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German Pages 274 [273] Year 2015
Innovation und Paradigma
Alexander Peine (MScjTU Delft, Dr. phil.) forscht und lehrt am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Innovationssoziologie und -ökonomie, Technik und Alter sowie die Gründungsforschung.
ALEXANDER PEINE
Innovation und Paradigma Epistemische Stile in Innovationsprozessen
[transcript]
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Inhalt
Vorwort 1. Einleitung: Vernetzte Haushaltstechnologien und technologische Paradigmen Problemaufriss: Epistemische Diversität in Innovationsprozessen Aufbau der Arbeit
2. Innovation als pfadabhängiger Prozess der Wissensproduktion in heterogenen Netzwerken Technologischer Wandel unter einem Regime verteilter Wissensproduktion Technologischer Wandel als pfadabhängiger Prozess Lock-ins und inferiore Lösungen Wissensbasen und Innovationssysteme Technology Cycles und dominante Designs Technologischer Wandel als sozial gestalteter Prozess Zwischenbilanz 3. Die "Priorität der Paradigmata" im Mainstream der Innovationsforschung Wissenschaftliche Paradigmen und Denkstile als kollektive Strukturen der Wissensproduktion-DieBeiträge von Thomas Kuhn und Ludwik Fleck Wissenschaftliche Gemeinschaften und Paradigmen Denldmllektive und Denkstile Kollektive Strukturen der Wissensproduktion als Basis stilgemäßer Betrachtungen
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Der Einfluss Kuhns in der Innovationsforschung 67 Technologie als spezifische Wissensform und die Rolle der Artefakte 68 Technologische Regime in den Entwicklergemeinschaften von Industriebranchen 77 Technologische Paradigmen in den Entwicklergemeinschaften von Industriebranchen 80 Dominante Designs als Grundlage inkrementeilen Fortschritts 84 "Technological Frames" in relevanten sozialen Gruppen 87 Die institutionelle Einbettung technologischer Paradigmen in 93 Regimes Die "Priorität der Paradigmata" : Soziale Schließung als Entstehung eines Paradigmas 97 Der Einfluss des Technischen im Rahmen eines weichen Determinismus 98 Präzisierung des Paradigmabegriffs 104 Paradigmagebundener technologischer Fortschritt 111 Soziale Schließung und die Koordination durch technologische Paradigmen 118 4. Technologische Konfigurationen: Von der "Priorität der Paradigmata" zur Koordination epistemischer Diversität Technologische Konfigurationen als spezielle Form systemischer Technologien Allgemeine Systeme und technologische Konfigurationen Technologische Konfigurationen und die Diversität der Paradigmen Konfigurationen und Fortschritt in technologischen Feldern Soziale Schließung als Entstehung eines Denkkollektivs Epistemische Stile in Innovationsprozessen Denkkollektive als lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften Epistemische Diversität als Koordinationsproblem 5. Vernetzte Haushaltstechnologien: Empirische Beispiele technologischer Konfigurationen im privaten Haushalt Vernetztes Wohnen und ubiquitous computing Die Verschmelzung von Technik und Alltag Die Ursprünge: Gebäudeautomation für den Wohnbereich Exkurs: Technische Details des "Smart Horne" Die Standardisierungsdebatten der l990er Jahre Der aktuelle Trend zu "kleinen Lösungen"
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Die epistemische Diversität vemetzter Haushaltstechnologien 197 Diskussion empirischer Studien zum Smart Horne 197 Die Gestaltung vemetzter Haushaltstechnologien als ungelöstes Koordinationsproblem 205 6. Gesellschaftliche Veränderungen als ProblemlandschaftenDas Beispiel der demographischen Alterung "Gerontechnologie" Neue Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen Lebensstile als Aggregate lokaler Alltagspraktiken Demographische Alterung und epistemische Diversität: Die Koordination durch Problemlandschaften 7. Zusammenfassung: Epistemische Diversität als Potenzial in Innovationsprozessen Epistemische Diversität als Chance ftir nutzergerechte Produkte und Dienstleistungen Ausblick: Die Bedeutung gesellschaftlicher Veränderungen in Innovationsprozessen
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Literatur
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Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
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Vorwort
Technologischer und demographischer Wandel sind zwei wesentliche Entwicklungen der heutigen Zeit. Ihr Zusammenhang ist das Thema der vorliegenden Arbeit. Den Anstoß zu diesem Vorhaben gab meine Tätigkeit als Mitarbeiter der DFG-Forschergruppe "sentha - Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag", die den Haushalt als komplexe Umwelt von Produkten und Dienstleistungen in den Blick genommen hat. Dabei stellt die vielfach geforderte Vernetzung unterschiedlicher Haushaltstechnologien ("Smart Hornes") aus Sicht der Innovationsforschung einen ausgesprochen spannenden Forschungsgegenstand dar. Der empirische Teil dieser Arbeit (Kapitel 5 & 6) untersucht, welchen Einfluss der demographische Wandel auf Innovationsprozesse im Bereich vemetzter Haushaltstechnologien hat. Um diese Frage zu beantworten, greift die Arbeit ein zentrales Theoriestück der interdisziplinären Innovationsforschung heraus: das technologische Paradigma. Im theoretischen Teil (Kapitel 2-4) werden die unterschiedlichen Perspektiven auf Innovation unter diesem Stichwort diskutiert und vergleichend zusammengefasst. So konnte einer weiteren Motivation der Arbeit Genüge getan werden: Die Konzentration auf einen theoretischen Baustein hat es ermöglicht, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die über disziplinäre Grenzen hinweg das Verständnis von Innovation prägen. Mein besonderer Dank gilt Werner Rammert für seine kontinuierliche fachliche und menschliche Unterstützung. Auch Hans Georg Gemünden, der mir mit Anregungen und Vertrauen zur Seite stand, gilt mein herzlicher Dank. Ohne die Bereitschaft meiner Doktorväter, sich auf ein Vorhaben an der Schnittstelle von Soziologie, Ökonomie und Technologie einzulassen, wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen.
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Die Arbeit ist am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin entstanden. Für die notwendigen wissenschaftlichen Freiräume möchte ich Hans-Liudger Diene! danken. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen haben darüber hinaus für eine ausgesprochen produktive Arbeitsatmosphäre am Zentrum gesorgt. Ihnen sei ebenfalls gedankt. Die theoretischen Überlegungen dieser Arbeit haben wesentlich von meiner Beteiligung an der Organisation der internationalen Konferenz "INNOVERSITY - Innovation and Diversity in a Knowledge Society" (gefördert durch die VW-Stiftung) profitiert. Für zahlreiche Fachgespräche, die sich aus diesem Kontext ergeben haben, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Dieser richtet sich insbesondere an Barbara Adam, Teny Shinn und Robin Williams. Meinen besonderen Dank möchte ich Ingo Rollwagen aussprechen. Die intensive Zusammenarbeit und freundschaftlichen Diskussionen mit ihm waren eine ständige Quelle der Inspiration. Zu danken habe ich darüber hinaus meiner Familie, deren kontinuierlicher Rückhalt den "langen Atem" für dieses Projekt ermöglicht hat. Alexander Peine Berlin, im November 2005
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1. Ein Ieitung: Vernetzte Haushaltstechnologien und technologische Paradigmen
Diese Arbeit geht von zwei Beobachtungen aus. Eine davon ist empirischer Natur, die andere, theoretische, bezieht sich auf einen zentralen Theoriebaustein der Innovationsforschung, das technologische Paradigma. Die Ausgangslage dieser Arbeit ist die Feststellung einer Lücke zwischen der empirischen und theoretischen Beobachtung: Die Entwicklung vemetzter Haushaltstechnologien erfordert die branchenübergreifende Kooperation verschiedener Akteure. Die Koordination branchenübergreifender Kooperationen wiederum ist durch das Konzept technologischer Paradigmen nur unzureichend beschreibbar. Technologische Paradigmen haben jedoch im Hinblick auf die Koordination von Innovationsprozessen, so die theoretische Feststellung, einen zentralen Stellenwert in verschiedenen Ansätzen der Innovationsforschung. Die grundsätzliche Fragestellung dieser Arbeit leitet sich aus diesem Zusammenhang ab: Welche Koordinationsmechanismen erklären Innovationsprozesse in branchenübergreifenden Kooperationen? Oder: Wie erfolgt eine soziale Schließung ohne die Einigung auf ein gemeinsames technologisches Paradigma?
Problemaufriss: Epistemische Diversität in Innovationsprozessen Unter dem Begriff Vernetzte Haushaltstechnologien wird gegenwärtig die Integration bisher unabhängiger Geräte im privaten Haushalt diskutiert. Vignetten dieser Diskussion sind Stichwörter wie ubiquitous com11
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puting oder p ervasive computing. Die Themen der CeBit 2004 belegen diesen Trend eindrucksvoll. In der Integration bisher unabhängiger Formate und Medien der Unterhaltungsindustrie wird von den wesentlichen Akteuren ein entscheidendes Marktpotenzial der Zukunft gesehen. Dieser Trend zur Vernetzung ist allerdings nicht auf den Bereich der Unterhaltungselektronik beschränkt. Er bezieht sich auf Haushaltstechnologien im Allgemeinen, von deren Informatisierung wesentliche Impulse ausgehen werden. In der ,,Informatisierung des Alltags" (Mattem 2003b) wird eine "Revolution der Haushaltstechnologie" (Glatzer et al. 1998) gesehen, deren Schwerpunkt in der Entwicklung "smarter" Alltagsgegenstände liegt. Diese zeichnen sich durch Kontextsensitivität sowie die Kooperationsfähigkeit mit anderen Geräten aus. Ein wichtiges Marktpotenzial der Haushaltstechnologien wird somit in der Integration bisher unabhängiger Geräte und Gerätetypen gesehen. Die Realisierung dieses Potenzials - so zeigen die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit- hängt jedoch wesentlich davon ab, ob die Definition eines Zusatznutzens für die Vernetzung von Geräten gelingt. Im Mittelpunkt stehen damit Anwendungen, die sich aus der Verknüpfung neuer technologischer Möglichkeiten und den spezifischen Anforderungen privater Nutzer ergeben. Der Entwicklung vernetzter Haushaltstechnologien liegt damit ein Verständnis von Fortschritt zugrunde, das sich auf die V erknüpfung bisher unabhängiger Geräte einerseits und die Definition einer Anwendung dieser Verknüpfung andererseits bezieht. Vor diesem Hintergrund entstehen Innovationen, also technologische Neuerungen und deren Etablierung auf Märkten, in einem diffizilen Zusammenspiel von technologischen Entwicklungen und Nutzungspraktiken privater Haushalte. Die Definition sinnvoller Anwendungen wird zur Nagelprobe daflir, ob die "Revolution in der Haushaltstechnologie" tatsächlich zustande kommt. Für die Entwicklung von Haushaltstechnologien nimmt die Bedeutung branchenübergreifender Kooperation zu. Neben der vertikalen Differenzierung, also der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit in Wertschöpfungsketten, tritt eine horizontale Differenzierung. Diese stellt sich als Herausforderung dar, das "Denken und Handeln in strikt getrennten Gewerken" (Scherer et al. 2003) zu überwinden. Vom Umgang mit dieser Herausforderung handelt die vorliegende Arbeit. Die Koordination branchenübergreifender Kooperation hängt wesentlich von der Berücksichtigung bestimmter Lebensstile ab, vor deren Hintergrund die Definition eines Zusatznutzens vernetzter Haushaltstechnologien möglich wird. Das Wissen hinsichtlich solcher Lebensstile muss in die Gestaltung von Produkten und Dienstleistung einfließen. In diesem Sinne stellt
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es eine Chance zur Koordination branchenübergreifender Kooperation dar. Die Literatur zum technologischen Wandel sowohl sozial- als auch wirtschaftswissenschaftlicher Ausprägung ist insbesondere durch die Arbeit von Thomas Kuhn zum wissenschaftlichen Fortschritt beeinflusst. Die auf seiner Arbeit aufbauende Konzeption technologischer Paradigmen genießt in verschiedenen Facetten (z.B. Dosi 1982; Bijker 1987) bis heute Priorität, wenn es um die Erklärung inkrementellen, also kumulativen, technologischen Fortschritts spezifischer Technologien geht. Inkrementeller Fortschritt spezifischer Technologien, so der Kern der Argumentation, folge einer speziellen Dynamik, die sich in Anlehnung an das Kuhnsche Konzept wissenschaftlicher Paradigmen erklären lasse (vgl. Fleck 2002). In der vorliegenden Arbeit wird in diesem Zusammenhang und in Anlehnung an Kuhn von einer "Priorität der Paradigmata" gesprochen. Eine systematische Aufarbeitung der Resonanz, die die Arbeit Kuhns in der Innovationsforschung gefunden hat, ist bisher jedoch im Hinblick auf die ursprüngliche Konzeption wissenschaftlicher Paradigmen nicht erfolgt. Dies hat eine seltsame Zweischneidigkeit im Umgang mit dem Konzept des technologischen Paradigmas zur Folge. Zum einen wird es aufgrundeiner angeblichen Überbetonung des Technischen kritisiert und zurückgewiesen (z.B. Russell/Williams 2002). Zum anderen wird sie in einer sehr weitgehenden Art und Weise genutzt, die technologischen Wandel insgesamt in Analogie zum "Fortschritt durch Revolutionen" beschreibt (z.B. Fleischmann 1998). Die vorliegende Arbeit beginnt daher mit einer Präzisierung und analysiert die verschiedenen auf Kuhn beruhenden Konzepte der Innovationsforschung vor dem Hintergrund der Kuhnschen Originalarbeit Die besondere Stärke der Kuhosehen Konzeption, so wird gezeigt, ergibt sich tatsächlich aus der Beschreibung kumulativen Wandels spezifischer Technologien. Technologische Paradigmen koordinieren die Wissenserzeugung in Innovationsprozessen im Anschluss an eine soziale Schließung. Die Erklärungskraft des Konzepts technologischer Paradigmen entfaltet sich dabei, ganz in Analogie zu Kuhn, in der Betonung des Zusammenspiels kognitiver, sozialer und materieller Aspekte (Beispiele), das innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft eine kohärente Gerichtetheit des Denkens herstellt. Eine Analogie zum Kuhnschen Paradigmabegriff leistet damit nicht mehr, aber auch nicht weniger, als genau dies. Hierin liegt eine Beschränkung im Hinblick auf die Beschreibung branchenübergreifender Kooperationen. Technologische Paradigmen beziehen sich auf die Technologien und Entwicklergemeinschaften einzelner Branchen. Branchenübergreifende Kooperationen sind also mit 13
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einer Vielzahl, einer Diversität, von Paradigmen konfrontiert, die im Zuge erfolgreicher Innovationsprozesse koordiniert werden müssen. Die Herausforderung der Gerätevernetzung im privaten Haushalt stellt sich als Koordinationsproblem dar. Dieses ergibt sich aus den unterschiedlichen Stilen der Wissenserzeugung, den epistemischen Stilen, die in den jeweiligen Paradigmagemeinschaften geteilt werden. Auf der Ebene der Akteure manifestiert sich, so wird gezeigt, die Vielfalt der Paradigmen als epistemische Diversität, deren Koordination zur Voraussetzung erfolgreicher Innovationsprozesse wird. Dies beinhaltet eine lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften in einem technologischen Feld.
Aufbau der Arbeit Die Fragestellung dieser Arbeit bezieht sich auf die Koordination epistemischer Diversität in Innovationsprozessen. Es wird danach gefragt, wie sich verschiedene Paradigmagemeinschaften im Zuge branchenübergreifender Kooperationen koordinieren. Das Ziel dieser Arbeit ist es, zunächst zu zeigen, dass aus den verschiedenen Facetten einer Kuhnschen Paradigmakonzeption vor allem eines folgt: Branchenübergreifende Kooperationen lassen sich als heterogene Prozesse der Wissenserzeugung darstellen, in denen die verschiedenen epistemischen Stile der einzelnen Paradigmagemeinschaften den Kern eines Koordinationsproblems ausmachen. Dieses Koordinationsproblem wird zunächst dargestellt, und es wird gezeigt, dass es über eine Analogie zum Kuhnschen Paradigmabegriff nur unzureichend auflösbar ist. Für Kuhn ließen sich nämlich verschiedene Paradigmagemeinschaft nur durch die Entstehung eines neuen, übergreifenden Paradigmas koordinieren, welches die vorherigen Paradigmen ablöst. Zur Beschreibung branchenübergreifender Kooperation - so die zentrale These dieser Arbeit - ist der Einfluss Kuhns in der Innovationsforschung um die Konzeption der Denkkollektive von Ludwik Fleck zu ergänzen. Im Falle branchenübergreifender Kooperationen erfolgt die soziale Schließung durch die Entstehung eines Denkkollektivs. In einem Denkkollektiv kann, so wird anhand der Originalarbeit von Ludwik Fleck demonstriert, die lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften realisiert werden. Das Koordinationsproblem kann also als Herausforderung einer Denkkollektiventstehung formuliert werden, die es ermöglicht epistemische Diversität zu erhalten und trotzdem die verschiedenen epistemischen Stile sinnvoll aufeinander zu beziehen. Die Arbeit schließt mit einem Vorschlag: Für den Fall vernetzter Haushaltstechnologien spielt die gemeinsame Wahrnehmung ge-
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sellschaftlicher Veränderungen durch unterschiedliche Akteure eine wichtige Rolle ftir die Koordination branchenübergreifender Kooperationen. Dieser Vorschlag wird anhand einer im Feld der vernetzten Haushaltstechnologien besonders präsenten gesellschaftlichen Veränderung illustriert, der demographischen Alterung. Kapitel 2 beginnt mit der Darstellung eines allgemeinen Bezugsrahmens für diese Arbeit. Innovation wird als pfadabhängiger Prozess der Wissensproduktion dargestellt. Dieser unterliegt einem Regime verteilter Wissensproduktion; Ort der Innovation sind heterogene Netzwerke (Rammert 2003a). Für die Beschreibung von Innovationsprozessen ist damit ein pragmatisches Verständnis von Wissen erforderlich. Eine soziologische Perspektive auf Innovation eröffnet die Möglichkeit, ein pragmatisches Wissensverständnis in der Betrachtung heterogener Netzwerke zu berücksichtigen. In Kapitel 3 erfolgt zunächst eine systematische Analyse der verschiedenen, auf einer Analogie zu Kuhn beruhenden Ansätze der Innovationsforschung. Für die Innovationsforschung lässt sich eine "Priorität der Paradigmata" feststellen. Zunächst werden die Originalarbeiten von Thomas Kuhn und Ludwik Fleck diskutiert und vergleichend zusammengefasst. Darauf aufbauend wird die Resonanz dieser Arbeiten in der Literatur zum technologischen Wandel dargestellt. Insbesondere wird dabei auf die Konzeption technologischer Paradigmen (Johnston 1972; Dosi 1982), der technologicalframes (Bijker 1995) sowie der dominanten Designs (Abemathy/Utterback 1978; Anderson/Tushman 1990) eingegangen. Es wird gezeigt, dass die verschiedenen Ansätze die Bedeutung gemeinsamer Bezugsrahmen betonen, die sich um die Weiterentwicklung eines Designstandards ranken. Dies wird anschließend präzisiert, und es wird herausgearbeitet, wie technologische Paradigmen im Einzelnen wirken. Technologische Paradigmen beziehen sich auf eine bestimmte Form technologischen Fortschritts, und zwar den kumulativen Wandel nach einer sozialen Schließung. Die "Priorität der Paradigmata" besteht darin, dass soziale Schließung über eine Analogie zum Kuhnschen Mechanismus der Paradigmaentstehung erklärt wird. Technologische Paradigmen sind dann ein Koordinationsmechanismus für die Wissenserzeugung kumulativen Wandels. In diesem Sinne stellen sie eine Form lokaler Stabilität dar, die sich als Einfluss des Technischen (Vincenti 1995) im technologischen Wandel beschreiben lässt. Dieser besteht als Konsens innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft hinsichtlich eines Produktdesigns und den Richtungen erwarteten Fortschritts. Genau hierin lässt sich der, auch von Kuhn nie vollständig realisierte (vgl. Douglas 1991), soziologische Kern im Konzept technologischer Paradigmen identifizieren.
