Händen von Saskia Fritzsche, der ein besonderer Dank für die vielen Mühen, die Geduld und die Sorgfalt gebührt, die sie dafür aufwandte. Die Produktion dieses Bandes wurde durch einen Druckkostenzuschuss der VW-Stiftung gefördert. Auch hierfür möchten wir uns bedanken. Gießen / Hamburg, September 2008

Martin Eifert Wolfgang Hoffmann-Riem

Inhaltsverzeichnis Innovationsfördernde Regulierung Von Martin Eifert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I – Das Wissensproblem bei der Innovationsförderung durch Regulierung Innovationsregulierung als Wissensregulierung Von Alfons Bora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil II – Innovationsförderung durch innovationsorientiertes Wettbewerbsrecht Innovationsschützende Zugangsregulierung in der Informationswirtschaft Von Jürgen Kühling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nachhaltige Innovationsoffenheit dynamischer Märkte Von Gerhard Wegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Regulierung als Einflussfaktor von Innovationen in der Telekommunikationswirtschaft Von Torsten J. Gerpott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil III – Innovationsförderung durch staatliche Nachfragemacht: Potentiale des Vergaberechts Innovationsförderung durch staatliche Nachfragemacht: Potentiale des Vergaberechts Von Michael Fehling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Teil IV – Innovationsförderung durch monetäre Anreize und Zertifikate Innovationsförderung durch ökonomische Instrumente der Umweltpolitik Von Michael Rodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

8

Inhaltsverzeichnis Teil V – Innovationsfördernde Elemente in Regulierungsregimes

Innovationsfördernde Umweltpolitik Von Martin Jänicke / Stefan Lindemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Technologieförderung durch „Stand der Technik“: Bilanz und Perspektiven Von Erik Gawel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Innovationsförderung durch Koppelung von Genehmigung und Alternativenprüfung? Von Christian Calliess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Regulierung und Innovationstätigkeit: eine ökonomische Perspektive Von Gert Brunekreeft / Dierk Bauknecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Technologieförderung durch eingerichtete Märkte: Erneuerbare Energien Von Jens-Peter Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Innovationen entlang der Wertschöpfungskette: Impulse aus der REACh-Verordnung Von Kilian Bizer / Martin Führ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Teil VI – Das ausdifferenzierte Recht als Faktor der Pfadabhängigkeit Innovative Technologien und ordnungsrechtliche Vorgaben. Am Beispiel des „Compartment Transfer“ zum Zwecke der Sanierung großskalig verunreinigten Grundwassers Von Wolfgang Köck / Stefan Möckel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 „Technikneutrale“ Regulierung: Möglichkeiten und Grenzen Von Alexander Roßnagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Die Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Abkürzungen a. A.

andere Ansicht

ABl.

Amtsblatt

Amtl. Slg.

Amtliche Sammlung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

BGBl

Bundesgesetzblatt

BKartA

Bundeskartellamt

BNBest

Besondere Nebenbestimmungen

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Bundesnetzagentur

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BT

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CR

Computer und Recht

DuD

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DV

Die Verwaltung

DVBl

Deutsches Verwaltungsblatt

ErwGr

Erwägungsgrund

ET

Energiewirtschaftliche Tagesfragen

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

F&E

Forschung und Entwicklung

FS

Festschrift

GMBl

Gemeinsames Ministerialblatt

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

JbUTR

Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts

JZ

Juristenzeitung

K&R

Kommunikation und Recht

KMU

Kleine und mittlere Unternehmen

MERIT

Maastricht Economic Research Institute on Innovation and Technology

MMR

MultiMedia und Recht

N&R

Netzwirtschaften und Recht

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

10

Abkürzungen

NZBau

Neue Zeitschrift für Baurecht

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

RL

Richtlinie

SRU

Sachverständigenrat für Umweltfragen

UPR

Umwelt- und Planungsrecht

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb

YEEL

Yearbook of European Environmental Law

ZfBR

Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht

ZfE

Zeitschrift für Energiewirtschaft

ZfU

Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht

ZfW

Zeitschrift für Wasserrecht

ZNER

Zeitschrift für Neues Energierecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZUM

Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht

Innovationsfördernde Regulierung Von Martin Eifert I. Rechtliche Sicherung innovationsoffener Strukturen als Folge fehlenden unmittelbaren Zugriffs auf die Innovationskapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Freiheitssicherung als Basisschicht rechtlicher Innovationsförderung . . . . . . . . . . .

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2. Rechtliche Infrastruktur als ermöglichender Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einrichtung der Funktionsbedingungen grundlegender Innovationsmechanismen, v. a. ökonomischer Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Schwierigkeit innovationsgerichteter Ausgestaltung der Marktordnung . .

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II. Innovationsfördernde Regulierung als innovationsorientierte Verfolgung öffentlicher Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Politisch final determinierter Innovationsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Instrumenteller Rückgriff auf den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Häufige Diffusionsorientierung und notwendiger Instrumentenmix als Folge der Zweckgebundenheit innovationsfördernder Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Innovationsfördernde Regulierung scheint auf den ersten Eindruck hin ein Widerspruch in sich oder zumindest ein „Wiesel-Wort“ zu sein.1 Denn Innovation verweist bei allen begrifflichen Unschärfen2 auf das Unbekannte, das eben noch nicht existente und überraschende Neue.3 Regulierung hingegen, gleichgültig wie man sie im Einzelnen definieren möchte,4 ist durch die Verfol1 So bezeichnete Friedrich A. von Hayek im Anschluss an den amerikanischen Sprachgebrauch Begriffskombinationen, bei denen ein Bestandteil die Substanz des anderen Wortes so weit aushöhlt, dass es nur noch eine leere Hülle ist – wie die Schale eines Eies, das von einem Wiesel ausgetrunken wurde (siehe v. Hayek, Wissenschaft und Sozialismus, Vorträge und Aufsätze des Walter Eucken Instituts, Heft 71 (1979), S. 16 [„sozial“ als das Wiesel-Wort par excellence]). 2 Vgl. zum Innovationsbegriff nur Jürgen Hauschildt, Facetten des Innovationsbegriffs, in: Hoffmann-Riem, Wolfgang / Schneider, Jens-Peter (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 29 ff. 3 Siehe zu den Folgen für das Recht allgemein nur Wolfgang Hoffmann-Riem, Zur Notwendigkeit rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, in: Sauer, Dieter / Lang, Christa (Hrsg.), Paradoxien der Innovation, 1999, S. 229 (244 f.); Alexander Roßnagel, Das Neue regeln, bevor es Wirklichkeit geworden ist, ebenda, S. 193 (198 ff.). 4 Siehe zu den verschiedenen Begriffsverständnissen Martin Eifert, in: Hoffmann-Riem, Wolfgang / Schmidt-Aßmann, Eberhard / Voßkuhle, Andreas (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Rn. 1 ff.

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Martin Eifert

gung eines bestimmten Zwecks gekennzeichnet, dient also der Realisierung eines bekannten oder jedenfalls konkret gedachten Zielzustandes. „Innovationsfördernde Regulierung“ verbindet beides. Das wirft die Frage auf, wie das funktionieren soll.5

I. Rechtliche Sicherung innovationsoffener Strukturen als Folge fehlenden unmittelbaren Zugriffs auf die Innovationskapazität 1. Freiheitssicherung als Basisschicht rechtlicher Innovationsförderung Innovationsförderung wird vor allem mit Blick auf technische Innovationen6 von der Rechtsordnung in einer „Basisschicht“ durch die Sicherung von Freiheit gewährleistet.7 Die Wissenschaftsfreiheit ist die darauf spezialisierte Freiheit, aber alle Freiheiten bis hin zur allgemeinen Handlungsfreiheit beinhalten auch den Schutz autonomer individueller und kollektiver Kreativität. Die Innovationsförderung ist hier allerdings nicht intendierter Zweck, sondern eine den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Erfolg von Gesellschaften steigernde Begleitwirkung8 der primär an das menschliche Selbstverständnis als autonome Personen anschließenden Freiheitsidee.9 Die Garantie negativer Freiheit allein kann die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft aber nicht absichern. Schon eine Invention ist angesichts der Organisations- und häufig auch Ressourcenabhängigkeit von Forschung notwendig von gesellschaftlichen Leistungen abhängig.10 Und das komplexe Wechselspiel, in dessen Verlauf eine Idee oder Invention ihre technische, ökonomische und / oder soziale Macht als Innovation entfaltet,11 ist ein sozial eingebetteter Prozess, der über nega5 Vgl. nur die Annahme der Unmöglichkeit von Analysen zur Auswirkung von Regulierung auf Innovation wegen der Ausschaltung des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren bei Alexander Groß / Axel Busch / Rüdiger Soltwedel / Claus-Friedrich Laaser, Deregulierungspotentiale in der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 18, die deshalb, ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend, Regulierung nur einer Rechtfertigungsanalyse unterziehen. 6 Hinsichtlich sozialer Innovationen dürfte eher die demokratisch verbürgte kollektive Selbstbestimmung den dominanteren Rang einnehmen. 7 Vgl. auch Wolfgang Hoffmann-Riem / Jens-Peter Schneider, Zur Eigenständigkeit rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, in: dies. (Fn. 2), S. 389 (396 f.). 8 Vgl. nur Christian Welzel, Gemeinwohl als Bürgerwohl: Die Perspektive der Humanentwicklung, in: Schuppert, Gunnar Folke / Neidhardt, Christian (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, S. 109 (121 ff.). 9 Zu Ursprung und Begründung der Grundrechte statt vieler knapp Hasso Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, 1999. 10 Vgl. nur Wolfgang Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, DV 38 (2005), S. 145 (155) und ders., Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung durch Recht, AöR 131 (2006), S. 255 (258 f.). 11 Siehe nur den Beitrag von Bora in diesem Bande, S. 23 (24 ff.).

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tive Freiheit allein nicht beschreibbar und in rechtlicher Freiheit allein nicht nachhaltig funktionsfähig wäre. Deshalb bedarf es zahlreicher weiterer Institutionen und nicht umsonst spricht die Innovationsforschung von Innovationssystemen, wenn sie auf die Bedingungen für Innovationen in Gesellschaften Bezug nimmt.12

2. Rechtliche Infrastruktur als ermöglichender Rahmen a) Einrichtung der Funktionsbedingungen grundlegender Innovationsmechanismen, v. a. ökonomischer Märkte Hierzu gehört zunächst eine zweite Ebene des Rechts, auf der eine rechtliche Infrastruktur bereitgestellt wird, die die Funktionsbedingungen grundlegender Innovationsmechanismen herstellen und stabilisieren soll. Dazu gehören innovationsfördernde Strukturen im Wissenschaftssystem13 und vor allem die den ökonomischen Markt ermöglichenden Regeln über Schaffung, Verteilung und Austausch von Verfügungsrechten, die Handlungsmöglichkeiten für deren Inhaber und Anschlussmöglichkeiten für Dritte auf dem Markt absichern.14 Diese Infrastruktur ist breit angelegt, nämlich auf eine allgemeine Wohlfahrtsmaximierung bezogen, innerhalb derer die Innovationsoffenheit als eine unterstellte Zentralkomponente des Marktmechanismus allerdings ein Kernelement bildet.15

12 Besonders einflussreich für die Betrachtung von Innovationssystemen als komplexe, für die Innovationsprozesse und -pfade prägender Strukturen Lundvall, Bengt-Åke (Hrsg.), National Systems of Innovation. Towards a Theory of Innovation and Interactive Learning, 1992. Zuvor etwa bereits Carlota Perez, Structural Change and the Assimilation of New Technologies in the Economic and Social Systems, Futures 15 (1983), S. 357 ff. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden dabei allerdings häufig nicht hinreichend einbezogen. Siehe auch umfassenden „Katalog innovationsrelevanter Rahmenbedingungen“ in Rudi Kurz / Hans W. Graf / Michael Zarth, Der Einfluß wirtschafts- und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf das Innovationsverhalten von Unternehmen, 1989, S. 19 ff. 13 Dazu ausführlich Hans-Heinrich Trute, Innovationssteuerung im Wissenschaftsrecht, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Fn. 2), S. 208 (216 ff.). 14 Vgl. nur Karl-Heinz Ladeur, Der „Eigenwert“ des Rechts – die Selbstorganisationsfähigkeit der Gesellschaft und die relationale Rationalität des Rechts, in: Meier-Schatz, Christian J. (Hrsg.), Die Zukunft des Rechts, Bibliothek zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Beiheft 28 (1998), S. 31 (36 ff.). Hier lassen sich auch am besten die Grundfreiheiten des EGV einordnen, die (binnen-)marktstrukturbezogen sind (siehe Michael Brenner, Innovationssteuerung im Europarecht, in: Hoffmann-Riem / Schneider [Fn. 2], S. 351 [370]). 15 Der Ableitungszusammenhang lautet: Wettbewerb ist der geeignete Mechanismus zur Optimierung der Gesamtwohlfahrt (klassisch Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1978 / 1776) und Innovation ist ein zentrales Moment der Entwicklungsdynamik der Wettbewerbsmärkte (grundlegend und auf die Innovation zentriert dazu Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911).

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b) Die Schwierigkeit innovationsgerichteter Ausgestaltung der Marktordnung Schon auf dieser Ebene beginnt das Spannungsfeld von Innovation und Regulierung. Denn selbst diese hochabstrakte, eine individuelle Zweckverfolgung erst ermöglichende und hinsichtlich des Kollektivinteresses auf einen marktmäßigen Güter- und Leistungsaustausch begrenzte rechtliche Regelung ist in ihren konkreten Wirkungen nicht innovationsneutral. Bereits die nähere Analyse des Verhältnisses von Geistigem Eigentum und Innovationen16 zeigte, dass die intuitive und überkommene einfache Gleichung, nach der Zueignungsmöglichkeiten durch die Schaffung von Verfügungsrechten an Geistigem Eigentum Innovationen fördern, erheblich differenzierungsbedürftig ist. Deutlich wird diese Schwierigkeit auch auf der Ebene der Marktsteuerung. Märkte werden nicht allein über Verfügungsrechte und Tauschregeln konstituiert, sondern bedürfen auch einer rechtlichen Funktionssicherung,17 die strukturell vor allem über Wettbewerbsregeln vorgenommen wird.18 Weil mit den Funktionen notwendig hinter dem Wettbewerb liegende (kollektive) Interessen thematisiert und über die Ausgestaltung verschieden gewichtet werden können, taucht auf dieser Ebene erstmals das Innovationsinteresse als unmittelbarer, bei der Ausgestaltung zu berücksichtigender Zweck auf. Der für eine Operationalisierung auszuleuchtende nähere Zusammenhang zwischen Marktstrukturen und Innovationsverhalten ist allerdings trotz bereits lang anhaltender Forschungsbemühungen19 recht dunkel geblieben. Hier manifestiert sich das Problem mangelnden Lenkungs- bzw. Regulierungswissens,20 das den unmittelbaren regulatorischen Zugriff auf die Innovationskapazität versperrt und den Staat im Ausgangspunkt auf die allgemeine Funktionssicherung der Märkte mit Blick auf deren systemeigene, nachhaltige Innovationsorientierung verweist.21 Soweit allerdings diese Märkte erst herzustellen oder 16 Siehe näher die Beiträge in Wolfgang Hoffmann-Riem / Martin Eifert (Hrsg.), Geistiges Eigentum und Innovation, 2008. 17 Vgl. nur knapp Eifert (Fn. 4), § 19 Rn. 148 ff. 18 Vgl. nur Wegner in diesem Bande, S. 71 (77 ff.). 19 Vgl. nur die zusammenfassenden älteren Überblicke von Kurz / Graf / Zarth (Fn. 12), S. 14 ff., 121 ff.; Hariolf Grupp, Messung und Erklärung des Technischen Wandels, 1997, S. 58 ff. und passim; vgl. auch Bernd Hansjürgens / Torsten Frohwein, Ordnungsökonomische Ansatzpunkte für eine innovationsorientierte Umweltpolitik, in: Ebner, Alexander / Heine, Klaus / Schnellenbach, Jan (Hrsg.), Innovation zwischen Markt und Staat, 2008, S. 89 (101 ff.). Zu den daraus resultierenden Problemen etwa die Folgen eines unbundling auf die Innovationstätigkeit in der Energiewirtschaft abzuschätzen, siehe nur Brunekreeft / Bauknecht in diesem Bande, S. 243 (247 f.). 20 Siehe näher nur Bora in diesem Bande, S. 23 (31 ff.) sowie Wegner in diesem Bande, S. 71 (73 ff.). 21 Siehe näher Wegner in diesem Bande, S. 71 (73 ff.); vgl. auch Rodi in diesem Bande, S. 147 (154 ff.). Grundlegend hierfür sind die Arbeiten v. Hayeks. Siehe etwa Friedrich A. v. Hayek, Die Anmaßung von Wissen, in: ders., Die Anmaßung von Wissen, 1996, S. 3 (13 ff.); und noch pointierter ders., Die drei Quellen der menschlichen Werte, ebenda, S. 37 (61): „Fort-

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aktiv regulatorisch zu begleiten sind, wie in den Netzwirtschaften, muss die Innovationskapazität notwendig auch selbst rechtlich abgebildet werden.22 Die allgemeine wettbewerbsrechtliche Zurückhaltung setzt sich hier dann in einer Zurückhaltung gegenüber dem regulatorischen Zugriff auf die Innovationen fort, wie sie am deutlichsten in den Regulierungsferien des § 9a TKG zum Ausdruck kommt und ist letztlich auf die angemessene Abwägung im Einzelfall durch die Regulierungsbehörden angewiesen.23 Die mittelbaren Folgen der marktgestaltenden Eingriffe auf die Innovationstätigkeit bedürfen darüber hinaus der fortlaufenden Analyse.24 Strukturell parallel liegen zunächst die Grenzen des Einsatzes der staatlichen Nachfragemacht auf den Märkten. Das Vergaberecht setzt notwendig einen konkreten Auftragsgegenstand voraus, der die Innovationssprünge durch das verfügbare staatliche Wissen begrenzt. Dessen Erweiterung durch die verfahrensrechtliche Aktivierung privater Interessenten ist zwar möglich und ausbaufähig, bleibt aber durch deren Geheimhaltungsinteresse und die gegenstandsbezogenen behördlichen Vorfestlegungen begrenzt.25 Am Vergaberecht wird aber zugleich allgemein deutlich, dass innovationsfördernde Regulierung ihren zentralen Anwendungsbereich nicht im unmittelbaren Zugriff auf die Innovationskapazität, wohl aber in der innovationsoffenen und -eröffnenden Verfolgung vordefinierter öffentlicher Zwecke hat.

II. Innovationsfördernde Regulierung als innovationsorientierte Verfolgung öffentlicher Zwecke 1. Politisch final determinierter Innovationsraum Innovationsfördernde Regulierung versucht angesichts unhintergehbarer (staatlicher) Wissensdefizite regelmäßig nicht, auf die Innovation als unmittelbaren Zweck zuzugreifen. Sie kann vielmehr jenseits der Einrichtung inhärent innovationsorientierter Strukturen nur einen bescheideneren Anwendungsbereich haben. schritt kann durch Politik stimuliert oder gedämpft werden, aber niemand kann die genauen Wirkungen solcher Maßnahmen voraussagen. Vorzugeben, daß man die wünschenswerte Richtung des Fortschritts kenne, scheint mir die höchste Hybris zu sein“. 22 Vgl. auch Claudio Franzius, Technikermöglichungsrecht – Wechselbeziehungen zwischen Technik und Recht am Beispiel der Kommunikationstechnik, DV 34 (2001), S. 487 (507). 23 Siehe ausführlich Kühling in diesem Bande, S. 47 (57 ff.); vgl. auch Peter Dahlke / Andreas Neumann, Innovationen und Investitionen durch Regulierung, CR 2006, S. 377 ff. und allgemeiner Bernd Holznagel, Innovationsanreize durch Regulierungsfreistellung, MMR 2006, S. 661 ff.; die Innovationswirkungen des TKG vor allem mit Blick auf die Verteilung der Innovationen in der Wertschöpfungskette relativierend aber Gerpott in diesem Bande, S. 93 (98 ff.). 24 Siehe für den Energiesektor Brunekreeft / Bauknecht in diesem Bande, S. 243 (247 ff.). 25 Siehe näher Fehling in diesem Bande, S. 119 (130 ff., 138 ff.).

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Ihren Ausgangspunkt bildet regelmäßig ein politisch gesetzter oder bereits rechtlich geronnener Zweck, für dessen Verfolgung darauf ausgerichtete Innovationen stimuliert oder jedenfalls innovationsoffene Regulierungsregime eingerichtet werden sollen.26 Die Innovation ist hier also jeweils nicht selbst Zweck, sondern wird für einen regulatorischen Hauptzweck instrumentalisiert. Sie soll jeweils mit ihrer Dynamik seine effektive und / oder wegen ihrer Flexibilität seine effiziente Realisierung ermöglichen. Dem gegenüber Innovationen bestehenden Wissensproblem wird dadurch begegnet, dass ein politisch determinierter Output vorgegeben wird und für den Weg dorthin entweder der ordnungsrechtliche Rahmen flexibilisiert, oder, wie meist, gerade (auch) das „Entdeckungsverfahren Wettbewerb“ genutzt werden soll.27 Die Flexibilisierung des Ordnungsrechts vertraut darauf, dass im Verwaltungsverfahren zumindest einzelfallbezogenes neues Wissen generiert werden kann und ist regelmäßig mit einer Erweiterung der Gestaltungsspielräume der Verwaltung verbunden, wie sich am Beispiel der Alternativenprüfung in Genehmigungsverfahren zeigen lässt.28 Da gerade die Generierung neuen Wissens hier aber sehr voraussetzungsreich,29 wenngleich durchaus erfolgversprechend strukturierbar ist30 und die (technik-)offene Gestaltung des Ordnungsrechts normativen und funktionalen Grenzen unterliegt,31 wird die innovationsfördernde Regulierung vor allem auf Wettbewerbselemente verwiesen. Der eingangs angesprochene, scheinbar fundamentale Widerspruch zwischen Innovation und Regulierung wird also dadurch aufgelöst, dass Innovation hier nur mit Blick auf eine bestimmte Zielrichtung und häufig in einem engen Rahmen eingesetzt wird und damit auf bestimmte Dimensionen begrenzt bleibt. Dies ist mit Blick auf die absolute Innovationskapazität auf Grundlage einer normativen Wettbewerbstheorie kritisierbar, kann aber auch jenseits der hier oft gegebenen Fälle des Marktversagens (etwa bei dem im Band breit thematisierten Umweltschutz32) 26 Vgl. hierzu auch Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht (Fn. 10), S. 145 (157, 170 f.). 27 Vgl. allgemein bereits Kurz / Graf / Zarth (Fn. 12), S. 189 ff.; siehe zu den schwer überwindbaren Problemen der Informationsasymmetrie in rein ordnungsrechtlichen Verhältnissen demgegenüber Gawel in diesem Bande, S. 197 (201 ff.); Calliess in diesem Bande, S. 221 (235 f.). 28 Siehe näher Calliess in diesem Bande, S. 221 (233 ff.). Den Wert eines rigiden Ordnungsrechts zur Sicherung von Mindeststandards gegenüber vielleicht vorschnellen Flexibilisierungsbegehren betonen hingegen Köck / Möckel in diesem Bande, S. 305 (insb. 320 f.). 29 Siehe näher Gawel in diesem Bande, S. 197 (204 ff.). 30 Siehe ausführlich am Beispiel der REACH-VO Bizer / Führ in diesem Bande, S. 273 (289 ff.); zur konzeptionellen Beschreibung: dies., Responsive Regulierung, in: dies. / Hüttig, Christoph (Hrsg.), Responsive Regulierung, 2002, S. 1 ff.; vgl. auch aus der jüngeren Literatur Indra Spiecker gen. Döhmann, Informationsgewinnung im Umweltrecht durch materielles Recht, DVBl. 2006, 278 und auch aus der früheren Literatur Marita Balks, Umweltpolitik aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik, 1986. 31 Siehe näher Roßnagel in diesem Bande, S. 323 (331 ff.). 32 Zu den Grenzen marktendogener Umweltpolitik jüngst knapp Hansjürgens / Frohwein (Fn. 19), S. 89 (105 f.).

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über komplexere normative Zielbündel und die demokratische Qualität der Entscheidungen legitimiert werden.33

2. Instrumenteller Rückgriff auf den Wettbewerb Instrumentell wird dabei die traditionelle ökonomische Dichotomie von Gemeinwohlverwirklichung durch ökonomischen Wettbewerb und politisch verantworteten rechtlichen Vorgaben für das Verhalten im Wettbewerb34 abgemildert, indem politisch eingerichtete und rechtlich umhegte Wettbewerbsmärkte hinzutreten. Der ökonomische Wettbewerb bleibt aber ein zentraler Innovationsmechanismus, da die meisten Ansätze35 einer innovationsfördernden Regulierung versuchen, Innovationspotential durch den Anschluss an die oder die Einbindung der ökonomischen Wettbewerbs-Märkte freizusetzen. Besonders deutlich ist dies dort, wo Märkte über rechtliche Regulierungen erst geschaffen werden, wie bei der Förderung erneuerbarer Energien.36 Aber selbst dynamische Elemente des klassischen Ordnungsrechts wie die Vorsorge nach dem Stand der Technik oder das stoffbezogene Risikomanagement sind in ihren realen Wirkungen davon abhängig, dass über Wettbewerbsanreize auf einem von den Regulierten entkoppelten Markt für Umwelttechnik das „Schweigekartell“ der Regulierten über die grundsätzlich einsetzbaren Techniken durchbrochen werden kann37 bzw. die Wertschöpfungsketten auch für die Risikokommunikation genutzt werden.38

33 Siehe zur Innovationsverantwortung als normativem Rahmen bereits Hoffmann-Riem / Schneider (Fn. 7), S. 389 (400 ff.) sowie näher Band 3 der Reihe. 34 Die neoklassische Annahme der Gemeinwohlverwirklichung durch Wettbewerb schließt unter den Bedingungen der realen Welt eine spezifischere Gemeinwohlorientierung der Unternehmen im Wettbewerb nicht notwendig aus (vgl. näher Hans G. Nutzinger, Unternehmen und Gemeinwohl: Vaterlandslose Gesellen oder Beraubung der Anteilseigner?, in: Schuppert / Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl (Fn. 8), S. 315 (320 ff.). 35 Siehe aber auch zu unausgeschöpften Potentialen insbes. de lege ferenda im Ordnungsrecht am Beispiel der Alternativenprüfung im Genehmigungsverfahren Calliess in diesem Bande, S. 221 (236 ff.). 36 Siehe näher Schneider in diesem Bande, S. 257 (261 f.). 37 Vgl. näher Gawel in diesem Bande, S. 197 (212 ff.); vgl. auch Jürgen Blazejczak / Dietmar Edler, Elemente innovationsfreundlicher Politikmuster – ein internationaler Vergleich am Beispiel der Papierindustrie, 1999, S. 13. 38 Siehe näher Bizer / Führ in diesem Bande, S. 273 (287 ff.).

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Martin Eifert

III. Häufige Diffusionsorientierung und notwendiger Instrumentenmix als Folge der Zweckgebundenheit innovationsfördernder Regulierung Die mit der Zweckverfolgung verbundene Wirkungsorientierung bringt dabei von vornherein eine Schwerpunktsetzung auf die späteren Phasen des Innovationszyklusses mit sich, also vor allem die Diffusion.39 Denn nur bereits grundsätzlich verfügbare oder jedenfalls erkennbare Techniken ermöglichen eine zeitnahe, und nur deren hohe Marktdurchdringung sichert eine effektive Zweckerreichung.40 Besonders deutlich wird dies bei den verschiedenen Instrumenten des benchmarking, sei es bei der Anreizregulierung im Energierecht, der dynamischen Techniklausel des „Standes der Technik“ oder den bedeutsamen Spielarten des technology-forcing41, die an einem top-runner orientiert sind42 oder über das Vergaberecht43 Ziele formulieren. Immer muss hier die Problemlösung bereits grundsätzlich verfügbar oder zumindest in Sicht sein, so dass es zunächst um die schnelle Diffusion von best-practices geht. Sie ist dabei institutionell am erfolgversprechendsten ausgestaltet, wenn die Aneignung einer Innovationsrendite bei den Innovatoren erfolgt, so dass diese einen hohen Anreiz haben und sich zugleich ein sekundärer (Beratungs-)markt eröffnet, also Wettbewerbselemente eingebunden werden.44 Eine über diese Diffusion hinausgehende nachhaltige Innovationsförderung erfolgt hier aber schon konzeptionell nur, wenn die entsprechenden Anreize immer wieder angepasst, also selbst dynamisiert werden, wie dies jetzt bei der Anreizregulierung im EnWG vorgesehen ist.45 Da die Anpassung der Anreize in diesen Mechanismen aber von der konkreten tatsächlichen Entwicklung abhängt, sind sie nur schwer vorhersehbar, so dass langfristige Investitionen, die auf radikale Innovationen zielen, auch bei dieser Dynamisierung kaum stimuliert werden.46 39 Es ist schon lange bekannt, dass Innovationen rekursive Prozesse bilden und nicht linear verlaufen (vgl. nur Grupp [Fn. 19], S. 15 ff.; weiterführend auch Bora in diesem Bande, S. 23 (28 f.). Dennoch können die vereinfachten Phasenmodelle weiterhin heuristisch für spezifische Fragestellungen herangezogen werden. 40 Vgl. insofern nur die übereinstimmenden Bemerkungen in dem Beitrag von Fehling in diesem Bande, S. 119 (121); Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (173 ff.). 41 Siehe näher zum technology-forcing allgemein und zu den US-amerikanischen frühen Erfahrungen Richard B. Stewart, Regulation, Innovation, and Administrative Law: A Conceptual Framework, California Law Review 96 (1981): 1259 ff. 42 Vgl. dazu Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (178 f.); Gawel in diesem Bande, S. 197 (214); Calliess in diesem Bande, S. 221 (237). 43 Vgl. dazu Fehling in diesem Bande, S. 119 (122). 44 Vgl. nur Gawel in diesem Bande, S. 197 (200 ff.). Mit der ausführlichen Kritik an der ordnungsrechtlichen Technikklausel. Zu den frühen Erfahrungen damit auch Stewart (Fn. 41), S. 1259 (1282). 45 Siehe ausführlich dazu jetzt Jörg Meinzenbach, Die Anreizregulierung als Instrument zur Regulierung von Netznutzungsentgelten im neuen EnWG, 2008.

Innovationsfördernde Regulierung

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Nur soweit die Instrumente völlig unspezifisch und möglichst in der technikneutralen, wirtschaftskompatiblen Sprache der Preise ausgestaltet sind, wie dies v. a. bei den ökonomischen Instrumenten der Umweltpolitik der Fall ist, werden ohne weiteres zugleich nachhaltig die frühen Phasen erfasst.47 Gerade diese unterschiedliche Reichweite gibt der Kombination im Instrumentenmix ihre spezifische Wirkmacht, da sie im rekursiven Innovationsprozess ganz neue Innovationspfade eröffnen kann.48 Insgesamt zeigt sich bei einer exemplarischen Analyse verschiedener Ansätze, dass eine innovationsfördernde Regulierung voraussetzungsreich, aber möglich ist und einen, aber eben auch nur einen zentralen Baustein eines innovationsoffenen Rechts darstellt.

46 Siehe etwa zum damit verbundenen Problem der Unter-Investition in Netze Brunekreeft / Bauknecht in diesem Bande, S. 243 (248 ff.); zur Bedeutung der Planungssicherheit auch Schneider in diesem Bande, S. 257 (266 ff.); Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (176, 186). 47 Vgl. bereits Peter Michaelis, Ökonomische Instrumente in der Umweltpolitik: Eine anwendungsorientierte Einführung, 1986; näher Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (177); das Technology-Forcing arbeitet zwar völlig unspezifisch mit Output-Vorgaben, aber nicht über die Preise. Sein effektiver Einsatz ist in der Folge auch voraussetzungsreicher als jener der ökonomischen Instrumente (vgl. nur Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (178); Rodi in diesem Bande, S. 147 (160 ff.). Kurzzeitig können selbstverständlich auch finanzielle Anreize für spezifische Technologien auf die frühen Phasen zielen. Sie sind aber mit eigenen Wissensproblemen verbunden (vgl. nur Rodi in diesem Bande, S. 147 (154, 165)) und müssen zeitlich beschränkt werden (vgl. Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (177 f.)). 48 Vgl. nur Jänicke / Lindemann in diesem Bande, S. 171 (180 f.); Rodi in diesem Bande, S. 147 (166 f.); siehe auch Blazejczak / Edler (Fn. 37), S. 26. Die theoretisch verbreitete einseitige Bevorzugung allein ökonomischer Instrumente ist auch aus der Sicht der Innovationsforschung schon länger differenzierten Betrachtungen gewichen (vgl. nur David Wallace, Environmental Policy and Industrial Innovation, 1995, S. 19 ff. aus evolutionsökonomischer Sicht).

Teil I Das Wissensproblem bei der Innovationsförderung durch Regulierung

Innovationsregulierung als Wissensregulierung Von Alfons Bora I. Innovationsbegriff und theoretische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Innovationsregulierung als Thema der Wissenssoziologie: Der Begriff des Wissens

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III. Mit Innovation verbundene Formen des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Innovationsregulierung als Wissensregulierung und die Formen des Regulierungswissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Produktiver Widerspruch: Die „Illusion“ der Innovationsregulierung . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wissen ist eine zentrale Kategorie für das Verständnis der modernen Gesellschaft. Diese Feststellung gilt sicher im Hinblick auf das zeitdiagnostische Interesse an Phänomenen der sogenannten Wissensgesellschaft. Viel mehr noch gilt sie mit Bezug auf die schlechthin konstitutive Bedeutung des Wissens für jede Form der Weltdeutung und Sinngebung. Wissen ist in dieser Hinsicht eine grundlegende Dimension aller sozialen Phänomene. Mit einem auf dieser Annahme basierenden wissenssoziologischen Ansatz, der soziale Deutungsmuster zum Gegenstand hat, lassen sich im Themenbereich des Innovationsrechts Fragen nach dem Zusammenhang von Wissen und Innovationsregulierung stellen, welche die Suche nach den möglichen Formen gelingender Innovationsgestaltung in einen allgemeinen Rahmen der sozialen Deutung zukünftiger Entwicklungen einbetten. Eine solche wissenssoziologische Analyse der Regulierung von Innovationen wird im Folgenden vorgestellt. Ziel ist dabei nicht die detaillierte Analyse einzelner konkreter Formen der Innovationsförderung in Recht und Politik, sondern vielmehr die Beschreibung von deren allgemeinen strukturellen Bedingungen und Formen im Hinblick auf soziale Deutungsmuster und Wissensformen. Die Argumentation ist in fünf Schritte gegliedert: Zuerst umreiße ich ganz kurz den Begriff der Innovation und skizziere die theoretische Perspektive (Abschnitt I). Sodann führe ich den Begriff des Wissens ein (II.), um daran anschließend die mit dem vorgestellten Begriff der Innovation verbundenen Formen des Wissens zu diskutieren (III). Den Kern meiner Überlegungen bilden dann Innovationsregulierung als Wissensregulierung und die damit verbundenen Formen des Regulierungswissens (IV). Ich schließe mit einigen Bemerkungen zu Widersprüchen und Aporien der Innovationsregulierung, die sich aber letztlich als produktiv erweisen dürften (V).

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Alfons Bora

I. Innovationsbegriff und theoretische Perspektive Ein Beitrag zur Wissenssoziologie der Innovationsregulierung, der sich in eine etablierte wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Debatte einfügen will, steht vor der Frage, ob er selbst im Rahmen einer solchen Debatte überhaupt etwas Innovatives bieten kann. Das ist ja nicht nur eine Aufgabe, die mit dem Thema „Innovationsregulierung“ zusammenhängt. Innovativität ist vielmehr ein grundsätzlicher Anspruch wissenschaftlicher Kommunikation. Es ist etwas, das, wie die soziolinguistische Forschung lehrt, „in und mit Kommunikationen selbst dargestellt und hergestellt wird, ein eigenständiges Produkt von Kommunikation, das man als solches analysieren und in seiner Gemachtheit rekonstruieren kann: doing being innovative, wie man in Anlehnung an ethnomethodologisch-konversationsanalytische Formulierungseigenheiten sagen könnte“, so der Linguist Heiko Hausendorf in einem Beitrag über Innovativität (Hausendorf, S. 1040). Diese Charakterisierung bringt in treffender Weise den Kern des Innovationsbegriffs zur Sprache. Denn nach der im folgenden zu Grunde gelegten, in ihrem Grundgedanken auf Schumpeter (1939 / 1961) zurückgehenden Definition kommt es, damit eine geistige oder materielle Hervorbringung als Innovation bezeichnet werden kann, neben der konkreten Leistung des Hervorbringens vor allem auch auf die Durchsetzung – oder etwas modischer: die Akzeptanz – des Hervorgebrachten in mindestens einem sozialen Feld, etwa dem Markt, oder auch der Politik, der Wissenschaft usw. an. Entscheidend ist also nach dieser Auffassung die Anerkennung bzw. die soziale Deutung einer Hervorbringung als „innovativ“. Diese Formulierung des Innovationsbegriffs macht ersichtlich einen gegenüber dem ursprünglichen Ansatz in ihrem Geltungsbereich erheblich erweiterten Gebrauch von Schumpeters Konzept. Denn Schumpeters Innovationsbegriff bezieht sich ausschließlich auf Erneuerungsprozesse im Wirtschaftssystem, welche Veränderungen in den Methoden der Güterversorgung mit sich bringen (Schumpeter, S. 91). Diese Veränderungen versteht Schumpeter selbst allerdings schon in einem sehr umfassenden Sinne. Er zählt dazu die Einführung neuer Güter, technologische Verbesserungen der Produktionsweise, „Erschließung neuer Märkte oder neuer Hilfsquellen“ (ebenda, S. 91), neue organisatorische Formen und so weiter. Unter den Begriff der Innovation fällt, so Schumpeter, „jedes ,Andersmachen‘ im Gesamtbereich des Wirtschaftslebens“ (ebenda, S. 91). Wenn nun dieser Schumpeterschen Begriff auch auf Bereiche jenseits des Wirtschaftssystems übertragen wird, dann deswegen, weil er in struktureller Hinsicht ein weiteres, wichtiges Merkmal bereithält, das man weiter generalisieren kann. Schumpeter weist schon an der eben zitierten Stelle ausdrücklich darauf hin, daß Innovation etwas anderes bezeichnet als die reine Hervorbringung von etwas Neuem, für welche er den Begriff der Erfindung reserviert. Erfindungen, so Schumpeters wegweisende und zu seiner Zeit wohl überraschende Einsicht, seien überhaupt keine Faktoren der Wirtschaft, wie man an den Erfindungen der Antike und des Mittelalters erkennen könne, welche „jahrhundertelang ohne Einfluß auf

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den Ablauf des Lebens blieben“ (Schumpeter, S. 15). Umgekehrt, so folgert er, ist Innovation „ohne irgendeine Tätigkeit“ möglich, „die sich als Erfindung bezeichnen läßt und Erfindung löst nicht notwendig Innovation aus“ (ebenda, S. 91). Innovationen sind vielmehr dadurch bestimmt, daß sie vom Wirtschaftssystem selbst generierte Fakten bezeichnen. Sie sind sogenannte „innere“ und „eigene“ Faktoren, weil sie den Einsatz bestehender Verfahren oder Kenntnisse zu einem neuen Zweck ausschließlich nach rein wirtschaftlichen Kriterien markieren (ebenda, S. 92). Schumpeter vermeidet dabei im übrigen explizit jeden Reduktionismus im Sinne einer Definition über Bedürfnisse (ebenda, S. 91, Fn. 11). Dieses Schema der Deutung einer Hervorbringung als Innovation, die ja erst durch ihre nähere Bestimmung in einem sozialen Kontext (nämlich durch die ökonomische Zweckbestimmung im Wirtschaftssystem) als solche angenommen wird, kann man in verallgemeinerter Form durchaus auch auf andere soziale Felder anwenden. Als innovativ können Sachverhalte demnach in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten gedeutet werden. Das ist ein notwendiger und erkenntnisfördernder Schritt insbesondere dann, wenn sich das Augenmerk auf die Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der modernen Gesellschaft richtet. Die Frage, ob und inwiefern es sich bei wissenschaftlichem Fortschritt in Grundlagenfragen oder bei technologischen Entwicklungen um Innovationen handelt, wird heute gewissermaßen parallel in unterschiedlichen – neben den wirtschaftlichen vor allem auch in wissenschaftlichen, rechtlichen oder politischen – Kontexten behandelt. Die wissenschaftliche community entscheidet beispielsweise durch peer reviews oder über die Mitwirkung bei der Zuweisung von Fördermitteln über die Innovativität einzelner Erkenntnisse, aber auch ganzer Forschungsprogramme. Das Recht reguliert Gefahren und Risiken unter anderem unter Rückgriff auf den Stand von Wissenschaft und Technik, also auf das, was sich dort bereits als innovativ herausgestellt hat und in die akzeptierten Wissensbestände diffundiert. Es generiert selbst fortlaufend auf einer anderen Ebene soziale Innovationen, indem es Konfliktkonstellationen ständig neu sortiert und dabei auch neue, als innovativ gedeutete Strukturen hervorbringt. Die Politik hingegen hofft, durch Innovationsförderung und Gestaltung entsprechender Rahmenbedingungen die Zukunftspotentiale von Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft zu stärken. Auch sie sorgt fortwährend selbst für Innovationen innerhalb der Strukturen des Politischen. Alle diese Bereiche – und dies dürfte generell für die funktionalen Teilsysteme der modernen Gesellschaft gelten – deuten Hervorbringungen als innovativ und machen sie dadurch in bevorzugter Weise weiter verfügbar. Die wenigen Beispiele zeigen allerdings zugleich auch, daß Innovativität nicht auf allen Feldern mit demselben Präferenzwert ausgezeichnet ist. Insbesondere in der Ökonomie und in der Wissenschaft erhalten als innovativ bezeichnete Hervorbringungen einen zusätzlichen – eben ökonomischen oder wissenschaftlichen – Wert, während dies etwa für die Politik nicht ohne weiteres zu gelten scheint: hier kann man in bestimmten Grenzen beispielsweise auch gezielt auf das Festhalten an Altem und Bewährtem unter Verzicht auf Innovationen setzen. Wissenschaft, Technik und Wirtschaft sind also die

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Felder, auf denen sich die politische und rechtliche Innovationsregulierung im Wesentlichen abspielen wird. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen markiert damit ein Begriff der Innovation, welcher sich in seinem Kern auf Schumpeters klassischen Ansatz bezieht, dessen Gehalt allerdings auf Anwendungsbereiche jenseits der Ökonomie verallgemeinert. Dies entspricht jedenfalls in groben Umrissen der in der soziologischen Literatur zumeist vertretenen Position (Braun-Thürmann). Wenn man in dieser Weise den Innovationsbegriff an die Deutung einer Hervorbringung als innovativ bindet, eröffnet sich eine wissenssoziologische Perspektive auf den Gegenstandsbereich. Man sieht mit Hilfe dieses Ansatzes, daß wir es bei Innovationen grundsätzlich mit einem wissenssoziologisch relevanten Sachverhalt zu tun bekommen, nämlich mit der Frage nach den Deutungsmustern, die geistige und materielle Hervorbringungen zu Innovationen machen. Ich will im folgenden Innovationsregulierung aus dieser wissenssoziologischen Perspektive beschreiben, um vor diesem Hintergrund Probleme, Problemlösungsmöglichkeiten, aber auch die unauflösbare innere Spannung bzw. Paradoxie der Regulierung von Innovationen zu erfassen. Die Aufgabe eines solchen wissenssoziologischen Ansatzes im Vergleich zu den eher juristischen und ökonomischen Beiträgen besteht meines Erachtens darin, die sozialen Deutungsvorgänge freizulegen – oder wo dies im Rahmen eines kurzen Beitrags nicht gelingen kann, doch wenigstens deren Bedingungen zu klären –, welche das Auftreten von Innovationen bewirken. Dies erfordert zunächst eine kurze Klärung des Wissensbegriffs.

II. Innovationsregulierung als Thema der Wissenssoziologie: Der Begriff des Wissens Für die Soziologie ist Wissen ein zentraler Begriff. Die wissenssoziologische Herangehensweise geht im wesentlichen auf Arbeiten Karl Mannheims zurück, der die Marxsche Ideologiekritik und die soziologische Erkenntnistheorie Max Webers radikalisiert hat, indem er den Wissens-Begriff ganz allgemein für sozial beeinflußtes und situationsgebundenes Wissen verwendete. Zum einen können wir seit Kant annehmen, daß wir jedenfalls in spezifischer Hinsicht nur erfahren können, was wir kategorial schon an Wissensmöglichkeiten besitzen. Zum anderen kann man vermuten, daß diese Kategorien keineswegs nur angeborene, sondern in vielen Fällen wohl auch sozial erzeugte sind. Mit solchen Fragen nach möglichen Zusammenhängen zwischen Sozialstruktur einerseits und Wissen und Erkenntnis andererseits beschäftigt sich die Wissenssoziologie. Sie versucht zu erklären, wie Wissen aus sozialen Bedingungen heraus entsteht und wie es als soziales Phänomen zu erklären ist. Ihre Entwicklung verlief über die Anfänge in der Ideologiekritik des frühen neunzehnten Jahrhunderts zur soziologischen Erkenntnistheorien und schließlich zur Wissenssoziologie in der Mitte des zwanzigstens Jahrhunderts. Die

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frühe Ideologiekritik wurde in der Folge der Ausbildung moderner Erfahrungswissenschaften zunächst als Versuch betrieben, die Faktoren zu identifizieren, welche die wahre Naturerkenntnis behindern. Ihr lag die Unterscheidung von geltungstheoretisch „minderen“ Formen des Wissens – dem bloßen Glauben, der Doxa – und gültigem Wissen – der Episteme – zu Grunde. In ihrer marxistischen Variante nahm sie im sogenannten Basis-Überbau-Theorem die Gestalt einer materialistischen Gesellschaftstheorie an. Während hier der Wissensbegriff also vor allem der Unterscheidung von wahrem Wissen und bloßem Meinen diente, entwickelt sich er sich in der Folgezeit zu einem umfassenden Begriff. Die Details dieser Entwicklung können hier nicht dargestellt werden. Sie kulminiert im zwanzigsten Jahrhundert in der Wissenssoziologie Karl Mannheims, auf die sich auch alle zeitgenössischen Konzepte im Grunde noch beziehen. Mannheims Argumentation basiert auf der Voraussetzung, daß grundsätzlich jedes soziale Gebilde („Kulturgebilde“) sinnhaft konstituiert ist, und zwar in drei Dimensionen, in der des subjektiv intendierten Sinns, des objektiven Sinns und der dokumentarischen Interpretation, das heißt der nicht intendierten, quasi habituellen Aspekte der individuellen Handlung (zum folgenden s. Mannheim). Dieser Sinn wird also ganz wesentlich durch das „soziale Sein“ bestimmt. Mannheim bezeichnet diesen Zusammenhang als die „Seinsverbundenheit“ des Sinns. Er verwendet dafür den alten Begriff der Ideologie, den er jedoch im Unterschied zu Marx nun ganz allgemein – in universalistischer Weise – für sozial beeinflußtes und situationsgebundenes Wissen verwendet. In Abgrenzung zu Marx, dessen Gesellschaftstheorie bekanntlich genau zwei Klassen kennt, nimmt Mannheim eine unbestimmte Vielzahl sozialer Seinsweisen an, welche in Denkstandorten oder Denkstilen ihren Ausdruck finden. Mannheim legt damit das Fundament für einen universalen Wissensbegriff, aus dem heraus sich der Wissensbegriff der neueren Wissenssoziologie entwickelt hat und von dem im folgenden Gebrauch gemacht wird. Dieser Wissensbegriff weist, wenngleich er nicht in allen Details unumstritten ist, doch zwei allgemeine Merkmale auf. Erstens wird Wissen als operative Kategorie, im Gegensatz zu einer eher substantialistischen begriffen. Wissen bezeichnet demzufolge Schemata der Weltdeutung, und nicht mehr oder minder große Mengen von Informationspartikeln. Zweitens umfaßt der Begriff des Wissens seit Mannheim keineswegs nur solches Wissen, das wir als „wahr“ bezeichnen würden, sondern auch andere Kategorien wie Recht, Nützlichkeit / Macht, Wert, Schönheit, aber auch Authentizität, unspezifische / nichtcodierte Geltung und so weiter. Wahrheit als Geltungsdimension kommt nur bei einer speziellen Sorte von Wissen ins Spiel, nämlich derjenigen des Wissenschaftssystems. In diesem System geht es um eine Sonderform der Kommunikationen, die sich selbst und das von ihr in Anspruch genommene Wissen mit einer Zweit-Unterscheidung, nämlich dem Wahrheitswert einer Aussage versieht. Unter Wissen verstehe ich vor diesem Hintergrund im folgenden operative Schemata der Beobachtung von Welt, die mit Geltung verbunden sind. Mit diesem operativ gefaßten und thematisch weiten Begriff ist es ganz allgemein möglich, die

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Deutung sozialer Phänomene zu beschreiben. Vor diesem Hintergrund will ich mich mit der Wissenssoziologie der Innovationsregulierung befassen. Die Herangehensweise an die Thematik der Innovationsregulierung ist durch zwei Fragen gekennzeichnet: 1. Welche Formen des Wissens werden bei der Innovationsförderung durch Regulierung bedeutsam? 2. Welche charakteristischen Probleme beobachten wir dabei? Um diese Fragen zu beantworten, sind Innovations- und Wissensbegriff aufeinander zu beziehen. Dazu betrachte ich im nächsten Abschnitt zunächst die Form von Innovationsprozessen, um sodann die mit diesen verbundenen Wissensformen zu bestimmen.

III. Mit Innovation verbundene Formen des Wissens Ausgehend von Schumpeters Begriffsbestimmung habe ich Innovation als Durchsetzung von Neuerungen in einem gesellschaftlichen Feld definiert. Bevor man sich der Frage nach den damit verbundenen Wissensformen zuwenden kann, ist kurz zu erörtern, wie man sich diesen Durchsetzungsprozess zu denken hat. Betrachten wir dazu Innovationsprozesse in Wissenschaft und Technologie. Lange Zeit galt in der Wissenschaft das sogenannte lineare Modell, nach welchem von der Grundlagenwissenschaft über anwendungsorientierte technische Umsetzungen bis hin zur wirtschaftlichen Vermarktung der darauf basierenden Produkte ein zielgerichteter Prozeß abläuft, in welchem jeder Schritt auf den vorhergehenden aufbaut. Als ein zentrales Dokument dieser Sichtweise gilt der 1945 veröffentlichte sogenannte Bush-Report „Science – The endless frontier“, mit dem der Direktor des Office of Scientific Research and Development, Vannevar Bush, gegenüber Präsident Truman Empfehlungen für eine zukünftige Wissenschafts- und Forschungspolitik aussprach (Bush). Der Text ist einerseits das Schlüsseldokument der modernen Innovationsförderung. Er stellt gewissermaßen den Gründungstext der Wissenschafts- und Forschungspolitik im modernen Sinne dar. Er ist andererseits auch ein Schlüsseldokument linearen Denkens, weil er im Wesentlichen auf die Diffusion von Wissen setzt, das in der Grundlagenforschung generiert wird. Allerdings zeigt die Entstehungsgeschichte des Berichts selbst schon, daß die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich komplexer sind und daß hier zugleich auch bereits ein Endpunkt linearen Denkens erreicht ist. Das Problem, auf welches der BushReport reagierte, bestand nämlich im Wegfall der kriegbedingten Indienstnahme sämtlicher wissenschaftlichen Kapazitäten der USA. Diese Kriegswissenschaft hatte, so die Prämisse, derart hervorragende Ergebnisse erzielt, daß man nach dem Kriegsende gewissermaßen gezwungen war, sich auf die Suche nach einem funktionalen Äquivalent für den Krieg zu begeben, wenn man auf staatlicher Seite weiterhin herausragende Wissenschaft im Dienste nationaler Interessen erzeugen und unterstützen wollte. Mit anderen Worten: Innovationen – so die zugrundeliegende These des Bush-Reports – ergeben sich nicht einfach quasi naturwüchsig, sondern können überhaupt nur durch ein komplexes Zusammenspiel von Politik, Wirt-

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schaft, Wissenschaft und Technik und der damit jeweils verbundenen Wissensformen generiert werden. Damit zeichnet sich – ohne daß man notwendigerweise modischen Konzepten von „postnormal science“ (Funtowicz / Ravetz; Ravetz 1999, 2004) oder „mode 2“ (Gibbons et al.; Nowotny et al. 2001) anhängen muß, ein Bild von Innovationsprozessen ab, die rekursiv, netzwerkförmig, diskontinuierlich, oft fragmentiert und individualisiert (siehe dazu Kowol / Krohn; Grupp / Breitschopf) und mit nur schwer abgrenzbaren Phasen ablaufen (Braun-Thürmann, S. 63). Dieser Prozeß stellt sich wegen der Deutungsabhängigkeit der Innovation als Abfolge und Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Deutungsmuster (manchmal auch als Leitbilder bezeichnet, vgl. Dierkes / Marz) dar, die auf unterschiedliche Akteure oder Felder verteilt sind. Wissenschaftliche und technologische Innovationen ergeben sich dann als Effekte eines komplexen Netzwerks von Akteuren und Organisationen in mehreren Funktionssystemen. Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Recht speisen ihre Wissensbestände in diesen Prozeß ein. Da man angesichts der Komplexität dieser Vorgänge nicht mehr an der früheren, linearen Vorstellung festhalten kann, stellt sich die Frage, ob es dennoch erkennbare Regelmäßigkeiten in dem beschriebenen Wechselspiel gibt. Die Innovationsforschung hat, soweit ersichtlich, gewisse Mühe, derartige Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Einigkeit besteht unter Innovationsforschern allerdings weitgehend darüber, daß Innovationsprozesse am ehesten in einem Evolutionsmodell abgebildet werden können (Braun-Thürmann, S. 51). Das ist möglich, weil die evolutionären Funktionen der Variation, Selektion und Restabilisierung nicht einem linearen Phasenmodell folgen, sondern prinzipiell gleichzeitig wirken können. Auf Innovationsprozesse angewendet bedeutet dies, daß Phasen der Grundlagenforschung, der Technologieentwicklung, der politischen und ökonomischen Förderung sowie der politischen und rechtlichen Regulierung, die man analytisch an Hand ihrer differierenden Akteure, Problemstellungen und institutionellen Lösungen gut voneinander trennen kann (Bora 2002), sich empirisch in vielfältiger Weise überlagern. Neuere Technologien, wie zum Beispiel die Gentechnik oder die Nanotechnologie, sind dann etwa dadurch gekennzeichnet, dass Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind und daß in einem sehr frühen Stadium des Innovationsprozesses bereits Selektions- und Restabilisierungsmechanismen in Gestalt privater und staatlicher Förderung sowie von politischer und rechtlicher Regulierung einsetzen. Diese evolutionstheoretische Charakterisierung hat dann Konsequenzen für die Möglichkeit der Regulierung von Innovation. Denn in dieser im weitesten Sinne evolutionstheoretischen Perspektive sind Eingriffe in Innovationsprozesse zwar durchaus möglich, sie bleiben jedoch Eingriffe in eine Eigendynamik, die nur in einem sehr eingeschränkten Umfang kausal determiniert ist, weshalb die Auswirkungen von Eingriffen nur schwer berechenbar sind. Diese Frage der Regulierung evolutionärer Prozesse wird im Verlauf der Argumentation später wieder aufgegriffen werden.

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Welche Wissensformen charakterisieren derartige Innovationsprozesse? Hier sind drei Formen zu unterscheiden, die bei der sozialen Konstruktion von Innovationen eine Rolle spielen: 1. Inventionswissen als jenes Wissen, welches die geistige oder materielle Hervorbringung ermöglicht; 2. Emergentes Wissen als jenes Wissen, welches mit der Hervorbringung generiert wird; 3. Innovationswissen i. e. S. oder Durchsetzungswissen als jenes Wissen, welches die Deutung der Hervorbringung als Innovation bewirkt. Die Technikgeschichte ist reich an Beispielen dafür, welche entscheidende Rolle dieses Durchsetzungswissen für die Pfadabhängigkeiten der Technikentwicklung spielt. Bekannte Fälle wie die Entwicklung der mechanischen Schreibmaschine (Knie 1991) oder das Schicksal des Wankelmotors (Knie 1994), aber auch die Entstehungsgeschichte der Gentechnik (Kay) machen deutlich, daß soziale Deutungsmuster Innovationen definieren und ihnen damit zur Durchsetzung verhelfen. Alle drei Wissensformen konvergieren nun im evolutionären Innovationsprozeß aufeinander eingespielt so, daß in der dritten Form die eingangs beschriebene, gewissermaßen rückblickende Deutung einer gegebenen Hervorbringung als Innovation gelingt. Innovationen sind von daher in sozialer und zeitlicher Hinsicht komplexe Phänomene. In sozialer Hinsicht sind sie insofern komplex, als sie durchaus unterschiedliche soziale Positionen miteinander kombinieren: Inventions-, emergentes und Durchsetzungswissen sind, wie erwähnt, in der funktional differenzierten Gesellschaft häufig sozial verteilt. In zeitlicher Hinsicht sind sie komplex, weil ihre Temporalstruktur die rein chronologische Ordnung der drei Wissensformen mit einer aus dem Vergangenheitshorizont je gegenwärtigen Operierens gewonnen rückblickenden zeitlichen Festlegung verschränkt. Was im Begriff der Innovation als quasi substantielle Eigenschaft eines Objekts erscheinen mag, erweist sich bei genauerer Betrachtung als sehr flüchtige Figur. Das als Innovation Gedeutete ist nicht neu, sondern wird im Prozess der Durchsetzung, da es uns also schon bekannt ist, als im Vergleich zu einem Vergangenheitshorizont neu und daher mit Blick auf mögliche Zukünfte als bewahrenswert interpretiert. An dieser Beobachtung ändert auch der oben beschriebene Umstand nichts, daß die evolutionären Phasen des Innovationsprozesses sich teilweise überlagern. Denn auch in dem skizzierten nichtlinearen Prozeß setzt die Deutung einer Hervorbringung als „innovativ“ ebendiese Hervorbringung voraus. Mit den drei Formen des Inventions-, des emergenten und des Durchsetzungswissens lassen sich, so meine Ausgangsvermutung, aus wissenssoziologischer Perspektive diejenigen sozialen Deutungsmuster vollständig beschreiben, welche die epistemischen Grundlagen von Innovationen bilden. Auf dieser Basis werden im Folgenden die wissenssoziologischen Implikationen der Regulierung von Innovationen untersucht.

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IV. Innovationsregulierung als Wissensregulierung und die Formen des Regulierungswissens Innovationsregulierung ist nach allem bisher Gesagten also Wissensregulierung. Sie greift in noch näher zu bestimmender Weise in die skizzierten Wissensformationen ein und versucht diese zu beeinflussen (zum Begriff der Regulierung allgemein Bora 2002). Mit dem Konzept der Innovationsregulierung wird hier also die Regulierung des Innovationsprozesses und der in ihm hervorgebrachten Innovation selbst angesprochen. Es geht also im Wesentlichen um den sich komplementär zur rechtlichen Risikovorsorge herausbildenden Fragenkomplex der „Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung“ im Recht (Hoffmann-Riem 2006), der rechtlichen Ermöglichung und das heißt auch der vorausblickenden Regelung des Korridors, in welchem zukünftig Innovationen stattfinden. Um diesen Aspekt der vorausblickenden Regulierung – im Gegensatz zur Nachsorge im Zuge evolutionärer Stabilisierung einer stattgefundenen Innovation – geht es im Folgenden hauptsächlich. Diese ermöglichende und vorsorgende Innovationsregulierung hat selbst auch eine wissenssoziologische Dimension. Auch Regulierung macht von Wissen Gebrauch. Dieses Wissen wird im Folgenden als Regulierungswissen bezeichnet. Auf der Ebene des Regulierungswissens sind erneut drei Formen zu unterscheiden. Jede dieser Formen bringt spezifische Herausforderungen für die Regulierung mit sich. Eine Zusammenfassung dieser im folgenden diskutierten Formen, die bei der Regulierung von Innovationen mitspielen sowie der mit diesen Formen verbundenen Probleme enthält die Übersicht am Ende dieses Abschnitts auf S. 38. 1. Prognosewissen: als Prognosewissen bezeichne ich das Wissen über erwartbare Innovationen, das heißt nach dem oben Gesagten konsequenterweise Prognosewissen in dreifacher Hinsicht, nämlich als Wissen über zukünftig erwartbares Inventions-, emergentes und Deutungswissen. Damit scheint mir in einer Hinsicht kein besonders problematischer Fall angesprochen zu sein: jede Regulierung konstruiert Zukunft. Recht ist das Instrument der kontrafaktischen, enttäuschungsfesten Erwartungsstabilisierung. Es operiert immer aus der Gegenwart regulatorischen Handelns in eine prinzipiell offene Zukunft hinein, wobei es eben Erwartungen formuliert, die gültig sein sollen, gleich welche Ereignisse zukünftig eintreten. Freilich ist dabei immer die Möglichkeit mitgedacht, Erwartungen in der Zukunft ihrerseits zu ändern, also zukünftiges Recht veränderten zukünftigen Gegebenheiten anzupassen. Problematischer ist ein anderer Aspekt. Soweit sich Prognosen auf Inventionswissen erstrecken, basieren sie im Wesentlichen auf der Beobachtung aktueller wissenschaftlicher Trends. Schon deren Fortschreibung ist bisweilen schwierig. Im Hinblick auf emergentes Wissen, das immer auch Aspekte irreduzibler, nicht antizipierbarer Kreativität trägt, haben Prognosen dann ganz offensichtlich konstitutive Grenzen. Gleichwohl erlauben sie aber doch antizipatorische Aussagen innerhalb

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des Geltungsbereichs gesetzesförmigen, Kausalitäten im Sinne von Wenn-DannAussagen oder stochastischen Regelmäßigkeiten enthaltenden Wissens. Die Beiträge in diesem Band erstrecken sich zum Teil auf dieses Gebiet, etwa dort wo es um die Analyse ökonomischer Gesetzmäßigkeiten bei Innovationsprozessen geht. Insofern schaffen Prognosen trotz der erwähnten Einschränkungen innerhalb des Rahmens regelmäßiger Verläufe das für Regulation erforderliche Prognosewissen. Die mit Prognosewissen zwangsläufig verbundene Unsicherheit (dazu HoffmannRiem 2005, S. 146) begrenzt daher im Hinblick auf erwartbare Inventionen selbst zwar notwendigerweise den kognitiven Rahmen der Regulierungsmöglichkeiten. Sie stellt eine nicht überwindbare Begrenzung des Regulierungswissens dar. Diese Begrenztheit unterscheidet sich andererseits aber nicht von der allgemeinen Unsicherheit, die mit der Regulierung zukünftiger Entwicklungen stets verbunden ist. Nie kann man mit letzter Gewißheit vorhersagen, in welche Richtung sich ein zu regulierender Bereich entwickeln wird. Deshalb sind alle Regulierungsentscheidungen stets mit Risiken behaftet, worauf sogleich zurückzukommen sein wird. Ein wenig komplizierter gestaltet es sich allerdings im Hinblick auf das Innovationswissen im eigentlichen Sinne, das auch als Durchsetzungswissen bezeichnet wurde, also auf die Prognose zukünftig erwartbarer Deutungsmuster, welche erst die soziale Konstruktion einer Innovation vollenden werden. Sie sind durch Prognosen weit weniger gut beschreibbar. Und dies nicht etwa deswegen, weil es sich um soziale Tatbestände handelt. Dieser Einwand gälte etwa auch gegenüber dem Inventionswissen, das zwar sogenanntes hartes, naturwissenschaftliches Wissen sein kann, aber eben auch als solches Ergebnis von sozialen Deutungs- und Entscheidungsprozessen ist, wie zahllose wissenschaftssoziologische und -historische Studien belegen. Beim Innovationswissen im Sinne des Durchsetzungswissens kommt vielmehr der Umstand erschwerend hinzu, daß dieses Wissen Kriterien verwendet, die sich auf Präferenzen, Werte und Normen stützen. Die Prognose der in diesem Sinne „normativ-evaluativen“ Komponenten des Innovationswissens fällt deshalb so schwer, weil sie vom regulierenden Eingriff selbst mit abhängen. Ob wir in der Zukunft eine Hervorbringung als Innovation feiern oder als irrelevante Marginalie abtun werden, das hängt entscheidend mit von den sozialen Deutungsmustern ab, deren normativen Gehalt wir über die regulierende Intervention mit beeinflussen. Prognosewissen enthält insofern also eine reflexive Komponente. Ob etwas eine Innovation darstellen wird, hängt mit davon ab, ob wir wollen, daß es sich so verhält. Woher wissen wir aber, ob wir das wollen sollen? Hier wird erneut ein Entscheidungsproblem sichtbar. Regulierung allgemein und Innovationsregulierung im Besonderen ist daher, wie gesagt, mit Risiken behaftet. Dieser Umstand führt uns zu der zweiten Form des Regulierungswissens. 2. Risikoentscheidungs-Wissen: Daß Innovationen sowohl Chancen als auch Risiken beinhalten, ist verschiedentlich notiert worden (vgl. Hoffmann-Riem 2005). Mit dem Begriff der Risikoentscheidung sind beide Seiten, die Chance und das Risiko angesprochen, da riskante Entscheidungen immer beides nach sich ziehen können. Eben deswegen werden sie als riskant betrachtet. Innovationsregulierung

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beinhaltet solche riskanten Entscheidungen. Sie macht deshalb Gebrauch von Risikoentscheidungswissen. Damit bezeichne ich ein in jeder Entscheidungssituation aktualisiertes Wissen. Dieses Risikoentscheidungswissen umfasst 1. das Wissen, daß man nicht nicht-entscheiden kann, daß eine Entscheidung also immer getroffen wird, auch im Falle des Stillhaltens; 2. das Wissen über unspezifisches Nichtwissen, also die Gewissheit, daß jetzt noch prinzipiell unbekannte Folgen der Entscheidung später auftreten werden, die mit Nachteilen für Dritte verbunden sein können; 3. das Wissen, daß die zukünftig erkennbaren Auswirkungen dann auf die Entscheidung und den Entscheider zugerechnet werden und er für die Folgen verantwortlich gemacht werden wird (vgl. Bora 2007 [Gesellschaftsberatung]). Die Gemengelage dieser drei Wissenskomponenten prägt jede Situation, die wir als Entscheidung bezeichnen. Grundlegend für diese Wissensform ist insbesondere die Unterscheidung von spezifischem und unspezifischem Nichtwissen (Japp). Spezifisches Nichtwissen bezeichnet den Fall, in dem man weiß, daß und was man (noch) nicht weiß und in dem man deshalb gezielten Wissenserwerb betreiben kann. Es ist dies der charakteristische Bereich wissenschaftlicher Forschung. Unspezifisches Nichtwissen dagegen bezeichnet den Horizont kategorisch unverfügbaren Nichtwissens, vor dem man gar nicht sagen kann, was (noch) nicht gewusst wird, sondern der sich als ganzer der Selbstbeobachtung entzieht, etwa weil jede Vorstellung möglicher Kausalität fehlt und auch mit sorgfältiger Forschung nicht erworben werden kann. Als Risiko wird vor diesem Hintergrund die Problemlage bezeichnet, die aus dem Zwang entsteht, jetzt entscheiden zu müssen und damit im Bereich unspezifischen Nichtwissens liegende Folgen zu bewirken, die möglicherweise nachteilige Konsequenzen für Dritte haben können und diesen gegenüber dann verantwortet werden müssen (Luhmann). Das auf diesen Risiko-Aspekt aller Entscheidungssituationen bezogene Wissen bildet die zweite regulierungsrelevante Wissensform. Für die Möglichkeit der Innovationsregulierung wird deshalb die Risiko-Allokation zu einer zentralen Aufgabe. Wenn das Risiko des Entscheidens grundsätzlich nicht aus der Welt geschafft werden kann, so ergibt sich allgemein die Frage, ob es (und gegebenenfalls in welcher Weise) zwischen sozialen Akteuren verschoben werden kann. Die Risikosoziologie kann inzwischen einige Beispiele solcher Risikoverschiebungsmechanismen zwischen sozialen Funktionssystemen auflisten. Man denke etwa an die Externalisierung auf die Wissenschaft durch Grenzwerte, an Verrechtlichung politischer Entscheidungsspielräume und so weiter. Techniken der Risikoverschiebung sind also ein grundsätzlicher Aspekt von Regulierungsentscheidungen. Sie können allerdings, das gilt es festzuhalten, Verantwortungszuschreibung nicht prinzipiell vermeiden, sondern allenfalls Entscheidungsrisiken anders verteilen. 3. Als dritte regulierungsrelevante Form ist schließlich regulierungstechnisches Wissen zu erwähnen. Damit bezeichne ich Wissen über Funktionsweise und Wir-

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kung verschiedener Regulierungsinstrumente im Hinblick auf die beiden zuerst genannten Wissensformen und die damit verbundenen Probleme. Solches Wissen steht als erfahrungswissenschaftlich gewonnenes in weitem Umfange zur Verfügung. Es umfaßt das ganze Ensemble der empirischen Politik- und Rechtsforschung, die häufig unter der Überschrift Governance-Forschung, beispielsweise mit der Bezeichnung governance of innovation (Kuhlmann) betrieben wird. Die begrifflichen Verhältnisse auf diesem Gebiet sind noch nicht völlig geklärt: Regulierung wird meist als der engere Begriff im Sinne einer mit Sanktionsmacht ausgestatteten Intervention verwendet, im Gegensatz etwa zu Anreizsystemen und Kontextsteuerung. Für Governance ist hingegen deren Mehrebenen- und Multi-Aktor-Perspektive charakteristisch, die damit in aller Regel auch partizipative Aspekte enthält. Die Begriffsverwendung ist allerdings sehr uneinheitlich (Braithwaite et al.). Seiner Form nach hat dieses regulierungstechnische Wissen die Gestalt von Kausalbeziehungen, von gesetzesförmigen Wenn-dann-Aussagen über die aus der Erfahrung bekannten Wirkungen einzelner Regulierungsinstrumente. Diese beziehen sich, wie gesagt, auf Prognose- und Risikoentscheidungswissen und die mit beiden verbundenen Probleme, also auf die Fragen, wie man regulierungstechnisch mit Prognoseunsicherheiten und riskanten Entscheidungslagen umgehen kann. Idealtypisch lassen sich hierbei drei Formen der Problembearbeitung beobachten, nämlich Expertise, Partizipation sowie eine Kombination der beiden Möglichkeiten. Diese Formen sind aus der Risikoregulierung bekannt. Sie haben beispielsweise schon seit längerem in das Umwelt- und Technikrecht Eingang gefunden, wie man an entsprechenden Regelungen etwa im Atom- oder Gentechnikrecht erkennen kann. Dort geht es in der Regel um Einzelfallprüfungen. Für die Innovationsregulierung ist daneben, wie ich oben zu verdeutlichen versucht habe, der Bereich der vorausschauenden Ermöglichung und Regulierung von wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen als solchen relevant. Auf beiden Feldern beobachten wir die drei genannten Formen der Generierung von Regulierungswissen. Expertise bearbeitet dabei typischerweise Probleme im Bereich spezifischen Nichtwissens, also in unserem Fall vor allem Probleme, die mit Prognosen verbunden sind. Neben der allgemeinen, bereits erwähnten Unsicherheitskomponente wirft Expertise vor allem Fragen der sozialen Verteilung von Wissensressourcen, der damit verbundenen tatsächlichen oder unterstellten Macht- und Interesseneinflüsse auf die Prognose, also die Frage wissenschaftlicher Neutralität auf. Die derzeit wachsende Zahl von Projekten über Expertise, Beratung und Professionalisierung reagiert auf diese mit wissenschaftlicher Expertise verbundenen Fragen. Auf die zahlreichen Details der Expertise-Forschung kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Man kann jedoch im Ergebnis die Behauptung wagen, daß sich die professionelle Beratung von Innovationsregulierung durch wissenschaftliche Expertise tatsächlich erfolgreich einrichten läßt. Allerdings können die unter dem Stichwort Prognosewissen thematisierten grundsätzlichen Grenzen dabei

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nicht überschritten werden. Gelingende Expertise zeichnet sich dann unter anderem dadurch aus, daß sie im Umgang mit diesen epistemischen Grenzen der Prognose praxisrelevante Beratungsleistungen erbringt (Bora 2007 [Gesellschaftsberatung / Grundlagen]; Buchholz). Neben der Expertise bearbeiten vor allem unterschiedliche Modelle der Partizipation als Ausdruck nicht-interventionistischer, „weicher“ Steuerungsformen die mit der Entscheidung verbundene Aufgabe der Verantwortungsallokation. Das Problem der im Entscheidungszeitpunkt notwendig unbekannten Entscheidungsfolgen, späteren Deutungen und Verantwortungszuschreibungen wird dabei durch die Einbeziehung interessierter Kreise (stakeholder) oder potentiell Betroffener in den Kreis der Entscheider zu entschärfen versucht. Allerdings zieht dies häufig nicht intendierte Folgen nach sich: Die Zahl der Entscheidungen steigt, die Verantwortungszuschreibung wird diffus. Weitere, vor allem interne Probleme partizipativer Verfahren sind im einzelnen in früheren Studien beschrieben (vgl. Bora 1999). Insgesamt ist die Forschungslage allerdings eher unübersichtlich. Erfahrungswissenschaftlich solide Analysen partizipativer Verfahren der Wissenschafts- und Technikbewertung sind bislang eher selten (Abels / Bora). Die Praxis reagiert sensibel auf solche Probleme, weshalb sich seit längerem schon verschiedene Kombinationen von Expertise und Partizipation entwickelt haben. Häufig wird im Zusammenhang mit modernen Steuerungskonzepten und im Gefolge von Expertenkritik versucht, expertenbasierte und partizipative Steuerungsformen zu kombinieren. Die Liste der Möglichkeiten kann hier nicht erschöpfend abgearbeitet werden (vgl. Abels / Bora). Statt dessen mögen einige Ansätze aus neuerer Zeit als Beispiele dienen, in denen Expertise und Partizipation kombiniert werden. Am bekanntesten dürften Konzepte der Technikfolgenabschätzung und -bewertung (Technology Assessment, TA) sein. Seit den siebziger Jahren hat sich Technology Assessment neben der Erzeugung von Prognosewissen weltweit auch als Modell der Generierung regulierungstechnischen Wissens etabliert. Von einem reinen Expertenmodell hat es sich inzwischen stark in Richtung partizipativer Verfahren entwickelt. Vor diesem Hintergrund kristallisieren sich neuere Ansätze heraus, mit deren Hilfe die innovationstypischen Probleme angegangen werden, die hier geschildert wurden. Als Beispiele seien etwa folgende Modelle erwähnt: Das sogenannte real-time TA (Guston / Sarewitz) verfolgt das Ziel einer früh einsetzenden und den gesamten Innovationsprozeß begleitenden und ihn dabei mit gestaltenden TA. Es kombiniert vier Komponenten, nämlich Fallstudien, Trendbzw. Potentialanalyse, die Erhebung von Stakeholder-Einschätzungen sowie partizipative TA im engeren Sinne. Fraglich bleibt im Ergebnis, ob dadurch tatsäch-lich die von den Autoren angestrebte Gleichzeitigkeit von Technologieentwicklung und Technology Assessment erreicht werden kann. Ähnliches gilt wohl für Ansätze wie das strategic niche management (Lovell), bei welchem gezielte Experimente mit neuen Technologien in geschützten „Nischen“ das Problem der Verknüpfung ko-

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gnitiv-antizipatorischen und evaluativen Wissens lösen sollen. Als weiteres Beispiel sei schließlich das Konzept des science and technology roadmapping erwähnt (Fleischer et al.). Dabei geht es darum, einen Prozeß der Technikgestaltung anzustoßen, in welchem Innovationen von Folgenabschätzungsprozessen begleitet werden. Von zentraler Bedeutung in diesem Prozeß ist in der Regel ein multidisziplinär zusammengesetztes Expertengremium, das gegebenenfalls um weitere Akteure ergänzt wird. Seine Aufgabe ist es, die verschiedenen Aspekte einer Innovation zu identifizieren und in ihren möglichen Wechselwirkungen zu beschreiben, um damit die Basis für eine Bewertung der Innovation zu schaffen. Formen der sogenannten responsiven Regulierung (Bizer et al.) und der Gesetzesfolgenabschätzung wären ebenfalls diesen Modellen zuzurechnen. Unter etwas anderer Semantik, aber letztlich mit ganz ähnlichem Formenkanon sind Konzepte wie dasjenige der reflexive governance zu nennen. (Voß et al. 2006). Dazu zählt beispielsweise die von Voß und Kemp vertretene sustainability foresight, die Strategien der Wissensgenerierung, der Antizipation und der Partizipation kombiniert. Interessant ist dabei vor allem der Umstand, dass governance – durchaus in Übereinstimmung mit dem hier eingangs vorgetragenen Modell eines polyzentrischen Netzwerks von Organisationen und Akteuren – als das gezielte Erzeugen von Wechselwirkungen und Abstimmungsprozessen zwischen divergenten Rationalitäten aufgefasst wird, also eine Komponente des gesellschaftlichen Lernens enthält (Voß / Kemp, S. 7). Alle diese Modelle versuchen in mehr oder minder prononcierter Weise, den Weg von der Prognose zur Gestaltung in Form expertenbasierter partizipativer Verfahren zu gehen. Sie stehen dabei vor der Aufgabe, unterschiedliche, zum Teil miteinander konkurrierende kognitive und evaluative Wissensformen zu integrieren, die sich im Prozeß der Innovationsregulierung selbst mit verändern, am Ende also so etwas wie gesellschaftliches Lernen im Prozeß der Innovationsregulierung zu ermöglichen. Der Wissenschaftsforscher Arie Rip hat vor dem Hintergrund des eingangs erläuterten evolutionstheoretischen Verständnisses von Innovationsprozessen diesen Ansatz der Kombination von Expertise und Partizipation ko-evolutionstheoretisch interpretiert (vgl. Rip). TA wird dabei als „verhandelte Expertise“ und Partizipation als eine Form institutionalisierter Rückmeldungsbeziehungen interpretiert, welche die Interaktionen zwischen Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft formen und dadurch deren ko-evolutionäre Beziehungen ermöglichen (Rip, S. 89). In normativer Hinsicht bedeutet dies nach Rips Worten, daß sich aus der evolutionstheoretischen Perspektive selbst zunächst keine normativen Anhaltspunkte für die Formierung evaluativen Wissens ergeben. Vielmehr führt er ein Konzept der secondorder normativity ein (Rip, S. 85), in welchem jene Formen der Regulierung den Vorzug erhalten, die weitere Evolution ermöglichen, also das Gesamtsystem flexibel und reversibel halten. Das bedeutet vor allem, dass Regulierung viel von ihrem Charakter der Steuerung einbüßt und sich mehr einem Modell mitlaufender Reparaturen im Prozeß der Innovation selbst annähert. Diese Reparaturarbeit im Implementationsprozeß von Wissenschaft und Technik ist der Hauptmechanismus

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dessen, was Rip als ko-evolutionäre Steuerung begreift. Sie besteht im Wesentlichen darin, „Lernräume“ zu öffnen und „interaktiv“ erzeugte Antizipationen (Rip, S. 88, 91: „anticipation in action“) zu ermöglichen. Damit breche ich den kurzen Rundgang durch die Galerie der Regulierungstechniken ab. Wie man sieht, gibt es eine ganze Reihe von praktischen Ansätzen auf dem Gebiet des regulierungstechnischen Wissens. Aufgabe der Regulierungsforschung wird hier in erster Linie die weitere Sammlung empirischer Evidenz im Sinne einer vergleichenden, problembezogenen Instrumentenanalyse sein. Vieles ist, wie angedeutet wurde, auf diesem Gebiet schon erreicht. Klärungsbedarf besteht allerdings immer noch in weitem Umfang vor allem im Hinblick auf Details der Beratungsforschung und in sehr viel stärkerem Maße in der Partizipationsforschung. Die Darstellung hatte in systematischer Hinsicht vor allem den Zweck, sichtbar werden zu lassen, daß alle diese kombinatorischen Formen die vorhin kurz erwähnten Schwierigkeiten sowohl der Prognose als auch der partizipativen Risiko-Allokation bzw. -Distribution reproduzieren. Prognosen haben immanente Grenzen, die sich in Form von Entscheidungsrisiken sozial bemerkbar machen. Mit Regulierungsentscheidungen verbunden verschärfen sich im Hinblick auf Innovationsregulierung diese Risikolagen, da die regulierungsrelevanten Wissensformen gleichsam das spätere Innovationswissen schon imprägnieren. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei betont, daß diese Unschärfen sich in der Regel kaum in den Alltagsroutinen von Wissenschaft, Technologie und Regulierung bemerkbar machen. Sie betreffen in viel stärkerem Maße die Bereiche epistemischer Unsicherheit, jene Bereiche also, in denen wissenschaftliches und technologisches Neuland betreten wird. Dieser Bereich ist im Vergleich zu demjenigen des etablierten, in Wissenschaft und Technik allgemein als gültig akzeptierten Wissens sicherlich von geringer empirischer Reichweite (Weingart). Er markiert aber genau die Stelle, an der Regulierung im Sinne der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einerseits sowie der Innovationsförderung andererseits besonders gefragt ist, wegen der kognitiven Unsicherheiten allerdings auch besonders schwierig wird. Regulierung benötigt möglichst aktuelles, auf die neuesten Problemlagen bezogenes, zugleich aber möglichst gut abgesichertes Wissen. Diese widersprüchliche Erwartungshaltung läßt Probleme der Expertise sichtbar werden, die in der Folge dann häufig in den Blickpunkt öffentlicher Kritik gerät und zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen wird. Diesem Umstand versuchen partizipative Formen der Technikbewertung durch die Einbeziehung tatsächlich oder potentiell Betroffener oder der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit Rechnung zu tragen, ohne nun ihrerseits alle Probleme demokratischer Technikbewertung lösen zu können. Sie bleiben oft institutionell unterbestimmt, in ihrer Funktion unklar und mit Problemen des Mandats und der Repräsentativität behaftet (dazu noch einmal Abels / Bora). Insofern stellen deshalb die oben kurz vorgestellten neuen Formen der governance of innovation allenfalls näherungsweise Lösungen der basalen Wissensund Verantwortungsprobleme bzw. Formen der Risikoverschiebung und -diffusion

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dar. Letztlich, so wird man sagen können, lösen sie keines der mit den drei Formen des Regulierungswissens verbundenen Probleme. Formen des Regulierungswissens bei der Innovationsregulierung Prognosewissen

Risikoentscheidungswissen

Regulierungstechnisches Wissen

Wissen über zukünftig erwartbares – Inventionswissen – Emergentes Wissen – Deutungswissen

Wissen über – die Tatsache unspezifischen Nichtwissens und – insofern nicht antizipierbare Verantwortungszuschreibung

Wissen über Funktionsweise und Wirkung von Regulierungsinstrumenten

Problem: Problem: Zukünftiges Deutungswissen Entscheidungs-Risiken ist regulierungsabhängig lassen sich nicht vermeiden

Problem: Mittels professioneller Expertise und Partizipation können die mit Prognoseund Risikoentscheidungswissen verbundenen Herausforderungen letztlich nicht beseitigt werden

Gleichzeitig haben die bisherigen Überlegungen aber auch deutlich werden lassen, weshalb die Regulierung von Innovationen nicht einfach unter Hinweis auf ihre empirischen Schwierigkeiten aus dem Kontext der Innovationsgestaltung eskamotiert werden kann, weshalb also der Hinweis auf Selbstregulierungskräfte der Ökonomie nicht ausreicht. Der Umstand, daß Innovationen sich neben anderen Faktoren auch aus sozialen Deutungsmustern ergeben, die mittels Prognosewissen nur unvollständig ex ante bestimmt werden können, verweist unhintergehbar auf Risikoentscheidungswissen, so war oben argumentiert worden. Dieses bleibt wegen der Unauflösbarkeit von Entscheidungsrisiken in offenen Innovationsprozessen auf die geschilderten, komplexen und in vieler Hinsicht unzulänglichen Regulierungstechniken und das entsprechende Wissen angewiesen. Es dürfte deshalb angesichts der hier geschilderten Befunde kein Zufall sein, daß Arie Rip am Ende des oben referierten Textes auf eine Pointe hinsteuert, die stark an Jacques Derridas Figur der Gerechtigkeit (Derrida) als unhaltbarer aber notwendiger Begründung des Rechts erinnert: „Reflexive governance is good, because it maintains the illusion of governance“ (Rip, S. 94).

V. Produktiver Widerspruch: Die „Illusion“ der Innovationsregulierung Arie Rips eben zitierte Aussage enthält einen gewissen Widerspruch. Der Erfolg reflexiver Regulierung hängt vom Aufrechterhalten der „Illusion“ tatsächlicher Re-

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gulierbarkeit, also letztlich von deren empirischer Unmöglichkeit ab. Man könnte dies kritisch gegen die oben diskutierten Formen der governance wenden, da sie vor dem Hintergrund dieser Aussage in der Gefahr stehen, als Akzeptanzbeschaffungsinstrumente mißbraucht oder wenigstens in der öffentlichen Wahrnehmung als solche verkannt zu werden. Diese Gefahr ist in der Debatte um demokratische Technikbewertung auch immer gesehen worden. Gleichwohl will ich Rips Beobachtung nutzen, um abschließend eine optimistischere Sichtweise zur Geltung zu bringen. Dabei greife ich auf die soziale Funktion von Paradoxen zurück. Auch wenn die Rede von der unmöglichen und zugleich notwendigen Innovationsregulierung im formalen Sinne kein Paradoxon enthält, kommt sie doch vielleicht in ihrem Effekt einem solchen recht nahe. Paradoxe, so kann man nämlich argumentieren, enthalten immer auch eine Chance, insofern nämlich als sie eine wichtige Funktion bei der Strukturbildung sozialer Systeme besitzen. Dies könnte auch mit Bezug auf die „Illusion“ der Innovationsregulierung gelten. Das Interesse der Sozial- und Kulturwissenschaften an dieser Funktion von Paradoxen ist schon seit geraumer Zeit groß. Ich schließe mich hier im wesentlichen der in der neueren Systemtheorie Niklas Luhmanns entwickelten Sichtweise an (zum folgenden vor allem Bora 2007 [Grundlagen]). Nach dieser Theorie macht das Wesen eines Paradoxes vor allem die durch Selbstimplikation (re-entry) ausgelöste Kommunikationsblockade aus. Bekannteste Beispiele einer solchen Selbstimplikation sind der lügende Kreter bzw. das Paradox des Eubulides: „Dieser Satz ist falsch.“ Solche in Gestalt von auf sich selbst angewendeten Unterscheidungen auftretende Paradoxien (Antinomien oder performative Widersprüche) bewirken Kommunikationsblockaden. Es gibt keine oder jedenfalls keine unaufwendigen Anschlußmöglichkeiten mehr. Diese Anschlußprobleme und Blockaden werden dann mit unterschiedlichen sozialen Mitteln bearbeitet. Kommunikationssysteme entwickeln Mechanismen, die es ihnen erlauben, die mögliche Paradoxie unsichtbar zu halten und die Kommunikation gewissermaßen an der Paradoxie vorbei weiter zu führen. Deshalb besteht die Funktion von Paradoxen vor allem in deren Antriebspotential, das einer der wesentlichen Erklärungsfaktoren für Strukturaufbau in sozialen Systemen ist. Aus wissenssoziologisch rekonstruierbaren kommunikativen Widersprüchen erwächst dann sozialstrukturell ein wichtiges Potential. Diese Einsicht kommt auch in Rips widersprüchlicher Formulierung zum Ausdruck. Die stets virulente Gefahr, daß der Widerspruch offensichtlich wird, so kann man sagen, führt zur fortlaufenden Produktion struktureller Innovationen in der Regulierung selbst. Denn die oben geschilderte Entwicklung der kombinatorischen Formen läßt sich ohne weiteres aus den sowohl mit Expertise als auch mit Partizipation verbundenen Schwierigkeiten erklären. Daher gibt gerade Rips paradoxe Formulierung Anlaß, die Entwicklung neuer, sich den Herausforderungen der Innovationsregulierung in veränderter Gestalt anpassender Regulierungsmuster zu erwarten. Insofern kann sich der beobachtete Widerspruch dann durchaus als produktiv erweisen. Für die Innovationsregulierung ergeben sich daraus in struktureller Hinsicht einige Konsequenzen, die ich abschließend kurz diskutieren will.

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Zunächst läßt sich im Rückblick auf die wissenssoziologische Analyse folgendes festhalten: die Gestaltung von Innovationsprozessen nimmt in mehrerlei Hinsicht Wissen in Anspruch, einerseits als Gegenstand der Regulierung, andererseits im Regulierungsgeschehen selbst. Wenn es dabei ein nichttriviales Wissensproblem innovationsfördernder Regulierung gibt, dann ist es im Kern das allgemeine Problem jeder Regulierung, nämlich das mit ihr immer verbundene Entscheidungs-Risiko. Dieses macht die Widersprüchlichkeit der Innovationsregulierung sichtbar, die darin besteht, im entscheidungstheoretisch begründeten Bewusstsein der konstitutiven Unzulänglichkeit von Prognose und Partizipation diese als notwendig für die Produktion konkreter Regulierungsentscheidungen zu akzeptieren. Innovationsregulierung ist dann in einem spezifischen Sinne unmöglich und notwendig zugleich. Die in diesem Beitrag kurz erörterten Formen der governance of innovation setzen vor diesem Hintergrund in ihrem Kern allesamt darauf, daß Regulierung im Hinblick auf konstitutiv unbekannte, kontingente Zukünfte selbst flexibel und lernfähig bleibt. Hoffmann-Riem hat dies im Hinblick auf rechtliche Instrumente als „Bereitstellungsfunktion“ bezeichnet und darauf hingewiesen, daß Regulierung die Möglichkeitsräume für Invention und Innovation nicht verschütten, sondern Lernen und Revisionsoffenheit gewährleisten solle (Hoffmann-Riem 2005, S. 155, 167). Jede Form reflexiver Regulierung wird angesichts dieser Lage die Regulierung von Zukunft mit Kontingenzbewusstsein, mit dem Bewusstsein des Entscheidungsrisikos ausstatten. Die Argumentation in den vorangegangenen Abschnitten versuchte deutlich zu machen, daß man auch mit reflexiver Regulierung Entscheidungsrisiken nicht los wird. Versuche einer Risikominimierung durch Prognose und Partizipation sind insofern zwar erkenntnistheoretisch in letzter Konsequenz zum Scheitern verurteilt. Zur Ermöglichung konkreter Entscheidungen, zum Durchbrechen von Entscheidungsblockaden, zur Kontingenzbewältigung, darauf wurde hingewiesen, sind sie empirisch aber notwendig – im vollen Bewußtsein ihrer Beschränkungen. Auch wenn, wie oben bereits erwähnt, die diskutierten Probleme sich in der Alltagspraxis nur in einem bestimmten Bereich der Regelung wissenschaftlich-technischen Handelns und für eine relativ frühe Phase innerhalb von Innovationszyklen stellen, so gilt doch vor dem Hintergrund dieser Einschränkungen jedenfalls in diesem Bereich epistemisch unsicherer Innovationsregulierung, daß es sich empfiehlt, mißtrauisch gegenüber technokratischen Heilsversprechungen, gegenüber den Rezeptvorschlägen aus den Garküchen der Unternehmensberatungen, gegenüber allen simplifizierenden Vorstellungen von der „Machbarkeit“ von Zukunft allgemein und von Innovation im Besonderen zu bleiben. Für konkrete Innovationsregulierung kann man daraus den Schluß ziehen, daß allzu vertrauensseliger Rekurs auf Expertise, auf Prognose und auf scheinbar gesicherte Erkenntnisse über zukünftige Deutungen seinerseits Risiken birgt – eine Einsicht, die übrigens bei ökonomischen Akteuren wie den großen Rückversicherern verbreitet ist, die insofern reflexiv agieren, als sie Risikominimierungsstrategien selbst als riskant analysieren. Am Centre for Analysis of Risk and Regulation der London School of Economics wid-

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met man sich beispielsweise schon seit längerem der Frage nach Risiken und Kosten der Risikoregulierung. Im Sinne einer allgemeinen Prüfroutine kann man dann den skizzierten Regulierungsmodellen vor allem den Ratschlag entnehmen, jeden konkreten Vorschlag innovationsfördernder Regulierung darauf hin zu beobachten, ob und in welcher Weise er sensibel gegenüber der Kontingenz von Zukunft ist. Die Risikotheorie versucht das mit dem Begriff der „resilience“ zu umschreiben. In literarischen Texten stößt man, wenn man nach gelungenen Modellen für die Bearbeitung von Paradoxien und Widersprüchen sucht, beispielsweise auf die Koexistenz von Tragik und Ironie bei Kafka oder auf Thomas Manns heitere Ambiguität, mit der jeweils spannungserzeugende Antinomien ausgehalten werden. Dem Recht steht solche Mittel der heiter-ironischen Selbstdistanzierung wohl nicht zur Verfügung. In der Praxis wird man hier eher Ambiguitätstoleranzen ausbilden müssen – was allerdings nicht hieße, das Wissensproblem der Innovationsförderung durch Regulierung zu ignorieren. Im Gegenteil, mit seinem Auftauchen ist systematisch zu rechnen. Die „Illusion“ reflexiver governance stellt dabei sicher, daß stets neue Formen gefunden werden, die jedenfalls zeitweilig diese Ambiguitäten latent halten (zur Latenzsicherung im Regulierungsprozeß Bora 2002). Die hier vorgestellten wissenssoziologischen Überlegungen zur Innovationsregulierung haben in knapper Form versucht, vor dem Hintergrund der Analyse von Innovationen als sozialen Deutungsprozessen Probleme der Regulierung zu identifizieren, die sich aus der spezifischen Struktur dieses innovationsbezogenen Wissens rekonstruieren lassen. Innovationsregulierung, das sollte deutlich geworden sein, macht von einem ganzen Ensemble recht voraussetzungsreicher Wissensformen Gebrauch. Darin besteht, wie darzulegen versucht wurde, ihr Risiko und ihre Chance zugleich. Am Ende steht damit die vielleicht etwas provokante These von der produktiven Funktion der regulatorischen „Illusion“. Ob sie sich in dem eingangs erwähnten Sinne als innovativ durchsetzt, wird allerdings, wie wir wissen, erst die zukünftige rückblickende Deutung auf dem Gebiet der Innovationsregulierung entscheiden. Literatur Abels, Gabriele / Bora, Alfons: Demokratische Technikbewertung. Bielefeld: transcript Verlag, 2004. Bizer, Kilian / Führ, Martin / Hüttig, Christoph (Hrsg.): Responsive Regulierung. Beiträge zur interdisziplinären Institutionenanalyse und Gesetzesfolgenabschätzung. Tübingen: Mohr Siebeck, 2002. Bora, Alfons: Differenzierung und Inklusion. Partizipative Öffentlichkeit im Rechtssystem moderner Gesellschaften. Baden-Baden: Nomos, 1999. – Ökologie der Kontrolle. Technikregulierung unter der Bedingung von Nicht-Wissen, in: Christoph Engel / Jost Halfmann / Martin Schulte (Hrsg.): Wissen, Nichtwissen, unsicheres Wissen. Baden-Baden: Nomos, 2002, S. 253 – 275.

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Teil II Innovationsförderung durch innovationsorientiertes Wettbewerbsrecht

Innovationsschützende Zugangsregulierung in der Informationswirtschaft Von Jürgen Kühling I. Zugang in der Informationswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugang zur Telekommunikationsinfrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zugang zu Schnittstelleninformationen im Fall Microsoft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vielfalt der Zugangsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertungsparameter für eine innovationsschützende Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materielle Bewertungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Institutionelle Bewertungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unabhängigkeit der Regulierungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Interdisziplinärer, transparenter und partizipationsoffener Entscheidungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die horizontale Gewaltenperspektive: exekutive Entscheidungsspielräume . . d) Die vertikale Gewaltenperspektive: Regulierungswettbewerb als Erkenntnisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 9a TKG – ein gelungenes Beispiel für eine innovationsschützende Regulierung? . . 1. § 9a TKG im Regulierungsgefüge des TKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung in materiell-rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hinreichende Innovationsanreize durch Regulierungsferien . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessene Sicherung des Verfolgungswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hinreichende Instrumentarien zur Verhinderung von Marktmissbrauchsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Innovations-Abwägungstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung in institutioneller Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hinreichende Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Interdisziplinäre, transparente und partizipationsoffene Entscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessene horizontale Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zu starke Zentralisierung in vertikaler Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Microsoft-Fall und der Innovationsschutz in der kartellrechtlichen Zugangsregulierung nach Art. 82 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Microsoft-Urteil des EuG im Lichte der Rechtsprechung zu Art. 82 EG . . . . 2. Materielle Bewertungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Institutionelle Bewertungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Zugang in der Informationswirtschaft Zugang ist in der Informationswirtschaft von elementarer Bedeutung – sowohl für die Endkunden als auch für die Wettbewerber. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die Wettbewerber, die Zugang zu Ressourcen ihrer Konkurrenten begehren, um darauf aufbauend selbst Endkundenprodukte zu konfigurieren. In einer statischen Perspektive ermöglicht der Zugang der Wettbewerber damit die Entwicklung weiterer Produkte und fördert so Folgeinnovationen. In einer dynamischen Perspektive können (zu weit reichende) Zugangsrechte jedoch zugleich Anreize zu Erstinnovationen mindern. Besonders intensiv wird dieser Streit über die innovationsbegründende und innovationsgefährdende Wirkung von Zugangsrechten in der Telekommunikation (dazu 1.) und auf Softwaremärkten im Zusammenhang mit dem Microsoft-Fall (2.) geführt. Zugangsrechte spielen jedoch in der gesamten Informationsordnung eine zentrale Rolle (3.).

1. Zugang zur Telekommunikationsinfrastruktur Seit der vollständigen Liberalisierung der Telekommunikationswirtschaft ist die Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ von Zugangsrechten umstritten. Dabei zielte der vollständige Abbau der staatlichen Telekommunikationsmonopole primär darauf ab, einen dynamischen Wettbewerb zu entfachen, der nicht nur zu Preissenkungen, sondern auch zu Innovationen führen sollte.1 Dem Gesetzgeber war klar, dass es dazu nicht genügen würde, die hoheitlichen Ausschließlichkeitsrechte zu beseitigen. Daher standen Netzzugangsrechte für die Marktneulinge gegenüber der Deutschen Telekom AG (DTAG) als Incumbent im Zentrum des Telekommunikationsgesetzes 1996. Auf der Basis dieser Rechte sollten Marktneulinge, die Möglichkeit zum chancengleichen Wettbewerb erlangen. Insbesondere die Betreiber(vor)auswahl hat ein Geschäftsmodell eröffnet, das gerade zu Beginn der Liberalisierung von großer Bedeutung war, da es mit relativ geringen Infrastrukturinvestitionen Wettbewerb auf der Fern- (und später auch auf der Orts-)Ebene ermöglicht hat.2 2008, 10 Jahre nach dem Start in den Wettbewerb durch Callby-Call-Anbieter, stellt sich allerdings immer drängender die Frage, inwiefern Zugangsverpflichtungen möglicherweise nicht mehr primär wettbewerbs- und innovationsfördernd, sondern gegebenenfalls eher innovationshemmend wirken. Besonders intensiv wird diese Diskussion bei dem Streit darüber geführt, ob und in welchem Umfang die DTAG ihren Wettbewerbern Zugang zu ihrer schnellen, 1 Für eine kritische Durchsicht des Manuskripts und vor allem der Passagen zum Microsoft-Urteil danke ich meinem Doktoranden Nicolas Gauß. Siehe zu den Funktionen von Wettbewerb den knappen Überblick bei Jürgen Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 18 f. m. w. N. 2 Vgl. dazu Beatrix Brodkorb, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum TKG, 2006, § 40 Rn. 4 und Hermann-Josef Piepenbrock / Thorsten Attendorn, in: Geppert u. a. (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2006, § 40 Rn. 1.

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breitbandigen VDSL-Technologie gewähren muss. Ursprünglich hatte die DTAG eine „lex VDSL“ gefordert, d. h. eine explizite legislative Regulierungsfreistellung dieser neuen Technologie. Dabei hatte sie von einer solchen Freistellung die geplanten Investitionen in Höhe von drei Milliarden Euro abhängig machen wollen. Das Thema wurde von der 2005 neu gewählten Bundesregierung als so wichtig erachtet, dass sie im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 explizit eine entsprechende Formulierung aufnahm, dass in einer künftigen Novellierung des Telekommunikationsgesetzes neue Märke für einen bestimmten Zeitraum von der Regulierung freigestellt werden sollen. Dadurch sollten entsprechende Anreize für den Auf- und Ausbau breitbandiger Telekommunikationsnetze geschaffen werden.3 Im Anschluss daran wurde mit § 9a TKG eine Norm formuliert, die keinesfalls spezifisch auf die VDSL-Problematik abhob, sondern allgemein für neue Märkte eine Regulierungsfreistellung als Regelfall vorschreibt und bei der Entscheidung über die Regulierungsbedürftigkeit die Bundesnetzagentur auf die Ziele der Investitions- und Innovationsförderung verpflichtet.4 2. Zugang zu Schnittstelleninformationen im Fall Microsoft Große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hat auch der Streit um den Zugang von Wettbewerbern zu Schnittstelleninformationen der Serverbetriebssytem-Software von Microsoft erlangt. Hier hatte die Kommission mit 497 Millionen Euro die bis dahin höchste Kartellstrafe gegen ein Unternehmen verhängt, u. a. weil sich Microsoft weigerte, seinen Wettbewerbern weiterhin Schnittstelleninformationen offen zu legen und diese dadurch missbräuchlich behindert hat.5 Zudem wurde 3 „Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit“, Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. 11. 2005, abrufbar im WWW unter der URL: http: // www. bundesregierung.de / Content / DE / _Anlagen / koalitionsvertrag,property=publicationFile.pdf (letzter Zugriff 09 / 2008). In Ziff. 1.7 heißt es dazu am Ende wörtlich: „Die Koalitionsparteien werden zur Sicherung der Zukunft des Industrie- und Forschungsstandorts Deutschland Anreize für den Aufbau bzw. Ausbau moderner und breitbandiger Telekommunikationsnetze schaffen. Dazu sind die durch entsprechende Investitionen entstehenden neuen Märkte für einen gewissen Zeitraum von Regulierungseingriffen freizustellen, um für den Investor die notwendige Planungssicherheit herzustellen. Eine gesetzliche Absicherung ist in die zu verabschiedende Novelle des Telekommunikationsgesetzes aufzunehmen“. 4 Vgl. zum Ganzen auch Jürgen Kühling, § 9a TKG-E – Innovationsschutz durch Regulierungsverzicht oder Steigerung der Regulierungskomplexität?, K&R 2006, S. 263 (263 ff.). 5 Entscheidung der Europäischen Kommission vom 24. 03. 2004, COMP / C-3 / 37.792. Die Entscheidung ist in Auszügen abgedruckt in WuW 2004, S. 673. Siehe zur Interoperabilitätsanordnung: Thorsten Körber, Geistiges Eigentum, essential facilities und „Innovationsmissbrauch“, RIW 2004, S. 881; Damien Geradin, Limiting the scope of Article 82 EC: What can the EU learn from the U.S. Supreme Court’s judgement in Trinko in the wake of Microsoft, IMS and Deutsche Telekom, C.M.L.Rev. 41 (2004): 1519. Daneben ging es um die Frage, ob Microsoft durch die Bündelung des Windows-Betriebssystems mit dem Windows Media Player eine missbräuchliche Kopplung vorgenommen hat, vgl. dazu Knut Werner Lange / Thorsten Pries, Möglichkeiten und Grenzen der Missbrauchskontrolle von Kopplungsgeschäften: Der Fall Microsoft, EWS 2008, S. 1 (1 ff.).

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Microsoft auferlegt, künftig Wettbewerbern entsprechende Schnittstelleninformationen bereit zu stellen, damit diese die Interoperabilität der Microsoft-Serverbetriebssytem-Software mit ihrer Software für Netzwerkrechner ermöglichen können. Microsoft hatte unter anderem vorgetragen, dass derartige Zugangsanordnungen die Anreize für eine künftige Innovationstätigkeit erheblich verringern würden und daher negative Impulse für die künftige Innovationstätigkeit bedingen.6 Eine Zugangsverpflichtung sei daher abzulehnen. Das EuG hat die Entscheidung der Kommission jedoch im Wesentlichen bestätigt.7

3. Vielfalt der Zugangsstreitigkeiten Das Zugangsinteresse bezieht sich aber keinesfalls nur auf die grundlegende Telekommunikationsinfrastruktur und den Zugang zu Schnittstelleninformationen bei der flankierenden Software, sondern auf sämtliche Ebenen der Informationsordnung: vom Zugang zu Zugangsberechtigungssystemen, etwa beim Streit um den Zugang zur Set-Top-Box von Premiere8 oder zu Informationszugangssystemen wie der Suchmaschinentechnologie von „Google“9 bis hin zum Zugang zu Inhalten 6 Europäische Kommission, Entscheidung vom 24. 03. 2004, COMP / C-3 / 37.792, Rdnr. 709 – Microsoft. 7 EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04 – WuW 2007, S. 1169 ff. Das EuG bestätigte die Kommissionsentscheidung in allen Punkten mit Ausnahme der von der Kommission angeordneten Bestellung eines Überwachungstreuhänders. Siehe zum Microsoft-Urteil: Thorsten Körber, Wettbewerb in dynamischen Märkten zwischen Innovationsschutz und Machtmissbrauch, WuW 2007, S. 1209 ff., und Andreas Bartosch, Das Urteil des Europäischen Gerichts erster Instanz in der Rechtssache Microsoft, RIW 2007, S. 908 ff. 8 In dem Streit ging es um das Begehren des Pay-TV-Senders Arena, Zugang zu den SetTop-Boxen von Premiere zu bekommen. Premiere lehnte das ab. Wer das Arena-BundesligaFußballprogramm per Satellit empfangen wollte und bereits Premiere-Kunde war, benötigte daher einen zweiten Decoder, was viele potentielle Kunden abschreckte. Zwischenzeitlich ist dieser Streit überholt. Denn Premiere und Arena haben eine Allianz geformt, die vom Bundeskartellamt gebilligt wurde, vgl. FAZ v. 19. 07. 2007, S. 15. Danach darf Premiere nun die Pay-TV-Rechte an der Fußball-Bundesliga wie geplant von Arena übernehmen. Eine Auseinandersetzung im Rahmen des § 50 TKG ist damit überflüssig geworden; vgl. zu dieser Zugangsberechtigungsnorm die Ausführungen bei Viktor Janik / Jürgen Kühling, in: Geppert u. a. (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2006, § 50. 9 So wurde angesichts der Marktmacht des dominanten Suchmaschinen-Anbieters „Google“ die Frage aufgeworfen, ob ein Zugangsanspruch anderer Suchmaschinenanbieter zur gegenwärtig überlegenen Indexierungstechnologie von Google bestehe. Dies ist jedoch abzulehnen, da die Voraussetzung für den Zugang zu einer Essential Facility ist, dass die Einrichtung unentbehrlich ist. Nach der Bronner-Entscheidung bedeutet dies, dass es Wettbewerbern aufgrund technischer, rechtlicher oder wirtschaftlicher Hindernisse nicht möglich und zumutbar sein darf, eine entsprechende Einrichtung allein oder in Zusammenarbeit mit Wettbewerbern zu schaffen. Vergleichsmaßstab für die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist ein Anbieter, dessen Absatz mit dem des marktbeherrschenden Unternehmens vergleichbar ist (EuGH, Urteil v. 26. 11. 1998, Rs C-7 / 97, Slg. 1998, I-7791, Ziff. 44 – 46). Eine Duplizierbarkeit der Suchtechnologie ist aber möglich, wie das Beispiel von Microsoft und Yahoo zeigt, die über eine

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selbst, etwa zu Verbreitungsrechten der Fußballbundesliga als gegenwärtig wirtschaftlich wertvollstem Content in Deutschland.10 Die Diskussion um einen derartigen erweiterten Zugang zu Inhalten wird künftig womöglich noch stärker in den Vordergrund treten. So begehrten Wettbewerber11 der DTAG auf den Infrastrukturmärkten beispielsweise den Zugang zu den Internetverbreitungsrechten der Fußballbundesliga, welche die DTAG ersteigert hat. Die Beispiele zeigen, wie facettenreich die Auseinandersetzungen um angemessene Zugangsrechte in der Informationsgesellschaft sind. Nicht immer spielt dabei die Frage des Innovationsschutzes eine so prominente Rolle wie beim Streit um den neuen § 9a TKG. Diese Norm steht daher bei der folgenden Analyse im Vordergrund (III.). Zuvor sollen jedoch in einem ersten Schritt die Bewertungsparameter für eine innovationsschützende Regulierung in materiell-rechtlicher und institutioneller Hinsicht skizziert werden (II.), die Grundlage für die Beantwortung der Frage sind, ob § 9a TKG ein gelungenes Beispiel für eine innovationsschützende Regulierung darstellt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen schließlich mit Blick auf die Missbrauchsnorm des Art. 82 EG und deren Anwendung im Fall Microsoft abgeglichen werden (IV.), da auch hier eine explizite Diskussion über eine innovationsschützende Ausgestaltung von Zugangsrechten geführt wird. Vor dem Hintergrund dieses Abgleichs kann sodann ein Fazit formuliert werden (V.). II. Bewertungsparameter für eine innovationsschützende Regulierung 1. Materielle Bewertungsparameter Bei den Märkten der Informationsgesellschaft handelt es sich um dynamische Märkte, so dass die Unsicherheiten über künftige Entwicklungen besonders groß sind. Eine effiziente, innovationsschützende Regulierung derart dynamischer Märkte sieht sich daher besonders großen kognitiven Herausforderungen ausgesetzt. Entscheidungen müssen unter erheblicher Unsicherheit getroffen werden: Wann liegt eine Innovation vor? Wann beseitigt ein Zugangsrecht mehr Innovaeigene Suchtechnologie verfügen. Letztlich besteht weitgehende Einigkeit, dass insoweit der Schutz entsprechender Innovationen in einer dynamischen Perspektive Vorrang hat; vgl. statt aller Wolfgang Schulz / Thorsten Held / Arne Laudien, Suchmaschinen als Gatekeeper in der öffentlichen Kommunikation, 2005. Zum kartellrechtlichen Zugangsanspruch beim unberechtigten Ausschluss einer Webseite aus dem Index, siehe Jürgen Kühling / Nicolas Gauß, Suchmaschinen – eine Gefahr für den Informationszugang und die Informationsvielfalt?, ZUM 2007, S. 881 (887). 10 Vgl. dazu Jürgen Kühling, Gemeinschaftsrechtliche Vorsteuerung der nationalen Rundfunkordnung – eine kritische Gesamtschau, in: Dörr / Müller-Graff (Hrsg.), Medien in der Europäischen Gemeinschaft, 2007, S. 35 (38 ff.). 11 Nach Zeitungsberichten hat das Bundeskartellamt bestätigt, dass sich die Wettbewerber an das Amt gewandt haben, vgl. SZ v. 14. 06. 2006, S. 15.

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tionsanreize beim regulierten Unternehmen als es ebensolche bei den Wettbewerbern zu nachstoßendem Wettbewerb generiert? Wie werden sich die Märkte entwickeln, wenn ein Zugang gewährt wird, wie, wenn dieser abgelehnt wird? Was wäre für die Konsumentenwohlfahrt besser? Aufbauend auf vorangegangene Studien kann dabei konstatiert werden, dass es bei der Regulierung von Märkten der Informationswirtschaft besonders wichtig ist, dass neben statischen auch dynamischen Effizienzaspekten Rechnung getragen wird. Daher sollte nicht primär von einer gegebenen technologischen Ausstattung ausgehend die Sicherung der Preis- und Kosteneffizienz für die Bereitstellung dieses Produkts im Vordergrund stehen, sondern es müssen gleichermaßen genügend Anreize für Innovationen und Investitionen gesetzt werden.12 Dazu muss eine effiziente Regulierung dynamischer Märkte drei wesentliche Aspekte berücksichtigen: Erstens muss sie Vorreitervorteile gewähren. Denn die Erschließung neuer Märkte funktioniert nur, wenn die investierenden Unternehmen angesichts zu erwartender Gewinne hinreichende Investitionsanreize haben. Zweitens muss eine effiziente Regulierung Anreize zum Verfolgungswettbewerb setzen. Dies setzt einerseits eine Regulierung voraus, die ein „level playing field“ schafft. Andererseits motivieren die gesicherten Vorreitervorteile auch die Wettbewerber. Diese werden zudem nicht durch eine regulierungsbedingte Zugangsoption zu den Vorleistungen des Vorreiters von eigenen Investitionen abgehalten. Drittens – und mit diesem zweiten Punkt verbunden – muss eine effiziente Regulierung in dynamischen Märkten die Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen verhindern. Denn nur wenn Verdrängungsstrategien des Vorreiters effektiv unterbunden werden, bestehen hinreichende Anreize und Möglichkeiten zum nachstoßenden Wettbewerb der Konkurrenten. Diese Erkenntnisse sind weit gehend intuitiv, in ihren konkreten Konsequenzen für die legislative und exekutive Ausgestaltung einzelner Regulierungsbereiche jedoch kaum unmittelbar verwertbar. Sie stellen gleichwohl wichtige Orientierungsposten dar, um eine ausreichende Innovationsoffenheit der Zugangsregulierung zu gewährleisten. Teilweise werden sie in der ökonomischen Literatur zur Telekommunikationsregulierung und zum Wettbewerbsrecht durch die Reflektion möglicher Fehlerarten bei der Regulierung ergänzt. So wird ausgeführt, dass eine effiziente Regulierung dynamischer Märkte notwendig zwischen zwei unterschiedlichen Fehlerarten abwägen muss. Ein Fehler erster Art liegt vor, wenn aufgrund einer verfrühten oder 12 Siehe insbesondere Pio Baake und Christian Wey, in: Baake / Haucap / Kühling / Loetz / Wey, Effiziente Regulierung in dynamischen Märkten, 2007, S. 65 et passim. Vgl. weiter gehend die Studie des DIW Berlin, Neue Märkte unter dem neuen Rechtsrahmen, 2004; sowie Arthur D. Little, Deregulation of the Telecom Sector and its Impact on the Overall Economy, 2005; McKinsey&Company, Entry into the exit, 2006; bezogen auf Breitbandmärkte Mercer Management Consulting / NERA Economic Consulting, Deregulierung in europäischen Breitbandmärkten, 2006; kritisch dazu Andreas Neumann / Peter Dahlke, Innovationen und Investitionen durch Regulierung, Zur wettbewerbspolitischen Forderung nach Deregulierung und regulierungsfreien Räumen, CR 2006, S. 377 ff.

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einer Über-Regulierung an sich beabsichtigte Investitionen bzw. Innovationen unterbleiben. Dies führt zu Rentenverlusten13 auf Seiten der Produzenten und Konsumenten. Ein Fehler zweiter Art liegt bei der Telekommunikationsregulierung hingegeben vor, wenn eine zu schwache oder zu späte Regulierung zu monopolistisch überhöhten Preisen bzw. zu neuen Monopolstellungen führt. Dabei treten statische Rentenverluste auf. Entscheidend ist nun, dass weiter angeführt wird, dass die Rentenverluste bei Fehlern erster Art regelmäßig erheblich größer seien. Denn während bei einem Fehler erster Art im Extremfall die Innovation (bzw. Investition) ausbleibt und die Wohlfahrtsverluste somit vollumfänglich eintreten, kommt es bei einem Fehler zweiter Art sehr wohl zu einer Investition und damit zu einem neuen Markt, dessen Wohlfahrtspotenzial allerdings angesichts von Preishöhenmissbräuchen nicht vollkommen ausgeschöpft wird.14 Eine solche Betrachtung verkürzt jedoch das Problem, da sie übersieht, dass auch eine zu schwache oder zu späte Regulierung Innovationen verhindern kann. So unterstellt eine derartige Betrachtung, dass die zugangsbegehrenden Unternehmen lediglich auf einen Imitationswettbewerb aus sind, im schlimmsten Fall sogar einen bloßen Wiederverkauf der Vorleistungen anstreben. Dies ist aber nicht zwingend der Fall. So kann der Zugang zu den Zugangsobjekten auch die Grundlage sein für eine Folgeinnovation. Es ist allerdings einzuräumen, dass ohne die Erstinnovation Folgeinnovationen nicht möglich sind. Daraus kann man daher eine Vermutungsregel ableiten, die im Zweifel für den Schutz der Erstinnovation streitet. Letztlich geht es gleichwohl um eine Abwägung. Dabei lautet die Leitfrage: In welchem Umfang werden Innovations- und Investitionsanreize mit Blick auf den Markt für das Zugangsobjekt bei einer dynamischen Betrachtungsweise „vernichtet“ und wie sind diese im Vergleich zu den Investitions- und Innovationsanreizen zu bewerten, die dadurch gesetzt werden, dass die Wettbewerber mithilfe des Zugangsobjekts Folgeinnovationen generieren. Dieser Prüfungspunkt muss als vierter Kontrollschritt ergänzend zu den drei genannten Aspekten hinzutreten. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es kaum wirtschaftswissenschaftliche Forschungsarbeiten zu der Frage gibt, wie tief eine effiziente, innovationsschützende Regulierung normativ vorstrukturiert sein sollte. So fehlen Untersuchungen zu der Frage, was bereits im Gesetz wie weit gehend vorgeben werden sollte und was auf der Ebene einer Verordnung bzw. in Einzelfallentscheidungen ausdifferen13 In einer Marktwirtschaft gibt es immer Konsumenten, die einen höheren Preis zu zahlen bereit gewesen wären, ebenso wie es Produzenten gibt, die ihr Produkt zu einem niedrigeren Preis angeboten hätten. Der Mehrerlös, den die Konsumenten aus dem niedrigeren Preis bzw. die Produzenten aus dem höheren Angebotspreis erlangen, heißt Konsumenten- bzw. Produzentenrente; vgl. die entsprechenden Schlagworte bei Michael Hohlstein / Barbara Pflugmann / Herbert Sperber / Joachim Sprink, Lexikon der Volkswirtschaft, 2. Aufl. 2002. 14 Für die Telekommunikationswirtschaft Baake / Wey (Fn. 12), S. 65. Für das Wettbewerbsrecht siehe Christian Ahlborn, Vincenzo Denicolò, Damien Geradin und A. Jorge Padilla, DG Comp’s Discussion Paper on Article 82: Implications of the Proposed Framework and Antitrust Rules for Dynamically Competitive Industries, 2006, S. 23 f.

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ziert werden sollte. Und noch weiter gehend wäre im horizontalen Gewaltenverhältnis zu untersuchen, ob es aus ökonomischer Sicht Gründe dafür gibt, bestimmte Entscheidungsbestandteile der Exekutive gegenüber der Kontrolle durch die Gerichte abzuschirmen, in juristischen Termini also die Frage, wie weit Beurteilungsspielräume reichen sollten.15 Für die rechtspolitische Bewertung der Ausgestaltung der Zugangsrechte wäre eine solche Forschung sehr hilfreich. In wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen wird diese Frage lediglich im Rahmen der Diskussion geführt, ob Per-se-Regeln im Kartellrecht sinnvoll sind.16 Dies entspricht in Teilen der Frage der horizontalen Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive. Angesichts der Bedeutung von Abwägungen im Einzelfall spricht Einiges dafür, auf normativer Ebene nur eine sehr grobe Vorstrukturierung vorzunehmen und der Exekutive allenfalls Leitmaßstäbe an die Hand zu geben, im Übrigen jedoch auf die Konkretisierung am Einzelfall durch die Exekutive zu setzen.17 Schließlich geht es mit Blick auf die legislative und exekutive Ausgestaltung auch noch um die Frage, ob die normativen Vorgaben besser sektorspezifisch oder in generellen Gesetzen durch allgemeine Behörden angewendet werden sollen. Insoweit liegt eine Reihe von wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsarbeiten vor.18 2. Institutionelle Bewertungsparameter Angesichts der Komplexität der Entscheidung über die Reichweite von Zugangsrechten und in Anbetracht des Umstands, dass eine legislative Vorstrukturierung nur sehr bedingt möglich und sinnvoll ist, sind Aspekte der institutionellen Ausgestaltung der exekutiven Umsetzung dieser Vorgaben ebenso wichtig wie die materiell-rechtlichen Parameter. Auch hier lassen sich zentrale Kriterien für die Bewertung der jeweiligen Regulierungsregime benennen.

15 Vgl. dazu exemplarisch mit Blick auf die Telekommunikationsregulierung Jürgen Kühling / Sascha Loetz, in: Baake / Haucap / Kühling / Loetz / Wey (Fn. 12), S. 143 ff. 16 Vgl. dazu etwa Arndt Christiansen / Wolfgang Kerber, Competition Policy with Optimally Differentiated Rules Instead of „Per se Rules vs. Rule of Reason“, Journal of Competition Law and Economics, Vol. 2(2), 2006: 215 (215 ff.). So ist für die Kartellrechtsanwendung in dynamischen Märkten argumentiert worden, dass Per-se-Verbote nur im Falle von Preisabsprachen gerechtfertigt seien, nicht aber für andere zu beanstandende Verhaltensweisen, Charles River Associates, Innovation and Competition Policy, Part I – Conceptual Issues, 2002, 4.72 – 4.76, S. 61 f. 17 Christian Kirchner spricht sich dagegen für eine stärkere legislative Vorstrukturierung der verwendeten Kriterien und Tests des „more economic approach“ im EU-Wettbewerbsrecht aus, um dadurch die Kosten der Rechtsunsicherheit zu senken, siehe DIW, Wochenbericht Nr. 47 / 2007, Zur Praxistauglichkeit des More Economic Approach für die Wettbewerbspolitik, S. 719. 18 Siehe insbesondere Lars Kumkar, Wettbewerbsorientierte Reformen der Stromwirtschaft, 2000, S. 385 ff.

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a) Unabhängigkeit der Regulierungsinstanz So zeigen ökonomische19 und rechtsvergleichende20 Untersuchungen, dass die zuständige Regulierungsinstanz – abgesehen von der Ausstattung mit effektiven Regulierungsinstrumenten – in erster Linie über eine möglichst weit gehende Unabhängigkeit verfügen muss. Dadurch ist sie im Stande, eine gegenüber tagespolitischer Einflussnahme resistente, kontinuierliche, sachorientierte und innovations- sowie investitionsfreundliche Regulierungspolitik zu entwickeln. Auch die Vereinnahmung durch spezifische Interessengruppen („regulatory capture“) wird erschwert. Damit ist eine Unabhängigkeit in zweifacher Richtung zu gewährleisten: einerseits gegenüber den Marktteilnehmern und andererseits gegenüber einer tagespolitischen Beeinflussung durch die Regierung. Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde definiert sich über die Einräumung hinreichend großer Entscheidungsspielräume bei der Anwendung und Konkretisierung der Regulierungsinstrumente und zeigt sich im Übrigen in organisatorischer, finanzieller, verfahrenstechnischer, sachlicher und personeller Hinsicht.21 Die organisatorische Unabhängigkeit wird durch eine Ausgliederung der Regulierungsinstanz aus der Ministerialbehörde hergestellt. Die finanzielle Unabhängigkeit erfordert eine hinreichende, im Haushalt zu veranschlagende Mittelausstattung der Regulierungsbehörde. In verfahrenstechnischer Hinsicht kann insbesondere ein gerichtsähnlich ausgestalteter Entscheidungsprozess, wie er für die Beschlusskammertätigkeit der Bundesnetzagentur vorgesehen ist, die Unabhängigkeit stärken. Von großer Bedeutung sind zudem die sachliche und personelle Unabhängigkeit. In sachlicher Hinsicht zeigt sich, dass eine möglichst weit gehende Weisungsfreiheit erforderlich ist, um von tagespolitischen Einflussnahmen seitens der Regierung frei zu sein. Dies wirkt sich auch auf die Unabhängigkeit gegenüber den Marktteilnehmern aus, die nicht mehr über die Möglichkeit verfügen, im Wege der Druckausübung auf das vorgeordnete Ministerium die Entscheidung zu beeinflussen. Ergänzend ist der Ausschluss eines Widerspruchs mit devolvierender Wirkung von Bedeutung, da auch dies die Einflussnahmemöglichkeiten durch politische Entitäten gegenüber der Widerspruchsbehörde reduziert. In personeller Hinsicht kann die Unabhängigkeit dadurch gestärkt werden, dass die Behördenspitze wie im Fall der Bundesnetzagentur22 nur unter strengen Voraussetzungen abgelöst werden kann und eine hinreichend lange Amtszeit vorgesehen ist. Ausführlich Kumkar (Fn. 18), S. 385 ff. Vgl. exemplarisch für die Telekommunikationswirtschaft Christian Koenig / Jürgen Kühling, Institutionelle Evaluierung und rechtspolitische Folgerungen, in: Koenig / Kühling / ifo Institut (Hrsg.), Liberalisierung der Telekommunikationsordnungen. Ein Rechtsvergleich, 2000, S. 235 (240 ff.). 21 Vgl. dazu grundlegend Kühling (Fn. 1), S. 381 ff. 22 Siehe § 4 Abs. 5 S. 2 BEGTPG, wonach der Präsident der Bundesnetzagentur vor Ablauf seiner verlängerbaren Amtszeit von fünf Jahren (vgl. § 4 Abs. 1 BEGTPG) nur aus wichtigem Grund durch einen Beschluss der Bundesregierung entlassen werden kann. 19 20

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b) Interdisziplinärer, transparenter und partizipationsoffener Entscheidungsprozess Abgesehen von der Unabhängigkeit geht es im Weiteren darum, die Regulierungsinstanz so auszugestalten, dass in möglichst optimaler Art und Weise Wissen generiert wird. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, beim Regulator eine interdisziplinäre Kompetenz aufzubauen. Darüber hinaus sollte das Entscheidungsverfahren transparent und partizipationsoffen sein, so dass nicht nur den unmittelbar an dem Verfahren beteiligten Parteien, sondern auch weiteren interessierten Marktteilnehmern die Möglichkeit gegeben wird, durch Stellungnahmen von Interessenverbänden zu einer möglichst umfassend informierten Entscheidung der Regulierungsbehörde zu gelangen.23 c) Die horizontale Gewaltenperspektive: exekutive Entscheidungsspielräume Erfüllt der Entscheidungsprozess dieses Anforderungsprofil, spricht im Weiteren Einiges dafür, die auf dieser Basis ergangenen Entscheidungen im Wege der Gewährung von Beurteilungsspielräumen einer nur beschränkten gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen, wobei insoweit die verfassungsrechtlichen Schranken zu beachten sind.24 Als Argumente für Beurteilungsspielräume ist insbesondere auf die bessere Möglichkeit der Informationsgenerierung und -verarbeitung durch die Regulierungsbehörde und auf den wertenden und prognostischen Charakter der jeweiligen Regulierungsentscheidung zu verweisen.25 Insoweit fehlen aber – wie bereits erwähnt – wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen über die Vor- und Nachteile entsprechender Beurteilungsspielräume. d) Die vertikale Gewaltenperspektive: Regulierungswettbewerb als Erkenntnisprozess Im Anschluss an anderweitige Untersuchungen kann mit Blick auf die Frage, wie derartige Entscheidungsprozesse in vertikaler Perspektive im Mehrebenensystem „EG – Mitgliedstaat“ ausgestaltet werden müssen, festgestellt werden, dass 23 Zur Bedeutung transparenter und partizipationsoffener Verfahren in der Telekommunikationswirtschaft siehe im Übrigen Christian Koenig / Jürgen Kühling, Reformansätze des deutschen Telekommunikationsrechts in rechtsvergleichender Perspektive, MMR 2001, S. 80 (82 f.). 24 Vgl. bereits den Hinweis in Fn. 15. 25 Exemplarisch für die geltende Telekommunikationsordnung Jürgen Kühling / Alexander Elbracht, Das Telekommunikationsrecht im Wandel – Eine erste Rechtsprechungsübersicht zum TKG 2004, DV 40 (2007), S. 545 (579 f.) und für die Energieordnung Jürgen Kühling / Guido Hermeier, Die Rechtsprechung im Regulierungsgefüge des EnWG 2005. Eine erste Bilanz mit Blick auf den effektiven Rechtsschutz, N&R 4 / 2007, S. 146 (151 f.).

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es besonders wichtig ist, einen Wettbewerb der Regulierungssysteme so weit wie möglich zu eröffnen. Dies setzt zunächst eine gewisse Vielfalt an Regulierungssystemen voraus. Nur so kann durch ein „Ausprobieren“ sowohl auf legislativer als auch auf exekutiver Ebene die richtige Näherungsweise im Wettbewerb der Regulierungsansätze identifiziert werden. Dazu müssen jedoch entsprechende Kooperations-Mechanismen ein wechselseitiges Lernen aus der Vielfalt absichern.26 Diese Vorgaben können nunmehr auf die beiden genannten Testfelder angewendet werden. III. § 9a TKG – ein gelungenes Beispiel für eine innovationsschützende Regulierung? 1. § 9a TKG im Regulierungsgefüge des TKG § 9a TKG fügt sich in das ohnehin schon recht komplexe Marktdefinitionsund Marktregulierungsverfahren ein.27 Dieses Verfahren dient auf der Ebene der Marktdefinition einerseits einer klassischen kartellrechtlichen Marktabgrenzung und andererseits der Entscheidung darüber, ob der so identifizierte Markt einer sektorspezifischen Regulierung bedarf oder ob insoweit das allgemeine Kartellrecht genügt. Auf der Ebene der Marktanalyse geht es darum festzustellen, welche Unternehmen auf diesem Markt eine dominante Position einnehmen und daher Adressat einer Regulierungsverfügung mit einer entsprechenden Zugangsverpflichtung sein können. § 9a TKG strukturiert und flankiert nun im Wesentlichen die Entscheidung auf der ersten Ebene der Marktdefinition und hier spezifischer die Frage, ob ein Markt regulierungsbedürftig ist oder nicht. Diese Frage wird gegenwärtig im Rahmen der Anwendung eines Drei-Kriterien-Tests beantwortet. Diesem zufolge kommen Märkte für eine Regulierung in Betracht, die (1) durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, (2) längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und (3) auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken.28 Diese drei Kriterien müssen dabei kumulativ erfüllt sein, soll eine Regulierung erfolgen.29 Die Kriterien werden im Rahmen des Regulierungsverbundes der nationalen Regulierungsbehörden mit der Kommission (so genanntes Konsolidierungsverfahren) geprüft und unterliegen einem Veto-Recht seitens der Kommission. 26 Siehe dazu am Beispiel der Telekommunikationswirtschaft Justus Haucap / Jürgen Kühling, Telekommunikationsregulierung: Brauchen wir noch mehr Zentralisierung?, Wirtschaftsdienst 2007, S. 664 (665 et passim). 27 Vgl. dazu Jürgen Kühling / Alexander Elbracht, Telekommunikationsrecht, 2008, Rdnr. 123 ff. 28 Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 5 der Märkteempfehlung 2007 / 879 / EG, ABl. EG 2007, Nr. L 344 / 65. 29 Erwägungsgrund 5 der Märkteempfehlung 2007 / 879 / EG, ABl. EG 2007, Nr. L 344 / 65.

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Ein Defizit des § 9a TKG ist dabei sogleich, dass schon die Feststellung, ob § 9a TKG entsprechend in das Marktregulierungsverfahren eingebunden ist, umstritten ist. Denn einige Stimmen in der Literatur verstehen § 9a TKG so, dass die Norm der Entscheidung über die Regulierungsbedürftigkeit des Marktes gleichsam vorgelagert ist.30 Die Frage ist dabei von erheblicher Bedeutung. Denn in diesem Fall bestünde keine Einbettung in das Konsolidierungsverfahren mit der Folge, dass § 9a TKG gemeinschaftsrechtswidrig wäre. Die Kommission hat sich dieser Interpretation angeschlossen und verfolgt gegenwärtig ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem EuGH.31 Vorliegend soll dieses Problem jedoch ausgeblendet und die Auffassung der Kommission als unzutreffend unterstellt werden. Stattdessen soll der Frage der materiellrechtlichen und institutionellen Bewertung des § 9a TKG nachgegangen werden. 2. Bewertung in materiell-rechtlicher Hinsicht Bewertet man § 9a TKG im Lichte der genannten materiell-rechtlichen Parameter, wird die Norm zumindest bei einer entsprechenden Anwendung, wie sie auch die Bundesnetzagentur anstrebt32, den Anforderungen gerecht. Dabei ist vorab festzustellen, dass als Grundlage für § 9a TKG mit § 3 Nr. 12b TKG ein sehr eng definierter Innovationsbegriff in das TKG aufgenommen worden ist. Dieser stellt auf eine wesentliche Innovation ab, die imstande ist, derart neue Produkte zu generieren, dass ein neuer Markt entsteht. Eine bloße Produktverbesserung, die mit bestehenden Produkten substituierbar ist, genügt also nicht. Dieser sehr enge Innovationsbegriff erklärt sich aus dem Umstand, dass es hier um eine umfassende (sektorspezifische) Regulierungsfreistellung geht. Sind die Voraussetzungen des § 9a TKG erfüllt, erfolgt auch keine weitere Prüfung mehr, ob sonstige Regulierungsinstrumente wie beispielsweise eine Transparenzverpflichtung auferlegt werden. Unberührt bleibt davon allerdings eine Zugangsregulierung nach allgemeinem Kartellrecht. a) Hinreichende Innovationsanreize durch Regulierungsferien Im Übrigen zeigt sich, dass das erste Erfordernis, Innovationsanreize durch Regulierungsferien zu schaffen, durch Abs. 1 des § 9a TKG erfüllt wird. Dies ist ja gerade Sinn und Zweck der neu geschaffenen Norm. Auch eine vernünftige Befris30 So z. B. Andreas Neumann, Richtlinienkonformität der vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Vorschrift zur Regulierung neuer Märkte, IRNIK-Diskussionspapier Nr. 1, S. 9; a. A. aber Jürgen Kühling / Alexander Elbracht, Telekommunikationsrecht, 2008, Rdnr. 123. 31 Rs. C-424 / 07, Klage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 13. 09. 2007 wegen Vertragsverletzung der Rahmenrichtlinie, der Zugangsrichtlinie sowie der Universaldienstrichtlinie durch die neuen § 3 Nr. 12b und 9a Telekommunikationsgesetz. 32 Vgl. dazu insbesondere die Hinweise in Fn. 33 und 37.

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tung scheint gegeben, legt man jedenfalls das Verständnis der Bundesnetzagentur zugrunde, dass zum Zeitpunkt der regelmäßigen Überprüfung der Marktdefinitionen nach zwei Jahren die Neuheit grundsätzlich nicht mehr gegeben ist und daher gegebenenfalls eine Regulierungsbedürftigkeit anzunehmen sein wird.33 Darüber hinaus greift die Freistellung nur für solche Infrastrukturen, die tatsächlich neue Produkte ermöglichen. Das folgt aus der Definition des neuen Marktes im Sinne des § 3 Nr. 12b TKG als Tatbestandsmerkmal des § 9a Abs. 1 TKG. b) Angemessene Sicherung des Verfolgungswettbewerbs Auch der Verfolgungswettbewerb wird gesichert, denn einerseits werden Anreize zu eigenen Infrastrukturinvestitionen gesetzt, da grundsätzlich kein Zugangsrecht zu neu geschaffenen Infrastrukturen besteht. Im Übrigen stellt die umfassende sonstige Regulierung der Telekommunikationsmärkte ein hinreichendes Instrumentarium dar, um ein „level playing field“ zu schaffen. Das bedeutet insbesondere, dass die Wettbewerber grundsätzlich Zugang zu allen sonstigen Vorleistungen erlangen, um im Rahmen eigener Investitionen den Verfolgungswettbewerb aufzunehmen. Dies wurde zuletzt von der Bundesnetzagentur in ihrer teils heftig kritisierten Entscheidung vom 27. 6. 2007 klar gestellt.34 Hier hat die Behörde den Wettbewerbern weit reichenden Zugang zu denjenigen Engpassressourcen eröffnet, die diese benötigen, um ein eigenes VDSL-Netz aufzubauen. Vor diesem Hintergrund hat Arcor nun angekündigt, ein eigenes VDSL-Netz zu realisieren.35 c) Hinreichende Instrumentarien zur Verhinderung von Marktmissbrauchsstrategien Auch im Übrigen stellt das TKG ein umfassendes Instrumentarium bereit, um sonstige Marktmissbrauchsstrategien zu verhindern. Dies gilt insbesondere angesichts der weit reichenden Missbrauchskontrollnorm des § 42 TKG, die allerdings nach zutreffender Ansicht nicht auf dem von der sektorspezifischen Regulierung befreiten Markt greift.36 Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der VDSLMarkt selbst im Falle eines Entlassens aus der sektorspezifischen Regulierung nach wie vor der kartellrechtlichen Regulierung unterliegt. 33 Vgl. BNetzA, Auslegungsgrundsätze zu § 9a TKG, S. 14 , abrufbar im WWW unter der URL: http: // www.bundesnetzagentur.de / media / archive / 10793.pdf (letzter Zugriff 09 / 2008). 34 BNetzA, Beschl. v. 27. 06. 2007 – BK 4a-07-002 / R, S. 24 f. mit scharfer Kritik von Wernhard Möschel, Der 3-Kriterien-Test in der Telekommunikation, MMR 2007, S. 343 (345). 35 Siehe den Bericht von Britta Widmann vom 15. 11. 2007, abrufbar im WWW unter der URL: http: // www.zdnet.de / news / tkomm / 0,39023151,39159071,00.htm (letzter Zugriff 09 / 2008). 36 Kühling / Elbracht (Fn. 27), Rdnr. 231.

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d) Innovations-Abwägungstest Schließlich stellt sich die Frage, inwiefern § 9a TKG eine hinreichende Abwägung zwischen den durch die Regulierungsfreistellung erreichten Vorteilen in Form von Innovationsanreizen für den Erstinnovator auf der einen Seite und den denkbaren Nachteilen der beschränkten Nachfolgeinnovationen auf der anderen Seite ermöglicht. Dabei ist zunächst kritisch festzustellen, dass die Vorschrift einen derartigen Innovations-Abwägungstest nicht explizit formuliert. Es ergeben sich jedoch zwei denkbare Anknüpfungspunkte, um diesen Test in der Vorschrift zu verankern. Zum einen wird die Möglichkeit eröffnet, doch zu regulieren, „[w]enn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei fehlender Regulierung die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes im Bereich der Telekommunikationsdienste oder -netze langfristig behindert wird.“ Zum anderen muss im Falle des Vorliegens dieser Tatbestandsvoraussetzungen die Bundesnetzagentur eine Ermessensentscheidung treffen, ob zu regulieren ist. Auch die Bundesnetzagentur liest in diese Kann-Bestimmung einen Innovations-Abwägungstest37 hinein. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Anforderungen in dieser Bestimmung recht streng bewertet wurden. Damit hat der Gesetzgeber diese Entscheidung deutlich dahingehend vorstrukturiert, dass er im Zweifel davon ausgeht, dass die Erstinnovationen bzw. Erstinvestitionen gewichtiger sind als die Folgeinnovationen. Ob dem so ist, mag durchaus bezweifelt werden, ist jedoch eine wohl nur sehr schwierig zu beantwortende ökonomische Frage.38 Aus juristischer Sicht bleibt jedenfalls festzustellen, dass die diesbezügliche Formulierung der Norm unglücklich ist, da der Innovations-Abwägungstest nicht deutlich genug formuliert ist und die stattdessen vorgegebene Prüfung unklar bleibt.

3. Bewertung in institutioneller Perspektive Eine klarere positive Bewertung ist mit Blick auf die institutionelle Ausgestaltung möglich

Vgl. BNetzA, Auslegungsgrundsätze zu § 9a TKG, S. 29 (Fn. 33). Eine ausführliche Diskussion der ökonomischen Theorien zu der allgemeinen Frage, wie sich eine Zugangsgewährung zu eigentumsrechlich geschützten Positionen auf die allokative und dynamische Effizienz (d. h. die Innovationsanreize) auswirkt, findet sich bei Einer R. Elhauge, Defining Better Monopolization Standards, Stanford Law Review 56 (2003): 253 (295 ff.). Frederic M. Scherer und David Ross haben darauf hingewiesen, dass die meisten Forschungs- und Entwicklungsprojekte keine grundlegend neuen Konzepte enthalten, sondern auf bereits existenten Erkenntnissen beruhen, vgl. Frederic M. Scherer / David Ross, Industrial Market Structure and Economic Perfomance, 3. Auflage, Boston 1990, S. 619. 37 38

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a) Hinreichende Unabhängigkeit Die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur ist sowohl in institutioneller als auch in organisatorischer, budgetärer und personeller Hinsicht gewährleistet.39 Sollte sich die Kommission mit ihren Reformvorschlägen im Telekommunikationsbereich durchsetzen, wäre insoweit eine wichtige Ergänzung erreicht, da dann künftig explizit eine Unabhängigkeit auch gegenüber der Tagespolitik gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgegeben wäre.40 Dies umfasst einen Ausschluss einer Weisungsbefugnis, der faktisch bereits jetzt für die Bundesnetzagentur greift, künftig jedoch auch rechtlich normiert werden müsste. b) Interdisziplinäre, transparente und partizipationsoffene Entscheidungsprozesse Die Kammern der Bundesnetzagentur sind wie die Behörde insgesamt entsprechend interdisziplinär besetzt. Zudem sichert die gegenwärtige Ausstattung der Bundesnetzagentur ein hohes Maß an regulatorischer Kompetenz. Durch das umfassende Konsultations- und Konsolidierungsverfahren wird im Übrigen ein hinreichend transparenter und partizipationsoffener Entscheidungsprozess gewährleistet.41 c) Angemessene horizontale Gewaltenteilung Auch sind in wesentlichen Bereichen entsprechende exekutive Entscheidungsspielräume insbesondere mit Blick auf die für § 9a TKG relevante Markdefinition explizit im Gesetz eingeräumt (§ 10 Abs. 2 S. 2 TKG). d) Zu starke Zentralisierung in vertikaler Perspektive Kritisch zu bewerten ist hingegen die schon jetzt bestehende Reichweite des Veto-Rechts der Kommission gegenüber den nationalen Regulierungsbehörden. Bereits die Ausgestaltung des Veto-Rechts im geltenden EG-TelekommunikationsVgl. dazu ausführlich Kühling (Fn. 1), S. 375 ff. Vgl. zum entsprechenden Verbot von Weisungen den Vorschlag eines neuen Abs. 3 in Art. 3 der Rahmenrichtlinie; der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002 / 21 / EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, der Richtlinie 2002 / 19 / EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung und der Richtlinie 2002 / 20 / EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste KOM(2007) 697 endg., Ratsdok. 15379 / 07; abgedruckt auch unter BR-Drs. 861 / 07. 41 Vgl. zu den Verfahren Kühling / Elbracht (Fn. 27), Rdnr. 111 ff. sowie Christian Koenig / Sascha Loetz / Andreas Neumann, Telekommunikationsrecht, 2004, S. 121 ff. 39 40

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rechtsrahmen unterbindet einen fruchtbaren Regulierungswettbewerb und ist nicht hinreichend durch sonstige Vorteile gerechtfertigt. So ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass auf Telekommunikationsmärkten nur im Ausnahmefall hinreichend starke negative grenzüberschreitende Effekte auftreten, die eine Zentralisierung der Regulierung rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist eine Erstreckung der Veto-Kompetenz der Kommission auf die Ebene der Auswahl der Regulierungsinstrumente, also der sogenannten remedies, in der jetzt von der Kommission vorgeschlagenen pauschalen Form42, erst recht abzulehnen.43 Dieses Defizit erfasst auch § 9a TKG, der ja wie dargelegt dem entsprechenden Konsolidierungsverfahren im Regulierungsverbund unterliegt. Es ist im Übrigen erstaunlich, dass die Kommission einerseits zu Recht die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden stärken will, andererseits aber deren Entscheidungen einer anschließenden Überprüfung unterziehen möchte. Zudem führen die Kontrollverfahren zu unnötigen Verzögerungen, was in einer dynamischen Wirtschaft wie der Telekommunikation besonders problematisch ist. 4. Zwischenergebnis In materiell-rechtlicher Hinsicht ist also ein ambivalentes Zwischenfazit zu ziehen. Dem Grunde nach ist der Ansatz des § 9a TKG zu begrüßen, da die Norm die wesentlichen materiellen Leitparameter einer innovationsschützenden Zugangsregulierung beachtet. Die angemessene Berücksichtigung der dargelegten Parameter ist jedoch teilweise nur mit entsprechenden Interpretationsbemühungen sicher zu stellen, so dass die Bestimmung zugleich erhebliche Rechtsunsicherheiten und rechtliche Konfliktpotenziale generiert. Beides ist gerade in der Telekommunikationsordnung, die ohnehin durch zahlreiche Rechtsstreitigkeiten geprägt ist44, besonders misslich. Im Übrigen ist die deutliche normative Vorstrukturierung der Entscheidung durch die Legislative (und hier insbesondere die Ausrichtung des Innovations-Abwägungstests) mit Skepsis zu betrachten. Ganz grundsätzlich stellt sich auch die Frage, ob diese Aspekte nicht besser im Rahmen der nachgelagerten Frage der Auferlegung einer Zugangsverpflichtung entschieden werden sollten und eben nicht bereits im Rahmen der grundsätzlichen Frage der Regulierungsbedürftigkeit des Marktes. Kognitiv ist eine solche Entscheidung angesichts ihrer Abstraktionshöhe jedenfalls äußerst anspruchsvoll. Schließlich lassen sich die Aussagen des § 9a TKG bereits weit gehend aus dem geltenden Recht ableiten.45 AnSiehe dazu KOM(2006) 334 endg., S. 10. Siehe dazu exemplarisch am Beispiel der Telekommunikationswirtschaft Haucap / Kühling (Fn. 26), S. 664 (669 f.). 44 Siehe den Hinweis bei Kühling / Elbracht (Fn. 25), S. 545 (548). 45 Vgl. dazu Kühling (Fn. 4), S. 272. Eine klare legislative Vorstrukturierung hält hingegen Matthias Herdegen, Freistellung neuer Telekommunikationsmärkte von Regulierungseingriffen, MMR 2006, 580 (580 ff.) für verfassungsrechtlich geboten. Das überdehnt jedoch die Anforderungen aus dem verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. 42 43

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gesichts der fehlenden angemessenen Berücksichtigung und der wenig kontrollintensiven Prüfung der Regulierungsbedürftigkeit der jeweiligen Märkte in der vorangegangenen Entscheidungspraxis der Bundesnetzagentur erscheint die Vorgehensweise des Gesetzgebers jedoch verständlich. Daher bleibt vor allem die Kritik an der teilweise unnötig unklaren Abfassung der Bestimmung. In institutioneller Hinsicht ist das gegenwärtige System der Regulierung sehr überzeugend aufgesetzt. Allein in vertikaler Hinsicht ist schon jetzt eine zu weit gehende Zentralisierung festzustellen, die im Falle der Verwirklichung der Kommissionsvorschläge zur Reform des EG-Telekommunikationsrechts noch verstärkt würde. IV. Der Microsoft-Fall und der Innovationsschutz in der kartellrechtlichen Zugangsregulierung nach Art. 82 EG 1. Das Microsoft-Urteil des EuG im Lichte der Rechtsprechung zu Art. 82 EG Anders als im Fall des § 9a TKG geht es im Microsoft-Fall nicht um die Schaffung einer sektorspezifischen Norm, die das Spannungsverhältnis zwischen Innovationsschutz durch „Zugangsferien“ einerseits und dem Schutz des nachstoßenden Wettbewerbs andererseits auflösen soll. Vielmehr stellt sich hier die Frage, wie die allgemeine kartellrechtliche Missbrauchsnorm des Art. 82 EG in entsprechenden Zugangsfällen anzuwenden ist. Dabei ist es trotz fehlender expliziter Normierung der Zugangsverweigerung als Missbrauchsfall des Art. 82 EG46 ständige Rechtsprechung des EuGH, dass eine Zugangsverweigerung grundsätzlich missbräuchlich im Sinne des Art. 82 EG sein kann. Das EuG knüpft in seinem MicrosoftUrteil vom 17. September 2007 nun bewusst an diese ständige Rechtsprechung des EuGH insbesondere zum Zugang zu geistigen Eigentumsrechten an.47 Maßstabsbildend war insoweit der in den Urteilen Magill 48 und IMS Health49 angewendete Test für den Zugang zu Immaterialgüterrechten. Das EuG prüfte somit vier Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit eine Zugangsverweigerung als missbräuchlich zu qualifizieren ist: Erstens muss der Zugang zu dem Produkt für eine wirtschaftliche Tätigkeit im benachbarten Markt unentbehrlich sein. Zweitens muss die Lizenzverweigerung zur Gefahr der Ausschaltung wirksamen Wettbewerbs auf einem benachbarten Markt führen. Drittens muss die Lizenzverweigerung zur Verhinderung des Erscheinens eines neuen Produkts führen, für das eine potentielle Anders insoweit § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB, dazu Kühling (Fn. 1), S. 214 ff. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 322 ff. m. w. N. zur vorherigen Rechtsprechung. 48 EuG, Urteil v. 10. 07. 1991, Rs T-69 / 89, Slg. 1991, II-485, Rn. 71 ff. (RTE / Kommission); bestätigt durch EuGH, Urteil v. 06. 04. 1995 (,Magill TV Guide‘), Rs C-241 / 91 P und C-242 / 91 P, Slg. 1995, I-743, Rdnr. 29, 56. 49 EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs C-418 / 01, Slg. 2004, I-5039. 46 47

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Nachfrage der Verbraucher besteht. Viertens darf die Weigerung nicht objektiv gerechtfertigt sein.50 Die vier Voraussetzungen entwickelt das EuG im Microsoft-Fall sodann weiter. So stellt das Gericht zunächst fest, dass der Kommission bei der Prüfung, inwiefern die Vorleistung für einen nachgelagerten Markt unentbehrlich ist, ein Einschätzungsspielraum zukommt.51 Auch beim Prüfungsschritt der Gefahr des Ausschlusses wirksamen Wettbewerbs auf einem nachgelagerten Markt kommt der Kommission im Rahmen der dazu erforderlichen Marktabgrenzung ein Beurteilungsspielraum zu.52 Die Prüfung, ob die Zugangsverweigerung die Entwicklung eines neuen Produktes verhindert, wird sodann vom EuG relativiert. Die Frage, ob ein neues Produkt verhindert worden sei, müsse im Lichte von Art. 82 Abs. 2 lit. b EG beurteilt werden.53 Art. 82 Abs. 2 lit. b EG legt fest, dass ein Missbrauch in der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher besteht. Das Gericht wollte sich bei der Beurteilung, ob eine Lizenzverweigerung einen Schaden für die Verbraucher im Sinne von Art. 82 lit. b EG darstellt, nicht auf den „Neuen-Produkt-Test“ der Magill- und IMS Health-Entscheidungen beschränken.54 Schließlich bestätigte das EuG die Ausführungen der Kommission, wonach das Verhalten von Microsoft nicht objektiv gerechtfertigt war.55 Die Kommission stützte sich dabei darauf, dass die wahrscheinlichen negativen Auswirkungen einer Interoperabilitätsanordnung auf Microsofts Innovationsanreize von den positiven Auswirkungen der Interoperabilitätsanordnung für den Innovationsgrad der gesamten Branche (einschließlich Microsofts) übertroffen werden.56 Das EuG stellte in Übereinstimmung mit der Kommission fest, dass es Microsoft oblag, nachzuweisen, dass die von der Kommission angeordnete Offenlegung der Interoperabilitätsinformationen wesentliche nachteilige Auswirkungen auf seine Innovationsanreize hat.57

2. Materielle Bewertungsparameter Spiegelt man diese Rechtsprechung an den eingangs entwickelten materiellrechtlichen Anforderungen, sichert Art. 82 EG zunächst allgemein schon dadurch hinreichende Innovationsanreize, dass die Zugangsverpflichtung die besonders be50 51 52 53 54 55 56

EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 332 f. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 379. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 482. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 643. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 647. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 697 ff. Entscheidung der Europäischen Kommission v. 24. 03. 2004, COMP / C-3 / 37.792, Ziff.

783. 57 EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 697; Entscheidung der Europäischen Kommission v. 24. 03. 2004, COMP / C-3 / 37.792, Ziff. 712.

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gründungsbedürftige Ausnahme darstellt. Vor diesem Hintergrund kann auch festgestellt werden, dass grundsätzlich hinreichende Anreize für einen Verfolgungswettbewerb gesetzt werden, zumal der Zugang zusätzlich unter der Voraussetzung steht, dass der Zugangspetent kein bloßer „Duplikator“ ist, sondern den technologischen Fortschritt durch ein neues Produkt beflügelt. So wird im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung mehr als eine reine Duplizierung bestehender Produkte verlangt.58 Es muss allerdings nicht ein neues Produkt im strengen Sinne vorliegen, insbesondere nicht ein solches, das einen neuen Markt begründet. Vielmehr werden auch Prozessinnovationen (bzw. inkrementelle Innovationen) erfasst. Damit genügen auch ein technologischer Fortschritt im Detail59 oder verbesserte Eigenschaften des Produktes, die einen Mehrwert darstellen.60 An diesem Erfordernis sollte unbedingt festgehalten werden, auch wenn das Kriterium im Microsoft-Urteil sehr weit ausgelegt wurde.61 Bei der Prüfung der Rechtfertigung legt das EuG die Darlegungsund Beweislast für das Vorliegen von Innovationsnachteilen im Übrigen dem zugangsverpflichteten Unternehmen auf. Gelingt dieser Nachweis, muss dann jedoch die Kommission das Überwiegen der Innovationsvorteile darlegen und beweisen.62 Schließlich zeigen die Microsoft-Entscheidung der Kommission und deren Bestätigung durch das EuG auch deutlich, dass Verdrängungsstrategien effektiv verhindert werden können. Denn um solche ging es ja gerade im Microsoft-Fall. So hat Microsoft letztlich seine Marktmacht auf dem Markt für Betriebssoftware genutzt, um den Markt für Server zu vermachten. Gerade in Märkten, die durch Standards und Netzwerkeffekte geprägt sind63, müssen derartige Strategien besonders streng kontrolliert werden, soll ein „level playing field“ auf neuen Märkten gesichert werden. Bei Lichte betrachtet steht auch gar keine besondere Innovation von Microsoft im Vordergrund, sondern die Macht eines De-facto-Standards, der erhebliche Lock-in-Effekte generiert. Hinzu trat ein besonders deutliches Indiz für eine entsprechende Verdrängungsstrategie von Microsoft, die in der plötzlichen Verweigerung einer bisher üblichen Praxis der Zugangsgewährung bestand.64 Diese konnte sich Microsoft erst leisten, nachdem das Unternehmen hinreichende Marktanteile auf dem Servermarkt erlangt hatte. 58 So bereits die im Microsoft-Urteil mehrfach zitierte IMS Health-Entscheidung, EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs C-418 / 01, Slg. 2004, I-5039, Ziff. 49 – IMS Health. 59 Vgl. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 646 – 648. 60 Vgl. EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 654. 61 Der Interpretation des EuG zustimmend Körber (Fn. 7), S. 1213. 62 EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 688 und 697. 63 Vgl. dazu mit Blick auf die Softwaremärkte Frank Fichert / Anne Sohns, Wettbewerbsschutz auf dem Markt für Server-Betriebssysteme. Wettbewerbspolitische Anmerkungen zur Microsoft-Entscheidung der EU-Kommission, WuW 2004, S. 907 (911 f.); siehe mit Blick auf den Zusammenhang zur Innovation auch Sören Delfs, Innovation – Standardisierung – Recht (Das Beispiel Internet), in: Martin Eifert / Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 173. 64 EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 702.

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Auch Teilaspekte eines Innovations-Abwägungstests bestehen grundsätzlich. So muss die Weigerung des Zugangsverpflichteten zu einer Einschränkung der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher i. S. v. Art. 82 Abs. 2 lit. b EG führen und es muss die Gefahr des Ausschlusses von Wettbewerb auf einem nachgelagerten Markt bestehen. Schließlich muss die Kommission nachweisen, dass die Vorteile zusätzlicher Innovationen der Zugangspetenten die Nachteile für künftige Innovationsanreize des zugangsverpflichteten Unternehmens und vergleichbarer Innovatoren in einer dynamischen Perspektive überwiegen. Einen solchen Nachweis muss die Kommission jedoch erst antreten, wenn es dem zugangsverpflichteten Unternehmen gelingt, Innovationsnachteile darzulegen und zu beweisen. Diese Darlegungs- und Beweislastverteilung ist dem Grunde nach überzeugend. Allerdings wird sich in Zukunft zeigen müssen, wie streng die Anforderungen an den Nachweis von Innovationsnachteilen durch eine Zugangsentscheidung zu verstehen sind. Im Microsoft-Fall konnte mangels substantiierten Vortrags von Microsoft ein Nachweis offensichtlich relativ einfach verneint werden. Vermutlich existierten derartige Nachteile im Microsoft-Fall auch gar nicht bzw. jedenfalls nicht in relevantem Umfang. So ging es nicht primär um den Schutz von Innovationen, sondern um die missbräuchliche Ausnutzung eines De-facto-Standards. Daher kam man im Microsoft-Fall auch gar nicht zu der kognitiv anspruchsvollen Abwägung mit entsprechender Beweispflicht der Kommission. Den erheblichen Innovationsnachteilen der Zugangspetenten standen hier nämlich unberechtigte Zusatzrenditen des Zugangsverpflichteten auf benachbarten Märkten durch die missbräuchliche Ausnutzung eines Standards gegenüber. Innovationsverluste in einer dynamischen Perspektive waren kaum zu befürchten, da Renditen auf dem eigentlichen Produktmarkt als Anreiz für Innovationen genügen. Renditen durch die zusätzliche Vermachtung benachbarter Märkte sind dazu nicht erforderlich. Trotz 145-seitiger Urteilsbegründung lässt sich also festhalten: Microsoft war ein im Ergebnis eindeutiger Fall. Die Entscheidungen der Kommission und des EuG waren überzeugend. Die angewandten Parameter sind materiell-rechtlich allerdings in ihrer abstrakten Formulierung nicht vollauf gelungen.

3. Institutionelle Bewertungsparameter Mit Blick auf die institutionellen Bewertungsparameter ergibt sich gleichermaßen ein ambivalentes Bild. So ist es nicht ganz frei von Ironie, dass die Kommission zu Recht die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden im sektorspezifischen Kartellrecht stärken möchte65, selbst aber gerade in diesem Bereich zunehmend politisiert agiert. Das gilt besonders mit Blick auf die Generaldirektion der Informationsgesellschaft, deren Case-Handling nicht frei von politischer Priorisierung zu sein scheint.66 Die Inkonsistenz hat sich jüngst auch deutlich 65 Vgl. bereits oben den Hinweis zu entsprechenden Vorschlägen im Rahmen des laufenden Reviews des EG-Telekommunikationsrechts (Fn. 40).

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bei den Vorschlägen der Kommission im Energiebereich mit Blick auf die Errichtung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden gezeigt.67 Diese Kritik stellt jedoch keinesfalls die grundsätzlich weit gehende Unabhängigkeit der Kommission und gerade ihrer Generaldirektion Wettbewerb in Frage.68 Die Unabhängigkeit gegenüber den Marktteilnehmern ist dabei unbestreitbar. Eine der nationalen Regulierungsbehörden vergleichbare Unabhängigkeit gegenüber der Politik besteht jedoch nicht. Die Kommission ist vielmehr selbst ein politisches Organ. In puncto Transparenz, Interdisziplinarität und Fachkompetenz steht die Kommission den nationalen Regulierungsbehörden hingegen keinesfalls nach. So werden zentrale Weichenstellungen der Kommissionspolitik durch umfassende Konsultationsprozesse begleitet69 und der ökonomische Sachverstand der Kommission wurde in jüngerer Zeit durch die Einrichtung eines Chief Economist Teams nochmals gestärkt. Gleichwohl wäre eine unabhängige externe Kontrolle des Tätigwerdens der Kommission durch eine vergleichbare Einrichtung wie die der deutschen Monopolkommission sinnvoll. In horizontaler Gewaltenteilungsperspektive ist die Gewährung exekutiver Einschätzungsspielräume wie sie das EuG im Microsoft-Fall erneut bestätigt hat, zu begrüßen. Dass bei komplexen ökonomischen Sachverhalten grundsätzlich nur geprüft wird, ob Verfahrensregeln und Begründungspflichten eingehalten, Tatsachen zutreffend zusammengetragen und dargestellt worden sind und die Tatsachen die Schlussfolgerungen tragen,70 gewährleistet gerade in komplexen wirtschaftlichen Bewertungen von Innovationsanreizen eine angemessene funktionale Gewaltenteilung. 66 So ist beispielsweise die von der Informationsgesellschaft forcierte Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland (vgl. den Hinweis in Fn. 31) mit Blick auf § 9a TKG angesichts der Möglichkeit einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung der Bestimmung und der bereits entsprechenden Ankündigung der Bundesnetzagentur, dies zu tun, durchaus fragwürdig. 67 KOM(2007) 530 endg. vom 19. 09. 2007; siehe insbesondere die Kritik des CEER, Key Comments on the European Commission’s Third Package, CEER-Dokument C07-GA-36-08 vom 20. 12. 2007. 68 Vgl. aber die scharfe Kritik von Helmut Hauschild, Entflechtet Kroes!, Handelsblatt v. 03. 03. 2008, S. 10, der der Wettbewerbskommissarin vorwirft, das kartellrechtliche Verfahren gegen EON zu missbrauchen, um die legislativen Entflechtungspläne der Kommission voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund plädiert Hauschild für eine Separierung der Zuständigkeiten, so dass einerseits ein am Gesetzgebungsverfahren beteiligter „politischer Kommissar“ und andererseits eine unabhängige Kartellbehörde, die keinen Weisungen unterliegt, agiert. 69 So ist vor der Veröffentlichung neuer wettbewerbsrechtlicher Leitlinien ein Konsultationsprozess mittlerweile gängige Praxis. Siehe z. B. zur Reform der Anwendungspraxis von Art. 82 EG: http: // ec.europa.eu / comm / competition / antitrust / art82 / index.html (letzter Zugriff 09 / 2008). 70 EuG, Urteil v. 17. 09. 2007, Rs T-201 / 04, Ziff. 89 m. w. N.

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Schließlich scheint das System der Fallzuweisung, wie es im Netzwerk der Wettbewerbsbehörden etabliert worden ist71, eine vernünftige Allokation der Entscheidungskompetenzen in vertikaler Perspektive zu gewährleisten. So wird ausgehend von einer Zuständigkeit der Behörde, bei der die Beschwerde eingegangen ist, geprüft, ob diese wirklich geeignet ist, den Fall zu bearbeiten. Dies wird gerade dann verneint, wenn angesichts der Betroffenheit mehrerer Mitgliedstaaten durch ein möglicherweise wettbewerbsrechtswidriges Verhalten eines Unternehmens, eine zentrale Entscheidung erforderlich wird. Hier wird also letztlich im Einzelfall geprüft, ob hinreichende negative grenzüberschreitende Effekte vorliegen, die eine Verweisung an die Kommission und damit eine Zentralisierung rechtfertigen. Wenn dagegen eine höhere Kompetenz auf der dezentralen Ebene besteht und von überwiegendem Vorteil ist, kann der Fall an die nationale Wettbewerbsbehörde verwiesen werden. Im Übrigen ist angesichts der dezentralen Anwendung des Kartellrechts tendenziell auch ein hinreichender lernender Systemwettbewerb gegeben.

V. Fazit und Ausblick Es zeigt sich, dass sich eine ganze Reihe von Kriterien entwickeln und erhärten lassen, die für den innovationsschützenden Charakter eines Regulierungsdesigns von Bedeutung sind. In materiell-rechtlicher Hinsicht sind dies die Setzung von Innovationsanreizen durch die Möglichkeit, Regulierungsferien zu gewähren, dabei zugleich den Verfolgungswettbewerb zu sichern und Missbrauchsstrategien abzuwehren. Die Prüfung eines Innovations-Abwägungstests, der die Nachteile für die Innovation in dynamischer Perspektive im Falle einer Zugangsgewährung mit den Vorteilen eines Zugangs gegeneinander abwägt, ist dabei von großer Bedeutung. Die Anforderungen an die Darlegung und den Nachweis von Innovationsnachteilen durch das zugangsverpflichtete Unternehmen sollten nicht zu streng gefasst sein. Die Beweislast für die überwiegenden Vorteile der Zugangsgewährung wird zu Recht der zugangsgewährenden Behörde auferlegt. In institutioneller Hinsicht sind neben einer umfassenden Unabhängigkeit der Regulierungsinstanz ein interdisziplinärer, transparenter und partizipationsoffener Entscheidungsprozess und hinreichende exekutive Entscheidungsspielräume von großer Bedeutung. In vertikaler Gewaltenperspektive ist vor jeder Zentralisierung eingehend zu prüfen, ob derartig gravierende negative externe Effekte72 vorliegen, die die Nachteile der Zentralisierung überwiegen. Das sind zum einen der Verlust 71 Die Einzelheiten ergeben sich aus der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. C 101 vom 27. 04. 2004, S. 43; vgl. dazu Jürgen Schwarze / Andreas Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9. 72 Gegebenenfalls kommen weitere relevante Parameter hinzu, wie beispielsweise Selbstbindungseffekte der dezentralen Entscheidungsebene; vgl. zu diesen Gründen, die für eine Zentralisierung sprechen Haucap / Kühling (Fn. 26), S. 666 ff.

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eines erkenntnisstiftenden Regulierungswettbewerbs, der v. a. für derart komplexe Entscheidungen wie die einer innovationsschützenden Zugangsregulierung von Bedeutung ist, und zum anderen die Informationsdefizite der zentralen Entscheidungsebene. Kreativ ist in diesem Zusammenhang die jüngst von der Kommission vorgeschlagene Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden.73 Sie reagiert als zentrale Instanz auf Sachverhalte, die angesichts erheblicher negativer grenzüberschreitender Effekte grundsätzlich eine zentrale Entscheidungskompetenz erfordern. Zugleich begegnet sie effektiv dem Problem der Informationsdefizite auf zentraler Ebene, da sie über die nationalen Regulierungsbehörden den dezentralen Sachverstand fruchtbar macht. Ihr fehlen allerdings hinreichende Entscheidungskompetenzen.74 Gemessen an diesen Parametern sind sowohl Art. 82 EG als auch § 9a TKG in ihrer (sich abzeichnenden) Anwendung grundsätzlich überzeugend, auch wenn noch Nachjustierungsbedarf im Detail besteht. Bei § 9a TKG bleibt neben der unnötig unklaren Formulierung die Frage, ob nicht auf einer zu frühen Ebene zu umfassend Regulierungsferien gewährt werden. Institutionell ist die Telekommunikations-Regulierung jedoch so aufgestellt, dass bei der Zugangsregulierung grundsätzlich eine sinnvolle Abwägung zwischen Innovationsschutz in statischer und dynamischer Perspektive zu erwarten steht. Gleichwohl ist zu erwägen, ob der tendenziell höheren Gefahr einer zu statischen Perspektive nicht durch institutionelle Vorkehrungen begegnet werden sollte. So ist insbesondere daran zu denken, der Kommission eine auf Deregulierung beschränkte Kompetenz in den Fällen einzuräumen, in denen an sich keine hinreichenden zwischenstaatlichen externen Effekte vorliegen, die eine Zentralisierung rechtfertigen.75 Mit Blick auf die Anwendung des Art. 82 EG dürfte tendenziell gleichermaßen die Gefahr einer zu großzügigen Zugangsgewährung überwiegen. Dies zeigt sich v. a. angesichts der unklaren Bewertungsparameter für die Abwägung der Innovationsanreize. Auch wenn die Microsoft-Entscheidung angesichts der evidenten Missbrauchsstrategien von Microsoft im Ergebnis zutreffend ist, muss bei künftigen Entscheidungen darauf geachtet werden, dass die allgemein aufgestellten – strengen – Anforderungen nicht zu stark aufgeweicht werden und damit eine innovationsschädliche Zugangsgewährungspraxis entsteht. Der Quervergleich hat im Übrigen gezeigt, dass eine Abstimmung der „Zugangsphilosophien“ im allgemeinen und sektorspezifischen Kartellrecht unabdingbar ist, sollen Inkonsistenzen vermieden werden.

73 KOM(2007) 530 endg. vom 19. 09. 2007; siehe insbesondere die Kritik des CEER (Fn. 67), CEER-Dokument C07-GA-36-08 vom 20. 12. 2007. 74 Vgl. auch die Hinweise bei Jürgen Kühling, Die Zukunft des Europäischen Agentur(un)wesens – oder: Wer hat Angst vor Meroni?, EuZW, Editorial Heft 6 / 2008. 75 Zu diesem Vorschlag einer „Einbahnstraßen“-Kompetenz der Kommission Haucap / Kühling (Fn. 26), S. 670 f.

Nachhaltige Innovationsoffenheit dynamischer Märkte Von Gerhard Wegner I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Systemeigenschaft dynamischer Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Institutionen, Transaktionskosten und Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Präemptive Regulierung als theoretischer Grenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Im Folgenden möchte ich den Erklärungsbeitrag eines institutionenökonomischen Ansatzes für die Frage nach der Innovationsoffenheit von Volkswirtschaften erörtern und mögliche Implikationen einer Institutionenpolitik diskutieren. Der hier vertretene theoretische Ansatz verbindet Theorieelemente der Neuen Institutionenökonomie, für die u. a. North, Coase, Rodrik und Acemoglu / Johnson / Robinson stehen, mit einer evolutorischen Markttheorie, welche auf dem Theoriekonzept der spontanen Ordnung aufbaut und die seit ihrer Begründung durch F. A. v. Hayek (1945, 1978) in vielfältiger Weise in der evolutorischen Ökonomik weitergeführt worden ist.1 Beide Wurzeln dieses mittlerweile in eine Synthese überführten institutionenökonomischen Ansatzes haben den Blick auf institutionelle Bedingungen für eine dauerhafte wirtschaftliche Prosperität gerichtet. Die Nachhaltigkeit der ökonomischen Entwicklung steht im Mittelpunkt des Erklärungsinteresses, während kurzfristige Schwankungen des wirtschaftlichen Wohlstandes – aufgrund von Konjunkturen oder verpassten Chancen für Investitionen in neue Technologien – außerhalb der Betrachtung bleiben. Dieser Perspektive liegt der Gedanke zugrunde, dass Phasen schwächerer wirtschaftlicher Entwicklung systemendogen überwindbar bleiben werden, solange die politischen und ökonomischen Institutionen hierfür die Voraussetzungen schaffen.2 Insbesondere wirtschaftshistorisch arbeitende Institutionenökonomen wie North und Weingast haben dem Phänomen langfristiger 1 2

Vgl. u. a. Witt 2006, Kasper / Streit; Streit / Wegner; Wegner Kap. 2; Kirzner; Lachmann. Vgl. Acemoglu / Johnson / Robinson, S. 1 – 10.

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ökonomischer Prosperität und Stagnation weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt als vorübergehenden Wirtschaftsschwankungen und das Zusammenspiel von politischen und wirtschaftlichen Institutionen als ursächlich für langfristige Entwicklungsprozesse analysiert.3 Dabei setzt sich ein institutionenökonomischer Ansatz von einer makroökonomischen Wachstumstheorie ab, die als unzulänglich eingeschätzt wird, eine „fundamentale Erklärung“ für das wirtschaftliche Wachstum zu liefern. North und Thomas haben bereits früh produktionstheoretische Ansätze für die Erklärung ökonomischer Entwicklung zurückgewiesen, in welchen eine Input-Output-Beziehung zwischen wirtschaftlichem Wohlstand einerseits und den Ressourcenbeständen einer Volkswirtschaft, etwa dem Arbeitskräftepotential oder dem Kapitalstock, andererseits zugrunde gelegt wird. Bei North und Thomas heißt es hierzu bündig: „The factors we have listed (innovation, economies of scale, education, capital accumulation etc.) are not causes of growth; they are growth“ (ibid., 2; zit. nach Acemoglu / Johnson / Robinson, S. 1, kursiv original).

Dieser wachstumstheoretische Ansatz gilt den Autoren als unzulänglich, weil er – ökonometrisch ausgedrückt – die latente Variable „Institutionen“ unberücksichtigt lässt. Die wirtschaftspolitische Tragweite einer solchen Kritik lässt sich daran ermessen, dass in gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Beiträgen zur langfristigen Sicherung des Wohlstandes – exemplarisch in der Lissabon-Strategie der Europäischen Union – unhinterfragt makroökonomische Inputgrößen als ursächlich für langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand betrachtet werden und hierin zugleich ein wirtschaftspolitischer Ansatzpunkt angenommen wird. So gilt der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt nicht nur als eine Kennzahl für den Wachstumstrend, sondern auch als eine wirtschaftspolitische Steuerungsgröße: fordert die Lissabon-Strategie einen Prozentsatz von 3 Prozent von F&E-Ausgabe am BIP, während nur 2, 7 Prozent für das Jahr 2008 in Deutschland zu verzeichnen sind, schließt die Wirtschaftspolitik hieraus auf die Notwendigkeit zusätzlicher innovations- und bildungspolitischer Maßnahmen.4 Aus institutionenökonomischer Perspektive geht jedoch eine Wirtschaftspolitik fehl, welche die Entwicklungsdynamik einer Volkswirtschaft an den Ausgaben für F&E sowie für Human- und Sachkapital misst und an diesen Ausgaben ihre politischen Handlungsoptionen festmacht. Auch wenn solche makroökonomischen Kenngrößen das Wachstumspotential einer Volkswirtschaft messen, reflektieren sie nur die institutionellen Bedingungen, welche die mikroökonomischen Anreize dafür setzen, dass Wirtschaftssubjekte die Risiken für Investitionsentscheidungen übernehmen. Investitionen in Human- und Sachkapital stellen dementsprechend 3 Vgl. die Studie von North / Weingast über den institutionellen Wandel in England nach der Glorious Revolution, welcher die Voraussetzung für eine nachhaltige Prosperität geschaffen hatte; in North wird am Beispiel Spaniens und Portugals gezeigt, wie Institutionen zu einem langfristigen Entwicklungshemmnis werden können. 4 Eine Kritik an der inputorientierten Innovationspolitik findet sich auch bei Oi.

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nur eine Folge solcher institutionell bestimmter Handlungsanreize dar. Eine Politik der direkten und indirekten Förderung durch Transfers, zinsgünstiger Kredite oder steuerlicher Vergünstigungen zur Beförderung der Innovationstätigkeit würde deswegen lediglich an den Symptomen einer wirtschaftlichen Entwicklungsschwäche ansetzen. Aus Sicht der politischen Ökonomie erscheint eine Anpassung der Institutionen an die Erfordernisse dauerhafter Innovationsdynamik allerdings wenig attraktiv für politische Akteure: entwicklungsfördernde Institutionen entfalten ihren Wohlfahrtsbeitrag nur indirekt und oft zeitverzögert, so dass Parteien eine ökonomisch erfolgreiche Politik kaum im Wettbewerb um Wählerstimmen verwerten können. Hingegen erzielen Innovations- und Technologieförderprogramme eine höhere Aufmerksamkeit und lassen sich als Ausweis wirtschaftspolitischen Handelns in der öffentlichen Arena darstellen, ohne dass die Wirksamkeit solcher Programme und deren volkswirtschaftliche Kosten in Form von Fehllenkungen von Ressourcen oder Mitnahmeeffekten kritisch geprüft werden. Als Kontrapunkt zu der lenkenden Innovationspolitik, die in der öffentlichen Wahrnehmung per se als Erfolg gilt und ein hohes Maß von „Inputlegitimation“ aufweist, soll im folgenden nach den theoretischen Gründen für die vorrangige Bedeutung von Institutionen für eine anhaltende Innovationsdynamik gefragt werden. Diese theoretische Perspektive thematisiert die Systemeigenschaft dynamischer Märkte und wählt darum naturgemäß einen hohen Abstraktionsgrad. Dennoch lassen sich daraus allgemeine Schlüsse für die Qualität entwicklungsfördernder Institutionen ziehen. Die hier vorgetragenen Gedanken werden zum einen das klassisch-liberale Argument der Staatszurückhaltung aus der Perspektive einer evolutorischen Markttheorie erneuern; zugleich gestatten sie die Entwicklung eines Referenzrahmens, an dem sich eine staatliche Regulierungstätigkeit zum Zwecke der Innovationsförderung orientieren kann.

II. Die Systemeigenschaft dynamischer Märkte Aus der Perspektive eines institutionenökonomischen Ansatzes ist die Fähigkeit eines ökonomischen Systems, Innovationen generieren zu können, wohlfahrtstheoretisch höher zu gewichten als konkrete Innovationsmuster. Innovationen, technologische Cluster oder Innovationsregime einer Volkswirtschaft sind nur als ungeplantes und unplanbares Makrophänomen zu betrachten, das aus vielfältigen wirtschaftlichen Einzelhandlungen, Koordinationsleistungen und Spill-over-Effekten spontan resultiert. Für die Systemqualität ist die konkrete Innovationsleistung nicht entscheidend; hier würde es bereits an einem geeigneten Referenzmaßstabes fehlen, der die registrierbare Innovationsleistung im Hinblick auf das Wohlstandsziel als hinreichend oder unzureichend bewerten könnte. Vielmehr ist die Systemqualität einer Marktökonomie als offenem System nach seiner Adaptionsleistung auf veränderte Knappheiten zu bestimmen. Hierzu sei die folgende Aussage vorangestellt:

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These: Die Systemqualität einer spontanen Ordnung hängt davon ab, in welcher Geschwindigkeit die dezentralen Entscheidungseinheiten (Organisationen) Veränderungen von ökonomischen Knappheiten perzipieren, künftige Veränderungen antizipieren und aufgrund dieser Informationen ihre Ressourcen verschwendungsarm realloziieren. Diese abstrakte Formulierung wird gewählt, um dem gleich zu erörternden Wissensproblem bei der Identifizierung wohlfahrtsförderlicher Innovationsprozesse gerecht zu werden. Damit grenzt sich die Formulierung zugleich von einer inputorientierten, produktionstheoretischen Vorstellung über die Wohlfahrtsbedingungen einer Volkswirtschaft ab und gelangt zu einer anderen Bestimmung der Rolle von Innovationen im wirtschaftlichen Anpassungsprozess. Den Ausgangspunkt bildet der Umstand, dass sich volkswirtschaftliche Knappheiten in einem offenen System – anders als in einem allgemeinen Gleichgewichtszustand stabiler Präferenzen und Technologien – laufend verändern. Dadurch ist die Rationalität dezentraler ökonomischer Entscheidungen nur vorläufig bestimmbar; neue Informationen stellen rationale Entscheidungen der Vergangenheit in Frage und können eine Anpassung der Wirtschaftssubjekte, vor allem der im Wettbewerb stehenden Organisationen (Firmen), erforderlich machen. Die Form der Anpassung muss notwendigerweise unbestimmt bleiben: sie umfasst u. a. (a) Faktormengenveränderungen, (b) die Substitution zwischen vorhandenen Ressourcen auf der Inputseite, (c) den Einsatz neuer Produktionsverfahren (Verfahrensinnovationen), (d) die Aufnahme neuer Produkte in das Produktionssortiment (Produktinnovationen), (e) die Veränderung der Fertigungstiefe und Wertschöpfungsintensität sowie (f) die Auslagerung von Elementen des Produktionsprozesses an rentablere Produktionsstandorte im In- und Ausland. Innovationen sind deshalb nur als – wenn auch wichtiger und für Marktwirtschaften charakteristischer – Unterfall von ökonomischen Anpassungsleistungen zu betrachten. Ihnen kommt jedoch in einem offenen System kein Eigenwert zu: wertbildend ist nicht die Innovation an sich, sondern ihre Angepasstheit an Knappheitsverhältnisse. Über den ökonomischen Wert von Innovationen kann demnach, wie in allen anderen Fällen der Reallokation von Ressourcen, ohne Informationen über Knappheiten nichts ausgesagt werden. Im Umkehrschluss kann erst mit solchen Informationen über mögliche Innovationsdefizite in einer Volkswirtschaft überhaupt sinnvoll gesprochen werden. Die Systemqualität einer spontanen Ordnung hängt somit von den laufenden ökonomischen Anpassungsleistungen der autonomen Entscheidungseinheiten an veränderte Knappheitsrelationen ab. Die Perzeption und Antizipation von Knappheiten sollte in einer spontanen Ordnung dezentral erfolgen, auch wenn dabei volkswirtschaftliche Kosten in Form temporärer Fehlinvestitionen und Fehllenkungen von Ressourcen nicht generell zu vermeiden sind. Die Gründe für die Vorzugswürdigkeit dezentraler Informationssuche folgen epistemischen Argumenten und sind der besonderen Art von Wissen als Grundlage ökonomischen Handelns geschuldet. Damit lassen sich Gedanken Hayeks zum Wettbewerb als Entdeckungsverfahren aufgreifen und im Kontext gegenwärtiger innovationspolitischer Debatten aktualisie-

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ren. Hayeks Einsicht bestand darin, dass ein ökonomisches System zugleich evolutorischer und nicht-teleologischer Natur ist und folglich nicht danach beurteilt werden sollte, ob es gegebene Knappheiten befriedigt; das entscheidende ökonomische Problem besteht vielmehr darin herauszufinden „welche Güter knapp ( . . . ) sind oder wie knapp oder wertvoll sie sind“ (Hayek 1969, S. 253). Demzufolge existiert in einer von dezentralen Entscheidungen getragenen Ökonomie kein „archimedischer Punkt“, von dem aus sämtliche Informationen über gegenwärtige und neu entstehende ökonomische Knappheiten unverzerrt und widerspruchsfrei verfügbar gemacht werden können. Der Beobachter eines ökonomischen Systems verfügt selbst im idealen Fall unverzerrter Informationsweitergabe der dezentralen Entscheidungseinheiten nicht über das erforderliche Gesamtwissen, um künftige Knappheiten und damit den ökonomischen Ertrag gegenwärtiger Investitionen eindeutig bestimmen zu können. Vielmehr treffen in offenen Prozessen vielfältige Ungewissheiten zusammen, die in angemessener Weise zu verarbeiten sind: Präferenzenwandel und Modetrends entscheiden ebenso über den ökonomischen Wert eines Leistungsangebots wie die Veränderung komparativer Angebotsvorteile eines Wirtschaftsraumes. Die Entwicklung von Technologien, die Preisentwicklung auf den Märkten für Ressourcen wie etwa Energiepreise oder die Kaufkraftentwicklung auf potentiellen Absatzmärkten stellen wichtige Bestimmungsgründe für die Bewertung ökonomischer Alternativen dar. Informationen dieser Art können jedoch in hohem Maße an Handlungskontexte gebunden und darum mit einer subjektiven Einschätzung verknüpft sein; was aus Beobachtersicht hoch spekulativ und riskant erscheint, kann sich aus der Perspektive des Wirtschaftssubjekts erfolgversprechend darstellen, unabhängig davon, dass die Rationalität von Entscheidungen auch von der Risikoneigung der Wirtschaftssubjekte bestimmt ist. Es lassen sich vielfältige Beispiele dafür finden, dass eine subjektive Beobachtung einer Handlungsumgebung zu Entscheidungen geführt hat, deren Relevanz zunächst übersehen wurde, die sich aber einzelwirtschaftlich und volkswirtschaftlich als erfolgreich erwiesen. Der Wissenserwerb ist in diesen Fällen kontextspezifisch und mit individuellen Situationsdeutungen verknüpft, welche im Extremfall volkswirtschaftlicher Expertise zuwiderlaufen können. So mag eine volkswirtschaftliche Länderstudie von der Direktinvestition in ein unterentwickeltes Land abraten, während ein Unternehmer mit besonderer Kenntnis über dieses Land dennoch Investitionschancen erkennt. Ein Beobachter hätte vielfältige Ambiguitäten aufzulösen, um die künftige Entwicklung von Knappheiten im Hinblick auf ökonomische Antworten zu bestimmen. Auch die empirische Befragung von Unternehmern besitzt nur begrenzten Wert: Individuelle Informationsgrundlagen und subjektive Einschätzungen können ihren Informationswert verlieren, wenn sie aus Handlungskontexten abgelöst werden, z. B. weil unzulässige Verallgemeinerungen in Kauf genommen werden oder implizite Informationen aus individuellen Handlungsumgebungen übersehen werden, wenn aus Beobachtersicht eine allgemeingültige Beschreibung angestrebt wird.

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Diese abstrakten Überlegungen erhalten unversehens Relevanz, wenn nach den Wissensgrundlagen einer aktiven Innovationspolitik gefragt wird. Das klassischliberale Argument der Staatszurückhaltung erfährt auf diese Weise eine epistemische Begründung: mangels zuverlässigen Beobachterwissens über ökonomisch rationale Reallokation bleibt in einem offenen System nur die Möglichkeit des Experimentierens. Institutionen der marktwirtschaftlichen Ordnung sind auf die Ermöglichung sowie wechselseitige Kontrolle dieser Allokationsexperimente auszurichten, ohne dass sie auf die ökonomische Entwicklungsrichtung durch eine eigenständige, politisch vorgenommene Einschätzung künftiger Knappheiten Einfluss nehmen. Dies gilt aus den hier skizzierten Gründen selbst für den Fall, dass diese Einschätzung auf Expertenwissen basiert und vom Einfluss von Gruppeninteressen frei gehalten werden können, wovon nach public-choice-theoretischen Analysen aber in der Regel nicht auszugehen ist. Es ist also davon abzusehen, durch künstliche Schaffung von Handlungsanreizen das Anpassungsverhalten von Organisationen – und damit auch ihrer Innovationstätigkeit – in eine politisch präferierte Richtung zu drängen, weil hierfür keine verlässliche Grundlage an Lenkungswissen zur Verfügung steht. Eine solche interventionsskeptische Perspektive kann leicht als Marktpositivismus missverstanden werden, demzufolge temporären Marktergebnissen generell eine (oft nicht sofort erkennbare) Rationalität zugeschrieben wird und Fehlallokationen von Ressourcen abseits von Marktversagenstatbeständen als Möglichkeit geleugnet werden. Demgegenüber bleibt zu betonen, dass in einem offenen System Fehlinvestitionen oder auch temporäre kollektive evolutorische Sackgassen aufgrund eines „Herdenverhaltens“ nicht ausgeschlossen sind, wie das Beispiel von Strukturkrisen oder Finanzmarktkrisen hinlänglich belegt.5 Ebenso kann die Identifikation von neuen lohnenswerten Investitionsgelegenheiten von Phasen des Experimentierens und Abwartens begleitet sein, welche mit Fehlinvestitionen oder Faktormengenreduzierungen einhergehen. Die wirtschaftspolitischen Akteure könnten aus diesem Grund genügend Anlässe für ein vermeintliches Marktversagen finden, um eine korrigierende Innovationspolitik zu begründen. Dabei wird jedoch der Unterschied zwischen unternehmerischen Irrtümern als ubiquitärem Phänomen einer Marktwirtschaft und Marktversagen übersehen6: während im ersten Fall systemimmanente Anreize der Selbstkorrektur vorliegen, rechtfertigt nur Marktversagen das In-Betracht-Ziehen korrigierender politischer Maßnahmen.7 Die Risiken einer Innovationspolitik, welche über diese Unterscheidung hinweg sieht und unternehmerische Irrtümer mit Marktversagen gleichsetzt, sind evident: handelt eine intervenierende Wirtschaftspolitik ihrerseits unternehmerisch und berechnet Innovationschancen fehlerhaft, bleiben die ökonomischen Folgen der Fehlallokation knapper Ressourcen nicht auf Unternehmen beschränkt, sondern beeinträchtigen den Wohlstand in der gesamten Volkswirtschaft. s. z. B. Brunnemeier. Diese Überlegungen werden im Abschnitt III noch einmal aufgegriffen. 7 Damit sind allerdings noch nicht die Eingriffe selbst gerechtfertigt, da erst eine wirtschaftspolitische Nutzen-Kosten-Analyse erfolgen muss (s. u.). 5 6

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In institutioneller Hinsicht hängt das Funktionieren einer spontanen Ordnung von den zwei folgenden Voraussetzungen entscheidend ab: (1) dem Autonomieerfordernis: Die Entscheidungseinheiten müssen autonom bleiben, bei einer wahrgenommenen oder erwarteten Veränderung ihrer ökonomischen Handlungsumgebung Reallokationen vornehmen zu können; (2) dem Wettbewerbserfordernis: Die Entscheidungseinheiten dürfen ihre Handlungsumgebung nicht ihrerseits dadurch kontrollieren, dass sie die Entscheidungsautonomie anderer Marktteilnehmer in Form von künstlichen Wettbewerbsbeschränkungen begrenzen und auf diese Weise den ökonomischen Erfolg ihres Handelns sicherstellen. Der zweite Fall liefert eine Begründung für Staatseingriffe im Falle von wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen; denn aus der Perspektive einer evolutorischen Markttheorie müssen die Allokationsexperimente der Kontrollinstanz des Wettbewerbs ausgesetzt werden. Je mehr ein Akteur den Wettbewerb unter seine eigene Kontrolle bringt, indem er etwa mögliche Konkurrenten am Markteintritt oder Nachfrager am Wechsel zu günstigeren Anbietern hindert, desto eher büßt ein offenes System seine dynamische Qualität ein, neue Handlungsmöglichkeiten zu generieren. Dies kann auch durch staatliche Bevorzugung einzelner Leistungsanbieter geschehen, wenn diese einen privilegierten Zugang zu Fördermaßnahmen erhalten oder aus industriepolitischen Gründen von einer allgemeinen Anwendung der Wettbewerbsregeln ausgenommen werden (efficiency defense).8 Aus der Perspektive einer evolutorischen Markttheorie ist die Qualität des Systems, Neuerungen (als wichtigem Element von Ressourcenreallokation) dauerhaft hervorbringen zu können und deren ökonomischen Wert systemendogen zu überprüfen, höher zu gewichten als die temporäre Beschleunigung einer aktuellen Technologierichtung, welche von einem wettbewerbsbeschränkenden, aber ressourcenstarken Unternehmen („global player“) unter Umständen erwartet werden kann. Die Kontrolle durch Wettbewerb ist deshalb auf Permanenz zu stellen. Allerdings setzt dies generell die politische Bereitschaft voraus, auf etwas Bekanntes zugunsten einer abstrakten Systemeigenschaft – dem Innovationswettbewerb – zu verzichten. Es wiederholt sich hier ein altbekanntes Problem des klassischen Liberalismus, namentlich in seiner evolutorischen Variante, dass er die allokative Form wachsenden Wohlstandes durch Strukturwandel ex ante als unbekannt ausweisen muss, weshalb er sich leicht ideologischen Verdächtigungen aussetzt: wenn die Allokationsmuster einer prosperierenden Wirtschaft erst zu entdecken sind, muss die Wirtschaftspolitik ihre Eingriffsoptionen auf das Entdeckungsverfahren umstellen und kann dessen Vorzugswürdigkeit nicht ex ante anhand von noch unbekannten Ergebnissen „beweisen“. Ich möchte die Implikationen für die Wettbewerbspolitik hier nicht weiter konkretisieren, sondern mich der erstgenannten institutionellen Voraussetzung zuwenden. Die Perspektive einer evolutorischen Markttheorie erneuert die Forderung des 8 Eine Kritik an der europäischen Wettbewerbspolitik und ihrer Instrumentalisierbarkeit für industriepolitische Zwecke liefert Streit.

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klassischen Liberalismus nach wirtschaftlichen Freiheitsrechten. Die Begründung stützt sich jedoch nicht mehr auf natürliche Rechte wie etwa bei Locke oder Nozick, sondern auf die zu bewahrende Qualität eines offenen Systems, erwartete Knappheiten zu erkennen und Ressourcen friktionsarm realloziieren zu können.9 Der daraus ableitbare Forderungsgehalt an Institutionen für privatwirtschaftliches Handeln bestimmt die eine Seite einer Trade-off-Beziehung für staatliche Regulierungstätigkeit, deren andere Seite aus der staatlichen Schutzfunktion für Individuen hervorgeht. Jede Veränderung der ökonomischen Handlungsumgebung kann die Rationalität vergangener Allokationsentscheidungen in Frage stellen und eine Anpassung von Plänen erforderlich machen. Die Möglichkeit dazu besitzen Entscheidungseinheiten aber nur dann, wenn sie nicht institutionell an Entscheidungen aus der Vergangenheit gebunden sind und dadurch an Planrevisionen gehindert werden. Bindend sollten allein die freiwillig eingegangen Verträge sein. Auf diese Weise bleiben die Folgen für ökonomische Entscheidungen internalisiert: Könnten Entscheidungseinheiten vorzeitig aus Verträgen „aussteigen“, würden sie die ökonomischen Risiken auf die andere Vertragsseite abwälzen; dies wiederum hätte negative Anreizfolgen für die Suche nach Informationen über die zu erwartenden Folgen eingegangener vertraglicher Verpflichtungen. Darüber hinaus aber würde die Ordnungsqualität einer Privatrechtsgesellschaft insgesamt erodieren, wenn Verträge lediglich unverbindliche Willensbekundungen wären und die ökonomisch Handelnden keine Erwartung mehr besäßen, dass Verträge einzuhalten sind. Die Verpflichtung der Einhaltung von Verträgen setzt einen Anreiz, Informationen hinsichtlich der erwartbaren Handlungsumgebungen zu sammeln, die eine vertragliche Bindung subjektiv rational machen. Auf diese Weise erhöht sich tendenziell die Qualität der individuell verfügbaren Information, auf deren Grundlage Verträge geschlossen werden. Eine darüber hinaus gehende externe Restriktion der Entscheider an ihre früheren ökonomischen Erwartungen kann jedoch negative Systemfolgen hervorrufen, wie sich am Fall des Kündigungsschutzes exemplifizieren lässt: So mag der Gesetzgeber eine als schwach befundene Vertragsseite (die Arbeitnehmer) durch Verpflichtung der Gegenseite auf unbestimmte Fortführung des Arbeitsvertrags schützen wollen, auch wenn ökonomische Umstände eingetreten sind, welche gegen die Fortführung der vertraglichen Beziehung sprechen. Die ökonomischen Risiken einer fehleingeschätzen ökonomischen Lagebeurteilung werden dadurch dem Arbeitgeber zugewiesen. Da er mit der ihm auferlegten Verpflichtung auf eine politisch vorgegebene Dauerhaftigkeit eines Arbeitsvertrags ein erhöhtes ökonomisches Risiko trägt, beschränkt der Gesetzgeber seine Handlungsautonomie, auf veränderte ökonomische Umstände reagieren zu können. Abgesehen davon, dass ihn dies zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der „Qualität“ von Arbeitnehmern veranlassen wird – mit der Folge einer Benachteiligung von Gruppen, die ihre Vorzugswürdigkeit nur schlecht signalisieren können – steigt damit das ökonomische 9

Vgl. Nozick und Locke.

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Risiko jeder zusätzlich eingegangenen arbeitsvertraglichen Verpflichtung. Unternehmen werden deshalb entweder auf Arbeitsverträge ausweichen, deren Risiken sich leichter einschätzen lassen, oder mehr Informationen über das künftige ökonomische Handlungsumfeld suchen oder die langfristige Bindungswirkung von Verpflichtungen vermeiden. Hall / Soskice haben in ihrer komparatistischen Analyse von Kapitalismen festgehalten, dass die (von ihnen etwas missverständlich genannten) „koordinierten Kapitalismen“ mit hohem Kündigungsschutz für Arbeitnehmer die Unternehmen entmutigen können, hoch innovative Produkte zu vermarkten. Die in diesen Märkten nur schwer abschätzbaren ökonomischen Absatzerfolge bürden das ökonomische Risiko einseitig dem Unternehmen auf; im Falle von Umsatzeinbußen entsteht aufgrund der Verpflichtung auf Fortsetzung von Arbeitsverträgen ein Kostenblock, der dem Unternehmen das Durchstehen einer Absatzkrise erschwert. Die Autoren argumentieren, dass sich die Firmen in solchen institutionellen Regimen aus hochriskanten Unternehmungen zurückziehen werden und in leichter abschätzbare ökonomische Risikobereiche ausweichen.10 Diese sind durch Folgeinnovationen in Spezialmärkten mit gut ausgebildeten Fachkräften charakterisiert. Für technologische Durchbrüche in der ersten Phase sind jedoch institutionelle Regime besser geeignet, welche die ohnehin hohen ökonomischen Risiken nicht durch politische Auflagen zusätzlich belasten.11 Diese Argumente bleiben auch im Falle regulatorischer Eingriffe zugunsten des Verbraucherschutzes relevant, auch wenn in diesem Fall konventionelle Marktversagensargumente zu berücksichtigen bleiben (s. u.). A priori stellt die mögliche Besserstellung von Verbrauchern durch staatlich vorgegebene Qualitätsniveaus noch nicht per se ein Argument für staatliche Eingriffe dar, wenn vor dem Hintergrund einer evolutorischen anstatt stationären Markttheorie argumentiert wird. Zwar können Verbraucher die angebotene Produktqualität im Falle von Erfahrungsgütern zu ihrem Nachteil fehleinschätzen. Eine Theorie der Regulierung muss jedoch einbeziehen, dass die mögliche Unzufriedenheit der Verbraucher den Qualitätswettbewerb antreibt und bereits die Möglichkeit überlegener Angebote durch Konkurrenten eine präventive Wirkung entfaltet. Qualitätsverbesserungen stellen ein Leistungsmerkmal dynamischer Märkte dar, weshalb eine staatliche Regulierungstätigkeit mit anderen Argumenten als der temporären Unzufriedenheit der Verbraucher gestützt werden muss. Solche liegen sicherlich bei hohen Schutzgütern wie der menschlichen Gesundheit oder der natürlichen Umwelt vor. Auch wenn selbst in diesen Fällen eine Verbesserung privater Leistungsangebote durch Wettbewerb zumindest erwartet werden kann, würde man die individuellen Kosten eines Trial-and-Error-Prozess als prohibitiv hoch ansetzen und eine Abkürzung fordern. Die oben vorgetragenen Vorbehalte gegen eine staatliche Regulierungstätigkeit, welche die Innovationsoffenheit Vgl. Hall / Soskice, S. 1 – 68; kritisch hierzu Allen. Auch Lohnnebenkosten wirken in die gleiche Richtung. Sie definieren eine Wertschöpfungsschwelle, die am Markt erzielt werden muss, unabhängig vom Erfolg des Unternehmens und setzen darum eine Anfangshürde. 10 11

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bewahren will, bleiben jedoch auch in diesen Fällen gültig. Verpflichtet etwa eine Regulierung Private auf bestimmte Handlungsalternativen in Form von Techniken, die nach gegenwärtig bekannten Wissen den Regulierungszweck am besten erfüllen, so kann sie die Anpassungsfähigkeit auf veränderte Umstände restringieren und einen wohlstandsgefährdenden Kostendruck erzeugen. Jede Handlungsbeschränkung zur Erfüllung eines Regulierungszwecks von hoher gesellschaftlicher Priorität konkurriert mit der anhaltenden Notwendigkeit, Ressourcen an veränderte Knappheitsrelationen anzupassen. Eine mögliche wirtschaftspolitische Antwort besteht darin, dass die Regulierer im Falle absoluter Schutzziele den Zweck der Regulierung in operationalisierter Weise formulieren und verbindlich machen. Besteht die Erwartungssicherheit, dass sich die Regulierer auf den kommunizierten Regulierungszweck beschränken, kann eine Suche nach kostensparenden Handlungsalternativen zur Erfüllung des Regulierungszwecks einsetzen. Dies ist der Hindergrund für das „Performance-Prinzip“, welches die Europäische Kommission in ihrer Regulierungspolitik mit ihrer Hinwendung zum „Neuen Ansatz“ Mitte der achtziger Jahre zu Grunde gelegt hat.12 Eine Voraussetzung für eine solchermaßen innovationsförderliche Regulierung besteht darin, dass sich der Regulierungszweck in einer technikunabhängigen Weise definieren lässt, ohne dass Nachregulierungen erforderlich werden. Nur in diesem Fall können die Unternehmen in ihrer Suche nach neuen Techniken selbst abschätzen, ob die Resultate ihrer Entwicklungsvorhaben in den Verkehr gebracht werden dürfen, und können ihre Innovationssuche danach ausrichten. III. Institutionen, Transaktionskosten und Innovationswettbewerb Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Innovationsoffenheit eines ökonomischen Systems grundsätzlich von institutionellen Voraussetzungen abhängt; die Referenz für einen Innovationswettbewerb bildet somit nicht, wie es verbreiteten Auffassung über den „freien Markt“ entspricht, der institutionenfreie Markt.13 Am Beispiel der Wettbewerbsregeln zur Sicherung der Kontrollinstanz des Wettbewerbs für private Allokationsentscheidungen wird die Notwendigkeit einer Verhaltensbegrenzung zur Förderung des Innovationswettbewerbs besonders deutlich. Im weiteren Teil möchte ich die Rolle von Institutionen für die Innovationsoffenheit eines marktwirtschaftlichen Systems unter dem Gesichtspunkt von Informationskosten erörtern, da sich hier zumindest Ansatzpunkte einer innovationsförderlichen Regulierung aufzeigen lassen. Auch hier zeigt sich, dass Institutionen nicht einseitig als Behinderung eines Innovationswettbewerbs betrachtet werden dürfen. 12 Zu den Anwendungsproblemen einer technikneutralen Regulierung vgl. den Beitrag von Roßnagel in diesem Band. 13 Wohl erst North hat die Erkenntnis wiederbelebt, das „freie Märkte“ institutionenkontingente Phänomene darstellen.

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Vielmehr lässt sich aus der Perspektive einer evolutorischen Markttheorie ein ambivalenter Einfluss rekonstruieren, der in seiner Nettowirkung Beschleunigungseffekte und Behinderungen von verhaltensbegrenzenden Institutionen umfasst. Eine entwicklungsfördernde Regulierungspolitik erscheint darum grundsätzlich möglich, allerdings bestehen Zweifel an der generellen Verfügbarkeit des erforderlichen regulierungspolitischen Lenkungswissens, um das Ziel der Innovationsförderung für die Regulierer erreichbar zu machen. Im Innovationswettbewerb entstehen in besonderem Maße Transaktionskosten, welche die Koordinationsleistung der Märkte beeinträchtigen und auf die Intensität und den Verlauf des Innovationswettbewerbs einwirken. Daraus darf jedoch nicht vorschnell auf einen Marktversagenstatbestand geschlossen werden, weil die Koordinationsprobleme dem Innovationswettbewerb einerseits inhärent sind, andererseits aber marktendogene Anreize zu ihrer Überwindung setzen. Letzteres muss ins Kalkül gezogen werden, bevor Möglichkeiten einer innovationsfördernden Regulierung in Betracht gezogen werden. Innovationswettbewerb nimmt seinen Ausgangspunkt durch das Verhalten der Nachfrager, welche neue Leistungsangebote hinsichtlich Preis und Qualität vergleichen und daraufhin eine Kaufentscheidung treffen. Ohne die Bereitschaft der Nachfrager, über neue Angebotsalternativen Informationen einzuholen, kann ein Innovationswettbewerb nicht in Gang kommen, gleichviel, ob die Neuerungen „objektiv“ geeignet sind, das Wohlfahrtsniveau der Nachfrager zu steigern. Gerade dynamische Märkte von hoher Produktvielfalt, ständigen Veränderungen von technologischen Ausstattungen und Preisunterbietungen durch vorstoßende Wettbewerber lassen für die Nachfrager entsprechend hohe Informationskosten zur Erlangung einer Marktübersicht entstehen. In dieser Situation kann der Verzicht auf kostspielige Informationen rational sein, wenn die erwartete Wohlstandserhöhung durch Kenntnis besserer Angebote die dabei aufzuwendenden Informationskosten aus Sicht der Nachfrager nicht rechtfertigt. Der Verweis auf die „objektiv“ vorhandene Chance einer Wohlfahrtserhöhung ist für die Nachfrager irrelevant, da sie aus der Situation von Unkenntnis nur Erwartungen für ihr Entscheidungsverhalten zugrunde legen können. So kann ein routinemäßiges Kaufverhalten und der Verzicht auf den Kauf von Innovationen aus Beobachtersicht irrational erscheinen, während sich die Entscheider aus den ihnen verfügbaren Informationen und Erwartungen subjektiv rational verhalten: mangels Informationen präferieren sie den Verzicht auf weitere Informationssuche in einer dynamischen Marktumgebung, weil die dabei anfallenden Kosten höher eingeschätzt werden als die durch neue Produktqualitäten und günstigere Preise erzielbaren Wohlfahrtsgewinne (Streit / Wegner). Damit aber entscheidet bereits das Nachfragerverhalten über das Entstehen vonInnovationswettbewerb.14 Experimentierfreudige Nachfrager hegen hohe Erwar14 Die auf Schumpeters Innovationstheorie zurückgehende Vernachlässigung der Nachfrageseite für den Innovationswettbewerb wird erst zögerlich überwunden. Einen Beitrag hierzu leistet Witt (2001).

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tungen über Wohlstandsgewinne durch neue Angebotsleistungen und sind zu einer entsprechenden Verausgabung von Informationskosten bereit. Dementsprechend erhalten innovative Anbieter die Chance, dass ihre Leistungsangebote überhaupt zum Gegenstand von Nutzen / Kosten-Abwägungen der Nachfrager werden. Im entgegengesetzten Fall niedriger Wohlstandserwartungen durch neue Angebote im Vergleich zu den aufzuwendenden Informationskosten errichtet das entsprechende routinemäßige Kaufverhalten von Nachfragern eine natürliche Marktzutrittsschranke für Innovatoren. Insbesondere auf Märkten mit hohem Innovationspotential kann dem Informationsverhalten der Nachfrager entscheidende Bedeutung für die Entfaltung eines Innovationswettbewerbs zukommen. Ein (subjektiv rational begründbares) Routineverhalten, welches sich auf bekannte Anbieter und Leistungen beschränkt, kann unintendiert leistungsschwächeren Anbietern zugute kommen und bereits die Initiierung des Innovationswettbewerbs ersticken. Gerade in solchen Fällen, in denen die Nachfrager noch keine Marktbeziehungen aufgenommen haben – also im Falle neuer Produkte von Newcomern oder auch gebietsfremden Anbietern – können mangels Kenntnis der Nachfrager Wohlfahrtsgewinne ausbleiben. Je größer die Qualitätsvielfalt von angebotenen Neuerungen und je geringer die Erfahrung der Nachfrager, desto intransparenter werden die Märkte und lassen den Transaktionskostenpegel ansteigen. Angebotsleistungen, welche voll informierte Nachfrager kaufen würden, können sich mangels ausreichenden Wissens nicht am Markt durchsetzen oder bleiben unentdeckt. Entsprechend leidet die Koordinationsleistung der Märkte, da die Marktsignale für die Anbieter von Neuerungen mehrdeutig werden. Fallen die Absatzerfolge hinter den Erwartungen zurück, bleibt für die Anbieter zunächst offen, ob die Kaufzurückhaltung der Nachfrager in mangelnder Information über die Produktqualität begründet liegt oder in einer Fehlanpassung des Angebots an die Zahlungsbereitschaft. Ohne eine solche Information bleibt für die Anbieter unklar, in welcher Weise sie ihr Verhalten korrigieren müssen, um ihre Gewinnerwartungen zu erfüllen. Im ersten Fall stellt sich die Notwendigkeit verbesserter Informationen der Nachfrager, im zweiten Fall wäre das Angebot hinsichtlich Preis oder Qualität zu verändern oder an spezielle Kundengruppen anzupassen; dies schließt den Fall ein, dass die Unternehmen eine nicht erfolgreiche Neuerung gänzlich vom Markt nehmen und stattdessen eine Folgeinnovation testen. Diese Kontrollwirkung des Wettbewerbs für das Angebotsverhalten erfährt eine Einbuße, da die Nachfrager ihre Kontrollfunktion nicht ausüben, sei es aus Gründen kognitiver Überlastung in einem unübersichtlichen Markt, sei es aus mangelnder Bereitschaft, in die Informationsbeschaffung zu investieren.15 Ein eingeschränkter Innovationswettbewerb kann zu regulatorischen Eingriffen Anlass geben, wie auch in der neueren Literatur bisweilen gefordert wird.16 Aller15 Dieser Effekt konnte in den Monaten nach der Deregulierung der Telekommunikation in Deutschland beobachtet werden. Für eine Weile blieben die Kunden ihrem bisherigen Monopolisten, der Deutschen Telekom, nur deshalb treu, weil das Vielfalt von Telefontarifen durch neue Wettbewerber unüberschaubar war.

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dings leidet die Literatur an einer mangelnden Unterscheidung zwischen Marktunvollkommenheiten einerseits und Marktversagen andererseits; oft werden beide Phänomene miteinander vermischt, um die aus dem Marktversagensfall abzuleitenden wirtschaftspolitischen Schlüsse auch auf Marktunvollkommenheiten anwenden zu können.17 Unter Marktunvollkommenheiten lassen sich unausgeschöpfte Wohlfahrtsgewinne verstehen, die grundsätzlich marktendogen realisierbar sind, falls Unternehmer die Chance erkennen und durch Einzelhandlungen oder in Kooperation mit anderen Marktteilnehmern (Unternehmern) tätig werden. Marktunvollkommenheiten sind kontingenter Natur, Marktversagen hingegen bezeichnet die Verfehlung eines Wohlfahrtsoptimums aus systematischen Gründen; Fehlanreize machen seine Realisation unmöglich, weil einzelwirtschaftliche sowie kollektive Rationalität auseinanderfallen. Der beschriebene Fall eines verzögerten Innovationswettbewerbs stellt eine Marktunvollkommenheit dar; offen bleibt jedoch, ob es sich darüber hinaus auch um Marktversagen handelt, welches regulatorischer Eingriffe rechtfertigt. Ich möchte zunächst das Argument für Regulierungseingriffe durchspielen und dann auf seine Voraussetzungen kritisch hinterfragen: Zu denken ist in erster Linie an eine Qualitätsregulierung zugunsten der Verbraucher. Diese kann das Ziel verfolgen, die Gesundheit der Verbraucher oder die Umwelt zu schützen oder weitere absolute Schutzziele betreffen. Im zweiten Fall gilt das Regulierungsziel dem Schutz der Verbraucher vor Schädigungen oder der Zurückdrängung negativer externer Effekte und findet seinen Rechtfertigungsgrund in konventionellen Marktversagenstatbeständen. Im ersten Fall werden meritorische Gründe für das In-Verkehr-Bringen von Produkten (und Diensten) Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Qualität geltend gemacht. In beiden Fällen erhöht die Regulierung die Markttransparenz und entlastet die Nachfrager von Kosten des Wissenserwerbs. Daraus kann eine wettbewerbserschließende Wirkung der Qualitätsregulierung erwachsen. Anders als im oben skizzierten Szenario prohibitiver Transaktionskosten können sich die Nachfrager auf den Informationsgehalt der Regulierungen in ihren Kaufentscheidungen stützen. Dies öffnet den Wettbewerb in einer Hinsicht, als auch Newcomer durch ihren Markteintritt zugleich ein Qualitätssignal aussenden können. Die Regulierungsumgebung entlastet die Nachfrager von eigenen Informationskosten, da sie von dem regulierten Angebot zugleich auf gesetzlich definierte Produktqualität rückschließen können. Kennzeichnungspflichten, Sicherheitsvorschriften, Gesundheitsprüfungen oder Regulierungen zum Zwecke eines „hohen Niveaus des Verbraucherschutzes“ können das Vertrauen in neue Produkte Für eine Übersicht der Argumente vgl. Blind (2004), S. 40 ff. In der Literatur werden beide Begriffe synonym verwendet, was vor dem Hintergrund der allgemeinen Gleichgewichtstheorie als theoretischem Referenzrahmen für Marktkoordination auch sinnvoll ist. Für eine evolutorische Markttheorie, die hier zugrunde gelegt wird, ergibt sich durch die Unterscheidung zwischen Marktunvollkommenheiten und Marktversagen eine wichtige, auch wirtschaftspolitisch bedeutsame Differenzierung. 16 17

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erhöhen und intensivieren zugleich den Wettbewerb innerhalb des zugelassenen Qualitätsspektrums. Bereits die Regulierungsliteratur der 80er Jahre hat die ambivalente Wirkung von Regulierungen auf Innovationen hervorgehoben und in der informationserhöhenden Wirkung von Regulierungen einen gewissen positiven Effekt auf den Innovationswettbewerb eingeräumt.18 Auch in jüngeren Arbeiten wird mit dem Hinweis auf erhöhte Markttransparenz ähnlich argumentiert (Blind 2003). Allerdings bleibt das Argument für eine positive Rolle der Regulierungstätigkeit in zweierlei Hinsicht unvollständig: (1) Indem Regulierungen das Qualitätsspektrum reduzieren, beschränken sie zugleich die Handlungsfreiheit der Anbieter. Damit beschränkt sie angebotsseitig den Innovationswettbewerb, was gegen die erhöhte Markttransparenz mit ihrem für sich genommenen positiven Effekt auf den Innovationswettbewerb abzuwägen bleibt. Aus Handlungsbeschränkungen der Anbieter resultieren Wohlfahrtsbeeinträchtigungen, wenn die Regulierungen die Präferenzen eines idealtypisch gedachten voll informierten Nachfragers verfehlen. Dies ist deshalb zu erwarten, weil die Qualitätspräferenzen der Nachfrager im Allgemeinen heterogen sind, staatliche Regulierer jedoch ein einheitliches Qualitätsniveau für alle Verbraucher festlegen müssen. Orientieren sich die Regulierer an einem möglichst hohen Schutzniveau, wie dies den Verbraucherschutzzielen der Europäischen Union entspricht, erfahren Nachfragergruppen mit Präferenzen für niedrigere Produktqualität einen Verlust an Konsumentenrente (Wohlfahrt). Nachfrager oder eine Gruppe von Nachfragern könnten eine herabgesetzte Qualität von Produkten und Diensten aufgrund günstigerer Preise bevorzugen. Sind keine absoluten Schutzgüter wie Sicherheit oder Gesundheit beeinträchtigt, entfallen Rechtfertigungsgründe für eine meritorisierende Regulierung. In diesem Fall behindert die Regulierung in wohlfahrtsmindernder Weise die Koordination der Märkte, weil Anbieter unterhalb des vorgegebenen Regulierungsniveaus trotz Absatzchancen vom Markt ferngehalten werden. Die Regulierung von Schadensersatzpflichten bei Flugdienstleistungen verdeutlicht die Relevanz von heterogenen Präferenzen der Nachfrager. So mag die Kundengruppe von berufstätigen Eltern eine hohe Präferenz für die zuverlässige Leistungserbringung von Flugdienstleistungen haben, weil Flugzeitverschiebungen mit beruflichen Verpflichtungen unvereinbar sind. Entsprechend ist diese Kundengruppe zu einem Preisaufschlag für zuverlässige Leistungserbringung bereit. Demgegenüber können andere Nachfragergruppen (z. B. Nichtberufstätige) eine vorrangige Präferenz für niedrige Preise haben und das geringe Risiko einer Überbuchung von Flugreisen – mit entsprechenden Verschiebungen der Flugzeiten – zu zahlen bereit sein, weil der günstige Flugpreis höher wiegt als die Einbuße an Zuverlässigkeit. Die Verpflichtung der Fluggesellschaften auf hohe Schadensersatzpflichten bei Unpünktlichkeit (mit der Folge von Preisaufschlägen) begünstigt die erst genannte Kundengruppe zulasten der zweiten.

Eine Regulierung zum Schutz der Verbraucher auf einem hohen Regulierungsniveau beeinträchtigt auf doppelte Weise das Wohlfahrtsniveau. Die Reduzierung 18

Vgl. hierzu exemplarisch Lohmann und Golz.

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von Angebotsvielfalt trotz Zahlungsbereitschaft für ausgeschlossene Produktqualitäten vermindert für eine Gruppe von Nachfragern die Wahlmöglichkeiten und setzt ihre Wohlfahrt herab. Dieser Effekt wirkt empirisch umso stärker, je mehr die Qualitätspräferenzen streuen, die Regulierer sich jedoch an einem hohen Niveau für Regulierungen orientieren. Zum anderen entfällt auf dem durch die Regulierung ausgeschlossenen Marktsegment künftiger Preis- und Kostenwettbewerb, womit für diese Kundengruppe ein wohlfahrtsstiftender Innovationspfad abgeschnitten wird. Eine meritorisierende Begründung von Verbraucherschutzregulierungen auf hohem Niveau bevormundet die Verbraucher („Qualität hat eben ihren Preis“) und verlangt ihnen Preise ab, welche sie freiwillig nicht zahlen würden, ohne dass Marktversagensargumente solche restriktiver Regulierungen begründen könnten. Entgegengesetzte empirische Befunde einer Vereinbarkeit von Regulierung und Innovation besagen insofern nicht viel mehr, als dass Regulierungen den Innovationswettbewerb grundsätzlich nicht ausschließen, sondern stets auf ein von außen vorgegebenes Feld begrenzen und die durch Regulierungen ausgeschlossenen Innovationen definitionsgemäß unbeobachtbar bleiben. Auch in hoch regulierten Märkten werden somit stets Innovationen zu registrieren sein, was die innovationsbegrenzende Gesamtwirkung von Regulierungen aber nicht in Frage stellt – abgesehen davon, dass der Wohlfahrtsverlust von verhinderten Innovationen schwerer wiegen kann als der Wohlfahrtsgewinn zugelassener Innovationen. (2) Die Forderung nach externen (vom Gesetzgeber veranlassten) Regulierungen vernachlässigt die Alternative marktendogener Formen zur Herstellung von Markttransparenz: freiwillige Selbstregulierungen der Anbieter sowie private Informationsdienstleister tragen zur Markttransparenz bei, ohne dass der Gesetzgeber die Handlungen der Anbieter beschränken muss, womit ein größeres Maß an Varietät zugelassen bleibt. In der Neuen Institutionenökonomik wird von inneren Institutionen gesprochen, welche eine Selbstbindung der Marktteilnehmer darstellen und aus ihrem Eigeninteresse heraus generiert werden (Kasper / Streit). Freiwillige Selbstregulierungen können zum einen die Selbstverpflichtung umfassen, über die Produktqualität in einer überprüfbaren Weise zu informieren, so dass Nachfrager eine an ihren Präferenzen orientierte Kaufentscheidung treffen können. Zum anderen können Anbieter das Vertrauen in die Qualität ihres Angebots dadurch zu stärken versuchen, dass sie freiwillige (über gesetzliche Vorgaben hinausgehende) Kompensationen bei Nichterfüllung von Leistungen oder Unzufriedenheit von Kunden anbieten. Gegenüber staatlich auferlegten Kompensationspflichten bietet die freiwillige Selbstregulierung den Vorteil, dass Art und Umfang der Kompensation selbst zu einem Wettbewerbsparameter werden kann.19 Eine stärkere Form der Selbstbindung stellt die Standardisierung und Normierung von Produktqualitäten unter Einhaltung von Mindeststandards dar. Kommt ein Marktaustausch man19 Vgl. hierzu Wieland, der aufzeigt, wie in den USA Unternehmen in einen Wettbewerb um Kompensationsleistungen eingetreten sind, womit eine Unternehmensethik auf den Weg gebracht worden ist.

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gels asymmetrischer Information nicht zustande, besitzen Anbieter ein Eigeninteresse, die Qualität ihrer Produkte glaubwürdig und überprüfbar zu signalisieren, z. B. in Form von Zertifizierungen und freiwilligen Standards. Dabei können wiederum anspruchsvolle Koordinationsaufgaben zwischen Anbietern zu lösen sein, weil die Informationen als Clubgut zu produzieren sind, was mit oft langwierigen Verhandlungen zwischen den Anbietern und entsprechenden Koordinations- und Kontrollkosten einhergehen kann. Die innovationsökonomische Literatur berichtet im Falle von Unternehmenskooperationen von zeitaufwendigen Prozessen der Standardisiserung, insbesondere wenn eine Vielzahl von Unternehmen beteiligt sind.20 Wenn Anbieter jedoch einen Anreiz haben, sich einen neuen Markt zu erschließen, kann die Lösung dieser regulatorischen Koordinationsaufgabe grundsätzlich von Privaten erwartet werden; folglich besteht kein staatlicher Interventionsbedarf. Diese private Lösung bietet gegenüber einer externen Regulierung den Vorteil, dass die Anbieter wissen, welche Kosten unterschiedlichen Qualitätsstufen von Regulierungen zugeordnet sind, so dass sie dieses Wissen in den Selbstverpflichtungen unmittelbar einbringen können. Im Falle staatlichen Regulierens bleiben sie hingegen dem begrenzten Lenkungswissen der Regulierer und einem entsprechenden Kostenrisiko ausgesetzt.

IV. Präemptive Regulierung als theoretischer Grenzfall Damit sind Argumente dafür benannt, dass innovationsoffene Märkte einerseits auf Regulierungen zum Zwecke der Markttransparenz angewiesen sind, andererseits der Regulierungsbedarf in dieser Hinsicht keine staatliche Tätigkeit rechtfertigt, da hiervon Innovationsrisiken ausgehen. Daraus ist zu schlussfolgern, dass staatliche Regulierungen auf Marktversagenstatbestände begrenzt werden sollten und nicht zur temporären Überwindung von Marktunvollkommenheiten eingesetzt werden sollten, um den Innovationswettbewerb zu stimulieren. Dem möglichen Vorteil einer schnelleren Gewinnung von Markttransparenz steht der Nachteil einer Fehlangepasstheit solcher Regulierungen an Präferenzen der Nachfrager und Kostenstrukturen der Anbieter gegenüber. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass eine staatliche Regulierungsmaßnahme im Einzelfall eine wettbewerbserschließende Wirkung entfalten kann und den marktendogenen Prozess der Hervorbringung von inneren Institutionen abzukürzen vermag. In einem solchen Fall wirken sich die Folgen eine Fehlanpassung von Regulierungen geringer als theoretisch vorhergesagt aus. Ich möchte hier von einer präemptiven Regulierung sprechen. Dieser Fall beschreibt die Vorwegnahme von in20 Vgl. hierzu die Studie von Gerybadze über die Einführung einer Computertechnik im Automobilbau durch Zulieferfirmen unter der Federführung der Firma Bosch. Erst in einem zehnjährigen Koordinationsprozess konnten die Technologiestandards identifiziert werden, welche auf Akzeptanz bei den Automobilherstellern führten und letztlich zu einer Monopolstellung der innovativen Technik führten.

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neren Institutionen durch eine staatliche Regulierungstätigkeit, ohne dass sich Wohlfahrtsverluste aufgrund von Überregulierungen in der oben dargestellten Form einstellen müssen. Präemptive Regulierung kann in verschiedenen Szenarien stattfinden, von denen hier nur zwei genannt werden sollen: (1) Zum einen können staatliche Regulierungen ein höheres Verbraucherschutzniveau vorschreiben, als dies den Zahlungsbereitschaften entspricht. Da Produktqualität aber ihrerseits häufig ein superiores Gut darstellt, kann sich der Wohlfahrtsverlust für Bezieher niedriger Einkommen im Zuge eines langfristigen Einkommensanstiegs und / oder eines Präferenzenwandels zugunsten von Produktqualität im Laufe der Zeit abbauen. Steigt bei Nachfragern die Zahlungsbereitschaft für qualitativ höherwertige Produkte langfristig an, entsteht durch den Marktauschluss von preiswerteren Produkten mit niedrigerer Qualität nur ein vorübergehender Wohlstandsverlust in der davon betroffenen Gruppe von Konsumenten. Empirisch relevant dürfte die präemptive Regulierung im Falle europäischer Verbraucherschutzregulierungen für die mittel-osteuropäischen Beitrittsländer der EU sein. (2) Zum anderen können Regulierungen die Ergebnisse eines Innovationsprozesses vorwegnehmen, der sich als Folge des Wettbewerbs in Zukunft ergeben haben könnte. Ein Beispiel stellen die Initiativen der Europäischen Kommission zur Schaffung eines einheitlichen bargeldlosen Zahlungsverkehrs im Euroraum (SEPA) dar.21 Die Vorschrift, dass Banken im Euroraum keine höheren Überweisungsgebühren berechnen dürfen als für Überweisungen im Inland, stellt eine Preisintervention dar und ist somit dem klassischen Interventionismus zuzurechnen. Im Zuge der europäischen Integration ist jedoch auch eine Zunahme von Überweisungen innerhalb des Euroraumes zu erwarten, so dass Überweisungsgebühren in Zukunft zu einem Wettbewerbsparameter der Banken bei der Gewinnung von Kunden werden können. Im Verlauf eines solchen Prozesses steigt der Anreiz der Banken, die Kosten für Überweisungen im Euroraum zu senken und nach kostengünstigen Überweisungstechniken zu suchen. Auf diese Weise ist eine Annäherung der Kosten für Auslandsüberweisungen an denen des Inlandes zu erwarten, auch wenn der Endpunkt eines solchen Marktprozesses nicht zu einer Kostengleichheit führen dürfte. Die vergleichsweise geräuschlose Umsetzung der Regulierung der Europäischen Kommission zur Einführung von SEPA deutet darauf hin, dass die Banken einen in Zukunft geplanten Innovationsprozess vorgezogen haben, um den staatlichen verursachten Kostenblock aufzufangen.22 21 s. Verordnung (EG) Nr. 2560 / 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 12. 2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro, ABl. L 344 / 13 vom 28. 12. 2001. 22 Die empirische Bestätigung für diese Hypothese fällt einstweilen weniger eindeutig aus. Nach Auskünften von Bankenvertretern haben die Banken zum einen mit Quersubventionierungen reagiert, zum anderen ein Überweisungssystem eingeführt, dessen Kostenvorteile zur Zeit noch nicht erwiesen ist, da die Skalenvorteile von der gegenwärtig noch ungewissen Nutzungshäufigkeit durch die Bankkunden abhängen. Immerhin ist eine Infrastruktur für standardisierte Überweisungstechniken eingeführt worden.

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Diese Erklärungen helfen zu verstehen, warum die empirischen Befunde einer Behinderung von Innovationen durch Regulierungen weniger eindeutig als prognostiziert ausfallen oder Innovationen sogar mit Regulierungen koinzidieren können. Die Möglichkeit einer präemptiven Regulierung sollte jedoch nicht als Rechtfertigung für Regulierungstätigkeit ohne begründeten Verdacht von Marktversagen im theoretischen Sinne verstanden werden, da die Argumente hinsichtlich begrenzten Lenkungswissens der Regulierer bestehen bleiben.

V. Schlussfolgerungen Diese Überlegungen folgen dem komparatistischen Ansatz von Demsetz bei der Begründung von wohlfahrtsverbessernden staatlichen Maßnahmen. Der Ansatz begründet eine Abkehr vom bis dahin vorherrschenden Referenzkonzept des gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsoptimums und entwirft ein umfassenderes Abwägungsprinzip. Danach reicht es nicht hin, vermeintliche Wohlfahrtsdefizite auf Märkten als Begründung für wirtschaftspolitische Korrekturmaßnahmen anzusehen. Die Bedenken von Demsetz können hier wie folgt reformuliert und zu einer wirtschaftspolitischen Handlungsanweisung überführt werden: a) Analysiere im Falle von Wohlfahrtsdefiziten auf Märkten aufgrund von Unvollkommenheiten zunächst die marktendogenen Anreize für die Überwindung solcher Defizite (vgl. dazu die Ausführungen oben); b) Vergleiche daraufhin die Wissensgrundlagen sowie die Anreize der politischen Akteure, in wohlfahrtserhöhender Weise auf den Marktprozess einzuwirken und untersuche c) die endogenen Anreize des politischen Systems, Regulierungsfehler zu korrigieren und die Angepasstheit von Regulierungen in Zeitabständen zu überprüfen. Nach diesem Prinzip darf ein unvollkommener Markt nur mit unvollkommenen anstatt perfekten Staatshandeln verglichen werden, wobei unter „perfekt“ die Realisation des Gemeinwohls verstanden wird. In der Realität handelt es sich bei beiden gesellschaftlichen Koordinationsformen um unvollkommen arbeitende Systeme, deren Fehler berücksichtigt und miteinander verglichen werden müssen, um zu einer wohlbegründeten ordnungspolitischen Empfehlung zu gelangen. Dabei muss auf Seiten der staatlichen Regulierer das Problem mangelndem Lenkungswissen als Normalfall unterstellt werden. Zu dessen Überwindung müssen die politisch Handelnden hinreichend motiviert sein, sich das erforderliche Wissen zu beschaffen, wobei sie in der Regel auf das Wissen von Marktakteuren zurückgreifen. Dabei entstehen systematische Verzerrungen, weil wirtschaftspolitisch relevantes Wissen nicht interesseunabhängig existiert. Die Organisationsfähigkeit der Gruppen differiert, wobei in der Regel marktmächtige Anbieter über einen Angebotsvorteil in Bezug auf Informationsgrundlagen für Politiker und Beamte verfügen. Sie werden darum versuchen, eine Regulierungsmaßnahme zum Schutz

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ihrer Marktstellung einzusetzen und Konkurrenten fernzuhalten. Empirische Studien zur Regulierungstätigkeit im Auftrag der Europäischen Union bestätigen grundsätzlich diesen Befund und verweisen auf die Benachteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der Einflussnahme auf die Ausgestaltung von Produktregulierungen (Blind 2003). Daraus wird in der Studie von Blind bemerkenswerter Weise ein weiterer Anlass für staatliche Maßnahmen abgeleitet, nämlich für die Subventionierung des Lobbyismus von kleinen und mittleren Unternehmen zur Aufrechterhaltung einer countervailing power im Prozess der Ausgestaltung von Regulierungen. Abgesehen von demokratietheoretischen Bedenken gegen eine staatliche Subventionierung von Lobbyismus – und sei es zum Zwecke der Herstellung objektiver Informationsgrundlagen der Regulierer – sollte angesichts der Gefahr marktschließender Einflussnahmen auf die staatlichen Regulierer stets die Alternative privater Selbstregulierung geprüft werden. In diesem Fall kann allerdings erneut eine staatliche Aufgabe erwachsen, weil private Selbstregulierung durch Gruppen ebenfalls die Gefahr von Marktschließung in sich birgt.23 Der wirtschaftspolitische Lenkungsauftrag ist weniger auf die Abwendung temporärer Marktunvollkommenheiten auszurichten. Es kommt vielmehr darauf an, Regulierungen auf nachhaltige Innovationsoffenheit der Märkte einzustellen und temporäre Regulierungsfehler als Regelfall anzunehmen. Dies wendet den Blick auf die jeweiligen Anreize zur Fehlerkorrektur der mit Regulierungen betrauten Akteure, konkret auf die Frage, ob Wohlstandsbeeinträchtigungen aufgrund von Fehlregulierungen lediglich als diffuse gesellschaftliche Fernwirkung auftreten oder aber die eigene Interessenlage berühren, sei es als politisch Handelnder, sei es als Marktakteur. Erst die Antwort auf diese Frage gibt einen Hinweis darauf, in welcher Lernumgebung die Regulierer agieren, um aus den allfälligen Erfahrungen mit Regulierungsfehlern Schlüsse für eine gleichermaßen innovationsförderliche wie gemeinwohlzuträgliche Regulierung ziehen zu können.