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Kapitel 4 beginnt mit mehreren Differenzierungen. Zunächst werden systemische Technologien von sogenannten stand alone Technologien abgegrenzt. Systemische Technologien sind dabei durch ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten charakterisiert (Clark 1985; Henderson/Clark 1990; Rosenkopf/Tushman 1998). Innerhalb systemischer Technologien lassen sich allgemeine Systeme von spezifischen Systemen unterscheiden. Für letztere hat James Fleck die Bezeichnung technologische Konfigurationen geprägt (Fleck 1993, 1994b). Für ihn sind technologische Konfigurationen solche Systeme, deren Identität sich erst in einem konkreten Anwendungskontext ergeben. Im Gegensatz zu allgemeinen Systemen weisen Konfigurationen keine spezifische Dynamik auf der Ebene des Systems auf. Für James Fleck folgt daraus, dass die Entwicklung von Konfigurationen nicht an die Existenz eines technologischen Paradigmas gebunden ist. Die Herausforderung bestehe vielmehr darin, dass eine Konfiguration erst durch die Kristallisation lokaler Kontingenzen in ein spezifisches System entsteht. Die Konzeption von James Fleck wird in Kapitel 4 in verschiedener Hinsicht erweitert. Zum einen wird ein pragmatisches Wissensverständnis auf die Konzeption technologischer Konfigurationen angewendet. Für die Gestaltung technologischer Konfigurationen rücken dann verschiedene Paradigmagemeinschaften in den Mittelpunkt, die verschiedene epistemische Stile in die Gestaltungsprozesse einbringen. Das Integrationsproblem bei James Fleck - die Integration verschiedener Wissensbasen - wird um eine dynamische Komponente ergänzt, so dass es als Koordinationsproblem beschrieben werden kann - die Koordination verschiedener epistemischer Stile. Zum anderen wird die Frage gestellt, wie Lernen zwischen den Gestaltungsprozessen einzelner Konfigurationen funktioniert, ein Aspekt, den James Fleck nur andeutungsweise berücksichtigt. Es wird gezeigt, dass Lernen in einer losen Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften erfolgt. Das dies möglich ist, so der zentrale theoretische Vorschlag dieser Arbeit, lässt sich über die Entstehung eines Denkkollektivs im Sinne Ludwik Flecks erklären (Fleck 1935). Soziale Schließung stellt sich in dieser Perspektive in Ergänzung der in Kapitel 3 beschriebenen "Priorität der Paradigmata" als Entstehung eines Denkkollektivs dar, in dem die Interaktionen von Akteuren aus unterschiedlichen Paradigmagemeinschaften koordiniert werden, ohne dass diese Paradigmagemeinschaften ihre Identität verlieren. Daraus ergibt sich eine Flexibilität, die es erlaubt, lokale Kontingenzen in Innovationsprozessen dauerhaft zu berücksichtigen. In Kapitel 5 wird zunächst das Feld vernetzter Haushaltstechnolagien dargestellt. Insbesondere wird der Ursprung des Feldes in den Standardisierungsdiskussionen um die sogenannten Smart Hornes in den 16
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1990er Jahren nachgezeichnet. Diese Standardisierungsdiskussionen gelten heute weitgehend als gescheitert. Dennoch sind die Erwartungen im Feld nach wie vor hoch, sie richten sich allerdings auf sogenannte kleine Lösungen, welche in dieser Arbeit als vernetzte Haushaltstechnologien eingeführt werden. Die zentrale Herausfordemng für die Entwicklung vemetzter Haushaltstechnologien wird im Feld in der Notwendigkeit zu branchenübergreifender Kooperation gesehen. Diese lässt sich nun analytisch mit dem in Kapitel 4 erweiterten Konzept technologischer Konfigurationen erfassen. Es geht im Feld vemetzter Haushaltstechnologien um die Gestaltung technologischer Konfigurationen ftir Konsumgütermärkte. Lokale Kontingenzen müssen damit in Form lokaler Alltagspraktiken und Lebensstile Berücksichtigung finden. Basierend auf dieser Feststellung wird eine Typologie verschiedener Koordinationsmechanismen in Innovationsprozessen ausgearbeitet. Die einfachste Form besteht in der Koordination durch den Designstandard eines technologischen Paradigmas. Diese erfolgt bei spezifischen Technologien und allgemeinen Systemen im Anschluss an eine soziale Schließung, die dann als Paradigmaentstehung verstanden werden kann. James Fleck konnte zeigen, dass dieser Zusammenhang flir die Gestaltung technologischer Konfigurationen seine Erklärungskraft einbüßt. Lernen in technologischen Feldern erfolgt durch die wiederholte Implementierung der gleichen Komponenten in jeweils spezifische Anwendungskontexte. Für die soziale Schließung technologischer Felder müssen also andere Koordinationsmechanismen wirksam sein, die die Entstehung eines überlagemden Denkkollektivs ermöglichen. Im Falle der Gestaltung technologischer Konfigurationen für business-ta-business-Märkte (b2b-Märkte) erfolgt die Koordination eines Denkkollektivs über die formale Struktur wiederholter Implementierungsprojekte. Dies lässt jedoch die Frage nach der Koordination der Gestaltung technologischer Konfigurationen flir den privaten Haushalt offen. Implementierungsprojekte kommen hier nicht in Frage. Diese zentrale Problematik wird am Beispiel des Feldes vemetzter Haushaltstechnologien beschrieben und konkretisiert. In Kapitel 6 wird ein Vorschlag gemacht: Die Koordination der Gestaltung technologischer Konfigurationen für den privaten Haushalt erfolgt durch die gemeinsame Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Verändemng durch die Mitglieder verschiedener Paradigmagemeinschaften. Dieser gemeinsame Bezug auf eine gesellschaftliche Veränderung ermöglicht die Entstehung eines Denkkollektivs und damit die lose Koppelung von Paradigmagemeinschaften, indem sie Anknüpfungspunkte flir die verschiedenen epistemischen Stile bietet. Diese Form der Koordination wird am Beispiel der seniorengerechten Produktentwicklung illustriert. Die demographische Alterung stellt hier eine Problemland-
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schaft dar, aus der über die Grenzen verschiedener Paradigmagemeinschaften hinweg Wissen hinsichtlich lokaler Alltagspraktiken gewonnen werden kann. Dieses Wissen kristallisiert in die jeweiligen Konfigurationen. Kapitel 7 fasst die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal zusammen. Insbesondere wird auf ein Potenzial eingegangen, das mit branchenübergreifender Kooperation zur Gestaltung vemetzter Haushaltstechnolagien zusammenhängt. Dieses Potenzial besteht in der Notwendigkeit, einen Zusatznutzen zu definieren, der über den Basisnutzen bisher unabhängiger Geräte hinausgeht. Die Entwicklung vemetzter Haushaltstechnologien zwingt zur Definition einer sinnvollen Anwendung. Für die Innovationsforschung liefert dies einen ganz wesentlichen theoretischen Ertrag. Die Beschreibung des Feldes vemetzter Haushaltstechnologien als Denkkollektiv lenkt den Blick auf weiche Formen sozialer Schließung, in denen die lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften eine Offenheit gegenüber lokalen Kontexten aufrechterhält. Im Gegensatz zur Idee modularer Produktarchitekturen ( vgl. Ulrich 1995; Baldwin/Clark 2000; Shibata et al. 2005) fokussiert die in dieser Arbeit entwickelte analytische Perspektive diejenigen Designparameter, die dauerhaft erst aus spezifischen Nutzungskontexten gewonnen werden. Das im Feld manifeste Problem der nichtvorhandenen Killerapplikationen für große Lösungen vemetzter Haushaltstechnologien wird somit als Chance analytisch fassbar gemacht. Diese Chance ergibt sich aus der Erweiterung des Kuhnschen Paradigmabegriffs um eine im Kern soziologische Perspektive, die sich aus der Konzeption der Denkkollektive von Ludwik Fleck speist. Der empirische Teil dieser Arbeit illustriert ein Phänomen - die Entwicklung technologischer Konfigurationen in branchenübergreifender Kooperation -, dessen Bedeutung sich gerade erst abzuzeichnen beginnt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen konzeptuellen Rahmen zur weiteren empirischen Erschließung dieses Phänomens zu liefern. Die Darstellung und Diskussion des konzeptuellen Rahmens erfolgt dabei empirisch gestützt; es geht um eine fallanalytische Illustration theoretisch-konzeptueller Überlegungen ( vgl. Mitehe II 1983; Yin 1994). Der theoretische Teil dieser Arbeit enthält eine Diskussion der wesentlichen Arbeiten der Innovationsforschung, die sich in ihrer Konzeption auf ein Kuhnsches Paradigmaverständnis berufen. Innovationsforschung ist dabei kein einheitlicher "Wissenskorpus". Vielmehr umfasst die relevante Literatur zum technologischen Wandel sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven sowie Konzepte aus der Managementliteratur. Der Auswahl der im Kapitel 3 ausfUhrlieh diskutierten Literatur liegen zwei Kriterien zugrunde: Sie müssen der Konzeption von Kuhn einen 18
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zentralen Stellenwert eimäumen, und sie müssen einen substantiellen Beitrag zu einer Übertragung der Kuhnschen Konzeption für die Innovationsforschung geleistet haben. Indikator für die "Substantialität" eines Beitrags war die Häufigkeit der Zitierungen in den verschiedenen Perspektiven der Innovationsforschung. Die empirische Darstellung in den Kapiteln 5 und 6 stützt sich auf eigene Erhebungen im Feld vemetzter Haushaltstechnologien sowie die mehrjährige Erfahrung des Autors als wissenschaftlicher Koordinator einer DFG-Forschergruppe, die sich schwerpunktmäßig mit der seniorengerechten Entwicklung vernetzter Haushaltstechnologien auseinandergesetzt hat.' Kongressprogramme, Vorträge auf Fachtagungen, informelle Gespräche mit Experten im Feld sowie die Ergebnisse von Intemetrecherchen stellen das empirische Material dar. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem deutschsprachigen Raum, es wurden jedoch insbesondere auch Entwicklungen in Großbritannien berücksichtigt. Darüber hinaus sind aktuelle und einschlägige empirische Studien der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu den vernetzten Haushaltstechnologien analysiert worden.
"sentha- Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag", gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (1997-2003).
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2.1nnovation als pfadabhängiger Prozess der Wissensproduktion in heterogenen Netzwerken
Das Thema Innovation ist allgegenwärtig, LU1d es rankt sich eine kaum noch zu überschauende Anzahl von Perspektiven um diesen Gegenstand. Daher ist zunächst eine Abgrenzung vorzunehmen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der technologische Wandel, d.h. es geht um technologische Innovationen und um die Prozesse, die solche Innovationen hervorbringen. Im Mittelpunkt steht die Frage danach, wie technologische Innovationsprozesse koordiniert werden. Um dies zu konkretisieren, wird in diesem Kapitel zLU1ächst der allgemeine Bezugsrahmen der Arbeit dargestellt, und es werden die relevanten Ansätze der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Innovationsforschung kurz diskutiert. Seit den 1960er Jahren wird der technologische Wandel sowohl in den Wirtschafts- als auch in den Sozialwissenschaften verstärkt thematisiert. In den Wirtschaftswissenschaften ist diese Entwicklung in Abgrenzlll1g zum Instrumentarium der neoklassischen Ökonomie entstanden, welches in seiner statischen Perspektive die Bedeutlll1g technologischen Wandels nicht angemessen erfassen und abbilden konnte (u.a. Bums/Stalker 1961; Nelson/Winter 1977; Dosi et al. 1988; Foray/ Freeman 1993). Dies hat sowohl zu einer Renaissance der Arbeiten von Joseph Schumpeter geführt (vgl. Rosenberg 1982: 3-6), für den technologischer Wandel eine Schlüsselgröße im Verständnis kapitalistischer Gesellschaften war (Schumpeter 1934, 1942), als auch der institutionalistischen Ökonomie in der Tradition von Thorstein Veblen LU1d Friedrich List (Freeman 1995) neuen Auftrieb gegeben. In einer Reihe von Ansätzen wurde die black box des technologischen Wandels geöffnet, um sowohl Produkt- als auch Prozessinnovationen als endogene Größe
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beschreiben zu können (Rosenberg 1994, 2000), so dass insbesondere die Wechselwirkungen von technologischer und gesellschaftlicher Entwicklung in den Mittelpunkt sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Analyse rückten: ln its essence, teclmology occupies a distinct niche of its own which is best understood from within rather than exclusively from without. [ ... ], technology both shapes its socioeconomic environment and is in turn shaped by it. Neither is a sole determinant of the other; rather, the two codetermirre each other. (Sahal 1985: 62)
Die Bedeutung von Innovation und technologischem Wandel drückt sich ebenfalls in einem grundlegenden Wandel wirtschaftlicher Realität aus. Innovativität, also die Kapazität, Innovationen hervorzubringen, hat die Produktivität als Schlüsselgröße im Wettbewerb von Unternehmen und Nationalökonomien abgelöst (Drucker 1969; Bell 1973; Rammert 1997; Hage/Hollingsworth 2000; Freeman/Low;a 2001; Fleck 2002). Wissen und die Fähigkeit, neues Wissen zu generieren und zu nutzen wird zunehmend zum Erfolgskriterium von Unternehmen und Nationalökonomien (Foray 2004). In Nachfolge der klassischen Institutionenökonomie (hierzu Hodgson 1988; 1998) fokussieren insbesondere die socioeconomics of innovation die Rahmenbedingungen und institutionellen Besonderheiten, unter denen Innovationsprozesse auf verschiedenen Ebenen stattfinden (Hollingsworth 2000; Hall/Soskice 2001; Hollingsworth et al. 2002). Die Analyse technologischer Innovationsprozesse rückt Wissen als wesentliche Ressource in den Mittelpunkt. Dies betrifft die Bedingungen, unter denen Wissen erzeugt, transferiert und genutzt wird. In diesem Zusammenhang nimmt die Bedeutung netzwerkartiger Strukturen zu, die einen flexiblen Zugang zu verschiedenen Wissensressourcen ermöglichen. Eng damit verknüpft ist die Kritik an einem linearen Modell der Innovation, das technologische Neuerungen als einen geordneten Prozess darstellt, der über die Stufen Erfindung, Entwicklung und Produktion schließlich zur Markteinführung führt. 1 Lineare Innovationsmodelle vernachlässigen vor allem die vielfältigen und iterativen Beziehungen, die zwischen diesen Stufen bestehen.
Zu frühen Kritiken an linearen Modellen der Innovation vgl. Price/Bass (1969), Freeman (1982), Kline (1985), sowie Kline/Rosenberg (1986).
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INNOVATION ALS PFADABHÄNGIGER PROZESS
Für den allgemeinen Bezugsrahmen dieser Arbeit können damit zunächst drei Punkte festgehalten werden, die in den folgenden Abschnitten zu diskutieren sind: • Technologischer Wandel ist ein Prozess der Wissenserzeugung und des Lemens (Kompetenzautbau). Innovativität hängt damit wesentlich von den Bedingungen einer innovativen Wissenserzeugung und interaktiven Lemens ab. Heterogene Netzwerke spielen als Strukturform eine zentrale Rolle in verteilten Innovationsprozessen. • Technologischer Wandel ist ein pfadabhängiger Prozess: Geschichte zählt! Innovationsprozesse sind in ökonomische, soziale und technologische Strukturen eingebettet, die das Ergebnis früherer Entscheidungen und Handlungen sind. Diese Strukturen stellen Muster und Regelmäßigkeiten im Verlauf von Innovationsprozessen dar. • Technologischer Wandel ist ein sozialer Prozess, der durch die Interaktionen verschiedenster Akteure gestaltet wird. Neben ökonomischen Kräften und Ingenieurslogiken spielt ein breites Feld weiterer sozialer, institutioneller und kultureller Gestaltungsfaktoren eine zentrale Rolle.
Technologischer Wandel unter einem Regime verteilter Wissensproduktion Der Zusammenhang von technologischem Wandel und der Produktion neuen Wissens und interaktiven Lemens wird in der Literatur vor allem seit den 1980er Jahren thematisiert (u.a. Dosi 1988; Lundvall 1988; Rammert 1988). Wissen kann dabei prinzipiell aus einer statischen Perspektive als Ressource verstanden werden, die gehandelt, transportiert und gespeichert wird. Oder es kann aus einer pragmatischen Perspektive gesehen werden, in der das "Gewusste" und das "praktische Wissen" zusammengehören (Rammert 2003b: 485). In dieser zweiten Perspektive steht die Kompetenz im Mittelpunkt, gewusstes Wissen auch handlungsleitend zu nutzen (vgl. Gemünden!Ritter 1997: 297ft). Der Zugang zur Ressource Wissen bzw. die Produktion neuen Wissens und die Aneignung von Kompetenz (Lemen) sind sowohl für Untemehmen und als auch für Nationalökonomien zu einer Schlüsselgröße ökonomischer Realität geworden (Archibugi/Lundvall 2001; OECD 2001; Foray 2004). Vor diesem Hintergrund wurde in verschiedenen Zweigen der Innovationsliteratur die Bedeutung von Netzwerken als Struktur- und Koordina-
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tionsform hervorgehoben, mit denen Organisationen ihren Zugang zu unterschiedlichen Wissensressourcen regeln. 2 Die Bezeichnung "Netzwerk" als Koordinationsform geht auf eine Abgrenzung zur klassischen Markt - Hierarchie Dichotomie zurück, die im Rahmen der Transaktionskostentheorie die beiden möglichen Koordinationsformen bezeichnet, mit denen ein Unternehmen seine vertikale Integration regeln kann (Williamson 1975; Hamilton/Feenstra 1995). In diesem Zusammenhang hat Lundvall ( 1988) den Begriff des "organisierten Marktes" eingeführt, mit der er die Fähigkeit zu interaktivem Lernen in Nutzer-Hersteiler Beziehungen als zentralen Baustein in Innovationsprozessen identifiziert. Für Lundvall ist interaktives Lernen in reinen Marktbeziehungen zwischen Nutzern und Herstellern nicht realisierbar, da sie ausschließlich auf Preis- und Mengeninformationen beruhten und daher nicht in der Lage seien, die mit dem Lernprozess verbundenen Unsicherheiten zu regeln. 3 Organisierte Märkte sind eine Mischform aus Markt und Hierarchie; in ihnen werden Markttransaktionen zwischen formell unabhängigen Einheiten durch Beziehungen mit Organisationscharakter überlagert. Die Kommunikation qualitativen Wissens unter unsicheren Umständen macht flir Lundvall den Kern der Kooperationsbeziehungen in organisierten Märkten aus. Das gemeinsame Lernen zwischen Nutzern und Herstellern erfordere eine gemeinsame Kommunikationsbasis, die nur in langfristigen Beziehungen und auf Basis von Vertrauen aufzubauen sei. Die empirischen Studien von von Hippe! konnten belegen, dass in interaktiven Lernbeziehungen Nutzer als Irrnovatoren tatsächlich eine wesentliche Rolle spielen. Insbesondere sogenannte Iead user, eine Avantgarde von besonders mit den Entwicklun2 Entsprechend ist der hier folgende Abriss der Netzwerkforschung einzuordnen, der Netzwerke als Struktur- und Koordinationsform von Innovationsprozessen fokussiert. Andere, gesellschaftsanalytische Diagnosen, in denen es um grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere der Wissensproduktion geht, müssen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben (z.B. Gibbons et al. 1994; Etzkowitz/Leydesdorff 1995; Castells 1996/ 1997; Bender 2001; Leydesdorff/Etzkowitz 2001; Nowotny et al. 2001; Shinn 2002). Für eine weiterführende Vertiefung finden sich gute deutschsprachige Überblicke zur sozialwissenschaftliehen Netzwerkforschung in Weyer (2000), zur Steuerung von Netzwerken in Sydow/Windeler (2000) sowie zur formalen Netzwerkanalyse in Jansen (1999). Eine umfassende Sammlung wichtiger Artikel zur sozioökonomischen Netzwerkforschung liefern Grabher/Poweil (2004, 2 Bde.). 3 Die Möglichkeit reiner Marktbeziehungen ist natürlich nicht allein im Hinblick auf interaktives Lernen zu hinterfragen. Dies betrifft das Problem der Einbettung von Märkten in soziale Strukturen (vgl. Granovetter 1985; Grabher 1993a; Swedberg 1993) und die damit einhergehende Bedeutung von Netzwerken für die Architektur von Märkten im Allgemeinen (vgl. White 1981 ; Fligstein 2001; White 2002).