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Regulierung als Einflussfaktor von Innovationen in der Telekommunikationswirtschaft* Von Torsten J. Gerpott I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Innovationen in der Telekommunikationswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Regulierung in der Telekommunikationswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Regulierung als Innovationsdeterminante in der Telekommunikationswirtschaft . . .

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1. Prinzipielle Analysestoßrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende wettbewerbliche Rahmenvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Regulierungsmaßnahmen für Festnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelne Regulierungsmaßnahmen für Mobilfunknetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Integration der Einzelbefunde in einem konzeptionellen Bezugsrahmen . . . . . . . . 106 III. Epilog: Relativierung der Relevanz von Regulierung für Innovationen auf TKMärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

I. Grundlagen 1. Innovationen in der Telekommunikationswirtschaft Zur Telekommunikationswirtschaft (TKW) rechnet man alle Unternehmen, die zum Zweck der Umsatzerzielung an unternehmensexterne Kunden selbst hergestellte oder zugekaufte Produkte oder (Dienst)Leistungen vermarkten, welche einen Transport von Zeichen (Sprache / Audio, alphanumerische Texte, Stand- oder Bewegtbilder) zwischen mindestens einem Sender und einem Empfänger (jeweils ein Mensch oder eine technische Einrichtung) unter Rückgriff auf nachrichtentechnische Signalübertragungs- und -vermittlungsverfahren weitgehend unabhängig von der räumlichen Entfernung der Interaktionspartner erlauben, also Telekommunikation (TK) möglich machen. Anbieterseitig wird die TKW typischerweise in drei Gruppen von Unternehmen weiter untergliedert (s. Gerpott 2006 [Kundenzufriedenheit]: 497): * Der Beitrag beruht auf einem Aufsatz, der in Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Sonderheft 54 / 2006 (Innovation und Institution, hrsg. von S. Albers): 133 – 153 veröffentlicht und für den vorliegenden Band zur Tagung „Innovationsfördernde Regulierung“ aktualisiert, in Teilen gestrafft sowie in Teilen erweitert wurde.

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– TK-Ausrüster, die Hardware-Elemente oder / und Software für TK-Netze und / oder -Endgeräte herstellen (z. B. Alcatel-Lucent, Ericsson, Microsoft, Nokia-Siemens, Oracle). – TK-Netz- oder -Systembetreiber, die Infrastrukturen aus vermittlungs- und übertragungstechnischen Systembausteinen konzipieren und nach deren Aufbau steuern, um selbst TK-Dienste für prinzipiell beliebige private Haushalte oder Unternehmen als Endkunden bereitzustellen und zu vermarkten oder / und um ihre Infrastrukturen anderen Unternehmen der TKW als Produktionsplattformen für deren TK-Leistungen gewerblich anzubieten (z. B. Deutsche Telekom, Arcor, O2 Germany). – TK-Diensteanbieter, die als (Groß-)Händler oder Wiederverkäufer (Reseller / Rebiller), ohne selbst die Funktionsherrschaft über TK-Vermittlungs- und -Übertragungseinrichtungen zu besitzen, TK-Dienste oder -Anschlüsse von TK-Netzbetreibern einkaufen, um sie dann auf eigene Rechnung und in eigenem Namen an Endkunden weiter zu vermarkten (z. B. Debitel, United Internet, Drillisch).

Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf TK-Netzbetreiber und -Diensteanbieter1, da sie wesentlich stärker als TK-Ausrüster von einer branchenspezifischen staatlichen Regulierung generell und im Hinblick auf ihr Innovationsmanagement im Besonderen betroffen sind. Innerhalb des betrachteten Bereichs der TKW ist zu unterscheiden zwischen etablierten Unternehmen (= „Incumbents“ / „Altsassen“) einerseits und alternativen Netzbetreibern / Diensteanbietern andererseits. Incumbents wie die Deutsche Telekom (DT) zeichnen sich durch national zumeist flächendeckende (Fest-)Netze, ein breites Diensteportfolio und hohe Kundenmarktanteile aus. Ihre starke Marktposition und -macht resultiert aus der Verleihung von in den meisten Industriestaaten bis Mitte der 1990er Jahre gültigen Monopolrechten beim Betrieb von Festnetzübertragungswegen und Angebot von Sprachtelefondienst über stationäre Anschlüsse für die Öffentlichkeit. Alternative Unternehmen haben demgegenüber erst mit der Öffnung von TK-Netz- und -Dienstemärkten für Wettbewerb damit begonnen, ein TK-Geschäft(sfeld) in Konkurrenz zum jeweiligen nationalen Ex-Monopolinhaber aufzubauen. Sie verfügen deshalb über im Vergleich zu Incumbents typischerweise kleinere (Fest-)Netze, weniger breite Angebotsprogramme und einen kleineren Kundenbestand. Sowohl der Incumbent als auch dessen alternative Wettbewerber erzielen in Industrieländern derzeit den überwiegenden Teil ihrer Umsätze mit Festnetztelefonanschlüssen sowie -sprachund -datenverkehr oder / und Mobilfunkanschlüssen und -sprachverkehr (s. BNetzA 2007 [Tätigkeitsbericht]: 283 – 285). Eine Analyse von Zusammenhängen zwischen Innovationen von TK-Unternehmen und sektorspezifischen Markteingriffen des Staates wird dadurch erschwert, dass „Innovation“ extensiv als positiv besetztes Schlagwort in Praxis und Wissenschaft verwendet wird, ohne dass dabei stets gleiche Vorstellungen dahingehend 1

Im Folgenden auch kurz als „TK-Unternehmen“ bezeichnet.

Regulierung und Innovationen in der Telekommunikationswirtschaft

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vorliegen, was inhaltlich mit dem Schlagwort gemeint ist. Folglich ist eine Präzisierung des eigenen Innovationsverständnisses eine notwendige Voraussetzung für eine differenzierte Untersuchung dieser Verknüpfungen. In Anlehnung an die allgemeine betriebswirtschaftliche Innovationsforschung werden hier Dienste, Produktionsmittel und Produktionsprozesse von TK-Unternehmen (also „Outputs“ von Innovationsprozessen) als Innovation klassifiziert, die das Unternehmen erstmals anbietet bzw. verwendet und die somit zumindest für diesen Anbieter, häufig aber auch für dessen Kunden, Wettbewerber oder Zulieferer zum Einführungszeitpunkt sich qualitativ von der früheren Situation unterscheiden (vgl. Bourreau / Dogan: 168; Hauschildt / Salomo: 3 – 29; Gerpott 2005 [Technologiemanagement]: 37 – 48). Neue Dienste von TK-Netzbetreibern richten sich direkt an private Haushalte oder Unternehmen als Endkunden. Neue Produktionsmittel i. S. von kompletten Netzen oder einzelnen Netzelementen können, müssen aber nicht, zu neuen TKDiensten führen, sondern können auch Kostensenkungen bei der Bereitstellung eingeführter TK-Dienste nach sich ziehen. Neue Produktionsprozesse beinhalten durch Investitionen in neue technische Systeme ermöglichte Veränderungen von arbeitsteiligen Abläufen, welche die Erbringung von Unterstützungsleistungen für die eigentlichen TK-Dienste betreffen (z. B. Auftragsmanagement, Rechnungsstellung, Netzüberwachung). Neben den eben angesprochenen naturwissenschaftlichtechnisch fundierten Leistungs- und Prozessinnovationen i. w. S.2 kann man auch neue Ausgestaltungen der über das eigentliche Absatzgut hinausgehenden drei weiteren Marketing-Instrumentalbereiche der Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik als Marketinginnovation in die Betrachtung von Beziehungen zwischen Innovation und Regulierung in der TKW einbeziehen. Bei der Analyse der Bedeutung sektorspezifischer Regulierung für die Entstehung und die Verbreitung technologischer und marketingbezogener Innovationen in der TKW sind drei branchenspezifische Besonderheiten von hoher Relevanz: – Erstens realisieren TK-Netzbetreiber die frühen Forschungs- und Entwicklungs(F&E-)Phasen von technologischen Innovationsprozessen zum größten Teil nicht selbst. Vielmehr werden F&E-Anstrengungen, die in Produkt- und Prozessinnovationen bei TK-Netzbetreibern münden (können), in der TKW primär von TK-Ausrüstern unternommen, die in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko an technischen Innovationen arbeiten, von denen sie sich versprechen, ihren zukünftigen Absatz von TK-Netzelementen und -Endgeräten an TK-Unternehmen zu verbessern (vgl. auch Götz, S. 9; Böhm: 388 – 390; Fransman: 22 – 24; Rao: 91 f.; Zanfei: 244 f.). Ein Indiz für diese „Arbeitsteilung“ in Innovationsprozessen der TKW sind die Unterschiede zwischen TK-Netzbetreibern und -Ausrüstern im Hinblick auf deren F&E-Intensität. So ist etwa dem Ge2 Prozessinnovationen i. w. S. umfassen sowohl die eben genannten neuen Produktionsmittel als auch die neuen Produktionsprozesse bzw. Prozessinnovationen i. e. S. S. Hauschildt / Salomo: 9.

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schäftsbericht des Altsassen DT für das Jahr 2006 zu entnehmen, dass sich dessen F&E-Aufwandsintensität (= F&E-Aufwendungen / Umsatz) auf 0,33 % belief, während die entsprechende Kennzahl bei den TK-Ausrüstern Siemens (Division „Information and Communications“) bzw. Nokia nach deren Geschäftsberichten im Jahr 2006 12,20 % bzw. 9,48 % betrug. – Zweitens sind die Zyklen in der TKW im Hinblick auf die Einführung neuer Dienste und Netze lang. Fundamentale Architekturinnovationen wie etwa der Wechsel von analogen Telefonanschlüssen zu digitalen Festnetzanschlüssen (ISDN) oder von analogen Mobiltelefondiensten zu GSM-Netzen der 2. und zu UMTS-Netzen der 3. Generation (vgl. Böhm: 88 – 92) finden nur selten in langen Zeitabständen von zehn und mehr Jahren statt. Dementsprechend wird die Umsatzstruktur von TK-Unternehmen heute und wohl auch in Zukunft regelmäßig durch Dienste / Anschlüsse dominiert, deren Vermarktungsbeginn schon länger zurückliegt (s. Götz: 5). – Drittens sind die Differenzierungspotenziale durch F&E-basierte technologische Innovationen für TK-Netzbetreiber und -Diensteanbieter im Vergleich zu anderen Branchen insofern eher überdurchschnittlich limitiert, als dass TK-Unternehmen bei ihren Angeboten und Produktionsmitteln auf deren Interoperabilität mit denen anderer Wettbewerber großen Wert zu legen haben (s. zur Erläuterung von Interoperabilität als Teilaspekt der Kompatibilität Gerpott 2005 [Technologiemanagement]: 108). Durch interoperable Netze und Dienste wird nämlich der „Derivativnutzen“ von TK-Diensten positiv beeinflusst, der sich aus der Zahl der Netzanschlüsse / -nutzer ergibt, zwischen denen die Option der Informationsübermittlung besteht (s. Gerpott 2005 [Unternehmenskooperationen]: 1209 f.). Deshalb geht es bei Innovationen in der TKW während der naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten frühen Phasen von Innovationsprozessen für die Anbieter vor allem um die Schaffung von möglichst branchenweit akzeptierten Netz- und Dienstestandards sowie die Beeinflussung solcher Standards zumeist in unternehmensübergreifenden Standardisierungsinstitutionen wie dem European Telecommunications Standards Institute (ETSI) oder der Internet Engineering Task Force (IETF) im Sinn der eigenen technischen Fähigkeiten und kommerziellen Innovationsstrategien (s. Gerpott 2005 [Unternehmenskooperationen]: 1224 – 1227; Bourreau / Dogan: 173 f.).

2. Regulierung in der Telekommunikationswirtschaft Unter Regulierung versteht man in den Wirtschaftswissenschaften über das allgemeine Wettbewerbsrecht hinausgehende branchenbezogene Eingriffe des Staates (häufig mittels einer politisch unabhängigen Behörde), die sich unmittelbar auf Wettbewerbskonstellationen zwischen Anbietern oder / und das Verhalten mindestens eines Unternehmens der Branche auswirken (vgl. Gerpott 1998: 58; Witte: 6-61 – 6-63). Sie ergänzen oder ersetzen branchenunspezifische staatliche Vorga-

Regulierung und Innovationen in der Telekommunikationswirtschaft

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ben an die Wirtschaft. Für die TK-Wirtschaft wird von politischen Entscheidungsträgern in vielen Staaten eine solche Regulierung für notwendig gehalten, weil auf den meisten Teilmärkten der TKW allein die formale Beendigung von Monopolrechten eines nationalen Incumbent aufgrund von hohen Markteintrittsbarrieren (z. B. Größen-, Verbund-, Erfahrungs- und Reputationsvorteile des etablierten TKUnternehmens; Abhängigkeit des Nutzens von TK-Netzen / -Diensten von der Größe des erreichbaren Kundenbestands) nicht ausreicht, um zu einem nachhaltig wirksamen Wettbewerb zu gelangen. Deshalb soll durch Regulierung (der Liberalisierung / Deregulierung) alternativen Wettbewerbern Starthilfe gegeben werden, die ihnen trotz der Existenz eines Incumbent mit signifikanter Marktmacht die Option eines erfolgreichen Eintritts in die TKW eröffnet (s. Picot / Burr: 175; Gerpott 1998: 72; Witte: 6 – 62 f. u. 6 – 65 f.). Als ein Teilziel einer Regulierung der Marktöffnung durch Wettbewerbsstimulierung wird regelmäßig das Anliegen genannt, die Entwicklung innovativer Netze und Dienste sowie deren Verbreitung im Markt voranzutreiben (vgl. Gerpott 1998: 58). Für Deutschland enthält der im Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 22. 06. 2004 festgelegte Ordnungsrahmen für die TKW einerseits in § 2 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 1 ausdrücklich das Ziel, durch „technologieneutrale Regulierung“ „Innovationen zu unterstützen“. Das TKG schreibt also zuständigen staatlichen Instanzen vor, so auf TK-Märkte Einfluss zu nehmen, dass dort nicht bestimmte Technologien (z. B. UMTS-Mobilfunknetze), sondern ganz allgemein „Innovationen“ gefördert werden. Andererseits gibt dieses Gesetz aber in § 9a, der erst im Februar 2007 nachträglich in das TKG eingefügt wurde, der Bundesnetzagentur vor, dass „neue Märkte grundsätzlich nicht“ bzw. nur in restriktiv umrissenen Ausnahmefällen einer sektorspezifischen Regulierung unterworfen werden sollen. Dabei definiert der ebenfalls ergänzte § 3 Nr. 12b TKG einen neuen Markt als einen „Markt für Dienste und Produkte, die sich von den bislang vorhandenen Diensten und Produkten hinsichtlich der Leistungsfähigkeit, Reichweite, Verfügbarkeit für größere Benutzerkreise (Massenmarktfähigkeit), des Preises oder der Qualität aus Sicht eines verständigen Nachfragers nicht nur unerheblich unterscheiden und diese nicht lediglich ersetzen“. Letztlich belässt das TKG der Bundesnetzagentur auch nach der Ergänzung der §§ 3 Nr. 12b und 9a in mindestens gleich hohem Ausmaß wie vor der Einfügung enorme Ermessensspielräume bei Entscheidungen im Hinblick auf die Ausgestaltung einer (Zugangs- und Preis-)Regulierung für innovative Netze und Dienste marktmächtiger TK-Unternehmen. Die Einfügung hat insgesamt sogar eher zu weniger Rechtsklarheit beigetragen, da das Verhältnis zwischen § 2 Abs. 2 Nr. 3 und § 9a ebenso offen bleibt wie die Frage, ob die in § 3 Nr. 12b aufgezählten Merkmale vollständig oder nur z. T. oder zumindest in einem Fall zutreffen müssen, damit in der Praxis ein bestimmter Markt als neu / innovativ einzustufen ist (vgl. auch Monopolkommission: 57 – 59 sowie den Versuch der BNetzA 2007 [Auslegungsgrundsätze]: 3169 – 3207 durch „Auslegungsgrundsätze“ zu § 9a TKG zum Abbau von Rechtsunsicherheit beizutragen).

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In der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis werden seit langem eine Vielzahl von Regulierungsmaßnahmen / -instrumenten für die TKW beschrieben und bezüglich ihrer Effekte auf die Entwicklung von funktionsfähigem Wettbewerb auf TK-Märkten untersucht (vgl. die Überblicksdarstellungen von Picot / Burr: 177 – 192; Graack: 115 – 145). Da dieser Beitrag anstrebt, Verbindungen zwischen Regulierung und Innovation in der TKW gesamthaft im Überblick zu erörtern, genügt es hier zwischen zumeist von politischen Instanzen vorgegebenen grundlegenden wettbewerblichen Rahmenvorgaben für die TKW und der Gesamtheit einzelner Regulierungsmaßnahmen zu unterscheiden, die zur fallorientierten Ausfüllung der Rahmenbedingungen dienen (ohne sie zu verändern). Zur ersten Kategorie von Regulierungsmaßnahmen gehören die Gestaltung der Eigentumsverhältnisse des Incumbent (Staats- versus Privateigentum) und des Marktzugangs von Wettbewerbern (Zulassung von Wettbewerb, Zahl der Wettbewerber, zeitliche Abfolge von Marktzutritten). Zur zweiten Kategorie von Regulierungsmaßnahmen sind Auflagen im Hinblick auf den Zugang zu und die Preise für Vorleistungen des Incumbent, die er Wettbewerbern bereitzustellen hat, sowie auf das Angebot von und die Preise für Endkundenleistungen zu zählen. Im Weiteren ist es Ziel dieses Beitrags, die beiden zuvor unverbunden skizzierten Themenfelder „Innovation“ und „Regulierung“ in der TKW miteinander zu verknüpfen, indem in Kap. II der Stand der empirischen Forschung zu Effekten sektorspezifischer staatlicher Eingriffe in die TKW auf das Verhalten von TKDiensteanbietern bei der Einführung neuer Angebote am Markt oder neuer Prozesse im Unternehmen (unter bewusstem Verzicht auf eine Bestandsaufnahme rein modelltheoretischer einschlägiger Publikationen) aufgearbeitet wird. Hierzu gibt Kap. II.1 zunächst einen Überblick bezüglich möglicher prinzipieller Analysestoßrichtungen bei Untersuchungen der Kovariation von Innovation und Regulierung. Auf dieser Basis erfolgt in Kap. II.2 eine strukturierte Darstellung wesentlicher Befunde von insgesamt rund 20 themenrelevanten Studien, die in Kap. II.3 zu einem konzeptionellen Bezugsrahmen als Orientierungshilfe für die zukünftige empirische TKW-Forschung integriert werden. Kap. III geht über eine Rezeption einschlägiger wissenschaftlicher Studien hinaus, indem es i. S. eines Epilogs anhand von zwei aktuellen Regulierungsthemen im deutschen TK-Markt den Versuch unternimmt, dafür zu sensibilisieren, dass die Bedeutung von Regulierung für Innovationen auf TK-Märkten nicht überschätzt werden sollte.

II. Regulierung als Innovationsdeterminante in der Telekommunikationswirtschaft 1. Prinzipielle Analysestoßrichtungen Bei wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen von Regulierungsimplikationen für die Entstehung und Marktdiffusion von Dienste- und Prozessinnovationen in der TKW lassen sich drei Analysestoßrichtungen unterscheiden. Erstens kann

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erkundet werden, inwieweit (supra) staatliche Institutionen durch F&E-Förderprogramme wie etwa auf der EU-Ebene die RACE I und II Programme von 1984 – 1994 (vgl. Gerpott 2005 [Unternehmenskooperationen]: 1214) Innovationsanstrengungen und darauf aufbauende Dienste- und Prozessneuerungen von TK-Unternehmen beeinflussen. Hier besteht im konzeptionellen Schrifttum Einigkeit darüber, dass zumindest in entwickelten industriellen Volkswirtschaften staatliche Regulierer aufgrund großer technologie- und marktbezogener Informationslücken und wegen ihrer schwachen innovationsbezogenen Prognose- und Bewertungskompetenzen durch direkte inhaltliche Auswahlentscheidungen im Hinblick auf TK-Innovationsvorhaben auf Dauer kaum positive Impulse für die Entstehung betriebswirtschaftlich erfolgreicher Dienste- und Prozessinnovationen zu geben vermögen (s. etwa Mahmood / Rufin: 347 – 352; Koenig et al.: 24 f.). Allerdings liegen m. E. empirische Studien speziell von TK-Unternehmen, welche die eben genannte These überprüfen und die erste Analysestoßrichtung mit Inhalten füllen, bislang nicht vor. Zweitens lässt sich erforschen, wie die eben in Kap. I.2 eingeführten Grundtypen von Regulierungsmaßnahmen sich direkt auf die von marktdominierenden ehemaligen TK-Monopol-Unternehmen oder von neuen Wettbewerbern des Incumbents für Innovationen bereitgestellten (F&E-)Ressourcen sowie auf Innovationsprozesse und -ergebnisse von TK-Unternehmen auswirken (s. etwa Feneyrol: 76; Bourreau / Dogan: 171 – 173; Firth / Mellor: 203 f.; Knoll: 190; Harris: 108 f.; Noll: 166 – 178). Einschlägige Beispiele sind hier Analysen von Zusammenhängen zwischen der Einführung von Höchstpreis- oder Renditegrenzvorgaben für TK-Dienste durch eine unabhängige Behörde (s. Kridel et al.; Sappington) oder der Privatisierung eines marktbeherrschenden TK-Netzbetreibers einerseits und der Veränderung der F&E-Aufwandsintensität oder Patentproduktivität des regulierten Unternehmens nach dem staatlichen Eingriff andererseits oder der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Mobilfunkanschlüssen in Abhängigkeit von der Zahl der für ein Land erteilten Mobilfunklizenzen. Bei diesem Analyseansatz ist es sinnvoll, die Innovationseffekte von Regulierungsmaßnahmen getrennt für die Gruppe der ehemaligen Monopolinhaber und die der neuen Wettbewerber zu betrachten (s. Bourreau / Dogan: 171 – 173). Angesichts des großen Spektrums der zu beiden o. a. Klassen von Regulierungsmaßnahmen jeweils zugehörigen Einzelinstrumente ist evident, dass bei der zweiten Analysestoßrichtung generelle Aussagen zu Regulierungswirkungen auf Innovationsindikatoren nicht möglich sind, sondern es nur um instrumentbezogene Wirkungserkenntnisse differenziert für die beiden eben genannten Anbieterklassen gehen kann. Drittens kann eine Analyse von einer zweistufigen Wirkungskette dergestalt ausgehen, dass Regulierungsmaßnahmen direkt nur als Bestimmungsgrößen von Wettbewerbsstrukturen und -intensitäten auf TK-Märkten betrachtet werden und erst die Wettbewerbsintensität dann in einer zweiten Wirkungsverknüpfung unternehmensbezogene Innovationsindikatoren beeinflusst (vgl. Cuilenburg / Slaa: 647; Feneyrol: 78). Hinsichtlich der Innovationseffekte unterschiedlicher Wettbewerbsniveaus auf TK-Märkten wird zum einen argumentiert, „. . . that competition is

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favourable for technological and economic innovation“ (Cuilenburg / Slaa: 649; vgl. auch Ai / Sappington: 141), weil mit einer Zunahme der Wettbewerbsintensität auch der Druck auf TK-Unternehmen steigt, sich über Leistungsinnovationen zu differenzieren und über kostensenkende bzw. produktivitätserhöhende Prozessinnovationen das eigene Profitabilitätsniveau trotz wettbewerbsbedingter Marktpreisrückgänge zumindest zu erhalten. Zum anderen wird aber auch darauf verwiesen, dass eine geringe Wettbewerbsintensität bei TK-Anbietern sich eher positiv auf die Bereitschaft der Übernahme hoher Risiken von radikalen Architekturinnovationen und auf die Verfügbarkeit von Überschussressourcen („Slack“) zur flexiblen Verfolgung weniger marktnaher technologischer Forschungsvorhaben als Basis für spätere Dienste- und Prozessinnovationsoptionen auswirkt (vgl. Cuilenburg / Slaa: 650; Godoe: 1043 – 1045; Rao: 85; Janssen: 317; Pisjak: 299). Außerdem lässt sich argumentieren, dass eine geringere Wettbewerbsintensität auf TKMärkten infolge einer Beschränkung der Zutrittsmöglichkeiten für neue TK-Netzbetreiber dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit einer engen Zusammenarbeit 3 bei der Entwicklung technologischer Innovationen zwischen einem der wenigen im Markt agierenden etablierten Netzbetreiber und einem TK-Ausrüster steigt. Diese enge Verknüpfung reduziert für den TK-Ausrüster kommerzielle und technische Risiken von F&E-Projekten, so dass „. . . a dominant purchasing position by a user [= TK-Netzbetreiber; T.J.G.] encounters greater R&D intensity in a telecommunications-equipment supplier“ (Globerman / Diodati: 79). Diese erhöhte F&E-Intensität sollte sich wiederum positiv auf die Diensteinnovationsrate bei TK-Netzbetreibern als Kunden der Ausrüster auswirken. In der Literatur werden die verschiedenen Argumentationslinien häufig in der Hypothese integriert, dass zwischen der regulierungsbedingten Wettbewerbsintensität auf TK-Märkten und dem technologischen Innovationsengagement von TKUnternehmen ein kurvilinearer, umgekehrt U-förmiger Zusammenhang besteht (s. etwa Cuilenburg / Slaa: 650; Cadman / Carrier: 11 f.). Damit aus den skizzierten drei Analysestoßrichtungen konkretere Hinweise für eine „angemessene“ Gestaltung des Innovationsmanagements von TK-Anbietern und für eine innovationssensitive Regulierungspolitik abgeleitet werden können, ist ihre Ausfüllung im Rahmen empirischer Studien notwendig. Im Folgenden soll deshalb zusammengefasst werden, welche Einsichten aus der bisherigen empirischen Forschung im TK-Sektor im Hinblick auf Regulierungseffekte auf die Entstehung und Ausbreitung neuer TK-Dienste und auf die Entwicklung und Umsetzung von Prozessinnovationen abgeleitet werden können. Bei der Auswahl der zu rezipierenden Studien ist zu beachten, dass man das abhängige Konstrukt der „Innovation(en)“ direkt oder indirekt über eine Vielzahl unterschiedlicher Indikatoren abbilden kann. Solche Indikatoren können sich auf Inputgrößen für Innovationen (z. B. F&E-Aufwand, Investitionen in neue, effizienzverbessernde Netz3 Globerman / Diodati (S. 76) charakterisieren diese Art der Kooperation als „quasi-vertical integration“.

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elemente), Verlaufsaspekte von Innovationen (z. B. Zeitdauer vom Vermarktungsstart eines neuen Dienstes bis zur Erreichung einer Marktpotenzialausschöpfungsquote von x %) oder Ergebnisse / Outputs von Innovationsprozessen (z. B. Zahl der Patente eines TK-Unternehmens, Veränderung der Produktivität oder Dienstequalität von TK-Unternehmen) beziehen (vgl. Gerpott 2005 [Technologiemanagement]: 64 – 81). Bislang überwiegen in der empirischen Forschung zu Regulierungseffekten auf Innovationskriterien im TK-Sektor Operationalisierungsansätze, die technologische Innovationsaspekte auf Unternehmensebene nur mittelbar (z. B. Produktivitätsveränderungsmaße als Indizien für Prozessinnovationen) oder auf der Ebene der gesamten TKW in einem Land erfassen. Beispielsweise messen Cuilenburg / Slaa (S. 653 f.) das Ausmaß der „Product Innovation“ in der TKW verschiedener Länder über die drei landesbezogenen Variablen Mobilfunkanschlusspenetrationsquote, Wachstumsrate der Zahl unternehmensinterner TK-Netze und Kabel-TVAnschlussdichte. Die Auswahl der drei Indikatoren wird nicht begründet. Sie wirkt dementsprechend willkürlich4 und scheint mehr auf die Verfügbarkeit landesstatistischer Daten als auf inhaltliche Überlegungen zurückzuführen zu sein. Einige Beachtung vor allem in der regulierungspolitischen Diskussion haben in jüngster Zeit auch Studien gefunden, in denen Innovationsleistungen der TKW auf nationaler Ebene implizit anhand der jährlichen Sachanlageinvestitionen großer Anbieter operationalisiert wurden und dann dieses rein inputorientierte „Innovationsmaß“ in Beziehung zu Indizes gesetzt wurde, welche die „regulatorische Qualität“ für den TK-Sektor eines Landes abbilden sollten (s. etwa zuletzt Jones sowie zur Rezeption dieser Studien Bohlin / Garrone; Dahlke / Neumann; Gerpott 2006 [Regulierungsabbau] und 2008 [Kommentar]). Solche Arbeiten messen allerdings mit der Beschränkung auf Sachanlageinvestitionen das Ausmaß von Produkt- und Prozessinnovationen bei TK-Unternehmen und der Nachfrage innovativer Leistungen durch Endkunden in überaus mangelhafter Weise. Mit der Variablen „Investitionen“ werden nämlich auch der Ersatz „verbrauchter“ Anlagen oder die Erweiterung von Produktionskapazitäten für bereits am Markt etablierte Leistungen erfasst, also Sachverhalte ohne Bezug zu Neuerungen im Unternehmen oder im Markt. Investitionszahlen sind deshalb nicht als überzeugende Innovationsaktivitäts- oder -ergebnisindikatoren einzustufen. Ungeachtet solcher Operationalisierungsschwächen ist es wegen des weitgehenden Fehlens empirischer Studien von TK-Anbietern, die Innovationsaspekte direkt auf Unternehmensebene messen, jedoch anschließend unumgänglich, auch Arbeiten zu berücksichtigen, die nur mittelbare innovationsbezogene Unternehmensmerkmale oder landesbezogene Innovationsindikatoren verwenden.

4 So ist z. B. nicht einsichtig, warum nicht auch die ISDN-Anschlussquote mit in den Produktinnovationsindex einbezogen wurde.

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2. Empirische Befunde a) Grundlegende wettbewerbliche Rahmenvorgaben Innovationsrelevante Veränderungen im Verhalten von TK-Unternehmen nach staatlichen Eingriffen in die TKW wurden bislang primär für grundlegende wettbewerbliche Rahmenvorgaben durch Regulierungsinstitutionen und weniger für einzelne Regulierungsdetailmaßnahmen zur Ausfüllung des ordnungspolitischen Gesamtrahmens (z. B. Vorgaben zur Monatsmiete für eine entbündelte Teilnehmeranschlussleitung, die der Incumbent von Wettbewerbern für die Überlassung dieser Netzkomponente erheben darf) empirisch untersucht. Bei den intensiver analysierten grundlegenden Regulierungsvorgaben handelt es sich um (1) die Überführung der Eigentumsrechte an Incumbents aus der Hand des Staates in die Hände privater Investoren / Aktionäre, also die materielle Privatisierung der in einem Land jeweils dominierenden Festnetzbetreiber (s. Gerpott 1998: 94 f.), und (2) die Zulassung von Wettbewerbern auf Märkte für Festnetztelefonanschlüsse und -verbindungen, Datennetzanschlüsse und -dienste sowie Übertragungswege. Einschlägig sind hier die Untersuchungen von Bortolotti et al., Chang et al., Chou, Cuilenburg / Slaa, Floyd / Gabel und Gabel / Huang, Majumdar (1992 und 1995) sowie Ros. Inhaltlich lassen sich aus diesen neun Veröffentlichungen sowie der sonstigen wirtschaftswissenschaftlichen Privatisierungsforschung für TK-Unternehmen (s. Bohlin / Garrone: 36 – 43; Doh / Teegen: 40 f.; Gerpott 1998: 97) und für Unternehmen verschiedenster Branchen (s. Megginson / Netter) folgende, als halbwegs gesichert einstufbare Erkenntnisse zu innovationsrelevanten Folgen der Privatisierung von (ehemaligen) Telefondienst- und Festnetzmonopolinhabern und der Öffnung von TK-Festnetzmärkten für Wettbewerb ableiten: 1. Die Privatisierung von Incumbents geht einher mit signifikanten Steigerungen der Personalproduktivität und technischen Produktionseffizienz der privatisierten Unternehmen; diese Veränderungen deuten auf die verstärkte Entwicklung / Beschaffung und Umsetzung von Prozessinnovationen durch Incumbents als Konsequenz der Privatisierung hin (s. Bortolotti et al.). 2. Die Privatisierung von Incumbents geht einher mit signifikanten Erhöhungen der Diffusionsgeschwindigkeit von und der Marktdurchdringung mit Festnetztelefonanschlüssen; dieser Zusammenhang ist ein Indiz dafür, dass eine Privatisierung verstärkte Vermarktungsinnovationsanstrengungen von Incumbents unterstützt (s. Ros). 3. Die Einrichtung einer TK-sektorspezifischen, politisch unabhängigen Regulierungsinstitution geht per se nicht einher mit signifikanten Veränderungen bei Prozess- oder Diensteinnovationsanstrengungen oder -ergebnissen von Incumbents (s. Bortolotti et al.). 4. Die Einführung von Wettbewerb bei Festnetztelefonverbindungsdiensten und bei Festnetzübertragungswegen geht einher mit signifikanten Steigerungen der Personalproduktivität und technischen Produktionseffizienz von Incumbents, d. h.

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die Liberalisierung von Festnetzen und Festnetzdiensten regt den Incumbent generell zu verstärkten Prozessinnovationen an (s. Majumdar 1992 und 1995). 5. Die Einführung von Wettbewerb bei Festnetztelefondiensten geht einher mit signifikant niedrigeren Preisen, die neue TK-Unternehmen für eine Mitbenutzung der Ortsnetze des Altsassen zu zahlen haben (s. Chang et al.). Demnach zwingen Regulierereingriffe Incumbents entweder zur Senkung ihrer „access prices“ oder Altsassen reduzieren von sich aus diese Vorleistungspreise, um Konkurrenten zu motivieren, auf Investitionen in eigene Ortsnetze zumindest z. T. zu verzichten. 6. Zwischen dem Liberalisierungsgrad bzw. der Wettbewerbsintensität der Festnetzinfrastruktur- und -dienstemärkte in einem Land und – dem Ausmaß von Prozessinnovationen bei Incumbents besteht ein sehr starker positiver Zusammenhang (s. Majumdar 1992 und 1995; Floyd / Gabel; Chou); – der F&E-Aufwandsintensität von Incumbents besteht kein oder ein negativer, auf jeden Fall aber kein signifikant positiver Zusammenhang (s. Cuilenburg / Slaa); – der Diffusion neuer TK-Dienste (z. B. Unternehmensnetze, Breitband-Internetzugänge) besteht ein deutlicher signifikant positiver Zusammenhang (s. Cuilenburg / Slaa; Floyd / Gabel; Gabel / Huang); – der Diffusion etablierter TK-Dienste (Festnetzanschlüsse) besteht in Industrienationen kein und in Entwicklungsländern ein signifikant positiver Zusammenhang (s. Ros). Alles in allem begünstigen demnach die Privatisierung von Incumbents und die Wettbewerbseinführung auf dem Markt für Festnetztelefondienste Prozessinnovationen, die der Incumbent realisiert, um seine Chancen zu verbessern, gegen alternative Carrier durch niedrigere Netz- und Personalkosten sowie verbesserte kundenbezogene Unterstützungsleistungen (z. B. Auftragsmanagement, Anschlussinstallation und -entstörung, Abrechnung, Anfrageabwicklung) auf dem Markt zu bestehen. Eigentümlicherweise wurde im Schrifttum bis heute primär empirisch untersucht, wie sich die regulierungsunterstützte Einführung von Wettbewerb bei Festnetztelefonnetzen / -diensten auf Innovationsaspekte auswirkt. Kaum betrachtet wurde hingegen, inwiefern Regulierungsinstitutionen Innovationseffekte dadurch erzielen können, dass sie Bedingungen schaffen, welche die Wettbewerbsintensität zwischen verschiedenen Typen von TK-Netzplattformen (Festnetztelefon- vs. Kabel-TV- vs. Mobilfunknetze) erhöhen. Ausnahmen sind hier die Arbeiten von Distaso et al. und Höffler. Beide ziehen aus empirischen Analysen den Schluss, dass die Wettbewerbsintensität zwischen Telefonfest- und Kabel-TV-Netzen die Diffusion von Breitbandanschlüssen (bzw. die der Ausbreitung vorgelagerten Netzausbauschritte und Vermarktungsanstrengungen) positiv beeinflusst. Höffler hebt allerdings auch hervor, dass Zusatzinvestitionen von Kabel-TV-Netzbetreibern in den Ausbau ihrer Infrastrukturen, um Internetzugänge anbieten zu können, als In-

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diz für einen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ineffizienten Ressourceneinsatz für die Errichtung redundanter Netze interpretiert werden sollten. b) Einzelne Regulierungsmaßnahmen für Festnetze Wissenschaftlichen Ansprüchen genügende empirische Wirkungsuntersuchungen von Regulierungsvorgaben zu spezifischen Aspekten des Leistungsangebots und / oder der Preissetzungen marktbeherrschender Festnetzbetreiber wurden bislang überwiegend für die US-amerikanische TK-Wirtschaft vorgenommen (s. Ai / Sappington; Chang et al.; Chou; Greenstein et al.; Majumdar 1997; Prieger 2001, 2002, 2007; Rudolph / Johanning; Uri). Zentrale inhaltliche Erkenntnisse dieser Arbeiten im Hinblick auf innovationsrelevante Wirkungen einzelner Regulierungsinstrumente auf Festnetzbetreiber sind: 1. Die Einführung von Höchstpreisgrenzen („Price-Caps“) für Telefonverbindungen auf Endkundenmärkten geht mit signifikanten Investitionserhöhungen zur Netzmodernisierung und Steigerungen der technischen Produktionseffizienz der regulierten etablierten Festnetzbetreiber einher (Ai / Sappington; Greenstein et al.; Majumdar 1997; Uri). 2. Der Ersatz einer Regulierung von Incumbents mittels maximal zulässiger Rentabilitätswerte durch eine Mischung aus Höchstpreisgrenzen und freier Marktpreisbildung sowie die Aussetzung von Incumbents auferlegten Anmeldepflichten für innovative (Festnetz-)Mehrwertdienste (z. B. Rufweiterleitung, Konferenzschaltung, Faxspeicherung) führen zu einer signifikanten Erhöhung der Zahl der von etablierten Anbietern pro Jahr im Markt eingeführten Diensteinnovationen; dabei ist nicht bekannt, wie sich diese Regulierungsreduzierungen bei Incumbents auf das Produktinnovationsverhalten von alternativen Carriern auswirken (Prieger 2001, 2002 und 2007; leicht abweichend Floyd / Gabel). 3. Die Einführung von Verpflichtungen für marktmächtige Festnetzbetreiber in europäischen Ländern, Wettbewerbern den entbündelten Zugang zu einzelnen Komponenten des eigenen Netzes zu gewähren, wirkt sich dann negativ auf (Netz-)Investitionen von Incumbents und auf die Kapitalmarktbewertung der regulierten Unternehmen aus, wenn die Zugangspreise streng zusatzkostenorientiert festgelegt bzw. als niedrig wahrgenommen werden (Chang et al.; Chou). 4. Die Höhe des Preises, den neue Wettbewerber an den Altsassen für die Mitbenutzung einer Teilnehmeranschlussleitung zu entrichten haben, wirkt sich im USamerikanischen TK-Markt signifikant negativ auf die Umsetzung von Maßnahmen des Incumbents zur Ortsnetzmodernisierung aus. In 13 europäischen Ländern gehen unterdurchschnittliche „access prices“ hingegen mit unterdurchschnittlichen Sachanlageinvestitionen von TK-Unternehmen einher (Chang et al.). 5. Zentrale Netzzugangs- und Preisentscheidungen der damaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) im Zeitraum 1997 – 2002 hatten insgesamt keine signifikanten Effekte auf die Bewertung der regulierten

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Deutschen Telekom durch ihre Aktionäre; dieser „Nullbefund“ kann als Indiz dafür interpretiert werden, dass die TK-Regulierung in Deutschland nicht zu einer Verschlechterung der Renditeerwartungen für den Incumbent und damit nicht zu einer Reduzierung der ökonomischen Erfolgserwartungen u. a. auch für die Innovationsaktivitäten der Deutschen Telekom geführt hat (Rudolph / Johanning). c) Einzelne Regulierungsmaßnahmen für Mobilfunknetze Mit der weltweit schnellen Ausbreitung von Mobilfunkanschlüssen hat etwa seit dem letzten Drittel der 1990er Jahre auch das Interesse der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung an den Wirkungen der Gestaltung der Marktzugangsregulierung für Mobilfunknetzbetreiber (z. B. Zahl der Wettbewerber, zeitliche Gestaltung der Eintrittsmöglichkeiten für verschiedene Anbieter) auf die Diffusionsgeschwindigkeit und das Diffusionsausmaß der Leistungsinnovation „Funktelefonanschluss“ zugenommen. Die Analysen von Dekimpe et al., Gruber, Gruber / Verboven (2001 [Diffusion] und 2001 [Evolution]), Koski / Kretschmer (2003 und 2005), Liikanen et al. sowie Rouvinen stützen fünf Schlussfolgerungen zu innovationsrelevanten Effekten der Gestaltung der Regulierung für Mobilfunknetze: 1. Die Einführung von Anbieterwettbewerb in einem Land wirkt sich signifikant positiv auf die Mobilfunkdiffusion / -penetration (= Zahl der Mobilfunkanschlüsse pro 100 Einwohner) bis zum Ende des Startjahres der Dienstevermarktung aus (s. Gruber; Gruber / Verboven 2001 [Diffusion]; Koski / Kretschmer; Rouvinen). 2. Die Zahl der vom Regulierer vergebenen Lizenzen für digitale Mobilfunknetze in einem Land wirkt sich signifikant positiv auf das bis zum Ende des Startjahres der Dienstevermarktung erreichte Penetrationsniveau, auf die Diffusionsgeschwindigkeit zumindest in den ersten zehn Jahren nach Vermarktungsbeginn und auf das langfristig in einem Land realisierte Penetrationsniveau von Mobilfunkanschlüssen aus (diese These wird durch jede der acht von mir identifizierten Mobilfunkstudien gestützt). 3. Eine überdurchschnittliche Diffusionsgeschwindigkeit von Mobilfunkanschlüssen in einem Land geht einher mit (s. Liikanen et al.; Koski / Kretschmer 2005 u. 2003; Rouvinen) – einer Zulassung von mindestens drei Mobilfunknetzbetreibern. – einer höheren Zahl der für digitale Mobilfunknetze vergebenen Lizenzen. – einem gleichzeitigen Vermarktungsstart von mindestens drei GSM-Netzbetreibern im ersten Jahr des Angebots von GSM-Diensten. – einem gleichzeitigen Vermarktungsbeginn von mindestens zwei GSM-Netzbetreibern innerhalb eines Zeitfensters von maximal sechs Monaten. – einer Beschränkung aller in einem Land betriebenen digitalen Mobilfunknetze auf einen technischen Standard.

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4. Zwischen dem Grad der Anbieterkonzentration i. S. der Summe der quadrierten Endkundenanschlussmarktanteile aller Mobilfunknetzbetreiber in einem Land und der nationalen Diffusionsgeschwindigkeit von digitalen Mobilfunkanschlüssen besteht kein signifikanter (negativer) Zusammenhang (s. Liikanen et al.). 5. Die Beschränkung auf einen technischen Digital-Mobilfunkstandard und die Existenz von für Wettbewerb geöffneten Festnetzmärkten für Telefonverbindungen in einem Land gehen einher mit einem früheren Vermarktungsbeginn digitaler Mobilfunkanschlüsse in diesem Land relativ zu Ländern mit Anbietern, die unterschiedliche Standards einsetzen, und zu Ländern mit einer Monopolsituation für Telefonverbindungen aus dem Festnetz (s. Gruber / Verboven 2001 [Evolution]; Liikanen et al.; Koski / Kretschmer 2005 und 2003; Rouvinen). Insgesamt arbeiten die mobilfunkbezogenen empirischen Studien über die Förderung von Marketinginnovationen zur Beschleunigung des Absatzes von (relativ zu Festnetzdiensten) aus Endkundensicht neuen Mobilfunkdiensten durch die Zulassung von Wettbewerb hinaus auch die Bedeutung der zeitlichen Abstände zwischen den Vergabeterminen für Lizenzen zum Betrieb von Mobilfunknetzen für das Ausmaß der Vermarktungsinnovationen in einem Land heraus: Je kürzer diese Zeitabstände ausfallen, desto ähnlicher sind die strukturellen Wettbewerbspositionen der Mobilfunknetzbetreiber und je ähnlicher die Wettbewerbspositionen, desto größer sind die Anreize für die Unternehmen, sich um Wettbewerbsvorsprünge durch (diffusionsbeschleunigende) Marketinginnovationen zu bemühen5. Darüber hinaus verdeutlichen die Untersuchungen, dass staatliche Institutionen dadurch eine innovationsfördernde Funktion für die TKW übernehmen können, dass sie zwar nicht direkt innovative technische TK-Standards vorgeben, wohl aber die TKUnternehmen aktiv dabei unterstützen, sich auf zumindest landes-, wenn nicht gar europaweit gültige Technikstandards zu verständigen, für die dann durch einen TKRegulierer ordnungspolitische Vorgaben zur Ausgestaltung des ökonomischen Vermarktungsrahmens nach Beratungen mit den Marktteilnehmern formuliert werden (vgl. auch Koenig et al.: 25 – 27). 3. Integration der Einzelbefunde in einem konzeptionellen Bezugsrahmen Die bisherige wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu Auswirkungen der regulierungsbedingten Wettbewerbsintensität auf TK-Märkten auf das Innovationsverhalten von TK-Unternehmen deutet alles in allem darauf hin, dass zwischen der Wettbewerbsintensität und dem Dienste- sowie Prozessinnovationsausmaß nicht generell ein positiver linearer Zusammenhang besteht. Vielmehr stehen die Be5 Dementsprechend ist die im europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Diffusionsgeschwindigkeit von GSM-Mobilfunkanschlüssen in Deutschland z. T. dadurch zu erklären, dass der Zeitabstand zwischen der Vergabe der ersten und letzten (= vierten) GSM-Netzlizenz mit sieben Jahren überdurchschnittlich groß ist. S. dazu Gerpott 2008 [Öffnung]: 31 – 64.

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funde der zuvor genannten Studien eher mit der These im Einklang, dass die Effekte regulierungsbedingter Wettbewerbsintensität auf Innovationen in der TKW durch den Reifegrad der Netze und Dienste auf dem jeweils betrachteten TK-Teilmarkt moderiert werden. Auf dem technologisch reifen Teilmarkt der Festnetztelefonanschlüsse und -verbindungen begünstigen Regulierungsmaßnahmen zur Entstaatlichung des Incumbent und zur Wettbewerbsintensivierung in erster Linie kostensenkende Prozessinnovationen des Ex-Monopolisten, stimulieren aber nicht merklich technische Diensteinnovationen, weil Letztere in diesem Teilmarkt aufgrund seines hohen Reifegrades kaum mit betriebswirtschaftlich vertretbarem Aufwand möglich sind. Auf TK-Märkten mit niedrigerem Reifegrad bzw. kleinerer „installierter Basis“ wie dem Mobilfunkgeschäft in den 1990er Jahren oder dem breitbandigen Internetzugangsgeschäft nach dem Jahr 2000 rufen wettbewerbszuträgliche Regulierungsvorgaben hingegen beim Incumbent und alternativen TKUnternehmen vermehrte Anstrengungen im Bereich der Vermarktungsinnovationen (z. B. neue Dienstebündel, Preisstrukturmodelle, Vertriebswege) hervor. Abbildung 1 visualisiert die eben vorgetragene Argumentation durch eine Variablenblockdarstellung, die als konzeptioneller Bezugsrahmen zur Ausrichtung der weiteren empirischen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zur Bedeutung staatlicher Regulierung für Innovationen auf TK-Märkten dienen kann. Aus dem Bezugsrahmen ist zu erkennen, dass empirische Studien, die nur direkte Effekte von Regulierungsmaßnahmen auf die Ressourcenbereitstellung für längerfristig angelegte, naturwissenschaftlich-technische F&E-Aktivitäten sowie darauf aufbauende Produktionsmittelinvestitionen und Vermarktungsbemühungen bei TKAusrüstern und -Netzbetreibern analysieren, begrenzt erkenntnisfördernd sind. Sie lassen nämlich die in Abbildung 1 genannten Mediatorvariablen (Risikobereitschaft im Hinblick auf Architekturinnovationen, Leistungsinnovationsdruck, Prozessinnovationsdruck) und den potenziellen Moderator „technologischer Reifegrad“ der Netze / Dienste auf einem TK-Teilmarkt unberücksichtigt.

III. Epilog: Relativierung der Relevanz von Regulierung für Innovationen auf TK-Märkten Angesichts vielfältiger, z. T. gegenläufiger Wirkungen von Regulierungsmaßnahmen über vermittelnde Marktstruktur- und Unternehmensverhaltensvariablen auf Innovationen in der TKW haben Versuche von TK-Regulierungsinstitutionen, durch über Grundsatzentscheidungen hinausgehende detaillierte Markteingriffe bestimmte Innovationen durchzusetzen oder zu verhindern, nur eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit. Deshalb legt der Stand der wissenschaftlichen Forschung für TK-Regulierungsinstitutionen lediglich die hochgradig abstrakte Empfehlung nahe, sich auf die Schaffung innovationsfreundlicher rechtlich-ökonomischer Rahmenbedingungen zu beschränken. Was unter solchen Bedingungen zu verstehen ist, ist erstens strittig und zweitens wohl nur länderspezifisch unter Berücksichtigung des Evolutionspfades der TKW in einem Staat zu konkretisieren. So verwun-

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Regulierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Wettbewerbsintensität und Kundenorientierung auf TK-Märkten

Innovationen auf TKMärkten

LI RT = Niedrig •

Auftreten neuer Dienste



Ausbreitung neuer Dienste



Produktions-/ Prozesseffizenz (® Prozessinnovation)



F&E-Anstrengungen

RT = Hoch Druck zur Differenzierung über Leistungsinnovationen

WBI

PI RT = Hoch

Druck zur Differenzierung durch (kostensenkende) Produktionsmittel-/Prozessinnovationen

RT = Niedrig WBI

Technologischer Reifegrad der Dienste/Netze in einem TK-Markt

Quelle: Prof. Gerpott Analysen.

Abbildung 1: Konzeptioneller Bezugsrahmen zur Analyse von Regulierungseinflüssen auf TK-Marktinnovationena) a) LI = Leistungsinnovation (Umfang und Qualität). PI = Prozess- / Produktionsmittelinnovation (Umfang und Qualität). WBI = Wettbewerbsintensität auf einem TK-(Teil-)Markt. RT = Reifegrad der Technologie.

dert es auch nicht, dass auch neuere Publikationen aus der Feder von Wirtschaftsoder Rechtswissenschaftlern sich zumeist auf den sehr grundsätzlichen Hinweis beschränken, dass TK-Regulierungsinstitutionen einem „Innovator“ einerseits genügend Spielraum belassen sollten, damit er seine F&E-Ergebnisse in kommerzielle Erfolge umsetzen kann, aber andererseits sicherstellen sollten, dass ein Technologievorsprung nicht die Beendigung jeglichen Innovationswettbewerbs bei Dienste- und Marketingstrategien nach sich zieht (s. Elsenbast: 578 f.; König et al.: 24; Godoe: 1042 – 1045). Diese insgesamt prinzipiell zurückhaltende Einschätzung von Möglichkeiten der Generierung von Innovationen im TK-Sektor durch rechtliche Rahmenbedingungen und deren Anwendung durch die Bundesnetzagentur soll abschließend anhand von zwei aktuellen Regulierungsthemen der deutschen TKW beispielhaft illustriert werden.

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Das erste Beispiel zur Veranschaulichung der schwierigen Abwägungs- und Detailfragen im Zusammenhang mit einer innovationszuträglichen Ausgestaltung der Regulierung im deutschen TK-Sektor ist die Verlegung von Glasfasern auf den Strecken zwischen Hauptverteilern (HVt) und Kabelverzweigern (KVz) in ausgewählten Ortsnetzen der DT, um so eine Voraussetzung für das Angebot von Internetzugängen mit sehr hohen Übertragungsgeschwindigkeiten („Very high bit / data rate digital subscriber line“ [VDSL]) zu schaffen (zu diesem DT-Netzumbau s. die Stellungnahme des Wiss. Arbeitskreises für Regulierungsfragen bei der BNetzA [WAR]). Die Strecken, auf denen in vorhandenen Leerrohren / Kabelkanälen Glasfaser zum Einsatz kommen soll bzw. gekommen ist, wurden überwiegend lange vor Beendigung des DT-Telefondienst- und -Übertragungswegemonopols zum 01. 01. 1998 von den Vorläufern der heutigen DT errichtet. Hier kann man die Position vertreten, dass dem Incumbent in einem eventuell neu entstehenden VDSL-Geschäft die Möglichkeit verwehrt werden sollte, aus seinem unabhängig von aktuellen VDSL-Investitionen bestehendem Eigentum an den Leerrohren / Kabelkanälen zwischen HVt und KVz, die für Wettbewerber mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand nicht nachträglich selbst erstellbar / duplizierbar, aber für VDSL-Angebote unverzichtbar sind, wettbewerbsabträgliche Zutrittsschranken zu errichten. Ein Ansatz zur Vermeidung solcher Schranken besteht darin, dem Altsassen Verpflichtungen aufzuerlegen, Wettbewerbern den Zugang zu den eigenen Leerrohren / Kabelkanälen zwischen HVt und KVz zu ermöglichen (s. Wengler et al.: 22 – 24). Wenn der Incumbent über wirklich neue und auf unbefriedigte Kundenbedürfnisse treffende Technologien oder Vermarktungsansätze für sein VDSL-Angebot verfügt, die auf eigenen Innovationsleistungen beruhen und von Wettbewerbern deshalb zumindest kurz- und mittelfristig nicht imitiert werden können, dann wird eine solche Zugangsverpflichtung den Incumbent auch nicht von Investitionen in die Entwicklung eines innovativen VDSL-Geschäfts abschrecken. Sollte die DT über solche zu Wettbewerbszeiten erarbeiteten Innovationsvorsprünge nicht verfügen und deshalb bei Auferlegung einer Leerrohr-Zugangsverpflichtung auf VDSL-Netzinvestitionen verzichten, dann hat diese Regulierung auch dem Altsassen keine Innovationsvorteile genommen, weil letztere schlichtweg nicht vorlagen. Zudem eröffnet diese Regulierung Wettbewerbern auch bei Unterlassung von VDSL-Investitionen durch den Incumbent die Option, infolge des Zugangs zur HVt–KVz-Strecke in DT-Ortsnetzen ein VDSL-Angebot durch eigene Investitionen zu realisieren. Diese Option werden sie allerdings nur wahrnehmen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie mit ihrem neuen VDSL-Angebot Umsätze erzielen können, die zur Deckung ihrer Investitionen und laufenden Betriebsauszahlungen sowie zur Verzinsung des gebundenen Kapitals ausreichen. Der VDSL-Fall lässt erkennen, dass eine innovationsfördernde Regulierung auf TK-Märkten ein spezielles Augenmerk auf Möglichkeiten einer wettbewerbsabträglichen Übertragung von Vorteilen des Incumbent, die nicht durch die eigentlichen Innovationsaktivitäten begründet sind, widmen sollte.

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Das zweite Beispiel zur Illustration der komplexen Beziehungen zwischen Regulierung und Innovation im TK-Sektor ist die Entwicklung eines neuen Marktes für mobile TV-Angebote, z. B. unter Rückgriff auf den „Digital Video Broadcast – Handheld“ [DVB-H] Standard oder andere technische Lösungen (vgl. UMTS Forum / GSM Association). Würde hier durch staatliche Regulierung vorgegeben, dass die Anbieter von mobilem TV in Deutschland öffentlich-rechtliche Programme zu verbreiten hätten, ohne hierfür von Endkunden direkt ein Entgelt erheben zu dürfen oder ohne mittelbar durch Beteiligung an den für diese Programme zwangsweise von Endkunden zu zahlenden Gebühren eine finanzielle Kompensation zu erhalten, so würde es allen Anbietern von mobilem TV aufgrund dann regulativ stark beschränkter preis- und produktpolitischer Handlungsspielräume schwer(er) fallen, in diesem Geschäft Gewinne zu erzielen. Deshalb steht die Regulierung vor der Herausforderung, Rahmenbedingungen zu finden, die gleichermaßen den Interessen öffentlich-rechtlicher Sender an einer Teilhabe an neuen TV-Verbreitungswegen und der Anbieter von mobilem TV an der Rentabilität ihres Engagements in diesem potenziellen neuen Markt Rechnung tragen. Selbst wenn die Bewältigung dieser Herausforderung gelingt, ist die Bereitstellung von innovativen „mobile TV“ Angeboten und deren Nachfrage durch Endkunden keineswegs sicher. TKUnternehmen könnten nämlich trotzdem zu dem Schluss kommen, dass die Innovation mobiles TV Investitionen und Betriebsauszahlungen hervorrufen würde, deren Amortisation wegen der Konkurrenzsituation zu anderen Medien und der Kundenpräferenzen in Deutschland höchst unwahrscheinlich ist. Die Unternehmen würden dann auf weitere F&E-Aufwendungen und Markteinführungsanstrengungen für mobiles TV verzichten. Jenseits der marktspezifischen Detailaspekte verdeutlichen die VDSL- und Mobil-TV-Fallbeispiele letztlich auch, dass der Einfluss TK-sektorspezifischer Regulierung auf das Innovationsverhalten von TK-Unternehmen zu relativieren ist: Wenn Dienste- oder Prozessinnovationen von den Entscheidern in den Unternehmen nicht das Potenzial zugeschrieben wird, zu erheblichen und wahrgenommenen Nutzensteigerungen für hinreichend große Teilkundengruppen zu führen, dann werden noch so ausgefeilte Regulierungsmaßnahmen die Innovationsanstrengungen von TK-Unternehmen nicht erhöhen. Anders formuliert: Unzweckmäßige Regulierung kann Innovationen im TK-Sektor verlangsamen und in Extremfällen gar vereiteln. TK-sektorspezifische Regulierung ist aber nicht dazu in der Lage, F&E- und Markteinführungsauszahlungen bei TK-Unternehmen für bestimmte Technologien hervorzurufen, die über keinen klaren Konkurrenzvorteil zu etablierten Diensten oder Netzen verfügen.

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Teil III Innovationsförderung durch staatliche Nachfragemacht: Potentiale des Vergaberechts

Innovationsförderung durch staatliche Nachfragemacht: Potentiale des Vergaberechts Von Michael Fehling I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Scheinbare Innovationsfeindlichkeit starrer Vergabevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Mögliche Einsatzfelder von Vergabeverfahren zur Innovationsförderung . . . . . . . 121 a) Nutzung privaten Innovationspotentials in Public-Private-Partnership-Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Technology Forcing durch innovationsorientierte Leistungsbeschreibung bei langfristigen Beschaffungsvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Die Herausforderung eines vollautomatischen LKW-Mautsystems: Das Beispiel Toll Collect . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Anforderungen an ein innovationsstimulierendes Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Flexibilität: Wissensdefizite als Hindernis für „starre“ Ausschreibungs- und Verfahrensvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Anreize zur Beteiligung am Innovationswettbewerb im Vergabeverfahren . . . . . . 125 IV. Nutzbare Spielräume im neuen (europäischen) Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Flexibilisierungspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Bildung zentraler Beschaffungsstellen zur Bündelung der Nachfragemacht . . 126 b) Weitgehende Freistellung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen im Gegensatz zu Dienstleistungsaufträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Dem Vergabeverfahren vorschaltbarer Ideenwettbewerb oder Teilnahmewettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Flexibilität bei der Aufgaben- oder Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 e) Erweiterte Verfahrensoptionen beim Verhandlungsverfahren und beim wettbewerblichen Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 f) Geringe Flexibilität bei den Eignungsanforderungen einschließlich eventueller weiterreichender (sogenannter „vergabefremder“) Anforderungen . . . . . . . 135 g) Spielräume bei Zuschlagskriterien und -erteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 h) Begrenzte Anpassungsmöglichkeiten nach Zuschlag bei der Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 i) Evaluationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

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Michael Fehling 2. Beschränkte Möglichkeiten für Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Wahrung von Geschäftsgeheimnissen im Spannungsfeld zu Verfahrensflexibilität und Rechtsschutzeffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Geringe Möglichkeiten der Zuerkennung einer Entschädigung für nicht amortisierte Innovationsanstrengungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

V. Fazit: Vergaberecht als Steuerungsressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

I. Einführung 1. Scheinbare Innovationsfeindlichkeit starrer Vergabevorschriften Innovation durch Vergabe öffentlicher Aufträge – dies scheint zunächst ein Widerspruch in sich, verbindet man mit dem Vergaberecht doch ein starres Korsett, in das die öffentliche Hand bei der Beschaffung gezwängt wird, um haushaltswirtschaftliche Effizienz zu fördern und zugleich einen chancengleichen Wettbewerb (vgl. § 97 Abs. 1 u. 2 GWB) um öffentliche Aufträge zu sichern.1 Typusprägend ist hier das offene Verfahren, das gesetzestechnisch den Regelfall bildet (vgl. § 101 Abs. 6 GWB):2 Der Auftrag wird europaweit ausgeschrieben. Zugrunde liegt eine möglichst exakte Beschreibung der gewünschten Leistung; auch die Eignungsanforderungen (§ 97 Abs. 4 GWB) an die Bieter sowie die Zuschlagskriterien sind vorab transparent bekanntzumachen. Nach Fristablauf erfolgt die Wertung der vorliegenden Angebote, wobei zunächst die nicht geeigneten Bewerber ausgeschlossen werden und sodann unter den verbleibenden Bietern derjenige den Zuschlag erhält, der anhand der vorab veröffentlichen Kriterien das wirtschaftlichste Angebot vorgelegt hat (§ 97 Abs. 5 GWB). Die extreme Standardisierung – um nicht zu sagen: Bürokratisierung3 –, welche die Kontrolle der Vergabeentscheidung erleichtern soll, weckt Assoziationen eher an eine Planwirtschaft als an einen kreativen Prozess. Doch ist dies nur die eine Seite des Vergaberechts. Die jüngste Reform der europäischen Vergaberichtlinien 4 und ihre Umsetzung in das deutsche Kartellvergaberecht5 haben die Spielräume für flexiblere Verfahrensgestaltungen erweitert.6 Die 1 Statt vieler Meinrad Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Bd. 2, GWB, 4. Aufl. 2007, Vor §§ 97 ff. Rn. 1 f.; Marc Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2: GWB, 2006, § 97 Rn. 2. 2 Überblick über den Verfahrensablauf z. B. bei Jan Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2007, § 9 Rn. 58 ff. 3 Zur entsprechenden Kritik vgl. Fridhelm Marx, Verschlankung und Vereinfachung des Vergaberechts in Deutschland, in: Pünder / Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 23 (24 f.). 4 Im vorliegenden Zusammenhang insbes. „Richtlinie 2004 / 18 / EG vom 31. 03. 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge“, ABl. L 134 vom 30. 04. 2004, S. 114 (Vergaberechtskoordinierungsrichtlinie, im Folgenden: VKR). 5 In §§ 97 ff. GWB, in der Vergabeverordnung (VgV) sowie den drei Verdingungsordnungen („Kaskadenprinzip“).

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Fixierung der Beschaffung auf betriebswirtschaftliche Effizienz wird gelockert zugunsten einer verstärkten Berücksichtigung auch weiter gesteckter Sekundärziele;7 in diese Tendenz fügt sich auch der Versuch ein, die Nachfragemacht der öffentlichen Hand zugleich zur Verwirklichung (technisch) innovativer Lösungen zu instrumentalisieren. Welche strukturellen Probleme sich dabei stellen und welche Lösungsmöglichkeiten das geltende Vergaberecht hierzu bereithält, ist Gegenstand meiner nachfolgenden Überlegungen. 2. Mögliche Einsatzfelder von Vergabeverfahren zur Innovationsförderung Gewiss eignen sich Vergabeverfahren nicht, um Basisinnovationen8 hervorzubringen. Denn es bedarf eines Mindestmaßes an Vorstellungen davon, was Gegenstand der Beschaffung sein soll. Außerdem muss eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gegeben sein, dass sich das Projekt überhaupt (technisch) verwirklichen lässt, was beim Entwurf und der Entwicklung von gänzlich Neuem anfänglich kaum hinreichend sicher prognostizierbar ist. Der Vergabewettbewerb ist erst auf einer späteren anwendungsorientierten Innovationsstufe einsetzbar, wenn nämlich theoretisch bereits Vorgezeichnetes weiterentwickelt, praxistauglich und marktreif gemacht werden soll9. Dabei erscheinen zwei Grundmodelle besonders diskussionswürdig: a) Erstens ist an die Nutzung privaten Innovationspotentials in Public-PrivatePartnership-Projekten zu denken. Dabei sucht die öffentliche Hand im Ausschreibungswettbewerb einen privaten Partner zur Finanzierung und Entwicklung innovativer technischer Systeme. Besonders nahe liegt ein solches Vorgehen für IT-Lösungen wie im noch näher zu erörternden Beispiel Toll Collect. Auch Umwelttechnik käme in Betracht, etwa automatische Müllsortierungssysteme, deren Realisierbarkeit sich jedenfalls in Teilbereichen abzuzeichnen scheint.10 Eine 6 Betont von Philipp Steinberg, Die Flexibilisierung des neuen europäischen Vergaberechts, NZBau 2005, S. 85 ff. 7 Dies räumt sogar Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 97 Rn. 186 ff. ein; näher Michael Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Hrsg.), Nomos-Kommentar zum Vergabe- und Preisrecht (im Erscheinen), § 97 GWB Rn. 152 ff. 8 Gemeint ist insoweit die Entwicklung gänzlich neuer Dinge oder Verfahren wie z. B. der Dampfmaschine, des Autos oder des PCs. Man kann insoweit von Inventionen im engsten Sinne sprechen, wenngleich der Begriff der Invention oftmals weiter auch für den Entwurf oder die Entwicklung eines neuen Produkts verwendet wird. Zu den idealtypisch unterscheidbaren Innovationsphasen Wolfgang Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, DV 38 (2005), S. 145 (155), im Anschluss an Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1. Aufl. 1912, 9. Aufl. 1997. 9 Insoweit geht es um Innovationen im engeren Sinne nebst sogenannter Diffusion, also der Verbreitung am Markt. 10 Vgl. Hans-Jochen Lückefett, in: Bullinger / Fehling (Hrsg.), Elektrogesetz, 2005, § 6 Rn. 50.

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Übertragung auf soziale Innovationen, etwa im Bildungsbereich, erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen. b) Ein zweites realistisches Anwendungsfeld bildet das Technology Forcing durch innovationsorientierte Leistungsbeschreibung bei langfristigen Beschaffungsvorgängen. Dies knüpft an Strategien im US-Umweltrecht vornehmlich der 70er Jahre an. Dort hatte man damals Gesetze oder Verordnungen („rules“ der Environmental Protection Agency) erlassen, die nach Ablauf langer Fristen (5 – 10 Jahre) technologische Standards – beispielsweise niedrigere Abgasgrenzwerte für Autos – festschrieben, die nur mit technischen Innovationen erreichbar waren; dadurch sollte die Industrie veranlasst werden, in der ihr verbleibenden Frist in die entsprechende Forschung zu investieren.11 Ähnliches wäre mittels Vergabeverfahren vorstellbar. So könnte die öffentliche Hand über zentrale Beschaffungsstellen Lieferaufträge (§ 99 Abs. 2 GWB) ausschreiben, wonach nach Ablauf einer längeren Frist (etwa von 5 Jahren) eine große Zahl von Drei-Liter-Autos (für den kompletten Fuhrpark eines Bundeslandes oder gar darüber hinaus) zu liefern wäre. Ist das Auftragsvolumen groß genug, würde dies für die Industrie einen beträchtlichen Anreiz darstellen, entsprechende Produkte zu vertretbaren Preisen marktreif zu machen – wovon dann auch andere Kunden und insbesondere die Umwelt profitieren würden.

II. Die Herausforderung eines vollautomatischen LKW-Mautsystems: Das Beispiel Toll Collect Ein plastisches Beispiel dafür, welche Schwierigkeiten eine solche Innovationsförderungsstrategie mit sich bringt, bildet der Fall Toll Collect.12 Er fördert zugleich ein Vergabeverfahren zu Tage, das so gar nicht dem eingangs geschilderten Normaltypus entspricht. Es ging nicht um eine standardisierte Dienstleistung, sondern um technisches Neuland. Angesichts der massiven Wissensdefizite der öffentlichen Hand wurden vorab 15,6 Millionen Euro für Beraterfirmen und weitere 7,8 Millionen Euro in eine projektbegleitende „Beratergruppe LKW-Maut“ investiert, um sicherzugehen, dass ein solches System überhaupt funktionieren kann. Das Projekt wurde zwar europaweit ausgeschrieben, aber nicht im offenen Verfahren, sondern im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb (§ 3a Nr. 1 Abs. 4 lit. c i.V. m. Abs. 3 S. 2 VOL / A). Nur diese erste Stufe 11 Dazu Peter S. Menell / Richard B. Stewart, Environmental Law and Policy, 1994, S. 284 ff.; auf Autoabgase bezogen S. 296 ff.; John E. Bonine, The Evolution of „Technology Forcing“ in the Clean Air Act, 6 Envtl. Rep. (BNA), Monograph. No. 21, 1975; D. Bruce la Pierre, Technology-Forcing and Federal Environmental Protection Statutes, Iowa L. Rev. 62 (1977): 771 (insbes. 794 ff.). Ein weiterer Begriff des „Technology Forcing“ liegt dem Beitrag von Jänicke (in diesem Bande) zugrunde. 12 Zum Folgenden zusammenfassend Wikipedia, Stichwort „Vergabeverfahren zur LKWMaut in Deutschland“, abrufbar unter: http: // de.wikipedia.org / w / index.php?title=Vergabeverfahren_zur_Lkw-Maut_in_Deutschland (zuletzt abgerufen am 17. 09. 2008).

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war für alle Bewerber offen; die Ausschreibungsunterlagen wurden dagegen weitgehend geheim gehalten und im Verhandlungsverfahren nur an diejenigen fünf Konsortien geliefert, die aufgrund des Teilnahmewettbewerbs aufgefordert worden waren, ein Angebot abzugeben. Statt einer konventionellen Leistungsbeschreibung konnte in den Unterlagen nur rein funktional beschrieben werden, was das zu beschaffende IT-System zu leisten in der Lage sein musste. Mangels weiterer hinreichend leistungsfähiger Unternehmen verblieben im Verhandlungsverfahren nur drei und später sogar nur zwei Bieter. Das Verfahren provozierte mehrere, zum Teil erfolgreiche Nachprüfungsverfahren.13 Man rügte die mangelnde Präzision der Ausschreibung und eine nicht hinreichend unparteiliche Verfahrensgestaltung, da die Verhandlungen in erster Linie mit dem Toll-Collect-Konsortium als „Preferred Bidder“ geführt worden waren. Auch die Zuschlagsentscheidung wurde als intransparent und in der Sache fehlerhaft beanstandet. Letztlich konnte dieser Streit nur dadurch gütlich beigelegt werden, dass das unterlegene Konsortium über Unteraufträge vom Sieger (Telekom / Cofiroute / Daimler-Chrysler) am Projekt beteiligt wurde – wodurch freilich vom Vergabewettbewerb fast gar nichts mehr übrig blieb. Der Vertrag mit Toll Collect umfasst rund 17 000 Seiten und blieb – wohl wegen technischer Geschäftsgeheimnisse – geheim.14 Das System war dann bekanntlich nicht rechtzeitig funktionsfähig, was langwierige Verhandlungen und nun auch juristische Auseinandersetzungen über Schadensersatz nach sich zog; die vorgesehene Vertragsstrafe deckte die Einnahmeausfälle des Bundes durch die Verzögerung bei weitem nicht ab. Man wird wohl von einem teilweisen Scheitern dieses Innovationsförderungsprojekts sprechen müssen, wenngleich die nun realisierte technische Lösung den konkurrierenden Systemen in anderen Staaten immerhin ein Stück voraus ist.

III. Anforderungen an ein innovationsstimulierendes Vergaberecht 1. Flexibilität: Wissensdefizite als Hindernis für „starre“ Ausschreibungs- und Verfahrensvorgaben Schon wegen der Innovationsprozessen eigenen Ungewissheiten bedarf es einer gewissen Flexibilisierung auf nahezu allen Verfahrensebenen. Dies steht freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zur unverändert notwendigen Wettbewerbs13 Veröffentlicht: OLG Düsseldorf, Beschluß v. 19. 12. 2001, Az. Verg 42 / 01 – NZBau 2002, S. 287 ff. (erfolgreiche Klage eines Bieters gegen den Ausschluss nach unzureichenden Erläuterungen der Vergabestelle); VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, S. 110 ff. (keine Rechtsfehler im Hinblick auf Unvoreingenommenheit, die Erfüllung der Eignungsanforderungen, die Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung und die Wertung der Angebote). 14 Scharfe Kritik wegen der Geheimhaltung auch gegenüber dem Parlament bei Frank Schorkopf, Transparenz im Toll-Haus, NVwZ 2003, S. 1471 (1473 f.).

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gerechtigkeit, Verfahrenstransparenz und Gleichbehandlung aller (potentiellen) Bieter. a) Bei den öffentlichen Auftraggebern muss zwecks Technology Forcing eine bedarfsgerechte Bildung von Einkaufsgemeinschaften ermöglicht werden. Insoweit geht es allerdings nicht um die Bewältigung von Wissensdefiziten, sondern um die Bündelung von Nachfragemacht, um das Auftragsvolumen und damit die Innovationsanreize zu erhöhen. Dies scheint freilich mit dem allgemeinen Kartellverbot in Konflikt zu geraten. b) Einer erschöpfenden Leistungsbeschreibung bereits bei der Ausschreibung steht vielfach entgegen, dass die Vergabestelle auf privates Know-how angewiesen ist, welches zudem erst noch generiert werden muss. Dies gilt besonders dann, wenn schon das Ziel, wie im Beispiel Toll Collect, bei Beginn des Vergabeverfahrens nur unscharf formulierbar ist. In solchen Fällen lässt sich der Auftragsgegenstand nur in mehreren Verfahrensetappen schrittweise konkretisieren. In anderen Konstellationen, namentlich beim Technology Forcing, kann das Ziel durchaus von Anfang an klar konturierbar sein (z. B. das Drei-Liter-Auto), nur zur Verwirklichung dieses Ziels werden (technische) Innovationen benötigt. Hier könnte eine funktionale Leistungsbeschreibung helfen. c) Beim Vergabeverfahren bedarf es vor allem gewisser Verhandlungsmöglichkeiten: Zu Beginn, um gemeinsam mit Bewerbern den Leistungsgegenstand zu konkretisieren, im weiteren Verfahrensfortgang, um eventuelle Modifikationen einbringen zu können. Verallgemeinert ausgedrückt geht es um die Ermöglichung von Lernprozessen im und durch das Vergabeverfahren. Ferner wird im Vergabeverfahren oftmals eine zwischengeschaltete praktische Erprobung der vorgeschlagenen Lösungen sinnvoll sein. Mit ihr hat der Bieter die Erfüllung der Mindestanforderungen an seine Eignung darzulegen, um überhaupt in die „Endauswahl“ zu kommen. d) Für die Vertragsdurchführung sind spätere Anpassungsmöglichkeiten wichtig. Eine Nachsteuerung ist vor allem erforderlich, wenn sich ein vorgesehener Weg später als technisch nicht gangbar erweist oder wenn im Laufe des Verfahrens deutlich wird, dass weitere Leistungsmerkmale für die optimale Einsatzfähigkeit des Produkts unverzichtbar sind. Dies betraf bei Toll Collect die Ausdehnbarkeit des Maut-Systems auf Landstraßen und die Erweiterbarkeit auf PKW; teilweise mussten aber auch nachträglich die Anforderungen an das Maut-System wegen technischer Schwierigkeiten reduziert werden.15 Die Erfahrungen der USA mit dem Technology Forcing16 zeigen, dass auch Fristverlängerungen notwendig werden 15 Kritik an dortigen zu weitreichenden Änderungen, bei denen die Identität des Auftragsgegenstandes (dazu allgemein unten IV. 1. h) nicht gewahrt worden sei, Jan Byok / Nicola Jansen, Durchbruch für das A-Modell im Fernstraßenausbau?, NZBau 2005, S. 241 (243 ff.). 16 Zu den Problemen der „deadline extension“ instruktiv Menell / Stewart (Fn. 11), S. 296 ff. – Allgemein zur Notwendigkeit erheblicher Spielräume für alternative Such- und Lernprozesse bei Technology-Forcing-Programmen im Umweltrecht Karl-Heinz Ladeur, Um-

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können, wenn der Anbieter, der den Zuschlag erhalten hat, die Innovation nicht rechtzeitig bzw. nicht in vollem Umfang realisieren kann. In Extremfällen ist schließlich an ein Eintrittsrecht eines im Vergabewettbewerb zunächst unterlegenen Konkurrenten zu denken, von dem man nach den neuen Erkenntnissen eher erwarten kann, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. All dies schafft indes große Probleme bei der Gewährleistung der Chancengleichheit. e) Da eine Innovationsstimulierung durch Vergabeverfahren noch weitgehend experimentellen Charakter trägt, kann sich eine nachgeschaltete Evaluationsphase empfehlen, um zwecks etwaiger Nachsteuerung oder zumindest für spätere ähnliche Verfahren zu lernen. Gerade bei öffentlich-privaten Partnerschaften muss der Evaluationsprozess eng mit der Durchführung der Kooperation verzahnt werden; angesichts der leidvollen Erfahrungen bei Toll Collect gilt es, eine Abschottung des privaten Auftragnehmers gegenüber der staatlichen Kontrolle gerade auch im Verwirklichungsstadium zu verhindern.17

2. Anreize zur Beteiligung am Innovationswettbewerb im Vergabeverfahren Anders als bei Beschaffung gängiger Güter oder Leistungen bedarf es für Innovationen eines besonderen Entwicklungsaufwands, typischerweise schon, um überhaupt ein tragfähiges Angebot unterbreiten und im Verhandlungsprozess präzisieren zu können. Solche kostspieligen und zur Offenlegung von geheimhaltungsrelevantem Know-how nötigenden Vorleistungen werden potentielle Bieter regelmäßig nicht erbringen wollen ohne konkrete Aussicht auf die spätere Beauftragung oder jedenfalls auf eine adäquate finanzielle Kompensation. Derartige Absicherungen laufen jedoch tendenziell dem vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip zuwider. a) Unterlegene Bieter müssen davor geschützt werden, dass letztlich Dritte – die öffentliche Hand selbst oder Konkurrenten – ihre innovativen Ideen „ausschlachten“. Zum einen besteht das Risiko, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren aufhebt und sich die bereits offenbarten Ideen der Wettbewerber aneignet und selbst anderweitig umsetzt. Zum anderen könnten auch mitbietende Konkurrenten spätestens bei taktisch motivierten Nachprüfungsanträgen Kenntnis von den Konzepten des Ideengebers erlangen und diese mehr oder minder übernehmen. Dies betrifft weniger Fälle des langfristigen Technology Forcing als solche der Public Private Partnership nach dem Vorbild Toll Collect. Die Projektoptimierung ist dort weltrecht und technologische Innovation, JbUTR 1988, S. 305 (319 ff.); Wolfgang HoffmannRiem / Jens-Peter Schneider, Zur Eigenständigkeit rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, in: dies. (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 389 (396). 17 Zur Kritik an der Geheimhaltung bei Toll Collect s. o. Fn. 14. – Man könnte sogar an Schadensersatzansprüche für Bieter denken, die nach dem Ergebnis der Evaluation eigentlich den Zuschlag hätten erhalten müssen. Eine solche drohende Sanktion dürfte freilich die Kooperationsbereitschaft des Auftragnehmers erheblich mindern.

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ohne einen gewissen Informationsfluss im Verhandlungsprozess kaum möglich. Ein allgemeines Problem des modernen (Verwaltungs-)Rechts, nämlich dessen besondere Wissensabhängigkeit im Spannungsverhältnis zum Schutz von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen, gewinnt hier besondere Brisanz. b) Neben Geheimnisschutzvorschriften und weiterreichenden Schutzvereinbarungen wäre an die Zuerkennung einer „Innovationsprämie“ zu denken, um denjenigen, der das innovative PPP-Projekt überhaupt erst angeregt hat bzw. in einem vorgezogenen Ideenwettbewerb erfolgreich war, zu entschädigen, sofern er nicht den Auftrag erhält. In Betracht käme zum einen eine finanzielle Kompensation, etwa der (teilweise) Ersatz der Entwicklungskosten. Zum anderen könnte man sogar eine gewisse Bevorzugung bei der Auftragsvergabe erwägen, etwa – nach italienischem Vorbild18 – mittels eines Einrittsrechts des Ideengebers in das beste Angebot. Dabei droht freilich ein Konflikt mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgebot.

IV. Nutzbare Spielräume im neuen (europäischen) Rechtsrahmen 1. Flexibilisierungspotential a) Bildung zentraler Beschaffungsstellen zur Bündelung der Nachfragemacht Dass mehrere öffentliche Auftraggeber zentrale Beschaffungsstellen einrichten können, ist mittlerweile gemeinschaftsrechtlich anerkannt (Art. 11 VKR). Auch aus dem nationalen Recht ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken. Schutzwürdige Interessen des Mittelstandes (vgl. Art. 97 Abs. 3 GWB) dürften kaum berührt sein, weil es sich typischerweise um ohnehin nicht mittelstandsgeeignete Großprojekte handeln wird.19 Beim allgemeinen Kartellverbot (§ 1 GWB) ist schon dessen Anwendbarkeit fraglich, da jedenfalls das Gemeinschaftsrecht (Art. 81 EG) bloße Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand mangels anbietender Wirtschaftstätigkeit nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts ansieht.20 Zumindest wird kein kartellrechtswidriger mittelbarer Bezugszwang21 Dazu unten IV. 1. c) u. 2. b). Aus § 97 Abs. 3 GWB lässt sich im Lichte des Gemeinschaftsrechts kein Gebot der ausnahmslos dezentralen Beschaffung herleiten, s. Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 97 Rn. 113 u. 126; die Aufteilung eines Großauftrags in Lose steht wie auch sonstige Maßnahmen zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen unter Zweckmäßigkeitsvorbehalt (eine Verschärfung ist geplant), Überblick bei Bungenberg, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 97 Rn. 33; Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 98. 20 Vgl. EuGH, Urteil v. 11. 07. 2006, Rs. C-205 / 03 P (FENIN / Kommission u. a.) – EuZW 2006, S. 600 (601 Rn. 25 f.); Thomas Eilmannsberger, in: Streinz (Hrsg.), EUV / EGV, 2003, vor Art. 81 EGV Rn. 27; kritisch Volker Emmerich, Kartellrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Oktober 2007, H. I. § 1 Rn. 59 m. w. N. Aus nationaler Sicht 18 19

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auf die öffentlichen Auftraggeber ausgeübt, wenn diese sich nur für konkret umrissene Beschaffungsvorgänge zwecks Technology Forcing freiwillig zu Einkaufsgemeinschaften zusammen finden. Eine gemeinsame Beschaffungsstelle von Bund und Ländern geriete allerdings mit dem Verbot der Mischverwaltung22 in Konflikt. b) Weitgehende Freistellung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen im Gegensatz zu Dienstleistungsaufträgen Gänzlich aus den strengen Anforderungen des Vergaberechts heraus fallen Dienstleistungskonzessionen (vgl. Art. 17 i.V. m. Art. 1 Abs. 4 VKR). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass dem Konzessionär das (ausschließliche) Recht zur Erbringung einer Dienstleistung übertragen wird und dieser selbst einen wesentlichen Teil des wirtschaftlichen Risikos trägt. Typischerweise finanziert der Konzessionär sich zu einem beträchtlichen Anteil aus Entgelten seiner Kunden und nicht – wie bei dem Vergaberecht unterfallenden Dienstleistungsaufträgen – vom auftraggebenden Staat.23 Die Vergabe solcher Dienstleistungskonzessionen unterliegt allein den Anforderungen des EG-Vertrags, namentlich der Grundfreiheiten und des Beitendenziell anders BGH, Urteil v. 12. 11. 2002, Az. KZR 11 / 01 (,Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge‘) – NVwZ 2003, 1012 (1013); Daniel Zimmer, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 1 Rn. 264 m. w. N. (mit Hinweis darauf, dass die frühere teilweise Freistellung in § 4 Abs. 2 GWB a.F. entfallen ist); Jan Bernd Nordemann, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 2 Rn. 90, vgl. auch § 1 Rn. 35. 21 Zu diesem Maßstab vgl. BGH, Urteil v. 12. 11. 2002, Az. KZR 11 / 01 (,Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge’) – NVwZ 2003, 1012 (1014); Zimmer, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 1 Rn. 265; auf eine weitreichende Preisbindung der der Einkaufsgemeinschaft angehörenden Unternehmen für eine größere Zahl von Geschäften – und eben nicht nur einen konkreten Beschaffungsvorgang – abstellend KG, Beschluss v. 26. 02. 1986, WuW / E OLG 3737 (3742) – Selex-Tania. 22 BVerfGE 63, 1 (38 ff.); 108, 169 (182); BVerfG, Urteil v. 20. 12. 2007, Az. 2 BvR 2433 / 04 u. 2434 / 04 (,Hartz IV‘) – NVwZ 2008, 183 (186 Rn. 153). 23 Die genaue Abgrenzung bleibt unklar. Teilweise wird darauf abgestellt, ob das Unternehmen das überwiegende wirtschaftliche Risiko der Refinanzierung trägt, so z. B. OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 652 (653 f.). Nach der EG-Kommission soll es dagegen ausreichen, „dass (durch den staatlichen Zuschuss) nicht das ungewisse und sich aus der Natur der Nutzung ergebende Risiko beseitigt wird“, so die Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht ABl. C 121 v. 29. 04. 2000, Ziff. 2.1.2. (dort für die Abgrenzung Bauaufträge / Baukonzessionen); darauf Bezug nehmend Oliver Hattig / Bettina Ruhland, Die Rechtsfigur der Dienstleistungskonzession, NZBau 2005, S. 626 (629). Vereinzelt wird zusätzlich gefordert, dass dem Konzessionär die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe übertragen wird, die sonst dem Konzessionsgeber obliegen würde (so besonders streng VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534 [535]). Der EuGH hat dieses Kriterium jedoch nicht aufgegriffen (darauf hinweisend Carsten Jennert, Das Urteil Parking Brixen: Übernahme des Betriebsrisikos als rechtssicheres Abgrenzungsmerkmal für die Dienstleistungskonzession?, NZBau 2005, S. 623 [624 f.]), ebenso wenig wie zuvor die Kommission in ihrer Mitteilung zu Auslegungsfragen bei Konzessionen im Gemeinschaftsrecht. Zum Ganzen Bettina Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, 2006, S. 177 ff.; Ziekow (Fn. 2), § 9 Rn. 18 ff.

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hilfenrechts. Um Diskriminierungen zu verhindern, bedarf es auch hier eines Mindestmaßes an Transparenz und eines Gleichbehandlung sichernden, geordneten und in den Anforderungen verhältnismäßigen Verfahrens.24 Eine Verpflichtung zu einem streng formalisierten Vergabeverfahren ist damit jedoch nicht verbunden, so dass größere Verhandlungsspielräume und weit mehr Flexibilität verbleiben. Ob die Aktivierung privaten Innovationspotentials in Public-Private-PartnershipProjekten als Dienstleistungskonzession oder als Dienstleistungsauftrag einzuordnen ist, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. Im Falle Toll Collect handelte es sich um einen Dienstleistungsauftrag, weil das Konsortium sich nicht aus Mautgebühren refinanzieren soll, sondern eine, wenn auch leistungsabhängige Bezahlung vom Staat als Auftraggeber erhält.25 Im Modell des längerfristigen Technology Forcing geht es wohl zwingend allein um Lieferungs- oder Dienstleistungsaufträge, so dass die Ausklammerung der Dienstleistungskonzession aus dem Kartellvergaberecht hier kein Flexibilisierungspotential eröffnet. c) Dem Vergabeverfahren vorschaltbarer Ideenwettbewerb oder Teilnahmewettbewerb Muss die zu beschaffende Ware oder Leistung erst noch entwickelt werden, wie regelmäßig bei innovativen Projekten, so ist vor allem26 an einen vorgeschalteten Ideenwettbewerb zu denken. Solche Auslobungsverfahren sind bei Bauvorhaben in Form von Architektenwettbewerben üblich, darüber hinaus aber allgemein für freiberufliche und sonstige Leistungen in den Verdingungsordnungen vorgesehen (§ 31a VOL / A; §§ 20, 25 VOF). Dementsprechend eignen sie sich grundsätzlich auch für die Entwicklung neuartiger technischer Lösungen; Wettbewerbsziel und Auswahlkriterien müssen allerdings ex ante hinreichend klar definierbar sein.27 Als Preis kann sowohl die Realisierung des Sieger-Entwurfs – Realisierungswettbewerb – als auch eine sonstige finanzielle oder ideelle Vergünstigung – bloßer Ideenwettbewerb i. e. S. – ausgelobt werden.28 24 Grundlegend EuGH, Urteil v. 07. 12. 2000, Rs. C-324 / 98 (,Teleaustria‘), Slg. 2000, I-10745, Rn. 60 ff., zuletzt EuGH, Urteil vom 06. 04. 2006, Rs. C-410 / 04 (,ANAV‘), Slg. 2006, I-3303, Rn. 17 ff. Die EG-Kommission will eine Regelung vorschlagen, s. Mitteilung zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen v. 15. 11. 2005, KOM (2005) 569 endg., S. 9 ff. 25 VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, S. 110 (Tatbestand). 26 Kurze Diskussion weiterer, wenig geeigneter Modelle (informelle Befragung potentieller Bieter, bzw. Projektanten, haushaltsrechtliches Interessenbekundungsverfahren) bei Georg Hermes / Jens Michel, Die Nutzung privaten Innovationspotentials bei privatfinanzierten öffentlichen Projekten, DV 38 (2005), S. 111 (192 f.). 27 Fridhelm Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß (Hrsg.), Kommentar zur VOL / A, 2007, § 31a Rn. 6; ders., in: Müller-Wrede (Hrsg.), Kommentar zur VOF, 3. Aufl. 2008, § 20 Rn. 7. 28 Zu diesen, auch in zwei Stufen kombinierbaren Modellen Malte Müller-Wrede, in: ders. (Fn. 27), § 25 Rn. 28 ff.

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Rechtlich bleibt solch ein vorgeschaltetes Auslobungsverfahren fast gänzlich von einem eventuell nachfolgenden Vergabeverfahren über den Auftrag zur Realisierung des Sieger-Entwurfs getrennt29. Es kann sogar in den beiden Etappen ein teilweise anderer Adressatenkreis angesprochen sein, etwa Architekten auf der ersten und Bauunternehmen auf der zweiten Stufe. Bei innovativen PPP-Projekten müssen dagegen Innovationsidee und deren Realisierung typischerweise in einer Hand bleiben. Gewissen Vorbildcharakter könnte insoweit ein integriertes dreistufiges Modell des „Project Financing“ erlangen, welches das italienische Recht für Baukonzessionen mit mehr oder minder großem Innovationsanteil zur Verfügung stellt.30 Auf eine vorgeschaltete informelle Projektvorschlagsphase folgt – optional – eine zentrale Projektbestimmungsphase mit einer Art Ideenwettbewerb. Der Anbieter mit dem besten Realisierungsvorschlag wird im nachfolgenden Vergabeverfahren zum „Promotor“ und besitzt dort gegebenenfalls ein Eintrittsrecht in das beste Angebot. Gerade diese Privilegierung des Promotors war allerdings wegen des damit verbundenen Diskriminierungspotentials vom Generalanwalt beim EuGH als Verletzung der Dienstleistungsfreiheit beanstandet worden.31 Immerhin erscheint jedenfalls für Dienstleistungskonzessionen eine primärrechtskonforme Nachbesserung durch zusätzliche Transparenzsicherungen nicht ausgeschlossen32. Zwecks ganzheitlicher Verfahrenslösung kann alternativ – oder sogar kumulativ – dem Vergabeverfahren im engeren Sinne auch ein Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet werden (vgl. § 3 Nr. 1 Abs. 4 VOL / A; § 5 Abs. 1 S. 1 VOF). Dieser verfolgt zwar ein anderes Ziel als ein Ideenwettbewerb; es geht nämlich nicht um die Konkretisierung des künftigen Auftragsgegenstandes, sondern um die Ermittlung hinreichend geeigneter (§ 97 Abs. 3 GWB) Bieter.33 Wenn jedoch die zu erbringende Leistung eine technische Innovation voraussetzt, können Fachkunde und 29 Vgl. allerdings § 3a Nr. 2b VOL / A, wonach im Anschluss an einen Wettbewerb bei einem Verhandlungsverfahren auf eine ansonsten grundsätzlich notwendige Vergabebekanntmachung verzichtet werden kann. 30 Sog. „Legge Merloni“, Gesetz v. 11. 02. 1994, n. 109 – legge qaudro in materia di lavori pubblici, Gazetta Ufficiale (G.U.) del 19 Febbraio 1994, n. 41, Supplemento Ordinario (S.O.), in der Fassung der Änderungen durch Art. 11 der legge 18 Novembre 1998, n. 415 (das sog. „Merloni-ter“), G.U. del 4 Dicembre 1998, n. 284, S.O., und durch Art. 7 des Gesetzes v. 01. 08. 2002, n. 166 (das sog. „Merloni-quater“), G.U. del 3 Agosto 2002, n. 181, S.O.; zitiert nach und Inhaltsangabe bei Hermes / Michel (Fn. 26), S. 180 ff. Erneute Änderung durch Gesetz v. 18. 04. 2005, n. 62 – disposizion per l’adempimento di obblighi derivanti dall’appartenenza dell’Italia alle Communita europee, legge communitaria 2004, S.O. alla GURI n. 96 del 27 Aprile 2005. 31 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer v. 08. 11. 2006, Rs. C-412 / 04, Rn. 109 ff.; Rüge der Kommission nun in EuGH, Urteil v. 21. 02. 2008, Rs. C-412 / 04, Rn. 105 f. als unzulässig, weil zu wenig substantiiert, zurückgewiesen (beides zitiert nach eur-lex). 32 Darauf ist bei der Diskussion möglicher Anreizmechanismen zurückzukommen, s. u. IV. 2. b). 33 Claudia Korthals, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 3 Rn. 22; vgl. Müller-Wrede, in: ders. (Fn. 27), § 5 Rn. 35 f.

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technische Leistungsfähigkeit als Teil der Eignung auch das erforderliche Innovationspotential auf Seiten der Bieter umfassen. Mit anderen Worten: Im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb lassen sich diejenigen Unternehmen ermitteln, denen nach den bisherigen Erfahrungen (Referenzen34) sowie nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung (Know-how) die Verwirklichung des Innovationsprojekts grundsätzlich zuzutrauen ist35 und mit denen sich deshalb Verhandlungen lohnen. Zum Nachweis ihrer technischen Leistungsfähigkeit kann von den Bietern auch eine Grundidee zur Verwirklichung des Projekts gefordert werden, womit sich das Eignungsfeststellungsverfahren ein Stück weit dem Ideenwettbewerb annähert. Allerdings geht es hier nicht um die Prämierung der besten Vorschläge, sondern allein um den Nachweis bestimmter Mindestfähigkeiten. Diesen Weg hat man im Falle Toll Collect beschritten.36 Das Problem dieses Weges besteht in der unveränderten Notwendigkeit einer hinreichend präzisen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Insoweit ist dieses Modell weniger flexibel als ein Auslobungsverfahren. Hier könnte allerdings die noch zu betrachtende Verfahrensart des wettbewerblichen Dialogs37 zumindest teilweise Abhilfe schaffen. d) Flexibilität bei der Aufgaben- oder Leistungsbeschreibung Um ein wettbewerbliches, transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren zu sichern, bedarf es grundsätzlich bereits bei der Ausschreibung einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (z. B. § 8 Nr. 1 VOL / A; leicht eingeschränkt § 8 VOF). Außerhalb des wettbewerblichen Dialogs und des Verhandlungsverfahrens ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb verbleiben drei Möglichkeiten beschränkter Flexibilisierung. Erstens kann statt einer konventionellen oder konstruktiven Beschreibung des Leistungsgegenstandes bei besonders komplexen Aufträgen eine funktionale Aufgaben- oder Leistungsbeschreibung (§ 8 Nr. 2 Abs. 1, 1. Hs. lit. a VOL / A; der Sache nach auch § 8 VOF) genügen.38 Bei „zukunftsgerichteten Projekten“ mit 34 Eine zu starke Fixierung auf „bekannte und bewährte“ Unternehmen kann freilich innovationshemmend wirken. 35 Allgemein zum „gesamte[n] Know How“ als Teil der technischen Leistungsfähigkeit z. B. Friedrich Ludwig Hausmann, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 7 Rn. 161 a. E.; zum Spielraum des Auftraggebers bei der Festlegung der Eignungsanforderungen a. a. O. Rn. 174; Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 103. Zur Möglichkeit, eine „Beschreibung der Maßnahmen des Bewerbers zur Gewährleistung der Qualität seiner Untersuchungs- und Forschungsmöglichkeiten“ zu verlangen, siehe § 13 Abs. 2 lit. f VOF, ähnlich § 7a Nr. 3 Abs. 2 lit b VOL / A; dies zielt gerade auf die Innovationsfähigkeit des Unternehmens, s. MüllerWrede, in: ders. (Fn. 27), § 13 Rn. 21. 36 VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, S. 110 (Tatbestand), im Nachprüfungsverfahren nicht in Zweifel gezogen. 37 Unten IV. 1. f).

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„gewisser Pionierfunktion“, „bei denen man nur begrenzt auf Erfahrungswerte zurückgreifen kann“, ist – so die Vergabekammer in Sachen Toll Collect39 – ein Verzicht „auf quantitative Vorgaben“ möglich, damit die Bieter hinreichende Freiheit besitzen, „gänzlich neue Lösungsansätze“ zu suchen. Dies entbindet den Auftraggeber allerdings nicht von der Festlegung eines Anforderungsprofils, das eine sachgerechte Bewertung der angebotenen Lösungen und die Nachvollziehbarkeit der Wertungsentscheidung ermöglicht.40 Gewisse zusätzliche Spielräume für innovative Lösungen eröffnet zweitens die Zulassung von Nebenangeboten41 (gemeinschaftsrechtlich „Varianten“ genannt, Art. 24 VKR), bei denen teilweise von den für das Hauptangebot aufgestellten Anforderungen abgewichen werden darf. Schon begrifflich bedarf es dazu jedoch der hinreichend präzisen Leistungsbeschreibung für das Hauptangebot. Im Übrigen müssen auch für Nebenangebote in den Verdingungsunterlagen Mindestanforderungen formuliert werden (§ 9a Nr. 2 VOL / A42), damit Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter gewährleistet bleiben.43 Für relativ klar umrissene Projekte des Technology Forcing dürfte dieses Flexibilisierungspotential aus funktionaler Ausschreibung nebst Zulassung von Nebenangeboten ausreichen, kaum jedoch für noch innovationsorientiertere Verfahren der öffentlich-privaten Partnerschaften.44 Geht es um die wiederkehrende Beschaffung größerer, aber noch nicht exakt vorab festlegbarer Stückzahlen, wie in meinem Beispiel des Drei-Liter-Autos, so kann drittens der Abschluss von Rahmenvereinbarungen (§ 3a Nr. 4 VOL / A) zu38 Näher Hans-Joachim Prieß, in: Müller-Wrede (Fn. 27), § 8 Rn. 103 ff., dort Rn. 106 mit Hinweis auf „zukunftsgerichtete Projekte mit Pionierfunktion“ wie bei Toll Collect; Jörg Schmidt, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der funktionalen Leistungsbeschreibung, ZfBR 2001, S. 3 ff.; zur „gewisse[n] Nähe“ der Aufgabenbeschreibung nach § 8 VOF zur funktionalen Leistungsbeschreibung nach VOL / A Hans-Peter Kulartz, in: Müller-Wrede (Fn. 27), § 8 Rn. 4. 39 VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, S. 110 (117 u. 120). 40 Vgl. Martin Weber / Oliver Moß / Andreas Parzych, in: Weber / Schäfer / Hausmann (Hrsg.), Praxishandbuch Public Private Partnership, 2006, § 11 unter 3.3.: „Bezüglich der Eckdaten des Projekts so detailliert und konkret wie möglich, im Hinblick auf die Nutzung von Innovationspotentialen der Bieter so offen wie nötig“. 41 So ausdrücklich Stephan Rechten, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 17 Rn. 62. 42 Über den Wortlaut von § 17 Nr. 3 Abs. 2 lit. p, Abs. 5 VOL / A hinaus ist dies mit leicht reduzierten Anforderungen auch unterhalb der Schwellenwerte geboten, s. Rechten, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 17 Rn. 64. 43 Es dürfen jedoch nicht so strenge Anforderungen gestellt werden, dass es für die Bieter keinen Spielraum mehr gibt, innovative Lösungen anzubieten, welche die Vergabestelle gar nicht kennen konnte; s. Kerstin Dittmann, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 9a Rn. 26, unter Verweis auf 2. VK Bund v. 14. 12. 2004, VK 2 – 208 / 04; vgl. Harald Freise, Mindestanforderungen an Nebenangebote, NZBau 2006, S. 548 (549 f.); skeptisch bei der Innovationseignung wegen des Erfordernisses, bereits in den Verdingungsunterlagen Mindestanforderungen an die Nebenangebote anzugeben, Volkmar Wagner / Ursula Steinkemper, Bedingungen für die Berücksichtigung von Nebenangeboten und Änderungsvorschlägen, NZBau 2004, S. 253 (255 f.). 44 So für letzteres auch Hermes / Michel (Fn. 26), S. 196 f.

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sätzliche Flexibilität schaffen.45 Nicht nur das Auftragsvolumen, auch andere Vertragselemente können dabei zunächst noch offen bleiben und erst in nachfolgenden Einzelverträgen konkretisiert werden. Dies ermöglicht in beschränktem Umfang auch eine Anpassung der späteren Einzelaufträge an den weiteren technischen Fortschritt.46 Allerdings muss der Leistungsgegenstand der Rahmenvereinbarung immer noch so eindeutig identifizierbar sein, dass ein chancengleicher Vergabewettbewerb überhaupt möglich ist.47 Die spätere Vergabe der Einzelaufträge kann sodann gänzlich ohne Vergabebekanntmachung oder – wenn in der Rahmenvereinbarung noch nicht alle Bedingungen festgelegt waren – wenigstens in einem vereinfachten Verfahren erfolgen (näher § 3a Nr. 4 Abs. 6 u. 7 VOL / A). e) Erweiterte Verfahrensoptionen beim Verhandlungsverfahren und beim wettbewerblichen Dialog Traditionell bildet das Verhandlungsverfahren diejenige Verfahrensart, die bei komplexen Aufträgen die Möglichkeit bietet, unter Nutzung der Fachkunde der Bieter die Leistungsbeschreibung sowie die Angebote weiter zu entwickeln und auf den besonderen Bedarf des Auftraggebers abzustimmen. Die Schattenseite ist die Intransparenz solcher Verhandlungen mit dem ihnen innewohnenden Diskriminierungspotential.48 Dementsprechend sind Verhandlungsverfahren oberhalb der Schwellenwerte nur in abschließend normierten Ausnahmetatbeständen zulässig (§ 3a Nr. 1 Abs. 5 VOL / A); noch restriktiver werden die Voraussetzungen, wenn sogar auf einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb verzichtet werden soll (§ 3a Nr. 2 VOL / A). Ist auch ein Verhandlungsverfahren als solches bei geistig-schöpferischen Dienstleistungen wie bei Toll Collect regelmäßig noch zulässig (vgl. § 3a Nr. 1 Abs. 5 lit. c VOL / A),49 so wird man auf einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb kaum ver45 Besonders betont auch für Märkte mit „kurzen Produkt- und Innovationszyklen“ von Korthals, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 3a Rn. 106. 46 Dies ist vor allem möglich, wenn noch nicht alle Bedingungen in der Rahmenvereinbarung selbst festgelegt sind und die Einzelaufträge sodann in einem „Mini-Wettbewerb“ gemäß § 3a Nr. 4 Abs. 7 VOL / A vergeben werden, s. Anette Rosenkötter / Anne-Carolin Seidler, Praxisprobleme bei Rahmenvereinbarungen, NZBau 2007, S. 684 (689). 47 Besonders betont von Matthias Knauff, Neues europäisches Vergaberecht: Rahmenvereinbarungen, VergabeR 2006, S. 24 (29); etwas großzügiger Rosenkötter / Seidler (Fn. 46), S. 686 f., die die Grenze der Unbestimmtheit erst dort überschritten sehen, wo dem Bieter unzulässigerweise (vgl. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL / A) ein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet wird; vgl. auch Korthals, in: Kulartz (Fn. 27), § 3a Rn. 127 ff., insbes. Rn. 129: Grenze dort, wo „die wirtschaftlichen Auswirkungen bei wertender Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommen“. 48 Dazu allgemein Ingo Franzius, Verhandlungen im Verfahren der Auftragsvergabe, 2006, insbes. S. 47 f. 49 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 101 Rn. 32 ff.; restriktiver Franzius (Fn. 48), S. 131 ff., wonach die Unmöglichkeit einer vertraglichen Spezifikation als Zulässigkeits-

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zichten können. Dieser erhöht die Anforderungen an die Leistungsbeschreibung.50 Noch gewichtiger sind die psychologischen Hemmnisse, die einen Einsatz des Verhandlungsverfahrens zur Innovationsförderung erschweren. Die undurchsichtige Verhandlungsstruktur, bei der ein Bewerber nie sicher sein kann, welche seiner Auskünfte in andere Verhandlungsrunden ohne seine Beteiligung einfließen, steigert aus Sicht der Bieter das Risiko, dass sich Dritte ihre Ideen aneignen. Ferner bleibt der Verhandlungsspielraum im Bezug auf den Auftragsgegenstand angesichts der Bindungswirkung der Leistungsbeschreibung eher gering.51 All dies dürfte einer Instrumentalisierung der Verhandlungen zur Fortentwicklung innovativer Ansätze deutliche Grenzen setzen. Diese Lücke52 sucht der neue Verfahrenstypus des wettbewerblichen Dialogs (§ 6a VgV) zu schließen,53 der drei teils formalisierte, teils weitgehend informelle Verfahrensschritte vorsieht.54 Er ist in seinem Anwendungsbereich ausdrücklich auf „besonders komplexe“55 innovative PPP-Projekte zugeschnitten. Zuerst gibt der öffentliche Auftraggeber seine „Bedürfnisse und Anforderungen“ in einer europaweiten Bekanntmachung oder in den dazu gelieferten Verdingungsunterlagen kund; dabei reicht eine funktionale Leistungsbeschreibung aus, die voraussetzung für das Verhandlungsverfahren erst vorliege, wenn eine funktionale Leistungsbeschreibung allein nicht ausreicht, eine Kombination beider Instrumente also einer besonderen, in der Praxis meist nicht gegebenen Rechtfertigung bedürfe. 50 Die Leistungsbeschreibung muss insbesondere detaillierter sein als beim wettbewerblichen Dialog, s. u. Fn. 56. 51 Hermann Müller / Winfried Veil, Wettbewerblicher Dialog und Verhandlungsverfahren im Vergleich, VergabeR 2007, S. 298 (303) sehen das Risiko, dass sich im Laufe der Verhandlungen herausstellt, dass womöglich doch andere, nicht in die Verhandlungen einbezogene Bieter den – u. U. modifizierten – Bedarf des Auftraggebers wirtschaftlicher befriedigen können. 52 Das Vorrangverhältnis zwischen Verhandlungsverfahren und wettbewerblichem Dialog ist umstritten: Teilweise wird das Verhandlungsverfahren als nachrangig betrachtet (z. B. Matthias Knauff, Im wettbewerblichen Dialog zur Public Private Partnership, NZBau 2005, S. 249 [250 u. 255] mit der Folgerung, dass das Toll-Collect-Projekt heute zwingend im wettbewerblichen Dialog abzuwickeln wäre), teilweise umgekehrt der wettbewerbliche Dialog (so tendenziell Franzius [Fn. 48], S. 86 f., der dann aber doch eher zu einem aliudVerhältnis tendiert); andere schließlich sehen beide Verfahrensarten – m. E. zutreffend – gleichrangig nebeneinander mit tendenziell unterschiedlichem, aber sich überschneidendem Anwendungsbereich (so wohl Dreher, in: Immenga / Mestmäcker [Fn. 1], § 101 Rn. 32; Hausmann, in: Kulartz u. a. [Fn. 27], § 3a Rn. 67 f.; eingehend Müller / Veil [Fn. 51], S. 304 ff.). 53 Ein „beträchtliches Innovationspotential“ sieht Franzius (Fn. 48), S. 89. 54 Überblick über den Verfahrensablauf z. B. bei Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 101 Rn. 36 ff. 55 Dies ist dann der Fall, wenn die Spezifizierung des Auftragsgegenstandes der Vergabestelle einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde; dies soll wiederum dann der Fall sein, wenn die Kosten für eingeschaltete Sachverständige o. ä. über 10 % der voraussichtlich anfallenden Gesamtkosten liegen; so Hermann Pünder / Ingo Franzius, Auftragsvergabe im wettbewerblichen Dialog, ZfBR 2006, S. 20 (22).

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– mehr als in anderen Verfahrensarten56 – noch erhebliche Konkretisierungs- und sogar Modifizierungsspielräume belässt.57 Der dadurch eröffnete Teilnahmewettbewerb ist relativ formalisiert. Große Flexibilität bietet dagegen die nachfolgende Dialogphase, die daher auch als eine Art Verhandlungsverfahren im Ausschreibungsverfahren charakterisiert wird.58 Der hiermit idealiter ausgelöste Suchprozess nach der besten Lösung59 erlaubt auch Projektmodifikationen (vgl. § 6a Abs. 5 S. 1 VgV), sofern die Identität des ausgeschriebenen Auftrags gewahrt bleibt.60 Ist die (technische) Lösung gefunden, so erklärt der Auftraggeber den Dialog für abgeschlossen und leitet eine wieder förmlichere Schluss- oder Angebotsphase ein, an deren Ende der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird. Auch hier bleibt jedoch die Sicherung innovativer Geschäftsgeheimnisse im Dialogstadium problematisch, umso mehr, als das gesamte Verfahren darauf ausgerichtet ist, dass die Bieter ihr Wissen zwecks Konkretisierung des Auftragsgegenstandes frühzeitig offenbaren.61 Das pauschale Verbot der unbefugten eigenen Nutzung und Weitergabe vertraulicher Informationen in § 6a Abs. 3 S. 5 VgV allein dürfte entgegen der Auffassung der Bundesregierung62 und der Beteuerungen der EG-Kommission63 kaum ausreichen. Denn Vertraulichkeitsbrüche des Auftraggebers, der ein starkes Interesse an der Diskussion von Lösungsmodellen mit verschiedenen Dialogpartnern besitzt, sind bei getrennten Verhandlungen kaum nachweisbar.64 In einem ebenfalls möglichen gemeinsamen Dialog ist ein Aneignen fremder Ideen erst recht möglich.65 Es besteht also Anlass zu 56 So im Vergleich zum Verhandlungsverfahren Michael Uechtritz / Olaf Otting, Das „ÖPP-Beschleunigungsgesetz“: Neuer Name, neuer Schwung für „öffentlich-private Partnerschaften“?, NVwZ 2005, S. 1105 (1108); Müller / Veil (Fn. 51), S. 302; geringerer Unterschied nach Hausmann, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 3a Rn. 53. 57 Zur Möglichkeit „alternative[r] Auftragsgegenstände“ in der ersten Verfahrensphase gerade im „hochtechnologischen Bereich“ Franzius (Fn. 48), S. 86 f., vgl. auch S. 195 f., unter Verweis auf Erwägungsgrund (31) der VKR, wo „integrierte Verkehrsinfrastrukturprojekte“ oder „große Computernetzwerke“ als Anwendungsbeispiele genannt werden; ähnlich Müller / Veil (Fn. 51), S. 302. 58 Knauff, Wettbewerblicher Dialog (Fn. 52), S. 251. 59 Teilweise wird sogar von einem „Vorverfahren zur Bestimmung des Auftragsgegenstandes“ gesprochen, s. Pünder / Franzius (Fn. 55), S. 24; Müller / Veil (Fn. 51), S. 304. 60 Dazu Franzius (Fn. 48), S. 233 ff. Gleiches gilt für das Verhandlungsverfahren, OLG Celle, Beschluss v. 16. 01. 2002, Az. 13 Verg 1 / 02 – VergabeR 2002, S. 299 (301) – Hochleistungsrechner I; OLG Dresden, Beschluss v. 03. 12. 2003, Az. WVerg 15 / 03, WVerg 0015 / 03 (,Restabfallentsorgungsanlag‘) – VergabeR 2004, S. 225 (227). 61 Darauf weisen mit Recht Pünder / Franzius (Fn. 55), S. 25, besonders hin. 62 In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage hielt die BReg (BT-Drs. 16 / 2268, S. 5, Ziff. 15) Nachbesserungen im Gesetz nicht für erforderlich. 63 Erläuterungen zum wettbewerblichen Dialog, Dok. CC2005 / 04_rev1 v. 05. 10. 2004, S. 7, mit dem Hinweis, dass eine Vertraulichkeitsregelung beim Verhandlungsverfahren gänzlich fehle und die Kommission dennoch niemals mit solchen Problemen befasst worden sei. 64 Zum Ganzen ebenso Pünder / Franzius (Fn. 55), S. 25; Franzius (Fn. 48), S. 90 f.