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gen eines Marktes vertrauten Nutzern, können ganz neue Produktkonzeptionen liefern (von Hippel1986; 1988; Herstatt 1991). Powell hat ftlr Koordinationsformen, die weder Markt noch Hierarchie sind, den BegriffNetzwerk geprägt (Powell 1990). Für ihn existieren Netzwerke zwischen Organisationen. Sie beruhen aufinterdependenten Beziehungen, also weder auf forn1a1er Abhängigkeit (Hierarchie) noch auf formaler Unabhängigkeit (Markt). Im Gegensatz zu Lundvall sind Netzwerke ftir Powell also keine Hybridform aus Markt und Hierarchie, sondern sie konstituieren eine davon klar unterscheidbare Form: By sticking to the two pillars of markets and hierarchies, our attention is defl ected from a diversity of organizational designs that are neither fish nor fowl, nor some mongrel hybrid, but a distinctly different form. (Powell 1990: 299)
Netzwerkbeziehungen zeichnen sich im Kern durch eine gegenseitige Abhängigkeit von komplementären Ressourcen aus; in ihnen spielen sowohl Vertrauen als auch Konflikte und Macht eine Rolle. Für Powell sind Netzwerkbeziehungen langfristige Beziehungen, die sich durch wiederholte Kontakte aufbauen. Sie unterscheiden sich von Marktbeziehungen dadurch, dass sie eine Geschichte haben, und von Organisationsbeziehungen dadurch, dass die beteiligten Akteure formal unabhängig bleiben. Netzwerke sind in der Lage, die Nutzung interner und externer Ressourcen in ein Verhältnis zu setzen: A network serves as a locus of innovation because it provides timely access to knowledge and resources that are othe1wise unavailable, while also testing irrtemal expertise and leaming capabilities. (Powell et al. 1996: 119)
Der instrumentelle Wert von Netzwerken wird also darin gesehen, dass sie in der Lage sind, den Zugang und die Nutzung interner und externer Wissensressourcen auszutarieren. Dabei kommt es auf den filigranen Balanceakt zwischen Exploration und Exploitation an, also der Balance zwischen Gelegenheiten, die offen gehalten werden, und Bindungen, mit denen wahrgenommene Gelegenheiten auch realisiert werden können (Rosenberg 1990; Benner/Tushman 2002; Almeida et al. 2003). Foray betont ebenfalls, dass es Unternehmen in Netzwerken vor allem um einen assoziative Verlmüpfung von Ressourcen gehe, die sowohl notwendig fiir die Entwicklung neuer Technologien als auch die Ursache von Irreversibilitäten sind (Foray 1991 ). Innovationsnetzwerke, also solche, in denen innovierende Unternehmen kooperieren (vgl. DeBresson/ Amesse 1991; Freeman 1991; Sydow 1992; Windeier 2001), entstehen, weil Unternehmen bestrebt sind, sich den Zugang zu externen Ressour-
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cen zu sichern. Sie verdichten sich und schaffen ihre eigene Geschichte, weil wiederholte Kontakte Unsicherheiten reduzieren und Vertrauen aufbauen. Netzwerke sind also ein Mittel, mit denen Unternehmen ihren Zugang zur Ressource Wissen regeln. Von Netzwerken wird erwartet, dass sie in Innovationsprozessen Lernen ermöglichen, welches zwischen Unternehmen und in Abhängigkeit von den entsprechenden institutionellen Rahmenbedingungen stattfindet. Netzwerkartige Beziehungen entstehen durch wiederholte Austauschvorgänge und langfristig angelegte Interaktionsprozesse (Gemünden 1990); sie stabilisieren sich, indem sie Unsicherheiten reduzieren und Vertrauen schaffen. Im engen Zusammenhang mit dieser Diskussion steht die Unterscheidung kodifizierten und impliziten Wissens. Kodifiziertes Wissen kann als Information (relativ) einfach und kostenfrei kommuniziert werden. Für implizites Wissen gilt dies nicht; seine Kommunikation erfordert ein bestimmtes Maß an Kodifizierungsaufwand. Dies wirft Fragen nach den Kosten und dem Aufwand der Wissenskodifizierung auf, insbesondere die Frage danach, ob überhaupt alles Wissen prinzipiell kodifizierbar ist oder nicht (vgl. Foray/Freeman 1993; Cohendet/Steinmueller 2000; Cowan et al. 2000; Steinmueller 2000). Ohne auf die Details dieser Debatte näher einzugehen, kann hier festgehalten werden, dass de facto jede Wissenstransaktion kodifizierte und nichtkodifizierte Anteile voraussetzt (Ancori et al. 2000). Gemeinsame soziale Kontexte sind eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Wissenskodifizierung, da sie ein gemeinsames Vokabular und eine gemeinsame Grammatik als Hintergrund für diese Kodifizierung bereitstellen (Cowan!Foray 1997; Cowan 2001). Netzwerkbeziehungen sind in diesem Zusammenhang wichtig, da sie den Austausch dieses lokalen, "klebrigen" (von Hippel 1994) Kontextwissens regeln. Regionalen Netzwerken wird hier die Fähigkeit zugesprochen, diesen Austausch lokalen, impliziten Wissens zu gewährleisten und gleichzeitig den Zusammenhang mit globalen, kodifizierten Wissenskomponenten herzustellen (Asheim/Isaksen 2002; Cooke et al. 2004). In diesem Zusammenhang hat jedoch gerade der Versuch, das Erfolgsbeispiel Silicon Valley (vgl. Saxenian 1991 ; Lee et al. 2000) zu verallgemeinern, auch verdeutlicht, das der Zusammenhang von netzwerkartigen Strukturen und der Erzeugung innovativen Wissens zumindest ambivalent ist. So konnte Grabher (1993b) zeigen, dass starke Netzwerkbeziehungen zu regionalen lock-ins führen können, die Innovationen eher behindern. Heideureich (2004) identifiziert vier Dilemmata regional konzentrierter Innovationsprozesse, mit denen er auf die grundsätzliche Spannung zwischen Innovativität und Stabilisierungsprozessen in Netzwerken hinweist. Poti (2003) demonstriert anhand umfangreicher OECD Daten,
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dass die Entwicklung in Richtung regionaler Netzwerkökonomien tatsächlich deutlich langsamer verläuft, als vielfach proklamiert. Krücken & Meier weisen in einem ähnlichen Zusammenhang auf die "diskursive Wirkmächtigkeit" des Netzwerksbegriffs hin, "die nicht mit einem weitreichenden sozialstruktureilen Wandel in eins zu setzen" (Krücken/ Meier 2003: 88) sei. Auch die betriebswirtschaftliche Literatur konnte in großzahligen empirischen Studien belegen, dass die Relevanz von Netzwerken für den Innovationserfolg voraussetzungsvoll ist. Anhand der Analyse fokaler Unternehmen und deren Einbindung in technologische Netzwerke konnte gezeigt werden, dass der Innovationserfolg wesentlich davon abhängt, ob die Innovationsziele eines Unternehmens zur Konfiguration seines gesamten Netzwerks passen (Gemünden et al. 1996). Auch die Kompetenz, ein Netzwerk strategisch aufzubauen und zu nutzen, hat sich als eine wichtige Voraussetzung für den Innovationserfolg erwiesen (Gemünden/Ritter 1997; Ritter 1998). Nur wenn netzwerkartige Beziehungen auch tatsächlich in eine "technologische Verflechtung" (Biemans 1992; Heydebreck 1996) umgesetzt würden, zahle sich ein Netzwerk für das fokale Unternehmen auch aus. In diesem Sinne sind Netzwerke nicht per se eine innovationsfördernde Strukturform, sondern allenfalls ein Mittel, welches im Sinne des Innovationserfolgs strategisch aufgebaut und genutzt werden muss. Zahlreiche empirische Studien konnten diesen Zusammenhang bestätigen (Ritter et al. 2002; Ritter/Gemünden 2003, 2004). Funken/Meister (2003) kommen aus einer ganz anderen Perspektive zu einem ähnlichen Schluss. In der sozialwissenschaftliehen Technikforschung wird die Bedeutung heterogener Netzwerke hervorgehoben (Kowoi/Krohn 1995; Williams/Edge 1996; Rammert 1997; Schulz-Schaeffer et al. 1997). Ein entscheidendes instrumentelles Potenzial netzwerkartiger Strukturen bestehe in ihrer Fähigkeit, Unterschiedlichkeiten aufzunehmen und zu koordinieren. In Ergänzung zur schwerpunktmäßigen Analyse von Unternehmensnetzwerken, in denen die Kooperationspartner als weitgehend homogen betrachtet werden (hierzu Windeier 2001; Steward 2003), wird hier gerade die Heterogenität verschiedener Wissensressourcen als Chance, aber auch als Risiko für die Erzeugung innovativen Wissens gehandelt. 4 Netzwerke werden in diesem Sinne also weder als einheitliche Strukturform analysiert, noch aus der Perspektive eines fokalen Unternehmens, sondern es werden die inneren Besonderheiten heterogener Netzwerkgesamtheiten und deren Zusammenhang mit der Erzeugung innovativen Wissens thematisiert. Der Wert dieser Literatur ist zunächst 4 Aus ökonomischer Perspektive vertreten sowohl Kaufmann/Tödtling (2001) als auch Audretsch/Keilbach (2004) einen ähnlichen Standpunkt.
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darin zu sehen, dass sie für die vielfältigen möglichen Typen von Netzwerkstrukturell sensibilisiert, die sich aus der Vemetzung unterschiedlicher sozialer und institutioneller Kontexte ergeben (Scott/Meyer 1991; Hage/Alter 1997; Steward/Conway 1998). Damit konnte die Unterscheidung von Netzwerken als Mechanismus der Koordination und als Strukturform, die in sich wieder jeweils spezifische Anforderungen an die Koordination stellt, weiter herausgearbeitet werden. Für Rammert (1997) entwickelt sich als Reflex auf die Unzulänglichkeiten der Schumpeterschen Modi der "Innovation über den Markt" und der "Innovation durch Organisation" ein neuer Modus der "Innovation im Netz", in dem Unsicherheiten und Flexibilität in heterogenen Netzwerken geregelt wird. Die Stärke solcher Netzwerke bestehe darin, dass sie Unterschiedlichkeiten wahren und gleichzeitig Brücken zwischen ihnen schlagen können. Innovativität entscheide sich im feinen Spiel unterschiedlicher Elemente, die es in Innovationsprozessen im Sinne einer kreativen Spannung zu koordinieren gelte (Rammert 2000). Netzwerke seien damit eine geeignete Koordinationsform, um mit dem klassischen Problem von Integration und Differenzierung (vgl. Lawrence/Lorsch 1967) auch auf der Ebene interorganisationaler Beziehungen umzugehen. Innovationsprozesse sind ftir Rammert in ein "Regime verteilter Wissensproduktion" eingebettet, in dem "vor allem die Heterogenität der epistemischen Perspektiven Probleme für eine erfolgreiche Abstimmung zwischen dem Unstimmigen" (Rammert 2003b: 484) sorge. Diese Heterogenität epistemischer Perspektiven Netzwerken stellt als Strukturform ein Potenzial dar, aus dem sich prozedural jedoch ein Koordinationsproblem eröffnet. 5 Wie können diese heterogenen Perspektiven in Netzwerken koordiniert werden, wie kann also ein Zustand "organisierter Diversität" (Rammert 2002) hergestellt werden, in dem Innovationsprozesse auch tatsächlich von dieser Diversität profitieren? Auch Hage & Hollingsworth arbeiten Innovationsprozesse im Wesentlichen als Prozesse der Wissenserzeugung heraus und betonen die Bedeutung einer breiten Vemetzung unterschiedlicher Wissensressourcen in idea innovation networks (Kline/Rosenberg 1986; Hage/Hollingsworth 2000). Ein solches Netzwerk spanne sich innerhalb einer Branche zwischen den sechs Arenen der Wissenserzeugung - Grundlagenforschung, augewandte Forschung, Forschung zur Produktentwicklung, Forschung zu Produktionsprozessen, Forschung zur Qualitätskontrolle und Marketingforschung - auf und werde durch die Forschungsaktivitäten in allen sechs Arenen und den Verbindungen zwischen diesen Arenen dargestellt. Radikale und kommerziell erfolgreiche Produktinnova5 Einen guten Überblick zu den Koordinationsprob Jemen, die mit netzwerkartigen Strukturformen einhergehen, liefert Hirsch-Kreinsen (2002b).
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tionen können nur entstehen - so die zentrale These von Hage & Hollingsworth- wenn die Forschungsaktivitäten der sechs Arenen vernetzt sind, d.h. die Wissensänderung in einer Arena müsse mit Wissensänderungen in anderen Arenen einhergehen (Hage/Hollingsworth 2000: 972). In dieser Perspektive wird Vemetzung also zur Voraussetzung von Innovation überhaupt, da innovatives Wissen nur über die Vemetzung mit anderen Forschungsaktivitäten zur Innovation führe. Die zentrale These der Autoren lässt sich ebenfalls dahingehend zuspitzen, dass Diversität die Schlüsselgröße radikaler Innovation ist (hierzu auch Hollingsworth/ Hollingsworth 2000): Innovativität stelle im Wesentlichen ein Koordinationsproblem dar, und zwar eines der Vernetzung unterschiedlicher Kompetenzen und Wissensformen (Hage/Hollingsworth 2000: 988). Zusammenfassend kann nun Folgendes festgehalten werden: Innovationsprozesse sind verteilte Prozesse der Wissenserzeugung und des Lemens. Netzwerke stellen eine Strukturform dar, deren instrumenteller Wert vor allem in interdependenten Beziehungen zwischen Organisationen gesehen wird, die den Zugang zu verschiedenen Wissensressourcen im Spannungsfeld zwischen Exploration und Exploitation sichem. Sie reduzieren dabei Unsicherheiten und bauen Vertrauen auf. Dies ist zunächst die rein deskriptive Aussage, dass gegenwärtige Innovationsprozesse in Netzwerken stattfinden, mit anderen Worten also verteilte Innovationsprozesse sind. Die empirische Forschung konnte jedoch zeigen, dass netzwerkartige Strukturen nicht per se innovationsfördernd sind, sondem dass dies an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. Aus Sicht einzelner Untemehmen setzt die erfolgreiche Umsetzung von Geschäftsbeziehungen in Innovationserfolg eine spezifische Netzwerkkompetenz voraus, mit diesen Beziehungen auch strategisch umzugehen. Bezogen aufNetzwerkgesamtheiten rückt die Frage nach den Bedingungen und spezifischen Besonderheiten in das Blickfeld, unter denen die Strukturfom1 Netzwerk auch tatsächlich erfolgreiche Innovationsprozesse hervorbringt. Dies ist die Frage nach der Koordination von Netzwerken, die in ihrer allgemeinen Form jedoch hier nicht das Thema sein soll. Für das Erklärungsinteresse dieser Arbeit ist nämlich eine zweite These der Netzwerkdiskussion von Bedeutung: Netzwerke würden insbesondere auf Grund iher Heterogenität Chancen für erfolgreiche und radikale Innovationsprozesse bieten. Die Arbeiten von Rammert sowie von Hage & Hollingsworth haben gezeigt, dass Heterogenität eine Schlüsselgröße in einem reflexiven Modus verteilter Innovation ist. Innovativität lebt von den kreativen Spannungen des Unterschiedlichen, ist jedoch gleichzeitig von einem sinnvollen Bezug dieses Unterschiedlichen aufeinander in Prozessen der Wissenserzeugung abhängig. In diesem Sinne wird der instrumentelle Wert von Netzwerken darin gesehen,
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dass sie einen Zustand "nachhaltiger Heterogenität" (Shinn 2004) bzw. "organisierter Diversität" (Rammert 2002) gewährleisten können. Genau in diese Richtung soll hier die Frage nach der Koordination von Netzwerken eingegrenzt werden: Wie lässt sich Diversität vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Wissensproduktion in Netzwerken beschreiben und welche Koordinationsmechanismen sind in der Lage, erfolgreiche Innovationsprozesse trotz dieser Diversität zu koordinieren? In der vorliegenden Arbeit wird eine besondere Form der Diversität untersucht, nämlich die epistemische Diversität, die sich aus dem Vorhandensein unterschiedlicher Paradigmagemeinschaften in technologischen Feldern ergibt (siehe Kapitel 3 & 4).
Technologischer Wandel als pfadabhängiger Prozess Innerhalb der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur hat sich der orthodoxe, neoklassische Ansatz im Hinblick auf die Betrachtung von Innovation und technologischem Wandel als problematisch erwiesen. Insbesondere die statische Analyse von Gleichgewichtszuständen und damit einhergehend die Betrachtung von Innovation als eine außerhalb des Wirtschaftssystem erzeugte Größe (Lundvall 1988; Bayer 1993) sowie die Modeliierung von Akteuren als "Maximierungsautomaten" (Nelson/Winter 1982: 32) haben Anlass zu alternativen Theorieangeboten gegeben. Bei aller Unterschiedlichkeit haben die verschiedenen Varianten dieser Alternativen einen Aspekt gemeinsam: Technologischer Wandel wird als pfadabhängiger Prozess beschrieben, d.h., einzelne Ereignisse können nicht unabhängig von vorausgehenden Ereignissen verstanden werden. Geschichte zählt! The idea of path dependence, despite rather different uses (and misuses) in diverse disciplines, is nonetheless commonly linked with the idea that ,history matters' in the interpretation of whatever phenomenon one would like to explain. (Bassanini/Dosi 200 I: 41) In der Literatur lassen sich allerdings sehr unterschiedliche Varianten dessen identifizieren, wodurch Pfadabhängigkeit nun im Einzelnen bedingt ist. Für die vorliegende Arbeit sollen drei dieser Varianten kurz vorgestellt werden: • Die erste Variante erklärt Pfadabhängigkeit dadurch, dass individuelle Optimierungsentscheidungen sich in ihrer Aggregation über die Zeit beeinflussen. Insbesondere die Arbeiten von Brian Arthur und
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Paul David erklären so das Vorhandensein inferiorer Gleichgewichtszustände (lock-ins). Pfadabhängigkeit ist hier ein im Grunde stochastischer Zusammenhang, bei dem Entscheidungen zum Zeitpunkt t die Bedingungen für nachfolgende Optimierungsentscheidungen beeinflussen. • Die in Amerika von Richard Nelson und Sidney Winter und in Europa vor allem an der Science and Policy Research Unit (SPRU) in Sussex entwickelten Ansätze der evolutionären Ökonomie bauen auf Arbeiten der klassischen Institutionenökonomie auf und liefern eine umfassende und grundsätzliche Alternative zum neoklassischen Theorieangebot Pfadabhängigkeit wird in dieser Perspektive durch institutionell verfestigte Routinen erklärt. Da1über hinaus - und das ist für diese Arbeit der eigentlich wichtige Punkt - ist Pfadabhängigkeit durch Muster in den Suchrichtungen von Entwicklergemeinschaften bedingt, die historisch im Zusammenspiel mit bestimmten Technologieangeboten gewachsen sind. • In der betriebswirtschaftliehen Managementliteratur hat sich basierend auf den Arbeiten von William Abernathy und James Utterback die Betrachttmg sogenannter technology cycles etabliert, die den zyklischen Charakter technologischen Wandels betonen. Pfadabhängigkeiten entstehen hier in Phasen kumulativen Wandels durch die Bindung an dominante Produktdesigns. Hat sich ein solches Design über ökonomische und soziale Kräfte auf einem Markt etablieren können, so folgt die Ausarbeitung dieses Standards. Im Folgenden werden die drei Stränge kurz diskutiert. Nicht berücksichtigt werden in dieser Diskussion die Ansätze zur Pfadkreation. Diese thematisieren neben der Gerichtetheit technologischen Wandels vor allem die aktive Einflussnahme durch verschiedene Akteure (vgl. Garud/Karnoe 2001; 2003; Windeier 2003).
Lock-ins und inferiore Lösungen Die neoklassische Ökonomie besagt (stark vereinfacht), dass die über ein Wirtschaftssystem aggregierten, eigennützigen Handlungen von Individuen zu einem Wohlfahrtsmaximum führen. Die individuell vor dem Hintergrund der Nutzenmaximierung (entsprechend einer Präferenzordnung) gewählten Alternativen würden im Aggregat stets zu einem optimalen Gleichgewichtszustand führen. Ein solcher Gleichgewichtszustand ergibt sich damit als Ergebnis einer effizienten Allokation von Gütern aus dem Wettbewerb der Individuen (vgl. Varian 2003). Auf technologischen Wandel bezogen hieße dies, dass sich von verschiedenen Varianten einer Technologie im Wettbewerb stets die optimale Va31
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riante am Markt durchsetze. Vor diesem Hintergrund haben vor allem Brian Arthur und Paul David den historischen Charakter technologischen Wandels betont: Unter bestimmten Umständen könnten die Ergebnisse des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Varianten einer Technologie auch zu suboptimalen Ergebnissen fUhren. Sie sprechen dann von einem lock-in auf eine inferiore Technologie. Das prominenteste Beispiel für einen solchen lock-in liefert Davids Geschichte über die Entstehung der QWERTY-Tastatur, wie sie sich von den ersten Schreibmaschinen der 1870er Jahre bis zu den heutigen modernen Computern erhalten hat (David 1985). Der Clou dieser Geschichte besteht darin, dass sich mit der QWERTY-Tastatur ein suboptimaler Tastaturstandard durchgesetzt hat, der nach ökonomischen Gesichtspunkten längst durch "bessere" Alternativen hätte abgelöst werden müssen. Ein lock-in auf eine inferiore Lösung sei insbesondere dann möglich, wenn eine Technologie sich durch sinkende Kosten mit zunehmender Verbreitung auszeichnet (increasing returns to adaption). In diesem Fall könnten zu Beginn eines Wettbewerbs zwischen Designs zufällige Entscheidungen, "historical accidents" (David 1985: 335), zugunsten einer Alternative die Entscheidung flir andere Alternativen weniger attraktiv machen. Ab einem gewissen Schwellwert führe dieser Prozess schließlich dazu, dass die anfänglich bloß zufällig gewählte Alternative sich als Quasistandard durchsetze. 6 Erweist sich diese Alternative nun- wie die QWERTY-Tastatur - zu einem späteren Zeitpunkt als inferiore Lösung, so ist der Wechsel zu einem anderen Standard aufgrund des lock-ins nur unter großem Aufwand und sehr hohen Kosten möglich. Die anfängliche, ökonomisch eigentlich irrelevante Wahl der QWERTY-Tastatur hat also im weiteren historischen Verlauf zu einer Quasi-Standardisierung dieses Typs geführt. Für David und Arthur bezeichnet Pfadabhängigkeit hauptsächlich die rein stochastische Feststellung, dass es Situationen gibt, in denen anfängliche Entscheidungen die Rahmenbedingungen für spätere Ent6 Für David lässt sich die Entstehung eines lock-ins anhand eines PolyaUrnenexperiments beschreiben (vgl. auch Arthur 1988; 1989): In einer Urne befinden sich rote und weiße Kugeln je gleicher Anzahl; es wird nun eine Kugel gezogen und zusammen mit einer zusätzlichen Kugel der gleichen Farbe zurückgelegt. Es erhöht sich damit mit jedem Zug die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kugel mit der eingangs gezogenen Farbe gewählt wird. Wird dieses Experiment beliebig häufig wiederholt, wächst also n gegen unendlich, so nähert sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kugel mit der anfänglich gezogen Farbe gewählt wird, dem Wert 1. Mit anderen Worten: Eine zufällige Häufung zugunsten einer Alternative führt im weiteren Verlauf des Auswählens dazu, dass die andere Alternative zunehmend unwahrscheinlicher wird. Der Prozess führt schließlich zu einer Einheitlichkeit aller weiteren Entscheidungen.
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scheidungen beeinflussen. Wird dieser Einfluss zu stark, so kommt es zu einem lock-in, d.h. es stellt sich ein suboptimaler Gleichgewichtszustand ein. 7 Für die Etablierung neuer Technologien müsse berücksichtigt werden, dass zu Beginn eines Wettbewerbs zwischen Technologiealternativen noch kein perfekter Markt angenommen werden kann. Die individuellen Entscheidungen in dieser Anfangsphase könnten daher nicht als Optimalisierungsentscheidungen im Sinne der Neoklassik beschrieben werden. Vielmehr würden hier andere Faktoren - wie schlichter Zufall, aber auch Machtkonstellationen und soziale Netzwerke - eine Rolle spielen, die in der neoklassischen Theorie üblicherweise als exogen ausgeblendet werden. Diese Faktoren schreiben sich - unter der Bedingung von increasing returns to adaption - in die Kriterien ftir spätere Optimalisierungsentscheidungen ein. Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Perspektive auf Pfadabhängigkeiten auf der Basis von und in enger Auseinandersetzung mit der neoklassischen Theorie entstanden sind.
Wissensbasen und Innovationssysteme Als umfassende Alternative zur neoklassischen Perspektive hat sich in den Wirtschaftswissenschaften ein quasievolutionäres Theorieangebot, die evolutionäre Ökonomie, etabliert, das die Routinen in Organisationen sowie deren Variation und Selektion als Treiber wirtschaftlicher Entwicklung fokussiert (vgl. allgemein Nelson/Winter 1982; Dosi/ Nelson 1994; Nowak 1998). 8 In den USA waren Nelson & Winter in ihrer Pionierarbeit von 1977 vom productivity growth puzzle fasziniert, also der Feststellung, dass sich die Produktivität in verschiedenen Branchen (industrial sectors) unterschiedlich entwickele. Für diese Unterschiede habe die herkömmliche Innovationsliteratur, die Wachstum in 7 Für eine kritische Betrachtung hierzu vgl. Liebowitz/Margolis (1990; 1999); Liebowitz (1998). 8 Die Ansätze der evolutionären Ökonomie verdanken ihren Namen einer losen Analogie zur biologischen Evolutionstheorie. Sie sind damit von solchen sozialwissenschaftliehen Ansätzen zu unterscheiden, die technologischen Wandel tatsächlich als einen evolutionären Prozess zu beschreiben versuchen (z.B. Basalla 1988; Ziman 2000). Diese Ansätze betrachten die technologische Evolution genau wie die biologische Evolution als besondere Ausprägung einer allgemeinen Evolutionstheorie (vgl. Fleck 2002). Die evolutionäre Ökonomie fokussiert Teams und Abteilungen in Unternehmen, denen in Analogie zur Arbeit Schumpeters die Rolle des Innovators zugesprochen wird (Nowak 1998: 211). Auf der Grundlage einer behavioristischen Theorie der Firma (Cyert/March 1963) wird davon ausgegangen, dass Unternehmen ihre Aktivitäten aufgrund "begrenzter Rationalität" (Simon 1957) in Routinen organisieren. Diese würden - analog zu den Genen in der Evolutionstheorie- stochastisch geändert (Variation). Nur solche Veränderungen, die ihrer Umgebung angepasst seien, würden sich durchsetzen (Selektion) (vgl. Nelson/Winter 1982: 96-136).
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erster Linie in Relation zu den Ausgaben für Forschung und Entwicklung sehe, keine hinreichende Erklärung geboten. Für Nelson & Winter war daher ein alternatives, mikroskopisches Theorieangebot notwendig, das die Besonderheiten verschiedener Technologien hinreichend berücksichtigt. Sie haben daraus ihre Forderung nach einer "nützlichen" Theorie der Innovation abgeleitet, die die bestehenden mikroskopischen Ansätze integrieren und die stochastische, evolutionäre Natur technologischen Wandels sowie die damit verbundene Organisationale Komplexität berücksichtigen müsse (Nelson/Winter 1977: 48). Nelson & Winter definieren Innovation in Abgrenzung zur neoklassischen Perspektive qualitativ als beliebige Änderung von Produkten und Prozessen. Unsicherheit sei ein zentraler Aspekt technologischen Wandels, welchen es bei der Analyse von Innovationsprozessen prominent zu berücksichtigen gelte. Hiermit haben Nelson & Winter den Grundstein der Economics of Innovation and Technological Change als speziellen Bestandteil der allgemeinen, evolutionären Ökonomie gelegt. Gerade im Hinblick auf die Analyse technologischen Wandels muss für sie die Analogie zur Evolutionstheorie erweitert werden. Suchstrategien in Unternehmen seien nie rein stochastischer Natur, sondern durch bestimmte Heuristiken gerichtet, also vorstrukturiert. 9 Diese Suchheuristiken spiegeln den Stand der Technik wieder, machen also die aktuellen Suchrichtungen von vergangeneu Ereignissen abhängig. Pfadabhängigkeit bedinge sich in einer Vorstrukturierung von Suchrichtungen, wie sie sich aus dem jeweils aktuellen Stand der Technik ergebe. Das im Rahmen technologischen Wandels produzierte Wissen stelle jeweils die Basis für die weitere Wissensproduktion dar. Technologischer Wandel müsse daher immer auch ideengeschichtlich erklärt werden; dies könne im Rahmen formaler Modelle, die Wandel als diskrete Folge einzelner Allokationsentscheidungen betrachten, nicht geleistet werden (Nelson/Winter 1982: 255t). Die Unterschiede zwischen Industriebranchen erklären Nelson & Winter also über die Technologien der jeweiligen Branchen, genauer gesagt über die den Branchen zu Grunde liegenden technologischen Regimes (Nelson/Winter 1977: 41 ). In Kapitel 3 (S. 76ft) wird dies ausführlich zu diskutieren sein. In Europa wurde der Ansatz von Nelson & Winter vor allem durch die "SPRU-Schule" (Verspagen/Werker 2004) aufgegriffen und ausgebaut (vgl. Dosi et al. 1988; Fagerberg 2005). Freeman grenzt sich in seiner bahnbrechenden Arbeit vor allem von einem linearen Modell der Innovation ab: Die Unwägbarkeiteil von Forschungsaktivitäten sind für 9 Auf diese feine Sonderrolle der Analyse technologischen Wandels im Rahmen der evolutionären Ökonomie haben insbesondere van den Belt/ Rip (1987) hingewiesen.
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ihn integraler Bestandteil von Innovationsprozessen (Freeman 1982). Pavitt betont, dass technologischer Wandel wesentlich von den Strukturmerkmalen industrieller Branchen abhänge (Pavitt 1984). Es sindjedoch insbesondere die Arbeiten von Giovanni Dosi, in denen die Pfadabhängigkeit technologischen Wandels thematisiert wird. Genau wie Nelson & Winter betont er die Muster von Suchprozessen, die sich aus den Problemlöseheuristiken in Entwicklergemeinschaften ergeben (Dosi 1982, 1984). Technologie lasse sich dabei als Wissensbestand konzeptualisieren, der sowohl theoretische als auch praktische Elemente umfasse (Dosi 1988). Technologischer Wandel ist für Dosi ein gerichteter Prozess, der sich auf bestimmten Bahnen bewegt. Pfadabhängigkeit ergibt sich, genau wie bei Nelson & Winter, aus Suchheuristiken, die durch den jeweiligen Wissensbestand einer Branche vorstrukturiert sind. Auch auf die Arbeit von Dosi wird in Kapitel 3 (S. 80ff) noch ausführlich einzugehen sein. Im Laufe der 1990er Jahre hat sich aus diesen Ansätzen das Konzept der Innovationssysteme entwickelt, dessen Kernstück die verschiedenen institutionellen Einbettungen von Innovationsprozessen sind (vgl. Carlsson et al. 2002; Edquist 2005). Im Rahmen nationaler Innovationssysteme (National Systems of Innovation, NSI) werden vor allem die nationalen Besonderheiten und deren Einfluss auf Innovationsprozesse hervorgehoben (Freeman 1987; Lundvall 1992b; Nelson 1993; Edquist 1997a; Edquist/Hommen 2006). Vor allem Nelson & Rosenberg betonen, dass das institutionelle make-up einer Nationalökonomie Innovationsprozesse als Selektionsmechanismus organisationsspezifischer Routinen beeinflusst (Nelson/Rosenberg 1993). Durch den Vergleich verschiedener Länder sei es möglich, mehr über das komplexe Wechselspiel von Innovationen und ihrem institutionellen Rahmen zu lernen. Für Lundvall wirken die institutionellen Bedingungen eines Landes insbesondere auf die Lernprozesse in Wertschöpfungsketten: Nationale Innovationssysteme würden damit einen wesentlichen Einfluss auf die Effektivität der Wissensproduktion, -Verteilung und -ausbeutung ausüben (Lundvall 1992a). Für Edquist stellt die Verbindung dieser beiden Ansätze den Kern nationaler Innovationssystem dar: Es geht um die Kombination evolutionären Denkens und der Möglichkeit des Lernens (Edquist 1997b). Pfadabhängigkeiten ergeben sich in dieser Perspektive vor allem durch institutionelle Strukturen, in denen Innovationsprozesse eingebettet sind. Diese Breite des Ansatzes kann dabei auch als seine größte Schwäche angesehen werden, da er keine detaillierte Analyse der Entwicklungsprozesse spezifischer Technologien ermöglicht (vgl. Coombs et al. 2003).
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Auf diese Schwäche geht insbesondere der Ansatz der branchenspezifischen Innovationssysteme (Sectoral Systems of Innovation, SSoi) ein (Breschi/Malerba 1997; Malerba 2001, 2004). Dieser Ansatz betont die Bedeutung von Wissensbasen spezifischer Branchen und deren Wirkung auf den Verlauf von Innovationsprozessen. Die Autoren identifizieren vor allem drei relevante Eigenschaften einer Wissensbasis: die Nutzbarkeit (appropriability), die Kumulativität sowie die Opportunitätsstruktur. Lediglich die Opportunitätsstruktur würde dabei über verschiedene Länder variieren, Nutzbarkeit und Kumulativität seien dagegen vor allem branchen- und technologiespezifisch (Dosi/Orsenigo 1988; Malerba/Orsenigo 1990, 1996). Innovationsmuster seien damit in erster Linie branchenspezifisch und erst in zweiter Linie länderspezifisch. Dieser Ansatz betont damit die technologiespezifischen Determinanten technologischen Wandels. Pfadabhängigkeit ist durch eine Wissensbasis, die Technologie, bestimmt, die durch ihre strukturellen Eigenschaften den weiteren Verlauf von Innovationsprozessen beeinflussen. Branchenspezifische Innovationssysteme seien in diesem Sinne durch ein technologisches Regime charakterisiert (vgl. auch Marsili 2001 ). 10 Für die weitere Argumentation dieser Arbeit entfaltet der Ansatz branchenspezifischer Innovationssysteme seine Stärke darin, dass er die Möglichkeit der Abgrenzung verschiedener Branchen über ihren Wissensbestand ermöglicht. Gleichzeitig beinhaltet dies jedoch eine Vernachlässigung pragmatischer Wissensaspekte, also der Frage, wie sich die Wahrnehmung eines Wissensbestandes auf der Ebene von Akteuren widerspiegelt. Die Bedeutung von Branchen bezieht sich dann auf die Entwicklergemeinschaften, die mit der Weiterentwicklung einer Wissensbasis befasst sind. Dies wird ebenfalls in Kapitel 3 dargestellt, wenn die Wissenspraktiken in diesen Entwicklergemeinschaften zu diskutieren sind.
Technology Cycles und dominante Designs In der betriebswirtschaftliehen Managementliteratur konnte sich eine Perspektive etablieren, die Eigenschaften von Technologien und deren Auswirkungen auf technologischen Wandel und die Entwicklung von Industrien untersucht. Sie geht auf die Arbeiten von William Abernathy und James Utterback zurück, die Zyklen im Prozess technologischen Wandels identifizieren konnten, in denen jeweils Produkt- bzw. Prozess10 Man beachte den Unterschied zu den technologischen Regimes im Sinne von Nelson & Winter: Während diese ein Regime in Suchheuristiken begründet sehen, fokussiert der Ansatz branchenspezifischer Innovationssysteme strukturelle Eigenschaften von Wissensbasen (vgl. van der Poel 2003).