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der Vermutung, dass der wettbewerbliche Dialog diese Schwächen des Verhandlungsverfahrens trotz deutlich höherer Verfahrenskomplexität nicht wird umschiffen können. f) Geringe Flexibilität bei den Eignungsanforderungen einschließlich eventueller weiterreichender (sogenannter „vergabefremder“) Anforderungen Wie schon erwähnt, kann das Innovationspotential eines Bieters in gewissem Umfang als Frage seiner technischen Leistungsfähigkeit und damit als Eignungskriterium definiert werden.66 Grundsätzlich darf dabei der Auftraggeber auch den Nachweis früherer innovativer Entwicklungsleistungen, etwa in Form von Patenten u.ä., verlangen.67 Ausdrücklich müssen jedoch die berechtigten Interessen der Unternehmen am Schutz ihrer Betriebsgeheimnisse gewahrt bleiben (§ 7 Nr. 4, 3. Hs. VOL / A). Eine Ausforschung noch interner innovativer Ideen ist danach im Gewande der Eignungsfeststellung strikt unzulässig.68 Weiterreichende sogenannte „vergabefremde“ (Eignungs-)Anforderungen oder Ausführungsbedingungen, die nach § 97 Abs. 4, 2. Hs. GWB einer formell-gesetzlichen Grundlage bedürfen, sind zwar entgegen verbreiteter Behauptung bei diskriminierungsfreier Ausgestaltung in gewissem Umfang gemeinschaftsrechtlich und verfassungsrechtlich zulässig.69 Für die Innovationsförderung eignen sie sich indes kaum. Theoretisch ließe sich zwar beispielsweise – in Anknüpfung an die Beentjes-Rechtsprechung des EuGH70 – im sozialen Bereich an neue Ideen und Konzepte etwa zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen bei der Auftragsdurchführung denken. Angesichts der Notwendigkeit, solche zusätzlichen Ausführungsbedingungen vorab klar zu definieren (ausdrücklich Art. 26 VKR), bieten sie jedoch kaum Raum für „echte“ soziale Innovationen; es geht vielmehr um die Durchsetzung weitgehend bekannter Förderungsmaßnahmen. 65 Dies betont auch Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 101 Rn. 39; a. A. Pünder / Franzius (Fn. 55), S. 23, die davon ausgehen, dass wegen des Vertraulichkeitsgrundsatzes von vornherein nur Einzelgespräche zulässig sind. 66 Oben IV. 1. c) mit dortiger Fn. 35. 67 Vgl. Bungenberg, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 97 Rn. 44. 68 Vgl. Hausmann, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 7 Rn. 216. 69 Näher, auch zum Folgenden, Michael Fehling, Ausschreibungen und Versteigerungen aus europarechtlicher Perspektive, in: Knieps (Hrsg.), Versteigerungen und Ausschreibungen in Verkehrs- und Versorgungsnetzen: Praxiserfahrungen und Zukunftsperspektiven, 2004, S. 54 (81 ff.); Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 125 ff. 70 EuGH, Urteil v. 20. 09. 1988, Rs. 31 / 87 (,Beentjes’), Slg. 1988, I-4635 (Rn. 20 ff.); bestätigt durch EuGH, Urteil v. 26. 09. 2000, Rs. C-225 / 98 (Kommission / Frankreich), Slg. 2000, I-7445 (Rn. 46 ff.); eingehend dazu Christoph Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 126 ff.; scharfe rechtspolitische Kritik bei Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 97 Rn. 185.

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Von solchen weiterreichenden Anforderungen im Bereich der Eignung oder der Vertragsdurchführung strikt zu trennen sind innovationsfördernde (Umwelt-)Anforderungen, welche die Beschreibung des Auftragsgegenstands betreffen. Da der Auftraggeber völlig frei ist, was er einkaufen will, kann er aus Gründen des Umweltschutzes in der Leistungsbeschreibung ohne weiteres innovative Anforderungen etwa an den maximalen Kraftstoffverbrauch (Drei-Liter-Auto) oder Schadstoffausstoß von Autos oder Bussen stellen. Eine Grenze bildet nur das Diskriminierungsverbot; derartige Anforderungen dürfen also nicht von vornherein auf bestimmte (einheimische) Hersteller zugeschnitten werden. Es stellt jedoch keine unzulässige Diskriminierung dar, wenn sachlich zu rechtfertigende Anforderungen besser von bestimmten (inländischen) Anbietern erfüllt werden können, weil diese einen technologischen Vorsprung besitzen.71 g) Spielräume bei Zuschlagskriterien und -erteilung Der Zuschlag ist zwingend auf das wirtschaftlichste Angebot (§ 97 Abs. 5 GWB), also dasjenige mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, zu erteilen. Bei der dafür notwendigen Festlegung einzelner Zuschlagskriterien und deren Gewichtung verbleiben dem Auftraggeber indes erhebliche Spielräume.72 Öffentliche Aufträge zwecks Technology Forcing können daher nicht nur mit strikten Standards in der Leistungsbeschreibung arbeiten, wie bei meinem Beispiel des Drei-LiterAutos; möglich ist es gleichermaßen, vorab näher definierte und im Verhältnis zu anderen Kriterien gewichtete Umwelteigenschaften zu einem Auswahlkriterium zu machen (vgl. § 25 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A) und so einen Wettbewerb um die für den Umweltschutz beste Lösung zu eröffnen.73 Ob ein solches Vorgehen allerdings höhere Innovationsanreize bietet als klare Vorgaben, muss bezweifelt werden. Denn ein solch offener Wettbewerb kann auch dazu führen, dass alle Bewerber wenig Innovationen bieten und so der Zuschlag auf ein letzten Endes unbefriedigendes Angebot erteilt werden muss. Erwägenswert erscheint im Einzelfall jedoch eine Kombination beider Methoden, nämlich die Vorgabe anspruchsvoller Mindeststandards in der Leistungsbeschreibung nebst Pluspunkten bei der Angebotswertung für deren Überschreitung. Neben das breite Ermessen bei der Auswahl von Zuschlagskriterien tritt ein Beurteilungsspielraum bei deren Anwendung.74 Gerade bei rein funktionaler Leis71 Grundlegend EuGH, Urteil v. 17. 09. 2002, Rs. C-513 / 99 (,Concordia Bus‘), Slg. 2002, I-7213, Rn. 70 ff.; vgl. auch EuGH, Urteil v. 04. 12. 2003, Rs. C-448 / 01 (,Wienstrom‘), Slg. 2003, I-14527, Rn. 34; zum ganzen Philipp Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 322 ff. 72 Statt vieler Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 171 ff. 73 Grundlegend erneut EuGH, Urteil v. 17. 09. 2002, Rs. C-513 / 99 (Concordia Bus), Slg. 2002, I-7213, insbes. Rn. 64 f. – Concordia Bus; dazu z. B. Jens-Peter Schneider, EG-Vergaberecht zwischen Ökonomisierung und umweltpolitischer Instrumentalisierung, DVBl 2003, S. 1186 (1190 f.); Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 160 f.

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tungsbeschreibung zwecks Spielräumen für kreative Problemlösungen ist die Vergleichbarkeit der Angebote und damit auch die Angreifbarkeit der Bewertungsentscheidung systemimmanent erschwert. Deshalb ist, wie auch im Toll-Collect-Nachprüfungsverfahren klargestellt wurde,75 dem öffentlichen Auftraggeber bei der Wertung der Angebote für den Zuschlag ein recht weiter Spielraum zuzubilligen. h) Begrenzte Anpassungsmöglichkeiten nach Zuschlag bei der Vertragsdurchführung Oftmals besteht das Risiko, dass der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, die versprochene Leistung doch nicht vertragsgemäß erbringen kann, weil ihm die Innovation nicht (voll) gelingt. Grundsätzlich gilt in solchen Fällen normales Schuldrecht, modifiziert durch die allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL / B), welche in den Vergabeunterlagen grundsätzlich zwingend als Bestandteil des Vertrages vorzuschreiben sind (§ 9 Nr. 3 Abs. 1 VOL / A). Für die speziellen Probleme bei unsicheren Innovationsleistungen bieten die dortigen Regelungen über Verzug und Nichterfüllung (§§ 7, 8 VOL / B) indes kaum adäquate Lösungen. Der öffentliche Auftraggeber kann allerdings besonderen Flexibilitätserfordernissen im Einzelfall durch vorab bekanntgegebene zusätzliche, ergänzende oder besondere Vertragsbedingungen Rechnung tragen (vgl. § 9 Nr. 2 S. 2 u. Nr. 3 Abs. 2 S. 2 VOL / A).76 In dieser Form können auch Regelungen über die Anpassung der Geschäftsgrundlage einschließlich etwaiger Fristverlängerungen bei unerwarteten Innovationshindernissen getroffen werden. Allerdings muss die Identität des Auftragsgegenstands zwecks Wettbewerbsgerechtigkeit gewahrt bleiben; die Vertragsänderung darf ihrem Umfang oder ihrer Wirkung nach nicht dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen.77 Führen die notwendigen Anpassungen dazu, dass nach der Verkehrsanschauung ein anderer Auftragsgegenstand vorliegt, so bleibt nur die Kündigung des Vertrages wegen Nichterfüllung und die Ausschreibung eines neuen, geänderten öffentlichen Auftrags.78 74 Zur Kontrolldichte näher Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 179 ff.; die Rspr. geht meist zu undifferenziert von einem einheitlichen Spielraum aus, z. B. BGH, Urteil vom 16. 10. 2001, Az. X ZR 100 / 99 – NZBau 2002, 107 u. 344 (345); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. 01. 2005, Az. VII Verg 58 / 04 – NZBau 2005, 597 (599). 75 VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, S. 110 (120). 76 Zur Unterscheidung der verschiedenen genannten Arten von Vertragsbedingungen und zur unterschiedlich zu beurteilenden Frage, inwieweit eine Abweichung von den allgemeinen Vertragsbedingungen zulässig ist, s. Frank Verfürth, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 9 Rn. 21 ff. 77 Ausdrücklich auch auf Anpassungen wegen Störung der Geschäftsgrundlage bezogen Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 99 Rn. 47 f.; Thomas Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs (Hrsg.), Vergaberecht, 2. Aufl. 2003, § 99 Rn. 4 c; vgl. allgemeiner OLG Rostock, Beschluss v. 05. 02. 2003, Az. 17 Verg 14 / 02 („Forschungsschiff“) – NZBau 2003, 457 (458). 78 So für Toll Collect wegen dort nachträglich vorgenommener Vertragsänderungen Byok / Jansen (Fn. 15), S. 243 f.

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i) Evaluationsphase Ein nachgeschalteter Evaluationsprozess ginge über die Dokumentations- und Meldepflichten hinaus, wie sie das Vergaberecht dem Auftraggeber auferlegt (§ 30, vgl. auch § 30a VOL / A). Die Angaben, welche die Bieter gegenüber der Vergabestelle regelmäßig zu machen haben, beziehen sich allein auf ihre Eignung (§ 7a Nr. 3 VOL / A) und den Inhalt ihres Angebots (§ 21 VOL / A). Doch kann darüber hinaus in ergänzenden Vertragsbedingungen eine Verpflichtung des erfolgreichen Bieters aufgenommen werden, mit dem kontrollierenden Staat entsprechend zu kooperieren, insbesondere die für eine Evaluation erforderlichen Informationen bereitzustellen. 2. Beschränkte Möglichkeiten für Anreize a) Wahrung von Geschäftsgeheimnissen im Spannungsfeld zu Verfahrensflexibilität und Rechtsschutzeffektivität Die vergaberechtliche (vgl. § 21 Nr. 6 VOL / A) wie verfassungsrechtliche (Art. 12, 14 GG) Notwendigkeit, Geschäftsgeheimnisse der Bieter zu wahren, setzt einem bieterübergreifenden Dialog zur Konkretisierung innovativer Ansätze enge Grenzen, sowohl im Verhandlungsverfahren als auch beim wettbewerblichen Dialog. Die anzustoßenden Innovationsprozesse müssen sich eben außerhalb des eigentlichen Vergabeverfahrens beim einzelnen Bieter selbst einstellen. Nicht das Vergabeverfahren, sondern der zu vergebende öffentliche Auftrag kann Innovationen befördern. Eine über die Prüfung und Wertung der Angebote hinausgehende Verwendung von Bieterangeboten durch den Auftraggeber für weitere Zwecke ist allerdings ausnahmsweise zulässig, wenn dies mit Entschädigungsregelung vorab schriftlich vereinbart wurde (§ 22 Nr. 6 Abs. 3 S. 2 VOL / A).79 Strukturell zum Problem wird der Geheimnisschutz erst dort, wo die Sorge vor einem „Abgucken“ potentiell innovative Unternehmen von einer Teilnahme am Vergabeverfahren abhält.80 In den weitgehend informellen Verfahrensformen kann die Wahrung der Vertraulichkeit ungeachtet der bestehenden Verpflichtungen kaum nachhaltig gesichert werden, weil Verstöße schwer nachzuweisen sind. Auch durch ausführliche Gesprächsprotokolle im Vergabevermerk kann dem bösen Verdacht einer Aneignung oder Weitergabe fremder Ideen nur teilweise entgegengewirkt werden.81 Das Urheberrecht (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 UrhG), Patent79 Näher Norbert Portz, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 22 Rn. 56 ff. Stephan Rechten, Die Novelle des EU-Vergaberechts, NZBau 2004, S. 366 (368) und Pünder / Franzius (Fn. 55), S. 25, befürchten, dass die öffentliche Hand ihre strukturell überlegene Position gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen dazu missbrauchen könnte, eine solche Zustimmung zu erzwingen. 80 Kontroverse Einschätzungen referiert Ingo Franzius, Diskussionsbericht, in: Pünder / Prieß (Fn. 3), S. 49 (50 f.). 81 Beachtenswert der Vorschlag von Knauff, Wettbewerblicher Dialog (Fn. 52), S. 252, Verhandlungsprotokolle von dem / den jeweiligen Gesprächspartner(n) gegenzeichnen zu lassen.

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rechte und andere gewerbliche Schutzrechte82 greifen erst ab einer gewissen Schöpfungs- und Gestaltungshöhe, wobei die notwendige Konkretisierung bei ersten innovativen Ansätzen und erst recht bei bloßen Ideen oftmals noch nicht erreicht sein dürfte.83 All dies kann im Einzelfall sogar für eine stärkere Verfahrensformalisierung im Sinne eines echten Geheimwettbewerbs sprechen. Zwar muss dabei auf die Flexibilitätsvorteile von Verhandlungen ganz oder weitgehend verzichtet werden, doch wird im Gegenzug das Vertrauen potentieller Bewerber in den Schutz ihrer Ideen gestärkt und damit eine potentielle Hemmschwelle zur Verfahrensbeteiligung verringert. Selbst dann bleibt noch das Risiko, dass Konkurrenten im Nachprüfungsverfahren über die Akteneinsicht Einblick in Geschäftsgeheimnisse des erfolgreichen Bieters erlangen. Gewiss ist es nicht Sinn des Nachprüfungsverfahrens, Konkurrenten „Einblick in die innovativen Lösungsansätze (des Gewinners) zu verschaffen“,84 doch kann der unterlegene Bieter auf sein ebenfalls verfassungs- und gemeinschaftsrechtlich geschütztes Interesse an effektivem Vergaberechtsschutz verweisen, was ohne Akteneinsicht entwertet zu werden droht. Die Vergabekammer hat nach § 111 Abs. 2 GWB die Einsicht in die Unterlagen – nach teilweise vertretener Auffassung sogar ohne Abwägungsmöglichkeit85 – zu verweigern, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geboten ist.86 Dies soll nach verbreiteter Auffassung zur Konsequenz haben, dass die entsprechend gesperrten Unterlagen wegen des Anspruches auf rechtliches Gehör87 von der Vergabekammer bei der Entscheidung gar nicht berücksichtigt werden dürfen88 – was 82 Darauf vertraut die EG-Kommission in ihrer Erläuterung (Fn. 63), S. 7 f.; s. auch Müller / Veil (Fn. 51), S. 312. 83 Marc Opitz, Die Entwicklung des EG-Vergaberechts in den Jahren 2001 und 2002 – Teil 1, NZBau 2003, S. 183 (191); Pünder / Franzius (Fn. 55), S. 25. Allgemein zur Abgrenzung zwischen ungeschützten Ideen und geschützten Werken Ulrich Loewenheim, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, 2003, § 7 Rn. 7; Horst-Peter Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, 8. Aufl. 2007, § 10 Rn. 10 f. 84 VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, S. 110 (120); zustimmend Stefan Storr, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 120 Rn. 14. 85 Dezidiert Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 111 Rn. 16. Für einen Abwägungsspielraum dagegen die ganz h. M.: Jochem Gröning, Das vergaberechtliche Akteneinsichtsrecht, NZBau 2000, S. 366 (368); Klaus Heuvels, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 111 Rn. 6; Olaf Reidt, in: Reidt / Stickler / Glahs (Fn. 77), § 111 GWB Rn. 15 f. 86 Extensiv interpretiert von OLG Düsseldorf, Beschluss v. 29. 12. 2001, Az. Verg 22 / 01, VergabeR 2002, 267 (273) u. VK Bund beim BKartA, NZBau 2003, 110 (120), wonach zu den Geschäftsgeheimnissen die Kalkulationsgrundlagen, die angebotenen Preise und die darauf bezogenen Gegenstände der angebotenen Leistungen zählen und auch eine Einsicht in die Angebotsauswertungen der Vergabestelle ausscheiden soll, wenn die diesen zu Grunde liegenden Abwägungen nur in Zusammenhang mit den Angebotsunterlagen überprüfbar sind; zustimmend Storr, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 120 Rn. 14. 87 Hier aus Art. 20 Abs. 3 GG, mangels Gerichtseigenschaft der Vergabekammern nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG, s. Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 111 Rn. 16. 88 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 111 Rn. 18.

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wiederum die Entscheidungsrichtigkeit massiv gefährdet.89 Im Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht ist jedenfalls gemäß § 120 Abs. 2 i.V. m. § 72 Abs. 2 S. 4 GWB über die Akteneinsicht in einer Abwägung des Geheimnisschutzes mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör zu entscheiden,90 eine Lösung, wie sie das Bundesverfassungsgericht im telekommunikationsrechtlichen Konkurrentenstreit gefordert hat.91 Doch wäre zu erwägen, ob nicht zur Herstellung praktischer Konkordanz ein „In-camera-Verfahren“ in der Hauptsache geeigneter wäre; diese Lösung hat im erwähnten Telekommunikationsrechtsstreit nun das Bundesverwaltungsgericht aus Gründen des dortigen Gemeinschaftsrechts für geboten erachtet.92 Einiges spricht dafür, dass sich auch die EG-Vergaberichtlinien in diese Richtung interpretieren lassen93 und man so angesichts des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts über die Hürde hinwegkommt, dass eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für ein solches „In-camera-Verfahren“ in der gerichtlichen Hauptsache (anders als im Akteneinsichts-Zwischenverfahren) auch im Vergaberecht fehlt.94 b) Geringe Möglichkeiten der Zuerkennung einer Entschädigung für nicht amortisierte Innovationsanstrengungen Das deutsche Vergaberecht sieht im wesentlichen zwei Möglichkeiten vor, finanzielle Innovationsanreize zu setzen. Bei (Ideen-)Wettbewerben ist der Auftraggeber frei, welche Preise er auslobt; er kann daher dem oder den Bestplazierten auch Geld-Prämien zuerkennen.95 Probleme mit dem Beihilfenrecht (Art. 87 ff. EG) gibt 89 Daran ändert auch eine Verringerung der Substituierungslast bei Rügen und eine verstärkte Amtsermittlung (so der Vorschlag von Dreher, in: Immenga / Mestmäcker [Fn. 1], § 111 Rn. 17) wenig. 90 Z. B. OLG Celle, Beschluss v. 16. 01. 2002, Az. 13 Verg 1 / 02 VergabeR 2002, 299 (309), Storr, in: Loewenheim u. a. (Fn. 1), § 120 Rn. 13; für einen geringeren Abwägungsspielraum als dort bei § 111 GWB angenommen Matthias Wiese, in: Kulartz / Kus / Portz (Hrsg.), Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 120 Rn. 30 ff. Dagegen für einen – verfassungsrechtlich kaum haltbaren (s. die folgende Fn.) – absoluten Vorrang der Geheimhaltungsinteressen Kurt Stockmann, in: Immenga / Mestmäcker (Fn. 1), § 120 Rn. 19 f. i.V. m. Rn. 14, weil § 120 Abs. 2 auch auf § 111 GWB verweist. 91 BVerfGE 115, 205 (234 ff.) unter Aufhebung von BVerwGE 118, 352 (360 f.), wo entschieden worden war, dass das Akteneinsichtsrecht nur dann entfalle, wenn die Offenbarung ihrer geschäftlichen Daten für die Telekom einen existenzbedrohenden Nachteil bedeute. 92 BVerwGE 127, 282 (286 ff., Rn. 6 ff.); dazu Danielle Herrmann / Tobias Bosch, Anmerkung zum Beschluss des BVerwG vom 9. Januar 2007 – 20 F1 / 06, N&R 2007, S. 79 ff. 93 Vgl. EuGH, Urteil v. 14. 02. 2008, Rs. C-450 / 06 (Vavec SA), ZfBR 2008, 304 ff.; zur Garantie effektiven Vergaberechtsschutzes s. bereits EuGH, Urteil v. 11. 08. 1995, Rs. C-433 / 93 (Kommission / Deutschland), Slg. 1995, I-2303. 94 Vgl. Herrmann / Bosch (Fn. 92), S. 81, die die Übertragung des BVerwG-Beschlusses (Fn. 92) auf „andere Regulierungsbereiche“ für möglich halten, weil der Beschluss allein auf die gemeinschaftsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes gestützt sei. 95 Darauf weisen im vorliegenden Zusammenhang auch Hermes / Michel (Fn. 26), S. 195, hin.

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es jedenfalls dann nicht, wenn die ausgelobten Gelder der Höhe nach nur eine Entschädigung (Gegenleistung) für die im Rahmen des Wettbewerbs bereits unternommenen Innovationsanstrengungen darstellen. Bei öffentlicher oder beschränkter Ausschreibung werden zwar für die Bearbeitung der Angebote grundsätzlich keine Kosten ersetzt. Verlangt der Auftraggeber indes die Ausarbeitung von besonderen Plänen, Zeichnungen, Entwürfen oder ähnlichen Unterlagen, so ist dafür bereits in der Ausschreibung eine angemessene Kostenerstattung (§ 20 Nr. 2 Abs. 1 VOL / A) bzw. Vergütung (§ 15 Abs. 2 VOF) festzusetzen.96 Ähnliches gilt beim wettbewerblichen Dialog (§ 6a Abs. 7 VgV)97 auch ohne besondere Festsetzung. Ein entgangener Gewinnanteil wird in allen Fällen nicht ersetzt.98 Diese Entschädigungsmöglichkeiten und -pflichten können jedoch weder aus Sicht des Auftraggebers noch aus der Perspektive der Bieter voll befriedigen. Zum einen ist es stets der staatliche Auftraggeber, der für die Kosten aufzukommen hat. Dafür fehlt eine echte Gegenleistung, da es um die Entschädigung für Innovationsanstrengungen geht, die gerade nicht mit dem Zuschlag belohnt worden sind. Werden diese Entwürfe ohne den öffentlichen Auftrag nicht praktisch umgesetzt, so handelt es sich aus Sicht des finanzierenden Staates um verlorene Zuschüsse. Zum anderen erhalten die unterlegenen Bieter keinerlei Kompensation dafür, dass der siegreiche Konkurrent informell – ohne schriftliche Vereinbarung mit Entschädigungsklausel i.S.v. § 22 Nr. 6 Abs. 3 S. 2 VOL / A – eventuell doch ein Stück weit an ihren Ideen anknüpft – was dort, wo diese Ideen mangels Konkretisierung noch nicht urheber- oder patentrechtlich schutzfähig sind, gänzlich legal sein kann und im Übrigen im öffentlichen Innovationsinteresse erwünscht ist. Beide Nachteile sucht das bereits erwähnte italienische Modell des „Project Financing“ zu minimieren.99 Erstens wird der Promotor für seine projektbezogene Vorleistung nicht primär finanziell, sondern durch ein Eintrittsrecht in das beste Angebot entschädigt, was den Staat als solches nichts kostet. Eine finanzielle Kompensation ist allerdings auf einer zweiten Ebene ergänzend vorgesehen. Bei einer herkömmlichen Ausschreibung ohne Ideenwettbewerb, allein auf Basis eines vom Promotor vorgelegten Entwurfs, besitzt der im Preiswettbewerb unterlegene Promotor einen in der Höhe begrenzten Kostenerstattungsanspruch zu Lasten des 96 Vgl. Hermes / Michel (Fn. 26), S. 200 f., wonach bei fehlender Festsetzung einer Entschädigung Ansprüche aus einem stillschweigend abgeschlossenen Werkvertrag in Betracht kämen; dagegen Verfürth, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 20 Rn. 52. 97 Als „Anreiz für kleinere, aber gleichwohl innovative Unternehmen“ begrüßt von Knauff, Wettbewerblicher Dialog (Fn. 52), S. 256. Nach Knauff, a. a. O., und Marc Opitz, Wie funktioniert der wettbewerbliche Dialog? – Rechtliche und praktische Probleme, VergabeR 2006, 451 (454) soll es sich allerdings – wenig innovationsgerecht – um einen gleichen Pauschalbetrag, orientiert an den bei objektiver Betrachtungsweise entstehenden Kosten, handeln. 98 Verführt, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 20 Rn. 41 u. 43, der sogar noch einen Abschlag von den durchschnittlichen Kosten vornehmen will, um die Erzielung eines Gewinns sicher auszuschließen; Hausmann, in: Kulartz u. a. (Fn. 27), § 3a Rn. 64. 99 Zum Folgenden Hermes / Michel (Fn. 26), S. 186 ff.

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Konzessionsgewinners. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass der Promotor typischerweise für seinen Projektentwurf eigenes Know-how preisgegeben hat. War dagegen dem Vergabeverfahren ein Ideenwettbewerb vorgeschaltet, so muss umgekehrt der Promotor, welcher für das gesamte Projekt den Anstoß geben hat, die beiden anderen Teilnehmer für deren dortige Aufwendungen entschädigen, wenn er – der Promotor – im Vergabeverfahren den Zuschlag erhält. Denn hier sind die anderen Teilnehmer am Ideenwettbewerb dadurch ein besonderes Risiko eingegangen, dass sie sich auf einen kreativen Wettstreit eingelassen haben, bei dem der Promotor ob seines ursprünglichen Vorschlags bereits einen Planungsvorsprung besaß. In beiden Varianten sind demnach die Entschädigungskosten nicht vom Staat, sondern vom siegreichen Bieter zu tragen. Ein Königsweg für PPP-Projekte ist indes auch dieses Modell kaum. Potentielle Bieter können durch das Selbsteintrittsrecht des Promotors und dessen damit verbundene Privilegierung von der Wettbewerbsteilnahme abgeschreckt werden. Das gesamte Verfahren birgt erhebliches Diskriminierungs- und sogar Korruptionspotential. Für Dienstleistungskonzessionen, deren Vergabe nur am EG-Primärrecht zu messen ist, mögen diese Bedenken noch durch zusätzliche Transparenzanstrengungen entkräftigt werden können.100 Für Dienstleistungsaufträge, die dem strengeren Vergaberecht unterfallen, erscheint jedoch ein solches Selbsteintrittsrecht de lege lata gänzlich ausgeschlossen.101

V. Fazit: Vergaberecht als Steuerungsressource Fragt man im Rahmen einer Gesamtbilanz nach der Eignung des Vergaberechts und der staatlichen Auftragsvergabe zur Innovationsförderung, so fällt das Urteil tendenziell positiv, aber differenziert aus. Einerseits ist das Vergaberecht flexibler als sein Ruf. Öffentliche Auftraggeber können zwecks Technology Forcing ihre Nachfragemacht in gemeinsamen Beschaffungsstellen bündeln. Eine funktionale Leistungsbeschreibung eröffnet Spielräume für kreative Problemlösungen. Die Vorschaltung eines Ideenwettbewerbs oder eines Teilnahmewettbewerbs vermag besonderes Innovationspotential herauszufiltern. Verhandlungsverfahren und wettbewerblicher Dialog schaffen gewisse Möglich100 So für Baukonzessionen auch Hermes / Michel (Fn. 26), S. 206; der EuGH (Urteil v. 21. 02. 2008, Rs. C-412 / 04, Rn. 106, zitiert nach eur-lex) hat nunmehr zudem angemerkt, dass Art. 43, 49 EG kein allgemeines Gleichbehandlungsgebot, sondern nur ein Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit enthalten. 101 Auf die Rechtslage vor der Vergaberechtsreform 2006 bezogen arbeiten Hermes / Michel (Fn. 26), S. 197 ff. zutreffend heraus, dass weder eine mittelbare Bevorzugung des Promotors durch entsprechende Leistungsbeschreibung (Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot) noch eine Berücksichtigung der planerischen Vorleistungen beim Zuschlag, etwa durch ein „Mehr an Eignung“ oder als eigenständiger Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkt, zulässig ist.

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keiten zur innovativen Fortentwicklung von ersten Ideen in PPP-Projekten, wobei freilich der notwendige Schutz von Geschäftsgeheimnissen einem kooperativen Innovationsprozess Grenzen setzt. Die Zuschlagskriterien lassen sich so ausgestalten, dass ein Wettbewerb um die besten kreativen Lösungen entfacht wird. Vorab bekanntgemachte Vertragsbedingungen können in beschränktem Umfang Vertragsanpassungsmöglichkeiten für den Fall eröffnen, dass sich nachträglich herausstellt, dass die Innovation doch nicht in der vertraglich vereinbarten Form gelingt. Sogar finanzielle Innovationsanreize oder jedenfalls die Zuerkennung einer Entschädigung für erfolglose Innovationsbemühungen sind nicht gänzlich ausgeschlossen. Die im Verfahren Toll Collect aufgetretenen Probleme resultierten wesentlich aus handwerklichen Fehlern und lassen sich nur zu einem geringen Teil dem Vergaberecht anlasten. Innovationsprozesse sind regelmäßig mit großen Unsicherheiten belastet, und so wäre es gänzlich unrealistisch, vom Vergaberecht die Garantie eines störungsfreien kreativen Prozesses zu verlangen. Andererseits lässt sich die staatliche Auftragsvergabe nicht unbegrenzt zur Stimulierung von Innovationen instrumentalisieren. Es bedarf stets eines konkreten Auftragsgegenstandes und damit vorab schon einer gewissen Vorstellung vom angestrebten Innovationsergebnis. Staatliche Planung trifft hier wie allgemein auf Grenzen in Form von Informations- und Wissensdefiziten. Kreativität auf Bestellung bleibt ein nur für Teilbereiche geeignetes Konzept. Jedenfalls Basisinnovationen gedeihen besser in einem offenen Prozess wissenschaftlicher Freiheit, nur der letzte Schritt zur Marktreife lässt sich in Einzelfällen gezielt durch öffentliche Aufträge anstoßen. Aus der Steuerungsperspektive geht es um den Bedeutungsgewinn und zugleich um die Grenzen indirekter Steuerung. Die Analyse hat gezeigt, dass sich das Vergaberecht aus den haushaltswirtschaftlichen Eierschalen zu einem veritablen Steuerungsinstrument102 weiter entwickelt hat. Es hat sich aus der ausschließlichen Fixierung auf betriebswirtschaftliche Effizienz gelöst und ein Stück weit für gesamtwirtschaftliche (volkswirtschaftliche) Anliegen wie das der Innovationsförderung geöffnet. Die Entwicklungsperiode einer zunehmenden Formalisierung und Standardisierung des Vergabeverfahrens, das allein auf die Ziele preisgünstiger Beschaffung und Diskriminierungsbekämpfung ausgerichtet war, ist auf europäischer wie auf nationaler Ebene abgeschlossen. Komplexität soll nicht mehr um jeden Preis ausgeblendet, sondern möglichst strukturiert in mehreren Verfahrensetappen abgearbeitet werden. Strukturierung schafft – so hofft man – hinreichende Transparenz, die wiederum Diskriminierung entgegenwirkt.103 Prozesse des Lernens und der Wissensgenerierung kann auch dieses neue Vergabeverfahren nur in sehr beschränktem Umfang implementieren. Anstöße und Überzeugend Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung (Fn. 71), insbes. S. 28 ff. Zum ganzen, jedoch ohne Bezug zum Innovationsthema, Fehling, in: Knieps (Fn. 69), S. 54 (91); Fehling, in: Pünder / Schellenberg (Fn. 7), § 97 Rn. 1 u. 152. 102 103

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Anreize für Innovationsprozesse außerhalb des eigentlichen Vergabeverfahrens lassen sich jedoch mit staatlicher Nachfragemacht geben. Insoweit besitzt Innovationsförderung durch Vergaberecht Zukunft, nicht als Allzweckwaffe, gewiss aber in einzelnen geeigneten Anwendungsfeldern.

Teil IV Innovationsförderung durch monetäre Anreize und Zertifikate

Innovationsförderung durch ökonomische Instrumente der Umweltpolitik Von Michael Rodi I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Innovationsförderung als staatliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Herausforderungen für die Innovationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Begriff der Innovation und Komplexität des Innovationsprozesses . . . . . . . . . . . . . 152 2. Der Umgang mit Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Wissensdefizite in Bezug auf die angestrebten Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Wissensdefizite in Bezug auf die Methodik der Innovationsförderung . . . . . . 155 3. Innovations- und Folgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4. „Lock-in“-Effekte und Pfadabhängigkeit von Technologieförderung . . . . . . . . . . . 157 5. Die besondere Herausforderung einer interdisziplinären Innovationsforschung 158 IV. Innovationsfördernde Potenziale einzelner Instrumente der Umweltpolitik . . . . . . . . 159 1. Ordnungsrecht vs. ökonomische Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Ökonomische Instrumente vs. informale Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Ökonomische Instrumente im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Emissionshandelssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Förderstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Die Notwendigkeit eines Instrumentenverbundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 VI. Innovationsfördernde Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 VII. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

I. Einleitung Ökonomische Instrumente der Umweltpolitik versehen umweltpolitisch erwünschtes Verhalten Einzelner mit positiven ökonomischen Anreizen sowie umweltpolitisch unerwünschtes Verhalten mit negativen Anreizen (oder „Abreizen“).1 1 Vgl. dazu grdl. David Driesen, Economic Instruments for Sustainable Development, in: Richardson / Wood (Hrsg.), Environmental Law for Sustainability, 2006, S. 277 (283 ff.); Magdalena Sánchez Durán, Policy Instruments for Environmental Protection, in: Rodi (Hrsg.), Emissions Trading in Europe: Review and Preview, 2008; für den Bereich des europäischen

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Es lassen sich in diesem Zusammenhang Preis- und Mengensysteme unterscheiden:2 Bei Preissystemen verändert der Staat unmittelbar die Kosten eines Verhaltens (etwa durch Steuern, Maut, Subventionen, Abnahme- und Vergütungssysteme zur Förderung erneuerbarer Energien). Bei Mengensystemen wird eine Verhaltensweise in einem bestimmten Umfang festgelegt, negativ durch Festsetzung einer Höchstgrenze (etwa beim europäischen Emissionshandelssystem in Bezug auf den Ausstoß von Treibhausgasen) oder positiv (etwa durch die Pflichten zur Abnahme einer bestimmten Menge erneuerbarer Energien oder zur Beimischung von Biotreibstoffen); die Kosten- und Preisfolgen der betroffenen Verhaltensweise werden dann dem Markt überlassen. In allen Fällen erreichen den Adressaten Preissignale, die eine Internalisierung externer Effekte bewirken. Auf die damit verbundenen Korrekturen von Marktversagen3 wird die besondere umweltpolitische Wirksamkeit der Anreizsteuerung zurückgeführt. Ökonomische Anreizinstrumente haben sich als fester Bestandteil des umweltpolitischen Instrumentenmixes etabliert, weil sie nicht nur als effektiv sondern auch als effizient anerkannt werden. Mit ihrem Einsatz können also umweltpolitische Zielsetzungen relativ wirksam zu relativ geringen Gesamtkosten verwirklicht werden. Der Erfolg hat jedoch viele Gründe. Exemplarisch sei – insbesondere im Zusammenhang mit Energiesteuern und der Förderung erneuerbarer Energien – auf mögliche beschäftigungsfördernde Wirkungen verwiesen.4 Ein weiterer Vorteil wird in dem Potenzial einiger ökonomischer Anreizinstrumente zur Generierung öffentlicher Einnahmen gesehen, so im Fall von Umweltsteuern oder der Versteigerung von Lizenzen. Damit kann die Abgabenbelastung des Faktors Arbeit (aus arbeitsmarktpolitischen Gründen) oder des Faktors Kapital (aus wettbewerbspolitischen Gründen vor dem Hintergrund zunehmender Globalisierung) reduziert und eine „doppelte Dividende“ erzielt werden.5 Erst in jüngerer Zeit tritt ein weiterer Vorteil ökonomischer Instrumente in den Mittelpunkt der umweltpolitischen Diskussion, der diese mindestens ebenso nachUmweltrechts: Wiebe-Katrin Boie, Ökonomische Steuerungsinstrumente im europäischen Umweltrecht, 2006. 2 OECD, Impacts of Environmental Policy Instruments on Technological Change, Environmental Directorate, COM / ENV / EPOC / CTPA / CFA(2006)36 / FINAL vom 07. 02. 2007, Anm. 10 f. 3 Diese Zielsetzung betont die EU-Kommission, vgl. Grünbuch Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene Ziele, KOM(2007)140endg. vom 28. 03. 2007, S. 3 f. 4 Vgl. hierzu etwa Klaus Dieter John / Dirk T. G. Rübbelke, Beschäftigung als sekundärer Effekt der Umweltpolitik, in: John / Rübbelke (Hrsg.), Beschäftigungswirkungen der Umweltpolitik, 2006, S. 1 ff. (und weitere Beiträge). 5 Vgl. dazu grdl. Christian M. Scholz, Environmental Tax Reforms and the Double Dividend. A Theoretical and Empirical Analysis for Germany, 2000; Stefania Migliavacca, Environmental Taxation and the Double Dividend Hypothesis, in: Cavaliere et al. (Hrsg.), Critical Issues in Environmental Taxation Vol. III: International and Comparative Perspectives, 2006, S. 267 ff.

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haltig beeinflussen kann: die „dynamische Effizienz“6. Anknüpfend an eine seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv geführte Debatte über staatliche Innovationspolitik7 wird seit mehr als 30 Jahren gerade auch über die innovationsfördernden Potenziale der Umweltpolitik diskutiert.8 Hieran soll im Folgenden angeknüpft werden und auf der Grundlage rechtsökonomischer Kriterien die Herausforderungen aufgezeigt werden, denen dieses Vorhaben begegnet, sowie schließlich Grundfragen einer rationalen Ausgestaltung von Umweltpolitik und Umweltrecht unter dem Leitgesichtspunkt der Innovationsförderung entwickelt werden. Exemplarisch soll dies am Beispiel der Klimaschutzpolitik dargestellt werden. Die Begrenzung des Klimawandels und seiner Folgen (realistischer Weise aber auch die Anpassung an diese) stellen die bisher wohl größte Herausforderung an die staatliche und internationale Umweltpolitik dar.9 Unabhängig von der Frage, welche Begrenzungs- und Stabilisierungsziele im Einzelnen befürwortet werden, steht doch eines fest: Eine „Energiewende“ im Sinne einer grundlegenden technologischen Reform ist unabdingbar.10 Dies gilt für die Erschließung neuer Energiequellen, für eine erhebliche Steigerung von Energieeffizienz und möglicherweise auch für großtechnische Lösungskonzepte (als Beispiele hierfür seien Überlegungen zur Abscheidung und Lagerung von CO2 – „carbon sequestration“ – oder Techniken zur Reflektierung von Sonnenstrahlen genannt11). Die einzige Alterna6 Vgl. für einen aktuellen Überblick Eberhard Fees, Umweltökonomie und Umweltpolitik, 3. Aufl. 2007, Kap. 9 (= S. 185 ff.) „Umwelttechnischer Fortschritt (dynamische Anreizwirkungen“). 7 Grdl. die Arbeiten von Joseph A. Schumpeter, vgl. etwa Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung: Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus (unveränderter Nachdruck der 4. Aufl. 1934), 8. Aufl. 1993, 2. Kap. (S. 88 ff.): „Das Grundphänomen der wirtschaftlichen Entwicklung“; ders., Business Cycles: A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process, Vol. 1, 1939. 8 Grdl. Joseph Stiglitz, Growth with Exhaustible Natural Resources: Efficient and Optimal Growth Paths, Review of Economic Studies 41 (1974): 123 – 37; Allen V. Kneese / Charles L. Schulze, Pollution, Prices and Public Policy, 1975; Lloyd Orr, Incentive for Innovation as a Basis of an Effluent Charge Strategy, American Economic Review 56 (1976): 441 – 447. 9 IPCC, Climate Change 2007 – The Physical Science Base, Contribution of Working Group I to the fourth Assessment Report of the IPCC, Cambridge 2007 sowie IPCC, Climate Change 2007 – Mitigation, Contribution of Working Group III to the fourth Assessment Report of the IPCC, 2007, Kap. 1 (= S. 99 ff.); A. Barrie Pittock, Climate Change. Turning Up the Heat, 2005, S. 1 ff.; Nicholas Stern, The Economics of Climate Change. The Stern Review, 2007, S. 3 ff., zu den wissenschaftlichen Grundlagen und S. 65 ff. zu den möglichen Konsequenzen für die Menschheit. 10 Vgl. dazu etwa Howard Geller, Energy Revolution: Policies for a Sustainable Future, 2003. Die Europäische Kommission bezeichnet den Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft als „industrielle Revolution“, Grünbuch: Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene Ziele, KOM(2007)140 endg. vom 28. 03. 2007, S. 17, und Kommission, Eine Energiepolitik für Europa, KOM (2007) 1, S. 5 (21). 11 Zur Problematik der CO -Abscheidung und -Lagerung als Innovationsproblem vgl. 2 Richard G. Newell / Adam B. Jaffe / Robert N. Stavins, The effects of economic and policy

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tive zu allen technologiegestützten Effizienzstrategien in einem weiteren Sinne sind Suffizienzstrategien, also der Verzicht auf den Konsum und den Einsatz von Energie. Diese würden eine nicht weniger fundamentale Revolution und zwar gesellschaftlich-kultureller Natur voraussetzen, die schon mit Blick auf die Industrieländer nicht vorstellbar ist;12 erst recht gilt das mit Blick auf den „Nachholbedarf“ in Entwicklungs- und Schwellenländern, deren Bevölkerung an den Annehmlichkeiten der modernen technisierten Welt partizipieren will. Angesichts des Akkumulationseffekts von Treibhausgasen in der Atmosphäre und deren Langzeitwirkungen auf das Klima spielt die Zeitdimension in Bezug auf eine grundlegende Energiewende eine entscheidende Rolle. Eine Energiewende, die durch den Umstand erzwungen wird, dass die fossilen Energiereserven der Welt zur Neige gehen, käme zu spät. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit die Politik – sei es nun auf staatlicher, sub-staatlicher oder supranationaler Ebene – diesen Prozess fördern und beschleunigen kann.

II. Innovationsförderung als staatliche Aufgabe Seit der Schumpeter’sche Innovationstheorie ist anerkannt, dass ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem durch einen ständigen Innovationsprozess gekennzeichnet ist.13 Gerade die Klimaschutzdebatte macht deutlich, dass die Staaten und die Staatengemeinschaft mehr tun müssen, als hierfür einen Rechts- und Politikrahmen zur Verfügung zu stellen. Aufgrund ihrer Gemeinwohlverantwortung haben sie den Innovationsprozess aktiv zu fördern (Innovationsverantwortung), im Bereich der Energieversorgung durch eine Steigerung der Energieeffizienz und der Entwicklung neuer, nachhaltiger Energiequellen. Neben eine marktpreisvermittelten („price-induced“) Innovation hat eine politikinduzierte („policyinduced“) Innovation zu treten.14 Moderne Innovationspolitik darf sich nicht mehr nur wie die klassische Innovationspolitik darauf beschränken, Innovationen über Preisvorteile am Markt abzusichern (insbesondere durch Urheber- und Patentschutz15). incentives on carbon mitigation technologies, Energy Economics 28 (2006): 563 (573 ff.); der Gedanke, das Sonnenlicht durch gewaltige Spiegel im Weltraum oder Staub in der Atmosphäre zu reflektieren, um der globalen Erderwärmung entgegen zu wirken, wurde kürzlich von der US-Regierung aufgegriffen, vgl. US-Regierung erwägt drastische Klimaschutz-Aktionen“, Spiegel-online vom 27. 01. 2007, abrufbar unter http: // www.spiegel.de / wissenschaft / natur / 0,1518,462636,00.html (zuletzt abgerufen 04 / 2008). 12 Vgl. etwa Joseph Stiglitz, Making Globalization Work: The Next Steps to Global Justice, 2006, S. 161 (174 ff.). 13 Schumpeter (Fn. 7). 14 Newell / Jaffe / Stavins (Fn. 11): 566 ff. 15 Zur Frage einer innovationsfreundlichen Ausgestaltung des Patentsrechts vgl. – am Beispiel der Entwicklungen im US-amerikanischen Patentrecht – Adam B. Jaffe / Josh Lerner, Innovation and Its Discontents, Innovation Policy and the Economy 6 (2006): 27 ff.

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Dies lässt sich schon auf der Grundlage klassischer Staatsaufgabenlehren begründen: Das Gemeinwohlanliegen einer intakten Umwelt, im vorliegenden Fall das Klima, lässt sich neben anderen Instrumenten gerade auch durch technologischen Fortschritt erreichen. Genauere Konturen bekommt diese Aufgabenagenda des Staates unter Rückgriff auf die Rechtsökonomik.16 Es lassen sich nämlich mehrere selbständige Gründe benennen, warum diese Zielsetzung durch das Handeln der nichtstaatlichen Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft systematisch verfehlt wird und deshalb staatliches Handeln im Wege der Institutionenbildung (in einem weiten Sinne) notwendig ist:17 Zunächst ist das (intakte) Klima ein klassisches öffentliches Gut; seine Vorteile kommen allen zugute und diejenigen, die zu seinem Schutz nicht beitragen, können hiervon nicht ausgeschlossen werden. Marktversagen tritt damit insbesondere in Form von externen Effekten auf. Dabei denkt man in erster Linie und zunächst an negative externe Effekte durch die vielen Formen individuellen klimaschädlichen Verhaltens, deren Folgen dem Handelnden nicht angelastet werden. Daneben lassen sich aber auch vielfältige Fälle klimarelevanter positiver externer Effekte durch individuelle Bemühungen um Lösungen identifizieren, deren positive Folgen auch Dritten zugute kommen. Typischer Weise gilt das für Grundlagenforschung im Bereich nachhaltiger Energietechnologien, und zwar (1) für andere Marktteilnehmer, die von den Innovationen ökonomisch profitieren sowie (2) für die Allgemeinheit angesichts der mit Umweltinnovationen einhergehenden Förderung des öffentlichen Guts Umwelt.18 Entsprechendes gilt aber auch für den Fall, dass Firmen neue Technologien einführen und damit für Dritte Vorteile entstehen, weil sie die Erfahrungen aber auch mögliche nunmehr bestehende Netzwerkvorteile nutzen können („adaption externalities“).19 Hier wie auch im Fall erfolgreicher Grundlagenforschung entstehen (positive) Informationsexternalitäten („knowledge spillovers“); negative Informationsexternalitäten entstehen auf der anderen Seite durch vielfältige Formen unvollständigen Wissens. Als Beispiel sei nur auf das defizitäre Wissen von Verbrauchern in Bezug auf den Energieverbrauch neuer oder bereits eingesetzter Geräte hingewiesen, das zum „Paradox einer Unterinvestition in Energiesparmaßnahmen“ führt. 16 Zur ökonomischen Analyse von Klimaschutzpolitik und -recht vgl. grdl. Stern (Fn. 9), S. 25 ff. et passim. 17 Vgl. hierzu grdl. Nick Johnstone, The Innovation Effects of Environmental Policy Instruments, in: Horbach (Hrsg.), Indicator systems for sustainable innovation, 2004, S. 21 (27 ff.); Adam B. Jaffe / Richard G. Newell / Robert N. Stavins, A tale of two market failures: Technology and environmental policy, Ecological Economics 54 (2005): 164 ff.; Yukiko Fukasaku, The Need for Environmental Innovation Indicators and Data from a Policy Perspective, in: Weber / Hemmelskamp (Hrsg.), Towards Environmental Innovation Systems, 2005, S. 251 ff., S. 252 ff., sowie Paul Lehmann, CO2 Emissions Trading and Instrument Mix: An Economic Perspective, in: Rodi (Hrsg.), Emissions Trading in Europe, 2008, S. 27 ff. 18 Zu dieser „doppelten Externalität“ von Umweltinnovationen vgl. Klaus Rennings, Innovationen aus Sicht der neoklassischen Umweltökonomik, in: Beckenbach u. a. (Hrsg.), Innovation und Nachhaltigkeit, Jahrbuch Ökologische Ökonomik Band 4, 2005, S. 15 (23 ff.). 19 Vgl. dazu Jaffe / Newell / Stavins, (Fn. 17): 167.

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Unter Umständen werden Energiesparmaßnahmen auch dann nicht durchgeführt, wenn die Einsparvorteile die Mehrkosten übersteigen.20 Die vielfältigen sich teilweise überlagernden Fälle des Marktversagens21 belegen aus rechtsökonomischer Sicht nicht nur die Notwendigkeit staatlichen Handelns; sie verdeutlichen zugleich auch, dass es einfache Antworten und Lösungen in diesem Bereich nicht geben kann. III. Herausforderungen für die Innovationspolitik 1. Begriff der Innovation und Komplexität des Innovationsprozesses Wie anspruchsvoll die Aufgabe einer gezielten und effektiven Innovationspolitik im Einzelnen ist, wird bereits deutlich, wenn man ihren Gegenstand und ihr Ziel, die Innovation, näher unter die Lupe nimmt. Innovationen werden seit Schumpeter nicht auf technische Neuerungen begrenzt. Sehr breit interpretiert er Innovationen als das Durchsetzen von „neuen Kombinationen“.22 In Anlehnung an dieses weite Innovationsverständnis unterscheidet die moderne Innovationsforschung vor allem Prozess-, Produkt- und organisatorische Innovationen. Produktinnovationen beziehen sich auf neu23 entwickelte oder verbesserte Güter und Dienstleistungen. Kennzeichnend für Prozessinnovationen sind neue, verbesserte Faktorkombinationen und Produktionsverfahren. Organisatorische Innovationen umfassen überwiegend in den Unternehmen neu etablierte Management- und Anreizstrukturen; sie sind in der Regel strategischer Natur. Innovationsfortschritt beschränkt sich nicht auf punktuelle Ereignisse, kann vielmehr nur als dynamischer Prozess zutreffend erfasst werden.24 Invention, Innovation und Diffusion bilden ein komplexes System mit unterschiedlichen Wirkungsund Rückwirkungsstrukturen. Unter diesem Vorbehalt ist die Phase der Invention von Grundlagenforschung gekennzeichnet. Hier werden neue Ideen und Methoden erforscht und im positiven Fall mit einer Erfindung abgeschlossen, deren Markteinführung im Sinne einer technisch realisierbaren Lösung zumindest theoretisch möglich wäre. Dieses Technologiepotenzial wird in der Innovationsphase in eine wirtschaftliche Nutzung überführt. Die Innovation charakterisiert die Umsetzung 20 Vgl. dazu Adam B. Jaffe / Robert N. Stavins, The energy paradox and the diffusion of conservation technology, Resource and Energy Economics 16 (1994): 91 – 122. 21 Für weitere Fälle des Marktversagens im Bereich der Klimaschutzpolitik vgl. etwa IPCC (Fn. 9), Band III Kap. 2 (= S. 152 ff.); Johnstone (Fn. 17), S. 27 ff., Stern (Fn. 9), S. 27 ff., sowie S. 509 ff. (zur ökonomischen Analyse des internationalen Klimaschutzregimes). 22 Schumpeter (Fn. 7), S. 88. 23 Wie hier zu den Innovationstypen Frank Schulze Ehring, Umweltpolitik und Anreize zur Innovation. Eine Analyse alternativer umweltpolitischer Strategien unter besonderer Berücksichtigung der Glaubwürdigkeit, 2005, S. 12 ff. 24 Vgl. zum Innovationsprozess etwa Schulze Ehring (Fn. 23), S. 16 ff.

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des technisch Machbaren in eine marktgerechte und marktgängige Lösung; die Innovationsphase drückt sich in der Übernahme der technischen Erfindung durch andere Marktakteure aus. Entscheidend für die Erreichung umweltpolitischer Ziele durch Umweltinnovationen ist die sich jetzt anschließende Phase der Diffusion, der regionalen, nationalen oder internationalen Verbreitung der technologischen Neuerung. Die Verbreitung von Innovationen kann auf vielfältige Hindernisse treffen, wie etwa hohe Anpassungskosten, Informationskosten oder irreversible Investitionen.25 Entscheidend kommt es auf das Ausmaß der Diffusion an und es ist sinnvoll, dies durch weitere Stufen im Innovationsprozess kenntlich zu machen, wie insbesondere den „stock turnover“ (Veränderung des Kapitalstocks durch Innovationen).26 Systeminnovationen27 zielen auf Änderungen sozio-technologischer Systeme jenseits von Innovationen einzelner technischer Komponenten. Damit kommen auch Wirkungszusammenhänge aus der Sphäre des politischen Systems, gesellschaftliche und kulturelle Voraussetzungen und vieles mehr in den Blick. Gerade die viel diskutierte „Energiewende“28 ist hierfür ein gutes Beispiel. Derartige Systeminnovationen erfordern ein Übergangsmanagement, das die Erforschung von Nachhaltigkeitsvisionen ebenso umfasst wie eine Analyse technologischer Möglichkeiten.29 Kemp schlägt dafür einen vierstufigen „transition management cycle“ vor.30 Umweltinnovationen stellen eine hier relevante Untermenge herkömmlicher Innovationen dar. Es handelt sich also um Produkte, Produktionsverfahren, Ideen und Verhaltensweisen, die der Erkennung, Vermeidung, Verminderung oder Behebung von durch Menschen verursachten Umweltschäden dienen.31 Der Produktivitätsfortschritt ist hier auf den Faktor Umwelt bezogen, ob sich die Umweltinnovation auch in Bezug auf klassische Produktionsfaktoren produktivitätserhöhend aus25 Vgl. hierzu im Einzelnen Carolyn Fischer, Technical innovation and design choices for emissions trading and other climate policies, in: Hansjürgens (Hrsg.), Emissions Trading for Climate Policy. US and European Perspectives, 2005, S. 37 (47 ff.). 26 Vgl. dazu Newell / Jaffe / Stavins (Fn. 11), S. 565 f. 27 Dazu grdl. René Kemp, Integrating environmental and innovation policies, in: Parto / Herbert-Copley, Industrial innovation and environmental regulation: developing workable solutions, 2007, S. 258 ff. 28 Vgl. hierzu schon Florentin Krause / Hartmut Bossel / Karl-Friedrich Müller-Reissmann, Energie-Wende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran, 1980; Wissenschaftlicher Beitrag der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Welt im Wandel. Energiewende zur Nachhaltigkeit, 2003, S. 1 ff. (103 ff., 209 ff.). 29 Kemp (Fn. 27), S. 262 ff. 30 Kemp (Fn. 27), S. 268 ff.: (1.) establishment and further development of a transition arena for a specific transition theme; (2.) development of long-term visions for sustainable development and of a common transition agenda; (3.) inition and execution of transition experiments; (4.) monitoring and evaluation of the transition process. 31 Vgl. dazu Schulze Ehring (Fn. 23), S. 13 m. w. N.; Rennings (Fn. 18), S. 19 ff.; zu internationalen Begriffsbildungen Stern (Fn. 9), S. 399 f., m. w. N.

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wirkt, mag zwar für den Entscheidungsprozess relevant sein, nicht jedoch für den Begriff der Umweltinnovation. 2. Der Umgang mit Nichtwissen Eine zentrale Herausforderung für moderne staatliche Innovationspolitik ist in dem Umgang mit Nichtwissen zu sehen. Dieses kann vielfältiger Natur sein. a) Wissensdefizite in Bezug auf die angestrebten Innovationen Eine bedeutende Herausforderung für die Innovationsregulierung stellen die Wissensdefizite in Bezug auf die angestrebten Innovationen dar.32 Die Aufgabe der Innovationsförderung bezieht sich auf eine Technologierevolution, von der niemand weiß, wie sie im Einzelnen aussehen könnte. Als Vergleich eignet sich – nicht nur wegen seiner symbolischen Bedeutung für die Klimaschutzpolitik – ein Eisberg: Einige mögliche Technologien sind bereits sichtbar oder zeichnen sich in groben Konturen ab. Viele zukünftige Innovationen sind aber noch gänzlich unter der Oberfläche verborgen und lassen sich allenfalls erahnen. Im Einzelfall führt dies je nach Wissensstand zu sehr verschiedenen Anforderungen an das Regulierungsdesign. Die Regulierungsstrategie hat notwendig eine andere zu sein, je nachdem, ob eine Innovation bereits eingetreten ist („ex-post“-Regulierung) oder noch nicht („ex-ante“-Regulierung).33 Vor diesem Hintergrund lassen sich etwa eine gezielte („targeted“) von unspezifischer Investitionsförderung unterscheiden.34 Zudem wird deutlich, dass die Innovationspolitik an unterschiedlichen Phasen des Innovationsprozesses anzusetzen hat (Invention, Innovation, Diffusion. . . ) und dies sehr unterschiedliche Anforderungen an das Regulierungsdesign stellt. Diese Wissensdefizite sind zu einem großen Teil objektiv in dem Sinne, dass kein am Innovationsprozess Beteiligter über entsprechendes Wissen verfügt. Da sich jedoch Innovationen in aller Regel im privatwirtschaftlichen Bereich vollziehen, sind die Wissens- und Informationsdefizite des innovationsfördernden Staates noch deutlich größer. Aus rechtsökonomischer Perspektive liegt hier eine typische Prinzipal-Agent-Konstellation vor: Zwischen dem Innovations-Prinzipal (Gesetzgeber, Behörde) und dem Innovations-Agenten (Emittent, Anlagenbetreiber) liegt eine gravierende Informationsasymetrie vor, die letzterer tendenziell zu seinem Vorteil ausnutzen wird.35 „Innovation is, by its nature, unpredictable“, Stern (Fn. 9), S. 407. Zu dieser Unterscheidung vgl. etwa Till Requate, Dynamische Anreize umweltpolitischer Instrumente – Ein Überblick, in: Franz (Hrsg.), Umwelt und Energie, 2006, S. 125 (130). 34 Vgl. dazu etwa Martin Jänicke / Klaus Jacob, Ecological Modernization and the Creation of Lead Markets, in: Weber / Hemmelskamp (Hrsg.), Towards Environmental Innovation Systems, 2005, S. 175 ff., 179. 35 Erik Gawel in diesem Band. 32 33

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b) Wissensdefizite in Bezug auf die Methodik der Innovationsförderung Unwissen herrscht aber auch in Bezug auf wichtige Voraussetzungen einer erfolgreichen Innovationsförderung. Als Beispiel sei auf die grundlegende Vorfrage der Innovationsforschung verwiesen, wie sich Innovationen überhaupt feststellen und somit Innovationswirkungen empirisch erforschen lassen. Abgesehen von Schwierigkeiten den Begriff der Innovation präzise zu fassen,36 erweist sich in der Praxis die Aufgabe geeignete Indikatoren für Innovationswirkungen zu finden alles andere als einfach.37 In Betracht kommt etwa die Zahl von Patenten oder die Entwicklung von Vermeidungskosten.38 Zutreffend hat Johnstone in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es nicht nur auf das Ausmaß eingetretener Innovationen, sondern auch auf die Richtung der Innovationsentwicklung ankommt (einschließlich möglicher negativer Rückwirkungen39).40 Erhebliche Wissensdefizite lassen sich aber auch in Bezug auf die instrumentelle Ausgestaltung der Innovationsförderung feststellen. Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang schon die Frage, welche Instrumente in welcher Ausgestaltung und in Verbindung mit welchen weiteren Instrumenten welche Innovationspotenziale besitzen. Keinesfalls lässt sich das einfach an Preissignalen ablesen, denn Innovationsentscheidungen sind komplex und regelmäßig multikausal.41 Zudem sind allein schon die den Innovator erreichenden monetären Anreize nicht einfach zu ermitteln. Für innovationsfördernde Instrumente kommen nämlich sehr unterschiedliche Ansatzpunkte im Entscheidungsprozess in Betracht, die die externen Kosten nach Art und Ausmaß unterschiedlich internalisieren.42 Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Frage, welchen Einfluss auf die Investitionsentscheidung neben spezifischen An- und Abreizen auch institutionell-organisatorische sowie prozedurale Rahmenbedingungen der Umweltpolitik haben.43 Auf dieser GrundSiehe dazu oben II. 1. Dazu OECD (Fn. 2), Anm. 24 ff.; Fukasaku (Fn. 17), S. 251 ff. 38 Als sehr indirekter Indikator wird auch die Entwicklung der Energiepreise genannt, vgl. OECD (Fn. 2), Anm. 55 f.; zu möglichen Indikatoren im Überblick vgl. Johnstone (Fn. 17), S. 35 ff. 39 Vgl. dazu unten 3. 40 Johnstone (Fn. 17), passim. 41 Vgl. dazu Manuel Frondel / Jens Horbach / Klaus Rennings, End-of the pipe or cleaner production?: an empirical comparision of environmental innovation decisions across OECD countries, in: Johnstone (Hrsg.), Environmental Policy and Corporate Behaviour, 2007, S. 174 (186 f.). 42 Vgl. dazu Johnstone (Fn. 17), S. 30 ff., der in diesem Zusammenhang vom „point of policy incidence“ der Innovationspolitik spricht. 43 Vgl. etwa Timothy J. Foxon, Technological lock-in and the role of innovation, in: Atkinson / Dietz / Neumayer (Hrsg.), Handbook of Sustainable Development, 2007, S. 140 (148 f.), der von der notwendigen Entwicklung eines nachhaltigen Innovationspolitikregimes („sustainable innovation policy regime“) auf der Grundlage von Systemdenken („systems thinking“) spricht. 36 37

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lage sind nicht nur Aussagen über eine inhaltlich konsistente Umweltpolitik (Instrumente), sondern sehr viel weiter reichend Aussagen über das System der Umweltpolitik zu treffen.44 Wissensdefizite bestehen schließlich auch in Bezug auf den Umfang des Förderungsbedarfes. Es besteht die Gefahr, dass die Politik eine Technologie fördert, die sich vielleicht auch so auf dem Markt durchgesetzt hätte („picking the winner“).45 Dann entstehen Mitnahmeeffekte und die darauf verwendeten Ressourcen stehen für andere Fördermaßnahmen nicht (mehr) zur Verfügung. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass öffentliche Investitionen private Investitionen verdrängen („crowding-out“-Effekt).46 3. Innovations- und Folgenverantwortung Erhebliche Konsequenzen für das Design der Innovationspolitik hat die banale Feststellung, dass Innovationen Vor- und Nachteile haben sowie Chancen und Risiken implizieren. Im günstigen Fall hat eine Innovation mehrere positiv Folgen. Das ist etwa denkbar, wenn die Innovation zur Bekämpfung eines Umweltproblems angestrebt wurde, aber zugleich zur Lösung weiterer Umweltprobleme beiträgt. Dazu kann es kommen, wenn andere umweltschädliche Emissionen zwingend an die an sich bekämpften geknüpft sind (sog. Kuppel-Emissionen). Auf der anderen Seite ist es aber auch denkbar, dass Innovationen negative Folgen haben, etwa der Einsatz eines umweltschädlichen Produktes durch den Einsatz eines nicht minder umweltschädlichen Produktes substituiert wird.47 Innovationsverantwortung ist hier mit Folgenverantwortung untrennbar verbunden, gute Innovationspolitik setzt also eine Folgenabschätzung auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse voraus.48 Es braucht an dieser Stelle nicht betont werden, wie anspruchsvoll diese Aufgabe selbst dann ist, wenn entsprechender politischer Wille gegeben ist. Die Folgen von Innovationen sind aber kaum jemals vollständig bekannt. Innovation kann daher auf der einen Seite zur Risikobewältigung beitragen, auf der anderen Seite aber auch selbst wieder neue Risiken begründen. Innovations- und Risikosteuerung können so in einen Widerstreit geraten. Die Innovationsverantwortung ist daher stets von einer Risikoverantwortung begleitet.49 Schon auf der VerVgl. dazu unten V. Dazu Fukasaku (Fn. 17), S. 260. 46 Vgl. dazu Johnstone (Fn. 17), S. 37. 47 Vgl. zu dieser Problematik Johnstone (Fn. 17), S. 32 ff. 48 Zu den Konsequenzen dieser Folgenorientierung für das Recht vgl. Wolfgang HoffmannRiem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, DV 38 (2005), S. 145 (150 ff.). 49 Hoffmann-Riem (Fn. 48), S. 145 (172 ff.); Arno Scherzberg, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen?, VVDStRL 63 (2004), S. 214 (230 ff.). 44 45

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antwortungs- und Zielebene kann es daher zu Spannungen kommen, die einen Ausgleich erfordern. Aus dem Blickwinkel der Rechtswissenschaft (und im Vorfeld der Politikwissenschaft) folgt hieraus ein positiver, Handlungsoptionen ermöglichender und erweiternder sowie ein negativer, restriktiver und begrenzender Aspekt. Ein „positives“ Innovationsverwaltungsrecht ist auf die Stimulierung von Innovationen gerichtet, während ein „negatives“ Innovationsverwaltungsrecht hierfür im Interesse der Risikoverantwortung Grenzen setzt. Diese Chance-Risiko-Kollision ist in einem multipolar ausgewogenen, risikobewussten Innovationsrecht aufzulösen. Besonders deutlich wird das bei völlig neuen Technologien zur Lösung des Klimaproblems wie etwa den CO2-Abscheidungs- und Lagerungsverfahren50 oder der Idee, gegenläufige Klimawirkungen durch Installationen in der Atmosphäre (reflektierende Spiegel oder Partikel) zu bewirken.51 Eine vernünftige Innovationsregulierung ist hier nur denkbar, wenn hinreichend Wissen über die Risiken dieser Technologien gewonnen worden ist.

4. „Lock-in“-Effekte und Pfadabhängigkeit von Technologieförderung Erhebliche Konsequenzen für die Konzeption einer anspruchsvollen Innovationspolitik hat schließlich die heute allgemein anerkannte und fast selbstverständliche Feststellung, dass es bei den angestrebten Innovationen nicht um punktuelle Ereignisse, sondern um dynamische Innovationsprozesse geht.52 Die Bedeutung dieser Feststellung liegt neueren Strömungen einer evolutorischen Ökonomik und Innovationstheorie zugrunde.53 Innovationspolitik setzt damit niemals bei einer „Stunde Null“ an, ist vielmehr durch bereits erfolgte Innovationen beeinflusst und kann – positiv gewendet – an diese zielgerichtet anknüpfen. Sie verläuft in Kreisläufen und ist daher konsequent reflexiv auszugestalten.54 Die Entwicklungsabhängigkeit von Innovationen bedeutet, dass diese in technischen Pfaden („technical clustering“), Paradigmen und „Innovationsstammbäumen“ verlaufen.55 Befindet sich die Politik erst einmal auf einem bestimmten Pfad der 50 Vgl. dazu Umweltbundesamt, Verfahren zur CO -Abscheidung und -Speicherung, Ab2 schlussbericht 07 / 06; abrufbar unter http: // www.umweltbundesamt.de / klimaschutz (zuletzt abgerufen 04 / 2008) zu den rechtlichen Aspekten Susanna Much, Legal Aspects of Carbon Capture and Storage Technologies, in: Rodi (Hrsg.), Between Theory and Practice: Putting Climate Policy to Work, 2008, S. 123 ff. 51 Vgl. dazu bereits oben I. 52 Vgl. dazu bereits oben II. 1. 53 Vgl. dazu etwa Frank Beckenbach / Jan Nill, Ökologische Innovationen aus der Sicht der evolutorischen Ökonomik, in: Beckenbach u. a. (Hrsg.), Innovation und Nachhaltigkeit, Jahrbuch Ökologische Ökonomik Band 4, 2005, S. 63 ff. (69 ff.); Schulze Ehring (Fn. 23), S. 3, m. w. N. 54 Zu den Konsequenzen vgl. näher unten VI. 55 Vgl. dazu Schulze Ehring (Fn. 23), S. 18 f.

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Technologieförderung, kann ein Umsteuern zu erheblichen Kosten führen (z. B. „sunk cost“ durch irreversible Investitionen, Wechselkosten aufgrund technologischer Komplimentaritäten oder „set-up cost“ durch die Notwendigkeit, wieder Lern-, Skalen- oder Netzwerkeffekte anzustreben).56 Im Extremfall kann dies bedeuten, dass ein geförderter Technologiepfad für eine bestimmte Zeit praktisch nicht mehr verlassen werden kann („lock-in“-Effekte). Ein zentrales Dilemma der Klimaschutzpolitik besteht ja nicht zuletzt darin, dass sich die Innovationspolitik in einer umfassenden „lock-in“-Situation befindet, die auf Technologien zur Verbrennung fossiler Rohstoffe („carbon technology“) beruht.57 Zutreffend wurde festgestellt, dass sich die „lock-in“-Situation nicht nur auf die Technologie selbst beziehen kann, sondern auch auf das System der Innovationspolitik insgesamt mit seinen institutionellen Voraussetzungen.58 Wenn nun die Innovationspolitik einen Pfad beschreitet, sei es in technologischer oder in institutionell-systemischer Hinsicht, hat dies notwendig zur Folge, dass andere Wege ausscheiden; regelmäßig ist das schon eine Folge knapper finanzieller oder sonstiger Ressourcen. Im Zeitverlauf scheiden dann Alternativen aus, die durchaus hätten interessant werden können.59 Gute Regulierungspolitik kommt in dieser Situation einer Gratwanderung gleich: Auf der einen Seite sollte sie die Synergieeffekte eines Technologiepfades60 aktiv unterstützen und seine Vorteile nutzen (Netzwerkpolitik61). Auf der anderen Seite muss sie gerade beim Beschreiten neuer Innovationspfade sehr behutsam vorgehen, um nicht zu schnell und unüberlegt in „Innovations-Einbahnstraßen“ zu geraten. 5. Die besondere Herausforderung einer interdisziplinären Innovationsforschung Innovationsforschung ist ein klassischer Anwendungsbereich für Interdisziplinarität.62 Im Vordergrund steht sicherlich auch heute noch die Innovationsökonomik mit ihren vielen verschiedenen Ansätzen.63 Aus der Sicht der Rechtswissenschaft bestehen jedoch weitere Anknüpfungspunkte, von der wirtschaftswissenschaft56 Vgl. für einen Überblick zu denkbaren Wechselhemmnissen Beckenbach / Nill (Fn. 53), S. 74 ff.; zu lern- und Erfahrungskurven Stern (Fn. 9), S. 397 f. 57 Vgl. hierzu Foxon (Fn. 43), S. 144 f., mit Verweis auf Georg-Christoph Unruh, Understanding carbon lock, Energy Policy 28 (2000): 817 – 830 und ders., Escaping energy carbon lock, Energy Policy 30 (2002): 317 – 325. 58 Foxon (Fn. 43), S. 144 ff. 59 Jaffe / Newell / Stavins (Fn. 17): 164 ff. (171); OECD (Fn. 2), Anm. 37. 60 Vgl. dazu Johnstone (Fn. 17), S. 28. 61 Zu den positiven Effekten von Innovationsnetzwerken s. o. II. 62 Zur Interdisiplinarität von Klimaschutzpolitik sowie zu den Grundsätzen interdisziplinären Arbeitens vgl. Ulrich Hampicke / Detlev Jahn / Konrad Ott / Michael Rodi, Energy and the Environment as an Interdisciplinary Challenge, in: Rodi (Hrsg.), Environmental Policy Instruments in Liberalized Energy Markets, 2006, S. 7 ff. 63 Vgl. dazu im Überblick Schulze Ehring (Fn. 23), S. 2 ff.

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lichen Innovationsforschung über die Governanceforschung bis hin zur Systemtheorie aus dem Bereich Sozialwissenschaften.64 Dieses Anknüpfen an den Ergebnissen anderer Wissenschaften ist zunächst einmal Chance und Bereicherung. Häufig bedeutet es jedoch auch, dass an unklaren oder gar widersprüchlichen Vorarbeiten angeknüpft werden muss. Als Beispiel sei auf die Schwierigkeiten verwiesen, geeignete Indikatoren für Innovationswirkungen zu finden.65 Defizite bei der Erforschung derartiger Grundlagenfragen setzen sich nun in allen Wissenschaften fort, die sich mit der Steuerung und Ausgestaltung von Innovationsförderung befassen.

IV. Innovationsfördernde Potenziale einzelner Instrumente der Umweltpolitik Um die Komplexität der Fragestellung etwas zu reduzieren, soll zunächst nur auf die innovationsfördernden Potenziale umweltpolitischer Instrumente unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Kosteneffizienz66 eingegangen werden.67 In den Mittelpunkt werden zwei Fragestellungen gestellt, die vorab als Hypothesen formuliert werden sollen. Die erste Hypothese ist, dass es bei der Frage nach dem Innovationspotenzial einzelner Instrumente weniger um die Frage nach dem „Ob“ als vielmehr um die Frage nach einem „Wie viel“ geht. Denn allen umweltpolitischen Instrumenten kommen mehr oder weniger weit reichende Innovationswirkungen zu. Diese Grundvariante der sog. „Porter-Hypothese“68 hat in jüngsten Studien zunehmend Unterstützung erlangt.69 Hoffmann-Riem (Fn. 48), S. 158 ff. Vgl. dazu oben II. 2.b. 66 Jaffe / Newell / Stavins (Fn. 17), weisen zutreffend darauf hin, dass die Prognosen über die Kosten der Umweltpolitik (und der Kosteneffizienz der Instrumente) stark auch von der technologischen Entwicklung abhängen, sich diese Kriterien also gegenseitig bedingen. 67 Zum Instrumentarium innovationsorientierter Umweltpolitik vgl. im Überblick Martin Jänicke, Megatrend Umweltinnovation. Zur ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Staat, 2008, S. 41 ff. 68 Vgl. dazu grdl. Michael E. Porter / Claas van der Linde, Towards a New Conception of Environment-Competition Relationship, in: Journal of Economic Perspectives 9 (1995): 97 – 118, und in: Sinclair-Desgagné (Hrsg.), Corporate strategies for managing environmental risk, 2004, Kap. 15, S. 231 ff. und schon Michael E. Porter / Claas van der Linde, Towards a new concept of the environment-competitiveness relationship, The Journal of Economic Perspectives 9 (1995): 98 (105): „Reducing pollution is often coincident with improving productivity with which resources are used“. 69 Vgl. etwa Paul Lanoie / Jérémy Laurent-Lucchetti / Nick Johnstone / Stefan Ambec, Environmental Policy, Innovation and Performance: New Insights on the Porter Hypothesis, HEC Montréal, Institut d‘économie appliqué, Cahier de recherche no IEA-07 – 06, 2007, S. 2 (31), die diese These als die „schwache Porter-Hypothese“ bezeichnen. 64 65

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Die zweite Hypothese lautet, dass pauschalen Aussagen über die Innovationspotenziale einzelner Instrumente mit Vorsicht zu begegnen ist.70 Es kommt letztlich entscheidend auf die Ausgestaltung der Instrumente im Einzelnen an („design matters“).71 Dies erhellt bereits vor dem Hintergrund, dass alle Instrumente unterschiedliche Ansatzpunkte („point of incidence“) haben können.72 So kann etwa auch Ordnungsrecht sehr innovationsfördernd gestaltet werden, während ökonomische Anreizinstrumente bei defizitärer Ausgestaltung geringe Innovationswirkungen haben können und vice versa.73 In diesem Lichte ist auch die „starke Version“ der Porter-Hypothese zu sehen: danach ist es unter bestimmten Bedingungen (Ausgestaltung!) denkbar, dass gerade marktgestützte Anreizinstrumente zu einer „win-win-Situation“ führen, also mehr Umweltschutz verwirklichen und dabei noch für die Unternehmen kostensenkend und wettbewerbsfördernd wirken.74

1. Ordnungsrecht vs. ökonomische Instrumente Tendenziell lässt sich sagen, dass Ordnungsrecht geringere Innovationswirkungen hat als ökonomische Anreizinstrumente.75 Vor diesem Hintergrund setzt etwa auch die Kommission der Europäischen Union abstrakt auf marktgestützte Instrumente.76 Ordnungsrecht ist jedoch lediglich ein Gattungsbegriff für eine Strategie des Gesetzgebers. Sie beruht im Kern darauf, dass das Verhalten der Normadressaten durch Standards zwingend vorgeschrieben wird. Allerdings gibt es für seine Ausgestaltung im Einzelnen viele Optionen. Aus der Perspektive der Innovationswirkungen spielen Standards in Form von Emissionsgrenzwerten (z. B. nach dem „Stand der Technik“) oder in Form von Technologie / Verfahrensstandards („performance standards“) ein besondere Rolle; weniger beachtet wird dabei eine weitere Form der Grenzwertsetzung, die sich relativ an dem Produktionsergebnis bemisst 70 OECD (Fn. 2), Anm. 66; so auch die Quintessenz der Auswertung von Studien bei Requate (Fn. 33), S. 193. 71 OECD (Fn. 2), Anm. 68 f.; Frondel / Horbach / Rennings (Fn. 41), S. 182; Driesen (Fn. 1), S. 300 ff.; grdl. bereits Fischer (Fn. 25). 72 Vgl. dazu oben I.2.b). 73 Jody Freeman / Charles D. Kolstad, Prescriptive Environmental Regulations versus Market-Based Incentives, in: Freeman / Kolstad (Hrsg.), Moving to Markets in Environmental Regulation. Lessons from Twenty Years of Experience, 2007, S. 3 ff. 74 Dazu Lanoie / Laurent-Lucchetti / Johnstone / Ambec (Fn. 69). 75 Lanoie / Laurent-Lucchetti / Johnstone / Ambec (Fn. 69), S. 6 m. w. N. („strong support“); OECD (Fn. 2), Anm. 20; Fischer (Fn. 25), S. 40 f.; Porter / Linde (Fn. 68): 245, sowie als Quintessenz der Auswertung von Studien bei Requate (Fn. 33), S. 146 f.; Rennings (Fn. 18), S. 27, bezeichnet diese Aussage als „grundlegende(s) Fazit der umweltökonomischen Instrumentendiskussion“. 76 EU-Kommission, Grünbuch Marktwirtschaftliche Instrumente (Fn. 3), S. 4.

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(„output standard“).77 Neue Innovationspotenziale erschließt der Gesetzgeber zudem dadurch, dass er zunehmend auch flexible Regulierungsstrategien einsetzt (wenn etwa Überschreitungen von Grenzwerten zugelassen werden, soweit Anlagenbetreiber diese an anderer Stelle kompensieren bzw. überkompensieren). Das Ordnungsrecht kann damit auch, wie bereits festgestellt, mehr oder weniger innovationsfördernd ausgestaltet werden.78 So ist es theoretisch denkbar, durch Setzen extrem ehrgeiziger Standards zur Entwicklung neuer, sogar revolutionärer Umwelttechnologien beizutragen, die deutlich über den aktuellen Stand der Technik hinausweisen („technology forcing“)79. Allerdings erfolgen in der Praxis Anpassungen der Standards nicht regelmäßig und nicht ehrgeizig genug. Das liegt auf der einen Seite an der Trägheit der Verfahren zur Regelsetzung. Auf der anderen Seite hat der Regulierer beim Setzen von Standards ein Informationsproblem in Bezug auf das technisch Machbare. Die Unternehmen neigen dazu, ihren Informationsvorsprung zu nutzen, um weniger ehrgeizige Auflagen zu erreichen (These vom „Schweigekartell der Oberingenieure“)80. Im Ergebnis droht dann die Gefahr, dass der Gesetzgeber, statt Anreize zu Innovationen zu setzten, Anreize setzt technologischen Fortschritt zu vermeiden und möglichen technologischen Fortschritt zu verbergen.81 Zumindest die letztere Schwierigkeit fällt bei ökonomischen Anreizinstrumenten weg. Allerdings bleiben auch hier die Probleme des Rechtsetzungssystems. An der Geschichte der Energiesteuern und des Zertifikatehandels in Europa lässt sich gut zeigen, dass sich der Gesetzgeber hier nicht weniger schwer tut, den Umweltproblemen angemessen ehrgeizige Vorgaben zu machen.82 Zudem wären ökonomische Anreizinstrumente dann besonders innovationsfördernd, wenn diese Verschärfungen langfristig und verlässlich festgelegt würden. Das scheint dem kurzfristig denkenden politischen System nicht möglich zu sein. Die ersten Jahre der deutschen Ökosteuer mit festgelegten Erhöhungsstufen waren eine, allerdings noch halbherzige, Ausnahme. Schließlich hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass ordnungsrechtliche Ansätze und ökonomische Instrumente keine Alternative darstellen, sondern regelmäßig kombiniert werden sollten.83 Dies gilt zumindest dort, wo es zu „hot spots“ So zutreffend Requate (Fn. 33), S. 146 ff., als conclusio seiner Metastudie. OECD (Fn. 2), Anm. 67; zur innovationsfördernden Wirkung von Ordnungsrecht OECD (Fn. 2), Anm. 41 – 43, mit Verweis auf D. Popp; vgl. hierzu Martin Jänicke / Klaus Jacob (Hrsg.), Environmental Governance in Global Perspective – New Approaches to Ecological and Political Modernization, 2006. 79 Vgl. dazu Schulze Ehring (Fn. 23), S. 22 m. w. N. 80 Dazu Schulze Ehring (Fn. 23), S. 27 f. (214 f.). 81 Vgl. zu dieser Analyse auf der Grundlage der Prinzipal-Agent-Theorie Gawel in diesem Band. 82 Zu den Schwierigkeiten in Bezug auf eine regelmäßige und angemessene Anpassung vgl. Fukasaku (Fn. 17), S. 256. 83 Kemp (Fn. 27), S. 265 f. 77 78

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kommen kann und ein „ökologisches Existenzminimum“ strikt abgesichert werden muss. 2. Ökonomische Instrumente vs. informale Instrumente Auch im Verhältnis von ökonomischen und informalen Instrumenten der Umweltpolitik lassen sich kaum pauschale Aussagen treffen. Zu Recht wird die große Bedeutung von Informationsprogrammen für die Innovationsförderung betont.84 Dies erhellt vor dem Hintergrund, dass hier in Bezug auf Informationen ein eigenständiges Marktversagen vorliegt.85 Die Bedeutung informationsfördernder Maßnahmen gerade auch auf Nachfragerseite wurde in letzter Zeit auf europäischer wie nationaler Ebene erkannt.86 Alles spricht auch hier für eine Instrumentenkombination. Völlig anders stellt sich die Alternative von ökonomischen Anreizinstrumenten und Selbstverpflichtungsabsprachen dar. Die vielen enttäuschenden Versuche der letzten Jahre haben gezeigt, dass Freiwilligkeit und die vage Aussicht auf künftige Regulierung wenig Anreize zu technologischem Fortschritt bieten.87

3. Ökonomische Instrumente im Vergleich Auch ein Vergleich der einzelnen ökonomischen Instrumente der Umweltpolitik untereinander ist mit den genannten Schwierigkeiten eines Vergleichs von Innovationsförderungspotenzialen behaftet. Dies fängt bei den bereits geschilderten Problemen an, Innovationen zu definieren und festzustellen sowie Innovationswirkungen einzelnen Instrumenten zuzurechnen. a) Emissionshandelssysteme Große Innovationspotenziale werden regelmäßig dem Instrumentarium des Emissionshandels zugeschrieben.88 Dies gilt insbesondere im Vergleich zu ordnungsrechtlichen Maßnahmen.89 Newell / Jaffe / Stavins (Fn. 11), S. 568 ff. Johnstone (Fn. 17), S. 28; Jaffe / Newell / Stavins (Fn. 17): 172; vgl. dazu bereits oben I. 86 Michael Rodi / Michael Mehling, Energy, in: YEEL 7 (2006): 271 (273 f.), zu den Anforderungen der neuen Ökodesign-Richtlinie; Michael Rodi, Neuere Entwicklungen im umweltrelevanten Energierecht, in: Tagungen der Gesellschaft für Umweltrecht, Band 36, 2006, S. 17 (41 ff.). 87 Vgl. dazu Fukasaku (Fn. 17), S. 256 f., sowie grdl. Stephan Wood, Voluntary Environmental Codes and Sustainability, in: Richardson / Wood (Hrsg.), Environmental Law for Sustainability, 2006, S. 229 ff. 88 Vgl. dazu grdl. Lehmann (Fn. 17); Ulrich Oberndorfer / Klaus Rennigs, Costs and Competitiveness Effects of European Emissions Trading Scheme, European Environment 17 84 85

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Undeutlicher werden die Bewertungen, wenn es um Vergleiche mit anderen ökonomischen Anreizinstrumenten geht. Für das Verhältnis zu Umweltsteuern, insbesondere Emissionsabgaben, weisen Kritiker darauf hin, dass der Zertifikatehandel eine inhärente Neigung zur Abschwächung der Innovationswirkungen hat.90 In der Tendenz würden Innovationen den Zertifikatepreis senken und so weitere Innovationen bremsen.91 Die Mengenvorgaben („cap“) müssten daher öfter angepasst werden, was aber in der Praxis wegen der damit verbundenen Verwaltungskosten nicht in ausreichendem Umfang geschieht.92 Ist der Zertifikatehandel – wie in der Regel und so auch im Fall des EU-Emissionshandelssystems – „upstream“ organisiert und umfasst damit relativ wenige Großanlagen, sorgen auch besonders starke Lobby-Einflüsse dafür, dass die Mengenvorgaben zeitlich oder quantitativ nicht angemessen angepasst werden.93 Emissionshandelssysteme sind in ihrem rechtlichen Design äußerst komplexe Systeme. Überzeugend hat Voß vor diesem Hintergrund in Bezug auf das Instrumentarium des Emissionshandels auf die besondere Bedeutung von historischen Entwicklungspfaden hingewiesen (sog. „innovation journeys“).94 Die besonders stark ausgeprägte Pfadabhängigkeit des Emissionshandels95 führt dazu, dass er nur dann durch andere in die gleiche Richtung wirkende Instrumente ersetzt werden sollte, wenn deren Vorteile deutlich überwiegen. In hohem Maße trifft gerade auch auf den Emissionshandel die These zu, dass es letztlich auf die Ausgestaltung im Einzelnen ankommt. In besonderer Weise gilt das für das Herzstück des Handelssystems, das Allokationsverfahren. So ist anerkannt, dass sich bei einer Versteigerung von Zertifikaten deutlich höhere Innovationspotenziale erschließen lassen als im Fall einer kostenlosen Ausgabe, sei es auf der Grundlage historischer Werte („grandfathering“) oder festgelegter Standards (2007): 1 – 17; Thomas H. Tietenberg, Emissions Trading. Principles and Practice, 2nd ed., 2006, S. 43 ff., m. w. N.; Michael Rodi, CO2 Emissions Trading in Europe: A Law and Economics Perspective, in: Rodi (Hrsg.), Emissions Trading in Europe, 2008, S. 49 (52 ff.). 89 Vgl. dazu im Einzelnen OECD (Fn. 2), Anm. 60 ff. 90 Grdl. Fischer (Fn. 25), S. 42 ff.; vgl. auch Frank Gagelmann / Manuel Frondel, The Impact of Emission Trading on Innovation – Science Fiction or Reality?, European Environment 15 (2005): 203 (205 f.); Driesen (Fn. 1), S. 300 ff.; Johnstone (Fn. 17), S. 24, mit Verweis auf Chulho Jung / Kerry Krutilla / Roy Boyd, Incentives for Advanced Pollution Abatement Technology at the Industry Level, Journal of Environmental Economics and Management 30 (1996): 95 – 111. 91 Fischer (Fn. 25), S. 42 ff. 92 Fischer (Fn. 25), S. 47. 93 Vgl. zur Problematik „Lobying and CO trade in the EU“ Gert Tinggaard Svendsen, in: 2 Hansjürgens (Hrsg.), Emissions Trading for Climate Policy. US and European Perspectives, 2005, S. 150 ff. 94 Jan-Peter Voß, Policy instruments as innovation in governance: the case of emissions trading, University of Sussex, Science and Technology Policy Research (SPRU), SPRU Electronic Working Paper Series (SEWPS), Paper No. 158, March 2007 95 Vgl. dazu auch Rodi (Fn. 88), S. 49 (50 ff.).

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(„benchmarking“).96 Leidvoll musste diese Erfahrung auch in den ersten zwei Runden von Allokationsplänen im europäischen Emissionshandelssystem gemacht werden.97 Interessant ist in diesem Zusammenhang mit Bezug auf das europäische Emissionshandelssystem auch die Frage, wie eine Öffnung des Systems, im Fall des europäischen Systems die Verbindung („linking“) mit den flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls die Innovationswirkungen beeinflusst. In diesem konkreten Fall spricht viel dafür, dass die Innovationswirkungen im Geltungsbereich nachlassen, dafür die Diffusionswirkungen (Technologietransfer) nach Außen zunehmen.98 Beschränkt ist die Innovationswirkung von Emissionshandelssystemen schließlich auch deshalb, weil es in Verbindung mit dem technologischen Wandel weitere Externalitäten und Fälle des Marktversagens gibt.99 Dies spricht auch hier für die Notwendigkeit eines Instrumentenverbundes, etwa mit Maßnahmen zur Förderung spezifischer Technologien.100 b) Steuerlösungen Auch Steuerlösungen werden grundsätzlich große Innovationspotenziale zugeschrieben.101 In besonderem Maße gilt dies für Modelle, die das Steueraufkommen systemgerecht wieder zu umweltpolitischen Zwecken einsetzen.102 Außer Streit steht dabei insbesondere der Vorteil steuerlicher Anreizinstrumente gegenüber ordnungsrechtlichen Ansätzen.103 Aus ökonomischer Sicht wird immer wieder auf die Vorzüge von Emissionssteuern hingewiesen.104 Grundsätzlich wird man auch davon ausgehen können, dass CO2-Steuern („carbon taxes“) insoweit allgemeinen Energie(verbrauchs)steuern überlegen sind; so wird durch erstere etwa auch ein Anreiz zur Entwicklung von CO2-Sequestrierungsverfahren gesetzt.105 Allerdings sei an dieser Stelle daFischer (Fn. 25), S. 44. Vgl. dazu etwa Gagelmann / Frondel (Fn. 90): 203 (208 f.). 98 Harro van Asselt / Joyeeta Gupta, The Role of Flexibility Mechanisms Beyond 2012 and Developing Country Concerns: Lessons Learned?, in: Rodi (Hrsg.), Between Theory and Practice: Putting Climate Policy to Work, 2008, S. 27 ff. m. w. N. 99 Vgl. dazu Lehmann (Fn. 17). 100 Vgl. dazu näher Rodi (Fn. 88), S. 49 (60 ff.). 101 Vgl. dazu OECD (Fn. 2), Anm. 44 – 46, mit Verweis auf einschlägige Studien. 102 OECD (Fn. 2), Anm. 44. 103 Lanoie / Laurent-Lucchetti / Johnstone / Ambec (Fn. 69), S. 6 f., mit Verweis auf Nick Johnstone / Julien Labonne, Environmental Policy, Management and Research and Development, in: OECD Economic Studies Vol. 46. 104 Requate (Fn. 33), S. 143 ff. (146 ff.), als Schlussfolgerung aus der Analyse von Studien. 105 Reyer Gerlagh, Options and Instruments for a Deep Cut in CO Emissions: Carbon Di2 oxide Capture or Renewables, Taxes or Subsidies?, The Energy Journal 27 (2006): 25 – 48. 96 97

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rauf hingewiesen, dass bei einer Ausgestaltung als direkte Emissionssteuern andere Bewertungskriterien, wie insbesondere die Frage der Verwaltungspraktikabilität und des Verwaltungsaufwandes, diese Vorteile überkompensieren dürften. c) Förderstrategien Unter die Kategorie „Förderstrategien“ werden hier alle monetären Anreize gefasst, die umweltpolitisch erwünschtes Verhalten fördern sollen. Das sind neben klassischen Subventionen (verlorene Zuschüsse, zinsvergünstigte Darlehen) natürlich auch alle Formen von Steuervergünstigungen. Dabei ist für die vorliegenden Zwecke nicht erforderlich, dass die monetäre Förderung zu Lasten des Staates geht, also unmittelbar haushaltsrelevant ist; umfasst werden etwa auch Abnahmeund Vergütungspflichten zur Förderung erneuerbarer Energien.106 Umweltpolitische Förderinstrumente werden traditionell kritisch betrachtet.107 Dies gilt insbesondere für das nach wie vor große Problem des Fortbestehens vielfältiger umweltpolitisch kontraproduktiver Subventionen, etwa der Kohlesubventionen, die der Zielsetzung des Klimaschutzes entgegen stehen.108 Im Übrigen hat sich eine Theorie von Umweltsubventionen entwickelt, die dem Einsatz dieses Instruments klare Maßstäbe bietet. So lässt sich gezielte Technologieförderung durch die positiven externen Effekte (einschließlich der positiven Informations- und Netzwerkeffekte109) von Innovationen rechtfertigen.110 Diese sind in der Grundlagenforschung größer als im marktnahen Bereich. Da Unternehmen in der Regel risikoavers sind, ist staatliche Förderung bei grundlegenden, weit in die Zukunft reichenden Innovationen eher gerechtfertigt. Besonders kritisch werden deshalb auch Produktsubventionen gesehen. Aber auch hier sind im Einzelfall Rechtfertigungsgründe denkbar, etwa um ein Abwandern umweltverschmutzender Anlagen („emission leakage“) zu verhindern (Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen von Produkten, die auf geringere Umweltanforderungen zurückgehen).111 Gleichwohl sind die Gefahren negativer Wirkungen dieses Instrumentariums besonders groß. Das gilt etwa für mögliche „lock-in“-Effekte gezielter Förderun106 Vgl. dazu jüngst im Überblick Andrea Pomana, Renewable Energy Schemes in the European Union and their Interaction with Carbon Saving Programmes, in: Rodi (Hrsg.), Between Theory and Practice: Putting Climate Policy to Work, 2008, S. 91 ff. 107 Vgl. dazu etwa William J. Baumol / Wallace E. Oates, The Theory of Environmental Policy, 2nd ed. 1988. 108 Zur Frage umweltpolitisch kontraproduktiver Subventionen vgl. Stephan Barg, Eliminating Perverse Subsidies: What’s the Problem, in: OECD, Subsidies and Environment. Exploring the Linkages, 1996, S. 23 ff. 109 Vgl. dazu oben I. 110 Vgl. dazu Fischer (Fn. 25), S. 41 f. (49 f.); Jaffe / Newell / Stavins (Fn. 17): 171 f. 111 Fischer (Fn. 25), S. 45.

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gen,112 wie sie etwa in Deutschland in Bezug auf die Förderung der Windkraft oder der Kernfusion diskutiert werden.113 Zudem besteht die Gefahr von Mitnahmeeffekten („free-rider“-Effekte) und es ist deshalb im Einzelfall oft umstritten, ob der Förderaufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis steht. So war die Förderung der Windkraft durch das EEG offensichtlich wirksam, allerdings auch mit hohen Kosten verbunden.114

V. Die Notwendigkeit eines Instrumentenverbundes Einigkeit besteht heute darüber, dass die umweltpolitischen Ziele einschließlich der notwendigen Innovationen nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Instrumente erreicht werden können (Instrumentenverbund).115 Aus ökonomischer Sicht wird dies bereits durch den Umstand nahegelegt, dass in diesem Zusammenhang mehrere unterschiedliche Fälle des Marktversagens identifiziert werden können.116 Erhärtet wird dies durch die Feststellung, dass die Instrumente je für sich sehr unterschiedliche Ansatzpunkte („point of incidence“) haben.117 Einige der oben angestellten – insoweit natürlich nicht abschließenden – Überlegungen haben diese These bestätigt. Dieser Verbund wird nicht ohne klassisches Ordnungsrecht auskommen, das das ökologische Existenzminimum“ abzusichern hat. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, gerade im Bereich der auf der Nachfrageseite ansetzenden Instrumente („demand push“) kommt daneben Informationsprogrammen zu;118 wegweisend hierzu sind neuere Tendenzen einer Nachfrageregulierung im europäischen Energierecht.119 Einen zentralen Bestandteil eines zukunftstauglichen Instrumentenverbundes werden schließlich ökonomische Anreizinstrumente von EmissionshandelsJaffe / Newell / Stavins (Fn. 17): 171. Für einen Überblick zur energiebezogenen Technologieförderung vgl. Stern (Fn. 9), S. 423, sowie die F&E-Statistiken der Internationalen Energieagentur. 114 Vgl. dazu grdl. G. Klaassen / A. Miketa / K. Larsen / T. Sundqvist, The Impact of R&D on Innovation for Wind Energy in Denmark, Germany and the United Kingdom, Ecological Economics 54 (2005): 164 – 174; vgl. hierzu und zu anderen empirischen Studien zur Wirksamkeit von staatlichen Förderstrategien OECD (Fn. 2), Anm. 47 ff. 115 Zur Bedeutung eines Instrumentenmixes für Innovationen vgl. Umweltbundesamt, Wirtschaftsfaktor Umweltschutz. Vertiefende Analyse zu Umweltschutz und Innovation, Forschungsprojekt im Auftrag des Umweltbundesamtes (Förderkennzeichen 204 14 107) durchgeführt von Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, Roland Berger Strategy Consultants, Juni 2007, S. 19; Fukasaku (Fn. 17), S. 258 ff.; Jänicke, (Fn. 67), S. 41 ff. 116 Vgl. dazu oben I. 117 Vgl. dazu oben II.2.b. 118 Newell / Jaffe / Stavins (Fn. 11), S. 568. 119 Vgl. etwa zu den neuen Anforderungen der Ökodesign-Richtlinie Rodi / Mehling, Energy, in: YEEL 7 (2006): 271 (273 f.). 112 113

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systemen über Steuerlösungen bis hin zu einer gezielten Technologieförderung durch öffentliche Förderprogramme bilden.

VI. Innovationsfördernde Rahmenbedingungen Heute wird zunehmend anerkannt, dass das Ziel, Umweltpolitik innovationsfördernd auszugestalten, nicht nur auf dem Pfad der instrumentellen Ausgestaltung angestrebt werden darf. Der innovationsfördernde Regulierungserfolg hängt nicht nur vom Einsatz der richtigen Instrumente ab, sondern von den gesamten rechtlichen Rahmenbedingungen,120 einschließlich der spezifischen Umgebungsbedingungen für Innovationen.121 In besonderem Maße gilt dies für komplexe positive Innovationswirkungen, die sich aus einer Pfad- und Netzwerkorientierung ergeben.122 Dabei kommt etwa der Glaubwürdigkeit und Stetigkeit des Umweltregimes eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.123 Die Maxime „Gestalte Umweltpolitik stetig und vorhersehbar“124 findet zunehmend Anerkennung. Planungsunsicherheiten werden dementsprechend als Innovationshemmnisse identifiziert. So wäre beispielsweise im Falle von Energiesteuern eine langfristig vorhersehbare gleichmäßige Steigerung der Steuersätze empfehlenswert, wie sie in Großbritannien und in einem bescheidenen Ansatz auch in Deutschland praktiziert wurde.125 Natürlich ist die Verlässlichkeit einer solchen gesetzlichen Festlegung dadurch relativiert, dass ein zukünftiger Gesetzgeber nicht gebunden werden kann. Schließlich setzt eine langfristig erfolgreiche Innovationsstrategie voraus, dass der Staat immer wieder auf innovative Veränderungen reagiert (agency response) und notwendige Anpassungen vornimmt.126 Hieraus resultiert die Forderung nach 120 Wolfgang Kahl, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen?, DVBl. 2003, S. 1105, S. 1110 f. 121 Hoffmann-Riem (Fn. 48), S. 157. 122 Vgl. dazu Johnstone (Fn. 17), S. 28 und oben I. 123 Aus der Sicht der Policy-Analyse Martin Jänicke, Umweltinnovationen aus der Sicht der Policy-Analyse: vom instrumentellen zum strategischen Ansatz der Umweltpolitik, FFUrep, S. 97 – 3, Forschungsstelle für Umweltpolitik, 1997, S. 12; Dennis Anderson / Sarah Winne, Energy system change and external effects in climate change mitigation, Environment and Development Economics 12 (2007): 359 (370, 376); vgl. auch UBA (Fn. 115), S. 23 ff.; Niina Kautto, Policy Options and Implementation Measures Promoting Electricity from Renewable Biomass in the European Union, in: Rodi, Between Theory and Practice: Putting Climate Policy to Work, 2008, S. 67 ff. (mit der Schlussfolgerung auf S. 86) am Beispiel des Instrumentariums zur Förderung von Biofuels. 124 Porter / Linde (Fn. 68), S. 124. 125 Vgl. dazu für das deutsche Stromsteuergesetz Michael Rodi, Stromsteuergesetz, in: Schneider / Theobald (Hrsg.), Energiewirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 1 ff., 26 ff. 126 Schulze Ehring (Fn. 23), S. 21 ff., mit Verweis auf Paul B. Downing / Lawrence J. White, Innovation in Pollution Control, Journal of Environmental Economics and Management 13 (1986): 18 – 29 („ratcheting“).

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Michael Rodi

responsiven oder reflexiven Rechtsstrukturen.127 Gerade ökonomische Anreizinstrumente sind hiervon jedoch noch weit entfernt. Sie beruhen regelmäßig auf einseitiger Setzung durch den Gesetzgeber (EEG, Steuervergünstigungen) oder einseitigen und nicht kooperativen Verwaltungsentscheidungen (Haushaltssubventionen, Allokationspläne im Rahmen des Emissionshandelssystems). Hier muss überprüft werden, ob nicht das Instrumentarium in einer Weise fortentwickelt werden kann, dass neues Informationswissen wieder in den Entscheidungskreislauf einfließen und Folgeentscheidungen verbessern helfen könnte. Damit wird deutlich, wie anspruchsvoll das Ziel ist, Umweltpolitik innovationsfördernd auszugestalten. Innovationen finden prozesshaft in der Sphäre privater Unternehmen statt. Dieses Subsystem hat vielfältige Rückkopplungen mit dem politischen System, das einem Lernprozess unterliegt („policy learning“).128

VII. Ergebnisse Im Ergebnis ist auf der einen Seite festzuhalten, dass eine aktive staatliche Rolle bei der Förderung von Umweltinnovationen wichtiger ist denn je; die Klimaschutzpolitik und die dort notwendige Energierevolution unterstreichen dies nachhaltig. Auf der anderen Seite wurde deutlich, welch gewaltige Herausforderung dies für die Steuerungsleistung des Staates bedeutet und wie viel Forschungsbedarf in Bezug auf Vorfragen wirksamer Innovationspolitik noch besteht. Dies gilt zunächst für die vielfältigen Wissensdefizite in Bezug auf die Bewertung von Innovationen und die Ermittlung der Wirkungen innovationsfördernder Instrumente. Anspruchsvoll sind zudem die ständige Gratwanderung der Politik zwischen Innovationsverantwortung und Folgen- / Risikoverantwortung, der Umgang mit der Gefahr in innovationspolitische Sackgassen zu steuern („lock-in“-Effekte) sowie das Abwenden von Wirkungseinbußen („free-rider“-Effekte; „crowding-out“-Effekte). Eine nähere Analyse einzelner Instrumente der Innovationspolitik hat die These erhärtet, dass allen Kategorien umweltpolitischer Instrumente mehr oder weniger starke Innovationswirkungen zukommen (können). Letztlich kommt es dabei auf die Ausgestaltung der Instrumente im Einzelnen an („design matters“). Angesichts der vielfältigen Marktversagen im Bereich der Innovationspolitik und der vielfältigen möglichen Ansatzpunkte einzelner Instrumente wird die Notwendigkeit eines Instrumentenverbundes in diesem Politikbereich besonders unterstrichen. Schließlich hängen Art und Ausmaß der Innovationsförderung nicht unerheblich auch von den Rahmenbedingungen der Umweltpolitik, insbesondere ihrer Stetigkeit und Vorhersehbarkeit ab. Zudem müssen Umweltpolitik und Umweltrecht institutionell so angepasst werden, dass neue Entwicklungen und neu generiertes Wissen wieder in den Politikkreislauf gelangt (responsive und reflexive Politik- und Rechtsstrukturen). 127 128

Fukasaku (Fn. 17), S. 254 ff. (257). Vgl. zu diesem Systemansatz näher Foxon (Fn. 43), S. 146 ff. m. w. N.

Teil V Innovationsfördernde Elemente in Regulierungsregimes

Innovationsfördernde Umweltpolitik Von Martin Jänicke und Stefan Lindemann I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Zur Governance von Umweltinnovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. „Starke“ vs. „schwache“ Umweltinnovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Zum Instrumentarium innovationsorientierter Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Produktbezogene Umweltregulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 III. Ansätze „Ökologischer Industriepolitik“ in Deutschland und der EU . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. „Ökologische Industriepolitik“ in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Die Förderung von Umweltinnovationen in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 IV. Grenzen innovationsorientierter Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

I. Einleitung Das derzeit aktuelle Thema einer „innovationsorientierten Umweltpolitik“ hat eine mehr als dreißigjährige Vorgeschichte. Das japanische Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI – Ministry of International Trade and Industry) entwickelte schon 1974 ein Wirtschaftskonzept, das wissensintensiven, umwelt- und ressourcenschonenden Produktionen große Bedeutung beimaß (MITI 1974). Hauff und Scharpf nahmen hierauf Bezug und empfahlen 1975 eine innovationsorientierte Industriepolitik, die auch den „neuen Markt“ ressourcen- und umweltschonender Technologien in den Blick nimmt (Hauff / Scharpf, S. 115 ff.; s. auch Jänicke 1978; 2008). Umweltökonomen betonten gleichzeitig, dass Umweltpolitik letztlich auf technischen Wandel setzen müsse (Kneese / Schultze). Ashford vom amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) entdeckte schon 1979 – lange vor seinem Harvard-Kollegen Porter (Porter; Porter / van der Linde) – innovationsfördernde Wirkungen staatlicher Umweltregulierungen (Ashford et al.; Ashford 2005). In Deutschland wurden Vorstellungen einer Ökologisierung des technischen Fortschritts seit den 1980er-Jahren entwickelt (Huber; Jänicke 1984). Das Konzept der ökologischen Modernisierung und die Formel des „greening of industry“ kennzeichnen in unterschiedlicher Semantik den weiteren Fortgang dieser Innovationsdebatte.

172

Martin Jänicke und Stefan Lindemann

Was hier konzeptionell vorgedacht und politisch als notwendig und möglich erachtet wurde, fand nur sehr langsam seinen Niederschlag in der realen Entwicklung. Dass es sich aber um einen stabilen Trend bzw. um einen langfristigen Wachstumszyklus handeln könne, der wesentlich von ökologisch angepassteren, ressourcenschonenden Technologien getragen wird, wurde schon Anfang der 1980er-Jahre festgestellt. Techniken mit dem Schwerpunkt Umweltschutz, Recycling, rationelle Energienutzung und alternative Energien zählte der Prognos Euro-Report 1983 bereits zu den vier wichtigsten technologischen Trägern langfristigen Wachstums (Prognos AG; s. auch Jänicke 1985). Inzwischen erweist sich diese Prognose und ihr konzeptioneller Vorlauf als weitgehend richtig. Öko-effiziente Technologien weisen ein ungewöhnlich starkes Wachstum auf und sind dabei, einen „Megatrend“ technologischer Entwicklung zu etablieren. Nach Roland Berger hatte die Umweltindustrie in Deutschland 2005 einen Umsatz im Umfang von 4 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) (BMU 2007 [Umwelttechnologie-Atlas]). Bis 2030 wird ein reales Wachstum von 8 % bis 2030 errechnet, was einer Erhöhung des BIP-Anteils auf 16 % entsprechen würde. Für die EU-15 wird der Umsatz der Umweltindustrie für 2004 auf 2,3 % des BIP geschätzt (Ernst & Young). Hier wird ein stabiles – im Bereich ressourcenschonender Technologien ein hohes – Wachstum prognostiziert. Auch spezielle Untersuchungen über Großbritannien oder Österreich bestätigen den hohen Stellenwert der Umweltindustrie (DTI / Defra; Köppl 2007). In den letzten Jahren haben immer mehr Industrieländer – vor allem in Europa – auf diese Entwicklung gesetzt und sind zu einer innovationsorientierten Ausrichtung ihrer Umweltpolitik übergegangen. Eine auf technischen Fortschritt setzende Umweltpolitik und eine damit verbundene kalkulierte politische Vorreiterrolle ist mit erheblichen ökologischen wie auch wirtschaftlichen Chancen verbunden (SRU 2002, Tz. 42 ff.). Umweltpolitisch geht es jedoch weniger um die seit langem thematisierten Umweltinnovationen als solche, sondern vielmehr um einen im ökologischen Effekt leistungsfähigen Innovationsprozess, der die beachtlichen Potentiale dieses technologiebasierten Ansatzes voll ausschöpft. Dazu sind weitergehende Anstrengungen nötig. In diesem Kapitel werden daher zunächst Überlegungen angestellt, wie die Umweltpolitik diese enormen Wachstumspotenziale angemessen nutzen kann (Kap. II). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werden dann aktuelle Ansätze „ökologischer Industriepolitik“ in Deutschland und der EU dargestellt und bewertet (Kap. III). Abschließend wird auf die Grenzen innovationsorientierter Umweltpolitik verwiesen (Kap. IV).

II. Zur Governance von Umweltinnovationen Umweltinnovationen begründen sich aus der komplexen Wechselwirkung einer Vielzahl von betriebsinternen und betriebsexternen Faktoren (vgl. SRU 2002,

Innovationsfördernde Umweltpolitik

173

Tz. 51; Bernauer et al.; Jaffe et al.). Politischen Maßnahmen kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dies ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass die entwickelten Produkte und Prozesse in der Regel zu einer Verbesserung der Umweltqualität führen, für die am Markt keine unmittelbare Gegenleistung erzielt werden kann. Aber selbst wenn Unternehmen Vorteile von der Übernahme einer Umweltinnovation erwarten können, bestehen oft interne Hemmnisse für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Hierzu zählt insbesondere ein Mangel an Wissen, Zeit, Kapital sowie organisatorischer Verantwortlichkeit (Brüggemann). Insgesamt bedarf die Entstehung und Verbreitung von Umweltinnovationen also einer aktiven Rolle des Staates. Allerdings sind Umweltinnovationen kein Selbstzweck, sondern nur als Mittel zur Erreichung bestehender Umweltqualitätsziele gerechtfertigt. Vor diesem Hintergrund sollte aus Sicht der Politik die ökologische Leistungsfähigkeit von Innovationsprozessen im Vordergrund stehen. Im Folgenden wird daher die Fokussierung auf „starke“ (im Gegensatz zu „schwachen“) Umweltinnovationen angeraten. Anschließend wird die instrumentelle Ausgestaltung einer derart ausgerichteten innovationsorientierten Umweltpolitik diskutiert, wobei der Ansatz einer produktbezogenen Umweltregulierung besondere Beachtung findet. 1. „Starke“ vs. „schwache“ Umweltinnovationen Für die Umweltpolitik geht es nicht um die Forcierung jeder Art von Umweltinnovationen. Hier empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen „schwachen“ und „starken“ Umweltinnovationen (s. a. Abbildung 1). Sie geht über die übliche Differenzierung zwischen sogenannten radikalen Innovationen einerseits und inkrementellen Innovationen andererseits hinaus und schließt neben dem Grad spezifischer Umweltverbesserung auch den anzustrebenden Grad der Marktdurchdringung als Maßstab ein. Dies ergibt einen allgemeinen normativen Maßstab der ökologischen Entlastungswirkung des umweltbezogenen Innovationsprozesses: – Umweltinnovationen, die nur inkrementelle Verbesserungen bestehender Technologien erbringen (z. B. die Verbesserung des Wirkungsgrades von Kraftwerken oder die „normale“ Verbesserung der Energieeffizienz), sind in der Summe zwar keineswegs irrelevant, werden aber meist durch das Wachstum der betreffenden umweltbelastenden Produktion neutralisiert. Sofern sie nicht – etwa über dynamische Standards – permanent forciert werden, haben sie im Wachstumsprozess keine absolute Entlastungswirkung. Dies gilt ebenso für Innovationen, die auf Nischenmärkte beschränkt bleiben. In der Regel können solch „schwache“ Umweltinnovationen dem Markt überlassen werden. – Demgegenüber beinhalten „starke“ Umweltinnovationen die Entwicklung neuer Produktarten oder Technologien (z. B. der Übergang von konventionellen zu erneuerbaren Energietechniken). Solch radikale Innovationen sind insoweit relevant, als sie eine signifikante ökologische Verbesserung erwarten lassen. Als Minimalkriterium kann hier der Beitrag zur absoluten Reduzierung und einer

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Martin Jänicke und Stefan Lindemann

entsprechend weitgehenden Entkopplung der ökologischen Belastungsentwicklung vom Wachstumstrend gelten. Mit dem Begriff der „starken“ Umweltinnovation wird das Erfordernis unterstrichen, industrielles Wachstum ökologisch nachhaltig zu gestalten. Dabei muss zum einen die Rate des technischen Fortschritts der Umweltverbesserung über der Wachstumsrate der belastenden Produktion liegen, wobei hohe Wachstumsraten höhere kompensatorische Anstrengungen erfordern. Zum anderen geht es bei der Umweltverbesserung nicht einfach um die Verringerung jährlicher Flussgrößen (Emissionen, Abfälle), sondern um die Begrenzung der akkumulierten Belastungen in den Senken (Atmosphäre, Boden, Grundwasser, Meere). Maßstab ist die Erreichung ökologischer Qualitätsziele (z. B. das 2-Grad-Ziel im Klimaschutz). Allerdings verfehlen auch radikale Umweltinnovationen ihre ökologische Entlastungswirkung, wenn sie nicht eine zweite Bedingung erfüllen: Sie müssen über Nischenmärkte hinausgehen, also eine hohe Marktdurchdringung und damit die nötige Breitenwirkung erreichen. Wegen der globalen Natur vieler Umweltprobleme geht es dabei letztlich um internationale Märkte bzw. um Lead-Märkte in Pionierländern, die Demonstrationseffekte erzielen und die Lernkosten dafür aufbringen, dass marktfähige technologische Lösungen globaler Umweltprobleme sich weltweit ausbreiten. Ökologisch nachhaltiges Wachstum setzt nicht nur fortdauernde Innovationen, sondern vor allem Neuerungen hoher ökologischer Leistungsfähigkeit voraus. Eine innovationsorientierte Umweltpolitik sollte die knappen staatlichen Handlungsressourcen auf die Förderung „starker“ Umweltinnovationen konzentrieren. Dabei geht es nicht nur um eine Richtungsänderung des technischen Wandels, sondern auch um dessen Beschleunigung. Technology Forcing – die politisch gewollte Überschreitung des Standes der Technik – ist die anspruchsvollste, aber auch voraussetzungsvollste Variante dieser Politik (s. u.).

Radikale Innovation

MITTEL

STARK

Inkrementelle Innovation

SCHWACH

MITTEL

Geringe Marktdurchdringung, Nischenmärkte

Nationale / globale Marktdurchdringung

Quelle: Jänicke 2008.

Abbildung 1: Ökologische Wirksamkeit von Umweltinnovationen

Geht es hierbei ausschließlich um ökologische Effektivität, so ist der Maßstab der Öko-Effizienz auf Vorteile von Umweltinnovationen bezogen, die aus einer höheren Ressourcenproduktivität erwachsen. Öko-Effizienz ist das Kriterium, das

Innovationsfördernde Umweltpolitik

175

über End-of-pipe-Lösungen hinaus weist. Diese können zwar eine hohe schadstoffspezifische Entlastung bringen und ebenfalls (etwa in der Filtertechnik) Gegenstand von Innovationen sein. Der Verbrauch von Ressourcen, insbesondere von Material und Energie hat aber ein breiteres Spektrum negativer Umwelteffekte, und dies auf allen Produktionsstufen. Negative Umwelteffekte der Ressourcennutzung betreffen nicht nur die umweltintensive Rohstoffgewinnung oder das Abfallaufkommen, sondern unter anderem auch die Transporte, Lagerungen und dissipativen Verluste. Diese werden mit der Steigerung der Ressourceneffizienz automatisch (relativ) verringert. Unabhängig von der oft strittigen Frage der Knappheit ist diese Seite der Ressourcennutzung umweltpolitisch von entscheidender Bedeutung. Dass mit der höheren Ressourceneffizienz häufig auch Kosten- und Wettbewerbsvorteile verbunden sind, ist ein bedeutender ökonomischer Gratiseffekt. Eine innovationsorientierte Umweltpolitik kann hier auf Konvergenzen zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen setzen, indem sie Kostenentlastungen durch die Einsparung spezifischer Energie-, Material-, Abfall- oder Transportkosten begünstigt. Für die Akzeptanz öko-innovativer Lösungen ist dies naturgemäß von hoher Bedeutung. Der Begriff der „starken Umweltinnovationen“ sollte aber auf die ökologische Effektivität und Leistungsfähigkeit fokussieren. Die ökonomische Effizienz einer Umweltinnovation sollte gerade wegen ihrer hohen eigenständigen Bedeutung getrennt erfasst und bewertet werden. Die Möglichkeit, dass ökonomisch profitable Umweltinnovationen zu wenig zur Umweltentlastung beitragen können (z. B. marktgängige symbolische Verbesserungen wie Hybrid-Motoren bei PSstarken Fahrzeugen), kommt durch diese begriffliche Differenzierung stärker ins Blickfeld.

2. Zum Instrumentarium innovationsorientierter Umweltpolitik Im Hinblick auf die Förderung von Umweltinnovationen sind grundsätzlich innovationspolitische und umweltpolitische Instrumente zu unterscheiden. Das Instrumentarium sollte den gesamten Innovationszyklus beeinflussen, der nach Schumpeter in die drei Phasen Invention, Innovation (Markteinführung) und Diffusion unterteilt werden kann (s. a. ZEW / FFU, S. 33 ff.). Demnach stellt Invention die Idee eines neuen Produkts dar, die mittels Innovation in ein marktfähiges Produkt verwandelt wird, während Diffusion den anschließenden Prozess der Marktdurchdringung der Innovation beschreibt. Tabelle 1 benennt eine Reihe von zentralen Ansatzpunkten, wie mittels verschiedener innovations- und umweltpolitischer Instrumente der Innovationszyklus in seinen drei Phasen beeinflusst werden kann. Diese Ansatzpunkte einer innovationsorientierten Umweltpolitik sollen im Folgenden kurz erläutert werden. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei explizit auf den spezifisch umweltpolitischen Instrumenten.

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Martin Jänicke und Stefan Lindemann

Innovationspolitische Instrumente zielen in erster Linie auf die Phasen der Invention und der Markteinführung ab (s. Tabelle 1). Das wesentliche innovationspolitische Instrument ist in diesem Zusammenhang die direkte (Projekt-)Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) wie auch die Förderung der Markteinführung. Staatliche Forschungssubventionen sind gerade im Hinblick auf die Förderung radikaler Umweltinnovationen angesichts ihrer anfänglichen Marktferne unverzichtbar. Demgegenüber sollen umweltpolitische Instrumente sicherstellen, dass Umweltinnovationen gegenüber herkömmlichen Produkten und Verfahren wettbewerbsfähig sind. In der Forschung besteht inzwischen weitgehend Konsens, dass die Entwicklung und Verbreitung von ökologischen Zukunftstechnologien – neben kalkulierbaren und anspruchsvollen Zielvorgaben – einen umweltpolitischen „Instrumenten-Mix“ erfordert (u. a. Jänicke 1996; Klemmer et al.; Blazejczak et al.; Ekins / Venn; Bernauer et al.; IPCC). Daher besteht die Herausforderung nicht in der Wahl eines einzelnen Instruments, sondern in der bestmöglichen Ausgestaltung des „Instrumenten-Mix“. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst kurz die Bedeutung der wichtigsten umweltpolitischen Instrumentengruppen diskutiert: – monetäre Instrumente, – ordnungsrechtliche Instrumente sowie – unterstützende Instrumente.

Anschließend wird auf die Chancen von „Smart Regulation“ durch die Kombination verschiedener Instrumente verwiesen. Monetäre Instrumente Monetäre Instrumente umfassen Abgaben und handelbare Emissionsrechte einerseits (ökonomische Instrumente im engeren Sinne) sowie beihilfeähnliche Förderungen andererseits. Abgaben und handelbare Emissionsrechte wirken potenziell in allen drei Innovationsphasen (s. Tabelle 1), da sie das Gefüge der relativen Preise von Produktionsfaktoren zugunsten des Faktors „Umwelt“ korrigieren und damit die Richtung des technischen Fortschritts verbessern. Ihr verstärkter Einsatz ist daher für eine innovationsorientierte Umweltpolitik als Rahmen genereller Tendenzsteuerung zentral und unverzichtbar: Um weitreichende Innovationswirkungen im Sinne „starker“ Umweltinnovationen realisieren zu können, müssen Abgaben und handelbare Emissionsrechte allerdings zwingend anspruchsvoll ausgestaltet werden (das heißt ehrgeizige Abgaben- bzw. Mengenziele). So zeigen empirische Studien zu Abgaben (Linscheidt; Görlach et al.) und Emissionshandelssystemen in den USA (Ashford et al.; Gagelmann / Frondel), dass wenig anspruchsvoll ausgestaltete Instrumente mit eher geringen Innovationswirkungen verbunden sind und allenfalls die Diffusion verfügbarer Umwelttechnologien zur Folge haben.

Innovationsfördernde Umweltpolitik

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Tabelle 1 Ansatzpunkte einer innovationsorientierten Umweltpolitik Instrument / Phase

INVENTION

MARKTEINFÜHRUNG

DIFFUSION

Innovationspolitische Instrumente Direkte Projektförderung

Direkte Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE)

Direkte Förderung der Markteinführung

Umweltpolitische Instrumente Monetäre Instrumente Abgaben Handelbare Nutzungsrechte

Monetäre Tendenzsteuerung zur Beeinflussung der Richtung des technischen Fortschritts

Beihilfeähnliche Förderung

Monetäre Detailsteuerung zur Förderung spezifischer Technologien

Ordnungsrechtliche Instrumente Festsetzung von Ge- und Verbote, Regulative Detailsteuerung jenseits des Standards nach dem dynamische Standes der Technik („Technology Forcing“) Stand der Technik Standards, Grenzwerte Unterstützende Instrumente Ökologische Beschaffung

Nutzung staatlicher Nachfragemacht

Umweltzeichen

Verbesserung der Information von Verbrauchern

Quelle: ZEWFFU, verändert.

Neben dem verstärkten Einsatz anspruchsvoll ausgestalteter Abgaben und Emissionshandelssysteme ist die Förderung spezifischer Umwelttechnologien mittels beihilfeähnlicher Regelungen verbreitet, die ebenfalls potenziell in allen drei Innovationsphasen wirken (s. Tabelle 1). Letzteres wird durch empirische Studien bestätigt. So haben beihilfeähnliche Förderungen eine hohe Innovationswirksamkeit in allen drei Innovationsphasen erzielt: Ländern mit Einspeisevergütungen (z. B. Deutschland, Dänemark, Spanien) ist es in besonderem Maße gelungen, eine innovative Industrie für erneuerbare Energien aufzubauen (Jacob et al.; Anderson et al.). Allerdings müssen beihilfeähnliche Vergütungen prinzipiell zeitlich beschränkt sein, wenn sie den weiteren Innovationsprozess nicht behindern sollen. Die Anreizstruktur muss nahe legen, dass die Schwelle der Wettbewerbsfähigkeit möglichst rasch erreicht wird.

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Martin Jänicke und Stefan Lindemann

Ordnungsrechtliche Instrumente Das Ordnungsrecht wird unter Innovationsgesichtspunkten traditionell kritisch beurteilt, da Innovationen lediglich im Rahmen der verbindlich geforderten Emissionssenkungen angereizt werden. Ordnungsrechtliche Vorgaben haben sich bisher empirisch meist am Stand der Technik orientiert, da der Staat so bei der Standardsetzung über den Nachweis der technischen Machbarkeit verfügt. Das Ordnungsrecht gilt daher oftmals eher als ein Instrument zur Diffusion des Standes der Technik. Dies wird durch eine Reihe empirischer Studien bestätigt (u. a. Kuntze et al.; Lehr; Hilden et al.; Roediger-Schluga). Dennoch ist das Innovationspotenzial von ordnungsrechtlichen Regelungen wesentlich differenzierter zu bewerten. Ashford (2000) beispielsweise kommt zu dem Ergebnis, dass das Ordnungsrecht in der Praxis weit flexibler und innovationsorientierter gehandhabt wird. Auch sind die Reaktionen der Unternehmen oft innovativer als angenommen. In zahlreichen Kosten-Nutzen-Analysen umweltpolitischer Maßnahmen wurden, wie neuere ex-post-Studien eindrucksvoll belegen, regelmäßig zu hohe Kosten errechnet, weil insbesondere die möglichen Innovationseffekte dieser Maßnahmen ignoriert wurden (Oosterhuis 2006 [Final Report]; Zeddies; IEA 2007). Zudem erhöhen sich die Innovationspotenziale erheblich, wenn Ordnungsrecht durch „Technology Forcing“ dynamisiert wird. Dies ist neuerdings häufiger, wenngleich in unterschiedlichen Varianten anzutreffen. Technology Forcing ist im Umweltschutz die anspruchsvolle Regulierung jenseits des Standes der Technik, die also mit verfügbarer Technik nicht eingehalten werden kann und so Umweltinnovationen forciert (Bryner; Weider). Es fördert Innovationen auch in den früheren Phasen der Invention und Markteinführung (s. Tabelle 1). Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Technik ohne staatliche Intervention nicht entwickelt oder vermarktet werden würde. So formulierte der amerikanische Clean Air Act (1970) ambitionierte Reduktionsziele für HC, CO und NOx jenseits des Standes der Technik, die allerdings zuerst in Japan eine neue (Katalysator-)Technik erzwangen. Später verpflichtete das kalifornische Zero Emission Vehicles (ZEV) Programm (1990) die Automobilindustrie, bis 2003 10 % ZEV auf dem kalifornischen Markt abzusetzen. Diese Verpflichtung wurde zwar später auf Druck der Industrie aufgeweicht. Dennoch „forcierte“ das Programm eine Reihe neuer Technologien (Hekkert / van den Hoed; Jacob et al.; DTI / Defra, S. 24). Auch die Euro-Normen sind als antizipierbare dynamische Standardsetzung eine moderate Variante des „Technology Forcing“. Im Klimaschutz ist der massive politische Druck in Richtung auf Carbon Capture and Sequestration (CCS) eine andere Variante. Rechtliche Möglichkeiten, den Stand der Technik zu transzendieren, bestehen abgesehen vom Atomrecht ansatzweise auch im Anlagenrecht (Art. 10 IVU-RL), sind dort aber bisher nicht innovationspolitisch zum Tragen gekommen. Beim japanischen Top-Runner-Ansatz mit seiner dynamischen Verschärfung der Standards (für eine ausführliche Darstellung des Ansatzes s. u.) steht zunächst die

Innovationsfördernde Umweltpolitik

179

vollständige Verbreitung des besten Standes der Technik im Vordergrund (Swedish EPA; Kuik; Oosterhuis 2006 [Office Appliances]). Aber die Dynamik der weiteren Standardsetzung forciert Innovationen, die über den aktuellen Stand der Technik hinausgehen. Dies zeigt sich im zweiten Regulierungsschritt (s. Tabelle 2 ): Der zweite, weitergehende Standard basiert nicht mehr auf einem zuvor am Markt vorgefundenen „Top Runner“, sondern ist bereits Produkt des Verfahrens. Der TopRunner-Ansatz ist damit eine radikale Variante einer forcierten Technikentwicklung mithilfe dynamischer Standards. Tabelle 2 Ausgewählte Ziele und Ergebnisse des Top-Runner-Programms ZIELJAHR (Basisjahr):

ERWARTETE SPEZIFISCHE EINSPARUNG (gewichteter Durchschnitt):

Computer:

2005 (1997) 2007 (2001)

83 % (erreicht 2001) 69 %

CD-Anlagen:

2005 (1997) 2007 (2001)

78 % (erreicht 2001) 71 %

Videorecorder:

2003 (1997) 2008 (2003)

59 % (erreicht 74 %) 22 %

Klimaanlagen (Kälte / Wärme):

2004 (1997) 2010 (2005)

66 % (erreicht 68 %) 22 %

Kühlschränke:

2004 (1998) 2010 (2005)

30 % (erreicht 55 %) 21 %

PKW (Benzin):

2010 (1995) 2015

23 % (erreicht 2006) 29 %

PRODUKT:

Fotokopierer:

2006

TV-Anlagen:

2003 (1997)

30 % 16 % (erreicht 26 %)

Quelle: ECCJ 2006.

Ingesamt hat sich die regulative Detailsteuerung – zumal in der Variante des Technology Forcing – zu einem wichtigen Baustein innovationsorientierter Umweltpolitik entwickelt, mit dem spezifische Innovationspotenziale erschlossen werden. Im Hinblick auf die empfohlene Fokussierung auf die Förderung „starker“ Umweltinnovationen ist dies hervorzuheben. Dennoch stößt der Ansatz der Detailsteuerung an Grenzen, wenn er nicht im Rahmen einer allgemeiner wirkenden ökonomischen Tendenzsteuerung über den Preismechanismus abläuft.

180

Martin Jänicke und Stefan Lindemann

Unterstützende Instrumente Unterstützende Instrumente wie eine umweltorientierte Beschaffungspolitik oder der Einsatz von Umweltzeichen sind eine sinnvolle Ergänzung marktbasierter und ordnungsrechtlicher Lösungen und damit ein unverzichtbarer Bestandteil innovationsorientierter Umweltpolitik. Da diese Instrumente in der Regel auf bereits im Markt befindliche Produkte abzielen, wird primär die Diffusion von Umweltinnovationen befördert (s. Tabelle 1). Auf die öffentliche Beschaffung entfallen rund 16 % des BIP der EU (Europäische Kommission 2007) und 13 % des BIP in Deutschland (BMU 2006 [Roadmap Germany]). Wird diese enorme staatliche Nachfragemacht durch eine konsequent ökologische Ausgestaltung der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen ausgenutzt, kann die öffentliche Hand einen erheblichen Beitrag zur Diffusion von Umweltinnovationen leisten. Umweltzeichen sollen dem Verbraucher gebündelte Informationen über umweltschonende Produkte und Prozesse zur Verfügung stellen und so die Nachfrage nach ökologisch vorteilhaften Produkten steigern. Diese erhöhte Nachfrage bietet Unternehmen einen unmittelbaren Anreiz, die Umweltbilanz ihrer Produkte und Prozesse zu verbessern. Damit birgt der Einsatz von anspruchsvoll und dynamisch ausgestalteten Umweltzeichen ein gewichtiges Potenzial bei der Verbreitung von Umweltinnovationen. „Smart Regulation“ durch Instrumenten-Mix Ingesamt birgt insbesondere die intelligente Kombination der verschiedenen Instrumente hohe Innovationspotenziale. Ein solcher „Instrumenten-Mix“ wurde in der Literatur als „Smart Regulation“ bezeichnet (Gunningham / Grabosky; Network of Heads of European Environment Protection Agencies). Besonders augenfällig ist in diesem Zusammenhang die Komplementarität von ordnungsrechtlichen und marktbasierten Instrumenten. Eine forcierte Ausschöpfung – und Steigerung – von Innovationspotenzialen scheint am ehesten zu gelingen, wenn eine spezifisch regulative Detailsteuerung („regulativer Kern“) mit ökonomischen Anreizen als allgemeine Tendenzsteuerung kombiniert wird. Diese „Hybridform“ von verbindlichen Regeln und ökonomischen Anreizen wird zudem oft durch weitere unterstützende Instrumente flankiert. Der Stellenwert solch hybrider Steuerungsansätze wird exemplarisch durch eine vergleichende Studie von Ekins und Venn verdeutlicht (s. Tabelle 3). Auch hier ist wiederum neben dem „Instrumenten-Mix“ die Striktheit der Regulierung von Bedeutung.

CHAPPIN et al. (2007) untersuchen die niederländischen Regulierungsversuche in der Papier- und Zellstoffindustrie im Hinblick auf deren Innovationswirkungen in den Bereichen Abwasser, Abfall und Energieeffizienz. Dabei lässt sich nur im Bereich der Energieeffizienz ein Zusammenhang zwischen öffentlicher Intervention und betrieblicher Umweltinnovation belegen. ´ et al. (2002) haben den Zusammenhang zwischen SIMILÄ (2002) und HILDEN staatlicher Regulierung und betrieblicher Umweltinnovation in der finnischen Papier- und Zellstoffindustrie untersucht. Beide Autoren verweisen vor allem auf den Zusammenhang von Regulation und Diffusion.

Emissionen in der Papier- und Zellstoffproduktion

Quelle: Ekins / Venn, S. 34, verändert.

ACEA-Abkommen = Abkommen mit dem Verband europäischer Automobilhersteller

Ersatz gefährlicher Die Studie von OOSTERHUIS (2006c) untersucht Maßnahmen zum Ersatz chemischer Stoffe gefährlicher Stoffe am Beispiel des Umgangs mit chlorinierten Lösungsmitteln (Trichloroethylene) in Schweden, Dänemark, den USA und Deutschland.

ANDERSON et al. (2006) untersuchen die Innovationswirkungen der öffentlichen Förderung der Photovoltaik in Deutschland, Japan und Großbritannien.

PhotovoltaikTechnologien

OOSTERHUIS (2006b) untersucht die EU Energieeffizienzkriterien bei öffentEnergieeffizienz von Elektrogeräten lichen Ausschreibungen, das amerikanische Energieeffizienzprogramm sowie das japanische Gesetz über die ökologische öffentliche Beschaffung in Verbindung mit dem „Top-Runner“ Programm im Hinblick auf ihre Innovationswirkungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). X X X

Sehr gut Gut Sehr gut Schwach Unklar

Mittel

Japan Deutschland Japan UK Niederlande

Finnland

X X

Gut Gut Sehr Gut

USA Deutschland

X

X

X

X

(X)

X

X

X

X

X

X

Vereinbarung

Instrument Regulierung

Dänemark

X

X

X

Sehr gut

USA

X

Schwach

Gut

Marktbasiert

Europa

Schwach

Mittel

USA

Europa

KUIK (2006) vergleicht die freiwilligen Vereinbarungen des europäischen ACEAAbkommens, das US-amerikanischen CAFE (Corporate Average Fuel Economy) Programm sowie den japanischen „Top Runner“ Ansatz im Hinblick auf ihre Innovationswirkungen im Bereich Kraftstoffverbrauch / CO2-Emissionen bei Personenwagen.

Kraftstoffverbrauch / CO2-Emissionen bei PKW

Innovationswirkung

Japan

Land

Studie

Sektor

Tabelle 3: Vergleich von Umweltinnovationen nach Regulationstypus

X

X

Information

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3. Produktbezogene Umweltregulierungen Eine am Produkt und seinem Lebenszyklus orientierte Umweltstrategie bietet eine Reihe von Steuerungsvorteilen und verdient daher im Kontext einer innovationsorientierten Umweltpolitik besondere Aufmerksamkeit: Sie bezieht sich auf die Designphase, in der die Produkteigenschaften und die Prozessketten konzipiert werden. Sie kann auf dieser Ebene – also bei den Herstellern des Endprodukts – den Innovationswettbewerb entfesseln. Als Nachfrager von Vorprodukten fungieren diese Hersteller potenziell als die „gate keeper“ der Stoffströme und als Steuerungsinstanz, die ein „greening the supply chain“ (Sarkis) in Gang zu setzen vermag. Die Last des Innovationsprozesses liegt dabei vorwiegend bei den Vorproduzenten, erleichtert damit aber auch anspruchsvolle Steuerungsleistungen bei den verarbeitenden Unternehmen und ihren Einkaufsabteilungen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Tatsache, dass nur wenige Produktgruppen das Gros der negativen Umwelteffekte repräsentieren: (1) Lebensmittel, (2) Gebäude (einschließlich ihrer Geräteausstattung) und (3) Straßenfahrzeuge verursachen in ihrem Lebenszyklus 70 bis 80 % der negativen Umwelteffekte unter den 12 wichtigsten Produktgruppen (Tukker et al.). Diese drei Produktgruppen sind ohnehin einer starken Regulierung unterworfen. Hervorzuheben ist auch, dass die negativen Umwelteffekte dieser drei wichtigen Produktgruppen im Lebenszyklus – nach Kriterien wie Klimawirkung oder Gewässerverschmutzung – in starkem Maße konvergieren (Tukker et al.). Dies ermöglicht eine pragmatische Fokussierung auf prioritäre Produkte und auf prioritäre, robuste Kriterien (wie Energie- und Materialverbrauch oder Gefahrstoffe im Produkt). Auch die Bevorzugung von Produkten mit profitablen Verbesserungspotenzialen liegt nahe. Produktbezogene Umweltregulierungen wurden auf dem UN-Gipfel 2002 in Johannesburg angestoßen. Sie haben zuletzt international eine rasche Verbreitung erfahren, insbesondere im Hinblick auf die Steigerung der Energieeffizienz. So haben inzwischen mehr als fünfzig Länder Mindesteffizienzstandards (Minimum Energy Performance Standards – MEPS) zumindest für einzelne Elektrogeräte eingeführt, zahlreiche weitere Länder sind dabei dies zu tun (Steenblik et al.). Einen anspruchsvolleren, umfassenderen Regelungsansatz für 21 Produktgruppen bietet das bereits erwähnte japanische Top-Runner-Programm (s. Kasten unten). Die europäische Eco-design-(EuP-)RL (2005) (EuP – Energy-using Products) weitet den Ansatz auf ökologische Kriterien und die Lebenszyklusbetrachtung aus (vgl. IEA 2007). Sie ist darin dem Top-Runner-Ansatz vorzuziehen, der bislang aber im Entscheidungsablauf wie im Innovationseffekt für die gerätespezifische Energieeinsparung die größere Effektivität bewiesen hat.

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Das japanische Top-Runner-Programm (1999) – Energieeffizienzstandards für 21 Produktgruppen. – Der produktgruppenspezifische Effizienz-Standards orientiert sich an den Verbrauchswerten der aktuell am Markt verfügbaren, energieeffizientesten Produkte (Top-Runner) und wird unter Berücksichtigung des erwarteten technischen Forschritts und der Diffusionsmöglichkeiten auf bzw. oberhalb dieser aktuellen Bestmarke festgelegt. – Der Standard muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreicht werden und wird im Zieljahr bzw. bei Früherreichung dynamisch weiterentwickelt. Er ist im Zieljahr verbindlich für heimische Produzenten und Importeure und führt zum Ausschluss von Produkten, die den Effizienzwert nicht erfüllen. – „Name and shame“ werden vor dem Zieljahr als Druckmittel eingesetzt. – Das Top-Runner-Programm wird flankiert durch (1) ein unterstützendes Green Procurement Law (2001); (2) Kooperation mit dem Handel; (3) eine umweltbezogene Automobilsteuer sowie (4) jährliche Preise für Produkte, welche die Effizienz des Top-Runner überbieten. – Die Umsetzung wird als „sehr positiv“ evaluiert (Swedish Environmental Protection Agency 2005): Mehrere Produkte erreichen den Standard vor dem Zieljahr (Klimaanlagen, PKW, Computer, Videorecorder). – Die Produzenten bestätigen überwiegend eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit.

Als Kernbestandteil einer produktbezogenen Innovationsstrategie empfiehlt sich die Festlegung von verbindlichen und dynamischen Leistungszielen für Produkte und Verfahren, wobei aus Gründen der Kapazitätsschonung der Steuerungsinstanzen auf die genannten Produktgruppen mit den höchsten negativen Umwelteffekten fokussiert werden kann.

III. Ansätze „Ökologischer Industriepolitik“ in Deutschland und der EU Im Folgenden sollen die neueren Ansätze innovationsorientierter Umweltpolitik in Deutschland und der EU vor dem Hintergrund der vorstehenden Darlegungen zur Governance einer solchen Strategie skizziert werden. Für eine detaillierte Bewertung der Maßnahmen ist es noch zu früh. Es sollen jedoch abschließend einige Schlussfolgerungen für die aktuelle Politik gezogen werden. 1. „Ökologische Industriepolitik“ in Deutschland Deutschland hat im Oktober 2006 ein Memorandum für „Ökologische Industriepolitik“ vorgelegt (BMU 2006 [Ökologische Industriepolitik]). Das Memorandum fordert eine „dritte industrielle Revolution“ durch verbesserte Energie- und Ressourceneffizienz und den verstärkten Einsatz nachwachsender Rohstoffe. Damit soll einerseits ein Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung geleistet werden. An-

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dererseits soll Deutschland als „globaler Umwelttechnikdienstleister des 21. Jahrhunderts“ etabliert werden, um so neues Wachstum und Beschäftigung zu forcieren. Die Ökologische Industriepolitik“ umfasst insgesamt acht Handlungsfelder: Energieerzeugung und Speicherung, Energieeffizienz, Rohstoff- und Materialeffizienz, nachhaltige Mobilität, Kreislaufwirtschaft, Abfall und Recycling, nachhaltige Wasserwirtschaft sowie die umweltpolitisch teils strittigen Bereiche Biound Nanotechnologie. Angestrebt wird die Erreichung von „revolutionären Technologiesprüngen“ in diesen Handlungsfeldern. Hierzu wird eine Reihe von allgemein gehaltenen Leitlinien formuliert, die unter anderem abzielen auf: – die Entwicklung eines intelligenten ökologisch-industriellen Regulierungsrahmens, – die bessere Ausschöpfung von Exportpotenzialen, – die beschleunigte Markteinführung innovativer Technologien, – verbesserte Innovationsfinanzierung für Unternehmen, – die Schaffung von Leitmärkten sowie – die Einrichtung institutioneller Strukturen für Innovationen (in Form eines Industriekabinetts).

Die konkrete Instrumentierung des deutschen Ansatzes einer ökologischen Industriepolitik“ steht noch am Anfang. Hier ist zu berücksichtigen, dass zentrale Aspekte einer solchen Politik nur auf europäischer Ebene beschlossen werden können. Zu begrüßen ist daher, dass die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft 2007 eine Reihe von Vorschlägen zur Konkretisierung ihres Konzepts auf europäischer Ebene unterbreitet hat (BMU 2007 [Working Paper]). Der Gesamtansatz des Memorandums für ökologische Industriepolitik“ ist zweifelsohne ein wichtiger Diskussionsbeitrag, der die wirtschafts- und umweltpolitischen Potenziale von verbesserten Umwelttechnologien betont und deren Forcierung als ressortübergreifende Chance und Aufgabe definiert. Allerdings geht er insofern nicht weit genug, als nicht die ökologische Wirksamkeit von Umweltinnovationen im Sinne einer weitgehenden Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch den Maßstab bildet. Vielmehr wird ein „kräftiger Wachstumsschub“ angestrebt, der über normale Wachstumsraten hinausgeht“ und die „Basis einer neuen ökologisch-industriellen Revolution“ ist. Auch wird die Nanotechnologie als Zukunftstechnologie identifiziert, obwohl deren potenzielle Umwelt- und Gesundheitsgefahren bislang nicht hinreichend geklärt sind. Zur Instrumentierung ergibt sich folgendes Bild: – Direkte Projektförderung: Eine Studie von ZEW / FFU (S. 37 ff.) kommt zu dem Ergebnis, dass die direkte Projektförderung des Bundes neben sinnvollen Förderschwerpunkten wie erneuerbare Energien die Bereiche nachhaltige Mobilität und Biotechnologie eher wenig berücksichtigt. Zudem werden weiterhin

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hohe Summen in Technologien investiert, die im Hinblick auf den Anspruch ökologisch leistungsfähiger Innovationen fragwürdig sind. Hierzu zählt die Förderung der Nukleartechnologie. – Einsatz monetärer Instrumente: Im Rahmen der Ökologischen Industriepolitik“ wird zwar grundsätzlich die Optimierung eines „marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens“ angestrebt, ein verstärkter Rückgriff auf monetäre Instrumente – etwa in Form einer Weiterentwicklung der ökologischen Steuerreform – ist bisher aber nicht zu beobachten. Ohne den verstärkten Einsatz von anspruchsvoll ausgestalteten ökonomischen Instrumenten als Tendenzsteuerung werden anvisierte „revolutionäre Technologiesprünge“ kaum zu erreichen sein. – Förderung spezifischer Technologien: Deutschland ist es mit dem Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) in besonderem Maße gelungen, eine innovative Industrie für erneuerbare Energien aufzubauen. Dieser technologiespezifische Förderungsansatz wird im Rahmen des „integrierten Energie- und Klimaprogramms“ der Bundesregierung massiv ausgebaut, unter anderem durch Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWK-Gesetz), der Fortschreibung des EEG, das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz sowie den Ausbau der Biokraftstoffquote. Der letzte Punkt wird vom SRU kritisch bewertet, da die Treibhausgasminderung durch Biokraftstoffe fraglich ist (SRU 2007). – Öffentliche Beschaffung: Das Potenzial der öffentlichen Beschaffung wird in Deutschland bislang nur unzureichend ausgeschöpft (u. a. Günther / Klauke). Zu den wesentlichen Hindernissen zählen unter anderem die höheren Kosten „grüner“ Produkte, Unsicherheit über die rechtliche Zulässigkeit sowie ein Mangel an Informationen (BMU 2006 [Roadmap Germany]; Bouwer et al.). Eine ansatzweise Verbesserung ergibt sich im Bereich „Energie und Klima“, wo die Bundesregierung Leitlinien zur Beschaffung energieeffizienter Produkte und Dienstleistungen auf Basis des Lebenszykluskostenprinzips entwickeln will. Hier wären allerdings konkrete Vorgaben unerlässlich (z. B. eine dynamische Mindestquote für die Beschaffung ökoeffizienter Produkte).

Insgesamt ist eine angemessene Instrumentierung des Ansatzes ökologischer Industriepolitik“ bislang nur im Bereich „Energie und Klima“ zu erkennen. Hier allerdings hat Deutschland instrumentell neue Wege beschritten (wie etwa im EEG), die auch international erhebliche Ausstrahlungskraft entwickelten. 2. Die Förderung von Umweltinnovationen in der EU Auf der Ebene der EU wird die zentrale Bedeutung von Umweltinnovationen ebenfalls betont. Ihre Förderung wird im Zuge der erneuerten Lissabon-Strategie (2005) als „Schlüssel zum Erfolg“ für ein umweltverträgliches Wachstum angesehen (Europäische Kommission 2005, S. 28; s. a. Kap. 1). Auch der Europäische Rat hat die zentrale Bedeutung von Umwelttechnik wiederholt unterstrichen (Euro-

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päischer Rat 2005; 2006; 2007). Einen übergeordneten Rahmen bietet der 2004 ins Leben gerufene Aktionsplan „Umwelttechnologien“ (Environmental Technologies Action Plan – ETAP), dessen Umsetzung aber bislang nur langsam vorangekommen ist. Die Europäische Kommission (2007) sieht daher in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht einen Bedarf an „systematischen und koordinierten Maßnahmen auf der Nachfrageseite“ (Europäische Kommission 2007). Hierzu zählen die Förderung einer umweltorientierten Beschaffung, die Mobilisierung von finanziellen Investitionen, die Schaffung von Systemen für Technologieerprobung und Leistungszielen, das Anknüpfen an viel versprechende Praktiken der Mitgliedsstaaten sowie die Konzentration auf Bereiche mit hohen Gewinnmöglichkeiten (Gebäude, Lebensmittel, Verkehr, Recycling und Abwasser). Auch die Aufforderung des Europäischen Rates an die Kommission, bis „Anfang 2008 Vorschläge für eine integrierte Strategie zur Förderung von Öko-Innovationen vorzulegen“ lässt neue Impulse erwarten (Europäischer Rat 2007, Rn. 17). Im Einzelnen ergibt sich in Europa folgendes Bild der Instrumentierung: – Direkte Projektförderung: Im Hinblick auf die direkte Projektförderung von Umweltinnovationen sind in der EU einige Fortschritte zu beobachten (Hertin et al.). So wird der Förderung von Umwelttechnologien im Rahmen des 7. EUForschungsrahmenprogramms eine wichtige Rolle beigemessen und durch ein deutlich erhöhtes Budget unterstützt. Auch das „Competitiveness and Innovation Framework Programme“ (CIP), das komplementär die nachgelagerten Innovationsphasen abdeckt, berücksichtigt Umweltinnovationen im Rahmen eines eigenständigen Etats. Im Vergleich zum Forschungsetat für Nuklear- und Fusionsforschung sind die Fördergelder für Umweltinnovationen in beiden Programmen allerdings immer noch gering. – Monetäre Instrumente: Auf EU-Ebene wurde lange Zeit auf finanzielle Beihilfen für Umweltschutzzwecke gesetzt (vgl. Holzinger et al.). Eine europaweite ökologische Steuerreform wird in der Nachhaltigkeitsstrategie der EU von 2006 anvisiert, bislang ist sie aber am Vetorecht der Mitgliedstaaten in Steuerfragen gescheitert. Mit der Einführung des Emissionshandels im Klimaschutz wurde ein marktbasiertes Instrument mit hohem Innovationspotenzial eingeführt. In der ersten Handelsperiode kam dieses Instrument aber durch eine Überausstattung mit kostenlos zugeteilten Zertifikaten sowie zahlreiche Ausnahmeregelungen kaum zum Tragen (vgl. SRU 2006). Im Hinblick auf zukünftige Handelsperioden muss es daher das Ziel sein, den Emissionshandel als ein zentrales Instrument einer innovationsorientierten Umweltpolitik anspruchsvoll weiterzuentwickeln. Auf europäischer Ebene sind hier im Zuge der Revision der Emissionshandels-RL positive Entwicklungen zu erkennen. Von besonderer Bedeutung für eine innovationsorientierte Ausrichtung des Instruments sind die Festlegung einer anspruchsvollen EU-weiten Mengenbeschränkung mit vollständiger Versteigerung und langfristige Handelsperioden mit kalkulierbaren Zielvorgaben.

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– Umweltregulierungen: „Technology Forcing“ wurde bislang in Europa nicht praktiziert. Allerdings hat es in Teilbereichen eine faktische Dynamisierung der Standardsetzung gegeben, die etwa bei den Euro-Normen über den Stand der Technik hinausweist. Zudem könnte die vollständige Umsetzung des EU-Rechts wie der Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL), der Richtlinie über Elektro- und Elektronik- Altgeräte (WEEE-RL – Waste Electrical and Electronic Equipment) und der Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS-RL – Restriction of Hazardous Substances) Öko-Innovationen künftig noch stärker vorantreiben. – Produktbezogener Innovationsansatz: Die integrierte Produktpolitik (IPP) der EU hat lange Zeit ein wenig produktives Schattendasein geführt (vgl. Scheer / Rubik 2006). Demgegenüber ergibt sich mit der EuP-RL (Ökodesign-RL) die Chance auf einen weitreichenden produktbezogenen Innovationsansatz (s. Kasten). Hervorhebenswert ist, dass die EuP-RL – anders als das japanische TopRunner-Programm – nicht auf den Energieverbrauch von Produkten festgelegt ist, sondern im Sinne der Lebenszyklusbetrachtung grundsätzlich auch andere Umwelteffekte der Produkte einschließt (z. B. Reduzierung der Abfallmenge, Vermeidung gefährlicher Stoffe). Allerdings ist nun sicherzustellen, dass strenge und dynamische Mindeststandards für die 20 Produktgruppen entwickelt werden. Eine Einbeziehung des Top-Runner-Mechanismus in die Ökodesign-Regelung könnte so erfolgen, dass der Fokus zunächst auf Energieeffizienz liegt und das Tempo der im Ablauf langwierigen Ökodesign-RL erhöht wird. Eine Dynamisierung der Standards (und der diesbezüglichen Produktkennzeichnung) macht es dann prinzipiell möglich, in weiteren Innovationsstufen über die Energieeffizienz hinaus die Verbesserung der Materialeffizienz und die Substitution toxischer Substanzen in die Produktbewertung einzubeziehen. Damit wäre eine pragmatische Verbindung der beiden weitestgehenden Produktregulierungen möglich.

Die EuP-Richtlinie (2005 / 32 / EC) – Die EuP-RL definiert einen Rahmen zur umweltgerechten Gestaltung von insgesamt 19 energiebetriebenen Produktgruppen (unter anderem Kessel- und Kombiboiler, Computer, Fernsehgeräte, Büro- und Straßenbeleuchtung, Klimatechnik, Kühl- und Gefriergeräte, Geschirrspül- und Waschmaschinen, Elektromotoren, Wäschetrockner, Beleuchtung in privaten Haushalten). – Auswahlkriterium für die berücksichtigten Produktgruppen sind Marktvolumen (ab 200 000 Einheiten pro Jahr), Umwelteffekt und Verbesserungspotenzial. – Lebenszyklus-Bewertung (Life Cycle Assessment) von der Materialauswahl bis zur Abfallphase, (least) life cycle costs, BAT (dt. Beste Verfügbare Technik, BVT), Einbeziehung auch von Prototypen und internationalen Beststandards. – Harmonisierte EU-weite Zulassungsstandards nach „Generic Eco-design requirements“ (GERs) zu Gesundheit, Sicherheit und Umwelt, 19 Impact-Kategorien.

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– Vorgesehen sind verbindliche Standards oder freiwillige Vereinbarungen unter kontrollierten Bedingungen; die Überwachung erfolgt durch die Mitgliedstaaten. – Die institutionelle Zuständigkeit liegt bei der Kommission und einem Regelungsausschuss, beraten durch ein Konsultationsforum. – Ziel ist unter anderem auch die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen für die EU.

– Ökologische Beschaffung: Während die neuen Vergaberichtlinien der EU die Rechtsgrundlage für die Zulässigkeit von ökologischer Beschaffung gestärkt haben, ist die praktische Umsetzung bislang weitgehend unzureichend. Prioritäre Maßnahmen im Hinblick auf eine verbesserte Umsetzung sind die Festsetzung verbindlicher Zielvorgaben sowie die Erstellung von Leitlinien für Indikatoren und Benchmarking (vgl. Europäische Kommission 2007, S. 11). Orientierung bietet die neue EU-Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Ziel, das ökologische öffentliche Beschaffungswesen bis 2010 im EU-Durchschnitt auf das Niveau der derzeit besten Mitgliedstaaten zu bringen.

IV. Grenzen innovationsorientierter Umweltpolitik Abschließend ist auf die inhärenten Grenzen innovationsorientierter Umweltpolitik zu verweisen, die berücksichtigt werden müssen. Diese Grenzen ergeben sich zunächst aus der Tatsache, dass nicht alle Umweltprobleme technisch lösbar sind. Dies gilt insbesondere für die Handlungsfelder Biodiversität und Bodenschutz, die technischen Lösungen nur begrenzt zugänglich sind. Zwar sind auch hier umweltpolitisch hilfreiche und ausbaufähige „Win-WinLösungen“ anzutreffen (etwa im Verhältnis von Naturschutz und Tourismus), diese beruhen aber selten auf vermarktbaren technischen Lösungen. Die technikfernen Handlungsfelder Biodiversität und Land / Boden korrelieren im globalen Vergleich deutlich ungünstiger mit dem ökonomischen Entwicklungsniveau eines Landes als die Paradefelder des technischen Umweltschutzes Luftreinhaltung und Gewässerschutz (ESTY et al.). Dieser Trend könnte sich im Zuge der jetzigen „Innovationsfixierung“ der Umweltpolitik weiter verstärken. Vor diesem Hintergrund muss sichergestellt werden, dass die technikfernen Bereiche der Umweltpolitik nicht vernachlässigt werden. Weiterhin können Umweltinnovationen ihr Potenzial verfehlen, indem sie an strukturellen Rigiditäten etablierter Produzenten scheitern. Innovationen sind mit „schöpferischer Zerstörung“ verbunden und produzieren Modernisierungsverlierer – ein Konfliktprozess, der in einem oft euphorischen Innovationsverständnis leicht ignoriert wird. Wie sich solche Konflikte schöpferisch, aber nicht destruktiv lösen lassen, ist auch wissenschaftlich keineswegs hinreichend geklärt. Innovationsorientierte Umweltpolitik erfordert letztlich auch eine Strukturpolitik, die den Wandel bei den Modernisierungsverlierern abfedert und entsprechende Widerstände einflussstarker Vetogruppen abbaut.

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Schließlich ist auf die Grenzen einer politikgetriebenen Innovationsstrategie zu verweisen: Es wird für die Politik darauf ankommen, den Unterschied zwischen einer forcierten Nutzung industrieller Innovationspotenziale und einem überfordernden Interventionismus zu beachten. Investitionszyklen der Wirtschaft müssen berücksichtigt, Überhitzungseffekte vermieden, Fördermaßnahmen zeitlich begrenzt und der Wettbewerb gestärkt werden. Eine enge dialogische Vernetzung von Staat, Wirtschaft, Forschung und Vertretern von Umweltbelangen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Innovationsprozess offen genug abläuft und Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden.

V. Fazit Im Gegensatz zu pessimistischen Auffassungen aus der Wirtschaft besitzt eine anspruchsvolle Umweltpolitik wichtige Wachstums- und Modernisierungspotenziale. Umwelttechnologien spielen mittlerweile im Innovationswettbewerb zwischen hoch entwickelten Ländern eine zentrale Rolle: Die deutsche Umweltindustrie ist auf diesem Gebiet besonders erfolgreich. Sie ist bereits jetzt von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung und verfügt über außerordentliche Wachstumspotenziale. In etwas geringerem Maße gilt dies auch für den europäischen Umweltsektor. Die Bundesregierung hat seit 1998 durch eine programmatische „ökologische Modernisierung“ und seit dem Regierungswechsel 2005 mit dem Konzept einer ..ökologischen Industriepolitik“ den Umweltinnovationen einen zentralen Stellenwert zugewiesen. Auch im Hinblick auf die „Ökologisierung“ der Lissabon-Strategie der EU wurden, nicht zuletzt auch durch den umweltinnovationsorientierten Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft (2007), begrüßenswerte Fortschritte in dieser Richtung erzielt. Dennoch ist die instrumentelle Konkretisierung dieses Ansatzes weiterhin eine politische Herausforderung. Nach einer mehr als dreißigjährigen Geschichte des Themas geht es heute nicht mehr um Umweltinnovationen als solche, sondern um einen ökologisch leistungsfähigen Innovationsprozess, der an seinem Beitrag zur weitgehenden Entkopplung von Industriewachstum und Umweltverbrauch zu messen ist. Dies setzt eine anspruchsvolle Ausgestaltung innovationsorientierter Umweltpolitik voraus. Dabei sollten folgende Ansatzpunkte verstärkt verfolgt werden: – Fokus auf „starke“ Umweltinnovationen: Innovationsorientierte Umweltpolitik sollte sich auf Innovationen konzentrieren, die zum einen mehr als nur inkrementelle Verbesserungen erzielen und zum anderen eine hohe (auch internationale) Marktdurchdringung erreichen. Auch die radikalste umwelttechnische Verbesserung trägt nicht zur Umweltentlastung bei, wenn sie nicht eine hohe Verbreitung findet. – Eine aktive Rolle des Staates: Inkrementelle oder auf Nischenmärkte beschränkte Innovationen können zumeist der Eigendynamik des Marktes überlassen wer-

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den, „starke“ Umweltinnovationen können dies im Regelfall nicht. Der mit ihnen verbundene hohe ökologische Leistungsanspruch (und die entsprechende Beschleunig des technischen Fortschritts) implizieren anspruchsvolle Ziele, die über die „normale“ Innovationskraft des Marktes hinausgehen. Dabei spielt die Suche nach geeigneten Steuerungsformen eine wichtige Rolle. – Monetäre Tendenzsteuerung plus regulative Detailsteuerung plus unterstützende Instrumente: Neben der umweltbezogenen Infrastruktur im Bereich von Forschung und Entwicklung kommt es auf die Förderung des gesamten Innovationsprozesses von der Markteinführung bis zur globalen Ausbreitung an. Hier ist im Regelfall ein hybrides Steuerungsmuster von monetärer Tendenzsteuerung (z. B. über den Emissionshandel) und regulativer Detailsteuerung (z. B. dynamische Energieeffizienzstandards) entscheidend. Marktbasierte wie ordnungsrechtliche Regelungen erfordern aber meist auch unterstützende Instrumente. Hier sind eine verbesserte ökologische Beschaffungspolitik und eine anspruchsvollere Gestaltung von Umweltzeichen (zusätzliche Angabe der Lebenszykluskosten) von besonderer Bedeutung. Anspruchsvolle Zielvorgaben sind bei alledem die Grundvoraussetzung. – „Technology Forcing“: „Starke“ Umweltinnovationen setzen eine anspruchsvolle Detailsteuerung voraus, die technikspezifische Innovationspotenziale oder Innovationshemmnisse gezielt angeht. Die Forcierung technischer Verbesserungen über den Stand der Technik hinaus hat mittlerweile an Bedeutung gewonnen. In Form der dynamischen Standardsetzung reicht sie von der milden Variante der Euro-Normen bis hin zur radikalen Variante des japanischen Top-RunnerAnsatzes. Dennoch erreichen auch radikale Standards nur punktuelle Verbesserungen, die zudem mit „Rebound-Effekten“ verbunden sein können. Deshalb ist die generelle Tendenzsteuerung über den Preismechanismus für einen breiten Suchprozess nach besserer Technik unumgänglich. – Öko-Design von Produkten und Prozessen: Die Forcierung produktbezogener Umweltinnovationen, die sich über den Lebenszyklusansatz auch auf die Produktionsprozesse auswirken, ist umweltpolitisch sinnvoll und Erfolg versprechend. Im Interesse der Schonung staatlicher Handlungskapazitäten verdienen hier Produktgruppen mit den höchsten negativen Umwelteffekten und den profitabelsten Entlastungspotenzialen Vorrang. Eine signifikante, dynamische Steigerung der Öko-Effizienz ist wiederum über Produktregulierungen allein nicht zu erreichen. Sie innoviert Produkte und Produktklassen als solche, gibt aber keinen Anreiz zum Wechsel hin zu umweltfreundlicheren Produkten oder Produktklassen (z. B. kleineren Autos). Diesen Anreiz müssen monetäre Instrumente schaffen (z. B. differenzierte Umweltsteuern oder der Emissionshandel). – Grenzen innovationsorientierter Umweltpolitik: Die Grenzen innovationsorientierter Umweltpolitik ergeben sich einerseits aus der Tatsache, dass nicht alle Umweltprobleme technisch lösbar sind (z. B. Biodiversität, Boden). Diese technikfernen Bereiche dürfen in der derzeitigen Innovationseuphorie der Umwelt-

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politik nicht vernachlässigt werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Innovationsprozesse ambivalent sind und als Prozesse „schöpferischer Zerstörung“ auch Modernisierungsverlierer hervorbringen, mit deren Widerstand zu rechnen ist. Und schließlich ist auch auf die Grenzen einer politikgetriebenen Innovationsstrategie zu verweisen: Es wird für die Politik darauf ankommen, den Unterschied zwischen einer forcierten Nutzung industrieller Innovationspotenziale und einem überfordernden Interventionismus zu beachten. Investitionszyklen der Wirtschaft müssen berücksichtigt, Überhitzungseffekte vermieden, Fördermaßnahmen zeitlich begrenzt und der Wettbewerb gestärkt werden. Literatur Anderson, Jason / Bassi, Samuela / Stantcheva, Emilia / Brink, Patrick ten: Innovation case study: Photovoltaics. Brüssel: Institute for European Environmental Policy, 2006. Ashford, Nicholas A.: Government and Environmental Innovation in Europe and North America, in: Weber, M. / Hemmelskamp, J. (eds.): Towards Environmental Innovation Systems. Berlin: Springer, 2005, pp. 159 – 174. – An Innovation-Based Strategy for a Sustainable Environment, in: Hemmelskamp, Jens / Rennings, Klaus / Leone, Fabio (eds.): Innovation-oriented Environmental Regulation. Mannheim: Physica, 2000, pp. 67 – 107. Ashford, Nicholas A. / Ayers, Christine / Stone, Robert F.: Using Regulation to Change the Market for Innovation, in: Harvard Environmental Law Review 2 (9) (1985), pp. 419 – 466. Bernauer, Thomas / Engels, Stefanie / Kammerer, Daniel / Seijas, Jasmin: Explaining Green Innovation. Ten Years after Porter’s Win-Win Proposition: How to Study the Effects of Regulation on Corporate Environmental Innovation?, in: Jacob, Klaus / Biermann, Frank / Busch, Per-Olof / Feindt, Peter H. (Hrsg.): Politik und Umwelt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 39, 2007, S. 323 – 341. Blazejczak, Jürgen / Edler, Dietmar / Hemmelskamp, Jens / Jänicke, Martin: Umweltpolitik und Innovation. Politikmuster und Innovationswirkungen im Internationalen Vergleich, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 22 (1999), Heft 1, S. 1 – 32. BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit): GreenTech made in Germany – Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland. München: Vahlen, 2007a. – Environment – Innovation – Employment. Elements of a European Ecological Industrial Policy. Working Paper to the Informal Meeting of Environment Ministers in Essen. Berlin: BMU, 2007b. – Ökologische Industriepolitik. Memorandum für einen „New Deal“ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung. Berlin: BMU, 2006a. – National ETAP Roadmap Germany. Innovationen forcieren – Umwelt schützen. Berlin: BMU, 2006b. Bouwer, Maarten / Jonk, Margo / Berman, Tanya / Bersani, Raffaela / Lusser, Helmut / Nappa, Vincenzo / Nissinen, Ari / Parikka, Katriina / Szuppinger, Péter / Viganò, Cosetta: Green Public Procurement in Europe 2006 – Conclusions and recommendations. Haarlem: Virage Milieu & Management, 2006.

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Technologieförderung durch „Stand der Technik“: Bilanz und Perspektiven Von Erik Gawel I. Innovation und Regulierung im umweltbezogenen Technikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Rolle und Dimensionen von Innovation im Rahmen der Governance umweltrelevanter Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die Innovationsstrategie dynamischer Technikregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3. Das Agency-Problem der Innovation im anlagenbezogenen Technikrecht . . . . . . . 201 II. Innovation in der Institutionenkonkurrenz: Preise versus Technik-Regulierung . . . . . 204 III. Perspektiven: Binnenrationalisierung des Ordnungsrechts versus rationale Funktionsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Binnenrationalisierung des Ordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Pretiale Anreize und Policy Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

I. Innovation und Regulierung im umweltbezogenen Technikrecht 1. Rolle und Dimensionen von Innovation im Rahmen der Governance umweltrelevanter Anlagen Innovation beschreibt eines von mehreren zentrale Allokationsproblemen bei der Steuerung von Umweltnutzungen: Neben der Sicherstellung der ökologischen Effektivität (Erreichung umweltpolitischer Ziele) und der statischen Allokationseffizienz, d. h. der kostenminimalen Strukturierung von Umweltentlastungsbeiträgen zu einem bestimmten Zeitpunkt, sind auch Anforderungen im Bereich der dynamischen Allokationseffizienz zu stellen: Hierzu zählen eine reibungslose Anpassung an einen veränderten ökonomischen und technischen Datenkranz (Reallokation), die Gewährleistung von Strukturwandel und marktlichen Innovationsprozessen, schließlich die Technikinnovation im engeren Sinne, d. h. die Induktion technischen Fortschritts zur Emissionsvermeidung und -verminderung. Wir wollen uns nachfolgend auf diesen Aspekt der Technikinnovation beschränken.

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Erik Gawel

Innovation macht Umweltschutz kostengünstiger. Damit steigert Innovation zum einen die Wirtschaftlichkeit (Effizienz) des Umweltschutzes, trägt zum anderen aber zugleich zur Tragbarkeit von Umweltlasten bei und erleichtert so die Bedienung von Umweltzielen (ökologische Effektivität). Innovationen gestatten daher bei gleicher wirtschaftlicher Aktivität ein Mehr an Umweltschutz ohne zusätzliche Kosten. Durch die Doppelrolle als Kostensenker und als ökologischer Fortschrittsmotor nimmt Technikinnovation eine Schlüsselstellung bei der Bewältigung des Umweltproblems in hochentwickelten Industriestaaten ein. Unter Innovation ist dabei technischer Fortschritt zur Milderung von Emissionsbelastungen bei gegebenen, umweltrelevanten Produktionsentscheidungen zu verstehen. In der Produktionsfunktion werden so die Kuppelprodukte Emissionslast und produktiver Output entkoppelt. Dies gelingt freilich nur unter Ressourceneinsatz und unter Verwendung (neuen) technischen Wissens. Innovation, also die Vermehrung des technischen Wissens über Entkoppelungsmöglichkeiten von produktivem Output und unproduktiver Umweltlast, senkt ceteris paribus die Kosten zur Einhaltung gegebener Standards. Sie erlaubt jedoch zugleich, mithilfe eines gegebenen Umweltbudgets höhere Standards zu erreichen. So kann die Effizienzdividende der Innovation unterschiedlich verteilt werden: zugunsten der wirtschaftlichen Position der Innovatoren / Emittenten oder zugunsten der Allgemeinheit als Umweltnutzer. Die Verteilung der Innovationsdividende ist jedoch nicht invariant in bezug auf das Ausmaß der gesellschaftlichen Innovationsproduktion: Aus ökonomischer Sicht werden um so mehr Bemühungen um Innovationen initiiert, je stärker die daraus erwartete Innovationsdividende ausfällt und je vollständiger diese von den Innovatoren vereinnahmt werden kann. Institutionelle Settings, die die Innovationsdividende vollständig konfiszieren (z. B. durch Standardverschärfung), können zwar normativ Innovationen einfordern oder auf diese konzeptionell referieren, werden aber kaum mit entsprechenden Bemühungen der Wissensträger rechnen können. Diese haben dann u. U. nicht einmal ein Interesse an der Offenbarung bereits gegebener Techniklösungen und werden sogar angereizt, in die Devalidierung verfügbaren technischen Wissens und in die Desinformation von Behörden und Öffentlichkeit zu investieren,1 um höhere einzelwirtschaftliche Kosten verschärfter Anforderungen abzuwehren. Innovationen kommt daher einerseits eine Schlüsselrolle zu; sie bei dezentralen Wissens- und Innovationsträgern zu initiieren, ist hingegen eine regulative Herausforderung: Innovation erfordert ein anreizkompatibles institutionelles Setting zur Lösung des strukturellen Agency-Problems zwischen Innovations-Prinzipal (Gesetzgeber, Behörde) und Innovations-Agent (Emittenten, Anlagenbetreiber). Der vorliegende Beitrag geht vor diesem Hintergrund aus ökonomischer Sicht der Frage nach, wie leistungsfähig die Regulierung durch Technikregeln („Stand der Technik“) auf dem Feld der Innovationsinduktion sein kann und welche Weiterentwicklungsmöglichkeiten des herkömmlichen Technikrechts bestehen. 1

Vgl. Nelson; Rothschild, S. 1289 ff.; Beales / Craswell / Salop, S. 507 ff.

Technologieförderung durch „Stand der Technik“

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Juristische Einschätzungen zur Frage der Innovationspotenz sind durchaus ambivalent: So kommt Appel (68 f.), zu dem Schluß, daß sich „aus der Perspektive der meisten unmittelbar Beteiligten die überkommenen Formen technischer Regelwerke und ihrer Verrechtlichung auf nationaler Ebene in der Praxis weitgehend bewährt“ hätten.2 Kritik an der Technikregulierung ist freilich kein Privileg der ökonomischen Zunft: Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum erfahren Technikregeln kritische Begleitung.3 Unter Ökonomen jedoch ist die geradezu vernichtende Einschätzung speziell des Innovationspotentials ordnungsrechtlicher Techniksteuerung einhellig,4 wenngleich zwischenzeitlich verfeinert.5 Tabelle 1 faßt die wesentlichen ökonomischen Kritikpunkte aus dem Schrifttum gegen die ordnungsrechtliche Steuerung nochmals zusammen. Tabelle 1 Ökonomische Effizienzkritik an den Allokationsergebnissen des Ordnungsrechts im Überblick analytische Reichweite

einzelwirtschaftliche Dimension

gesamtwirtschaftliche Dimension

Transformationsproblem (Verknüpfung von Ziel- und Handlungsebene)

Niveaueffekt: Verfehlung der betrieblichen Minimalkostenkombination

Struktureffekt: Verfehlung der kostenoptimalen Strukturierung der Verzichtsleistungen

Reallokationsproblem

fehlender Mindernutzungsanreiz

Anpassung an Datenänderungen Marktzutrittsbarrieren

Innovationsproblem

mangelnde Induktion von technischem Fortschritt

Behinderung von Strukturinnovation und Wettbewerb

allokative Leistungsebene Allokationsergebnisse

Quelle: Gawel 1999, S. 278.

Für die nachfolgende Analyse sind folgende drei Innovationsdimensionen von besonderem Interesse:  Ermittlung (Aufdeckung) des aktuellen Wissensstandes (Innovationsstand),  Anreize zur Produktion neuen Wissens (Innovation i. e. S.), Ähnlich wohl auch Gusy 1995, S. 107 m. w. Nachw. Statt vieler siehe nur die früheren Beiträge von Rengeling; Wolf 1986; ders. 1987; sowie die Beiträge in Winter. 4 Siehe nur Bonus, S. 336; Ackerman / Stewart, S. 1334 ff.; Endres, S. 67; Hansmeyer / Schneider, S. 40 ff. 5 Dazu insbesondere Gawel 1995 (Umweltverwaltungsrecht) sowie ders. 1999. 2 3

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Erik Gawel

 Dynamisierung von konkreten Anforderungen an eine Emissionsquelle gemäß dem jeweils erreichten Innovationsstand im Vollzug (Diffusion und Implementation).

2. Die Innovationsstrategie dynamischer Technikregeln Der „Stand der Technik“ beschreibt eine dynamische Verweisung auf jeweils fortlaufend neu kodifizierte technische Optionen zur Emissionsminderung und ist daher konzeptionell auf Innovation angelegt. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Einbettung in eine punktzielfreie Minimierungskonzeption, die die Emissionslasten anlagenbezogener ökonomischer Produktion im Rahmen der Vorsorge durch technische Vorkehrungen so gering wie „technisch möglich“ und „wirtschaftlich vertretbar“ zu halten bestrebt ist. Unklar ist dabei aber zunächst noch, ob die konzeptionelle Referenz auf Innovation eher eine Erwartungsgröße darstellt, über deren Realisierung außerhalb der Einflußsphäre des Technikrechts entschieden wird, oder ob hierdurch tatsächlich ein substantieller Beitrag zur Induktion dieser Innnovation geleistet werden kann. Ist also der „Stand der Technik“ nur ein – womöglich weitgehend hilfloser – Notar, der an den interessengefilterten Offenbarungen der Wissenshüter begrenzt partizipieren darf und dabei allenfalls veraltetes und ohnehin öffentlich verfügbares Wissen dokumentiert und kaum über Möglichkeiten einer flächendeckenden, zeitnahen Erzwingung im konkreten Anlagenbetrieb verfügt – oder ist „Stand der Technik“ Impulsgeber und Initiator für innovative Prozesse, die die Leistungen von Umwelt-Innovationen im öffentlichen Interesse sicherzustellen wissen? Die Innovations-Strategie dynamischer Technikregeln, zu denen als prominentester Vertreter der „Stand der Technik“ zählt (auf europäischer Ebene durch die IVU-RL von 1996 um die „beste verfügbare Technik“ ergänzt) läßt sich wie folgt charakterisieren:  Technikregulierung dichotomisiert den Umweltnutzungsraum in zulässige und unzulässige Umweltnutzungen; die Grenzziehung wird per dynamischer Verweisung an die jeweils gegebenen Technikmöglichkeiten zur Emissionsminderung bei gegebenen (nicht regulierten) Produktionsentscheidungen delegiert. Jenseits dieser Grenze (im Bereich der Restverschmutzung) ist eine kostenlose Umweltnutzung möglich (binäre Steuerungslogik mit unentgeltlicher Restnutzung).  Zur Bestimmung der Grenze wird in einem mehrstufigen Verfahren zunächst eine Kodifizierung des abstrakt verfügbaren und für bestimmte Klassen von Anlagentechnik praktisch für einsatzfähig erachteten Technikwissens vorgenommen: Das Recht wirkt hier durch Sammlung und öffentliches Verfügbarmachen von dissipiertem Technik-Wissen zunächst „kollektierend“.  Dieser Sammlungs- und Kodifizierungsprozeß erfolgt diskursiv in Technikgremien; die Standards werden also mit den Wissensträgern und Regulierungsbetroffenen verhandelt. Dabei werden bei der Bewertung von „Verfügbarkeiten“ für die Praxis auch dezentrale Kosteninformationen von Technologien verarbeitet.

Technologieförderung durch „Stand der Technik“

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 Der „wissenskollektierenden“ Funktion (Sammlung und Verfügbarmachen „zerstreuten“ Technikwissens) muß schließlich die „Wissensdistribution“ folgen, d. h. die Rückverlagerung in einen dezentralen Entscheidungszusammenhang der individuellen Genehmigungsverfahren. Erst durch diesen weiteren Regulierungsschritt, in dem abermals Verhandlungen über die Anwendbarkeit gegebener Technikregeln Platz greifen, kann das kodifizierte Technikwissen tatsächlich allokationssteuernd eingesetzt werden.  Eine denkbare Innovationsdividende setzen Technikregeln wegen der Minimierungskonzeption der Vorsorge allein im öffentlichen Interesse durch Verschärfung der Standards um; dem Innovator steht allenfalls die Vereinnahmung von Kostenerleichterungen beim Technikeinsatz zu, welche die Regulierung wiederum zum Anlaß nimmt, die „ökonomische Verfügbarkeit“ von Technologien nunmehr weiter auszulegen und zusätzliche Anstrengungen zum Schutz der Umwelt einzufordern.

Auf beiden Stufen steht dabei der Regulator als Innovations-Prinzipal auf der Schattenseite der Informationsasymmetrie und muß unter Ressourcen- und Zeiteinsatz dem Kollektiv der Wissens- und Innovationsträger entsprechende Informationen im Verhandlungswege „abringen“. Welche Innovationsleistungen lassen sich hierbei erwarten? Dynamische Technikregeln sind damit zusammenfassend der Versuch, öffentlich verfügbares Technikwissen den Wissensträgern, die zugleich Regulierungsunterworfene sind, diskursiv zu entwinden, in technischen Regelwerken zu kodifizieren und als Input in eine Vielzahl von Genehmigungsverfahren einzuspeisen, bei denen im Verhandlungswege die Anwendbarkeit und Vertretbarkeit der gefundenen Regeln im konkreten Fall gegen den Wissensträger erneut belegt werden muß. Sich dabei offenbarende Innovationsdividenden werden aufgrund des Minimierungsansatzes der Vorsorge vollumfänglich im öffentlichen Interesse konfisziert. Die Genehmigungsverfahren selbst sind stark asymmetrisch auf die Eröffnungskontrolle ausgelegt und können daher Technik-Innovationen wegen des Bestandsschutzes nur unter besonderen Schwierigkeiten flächendeckend umsetzen. Die so gewonnenen Informationen markieren eine „dynamische TechnikGrenze“, jenseits derer Umweltnutzung unentgeltlich erfolgen kann und diesseits derer die eigentlichen Produktionsentscheidungen (Standort, Produktpalette, Faktoreinsatz, Produktionsmenge), wiewohl umweltrelevant, nicht dem regulatorischen Zugriff unterliegen. 3. Das Agency-Problem der Innovation im anlagenbezogenen Technikrecht Der Versuch, im Rahmen einer Regulierung die Hüter von Technik- und Kostenwissen im Interesse der Umweltschonung zu einer Offenbarung bekannter und Gewinnung neuer Informationen zu veranlassen, beschreibt ein Agency-Problem mit

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dem Strukturmerkmal der „hidden action“: Ob und inwieweit die Agenten ihr Innovationspotential vollständig ausschöpfen und bekanntes Wissen im öffentlichen Interesse offenbaren, kann vom Regulator nur sehr begrenzt beobachtet oder beurteilt werden. Das zwischen Prinzipal (Regulierer) und Agent (Emittent) asymmetrisch verteilte Wissen um Techniklösungen stellt sich nun jedoch – einer Kategorisierung der Informationsökonomik folgend – zudem als „produktive“, aber „wertsenkende“ Information dar (Tabelle 2). Tabelle 2 Technikwissen und Gütereigenschaften von Informationen gesamtwirtschaftlich

Gut



Ungut

einzelwirtschaftlich

Gut

Technikwissen in der Umweltregulierung ↑ produktive Information

Ungut ← werterhöhende Information ← wertsenkende Information ↑ unproduktive Information

Nach Hirshleifer 6 gelten Informationen als (gesamtwirtschaftlich) „unproduktiv“, sofern diese zwar für den Inhaber, nicht aber die Gesamtgesellschaft nützlich sind (z. B. bei vorzeitigem Insider-Wissen); dem mit ihrer Beschaffung einhergehenden Informationsaufwand steht kein gesellschaftlicher Nutzen gegenüber.7 Produktive Informationen hingegen versorgen nicht nur den Inhaber – zu Lasten Dritter – mit Informationsnutzen, sondern erweisen sich gesamtwirtschaftlich als wohlfahrtssteigernd, so daß dem Beschaffungsaufwand hier ein sozialer Ertrag gegenübersteht. Einzelwirtschaftlich ist ferner danach zu fragen, ob sich Informationen werterhöhend oder wertsenkend auswirken: Im Falle wertsenkender Information führt ihre Verfügbarkeit zu einer verminderten Wertschätzung der betrachteten Ressource bzw. zu Kosten. Dies ist beispielsweise beim Risikowissen um Produktmängel der Fall,8 aber aufgrund der Steuerungsstruktur der Technikregeln auch bei dem hier interessierenden Technikwissen. Denn offenbartes Technikwissen führt tendenziell durch Regelverschärfung zum Verlust zuvor kostenlos zugeteilter Ver6 7 8

Hirshleifer 1971. Siehe hierzu auch ders. 1973, S. 31 ff. Hierzu auch Schäfer / Ott, S. 521 f. Hierzu Schäfer / Ott, S. 329 ff.

Technologieförderung durch „Stand der Technik“

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fügungsrechte über Umweltressourcen und zum Anwendungszwang der Innovation im Rahmen der behördlichen Überwachung. Technikwissen im Bereich einer technikorientierten Umweltregulierung erweist sich damit als spezieller Unterfall von Information, welche sich gesamtwirtschaftlich als (produktives) „Gut“, einzelwirtschaftlich hingegen zunächst als (wertsenkendes) „Ungut“ darstellt. Offensichtlich besteht ein Lösungskonzept darin, den Widerspruch zwischen privatem Nachteil und öffentlichem Vorteil von Technikinformationen aufzuheben: Indem es sich auch individuell lohnt, private Informationen wahrheitsgemäß zu offenbaren, wird Technikwissen auch einzelwirtschaftlich zum „Gut“ (Feld links oben in Tabelle 2). Dies sicherzustellen ist Aufgabe eines geeigneten Anreizmechanismus’, der – abstrakt gesprochen – in der Konstruktion und staatlichen Garantie einer privaten „Innovations-“, ggf. auch einer „Publizitätsrendite“ zu bestehen hat. Neuartiges Wissen produziert sich durch Zeitablauf von selbst (passive Wissensproduktion durch Erfahrung9), kann aber u. U. durch Einsatz von Real- oder Humankapital gezielt erstellt werden (aktive Wissensproduktion durch Forschung). Grundsätzlich besteht nur dann ein Anreiz, Informationen zu sammeln oder hervorzubringen, sofern der besser Informierte hieraus einen zusätzlichen Nutzen realisieren kann (Schulenburg, S. 519). Wo Informationsvorsprünge bestehen (Asymmetrie in der Verteilung von Wissen und von Informationschancen), existieren zugleich Anreize, diese zu Lasten der minderinformierten Akteure auszunutzen (Opportunismus). Es wäre daher zu erwarten, daß eine Aufdeckung von sozial nützlichen, aber einzelwirtschaftlich „riskanten“ Technikinformationen dem Eigeninteresse derjenigen widerspricht, die über dieses Wissen verfügen. Die ökonomische Theorie sagt unter diesen Bedingungen eine „Tendenz zur Grenzmoral“ vorher, d. h. die Bereitschaft zur Leugnung und Täuschung gerade in dem Ausmaß, wie die verborgenen Informationen nicht durch den Prinzipal oder durch Dritte aufgedeckt werden können. In der Institutionenökonomik werden nun Konstellationen diskutiert, die diese problematische Agency-Struktur im öffentlichen Interesse aufbrechen können. Unangenehmerweise versagen im Falle der Technikregulierung fast alle bekannten Anreiz-Hebel: Letztlich ist weder die Innovationsaktivität und Wissensoffenbarung von außen (durch Such- oder Überwachungsaktivitäten) überprüfbar noch kann ein Wettbewerb um Innovationslösungen initiiert werden, der über drohenden Fremdaufdeckung verborgenen Wissens Anreize zur Informationsgewinnung bieten könnte: Anders als bei Risikoinformationen im Bereich der Produktregulierung kann weder die Marktgegenseite (Konsumenten) noch die Marktnebenseite (andere Anbieter) über Marktreaktionen (Akerlof-Spirale, Außenseiterprämie) das Schweigekartell sanktionieren und damit Anreize zur Wissensaufdeckung bieten. Auch eine spontane Aufdeckung durch Erfahrung (z. B. eines durch Produkt-Nutzung 9

Zum Lernprozeß durch Erfahrung auch grundsätzlich Machlup 1982.

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eingetretenen Risikos) ist hier nicht gegeben. Schließlich scheidet auch die öffentliche Wissensproduktion als Konkurrenzoption weitgehend aus. Das SchweigeKartell ist damit stabil. Das Kollektiv der Wissenshüter schweißt sich unter diesen Bedingungen zu einem stabilen Schweige-Kartell zusammen, bei dem das technikbasierte Ordnungsrecht nicht einmal die kartelltypischen Außenseiter-Vorteile zu generieren vermag: In der Umweltökonomie war daher bereits früh vom „Schweigekartell der Ober-Ingenieure“ (Bonus) bzw. von einem „umwelttechnisches Stagnationskartell“ (Endres) die Rede. Die Innovationsleistung unterliegt der Tendenz zur „Grenzinnovation“, hängt also vom Ausmaß ohnehin öffentlich verfügbaren Wissens ab. Einzig der Wettbewerb unter den Produzenten und Entwicklern technischer Verfahren kann hier das Schweigekartell aufbrechen und mit Hilfe von Marktdynamik Anreize zur Innovation setzen. Mit der zunehmenden Professionalisierung einer eigenständigen Umwelttechnik- und Entsorgungsbranche wird Technikinnovation und Technikanwendung zunehmend entkoppelt. Damit treten auch völlige neue Anreize für Technikanbieter auf, die sich am Markt durch fortschrittliche Verfahren profilieren wollen. Die allokative Funktion dieses Wettbewerbs liegt vordringlich in der Schaffung von „Informationskonkurrenz“: Die Emittenten müssen nunmehr damit rechnen, daß „hidden information“ durch Dritte aufgedeckt wird. Wird der technische Fortschritt weniger von den Emittenten selbst initiiert, sondern die Reduktionstechnologie von Dritten (Unternehmer eigenständiger Entsorgungsindustrien) entwickelt, so „werden die Reduktionstechnologieanbieter [durch ,Stand der Technik‘-Klauseln bei Auflagen] eher zu Innovationen angeregt als dies bei Abgaben möglich ist.“10 Nicht emittierende Technologieanbieter können durch Innovationen bei Geltung dynamischer Technik-Standards ihre Marktdurchdringung verbessern und erhalten so starke Anreize. Eine starke autonome UmwelttechnikBranche begünstigt daher Innovationseffekte. Auch die Beteiligung von Drittbetroffenen, z. B. in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, kann zur Aufdeckung vorhandenen Technikwissens im konkreten Allokationsfall beitragen.

II. Innovation in der Institutionenkonkurrenz: Preise versus Technik-Regulierung Innovation setzt dezentrales Technik-, Kosten- und Verwertungswissen voraus und erscheint nur unter dem Anreiz marktlicher Verwertungschancen – also der Aneignung der Innovationsdividende – dezentral mobilisierbar. Dies gilt vor allem dann, wenn – wie im Umwelt- und Technikrecht – die Innovation in erster Linie dem Regulierer nützt, kaum aber dem Innovator. Die aus ökonomischer Sicht 10 Söllner 1996, S. 205; ders. 1993, S. 451 f.; ähnlich bereits Osterkamp, S. 250 f. Eine differenzierte Bewertung bietet auch Lambrecht.

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ideale Lösung des Innovationsproblems ist der Markt als Entdeckungsverfahren (Hayek): Märkte nutzen das Eigeninteresse der dezentralen Wissenshüter, koordinieren den Technik-Einsatz mit minimalen Transaktionskosten, verzichten auf eine nur unzulänglich und unter Zeitverzug gelingende Zentralisierung von Wissen oder eine Wissensanmaßung durch regulative Substitute und setzen sich bietende Technikoptionen, sofern wohlfahrtserhöhend, unmittelbar um. Wie dargestellt, handelt es sich bei dem Innovationsproblem institutionenökonomisch um ein Agency-Problem: Behörde und Emittent stehen sich in der kostenträchtigen Anwendung von Techniklösungen im Interesse der Umwelt- und Gesundheitsschonung gegenüber: Der Emittent handelt unter Verwendung von Umweltressourcen – von Behörden nur unter hohen Kosten und allenfalls bedingt beobachtbar – und setzt dabei Technik zur Verringerung negativer externer Effekte ein. Ob eine Aktivität den ökonomisch vertretbaren oder gar technisch möglichen Innovationsraum vollständig ausschöpft, kann eine Genehmigungsbehörde nicht abschließend beurteilen. Es stellen sich daher zwei Zentralfragen:  Wie hält man dezentrale, nicht perfekt beobachtbare Einheiten (Emittenten) zur Aufdeckung nur dezentral bekannten und zur Gewinnung neuen, jedoch wertsenkenden Technikwissens an?  Sind Technikregeln, d. h. diskursiv ermittelte, verhandelte Standards über gesellschaftlich verfügbares Technikwissen, hierzu geeignet bzw. welches Innovationspotential kommt ihnen zu?

Eine Lösung des Agenturproblems könnte  einerseits in der perfekten Kontrolle der Aktionsvariablen (hier: der Innovationsverarbeitung) aufgrund perfekten behördlichen Technikwissens bestehen – bei gleichzeitig perfekter hoheitlicher Durchgriffsmacht zur Anpassung der Allokation an den jeweils erreichten Innovationsstand; dies scheidet offensichtlich mangels Technik-Kenntnis der Behörden (asymmetrische Information), eingeschränkter Vollzugskontrolle und auch mangels umfassender Kompetenzen zum Durchgriff nach bereits erfolgter Eröffnungskontrolle (Bestandsschutz) aus;  andererseits in der Etablierung eines dezentralen Eigeninteresses des Agenten an der Zielerfüllung, hier: der umfassenden Nutzung vorhandener und Generierung neuer Techniklösungen. Die Möglichkeiten hierzu erscheinen jedoch ambivalent und hängen stark vom eingesetzten Anreiz- bzw. InstrumentenHebel ab:

Zwar hat unter ordnungsrechtlicher Steuerung ein Emissions- und TechnikAgent ein Eigeninteresse an einer fortlaufend kostengünstigeren Erfüllung der ihm vorgegebenen Allokationsbefehle, nicht jedoch an darüber hinausreichender Unterbietung der dadurch gesetzten Anforderungen: Da jede weitergehende Emissionsminderung zusätzliche Kosten impliziert, sind die Agenten nicht an der Aufdekkung weitergehender Technik-Lösungen oder Minderungspotentiale interessiert.

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Weitergehende Umweltnutzungen stehen ihnen ja unter dem aktuellen Technikregime entgeltfrei zu. Erst recht besteht kein Interesse, unter Ressourceneinsatz die aktuell kodifizierte bzw. bereits dezentral (asymmetrisch) bekannte „Technikgrenze“ im Wege von Innovationen zugunsten der Umwelt zu verschieben. Die ökonomische Theorie hat im Rahmen der umweltökonomischen Instrumentendiskussion zur Lösung dieses Problems und den differentiellen Lösungsbeiträgen alternativer umweltpolitischer Instrumente eingehend Stellung genommen. Die vom Allokationsergebnis wie vom Allokationsverfahren her ökonomisch überzeugende Lösung besteht demnach in der vollständigen Anlastung von Opportunitätskosten der Umweltnutzung (Preislösung): Jede Umweltnutzung hat sich daher aufgrund des zu zahlenden Preises aus Emittentensicht im Lichte der dadurch bewirkten gesellschaftlichen Schäden und Verzichte jederzeit neu zu bewähren und ökonomisch durchzusetzen. Die Kostenanlastung setzt die Nutzung jeder Umwelteinheit unter permanenten Überprüfungsdruck und reizt die Suche nach weitergehenden Lösungen verminderter Umweltinanspruchnahme bei denjenigen an, die zugleich über überlegenes Technik-, Problem- und Kostenwissen verfügen, den umweltnutzenden Anwendern (cheapest cost avoider). Innovative Technologie senkt die Kosten einer gegebenen Emissionsverminderung und gestattet zusätzliche Kosteneinsparungen durch weitergehenden Verzicht auf Umweltnutzungen. Dabei werden zugleich automatisch nur solche Technik-Lösungen implementiert, die günstiger sind als der Umwelt-Gebrauch (Effizienzbedingung). Das Verfügbarmachen des hierzu erforderlichen Technikwissens, dessen Diffusion über Märkte, der optimale, d. h. an Kosten- und Nutzen-Aspekten erfolgende Einsatz vor Ort und die permanente Weiterentwicklung des verfügbaren Technikraums kann dann dezentraler Marktsteuerung überlassen werden, die den TechnikEinsatz auf jeder Stufe zudem an Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten ausrichtet und daher optimiert. Diese Marktsteuerung darf zudem für sich in Anspruch nehmen, nicht nur das Allokationsergebnis zu optimieren, sondern auch ein überlegenes Transaktionsverfahren bereitzustellen, das die Koordinationskosten zur Erreichung dieser Lösung minimiert und zugleich jederzeit flexibel auf Datenänderungen reagiert: Märkte bieten die Chance, die Kosten der Koordination von Verfügungsrechten über Umweltressourcen (Transaktionskosten) zu minimieren und verursachergerecht anzulasten und vermitteln ständig auf den neuesten Stand gebrachte Informationen über die sich ändernden relativen Knappheiten und über die Möglichkeiten und Vorteile der Nutzung von Verfügungsrechten in alternativen Verwendungen. In einem solchen Markt- und Preissystem hängt die Innovationspotenz exogen nur noch von der Höhe (und der Spezifität) des Kostendruckes ab, der von staatlicher Seite auf die Nutzung der Umweltressource ausgeübt wird (z. B. über einen Umweltabgabensatz). Das Ordnungsrecht verzichtet hierauf bekanntlich vollständig und weist jenseits der jeweils definierten „Technikgrenze“ verbleibenden „Restverschmutzungen“ einen Preis von Null zu – neben der versuchten Wissensanmaßung durch Zentralisierung dezentralen Wissens und der Kassation der Inno-

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vationsdividende der problematischste Konstruktionsfehler dynamischer Techniksteuerung. Ordnungsrechtliche Regulierung der anlagenbezogenen Umweltnutzung geht traditionell einen anderen Weg: Anstatt die tatsächliche Umweltinanspruchnahme einer Entgeltbelastung zu unterziehen und dadurch den Faktoreinsatz „Umwelt“ marktlichen Nutzungsbedingungen zu unterwerfen, dichotomisiert das Ordnungsrecht den Umweltnutzungsraum in „erlaubte“ und „nicht-erlaubte“ Umweltnutzungen, wobei die Grenze oftmals an (im untergesetzlichen Normsetzungsverfahren und nochmals im anschließenden Einzelanlagen-Vollzug zu konkretisierende) Technikregeln delegiert wird. Der „Stand der Technik“ entscheidet dann über den Bereich an zugelassenen Umweltnutzungen, der zugleich entgeltfrei genutzt werden kann. Anreize des Umweltnutzers und Technikanwenders zu Innovationen, d. h. zum Vorrücken dieser Technikgrenze, erscheinen unter einem solchen Regime begrenzt, bedeuten sie doch die Schmälerung des Umfangs unentgeltlicher Umweltnutzungen: Den unvermeidlichen Kosten für Innovationsproduktion und Innovationsimplementation steht daher bei den Wissens- und Innovationsträgern keine Innovationsdividende gegenüber. Seine dynamische Potenz bezieht diese Techniksteuerung allein aus der exogenen dynamisierten Verweisung auf jeweils aktuelle Kodifizierungen von Technikoptionen zur Emissionsminderung. Der Innovationspfad der Technikregeln ist demnach nicht – wie bei einem klassischen Preissignal über Faktornutzungen – die automatische und dezentrale ständige Überprüfung der aktuellen Emissionslast unter Berücksichtigung aller verfügbaren Technikoptionen durch die Anwender selbst, sondern die Strategie, öffentlich verfügbares Wissen über Techniklösungen zur Emissionsreduktion durch Gremienarbeit kontinuierlich zu sammeln, zu kodifizieren und einem dezentralen Vollzugsapparat als Input zur Verfügung zu stellen. Im Gegensatz zur marktlichen Dynamisierung erfolgt die ordnungsrechtliche Dynamisierung der Technikanforderungen damit  nicht automatisch, sondern in komplexen, diskursiven, dem Interessenstreit unterworfenen und mehrfach gestuften Regelsetzungsverfahren unter Verbrauch von Zeit und monetären Ressourcen; der Fortschritt muß zunächst bei der Definition des Standes der Technik widerstreitenden Interessen im Rahmen der Kodifizierung abgerungen und sodann im Vollzugsspiel der Einzelgenehmigung gegen die Interessen der Anlagenbetreiber und Emittenten einzelfall-verbindlich gemacht werden;  nicht dort, wo das relevante Technik-, Kosten- und Problemwissen verortet ist (dezentral bei den Anlagenbetreibern), sondern in problemfernen, von Interessen und Kenntnisstand stark heterogen zusammengesetzten Technikgremien. Das Ergebnis informiert weniger über aktuelle Innovationsgrenzen denn über das Resultat verhandelter Zugeständnisse der Emissionsbranchen an die vom Recht formulierten Notwendigkeiten der Vorsorge und der Gefahrenabwehr.

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Das Innovationskonzept dynamischer Technikregulierung ist daher  konservativ, nicht progressiv: Abgebildet wird der jeweils im Konsens und für Durchschnittslösungen als akzeptabel bewertete Technikstand. Das Konzept ist damit konservativ und an der Beschreibung des in der Vergangenheit bereits Erreichten ausgerichtet. Wegen der Zeitverzögerungen des komplexen Kodifizierungs-, erst recht des Implementationsprozesses von Technikanforderungen jenseits der Eröffnungskontrolle im Wege nachträglicher Anordnungen mutet der Innovationsgehalt der tatsächlich realisierbaren Technikallokationen in der Praxis veraltet an; eine Standardsetzung „ins Blaue hinein“, also über den erreichten Stand der Technik hinaus, wie dies bei Performance-Standards denkbar wäre oder im Rahmen des sog. Technology Forcing praktiziert wird, scheidet beim „Stand der Technik“ konzeptionell und rechtsstaatlich aus;  inkremental, nicht radikal: Fortschreibungen und Verbesserungen des Technikstandes werden vom jeweils erreichten Verhandlungsstand aus betrachtet und müssen hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit und ihrer wirtschaftlichen Vertretbarkeit („ökonomische Verfügbarkeit“) neu ausgehandelt werden; der jeweilige Technikstand bildet daher nicht die jeweils gegebene praxistaugliche Innovationsgrenze ab, sondern wird inkremental gegen Beharrungskräfte aus dem Bestand fortgeschrieben.  diskretionär, nicht stetig (permanent): Die Definition der Technikgrenzen erfolgt nicht in permanenter, marktgesteuerter Überprüfung der gegebenen Optionen und ihrer allokativen Ergiebigkeit, sondern in von staatlicher Seite anzustoßender, diskretionärer Gremienarbeit; hierdurch entstehen auf der Zeitachse weitere Möglichkeiten zu Entfrendung des definierten Technikstandes vom aktuell gegebenen Innovationspotential;  auf Hol-, nicht auf Bring-Informationen ausgelegt: Das Recht sucht den Hütern des Technikwissens unter den Bedingungen ungelöster Informationsasymmetrie und im Interessengegensatz die Offenbarung ihrer Kenntnisse im Verhandlungswege abzuringen (Stufe 1: Kodifizierung) und sodann im Genehmigungsverfahren dem Anlagenbetreiber die Relevanz der Kodifizierungsergebnisse im vorliegenden Fall nachzuweisen (Stufe 2: Vollzug). Anders formuliert: das Recht läuft den Wissensproduzenten hinterher und sucht diesen gegen ihre Interessen und gegen ihre überlegene Wissensposition (Informationsasymmetrie) individuell bzw. gruppenseitig wertsenkendes Technik-Wissen zu entwinden.  interessenpolymorph, nicht problemzentriert: Die Kodifizierung des Technikstandes erfolgt in Erörterungen mit Verbänden und nicht am relevanten Einzelfall. Damit wird der konkrete Problembezug gelockert, und die Definition des Technikstandes öffnet sich für vielfältige polymorphe Interessenbedienungen. Die objektivierte Durchschnittsbetrachtung im Rahmen der Kodifizierung blendet zudem die Eignung von Verfahren im Einzelfall aus und orientiert sich stets am schlechtesten Anwendungsfall oder -bereich. Damit fällt der Technikstand abermals systematisch hinter die im Einzelfall mögliche Innovationsgrenze zurück.

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 reduktionistisch, nicht universell: Technikregeln herkömmlichen Zuschnitts betrachten „technische Lösungen“ zur Reduktion der Emissionlast gegebener Produktionsentscheidungen und damit von vorneherein nur Ausschnitte der denkbaren Innovationshebel; sie blenden emissionsmindernde Alternativen wie Faktorsubstitution, Produktvariation, Outputreduktion, Standortverlagerung u. a. m. mangels rechtlicher Zugriffskompetenz aus, die aber ein Anwender im Rahmen eines eigenen preislichen Umweltnutzungskalküls von selbst angemessen berücksichtigen würde, um eine betriebliche Minimalkostenkombination der Emissionsminderung zu erzielen. Der Versuch, über eine prozeßintegrierte Techniklösung – wie im Rahmen der IVU-RL – diesen Steuerungsmangel auzugleichen, kann die Außerachtlassung umweltrelevanter Aktionsparameter der Produktion nicht vollständig beheben und erhöht sogar noch das Anspruchsniveau an die Techniksteuerung und stärkt damit eher die dezentralen Wissenshüter.  inflexibel und implementationsschwach statt hoch anpassungsfähig: Selbst den einmal kodifizierten Technikstandards kommt zunächst noch keinerlei Allokationsverbindlichkeit zu; diese muß erst in einem separaten Genehmigungsverfahren für einzelne Anlagen errungen werden – und zwar unter denselben ungünstigen Informations- (Asymmetrie) und Anreizgesichtspunkten (Interessenkonflikt); noch dazu – problemverschärfend – bei stark asymmetrischen Zugriffsmöglichkeiten zugunsten der Eröffnungskontrolle. Anlagen im Bestand müssen daher mit den weit schwächeren rechtlichen Mitteln und budgetären Kapazitäten der nachträglichen Anordnung an Innovationen herangeführt und in der Regel – aus Bestandsschutzgründen – mit langen Übergangsfristen. Die in der Praxis effektiv leistbare Innovationspotenz von Technikregeln verliert hier endgültig jeden Anschluß an das aktuell Machbare. Markt- und Preislösungen zeigen gerade hier erneut ihre überlegene Steuerungswirkungen, da sie ohne jedwedes gesonderte Verfahren einmal für vorteilhaft erkannte Innovationen unmittelbar und ohne unnötigen Zeitverzug umsetzen. Dies gilt auch für jederzeitige Datenänderungen, auf die die Steuerung durch Technikregeln nur im Wege erneuter Revision bereits erteilter Genehmigungstitel reagieren kann und daher die hier aufgezeigten Nachteile der Governance immer wieder aufs Neue auskosten muß und daher schließlich allein aus Budget- oder Kapazitätsgründen den Anschluß selbst an den kodifizierten Innovationsstand verlieren wird.

Das Innovationspotential von Technikregeln herkömmlichen Zuschnitts darf daher als extrem begrenzt betrachtet werden. Der ambitionierte Explorationsanspruch erscheint in der Praxis nicht einlösbar. Dynamische Technikregulierung arbeitet an der Linie der Grenzinnovation, d. h. den öffentlich ohnehin bekannten Techniklösungen, die sich vor allem durch das Aufkommen einer eigenständigen Entsorgungs- und Umweltschutzbranche gelegentlich weiterentwickelt. Die diskursiv gewonnen Technikregeln tasten dabei eher die Verhandlungsmacht der Akteure im Regulierungsspiel um technische Parameter ab. Durchaus vorhandene Leistungen der Steuerung (z. B. Kollektion und Distribution öffentlich verfügbaren Technikwissens) mildern eher die systemimmanenten

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Unzulänglichkeiten der Innovationsinduktion und -implementation und stellen kaum einen originären Innovationsbeitrag dar. Tabelle 3 Technik-Innovation in der Institutionenkonkurrenz Verfahrens- oder Ergebnisaspekt

Innovationsstrategie bei Umweltallokation durch Markt- und Preislösung

Technikregeln

Erreichbarer Innovationsstand

progressiv

konservativ

Innovationsfortschreibung

radikal

inkremental

Innovationsüberprüfung

permanent

diskretionär

Lösung des Anreizproblems

interessenharmonisch

interessenkonfliktär

Lösung des InformationsAsymmetrieproblems

unproblematisch informationasymmetrisch

problematisch informationsasymmetrisch

Problemspezifität

problem- und einzelfallzentriert

interessenpolymorph

Innovationsreichweite

universell

reduktionistisch

Anpassung und Implementation

implementationsstark und hochflexibel

implementatiosnotleidend und inflexibel; asymmetrisch auf Eröffnungskontrolle ausgelegt

Diffusion von Innovationswissen

Markt

Kodifizierungen von Technikregeln und ihre Rezeption in Genehmigungsverfahren; Gremien- und Verhandlungsfilter

Eine Standardsetzung über den erreichten Stand der Technik hinaus, wie dies bei Performance-Standards oder im Rahmen des sog. Technology Forcing denkbar wäre, um so Druck zur Aufdeckung asymmetrisch bekannter und Generierung zusätzlicher Technikinnovationen zu erzeugen, scheidet beim „Stand der Technik“ konzeptionell und rechtsstaatlich aus. Der Stand der Technik referiert auf bereits technisch Machbares und wirtschaftlich Vertretbares; dynamische Technikregulierung nach dem „Stand der Technik“ ist gerade keine Regulierung nach den „Potentialen der Technik“; sie kodifiziert das Bewährte und Erreichte; ambitionierte Zielformulierungen „ins Blaue hinein“ sind ihr gerade versagt. Von der anfänglich vernichtenden, zwischenzeitlich deutlich differenzierten ökonomischen Kritik an ordnungsrechtlicher Umweltsteuerung dürfte daher nach wie vor die Kritik an der dynamischen Allokationspotenz des technikregelgestütz-

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ten Ordnungsrechts die größte Berechtigung für sich beanspruchen. Die Innovationsleistungen von Technikregeln erscheinen denkbar gering und eher dokumentarisch denn impulsgebend. Gegenüber den gesicherten Innovationsleistungen ökonomischer Preislösungen fallen Technikregeln systemnotwendig deutlich ab. Als „Innovationsbremsen“ wurden dabei identifiziert:  das nicht behebbare technische Nichtwissen des Prinzipals (Informationsasymmetrie),  die unzureichende Lösung des Agentur-Problems (fehlende Anreize zur Wissens-Offenbarung oder Wissens-Produktion durch die Wissenshüter) aufgrund unentgeltlicher Emissionsgewährung und Kassation der Innovationsdividende, schließlich  die innovative Defizienz des Substituts „Wissenszentralisierung durch diskursive Kodifizierung“ (Zeitverzug, Interessenamalgamierung, Problemferne, unzureichende Bearbeitung der Informations-Asymmetrien, unzureichende Lösung des Anreizproblems zur Offenbarung wertsenkender Informationen, Technikfixierung).

Die empirisch gleichwohl beobachtbaren und durchaus beachtlichen Innovationsleistungen in der Umwelttechnik dürften eher anderen Faktoren („Innovationskatalysatoren“) denn der Innovationspotenz gesetzlicher Technikregeln geschuldet sein. Denn die erzielbaren Innovationsimpulse in der Umwelttechnik gründen wohl kaum in der Konzeption einer dynamischen Technikgrenze, sondern eher  im jeweiligen Kanon öffentlich verfügbaren Kontrollwissens,  im politischem Druck, bei unzureichenden Technikofferten schmerzhaftere Regulierungen vorzunehmen, z. B. durch ökonomische Instrumente,  im Wettbewerb der Technikanbieter einer eigenständigen Umweltschutzbranche ohne Verhinderungsinteressen,  im zunehmenden europäischen Systemwettbewerb von Techniklösungen,  im Einsatz ergänzender ökonomische Anreizverfahren, die die dynamischen Defizienzen zum Teil aufheben können (z. B. Abwasserabgabe),

Gäbe es – als Gedankenexperiment – kein öffentlich verfügbares Kontrollwissen, keinen globalen Systemwettbewerb um Ingenieurleistungen der Umwelttechnik, keine ergänzende ökonomische Anreizsteuerung und keine eigenständige Umwettechnik-Branche, so dürfte man von Technikregeln nichts Innovatives erwarten. Der Technikprozeß wäre „verschwiegen“.11 Dabei muß auch dieses öffentlich ver11 Als „verschwiegen“ gilt nach Hurwicz (1960 / 1973) ein Allokationsmechanismus, wenn 1. jede Wirtschaftseinheit unmittelbares Wissen nur über die sie selbst betreffenden Umstände besitzt (z. B. Präferenzen, Konsum- oder Produktionsmöglichkeiten) und 2. das System informationell dahingehend restringiert ist, das als Ergebnis beliebiger Informationsaustauschprozesse keine Zentralisierung der Information bei einer Wirtschaftseinheit gelingt; der Mechanismus besitzt dann die Eigenschaft der „Verschwiegenheit“ (privacy).

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fügbare Kontrollwissen zunächst technisch dechiffriert und problemspezifisch angewendet werden. III. Perspektiven: Binnenrationalisierung des Ordnungsrechts versus rationale Funktionsteilung 1. Überblick Was kann angesichts der offensichtlichen Innovationsschwäche von Technikregeln getan werden? Grundsätzlich bieten sich zwei Strategien an:  eine Binnenrationalisierung des Ordnungsrechts, die systemimmanent eine Verbesserung von Schwachstellen anstrebt,  eine rationale Funktionsteilung mit pretialen Anreizen, die im Verbund gezielt Schwächen der Komponenten auf einzelnen Feldern kompensiert.

2. Binnenrationalisierung des Ordnungsrechts Aus den vorangegangenen Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, daß Technikregeln systemnotwendig kaum eigene Innovationsimpulse vermitteln können, sondern darauf angewiesen sind, daß sich exogene Technik-Innovationen kodifizieren und in Genehmigungsverfahren über viele Jahre des Vollzuges langsam an den dann ggf. veralteten Stand der Technik heranführen lassen. Im Rahmen eines Systems, das Umweltnutzungen unentgeltlich zugesteht, soweit keine tragbare Techniklösung zur Emissionsminderung besteht und eine eventuelle Innovationsdividende vollständig für das öffentliche Interesse reklamiert, können dezentrale Wissenshüter kaum zur Offenbarung ihres Wissens veranlaßt werden. Der durch die IVU-RL angestoßene Prozeß der Kodifizierung „bester verfügbarer Techniken“ auf europäischer Ebene verbessert vor allem durch das benchmarking des Informationsaustausches nach Art. 16 Abs. 2 IVU-RL und die BVTReferenzdokumente die Diffusion von Technikwissen durch Pluralisierung der Erkenntnisquellen und Verfügbarmachen internationalen Technik-Wissens und Kenntnissen der Technik-Praxis. Dies kann jedoch die hier aufgezeigte Problematik kaum nennenswert entschärfen – zumal mit dem medien- und prozeßintegrierten Ansatz das Anspruchsniveau an das erforderliche Umwelt- und Technikwissen12 weiter angestiegen und damit die Rolle der Regulierten weiter gestärkt wurde. Auf die nennenswerte Nutzung verbindlicher europäischer Grenzwertsetzungen nach § 18 Abs. 1 IVU-RL wurde ohnehin bisher verzichtet. Vielversprechend dürfte allein die Stärkung von Innovationskatalysatoren sein, d. h. die Etablierung eines institutionellen Settings, bei dem öffentlich verfügbares 12 Zur nationalen Verarbeitung des integrierten Ansatzes der IVU-RL im Stand der Technik Feldhaus; Buschbaum / Schulz.

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Technikwissen jenseits der Emittenten erzeugt werden kann. Dies jedoch ist keine Leistung dynamischer Technikregeln. Technology Forcing wiederum, das die Steuerungslogik des „Standes der Technik“ aufgreift, jedoch ambitionierte Standards jenseits des heute Machbaren oder wirtschaftlich Vertretbaren formuliert, setzt dem Markt insgesamt noch unerfüllbare Vorgaben und definiert damit ein konkretes Innovationsergebnis. Dies bedeutet einerseits staatliche Wissensanmaßung, da das Innovationsergebnis zentral „ins Blaue“ hinein antizipiert werden muß. Womöglich hätte ein dezentraler Such- und Innovationsprozeß andere Innovationspfade oder noch bessere Wirkungsgrade ergeben. Dieses Vorgehen setzt einen funktionsfähigen Wettbewerb und einen zumindest konturenhaft bereits erkennbaren Fortschrittspfad voraus, dürfte also eher für „Inventionen“ denn für „Innovationen“ geeignet sein. Zur rechtsstaatlichen Problematik zunächst unerfüllbarer staatlicher Forderungen mag sich der ökonomische Autor gar nicht äußern. Die ökonomische Wirkmacht staatlicher „Fortschrittserzwingung“ hängt jedenfalls entscheidend – neben dem institutionellen Setting und dem objektiven, aber noch unbekannten Technikmöglichkeitenraum – auch von der Glaubwürdigkeit staatlicher Sanktionen im Drohspiel ab: Ist die Sanktionsdrohung im Falle der Innovationsverweigerung nicht glaubhaft, weil die Kosten für die Politik deutlich höher ausfallen als bei einem „Einknicken“ durch politisches Recontracting, so bleibt die Innovation auch bei Technology Forcing gefährdet. In welchem Maße geschlossene Kartelle klare Vorgaben des Rechts zu unterlaufen verstehen, weil die Politik gar keine glaubhaften Drohungen formulieren kann, wurde zuletzt eindruckvoll bei der Novellierung der Verpackungs-Verordnung deutlich:13 Hier wurde die Einführung einer wirksamen Zwangsbepfandung von Getränke-Verpackungen nach der VerpackVO zunächst durch politischen Lobbyismus, sodann auf dem Rechtswege torpediert, schließlich nach Inkrafttreten der novellierten Verordnung 2003 durch kollektive Nichterfüllung um mehrere Jahre bis zum 01. 05. 2006 hinausgezögert, bis endlich die sog. „Insellösung“ der Rücknahme von Getränke-Einwegverpackungen einem vom Verordnungsgeber vorgesehenen Verbundsystem wich. Die Politik reagierte hier mit Recontracting und paßte die Verordnung den Verordnungsadressaten an; das Standard Forcing war an politischem Gegendruck und an kollektiver Verweigerung gescheitert. Daher erweist sich Technology Forcing gerade wegen der Transzendenz des aktuell technisch Machbaren und gegenwärtig wirtschaftlich Vertretbaren schon bei der Einführung als hochgegendruckempfindlich im politischen Raum und dürfte daher aufgrund der politischen Ökonomie von Standard-Setzungs-Prozessen auf Ausnahmebereiche mit hohem ökologischen Leidensdruck und großer Öffentlichkeitsbeteiligung begrenzt bleiben.14 Zur spieltheoretischen Interpretation dieser Vorgänge Gawel 2003. Zur Politischen Ökonomie von ökologischen Regelsetzungen und ihren politischen Widerständen am Beispiel der Umweltabgaben Gawel 1995 (Umweltabgaben). 13 14

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Dynamische Technikregeln können institutionell natürlich anders gestaltet werden, als dies beim bundesdeutschen „Stand der Technik“ derzeit der Fall ist. Ein Beispiel hierfür bieten die japanischen „Top Runner“-Programme für die Energiebranche, wo der energieffizienteste „top runner“ die Benchmark für einen dann zeitversetzt greifenden Standard setzt. Auch hier stellt sich jedoch die Frage, welche systematischen Anreize – über die Diffusion eines einmal erreichten Spitzeneffizienzwertes hinaus – zur ständigen Weiterentwicklung der Effizienz eigentlich gegeben werden? Ganz offensichtlich handelt es sich hier lediglich um einen Diffusionskatalysator, nicht um einen Innovationskatalysator: An der Energieeffizienz haben die Unternehmen nämlich ein marktliches Eigeninteresse; dieses Interesse wird gerade nicht durch die Standardformulierung begründet oder verstärkt. Die Regulierung sorgt dann für beschleunigte Diffusion spontaner Innovation. Wie aber entsteht eine solche Innovation bzw. wird sie angereizt? Hierauf hat die Regulierung keinen Einfluß. Dieses Beispiel funktioniert ja nur deshalb, weil das unternehmerische Eigeninteresse spontane Effizienzverbesserungen hervorbringt, die dann – zeitverzögert – für allgemeinverbindlich erklärt werden. Ohne ein solches Eigeninteresse wird es angesichts der Kassation einer möglichen Innovationsdividende und der Kostenlosigkeit genehmigter Umwelt-Nutzungen nicht gelingen, spontane Technik-Verbesserungen zu induzieren. Technikvorsprünge könnten dann angereizt werden, wenn innovative Lösungen vermarktbar wären. Die Allgemeinverbindlichmachung durch Regulierung sorgte dann für einen Zwangs-Absatzmarkt, auf dem der Innovator eine Innovationsprämie erzielen könnte. Dies freilich setzt voraus, daß die Innovation individuellen Patentschutz genießt oder nicht imitierbar ist, die höchst unsicheren Erlöse die Innovationskosten amortisieren und die betriebliche Innovationslösung überhaupt marktfähig ist. Neben den zahlreichen empirisch überaus gehaltvollen Voraussetzungen simuliert aber auch hier das Ordnungsrecht nur, was eine Preissteuerung automatisch vollzöge: Emittenten unter Umweltabgaben werden bereits aus Eigeninteresse fortlaufend innovieren; der top runner kann hier jedoch noch zusätzlich seine Erkenntnisse – falls vermarktbar – anderen andienen, die nur bei Strafe der Gewinnkürzung auf die Anwendung verzichten; dies trägt ebenfalls zur – im übrigen noch viel rascheren – Verbreitung der Innovation im Markt bei als jeder Versuch, erst einmal zentral zu erkennende Innovations-Lösungen durch Rechtssetzungsakte gegen politische Widerstände unter Zugeständnis einer Anpassungsfrist zu verallgemeinern. Letztlich ist ja auch der bundesdeutsche „Stand der Technik“ nichts anderes als ein Benchmarking-Prozeß, bei dem die beste beobachtbare Technikanwendung allgemeinverbindlich gemacht wird; die offensichtlichen Schwächen liegen hier in der gegendruckanfälligen diskursiven Verarbeitung von Technikwissen und der Mehrstufigkeit des Implementationsprozesses, der erst im nachgelagerten anlagenbezogenen Genehmigungsverfahren konkrete Vorgaben für eine Emissionsquelle hervorbringen kann. Verzichtet man auf diese Elemente, so dürften die politischen Widerstände der Technikwissenshüter denkbare Verfahrensbeschleunigungsgewinne mehr

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als aufzehren: Wie will die Ministerialbürokratie flächendeckend und im Alleingang (zentral) den jeweiligen top-runner-Ansatz identifizieren und gegen die Wissensmacht der Anwender sowie unter Verzicht auf Genehmigungsverfahren und Bestandsschutzpositionen umsetzen? Ganz offensichtlich ist ein solches Szenario nur in ganz eng umgrenzten Bereichen möglich, wo eine Regulierungsbehörde unmittelbaren Durchgriff auf wenige z. B. Energierzeuger besitzt und zudem über die relevante Technologie vorzüglich im Bilde ist. Es sind daher bei derartigen Ansätzen keine besonderen Innovationsleistungen des Ordnungsrechts erkennbar, sondern bestenfalls – jeweils mit neuen Problemen und starken Voraussetzungen verbundene – Annäherungen an das Modell eigeninteressierten Vollzuges bzw. bloße Abmilderungen grober Steuerungsdefekte regulativer Innovationsförderung.

3. Pretiale Anreize und Policy Mix Es bleibt daher – bei grundsätzlicher Beibehaltung des ordnungsrechtlichen Steuerungsansatzes – allenfalls eine Lösung im Instrumenten-Verbund, die die dynamischen Funktionen der Steuerung stärker auf pretiale Steuerungskomponenten, z. B. durch eine Umweltabgabe, delegiert. Diese könnte vollumfänglich die oben beschriebenen Markt-Anreize zur Technikinnovation übernehmen, indem Umweltnutzung nur noch entgeltlich ermöglicht wird. Ein solches Zusammenspiel verlangt freilich auch von der ordnungsrechtlichen Basis-Steuerung eine Neuorientierung; ein unreflektiertes Nebeneinander der konzeptionell völlig verschiedenen Steuerungsansätze kann zu empfindlichen Friktionen der Steuerung führen (Gawel 1999):  Politisch besonders undankbar ist eine tendenzielle Einsatzbegrenzung von Preissteuerungen auf das „technisch Unmögliche“ und „wirtschaftlich Unvertretbare“ jenseits des Standes der Technik bei der „Restverschmutzungsveranlagung“.  Wenig funktional erscheint alternativ auch eine Reduktion der Preiskomponente auf bloße Vollzugshilfefunktion eines allokativ bereits letztverbindlichen Ordnungsrechts durch Freistellung der Restverschmutzung.

Vor allem wenn unter Innovationsgesichtspunkten der Abstand des tatsächlichen Technikeinsatzes in einzelnen Anlagen in der Praxis vom kodifizierten Technikstand, aber auch dessen theoretische Kluft gegenüber dem aktuellen, nur dezentral bekannten Innovationsraum in den Blick genommen wird, so werden wohl nur grundsätzliche konzeptionelle Veränderungen einen Durchbruch erzielen können. Der Einsatz von Preislösungen im Umweltschutz weist hierbei den richtigen Weg.

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IV. Zusammenfassung 1. Dynamische Technikregeln verkörpern den Versuch, öffentlich verfügbares Technikwissen den Wissensträgern, die zugleich Regulierungsunterworfene sind, diskursiv zu entwinden, in technischen Regelwerken zu kodifizieren und als Input in eine Vielzahl von Genehmigungsverfahren einzuspeisen, bei denen im Verhandlungswege die Anwendbarkeit und Vertretbarkeit der gefundenen Regeln im konkreten Fall gegen den Wissensträger erneut belegt werden muß. Sich dabei offenbarende Innovationsdividenden werden aufgrund des Minimierungsansatzes der Vorsorge vollumfänglich im öffentlichen Interesse konfisziert. Die Genehmigungsverfahren selbst sind stark asymmetrisch auf die Eröffnungskontrolle ausgelegt und können daher Technik-Innovationen wegen des Bestandsschutzes nur unter besonderen Schwierigkeiten flächendeckend umsetzen. Die so gewonnenen Informationen markieren eine „dynamische Technik-Grenze“, jenseits derer Umweltnutzung unentgeltlich erfolgen kann und diesseits derer die eigentlichen Produktionsentscheidungen (Standort, Produktpalette, Faktoreinsatz, Produktionsmenge), wiewohl umweltrelevant, nicht dem regulatorischen Zugriff unterliegen. 2. Das Ordnungsrecht verzichtet damit auf die Entgeltlichkeit verbleibender Umweltnutzungen, droht sogar mit der Kassation einer Innovationsdividende durch Normverschärfung (kann daher kein Eigeninteresse der Wissenshüter an UmweltInnovationen begründen) und versucht sich im Substitut der Wissensanmaßung durch diskursive Zentralisierung dezentralen Wissens – drei problematische Konstruktionsfehler dynamischer Techniksteuerung. 3. Neuartiges Technikwissen kann nur dezentral durch Technik-Anwender hervorgebracht werden. Im Gegensatz zum klassischen Wissens- und Innovationsverständnis ist Technikwissen im regulativen Setting eine für den dezentralen Urheber „wertsenkende“ Information. Im Ausmaß der Exploration von Technikwissen entwertet der Wissensträger damit seine eigene Markt- und Regulierungsposition. Oligopolistische Technikinformationsanbieter, deren stabiles Schweigekartell weder von Anreizen zu Außenseiter-Positionen erschüttert noch von dritter Seite überprüft werden können, werden daher kein Interesse an der Offenbarung von Technikwissen haben, ja u. U. sogar Veranlassung sehen, den gesellschaftlichen Informationsstand durch Desorientierung oder Täuschung herabzusetzen (Tendenz zur Grenzinnovation). 4. Institutionen, die dieses Agency-Problem in vergleichbaren Settings auflösen könnten, greifen hier nicht: Letztlich ist weder die Innovationsaktivität und Wissensoffenbarung von außen überprüfbar noch kann ein Wettbewerb um Innovationslösungen initiiert werden, der zumindest über den Hebel der drohenden Fremdaufdeckung verborgenen Wissens Anreize zur Informationsgewinnung bieten könnte: Anders als bei Risikoinformationen im Bereich der Produktregulierung kann weder die Marktgegenseite (Konsumenten) noch die Marktnebenseite (andere Anbieter) über Marktreaktionen (Akerlof-Spirale, Außenseiter-Prämie) das Schweigekartell sanktionieren. Auch eine spontane Aufdeckung durch Erfahrung

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(z. B. eines beim Konsum eintretenden Produktrisikos) ist hier nicht gegeben. Schließlich scheidet auch die öffentliche Wissensproduktion als (flächendeckende) Alternative weitgehend aus. Das Schweige-Kartell ist damit stabil. 5. Einzig der Wettbewerb unter den autonomen Produzenten und Entwicklern technischer Verfahren kann hier das Schweigekartell aufbrechen und mit Hilfe von Marktdynamik Anreize zur Innovation setzen. Die allokative Funktion dieses Wettbewerbs liegt vordringlich in der Schaffung von „Informationskonkurrenz“: Die Emittenten müssen nunmehr damit rechnen, daß „hidden information“ durch Dritte aufgedeckt wird. Zugleich wird das öffentlich verfügbare Technik-Wissen erweitert. Je stärker die autonome Umwelttechnik-Branche, desto eher ist mit Innovationen zu rechnen. Dynamische Technikregeln wirken hier verstärkend. Insgesamt bleibt jedoch die Innovationspotenz dynamischer Technik-Regeln auf exogene Technik-Schübe angewiesen, die sie kaum selbst initiieren kann. 6. Der durch die IVU-RL angestoßene Prozeß der Kodifizierung „bester verfügbarer Techniken“ auf europäischer Ebene verbessert die Diffusion von Technikwissen durch Pluralisierung der Erkenntnisquellen und Verfügbarmachen internationalen Technik-Wissens und Kenntnissen der Technik-Praxis. Dies kann die hier aufgezeigte Problematik jedoch kaum nennenswert entschärfen – zumal mit dem medien- und prozeßintegrierten Ansatz das Anspruchsniveau an das erforderliche Umwelt- und Technikwissen weiter angestiegen und damit die Rolle der Regulierten weiter gestärkt wurde. 7. Weiterentwicklungen des ordnungsrechtlichen Innovationsansatzes, z. B. durch Technology Forcing oder Benchmarking im Rahmen sog. Top Runner-Ansätze, bringen keine spezifischen Innovationsleistungen hervor, sondern liefern bestenfalls – jeweils mit neuen Problemen und starken Voraussetzungen verbundene – Annäherungen an das Modell eigeninteressierten Vollzuges bzw. versprechen nur Abmilderungen der groben dynamischen Steuerungsdefekte von Technikregeln. Entweder erfolgt die Standardsetzung ineffizient unter zentraler Wissensanmaßung „ins Blaue“ hinein und leidet unter politischem Gegendruck bei Einführung und mangelndem Drohpotential bei Innovationsversagen (Technology Forcing), oder aber die Regulierung beschränkt sich auf die Rolle eines Diffusionskatalysators, ohne die Frage zu beantworten, woher der Innovationsanreiz für den first mover eigentlich kommen soll (Benchmarking): Besteht er in einer individuellen Vermarktungschance der Innovation, so gilt dies erst recht bei pretialer Innovationssteuerung, ist also kein Spezifikum der ordnungsrechtlichen Standardsetzung. 8. Die aus ökonomischer Sicht ideale Lösung des Innovationsproblems ist der „Markt als Entdeckungsverfahren“ (Hayek): Märkte nutzen das Eigeninteresse der dezentralen Wissenshüter, koordinieren den Technik-Einsatz mit minimalen Transaktionskosten, verzichten auf eine nur unzulänglich und unter Zeitverzug gelingende Zentralisierung von Wissen oder eine Wissensanmaßung durch regulative Substitute und setzen sich bietende Technikoptionen, sofern wohlfahrtserhöhend, unmittelbar um.