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innovationen die Entwicklung einer Technologie dominieren (Utterback/ Abernathy 1975). Als wesentliche Trennlinie zwischen solchen Zyklen bezeichnen sie die Entstehung eines dominanten Designstandard~, dessen Etablierung in einer Industrie Prozessinnovationen gegenüber Produktinnovationeil an Bedeutung gewinnen lässt (Abernathy/Utterback 1978). Dieser Ansatz ist in der Folge zu einer umfassenden Theorie der technology cycles erweitert worden, in denen sich Phasen diskontinuierlichen Wandels mit Phasen kumulativen Wandels abwechseln (vgl. allgemein Baum et al. 1995). Zwei idealtypische Ereignisse trennen diese Phasen voneinander. Diskontinuitäten beenden kumulativen Wandel innerhalb einer Produktklasse und läuten Phasen ein, in denen verschiedene Designparadigmen um die Durchsetzung auf einem Markt ringen (Teece 1986; 1988). Je nachdem, ob solche Diskontinuitäten kompetenzzerstörend oder -verstärkend sind, gehen sie mit mehr oder weniger weitreichenden Veränderungen der betroffenen Firmenpopulation einher (Tushman/Anderson 1986). Diskontinuierliche Phasen technologischen Wandels schließlich würden durch die Etablierung eines dominanten Designs beendet. Die Etablierung eines dominanten Designs markiere dabei sowohl die Reife als auch die Konsolidierung einer Branchenstruktur (Teece 1986; Anderson/Tushman 1990; Utterback/ Suarez 1993). Ein Zyklus beginnt von vorne, wenn erneut eine Diskontinuität die Regeln innerhalb einer Produktklasse radikal verändert. Die beiden Phasen eines technology cycles sind durch unterschiedliche Grade organisationaler Komplexität charakterisiert, so dass man idealtypisch von einer sozialen Konstruktion der Technik in diskontinuierlichen Phasen und von Technikdeterminismus in kontinuierlichen Phasen sprechen könne (Tushman!Rosenkopf 1992; Rosenkopf/Tushman 1994). Der technology cycles-Ansatz betont Pfadabhängigkeiten in Abhängigkeit von der Durchsetzung eines dominanten Designs. Durch die Etablierung eines gemeinsamen Produktstandards würden innerhalb einer Branche sowohl Marktstrukturen und Firmenpopulationen konsolidiert als auch technologische Eigenschaften einer Produktklasse fixiert. Es ist vor allem dieser zweite Aspekt, der uns hier interessiert. Im Rahmen des technology cyc/es-Ansatzes konnte gezeigt werden, dass es immer auch technologische Entscheidungen hinsichtlich bestimmter Designregeln sind, die die Grundlage für pfadabhängigen technologischen Wandel begründen. Die Etablierung eines Standards zieht eine Phase der Ausarbeitung des entsprechenden Produkts nach sich, in der inkrementelle Verbesserungen und Prozessinnovationen überwiegen, die jedoch keine entscheidenden Veränderungen des grundsätzlichen Designs mit sich bringen. Der technology cycles-Ansatz hat die technologischen Fixierungen ausgearbeitet und beschrieben, die mit der Etablierung von dominanten
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Desigmegeln und Produktarchitekturen innerhalb einer Branche einhergehen. Auch hierauf wird in Kapitel 3 (S. 84ff) ausfUhrlieh zurückzukommen sein. Die in diesem Abschnitt diskutierten wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze setzen sich mit dem Verhältnis von Technologie auf der einen sowie Wettbewerb und wirtschaftlichem Wachstum auf der anderen Seite auseinander. Pfadabhängigkeit ist ein Thema, das sich durch die verschiedenen Ansätze zieht, allerdings auf sehr verschiedene Arten und Weisen. Insbesondere ist eine Unterscheidung hervorzuheben: Pfadabhängigkeit im Sinne von Brian Arthur und Paul David bezieht sich auf die Entscheidungen von Individuen und deren Einfluss auf die Bedingungen für nachfolgende Entscheidungen. Technologie bleibt in dieser Perspektive weitgehend eine black box. Die anderen hier diskutierten Perspektiven betonen jedoch die Bahnen, auf denen technologische Entwicklung verläuft, und die durch den Stand der Technik selbst beeinflusst werden. Technologie wird zu einer endogenen Größe, deren Eigenschaften Einfluss auf den weiteren Verlauf ihrer Entwicklung nehmen. Wie dies genau geschieht bzw. wie die hier diskutierten Ansätze dies darstellen, wird Thema von Kapitel 3 sein. Dort wird insbesondere gezeigt, dass genau für diesen Zusammenhang eine Analogie zu Thomas Kuhns Konzept wissenschaftlicher Paradigmen (Kuhn 1970a) von zentraler Bedeutung ist.
Technologischer Wandel als sozial gestalteter Prozess In der sozialwissenschaftliehen Innovationsforschung wird neben der Bedeutung sozialer Netzwerke allgemein die Vielfalt sozialer Gestaltungsfaktoren des technologischen Wandels diskutiert. Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Ansätzen zur Pfadabhängigkeit wird hier die prinzipielle Offenheit und soziale Kontingenz von Innovationsprozessen hervorgehoben. Diese seien im Grunde komplexe soziale Prozesse, die durch Handlungen und Interaktionen von Akteuren geformt werden. Diese Perspektive lässt sich unter dem Begriff The Social Shaping of Technology (SST} subsumieren: The ernerging interactive model conceives innovation as a complex social activity: an iterative, or spiral process that takes place through interactions amongst an array of actors and institutions involved and affected. Innovation is a process of struggle [... ] as weil as a technical problem-solving process, involving interest articulation as weil as leaming processes. This framework
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highlights the types of expertise possessed by different actors in the innovation process and the flows of information between them [... ]. (Williams/Edge 1996: 875)
SST ist dabei keineswegs als homogenes Theorieangebot zu verstehen, sondern stellt eine "broad church" (Russell/Williams 2002) dar, unter der ganz unterschiedliche theoretische Perspektiven gefasst werden können. Dieses habe zwar ein kumulatives theoretisches Wachstum behindert (Williams!Edge 1996), dennoch konnte eine bemerkenswerte Anzahl empirisch sehr reichhaltiger Studien vorgelegt werden, 11 mit denen die Vielfältigkeit und Formbarkeit technologischen Wandels dargestellt wird (insbesondere MacKenzie/Wajcman 1985; Bijker et al. 1987; Bijker/Law 1992; MacKenzie/Wajcman 1999; Sörensen/Williams 2002). Eine Gemeinsamkeit der verschiedenen SST-Perspektiven besteht in der Ablehnung technikdeterministischer Erklärungen von Innovation. Vielmehr gehe es darum, Technologie primär als sozialen Prozess zu betrachten, nicht umgekehrt (Pinch!Bijker 1984: 406; Russell/Williams 2002: 39f). Für die Ursprünge des SST körmen drei wichtige theoretische Strömungen identifiziert werden: The Social Construction of Technology (SCOT), die großtechnischen Systeme sowie die Actor Network Theory. Der SCOT-Ansatz importiert die sozialkonstruktivistische Perspektive der Wissenschaftssoziologie in eine Soziologie der Technik: Sein Kern ist die symmetrische Betrachtung der Entwicklungslinien von Artefakten (Pinch/Bijker 1984; 1987). Der soziale Prozess, der zur Durchsetzung eines Artefakts führt, könne nur dann verstanden werden, wenn man erfolgreiche und gescheiterte Artefakte als gleichermaßen "richtig" betrachten würde. Die zentralen Konzepte des SCOT-Ansatzes sind interpretative Flexibilität, soziale Schließung, Stabilisienmg und relevante soziale Gruppen: Die sozialkonstruktivistische Perspektive beinhaltet, dass Artefakte als Bedeutung, die ihnen von bestimmten Akteuren zuge11 In gewisser Weise drückt sich hierin die von Abell skizzierte Spannung zwischen Ökonomie und Soziologie aus (Abell 2003: 5t): Der Ökonomie liege ein parametrisches Modell sozialer Interaktion zugrunde, in dem andere Akteure gegenüber dem betrachteten Akteur als exogene Größe zu betrachten sind. Die Soziologie dagegen wende ein strategisches Modell der Interaktion an, in dem alle Handlungen endogen produziert würden. Das strategische Modell der Interaktion sei natürlich das realistische, die Spannung beider Disziplinen läge jedoch darin zu bestimmen, wann das parametrische Modell der Interaktion eine zulässige Vereinfachung ist. Damit gehe eine theoretische Rigidität einher, die mit einem strategischen Modell nicht zu erreichen sei. Für die Innovationsforschung stelle sich damit die Herausforderung, die Rigidität ökonomischer Analyse mit der Spezifität soziologischer Analyse zu verbinden.
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schrieben wird, existieren. Genau hierdurch konstituiere sich eine relevante soziale Gruppe: sie teilt die Bedeutung, die sie einem Artefakt zuschreibt. Für die Entwicklung eines Artefakts sind damit zunächst alle sozialen Gruppen relevant, für die dieses Artefakt eine Bedeutung hat. Hierin beg1ündet sich interpretative Flexibilität: Es gibt keine Artefakte an sich, sondern nur verschiedene Wahrnehmungen dieser Artefakte. Auf der Grundlage dieser Wahrnehmungen würden die verschiedenen Gruppen die dominierende Interpretation aushandeln. Am Ende dieses Prozesses stehe die soziale Schließung: Eine Interpretation hat sich als die dominierende durchgesetzt. Eine soziale Schließung ist dabei nicht endgültig, sondern kann z.B. durch das hinzutreten neuer Akteure wieder geöffnet werden (Pinch 2001; Bijker/Pinch 2002). SCOT ist für den allgemeinen Bezugsrahmen dieser Arbeit insofern relevant, als dass der Ansatz den Hintergrund für das Konzept der technological frames darstellt, mit denen Bijker (1987; 1995) Muster und Regelmäßigkeiteil im Prozess technologischen Wandels erklärt (siehe Kapitel 3, S. 87ft). Die Perspektive großtechnischer Systeme geht auf die Arbeiten des Technikhistorikers Thomas Hughes zu1ück (Hughes 1983, 1987; Mayntz/Hughes 1988). Im Kern des Ansatzes handelt es sich darum, "technische Großstrukturen in ihren komplexen Entstehungsprozessen, aber auch in ihrem Funktionieren, ihren Wechselwirkungen mit der Gesellschaft und schließlich ihrem Niedergang zu untersuchen." (Feitet al. 1995: 195) Für Hughes sind großtechnische Systeme immer sozial konstruiert und werden von system builders in Auseinandersetzung mit ökonomischen, sozialen und politischen Gegebenheiten entwickelt. Die Systembauer würden ein großtechnisches System in den verschiedenen Phasen von der Erfindung über die Entwicklung bis hin zu Etablierung und Wachstum begleiten. Entsprechend unterscheidet Hughes ErfinderEntrepreneure, Manager-Entrepreneure und Finanzier-Entrepreneure. Für die Entwicklung eines großtechnischen Systems spielen bei ihm reverse salients eine wichtige Rolle, also jene Bestandteile eines Systems, die besondere Problemlöseaktivitäten einzelner system builders erfordern. Die Analyse großtechnischer Systeme fokussiert solche Technologien, die die gesamte Struktur einer Gesellschaft betreffen und ist in seiner Erklärungskraft auf solche beschränkt (van den Belt/Rip 1987). Seine Stärke liegt in der Betonung eines seamless web zwischen dem Sozialen und dem Technischen, welches natürlich realiter die Formung technologischen Wandels bestimmt. In der Perspektive der vorliegenden Arbeit - soviel dürfte bereits deutlich geworden sein - geht es jedoch darum, die Elemente eines solch nahtlosen Zusammenhangs zumindest idealtypisch zu entwirren. Der Ansatz großtechnischer Systeme wird im weiteren daher nur eine untergeordnete Rolle spielen.
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Die Actor Network Theory (ANT} ist in erster Linie mit den Namen von Bruno Latour, Michel Callon und John Law verknüpft (vgl. u.a. Callon 1986; Callon 1987; Latour 1987; Law 1987; Latour 1988, 1991). Ihre wesentliche Besonderheit ist die symmetrische Betrachtung von Menschen und Artefakten; im Rahmen der ANT gibt es nur noch Aktanten, die gleichberechtigt Einfluss auf den Prozess technologischer Entwicklung nehmen. Insbesondere hebt sich in dieser Perspektive jegliche Unterscheidung intemalistischer und extemalistischer Perspektiven auf den technologischen Wandel auf. Vielmehr interagieren im Zuge technologischen Wandels symmetrische Aktanten in Akteur-Netzwerken, denen selbst wieder Eigenschaften sowohl von Akteuren als auch von Netzwerken zugesprochen werden. Insbesondere Callon betont in diesem Zusammenhang die Rolle von techno economic networks, in denen die Sphären von Wissenschaft, Politik und Technik miteinander verwoben sind (vgl. Callon 1991; Callon 1992). Die ANT verfolgt in ihrer Gleichbehandlung unterschiedlichster Elemente technologischen Wandels ein radikales philosophisches Programm. Sie wird für die weitere Argumentation dieser Arbeit keine Rolle spielen. Social Shaping ofTechnology betrachtet technologischen Wandel im Grundsatz als sozialen Prozess. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der hier eingenommenen Perspektive auf Innovationsprozesse. Eine generelle Spannung, welche sich durch die verschiedenen Perspektiven des SST zieht, besteht zwischen der Betonung der prinzipiellen Offenheit und Kontingenz technologischen Wandels einerseits und der Beschreibung stabilisierender Muster und Regelmäßigkeiten andererseits (vgl. Russell/Williams 2002: 63). Dieses Spannungsverhältnis zwischen sozialen Faktoren in Innovationsprozessen und der Bedeutung lokaler Muster und Strukturen in ansonsten weitgehend kontingenten Gestaltungsprozessen wird in Kapitel 3 ausfuhrlieh diskutiert, wenn die Rolle von Entwicklergemeinschaften im Prozess des technologischen Wandels zu bestimmen ist. Darüber hinaus ist das Konzept der sozialen Schließung von zentraler Bedeutung für die weitere Argumentation dieser Arbeit. Im Rahmen der SST-Perspektive stellt es die Stabilisierung eines Netzwerkes dar, welches sich um ein Artefakt bildet (vgl. Bijker 1995: 282).
Zwischenbilanz Die in diesem Kapitel diskutierten Perspektiven auf Innovation und technologischen Wandel stammen aus sehr unterschiedlichen Kontexten. Eine zusammenfassende Würdigung und ein Vergleich würden daher den Rahmen an dieser Stelle sprengen. Als gemeinsamer Bezugspunkt 41
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kann jedoch festgehalten werden, dass technologischer Wandel- möchte man ihn denn als endogene Größe beschreiben und analysieren - ein sozial und ökonomisch gestalteter Prozess der Wissensproduktion ist. Dieses betonen, zugegebenermaßen in unterschiedlichen Gewichtungen, sowohl die heterodoxen ökonomischen als auch die sozialwissenschaftliehen Ansätze. Netzwerke sind in diesem Zusammenhang als Strukturform wichtig, die den Zugang zu heterogenen Wissensressourcen regelt. Technologischer Wandel ist dabei nicht beliebig kontingent, sondern er ist in Strukturen eingebettet und durch Muster charakterisiert, durch die es immer wieder Formen lokaler und begrenzter Stabilität gibt. Dies hat die kurze Diskussion der verschiedenen Ansätze zur Pfadabhängigkeit gezeigt, wobei auch hier die ganz unterschiedlichen Akzentsetzungen ins Auge fallen. Insofern geht es bei der Diskussion um Pfadabhängigkeit nicht allein um die Tatsache, dass Geschichte zählt, sondern es werden unterschiedliche Arten und Weisen ausgearbeitet, wie Geschichte zählt. Weit über die Feststellung der intertemporalen Abhängigkeit aggregierter Einzelentscheidungen (Arthur; David) hinaus, konnte gezeigt werden, dass technologischer Wandel auf institutioneller, ökonomischer und technologischer Ebene kumulativ verläuft - zumindest in bestimmten Phasen. Die SST-Perspektive schließlich stellt eine in sich heterogene und breite Sichtweise auf technologischen Wandel dar. Insbesondere wird hier die soziale Offenheit technologischer Entwicklung thematisiert und eine Abgrenzung zu technikdeterministischen Modellen der Innovation vorgenommen. Auf dieser breiten Ebene folgt die vorliegende Arbeit der SST- Perspektive: Innovationsprozesse werden als soziale Prozesse verstanden, die durch heterogene soziale Akteure geformt werden. Allerdings ist genau dieser Aspekt des SST für das Erklärungsinteresse dieser Arbeit zu allgemein. Insofern geht es auch darum, die verschiedenen Elemente und Gestaltungsfaktoren im breiten, kontingenten und symmetrischen Prozess technologischen Wandels idealtypisch zu entwirren und Muster und Regelmäßigkeiten aufzuzeigen. Wissen spielt ftir die Beschreibung von Innovationsprozessen eine zentrale Rolle. Technologien lassen sich als Wissensbestände und technologischer Wandel lässt sich als Produktion neuen Wissens darstellen. Pfadabhängigkeit entsteht immer auch durch einen Stand der Technik (Wissensbasis), der die weitere Entwicklung seiner selbst (Produktion neuen Wissens) vorstrukturiert. Die soziologischen Implikationen dieses Zusammenhangs sind jedoch bisher nicht himeichend untersucht worden. Dies wird Thema des nun folgenden Kapitels 3 sein, in dem auf der Ebene einer Industriebranche der Zusammenhang zwischen einem Stand der Technik, der Wissensproduktion und der Gemeinschaft derjenigen,
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die mit dieser Wissensproduktion betraut sind, hergestellt wird. Insbesondere der Einfluss von Thomas Kuhns Konzept wissenschaftlicher Paradigmen in den verschiedenen Zweigen der Innovationsliteratur gilt es hier zu beleuchten. Es wird gezeigt, dass - ganz wie in der Arbeit Kuhns selbst (vgl. Harwood 1986; Donglas 1991) - die soziologischen Implikationen des Paradigmabegriffs fllr die Innovationsforschung bisher nicht ausreichend nutzbar gemacht worden sind.
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3. Die "Priorität der Paradigmata" im Mainstream der Innovationsforschung
Jazz is not just, , Well, man, this is what I feel like playing.' lt's a very structured thing that comes down rrom a tradition and requires a Iot of thought and study. Wynton Marsa/is Jazz tunes are great vehicles. They areformsthat can be used and reused. Their implications are intinite. Lee Konitz1
In Kapitel 2 wurden verschiedene Ansätze der InnovationsforschW1g diskutiert. Es wurde dargelegt, dass Innovationsprozesse sich als sozial gestaltete Prozesse der Wissenserzeugung verstehen lassen. Verschiedene Theorieperspektiven thematisieren darüber hinaus unter dem Stichwort die Pfadabhängigkeit technologischen Wandels, also Muster W1d Regelmäßigkeiten, die unter bestimmten Umständen und in bestimmten Phasen Innovationsprozesse stabilisieren und so den Gmndstein für eine Form kumulativen Fortschritts legen. Dieses Kapitel setzt sich mit einem Aspekt der Pfadabhängigkeit auseinander, wie er durch übergreifende Bezugsrahmen begründet wird, die die Wissensproduktion in Innovationsprozessen anleiten. Sowohl in der sozial- als auch der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden verschiedene solcher Bezugsrahmen ausgearbeitet und ihre Bedeutung für den technologischen Wandel analysiert. Diesen Ansätzen ist eine Verankemng in den wissenschaftstheoretischen Arbeiten von Thomas Kuhn und Ludwik Fleck insofern gemeinsam, als sie Analogien insbesondere zu den wissenschaftlichen Paradigmen im Sinne Kuhns zur Erklämng technologischen 1 Beide Zitate aus Berliner (1994).
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Wandels nutzen. Ausgehend von den Originalarbeiten dieser beiden Autoren aus den Jahren 1935 bzw. 1962 werden die Ansätze der Innovationsforschung diskutiert und verglichen. Insbesondere die beiden Dimensionen der Kuhnschen Paradigmen - Konstellationen von Gruppenpositionen und Beispiellösungen - dienen als wichtige Grundlage, um einen spezifischen Stil der Wissenserzeugung, der sich auf eine Beispiellösung bezieht, als zentralen Bestandteil eines Paradigmas herauszuarbeiten. Das Kapitel gliedert sich in drei Abschnitte. Zunächst werden die Arbeiten von Kuhn und Fleck vergleichend dargestellt. Anschließend werden die verschiedenen Ansätze in der Innovationsforschung diskutiert, die sich auf diese Arbeiten berufen. Abschließend folgt die präzisierende Definition eines technologischen Paradigmas, welche die Grundlage für die weitere Argumentation dieser Arbeit darstellt. Für Kuhn sind wissenschaftliche Paradigmen den expliziten Regeln und Annahmen einer wissenschaftlichen Gemeinschaft vorangestellt. Er spricht in diesem Zusammenhang von der "Priorität der Paradigmata" (Kuhn 1976: 57), um auszudrücken, dass Paradigmen auch dann eine Gruppenzugehörigkeit bewirken, wenn über die expliziten Regeln des Paradigmas keine Einigkeit herrscht. In diesem Kapitel werden wir sehen, dass auch die Innovationsforschung sowohl wirtschafts- als auch sozialwissenschaftlicher Ausrichtung von einer "Priorität der Paradigmata" geprägt ist. Die Grundlage kumulativen technologischen Wandels sind Bezugsrahmen, die bestimmte Entwicklungspfade spezifischer Technologien abstecken. Diese Bezugsrahmen werden als Voraussetzung für sinnvolle Innovationsprozesse gesehen, da sie - ganz im Sinne Kuhns- die Basis für einen gerichteten Wandel "in die Tiefe" schaffen. Sie ermöglichen eine soziale Schließung, die Phasen radikaler Umbrüche in Phasen normaler "Aufräumarbeiten" überführt. Letztere stellen eine Form des Fortschritts dar, die durch die Wirkung eines Paradigmas koordiniert wird.