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9. Einen Ausweg aus der Innovationsfalle dynamischer Technikregeln – wollen sie nicht nur auf exogene Technikschübe vertrauen, die sie dann verbindlich zu machen suchen – bietet wohl nur ein Instrumentenverbund mit pretialen Steuerungsansätzen, die den „entdeckenden Markt“ für Innovationsinduktion nutzbar machen. Im Rahmen eines solchen policy mix muß jedoch auch das Ordnungsrecht ein neues Rollenverständnis einnehmen, um Friktionen der Steuerung zu vermeiden. Literatur Ackerman, Bruce A. / Stewart, Richard B.: Reforming Environmental Law, in: Stanford Law Review 37 (1985), pp. 1333 – 1365. Appel, Ivo: Konkretisierung rechtlicher Anforderungen durch technische Regeln: Immissionsschutzrecht, Gewässerschutzrecht, Bodenschutzrecht, in: Technische Regeln im Umweltund Technikrecht. 21. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht vom 4. bis 6. September 2005, Berlin: Schmidt, 2006, S. 67 – 105. Beales, Howard / Craswell, Richard / Salop, Steven C.: The Efficient Regulation of Consumer Information, in: Journal of Law and Economics 24 (1981), pp. 491 – 539. Bonus, Holger: Zwei Philosophien der Umweltpolitik. Lehren aus der amerikanischen Luftreinhaltepolitik, in: List Forum 12 (1983 / 84), S. 323 – 340. Buschbaum, Heike / Schulz, Henning A.: Europäisierung des deutschen Umweltrechts am Beispiel des Technikstandards „Beste verfügbare Techniken“, in: Natur und Recht 23 (2001), S. 181 ff. Endres, Alfred: Umwelt- und Ressourcenökonomie, 1. Aufl., Darmstadt: Wiss. Buchges., 1985. Feldhaus, Gerhard: Beste verfügbare Technik und Stand der Technik, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 20 (2001), S. 1 ff. Gawel, Erik: Staatliche Steuerung durch Umweltverwaltungsrecht – eine ökonomische Analyse (zitiert: Umweltverwaltungsrecht), in: Die Verwaltung 28 (1995), S. 201 – 224. – Zur Politischen Ökonomie von Umweltabgaben, Tübingen: Mohr, 1995. – Reguliertes Wissen um Unwissen. Zur Generierung und Distribution von Risikoinformation aus ökonomischer Sicht, in: Dieter Hart (Hrsg.): Privatrecht im „Risikostaat“, BadenBaden: Nomos Verl.-Ges., 1997, S. 265 – 323. – Umweltordnungsrecht – ökonomisch irrational? Die ökonomische Sicht, in: Erik Gawel / Gertrude Lübbe-Wolff (Hrsg.): Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht. Konzepte, Kriterien und Grenzen rationaler Steuerung im Umweltschutz, Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1999 (= Recht, Ökonomie und Umwelt, Bd. 8), S. 237 – 322. – Erscheinungsformen und Perspektiven kooperativer Abfallwirtschaftspolitik, in: Bernd Hansjürgens / Wolfgang Köck / Georg Kneer (Hrsg.): Kooperative Umweltpolitik, BadenBaden: Nomos Verl.-Ges., 2003, S. 281 – 309. Gusy, Christoph: Probleme der Verrechtlichung technischer Standards, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 14 (1995), S. 105 ff.

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Innovationsförderung durch Koppelung von Genehmigung und Alternativenprüfung? Von Christian Calliess I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Das Innovationspotential der Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Das Zusammenspiel von Genehmigung, Verhältnismäßigkeits- und Alternativenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Beispiele für Alternativenprüfungen im Rahmen von umweltbezogenen Genehmigungsverfahren de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Chemikalienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) ChemG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulassungsregime nach REACH (Substitution) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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d) Umweltgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 IV. Defizite der Alternativenprüfung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Fehlende Verpflichtung des Antragstellers zur Alternativenprüfung . . . . . . . . . . . . . 234 2. Exkurs: Espoo-konforme Auslegung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten . . 234 3. Fehlende Kriterien für Reichweite und Prüfdichte der zu prüfenden Alternativen 235 4. Mangelnde Prüfkapazitäten der verpflichteten Genehmigungsbehörde . . . . . . . . . . 235 5. Ungeeignetheit der gebundenen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 V. Perspektiven einer Koppelung von Innovation und Alternativenprüfung . . . . . . . . . . . . 236 1. Förderung von technischer und stofflicher Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Alternativenprüfung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

I. Einführung Im Rahmen des Projekts der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung wird Innovation als signifikante Neuerung, die zur Bewältigung eines bekannten oder eines neueren Problems beiträgt, verstanden. Der damit in Bezug genommene abstrakte Innovationsbegriff umfasst die Erzeugung und Verbreitung neuer Produkte, die Neuerungen von Verfahren oder von Strukturen, aber auch die Beein-

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flussung von sozialen Verhaltensweisen. Dabei soll die rechtswissenschaftliche Innovationsforschung keinen eigenständigen Innovationsbegriff entwickeln, vielmehr reagiert sie auf Innovationen in der Gesellschaft, um sie sodann in Bezug zur Rechtsordnung zu setzen.1 Im Zuge dessen soll nach Möglichkeiten gesucht werden, die Rechtsordnung so zu konzipieren und Recht so anzuwenden, dass technologische, ökologische, soziale und kulturelle Innovationen stattfinden können, aber möglichst nur zu solchen Folgen führen, die gesellschaftsverträglich sind oder im Interesse aller Bürger liegen.2 Hintergrund ist die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft, die Innovationen als solche unterstützt, ohne dabei aber die unterschiedlichen Folgewirkungen in Betracht zu ziehen, ein hohes Risiko eingeht: Dieses Risiko realisiert sich dann, wenn die späteren negativen Wirkungen einer Innovation deren positive Effekte im Ergebnis wieder „auffressen“. Ein Ziel rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung ist es daher auch, Innovationsfolgen an den normativen Orientierungen der Gesellschaft zu messen, insbesondere an verfassungsrechtlichen Vorgaben, die aus den Grundrechten und verfassungsrechtlich verankerten Staatszielen fließen. Zur damit angesprochenen Gemeinwohlorientierung des Rechts gehört es auch, dass es den bestehenden Modernisierungsbedarf ebenso wie den Bedarf zur Sicherung des Bestehenden aufnimmt und im Sinne praktischer Konkordanz zum Ausgleich führt. Insofern geht es darum, unterschiedliche miteinander konfligierende Interessen so aufeinander zu beziehen, dass im Rahmen des Machbaren möglichst alle Berücksichtigungschancen haben (Optimierung).3 In der Konsequenz ist der für das Recht maßgebende Innovationsbegriff daher im Ergebnis doch ein normativ eingeordneter Innovationsbegriff.4 Wenn also auch im Kontext rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung die Sicherung des Gemeinwohls mithilfe des Rechts ein Kernelement ist, dann ist ohne Einmischung des Rechts in Innovationsprozesse ein Verlust an verfassungsgebotener Innovationsverantwortung zu befürchten.5 Infolge dessen geht es darum, den Instrumentenpool des Rechts daraufhin zu untersuchen, welches Recht am besten geeignet ist, eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ausgewogene Balance zwischen Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung zu gewährleisten.6 Vor diesem Hintergrund bleibt das klassische Ordnungsrecht unverzichtbar, es steht jedoch in dem Ruf, nicht innovationsoffen bzw. sogar innovationshemmend zu sein, indem es z. B. zur Risikovorsorge oder Gefahrenabwehr der gesellschaftlichen Innovation Grenzen setzt. Gleichwohl erkennt die rechtswissen1 Wolfgang Hoffmann-Riem, Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung, AöR 131 (2006), S. 255, 257. 2 Hoffmann-Riem (Fn. 1), S. 256. 3 Hoffmann-Riem (Fn. 1), S. 267. 4 Hoffmann-Riem (Fn. 1), S. 267. 5 Hoffmann-Riem (Fn. 1), S. 268. 6 Hoffmann-Riem (Fn. 1), S. 271.

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schaftliche Innovationsforschung an, dass imperatives Recht auch Innovationen stimulieren kann.7 Schon damit wird deutlich, dass innovationsfördernde Regulierung nur auf den ersten Blick einen In-sich-Widerspruch formuliert. Zwar verweist Innovation auf das Unbekannte, das eben noch nicht Existente und überraschend Neue, während Regulierung, gleichgültig wie man sie im Einzelnen definieren möchte, durch die Verfolgung eines bestimmten Zweckes gekennzeichnet ist, also der Realisierung eines bekannten oder jedenfalls konkret gedachten Zielzustandes dient.8 Jedoch wird Innovationsförderung von der Rechtsordnung nicht nur in einer „Basisschicht durch die Sicherung von Freiheit“ gewährleistet, sondern vielmehr kann Freiheit allein die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft mit Blick auf die sozialen Verbundenheiten und die wechselseitigen Abhängigkeiten von Individuen und Organisationen nur in bestimmten (rechtlichen) Grenzen sichern. Insoweit geht es um eine rechtliche Infrastruktur, die verfassungsrechtlichen, konkret rechtsstaatlichen Maßstäben genügt. Was aber sind genau die rechtsstaatlichen Vorgaben für die gesuchte rechtliche Infrastruktur? Im Kern ist der heute herrschende materielle Rechtsstaatsbegriff auf den Schutz der Menschenwürde und – darauf gründend – die Gewährleistung und Förderung von individueller Freiheit durch die Grundrechte ausgerichtet. Hierzu gehört die – ebenfalls an die Grundrechte anknüpfende – Einsicht, dass der Rechtsstaat einen Doppelauftrag umfasst, der nicht allein eindimensional auf die Abwehr staatlichen Handelns gerichtet ist, sondern vielmehr gleichzeitig staatliches Handeln zum Schutze von Grundrechten im Verhältnis der Bürger untereinander erfordern kann. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG spiegelt diese beiden Wirkdimensionen (oder auch Funktionen) der Grundrechte. Aufgrund dieser verfassungsrechtlich begründeten Wirkdimensionen der Grundrechte entstehen mehrpolige Verfassungsrechtsverhältnisse. Freilich richten sich grundrechtliches Abwehrrecht und grundrechtliche Schutzpflicht an denselben Adressaten, den Staat. Wenn auch mit gegensätzlichem Ziel: Einerseits soll der Staat ein Handeln unterlassen, andererseits soll er gerade zum Handeln verpflichtet werden. Im Zuge dessen entsteht ein grundrechtlich determiniertes Dreieck zwischen dem Staat an der Spitze, dem (durch die Umweltnutzung) „Betroffenen“, welchem ein Recht auf Schutz zukommt, am Ende des einen Schenkels und dem (durch die Umweltnutzung) „Begünstigten“, welchem ein Recht auf Eingriffsabwehr zusteht, am Ende des anderen Schenkels.9 Dieses Grundrechtsdreieck beHoffmann-Riem (Fn. 1), S. 272. Vgl. Martin Eifert, Einleitung zu diesem Bande. 9 Vgl. dazu Josef Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, 1. Aufl. 1992, § 111, Rn. 4 f.; Friedhelm Hufen, Die Grundrechte und der Vorbehalt des Gesetzes, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, 1990, S. 273 (276 ff.); Georg Hermes, Grundrecht auf Schutz, 1987, S. 199 ff.; ferner Thomas Groß, Zur Zulässigkeit von Bedarfsprüfungen, VerwArch 88 (1997), S. 89 (102 ff.) für das Umweltrecht; Hans-Heinrich Trute, Vorsorgestrukturen am Beispiel des Immissionsschutzrechts, 1989, S. 215 ff. 7 8

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schreibt grundrechtsdogmatisch im Ansatz das, was man – ergänzt um das Schutzgut der Umwelt (Art. 20a GG) – als mehrpoliges Verfassungsrechtsverhältnis bezeichnen kann.10 Staatliche Regulierung zur Verwirklichung von Zielen des Umweltschutzes lässt sich vor diesem Hintergrund nicht isoliert am Maßstab der Grundrechte des begünstigten Unternehmers bzw. Vorhabensträgers (Art. 12, 14 GG) bestimmen. Erst die Herstellung einer Symmetrie der Rechtspositionen im Rahmen des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses gibt im jeweiligen Fall Auskunft über die Rahmenbedingungen einer jeden Regulierung im Umwelt- und Technikrecht. Dazu gehört es, die Grundrechte des Betroffenen sowie die aus Art. 20a GG fließende Schutzpflicht des Staates für die Umwelt mit in die erforderliche Gesamtabwägung einzubeziehen. Diese Gesamtabwägung kann im Rahmen einer mehrpoligen Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen. Insoweit bilden das abwehrrechtliche Übermaßverbot auf der einen Seite und das der Schutzpflicht korrespondierende Untermaßverbot auf der anderen Seite eine Art Korridor11, innerhalb dessen der Gesetzgeber den nach dem Gewaltenteilungsprinzip erforderlichen Spielraum hat, die kollidierenden Belange abzuwägen und in Ausgleich zu bringen.12

II. Das Innovationspotential der Genehmigung Die Genehmigung ist das verwaltungsrechtliche Instrument, mit dem die verfassungsrechtlichen Vorgaben des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses samt mehrpoliger Verhältnismäßigkeitsprüfung in das einfache Recht transportiert und transformiert werden können. Sie ist somit ein Hebel, mit dem der Staat Innovationsanreize im Interesse bestimmter, verfassungsrechtlich legitimierter öffentlicher Belange (z. B. Umweltschutz) setzen kann, weil ihm an dieser Stelle die Funktion obliegt, abstrakt – als Gesetzgeber – und konkret – als Behörde – „Freiheit zu verteilen“.13 Aus der rein bipolaren Perspektive des dogmatisch durch die grundrechtliche Abwehrdimension bestimmten Verfassungsrechtsverhältnisses zwischen BegünsAusführlich Christian Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 256 ff. Ablehnend gegenüber einer solchen Vorstellung Karl-Eberhard Hain, Der Gesetzgeber in der Klemme zwischen Übermaß- und Untermaßverbot?, DVBl. 1993, S. 982 (984); demgegenüber indizieren die Auffassungen von Claus-Wilhelm Canaris, Grundrechtswirkungen und Verhältnismäßigkeitsprinzip, JuS 1989, S. 161 (163 f.); Hans D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen, AöR 110 (1985), S. 363 (382 ff.); Arno Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, S. 221 f.; Isensee (Fn. 9), Rn. 165 f. ein solches Modell; explizit spricht Wolfgang Hoffmann-Riem, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts: Vorüberlegungen, DVBl. 1994, S. 1381 (1384 f.) von einem solchen Korridor; Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, 1999, S. 274 ff. konstruiert – unter gleichen Prämissen – ein sternförmiges Modell. 12 Ausführlich Calliess (Fn. 10), S. 577 ff. 13 Zur Ambivalenz dessen Calliess (Fn. 10), S. 373 ff. 10 11

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tigtem und Staat stellt sich das Umweltrecht, konkret die umweltrechtliche Genehmigung, zwar oftmals als Investitions- und Innovationshindernis dar. Jedoch wird dabei eine wichtige Funktion des Umweltrechts, die sich aus der Perspektive mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse ergibt, übersehen. Diese besteht darin, die Entfaltung unternehmerischer Freiheit (Art. 12 GG) in einem demokratischen Rechtsstaat überhaupt erst zu ermöglichen. Aus der Sicht der Grundrechte des Unternehmers erfüllt das Umweltrecht damit auch die Funktion, die rechtlichen und organisatorischen Grundrechtsvoraussetzungen zu sichern. Dies geschieht nicht nur dadurch, dass das Umweltrecht die Funktion einer Standardisierung und Marktermöglichung erfüllt, sondern auch dadurch, dass es die rechtlichen Entfaltungsvoraussetzungen der Wirtschaftsfreiheit einschließlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit sicherstellt.14 Diese Ermöglichungsfunktion des Umweltrechts kommt insbesondere dort, wo die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates gegenüber den Betroffenen aktuell werden, zum Ausdruck. Insoweit leistet das Umweltrecht einen entscheidenden Beitrag zur Entfaltung der Wirtschaftsfreiheit, wenn es durch Ausschluss privatrechtlicher Abwehransprüche bei staatlich genehmigten Anlagen im Wege von Präklusionsregelungen dem Begünstigten Rechtssicherheit gegenüber den Betroffenen verschafft. Über die staatliche Zulassungsentscheidung gewinnt der Begünstigte darüber hinaus die für die Entfaltung der Wirtschaftsfreiheit unerlässliche Investitionssicherheit.15 Durch diese Form der gesetzlichen Begründung eines „doppelten Gewaltmonopols“ stellt sich der Staat, indem er die eigentlich gegen den Vorhabensträger gerichteten „Pfeile“ des Betroffenen im zivilrechtlichen Nachbarstreit (§§ 1004, 906 BGB) in Form von juristischen Stellvertreterkriegen vor den Verwaltungsgerichten (in denen er und nicht der Begünstigte Klagegegner ist) auf sich zieht, schützend vor dessen Belange. Mit anderen Worten, nach Durchlaufen des gesetzlich vorgesehenen Genehmigungsverfahrens ist der Vorhabensträger aus dem Schussfeld gelangt, die staatliche Genehmigung wirkt als Schutzschild.16 Um eine Genehmigung zu erlangen, ist der durch sie Begünstigte vor diesem Hintergrund also in aller Regel bereit, Kompromisse einzugehen und zu kooperieren. Hier könnte der Zusammenhang zwischen Verhältnismäßigkeits- und Alternativenprüfung ins Spiel gebracht werden.

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Vgl. Michael Kloepfer, Recht ermöglicht Technik, NuR 1997, S. 417 f. Dazu Calliess (Fn. 10), S. 264 ff. und insbesondere 384 ff. Grundlegend Karsten Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994.

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III. Das Zusammenspiel von Genehmigung, Verhältnismäßigkeits- und Alternativenprüfung 1. Grundlagen Im Schrifttum ist verschiedentlich auf einen Zusammenhang zwischen Verhältnismäßigkeits- und Alternativenprüfung hingewiesen worden.17 Die Alternativenprüfung weist Parallelen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere zu deren zweiter Stufe, der Erforderlichkeitsprüfung, auf.18 Zum einen geht es in beiden Fällen darum, unter mehreren, zur Erreichung eines Zieles geeigneten Mitteln das am wenigsten eingreifende zu suchen. Gegenüber der Verweigerung der Genehmigung oder dem Erlass noch strengerer Auflagen kann sich die Prüfung und Erörterung von Alternativen mit Blick auf die Einhaltung der nach dem Vorsorgeprinzip gebotenen Umweltqualitätsnormen19 für den Antragsteller durchaus als milderes Mittel darstellen, das nicht zuletzt in seinem Interesse liegt. Zum anderen ist das Denken in Alternativen ein wesentlicher Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung insgesamt, und zwar sowohl bei der Suche nach den geeigneten Mitteln (Zwecktauglichkeit), als auch bei der Suche nach einem gleich wirksamen milderen Mittel (Erforderlichkeit), wie auch bei der Suche nach der angemessenen Zweck-Mittel-Relation (Proportionalität). Dies liegt in der Tatsache begründet, dass das allgemeine Schema der Alternativenprüfung ebenso wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Ausformung der Struktur zweckrationalen Handelns darstellt: Ein Akteur setzt sich ein Ziel, ersinnt verschiedene Mittel der Zielerreichung, und wählt dasjenige aus, das einerseits das Ziel am besten erreicht, mithin am geeignetsten ist, andererseits die geringsten nachteiligen Nebenfolgen hat. Sind die Nachteile dieses Mittels im Verhältnis zu den Vorteilen, die das Ziel verspricht, unangemessen hoch, empfiehlt sich ein Verzicht auf das Ziel. 2. Beispiele für Alternativenprüfungen im Rahmen von umweltbezogenen Genehmigungsverfahren de lege lata Ob und inwieweit sich die These eines Zusammenhangs in der Gesetzeswirklichkeit verifizieren lässt, sollen nachfolgend Beispiele für Alternativenprüfungen in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren klären. Dabei soll auch die Frage beantwortet werden, ob das Genehmigungsrecht das vorstehend skizzierte, theo17 Gerd Winter, Alternativen in der administrativen Entscheidungsbildung, 1997, S. 27 ff. und 43 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Von der Antragsbindung zum konsentierten Optionenermessen, DVBl. 1994, S. 605 (608 f.). Insbesondere bei Winter wird jedoch bei der dogmatischen Einordnung der Bedeutung von Übermaß- und Untermaßverbot nicht Rechnung getragen. Die Ausführungen bei Hoffmann-Riem bleiben insoweit fragmentarisch, skizzieren aber immerhin die wesentlichen Gesichtspunkte. 18 Vgl. auch Uwe Volkmann, Umweltrechtliches Integrationsprinzip, VerwArch 89 (1998), S. 363 (392); Winter (Fn. 17), S. 43 f. 19 Calliess (Fn. 10), S. 235 ff.

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retische Innovationspotential nutzt. Hierfür werden das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung, das Immissionsschutzrecht, das Chemikalienrecht sowie Vorschriften des geplanten UGB untersucht. Die Darstellung beschränkt sich vor dem Hintergrund der Genehmigung, die ja das mehrpolige Verfassungsrechtsverhältnis in das einfache Recht transformiert, auf eine Betrachtung der Prüfung von technischen, organisatorischen und stofflichen Alternativen, weshalb etwaige Alternativenprüfungen, die Standort- bzw. Trassenalternativen betreffen (insb. § 15 Abs. 1 S. 4 ROG, Art. 6 Abs. 4 UA 1 FFH-RL, §§ 19 Abs. 1, 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG, § 102 Abs. 1 Nr. 1 UGB-KomE) unberücksichtigt bleiben. a) Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung Die Alternativenprüfung gilt als Herzstück der Umweltverträglichkeitsprüfung. Nach weitläufiger Auffassung enthält § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 UVPG jedoch keine Pflicht des Vorhabensträgers zur Durchführung einer Alternativenprüfung.20 Die Vorschrift regelt nach h. M. lediglich eine Darstellungspflicht des Antragstellers dahingehend, dass die Antragsunterlagen eines UVP-pflichtigen Vorhabens eine „Übersicht über die wichtigsten, vom Träger des Vorhabens geprüften Vorhabenalternativen“ zu enthalten haben.21 Begründet wird diese Annahme – abgesehen vom Wortlaut – mit Blick auf die UVP-Richtlinie, die ebenso wenig wie das UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer Alternativenprüfung durch den Antragsteller vorsieht.22 Das Gemeinschaftsrecht verlangt in Art. 5 Abs. 3 und Anhang IV Nr. 2 UVP-RL vom Vorhabensträger allein eine „Übersicht über die wichtigsten anderweitigen vom Projektträger geprüften Lösungsmöglichkeiten und Angabe der wesentlichen Auswahlgründe.“ Während der Richtlinienvorschlag der Kommission noch eine „Beschreibung des vorgeschlagenen Vorhabens und gegebenenfalls der vernünftigerweise möglich erscheinenden Alternativen hinsichtlich des Standortes und des Entwurfs des Vorhabens“ (Standort- und Konzeptalternativen) verlangte, entschied sich der Normgeber letztlich bewusst gegen eine Pflicht zur Alternativenprüfung.23 Hinsichtlich Technik- oder Produktionsalternativen ist zu berücksichtigen, dass die Wahl diesbezüglich, soweit Alternativen nicht ausnahmsweise wegen ihrer Gefährlichkeit mit ordnungsrechtlichen Instrumenten einzuschränken sind, allein dem jeweiligen Vorhabensträger bzw. seiner unternehmerischen Entscheidung überlassen bleibt.24 20 Martin Beckmann, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 2. Aufl. 2002, § 12 Rn. 42 ff.; vgl. auch Lieselotte Schlarmann, Alternativenprüfung im Planungsrecht, 1991, S. 125 ff. 21 Heinz-Joachim Peters, UVPG, 2. Aufl. 2002, Einl. Rn. 11. 22 Beckmann (Fn. 20), § 12 Rn. 45. 23 Beckmann (Fn. 20), § 12 Rn. 45; Jürgen Cupei, Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), 1986, S. 103; a. A. Schlarmann (Fn. 20), S. 126 f. 24 Beckmann (Fn. 20), § 12 Rn. 49.

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Von der fehlenden Verpflichtung des Vorhabensträgers zur Durchführung einer Alternativenprüfung zu differenzieren ist die Frage, ob die Zulassungsbehörde Alternativen zu dem beantragten Projekt zu prüfen hat. Da das Institut der UVP dazu dient, nachteilige Auswirkungen eines Projekts auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten, wird die Verpflichtung der Genehmigungsbehörde zur Berücksichtigung von Alternativen für unerlässlich erachtet. Als Ausprägung des Vorsorgeprinzips erfordert die UVP insoweit die Bewertung von Informationen über die jeweils günstigste Lösungsmöglichkeit zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch das Projekt.25 b) Immissionsschutzrecht Im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren verlangt § 4a Abs. 1 Nr. 7 der 9. BImSchV bei der Antragstellung eine Übersicht über „die wichtigsten vom Antragsteller gegebenenfalls geprüften Alternativen“. Bei UVP-pflichtigen Vorhaben fordert § 4e Abs. 3 der 9. BImSchV darüber hinaus „eine Übersicht über die wichtigsten vom Träger des Vorhabens geprüften technischen Verfahrensalternativen zum Schutz vor und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen.“ Die Beschränkung der Vorlagepflicht auf „geprüfte“ Alternativen macht deutlich, dass den Antragsteller im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens keine Pflicht zur Prüfung von Alternativen trifft. Hiervon abzugrenzen ist wiederum die Verpflichtung der Genehmigungsbehörde, alternative Möglichkeiten zu ermitteln, insbesondere, wenn die vom Vorhabensträger beantragte Variante die Grundpflichten nicht einzuhalten vermag. Die Behörde kann im Rahmen von Vorsorgemaßnahmen regelmäßig in den Grenzen der gebundenen Erlaubnis eine Optimierung der Anlage verlangen und demgemäß alternative Ausgestaltungen der betreffenden Anlage (einschließlich einer Verschiebung auf dem Betriebsgrundstück) in den Blick nehmen. Da hierbei auch stoffliche und organisatorische Verfahrensalternativen mit einzubeziehen sind, ist die Beschränkung der Unterlagen (in § 4 e Abs. 3 der 9. BImSchV) auf „technische Verfahrensalternativen“ zu eng geraten.26 Die Verengung auf Verfahrensalternativen ist insoweit auch mit dem Begriff des „Standes der Technik“ unvereinbar, der sich auf „Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen“ erstreckt.27 Beckmann (Fn. 20), § 12 Rn. 47. Hans D. Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 6 Rn. 27 und § 10 Rn. 31; Alexander Roßnagel, in: Koch / Scheuing (Hrsg.), GK-BImSchG, Stand September 2007, § 10 Rn. 218; Nils Griem, Produktionsintegrierter Umweltschutz, 2000, S. 257; Wilfried Erbguth / Alexander Schink, UVPG, 2. Aufl. 1996, Art. 4 Rn. 23. 27 Winter (Fn. 17), S. 97, schlägt folgende Formulierung vor: „Die Unterlagen enthalten eine Übersicht über die dem Stand der Technik entsprechenden und im Hinblick auf den Zweck der Anlage gleichwertigen technischen Alternativen.“ 25 26

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Im Rahmen des antragsorientierten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens stößt die Gestaltungsmöglichkeit der Behörde allerdings dort an Grenzen, wo dem Antragsteller ein Aliud genehmigt wird, wenn beispielsweise das gesamte Produktionsverfahren modifiziert wird, statt eine Änderung einzelner Produktions- bzw. Verfahrensabschnitte oder den Einsatz eines anderen Stoffes aufzuerlegen.28 c) Chemikalienrecht Im Chemikalienrecht sind insbesondere § 17 Abs. 2 ChemG sowie die Vorschriften der gemeinschaftsrechtlichen REACH-VO von Bedeutung. Die chemikalienrechtliche Alternativenprüfung ist derart ausgestaltet, dass für das jeweilige zuzulassende Produkt Substitute zu ermitteln sind. aa) ChemG § 17 Abs. 2 ChemG lautet: „Durch Verordnung [. . .] können auch Verbote oder Beschränkungen unter Berücksichtigung der Entwicklung von Stoffen, Zubereitungen, Erzeugnissen oder Verfahren, deren Herstellung, Verwendung, Entsorgung oder Anwendung mit einem geringeren Risiko für Mensch oder Umwelt verbunden ist, festgesetzt werden.“29

Nach der Gesetzesbegründung sollten dem Verordnungsgeber durch diese Norm Befugnisse zur Induzierung von Innovationen eingeräumt werden.30 Um einen Anreiz für die technische Entwicklung von Substituten zu schaffen, sollten Vermarktungsbeschränkungen bereits in der Gegenwart geregelt, aber erst in der Zukunft wirksam werden können. Diese Alternativenprüfung erweist sich in der Praxis allerdings als äußerst problematisch, da letztlich sehr aufwändige und komplexe Parallelbewertungen durch den Verordnungsgeber vorgenommen werden müssen.31 Das Vorhandensein / Nichtvorhandensein von alternativen Lösungen stellt auch nur einen Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen des Regulierungsermessens dar, d. h. zum einen, dass die Existenz eines erwiesenermaßen ungefährlichen Substituts für ein gefährliches Produkt, lediglich ein Argument für eine Produktbeschränkung eines potentiell gefährlichen Produkts sein kann. Zum anderen ist denkbar, dass eine Produktbeschränkung ausgesprochen wird, ohne dass überhaupt auf das Vorhandensein von Substituten Rücksicht genommen wird.32 Eine Pflicht des Herstellers, Importeurs, Inverkehrbringers oder der Anmeldestelle zur Ermittlung von Stoffsubstituten sieht das ChemG selbst nicht vor. Griem (Fn. 26), S. 257. Auf Grundlage des § 17 ChemG wurden u. a. die GefahrstoffV sowie die ChemVerbotsV erlassen. 30 BT-Drs. 11 / 4550, S. 57. 31 Andreas Theuer, Risikobewertungsmodelle als Grundlage von Stoffverboten, NuR 1996, 120 (129). 32 Winter (Fn. 17), S. 134. 28 29

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bb) Zulassungsregime nach REACH (Substitution) Eine Pflicht zur Prüfung von alternativen Produkten (Substituten) könnte sich dagegen aus der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-VO)33 ergeben. Als Zweck der Zulassungsvorschriften (Teil VII) bestimmt die REACH-VO in ihrem Art. 55 neben der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes und der Beherrschung der stofflichen Risiken, „dass die [besonders besorgniserregenden] Stoffe schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder -technologien ersetzt werden, sofern diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind. Zu diesem Zweck prüfen alle Hersteller, Importeure und nachgeschalteten Anwender, die einen Antrag auf Zulassung stellen, die Verfügbarkeit von Alternativen und deren Risiken sowie die technische und wirtschaftliche Durchführbarkeit der Substitution.“

Zulassungsvoraussetzung ist nach Art. 60 Abs. 2 REACH, dass das mit der Verwendung des Stoffes verbundene Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, das sich aus seinen inhärenten Eigenschaften ergibt, angemessen beherrscht wird. Sollten diese Anforderungen nicht erfüllt oder nicht erfüllbar sein, ist eine Zulassung nach Art. 60 Abs. 4 S. 1 REACH nur möglich, „wenn nachgewiesen wird, dass der sozioökonomische Nutzen die Risiken überwiegt, die sich aus der Verwendung des Stoffes für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ergeben, und wenn es keine geeigneten Alternativstoffe oder -technologien gibt.“

Der Zulassungsantrag hat gem. Art. 62 Abs. 4 REACH zu enthalten: „e) eine Analyse der Alternativen unter Berücksichtigung ihrer Risiken und der technischen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit der Substitution, gegebenenfalls einschließlich Informationen über einschlägige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten des Antragstellers; f) sofern die unter Buchstabe e genannte Analyse erweist, dass [. . .] geeignete Analysen verfügbar sind, einen Substitutionsplan einschließlich eines Zeitplans für die vom Antragsteller vorgeschlagenen Maßnahmen.“

Die verpflichtende Vorlage einer Alternativenanalyse geht insoweit über den ursprünglichen Verordnungsvorschlag der Kommission hinaus, als der Kommissionsentwurf die Analyse der Alternativen nicht zwingend forderte („Antrag kann enthalten“).34 Aus den genannten Vorschriften ergibt sich demnach eine Verpflichtung des Antragstellers zur Suche nach geeigneten Alternativen, die allerdings auf den Fall beschränkt ist, dass dieser im Einzelfall den Nachweis der angemessenen Beherrschung des Risikos nicht führen kann.35 ABl. L 396 vom 30. 12. 2006, S. 1. Vgl. KOM (2003), 644, Art. 59 Abs. 5 Verordnungsvorschlag. 35 Christian Calliess / Martina Lais, REACH revisited – Der Verordnungsvorschlag zur Reform des Chemikalienrechts als Beispiel einer neuen europäischen Vorsorgestrategie, NuR 2005, S. 290 (297). 33 34

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Hinsichtlich der Alternativenprüfungspflicht der Zulassungsbehörde bestimmt Art. 60 Abs. 4 S. 2 REACH, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung folgender Aspekte zu treffen ist: „c) Analyse der vom Antragsteller . . . vorgelegten Alternativen oder eines vom Antragsteller . . . vorgelegten Substitutionsplans; d) verfügbare Informationen über die Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt von Alternativstoffen oder -technologien.“

Weiter bestimmt Art. 60 Abs. 5 REACH: „Bei der Beurteilung, ob geeignete alternative Stoffe oder Technologien verfügbar sind, berücksichtigt die Kommission alle maßgeblichen Aspekte einschließlich der folgenden: a) die Frage, ob der Übergang zu Alternativen zu einem geringeren Gesamtrisiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt führen würde, wobei der Angemessenheit und Wirksamkeit von Risikomanagementmaßnahmen Rechnung zu tragen ist; b) die technische und wirtschaftliche Durchführbarkeit der Alternativen für den Antragsteller.“

Die Prüfungspflicht der Zulassungsbehörde ist demnach keineswegs auf eine Betrachtung der vom Antragsteller vorgelegten Alternativen begrenzt. Sie wird bezüglich der Beurteilung möglicher Alternativen dennoch regelmäßig auf das Know-how bzw. den Wissensvorsprung der jeweiligen Antragsteller angewiesen sein. d) Umweltgesetzbuch Der UGB-Entwurf der Sachverständigenkommission (UGB-KomE) verlangt in § 86 Abs. 2 S. 1 UGB-KomE von dem Antragsteller einer Vorhabengenehmigung, dass dieser dem Antrag u. a. „eine Übersicht über die vom Vorhabensträger zu prüfenden Vorhabenalternativen und ihre Umweltauswirkungen, die maßgeblichen Auswahlgründe“

beifügt. Die gewählte Formulierung soll laut der Entwurfsbegründung klarstellen, dass es – entgegen den Normen im UVPG – nicht im Belieben des Vorhabensträgers steht, welche Alternativen geprüft werden. Vielmehr ergebe sich aus den gesetzlichen Anforderungen an verschiedene Vorhaben, ob und inwieweit Alternativen zu prüfen sind. Eine Einschränkung (etwa auf technische Verfahrensalternativen wie in § 4e Abs. 3 der 9. BImSchV) komme aufgrund des weitergehenden Anwendungsbereichs der Vorhabengenehmigung nicht in Betracht.36 Hiernach sind beispielsweise für Industrieanlagen vor allem technische Alternativlösungen bedeutsam, von denen eine erhebliche Verminderung von Auswirkungen im Sinne der Grundpflichten (§ 83 UGB-KomE) erwartet werden kann.37 36 37

UGB-KomE, Entwurfsbegründung, S. 634. UGB-KomE, Entwurfsbegründung, S. 635.

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Im Gegensatz zum UGB-KomE enthält der derzeit diskutierte UGB-Entwurf (UGB I) keine expliziten Angaben zu der Prüfung von Alternativlösungen. Die Bestimmungen über die für die Antragstellung erforderlichen Unterlagen sollen in die Anhänge I und II überführt werden, die noch in Bearbeitung sind.38 Lediglich bei UVP-pflichtigen Vorhaben, deren Umweltauswirkungen bereits in einem früheren Verfahren einer Umweltprüfung unterzogen worden sind, fordert § D 8 Abs. 3 UGB I, „das Ergebnis, geprüfte Alternativen und die Gründe, die zum Abschluss der Alternativen geführt haben, darzustellen.“ Den bisher bekannten Vorschriften des UGB I lässt sich unmittelbar keine Verpflichtung des Antragstellers zur Durchführung einer Alternativenprüfung entnehmen. Die weitgehende Orientierung an den Normen des BImSchG spricht ebenso gegen die Annahme einer Alternativenprüfungspflicht des Vorhabensträgers. Angesichts der erweiterten Genehmigungswirkung der integrierten Vorhabengenehmigung bleibt allerdings zu hoffen, dass der Gesetzgeber bei der Ausformulierung der Anhänge zum UGB I die Ansätze des UGB-KomE aufgreift und die bestehende Definitionsmacht des Antragstellers hinsichtlich der Alternativenprüfung konkretisiert und eingrenzt. 3. Schlussfolgerungen Den dargelegten Beispielen der de lege lata vorgesehenen Alternativenprüfungen ist gemeinsam, dass den Vorhabensträger bzw. Antragsteller im Rahmen von umweltrelevanten Genehmigungsverfahren keine Pflicht zur Durchführung einer Alternativenprüfung trifft. Eine freiwillige Ermittlung von Alternativen mag zwar zweckmäßig sein, um die Erfolgsaussichten seines Zulassungsantrags besser einschätzen zu können und nicht im weiteren Verlauf mit überraschenden Einwänden konfrontiert zu werden. Dies ändert jedoch nichts an der fehlenden rechtlichen Verpflichtung.39 Allein im Bereich des europäischen Chemikalienrechts wird dem Antragsteller vereinzelt die Pflicht zur Prüfung von alternativen Stoffen auferlegt, soweit dieser den Nachweis der angemessenen Beherrschung des Risikos nicht führen kann. Jedoch wird überwiegend immerhin eine Verpflichtung der Zulassungsbehörden dahingehend angenommen, dass diese (im Sinne des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie des Verhältnismäßigkeitsprinzips) alternative Lösungswege zu dem beantragten Vorhaben zu ermitteln haben, insbesondere dann, wenn erst dadurch eine Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet wird. Im Ergebnis ist eine Alternativenprüfung also grundsätzlich geeignet, Innovationen zu fördern.40 Freilich sind dafür bestimmte Voraussetzungen notwendig, wie Vgl. § 8 Abs. 1 und 2 UGB I. Thomas Groß, Alternativenprüfung in der UVP, NVwZ 2001, S. 513 (518) m. w. N., der zwischen privaten und staatlichen Vorhabensträgern differenziert. Vorliegende Darstellung soll sich dagegen auf private Vorhabensträger beschränken. 40 Wolfgang Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, DV 38 (2005), S. 145 (156). 38 39

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das Beispiel des Chemikalienrechts unter den Aspekten der verpflichtenden Ausgestaltung bis hin zum Substitutionsziel deutlich macht. Deutlich wird im Kontext der vorstehenden Ausführungen aber auch, dass die Stoßrichtung von Verhältnismäßigkeitsprüfung und Alternativenprüfung unterschiedlich ist. So soll durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Staat in seinem Handeln gegenüber der Gesellschaft, jeweils repräsentiert durch den einzelnen Grundrechtsträger, beschränkt werden, wohingegen die Alternativenprüfung zunächst einmal nicht staatsgerichtet, sondern bürgergerichtet ist. Hier muss der Vorhabensträger zeigen, welche Alternativen er erwogen und abgewogen hat und warum er sich für eine Variante entschieden hat. Dieser Auswahlprozeß wird von der Behörde nachvollzogen und überprüft.41 Wenn die Alternativenprüfung zu einem rechtlichen Gebot wird, verkürzt sich auf den ersten Blick die Freiheit des Vorhabensträgers bzw. – in der Terminologie des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses – des Begünstigten. Dieser erste Blick berücksichtigt aber nur das bipolare Verfassungsrechtsverhältnis zwischen diesem und dem Staat und führt eine isolierte Prüfung des Übermaßverbots durch. Bezieht man aber die Vorgaben des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis mit ein, so ergibt sich ein anderes Bild. Denn in Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht, die der Staat gegenüber betroffenen Bürgern hat (Art. 2 Abs. 2 GG) und dem staatlichen Schutzauftrag aus Art. 20a GG sowie des insoweit jeweils maßgeblichen Untermaßverbots kann der Staat gehalten sein, das beantragte Vorhaben zu verbieten. Durch die Alternativenprüfung werden vor diesem Hintergrund Handlungsspielräume wiedereröffnet. So kann eine andere, umweltverträglichere Variante sowohl mit den Vorgaben des Übermaßverbots als auch mit denjenigen des Untermaßverbots vereinbar sein. Indem die Alternativenprüfung Flexibilität bewirkt, hilft sie, das „richtige Maß“ zwischen Begünstigung und Belastung zu finden und damit die Balance im mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis herzustellen.42 IV. Defizite der Alternativenprüfung de lege lata Im Anschluss an die vorstehende „Bestandsaufnahme“ soll der Frage nachgegangen werden, wo de lege lata Defizite in der Alternativenprüfung bestehen. Die mangelnde Wirkungskraft der Alternativenprüfung als Hauptproblem der derzeitigen Rechtslage lässt sich im Wesentlichen auf folgende (Kritik-)Punkte zurückführen: Das Nichtbestehen einer Pflicht des Antragstellers zur Durchführung einer Alternativenprüfung (1.), das Fehlen der Konkretisierung von Inhalt und Reichweite der Alternativenprüfung (2.), der Mangel an Personal- und Sachkapazitäten der Genehmigungsbehörde (3.) sowie – im Bereich des BImSchG – die Un41 Grundlegend dazu Jens-Peter Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung, 1991, S. 113 ff., 135 f. 42 Dazu Calliess (Fn. 10), S. 566 ff., insbesondere 592 ff.

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geeignetheit der gebundenen Entscheidungsstruktur der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung als Grundtypus der umweltbezogenen Genehmigungen (4.). 1. Fehlende Verpflichtung des Antragstellers zur Alternativenprüfung Dass der Antragsteller – im Gegensatz zur Zulassungsbehörde – nicht gezwungen werden kann, alternative Lösungswege zu ermitteln, wurde oben bereits festgestellt. Die Genehmigungsbehörde kann dem Vorhabensträger zwar (beispielsweise) ihr bekannte anderweitige technische Varianten unterbreiten, die erst die Genehmigungsfähigkeit herstellen. Soweit sich aber die vom Vorhabensträger beantragte Produktionstechnik als zulässig, d. h. genehmigungsfähig, darstellt, bleibt es der Behörde verwehrt, vom Antragsteller die Durchführung einer Prüfung von Alternativen zu verlangen. 2. Exkurs: Espoo-konforme Auslegung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Für UVP-pflichtige Vorhaben könnte sich allerdings aus einer Auslegung der UVP-Vorschriften im Sinne der Espoo-Konvention43 etwas anderes ergeben. Denn für Umweltverträglichkeitsprüfungen im grenzüberschreitenden Rahmen verpflichtet die Espoo-Konvention (als gemischtes Übereinkommen, das sowohl die EG als auch die BRD ratifiziert haben) zur Erstellung einer sog. UVP-Dokumentation (Art. 4 Espoo), die gemäß Anhang II lit. b) Espoo u. a. folgendes zu beinhalten hat: „gegebenenfalls eine Beschreibung vertretbarer Alternativen (beispielsweise in Bezug auf den Standort oder die Technologie) zu der geplanten Tätigkeit sowie auch die Möglichkeit, die Tätigkeit zu unterlassen [Null-Variante].“

Unklar bleibt, wie die Einschränkung „gegebenenfalls“ zu verstehen ist. Unter Zugrundelegung des in der englischen Fassung verwendeten Ausdrucks „where appropriate“, der wohl besser mit „angemessen“ als mit „gegebenenfalls“ zu übersetzen wäre, scheint eine subjektive Auslegung der Alternativenprüfungspflicht schwerlich vertretbar. Demnach ist die Alternativenprüfung i. S. d. Espoo-Konvention gerade nicht auf die Alternativen beschränkt, die der Projektträger erwogen hat. In der UVP-Dokumentation sind insofern die Projektalternativen darzustellen, für deren Prüfung aus objektiver Sicht ein sachlicher Anlass besteht.44 Legt man die Bestimmungen der Espoo-Konvention derart aus, gelangt man zu dem Schluss, dass die UVP-RL ebenso wie die nationale Umsetzung in Form des UVPG bezüglich der Alternativenprüfung hinter der Espoo-Konvention zurück bleiben. Ob allerdings aufgrund dessen auch bei nicht grenzüberschreitenden Sachverhalten 43 UNECE-Konvention über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Konvention) vom 25. 02. 1991. 44 Ute Stiegel, Espoo-Übereinkommen, 2001, S. 40.

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die entsprechenden UVP-Vorschriften einer „Espoo-konformen Auslegung“ zugänglich sind, erscheint dennoch fragwürdig. 3. Fehlende Kriterien für Reichweite und Prüfdichte der zu prüfenden Alternativen Darüber hinaus fehlt es an konkretisierten Kriterien, die Anhaltspunkte für die notwendige Reichweite und Prüfdichte einer Alternativenprüfung liefern, sofern sich ein Antragsteller zur Durchführung einer Prüfung der Alternativmöglichkeiten entscheidet. Des Weiteren äußern sich die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen nur sehr vage zu der Frage, welche Belange bei der Alternativenprüfung einzustellen sind und wie diese Belange zu gewichten sind.45 Im Gegensatz zum Bereich des Fachplanungsrechts, in dem die Rechtsprechung vielfach versucht hat, die Anforderungen der Alternativenprüfung zu konkretisieren,46 fehlt es bei den übrigen umweltbezogenen Genehmigungsverfahren weitgehend an Auslegungshilfen. Hinsichtlich der Frage, ob und wann Standort- bzw. Trassenvarianten zu prüfen sind, entschied das BVerwG, dass die Behörde zur Prüfung verpflichtet sei, wenn eine Alternative sich nach Lage der konkreten Verhältnisse (im Einzelfall) aufdränge oder zumindest nahe liege.47 Trotz der Bemühungen der Gerichte, Kriterien und Maßstäbe für die Alternativenprüfung zu entwickeln, bestehen weiterhin Unklarheiten über die notwendige Intensität der Alternativenprüfung, die Frage nach den in die Prüfung einzustellenden Belangen und deren Gewichtung. Die Vielzahl von Beschlüssen und Urteilen allein im Bereich der straßen-, luftverkehrs-, abfall- und bauplanungsrechtlichen Planfeststellung verdeutlichen den Klärungsbedarf. 4. Mangelnde Prüfkapazitäten der verpflichteten Genehmigungsbehörde Selbst wenn man unterstellt, dass die entscheidende Genehmigungsbehörde sich über das Ob und das Wie der Alternativenprüfung im Klaren wäre, ist davon auszugehen, dass die Entscheidungsträgerin in der Praxis häufig mit der Alternativenprüfung überfordert sein wird, da es ihr an fachkundigem Personal bzw. der entscheidungserheblichen Information mangelt.48 Insbesondere bei stofflichen und technischen Alternativlösungen haben die Genehmigungsstellen gegenüber den 45 Vgl. Hermann Soell / Franz Dirnberger, Wieviel Umweltverträglichkeit garantiert die UVP?, NVwZ 1990, S. 705 (708). 46 Hierzu Schlarmann (Fn. 20), S. 5 ff. sowie Lars Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben und Alternativen in der Planfeststellung, 2005, S. 48 ff. 47 BVerwG, Urteil vom 22. 03. 1985, Az. 4 C 15 / 83 – NJW 1986, 80 (81) für die straßenrechtliche Planfeststellung. 48 Griem (Fn. 26), S. 257 f.

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jeweiligen Antragstellern regelmäßig ein Wissensdefizit auszugleichen. Sie sind daher üblicherweise auf eine entsprechende Mitwirkung des Projektträgers angewiesen. 5. Ungeeignetheit der gebundenen Entscheidung In der Literatur wird des Weiteren vielfach die Geeignetheit der gebundenen Entscheidung in Zweifel gezogen.49 Insbesondere das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren verharrt in der konditionalen Struktur der Kontrollerlaubnis. Diese gesetzliche Konzeption der antragsorientierten gebundenen Erlaubnis gibt zwar vereinzelt Anknüpfungspunkte für Abwägungen und gegebenenfalls gestaltende Elemente der Behörde (etwa im Rahmen des Vorsorgegebots des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG50). Sie verdeckt jedoch insoweit die rechtlich verfügbaren Spielräume, als im Rahmen der Entscheidungsfindung eine Bindung an die Wünsche und Vorstellungen des Vorhabensträgers besteht. Diese Einengung des behördlichen Entscheidungsinhalts hat insoweit auch Auswirkungen auf die Art der vorhergehenden Sachverhaltsermittlung, da die Verwaltung vor anderen – evtl. angemesseneren – Lösungsvarianten die Augen verschließen muss.51

V. Perspektiven einer Koppelung von Innovation und Alternativenprüfung Es lohnt sich jedoch im Interesse von Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung vorstehend genannte Defizite zu überwinden. Denn das Instrument der Alternativenprüfung bietet nicht nur Chancen für den Vorhabensträger, der im Rahmen der Untersuchung alternativer Projektverwirklichungsmöglichkeiten den für ihn vorteilhaftesten Weg ermitteln kann, sondern kann auch auf Seiten des Staates eingesetzt werden, um technische Entwicklung zu forcieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken.52 Innovationen, d. h. neue Produkte, Techniken und Verfahren werden als zentraler Gegenstand und maßgebliche Herausforderung des Umweltrechts verstanden, denn die schwierige Aufgabe des Umweltrechts besteht darin, steuernd und regulierend die vielfältigen Risiken technischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklungen auf umwelt- und gemeinwohlverträglichem Niveau zu halten, ohne die wirtschaftliche Entwicklung unnötig zu beeinträchtigen. 53 49 Vgl. Hans D. Jarass, Umweltverträglichkeitsprüfung bei Industrievorhaben, 1987, S. 43 ff. 50 Soell / Dirnberger (Fn. 45), S. 705 (709). 51 Hoffmann-Riem (Fn. 18), S. 605 (606). 52 Winter (Fn. 17), S. 26. 53 Hans-Joachim Koch, Innovationssteuerung im Umweltrecht, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 273 (273).

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Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf das legislative Instrument der Innovationssteuerung (Gesetzgebung), d. h. die Möglichkeiten der Steuerung durch die Verwaltung (insb. Subventionen) sowie die Rechtsprechung werden hier ausgeklammert.54 Zu prüfen ist, wie die gesetzlichen Regelungen ausgestaltet sein müssen, damit für die Normadressaten, d. h. die Vorhabensträger, ein Anreiz zur Entwicklung und Anwendung fortschrittlicher, umweltschonender Alternativtechniken und -stoffe geschaffen werden kann. Auf der Grundlage der im vorigen Abschnitt erörterten Problempunkte des derzeitigen Konstrukts der Alternativenprüfung sollen nachfolgend Verbesserungsvorschläge für die zukünftige Ausgestaltung der Alternativenprüfung erarbeitet werden. Hierbei steht insbesondere der Aspekt der Förderung von Innovationen in technischer und produktbezogener bzw. stofflicher Hinsicht im Vordergrund.

1. Förderung von technischer und stofflicher Innovation Insoweit lassen sich mit Blick auf die Regulierungsmöglichkeiten des Gesetzgebers zwei Arten der Innovationssteuerung unterscheiden. Er kann zum einen – positiv – für einen künftigen Zeitpunkt einen Zielwert (z. B. einen Qualitätsstandard, Emissionsgrenzwert etc.) festlegen, der nach Ablauf der Übergangsfrist einzuhalten ist und somit technische Innovation provoziert (vgl. § 7 Abs. 2 BImSchG). Zum anderen kann – negativ – unerwünschten Techniklinien bzw. Stoffen eine Auslaufzeit gewährt werden, nach deren Ablauf eine Alternative entwickelt sein muss (vgl. sog. phasing-out von FCKW innerhalb gesetzter Frist).55 Konkret wäre es zum Beispiel mit Blick auf eine Innovationsförderung im Bereich der technischen und stofflichen Entwicklung in Anlehnung an das (im japanischen Energieeffizienzrecht entwickelte) sog. „Top-Runner-Modell“ denkbar, dass sich das beantragte Vorhaben einem Vergleich mit dem zum Antragszeitpunkt fortschrittlichsten stofflichen bzw. technischen Standard stellen muss. Im Anschluss an eine Alternativenprüfung könnte eine rückständige Techniklinie nur noch mit der Maßgabe genehmigt werden, dass innerhalb einer Übergangsfrist der Top-Runner-Standard erreicht wird. Die Praktikabilität dieses Lösungsvorschlags ist – zugegebenermaßen – aufgrund des häufigen Aktualisierungsbedarfs des untergesetzlichen Regelwerks und der Vielfältigkeit der Techniklinien und Stoffe nicht einfach zu gewährleisten.

54 Zu den Instrumenten der Innovationssteuerung vgl. Helmuth Schulze-Fielitz, Instrumente der Innovationssteuerung durch Öffentliches Recht, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 291 (296 ff.). 55 Winter (Fn. 17), S. 26.

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2. Alternativenprüfung de lege ferenda Die Alternativenprüfung kann über die Genehmigung – bzw. die Möglichkeit der Genehmigungsversagung – beim Vorhabensträger Innovationsanreize setzen. Vor dem Hintergrund des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses kann sie vom Gesetzgeber in unterschiedlicher Form ausgestaltet werden.56 – Sie kann nur prozedural festgelegt werden, mit der Folge, dass nur der Vorgang der Prüfung an sich durch die Behörde kontrolliert werden kann, die Wahl einer Alternative im Ergebnis aber völlig frei bleibt und von der Behörde nicht beeinflusst werden kann. – Sie kann aber auch durch die Vorgabe bestimmter Topoi, die beachtet werden müssen, inhaltlich gesteuert werden. Insoweit ist die Behörde auf eine nachvollziehende Kontrolle beschränkt, bei der ein Auswahlspielraum des Vorhabensträgers anerkannt wird. – Des Weiteren ist eine Gestaltung der Alternativenprüfung denkbar, nach der die Behörde eine Ergebniskontrolle vorzunehmen hat, die sie befugt, die Prüfung des Vorhabensträgers im Ergebnis nachzuprüfen und dabei Defizite festzustellen. Ist dies der Fall, darf die Behörde den Antrag mit der Begründung ablehnen, dass eine vom Vorhabensträger nicht gewählte Variante vorzugswürdig ist. Die Ergebniskontrolle könnte aber auch darin bestehen, dass die Behörde eine vom Vorhabensträger nicht selbst eingebrachte vorzugswürdige Alternative genehmigt.

In der Regel wird all dies nicht durch Auflagen zu bewerkstelligen sein57, so dass die Bereitschaft des Vorhabensträgers, seinen Antrag entsprechend zu ändern, zur Voraussetzung wird. Andernfalls würde er in einer mit der grundrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit nicht zu vereinbaren Weise zu einer Investition gezwungen. Interessant ist in diesem Zusammenhang daher der Vorschlag eines „konsensorientierten Optionenermessens“, das eine Vereinbarkeit des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens mit der Idee der Alternativenprüfung herstellen soll.58 Hier werden die grundrechtlich geschützten Interessen des Vorhabensträgers zunächst dadurch gewahrt, dass sein Antrag Ausgangspunkt der Alternativensuche ist und auf diese Weise das Entscheidungsverfahren mitsteuert. Der Vorhabensträger müsste hiernach in seinem Antrag die geplante Anlage detailliert umschreiben und so seine Interessen darlegen. Die Verwaltung kann dann die in ihrem (begrenzten) Ermessen liegende Versagung der beantragten Option mit dem Vorschlag einer Alternative koppeln, die als genehmigt gilt, es sei denn, der Vgl. hierzu Winter (Fn. 17), S. 46 f. Dazu Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 12, Rn. 9 ff., insbesondere Rn. 16 ff. zum damit angesprochenen Fall der sog. modifizierenden Auflage, bei der es sich bei näherer Betrachtung eben gar nicht mehr um eine Auflage handelt, sondern um eine inhaltliche Einschränkung oder Veränderung des Verwaltungsakts. 58 Hoffmann-Riem (Fn. 18), S. 605 (609 f.). 56 57

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Antragsteller erklärt binnen einer bestimmten Frist, er erstrebe keine Genehmigung für diese Alternative. Konsentiert er nicht, darf die Behörde die Genehmigung verweigern.59 Diese Herangehensweise gewährleistet eine angemessene Berücksichtigung bestehender Alternativen unter Rücksichtnahme auf im Kontext des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses konfligierende Interessen. Auch wenn die Einräumung von Versagungsermessen verfassungsrechtlich möglich ist60, so stellt sie doch einen weitreichenden Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit des Begünstigten (mithin des Vorhabensträger) dar, die mit Blick auf das Übermaßverbot nur schwer gerechtfertigt werden kann. Ein milderes Mittel stellt dabei die verpflichtende Alternativenprüfung dar. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Objektivierung der Alternativenprüfungspflicht auf Seiten des Antragstellers möglich und erforderlich. Denn die derzeitige Gesetzeslage ermöglicht es dem Vorhabensträger nach dem Scheuklappenprinzip das Genehmigungsverfahren (beispielsweise) auf eine von ihm bestimmte Technik zu beschränken. Einer Pflicht zur Durchführung einer Alternativenprüfung stünden vor dem Hintergrund des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses im Ergebnis keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen; im Gegenteil würde eine Alternativenprüfung sogar dessen Vorgaben im Kontext der mehrpoligen Verhältnismäßigkeitsprüfung korrespondieren.61 Um die Verpflichtung des Vorhabensträgers zur Durchführung einer Alternativenprüfung auch in der Formulierung zum Ausdruck zu bringen, könnte der Vorschlag des UGB-KomE („vom Vorhabensträger zu prüfende Alternativen“) als Ausgangspunkt gewählt werden. Die Frage des Wie, d. h. die Anforderungen an die Reichweite und Intensität der Prüfung könnte in einer konkretisierenden Verordnung geregelt werden, wobei die Schwierigkeit darin besteht, den Vergleichsmaßstab für das jeweils beantragte Vorhaben zu bestimmen. Die Anforderungen an die Prüfungsintensität erhöhen sich mit dem Grad der Fortgeschrittenheit (Planungsstand) des Vorhabens. Insoweit ist es sachgerecht, dass die UVP-rechtlichen Vorschriften lediglich eine „Übersicht“ fordern. Um dem Problem des Informationsdefizits und der behördlichen Überforderung bei der Alternativenermittlung und -bewertung zu begegnen, wird vorgeschlagen, die Normen der Antragstellung dahingehend auszulegen, dass den Vorhabensträger eine Mitwirkungspflicht trifft. § 10 Abs. 1 S. 2 BImSchG etwa, der verlangt, dem Antrag die für die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit „erforderlichen Unterlagen“ beizufügen, muss so verstanden werden, dass der Antragsteller eine vergleichende Darstellung und Bewertung der Varianten darzulegen hat, die es der Hoffmann-Riem (Fn. 18), S. 609. Calliess (Fn. 10), S. 376 ff. 61 Vgl. Calliess (Fn. 10), S. 595 f.; Soell / Dirnberger (Fn. 45), S. 705 (710). Soweit statt einer abschlägigen Entscheidung eine umweltverträglichere zulassungsfähige Alternative in Frage kommt, ist diese im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, genauer der Erforderlichkeit, als milderes Mittel zu betrachten. 59 60

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Behörde ermöglicht, eine sachgerechte Entscheidung auf ausreichender Informationsbasis zu treffen.62 Auch im Rahmen der UVP, die der eigentlichen Genehmigungsentscheidung vorgelagert ist, leuchtet die Hineinnahme des Projektträgers in die Verfahrensverantwortung vom umweltrechtlichen Verursacherprinzip her systematisch durchaus ein.63 Für innovationsfördernd wird überdies eine Hinwendung von der traditionellen konditionalen Programmierung der Rechtsnormen hin zu finalen Vorgaben gehalten.64 Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass der Antrag des Vorhabensträgers die Suche nach Alternativen nicht per se ausschließt. Dabei muss sein mit dem Antrag verfolgtes Interesse gewahrt bleiben, jedoch signalisiert der Antrag nur noch dieses Interesse, lässt aber darüber hinaus Spielraum für die Suche nach der zur Interessenverfolgung angemessenen Option, das heißt, der im mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis optimierten Alternative. Gerade im Rahmen der Alternativenprüfung spielt die Bestimmung und Bewertung des vom Vorhabensträger mit dem Antrag verfolgten Ziels eine maßgebliche Rolle.65 Das Ziel wird, soweit es rechtlich geschützt ist, in der Regel vom Vorhabensträger bestimmt. Denkbar ist aber auch, dass das Recht eine Bewertung des Ziels vorsieht, deren Ergebnis zur Zurückweisung des Ziels führen kann. Ob eine Zielbewertung gewollt ist, bringen die Gesetze zumeist nicht klar zum Ausdruck. Ein Beispiel ist die Regelung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG, wonach die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen voraussetzt, dass „im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung unvertretbare schädliche Einwirkungen“ nicht zu erwarten sind. Die Zielbewertung korrespondiert bei genauer Betrachtung mit der 3. Stufe des Übermaßverbots in Form der Verhältnismäßigkeit, wo es im Grunde um eine Prüfung und Bewertung der Angemessenheit von Ziel und Mittel geht. Darüber hinausgehend kann das Ziel des Vorhabensträgers aber auch mit anderen Zielvarianten verglichen oder gar in Frage gestellt werden. Nicht zu Unrecht bezeichnet die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages die Zielbewertung mittels Zielvergleichs im Zusammenhang mit dem Stoffrecht als absolute Bedarfsprüfung.66 Zwar ist eine solche nicht per se verfassungsrechtlich unzulässig67, jedoch bildet sie mit Blick auf die grundrechtlich verbürgte Wirtschaftsfreiheit eine Ausnahme, die im Rahmen der mehrpoligen Verhältnismäßigkeitsprüfung nur durch sehr gewichtige gegenläufige Interessen bzw. Rechtsgüter gerechtfertigt werden kann. Griem (Fn. 26), S. 257 f. Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Umsetzung der UVP-RL vom 27. Juni 1985 in das nationale Recht, in: FS Karl Doehring, 1989, S. 889 (894). 64 Hoffmann-Riem (Fn. 1), S. 255 (275). 65 Vgl. Winter (Fn. 17), S. 53 ff. 66 Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“, Die Industriegesellschaft gestalten, 1994, S. 515. 67 Vgl. nur Groß (Fn. 9), S. 89 ff. 62 63

Koppelung von Genehmigung und Alternativenprüfung?

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Unabhängig davon, ob der Begriff der Bedarfsprüfung wirklich passt, so wird doch die rechtsstaatliche Brisanz einer umweltstaatlichen Zielbewertung deutlich. Denn mit der Zielbestimmung wird gleichzeitig der Inhalt und die Reichweite der Alternativenprüfung determiniert. Die gesetzliche Einführung einer zielbezogenen Alternativenprüfung ist rechtsstaatlich auch deswegen besonders problematisch, weil bestimmte Alternativen die rechtlichen, wirtschaftlichen oder technischen Möglichkeiten des Vorhabensträgers übersteigen können. Es geht hier um eine Konstellation subjektiver Unmöglichkeit, die die Wirtschaftsfreiheit des Begünstigten im Ergebnis leerlaufen lassen würde. Daher dürfen nur rechtlich, wirtschaftlich und technisch mögliche, mithin für den Vorhabensträger disponible Alternativen zum Gegenstand der Prüfung gemacht werden. Freilich stößt auch das Kriterium der Disponibilität an seine Grenzen, bedenkt man, dass für den Vorhabensträger immer auch die „Null-Variante“, also der Verzicht auf das Vorhaben, verfügbar ist. Insoweit ist unter Beachtung der skizzierten Vorgaben des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses immer die Schwere des Eingriffs in die Wirtschaftsfreiheit des Begünstigten mit dem Umfang und Charakter des Risikos für private Rechtsgüter und die Umwelt abzuwägen. Mit seinem Antrag verfolgt der Vorhabensträger ein Ziel, das auf einem grundrechtlich gewährleisteten (ökonomischen) Interesse beruht. Insoweit formuliert der Antrag eine bestimmte Position, mit welcher der Vorhabensträger sein Interesse am besten verfolgen zu können glaubt. Allerdings ist es möglich, dass sein Interesse auch angemessen verwirklicht werden kann, wenn er seine Position durch Akzeptanz einer Alternative, welche gegenläufige Interessen des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses (besser) berücksichtigt, verschiebt. Oftmals wird dem Vorhabensträger bei der Antragsstellung aber gar nicht bekannt sein, dass er mit einer Alternative ebenso gut, mit Blick auf rechtlich bewehrte gegenläufige Interessen vielleicht sogar reibungsloser und damit besser, zum Ziel kommen kann.68 Daher stellt sich eine Alternative unter Umständen erst im Entscheidungsprozeß, etwa bei Einschaltung anderer Behörden oder betroffener Dritter, als sinnvoll heraus. Folglich sollte der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit den prozeduralen Vorgaben des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses der Verwaltung die Befugnis einräumen, in Kooperation mit dem Begünstigten, den Betroffenen und den relevanten Teilen der Öffentlichkeit einschließlich der Umweltverbände die Möglichkeiten von Alternativen, etwa die Errichtung der Anlage mit einer anderen Technik oder auch an einem anderen Standort, zu sondieren.69 Gerade die Einbeziehung divergierender Tatsachen- oder Werturteile Dritter erschließt für die Alternativenprüfung ein Potential. Dementsprechend sind Einwendungsverfahren und Erörterungstermine häufig reich an Alternativendiskussionen.70 Diese mögen Zu einer dahingehenden Beibringungslast Griem (Fn. 26), S. 245 ff. Volkmann (Fn. 18), S. 363 (392); vgl. dazu auch die weiterführenden Vorschläge von Griem (Fn. 26), S. 366 ff. (insbesondere S. 384 ff.). 70 Winter (Fn. 17), S. 48. 68 69

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aus der Perspektive des Vorhabensträgers zwar störend sein, bilden aber insbesondere dort, wo die gesetzlichen Vorgaben materiell-rechtlich unbestimmt sind, ein auch mit Blick auf die prozeduralen Wirkungen der grundrechtlichen Schutzpflicht gebotenes Gegengewicht zu dessen Alternativenwahl. Wird der bestehende Alternativen- bzw. Optionenreichtum nicht genutzt, so kann das aus den Vorgaben des mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnisses fließende Ziel der Optimierung der unterschiedlichen Interessen nicht gewährleistet werden. Mit der Alternativenprüfung eng verbunden ist schließlich das Ziel größtmöglicher Akzeptanz der Entscheidung.71 Hieraus folgt zum einen, dass die beteiligten Interessen nicht nur treuhänderisch durch Behörden, sondern auch durch die betroffenen Dritten und dort, wo keine subjektivierten Interessen bestehen, durch gesellschaftliche Treuhänder (z. B. Umweltverbände) wahrzunehmen sind. Und zum anderen bedeutet dies, dass das Verfahren seiner Struktur nach informationsgenerierend, alternativoffen, optimierungszentriert, akzeptanzstiftend und implementationsfördernd angelegt sein muss.72 Vor diesem Hintergrund sind dort, wo die materiell-rechtlichen Vorgaben der Gesetze mit Blick auf die zu bewältigende Komplexität notgedrungen unbestimmter werden, alle beteiligten Interessen entsprechend den herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben mit Verfahrensrechten auszustatten, die ihre effektive Beteiligung sichern. Im Zusammenhang damit muss – nicht zuletzt auch infolge der gebotenen Gleichbehandlung von grundrechtlicher Abwehr- und Schutzdimension – zwischen den beteiligten Interessen in jeder Hinsicht Verfahrens-Chancengleichheit bestehen. Auf diese Weise besteht im hochkomplexen mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis eine Wechselwirkung zwischen der gebotenen Abwägung, der Entscheidungsrichtigkeit, der Verfahrensbeteiligung und der Alternativenprüfung.

71 Wolfgang Hoffmann-Riem, Ökologisch orientiertes Verwaltungsverfahrensrecht, AöR 119 (1994), S. 590 (599 ff.); Thomas Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, S. 257 ff. 72 Vgl. Hoffmann-Riem (Fn. 71), S. 590 (600); Hermann Hill, Umweltrecht als Motor und Modell einer Weiterentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts, UTR 27 (1994), S. 91 (98 ff.); Volkmann (Fn. 18), S. 363 (392, 397); vgl. dazu auch die weiterführenden Vorschläge von Griem (Fn. 26), S. 384 ff. jeweils m. w. N.

Regulierung und Innovationstätigkeit: eine ökonomische Perspektive Von Gert Brunekreeft und Dierk Bauknecht I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 II. Kosten- vs. preisbasierte Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 III. Theoretische Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Überlegungen zu Unbundling und Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Entgeltregulierung und Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 IV. Innovationsorientierte Regulierungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inputorientierte Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Outputorientierte Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hybride Mechanismen: Das britische Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

I. Einleitung Der folgende Beitrag befasst sich mit der Innovationswirkung einer spezifischen Form der Regulierung: der ökonomischen Regulierung natürlicher Monopole. Diese erfolgt meist durch eine sektorspezifische Regulierungsbehörde, die mit einer gewissen Unabhängigkeit ausgestattet ist. Obwohl viele unserer Überlegungen auch auf andere Netzsektoren angewandt werden können, liegt unser Fokus auf dem Stromsektor und den Stromnetzen. Während es weitgehend anerkannt ist, dass die Stromerzeugung und die Belieferung der Endkunden mit Strom wettbewerblich organisiert werden kann, sind die Stromnetze nach wie vor natürliche Monopole, die einer entsprechenden Regulierung bedürfen. Die folgende Abbildung zeigt die Unterteilung des Stromsektors in Wettbewerbs- und Monopolbereiche. Ziel der Regulierung der Netze ist es 1. einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen zu ermöglichen, um Wettbewerb in den vor- und nachgelagerten Stufen (Stromerzeugung, Versorgung der Endkunden) zu ermöglichen; 2. sollen die Höhe und die Struktur der Tarife, die die Netzbetreiber für den Zugang zu ihren Netzen berechnen dürfen, die Kosten der Netzbetreiber widerspiegeln und eine effiziente Netznutzung ermöglichen.

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Gert Brunekreeft und Dierk Bauknecht

Regulierung der monopolistischen Netze Erzeugung Übertragungsnetz Verteilnetz

Verteilnetz

Versorgung

Versorgung Kein Grund zur Regulierung der Wettbewerbsbereiche

Abbildung 1: Monopolistische Netze und Wettbewerbsbereiche im Stromsektor

Die beiden Hauptdimensionen der Regulierung sind die strukturelle Regulierung durch Entflechtung zwischen dem Netz und den Wettbewerbsbereichen und die Regulierung der Netzentgelte. Die folgende Abbildung zeigt die hier untersuchte ökonomische Regulierung im Kontext verschiedener, weiterer Regulierungsbegriffe. Wir fragen nach den Auswirkungen der ökonomischen Regulierung auf Innovationen in den regulierten Unternehmen und den Möglichkeiten einer innovationsfördernden Regulierung. Diese Diskussion steht im Kontext einer breiteren Diskussion um die langfristigen Auswirkungen der Liberalisierung und Regulierung in den Netzsektoren auf Investitionen und Innovationen (Jamasb / Pollitt; Holt; Hirschhausen et al.; Brunekreeft). Die Diskussion hat große Relevanz gewonnen, da die Sorge zugenommen hat, dass zum einen das Investitionsniveau in den Stromnetzen nicht ausreicht und die Versorgungssicherheit gefährdet wird und zum anderen die Entwicklung der umweltfreundlichen dezentralen Stromerzeugung dadurch behindert wird, dass die regulierten Netzbetreiber regulierungsbedingt mangelnde Anreize haben, die Netze entsprechend anzupassen. Wir geben zunächst einen kurzen allgemeinen Überblick über gängige Regulierungskonzepte, der durch die Unterscheidung zwischen kosten- und preisbasierten Regulierungsansätzen strukturiert wird. Im Anschluss beleuchten wir die Auswirkungen dieser Regulierungsansätze auf die Innovationstätigkeit der regulierten Unternehmen. Wir knüpfen dabei an die allgemeinere Analyse der Auswirkungen auf Investitionen der regulierten Unternehmen an. Darauf aufbauend diskutieren wir verschiedene innovationsfördernde Regulierungsansätze.

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Quelle: adaptiert von Baldwin et al. (1998), zitiert in Jordana / Levi-Faur (2004, S. 3).

Abbildung 2: Ökonomische Regulierung im Kontext weiterer Regulierungsbegriffe

II. Kosten- vs. preisbasierte Regulierung Mit der Liberalisierung der Netzsektoren seit den 1980er Jahren und der Beschränkung der Regulierung auf die verbleibenden Monopolbereiche hat auch ein neues Regulierungs-Paradigma Einzug gehalten. Unter dem Schlagwort ,Anreizregulierung‘ hat eine preisbasierte Regulierung vielerorts die zuvor dominante kostenbasierte Regulierung abgelöst. Auch in Deutschland werden die Tarife für Stromnetze von der Bundesnetzagentur ab 2009 auf der Basis der preisbasierten Regulierung festgelegt. Der entscheidende Vorteil der preisbasierten im Gegensatz zur kostenbasierten Regulierung ist ihre Eigenschaft, Anreize für die regulierten Unternehmen zu (produktiven) Effizienzverbesserungen zu setzen – daher auch die Bezeichnung Anreizregulierung. Dieser Vorteil ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass viele der zu regulierenden Industrien aus einem nicht-liberalisierten Markt stammten und deshalb als relativ ineffizient betrachtet werden müssen. Preis- und kostenbasierte Regulierung sind theoretische Extreme. In der Praxis existieren weder strikt kosten- noch preisbasierte Regulierungsmechanismen. Vielmehr zeigen sich Zwischenformen, die mehr oder weniger Elemente der beiden

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Extreme beinhalten. Für die nachfolgende Argumentation werden zur Illustration die beiden Extreme gegenüber gestellt. Die kostenbasierte Regulierung, zum Beispiel die Rate-of-Return-Regulierung, basiert auf einer angemessenen Verzinsung auf die Kosten bzw. die Kapitalbasis. Die genehmigten Preise und Einnahmen müssten streng genommen der Entwicklung der Kosten bzw. der Nachfrage folgen, um die angemessene Verzinsung zu gewährleisten. Im Gegensatz dazu entkoppelt die preisbasierte Regulierung explizit den Bezug zwischen den regulierten Erlösen und den zu Grunde liegenden Kosten. Die zentrale Idee der Anreizregulierung wird in Abbildung 3 illustriert. Der Regulierer bestimmt vor Beginn einer Regulierungsperiode, die meistens 3 bis 5 Jahre dauert, den Preis- oder Erlöspfad, der nicht überschritten werden darf. Die so festgelegte Preis- oder Erlösobergrenze bestimmt demnach für die anstehende Regulierungsperiode die Erlöse, ungeachtet der tatsächlichen Kostenentwicklung.



Erlaubtes Erlösniveau („revenue cap“) = Ausgangserlös * (1+Inflationsrate – Xgenerell – Xindividuell) gegenwärtiges Erlösniveau (= Ausgangserlös)

Beim Netzbetreiber verbleibender Zusatzgewinn Tatsächliche Kosten

t Eine Regulierungsperiode

Abildung 3: Die Wirkungsweise eines Revenue Caps

Falls das regulierte Unternehmen während der Regulierungsperiode Kostensenkungen und damit Effizienzverbesserungen durchführt, die über die regulatorische Vorgabe hinausgehen, kann es die damit einhergehenden Gewinne einbehalten. Umgekehrt trägt das Unternehmen das Risiko unvorhergesehener Kostensteigerungen. Folglich hat das Unternehmen einen Anreiz zur Effizienzverbesserung, so dass von einer Anreizregulierung gesprochen werden kann. Bei einer rein kostenbasierten Regulierung fällt dieser Anreiz weg. Anstrengungen, die Kosten zu senken, werden in diesem System nicht belohnt, da niedrigere

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Kosten in Form von niedrigeren Tarifen direkt an die Konsumenten weitergereicht werden müssen. Demzufolge ist es eher unwahrscheinlich, dass die möglichen Kostensenkungen in vollem Ausmaß überhaupt realisiert werden.

III. Theoretische Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit Im folgenden Abschnitt stellen wir die theoretischen Auswirkungen der Netzregulierung auf Innovationen dar. Wir betrachten dabei die beiden Dimensionen Eigentumsentflechtung (ownership unbundling) und Regulierung der Netzentgelte.

1. Überlegungen zu Unbundling und Innovation Am 19. 09. 2007 hat die Europäische Kommission ihren Entwurf für eine dritte Richtlinie für die Europäischen Energiemärkte vorgestellt. Zum einen beabsichtigt die Kommission die Gründung einer Europäischen Regulierungsbehörde, die sich allerdings überwiegend mit grenzüberschreitenden Themen befassen wird. Zum anderen plant die Kommission weiterführende Maßnahmen zum Thema Entflechtung (unbundling) von Netz und wettbewerblichen Aktivitäten. Letzteres soll der Förderung des Wettbewerbs und des europäischen Strombinnenmarktes dienen. Eine Option ist dabei die Eigentumsentflechtung, bei der die vertikal integrierten Unternehmen ihre Netze (hier Übertragungs- und Fernleitungsnetze) verkaufen müssen. Wie wirkt sich Eigentumsentflechtung auf die Innovationstätigkeit aus? Es liegt nur wenig Theorie oder Empirie zu dieser Thematik vor. Eine empirische Studie von Cohen und Sanyal kommt zu dem Ergebnis, dass die Kombination von preisbasierter Regulierung und Entflechtung von Netz und Kraftwerken negative Konsequenzen auf die F&E-Ausgaben hat. Jamasb und Pollitt (S. 15) erwähnen wenige Studien, die eine positive Relation zwischen Integration und F&E Aktivitäten aufweisen. Nachfolgende theoretische Bemerkungen sollten als vorläufige Überlegungen und nicht als feststehende Einsichten verstanden werden. Es muss erwartet werden, dass Entflechtung zumindest kurzfristig tendenziell zu weniger Innovations- bzw. F&E-Aktivitäten führt. Folgende Gründe sprechen für diese These.  Erstens ist aus der Literatur bekannt, dass viel F&E bei tendenziell größeren Firmen bzw. in Industrien mit größeren Spielern stattfindet. Entflechtung zielt auf die Stärkung des Wettbewerbs und fragmentiert demensprechend die Branche, was zu kleineren Firmen und damit zu weniger F&E-Akivität führt. Allerdings sprechen zwei Gegenargumente dagegen. Zum einen betrifft die F&E, über die wir hier diskutieren, vor allem die Netze, deren Größe von Entflechtung unberührt bleibt. Wenn überhaupt würde man erwarten, dass Entflechtung den Zusammenschluss von Netzbetreibern fördert. Zum anderen müssten wir auch

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erwarten, dass auch wenn der Wettbewerb gestärkt wird, die großen Spieler auf dem Markt groß bleiben. Branchenbeobachter erwarten sogar, dass die Konzentration steigt.  Zweitens unterliegt F&E bekanntlich dem Trittbrettfahrerproblem, da die Ergebnisse und Einsichten typersicherweise auf andere Unternehmen übertragen werden. Patente und Schutz von Eigentumsrechten können das Problem nur teilweise lösen. Das Trittbrettfahrerproblem impliziert, dass jedes einzelne Unternehmen auf die F&E-Aktivitäten der anderen spekuliert und entsprechend zu wenig in F&E investieren wird. Dies hat zur Folge, dass insgesamt zu wenig F&E-Aktivität stattfindet. Wie oben trifft aber dieses Argument auf den Wettbewerbsbereich und weniger auf den Netzbereich zu. Das Trittbrettfahrerproblem tritt zudem auch in der vertikalen Beziehung zwischen Netz und wettbewerblichen Aktivitäten auf. Andererseits wird auch häufig die Schumpeter’sche These postuliert, dass gerade der Wettbewerb Innovation fördert, weil Innovation wettbewerblichen Vorsprung bedeuten kann.  Drittens ist F&E häufig mit Risiken behaftet. In einem vertikal integrierten Stromsektor wären die Risiken innerhalb einer Firma auf verschiedene Marktsegmente verteilt und es läge eine effektive Risikodiversifizierung vor.  Viertens liegen Informationsprobleme vor. Die Anforderungen an die Netzentwicklung hängen in entscheidendem Maße von den Entwicklungen auf der Seite der Kraftwerke und der Verbraucher ab. Durch die hohe Interaktivität zwischen Netz, Last und Erzeugung sollten Innovationen und F&E in diesen Bereichen genauestens aufeinander abgestimmt sein. Diese Interaktion offenbart sich sehr stark beim Ausbau der dezentralen Erzeugung und der Entwicklung des Verteilnetzes.  Fünftens und unmittelbar mit dem dritten Punkt verknüpft, können in einer entflechteten Situation Anreizprobleme entstehen. Durch Innovation hervorgebrachte Vorteile in Form höherer Netzqualität können zumindest zum Teil bei den Netznutzern anfallen, anstatt beim Netzbetreiber. Abhängig von der Vertragsgestaltung und / oder der Entgeltregulierung ist unter solchen Umständen nicht offensichtlich, dass der Netzbetreiber effiziente Anreize für Innovation hat.

2. Entgeltregulierung und Innovationen Es gibt Gründe anzunehmen, dass „Anreizregulierung“ tendenziell investitionshemmend und kostenbasierte Regulierung investitionsfördernd wirkt. Preisbasierte Anreizregulierung wirkt sich positiv auf die kurzfristige Effizienz oder Produktivität aus, aber es ist nicht offensichtlich, dass sie auch positive Anreize für langfristige Investitionen gibt. Diese generellen Überlegungen zu Investitionen können auf Innovationstätgkeit bzw. F&E-Ausgaben übertragen werden. Auch hier gilt, dass die nachfolgenden theoretischen Bemerkungen als vorläufige Überlegungen und nicht als feststehende Einsichten verstanden werden sollten.

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Folgende Argumente sprechen dafür, dass sich die preisbasierte Regulierung negativ auf Investitionen auswirken kann (vgl. z. B. Brunekreeft):  Preisbasierte Regulierung erhöht Risiken.  Preisbasierte Regulierung ist anfällig für Probleme der zeitlichen Inkonsistenz.  Preisbasierte Regulierung verringert Qualitätsanreize.  Preisbasierte Regulierung vermeidet den „gold-plating“ Effekt.  Preisbasierte Regulierung kann Neuinvestitionen verzögern.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass es für die preisbasiert regulierten Unternehmen doch sehr verführerisch ist, gewinnbringend die Kosten zu senken, indem in großem Stil F&E-Ausgaben gestrichen werden (Holt). Langfristig kann das natürlich nicht nachhaltig sein. Hier führen wir nur das fünfte Argument des Investitionszeitpunktes aus. Für Ausführungen zu den ersten vier Punkte sei auf Brunekreeft verwiesen. Bei der Analyse des Investitionszeitpunkts gilt es zwischen Ersatzinvestitionen und Erweiterungsinvestitionen zu unterscheiden. Bei der Analyse des Investitionszeitpunktes ist die explizite Herausarbeitung eines dynamischen Elements notwendig, weil sonst nie investiert wird. Borrmann und Brunekreeft1 arbeiten gleich mit zwei dynamischen Elementen: Mit „Verschleiß“, als Generator von Ersatzinvestitionen und mit „Nachfragewachstum“ als Antriebsgröße für Erweiterungsinvestitionen. Verschleiß erhöht die variablen Produktionskosten (OPEX) im Zeitablauf, während eine Ersatzinvestition auf Kosten höherer Kapitalkosten (CAPEX) die variablen Kosten auf einem Schlag verringert. Nachfragewachstum erweitert den Markt, was bei gleichem Absatzpreis eine größere Absatzmenge erlaubt. Eine Erweiterungsinvestition erlaubt also eine höhere Ausbringungsmenge auf Kosten höherer Kapitalkosten. Dieser Analyserahmen kann auf den Fall der Innovationstätigkeit übertragen werden. Bei Innovationen unterscheiden wir „Prozessinnovation“ und „Produktinnovation“. Eine Prozessinnovation steigert die Effizienz der Produktion, was für unsere Zwecke mit einer Ersatzinvestition zu Verringerung der variablen Produktionskosten gleichkommt. Eine Produktinnovation erweitert, formal gesehen, die Zahlungsbereitschaft der Kunden und erweitert somit die Nachfrage. Die Produktinnovation kommt somit der Erweiterungsinvestition gleich. Zudem ist Produktinnovation mit Qualitätsverbesserung vergleichbar, was zur bekannten Diskussion über Qualitätsregulierung führt. Die Auswirkungen des Regulierungsrahmens auf den Investitionszeitpunkt sind für die beiden Innovationstypen unterschiedlich. Unter Vorbehalt können folgende Thesen aufgestellt werden.  Für Prozessinnovationen führt preisbasierte Regulierung zu nicht eindeutigen Anreizen. Einerseits macht die Firma eine „effiziente“ Abwägung zwischen 1 Jörg Borrmann / Gerd Brunekreeft, Regulation and the timing of monopoly investment, mimeo, 2008. Das Arbeitspapier ist auf Anfrage von den Autoren erhältlich.

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höheren F&E-Ausgaben und niedrigeren Produktionskosten, was für eine preisbasierte Regulierung spricht. Die „Effizienz“ hängt von der Höhe des Entgeltniveaus ab. Andererseits erhöht die preisbasierte Regulierung aus verschiedenen Gründen die unternehmerische und Regulierungsunsicherheit im Vergleich zu kostenbasierter Regulierung. Ausführungen dazu finden sich z. B. bei Brunekreeft. Das kann dazu führen, dass das Innovationsniveau unter dem gesellschaftlich gewünschten Niveau liegt.  Für Produktinnovationen führt preisbasierte Regulierung tendenziell zu geringen Innovationsaktivitäten. Das Argument kann in der Extremfassung intuitiv dargestellt werden. Nehmen wir an, dass es sich bei der Produktinnovation um ein völlig neues Produkt handelt. Dann sagt die These im Grunde, dass je höher der erlaubte Preis ist, desto schneller wird die Innovation getätigt. Kostenbasierte Regulierung macht genau das: sie erhöht die regulierten Entgelte mit der Investition, während preisbasierte Regulierung genau das vermeidet, und stattdessen auf eine Art „Durchschnittsniveau“ setzt.

Das Fazit aus beiden Punkten folgt direkt: Falls hohe Innovationsaktivitäten das Ziel sind, ist die kostenbasierte Berücksichtigung der Innovationskosten empfehlenswert. Wir betonen aber explizit, dass das Ziel höherer oder schnellerer Innovationstätigkeiten nicht gleich zu setzen ist mit effizienter Innovationstätigkeit. Es kann auch zu viel oder zu schnell in Innovation investiert werden.

IV. Innovationsorientierte Regulierungsmechanismen Nachdem wir dargestellt haben, über welche Mechanismen sich die kosten- bzw. preisbasierte Regulierung auf das Innovationsverhalten der regulierten Unternehmen auswirken kann, geben wir nun einen Überblick darüber, mit welchen Instrumenten die Regulierung auf eventuelle Innovationsdefizite reagieren kann. Auch hierbei ist die Unterscheidung zwischen kosten- und preisbasierten Mechanismen grundlegend. Grundsätzlich stehen der Regulierung zwei Ansatzpunkte für die Berücksichtigung von Innovationen zur Verfügung: zum einen der Innovationsinput, also vor allem die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Demonstration, zum anderen die Innovationen selbst, also die Outputs der F&E-Aktivitäten eines Unternehmens. Inputorientierte Maßnahmen entsprechen der bereits dargestellten kostenbasierten Regulierung, während outputorientierte Maßnahmen preisbasierte Regulierungsmechanismen nutzen. Großbritannien ist bislang das einzige Land in der EU und soweit uns bekannt auch darüber hinaus, das im Rahmen der Netzregulierung explizite Mechanismen zur Förderung von Netzinnovationen verankert hat. Das für die Energienetzregulierung zuständige Office of Gas and Electricity Markets (OfGEM) begründet diese Mechanismen damit, dass einerseits die Forschungsintensität in den Netzunterneh-

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men zurück gegangen ist und unter jener anderer Branchen liegt2. Andererseits konstatiert die Behörde ein gegenwärtig hohes Innovationspotenzial in den Netzen, sowie aufgrund eines sich verändernden Stromsystems auch einen hohen Innovationsbedarf (Ofgem 2004 [Final Proposal / Rgulatory Impact Assessment / Appendix]). Das Ofgem ist damit sowohl ein genereller Vorreiter bei der Einführung und Weiterentwicklung der preisbasierten Anreizregulierung, als auch bei der Implementierung spezifischer Mechanismen, mit dem Ziele wie die Innovationsförderung adressiert werden sollen. Wir werden bei der Darstellung so genannter hybrider Mechanismen detaillierter auf diese Instrumente eingehen. In Deutschland soll ab 2009 eine Anreizregulierung für die Stromnetze eingeführt werden. Netzinnovationen wurden von der Bundesnetzagentur für den Stromsektor bislang allerdings nicht thematisiert. Ein Grundproblem, mit dem der Regulierer bei der Implementierung innovationsspezifischer Instrumente konfrontiert ist, ist, dass auf der einen Seite zwar Innovationen gefördert werden sollen, dass auf der anderen Seite die regulierten Unternehmen aber auch hierbei möglichst effizient sein sollen. Forschung und Entwicklung sollen nicht um ihrer selbst Willen stattfinden. Und Innovationen sollen nicht nur deshalb entwickelt werden, weil sie vom Regulierer belohnt werden, sondern weil sie zu langfristigen Kostensenkungen führen oder die Qualität und Leistungsfähigkeit der Netze verbessern. 1. Inputorientierte Maßnahmen Inputorientierte Maßnahmen basieren darauf, dass die Kosten, die dem Unternehmen für F&E entstehen, in der Regulierung explizit berücksichtigt werden. Dabei stellen sich zwei Fragen: Erstens ist zu klären, ob derartige Aktivitäten von der Regulierungsbehörde überhaupt als notwendig angesehen und bei der Kostenanerkennung entsprechend berücksichtigt werden. Die Anerkennung der Kosten ist bereits ein deutliches Signal an die Netzbetreiber, sich nicht nur auf kurzfristig zu erzielende Effizienzgewinne zu konzentrieren, sondern auch längerfristige und mit Risiko behaftete Optionen zu testen. Oder stellt sich die Regulierungsbehörde auf den Standpunkt, dass Netzbetreiber nicht selbst Geld für Innovationen ausgeben sollten und diese Kosten entsprechend unnötig die Netznutzungsentgelte erhöhen würden bzw. als ineffiziente Kosten zu gelten haben? Falls die Regulierungsbehörde den Netzbetreibern grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, in F&E tätig zu sein und die damit zusammenhängenden Kosten entsprechend grundsätzlich anerkennt, stellt sich zweitens die Frage, ob diese Kosten wie andere Kosten behandelt werden. Oder wird anerkannt, dass die Kosten von Forschung und Entwicklung eventuell einer differenzierteren Regulierung unter2 Der direkte Vergleich mit anderen Branchen ist eventuell irreführend, weil dort andere Innovationssysteme mit einer anderen Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Unternehmen vorhanden sein können.

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worfen werden müssen, um die besonderen Unsicherheiten und die Zukunftsgerichtetheit dieser Kosten berücksichtigen zu können? Grundsätzlich können bei der kostenbasierten Regulierung zwei Ansätze unterschieden werden, die je nach Regulierungsregime unterschiedlich kombiniert werden können: erstens eine direkte Kostenerstattung (cost pass-through) und zweitens die regulatorische Behandlung von F&E-Ausgaben als Investitionskosten (capitalisation). Bei der direkten Kostenerstattung können Netzbetreiber die Kosten, die durch F&E entstehen, direkt an die Netzkunden, die ein Netzentgelt bezahlen, weitergeben. Die Kosten werden so behandelt, als könnten sie vom Netzbetreiber nicht beeinflusst werden. Dieser Mechanismus sichert die regulierten Netzbetreiber gegen das Kostenrisiko von F&E und überträgt das Risiko auf die Netzkunden. Den Netzbetreibern wird so ein ökonomisches Argument gegen F&E genommen. Die Begründung dafür, dass die Netznutzer die Forschungs-Ausgaben finanzieren, ist, dass sie zu Beginn der folgenden Regulierungsperiode auch von den dadurch zu erzielenden Effizienzgewinnen profitieren können, wenn die Kosten der Verteilnetzbetreiber neu erhoben und Kostenreduktionen an die Netznutzer weitergegeben werden. Die Netznutzer tragen also einen großen Teil der Kosten einschließlich der Risiken, können dafür aber auch von den Innovationsgewinnen profitieren. Beim zweiten Ansatz werden F&E-Kosten grundsätzlich nicht als Betriebsausgaben, sondern als Investitionen behandelt, d. h. die Kosten werden in das regulierte Anlagevermögen eingestellt und abgeschrieben. Dem Netzbetreiber wird es so ermöglicht, die Kosten nicht nur direkt an die Netzkunden weiterzugeben, sondern zusätzlich auf diese Ausgaben eine Rendite zu erzielen. F&E-Ausgaben werden für die Unternehmen entsprechend attraktiver. Begründet werden kann dieses Vorgehen damit, dass die Ausgaben zukunftsorientiert sind, und erst in späteren Jahren einen Nutzen generieren (Holt). Es gibt einige Hinweise darauf, dass eine Behandlung von F&E-Ausgaben als Investitionen dazu führt, dass die regulierten Unternehmen ihre F&E-Ausgaben erhöhen (z. B. Mayo / Flynn). Das Problem dabei ist, dass die Unternehmen vor allem einen Anreiz haben, ihre F&E-Ausgaben zu erhöhen, auf die sie eine Rendite erzielen können – unabhängig von den tatsächlich entwickelten Innovationen. Bei allen Mechanismen, die eine Sonderbehandlung von innovationsbezogenen Kosten vorsehen, stellt sich das Problem der Abgrenzung von F&E-Ausgaben. Es besteht die Gefahr, dass die Netzbetreiber versuchen, möglichst viele Kosten zu Innovationskosten zu erklären, auch solche, die in anderen Bereichen angefallen sind. Das F&E-Budget, das direkt an die Kunden weitergereicht oder als Kapitalkosten behandelt wird, sollte deshalb in jedem Fall nach oben begrenzt werden.

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2. Outputorientierte Maßnahmen Im Gegensatz zu den inputorientierten Mechanismen setzen outputorientierte Maßnahmen nicht an den Kosten für F&E an, sondern an den tatsächlich entwickelten und umgesetzten Innovationen. Unter einem solchen Regime wird den Unternehmen für erfolgreich umgesetzte Innovationen eine Erhöhung der Erlösoder Preisobergrenze, der sie im Rahmen der „Anreizregulierung“ unterliegen, zugestanden. Ein solcher Ansatz entspricht damit der preisbasierten Regulierung. Outputorientierte Maßnahmen geben den Netzbetreibern im Gegensatz zu inputorientierten Mechanismen einen stärkeren Anreiz für effiziente und effektive F&E. Die Unternehmen können keine Rendite auf die Forschungskosten erzielen, sondern können nur dann von den tatsächlich realisierten Innovationen profitieren. Denn nur dann wird ihre Preis- oder Erlösobergrenze entsprechend erhöht. Das zentrale Problem, das sich der Regulierungsbehörde bei diesem Ansatz stellt, ist, wie Innovationen ermittelt und bewertet werden können. Sie könnte sich an Innovationsindikatoren, wie zum Beispiel Patenten orientieren (Holt, S. 4). Allerdings werden sich die Innovationsaktivitäten der Netzbetreiber nur in den wenigsten Fällen in Patenten niederschlagen, da Netzbetreiber vor allem im Bereich der Umsetzung und Demonstration von Innovationen aktiv sind. Alternativ können Innovationen in einem ex ante festgelegten Bereich adressiert werden. So wird in den britischen Registered Power Zones der innovative Anschluss dezentraler Erzeugung einer regulatorischen Sonderbehandlung unterworfen (siehe unten unter IV.3). Aus Sicht der Netzbetreiber sind output-orientierte Instrumente insofern problematisch, als sie dadurch zwar zusätzliche Erlöse erwirtschaften können, wenn sie eine Innovation erfolgreich umsetzen und die Kosten unter der Erhöhung der Erlösobergrenze liegen. Gleichzeitig tragen sie damit aber weiterhin das Risiko, dass eine F&E-Aktivität entweder nicht zum Erfolg führt oder nur zu relativ hohen Kosten. 3. Hybride Mechanismen: Das britische Beispiel Wie wir in Abschnitt II. dargestellt haben, handelt es sich bei der kosten- bzw. preisbasierten Regulierung um theoretische Extreme, die in verschiedenen Mischformen auftreten können, die oft als hybride Mechanismen bezeichnet werden. Dabei ist zum einen festzustellen, dass die beiden Regulierungsansätze in der praktischen Umsetzung nicht mehr so deutlich voneinander zu unterscheiden sind. Darüber hinaus können sie aber auch gezielt kombiniert werden, um den regulierten Unternehmen bestimmte, austarierte Anreize zu geben. In unserem Fall geht es um Anreize für effiziente Innovationen. Ein praktisches Beispiel für die Förderung von Netzinnovationen durch hybride Mechanismen findet sich in Großbritannien. Der dortige Regulierer Ofgem hat im Rahmen des Distribution Price Control Review 2005 zwei Instrumente eingeführt,

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die speziell auf Netzinnovationen ausgerichtet sind. Das so genannte Innovation Funding Incentive (IFI) soll netzbezogene Forschung & Entwicklung fördern, während die so genannten Registered Power Zones (RPZ) innovative Demonstrationsprojekte zum Anschluss dezentraler Erzeugung unterstützen sollen. In Großbritannien werden F&E-Ausgaben nicht als Investitionskosten behandelt, aber die Netzbetreiber können sie im Rahmen des IFI zu durchschnittlich 80 % direkt an die Netzkunden weitergeben. Das Volumen ist begrenzt und es dürfen nur bis zu 0,5 % der regulierten Erlöse für IFI-Projekte aufgewendet werden. Eine schwer nachzuvollziehende Einschränkung besteht darin, dass Netzbetreiber nur bis zu 15 % des erlaubten Budgets für eigene Forschungstätigkeit ausgeben dürfen. Die Projekte werden daher typischerweise von Dritten (z. B. Forschungsinstituten) durchgeführt. Durch die Kostenerstattung von 80 % werden die Netzbetreiber vom größten Teil des Kostenrisikos abgeschirmt. Die verbleibenden 20 % der Kosten unterliegen aber weiterhin der preisbasierten Regulierung und werden behandelt wie andere Kosten des Netzbetreibers auch. Sie sollen den Netzbetreibern einen Anreiz zu geben, Projekte zu finanzieren, die in ihrem Netz tatsächlich zu Qualitätsverbesserungen oder Kostensenkungen führen. Denn nur so kann der Netzbetreiber die 20 % der Kosten, die nicht direkt an die Kunden weitergegeben werden, kompensieren. Ein weiteres praktisches Beispiel für ein regulatorisches Instrument, das Innovationen fördern soll und kosten- und preisbasierte Mechanismen kombiniert, sind die Registered Power Zones (RPZ) in Großbritannien. Im Gegensatz zum IFI, das grundlegende Entwicklungsarbeit fördern soll, zielt das RPZ-Instrument auf die Umsetzung innovativer Netzkonzepte beim Anschluss dezentraler Kraftwerke in Demonstrationsprojekten. Auch beim RPZ können die Kosten zu 80 % direkt an die Netzkunden weitergereicht werden, und wie beim IFI unterliegen die verbleibenden 20 % der preisbasierten Regulierung. Allerdings erhöhen sich beim RPZ die erlaubten Erlöse für 15 Jahre, und zwar für fünf Jahre um jährlich 4.5 £ pro angeschlossenen kW, danach für weitere zehn Jahre um jährlich 1,5 £ / kW. Bei diesem Mechanismus wurde also zusätzlich zur Kostenweitergabe ein Outputkriterium in Form der angeschlossenen Kraftwerksleistung definiert, mit dem die erlaubten Erlöse variiert werden. Wie beim IFI wurde auch hier eine Obergrenze festgelegt: Die zusätzlichen Erlöse, die von Netzbetreibern mit RPZs erzielt werden können, dürfen 0,5 £ mio pro Jahr pro Netzbetreiber nicht übersteigen. Beide Instrumente – IFI und RPZ – verknüpfen kosten- mit preisbasierten Elementen und zielen darauf ab, das Kosten- und Nutzenrisiko von Innovationen zwischen Netzbetreibern und Netzkunden aufzuteilen. Mit den kostenbasierten Elementen beseitigen sie für den Netzbetreiber einen großen Teil des Kostenrisikos, das mit Innovationen verbunden ist und übertragen es auf die Netzkunden, die von Innovationen profitieren sollen. Sie beseitigen damit eine Hürde für F&E-Aktivitäten der regulierten Unternehmen. Gleichzeitig tragen die Unternehmen mit dem

Regulierung und Innovationstätigkeit

255

preisbasierten Element aber weiterhin einen Teil des Risikos und haben so einen Anreiz, ihre zusätzlichen F&E-Aktivitäten möglichst effizient zu gestalten und Innovationen erfolgreich umzusetzen.

V. Schlussbemerkung Der Beitrag hat skizziert, dass sich die ökonomische Regulierung natürlicher Monopole negativ auf das Innovationsverhalten der regulierten Unternehmen auswirken kann. Vor diesem Hintergrund haben wir verschiedene Ansätze und praktische Beispiele aus Großbritannien dargestellt, wie eine innovationsfördernde Regulierung gestaltet werden kann. Wir haben unterschieden zwischen kosten- und preisbasierter Regulierung und haben dargestellt, warum eine Kombination der beiden Ansätze geeignet ist, den regulierten Unternehmen effiziente Anreize für Innovationen zu geben. Abschließend stellen wir die ökonomische Regulierung, die wir in diesem Kapitel beleuchtet haben, der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung gegenüber, die den Hintergrund für diesen Band bildet. Tabelle 1 Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung und ,moderne‘ Regulierungsökonomie im Vergleich Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung

,Moderne‘ Ökonomische Regulierung

Problembeschreibung

Grenzen der Zweckerreichung, wenn sie Interessen der Regulierten zuwider laufen

Regulierer und Regulierte als Principalagent-Setting, Informationsasymmetrie zwischen den beiden

Lösungsansatz

Anreizsteuerung und Kontextsteuerung „Für innovationsbezogenes Recht sind die Typen der Regulierung besonders wichtig, bei denen hoheitliche Regulierung auf selbstregulative Prozesse ausgerichtet ist; von besonderer Bedeutung ist die hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung.“ (Forschungsprojekt Innovationsrecht)

,Anreizregulierung‘ Steuerung durch ökonomische Anreize, Ökonomische Rahmensetzung für Lernund Suchprozesse in den regulierten Unternehmen

In den beiden Diskursen zeigen sich vergleichbare Entwicklungen: Beide gehen von der Erkenntnis aus, dass die Regulierer nicht unmittelbar das Handeln der Regulierten steuern können, sondern deren Eigeninteresse berücksichtigen müssen. In der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, die an die allgemeinere Governanceforschung anschließt, ist entsprechend von Anreiz- und Kontextsteue-

256

Gert Brunekreeft und Dierk Bauknecht

rung die Rede. Analog dazu hat sich in der ökonomischen Regulierung der Begriff der Anreizregulierung etabliert. Hier soll vor allem das ökonomische Eigeninteresse der regulierten Unternehmen genutzt werden, um die Ziele des Regulierers zu erreichen. Das vorliegende Kapitel hat untersucht, wie diese Anreize so gestaltet werden können, dass Innovationen in den Netzen gefördert werden.

Literatur Brunekreeft, Gerd: Regulation of Network Charges, erscheint in: Andreas Bausch / Burkhard Schwenker (Hrsg.): Handbook of Utility Management, Berlin, Heidelberg: Springer, 2008. Cohen, Linda R. / Sanyal, Paroma: R&D Choice in Restructured Industries: In-house v / s Collaborative Research in the US Electricity Industry, Download von: SSRN, http: // ssrn.com / abstract= 556645. Hirschhausen, Christian von / Beckers, Thorsten / Brenck, Andreas: Infrastructure regulation and investment for the long-term – an introduction, in: Utilities Policy, Heft 4, 2004, S. 203 – 210. Holt, Derek: Where has the innovation gone? R&D in UK utility regulation, in: Oxera: Agenda, November 2005. Jamasb, Tooraj / Pollitt, Michael: Deregulation and R&D in Network Industries: The Case of the Electricity Industry, University of Cambridge CWPE 0533 and EPRG 02, 2005. Jordana, Jacint / Levi-Faur, David: The Politics of Regulation in the Age of Governance’, in: dies. (Hrsg.): The Politics of Regulation, Cheltenham: Edward Elgar, 2004, S. 1 – 28. Mayo, John W. / Flynn, Joseph E.: The effects of regulation on research and development: theory and evidence, in: Journal of Business, Heft 3, 1988, S. 321 – 336. Ofgem (Office of Gas and Electricity Markets): Electricity Distribution Price Control Review – Final Proposals, London, 2004a. – Electricity Distribution Price Control Review – Regulatory Impact Assessment for Registered Power Zones and the Innovation Funding Incentives, London, 2004b. – Electricity distribution price control review. Appendix – Further details on the incentive schemes for distributed generation, innovation funding and registered power zones, London, 2004c.

Technologieförderung durch eingerichtete Märkte: Erneuerbare Energien Von Jens-Peter Schneider I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Pluralismus der Fördermodelle für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Die unterschiedliche Nutzung eingerichteter Märkte bei der Förderung von EEStrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Nutzung allgemeiner Marktmechanismen durch indirekte Förderinstrumente . . . 260 2. Einrichtung von Märkten durch Instrumente der direkten Mengensteuerung . . . . 261 3. Sonderrechte auf allgemeinen Märkten durch Instrumente der direkten Preissteuerung mit Abnahmezwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV. Effektivität und Effizienz ausgewählter direkter Förderinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Empirische Modellevaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2. Stärken und Schwächen der Technologieförderung durch regulierte Einspeisevergütungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Stärken und Schwächen der Technologieförderung durch regulatorische Mengensteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 V. Technologieförderung durch eingerichtete Märkte: Allgemeine Lehren aus den Erfahrungen der EE-Stromförderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 VI. Der Kommissionsvorschlag vom 23. 01. 2008 für eine Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

I. Einführung Die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gehört seit den 1990er Jahren zum festen Kanon der deutschen Umweltpolitik. Dabei hat sich die deutsche Umweltpolitik verschiedenener Instrumente bedient. Im Zentrum steht allerdings die finanzielle Förderung der Einspeisung von Strom, der aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wurde (im Folgenden kurz EE-Strom), durch gesetzlich festgesetzte Einspeisetarife, die die Anlagenbetreiber von den nächstgelegenen Netzbetreibern erhalten. Für unseren Zusammenhang stellt sich somit zunächst die Frage, inwieweit dadurch ein Markt eingerichtet wird. Wichtiger für den Gesamtkontext des Bandes ist allerdings eine Beurteilung der innovationsfördernden Wirkung dieses Steuerungsansatzes.

258

Jens-Peter Schneider

Bei der Innovationswirkung sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Einerseits stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit der Förderung von EEStromerzeugung überhaupt. EE-Stromerzeugung wird nämlich nicht um ihrer selbst willen gesetzlich gefördert, sondern insbesondere im Interesse des Klimaschutzes. Diese Grundsatzfrage wird im Folgenden jedoch nicht vertieft. Da inzwischen auch auf europäischer Ebene Einigkeit hinsichtlich des politischen Ziels einer verstärkten Nutzung von EE-Strom besteht, soll dieses Ziel trotz gelegentlich vorgebrachter energiewirtschaftlicher Einwände jedenfalls bezüglich des Umfangs des Zuwachses an EE-Stromerzeugungskapazitäten 1 bzw. genereller innovationstheoretischer Bedenken hinsichtlich technologiespezifischer Steuerungsansätze2 in der Umweltpolitik hier als gegeben hingenommen werden. Gegenstand der Untersuchung sind vielmehr verschiedene Formen der Förderung der EE-Stromerzeugung, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eingesetzt werden (B.). Diese sollen einerseits darauf untersucht werden, in welchem Umfang Marktmechanismen genutzt werden (C.). Andererseits ermöglicht der reale Fördermodellpluralismus theoretische Aussagen zu ihrer Fördereffektivität und Fördereffizienz empirisch zu überprüfen (D.). Daran schließt sich die Frage an, inwieweit die hierbei gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinerbar sind (E.). Abschließend wird der Richtlinienvorschlag der Kommission vom 23. 1. 2008 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen analysiert (F.).

II. Pluralismus der Fördermodelle für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in Europa Fördermodelle für erneuerbare Energien sind in regulatorische und freiwillige Modelle einzuteilen. Innerhalb dieser beiden Gruppen kann weiter zwischen direkt und indirekt wirkenden Instrumenten unterschieden werden. Diese Hauptkategorien können weiter aufgegliedert werden3. Da im Zentrum der heutigen Debatten die regulatorischen Modelle stehen, beschränkt sich die folgende Darstellung auf diese. Zu den indirekten Förderstrategien zählen allgemeine Umweltabgaben und Verschmutzungszertifikate. Größere Bedeutung für die Unterstützung erneuerbarer Christian Bartsch, „Und was passiert bei Windstille?“, FAZ v. 29. 01. 2008, S. 14. Zur insoweit vergleichbaren KWK-Förderung: Jens-Peter Schneider, Klimaschutzorientierte Innovationssteuerung am Beispiel der Kraft-Wärme-Kopplung – Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Eifert / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung – Schlüsselbegriffe und Anwendungsbeispiele rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, 2002, S. 264 ff.; vgl. ferner Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2000, Tz. 1491 f. 3 Vgl. dazu die Systematisierung von Reinhard Haas et al., Promotion Strategies for Electricity from Renewable Energy Sources in EU Countries, S. 20 Abrufbar unter www.eeg.tu wien.ac.at (zuletzt abgerufen am 28. 02. 2008). 1 2

Erneuerbare Energien

259

Energien kommt bislang aber direkten Förderinstrumenten zu. Dabei stehen sich im Wesentlichen zwei Fraktionen gegenüber4: Zur ersten gehören insbesondere Dänemark, Deutschland, Spanien und inzwischen die Mehrzahl der Mitgliedstaaten5. Diese Länder präferieren eine Preissteuerung mittels festgelegter Einspeisevergütungen, wobei es innerhalb dieser Gruppe sehr unterschiedliche Ausgestaltungen gibt. Die zweite Fraktion besteht aus Belgien, Schweden, Italien und dem Vereinigten Königreich und präferiert eine Mengensteuerung mit handelbaren Zertifikaten6. Hinzuzurechnen ist noch Polen, das allerdings noch auf einen Zertifikatshandel verzichtet. Der dadurch entstehende Modellwettbewerb wird von der EG-Richtlinie von 2001 zur Förderung erneuerbarer Energien im Elektrizitätsbinnenmarkt 7 nicht eingeschränkt, sondern sogar durch Zielvorgaben und die regelmäßige Berichterstattung der Kommission befördert8. In ihrem Bericht vom Dezember 2005 bewertete die Kommission den Modellwettbewerb noch positiv, verzichtete auf Harmonisierungsinitiativen und bevorzugte eine Förderung von Kooperationen zwischen Mitgliedstaaten mit ähnlichen Fördersystemen sowie eine Optimierung der nationalen Systeme9. In ihrem Fahrplan für erneuerbare Energien vom Januar 2007 plädierte 4 Vgl. Jens-Peter Schneider, Europäische Modelle der Förderung regenerativer Energien, in: Hendler / Marburger / Reinhardt / Schröder (Hrsg.), Energierecht zwischen Umweltschutz und Wettbewerb, 2002, S. 71 ff.; Haas et al. (Fn. 3), S. 20; Mitteilung der Kommission – Förderung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, KOM (2005) 627 endg., insbesondere S. 25, 26; Danyel Reiche / Mischa Bechberger, Erneuerbare Energien in den EU Staaten im Vergleich, ET 2005, S. 732 (734); Tim Maxian Rusche, Die beihilferechtliche Bewertung von Förderregelungen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, ZNER 2007, S. 143 ff.; Volker Oschmann / Mario Ragwitz / Gustav Resch, Die Förderung von Strom aus Erneuerbaren Energien in der Europäischen Union – praktische Erfahrungen und rechtliche Perspektiven, ZNER 2006, S. 7 ff. 5 Mitteilung der Kommission (Fn. 4), S. 4; Reiche / Bechberger (Fn. 4), 735; Fabian Pause, Die Neuregelung der Vergütung von Strom aus Erneuerbaren Energien in Spanien, ZNER 2007, S. 398 ff. 6 Mitteilung der Kommission (Fn. 4), S. 5; zu diesem Modell ausführlich: Jens-Peter Schneider, Energieumweltrecht: Erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung, Energieeinsparung, in: Schneider / Theobald (Hrsg.) Handbuch zum Recht der Energiewirtschaft, 1. Auflage, München 2003, § 18 Rn. 43 f. 7 RL 2001 / 77 / EG, ABl. EG 2001, Nr. L 283 S. 33 ff. 8 Zum europäischen Modellwettbewerb s. Schneider (Fn. 4), S. 71 ff.; s. ferner: Harry Lehmann / Stefan Peter (ISuSI), Endbericht: Analyse der Vor- und Nachteile verschiedener Modelle zur Förderung des Ausbaus von Offshore-Windenergie in Deutschland für das BMU, 2005. 9 Mitteilung der Kommission (Fn. 4), S. 16, ergänzend hierzu mit Betonung der durch Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesetzten Grenzen einer Harmonisierung: Oschmann / Ragwitz / Resch (Fn. 4), S. 7 ff.; mit der Koordinierung der Vielfalt von Fördermodellen setzt sich auch das EU-Projekt REALISE-Forum auseinander, das von Instituten und Organisationen aus fünf Ländern durchgeführt wird: vgl. dazu Maria Rosaria Di Nucci / Sybille Tempel, Zukunft der Fördersysteme für erneuerbare Energien in Deutschland und Europa, ET 2006, Heft 9, S. 60 f., s. auch www.realise-forum.net.

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Jens-Peter Schneider

die Kommission demgegenüber – wegen der negativen Erfahrungen im Gesetzgebungsverfahren für die geltende EE-RL zu Recht vorsichtig – für eine Harmonisierung der Förderprogramme als langfristiges Ziel bei der anstehenden Fortentwicklung des europäischen Rechtsrahmens für erneuerbare Energien10. Inwieweit der Richtlinienvorschlag vom Januar 2008 dieses Ziel umsetzt wird noch zu diskutieren sein (unten F.).