Wissenschaftliche Paradigmen und Denkstile als kollektive Strukturen der Wissensproduktion - Die Beiträge von Thomas Kuhn und Ludwik Fleck Wissenschaftliche Gemeinschaften und Paradigmen Kuhns Buch "The Structure of Scientific Revolutions" erschien erstmals 1962 und wurde 1970 mit einem umfangreichen Nachwort neu aufgelegt, in dem Kuhn zu einigen Unklarheiten seines ursprünglichen Textes Stellung nimmt. Die Arbeit löste unmittelbar nach ihrem Er-
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scheinen eine umfangreiche, wissenschaftstheoretische Diskussion aus (Lakatos/Musgrave 1970) und ist bis heute eines der meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten überhaupt. 2 Diese Debatte wird in Teilen Gegenstand dieses Kapitels sein. Zunächst sollen jedoch die zwei wesentlichen Aspekte der Kuhnschen Arbeit vorgestellt werden, die Eingang in die Innovationsforschung gefunden haben: das Konzept des wissenschaftlichen Paradigmas, sowie die darauf aufbauende Beschreibung eines normalen wissenschaftlichen Fortschritts. Meine Ausführungen beziehen sich auf die deutsche Ausgabe der zweiten Auflage der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" von 1976 (Kuhn 1976).3 Kuhns Arbeit verstand sich als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte. Ihre wesentliche und revolutionäre Leistung lag darin, dass er auf Brüche in der historischen Entwicklung von Wissenschaften hinwies. Kuhn zweifelte die damals übliche Annahme eines ausschließlich kumulativen Charakters von Wissenschaft an und zeigte auf, dass Wissenschaft in Perioden kumulativen Wandels und revolutionärer Umbrüche verläuft. 4 V ergangene Beobachtungen und Anschauungen sind damit nach Kuhn in ihrer Zeit und ihrem Kontext nicht unwissenschaftlicher als aktuell akzeptierte Anschauungen; sie beruhen jedoch auf anderen Grundannahmen als die aktuell anerkannte Wissenschaft (Kuhn 1976: 16f). Kuhn rückt diese Grundannahmen in das Zentrum seiner Betrachtung: Jede wissenschaftliche Gemeinschaft habe eine bestimmte Art, die Welt zu sehen und Wissenschaft in ihr auszuüben. Wissenschaftlicher Fortschritt beruhe damit nicht mehr darauf, dass bestimmte Annahmen als "unwissenschaftlich" qualifiziert würden. Vielmehr müsse er als Veränderung der grundsätzlichen, anerkannten Überzeugungen einer wissenschaftlichen Gemeinschaft gedeutet werden (Kuhn 1976: 18f). Wissenschaftlicher Fortschritt kommt damit im Sinne Kuhns einer Verfeinerung gleich, nicht einer Annäherung an eine wie auch immer geartete Wahrheit. Die grundsätzlichen Überzeugungen würden im Rahmen der wissenschaftlichen Ausbildung tradiert und auf einer oder mehreren Leistungen der Vergangenheit beruhen, "die von einer bestimmten wissenschaftlichen 2 Zur umfangreichen Rezeptionsgeschichte Kuhns in verschiedenen Disziplinen vgl. Fuller (2003). 3 Diese Ausgabe verwendet den Ausdruck "Paradigmata" als Plural eines "Paradigmas". Tm Rahmen dieser Arbeit wird die Pluralform "Paradigmen" vorgezogen. 4 Kuhn befand sich hiermit im Widerspruch zu der Auffassung von Wissenschaft, wie sie insbesondere durch Kar! Popper vertreten wurde (Kuhn 1976: 157ft). Für Popper ist das Wachstum wissenschaftlicher Erkenntnis ein kumulativer Prozess, in dem Annahmen über die Welt in Überprüfung an den Tatsachen falsifiziert werde (Popper 1968; 1989: 53). Vgl. hierzu auch Kuhn (1970b) und Popper (1970).
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Gemeinschaft eine Zeitlang als Grundlagen für ihre weitere Arbeit anerkannt werden." (Kuhn 1976: 25) Es sind diese bahnbrechenden, tradierten Leistungen, die Kuhn zunächst als wissenschaftliches Paradigma bezeichnet (Kuhn 1976: 25). Im Allgemeinen würden solche Leistungen in Lehrbüchern beschrieben und dazu dienen, die anerkannten Methoden und Probleme eines Forschungsgebiets zu bestimmen. Paradigmen stellen für Kuhn die Grundlage einer wissenschaftlichen Disziplin dar. Sie würden von den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Gemeinschaft geteilt und enthöben diese aus einem vorparadigmatischen Zustand. Beobachtbare Phänomene stünden dann nicht mehr als lose Ansammlung relativ unverbunden nebeneinander. Kuhn liefert in der Erstausgabe der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" eine heuristisch reiche Beschreibung seines Paradigmaverständnisses, verwendet den Ausdruck selbst jedoch nicht eindeutig. Wissenschaftliche Paradigmen werden mal als vergangene, bahnbrechende Leistungen, mal als Schulen oder Zweigschulen, mal als Theorie(n) und an anderer Stelle wieder als Methoden oder musterhafte Beispiellösungen beschrieben. So konnte Masterman (1970) 21 verschiedene Arten identifizieren, in der Kuhn den Begriff "Paradigma" verwendet. Kuhn selbst hat zu dieser Uneindeutigkeit in seinem Postskriptum von 1970 Stellung genommen. Neben "stilistischen Unstimmigkeiten", die "relativ leicht eliminiert" (Kuhn 1976: 193) werden könnten, unterscheidet er nun vor allem zwei unterschiedliche Bedeutungen eines Paradigmas. Einerseits stehe es für eine Konstellation von Meinungen, Werten und Methoden, die von einer wissenschaftlichen Gemeinschaft geteilt würden, andererseits beschreibe es ein bestimmtes Element in dieser Konstellation, nämlich konkrete Problemlösungen, die als Vorbilder und Beispiele dienten (Kuhn 1976: 186, 193-203). Kuhn bezeichnet solche Beispiele als Musterlösungen. Wissenschaftliche Paradigmen bestehen in diesem Sinne aus kognitiven Aspekten einerseits sowie materiellen bzw. instrumentellen Aspekten andererseits. Die kognitiven Aspekte (Meinungen, Werte, Methoden) leiten sich dabei von den jeweiligen Musterlösungen ab. Für Kuhn wird dadurch innerhalb einer Paradigmagemeinschaft eine hohe kognitive Kohärenz in Form eines einheitlichen Gestaltsehens hergestellt (Kuhn 1976: 201). Kognitive Aspekte eines Paradigmas beziehen sich auf die Konstellationen von Gruppenpositionen und bezeichnen die Gemeinsamkeiten einer Spezialistengemeinschaft.5 Kuhn bleibt bei seiner Beschreibung dieser Gemeinsamkeiten verhältnismäßig vage, macht jedoch eines deut5 Kuhn schlägt in dem Postskriptum vor, diese Bedeutung eines Paradigmas durch die Bezeichnung "disziplinäres System" zu ersetzen (Kuhn 1976: 194). Diese Bezeichnung hat sich jedoch nicht durchsetzen können.
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lieh: Paradigmen im Sinne gemeinsamer Gruppenpositionen enthalten immer explizite und implizite Elemente und können daher nie vollständig in Regeln und Annahmen ausgedrückt werden. Kuhn spricht in diesem Zusammenhang von einer "Priorität der Paradigmata" (Kuhn 1976: 57). Ein Paradigma sei zwar relativ leicht zu identifizieren, seine Existenz setze jedoch nicht voraus, dass innerhalb einer Gruppe auch Konsens über die expliziten Regeln herrsche, die die entsprechende Forschungstradition ausmachen. "In der Tat folgt aus der Existenz eines Paradigmas nicht einmal, daß irgendein vollständiges System von Regeln vorhanden ist." (Kuhn 1976: 58) Kuhn ist davon überzeugt, dass gerade der weitgehend implizite Charakter gemeinsamer Gruppenpositionen die Identifizierung von Paradigmen erleichtert. Gemeinsame Regeln zu identifizieren sei dagegen eine "Quelle fortgesetzter und tiefer Enttäuschung." (Kuhn 1976: 58) Die verschiedenen Aspekte eines Paradigmas würden daher nicht zwangsläufig von allen Mitgliedern in gleicher Weise interpretiert. Kuhn bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Familienähnlichkeit im Sinne Wittgensteins. Die verschiedenen Aspekte eines Paradigmas seien ein Netz sich überdeckender und kreuzender Ähnlichkeiten. Obwohl es nicht möglich sei zu explizieren, was ein bestimmtes Paradigma ausmache, ließe es sich in der Regel gut bestimmen, dass bestimmte Gruppenpositionen durch ein gemeinsames Paradigma gekennzeichnet sind. Paradigmen im Sinne gemeinsamer Gruppenpositionen enthalten also implizite Grundannahmen über die Welt, die von einer Gruppe Spezialisten geteilt werden. Diese Grundannahmen existieren in den Köpfen dieser Spezialisten und werden sowohl durch die Ausbildung in einer wissenschaftlichen Disziplin als auch durch gemeinsame Erfahrungen im Lösen bestimmter Probleme tradiert und gefestigt (vgl. Kuhn 1976: 59f). Weiter unten wird zu zeigen sein, dass vor allem die Kuhnschen Paradigmen im Sinne gemeinsamer Gruppenpositionen weitgehende Parallelen zur Konzeption der Denkstile von Ludwik Fleck aufweisen. Sie existieren unabhängig von einer gemeinsamen Beispiellösung als kognitive Linse, durch die Spezialisten auf die Welt schauen. Als Bestandteile dieser Linse identifiziert Kuhn in seinem Postskriptum von 1970 drei zentrale Elemente: (i) symbolische Verallgemeinerungen, (ii) die gemeinsame Bindung an Auffassungen und (iii) Werte (Kuhn 1976: 194-197). Der implizite Charakter dieser Linsen mache es darüber hinaus möglich, dass Spezialisten sowohl graduell unterschiedlich in ein Paradigma eingebunden als auch unterschiedlichen Paradigmen gleichzeitig zugehörig sein können (Kuhn 1976: 63f, 155-170, 194). Die nach Kuhn neuartigere Verwendung des Paradigmabegriffs bezieht sich jedoch auf Musterbeispiele, d.h. "die konkreten Problemlö49
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sungen, denen die Studenten von Anfang ihrer wissenschaftlichen Ausbildung an begegnen, ob in Laboratorien, in Prüfungen oder am Ende von Kapiteln wissenschaftlicher Lehrbücher." (Kuhn 1976: 198) Es ist diese neuartigere Verwendung des Begriffs, die die Besonderheit der Kuhnschen Konzeption ausmacht. Sie knüpft unmittelbar an die "Priorität der Paradigmata" an. Die Theorien und die Regeln eines Paradigmas könne man anhand der Musterlösungen erlernen, ohne dass dies ein explizites Verständnis voraussetze. Das Verständnis von Theorien und Regeln sei ohne das beispielhafte Nachvollziehen von Musterlösungen nicht möglich, wogegen diese ohne die Kenntnis von Theorien und Regeln erlernt werden könnten (vgl. Kuhn 1976: 199, 203). Kuhn beruft sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die damals noch neuen Arbeiten von Michael Polanyi zum implizitem Wissen (vgl. Kuhn 1976: 226nl). Erst die musterhaften Problemlösungen würden es ermöglichen, die impliziten Aspekte eines Paradigmas zu erwerben, die nicht durch Theorien und Regeln beschreibbar sind. Kuhn deutet hier an, dass flir Paradigmen neben kognitiven Aspekten vor allem auch materielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Nur durch konkrete Situationen erschließe sich dem Studenten die Bedeutung abstrakter Regeln. Diese Situationen seien der Entscheidung eines Präzedenzfalls in den Rechtswissenschaften ähnlich, "ein Objekt für weitere Artikulierung und Spezifizierung unter neuen oder strengeren Voraussetzungen." (Kuhn 1976: 37) Es sind diese musterhaften Problemlösungen, die, wie noch zu zeigen sein wird, den Kern einer Übertragung der Kuhnschen Konzeption wissenschaftlichen Wandels auftechnologischen Wandel ausmachen. Die zentralen Bestandteile eines Paradigmas sind damit für Kuhn musterhafte Probleme und zulässige Problemlösungen, die die "Gestalt" umschreiben, unter denen Situationen aus der Sicht eines Paradigmas zu deuten sind (Kuhn 1976: 201). Auch wenn diese Probleme und Problemlösungen Teil einer gemeinsamen Gruppenposition sind, so unterscheiden sie sich doch von den Paradigmen im Sinne einer kognitiven Linse. Problemen und Problemlösungen kommt ein Objektcharakter zu, den die anderen Elemente nicht haben. Sie sind in konkrete Situationen eingebettet und von diesen nur bedingt abstrahierbar. In diesem Sinne stellen sie die materielle Basis eines Paradigmas dar, die nach Kuhn auf fundamentale Weise in Wechselwirkung zu den kognitiven Aspekten desselben Paradigmas steht. Die materiellen Aspekte spielen für Kuhn eine zentrale Rolle, da Theorien und Regeln in sie eingeschrieben sind (Kuhn 1976: 199). Wissenschaftliche Paradigmen existieren damit in den Köpfen von Spezialisten einerseits und in konkreten Musterbeispielen (Schemata) andererseits.