III. Die unterschiedliche Nutzung eingerichteter Märkte bei der Förderung von EE-Strom 1. Nutzung allgemeiner Marktmechanismen durch indirekte Förderinstrumente Indirekte Förderinstrumente fördern nicht direkt bestimmte EE-Stromerzeugungstechnologien, sondern setzen am Verbrauch endlicher Ressourcen oder an Emissionswerten an. Sie schaffen keine eingerichteten Märkte für erneuerbare Energien, sondern gleichen Defizite auf dem allgemeinen Primärenergiemarkt bei der Internalisierung externer Effekte anderer Energieträger aus. Besonders deutlich ist dieser indirekte Förderungseffekt bei Umweltabgaben. Die betroffenen Marktakteure können auf die Verteuerung etwa klimaschädlicher Stromgewinnungstechnologien in unterschiedlichster Weise reagieren. Die Nutzung regenerativer Energien ist nur eine Option. Sie wird durch die Steigerung der Opportunitätskosten für einen Verzicht auf sie allerdings attraktiver. Ähnlich wirken Verschmutzungszertifikate etwa nach der Treibhausgaszertifikats-Richtlinie 11, sofern durch eine Verknappung der Verschmutzungsrechte deren Marktpreise steigen. Der Handel mit Verschmutzungsrechten ist zwar ohne weiteres ein eingerichteter Markt. Handelsgut sind aber Verschmutzungsrechte, nicht erneuerbare Energien. Diese profitieren wiederum nur indirekt von der relativen Verteuerung anderer Energieträger durch die Einpreisung des Gegenwerts der für ihre Nutzung erforderlichen Zertifikate in die allgemeinen Kostenkalkulationen auf den Energiemärkten. Damit werden weder durch Umweltabgaben noch durch Verschmutzungszertifikate gezielt Märkte für erneuerbare Energien eingerichtet. Weil überdies die Mitgliedstaaten der EU beinahe durchgängig auf direkte Förderinstrumente zugunsten der erneuerbaren Energien setzen, sollen die indirekten Förderinstrumente im Weiteren nicht mehr näher untersucht werden.

10 Mitteilung der Kommission – Fahrplan für erneuerbare Energien, KOM (2006) 848 endg., S. 14. 11 RL 2003 / 87 / EG, ABl. Nr. L 275 vom 25. 10. 2003.

Erneuerbare Energien

261

2. Einrichtung von Märkten durch Instrumente der direkten Mengensteuerung Ganz eindeutig werden Märkte für erneuerbare Energien durch Instrumente der direkten Mengensteuerung eingerichtet. Hierzu zählen Ausschreibungen sowie Quotenmodelle mit und ohne handelbare Einspeisezertifikate. Bei diesen Instrumenten ist nicht der Preis die entscheidende Stellschraube, sondern der Staat gibt bestimmte Mengenziele für EE-Strom oder sonstige EE-Nutzungen vor. Da demnächst kein Mitgliedstaat mehr Ausschreibungen vornehmen will und von den Staaten mit einer Quotenregelung bis auf Polen alle die Quote mit handelbaren Zertifikaten kombinieren, soll sich die nachfolgende Untersuchung auf diese konzentrieren12. In einem ersten Schritt legt der Staat eine Quote für EE-Strom fest. Verpflichtet werden können theoretisch Erzeuger, Netzbetreiber, Stromlieferanten oder Verbraucher13, wobei die Nachweispflicht im letzteren Fall in der Regel bei deren Lieferanten verankert werden dürfte. Die Erfüllung der Quote wird über Zertifikate nachgewiesen. Diese werden zugelassenen Anlagenbetreibern auf der Basis von Messungen oder typisierenden Einspeiseprofilen für den in ihren Anlagen produzierten EE-Strom ausgestellt. Sie können bilateral oder über eine Börse gehandelt werden. Damit das System nicht missbraucht werden kann, ist ein Kontrollund Registrierungsmechanismus mittels einer dritten neutralen Stelle erforderlich. Für den Fall der Nichterfüllung der Quote ist eine Sanktion festzulegen. Deren Höhe definiert indirekt den maximalen Zertifikatspreis. Die Verpflichteten haben in diesem System zur Vermeidung einer Sanktionszahlung drei Optionen: – Sie können – erstens – zertifizierungsfähigen EE-Strom selbst produzieren und sich entsprechende Zertifikate ausstellen lassen. – Sie können – zweitens – solchen Strom von Dritten beziehen und sich deren Zertifikat transferieren lassen. – Sie können sich – drittens – aber auch auf eine reine Mitfinanzierung fremder EE-Stromerzeugung beschränken, indem sie lediglich Zertifikate auf einem Sekundärmarkt erwerben. Hier zeigt sich die Grundkonzeption einer prinzipiellen Trennung des physischen EE-Strommarktes vom unterstützenden sekundären Finanzmarkt. 12 Aus der stetig zahlreicher werdenden Literatur zu diesem Thema seien nur einige grundlegende Darstellungen erwähnt: Jens Drillisch, Quotenregelung für regenerative Stromerzeugung, ZfE 1999, 251 ff.; ders., Quotenmodell für regenerative Stromerzeugung, 2001; Gerrit Jan Schaeffer et al., Options for Design of Tradable Green Certificate System, 2000 (www.ecn.nl / docs / library / report / 2000 / c00032.pdf; zuletzt abgerufen am 28. 02. 2008); zur Diskussion um die vergleichbare KWK-Quote Babara Praetorius / Hans-Joachim Ziesing, Quotenmodell für Kraft-Wärme-Kopplung mit handelbaren Zertifikaten, ZfE 2001, S. 107 ff. 13 Vgl. dazu nur Drillisch (Fn. 12), S. 39.

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Jens-Peter Schneider

Für marktferne EE-Technologien wie die Fotovoltaik können Sonderquoten oder besonders gewertete Zertifikate vorgesehen werden. Denkbar sind auch ergänzende Fördermaßnahmen, damit marktferne EE-Technologien nutzende Erzeuger wettbewerbsfähige Angebote unterbreiten können.14 3. Sonderrechte auf allgemeinen Märkten durch Instrumente der direkten Preissteuerung mit Abnahmezwang Förderinstrumente mit direkter Preissteuerung können am Beispiel des deutschen EEG illustriert werden. Das Förderkonzept des EEG besteht in Abnahmeund Vergütungspflichten zu festgelegten Entgelten für die Einspeisung von EEStrom. Im Einzelnen umfasst es die folgenden Stufen15: Die erste Stufe besteht in der Anschluss-, Abnahme- und Vergütungspflicht des Betreibers des nächstgelegenen, technisch geeigneten Netzes der allgemeinen Versorgung hinsichtlich des gesamten angebotenen Stroms einer von § 3 Abs. 2 S. 1 EEG erfassten EE-Anlage16. Dabei ist die Pflicht zu Anschluss-, Abnahme- und Übertragung seit der EEG-Novelle 2004 in § 4 Abs. 1 S. 1 EEG zu finden, während die nur für einen qualifizierten Kreis von Anlagen geltende Vergütungspflicht in § 5 Abs. 1 S. 1 EEG geregelt ist. Nächstgelegener Netzbetreiber wird in aller Regel ein Betreiber eines Verteilungsnetzes auf niederer Spannungsebene sein. Die erste ist die eigentliche Förderstufe, da sie verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in EE-Anlagen gewährleistet. Zentral für die Förderungswirkung des Gesetzes ist die in § 5 Abs. 1 i.V. m. §§ 6 bis 11 sowie § 12 EEG festgelegte Vergütungspflicht zu gesetzlich fixierten Mindestpreisen. Zur Vermeidung von Fehlsubventionierungen enthält das EEG eine Reihe von Differenzierungsmechanismen. Die Vergütungshöhe wird in den §§ 6 bis 11 EEG zunächst nach verschiedenen EE-Stromarten differenziert. Dadurch soll den unterschiedlichen Gestehungskosten und der jeweiligen Marktferne Rechnung getragen werden. Die grundsätzlich bundesweit einheitlichen Vergütungssätze für alle EE-Stromarten sollen in typisierender Betrachtung den Betreibern optimierter Anlagen bei rationeller Betriebsführung einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen ermöglichen. Grundlage der Vergütungskalkulation sind insbesondere die Investitions-, Betriebs-, Mess- und Kapitalkosten bezogen auf die durchschnittliche Lebensdauer eines Anlagentyps zuzüglich einer marktüblichen Verzinsung des eingesetzten Kapitals17. Einen Anspruch auf Erstattung der individuellen Vollkosten etwa auch an ungünstigen Standorten oder von jedwedem Techniktyp beVgl. zu diesen Ausgestaltungsoptionen Schaeffer et al. (Fn. 12), S. 20. Für ein illustratives Schaubild s. Jens-Peter Schneider, Energieumweltrecht: Erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung, Energieeinsparung, in: Schneider / Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2008, § 21 Rn. 35. 16 Näheres bei Schneider (Fn. 15), Rn. 54. 17 Gesetzesbegründung zu §§ 3 bis 7 EEG 2000, BT-Drucks. 14 / 2776, S. 22 ff. 14 15

Erneuerbare Energien

263

gründet das Gesetz somit nicht. Weitere Differenzierungskriterien bilden Leistungsklassen, im Rahmen der Degressionsregeln das Jahr der Inbetriebnahme und bei der Windkraft relevante Standortbedingungen. Auf diese Weise sollen einerseits EE-Potentiale möglichst umfassend ausgeschöpft und andererseits eine Überförderung verhindert sowie Effizienzanreize gegeben werden18. Zunehmend stärker berücksichtigt wird das Spannungsverhältnis zwischen dem gewünschten Bau von EE-Anlagen und den damit verbundenen Umweltbelastungen19. Im Ergebnis enthalten die §§ 6 ff. EEG diverse neue und komplexe Vergütungsstufen und Vergütungszuschläge20. Die weiteren Stufen dienen nicht mehr der eigentlichen Förderung, sondern der möglichst wettbewerbsneutralen Lastenverteilung unter den Bedingungen eines liberalisierten Strommarkts. Der Ausgleichsmechanismus beginnt mit der zweiten Stufe, für die § 4 Abs. 4 i.V. m. § 5 Abs. 2 EEG bestimmt, dass der vorgelagerte (Übertragungs-)Netzbetreiber die vom lokalen Netzbetreiber auf der ersten Stufe aufgenommene Energiemenge seinerseits abnehmen und vergüten muss. Während auf der zweiten Stufe lokale Ungleichgewichte vertikal ausgeglichen werden, zielt die dritte Stufe gemäß § 14 Abs. 1, 2 EEG auf einen horizontalen bundesweiten Ausgleich zwischen den Übertragungsnetzbetreibern. Übertragungsnetzbetreiber, in deren Netzbereich etwa aufgrund geographischer Gegebenheiten ein überproportionaler Anteil des deutschen EE-Stroms gewonnen wird, haben einen Anspruch gegen unterproportional belastete Übertragungsnetzbetreiber auf Abnahme und Vergütung bis eine ausgeglichene Belastung erreicht ist. Da die Liberalisierung der Stromwirtschaft auf einer funktionalen Trennung zwischen dem in aller Regel monopolisierten Netzbereich und dem wettbewerbsorientierten Bereich von Stromhandel und Stromlieferung beruht, sieht der Gesetzgeber in § 14 Abs. 3 bis 6 EEG eine vertikale Rückwälzung der von den Übertragungsnetzbetreibern abgenommenen EE-Strommengen auf Stromlieferanten vor21. Andernfalls würden die Übertragungsnetzbetreiber in die Rolle eines Stromlieferanten gedrängt. Außerdem hätten sie wegen der aus den EEG-Vergütungen resultierenden Mehraufwendungen bei der Vermarktung dieses Stroms preisliche Wettbewerbsnachteile gegenüber reinen Stromhändlern ohne Netzbetriebsabteilungen. Die letzte Stufe besteht in der Vermarktung des EE-Stroms an Letztverbraucher durch die Stromlieferanten22. 18 Volker Oschmann / Thorsten Müller, Neues Recht für Erneuerbare Energien, ZNER 2004, S. 24 (25). 19 Zu Umweltbelastungen durch die Nutzung Erneuerbarer Energien s. Schneider (Fn. 15), Rn. 6 ff.; s. auch: Jan Reshöft, Zur Novellierung des EEG, ZNER 2004, S. 240 (247). 20 Reshöft (Fn. 19), S. 246; einen Überblick gewährt das BMU-Papier „Mindestvergütungssätze nach dem neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)“ (BMU / Z III 1, Stand: Juli 2004, abrufbar unter www.bmu.de / files / pdfs / allgemein / application / pdf / verguetungssätze_nach_eeg.pdf, zuletzt abgerufen am 28. 02. 2008). 21 Näheres bei Schneider (Fn. 15), Rn. 120. 22 Näheres bei Schneider (Fn. 15), Rn. 125.

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Jens-Peter Schneider

Auch eine direkte Preissteuerung mit Abnahmezwang lässt sich als ein eingerichteter Markt interpretieren. Allerdings wird hier nicht wie im Quotenmodell ein klar definierter eigenständiger Markt begründet. Vielmehr werden EE-Stromerzeugern auf dem allgemeinen Stromgroßhandelsmarkt mit Abnahmegarantie und Festpreis Sonderrechte eingeräumt. Auch im Quotenmodell geht es aber um eine Integration in den allgemeinen Erzeugermarkt, weshalb die Eigenständigkeit der eingerichteten Märkte eher graduell differiert.

IV. Effektivität und Effizienz ausgewählter direkter Förderinstrumente Im nächsten Schritt soll die Effektivität und Effizienz der Förderung erneuerbarer Energien durch mittels Preis- oder Mengensteuerung eingerichteter Märkte verglichen werden. Dabei ergeben sich bemerkenswerte Unterschiede zwischen theoretischen Erwartungen (II., III.) und vorliegenden empirischen Erkenntnissen (I.).

1. Empirische Modellevaluation Für die generelle Modellbewertung unterscheidet die Kommission richtigerweise zwischen Effektivität und Effizienz der Förderung. Bezüglich der Fördereffektivität können nicht schlicht die relativen EE-Stromanteile in den Ländern verglichen werden, weil die landesspezifischen Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energien stark differieren. Maßstab kann daher nur die Veränderung gegenüber einem Ausgangsniveau und der Grad der Verwirklichung vereinbarter Ausbauziele sein. Beides wird in der nachfolgenden Tabelle berücksichtigt, die auf einer vergleichbaren Tabelle der Kommission beruht23 und insbesondere deren Bewertungen übernimmt. Danach fördern die positiv bewerteten Länder mit Ausnahme Schwedens und Irlands erneuerbare Energien sämtlich mittels einer regulierten Einspeisevergütung. Ausnahmslos gilt dies sogar für die besonders positiv bewerteten Länder. Zwar gibt es in der Gruppe der Befürworter einer Preisregulierung auch negativ bewertete Länder. Bei Frankreich ist allerdings anzumerken, dass dieses erst im Jahr der Datenerhebung von einem zwischenzeitig eingeführten Ausschreibungsmodell wieder zu einer Einspeiseregelung zurückschwenkte. Und bei Österreich könnte es sich ausgewirkt haben, dass die dortige Einspeiseregelung ohne Klarheit hinsichtlich der künftigen Förderinstrumente auslaufen sollte. Hinsichtlich der Effektivität ist somit von einem relativen Vorteil der Einspeisemodelle auszugehen. Zunächst überraschend gilt dies nach Analysen im Auftrag der Kommission aber auch hinsichtlich der Fördereffizienz, also dem Verhältnis zwischen erreichtem 23 Mitteilung der Kommission – Maßnahmen im Anschluss an das Grünbuch, KOM (2006) 849 endg., S. 23.

Erneuerbare Energien

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EE-Stromzuwachs und den Kosten der Förderung24. Insbesondere beim Windstrom verfügen alle Länder mit überdurchschnittlicher Fördereffizienz über eine Einspeiseregelung. Etwas differenzierter ist das Bild bei der Biomasseförderung. Aber auch hier dominieren die Länder mit Einspeiseregelung, wenn vier von sechs überdurchschnittlich erfolgreichen Ländern solche mit Einspeiseregelung sind. Die Uneinheitlichkeit des Bildes beruht nach Vermutungen von Energieökonomen auf der Technikvielfalt bei der Biomasseverstromung und auf politischen Entscheidungen bzgl. Anlagengröße oder Verbrennungstechniken sowie auf forstwirtschaftlichen Bedingungen. Die Gründe für diese Beobachtung sind in der instrumentenspezifischen Analyse von Stärken und Schwächen bei der Förderung von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien aufzuzeigen. EE-Strom 2005 [%] Bewertung (normiert)

Modell

EE-Strom 1997 [%]

Dänemark

Preis

8,7

25,8 (27,3)

++

29,0

Deutschland

Preis

4,5

10,5 (10,8)

++

12,5

Frankreich

(Preis)

15,0

11,0 (14,2)

(–) (–)

21,0

Österreich

(Preis)

70,0

54,9 (57,5)

(–) (–)

78,1

Portugal

Preis

38,5

14,8 (28,8)

(–)

39,0

Spanien

Preis

19,9

17,2 (21,6)

+

29,4

Tschechische Republik

Preis

3,8

4,8 (4,0)

+/–

8,0

Ungarn

Preis

0,7

4,4 (4,0

++

3,6

(Ausschr.)

3,6

6,1 (8,0)

+

13,2

Belgien

Quote

1,1

1,8 (1,8)

(–)

6,0

Italien

Quote

16,0

15,3 (16,0)

(–) (–)

25,0

Polen

Quote

1,6

2,8 (3,2)

+/–

7,5

Schweden

Quote

49,1

53,2 (52,0)

+

60,0

Vereinigtes Königreich

Quote

1,7

4,1 (4,2)

+/–

10,0

12,9

13,7 / 14,5

Irland

EU 25

(2004)

24

Zum Folgenden: Mitteilung der Kommission (Fn. 4), S. 45 f.

Zielwert 2010 [%]

21,0

266

Jens-Peter Schneider

2. Stärken und Schwächen der Technologieförderung durch regulierte Einspeisevergütungen In der bisherigen energieökonomischen Diskussion wurden vor allem folgende Vor- und Nachteile von Einspeisevergütungsregelungen mit langjährigen Abnahmeansprüchen diskutiert. Wie bereits erwähnt, zeichnen sich Einspeiseregelungen bei sachgerechter Ausgestaltung durch eine hohe Fördereffektivität aus. Insbesondere kann relativ problemlos zwischen verschiedenen Technologien mit unterschiedlicher Marktnähe bzw. unterschiedlichen Kostenstrukturen differenziert werden. Dadurch ist auch die gezielte Förderung von erst langfristig wettbewerbsfähigen Technologien wie der Fotovoltaik möglich. Durch relativ geringe Transaktionsund Bürokratiekosten sowie die bei entsprechender regulatorischer Ausgestaltung hohe Planungssicherheit25 erleichtern Einspeiseregelungen den Marktzutritt unabhängiger Stromerzeuger auch aus dem Segment kleinerer und mittlerer Unternehmen. Planungssicherheit wird durch die Ansprüche auf Netzanschluss, Abnahme des zur Einspeisung angebotenen Stroms sowie die für eine Anlage auf 20 Jahre gesetzlich fixierte Einspeisevergütung erreicht. Diese Planungssicherheit wird auch als Grund für die relative Kosteneffizienz genannt, weil der Gesetzgeber nur eine geringe Risikoprämie einkalkulieren muss26. Hinsichtlich der Fördereffektivität bleibt allerdings anzumerken, dass diese auch in diesem Modell vom politischen Willen zur Festsetzung einer letztlich von den Verbrauchern aufzubringenden hinreichend hohen Vergütung abhängig ist. Kritiker bemängeln, dass gesetzlich festgelegte Einspeisevergütungen mit Abnahmeansprüchen wirtschaftlich betrachtet Subventionen darstellen27, die nicht nur Subventionsmentalitäten fördern und Mitnahmeeffekte provozieren, sondern vor allem auf staatlicher Wissensanmaßung beruhen sollen.28 Das im hiesigen Kontext besonders relevante Wissensproblem betrifft nicht nur die eingangs angesprochene Grundsatzfrage einer technologiespezifischen Innovationsförderung, sondern auch die diversen Detailfestlegungen hinsichtlich der konkreten Förderhöhe. Der deutsche Gesetzgeber versucht diesen Problemen durch regelmäßige Überprüfungen und graduelle Tarifstrukturen nach der Ertragskraft von Standorten im Bereich der besonders umfangreichen Förderung von Windkraftanlagen29 entgegenzuwirken. Vgl. dazu Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2000, Tz. 1441. Mario Ragwitz / Anne Held / Gustav Resch / Thomas Faber / Claus Huber / Reinhard Hass, Final Report – Monitoring and evaluation of policy instruments to support in EU Member States, Fraunhofer Institute Systems and Innovation Research (Hrsg.), 2006, S. 88 f. 27 Zur abweichenden europarechtlichen Qualifizierung und anderen Fragen der europaund verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Einspeiseregelungen s. Schneider (Fn. 15), Rn. 134 ff. 28 Vgl. zur Frage der Mitnahmeeffekte etwa Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2000, Tz. 1443. 29 Zu diesen komplizierten Regeln: Schneider (Fn. 15), Rn. 96 ff. 25 26

Erneuerbare Energien

267

Besondere Innovationsanreize sollen von einer jährlichen Vergütungsdegression für Neuanlagen ausgehen, die inzwischen alle EE-Technologien erfasst. Mit der Vergütungsdegression sollen die aus dem zu erwartenden technischen Fortschritt und den wachsenden Skalenerträgen beim vermehrten Bau entsprechender Anlagen resultierenden Kostenvorteile berücksichtigt werden. Zugleich wird ein entsprechender Innovationsanreiz gesetzt. Da die entsprechenden Potentiale bei den EE-Arten divergieren, werden die Degressionssätze für jede spezifisch festgelegt. Offenkundig entsteht durch die Degression ein neues Wissensproblem, weil der Gesetzgeber die technologiespezifischen Lernkurven falsch einschätzen kann. Die Degression betrifft immer nur die in dem betreffenden Jahr neu in Betrieb genommenen Anlagen, für die der jeweilige Fördersatz stabil über die gesamte Förderperiode gilt. Dadurch bleibt die oben als besonders fördereffektiv erkannte Planungssicherheit unbeeinträchtigt. Die Absenkung hat mit dem Jahr 2005 begonnen, so dass nur Anlagen, die zwischen dem 1. 7. 2004 und dem 1. 1. 2005 in Betrieb genommen wurden, die gesetzlichen Ausgangsvergütungen erhalten30.

3. Stärken und Schwächen der Technologieförderung durch regulatorische Mengensteuerung Regulatorische Mengensteuerung zur Förderung von erneuerbaren Energien erfolgte anfangs durch Ausschreibungswettbewerbe. Insbesondere in England und Wales wurde dieser Weg längere Zeit beschritten31, inzwischen jedoch zugunsten einer Mengensteuerung durch Quoten mit handelbaren Zertifikaten aufgegeben. Andere Staaten wie Frankreich und Irland haben 2005 bzw. 2007 eine Mengensteuerung im Wege von Ausschreibungen durch Einspeiseregelungen ersetzt32. Als problematisch erwiesen sich vor allem unregelmäßige Ausschreibungs- und Investitionszyklen und daraus resultierende Planungsunsicherheiten. Zudem sind Ausschreibungen mit beachtlichen Transaktionskosten und Unsicherheiten bei der planungsrechtlichen Projektrealisation belastet. Diese Faktoren führten zu erheblichen Risikoaufschlägen seitens der Anbieter, die überdies teilweise strategisches Bietverhalten zeigten. Insgesamt erwiesen sich Ausschreibungen weder als fördereffektiv noch als fördereffizient und sind deshalb ein Auslaufmodell bei der Förderung erneuerbarer Energien33. Regulatorische Mengensteuerung erfolgt heute stattdessen durch Quotenmodelle, wobei ganz überwiegend eine Flexibilisierung durch handelbare Zertifikate ermöglicht wird. Die Bewertung des Zertifikatsmodells in der umweltpolitischen Instrumentendiskussion leidet allerdings immer noch an unzureichenden praktiPeter Salje, Erneuerbare-Energien-Gesetz, 4. Auflage 2007, Vor §§ 6 – 11 Rn. 3. Vgl. zu den Details: Jens-Peter Schneider,, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 233 f.; ders. (Fn. 4), 80 ff. 32 Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 15, 17. 33 Zum Ganzen Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 87 f. 30 31

268

Jens-Peter Schneider

schen Erfahrungen. Insbesondere wird häufig die geringe Marktliquidität auf den durch die Quotenmodelle eingerichteten Märkten als Grund dafür genannt, dass sich die spezifischen Vorteile des Modells noch nicht hätten entfalten können. Ausgangspunkt des Quotenmodells ist eine im Prinzip exakte Zielfestlegung durch die Pflichtquote. Das hiermit verbundene Wissensproblem betrifft allein die in dieser Untersuchung ausgeblendete Grundsatzfrage der energiewirtschaftlichen Bewertung einer Nutzung erneuerbarer Energien. Allerdings zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die damit erhoffte Fördereffektivität keineswegs unproblematisch erreichbar ist. Zunächst bedarf es der politischen Durchsetzung langfristig festgelegter Ziele34 und bei langjährigen Ausbauszenarien vor allem hinreichender Zwischenziele. Die Fördereffektivität hängt des weiteren von einer effektiven Sanktionierung von Verstößen gegen die Pflichtquote ab. Hier scheinen in der Umsetzungspraxis besondere Probleme zu bestehen, so dass es für die Verpflichteten oft günstiger ist, finanzielle Sanktionen in Kauf zu nehmen als die zur Quotenerfüllung nötigen Zertifikatspreise zu bezahlen35. Ein weiteres Problem stellt die meist unzureichende Differenzierung nach EETechnologien dar. Das Interesse an Marktliquidität spricht gegen eine Aufspaltung der Gesamtquote auf technologiespezifische Unterquoten. Dadurch setzen sich ganz überwiegend nur bereits relativ entwickelte und damit kostengünstigere EETechnologien durch. Dies beeinträchtigt erheblich die dynamische Effizienz zulasten innovativer EE-Technologien. Aber auch die theoretisch in den Vordergrund gestellte statische Effizienz von Quotenmodellen36 hat sich bisher, wie gezeigt, nicht nachweisen lassen. Im Gegenteil haben sich Quotenmodelle als relativ aufwändige Fördermechanismen herausgestellt. Gründe hierfür werden in den relativ hohen Transaktionskosten, volatilen Zertifikatspreisen und geringer Planungssicherheit und daraus resultierenden Risikozuschlägen der Anbieter gesehen. Problematisch seien auch die üblichen Einheitspreise auf den Zertifikatsmärkten, wonach das teuerste Gebot den einheitlichen Zertifikatspreis bestimmt37. Überdies seien die Quotenmodelle auf generell funktionierende Energiemärkte ohne Marktzutrittsschranken und diskriminierungsfreien Netzzugang angewiesen, was derzeit noch immer nicht garantiert ist38. Der wichtigste Faktor soll aber nach den vorliegenden Untersuchungen die unzureichende Marktliquidität39 sein. Dadurch fehlt es an einem hinreichenden Bieterwettbewerb als Voraussetzung für Anreize zur effizienten LeistungsbereitstelRagwitz et al. (Fn. 26), S. 86. Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 86. 36 Vgl. Reinhard Madlener / Sigrid Stagl, Quotenregelungen mit Zertifikatshandel und garantierte Einspeisevergütungen für Ökostrom, ZfE 2001, S. 53 (55). 37 Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 91. 38 Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 86. 39 Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 86, 91. 34 35

Erneuerbare Energien

269

lung. Diese Problematik verweist auf eine generelle Schwierigkeit der Nutzung eingerichteter Märkte zur Innovations- und Technologieförderung. Innovative Technologien müssen notwendigerweise erst sukzessive ausgebaut werden, weshalb eine geringe Marktliquidität für sie typisch ist. Kosteneffizienz ist daher für die Diffusion vieler innovativer Produkte nicht der entscheidende Aspekt, sondern vielmehr der (immaterielle) Zusatznutzen, den die Abnehmer durch den Konsum von erkennbar innovativer Produkte erfahren. Stromkunden können einen solchen Zusatznutzen durch die Abnahme von EE-Strom nur sehr indirekt und in eher geringerem Umfang generieren. V. Technologieförderung durch eingerichtete Märkte: Allgemeine Lehren aus den Erfahrungen der EE-Stromförderung? Vorliegende Untersuchungen haben bzgl. der erneuerbaren Energien die folgenden allgemeinen Faktoren identifiziert, die für ein effektives und effizientes Förderkonzept ausschlaggebend sind und zwar unabhängig von der Entscheidung zwischen Preis- und Mengenregulierung40: – Investitionssicherheit durch eine längerfristig stabile Regulierung, wobei Regulierungsänderungen jedenfalls durch Übergangsfristen abgefedert werden sollten; – Sicherstellung eines fairen, diskriminierungsfreien Netzzugangs; – die Vermeidung unnötiger administrativer Hürden insbesondere innerhalb der Genehmigungsverfahren für Erzeugungsanlagen; – hinreichende Anreize durch die Förderregelung.

Mit Ausnahme des energiespezifischen Aspekts eines diskriminierungsfreien Netzzugangs sind die genannten Faktoren auch auf andere Technologiefelder übertragbar. Die Schwierigkeit besteht allerdings in der technologiespezifischen Konkretisierung hinreichender Stabilität und Förderhöhe. Bezüglich der Vermeidung kontraproduktiver Hemmnisse in Genehmigungsverfahren ist zudem zu bedenken, dass in diesem die hier in den Vordergrund gerückten Aspekte der Technologieförderung im Sinne einer umfassenden Innovationsverantwortung mit anderen Gemeinwohlbelangen in Ausgleich gebracht werden müssen41. Auch hierfür bieten die erneuerbaren Energien etwa hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Biomasseanbaus oder der von der Windkraftnutzung ausgehenden Auswirkungen auf Naturschutzbelange reiches Anschauungsmaterial42.

Ragwitz et al. (Fn. 26), S. 85. Generell zum Konzept der Innovationsverantwortung:, Wolfgang Hoffmann-Riem, Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung durch Recht, AöR 2006, S. 255 ff. 42 Dazu statt vieler: Schneider (Fn. 15), Rn. 6, 10 ff. m. w. N. 40 41

270

Jens-Peter Schneider

VI. Der Kommissionsvorschlag vom 23. 01. 2008 für eine Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen National eingerichtete Märkte sind häufig mit Beschränkungen des Binnenmarktes verbunden. Auch dafür ist die Förderung erneuerbarer Energien ein instruktives Beispiel. Bislang scheiterten jedoch die Versuche der Kommission die Beschränkungen mittels Primär- oder Sekundärrecht aufzuheben. Anfang 2007 startete die Kommission eine in ihr energiepolitisches Gesamtpaket integrierte Initiative für eine Fortentwicklung des europäischen Rechtsrahmens für Erneuerbare Energien43. Wichtige Elemente dieser Initiative sind rechtsverbindliche gesamteuropäische und mitgliedstaatliche Förderziele, die Vereinfachung von Netzanschluss und Netzausbau sowie Anlagengenehmigungsverfahren, Regeln für eine bessere Einbindung in den Strombinnenmarkt und die Stromnetzsteuerung sowie – aber nur ggf. und eher als langfristige Perspektive – eine Harmonisierung der Förderinstrumente. Im Rahmen der Vorbereitung ihres Ende Januar 2008 verspätet veröffentlichten Richtlinienvorschlags strebte die Kommission eine zwar gegenüber ihren im Jahr 2000 / 01 gescheiterten Versuchen44 abgemilderte, aber gleichwohl obligatorische Einführung gemeinschaftsweit handelbarer EE-Stromzertifikate an45. Mitgliedstaaten mit Einspeiseregelungen sahen durch diese Pläne ihre eigenen, anerkanntermaßen erfolgreichen Förderkonzepte in Frage gestellt und leisteten deshalb erheblichen Widerstand46. Im Ergebnis sah die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag vom 23. 1. 200847 von einem obligatorischen Handelssystem ab. Allerdings sollen die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten durchaus erheblich eingeschränkt werden, weshalb es keineswegs sicher erscheint, ob die Kommissionsvorschläge 43 Zum Folgenden: Mitteilung der Kommission (Fn. 10); Mitteilung der Kommission (Fn. 23), insb. S. 22; zum Gesamtpaket: Jens-Peter Schneider, Vorgaben des europäischen Energierechts, in: Schneider / Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2008, § 2 Rn. 64 ff. 44 Zu diesen und den Gründen ihres Scheiterns: Schneider (Fn. 15), Rn. 154. 45 Hendrik Kafsack / Konrad Mrusek, „EU verteidigt Handelssystem für Ökostrom“, FAZ v. 13. 10. 2007, S. 12. 46 Hendrik Kafsack, „Kein freier EU-Handel für Ökoenergie-Zertifikate“, FAZ v. 21. 12. 2007, S. 11; ders., „EU-Kommission gibt im Streit um Ökostrom nach“, FAZ v. 18. 01. 2008, S. 12; Corinna Klessmann / Cornel Ensslin / Mario Ragwitz / Gustav Resch, European renewable energy trade based on Guarantees of Origin (GOs) – concepts, critical issues, and recommendations for design, Fraunhofer Institute Systems an Innovation Research (Hrsg.), 2007; s. auch Mario Ragwitz / Gustav Resch / Corinna Klessmann / Cornel Ensslin, Proposal of a partial harmonisation of RES support based on a minimum feed-in premium model, Fraunhofer Institute Systems and Innovation Research (Hrsg.), 2007. 47 Mitteilung der Kommission – Zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, KOM (2008) 19 endg.; vgl. dazu Thorsten Müller / Christian Bitsch, Zur Vereinbarkeit einer europaweiten Einspeiseregelung mit dem europäischen Primärrecht, ZNER 2007, S. 383 ff.

Erneuerbare Energien

271

tatsächlich von den gesetzgebenden Gemeinschaftsorganen unverändert akzeptiert werden. Der Vorschlag sieht zunächst ähnlich wie der geltende Art. 5 der Richtlinie 2001 / 77 / EG die Ausstellung von Herkunftsnachweisen für EE-Strom bzw. aufgrund der geplanten erweiterten Zielsetzungen zur Förderung von Wärme- und Kälteproduktion mittels erneuerbarer Energien für EE-Wärme und EE-Kälte vor (Art. 6). Diese Nachweise kann man auch als Zertifikat bezeichnen. Art. 7 verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Errichtung einer von der Energiewirtschaft unabhängigen Stelle zur Führung eines Herkunftsnachweisregisters, der unter anderem die Ausstellung und Entwertung von Herkunftsnachweisen obliegt. Entwertet werden Nachweise gemäß Art. 8, wenn die zertifizierte Energiemenge entweder durch ein nationales Fördersystem z. B. durch eine Einspeisevergütung gefördert, auf eine nationale Quotenverpflichtung angerechnet oder als EE-Strom gesondert vermarktet wird. Dabei erfolgt die Entwertung jeweils durch die Registerstelle, in deren Zuständigkeitsbereich der EE-Strom gefördert, angerechnet oder vermarktet wird. Dies kann auch eine Registerstelle in einem anderen Mitgliedstaat als dem den Herkunftsnachweis ausstellenden (Produktions-)Staat sein. Art. 9 Abs. 3 sieht hierzu die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Übertragung von Herkunftsnachweisen zwischen privaten Nachweisinhabern und privaten Nachfragern vor, wobei diese Übertragung nicht zwingend mit einem physikalischen Stromhandel verknüpft sein muss. Folge davon ist nach Art. 10, dass die zertifizierte EE-Strommenge nicht mehr auf die Richtziele des Produktionsstaats, sondern des entwertenden Staates angerechnet wird. Beschränkungen eines solchen grenzüberschreitenden Zertifikatshandels ergeben sich aus Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 – 4 des Richtlinienvorschlags. Art. 9 Abs. 3 eröffnet den Zertifikatehandel nur für EE-Strom aus Anlagen, die nach dem Inkrafttreten der Richtlinie in Betrieb genommen wurden. Art. 8 Abs. 2 sieht ferner vor, dass die Herkunftsnachweise für EE-Strom aus einer Anlage immer im selben Mitgliedstaat wegen Förderung nach einem nationalen Förderregime oder aufgrund einer Quotenanrechnung entwertet werden. Nur wenn sich der Anlagenbetreiber für eine freie Vermarktung des EE-Stroms entscheidet, kann er seine Nachweise in unterschiedlichen Mitgliedstaaten entwerten lassen. Eine einmalige Nutzung eines nationalen Förderinstruments bindet also den Anlagenbetreiber an den jeweiligen Mitgliedstaat, wodurch dieser vor einem förderungsoptimierenden forum shopping geschützt wird. Ferner können die Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden Zertifikatehandel unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2, 4 durch ein System der Vorabgenehmigung beschränken. Allerdings unterliegt die Einführung eines solchen Systems der Kontrolle durch die Kommission und ist an bestimmte Kriterien gebunden. Zweck des Genehmigungssystems für Ex- und Importe muss es sein, eine sichere und ausgewogene Energieversorgung und die Erreichung nationaler Umweltziele zu gewährleisten. Exporte können ferner im Interesse der Erreichung der in der Richtlinie vorgegebenen nationalen Richtziele für die EE-Nutzung einer Genehmi-

272

Jens-Peter Schneider

gung unterworfen werden. In keinem Fall dürfen Genehmigungssysteme Mittel willkürlicher Diskriminierung darstellen. Bei einem Verstoß gegen diese Vorgaben stehen der Kommission allerdings keine besonderen Befugnisse aufgrund der Richtlinie zu. Insbesondere müssen die Mitgliedsstaaten die Einführung oder Änderung von Genehmigungssystemen gemäß Art. 9 Abs. 4 lediglich melden, nicht aber sich genehmigen lassen. Die Kommission ist daher auf die Möglichkeiten des allgemeinen Vertragsverletzungsverfahrens beschränkt. Es erscheint zweifelhaft, ob durch diese neuen Regelungen die Liquidität auf den Zertifikatsmärkten signifikant erhöht wird. Vermutlich werden die meisten Mitgliedstaaten ihre Einspeiseregelungen durch Vorabgenehmigungssysteme im Interesse der Verwirklichung ihrer nationalen EE-Marktanteilsziele absichern. Eine offene Frage ist dabei allerdings, inwieweit die Kommission bei der Kontrolle dieser Systeme ihre offenkundige Präferenz der Quotenmodelle durchzusetzen versucht. Zudem bleibt abzuwarten, ob der EuGH die Kommission bei dieser Strategie unterstützt. Weitere Rechtsstreitigkeiten dürften vorprogrammiert sein. Ob dies dem Förderziel insgesamt förderlich ist, erscheint zumindest zweifelhaft.

Innovationen entlang der Wertschöpfungskette: Impulse aus der REACh-Verordnung Von Kilian Bizer und Martin Führ I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 II. Multipolarer verwaltungsrechtlich eröffneter Handlungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 III. Der status quo ante als Innovationshemmnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. Lösungsbeiträge aus dem sektoralen Umweltrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Lösungsbeiträge aus dem Produktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 IV. Stoffregulierung durch REACh als innovationsfördendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Regulierungsansatz: Stärkung der Eigen-Veranwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Verhaltensanforderungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Anreize aus dem Verfahren zur Etablierung der Zulassungspflicht . . . . . . . . . . . . a) Vorstufe: Potentielle Kandidaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kandidatenliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prioritär zulassungspflichtige Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282 282 284 285

4. Anforderungen an registrierungspflichtige Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5. Folgenanlastung, Anreizsituation und Umsetzungs-Hemmnisse . . . . . . . . . . . . . . . 286 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 V. Rechtfertigung der Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 VI. REACh als Informationsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 VII. Innovationsimpulse aus REACh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 VIII. Schlussfolgerungen für innovationsorientiertes Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Charakteristika eines innovationsorientierten Wirtschaftsverwaltungsrechts . . . 294 2. Beiträge der Wissenschaft zur Lösung des regulatory choice-Problems . . . . . . . a) Gutes Verständnis für die Interaktion der Akteure in der Kette . . . . . . . . . . . . . b) Rahmenbedingungen für eigenverantwortliches Handeln der Akteure . . . . . c) Steuerungsansatz: Responsive Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

296 296 297 297

3. Fazit: Verhaltenssteuerung durch Wirtschaftsverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

274

Kilian Bizer und Martin Führ

I. Einleitung Der Beitrag untersucht – auf der Grundlage mehrerer in Kooperation mit Betrieben und Verbänden durchgeführten Forschungsvorhaben1 – die Frage, in welcher Weise die Mechanismen aus der REACh-Verordnung2 („Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“3) dazu beitragen, Innovationsprozesse anzustoßen. Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken, ist sogar ein ausdrücklich formuliertes Regelungsziel der Verordnung (Art. 1 Abs. 1 REACh4), die damit in besonderer Weise geeignet erscheint, die Anreizeffekte zu analysieren, mit denen das Recht Akteure zu innovativem Verhalten anregen will. Außerdem verortet der Beitrag den Regulierungsansatz von REACh im Spannungsfeld zwischen dem klassischem verwaltungsrechtlichen Verständnis und dem steuerungswissenschaftlichem Anspruch an die wissenschaftliche Politikberatung (siehe Kapitel II und III). Ausgangspunkt der Überlegungen ist der mit REACh vollzogene Paradigmenwechsel in der Regulierung von chemischen Stoffen: Nicht mehr hoheitliche Prüfprogramme5 stehen im Mittelpunkt des Regulierungsansatzes; die Verordnung stärkt vielmehr die Eigen-Verantwortung 6 der wirtschaftlichen Akteure:7 In ihren Händen liegt die Aufgabe, die stoffbezogenen Risiken „angemessen“ zu beherrschen. Dazu enthält die REACh-Verordnung verschiedene Mechanismen, die in erster Linie auf Information, Kommunikation und Kooperation („IKuK-Instrumente“) der wirtschaftlichen Akteure abzielen, ihnen bei der Ausfüllung der „angemessenen Risikobeherrschung“ aber in nicht unbeträchtlichem Maße Freiheitsgrade einräumen. Die durch REACh initiierten IKuK-Impulse können, so die Ausgangsthese des folgenden Beitrages, Prozesse auslösen, die zu Innovationen8 in stofflicher, technischer oder organisatorischer Hinsicht führen. 1 Die Ergebnisse sind dokumentiert unter www.reach-helpdesk.info. Siehe auch die in Fn. 29 genannten Belege. 2 Abl. L 136 / 3 280 vom 29. 05. 2007 (berichtigte Fassung). Artikel, Anhänge, Titel und Erwägungsgründe ohne Bezeichnung sind im Folgenden solche der REACh-Verordnung. Für eine – nutzerfreundlich mit Lesezeichen versehene – PDF-Fassung des Verordnungstextes siehe www.reach-helpdesk.info (unter „Service“). 3 Oftmals übersehen wird das Element „Restriction“; eigentlich müsste die Abkürzung daher lauten: R2EACh. 4 Die englische Fassung lautet: „enhancing competitiveness and innovation“. 5 Vor allem nach der EG-Altstoff-Verordnung 793 / 93; siehe dazu Kapitel II. 6 Zu diesem Begriff siehe Führ 2003 (Eigen-Verantwortung), S. 43 ff. Die dort entwickelte Kategorie rechtlich ausgeformter Eigen-Verantwortung beinhaltet zwingend, dass auch Mechanismen rechtlich vermittelter Folgenanlastung zum Tragen kommen. Diese Mechanismen können aus dem Bereich des Zivilrechts, aber auch aus dem des Öffentlichen Rechts stammen. Man kann daher REACh auch als System „regulierter Eigen-Verantwortung“ bezeichnen (Rehbinder 2008). 7 Zum eigenverantwortlichen Regulierungsansatz und den dazu eingesetzten Instrumenten in Abschnitt IV.1.

Impulse aus der REACh-Verordnung

275

In einem arbeitsteiligen Produktionsprozess lassen sich Innovationen nur selten von einem einzelnen Akteur bewerkstelligen: Erst wenn alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette ihren spezifischen Beitrag leisten, wird dies gelingen. Dementsprechend ist REACh darauf gerichtet, das Verhalten der Akteure in allen Phasen der Wertschöpfungskette zu beeinflussen. Damit antwortet der Gemeinschaftsgesetzgeber auf ein gesellschaftliches Problem, welches mit dem Schlagwort „toxic ignorance“ zu kennzeichnen ist (siehe Kapitel III). Die bisherigen Regulierungsstrategien waren nur punktuell in der Lage, das Problem zu bewältigen (Kapitel IV). Da es sich um ein klassisches „Marktversagen“9 handelt, besteht nach wie vor eine Rechtfertigung für die staatliche Intervention (Kapitel V). Im neuen Paradigma berücksichtigt der Gesetzgeber anders als im alten, dass die Akteure entlang der Wertschöpfungsketten ein Informationsspiel spielen, bei dem die Auszahlungen so gestaltet sein müssen, dass es sich für die Akteure lohnt, zielkonform zu handeln. (Kapitel VI). Auf dieser Grundlage lassen sich sodann die zu erwartenden Innovationsimpulse abschätzen (Kapitel VII) und Schlussfolgerungen für ein innovationsorientiertes Verwaltungsrecht formulieren (Kapitel VIII).

II. Multipolarer verwaltungsrechtlich eröffneter Handlungsrahmen Die vorstehend skizzierte Analyse ist auch deshalb reizvoll, weil damit ein spezifischer verwaltungsrechtlicher Regulierungsansatz auf dem Prüfstand steht, der darauf gerichtet ist, das bipolare Verhältnis zwischen Verwaltung und Adressat zu erweitern in Richtung auf eine Kette in sich zwar weiterhin bipolarer Rechtsbeziehungen, deren eigentliche Regulierungsintention jedoch nicht darin besteht, jeweils spezifische hoheitliche Verhaltensimperative für den einzelnen Adressaten zu formulieren. Vielmehr sollen die unterschiedlichen verwaltungsrechtlichen Einzelvorgaben in der Addition ein Handlungsfeld eröffnen, auf dem die Akteure der Wertschöpfungskette gemeinsam Innovationspotentiale erschließen. Der „Kniff“ eines solchen Regulierungskonzeptes, wie man es mit abfall- bzw. produktpolitischer Intention etwa auch für Elektro- und Elektronikgeräte 10 findet, liegt darin, dass nicht die Einzelbeiträge der Adressaten im Mittelpunkt stehen (diese sind – für sich genommen – auch nur marginal geeignet, zum Regulierungs8 Zum Begriff der „Innovation“ und seiner Abgrenzung zum „Innovationsprozess“ siehe Kirchner, S. 87 f. Zur Innovationssteuerung im Umweltrecht siehe Koch und Schulze-Fielitz, die beide das Stoff- und Produktrecht nicht in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellen. 9 Dieser Begriff ist – wörtlich genommen – irreführend (Wigger, S. 31), weil nicht der Markt versagt, sondern die Rahmenbedingungen nicht so gestaltet sind, dass die Marktkräfte zur Entfaltung kommen (können). 10 Auch im Rahmen der Elektro- und Elektronikaltgeräte-Richtlinie 2002 / 96 / EG spielt der Zugang und die Verteilung von Informationen eine zentrale Rolle; siehe dazu Führ / Roller / Schmidt et al. und Führ / Nuphaus / Hottenroth et al. sowie die Projektdokumentation unter www.elvies.de.

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ziel beizutragen). Man versucht vielmehr, das „Zusammen-Spiel“ der Akteure zu arrangieren bzw. zu organisieren, um auf diese Weise die intendierten Innovationen hervorzubringen. Wenn man in klassischer verwaltungsrechtlicher Perspektive allein den Blick auf den „zwingenden“ Teil der REACh-Mechanismen richtet, ist die Gefahr groß, das eigentliche Innovationspotential des Regelwerkes zu übersehen. Erst die Kombination aus hoheitlich formulierten Verhaltenserwartungen und Einzelpflichten mit den durch REACh standardisierten IKuK-Elementen schafft ein transaktionskostengünstiges Handlungsfeld, in dem sich die Innovationsimpulse entfalten können. Es geht also weniger um die Verarbeitung der gewonnen Informationen in bzw. zwischen Behörden und allenfalls punktuell um die – notfalls vollstreckbare – Erzwingung als vielmehr um die Ermöglichung von Innovationsbeiträgen im Zusammenwirken der Akteure. Damit nähert sich das Regelungsprogramm in der Grundkonzeption an das marktschaffende, die Gestaltungskräfte der Akteure „freisetzende“11 Zivilrecht an. Das Verwaltungsrecht etabliert dafür eine stoffbezogene „Informations- und Kommunikationsordnung“,12 wobei es auch darum geht, die Informationslage staatlicher Stellen zu verbessern; viel wichtiger aber ist es, die wirtschaftlichen Akteure zu veranlassen, Informationslücken zu schließen, neu gewonnene Informationen mit dem im Unternehmen bereits vorhandenen, wenngleich oftmals in mehreren Abteilungen verteiltem Wissen zu verknüpfen, um so mittels inner- und überbetrieblicher Kooperation neue stoffliche, technische und organisatorische Risikominderungsoptionen zu erschließen. Aus der Perspektive des Staates wäre es vermessen, sich alle dazu erforderlichen Informationen zunächst zu eigen zu machen, um sie dann in administrative Handlungsanweisungen umzusetzen.13 Nicht nur aufgrund der Stoff- und Informationsvielfalt, sondern auch im Hinblick auf die Dynamik der Stoffentwicklung und Stoffnutzung wäre dies ein aussichtsloses Unterfangen. Der unmittelbare staatliche Zugriff beschränkt sich daher – jenseits der besonders problematischen Stoffe, die unter die klassischen Regime der (Einzel-) Zulassung und (generellen) Beschränkung fallen – auf die Funktion, mittels des Registrierungsverfahrens die grundsätzliche Mitwirkung an der Etablierung und Nutzung der IKuK-Instrumente zu geZu den verschiedenen „Kategorien“ umweltrechtlicher Steuerung siehe Winter. So auch der Titel des sechsten Teils des Handbuch „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ (Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Band II). Die dort versammelten Einzelbeiträge thematisieren allerdings in klassischer verwaltungsrechtlicher Perspektive im Wesentlichen die Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger bzw. in und zwischen Behörden; sie verfehlen damit den „Kniff“ des innovationsinitiierenden Verwaltungsrechts durch standardisierte IKuK-Mechanismen. 13 Diese Perspektive im Spannungsfeld zwischen „klassischem Verwaltungsrecht und Steuerungswissenschaft“ erörtern Appel und Eifert, passim (zur Rolle von „Information, Kommunikation und Wissen“: S. 325 ff.); sie beleuchten aber im Wesentlichen das bipolare Verhältnis Verwaltung-Bürger und thematisieren nicht den Beitrag des Verwaltungsrechts zur horizontalen Interaktion der Adressaten sowie dessen verhaltensbeeinflussende Wirkung, die aus der Adressatenperspektive intensiver sein kann als die hoheitlichen Anteile (siehe dazu Kapitel VIII). 11 12

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währleisten. Die weitere inhaltliche Ausfüllung liegt dann in den Händen der Unternehmen, die es damit weitgehend in der Hand haben, ein effektives und effizientes Risikomanagement zu organisieren.

III. Der status quo ante als Innovationshemmnis Etwa 30.000 sog. „Altstoffe“ sind in industriellen Prozessen in nennenswertem Umfang im Einsatz. Nach bisherigem Recht waren diese Stoffe zeitlich und inhaltlich praktisch unbegrenzt verwendbar; es sei denn, man entdeckt negative Wirkungen auf Mensch und Umwelt. Dann ist der Stoff anhand von Gefährlichkeitsmerkmalen einzustufen und entsprechend zu kennzeichnen (Rehbinder 2003, Rn. 9 ff.). Die Hersteller waren aber nicht verpflichtet, ihre Stoffe auf unerwünschte Wirkungen testen zu lassen. Stattdessen hat man mit der EG-Altstoff-Verordnung 793 / 93 ein hoheitliches Prüfprogramm installiert, welches für die besonders relevanten Stoffe schrittweise die Risiken ermitteln und Risikominderungsmaßnahmen vorschlagen soll. Dazu hat man 140 Stoffe ausgewählt. Bis 2005 haben es die Behörden der Mitgliedstaaten geschafft, etwa 30 Stoffe vollständig zu bearbeiten. Ergebnis dieses Prozesses ist aber nicht etwa ein verbindlicher Rechtsakt, sondern eine bloße Empfehlung der Kommission nach Art. 249 Abs. 5 EG. Ministerrat und Parlament können in der Folge frei entscheiden, ob und wie sie die Empfehlung aufgreifen. Selbst wenn sie dies tun, bleibt der gesamte Prozess vergleichsweise langwierig und aufwendig. Mit dieser Form der Regulierung lässt sich das Problem der „toxic ignorance“14 auf absehbare Zeit nicht lösen. Im Ergebnis bedeutete der bisherige Rechtsrahmen eine faktische Privilegierung der Altstoffe, die im deutlichen Kontrast stand zur vergleichsweise strikten Regulierung der Neustoffe: Für diese galt ab 1980 eine Anmeldepflicht oberhalb einer Vermarktungsschwelle von 10 kg pro Jahr. Für jeden neuen Stoff waren – gestaffelt nach der Vermarktungsmenge – bestimmte Prüfnachweise vorzulegen (Rehbinder 2003, Rn. 3 ff.). Während damit Neustoffe, von denen zunächst – u. a. dank „großzügiger“ Nachmeldung von Altstoffen (Menzel et al.) – nur wenige angemeldet wurden, erst dann in Verkehr gebracht werden durften, wenn zuvor toxikologische Tests durchgeführt wurden, konnten Altstoffe ungehindert weiter vermarktet werden. Wer also neue Stoffe entwickelte, wurde durch Nachweispflichten „bestraft“, während auf der anderen Seite bei den Altstoffen die Unkenntnis der Stoffeigenschaften fortbestand und sich eine hoheitliche Einzelfall-Intervention genau aus diesem Grunde nicht rechtfertigen ließ. Die Problemlage lässt sich daher wie folgt charakterisieren: Die moderne Industriegesellschaft setzt in der Produktion eine unüberschaubare Vielzahl von Stoffen und Stoffgemischen ein, ohne dass – abgesehen von den Neustoffen und einer be14 Environmental Defense Fund; Massachusetts Precautionary Principle Project; v. Holleben / Schmidt; Rehbinder 2003, Rn. 29 ff. und 214 ff.

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grenzten Anzahl an Altstoffen – die Eigenschaften und Wirkungsweisen bekannt sind. Ob die Gesellschaft die damit verbundenen Risiken angemessen beherrscht, lässt sich nicht ohne eine Lösung des Informationsproblems sagen: Man kann vermuten, dass an vielen Punkten ergänzende Maßnahmen nötig wären; vielleicht ist manche Regulierung aber auch zu strikt. 1. Lösungsbeiträge aus dem sektoralen Umweltrecht? Das sektorale Umweltrecht, also etwa das anlagen- oder medienbezogende Recht, kann in dieser Konstellation zur Lösung der Frage nach dem angemessenen Risikomanagement kaum etwas beitragen. Diese Rechtsgebiete haben große Schwierigkeiten, mit der stofflichen Vielfalt umzugehen. Einzelstoffliche Regelungen finden sich etwa im Bereich der Luftreinhaltung nur für ein gutes Dutzend Stoffe (in der 22. BImSchV sowie in der TA Luft), während man sich im übrigen – wie überwiegend auch im Wasserrecht – mit Summenparametern begnügt bzw. begnügen muss. Differenziertere Steuerungsbeiträge aus dem sektoralen Umweltrecht sind – wie übrigens auch das Arbeitsschutzrecht – erst auf der Basis des „Inputs“ aus dem originären Stoffrecht15 zu erwarten. Der „klassische“ umweltrechtliche Zugriff hoheitlicher Einzelentscheidungen in Form von anlagen- oder medienbezogenen Gestattungen hat Strategien entwickelt, mit der Situation der toxic ignorance umzugehen. Dabei ergänzen sich der immissionsseitige und der emissionsseitige Ansatz. Immissionsseitig liegen nur punktuell Informationen zu den Wirkungen auf die gesetzlichen Schutzgüter vor. Aus diesem Grund gibt es nur wenige Stoffe bzw. Stoffgruppen mit verbindlichen Immissionswerten. Die daraus resultierenden Steuerungslücken versucht man, emissionsseitig zu kompensieren, indem einerseits die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen sind (Stand der Technik, best available technology) und andererseits zusätzliche Substituierungs- und Minimierungspflichten für besonders problematische Stoffe eingreifen.16 Gemeinschaftsrechtlich kann man sich dabei auf die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung sowie auf den Grundsatz stützen, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen (Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EG). In der Praxis stehen die beiden Perspektiven „Immission“ und „Emission“ nicht nur in einem Ergänzungs-, sondern auch in einem Spannungsverhältnis.17 Ohne Indikatoren auf der Immissionsseite bleibt es bei der Unsicherheit, ob man emissionsseitig noch immer zu wenig oder bereits zu viel an Maßnahmen ergriffen hat. 15 Zum Verhältnis von originärem Stoffrecht zum abgeleiteten Stoffrecht am Beispiel der Anwendung der Gefahrstoff-Verordnung auf Nanomaterialien siehe Führ / Merenyi / Hermann et al. sowie Merenyi / Führ / Ordnung. 16 Zu den Einzelheiten siehe Führ 2007. Siehe dazu auch die Beiträge von Gawel, Calliess und Köck in diesem Band. 17 Dies zeigte und zeigt sich etwa in der Konkurrenz der beiden Ansätze im Rahmen der IVU-Richtlinie (1996 / 61 / EG).

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Noch prekärer ist die Situation im Bereich des Monitorings, wo man naturgemäß nur die Stoffe finden kann, nach denen man auch sucht. Ohne Kenntnis davon, welche Stoffe problematisch sein können, wird man kaum spezifisch nach ihnen suchen. Und ohne toxikologische Daten lassen sich auch Zufallsfunde einzelner Stoffe in ihrer Relevanz nicht einordnen.

2. Lösungsbeiträge aus dem Produktrecht In dem Maße, in dem man den Stoffausstoß aus industriellen Prozessen begrenzt, verschiebt sich die Problemlage. Nicht mehr Schornstein und Abflussrohr sind die relevanten Quellen der Schadstofffreisetzung, vielmehr gilt – nicht nur für die chemische Industrie – der Satz eines BASF-Managers: „Die Hauptemission sind die Produkte“.18 So hat man beispielsweise den Eintrag der Schwermetalle Blei und Cadmium in die Umwelt durch Vorgaben für die Produktgruppe der Batterien dadurch spürbar verringert, dass der Gehalt dieser Stoffe begrenzt wurde. Begrenzungen des Schadstoffgehaltes in Produkten findet man etwa auch in der Altauto-Richtlinie (2000 / 53 / EG), wo je Fahrzeug nur noch 2g sechswertiges Chrom enthalten sein dürfen oder in der Komplementär-Richtlinie zur Elektround Elektronikaltgeräte-Richtlinie (2002 / 96 / EG), der Richtlinie „zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten“ (2002 / 95 / EG), die sowohl Schwermetalle als auch organische Verbindungen beschränkt. Hier ist es – punktuell, aber doch mit einer erheblichen Breitenwirkung – möglich, problematische Stoffe aus den Produkten und damit aus den Stoffströmen der Gesellschaft herauszuhalten. Voraussetzung dafür sind Informationen über die Wirkungsweise der regulierten Stoffe. Weitergehende Vorgaben, etwa zur Wieder- und Weiterverwendung von Produkten oder Bauteilen, lassen sich aber schon deutlich schwerer verwaltungsrechtlich erreichen. Grund dafür ist wiederum das fehlende Wissen auf Seiten der Regulierungsorgane, aber auch die Notwendigkeit, teilweise Märkte mit den sie bedienenden Wertschöpfungsketten entstehen zu lassen. Dabei geht es weniger um technische Innovationen, sondern vielmehr darum, Prozessinnovationen auszulösen. Dafür ist aber der Zugang zu produktspezifischen Informationen und ein entsprechendes Kennzeichnungs- und Sortiersystem Voraussetzung.19 Jenseits der stoffstrom- bzw. abfallpolitischen Ziele angesiedelt ist die sog. ÖkoDesign-Richtlinie (2005 / 32 / EG), die auch den Energiebedarf in der Gebrauchsphase der Geräte mit in den Blick nimmt. Andere produktpolitische Regelwerke, wie etwa die Bauprodukte- (89 / 106 / EWG) oder die Spielzeug-Richtlinie (88 / 18 Führ 2000, S. 7; siehe auch die dort versammelten Beiträge zur „Stoffstromsteuerung durch Produktregulierung“. 19 Für eine Analyse dieser Konstellation im Bereich der Elektro- und Elektronikgeräte und entsprechende Regelungsvorschläge aus dem ELVIES-Projekt siehe in Fn. 10.

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378 / EWG),20 beschränken sich überwiegend auf qualitative Umschreibungen in „grundlegenden Anforderungen“, deren genauere Ausformung dann in Gestalt von mandatierten technischen Normen erfolgt. Die Beispiele verdeutlichen die große Bandbreite des produktbezogenen Regelungsbedarfs. In stofflicher Hinsicht beschränkt man sich bislang auf die bekannten „klassischen“ Schadstoffe. Darüber hinausreichende stoffbezogene Produktsicherheitsvorgaben sind ebenso wie das sektorale Umweltrecht auf die Informationen angewiesen, die das originäre Stoffrecht bereitstellt.

IV. Stoffregulierung durch REACh als innovationsfördendes Recht Vor dem Hintergrund der skizzierten Problemlage und der bisher formulierten gesellschaftlichen Antwort darauf im status quo ante hat das durch REACh neu gestaltete Stoffrecht vor allem zwei Aufgaben zu erfüllen: 1. Zunächst ist dafür zu sorgen, dass Informationen zu den Wirkungen der eingesetzten Stoffe auf Mensch und Umwelt vorhanden sind. 2. Darauf aufbauen ist zu gewährleisten, dass in allen Stufen des Lebensweges eines Stoffes ein angemessenes Risikomanagement betrieben wird. Dazu bedarf es Informationen über die Einsatzgebiete sowie über die Freisetzungsraten und Freisetzungspfade. Beiden Aufgabenbereichen widmet sich REACh. Während in der öffentlichen Debatte die Kosten für zusätzliche toxikologische Tests im Vordergrund standen, dürfte der Aufwand zur Informationsgewinnung und -verarbeitung im zweiten Aufgabenbereich oftmals unterschätzt worden sein. Innovationsoffen und innovationsfördernd ist das Recht aber nur, wenn es den Akteuren einerseits klare Handlungsorientierung vermittelt und die Anreizsituation entsprechend ausgestaltet, andererseits aber auch Gestaltungsspielräume belässt;21 mit anderen Worten das eigenverantwortliche Handeln der Akteure ermöglicht und verstärkt. Deshalb ist zunächst der grundsätzliche Regulierungsansatz noch einmal aus der Perspektive des Verordnungsgebers nachzuzeichnen. Im Anschluss sind die Verhaltensanforderungen bei registrierungspflichtigen Stoffen sowie der Einbettung in die weiteren REACh-Mechanismen kurz zu erläutern.

20 Letztere enthält auch konkrete Werte für „biologisch verfügbare“ Schwermetalle, jedoch kein Verfahren, mit dem sich deren Einhaltung bestimmen ließe. Sie soll nach den zahlreichen Fällen schadstoffhaltiger Kinderspielzeuge durch konkrete stoffbezogene Vorgaben werden; so die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 25. 01. 2008 (http: // ec. europa.eu / deutschland / press / pr_releases / index_7564_de.htm, zuletzt abgerufen am 11. 5. 2008). 21 Siehe dazu auch den Beitrag von Roßnagel in diesem Band.

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1. Regulierungsansatz: Stärkung der Eigen-Veranwortung Den Regulierungsansatz der Verordnung formuliert Erwägungsgrund 16 Satz 2: „Diese Verordnung beruht auf dem Grundsatz, dass die Industrie Stoffe mit einer solchen Verantwortung und Sorgfalt herstellen, einführen, verwenden oder in den Verkehr bringen sollte, wie erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt unter vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendungsbedingungen nicht geschädigt werden.“ Und Erwägungsgrund 18 betont: „Die Verantwortung für das Risikomanagement im Zusammenhang mit Stoffen sollte bei den natürlichen oder juristischen Personen liegen, die diese Stoffe herstellen, einführen, in Verkehr bringen oder verwenden. Informationen über die Durchführung dieser Verordnung sollten insbesondere für KMU leicht zugänglich sein.“

Diese Verantwortungsverteilung will der Verordnungsgeber sowohl im Hinblick auf Risikoermittlung und -bewertung zum Tragen bringen (Erwägungsgrund 25 Satz 1): „Die Verantwortung für die Beurteilung der Risiken und der Gefährlichkeit von Stoffen sollten in erster Linie die natürlichen oder juristischen Personen tragen, die diese Stoffe herstellen oder einführen, allerdings nur, wenn es sich um Mengen oberhalb bestimmter Schwellenwerte handelt, damit die damit verbundene Belastung tragbar bleibt.“

als auch hinsichtlich des Risikomanagements (Erwägungsgrund 25 Satz 2): „Natürliche oder juristische Personen, die mit chemischen Stoffen umgehen, sollten die erforderlichen Risikomanagementmaßnahmen im Einklang mit der für die Stoffe durchgeführten Risikobeurteilung treffen und entsprechende Empfehlungen über die Lieferkette weitergeben.“

Zur Ausfüllung der damit umschriebenen Grundpflichten erläutert Erwägungsgrund 25 Satz 3: „Dazu sollte gehören, dass die mit der Produktion, der Verwendung und der Entsorgung der einzelnen Stoffe22 verbundenen Risiken in angemessener und transparenter Weise beschrieben, dokumentiert und mitgeteilt werden.“

Grundlage dafür sind entsprechende Informationen über die Stoffeigenschaften, die von den Stoffverantwortlichen zu generieren sind (Erwägungsgrund 26: „Zur effektiven Durchführung von Stoffsicherheitsbeurteilungen sollten sich Hersteller und Importeure von Stoffen – falls erforderlich durch neue Versuche – Informationen über diese Stoffe beschaffen.“). Diese sind im nächsten Schritt den Anwendungsbedingungen des Stoffes gegenüber zu stellen, um daraus Maßnahmen zur angemessenen Beherrschung der stoffbedingten Risiken abzuleiten und in der 22 Neben den Stoffen nimmt die Verordnung auch die „Erzeugnisse“ in den Blick und formuliert auch hier den Grundsatz der Eigen-Verantwortung (Erwägungsgrund 29: Produzenten und Importeure von Erzeugnissen [tragen] die Verantwortung für ihre Erzeugnisse“); die dem Welthandelsrecht geschuldete Sonderstellung importierter Produkte soll an dieser Stelle außer Betracht bleiben (siehe dazu Fluck / Campen).

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Wertschöpfungskette zu kommunizieren. Als standardisiertes Kommunikationsformat dient das Sicherheitsdatenblatt. Neben diesem formalisierten Informationstransfer werden in der Praxis aber informale Kommunikationswege, etwa zwischen Beschäftigten im Vertrieb auf Lieferantenseite und gewerblichen Stoffanwendern auf der anderen Seite eine erhebliche Rolle spielen. Dies dürfte vor allem dann gelten, wenn infolge der neuen Rahmenbedingungen ein Wettbewerb in Richtung auf Informationen anwendungstauglicher Risikomanagement-Maßnahmen einsetzt. 2. Verhaltensanforderungen im Überblick Für die Vermarktung registrierungspflichtige Stoffe gilt zukünftig gemäß Art. 5: „Ohne Daten kein Markt“. Erst die fristgerechte Vor-Registrierung – unter Beifügung der Risikoinformationen nach Anhang I im Rahmen der eigentlichen Registrierung – erlaubt also die weitere Vermarktung von Altstoffen für die dort beschriebenen Verwendungen. Diese Anforderungen gelten stufenweise für alle Stoffe (Alt- und Neustoffe; Ausnahmen in den Anhängen IV und V). Sie stellen damit das „Herzstück“ des neuen Regulierungsansatzes dar (siehe dazu unter 4.). Hinzu tritt für Stoffe mit bestimmten Gefährdungsmerkmalen bzw. Besorgnispotenzialen die Zulassungspflicht. Außerdem besteht die – umfassender als bislang angelegte – Möglichkeit, generelle Beschränkungen zu erlassen (Art. 67 ff.).

3. Anreize aus dem Verfahren zur Etablierung der Zulassungspflicht Für zulassungspflichtige Stoffe gilt– nach Ablauf der Übergangsfrist – ein Vermarktungsverbot; „es sei denn, es wurde eine Zulassung erteilt“, so Art. 58 Abs. 1 lit c) i). Zulassungsplichtig sind die Stoffe, die in dem noch zu erstellenden Anhang XIV aufgeführt sind. Die dafür in Frage kommenden Stoffe versammelt die sog. „Kandidatenliste“. Dabei ist es keineswegs so, dass alle „gefährlichen Stoffe“ automatisch der Zulassungspflicht unterliegen oder auch nur den Status des Zulassungskandidaten erlangen. Diese Feststellung ist aus Sicht der Stoffverantwortlichen von besonderem Interesse, weil bereits mit dem Kandidatenstatus Transparenzpflichten gegenüber den Verbrauchern einher gehen, die auch die Bestellpraxis des Handels beeinflussen werden. a) Vorstufe: Potentielle Kandidaten Das Verfahren zur Aufstellung der Kandidatenliste definiert Art. 59. An der Entscheidung beteiligt sind Kommission und Agentur sowie die Mitgliedsstaaten. Dieses Verfahren wird die Praxis der nächsten Jahre im Bereich des Zulassungsrechts zunächst dominieren. Von daher sind die daraus resultierenden Anreizwirkungen auch unter Innovationsgesichtspunkten von besonderem Interesse.

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Das Dossier nach Anhang XV, auf dessen Grundlage über die Aufnahme in die Kandidatenliste entschieden wird, befasst sich vorrangig mit den Stoffeigenschaften. Für legal eingestufte Stoffe kann es gänzlich auf einen Verweis auf Anhang I der der Richtlinie 67 / 548 begrenzt werden (Art. 59 Abs. 2 Satz 2). Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sich das Dossier nicht auf die Stoffeigenschaften beschränkt. So verlangt Anhang XV in Nr. II.2 Abs. 3 explizit, auch die „verfügbaren Informationen über Verwendung und Expositionen“ in das Dossier aufzunehmen.23 Anzugeben sind zudem auch „Informationen über Alternativstoffe und -technologien“. Bevor über die Aufnahme in die Kandidatenliste entschieden wird, haben – auf der Grundlage eines Internet-Hinweises auf die Existenz des Dossiers – alle „interessierten Kreise“ die Möglichkeit, „Bemerkungen vorzulegen“ (Abs. 4).24 Gegenstand dieser Bemerkungen sind alle Angaben in dem Dossier, also auch die dort enthaltenen Informationen über „Verwendung und Exposition“. Abgesehen von dem – wohl extrem unwahrscheinlichen – Fall, dass überhaupt keine Bemerkungen eingehen,25 ist anschließend in dem Ausschussverfahren (Abs. 7 und 8 bzw. Art. 133 Abs. 3) über die Aufnahme zu entscheiden. Aufgrund der fehlenden unmittelbaren Verknüpfung zwischen Stoffeigenschaften und Kandidatenstatus wird man – ohne die damit zusammenhängenden Fragen hier genauer zu analysieren – einen Entscheidungsspielraum nicht gänzlich verneinen können. Klärungsbedürftig bleibt freilich, ob und welche Kriterien neben den Stoffeigenschaften heranzuziehen sind. In jedem Fall sind auch im Gemeinschaftsrecht die Grundsätze der Erforderlichkeit26 und der Gleichbehandlung zu beachten: – Der Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt, unter den zur Zielerreichung gleichermaßen geeigneten Maßnahmen das jeweils mildeste Mittel auszuwählen.27 Für die hier zu betrachtende Entscheidungssituation bedeutet dies: Steht für das Ziel, ein „hohes Schutzniveau“ für Mensch und Umwelt nach Maßgabe des Grundsatzes der Vorsorge zu erreichen (Art. 1), ein gleichermaßen geeignetes Mittel zur Verfügung, welches die wirtschaftliche Betätigung des Antragstellers 23 Das Dossier ist laut Anhang XV Nr. II.2 in dem Format zu dokumentieren, welches „Teil B des Stoffsicherheitsberichtes nach Anhang I“ vorgibt. Dazu gehört auch die Ermittlung der Expositionen (Nr. 9) und eine Risikobeschreibung (Nr. 10), die Expositionsszenarien (ggf. für unterschiedliche Verwendungen) beinhaltet. Zwar könnte man den Verweis auf „Teil B“ noch als Redaktionsversehen einstufen dahingehend, dass lediglich die Nr. 1 bis 8 gemeint seien. Der im folgenden Absatz genannte Hinweis auf „Informationen über Expositionen, Ersatzstoffe und Risiken“ schließt eine derartige Sichtweise jedoch aus. 24 Dies steht auch den Mitgliedstaaten zu (Abs. 5). Diese Vorschrift sieht Bemerkungen aber nur hinsichtlich der Kriterien des Art. 57 vor. 25 Gemäß Art. 59 Abs. 6 nimmt die Agentur diesen Stoff dann ohne weitere Abwägung in die Kandidatenliste auf. 26 Art. 5 Abs. 3 EGV bringt – trotz seines enger gefassten Wortlauts – den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Ausdruck (dazu Calliess, Rn. 50 ff.) 27 Calliess, Rn. 53 ff. m. w. N. zur Rechtsprechung des EuGH und zur Literatur.

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in geringerem Maße belastet, dann verlangt es das Erforderlichkeitskriterium, dem Stoffverantwortlichen zu gestatten, dieses Mittel zu ergreifen. – Legt der Stoffverantwortliche also plausibel dar, dass er – trotz des Vorliegens besonders besorgniserregender Stoffeigenschaften – ein angemessenes und wirksames Risikomanagement gewährleisten kann, streitet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dafür, die für ihn mildere Option zu wählen. Darin liegt letztlich nichts anderes als das im Polizeirecht bekannte Phänomen des „Austauschmittels“.28

Geht man dabei von einer grundsätzlichen Eigennutzorientierung der Akteure aus,29 lassen sich – ungeachtet der weiter klärungsbedürftigen Rechtsfragen – folgende Erkenntnisse formulieren: Bereits aus dem Verfahren der Kandidatenermittlung können sich Anreize für ein wirksames Risikomanagement ergeben. So werden die Hersteller und Anwender darauf hinarbeiten, dass für ihren Stoff bzw. für ihre Verwendungen keine Zulassungspflicht etabliert wird. Erster Schritt zur Erreichung dieses Ziel wird es sein, schon die Aufnahme in die Kandidatenliste hinauszuzögern oder ganz zu vermeiden. b) Kandidatenliste Befindet sich ein Stoff auf der Kandidatenliste nach Art. 59 Abs. 1, macht dies die Agentur „unverzüglich auf ihrer Website“ bekannt. Damit steht den Verbrauchern der Informationsanspruch nach Art. 33 Abs. 2 zu. Sie können vom Lieferanten eines Erzeugnisses, welches den Kandidatenstoff in einer Konzentration von mehr als 0,1% enthält, Informationen zum sicheren Umgang mit dem Produkt verlangen; sie erhalten „aber mindestens den Namen des betreffenden Stoffes“. Es ist davon auszugehen, dass der Handel diese Entwicklung aufmerksam beobachten wird. Jedenfalls bei „verbrauchernahen“ Produkten, also solchen, mit denen die Verbraucher unmittelbar bzw. für einen längeren Zeitraum in Berührung kommen (etwa Textilien, Möbel, sonstige Haushaltsgegenstände aller Art, Innenraumanstriche etc.) wird sich daraus ein Anreiz ergeben, auf diese Inhaltsstoffe möglichst vollständig zu verzichten.30 Das Damoklesschwert der „Auslistung“ durch den Handel wirkt auf die Vorstufe „Aufstellung der Kandidatenliste“ zurück. Es wird die Akteure stimulieren, zusätzliche Maßnahmen der Risikominderung zu ergreifen, die es Agentur und Mitgliedstaaten nahe legen, von der Aufnahme in die Kandidatenliste (zunächst) abzusehen. 28 Darunter versteht man das „im Verhältnismäßigkeitsgedanken fußende Recht des Betroffenen, der Polizei ein Austauschmittel anzubieten“; siehe dazu Rachor, Rn. 50; u. a. mit den Beispielen: Herausgabe statt schlichter Wegnahme; Öffnen der Türe statt Sprengung. 29 Zu den Verhaltensannahmen, die den Arbeiten der Forschungsgruppe zugrunde liegen, siehe Führ / Bizer / Feindt sowie – speziell für die REACh-Akteure – Führ / Koch / Heitmann / Merenyi / Ahrens et al. 30 Zur Bedeutung von REACH für die Bekleidungsindustrie siehe Rasch.

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c) Prioritär zulassungspflichtige Stoffe Aus der Kandidatenliste wählt die Agentur die Stoffe aus, die prioritär zu behandeln sind. Vor der endgültigen Entscheidung ist wiederum die Öffentlichkeit zu beteiligen. Eine Empfehlung für die Aufnahme in Anhang XIV legt die Agentur erstmalig zum 1. Juni 2009 vor; danach in einem „mindestens“ zweijährigen Rhythmus (Art. 58 Abs. 3).31 4. Anforderungen an registrierungspflichtige Stoffe REACh verlangt für registrierungspflichtige Stoffe ein Zusammenwirken aller Akteure der gewerblichen Wertschöpfungskette (bzw. „Lieferkette“). In den einzelnen „Stationen des Risiko-Managements“ haben alle beteiligten Betriebe jeweils spezifische „Rollen“ auszufüllen:32 – Sie müssen Daten gewinnen, bewerten und dokumentieren (Information). – Sie müssen sich über diese Daten austauschen (Kommunikation). – Und sie müssen mit den anderen Akteuren gemeinsam Konzepte zum RisikoManagement entwickeln (Kooperation).

Hinsichtlich der registrierungspflichtigen Stoffe ergeben sich aus REACh Verhaltensanforderungen: Was die Betriebe zu welchem Zeitpunkt („Station“) genau zu tun haben, wird z. T. explizit, z. T. aber auch nur implizit ausgedrückt. Die Ziele des Registrierungsverfahrens lassen sich aber nur dann erreichen, wenn die Akteure in den Betrieben sowohl die expliziten Pflichten und Obliegenheiten als auch die impliziten Verhaltenserwartungen als solche erkennen („Was soll ich wann tun und mit wem muss ich dazu wie kooperieren?“) und die daraus resultierenden „Rollen“ im Risiko-Management auch tatsächlich ausfüllen. Weil es nicht nur um die Stoffeigenschaften geht, sondern auch um die konkreten Anwendungsbedingungen bei den nachgeschalteten Anwendern, erfolgt der Informationsfluss nicht nur in der Richtung vom primären zum sekundären Stoffverantwortlichen. Vielmehr sind Hersteller und Importeure darauf angewiesen, Informationen aus dem weiteren Weg entlang der Wertschöpfungskette zu erlangen, die dann jeweils upstream zu kommunizieren sind.33 31 Die Norm enthält eine Vorgabe, welche Stoffe in der Regel prioritär zu behandeln sind: Hierzu zählen Stoffe mit PBT- oder vPvB-Eigenschaften (Art. 57 lit. d und e), Stoffe mit weit verbreiteter Verwendung oder Stoffe in großen Mengen. Nicht dazu zählen „ebenso besorgniserregende“ Stoffe nach Art. 57 lit. f. 32 Die unterschiedlichen „Rollen“ der REACh-Akteure und die von ihnen zu erbringenden Verhaltensbeiträge hinsichtlich registrierungspflichtiger Stoffe beschreibt die Übersicht bei Führ 2008, S. 109 f. (siehe auch die dort genannten Nachweise sowie die „Umsetzungshilfen“ für die REACh-Akteure unter www.reach-helpdesk.info). 33 Anders als in den vorherigen Entwürfen verankert die REACh-Verordnung in Art. 34 nunmehr explizit eine „Informationspflicht gegenüber den vorgeschalteten Akteuren der Lieferkette bei Stoffen und Zubereitungen“.

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Vor diesem Hintergrund kommt es zentral auf die Mitwirkungsbereitschaft der Akteure an. Noch mehr als bei anderen Regulierungsvorhaben bedeutet dies: Die Motivationslage der Regelungsadressaten bildet den Ausgangspunkt jeder Veränderungsbemühung („motivation matters“). Zu klären ist also, welchen Anreizen die Akteure unterliegen und welchen Hemmnissen sie sich gegenübersehen.34 5. Folgenanlastung, Anreizsituation und Umsetzungs-Hemmnisse Eine Folgenanlastung im Sinne von hoheitlichen Sanktionen sieht REACh selbst bei den explizit formulierten Pflichten35 meist nicht vor. Im Registrierungsverfahren kann die Behörde zwar Daten nachfordern. Was aber passiert, wenn das Registrierungsdossier auch danach mangelhaft ist, darüber gibt REACh keine Auskunft.36 Ungeregelt ist auch der zentrale Aspekt des Risikomanagements, nämlich die „Anwendung“ der „Maßnahmen zur angemessenen Beherrschung“, wie sie die Grundpflichten für die Hersteller und Importeure („primäre Stoffverantwortliche“) sowie die nachgeschalteten Anwender (Downstream-User als „sekundäre Stoffverantwortliche“) registrierungspflichtiger Stoffe vorschreiben (Art. 14 Abs. 6, Art. 37 Abs. 5). In welcher Weise kontrolliert wird, ob der Stoffverantwortliche diese expliziten Pflichten erfüllt, haben die Mitgliedstaaten festzulegen. Da sich die Risikomanagement-Maßnahmen im Anwendungsbereich anderer sektoraler Regelwerke vollziehen (z. B. Wasserrecht, Anlagenrecht oder Abfallrecht), bietet es sich an, hier Doppelarbeit zu vermeiden und die Vollzugs- und Kontrollinstrumentarien des sektoralen Umweltrechts für die REACh-Pflichten zu nutzen. Angesichts des nicht nur in Deutschland zu beobachtenden Trends, die Vollzugskapazitäten abzubauen und auf die antragsbedingten Tätigkeiten zu konzentrieren (Stichwort „Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“)37 wird wohl eher von punktuellen Anreizen auszugehen sein. Eine flächendeckende Umsetzungskontrolle ist von REACh wohl auch nicht intendiert. Anreize, die durch REACh zugewiesene „Rolle“ auszufüllen, vermitteln daher im Wesentlichen marktliche Mechanismen. Erst in der Zusammenschau der verschiedenen Anreizmechanismen – bezogen jeweils auf die „Rollen“ der Akteure in 34 Für eine genauere Darstellung der Methodik der Anreizanalyse siehe Bizer / Führ 2007 (Paradigm shift / Risikomanagement) sowie für eine eingehende Analyse auf dem Stand des Vorschlags der Europäischen Kommission von 29. 10. 2003 Führ / Koch / Heitmann / Merenyi / Ahrens et al. 35 Bei den bloßen Mitwirkungsobliegenheiten besteht die Sanktion darin, dass die Akteure die Vorteile – etwa die Aufnahme einer bestimmten Verwendung eines nachgeschalteten Anwenders in das Registrierungsdossier – nicht erlangen, wenn sie nicht entsprechend mitwirken. 36 Siehe dazu die Analyse und Gestaltungsvorschläge bei Führ 2008, S. 112 f. und 123 ff. 37 Siehe die Nachweise im Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen 2007.

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den einzelnen „Stationen“ – lassen sich die zu erwartenden Verhaltensänderungen der Akteure abschätzen. Und schließlich haben auch umsetzungswillige Akteure nicht selten eine ganze Reihe von Hemmnissen („Stolpersteine“) zu überwinden. Um die Transaktionskosten für die Betriebe zu senken, bietet es sich an, standardisierte Hilfsmittel bereitzustellen. Diese müssen allerdings auf die Perspektive (Anreizsituation, professionelle Wahrnehmungsraster, Routinen etc.) der jeweiligen Akteure zugeschnitten sein. Notwendig sind also nutzerorientierte Hilfsmittel, die es den Beschäftigten in den Unternehmen für jede „Rolle“ und jede „Station“ erleichtern, die Verhaltensanforderungen auszufüllen.38 Branchen und Branchen-Verbände erwähnt REACh nicht als Akteure. Gleichwohl lassen sich viele der REACh-Pflichten innerhalb einer Branche besser erfüllen als auf rein betrieblicher Ebene. Branchenverbände können wichtige Beiträge bei der Überwindung der „Stolpersteine“ leisten.39 6. Zwischenergebnis Als Fazit lässt sich damit festhalten: Bei den (nur) registrierungspflichtigen Stoffen sitzen die Behörden jetzt in der „zweiten Reihe“. Dennoch haben sie ein präziseres Bild vor Augen, denn das Prüfprogramm, welches REACh den Herstellern und Importeuren als primäre Stoffverantwortlichen auferlegt, verringert den Grad an „toxic ignorance“ und erweitert die Kenntnisse über kritische Verwendungen. Hinzu kommt eine neue Gruppe von Regelungsadressaten des Stoffrechts: Die nachgeschaltenen Anwender als sekundäre Stoffverantwortliche. Dazu zählen Formulierer40 sowie bloße Stoffanwender; die Spanne reicht von großindustriellen bis hin zu handwerklichen Betrieben. Sie erfüllen sowohl bei der Risiko-Ermittlung als auch bei der Umsetzung von Risiko-Management-Maßnahmen (RMM) wichtige Funktionen. Risikomanagement entlang der Wertschöpfungskette, wie es REACh vorsieht, verlangt ein (proaktives) Zusammenwirken entlang der Wertschöpfungskette mit Elementen von Information, Kommunikation und Kooperation („IKuK-Instrumente“). Jedes dieser Instrumente ist schon für sich voraussetzungsvoll. Fast immer kann der eine Akteur zudem seine Pflichten nur erfüllen, wenn die anderen ihre Beiträge ebenfalls in der richtigen Weise zum richtigen Zeitpunkt leisten.41 38 Für die in den Unternehmen aktuell anstehende „Station“, die „Vorbereitung auf REACh“, finden sich solche Hilfsmittel beispielsweise unter www.reach-helpdesk.info / reach-methodik.0.html. 39 Dementsprechend wurden die Hilfsmittel unter www.reach-helpdesk.info gemeinsam mit Betrieben und Verbänden aus der Wertschöpfungsketten Galvanik (Oberflächenbehandlung) und Textilveredelung entwickelt. 40 Formulierer sind Betriebe, die aus mehreren Stoffen oder Zubereitungen, neue Zubereitungen herstellen, also etwa ein Produzent von Druckfarben.

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V. Rechtfertigung der Regulierung Wie bei allen staatlichen Interventionen stellt sich auch bei REACh die Frage nach der Rechtfertigung. Diese ist dann gegeben, wenn der Markt unter den bisherigen Rahmenbedingungen als Allokationsmechanismus versagt. Das ist typischerweise der Fall bei externen Effekten, öffentlichen Gütern, Informationsasymmetrien oder auch bei natürlichen Monopolen.42 Externe Effekte und öffentliche Güter können beispielsweise in Bezug auf die Umwelt vorliegen, wenn Chemikalien die Umweltqualität beeinträchtigen, aber auch bei der menschlichen Gesundheit sind sie relevant, wenn Fruchtschädigungen oder Erbgutschädigungen entstehen oder Menschen durch Toxizität oder Karzinogenität von Stoffen betroffen sein können. Marktversagen kann auch dann vorliegen, wenn asymmetrische Informationen vorliegen, die durch den Markt nicht korrigiert werden. Das ist beispielsweise häufig der Fall auf dem Versicherungsmarkt, bei dem der Prinzipal (die Versicherung) nicht genau das Verhalten des Agenten (des Versicherten) beobachten kann, und deshalb dieser seinen Informationsvorsprung zu seinen Gunsten nutzt (moral hazard, adverse Selektion). Im Fall der Chemikalienregulierung bestehen asymmetrische Informationsbeziehungen in Bezug auf die Risiken, weil die Anwender häufig nicht erkennen können, welchen Gefahren sie sich bei der Verwendung der Chemikalien aussetzen. Genau diese Asymmetrie adressiert die REACh-Verordnung, indem sie umfassende Informationspflichten und Anreize schafft, die entscheidenden Informationen zu gewinnen und weiterzugeben. Dabei berücksichtigt REACh, dass die Kosten der Informationsgewinnung bei den Herstellern und Formulierern niedriger sind als am unteren Ende der Wertschöpfungskette etwa bei den Anwendern. Unter dem bisherigen Regulierungsansatz bestand noch nicht einmal ein ausreichendes Interesse daran, die entsprechenden Informationen zu gewinnen (toxic ignorance). Jetzt soll REACh nicht nur die Informationsgewinnung in Gang setzen und den Informationsaustausch forcieren, sondern dies sogar mit einer weitgehenden Senkung der Transaktionskosten verbinden. Dies geschieht einerseits durch die Verpflichtung der Hersteller und Formulierer, andererseits durch Standardisierungen bei der Wissensermittlung und der Informationsweitergabe. Zentrales Problem für REACh ist der Umgang mit Betriebsgeheimnissen. Hersteller und Formulierer neigen zur Nicht-Einhaltung der Vorgaben, wenn die Kosten der Einhaltung etwa durch Offenbarung eines Betriebsgeheimnisses höher sind als die erwarteten Verluste durch non-compliance. REACh reagiert darauf, in dem es keine vollumfängliche Offenlegung verlangt, sondern eine Standardisierung der Informationspflichten sowie der Kommunikationswege vorgibt. So begrenzen 41 Für Beiträge der Managementlehre zur Steuerung akteurübergreifender Innovationsprozesse siehe etwa Herstatt / Lüthje / Lettl oder Henkel / Sander sowie die weiteren Aufsätze in Herstatt / Verworn. 42 Siehe umfassend Fritsch / Wein / Ewers, S. 91 ff.

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Sicherheitsdatenblätter und Expositionsszenarien die preiszugebenden Informationen auf ein bestimmtes Maß, das für die Unternehmen überwiegend unschädlich sein dürfte.43 Insgesamt zeigt sich damit, dass hinlänglich Marktversagensgründe bestehen, um eine umfassende Regulierung zu initiieren. Das dabei auftretende Problem des Staatsversagens adressiert REACh, indem es den Akteuren jeweils spezifische Informationspflichten auferlegt und die Informationsgewinnung und -weitergabe möglichst transaktionskostensparend gestaltet und auf Betriebsgeheimnisse Rücksicht nimmt. VI. REACh als Informationsspiel Der eingangs erwähnte Paradigmenwechsel gegenüber dem bisherigen Regulierungsansatz hat zur Folge, dass die Regelungsadressaten nicht mehr nur in ein Informationsspiel allein mit der Behörde eingebunden sind, sondern neue Akteure hinzukommen, die jeweils ein eigenes Interesse an der Bereitstellung von Informationen verfolgen. Dabei zeigt sich, dass REACh auf geschickte Art und Weise die Anreizsituationen der Akteure gestaltet, um sie zur Informationspreisgabe zu bewegen. Dieser Abschnitt beschäftigt sich damit, wie dieses Informationsspiel in seiner Struktur aussehen muss, um erfolgreich zu sein, und diskutiert, ob REACh sie auf geeignete Art und Weise prägt.44 Das Folgende geht vereinfachend davon aus, dass es zwei Akteure gibt – einen Upstream-Akteur (Hersteller, Importeur oder Lieferant) und einen DownstreamUser. Dabei haben beide Akteure, von denen wir im ersten Schritt annehmen, dass sie ein einmaliges Spiel spielen, die Optionen, entweder Informationen preiszugeben oder sie zurückzuhalten. Wir gehen zudem davon aus, dass der Anbieter eine höhere Informationsprämie erhält als der Downstream-User, weil er durch Transparenz mehr Anregungen erhält, die er für seinen Produktionsprozess, aber auch sein Marketing nutzen kann. Gleichzeitig verursacht Transparenz aber auch Kosten, denn die Informationen müssen gewonnen und verarbeitet und für die Downstream-User aufbereitet werden. Auch die Downstream-User können durch Transparenz gewinnen, weil die Gefährdung sinkt und über Transparenz auch Umweltbewusstsein und -compliance demonstriert werden kann. Beide Akteure sind aber voneinander abhängig in dem Sinne, dass der Ertrag des eigenen Handelns von der Wahl der Handlung des anderen Akteur abhängt. Wählt der Upstream-Akteur die Informationsbereitstellung und der Downstream-User entscheidet sich dagegen, dann hat der Upstream-Akteur nur die Kosten, aber keinen Ertrag, während die Stituation der Downstream-User unverändert bleibt. Wählen beide die Informa43 Zugleich besteht aber die Gefahr, dass das für die Risikobeherrschung notwendige Informationsniveau unterschritten wird. 44 Siehe zum Produktionsspiel zwischen Regulierer und Adressaten in der Chemikalienregulierung Koch, S. 71 ff. Hier steht im Unterschied dazu im Mittelpunkt, welches Spiel der Regulierer innerhalb der Wertschöpfungskette auslöst.

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tionsbereitstellung, erzielen sie beide positive Auszahlungen. Entscheiden sie sich beide gegen Informationsbereitstellung bleiben beide unverändert und wenn der Downstream-User sich für Information entscheidet, aber der Upstream-Akteur dagegen, dann hat nur ersterer Kosten, während der Zweitere unverändert bleibt. Zur Veranschaulichung weist Tabelle 1 diesen Situationen Zahlenwerte zu. Sie zeigt in den Zeilen die Strategien des Upstream-Akteurs, in den Spalten die des Downstream-Users. Die Zellen weisen jeweils aus, welche Auszahlungen aus der Strategiewahl entstehen. Diese Werte sind frei gewählt und erfüllen folgende Bedingungen. (1) Die Kosten sind für jeden Akteur geringer als die Informationsprämien. (2) Die Informationsprämie ist größer für den Upstream-Akteur als für den Downstream-User. Das gilt auch für die Kosten. (3) REACh kann zu einem Wohlfahrtsoptimum führen, das für beide Akteure vorteilhaft ist. Tabelle 1 nimmt beispielsweise an, dass der Upstream-Akteur 10 Einheiten an Informationsprämie erzielen kann, wenn er Informationskosten in Höhe von 8 Einheiten aufwendet. Der Downstream-User kann hingegen 6 Einheiten Informationsprämie gewinnen und muss nur 1 Einheit Informationskosten dafür aufwenden, verfügt also über einen ausreichenden Anreiz Informationen bereit zu stellen, wenn auch der Upstream-User diese Option wählt. Dann zeigen die Zellen in Tabelle 1 jeweils die Auszahlungen, die jeweils für den Upstream-Akteur (linke Zahl) und den Downstream-User (rechte Zahl) entstehen. Die Zelle links oben zeigt die beabsichtigte Strategiewahl, in der beide die Informationsbereitstellung wählen. Die Auszahlungen sind unter den oben genannten Bedingungen positiv. Die Zelle unten rechts zeigt die Situation, in der sich beide gegen Informationsbereitstellung entscheiden. Die Auszahlungen sind für beide Null, sie haben aber auch keine Kosten der Informationsbereitstellung. Kritisch sind die Zellen links unten und rechts oben, weil in diesen sich jeweils einer gegen und einer für Informationsbereitstellung entscheidet. In diesen entstehen jeweils Kosten für den, der die Informationen bereitstellt, aber es entstehen keine Gewinne. Tabelle 1 Das einfache simultane Spiel der Informationsbereitstellung unter REACh Downstream-User

Upstream-Akteur

Information bereit gestellt

Keine Information bereit gestellt

Information bereit gestellt

8/5

–2 / 0

Keine Information bereitgestellt

0 / –1

0/0

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Das Beispiel hat kein eindeutiges Gleichgewicht: Für den Upstream-Akteur ist die Strategie, Information bereitzustellen, nur die Beste, wenn auch der Downstream-User Information bereit stellt, sonst erleidet er einen Verlust. Ähnlich ist es für den Downstream-User, der nur dann von der Informationsbereitstellung profitiert, wenn auch der Upstream-Akteur Informationen bereit stellt. Ebenso denkbar ist für beide aber die Strategie, Informationen nicht bereit zu stellen, weil sie dann beide keine Verluste machen. Da keiner über eine dominante Strategie verfügt, sind beide Gleichgewichte denkbar. Damit die Akteure das Wohlfahrtsoptimum erreichen, müssen sie einander vertrauen, denn nur, wenn sie beide voneinander glauben, dass die Strategie „Information bereit stellen“ gewählt wird, riskieren sie selbst ihren Informationsaufwand. Tatsächlich ist das Informationsspiel, das durch REACh geschaffen wird, aber kein simultanes, sondern ein sequentielles Spiel. Das bedeutet, dass jeder Akteur, wenn er „Information“ wählt, damit den anderen Akteur in die Option drängen kann, ebenfalls „Information“ zu wählen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Wohlfahrtsoptimum tatsächlich erreicht wird, beträchtlich. Dennoch bleibt auch die Möglichkeit bestehen, durch Wahl der Option „keine Information“ ein suboptimales Ergebnis für alle Beteiligten zu erzielen. Neben dieser Basisvariante des Informationsspiels ist auch zu überlegen, wie die Anreizsituation ausfällt, wenn der Upstream-Akteur in der Wertschöpfungskette ein Betriebsgeheimnis schützen muss. In der Regel sind Betriebsgeheimnisse in der Herstellung oder Formulierung ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass in dem Fall bisherige Erträge aus der Informationsstrategie des Upstream-Akteurs vollständig aufgezehrt werden. In dem Fall erbringt eine beiderseitige Informationsbereitstellung für den Downstream-User noch immer fünf Einheiten, für den Upstream-Akteur wäre der Ertrag aber Null. Sollte allein der Upstream-Akteur Informationen bereit stellen, der DownstreamUser aber nicht, dann entsteht sogar ein Verlust in Höhe der Informationskosten zuzüglich der Kosten durch Preisgabe des Betriebsgeheimnisses. In diesem Fall wäre die Strategie „keine Informationen bereit stellen“ für den Upstream-Akteur die schwach dominante Strategie. Dies berücksichtigend neigt auch der Downstream-User dazu, keine Information bereit zu stellen, weil er sonst einen Verlust von einer Einheit befürchten muss. Das Gleichgewicht, das beide Akteure aufgrund ihrer jeweils dominanten Strategie realisieren (Nash-Gleichgewicht), ist in diesem Fall, dass keiner Informationen bereit stellt (rechts unten in Tabelle 2). Tatsächlich zeigt Tabelle 2 einen Extremfall: Die Erträge aus der Informationsbereitstellung werden vollständig durch die Preisgabe des Betriebsgeheimnisses aufgezehrt. Wie bereits geschildert, kann REACh die Kosten der Preisgabe des Betriebsgeheimnisses erheblich reduzieren, indem es Informationsinhalte und -wege durch Sicherheitsdatenblätter und Expositionsszenarien standardisiert. Auf diese Weise braucht der Upstream-Akteur nicht zu befürchten, dass die sensiblen Informationen sein Unternehmen verlassen, ohne dass berechtigte Informationen bei den Downstream-Usern fehlen.

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Kilian Bizer und Martin Führ Tabelle 2 Das einfache simultane Spiel der Informationsbereitstellung mit Betriebsgeheimnis unter REACh Downstream-User

Upstream-Akteur

Information bereit gestellt

Keine Information bereit gestellt

Information bereit gestellt

0/5

–10 / 0

Keine Information bereitgestellt

0 / –1

0/0

Die Zahlen veranschaulichen, welche Variablen jede Regulierung in diesem Informationsspiel berücksichtigen muss, um erfolgreich zu sein. Die wichtigste Einflussgröße ist sicher, Informationsansprüche zuzulassen und auf diese Weise beide Akteure zu einer Strategiewahl zu zwingen. Nicht minder bedeutsam ist es, die Kosten der Informationsbereitstellung zu reduzieren. Das ist beispielsweise möglich über Standardisierungen von Informationen und erhöht die Nettoerträge. Allerdings kann die Regulierung keineswegs alle Variablen beeinflussen. So entziehen sich die möglichen Erträge aus dem Betriebsgeheimnis dem direkten Zugriff. Allerdings kann die Regulierung die Option, keine Informationen bereit zu stellen, auch relativ unattraktiver gestalten, indem sie dies langfristig mit weiteren Sanktionen verbindet.

VII. Innovationsimpulse aus REACh Auf der Basis dieses Informationsspiels schafft REACh neue Bedingungen zur Lösung des Problems der asymmetrischen Verteilung der Information unter den Akteuren der Wertschöpfungskette. Im Ergebnis ist zu erwarten, dass die Regulierung einige wichtige Innovationsprozesse auslöst. Ausgangspunkt sind die erweiterten toxikologischen Informationen sowie die zukünftig spezifischeren und umfassenderen Informationen aus dem Sicherheitsdatenblatt. Die REAChMechanismen sind damit in der Lage, über technische und organisatorische Innovationen das Risikomanagement entlang des Stofflebensweges zu verbessern. Die REACh-Verordnung vermittelt einerseits Anreize, neues Wissen (kooperativ) zu gewinnen; sie enthält andererseits aber auch Vorgaben zur Selektion,45 wobei einerseits verwaltungsrechtliche Vorgaben zur Bewertung der Informationen und zur Beschreibung der Risiken zum Tragen kommen (konkretisiert in Anhang I sowie in den Anhängen VI – IX), andererseits über die gewonnene Transparenz aber auch Marktkräfte wirksam werden. 45

Zu diesen beiden Elementen des Innovationsprozesses siehe Kirchner, S. 88 f.

Impulse aus der REACh-Verordnung

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So können Nachfrager unschädlichere Chemikalien identifizieren, weil sie entweder auf der sogenannten „Todesliste“ oder als „nur registriert“ erfasst sind. Diese Informationen stehen nicht nur den gewerblichen Anwendern zur Verfügung. Vielmehr ermöglicht die Transparenznorm in Art. 33 Abs. 2, dass Verbraucher und damit zugleich die allgemeine Öffentlichkeit besser über die Inhaltsstoffe von Produkten informiert sind. Dementsprechend ist zu erwarten, dass Akteure wie große Handelshäuser ein generelles Screening ihrer Produkte veranlassen und Artikel auslisten, zu denen es risikoärmere Alternativen gibt. Die Verknüpfung aus IKuK-Elementen in der Wertschöpfungskette mit der allgemeinen Zugänglichkeit stoffspezifischer Informationen in den Verbraucherprodukten verstärkt die Innovationsimpulse noch einmal: Die Erwartungswerte im Hinblick auf das Verhalten von Verbrauchern und Handel wirken upstream in der Wertschöpfungskette und veranlassen die Akteure in der Kette, gemeinsam nach risikoärmeren stofflichen Alternativen zu suchen (Substitution). Durch die Informationsbereitstellung entsteht die Möglichkeit einer Nachfrage nach inhärent sicheren Produkten, die bislang u. a. an mangelnden Informationen scheiterte. Diese Nachfrage beruht auf einer Beurteilung durch die Marktteilnehmer und kann Substitutionsprozesse auslösen bzw. verstärken.46 Insofern steuert der Markt – nach staatlich induzierter Informationsbereitstellung – den Innovationsprozess in Bezug auf weniger gefährliche Chemikalien. Die Marktkräfte, die durch eine Informations- und Transparenzpolitik ausgelöst werden, wirken über die dem Endverbraucher am nächsten, und damit in der Wertschöpfungskette am Ende angesiedelten Firmen auf die in der Wertschöpfungskette weiter oben angesiedelten Unternehmen. Dieser Wettbewerbsprozess, der in einer Suche nach den ungefährlichen Lösungen besteht, führt zu einer schrittweisen Verbesserung der Einsatzstoffe und ihrer Wirkungen. Insofern mobilisiert REACh nicht nur ein „Informationsspiel“ zwischen den Akteuren, sondern stößt einen dynamischen Marktprozess an, der zu Innovationen führt. Diese Form der Regulierung ist aus ökonomischer Perspektive der bisherigen Regulierung im Chemikalienrecht weit überlegen: Für die Akteure entlang der Wertschöpfungskette ist dadurch die „toxic ignorance“ nicht mehr die rationale Strategie, sondern sie können zusätzliche Erträge dadurch erwirtschaften, dass sie weniger gefährliche Stoffe herstellen und verwenden und diese verringerten Risiken auch offen kommunizieren.

VIII. Schlussfolgerungen für innovationsorientiertes Verwaltungsrecht Das Verwaltungsrecht betrachtet herkömmlicherweise bipolare Rechtsbeziehungen in vertikaler Perspektive (siehe Kapitel II). Beim Hinzutreten von „Drittbetrof46 Siehe dazu Hansjürgens / Nordbeck, Koch / Monßen und Ahrens / Braun / Gleich / Heitmann / Lißner.

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fenen“ entsteht zwar eine trianguläre Konstellation, für das Verwaltungsrecht bleibt jedoch die vertikale Orientierung der Betrachtung weiterhin vorherrschend.47 Die Besonderheit der neueren produkt- und stoffrechtlichen Regulierungskonzepte liegt aber darin, dass die vertikalen Einzelbeziehungen für sich genommen nicht „das Eigentliche“ ausmachen, sondern erst das Zusammenspiel der Akteure auf horizontaler Ebene. Die damit geschaffene Regulierungskonstellation mit den Instrumenten des Verwaltungsrechts zu erfassen, stellt eine Herausforderung für die Verwaltungsrechtswissenschaft dar. Zwar kann man sich darauf beschränken, weiterhin die vertikale bipolare Konstellation zu thematisieren, was aus administrativer Perspektive auch plausibel erscheinen mag. Aus Sicht der Regelungsadressaten können jedoch die verhaltensbeeinflussenden (und damit grundrechtsrelevanten) Effekte, die sich auf horizontaler Ebene vermittelt durch die benachbarten Akteure der Wertschöpfungskette ergeben, mindestens ebenso relevant sein.48 Gleiches gilt für die Innovationsperspektive, deren Anliegen beim vorliegenden Gegenstand darin besteht, die verhaltensbeeinflussenden Wirkungen jenseits des schlichten Verbots bestimmter Stoffe bzw. Stoffanwendungen zu analysieren. Rechtlich initiierte und beeinflusste Innovation (Hoffmann-Riem, S. 15 f.) ist hier nur zu fassen als horizontale Interaktion mehrerer Akteure, die sich jeweils in einem von durch Eigen-Verantwortung geprägten Rechtsrahmen bewegen. 1. Charakteristika eines innovationsorientierten Wirtschaftsverwaltungsrechts Stellt man die klassische verwaltungsrechtliche Konstellation einem wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Regulierungsansatz gegenüber, der darauf gerichtet ist, Innovationsprozesse in der Wertschöpfungskette49 zu beeinflussen, dann lassen sich folgende Unterschiede identifizieren:50 – Adressaten der verwaltungsrechtlichen Vorgaben sind nicht mehr Einzel-Akteure, sondern vielmehr mehrere oder alle Akteure einer Wertschöpfungskette. Die einzelnen bipolaren Rechtsbeziehungen zwischen Verwaltung und Bürger ergeben zusammen ein multipolares Geflecht mit sich gegenseitig beeinflussen47 Wobei das Verwaltungsrechts zugleich die zivilrechtliche Konstellation beeinflusst und sie etwa im Bereich des Industrieanlagenrechts deutlich zugunsten desjenigen verschiebt, der sich auf eine im förmlichen Verfahren erteilte Genehmigung stützen kann (§ 14 BImSchG). Zu der damit einhergehenden Verlagerung zivilrechtlicher aequitas siehe Suhr. 48 Für eine solche „Grundrechtsprüfung aus der Wirkungsperspektive“, die vor allem bei wirtschaftslenkender – und damit oftmals innovationsinduzierender – Regulierung von Bedeutung ist, sowie zum Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zu den „mittelbaren“ Grundrechtsbeeinträchtigungen siehe Führ 2003 (Eigenverantwortung), S. 288 ff. 49 Eine ähnliche Betrachtung ist aber auch in anderen Konstellationen möglich und sinnvoll, bei denen der Normgeber die Interaktion mehrerer Regelungsadressaten beeinflussen will. Man denke etwa an das Beamtenrecht, das Schulrecht, das Hochschullrecht etc. 50 Die Darstellung schreibt die von Hoffmann-Riem (S. 26) beschriebenen Entwicklungen vor dem Hintergrund des Gegenstands dieses Beitrags fort.

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den Verhaltensimpulsen, deren Hauptwirkungen auf der horizontalen Ebene angesiedelt sind. – Gegenstand des verwaltungsrechtlichen Zugriffs ist weiterhin eine berufliche Tätigkeit. War diese aber bislang klar abgegrenzt (z. B. „Inverkehrbringen eines Stoffes“ oder „Betrieb einer Anlage“), so sind nunmehr ganz unterschiedliche Funktionen in der Wertschöpfungskette angesprochen, die zum Teil in einem Akteur vereint, zum Teil aber auch über mehrere Akteure verteilt sind. – Räumlich betrachtet ging es bislang um Tätigkeiten, die an einen Standort „im Geltungsbereich des Gesetzes“ geknüpft waren. In Zeiten der grenzüberschreitenden Arbeitsteilung versucht das Recht nunmehr, auch die extraterritorial gelegenen Akteure mit zu erfassen. Denn sonst droht eine Schlechterstellung inländischer Akteure.51 – Die Entscheidungssituation war in zeitlicher Hinsicht meist vor Aufnahme (bzw. Änderung) der Tätigkeit angesiedelt (Eröffnungskontrolle). Die neuen stoff- und produktrechtlichen Rahmenbedingungen sind angelegt als Dauerpflichten mit dynamischem Charakter, deren (Innovations-) Wirksamkeit nicht mehr von behördlichen Einzelentscheidungen abhängt. Statt einer Vorabfestlegung mit entsprechender Bindungswirkung für alle Beteiligten ist man jetzt bemüht, alle relevanten Entscheidungsprozesse in einer sich dynamisch verändernden Umgebung im Hinblick auf Regulierungsziele zu beeinflussen. – Die Informationen lieferte bislang der Antragsteller; offenkundige Informationsdefizite konnten zur Versagung der Genehmigung führen. Für das neue Stoffund Produktrecht stellt hingegen die Gewinnung, Verteilung und Nutzung von Informationen das zentrale Problem dar. Denn diese befinden sich – soweit sie bereits vorhanden sind – verstreut bei den unterschiedlichen Akteuren.52 – Die Problemlösungs-Strategien hatte bislang der Antragsteller zu liefern; andernfalls drohte die Verweigerung der Genehmigung. Welche Beiträge zu leisten sind, um das Innovationsziel zu erreichen, ist aber ex ante meist noch unbekannt. Dieses Wissen zu generieren, bedarf der kreativen Interaktion und Kooperation der Akteure. Das Innovationsverwaltungsrecht will nicht nur diesen Prozess initiieren, sondern auch erreichen, dass die Akteure dessen Ergebnisse dokumentieren und entlang der Kette zu kommunizieren (IKuK-Mechanismen). – Die Überwachung war angelegt als Inspektion vor Ort auf der Grundlage der behördlichen Eröffnungsentscheidung. Nunmehr besteht das Problem darin, dass der Überwachungsmaßstab zu einem erheblichen Teil noch gar nicht bekannt ist, sondern erst von den Akteuren eigenverantwortlich zu generieren ist (beispielsweise im Expositionsszenario mit den dort bezeichneten RisikomanagementMaßnahmen). 51 Dies zeigt sich etwa bei der abweichenden Behandlung importierter Erzeugnisse in Art. 7; siehe dazu Fn. 22. 52 Zu diesem Aspekt und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für die Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen siehe Ladeur, S. 56 ff.

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– Zur Durchsetzung der verwaltungsrechtlichen Vorgaben steht herkömmlicherweise der Verwaltungszwang (Stilllegung, Bußgeld) sowie gegebenenfalls auch das Strafrecht zur Verfügung. Nunmehr – und dies zeigt sich auch bei REACh – weist das Recht den Akteuren neue Aufgaben und Rollen zu, die von diesen überwiegend eigenverantwortlich wahrzunehmen sind. Zu einer hoheitlichen Durchsetzung der verwaltungsrechtlichen Vorgaben kommt es nur noch punktuell und eher in Randbereichen des Regulierungsansatzes.

In der Gesamtschau lässt sich sagen: Der durch das Recht mitgeschaffene institutionelle Rahmen hat zunächst einmal die Funktion der „Ermöglichung“. Erst die standardisierten Formate zur Information und Kooperation senken die Transaktionskosten und es lassen sich die Informationen ohne Offenlegung von schützenswerten Einzelangaben austauschen. Zugleich tragen die veränderten Rahmenbedingungen – im Zusammenspiel mit den Marktkräften, deren stimulierende Wirkung das Verwaltungsrecht antizipiert – dazu bei, die Anreizsituation in Richtung auf das Regulierungsziel zu verschieben. Das Recht beeinflusst also durch Abbau von Hemmnissen das „Können“; durch das gesamte „institutionelle Setting“ aber auch das „Wollen“ der Akteure in Richtung der intendierten Innovationen; der gesamte Rahmen ist zudem so angelegt, dass er auch die „Fähigkeiten“ der Akteure zu effektivem und effizientem Risiko-Management stärkt.53 REACh will also Lernprozesse der Akteure anstoßen, deren Ergebnisse dann zu Innovationen führen; REACh ist aber auch selbst als „lernendes System“ (Ahrens / Führ) angelegt, weil die gewonnen Informationen nicht nur den wirtschaftlichen Akteuren, sondern auch den Behörden sowie den Verbrauchern und letztlich insgesamt für den gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung stehen. 2. Beiträge der Wissenschaft zur Lösung des regulatory choice-Problems Fragt man vor diesem Hintergrund, welche Beiträge die politikberatende Wissenschaft leisten kann, um die Regulierungsorgane bei der Lösung des regulatory choice-Problems zu unterstützen,54 so lassen sich die folgenden Punkte hervorheben. a) Gutes Verständnis für die Interaktion der Akteure in der Kette Notwendig ist zunächst ein genaues Bild der zu regulierenden Wertschöpfungskette im status quo mit den Anreizen und Hemmnissen, die das Verhalten der Akteure bestimmen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die vorhandenen Struktu53 Für eine institutionenanalytische Aufarbeitung der REACh-Mechanismen unter Einschluss der Spieltheorie siehe Koch. 54 Siehe zur Rolle der realwissenschaftlichen Analyse Führ 2003 (Rahmenbedingungen) und – mit Bezug auf REACh – Führ / Lahl.