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Wissenschaftliche Paradigmen sind die Grundlage, auf der Kuhn den wissenschaftlichen Fortschritt beschreibt. Dieser sei im Wesentlichen durch zwei Elemente charakterisiert: Phasen normaler Wissenschaft und Phasen radikaler Umbrüche, der wissenschaftlichen Revolutionen. Normale Wissenschaft finde auf der Grundlage eines Paradigmas statt; bei wissenschaftlichen Revolutionen handele es sich um die Ablösung eines Paradigmas durch ein Neues. Für Kuhn besteht normale Wissenschaft in erster Linie in der Verfeinerung eines Paradigmas. Sie sei mit "Aufräumarbeiten" vergleichbar, im Zuge derer erwartbare Lösungen zu anerkannten Problemen produziert würden. Bedeutende Neuerungen gehören damit nicht zu den Bestrebungen normaler Wissenschaft. Das zentrale Element normaler Wissenschaft sei vielmehr das Lösen von Rätseln (puzzlesolving). Normale Wissenschaft stelle ein "höchst kumulatives Unternehmen" (Kuhn 1976: 65) dar, das jedoch keine Behauptungen, sondern lediglich Rätsel kenne, die es zu lösen gelte. Ein normales Forschungsproblem zum Abschluß zu bringen heißt, das Erwartete auf einen [sie!] neuen Weg erreichen, und es erfordert die Lösung einer Vielzahl umfangreicher instrumenteller, begrifflicher und mathematischer Rätsel. (Kuhn 1976: 50) Einer der Gründe fiir den offenbar schnellen Fortschritt der normalen Wissenschaft ist, daß man sich bei ihr auf Probleme konzentriert, an deren Lösung nur Mangel an Scharfsinn hindem könnte. (Kuhn 1976: 51) Die Verfeinerung eines Paradigmas führe zum Auftauchen von Anomalien, also solchen Entdeckungen, die den Erwartungen eines Paradigmas widersprechen. In diesen sieht Kuhn die Basis grundlegender Neuerungen und radikaler Umbrüche. Wissenschaftlicher Fortschritt im Sinne Kuhns ist damit durch ein zentrales Paradoxon gekennzeichnet: Die nicht auf bedeutende Neuerungen ausgerichtete normale Wissenschaft ist Vorraussetzung dafür, dass solche Neuerungen überhaupt entstehen können. Erst die klare Beschreibung zulässiger Probleme und akzeptierter Lösungen, also die Beschreibung dessen, was erwartbar ist, ermöglicht es überhaupt, das Unerwartete als solches und damit als Anomalie zu erkennen. Das Paradigma wird zur Vorraussetzung seiner eigenen Ablösung. [... ] dann muß die Forschung im Zeichen eines Paradigmas besonders erfolgreich in der Herbeiführung eines Paradigmawechsels sein. Einen solchen bewirken grundlegend neue Fakten und Theorien. Nachdem sie bei einem Spiel, das einem System von Regeln folgte, unbeabsichtigt erzeugt worden sind, ver-
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langt ihre Rezipierung ein neues Regelsystem. Und wenn sie schließlich ein Teil der Wissenschaft geworden sind, ist das Unternehmen zumindest jener Spezialisten, in deren Gebiet die neuen Erkenntnisse fallen, nicht mehr ganz das frühere. (Kuhn 1976: 65) ln der Wissenschaft tritt das Neue [...] nur mit einer sich durch Widerstand manifestierenden Schwierigkeit zutage, und zwar vor einem durch Erwartung gebildeten Hintergmnd. (Kuhn 1976: 76) Entdeckungen, die den Erwartungen normaler Wissenschaft nicht entsprechen, würden zu einer Erforschung des Bereichs dieser Anomalie führen. Diese Erforschung finde ihr Ende erst, wenn das "Anomale zum Erwarteten wird" (Kuhn 1976: 66). Dieses setze mehr als eine additive Anpassung des Paradigmas voraus; es verlange von den beteiligten Wissenschaftlern, die Natur anders zu sehen. Hierin liegt der Schlüssel zum Kuhnschen Verständnis wissenschaftlicher Revolutionen, die er an mehreren Stellen mit einer Gestaltverschiebung vergleicht. Es erfolge eine Verschiebung des Begriffsnetzes, wodurch sich die anerkannten Probleme und Normen ändern würden, die wissenschaftliche Lösungen definieren (Kuhn 1976: 98). Für Kuhn ist dieser Vorgang der Gestaltverschiebung ein Prozess, der schließlich zu einem Wechsel des Paradigmas fUhrt. Ein solcher Wechsel beginne immer mit einer Anomalie, deren Erforschung zu Entdeckungen und neuen Theorien führe. In besonderen Fällen würden solche Theorien Krisen auslösen, so dass Alternativ-Paradigmen entstehen könnten. Als Revolution betrachtet Kuhn die Durchsetzung einer solchen Alternative als neues Paradigma in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft. Kuhn versteht dabei eine Revolution in Abgrenzung sowohl zu den logischen Positivisten als auch zu Popper als "vereinigten Verifikations-Falsifikations-Prozeß" (Kuhn 1976: 158). Anomale Erfahrungen ließen sich nicht mit falsifizierenden im Sinne Poppers gleichsetzen. Vielmehr seien anomale Erfahrungen für die Wissenschaft zunächst nur insofern von Bedeutung, als "sie einem vorhandenen Paradigma Konkurrenten" (Kuhn 1976: 158) erzeugen könnten. Falsifikation selbst finde aber nicht aufgrund anomaler Erfahrungen statt, sondern nur unter gleichzeitiger Verifikation eines solchen Paradigma-Konkurrenten. Fortschritt habe in diesem Sinne mehr mit dem Vergleich verschiedener Theorien im Hinblick auf ihre Erklärungskraft zu tun, als mit dem Vergleich von Theorie und Fakten: Für den Historiker zumindest liegt nicht viel Sinn in der Feststellung, Verifikation sei die Feststellung der Übereinstimmung zwischen Tatsachen und
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Theorie. Alle geschichtlich bedeutsamen Theorien haben mit den Fakten übereingestimmt, aber nur bis zu einem gewissen Grade. [... ] Es ist durchaus sinnvoll zu fragen, welche von zwei miteinander konkurrierenden Theorien besser zu den Fakten paßt. (Kuhn 1976: 158) Sie bedeutet aber [... ], daß der Urteilsakt, der die Wissenschaftler zur Ablehnung einer vorher anerkannten Theorie führt, niemals nur auf einem Vergleich jener Theorie mit der Natur beruht. Die Entscheidung, ein Paradigma abzulehnen, ist immer gleichzeitig auch die Entscheidung, ein anderes anzunehmen, und das Urteil, das zu dieser Entscheidung führt, beinhaltet den Vergleich beider Paradigmata mit der Natur und untereinander [Hervorhebung im Original]. (Kuhn 1976: 90) Eine Revolution kann sich für Kuhn nur als Auswahl zwischen verschiedenen Paradigma-Anwärtern und dem bestehenden Paradigma vollziehen (Kuhn 1976: 90). Die einzige Möglichkeit, ein Paradigma abzulehnen, ohne ein anderes an seine Stelle zu setzen, bestehe flir den einzelnen Wissenschaftler darin, die Wissenschaft zu verlassen (Kuhn 1976: 92). Kuhn liefert eine detaillierte Beschreibung des Ablaufs einer wissenschaftlichen Revolution. Sie würde zunächst mit Paradigmaveränderungen beginnen, die durch das Erkennen und Erforschen einer Anomalie verursacht seien. Paradigmaveränderungen allein würden jedoch nicht notwendigerweise zu einem Wechsel des Paradigmas führen (Kuhn 1976: 79), sondern nur in bestimmten Fällen in das Auftauchen einer neuen Theorie münden, die "eine umfassende Paradigmazerstörung und größere Verschiebung in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft" (Kuhn 1976: 80) nach sich zöge. Dies sei dann der Fall, wenn verschiedene Versionen einer neuen Theorie auftauchen würden. Die Theorien begännen dann zu wuchern, so dass das Paradigma monströs werde und die normale Wissenschaft damit in einen vorparadigmatischen Zustand zurückfiele. Dies bezeichnet K.uhn als Krise eines Paradigmas, die zutage trete, "nachdem eine normale Problemlösungstätigkeit offensichtlich versagt" (K.uhn 1976: 87) habe. Krisen begännen mit der allgemeinen Anerkennung von Anomalien als solche innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft und mit einer daraus resultierenden "Aufweichung" des Paradigmas. Die Probleme, die zum Zusammenbruch eines Paradigmas fUhren würden, seien dabei lange vor Eintritt dieses Zusammenbruchs bekannt. Ebenso seien die exotischen Lösungen, die schließlich Bestandteil des neuen Paradigmas würden, häufig zumindest teilweise in Zeiten vor der Krise antizipiert worden (Kuhn 1976: 87f). Wissenschaftler täten nämlich eines nie: Sie würden Anomalien nicht als Gegenbeispiele ftlr ein Paradigma betrachten. Vielmehr
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seien sie bestrebt, "sich zahlreiche Artikulierungen und ad-hoc Modifizierungen ihrer Theorie auszudenken, um jeden scheinbaren Konflikt zu eliminieren." (Kuhn 1976: 91) Für Kuhn sind Wissenschaftler also nicht um Falsifikation bemüht, sondern sie suchen im Gegenteil ihre Entdeckungen in den Horizont des Erwarteten einzupassen. Krisen münden daher nicht zwangsläufig in einen Paradigmenwechsel, sie enden für Kuhn aber immer auf eine von drei Arten: (i) das krisenerzeugende Problem erweist sich doch als innerhalb des herrschenden Paradigmas lösbar, (ii) es wird archiviert und künftigen Generationen überantwortet oder es führt (iii) zu "dem Auftreten eines neuen Paradigma-Anwärters und dem Streit über seine Anerkennung." (Kuhn 1976: 97) Dieser letzte Prozess habe nichtkumulative Umbtüche und "einen Neuaufbau des Gebiets auf neuen Grundlagen" (Kuhn 1976: 98) zur Folge. In diesem Zusammenhang spielt für Kuhn außerordentliche Forschung eine zentrale Rolle. Das Rätsellösen der normalen Forschung werde in Zeiten der Krise um Forschung "auf gut Glück" ergänzt; gleichzeitig fände eine philosophische Reflexion über die Grundlagen des anerkannten Paradigmas statt, um diese zu verstehen und zu explizieren (Kuhn 1976: 101). Außerordentliche Forschung ist ftir Kuhn der Modus, in dem grundlegende Neuerungen möglich sind; ihre Protagonisten seien dabei fast immer junge oder innerhalb eines Paradigmas noch sehr neue Wissenschaftler (Kuhn 1976: 102t). Die damit verbundenen neuen Entdeckungen entstünden im Kopf eines tief in die Krise verstrickten Wissenschaftlers. Kuhn vollzieht hier unter der Hand einen bedeutenden Schritt: Einzelne Wissenschaftler können mehreren Paradigmen angehören und sind zudem im Hinblick auf bestimmte Paradigmen durch verschiedene Grade ihrer Eingebundenheit charakterisiert. Dies ist bei Kuhn eine notwendige Voraussetzung für wissenschaftliche Revolutionen überhaupt. Erst ein gewisser Abstand zu einem Paradigma ermögliche es, dass inkommensurable Alternativangebote erzeugt werden könnten (K.uhn 1976: 103). Dieser Schritt ist ftir Kuhn allerdings an Individuen gebunden, die aufgrundniedriger Eingebundenheit und großer Kreativität als heroische Innovatoren auftreten. Die Rolle dieser Individuen komme dabei nur in Zeiten der Krise voll zum tragen. Zum einen würde ihre Aufmerksamkeit dann derart auf den Störungsherd konzentriert, dass außerordentliche Forschung tatsächlich Alternativ-Paradigmen erzeugen könne (K.uhn 1976: 10lt). Zum anderen sei es nur in Zeiten der Krise möglich, dass ein bestehendes Paradigma zu Gunsten einer zu ihm inkommensurablen Alternative aufgegeben würde. Dies führt schließlich zum nächsten und letzten Schritt einer wissenschaftlichen Revolution: dem tatsächlichen Vollzug eines Paradigmen-
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wechsels, in dem "ein älteres Paradigma ganz oder teilweise durch ein nicht mit ihm vereinbares neues ersetzt wird." (Kuhn 1976: 104) Für Kuhn ist dies im Kern ein kollektiver Prozess, der sich im Wechselspiel traditionsbewahrender und traditionszerstörender Elemente abspielt. Der eigentliche Paradigmenwechsel vollziehe sich nie (bzw. nur sehr selten) im Kopf eines einzelnen Wissenschaftlers, da der notwendige Gestaltwechsel nie schrittweise, sondern immer nur auf einmal erfolgen könne. Individuen seien hierzu in der Regel nicht fahig. Es sei die nachwachsende Generation von Forschern, die von vornherein das neue Paradigma annehme; ein Paradigmenwechsel vollziehe sich dann als "Wettstreit zwischen Teilgruppen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, [ ... ] der einzige historische Prozeß, der jemals wirklich zur Ablehnung einer früher einmal anerkannten Annahme einer neuen Theorie führte." (Kuhn 1976: 22) Für diesen Wettstreit seien Kriterien entscheidend, die außerhalb der konkurrierenden und inkommensurablen Paradigmen lägen. Kuhn verweist hier auf die Erklärungsmacht der konkurrierenden Angebote und auf die Bedeutung wissenschaftsexterner Faktoren. Glauben spiele in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle; es werde dasjenige Angebot zum neuen Paradigma erhoben, das die umfangreichsten Verheißungen in Bezug auf neue Probleme und mögliche Lösungen enthalte. Der Vorgang eines Paradigmawechsels basiere wesentlich auf dem Glauben im Hinblick auf die Zukunft einer Disziplin (Kuhn 1976: 168). Jede Paradigmaalternative ließe sich zunächst vor allem als ein Versprechen im Hinblick auf die normale Wissenschaft verstehen, die durch sie beg1ündet werden kann. Schlussendlich werfe dies die Frage nach der Natur wissenschaftlichen Fortschritts auf, welche für die normale Wissenschaft noch relativ einfach zu beantworten sei: Im Rahmen der Aufräumarbeiten würden die Grundannahmen und Musterlösungen eines Paradigmas verfeinert. Fortschritt bestehe in einer zunehmenden Ausdeklinierung eines Paradigmas (Kuhn 1976: 174f). Für den wissenschaftlichen Fortschritt durch Revolutionen sei die Frage nach der Natur des Fortschritts jedoch schwieriger zu beantworten; immerhin würden sich mit einem Paradigma auch die Kriterien ändern, nach denen das Maß an "Verfeinerung" zu messen sei. Fortschritt durch Revolutionen sei dabei in keinem Fall an eine Annäherung an "Wahrheit" gebunden. Im Gegenteil: Kuhn lehnt den Wahrheitsbegriff einer positivistischen Wissenschaftstheorie ab. Fortschritt durch Revolutionen entspreche vielmehr einer evolutionären Auffassung von Wissenschaft; er bewege sich von etwas Primitivem weg, nähere sich jedoch keinem bestimmten Ziel, schon gar nicht der Wahrheit (Kuhn 1976: 182ft). Im Rahmen wissenschaftlicher Revolutionen würden die Anzahl relevanter Probleme maximiert und mögliche 55
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Lösungen zu diesen Problemen präzisiert. Fortschritt durch Revolutionen sei daher ein Fortschritt in die Tiefe, der die Anzahl lösbarer Probleme sowie die Exaktheit ihrer Lösungen erhöhe. Für diesen Fortschritt spiele der Glaube an die Verheißungen eines Paradigmas eine zentrale Rolle.
Denkkollektive und Denkstile Im Vorwort der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" nimmt Thomas Kuhn Bezug auf eine damals bereits über 25 Jahre alte Arbeit, die viele seiner "eigenen Gedanken vorwegnimmt." (Kuhn 1976: 8) "Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache" von Ludwik Fleck aus dem Jahr 1935 war 1962 eine so gut wie unbekannte wissenschaftstheoretische Arbeit, die sich insbesondere gegen die positivistische Wissenschaftsauffassung des Wiener Kreises abgrenzte. Nicht zuletzt aufgrund der Erwähnung durch Kuhn erfuhr die Arbeit Flecks in den 1980er Jahren eine Renaissance, deren Ausgangspunkt Neuauflagen sowohl in den USA (herausgegeben 1979 durch T.J. Trenn und R.K. Merton) als auch in Deutschland (herausgegeben 1980 durch L. Schäfer und Th. Schnelle) ausdrückte. 6 Die Arbeit Flecks rückt insbesondere den von Kuhn als Konstellation gemeinsamer Gruppenpositionen bezeichneten Aspekt in den Mittelpunkt: die Denkstile, die innerhalb bestimmter Denkkollektive sozial konstruiert werden. Da Kuhn außer der Referenz im Vorwort seines Buchs keinen weiteren konkreten Bezug zur Arbeit Flecks nimmt, 7 lässt sich über die Art, in der das Konzept der Paradigmen von denen der Denkstile und -kollektive beeinflusst wurde, nur mutmaßen. Für die vorliegende Arbeit ist das Werk Flecks insbesondere aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Deutlicher als Kuhn arbeitet Fleck den kollektiven Charakter von Wissenschaft heraus; er legt damit den Grundstein zu einer soziologischen Betrachtung wissenschaftlichen Fortschritts. Außerdem betont er die Bedeutung bestehenden Wissens als drittes Beziehungsglied zwischen dem Erkennenden und dem Zu-Erkennenden. Dieser Wissensbestand konstituiere den Denkstil eines Kollektivs, die Linse durch die das zu Erkennende wahrgenommen werde. In diesem Sinne weisen die Denkstile Flecks Ähnlichkeit insbesondere mit den Konstellationen von Gruppenpositionen im Paradigmaverständnis Kuhns auf. Flecks Beschreibung der Denkstile geht in Er6 Eine frühere, wenn auch etwas exotisch anmutende und daher wenig beachtete Diskussion von Ludwik Fleck, findet sich in Baldamus (1977). 7 Im Vorwort der amerikanischen Ausgabe der "Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache" erwähnt Kuhn außerdem, dass er einige Aspekte der Flecksehen Arbeit wohl nicht richtig rezipiert habe, da sein Deutsch zum damaligen Zeitpunkt etwas eingerostet gewesen sei (vgl. Kuhn 1979: vii).
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gänzung zu Kuhn jedoch spezifischer auf Grade der Eingebundenheit in Denkkollektive sowie die Möglichkeit der Überlagerung von Denldmllektiven ein, die er anhand der eso- und exoterischen Kreise eines Denkkollektivs verdeutlicht. Insbesondere betont Fleck, dass eine Einbindung in Denkkollektive über räumliche und zeitliche Entfernungen hinweg möglich ist. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den deutschsprachigen Originaltext von 1935 in der Neuauflage von 1980 (Fleck 1980). Im Wissenschaftsverständnis Flecks nimmt die Fähigkeit zum stilgebundenen Gestaltsehen eine zentrale Rolle ein. Daraus leitet er seine Kernideen des Denkkollektivs und des Denkstils ab: Wissenschaft ist in seinem Verständnis eine grundsätzlich soziologisch und historisch zu interpretierende Tätigkeit. "Wenigstens drei Viertel und vielleicht die Gesamtheit alles Wissenschaftsinhaltes sind denkhistorisch, psychologisch und denksoziologisch bedingt und erklärbar." (Fleck 1980: 32) Der soziale Charakter von Forschung offenbart sich ftir Fleck in der "soziologischen Bedingtheit allen Erkennens" (Fleck 1980: 59), das nur im Gedankenaustausch von Individuum zu Individuum möglich sei. Fleck bezeichnet das Denken als die "soziale Tätigkeit katexochen, die keineswegs innerhalb der Grenzen des Individuums vollständig lokalisiert werden kann." (Fleck 1980: 129) Träger von Wissenschaft ist damit ein Denkkollektiv, also die "Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen [ .. .]" (Fleck 1980: 54). Ein Denkkollektiv ist durch einen Denkstil charakterisiert, den Fleck zum einen als "geschichtliche Entwicklung eines Denkgebietes, eines bestimmten Wissensbestandes und Kulturstandes" (Fleck 1980: 54f) und zum anderen als "gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen" (Fleck 1980: 130) definiert. In diesen beiden Definitionen eines Denkstils sind bereits die zwei wesentlichen Aspekte der Flecksehen Konzeption enthalten: Forschung ist ein historischer Prozess, in dem Entdeckungen nur in Abhängigkeit von bereits Entdecktem möglich sind. "[ ...] bereits Erkanntes beeinflusst die Art und Weise neuen Erkennens, das Erkennen erweitert, erneuert, gibt frischen Sinn dem Erkannten." (Fleck 1980: 54) Hierin liege einerseits der bereits angesprochene kollektive Charakter von Forschung begründet, da der jeweilige "Erkenntnisbestand die einem Individuum gezogenen Grenzen überschreitet." (Fleck 1980: 54) Andererseits seien neue Tatsachen nur im Zusammenhang mit historischen Tatsachen zu erkennen:
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In diesem Falle [dem eines gemeinschaftlichen Forschungsprozesses - A.P.} aber würden Vorbildung, technische Mittel und die Art der Zusammenarbeit die Forscher immer wieder auf den alten Pfad der geschichtlichen Erkenntnisentwicklung leiten. (Fleck 1980: 33)
Hier spielen sogenannte Prä- bzw. Urideen eine wichtige Rolle, also frühere, meist mehr oder weniger unklare Entdeckungen, die zu einer aktuellen Entdeckung einen großen zeitlichen Abstand haben (Fleck 1980: 35). Der Wert einer Präidee liege dabei "nicht in ihrem logischen und ,sachlichen' Inhalte, sondern einzig in ihrer heuristischen Bedeutung als Entwicklungsanlage." (Fleck 1980: 37t) Fleck sieht Präideen als entwicklungsgeschichtliche Anlagen neuzeitiger Theorien, die denksozial zu begründen sind. Er grenzt sich dabei von der positivistischen Auffassung ab, dass die Wissenschaft unter verschiedenen unklaren Ideen die "richtigen" auswähle und die "falschen" verwerfe (Fleck 1980: 37). Stattdessen fUhrt er einen evolutionstheoretischen Standpunkt ein, demzufolge Ideen bzw. Mutationen von Ideen lediglich angepasst oder unangepasst sein können. Dies zu beurteilen sei aber nur vor dem Hintergrund derjenigen Denkkollektive und Denkstile möglich, in denen die Ideen erzeugt wurden. Was andere Urideen anlangt[ ... ], so vermögen wir ebenfalls nicht zu entscheiden, ob sie, aus ihrer zeitlichen Bindung herausgelöst, richtig oder falsch seien, denn sie entsprechen einem anderen Denkkollektiv, einem anderen Denkstil. Heutigem wissenschaftlichen Denken sind sie ungemäß, für ihre Schöpfer waren sie gewiß richtig. (Fleck 1980: 38)