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ren, unter denen die Prozesse der Information, Kommunikation und Kooperation ablaufen, einschließlich der grenzüberschreitenden Verflechtungen und der Konkurrenz. Die Rechtswissenschaft kann daran mitwirken – als Teil einer interdisziplinären Institutionenanalyse – die Anreize und Hemmnisse zu identifizieren, die sich in erster Linie aus den marktlichen Positionen der Akteure, aber auch aus den juristischen Rahmenbedingungen ergeben. Es hat sich zudem gezeigt, dass die einzelnen Wertschöpfungsketten oftmals eine spezifische „Kultur“ im Umgang mit IKuK-Mechanismen entwickelt haben, die nicht nur für das Zusammenwirken der Akteure untereinander, sondern auch für die Kooperation mit den Behörden eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. b) Rahmenbedingungen für eigenverantwortliches Handeln der Akteure Ausgangspunkt für jede Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen bildet die vorgefundene Motivationslage der Akteure. Auf der Grundlage der vorstehend (unter a) beschriebenen Analyse sind Gestaltungsoptionen zu entwickeln, mit denen sich die Motivationslage der Akteure in Richtung der „erwünschten Innovationen“ (Hoffmann-Riem, S. 16) verändern lässt. Im Fall von REACh liegt der Schlüssel darin, die Nachfrage für „inhärent sichere“ Produkte zu erhöhen, was die Transparenz über Inhaltsstoffe und deren Wirkungen voraussetzt. Nicht zu unterschätzen ist aber auch der ergänzende Ansatz, bestehende Hemmnisse abzubauen. Im Fall von REACh geht es dabei etwa um Hindernisse für die innovationsfördernde Kommunikation und Kooperation in der Kette, wobei die Hemmnisse nicht selten bereits auf der innerbetrieblichen Ebene zwischen unterschiedlichen Abteilungen55 zu beobachten waren. Ergänzend treten die Instrumente aus dem Zulassungsverfahren und den generellen Beschränkungen hinzu, die letztlich die Vermarktung überkommener Produkte erschweren oder ganz unterbinden, woraus sich ebenfalls Innovationschancen ergeben. c) Steuerungsansatz: Responsive Regulierung Unter den verschiedenen Gestaltungsoptionen ist sodann nach maßgeschneiderten institutionellen Arrangements („most harmonious fit“) zu suchen; also gewissermaßen nach der regulativen Antwort auf die Anreiz- und Hemmnissituation der Akteure. Diese antwortende Funktion in der Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen kennzeichnet der Ansatz der „Responsiven Regulierung“.56 55 Für eine Systematisierung der Ansätze zum innerbetrieblichen „Schnittstellenmanagement“ siehe Lühring, S. 148 ff. 56 Zu diesem Ansatz siehe auch Ayres / Braithwaite und die Beiträge in Bizer / Führ / Hüttig sowie Führ 2006.

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Dieser Ansatz verlangt auch von der Rechtswissenschaft, weitere Dimensionen in ihren Analysekanon mitaufzunehmen. In den Worten von Nonet / Selznik (S. 111): Responsive law aims at enablement and facilitation; restrictive accountability is a secondary function. A new kind of lawyerly expertise is envisioned – expertise in the articulation of principles of institutional design and institutional diagnosis. Such principles would [ . . . ] point to the institutional mechanisms by which such problems may be corrected or moderated.

Ein derartiger Regulierungsansatz ergänzt die – weiterhin selbstverständlich unverzichtbaren – imperativen Bestandteile um kooperative Elemente im Sinne der IKuK-Instrumente von REACh. Sie sollen dazu beitragen, „Gelegenheiten zu schaffen“ und kreatives Potential freizusetzen, aus denen sich Innovationen entwickeln und realisieren lassen.

3. Fazit: Verhaltenssteuerung durch Wirtschaftsverwaltungsrecht Das klassische Verwaltungsrecht – geprägt durch die hoheitlich dominierte vertikale Interaktion zwischen staatlichen Stellen und einzelnen Adressaten – stößt an seine Grenzen, wenn es darum geht, das horizontale Zusammenwirken mehrerer privater Akteure zu organisieren. Der Ansatz der „imperativen Steuerung“ reicht hier jedenfalls nicht mehr aus. Die Frage, ob der in REACh verfolgte neue Regulierungsansatz zum Erfolg führen wird, lässt sich daher durch eine Analyse allein der (zwingenden, also „strikten“) rechtlichen Vorgaben nicht beantworten. Das REACh-Registrierungsverfahren ist vielmehr ein Musterfall „responsiver Regulierung“ mit einem hohen Anteil von Eigen-Verantwortung der Akteure (Führ 2006). Ausgehend von einem responsiven Regulierungsansatz hat man sich jedenfalls für den Bereich des Stoff- und Produktrechts (endgültig) zu verabschieden von der Vorstellung, der Staat sei das (alleinige) Zentrum der Macht, der Politik und des Rechts. Stattdessen geht es darum, einen interaktiven Prozess zwischen regulativen Instanzen und individuellen Entscheidungen zu organisieren. Für den Erfolg eines solchen Ansatz zentral ist die Meso-Ebene (Schneidewind / Seuring 2000, 170 ff.), die angesiedelt ist zwischen der betriebswirtschaftlichen Mikro-Ebene des Unternehmens und der volkswirtschaftlichen Makro-Ebene. Dies können regionale Zusammenhänge, einzelne Bedürfnisfelder oder bestimmte Branchen bzw. Wertschöpfungsketten sein. Auf der Meso-Ebene kommt es oftmals zu eigenständigen Organisationsformen, etwa in Form von (Teil-)Branchen-Verbänden. Diese sind aber durch Verwaltungsrecht schwer adressierbar. Sie sind aber in der Lage, die individuellen Adressaten zusammenzuführen und damit Foren zu entwickeln, auf denen sich Gelegenheiten zur Innovation ergeben. Für das Stoff- und Produktrecht, so konstatiert Di Fabio (2003 § 64 Rn. 1), schäle sich „allmählich ein eigener Regelungstyp moderner Risikoverwaltung im Staatenverbund heraus: verwurzelt in den Traditionen einer vorausschauenden Ge-

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fahrenabwehr, praktisch handelnd im Sinne eines modernen Riskomanagements“. Ein prototypisches Beispiel dafür wird man in der REACh-Verordnung zu sehen haben. Ob und wie sich ein solcher Ansatz bewährt, lässt sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren beobachten. Vermutlich wird es auch auf Seiten der Regulierungsorgane weiterer Lernprozesse bedürfen, um die Innovationswirkungen des „lernenden Systems“ REACh noch genauer auszubalancieren.

Literatur Ahrens, Andreas / Braun, Angelika / Gleich, Arnim von / Heitmann, Kerstin / Lißner, Lothar: Hazardous Chemicals in Products and Processes – Substitution as an Innovative Process, Heidelberg: Physica-Verlag Heidelberg, 2006. Ahrens, Andreas / Führ, Martin: REACh als lernendes System, Vortrag auf der Tagung „Vorsorgende Chemikalienpolitik in der erweiterten EU: Wieviel Fortschritt bringt die REAChVerordnung“ in der Evangelischen Akademie Loccum 21. – 23. 1. 2005. Appel, Ivo: Das Verwaltungsrecht zwischen klassischem dogmatischen Verständnis und steuerungswissenschaftlichem Anspruch, in: VVDStRL 67 (2008), S. 226 ff. Ayres, Ian / Braithwaite, John: Responsive Regulation – Transcending the Deregulation Debate, New York / Oxford: Oxford Univ. Press, 1992. Bizer, Kilian / Führ Martin: REACh as a paradigm shift in chemical policy – responsive regulation and behavioural models, Journal of Cleaner Production (JCLP) 15, 2007 (4): 327 – 334. – Risikomanagement entlang der Wertschöpfungskette, Umweltwirtschaftsforum 15 (2007), S. 217 ff. Bizer, Kilian / Führ, Martin / Hüttig, Christoph (Hrsg.): Responsive Regulierung – Beiträge zur interdisziplinären Institutionenanalyse und Gesetzesfolgenabschätzung, Tübingen: Mohr Siebeck, 2002. Callies, Christian: Kommentierung zu Art. 5, in: Christian Callies / Matthias Ruffert (Hrsg.): EUV / EGV-Kommentar, 3. Aufl., München: C.H. Beck, 2007. Di Fabio, Udo: Das umweltspezifische Stoff- und Produktrecht: Bewertung und rechtspolitischer Ausblick, in: Rengeling, Handbuch, 2003, § 64. Eifert, Martin: Das Verwaltungsrecht zwischen klassischem dogmatischen Verständnis und steuerungswissenschaftlichem Anspruch, in: VVDStRL 67 (2008), S. 286 ff. Environmental Defense Fund (Roe, David / Pease, William / Florini, Karen / Silbergeld, Ellen): Toxic Ignorance: The Continuing Absence of Basic Health Testing for Top-Selling Chemicals in the United States, 1997, abrufbar unter: http: // www.edf.org / documents / 243_toxicignorance.pdf (zuletzt abgerufen am 25. 09. 2008). Fluck, Jürgen / Campen, Arne: REACH: Rechtsfragen des Imports in die Europäische Gemeinschaft, EuZW 2007, S. 326 ff. Fritsch, Michael / Wein, Thomas / Ewers, Hans-Jürgen: Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 3. Aufl., München: Vahlen, 1999.

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Kilian Bizer und Martin Führ

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Teil VI Das ausdifferenzierte Recht als Faktor der Pfadabhängigkeit

Innovative Technologien und ordnungsrechtliche Vorgaben* Am Beispiel des „Compartment Transfer“ zum Zwecke der Sanierung großskalig verunreinigten Grundwassers Von Wolfgang Köck und Stefan Möckel I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 II. Altlasten und Finanzierung der Altlastensanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 III. Verfahren des Compartment Transfer (CT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 IV. Umweltrechtliche Anforderungen an die Anwendung der CT-Variante „Aerobes Grabensystem zur Förderung der Volatilisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wasserrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umweltverträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Materielle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bodenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wasserrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315 317 318 319

V. Vorläufige Bewertung mit Blick auf die Innovationsthematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

I. Einführung Die Stimulation von Umweltinnovationen1 ist zu einer wichtigen Aufgabe der Umweltpolitik geworden, weil umweltinnovative Technologien und Produkte die Konflikte zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erfordernissen mindern und damit die Handlungsfähigkeit der Umweltpolitik steigern können.2 * Die Studie ist im Rahmen der BMBF-geförderten Forschungsplattform SAFIRA II entstanden, die eine Versuchsanlage für Compartment Transfer-Verfahren auf dem Gelände des Industrieparks Leuna in Sachsen-Anhalt unterhält (www.ufz.de / index.php?de=13979). 1 Vgl. dazu Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), Umweltgutachten 2002, Tz. 42 – 72; ders., Umweltgutachten 2008, Tz. 65. 2 Zwar wird zu Recht darauf hingewiesen, dass eine dauerhaft-umweltgerechte Gesellschaft darüber hinaus auch auf soziale Innovationen, insbesondere den Lebensstil betreffend, angewiesen ist, Technik- und Produktinnovationen helfen aber dabei, die Zeitreserven für die insoweit nötige Änderung der Präferenzen zu schaffen.

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Wolfgang Köck und Stefan Möckel

Von ökonomischer Seite ist mit Blick auf die insoweit notwendige aktive Rolle des Staates darauf hingewiesen worden, dass Umweltinnovationen besser durch ökonomische Lenkungsinstrumente als durch ordnungsrechtliche Eingriffe herbeizuführen seien. Insbesondere ordnungsrechtlichen Vorgaben, die zur Einhaltung des Standes der Technik verpflichten, wird entgegengehalten, dass zwar ein Anreiz für die Entwicklung von Umwelttechnologien gesetzt, aber vornehmlich additive und nicht prozessbezogene Techniken generiert werden, weil der Anreiz nicht unmittelbar auf den Betreiber der Anlagen, sondern auf die Anbieter von (i. d. R. nachgeschalteten) Reinigungstechnologien wirkt.3 Ordnungsrechtlichen Vorgaben in Form von Emissionsvorgaben wird zudem von ökonomischer Seite entgegen gehalten, dass sie gegenüber immissionsorientierten Regelungsansätzen (Umweltqualitätsstandards) in ihrer Effizienz zurückbleiben,4 weil Emissionsvorgaben die Freiheitsgrade des einzelnen Emittenten weiter einschränken, als es die Erfordernisse der anzustrebenden bzw. zu erhaltenden Umweltqualität verlangen.5 Die Anfragen und die Kritik von ökonomischer Seite schaffen ein Bewusstsein dafür, dass der bestehende ordnungsrechtliche Rahmen der Umweltregulierung ein bedeutender Faktor sowohl für die Stimulierung als auch für die Verhinderung von (Umwelt-)Innovationen sein kann6 und dass es demgemäß lohnend ist, die Bestände des Umwelt-Ordnungsrechts daraufhin zu untersuchen, ob sie gesellschaftlich gewünschte Innovationen, also Umweltinnovationen bzw. allgemeiner formuliert „Innovationen zum nachhaltigen Wirtschaften“, fördern oder hemmen. Einem solchen Untersuchungsprogramm ist die „Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung“ verpflichtet,7 der es mit Blick auf das Umweltrecht darum geht, zur Entwicklung eines innovationsoffenen Umweltrechts beizutragen.8 Ob das Umweltordnungsrecht solchen Anforderungen genügt, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern bedarf spezifischer Analysen. Darauf hat schon der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) in seinem Umweltgutachten 2002 hingewiesen, als er der pauschalen Verurteilung des Umweltordnungsrechts seitens der (Umwelt-)Ökonomie entgegengetreten ist und eine differenzierte Sichtweise entwickelt hat.9 Vgl. statt vieler die Darstellung in SRU, Umweltgutachten 2002, Tz. 51. Vgl. Ralph A. Luken, Efficiency in Environmental Regulation, 1990; siehe auch Dieter Cansier, Umweltökonomie, 2. Aufl. 1996, S. 61. 5 Zu Recht hat Gertrude Lübbe-Wolff darauf hingewiesen, dass diese umweltökonomische Kritik weitgehender Relativierungen bedarf; vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Einheitlichkeit oder Differenzierung von Standards im anlagenbezogenen Umweltschutz, in: Gawel / Lübbe-Wolff (Hrsg.), Effizientes Umweltordnungsrecht, 2000, S. 65 (70 – 85). 6 Vgl. Markus Thomzik / Peter Nisipeanu, Das deutsche Umweltrecht als Einflussfaktor für Innovationen zum nachhaltigen Wirtschaften, ZfU 27 (2004), 167 ff. 7 Vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem, Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung durch Recht, AöR 131 (2006), 255 (257). 8 Vgl. dazu mit Blick auf die risikoorientierten Materien des Umweltrechts: Wolfgang Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, DV 38 (2005), 145 ff. 9 SRU, Umweltgutachten 2002, Tz. 51. 3 4

Innovative Technologien und ordnungsrechtliche Vorgaben

307

Im Folgenden soll am Beispiel der Entwicklung und Erprobung neuer kostengünstiger Verfahren zur Grundwassersanierung auf großflächigen Altstandorten, die unter dem Sammelbegriff „Compartment Transfer“ zusammengefasst werden können, nach der Rolle des Umweltordnungsrechts für die Einführung neuer Technologien gefragt werden. Insbesondere geht es um Aufklärung darüber, ob umweltrechtliche Anforderungen die Anwendung neuer Sanierungstechnologien behindern und wenn ja, ob es dafür tragfähige Gründe gibt. Die Untersuchung beginnt mit einer kurzen Darstellung der Problematik der Altlasten, insbesondere auch der Probleme der Finanzierung der Altlastensanierung, die die Suche nach kostengünstigen Sanierungstechnologien stimuliert (siehe unten II.), skizziert dann das Sanierungsverfahren des sog. „Compartment Transfer“ (siehe unten III.) und analysiert am Beispiel einer spezifischen Variante des Compartment Transfer die umweltrechtlichen Anforderungen, die an die Anwendung solcher Sanierungsverfahren gerichtet werden (siehe unten IV.). Im abschließenden Teil V. werden die Ergebnisse dann unter der Innovationsperspektive einer vorläufigen Bewertung unterzogen.

II. Altlasten und Finanzierung der Altlastensanierung Unter den Begriff der Altlasten erfasst das BBodSchG sowohl Altablagerungen (also stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen und andere Grundstücke, auf denen Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert worden sind), als auch Altstandorte (Grundstücke stillgelegter Anlagen und sonstige Grundstücke, auf denen mit umweltgefährdenden Stoffen umgegangen worden ist), durch die schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgerufen werden (§ 2 Abs. 5 BBodSchG). In Deutschland sind gegenwärtig knapp 300.000 Altlastenverdachtsflächen identifiziert10 (für den Gesamtraum der EU-25 wird gar von 3,5 Millionen Altlastenverdachtsflächen ausgegangen).11 Für etwa 56.000 Verdachtsflächen in Deutschland ist bisher eine Gefährdungsabschätzung durchgeführt worden, dabei hat sich in ca. 30% der Fälle (etwa 15.000 Flächen) der Verdacht bestätigt.12 5000 Altlastenflächen befinden sich gegenwärtig in der Sanierung.13 10 Der SRU spricht in seinem neuesten Umweltgutachten von 289 508 Altlastenverdachtsflächen im Jahre 2007 (SRU, Umweltgutachten 2008, Tz. 503). Im Umweltgutachten 2004 wurde noch eine weit höhere Zahl (362.689) genannt, allerdings sind zwischenzeitlich die statistischen Grundlagen in den Bundesländern angeglichen worden (dazu SRU, Umweltgutachten 2004, Tz. 799). 11 Vgl. EG-Kommission, Thematische Strategie für den Bodenschutz, KOM (2006) 231 endg., S. 3. 12 Dieser Anteil kann allerdings noch nicht ohne weiteres auf die Gesamtheit der Altlastenverdachtsflächen hochgerechnet werden. Der SRU nennt als Erfahrungswert, dass sich in 10 – 15 % der Verdacht bestätigt; vgl. SRU, Umweltgutachten 2004, Tz. 800.

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Wolfgang Köck und Stefan Möckel

Die Bundesregierung hat sich in ihrer „Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt“ das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2050 die Altlasten weitgehend zu sanieren.14 Soweit durch Altlasten auch Gewässer, insbesondere das Grundwasser, beeinträchtigt sind, ergeben sich Pflichten zur Sanierung und entsprechende Fristen demgegenüber nicht aus politischen, sondern schon aus rechtlichen Festlegungen (EG-Wasserrahmenrichtlinie und EG-Grundwasser-Richtlinie).15 Im Allgemeinen sind die Qualitätsziele für das Grundwasser bis 2015 zu erreichen (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b ii WRRL; § 33a WHG), allerdings sind aus bestimmten Gründen Fristverlängerungen möglich, die aber grundsätzlich nicht über das Jahre 2027 hinausgehen dürfen (Art. 4 Abs. 4 Buchst. c WRRL; § 33a Abs. 4 WHG). Für Wasserkörper, die durch menschliche Tätigkeiten so beeinträchtigt sind, dass das Erreichen der Qualitätsziele nicht möglich oder unverhältnismäßig teuer wäre, können weniger strenge Qualitätsziele festgelegt werden (Art. 4 Abs. 5 WRRL; § 33a Abs. 4 iVm § 25 d WHG). Hiervon wird mit Blick auf altlastenbedingte Grundwasserbeeinträchtigungen sicherlich Gebrauch gemacht werden können.16 (Ohnehin hat die jüngst verabschiedete Grundwasser-Richtlinie, mit der die allgemeinen qualitativen Grundwasserziele konkretisiert werden, den Sondercharakter der altlastenbedingten Grundwasserbeeinträchtigungen berücksichtigt.)17 Politische wie rechtliche Zielvorgaben sind in Anbetracht der vielen noch nicht untersuchten Verdachtsflächen und in Kenntnis der besonderen Probleme großflächig und komplex kontaminierter Standorte (sog. „Megasites“)18 sehr ehrgeizig, weil die Finanzierungsverantwortung für die Sanierung – trotz der Gefahrenabwehrpflichten von Verursachern und deren Rechtsnachfolgern – im Wesentlichen bei den öffentlichen Haushalten liegt. Die Gründe für diese Lastenverteilung sind vielfältig:  Vielfach sind Altlastenverursacher nicht greifbar oder finanziell nicht leistungsfähig, so dass die gem. § 4 Abs. 3 BBodSchG an sich bestehende Sanierungspflicht insoweit leer läuft; 13 SRU, Umweltgutachten 2008, Tz. 503. 20.000 Sanierungen sind bereits früher abgeschlossen worden. Diese Sanierungen beziehen sich aber im Wesentlichen nicht auf die Standorte, an denen die genannten Gefährdungsabschätzungen durchgeführt worden sind. 14 Vgl. BMU (Hrsg.), Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt, 2007, S. 49. 15 Siehe dazu etwa Hartmut Gaßner, Altlasten-, Flussgebiets- und Grundwassermanagement – Am Beispiel des Ökologischen Großprojekts Bitterfeld / Wolfen, in: Franzius / Lühr / Bachmann (Hrsg.), Boden- und Altlastensymposium 2001, 2002, S. 149 (160 ff.); Achim Willand / Jochen Großmann, Ermessenskriterien für die Entscheidung über die Sanierung von altlastenbedingten Grundwasserschäden, in: altlasten spektrum 2002, 277 ff.; Jochen Großmann et al. Die neue EG-Grundwasser-Richtlinie, in: altlasten spektrum 2007, 30 ff. 16 Nikolaus Steiner / Reinhard Struck, Bodenschutz- und wasserrechtliche Rahmenbedingungen für die Nutzung von NA-Prozessen, in: altlasten spektrum 2003, 229, 234 ff. 17 Dazu Großmann et al. (Fn. 15), 30 ff.; Jörg Rechenberg, Die schwere Geburt einer Tochter – Entstehung und Folgen der EG-Grundwasser-Tochterrichtlinie, ZUR 2007, 235 (241). 18 Siehe zum „Megasite“-Begriff: Hermann Rügner et al., SAFIRA II – Revitalisierungskonzepte für großskalige Boden- und Grundwasserverunreinigungen, in: altlasten spectrum 2007, 7.

Innovative Technologien und ordnungsrechtliche Vorgaben

309

 Darüber hinaus hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 16. 02. 2000 die Heranziehung des sog. „Zustandsstörers“19 begrenzt und dabei das Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung als Anhaltspunkt für die Begrenzung der Einstandspflicht angesehen.20  In den neuen Bundesländern gelten darüber hinaus besondere Freistellungsregelungen,21 die Erwerbern bzw. Eigentümern aus Gründen der Wirtschaftsförderung (Lenkung von Investitionen in die neuen Bundesländer) Ansprüche auf Altlastenfreistellung einräumen22 und insofern von den Sanierungspflichten dispensieren.

In den Bundesländern sind zwar verschiedentlich Initiativen ergriffen worden, die Finanzierung der Altlastensanierung durch sog. „Entsorgungsabgaben“ sicherzustellen, die von Deponiebetreibern und andern Abfallentsorgern erhoben werden sollten.23 Das BVerfG hat diesen Ansätzen aber aus kompetenzrechtlichen Gründen eine Absage erteilt.24 Die skizzierten Rahmenbedingungen haben in der Sanierungspraxis der öffentlichen Hand dazu geführt, dass die Erkundung und Sanierung der Altlasten nur schleppend vorankommt und Altlasten behaftete Flächen nur dann saniert werden, wenn es ein konkretes Nutzungsinteresse an der jeweiligen Fläche gibt.25 Insbesondere in den Regionen der neuen Bundesländer, in denen sich ein starker Bevölkerungsrückgang abzeichnet und wegen geringer Verwertungschancen kaum mit privatem Sanierungskapital gerechnet werden kann, ist mittlerweile ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der dauerhafte „ökologische Opferstrecken“ befürchten lässt,26 die sich – gleichsam in einer negativen Rückkoppelungsschleife – wiederum hemmend auf die weiteren lokalen und regionalen Entwicklungschancen auswirken können.27 19 Zustandsstörer ist nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen derjenige, der kraft Sachherrschaft (Besitz- bzw. Eigentümerstellung) einen Gefahrenzustand zu verantworten hat; im Gegensatz dazu der Handlungsstörer, der durch sein Verhalten einen Gefahrenzustand herbeigeführt hat; siehe statt vieler Wolf-Rüdiger Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2003, Rn. 171. 20 Vgl. BVerfGE 102, 1 (20). 21 Siehe dazu das Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen v. 22. 03. 1991, BGBl. I (1991), S. 766. 22 Vgl. dazu etwa Hans-Peter Vierhaus, Altlastenfreistellung als Wirtschaftsförderung, NVwZ 2004, 418 ff. 23 Vgl. dazu statt vieler Wilfried Kügel, Sonderabfallabgaben und Altlasten, NVwZ 1994, 535 (542) sowie SRU, Umweltgutachten 2004, Tz. 803. 24 Vgl. BVerfGE 102, 99 („Lizenzmodell“ NRW). 25 SRU, Umweltgutachten 2004, Tz. 801. 26 Dazu näher Gaßner (Fn. 15), S. 159. 27 Vgl. Rügner et al. (Fn. 18), S. 7; siehe auch Reimund Schwarze, Ökonomie der Sanierung und Wiedernutzung kontaminierter Standorte, in: Köck (Hrsg.), Bodenschutz- und Altlastenrecht unter europäischem Einfluss, 2008, S. 131 ff.

310

Wolfgang Köck und Stefan Möckel

Um dem entgegenzuwirken, „wird zunehmend intensiver nach kostengünstigen Sanierungsmethoden gesucht“.28 Insbesondere mit Blick auf die Problemlagen der sog. „Megasites“ gelten vergleichsweise einfache – und damit kostengünstige – Sanierungsverfahren, die die Potenziale einer natürlichen Selbstreinigung (Natural Attenuation – NA) nutzen und unterstützen, als ein Schlüssel für die Bewältigung der Altlastenproblematik.29 Der SRU hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass insbesondere mit Blick auf natürliche Selbstreinigungsprozesse und deren Unterstützung (Enhanced Natural Attenuation – ENA) noch viele Fragen offen sind, dass nach wie vor ein erheblicher Forschungsbedarf mit Blick auf belastbare Abschätzungen für die Erreichung von Sanierungszielen besteht30 und dass sichergestellt werden muss, dass ENA-Verfahren nicht zur bloßen Verdünnung oder zur Ausweitung von Kontaminationen führen.31

III. Verfahren des Compartment Transfer (CT) Die Nutzung natürlicher Selbstreinigungsprozesse reicht von der unbeeinflussten (NA), allenfalls überwachten (Monitored Natural Attenuation – MNA) bis zur gezielten Stimulierung (ENA). Zur Beschleunigung oder Steuerung natürlicher Reinigungsprozesse stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Eine ist der Compartment Transfer, bei dem anaerobes Grundwasser in eine oberflächennahe reaktive aerobe Umgebung (Kompartimente wie Feuchtgebiete, offene Gewässer, ungesättigte Bodenzonen, Atmosphäre) verbracht wird.32 Die Verbringung in ein oxisches Kompartiment beschleunigt insbesondere die biologischen und chemischen Prozesse beim Abbau organischer Kohlenwasserstoffe, wie z. B. Benzol, Tuluol, Ethylbenzol, Xylole (BTEX), MTBE, Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK).33 Compartment Transfer kann sowohl in-situ mittels z. B. fördernder Bepflanzung von Feuchtgebieten (wetlands) oder dem Anlegen offener Grundwasserstellen SRU, Umweltgutachten 2004, Tz. 808. SRU, Umweltgutachten 2004, ebenda. 30 DAS BMBF fördert mit KORA ein umfangreiches Forschungsvorhaben zum kontrollierten natürlichen Rückhalt und Abbau von Schadstoffen bei der Sanierung kontaminierter Grundwässer und Böden, www.natural-attenuation.de. 31 SRU, Umweltgutachten 2004, Tz. 808. Siehe auch das Positionspapier 2005 der Länderarbeitsgruppe Boden (LABO – Altlastenausschuss) „Berücksichtigung natürlicher Schadstoffminderungsprozesse bei der Altlastensanierung“, das sich mit NA-Prozessen befasst hat. 32 Das UFZ führt diesbezüglich ein vom BMBF gefördertes Forschungsvorhaben für verschiedene Varianten mit einer Versuchsanlage in Leuna durch (http: // www.ufz.de / index. php?de=13979; zuletzt abgerufen 07 / 08); siehe dazu auch Rügner et al. (Fn. 18), S. 7 ff. 33 Z. B. baut sich MTBE in einer sauerstoffhaltigen Umgebung mit Halbwertzeiten von 3 – 6 Tagen ab (Umweltbundesamt (18. 07. 2003), Methyltertiärbutylether (MTBE) in Kraftund Betriebsstoffen, S. 3, www.uba.de). Die Halbwertzeit bei Benzol in der Atmosphäre beträgt 7 – 22 Tage (vgl. Rainer Koch, Umweltchemikalien, 3. Aufl. 1995, S. 108). 28 29

Innovative Technologien und ordnungsrechtliche Vorgaben

311

Transferfunktionen aus Kompartiment / in Kompartiment

ATMOSPHÄRE

Bodenluft/ Atmosphäre

Pflanze/ Atmosphäre Bodenluft/ Sediment

BODENLUFT Grundwasser/ Bodenluft

KONTAMINIERTES GRUNDWASSER

Grundwasser/ Pflanze

Offenes Gewässer/ Atmosphäre

PFLANZEN

Grundwasser/ Sediment

Offenes Gewässer/ Pflanze

Grundwasser/ Atmosphäre

SEDIMENT

OFFENES GEWÄSSER

Quelle: UFZ.

Abbildung der Compartment Transferfunktionen

(Grabensysteme mit / ohne Luftstripping) als auch ex-situ durch Grundwasserhebung und Verbringung in künstliche Reaktionsräume mit natürlichen Abbauprozessen (constructed wetlands, vertikale Bodenfilter) erfolgen.34 Aufgrund der im Boden gespeicherten Schadstoffe und ihres kontinuierlichen Überganges ins Grundwasser sowie der beschränkten Steuerbarkeit biologischer Abbauprozesse35 ist die Sanierung mittels Compartment Transfer kein schnelles oder zielgenaues Verfahren. Bei Megasites in der Größenordnung des Chemiestandortes Leuna in Sachsen-Anhalt wird mit Sanierungszeiträumen von 20 bis 50 Jahren gerechnet. Man erhofft sich aufgrund der wartungsarmen natürlichen Prozesse aber eine deutliche Kostenreduzierung gegenüber großtechnischen Sanierungsverfahren. IV. Umweltrechtliche Anforderungen an die Anwendung der CT-Variante „Aerobes Grabensystem zur Förderung der Volatilisierung“ Die technisch stimulierten CT-Verfahren sind ex-situ wie in-situ Sanierungsmaßnahmen im Sinne des europäischen und nationalen Umweltrechts,36 da hierbei 34 Die Grenzen zu Pump&Treat sind beim Compartment Transfer insofern fließend. Die klassische Einstufung als ENA dürfte nur auf in-situ Verfahren zutreffen (vgl. Christian Krane, Natural Attenuation und Bundes-Bodenschutzgesetz, NuR 2005, 230 (231); Nikolaus Steiner, Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den kontrollierten natürlichen Rückhalt und Abbau von Schadstoffen bei der Sanierung kontaminierter Böden – Schlussbericht, in: Müller / Struck (Hrsg.), KORA, TV 8, 2005, S. 23 (54); abrufbar unter: http: // www.natural-attenuation.de / media /document / 15_2832schlussbericht02wn0383.pdf, zuletzt abgerufen 10/ 08). 35 Vgl. SRU, Altlasten II – Sondergutachten 1995, Tz. 517 ff. 36 Nach Art. 2 Nr. 11 der Richtlinie (EG) Nr. 2004 / 35 über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (UHaft-RL), ABl. L 143 v. 30. 4. 2004, S. 56 –

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Wolfgang Köck und Stefan Möckel

keine passive Nutzung natürlicher Schadstoffminderungsprozesse, sondern eine aktive Förderung erfolgt.37 Auf den Compartment Transfer kommen je nach Verfahrensausgestaltung unterschiedliche rechtliche Anforderungen zu. Rechtlich relevant sind v. a. die Hebung oder Strömungsbeeinflussung des Grundwassers, die Nutzung von Böden als Filter und die Herstellung von Oberflächengewässern. Besondere umweltrechtliche Schwierigkeiten wirft der Compartment Transfer dadurch auf, dass belastetes Grundwasser oder die enthaltenen Schadstoffe in andere Kompartimente verbracht werden und diese bis zum Abbau der Stoffe belasten.38 Bei aeroben Grabensystemen, wird der Aquifer quer zur Strömung freigelegt. Aufgrund der Belüftung gast ein Großteil der im Grundwasser enthaltenen Schadstoffe in die Atmosphäre aus. Bei zusätzlichem (energieintensiven) Luftstripping gehen mehr als 90 Prozent der flüchtigen Kohlenwasserstoffe in die Luft über. Dies wirft rechtlich neben formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen insbesondere materielle Fragen auf, inwieweit durch den Transfer Gefahrenabwehr- und Vorsorgepflichten sowie das Gebot der integrierten Vermeidung und Verminderung von Umweltschäden verletzt werden.

1. Formelle Anforderungen Verfahren des Compartment Transfers berühren eine Vielzahl von Rechtsgebieten, die zum Teil unterschiedliche Genehmigungspflichten enthalten (Wasserrecht, Immissionsschutzrecht, Naturschutzrecht), zum Teil aber auch nur materielle Anforderungen stellen (Bodenschutzrecht, Abfallrecht, Umwelthaftungsrecht). Die Genehmigungspflichten können die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung beinhalten. Um innovative Technologien in ihrer Entwicklung und Einführung zu fördern, senkt das Umweltrecht an einigen Stellen die Genehmigungserfordernisse ab.39

75, ist „Sanierungsmaßnahme“ jede Tätigkeit mit dem Ziel, geschädigte natürliche Ressourcen oder Funktionen wiederherzustellen oder zu ersetzen. Im deutschen Recht verweist § 2 Nr. 8 USchadG auf das Fachrecht, welches in § 2 Abs. 7 BBodSchG Sanierungsmaßnahmen als Dekontaminationsmaßnahmen und Sicherungsmaßnahmen definiert. 37 Vgl. LABO (Fn. 31) S. 7, 12; Steiner (Fn. 34), S. 27 ff., 34 f.; Krane (Fn. 34), S. 230 (231 ff.). Siehe zum Ganzen auch Wolf Dieter Sondermann / Birgit Hejma, in: Versteyl / Sondermann, Bundes-Bodenschutzgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 2005, zu § 2, Rn. 96 – 105. 38 Vgl. die umfassende rechtliche Analyse der verschiedenen Verfahrensmöglichkeiten beim Compartment Transfer in Stefan Möckel, Grundwassersanierung – Rechtliche Anforderungen an die Stimulierung natürlicher Schadstoffminderungsprozesse (ENA) durch Compartment Transfer, ZfW 2008, 185 ff. 39 Z. B. §§ 1 Abs. 6, 2 Abs. 3 der 4. BImSchV. Allerdings gilt dies nur für Entwicklungsund Erprobungsvorhaben im Labor- oder Technikmaßstab bzw. mit einer Dauer von höchstens 3 Jahren, was für CT-Verfahren kaum in Frage kommt.

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a) Wasserrecht Das Wasserrecht unterscheidet zwischen Benutzungen, Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmen. Zu beachten ist, dass anders als bei oberirdischen Gewässern das Wasserhaushaltsgesetz bei Grundwasser keine Unterhaltung anerkennt (§§ 3 Abs. 3, 28 WHG), so dass Grundwassermaßnahmen, die ausschließlich die Bewirtschaftungsziele des § 33a WHG verwirklichen sollen, keine zulassungsfreien Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen sind, sondern den Benutzungstatbeständen in § 3 Abs. 1 und 2 WHG unterfallen.40 An dieser schwer nachvollziehbaren Unterscheidung soll sich nach dem Referentenentwurf auch im geplanten Umweltgesetzbuch nichts ändern.41 Bei aeroben Grabensystemen wird eine offene Wasserfläche geschaffen. Statt einer erlaubnis- / bewilligungspflichtigen Benutzung i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 6 WHG (Zutageleiten) könnte daher ein planfeststellungspflichtiger Gewässerausbau i. S. v. §§ 3 Abs. 3, 31 Abs. 2 WHG (Herstellung eines oberirdischen Gewässers) vorliegen, der grundsätzlich eines Planfeststellungsverfahrens bedarf. Letzteres entfällt nach § 31 Abs. 2 S. 1 WHG, wenn das Gewässer nur für einen begrenzten Zeitraum entsteht und keine erhebliche nachteilige Veränderung des Wasserhaushaltes verursacht. Mit der 1996 eingeführten Ausnahmeregel hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerwG kodifiziert und konkretisiert.42 Damit braucht vorübergehend freigelegtes Grundwasser nicht entgegen den Definitionen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WHG als unterirdisches Gewässer eingestuft werden,43 um eine Planfeststellungspflicht zu verhindern, sondern ist als Ausbau eines oberirdischen Gewässers einzuordnen. Die zeitliche Dimension wird erst bei der Frage der Planfeststellungspflichtigkeit relevant. Entscheidend ist dabei weniger die Dauer des Zeitraumes als die Dauerhaftigkeit i. S. eines nicht absehbaren Rückbaus.44 Um beim Compartment Transfer mit Sanierungszeiträumen von 20 bis 50 Jahren ein Planfeststellungsverfahren zu vermeiden, sind konkrete zeitliche Festlegungen für den Rückbau im Genehmigungsantrag zu treffen. In diesem Fall bedarf das Anlegen von Gräben lediglich einer Erlaubnis oder Bewilligung nach §§ 7 oder 8 WHG. Sollte die Sanierung bis zum festgelegten Rückbau noch nicht abgeschlossen sein, ist eine erneute Erlaubnis oder Bewilligung für einen weiteren begrenzten Zeit40 Die Rechtsprechung stuft die gesetzgeberische Entscheidung in § 3 Abs. 3 WHG als abschließend ein (BVerwG, Urt. v. 28. 6. 2007 – 7 C 3.07 –, NuR 2007, 611 Rn. 18 – 20; VGH Baden-Württemberg Urt. v. 23. 7. 1998 – 8 S 3189 / 96 –, NuR 1999, 333 – 336). 41 §§ 9, 38 ff. UGB II, www.umweltgesetzbuch.de. 42 Vgl. BVerwGE 55, 220 (223). 43 So z. B. noch OVG Brandenburg, Beschluss v. 10. 11. 1995, Az. 4 B 117 / 95 – ZfW 1997, 42 (43) m. w. N.; Das BVerwG stellte schon früher auf die zeitliche Dauer bei Planfeststellungspflichtigkeit und nicht bei der Frage des Gewässertyps ab (siehe BVerwGE 55, 220 (223). sowie BVerwG, Urteil v. 28. 06. 2007, Az. 7 C 3.07 – NuR 2007, 611 Rn. 15). 44 Rainer Schenk in: Siedler / Zeitler / Dahme / Knopp, WHG, Stand: September 2007, § 31 Rn. 21a. Vgl. BVerwG, Urt. v. 28. 6. 07 – 7 C 3.07 –, NuR 2007, 611 Rn. 15.

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raum zu beantragen. Da die wasserrechtliche Benutzung gemäß § 1a Abs. 4 WHG dem Grundeigentum entzogen ist,45 lässt sich ein Genehmigungsanspruch allenfalls aus einer Sanierungsverpflichtung herleiten.

b) Immissionsschutzrecht Das Immissionsschutzrecht geht von einem sehr weiten Anlagenbegriff aus. Nach § 3 Abs. 5 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) sind nicht nur ortsfeste Einrichtungen (Nr. 1), wie sie für eine ex-situ Sanierung erforderlich wären, sondern auch Grundstücke, auf denen Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können (Nr. 3), Anlagen. Aufgrund der bezweckten Emissionen, sind beim Compartment Transfer auch die für eine in-situ Sanierung genutzten Grundstücke Anlagen im immissionsschutzrechtlichen Sinne. Ob es sich im Einzelfall um eine genehmigungspflichtige Anlage i. S. v. § 4 BImSchG oder um eine Genehmigungsfreie i. S. v. § 22 BImSchG handelt, richtet sich nach der 4. Verordnung zum BImSchG (4. BImSchV).46 Eine Genehmigungspflicht besteht danach nur, wenn die Sanierung ex-situ erfolgt, da dann eine Abfallbehandlungsanlage i. S. v. Nr. 8.6 bzw. 8.8 Anlage 1 der 4. BImSchV i.V. m. § 27 Abs. 1 Kreislaufwirtschafts- / Abfallgesetz (KrW / AbfG) vorliegt.47 Verbleibt das Grundwasser wie bei aeroben Grabensystemen jedoch im Boden- oder Wasserkörper, sind immissionsschutzrechtlich nur die materiellen Betreiberpflichten gemäß § 22 BImSchG für nicht genehmigungspflichtige Anlagen relevant.

c) Umweltverträglichkeitsprüfung In Umsetzung der europäischen Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung48 sind in Deutschland bestimmte Vorhaben einer UVP unterworfen. Zu unterscheiden ist zwischen der generellen UVP-Pflicht und einer UVP-Pflicht im Einzelfall (allgemein / standortbezogen). Das Anlegen von aeroben Grabensystemen ist als eine sonstige Gewässerausbaumaßnahme i. S. v. Nr. 13.16 Anlage 1 UVPG i.V. m. § 31 Abs. 2 S. 1 WHG anzusehen,49 für die es auf Landesrecht an45 BVerfGE 58, 300 (336 f.); E 93, 319 (339); Günther-Michael Knopp in: Siedler / Zeitler / Dahme / Knopp (Fn. 44), § 6 Rn. 2; Manfred Czychowski / Michael Reinhardt, WHG, Einl. Rn. 47, § 6 Rn. 28. 46 BGBl. I (1997), S. 504. Zuletzt geändert am 23. 10. 2007, BGBl. I (2007), S. 2470. 47 Zur Abfalleigenschaft BVerwG, Urteil v. 22. 11. 1985, Az. 4 A 1 / 83 – NJW 1986, 2524; Philip Kunig / Stefan Paetow / Ludger-Anselm Versteyl, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2. Aufl. 2003, § 3 KrW / AbfG Rn. 12; Jürgen Fluck, KrW- / Abfall- und BodSchR, Stand: März 2008, § 3 KrW / AbfG, Rn. 84. 48 RL (EG) Nr. 85 / 337, Abl. L 275 v. 5. 7. 1985, S. 40 ff. 49 Bei der begrifflichen Bestimmung der Vorhabenarten des UVPG ist das Fachrecht zu berücksichtigen (Andreas Gallas / Christof Sangenstedt, in: Landmann / Rohmer, Umwelt-

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kommt. In Sachsen-Anhalt z. B. wäre nach Nr. 1.14 Anlage 1 UVPG LSA eine allgemeine Einzelfallvorprüfung gemäß § 3c S. 1 UVPG erforderlich, bei der überschlägig abzuschätzen ist, ob von der Maßnahme erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen ausgehen. Dies ist beim Anlegen offener Wasserflächen anzunehmen, wenn leicht flüchtige Schadstoffe in erheblichem Umfang in die Atmosphäre übergehen und zur Schaffung der grundwasserdurchströmten Wasserflächen umfangreiche Eingriffe in den Bodenkörper nötig sind. Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die formellen Anforderungen an aerobe Grabensysteme zur Stimulierung eines Compartment Transfers auf eine wasserrechtliche Erlaubnis / Bewilligung und die Durchführung einer UVP beschränken.

2. Materielle Anforderungen Das Umweltrecht ist in Europa und in Deutschland ganz überwiegend medienbezogen ausgestaltet. Mit der Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL)50 aus dem Jahre 1996 versucht die Europäische Gemeinschaft die Integration der Fachrechtsgebiete auch in materieller Hinsicht zu verbessern, um ein hohes Schutzniveau für Umwelt insgesamt zu erreichen. Schwerpunkt ist die Vermeidung und Verminderung von Belastungsverlagerungen von einem Umweltmedium auf ein anderes.51 Dabei steht eine praktisch durchführbare Integration mittels Begrenzung von Emissionen und Verlagerungen im Vordergrund.52 Die Richtlinie spricht kein Verlagerungsverbot aus, sondern fordert eine Berücksichtigung der natürlichen oder anthropogenen Verlagerungseffekten bei der Zulassungsentscheidung, ohne sich einer Abwägung zwischen den verschiedenen Umweltmedien zu verschließen.53 Der jeweils besten verfügbaren Technik kommt eine Schlüsselstellung zu.54 An diesem Konzept der recht, Bd. III, Stand: April 2008, § 3 UVPG Rn. 23). Die begriffliche Einstufung als Ausbau i. S. v. § 31 Abs. 2 S. 1 WHG ist von der Frage der Planfeststellungspflicht nach § 31 Abs. 2 S. 2 WHG zu trennen. Die UVP dient auch der Feststellung erheblicher nachteiliger Veränderungen des Wasserhaushaltes i. S. v. § 31 Abs. 2 S. 2 WHG. 50 RL (EG) Nr. 96 / 61, Abl. L 257 v. 10. 10. 1996, S. 26 ff. 51 Frank Hasche, Das neue Bewirtschaftungsermessen im Wasserrecht, 2005, 225 ff. m. w. N.; Rainer Wahl, Materielle Anforderungen an die Vorhabenzulassung, NVwZ 2000, 502 (503) m. w. N.; Gunther J. Rieger, Umweltstandards im integrierten Umweltschutz, 2004, S. 91, 95 ff.; Gerhard Feldhaus, Integriertes Anlagenzulassungsrecht, ZUR 2002, 1 (2). Die IVU-RL bleibt damit hinter den Anforderungen der Umweltverträglichkeitsprüfung zurück, die gemäß Art. 3 UVP-RL auch Wechselwirkungen ermitteln soll (kritisch zum unterschiedlichen Schutzkonzept z. B. Monika Böhm, Umsetzungsdefizite und Direktwirkung der IVUund UVP-Änderungsrichtlinien?, ZUR 2002, 6 (8)). 52 Vgl. Erwägungsgrund 7 und Art. 9 Abs. 3 IVU-RL. 53 Erwägungsgrund 7 und Art. 9 Abs. 3 IVU-RL. Feldhaus (Fn. 51), S. 1 (2 f.); Hasche (Fn. 51), S. 230 ff.; Rieger (Fn. 51), S. 109 ff., 112 f. 54 Art. 3 lit. a), 9 Abs. 4 IVU-RL. Feldhaus (Fn. 51), S. 1 (3).

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integrierten Vermeidung und Verminderung soll sich nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine erweiterte Neufassung der IVU-RL nichts Wesentliches ändern.55 In Deutschland wurde mit dem UVP-IVU-Änderungsgesetz56 der Integrationsgrundsatz im Wasserrecht (§ 1a Abs. 1 S. 3 WHG) und im Immissionsschutzrecht (§§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG) verankert, allerdings mit unterschiedlicher Anwendungsbreite. Während sich der Integrationsgrundsatz im Immissionsschutzrecht entsprechend Art. 1, 2 Nr. 3 IVU-RL auf genehmigungspflichtige Anlagen beschränkt, wurde er im WHG als allgemeiner Bewirtschaftungsgrundsatz ohne Einschränkung auf bestimmte Gewässernutzungen aufgenommen.57 Der Integrationsgrundsatz ist daher bei aeroben Grabensystemen im Rahmen der wasserrechtlichen Erlaubnis / Bewilligung zu beachten und rechtlich die größte Hürde für die Genehmigungsfähigkeit, da das Sanierungskonzept Compartment Transfer aufgrund der bezweckten Verlagerung von Schadstoffen den Nerv des Integrationsgrundsatzes trifft.58 Bei der wasserrechtlichen Genehmigungsentscheidung müssen die materiellen Anforderungen des sonstigen betroffenen Fachrechts, insbesondere des Boden- und Immissionsschutzrechts, berücksichtigt und im Falle der Gefahrenabwehr beachtet werden.59 Mit der zukünftigen integrierten Vorhabengenehmigung (§§ 47 ff. UGB I – Referentenentwurf) soll auch auf legislativer Ebene eine formelle und materielle Zusammenführung erfolgen.

55 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie über Industrieemissionen, KOM (2007) 843 endg., S. 7 f. [Erwägungsgründe 2 und 3, Art. 15 Abs. 1 lit. a)]. Der Schwerpunkt des Vorschlages liegt in der Zusammenfassung mehrerer Richtlinien, der Verbesserung der Anwendung der besten verfügbaren Technik (BVT) sowie der Kontroll- und Berichtspflichten. Für den Compartment Transfer von Bedeutung sind die Aufnahme einer Sanierungspflicht in Art. 23 Abs. 3 des Vorschlages und eine 6-monatige Ausnahmemöglichkeit für „Zukunftstechniken“, welche höhere Schutzeffekte oder größere Kostenersparnisse als der BVT-Standard bieten (Art. 16 V, 3 Nr. 13 Vorschlag). 56 BGBl. I (2001), S. 1950 ff. 57 Begründung zum Gesetzentwurf, BR-Drs. 674 / 00, S. 133; Czychowski / Reinhardt (Fn. 45), § 1a Rn. 3, 11b. Auch wenn nicht alle Länder den Grundsatz in ihre Wassergesetze aufgenommen haben (ja: § 2 Abs. 1 S. 3 WG LSA; § 2 Abs. 1 S. 3 WG Nds; Art. 3a S. 2 BayWG; § 2 Abs. 1 WG NRW; § 3a Abs. 1 WG BW; nein: § 3 SächsWG, § 1 WG He; § 3 WG M-V; § 1 WG Bbg), ist der rahmenrechtlich im WHG vorgegeben Grundsatz aber gleichwohl bei der Auslegung der Landeswassergesetze, insbesondere bei der Bestimmung des „Wohls der Allgemeinheit“ zu beachten. 58 Kritisch gegenüber Verlagerungsmaßnahmen Achim Willand, Rechtliche Probleme der Grundwassersanierung: Sanierungsziele, Wirksamkeitsprognose für Maßnahmen und Natural Attenuation, altlasten spektrum 2005, 79 (82 f.); Peter Martus / Wilhelm Püttmann, Anforderungen bei der Anwendung von „Natural Attenuation“ zur Sanierung von Grundwasserschadensfällen, altlasten spektrum 2000, 87 (88); Steiner (Fn. 34), S. 60. 59 Vgl. BVerwGE 81, 347 (349 ff.); E 85, 348 (352); BVerwG, Beschluss v. 06. 09. 2004, Az. 7 B 62.04 – NuR 2006, 178 (179); Czychowski / Reinhardt (Fn. 45), § 6 Rn. 34; Martin Gellermann / Matthias Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und Zulassungsverfahren: Leitfaden für die Praxis, 2007, S. 146 f.

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a) Bodenschutzrecht Die Pflicht zur Sanierung von Altlasten umfasst nach § 4 Abs. 3 BBodSchG auch die Sanierung von Grundwasserschäden.60 Die inhaltlichen Anforderungen bleiben aber dem Wasserrecht überlassen (§ 4 Abs. 4 S. 3 BBodSchG), welches im Zusammenhang mit dem USchadG eine eigene Sanierungsverpflichtung erhielt (§ 22a Abs. 2 WHG). Die neue wasserrechtliche Sanierungspflicht erweitert mit der Zurückversetzung in den Ausgangszustand (§ 22a Abs. 2 WHG i.V. m. Anhang II Nr. 1.1.1. Umwelthaftungsrichtlinie 61) erheblich die Pflichten gegenüber § 4 Abs. 3 BBodSchG, der sich auf Gefahrenabwehrmaßnahmen beschränkt. Die Verantwortlichkeit aufgrund des USchadG besteht aber nicht für Schadensereignisse, die vor dem 30. 04. 2007 stattgefunden haben (§ 13 USchadG), ist also für die sog. Altlastenproblematik nicht relevant. Beim Compartment Transfer ist die Verweisung aufs Wasserrecht gleichwohl keine abschließende Entlassung aus dem Bodenschutzrecht, da die Nutzung des Bodenkörpers als Filter- und Abbaumedium zu neuen schädlichen Bodenveränderungen führen kann. Bodenveränderungen entstehen zum einen bei der Einrichtung offener Wasserstellen (Bodenaushub), zum anderen aufgrund der Akkumulation von Schadstoffen im durchflossenen Bodenkörper durch nicht auszuschließende Metabolitenbildung, Mineralisation oder Bindung in Humus (Huminstoffe) beim Abbau.62 Bei aeroben Grabensystemen ist insbesondere der Bodenaushub aufgrund des anfallenden Volumens (bis zu 10 m tiefe Gräben) und möglicher Schadstoffbelastungen des Erdmaterials bedeutsam. Kontaminierter Boden ist nach der Auskofferung grundsätzlich gefährlicher Abfall im Sinne § 3 Abs. 1, 8 KrW / AbfG i.V. m. Nr. 17 05 03* AVV und gemäß § 27 Abs. 1 KrW / AbfG in Abfallbeseitigungsanlagen zu behandeln.63 Alternativ stellt § 13 Abs. 5 BBodSchG bei der Altlastensanierung entnommenes Bodenmaterial vom Anwendungsbereich des § 27 KrW / AbfG frei, wenn dieser im Bereich der zu sanierenden Fläche wieder eingebracht werden soll und durch einen verbindlichen Sanierungsplan oder eine Sanierungsanordnung sichergestellt ist, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht be60 Zum Verhältnis Bodenschutzrecht und Wasserrecht vgl. LABO / LAWA, Abgrenzung zwischen Bundes-Bodenschutzgesetz und Wasserrecht, Teil 1, 2000, S. 2 ff.; LAWA / LABO, Grundsätze des nachsorgenden Grundwasserschutzes bei punktuellen Schadstoffquellen, 2006, S. 20; Achim Willand, Rechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Grundwasserschäden, in: Großmann et al., Inventarisierung von Grundwasserschäden und deren Beurteilung in Großprojekten „Ökologische Altlasten“ der neuen Bundesländer, UBA-Texte 40 / 03, S. 36 (37 f.). 61 Siehe Fn. 36. 62 Vgl. SRU, Fn. 35, Tz. 520. 63 Vgl. SRU, Fn. 35, Tz. 207; Matthias Dombert in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Bd. IV, § 13 BBodSchG Rn. 46. Zum Schutzniveaugefälle zwischen Abfall- und Bodenschutzrecht Achim Willand, Altlasten und Gewässerschäden zwischen deutschem und europäischem Abfall-, Bodenschutz- und Wasserrecht: Schnittstellen und Bruchstellen, ZUR 2006, 567 ff.

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einträchtigt wird. Diese Möglichkeit empfiehlt sich beim Compartment Transfer, da schon aus Gründen des Wasserrechts eine verbindliche Wiederverfüllung rechtlich vorteilhaft ist. Bei der Lagerung des Bodenaushubs sowie bei der Wiederverfüllung sind die Gefahrenabwehr- und Vorsorgepflichten nach §§ 4 Abs. 1, 7 BBodSchG einzuhalten, um erneute schädliche Bodenveränderungen zu vermeiden. Gemäß § 5 Abs. 6 Verordnung zum BBodSchG (BBodSchV64) ist der Bodenaushub nach § 4 Abs. 3 BBodSchG so zu behandeln, dass dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Beim Wiederverfüllen der Gräben sind die Vorsorgeanforderung des § 12 BBodSchG zu beachten.

b) Immissionsschutzrecht Das Immissionsschutzrecht normiert keinen einheitlichen materiellen Anforderungsgrad, sondern differenziert zwischen genehmigungspflichtigen und nicht genehmigungspflichtigen Anlagen (§§ 5 bzw. 22 BImSchG). Bei genehmigungspflichtigen Anlagen dienen die Anforderungen der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt. Sie beziehen sich in Umsetzung des Integrationsgrundsatzes auf alle Umweltmedien und -güter und verlangen nicht nur die Abwehr von Immissionsgefahren, sondern Vorsorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen, insbesondere durch Emissionsminderungsmaßnahmen. Für nicht genehmigungspflichtige Anlagen gilt demgegenüber ein geringerer Schutzstandard, der sich auf die Gefahrenabwehr und den Immissionspfad Luft beschränkt. Untergesetzliche Rechtsverordnungen, ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften und – soweit vorhanden – Luftreinhaltepläne konkretisieren den Pflichtenkatalog. Von entscheidender Bedeutung für Verfahren des Compartment Transfers sind v. a. die Anforderungen der Norm konkretisierenden Technischen Anleitung Luft (TA Luft).65 Bei aeroben Grabensystemen ist aufgrund der fehlenden Genehmigungspflicht nur § 22 BImSchG anwendbar mit der Verpflichtung, schädliche Immissionen gemäß Absatz 1 Nr. 1 und 2 soweit wie nach dem Stand der Technik möglich zu vermeiden oder zu mindern (relative Gefahrenabwehrpflicht).66 Die TA Luft konkretisiert die Pflicht (Ziff. 1 TA Luft) und weist entsprechend den europäischen Luftqualitätszielen 67 Immissionswerte aus (Ziff. 4.2.1), bei deren Überschreitung BGBl. I (1999), S. 1554. Zuletzt geändert durch BGBl. I (2004), S. 3758. GMBl. 2002, Heft 25 – 29, S. 511 – 605. 66 Vgl. BVerwGE 55, 250 (254); Johannes Dietlein / Klaus Hansmann, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Bd. I § 5 BImSchG Rn. 100, 111, § 22 BImSchG Rn. 19. 67 Anhang I der Richtlinie (EG) Nr. 2000 / 69 des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 11. 2000 über Grenzwerte für Benzol und Kohlenmonoxid in der Luft, Abl. L 313 v. 13. 12. 2000, S. 12 ff. Die Richtlinie ergänzt die Luftqualitäts-Richtlinie (EG) Nr. 1996 / 62, Abl. L 296 v. 22. 11. 1996, S. 55 ff. 64 65

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eine Gefahr für die menschliche Gesundheit nicht sicher auszuschließen ist. Bei der Sanierung organischer Kohlenwasserstoffbelastungen ist v. a. der Immissionswert von 5 mg / m3 für den krebserregenden Stoff Benzol bedeutsam. Soweit die zu erwartende Gesamtbelastung im Einwirkungsbereich der Anlage68 diese Schwelle übersteigt, ist die Sanierungsanlage gemäß § 24 BImSchG behördlich zu untersagen.69 Entscheidend für die Beurteilung sind die Vorbelastungen der Luft im Einwirkungsbereich, die Konzentrationen im Grundwasser (in Leuna z. B. 13.586.000 mg Benzol / m3) und die Emissionsmengen.70 Da bei aeroben Grabensystemen der ganz überwiegende Teil der Schadstoffe über Jahrzehnte stetig in die Luft übergeht, kann trotz beschleunigten Abbaus in der Atmosphäre ein Auffangen und Filtern der Abluft zur Gefahrenabwehr unumgänglich sein. Eine Adsorption von Schadstoffen gemäß dem Stand der Technik71 durch Aktivkohlefilter, katalytische Oxidation oder Nachverbrennung organischer Schadstoffe wäre in Anbetracht der Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung i. d. R. nicht unverhältnismäßig, auch wenn sie das Verfahren verteuern würde.

c) Wasserrecht Bis zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (§ 33a Abs. 1 WHG) und der Umwelthaftungsrichtlinie (§ 22a WHG) enthielt das Wasserrecht für den nachsorgenden Grundwasserschutz keine konkreten Vorgaben.72 Aufgrund der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsordnung (§ 1a Abs. 4 WHG) sind die Nutzungszulassungen als repressive Verbote ausgestaltet, die im pflichtgemäßen Ermessen der Wasserbehörde stehen und sich nach den Bewirtschaftungszielen (§§ 1a Abs. 1, 33a WHG) richten müssen. Die Erlaubnis / Bewilligung ist zu versagen, wenn eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten und nicht durch Auflagen oder Schutzmaßnahmen zu vermeiden oder auszugleichen ist (Gefahrenabwehr gemäß § 6 WHG). Aufgrund der Aufnahme des Gebots des integrierten Umweltschutzes in die Bewirtschaftungsgrundsätze (§ 1a Abs. 1 S. 3 WHG) sind im Wasserrecht Schadstoffverlagerung in andere Umweltmedien im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen (s. o. D.II.). Um dem Integritätsgrundsatz 68 Gemäß Ziff. 4.6.2.5 TA Luft ist der Einwirkungsbereich die Fläche innerhalb eines Radius von 1 km. 69 Zur norminterpretierenden Bindungswirkung der Immissionswerte Klaus Hansmann, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Bd. I, Ziff. 4.2 TA Luft Rn. 11 f., 16 ff. 70 Letztere variieren je nach Sanierungsart (wetlands oder offene Wasserflächen), Größe und Durchflussmenge. 71 Ziff. 3 und 4 VDI-Richtlinie 3897, Emissionsminderung – Anlagen zur Bodenluftabsaugung und zum Grundwasserstripping, 12 / 2007. 72 Steiner (Fn. 34), S. 65 ff.; Alexander Schink, Wasserrechtliche Probleme der Sanierung von Altlasten, DVBl. 1986, 161 (164). Aufgrund ihrer Unverbindlichkeit resultieren aus den Geringfügigkeitsschwellen der LAWA (Ableitung von Geringfügigkeitsschwellen für das Grundwasser, 2004).

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Rechnung zu tragen und die Einheit der Rechtsordnung zu wahren, ist die Erlaubnis oder Bewilligung bei aeroben Grabensystemen zu versagen, wenn das Sanierungsverfahren gegen die erörterten Anforderungen des Immissionsschutzes und Bodenschutzes verstoßen würde.73 Entsprechende Vorgaben sind durch Auflagen und Bedingungen nach §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 1 WHG sicherzustellen. Mögliche Mehrkosten und die Wirtschaftlichkeit der Benutzung spielen aufgrund des fehlenden grundrechtlichen Anspruches auf Gewässerbenutzung bei der Ermessensentscheidung nur eine untergeordnete Rolle.74 Die entscheidende Abwägung erfolgt zwischen den Bewirtschaftungszielen: guter chemischer Zustandes des Grundwassers (§ 33a Abs. 1 Nr. 4 WHG) und integrierter Umweltschutz (§ 1a Abs. 1 S. 3 WHG), deren Konflikt sich aber durch entsprechende Maßnahmen vermindern lässt. V. Vorläufige Bewertung mit Blick auf die Innovationsthematik Neue kostengünstige Sanierungstechnologien, wie der Compartment Transfer (CT) im Rahmen von Enhanced Natural Attenuation-Verfahren (ENA), nähren insbesondere für die sog. Megasites die Hoffnung, dass auch jenseits konkreter Nutzungsinteressen Dekontaminierungsmaßnahmen finanziert und „ökologische Opferstrecken“ beseitigt werden können. Die Anwendung solcher Technologien vollzieht sich nicht im rechtsfreien Raum, sondern hat die Vorschriften einer entwickelten Umweltrechtsordnung zu beachten, die jedenfalls sicherstellen soll, dass technische Anstrengungen zur Dekontamination des Grundwassers nicht mit unakzeptablen Verlagerungen auf andere Umweltmedien sowie auf Menschen, Tiere und Pflanzen einhergehen (Integrationsprinzip). Umweltrechtsnormen, die diesem Ziel dienen, gewährleisten zugleich, dass nur solche CT-Verfahren zur Anwendung kommen können, die basale Voraussetzungen für Umweltinnovationen erfüllen. Soweit CT-Verfahren zur Grundwassersanierung darauf angewiesen sind, das Wasser zu heben und ex-situ zu behandeln, stellt das Umweltrecht weitergehende Vorsorgeanforderungen durch gefahrenunabhängige Stand der Technik-Gebote auf, weil in diesem Falle von einer Abfallbehandlungsanlage auszugehen ist, für die besondere Verfahren (immissionsschutzrechtliche Genehmigung) und Anforderungen gelten. Diese erweiterten Vorsorgeanforderungen durch Stand-der-TechnikAnforderungen mögen im Einzelfall die praktische Anwendung der Technologie hemmen können, weil unabhängig von konkreten schädlichen Umwelteinwirkungen Reinigungsvorkehrungen mit Blick auf die Emission in das Luftkompartiment getroffen werden müssen. 73 BVerwGE 81, 347 (351); E 85, 348 (352); Czychowski / Reinhardt (Fn. 45), § 6 Rn. 11 f. m. w. N.; Günther-Michael Knopp in: Siedler / Zeitler / Dahme / Knopp (Fn. 44), § 6 Rn. 7b, 9a. 74 Czychowski / Reinhardt (Fn. 45), § 6 Rn. 58.

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CT-Verfahren sind aber nicht zwingend auf die Hebung des Wassers angewiesen: Soweit ein CT-Verfahren für einen bestimmten Zeitraum in-situ zur Anwendung kommen soll, liegt lediglich eine Gewässerbenutzung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 6 WHG vor, die erlaubnispflichtig ist. Im Rahmen dieses Erlaubnisverfahrens sind allerdings nicht nur materiellrechtliche Vorgaben des Wasserrechts, sondern auch bindende Vorschriften anderer Umweltfachrechte zu beachten, soweit für deren Anwendung nicht besondere Verfahren vorgeschrieben sind. Führt die Ausgasung von Schadstoffen in das Luftkompartiment etwa zu schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG), d. h. zu Immissionslagen mit einer gewissen Störqualität, ist dies i. d. R. ein zwingender Versagungsgrund (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 BImschG),75 der nur durch Vorkehrungen zur Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen beseitigt werden kann. Solche Umweltrechtsnormen hemmen keine Umweltinnovationen, sondern stellen sicher, dass neue Technologien nicht schon an den elementaren Grunderfordernissen des Umweltschutzes scheitern.

75 Mit Blick auf die Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte der 22. BImSchV ist dies wegen des BVerwG-Urteils v. 26. 5. 2004 (BVerwGE 121, 57) zweifelhaft, weil das BVerwG (in einem straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren) auf den Ausweg der Luftreinhaltung verwiesen hat.

„Technikneutrale“ Regulierung: Möglichkeiten und Grenzen Von Alexander Roßnagel I. „Technikneutrale“ Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Begründung der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Verständnis von „Technikneutralität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. „Technikneutralität“ und Entwicklungsoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 II. Zur Möglichkeit „technikneutraler“ Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 III. Normative Grenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Entscheidungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 IV. Unterstützung innovationsförderlicher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Der Beitrag befasst sich mit einer für das Verhältnis von Recht und Innovation bedeutsamen Frage, nämlich ob das hinsichtlich technischer Merkmale ausdifferenzierte Recht einen Faktor der Pfandabhängigkeit darstellt und ob im Gegensatz dazu eine technikneutrale Regulierung Innovationen befördert, indem sie Pfadabhängigkeiten vermeidet. Um die Frage beantworten zu können, ist es notwendig, folgende Teilfragestellungen zu untersuchen:  Was ist eine technikneutrale Regulierung und mit welchem Ziel wird sie angestrebt?  In welcher Hinsicht und in welchem Maß sind technikneutrale Regelungen möglich?  Wo sind normative Grenzen technikneutraler Regelungen?  Können technikneutrale Regelungen Innovationen fördern?

Als empirische Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen sollen überwiegend Beispiele aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken gewählt werden, da in diesem Bereich die größte Entwicklungsdynamik und Änderungsgeschwindigkeit besteht.

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I. „Technikneutrale“ Regulierung Gerade im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken wird vielfach die Forderung erhoben, Technikregelungen müssten technikneutral sein.1 Dabei wird „technikneutral“ meist mit dem Attribut „entwicklungsoffen“ verbunden und dieses mit innovationsförderlich assoziiert.2 1. Begründungen der Forderung Zu Begründung dieser Forderung werden im Wesentlichen vier Gründe angeführt: Der erste Grund ist die Praktikabilität „technikneutraler“ Regelungen für das rechtsetzende Organ: Detaillierte Technikregulierungen überforderten den Regelsetzer, da sie ein hohes Maß an Technikwissen voraussetzten, das ihm im Regelfall nicht zur Verfügung stehe oder nur mühsam zu beschaffen sei. Für ihn genüge es, abstrakte funktionale Anforderungen zu stellen, die dann von technischen Normsetzungsgremien oder der industriellen Praxis ausgefüllt würden. Der zweite Grund ist die Effektivität der Regulierung: Ist eine technikbezogene Regulierung „technikneutral“ ausgestaltet, müsse sie bei einer technischen Neuentwicklung oder einer neuen technischen Anwendung nicht angepasst werden, sondern könne ohne Einbuße ihrer Regulierungswirkung unverändert bestehen bleiben. Ihr weiter Tatbestand erfasse auch die neue technische Lösung. Auf diese Weise werde angesichts einer dynamischen Technikentwicklung ein ständiger Novellierungsbedarf vermieden. Als dritter Grund wird die Entwicklungsfreiheit der Technikhersteller und -anwender angeführt: Sie würden von detaillierten Technikregelungen in ihrer Entfaltungsfreiheit eingeschränkt und könnten neuen Ideen nur beschränkt oder gar nicht realisieren. Schließlich wird noch als Begründung das Ziel der Wettbewerbsförderung genannt: Nur bei „technikneutraler“ Regulierung erhielten auch neue technische Lösungen die gleiche Chance sich durchzusetzen wie die etablierten Techniken, die Anlass oder Gegenstand der Regelung waren. Dagegen behinderten ausdifferenzierte Technikregelungen, die an einer bestimmten technischen Lösung orientiert sind, die Umsetzung innovativer Lösungen. 1 s. z. B. Bundesministerium der Justiz (BMJ), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2. Aufl. 1999, Rn. 240; s. hierzu allgemein der „New Approach“ im Technikrecht der Europäischen Gemeinschaft – s. hierzu näher Florence Nicolas / Jaques Repussard, Gemeinsame Normen für Unternehmen, 1995; Juliane Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz und technische Normen, 1997, S. 13 ff.; s. speziell zu Informations- und Kommunikationstechniken z. B. Richtlinie 2002 / 21 / EG vom 07. 03. 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), Erwägungsgrund 18. 2 s. hierzu z. B. Alexander Tettenborn, Die Evaluierung des IuKDG – Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, MMR 1999, S. 519.

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2. Verständnis von „Technikneutralität“ Aus diesen Begründungen lässt sich ableiten, was unter „Technikneutralität“ verstanden werden soll. Dieses Verständnis besteht in zwei Ausprägungen, in einer moderaten und in einer weitergehenden Forderung an den Rechtsetzer: Die moderate Forderung lautet: Technikregelungen sollen keine bestimmte technische Lösung vorschreiben und grundsätzlich die Erwähnung einer konkreten Technik oder gar einer konkreten Ausprägung vermeiden. Dies bedeutet im Einzelnen, dass eine Technikregelung keine fachsprachlichen Detailregelungen beinhalten soll, nicht in statischer Weise3 auf technische Normen verweisen, keine produktspezifischen Anforderungen enthalten und keine konkreten Beschaffenheitsanforderungen an eine Technik stellen soll. Als abschreckende Beispiele für eine Missachtung dieser Forderung werden die 43 Seiten lange „Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über vor dem Fahrersitz montierte Umsturzvorrichtungen mit zwei Pfosten für Schmalspurmaschinen mit Luftbereifung“4 oder die „Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Beifahrersitze von land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“5 angeführt.6 Die weitergehende Forderung verlangt sogar, dass eine Technikregelung möglichst überhaupt keine oder so wenig wie möglich technikbezogene Regelungen treffen soll. Dies soll nicht nur für spezifische, sondern auch für allgemeinen Beschaffenheitsanforderungen gelten. Die Regelung soll sich nicht an bestimmten Technikkonzepten orientieren, sondern ihre Anforderungen unabhängig von möglichen oder denkbaren technischen Lösungen formulieren. Sie soll sich möglichst auf Generalklauseln (allgemeine Regeln der Technik, Stand der Technik – beste verfügbare Technik) beschränken und allenfalls Ziele (unter Umständen Grenzwerte) und Funktionen beschreiben, die unabhängig von Technik sind. Dieser Anforderung widerspricht zum Beispiel § 23 Abs. 1a StVO, der verbietet, als Fahrer eines Kraftfahrzeugs ein „Mobiltelefon“ in der Weise zu benutzen, dass er das Mobiltelefon hält.7 Durch die Benennung einer Kategorie von Geräten stellt sich schnell das Problem, ob dieses Verbot bei der Verwendung vergleichbarer Geräte, wie einem „Palm-Organizer“, der vergleichbare Ablenkungen verursacht, ebenfalls gilt.8 3 Eine dynamische Verweisung auf außerrechtliche Normen kann aber verfassungswidrig sein – s. z. B. Alexander Roßnagel, in: Koch / Scheuing / Pache, Gemeinschaftskommentar zum BImSchG, § 7 Rn. 210 ff. 4 ABl. L 220 vom 08. 08. 1987, S. 1. 5 ABl. L 262 vom 27. 09. 1976, S. 135. 6 s. hierzu Jörissen (Fn. 1), S. 14. 7 Diese Vorschrift sieht Jan Spoenle, Ordnungswidrige Benutzung eines Smartphones durch In-der-Hand-Halten beim Führen eines Kfz, jurisPR-ITR 1 / 2007 Anm. 7, als ein Beispiel für fehlende Technikneutralität an. 8 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27. 11. 2006, 3 Ss 219 / 05 – NJW 2007, 240 f.

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3. „Technikneutralität“ und Entwicklungsoffenheit Wird „Technikneutralität“ an der sprachlichen Fassung einer Rechtsnorm festgemacht, zeigt sich schnell, dass dies für die gewünschten Wirkungen, die zur Begründung der moderaten und der weitergehenden Forderung angeführt werden, unzureichend ist. Technikneutrale Formulierungen führen nicht per se zu mehr Entwicklungsoffenheit. Unterstellt die Regelungen wären „technikneutral“ formuliert, hätten sie – abhängig von der rechtlichen Konstruktion der Rechtsnorm – völlig disparate Wirkungen, wie die folgenden Beispiele zeigen: Ist die Techniknorm eine Eingriffsregelung, so liegt ihr die rechtliche Konstruktion zugrunde, dass die Entfaltungsfreiheit des Technikherstellers oder des Techniknutzers ausnahmsweise durch behördlichen Eingriff beschränkt wird. Diese rechtliche Konstruktion führt zu Beschränkungen bestimmter Techniken, die Gegenstand des behördlichen Eingriffs sind, während sie für die nicht von der Eingriffsnorm erfassten Techniken einen Freiheitsraum gewährleistet. Neue Techniken sind somit erstmal nicht reguliert. Die Regelung ist damit für die technische Entwicklung umso entwicklungsoffener, je technikspezifischer sie die Beschränkungsmöglichkeit umschreibt. Ähnlich verhält es sich mit Zulassungsregelungen: Sie beinhalten im Regelfall ein grundsätzliches Verbot mit Erlaubnistatbeständen. Diese Rechtskonstruktion bewirkt, dass hinsichtlich des Verbots die Regelung um so entwicklungsoffener ist, je technikspezifischer das Verbot gefasst ist, während sie hinsichtlich der Erlaubnistatbestände umso entwicklungsoffener ist, je „technikneutraler“ die Erlaubnistatbestände formuliert sind. Haftungsregelungen sind in der Regel so konstruiert, dass sie sowohl einen Haftungstatbestand als auch einen Haftungsausschluss aufweisen. Auch für sie kann eine „technikneutrale“ Fassung widersprüchliche Wirkungen haben. Die Regelung ist umso entwicklungsoffener, je spezifischer der Haftungstatbestand ausgestaltet ist. Umgekehrt aber wirken Regelungen zur Befreiung von Entwicklungsrisiken umso entwicklungsoffener, je „technikneutraler“ der Befreiungstatbestand gefasst ist. Als viertes Beispiel seien schließlich Steuerregelung betrachtet: Eine Regelung zur Besteuerung einer Techniknutzung wirkt umso entwicklungsoffener, je spezifischer die zu besteuernde Technik beschrieben ist. Umgekehrt aber ist die Wirkung bei der Regelung einer Subvention oder Steuerbefreiung. Diese Regelung wirkt umso entwicklungsoffener, je „technikneutraler“ der Befreiungstatbestand ausgestaltet ist. Diese Beispiele zeigen: Die Entwicklungsoffenheit hängt nicht von der „Technikneutralität“ der sprachlichen Fassung der Regelung ab, sondern ist abhängig vom Zusammenwirken mit der rechtlichen Konstruktion der Norm. Daher kann schon hier das Zwischenergebnis festgehalten werden, dass die Forderung nach „Technikneutralität“ rechtlicher Regulierung der Technik verkürzt ist und das genaue Gegenteil davon bewirken kann, was mit dieser Forderung intendiert ist.

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Im Folgenden sollen daher nur die Fälle näher betrachtet werden, in denen eine „technikneutrale“ Formulierung zusammen mit der rechtlichen Konstruktion der Norm prinzipiell in der Lage wäre, Wirkungen in Richtung Entwicklungsoffenheit zu entfalten, und mit der Vermutung verbunden werden kann, Innovationen zu fördern. II. Zur Möglichkeit „technikneutraler“ Regulierung Ist eine „technikneutrale“ rechtliche Regulierung, wie sie die moderate oder die forcierte Forderung anstreben, überhaupt faktisch möglich? Die Umsetzung dieser Forderung ist sicher in der Form möglich, dass der Rechtsetzer mit höchst abstrakten Formulierungen arbeitet – wie etwa den Standards der „Drei-Stufen-Theorie“. 9 Dies bedeutet, dass er letztlich als Gesetzgeber inhaltlich nichts regelt, sondern anderen Kreisen die Entscheidung, was normativ gelten soll, überlässt.10 Wenn der Rechtsetzer jedoch eine inhaltliche Regelung treffen will, sind seine Möglichkeiten technikneutral zu regeln, nur sehr begrenzt – so begrenzt wie seine oder unsere Phantasie. Eine inhaltliche Regelung zur Förderung technischer Entwicklungen oder zur Abwehr und Vorsorge gegen technische Risiken muss nicht in der Weise erfolgen, dass technische Details fachsprachlich beschrieben und Beschaffenheitsanforderungen präzis ausgeführt werden oder dass auf eine bestimmte technische Norm verwiesen wird. Inhaltliche Anforderungen an die Technik können „neutraler“ auch weitgehend durch gewünschte Funktionen oder zu erreichende Ziele umschrieben werden. Aber auch wenn nur Ziele und Funktionen in Technikregelungen aufgenommen werden, bleiben diese mehr oder weniger einem – bekannten – technischen Konzept verhaftet. Es fehlt an Phantasie (nicht nur der Abgeordneten oder Ministerialbeamten), sich andere Technologiekonzepte vorzustellen und dann ausgehend von bekannter und vorgestellter Technik Fördertatbestände oder Risikobewältigungen abstrahierend zu umschreiben. In vielen Fällen wäre auch das unzureichend und es müsste auf eine noch unbekannte Technik hin abstrahiert werden. Diese Überlegung soll an fünf Beispielen erläutert werden: Als erstes Beispiel – für die Erfassung von Gegenständen – soll noch einmal das Verbot in § 23 Abs. 1a StVO dienen, als Fahrer eines Kraftfahrzeugs ein „Mobiltelefon“ in der Weise zu benutzen, dass er das Mobiltelefon hält. Wie sollte der Gegenstand des Verbots abstrakt gefasst werden, damit erwünschte Gegenstände nicht erfasst, nicht erwünschte Gegenstände aber verboten werden? Wie kann der Gegenstand umschrieben werden, damit auch alle künftigen Gegenstände korrekt BVerfGE 49, 89 (136 ff.); s. zu dieser Forderung BMJ (Fn. 1), Rn. 241 f. s. Alexander Roßnagel, Die rechtliche Fassung technischer Risiken, UPR 1986, S. 46 ff.; ders., Ansätze zu einer rechtlichen Steuerung des technischen Wandels, in: Marburger (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1994, S. 425 ff. 9

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in diese beiden Kategorien eingeordnet werden können, wenn diese sowohl unterstützenden und ablenkenden Charakter haben können – wie Navigationsgeräte, Spracheingabegeräte, Handhelds für dynamische Verkehrshinweise oder sonstige Location Based Services oder sonstige Geräte für die künftigen Ausprägungen der Verkehrstelematik11 und des Ubiquitous Computing im Kraftfahrzeug?12 Alle Gegenstände zu verbieten, „die der Fahrer in der Hand hält“ oder „die den Fahrer beim Fahren ablenken“, dürfte mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht vereinbar sein.13 Geräte aber genauer zu benennen, wird immer dazu führen, andere Geräte, an die derzeit noch keiner denkt, auszuschließen. Kommen innovative Geräte auf den Markt, muss die Norm überarbeitet werden. Ein zweites Beispiel gilt der Regulierung von Funktionen: Die Signaturrichtlinie und in ihrer Folge das Signaturgesetz haben sich sehr darum bemüht, die Regelungen „technikneutral“ zu fassen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Autoren der Richtlinie sogar vor unverständlichen sprachlichen Neuschöpfungen in den Definitionen des Art. 2 nicht zurückgeschreckt wie „Signaturerstellungsdaten“ statt „privater Signaturschlüssel“, „Signaturprüfdaten“ statt „öffentlicher Schlüssel“ oder „sichere Signaturerstellungseinheit“ statt „Signaturkarte“, nur um von den gegenwärtig genutzten Public Key-Verfahren zu abstrahieren und die Regelungen auch für künftige andere Signaturverfahren zu öffnen. Da sie aber die Funktionen für Signaturverfahren regeln mussten und ihnen die Phantasie für andere Verfahren fehlte, haben sie die Funktionen – wie Zertifikate, Zertifizierungsdiensteanbieter, Verzeichnisdienste, Sperrdienste – geregelt, die es – vermutlich nur – bei Public Key-Verfahren gibt. Würde ein anderes Signaturverfahren erfunden und eingeführt, würde es zwar – vielleicht – unter die abstrakten Begriffe passen, müsste aber funktionale Anforderungen erfüllen, die für dieses Verfahren unsinnig sind. Trotz der „technikneutralen“ Definitionen müsste bei einer innovativen Technik das komplette Regelungssystem der Signaturrichtlinie und des Signaturgesetzes überarbeitet werden. Als drittes Beispiel sollen für die Regulierung von Zielen die Vorsorgegrenzwerte für Elektrosmog nach § 4 der 26. BImSchV dienen. Diese Grenzwerte sind „technikneutral“ formuliert, aber so gewählt, dass sie in verhältnismäßiger Weise mit der heutigen Technik erreicht werden können.14 Da die Grenzwerte dem Ver11 s. hierzu z. B. Siegfried Behrendt / Lorenz Erdmann / Felix Würtenberger, in: Hilty u. a. (Hrsg.), Das Vorsorgeprinzip in der Informationsgesellschaft – Auswirkungen des Pervasive Computing auf Gesundheit und Umwelt, 2003, S. 79 ff.; Ralf G. Herrtwich, Fahrzeuge am Netz, in: Mattern (Hrsg.), Total vernetzt, Szenarien einer informatisierten Welt, 2003, S. 63 ff.; Ralf G. Herrtwich / Hubert Rehborn / Walter Franz / Philipp Wex, Lokationsdaten – auf dem Weg zur Rundumüberwachung, 44. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2006, S. 132 ff. 12 s. hierzu Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik, Pervasive Computing, Entwicklungen und Auswirkungen, 2006, 27 f., 83 ff.; Alexander Roßnagel, Datenschutz in einem informatisierten Alltag, 2007, S. 58 ff. 13 s. z. B. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 2000, Art. 103 II, Rn. 33 ff. 14 s. Roßnagel (Fn. 3), § 23 Rn. 192.

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hältnismäßigkeitsprinzip unterliegen, müssen sie – unabhängig von ihrer „technikneutralen“ Formulierung – immer den Verhältnissen angepasst werden. Würden andere Techniken es nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermöglichen, die Grenzwerte einzuhalten, müsste sie reduziert werden. Umgekehrt könnten mit einer innovativen Technik anspruchsvollere Grenzwerte erreicht werden, so dass diese im Interesse der Vorsorge den neuen Möglichkeiten anzupassen wären. Als viertes Beispiel soll die „technikneutrale“ Regulierung von Sicherheit dienen: In § 15 Abs. 1 Satz 1 SigV sind die Sicherheitsanforderungen für die Nutzung der sicheren Signaturerstellungseinheit abstrakt und „technikneutral“ nur durch die Benennung der Sicherungsfunktionen Haben, Sein und Wissen beschrieben. Zukünftig könnte aber die Sicherheit der Nutzungsmöglichkeit vielleicht von Ort, Zeit und Kontext abhängen. Wie aber sollen Sicherheitsanforderungen beschrieben werden, wenn auch künftige Sicherheitstechniken einbezogen werden sollen und zugleich aber ein bestimmtes Sicherheitsniveau gewünscht wird oder garantiert werden muss? Vermutlich werden Sicherheitsanforderungen bei Innovationen in der Sicherheitstechnik immer überarbeitet werden müssen. Schließlich soll als fünftes Beispiel die „technikneutrale“ Regelung eines Privilegs herangezogen werden. Nach § 305a Nr. 2b BGB müssen für „Telekommunikations-, Informations- und andere Dienstleistungen, die unmittelbar durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln und während der Erbringung einer Telekommunikationsdienstleistung in einem Mal erbracht werden“, Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich in den Vertrag einbezogen werden, sondern gelten bereits dann, wenn die Bundesnetzagentur sie in ihrem Amtsblatt veröffentlicht hat. Da es bei Erlass der Regelung noch keine Telemedien gab, privilegiert die Vorschrift nur die klassischen Telekommunikationsdienstleister,15 nicht aber die neuen Anbieter von Telemedien, obwohl auch sie ihre Dienstleistung vollständig während einer Telekommunikationsverbindung abwickeln. Dies führt zu unvertretbaren Ungleichbehandlungen von Diensten insbesondere des mobilen Internet, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Vorschrift so nicht vorhersehbar waren.16 Um dies auszugleichen, ist die Vorschrift trotz ihrer „technikneutralen“ Fassung auch auf diese Angebote auszuweiten. Die Forderung nach „technikneutraler“ Regulierung übersieht, dass für Innovation oft nicht (nur) die Technik entscheidend ist, sondern das Nutzungs- oder Geschäftskonzept. Eine „technikneutrale“ Beschreibung von Anforderungen geht daher oft am Ziel der Innovationsoffenheit vorbei. Dies soll an zwei Beispielen zu Telemedien erläutert werden, die hochabstrakt und maximal „technikneutral“ als Restkategorie definiert sind, nämlich als alle elektronischen Informations15 BT-Drs. 14 / 6040, S. 152; Johannes Ranke, Rechtsverbindlichkeit und Datenschutz im M-Commerce, 2004, S. 244 f.; Helmut Heinrichs, in: Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 305a BGB, Rn. 5. 16 s. Silke Jandt, Vertrauen im Mobile Commerce – Vorschläge für die rechtsverträgliche Gestaltung von Location Based Services, 2008, S. 209 f.

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und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikation oder Rundfunk sind.17 Das sechste Beispiel befasst sich mit der Regulierung von Risiken und dem Aufkommen neuer Geschäftsmodelle: Das Telemediengesetz regelt speziell die besonderen Datenschutzrisiken bei der Nutzung des Internet. Für diese Risiken werden sehr abstrakt die Anforderungen zur Gewährleistung informationeller Selbstbestimmung beschrieben. Diese auf die Internetnutzung bezogenen Vorgaben werden allerdings nur für das Verhältnis von Anbieter und Nutzer geregelt, weil 1996, als das Teledienstedatenschutzgesetz als Vorläufer des Telemediengesetzes geschaffen wurde,18 nur an diese Beziehung gedacht worden ist. Das Telemediengesetz regelt aber nicht die Risiken, die sich einstellen, wenn Nutzer und Betroffene nicht identisch sind. Diese Konstellation tritt durch die Nutzung des Internet für neue Geschäftsmodelle – wie zum Beispiel bei Location Based Services – immer öfter auf. Die Betroffenen werden in diesem Fall zwar vom Bundesdatenschutzgesetz geschützt, aber bei weitem nicht so, wie es der Zielsetzung des Telemediengesetzes entspricht, nämlich durch einen Schutz vor den besonderen Risiken des Internet. Statt nach § 15 Abs. 1 TMG sind diese Fälle nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG zu beurteilen. Durch die Möglichkeit der Interessenabwägung wird dadurch der Betroffene erheblich schlechter gestellt.19 Das siebte Beispiel betrifft ebenfalls die regulative Vorsorge gegen Risiken, die durch innovative Nutzungskonzepte in Frage gestellt wird. § 15 Abs. 3 TMG regelt vom Wortlaut her „technikneutral“ Profile aus Nutzungsdaten so, dass diese nur für bestimmte abstrakte Zwecke anonym oder mit Einwilligung des Nutzers genutzt werden dürfen. Hier stellt sich das Problem, dass die Vorschrift Profile nur als etwas Abzuwehrendes, nicht aber als etwas Gewünschtes ansieht. Wenn aber der Nutzer individualisierte Dienste will – etwa für Location Based Services, für Context Awareness oder für Ubiquitous Computing, muss der Diensteanbieter Profile auch zu anderen als den in § 15 Abs. 3 TMG genannten Zwecken erstellen dürfen.20 Der dadurch verursachte Anpassungsbedarf vermag auch die „technikneutrale“ Fassung der Vorschrift nicht zu vermeiden. Die Erkenntnisse aus diesen Beispielen lassen sich so zusammenfassen: Technikregulierung kann zwar übertriebene Detaillierung vermeiden und sich auf Ziele und Funktionen konzentrieren. Sie kann aber nicht von der jeweils zeitgenössigen Anschauung und Vorstellung von Technik und die mit ihnen erwarteten Folgen und Risiken abstrahieren. Für die Innovationsoffenheit ist nicht nur eine „technikneu17 s. näher Alexander Roßnagel, Das Telemediengesetz – Neuordnung für Informationsund Kommunikationsdienste, NVwZ 2007, S. 743. 18 Die Regelungen wurden 2007 sachlich unverändert ins Telemediengesetz übernommen. 19 s. näher Silke Jandt, Das neue TMG – Nachbesserungsbedarf für den Datenschutz im Mehrpersonenverhältnis, MMR 2006, S. 652 ff. 20 s. hierzu näher Alexander Roßnagel / Silke Jandt / Jürgen Müller / Andreas Gutscher / Jessica Heesen, Datenschutzfragen mobiler kontextbezogener Systeme, 2006.

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trale“ Formulierung des Wortlauts einer Vorschrift sowie die passende rechtliche Konstruktion der Norm (s. II.3.) erforderlich, sondern auch der gedankliche Einbezug von Geschäftsprozessen und Nutzungsmöglichkeiten, die mit Technik verbunden sind. Oft bewirken nicht neue Techniken, sondern neue Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen die Innovation. Das wirklich Neue ist immer außerhalb der Regelung. Wichtiger als „Technikneutralität“ ist für die Offenheit gegenüber erwünschten Innovationen vielmehr die Antizipation des Regelungsbedarfs21 – sofern die Regelung nicht ein „Freifahrtschein“ für jegliche Technikinnovation sein soll. III. Normative Grenzen? Soweit nach den bisherigen Überlegungen „technikneutrale“ Regulierung – im Rahmen unserer Phantasie – überhaupt möglich wäre, stellt sich die Frage, ob es denn zulässig wäre – zur Förderung von Innovationen – „technikneutrale“ Regelungen zu treffen. Für solche Regelungen könnten sich bestimmte Grenzen ergeben, die anderen Regelungszielen als der Innovationsförderung geschuldet sind: Konkurrenzen, die zu Abwägungen und in deren Folge zum Abweichen von dem (unterstellten) Ziel der „Technikneutralität“ führen müssen. Im Folgenden sollen drei Beispiele für solche Grenzen genannt werden: 1. Entscheidungsverantwortung Je abstrakter die Norm ist, umso mehr kann die technische Entwicklung zum „Ersatzgesetzgeber“ werden. Die Konkretisierung der Norm integriert Aspekte der Wirklichkeit in ihr Normprogramm. Wenn Technik die Verwirklichungsbedingungen des Regelungsziels verändert, wird die Normkonkretisierung diese veränderten Verhältnisse, Risiken und Möglichkeiten aufnehmen. Obwohl der Text gleich bleibt, ändert sich sein Inhalt – nicht durch demokratisch legitimierte Entscheidung, die rechtlichen Zielen des Schutzes oder Ausgleichs verpflichtet ist, sondern durch inkrementelle Veränderung der sozialen Welt durch technische Innovation.22 Ein Beispiel hierfür bietet das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis: Indem der Anwendungsbereich der Telekommunikation zunimmt, wachsen immer mehr Lebenssachverhalte nach Zahl und Umfang in den Regelungsbereich hinein. Dies gilt für den Bereich der Gewährleistung des Grundrechts ebenso wie für die Eingriffsschranken. Zuerst galten das Fernmeldegeheimnis und auch die Abhörbefugnisse nur für den schmalen Lebensausschnitt der leitungsgebundenen Telefonie. Mit Fax und EDI wurden auch wichtige Teile der Wirt21 s. hierzu z. B. Wolfgang Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, DV 2005, S. 145 ff. 22 s. hierzu ausführlich Alexander Roßnagel, Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung, Umrisse einer neuen Forschungsdisziplin, 1993, S. 20 ff.

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schaftskommunikation erfasst. Mit dem Internet erweiterte sich der betroffene Lebenssachverhalt auf alle Handlungen in der virtuellen Welt. Mobilkommunikation erweiterte den erfassten Lebensraum um die Nutzung der Telekommunikation an jedem Ort und zu jeder Zeit. Location Based Services und Kontext Awareness beziehen den Aufenthaltsort und die näheren Umstände der jeweiligen Situation mit in die Telekommunikation ein und Ubiquitous Computing erweitert sie tendenziell auf alle uns umgebenden Gegenstände.23 Die Forderung nach Technikneutralität ist identisch mit der Forderung eines Verzichts auf eine (Neu-)Bewertung der Innovation. Diese soll sich unter allgemeinen technikneutralen Normen ohne spezifische Neuregelung vollziehen können. Diese Forderung berührt daher die Entscheidungsbefugnis und -verantwortung des Normgebers und ebenso die demokratische Legitimation der Norm. Nehmen wir als Beispiel die technische Überwachung durch die Polizei: Eine technikneutrale Formulierung der Fahndungsmittel (z. B. „technische Fahndungsmittel“) in den Erlaubnistatbeständen würde dazu führen, dass die Polizei selbst entscheiden kann, ob sie neue Möglichkeiten der technischen Überwachung einsetzen darf, ohne dass der Gesetzgeber hierzu die damit verbundene Grenzverschiebung zwischen Sicherheit und Freiheit zu bewerten hat.24 „Technikneutralität“ heißt hier Übergabe von Entscheidungsmacht, technikgebundene Regulierung dagegen Freiheitsschutz und Kontrolle durch den Gesetzgeber.25 In die Entscheidungsverantwortung des Gesetzgebers fällt die Bewertung von Innovationen nach gesellschaftlich erwünschten und nicht erwünschten. Zu wesentlichen Innovationen muss er die von ihnen ausgehenden Risiken erfassen, bewerten und durch geeignete Regelungen bewältigen.26 „Technikneutrale“ Regelungen führen zwar nicht dazu, dass der Gesetzgeber diese Verantwortung aufgibt. In bestimmten Konstellationen können sie jedoch bewirken, dass ihm bei beschränkter Aufmerksamkeitskapazität die notwendigen Anlässe fehlen, sich ihr rechtzeitig zu stellen. Nicht immer stellt sich die Frage allerdings in dieser Zuspitzung. Hinsichtlich der Freiheitsrelevanz oder sonstigen Wesentlichkeit einer allgemeinen Entscheidung gibt es graduelle Abstufungen und entsprechend dieser Abstufungen wächst der Ermessensspielraum des Gesetzgebers, sich durch weniger detaillierte Rege23 s. zur Ausweitung des Anwendungsbereichs auch für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung z. B. Roßnagel (Fn. 12), S. 105 ff. 24 s. hierzu auch Alexander Roßnagel, Sicherheit für Freiheit? Grundlagen und Fragen, in: Roßnagel (Hrsg.), Sicherheit für Freiheit?, 2003, S. 25 ff. 25 s. z. B. Alexander Roßnagel, Kennzeichenscanning – Verfassungsrechtliche Bewertung der verdachtslosen automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen, 2008, S. 36 ff., 62 ff. 26 s. hierzu Martin Eifert / Wolfgang Hoffmann-Riem, Vorwort, in: dies (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 5; Hoffmann-Riem (Fn. 21), S. 153; Alexander Roßnagel, Innovation als Gegenstand der Rechtswissenschaft, in: Hof / Wengenroth (Hrsg.), Innovationsforschung – Ansätze, Methoden, Grenzen und Perspektiven, 2007, S. 13.

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lungen zu entlasten und dem zu regelnden Lebensbereich mehr Freiräume für Selbstbestimmung und Selbstregulierung zu geben. Dadurch kann der Normsetzer auch Überforderungen vermeiden.27 2. Bestimmtheit Eine ausreichende Bestimmtheit der Regelung dient dem Schutz der Freiheit.28 Sie wird sowohl von der Abwehr- als auch von der Schutzfunktion der Grundrechte gefordert.29 Das Bestimmtheitsgebots verfolgt drei Ziele und hat drei unterschiedliche Akteure im Blick, für die die Bestimmtheit der Vorschriften Wirkungen erzielen soll.30 In erster Linie bietet das Bestimmtheitsgebot Rechtssicherheit für den Betroffenen. „Anhand der gesetzlichen Regelung muss der Betroffene die Rechtslage so erkennen können, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag“.31 So muss er etwa erkennen können, „bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist.“32 In zweiter Linie trägt es zur Steuerung und Begrenzung der Handlungsmacht der Verwaltung oder Dritter bei. „Dies setzt voraus, dass hinreichend klare Maßstäbe bereitgestellt werden. Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit des Bürgers darf nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt sein.“33 Drittens dient das Bestimmtheitsgebot „dazu, die Gerichte in die Lage zu versetzen, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren“.34 Diese Funktionen der Regelung können bei „technikneutraler“ Regelung verloren gehen, weil dann der Adressat seine eigenen Grenzen faktisch bestimmen kann und Bürger und Gerichte nicht voraussehen und nachprüfen können, was zulässig ist und was nicht. Zu beachten ist allerdings auch, dass eine zu detaillierte Bestimmtheit zu unpassenden Grenzziehungen führen kann, die für den Freiheitsschutz keinen Gewinn bedeuten. Wenn sie den tatsächlichen Entwicklungen nicht mehr entsprechen, geht die technische Entwicklung einfach über sie hinweg. Sie regeln dann nur noch vergangene Konstellationen. Dies ist etwa absehbar für viele Datenschutzanforderungen im Hinblick auf die Entwicklungen des Ubiquitous Computing.35 27 s. für das Parlament z. B. Alexander Roßnagel, Die parlamentarische Verantwortung für den technischen Fortschritt, ZRP 1992, S. 55 ff. 28 BVerfGE 65, 1 (44). 29 BVerfGE 100, 313 (359 f., 372); 110, 33 (53); 113, 348 (375). 30 BVerfGE 110, 33 (53); 113, 348 (375). 31 BVerfGE 83, 130 (145); 86, 288 (311); 108, 52 (75). 32 BVerfGE 113, 348 (376). 33 s. BVerfGE 78, 214 (226); 110, 33 (54). 34 BVerfGE 110, 33 (54 f.); 113, 348 (376). 35 s. näher Roßnagel (Fn. 12).

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3. Effektivität Die jeweilige Regelung soll durch ihre „technikneutrale“ Fassung nicht ihre Effektivität verlieren. Das Maß der Abstraktion kann aber immer auch das Maß an Regelungsverzicht andeuten. Eine „technikneutrale“ Regelung überlässt dem Regelungsadressaten immer einen mehr oder wenig großen Spielraum zur Konkretisierung der Vorgaben. Dieser Spielraum kann gewünscht sein und bei entsprechender sonstiger Anreizsetzung zu mehr Effektivität führen, weil die Adressaten besser wissen, wie das Ziel erreicht werden kann. Er kann aber auch dazu führen, dass ein Regelungsziel nicht erreicht wird, weil der Adressat eine Lösung sucht, die andere Interessen mehr fördern (z. B. Umsatz statt Jugend- oder Datenschutz). Ob bei einem gegebenen Schutzauftrag eine „technikneutrale“ Regelung gewählt werden darf, kann daher auch davon abhängen, welche Handlungsanreize ansonsten gesetzt sind, um das Regelungsziel zu erreichen, und wie effektiv sie sind.36 Eine „technikneutrale“ Regelung darf jedenfalls kein Selbstzweck sein. In einer technikgeprägten Welt ist Recht darauf angewiesen, seine Ziele auch durch Technikgestaltung zu erreichen: Eine Allianz von Recht und Technik erfordert nicht notwendig Beschaffenheitsanforderungen, muss aber an technischen Möglichkeiten orientiert sein und darf hinsichtlich der Technik nicht zu rechtlichen Unsicherheiten des Geforderten und Erwünschtem führen.37 Sie ist insofern zumindest an Technikkonzepten orientiert. IV. Unterstützung innovationsförderlicher Funktionen Soweit „technikneutrale“ Regulierung möglich und zulässig ist, stellt sich die eigentlich entscheidende Frage, ob sie denn ihr Ziel erreichen kann, innovationsförderliche Funktionen des Gesellschafts-, Wirtschafts- und vor allem des Rechtssystems zu unterstützen. Der Forderung nach „technikneutraler“ Regulierung liegt die Vorstellung zugrunde, dass durch sie die Freisetzung von Entwicklungsideen am besten gefördert werde: Der mit „technikneutralen“ Regelungen verbundene Verzicht auf die Konkretisierung von Anforderungen an Technik erleichtere Innovationen. Zu beachten ist jedoch, dass nicht nur Freiheit von Vorgaben Innovationen befördern. Vielmehr gibt es vielfältige andere Funktionen des Rechts, die für Innovationen förderlich sind,38 und keine „technikneutralen“ Regelungen benötigen – 36 Wolfgang Hoffmann-Riem, Recht als Instrument der Innovationsoffenheit und der Innovationsverantwortung, in: Hof / Wengenroth (Fn. 26), S. 395 (398 f.). 37 s. Alexander Roßnagel (Hrsg.), Allianz von Medienrecht und Informationstechnik? Ordnung in digitalen Medien durch Gestaltung der Technik am Beispiel von Urheberschutz, Datenschutz, Jugendschutz und Vielfaltschutz, 2001. 38 s. z. B. Hoffmann-Riem (Fn. 36), S. 387 ff.

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im Gegenteil. Hierzu sollen beispielhaft fünf innovationsförderliche Funktionen von Recht39 dargestellt werden, für die „Technikneutralität“ kontraproduktiv ist. Soweit Technik auf Infrastrukturen angewiesen ist, besteht das Problem, für die Netzgüter durch ausreichende Nachfrage die kritische Masse zu gewinnen. Durch spezifische rechtliche Regelungen (wie etwa zur Gesundheitskarte) kann eine Nachfrage geschaffen werden, die einer Infrastruktur-Innovation zum Durchbruch verhilft.40 Auf dieser können dann viele marktgesteuerte Dienste und Güter aufsetzen. Soweit eine Technik auf Interoperabilität angewiesen ist, sind zur Innovationsförderung sehr spezifische Regelungen notwendig, die Dienstleistungen, Schnittstellen, Formate und Funktionen beschreiben. Die Sicherung von Interoperabilität ist nur bezogen auf eine konkrete Technik möglich. Dies ist nicht immer Aufgabe des Gesetzgebers, sondern erfolgt meist durch sehr detaillierte technische Normung. Aber vielfach ist eine Kooperation zwischen technischer und rechtlicher Normung erforderlich, die rechtliche Regelungen im jeweils spezifischen Detaillierungsgrad erfordert.41 Soweit Innovation auf Vertrauen angewiesen ist, müssen Mechanismen vorhanden sein, die Risikobeherrschung und Missbrauchsbekämpfung gewährleisten.42 Hierzu muss Recht seinen Beitrag leisten, indem es Anforderungen und Verfahren regelt, die auch wirksam sind. Dies ist durch eine „technikneutrale“ Regulierung kaum möglich, weil sie hierfür zu unbestimmt ist. Ein ausreichendes und bei allen Regelungsadressaten gleiches Sicherheitsniveau zu garantieren, ist nicht möglich, wenn ihnen die Konkretisierung der Anforderungen überlassen wird.43 Soweit Innovation auf Rechtssicherheit angewiesen sind, dürften die Investoren mit „technikneutralen“ Regelungen selten zufrieden sein.44 Innovationssicherheit besteht nur dann, wenn Recht bestimmte Innovationsleistungen absichert – und dies möglichst so präzis, dass es darüber keinen Streit mehr geben kann. Diese Innovationssicherheit können „technikneutrale“ Regelungen nicht bieten, die gerade nicht streitvermeidend festlegen, welche technische Innovation einen bestimmten Schutz genießen soll. 39 s. zu diesen auch Alexander Roßnagel, Das Neue regeln, bevor es Wirklichkeit geworden ist – Rechtliche Regelungen als Voraussetzung technischer Innovation, in: Sauer / Lang (Hrsg.), Paradoxien der Innovation, Perspektiven sozialwissenschaftlicher Innovationsforschung, 1999, S. 193 ff. 40 s. z. B. Alexander Roßnagel, Eine konzertierte Aktion für die elektronische Signatur, MMR 2003, S. 1 f. 41 s. z. B. Hariolf Grupp, Untersuchungen zu den Wechselbeziehungen von Regelwerken und Innovationen, in: Hof / Wengenroth (Fn. 26), S. 379 ff. 42 s. hierzu auch Hoffmann-Riem (Fn. 21), S. 145 ff. 43 s. ausführlich Michael S. Baum, Technology Neutrality and Secure Electronic Commerce: Rulemaking in the Age of „Equivalence“, 1999, http: // www.verisign.com / repository / pubs / techneutralityv1_1.pdf (zuletzt abgerufen am 24. 02. 2008); Jürgen Schwemmer, Frontbericht 1.0: Der steinige Weg zur digitalen Unterschrift, DuD 2000, S. 70 f. 44 s. Roßnagel (Fn. 26), S. 13.

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Soweit Innovation auf eine Einpassung in den sozialen Kontext angewiesen ist, muss diese konkret erfolgen. Soweit es um einen rechtlich geprägten Kontext geht, sind bei anwendungsnahen Techniken konkrete Veränderungen des Rechtskontextes und präzise Vorgaben an die Technik zur Passgenauigkeit für diesen Kontext erforderlich – nur dann kann sie Akzeptanz erlangen und die gewünschten Funktionen erfüllen. Rechtsunsicherheit der Konkretisierung und der Einpassung kann anwendungsnahe Innovationen für lange Zeit behindern. In allen Innovationskontexten, in denen nicht die bloße Freiheit des Innovators zum Gelingen der Innovation ausreicht, sondern vom Recht weitere Leistungen erwartet werden, müssen diese Funktionen des Rechts situationsadäquat und passgenau erbracht werden. Hierfür sind abstrakte „technikneutrale“ Regelungen kontraproduktiv. V. Ergebnis Eine Pfandabhängigkeit von Technik kann durch ausdifferenzierte Regelungen gefördert werden. Technikspezifische Regelungen können Innovationen behindern. Insofern ist die schlichte Forderung nach mehr „Technikneutralität“ in der moderaten Form (zu spezielle Regelungen vermeiden) eine sinnvolle Handwerksregel für Gesetzgeber. Die weitergehende Forderung nach durchgängig „technikneutralen“ Regelungen, um Innovationen zu fördern und auch „disruptive technologies“ zum Durchbruch zu bringen, erweist sich jedoch als zu naiv, um der Komplexität im Verhältnis von Recht und technischer Innovation gerecht zu werden. Sie übersieht zum einen die Abhängigkeit der fördernden oder hemmenden Wirkungen von Recht von der inneren Konstruktion der Rechtsregeln. „Technikneutralität“ kann dazu führen, dass das Gegenteil des Gewünschten erreicht wird. Zweitens verkennt sie die faktische Umsetzbarkeit des Konzepts der „Technikneutralität“. Sie muss scheitern, soweit die künftigen Technologien noch nicht bekannt sind. Da die Regelungen ja einen Regelungsgegenstand und ein Regelungsziel haben müssen, sind auch vermeintlich „technikneutrale“ Regelungen bekannten Technikkonzepten verhaftet und somit nicht neutral. Drittens übersieht diese Forderung, dass Recht auch anderen Zielen verpflichtet ist als der bloßen Freisetzung von Innovationen. Eine genaue Betrachtung der Kriterien der Entscheidungsverantwortung, des Bestimmtheitsgebots und der Effektivität von Regelungen zeigt, dass technikspezifische und technikneutrale Regelungen hinsichtlich dieser Ziele und auch hinsichtlich der Innovationsförderung ambivalent sind. Schließlich zeigt sich, dass technikneutrale Regelungen viele Ziele der Innovationsförderung nicht erreichen können, weil sie spezifische Innovationsprobleme nicht spezifisch adressieren können.

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Zusammenfassend kann daher festgehalten werden: Die Forderung nach durchgängiger „Technikneutralität“ unterstützt als solche meist nicht Innovationen. Sie verweist nicht auf ein konsistentes Konzept der Innovationsförderung. „Technikneutrale“ Regulierung ist eher ein unreflektiertes Schlagwort45 in der rechtspolitischen Diskussion als ein tragfähiger rechtswissenschaftlicher Begriff im Rahmen der Innovationsforschung oder Innovationsförderung. Jedenfalls stellt ein ausdifferenziertes Recht nicht per se einen Faktor der Pfadabhängigkeit dar – ebenso wenig wie „technikneutrale“ Regulierung ein Garant für gelingende Innovationen ist.

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So auch Baum (Fn. 43), p. 4.

Die Autoren und Herausgeber Dierk Bauknecht, *1971, Dipl.-Pol., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Öko-Instituts e.V., Doktorand der Sussex Energy Group, SPRU, University of Sussex, UK. Forschungsschwerpunkte: Transformation der Stromversorgung, dezentrale Stromerzeugung und Demand-Side Management, Regulierung von Strommärkten, Strommarkt- und Investitionsmodelle. Prof. Dr. Kilian Bizer, *1966, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftspolitik und Mittelstandsforschung und Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen, Mitglied der Sonderforschungsgruppe Institutionenanalyse – sofia. Forschungsschwerpunkte: Institutionenökonomik, Umwelt- und Regenioalökonomik, Behavioral Governance. Prof. Dr. Alfons Bora, *1957, Dr. phil., Ass. iur., Inhaber des Lehrstuhls für Technikfolgenabschätzung am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) und an der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld, Mitglied des deutschen Ethikrates. Forschungsschwerpunkte: Soziologie der Wissenschafts- und Technikregulierung, demokratische Technikgestaltung, Rechtssoziologie. Prof. Dr. Gert Brunekreeft, *1966, Professor für Energiewirtschaft an der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Jacobs University Bremen, Direktor des Bremer Energie Instituts. Forschungsschwerpunkte: Regulierung, Investitionen und vertikale Entflechtung. Prof. Dr. Christian Calliess, *1964, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Europarecht, Verfassungsrecht, Grund- und Menschenrechtsschutz, Umweltrecht. Prof. Dr. Martin Eifert, *1965, LL.M., Professor für Öffentliches Recht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Forschungsschwerpunkte: Verfassungs- und Verwaltungsrecht, insbesondere Rechtsfragen der Regulierung, Medien- und Umweltrecht, Recht und Innovation. Prof. Dr. Michael Fehling, *1963, LL.M. (Berkeley), Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht III (Öffentliches Recht mit Rechtsvergleichung) an der Bucerius Law School. Forschungsschwerpunkte: Öffentliches Wirtschaftsrecht (einschl. Vergaberecht), Hochschulrecht, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rechtsvergleichung, Ökonomische Analyse im Öffentlichen Recht. Prof. Dr. Martin Führ, *1958, Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtsvergleichung an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit; Sonderforschungsgruppe Institutionenanalyse – sofia. Forschungsschwerpunkte: Verfassungs-, Umwelt und Technikrecht, einschließlich des europäischen und internationalen Wirtschaftsverwaltungsrechts; ökonomische Analyse des Rechts.

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Die Autoren und Herausgeber

Prof. Dr. Erik Gawel, * 1963, Dipl.-Volksw., Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Institutionenökonomische Umweltforschung an der Universität Leipzig, Institut für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement; stellvertretender Leiter des Departements Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig; Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. Forschungsschwerpunkte: Finanzwissenschaft, Umweltökonomik, Institutionenökonomik, insbesondere Ökonomische Analyse des Rechts. Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, *1958, Lehrstuhl Unternehmens- und Technologieplanung, Schwerpunkt Telekommunikationswirtschaft, Mercator School of Management Duisburg, Universität Duisburg-Essen. Gründungsgesellschafter Dialog Consult GmbH. Aufsichtsrats- / Beiratsmandate in vier Unternehmen / Institutionen. Forschungsschwerpunkte: Wettbewerbsstrategien in Netzindustrien; Preismanagement von Unternehmen in Telekommunikations- und Medienindustrien. Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, *1940, LL.M. (Berkeley), Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., em. Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Universität Hamburg, Gründer und Mitleiter der Forschungsstelle „Recht und Innovation“ an der Universität Hamburg. Forschungsgebiete: Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, Verwaltungswissenschaften, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Rechtssoziologie. Prof. Dr. Martin Jänicke, *1937, Leiter der Forschungsstelle für Umweltrecht der FU Berlin 1986 – 2007, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, des Internationalen Beirats des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und des Kuratoriums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Forschungsschwerpunkte: Vergleichende Politikwissenschaft, Umweltpolitikanalyse. Prof. Dr. Wolfgang Köck, *1958, Leiter des Department Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig; geschäftsführender Direktor des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Juristenfakultät der Universität Leipzig. Forschungsschwerpunkte: Umwelt- und Planungsrecht Prof. Dr. Jürgen Kühling, *1971, LL.M., Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Immobilienrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte: Recht der Informationsgesellschaft; Recht der Netzwirtschaften; Wettbewerbs- und Vergaberecht; EG-Beihilfenrecht; EG-Grundrechte; zahlreiche interdisziplinäre Studien und Forschungsprojekte v.a. mit Ökonomen aber auch mit Informatikern. Stefan Lindemann, *1978 in Bochum, Dipl.-Pol., als wiss. Mitarbeiter von Prof. Martin Jänikke beim Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) beschäftigt. Seit Oktober 2005 Promotion am Development Studies Institute (DESTIN) der London School of Economics and Political Science (LSE). Forschungsschwerpunkte: Vergleichende Umweltpolitikanalyse sowie Fragen der Friedens- und Konfliktforschung. Dr. Stefan Möckel, *1975, wissenschaftlicher Mitarbeiter am UFZ, Department Umweltund Planungsrecht. Forschungsschwerpunkte: Umweltrecht mit Schwerpunkt Naturschutzrecht. Prof. Dr. Michael Rodi, *1958, M.A., Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzund Steuerrecht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald. Forschungsschwerpunkte: Klimaschutzpolitik und -recht, Finanzverfassungsrecht, Ökonomische Analyse des Rechts.

Die Autoren und Herausgeber

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Prof. Dr. Alexander Roßnagel, *1950, Vizepräsident der Universität Kassel, Professor für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Recht der Technik und des Umweltschutzes im Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel; Leiter der Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet), Direktor des Forschungszentrums für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) und des Centers for Environmental Systems Research (CESR) der Universität Kassel sowie wiss. Direktor des Instituts für europäisches Medienrecht, Saarbrücken. Forschungsschwerpunkte: Umweltrecht, Datenschutzrecht, Recht der Informationstechnik, rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung. Prof. Dr. Jens-Peter Schneider, *1963, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht unter Einschluss des Energie- und Kommunikationsrechts und Direktor im Institut für Europäische Rechtswissenschaft (Abteilung für Europäisches Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung) an der Universität Osnabrück. Forschungsschwerpunkte: Deutsches Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Europäisches Verwaltungsrecht, Rechtsvergleichung, Regulierungsrecht und Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung. Prof. Dr. Gerhard Wegner, *1956, Inhaber des Lehrstuhls für Institutionenökonomie und Wirtschaftspolitik an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Forschungsschwerpunkte: Ordnungstheorie und -politik, Umweltökonomik, Theorie der Wirtschaftspolitik, Evolutorische Markttheorie, Theorie des ökonomischen Liberalismus, Neue Institutionenökonomik.