Hierin liegt der zweite wichtige Aspekt begründet. Denkstile lassen sich als Meinungssysteme verstehen, die einen Denkzwang ausüben. Dieser Denkzwang bestehe in der Fähigkeit zum Gestaltsehen, d.h. Entdeckungen würden immer stilgemäß im Rahmen eines Denkkollektivs erfolgen. Ein Denkstil ist für Fleck im Rahmen einer Erkenntnis als drittes Beziehungsglied neben dem Erkennenden (Subjekt) und dem Zu-Erkennenden (Objekt) zu berücksichtigen. Dieses dritte Beziehungsglied identifiziert er im Wissensbestand eines Denkkollektivs (Fleck 1980: 54), der sich im Prinzip mit jeder Wahrnehmung einerneuen Tatsache ändere: "Jede Entdeckung ist in diesem Falle eigentlich eine Neuschöpfung der ganzen Welt eines Denkkollektivs." (Fleck 1980: 135) Tatsachen seien nie vollkommen unabhängig, sondern träten "entweder als mehr oder weniger zusammenhängendes Gemenge der Einzelavisos auf, oder auch als Wissenssystem, das eigenen Gesetzen gehorcht." (Fleck 1980: 134) Ähnlich wie bei Kuhn lässt sich über Wissenschaftlichkeit nie per se, sondern immer nur im Verhältnis zum jeweiligen Denkkollektiv urteilen. Fleck
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verwehrt sich allerdings ausdrücklich gegen einen rein relativistischen oder subjektivistischen Wahrheitsbegriff Wahrheit ist für ihn ein im Rahmen des Denkstils nur singulär lösbares Problem; sie sei damit innerhalb eines Denkkollektivs vollständig determiniert und ergebe sich aus Denkzwang, nicht aus Konvention (Fleck 1980: 131). Der Denkstil eines Kollektivs sei durch "Merkmale gemeinsamer Probleme, die ein Denkkollektiv interessieren; der Urteile, die es als evident betrachtet; der Methoden, die es als Erkenntnismittel anwendet" sowie einen technischen und literarischen Stil des Wissenssystems charakterisiert (Fleck 1980: 135). Ein Denkstil besitze eine Beharrungstendenz, die sich aus dem soziologischem Charakter von Erkenntnis ergebe (vgl. Fleck 1980: 40-52). Für Fleck können Denldmllektive prinzipiell jeden Augenblick entstehen und vergehen, wenn zwei Individuen miteinander in Kontakt treten. Den Großteil seiner Überlegungen bezieht Fleck jedoch auf stabile Denkkollektive. Diese existieren vor allem um organisierte soziale Gruppen und würden, zumindest wenn das Kollektiv lang genug besteht, in formalen Strukturen fixiert (Fleck 1980: 135f). Für stabile Denkkollektive lasse sich eine Unterscheidung von esoterischen und exoterischen Kreisen vornehmen, aus deren Überkreuzung ein Denkkollektiv bestehe. Die Kreise würden sich durch den Grad des Eingeweihtseins ihrer Mitglieder unterscheiden. Nur die esoterischen Kreise seien vollständig in einen Denkstil eingeweiht, die Eingebundenheit der exoterischen Kreise beruhe im Wesentlichen auf Vertrauen zu den Eingeweihten. Zwischen den Kreisen eines Denkkollektivs würden Abhängigkeiten herrschen, die den sogenannten intrakollektiven Denkverkehr prägen. Hieraus begründe sich die innere Geschlossenheit eines Denkstils und dessen Beharrungstendenz (Fleck 1980: 135-140). Durch die Unterscheidung zwischen esoterischen und exoterischen Kreisen ist es darüber hinaus möglich, die Zuweisung individueller und kollektiver Trägerschaft eines Denkstils nachzuvollziehen. Fleck ist hier nicht ganz eindeutig. 8 Er geht davon aus, dass Denkstile nur in einem 8 Insbesondere sind seine Ausführungen der Kapitel 2 und 4 nicht immer konsistent. In Kapitel 2 diskutiert er ausführlich Durkheim und insbesondere dessen Schüler Jerusalem und Levy-Bruhl, bleibt diesen Arbeiten jedoch in Kapitel 4 nicht konsequent verhaftet. Dies betrifft die von Fleck eingeräumte Möglichkeit, über räumliche und zeitliche Entfernungen in einem Denkkollektiv eingebunden zu bleiben. Die Widersprüchlichkeit in der Konzeption Flecks ist nicht zuletzt auf die historischen Umstände seiner Zeit zurückzuführen. Hierin begründet sich die Eile, in der sein Buch verfasst wurde (Schäfer/Schnelle 1980); darüber hinaus habe ihm - im Gegensatz zu Kuhn - die wissenschafltiche Gemeinschaft gefehlt, die ihn zu einer Präzision seiner Konzeption hätte zwingen können (Harwood 1986). Dies drücke sich auch darin aus, dass er seine Konzeption der Denktstile in offensichtlicher Unkenntnis der damaligen
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Denkkollektiv existieren und auch von einem solchen erzeugt werden. Träger eines Denkstils kann in diesem Sinne nur eine Gemeinschaft sein. In seiner Beschreibung exoterischer Kreise eines Denkstils weist er jedoch darauf hin, dass auch Individuen über große räumliche und zeitliche Entfernung in ein Denkkollektiv eingebunden sein können (Fleck 1980: 140). Gerade die Mitglieder der exoterischen Kreise seien durch eine hohe Gebundenheit an den stilmäßigen Denkzwang charakterisiert, den sie als "selbstverständliche Notwendigkeit" (Fleck 1980: 142) empfinden würden. Es lässt sich anhand zweier Stellen herauslesen, dass es Individuen sind, deren Wahrnehmungen durch einen Denkstil geprägt sind. Zum einen betrifft dies Flecks Beschreibung einer Beobachtung und der daraus abgeleiteten Entdeckung (Fleck 1980: 115-125). Flecks Beispiel der Bakterienvariabilität zeichnet den Prozess seiner eigenen Beobachtung nach und beschreibt, wie sich aus einem "unklaren, anfänglichen Schauen" das "entwickelte, unmittelbare Gestaltsehen" (Fleck 1980: 121) ergibt. Auf dem Weg einer klaren Herausarbeitung dessen, was man im anfänglichen Schauen wahrnimmt, sind die "kollektivpsychologisch (aus Fachgewohnheiten) motivierten Assoziationen" (Fleck 1980: 117) zu berücksichtigen, die im Individuum zu den Voraussetzungen des Beobachtens gehören. Die Erfahrenheit in einem Denkstil prägt damit für Fleck das anfängliche Schauen; eine reine Beobachtung gebe es nicht, höchstens die unmittelbare Beobachtung eines Vorgebildeten (Fleck 1980: 119). Er [der Forscher im Prozess einer Erkenntnis - A.P.} sucht den Widerstand, den Denkzwang, dem gegenüber er sich passiv fühlen könnte. Aus Erinnerung und Erziehung melden sich Helfer: im Momente der wissenschaftlichen Zeugung personifiziert der Forscher die Gesamtheit seiner körperlichen und geistigen Ahnen, aller Freunde und Feinde. (Fleck 1980: 124) Eine ähnliche Perspektive präsentiert Fleck in seiner Beschreibung denkstilspezifischer Anwendungen, die er anhand eines Mauerrisses darstellt: ein solcher werde von einem Maler und einem Maurer jeweils denkstilspezifisch interpretiert, d.h. unterschiedlich wahrgenommen (Fleck 1980: 137t). Für die weitere Argumentation dieser Arbeit bleibt damit festzuhalten, dass ein Denkstil im Sinne Flecks sowohl soziale als auch kognitive Aspekte hat (vgl. Schäfer/Schnelle 1980: viii). Letztere wirken sich selbstverständlich in Individuen aus. 9 wissenssoziologischen Diskussion - insbesondere Mannheim - verfasst habe (Harwood 1995). 9 Auf Flecks Betonung des Sozialen beruft sich insbesondere die sogenannte Neuere Wissenschaftssoziologie (vgl. Pinch/Bijker 1984: 433n9), für die "Denkstile" z.B. als Wissenskulturen (vgl. Knorr-Cetina 1991 b; 1999) si-
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In diesem Zusammenhang spielt Ausbildung ein zentrale Rolle, durch die die Aufnahme in ein Denkkollektiv erfolgt. Fleck bezeichnet diesen Vorgang als "autoritäre Gedankensuggestion", als eine Hineinführung mit sanftem Zwang (Fleck 1980: 13 7). Dies ist keinesfalls negativ zu bewe1ien, sondern spiegelt die Flecksehe Annahme der sozialen und historischen Bedingtheit allen Wissens wider. Für die Einführung in einen Denkstil sei es insbesondere notwendig, auch diejenigen Annahmen zu erlernen, die sich im Laufe der Zeit als überholt erwiesen haben. Nur durch die Kenntnis auch überholter Annahmen sei ein Gestaltsehen im Sinne des Denkstils einer Wissenschaftsgemeinschaft überhaupt möglich (Fleck 1980: 85). Die Ausbildung gleicht in diesem Sinne für Fleck einer Einweihung im Sinne der Ethnologie oder der Kulturgeschichte: "der heilige Geist senkt sich auf den Neuling herab und bis jetzt Unsichtbares wird ihm sichtbar. Dies ist die Wirkung der Aneignung eines Denkstils." (Fleck 1980: 137) Nach Aufnahme in ein Denkkollektiv bleibt man in dieses auch über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg eingebunden. Ein Individuum könne dabei durchaus mehreren Denkkollektiven angehören; die entsprechenden Denkstile würden je nach inhaltlicher Nähe mehr oder weniger abgeschlossen in einem Individuum koexistieren (Fleck 1980: 144). Durch diese Eingebundenheit in mehrere Denkkollektive werde interkollektiver Denkverkehr möglich, der als Voraussetzung für Fortschritt überhaupt verstanden werden müsse. Die Möglichkeit wissenschaftlichen Fortschritts hängt bei Fleck ebenso wie bei Kuhn von dem Vorhandensein eines gerichteten Denkzwangs, eben des Denkstils, ab: In neueren, entfernteren, noch verwickelten Gebieten, wo es darauf ankommt, erst sehen und fragen zu lernen, ist es anders [... ],bis Tradition, Erziehung und Gewöhnung eine Bereitschaft flir sti1gemäßes, d.h. gerichtetes und begrenztes Empfinden und Handeln hervonufen. (Fleck 1980: 111) Erst Begrenzung schaffe die Voraussetzung für Fortschritt; Fleck betrachtet wissenschaftlichen Fortschritt dabei genauso wenig wie Kuhn tuativ erzeugt werden; Wissen lasse sich als (sozial erzeugte und verstärkte) Praxis verstehen (z.B. Law 1986; Knorr-Cetina 1991 a; Pickering 1992). Die Neuere Wissenschaftssoziologie geht dabei so weit, die Bedeutung kognitiver Aspekte fur die Wissenschaft grundsätzlich in Frage zu stellen (Woolgar 1987; 1995). Bei Fleck lassen sich entsprechende Andeutungen durchaus finden (Fleck 1980: 53-70), er verfolgt diese jedoch nicht konsequent. Insofern lassen sich die Flecksehen Denkkollektive sowohl im Sinne eines Paradigmas als auch im Sinne einer radikaleren, sozialkonstruktivistischen Wissenschaftsauffassung interpretieren (Harwood 1986: 185f).
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als Annäherung an eine wie auch immer geartete Form der "Wahrheit". Im Gegensatz zu Kuhn lässt sich Fortschritt für Fleck jedoch nicht als eine Verbesserung hinsichtlich bestimmter Kriterien verstehen. Für Fleck ist Fortschritt ganz allgemein die Umwandlw1g von Denkstilen. Wissensakkumulation versteht er als die Entwicklung der Grundannahmen, vor deren Hintergrund Tatsachen wahrgenommen werden. Bei Fleck nehmen Revolutionen keine zentrale Stellung ein. Fortschritt ist für ihn weitgehend ein sukzessiver Prozess, der sich als Denkstilumwandlung gegen die Beharrungstendenz eines Denkstils durchsetzt. Der interkollektive Denkverkehr ist dabei der Schlüssel zum Flecksehen Fortschrittsverständnis: Erst die Bedeutungsvarianten der verschiedenen Denkkollektive hätten "eine Verschiebung oder Veränderung der Denkwerte" (Fleck 1980: 143) und damit eine Veränderung des Denkstils zur Folge. Diese Veränderungen seien einerseits durch Interaktionen möglich, ergäben sich aber gleichzeitig auch dadurch, dass bestimmte Probleme eines Denkkollektivs im Stile eines anderen wahrgenommen würden. In Flecks Konzeption des wissenschaftlichen Fortschritts sind Pfadabhängigkeiten zu berücksichtigen; die Tatsachen, die sich schließlich stilgemäß etablieren, hängen vom anfangliehen Schauen auf das "zufallig sich bietende" Material, der "richtunggebenden psychologischen Stimmung" sowie der "kollektivpsychologischen" Eingebundenheit des Schauenden ab (Fleck 1980: 117). Zufall sei dabei ein notwendiger Bestandteil von Experimenten; klare Experimente seien unnötig, "denn um ein Experiment klar zu gestalten, muß man sein Ergebnis von vomeherein wissen, sonst kann man es nicht begrenzen und zielbewußt machen." (Fleck 1980: 114) Die zufalligen Anfangsbedingungen würden den weiteren Prozess des Erkennens bestimmen, im Zuge dessen das anfangliehe Schauen in ein stilvolles Gestaltsehen übergehe. Es ist nicht angebracht von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der ersten Versuche zu sprechen, da unmittelbar aus ihnen sich etwas sehr Richtiges entwickelte, ohne daß sie selbst richtig genannt werden könnten. (Fleck 1980: 114)
Für Fleck entstehen im Zufall der Anfangsbedingungen Pfade, die "vom System früherer Experimente und Entscheidungen geschleppt werden." (Fleck 1980: 114) Solche Entwicklungen würden ex-post rationalisiert und schematisiert: "man transmittiert die Ergebnisse in die Absichten." (Fleck 1980: 114) Die Begrifflichkeiten, die sich im Laufe der Zeit herausbilden würden, könnten die anfangliehen und unfertigen Gedanken gar nicht mehr ausdrücken. Für Fleck führt diese Rationalisierung dazu,
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dass der Prozess einer Entdeckung im nachhinein als etwas Zwangsläufiges, Harmonisches erscheint: Das Erkennen verändert den Erkennenden, ihn an das Erkannte harmonisch anpassend, und dieser Umstand sichert die Harmonie innerhalb der herrschenden Meinung über die Entstehung der Erkenntnis: [... ].(fleck 1980: 114) Für Fleck beeinflussen die zufälligen Anfangsbedingungen sowie die weiteren Schritte im Prozess des Erkennens jeweils die folgenden, sie determinieren sie jedoch nicht vollständig. Ein Pfad richte die weitere Entwicklung seiner selbst, er lege sie aber nicht fest. Wissenschaftlicher Fortschritt ist also für Fleck ein gerichteter Vorgang; er schließt auch im Rahmen einer norn1alen Tätigkeit die Entdeckung grundlegender Neuerungen nicht aus. Fleck unterteilt dabei nicht strikt nach Phasen normaler Wissenschaft und radikaler Umbrüche, auch wenn Fortschritt für ihn verschiedene Grade haben kann, nämlich die der "Denkstilergänzung, Denkstilentwicklung oder Denkstilumwandlung." (Fleck 1980: 122) Fleck macht für den wissenschaftlichen Fortschritt außerdem eine Dynamik verantwortlich, die zwischen der Zeitschriften- und der Handbuchwissenschaft existiere. Die Zeitschriftenwissenschaft drücke dabei den persönlichen und vorläufigen Charakter eines Denkstils aus: In ihm komme Fragmentarisches, Zufälliges zum Ausdruck, mithin also empirisches Material dessen Verhältnis zum Denkkollektiv noch nicht endgültig geklärt ist. In der Handbuchwissenschaft dagegen komme der gesicherte Stand der Technik zu Wort. Sie beschreibe das Denkkollektiv als geordnetes Gesamtsystem; ihr Inhalt seien gesicherte Aussagen. Das Verhältnis dieser beiden Wissenschaften sei dabei zweiseitig: Die Handbuchwissenschaft baue sich mosaikartig aus der Zeitschriftenwissenschaft auf, welche sich wiederum in andauernder Rückbindung an die Handbuchwissenschaft befinde. Diese zirkuläre Dynamik versteht Fleck als wichtigen Treiber von Neuerungen, in dem sie das Verhältnis von traditionsbewahrenden und traditionszerstörenden Annahmen reguliert. Zeitschriftenwissenschaft strebe immer nach Anknüpfungen innerhalb der Handbuchwissenschaft; diese Anknüpfungen würden die Ansatzpunkte liefern, nach denen sich diese dann verändern könnten. Erst die Anerkennung durch das Denkkollektiv erhebe die Zeitschriftenliteratur in einen Status, der wiederum Voraussetzung für Veränderungen der Grundannahmen desselben Kollektivs sei.
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Kollektive Strukturen der Wissensproduktion als Basis stilgemäßer Betrachtungen In diesem Kapitel wurden bisher zwei Klassiker diskutiert, die die Innovationsforschung wesentlich beeinflusst haben. Insbesondere die "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" von Kuhn findet dabei explizit in verschiedenen Ansätzen Berücksichtigung, der Einfluss Flecks lässt sich in erster Linie über den Zwischenschritt bei Kuhn verdeutlichen. Die Diskussion der beiden Klassiker ist für die weitere Argumentation dieser Arbeit als Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Innovationsforschung von Bedeutung. Im Verlauf der weiteren Argumentation wird gezeigt, dass insbesondere die unterschiedlichen Bedeutungen des Kuhnschen Paradigmas wichtig werden, um eine präzisierte Darstellung technologischer Paradigmen zu ermöglichen. Ganz im Sinne Kuhns werden Beispiellösungen in dieser Darstellung eine zentrale Rolle spielen, um die sich die Gemeinschaften technologischer Paradigmen konstituieren. Das Verständnis Flecks stellt in diesem Zusammenhang eine wichtige Ergänzung zur Kuhnschen Konzeption dar. Es ermöglicht die Darstellung verschiedener Gemeinschaften, in Flecks Terminologie: Kreise, die sich überlagern. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied in den Arbeiten von Fleck und Kuhn. Für Fleck besteht der Schlüssel zum Wandel im Denkverkehr innerhalb und zwischen Gemeinschaften. Bei Kuhn sind es im Rahmen kumulativen Fortschritts die Beispiellösungen, die einen Erwartungshintergrund aus anerkannten Problemen und Lösungen vorgeben. Beiden Klassikern ist gemeinsam, dass sie die Wissenschaft als einen historischen und sozialen Prozess betrachten. Ihnen kommt daher insbesondere im Rahmen der Neueren Wissenschaftssoziologie ein zentraler Stellenwert zu (vgl. Pickering 1992; Galison/Stump 1996; Fuller 2003). Beide Arbeiten betonen kollektive Strukturen der Wissenserzeugung, die in wissenschaftlichen Gemeinschaften (Denkkollektive, Paradigmagemeinschaften) geteilt werden. Grundsätzlich befähigt das bereits Erkannte die Mitglieder einer Gemeinschaft zum Gestaltsehen. Hierin begründet sich eine Gerichtetheit des Denkens und der Wissensproduktion, die das Besondere von Wissenschaft überhaupt ausmacht. Insbesondere für Kuhn ist es diese Fähigkeit zum Gestaltsehen, die eine wissenschaftliche Disziplin aus einem vorparadigmatischen Zustand erhebt. Wissenserzeugung ist an die Errungenschaften der Vergangenheit geknüpft. Fleck beschreibt diese Errungenschaften als Ur- bzw. Präideen, für Kuhn sind es Musterlösungen, aus denen sich ein Schema für die Aufräumarbeiten innerhalb eines Paradigmas ergibt. Allerdings deutet sich hier bereits ein Unterschied an: Während eine Ur- bzw. Präidee ein relativ vager, quasi "weicher" Widerhall aus der Vergangenheit ist, sind
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Musterlösungen im Sinne Kuhns sehr konkret und explizit präsent in den jeweiligen Paradigmagemeinschaften. Weiter unten wird auf die Bedeutung dieses Unterschieds eingegangen. Sowohl Denkstile als auch die gemeinsamen Gruppenpositionen eines Paradigmas sind sozial erzeugt, d.h. sie existieren und entwickeln sich innerhalb bestimmter Gruppen bzw. Teilgruppen, in Gemeinschaften von Wissenschaftlern. Wissenschaft zeichnet sich folglich durch sozial erzeugte und kollektiv geteilte Annahmen aus, die die Wahrnehmungen von Mitgliedern einer Gemeinschaft bzw. eines Kollektivs leiten. Für Kuhn umfassen diese Annahmen symbolische Verallgemeinerungen, gemeinsame Bindungen an Auffassungen sowie Werte (Kuhn 1976: 194-197). Bei Fleck finden sie sich als gemeinsame Merkmale von Problemen, als Urteile und als Methoden wieder (Fleck 1980: 130). Fortschritt besteht also nicht in einer Annäherung an eine Form von Wahrheit, sondern aus vorhersehbaren (bei Kuhn) bzw. notwendigen (bei Fleck) Entdeckungen. Sowohl das Vorhersehbare, also auch das Notwendige ergeben sich nur vor der Hintergrundfolie eines Paradigmas bzw. Denldmllektivs. Unterschiedliche Paradigmen bzw. Denkkollektive sind daher grundsätzlich inkommensurabel. Das Erkennen ist nicht unabhängig vom Erkannten, welches wiederum immer kollektivspezifisch erzeugt ist. Es bedingt die Gestalt in der das zu Erkennende wahrgenommen wird. Grundsätzlich bedeutet dies, dass Interaktionen und Vergleiche zwischen verschiedenen Paradigmen bzw. Denkkollektiven problematisch sind. Hierin liegt nun ein wesentlicher Unterschied beider Arbeiten. Wissenschaftliche Paradigmen bei Kuhn weisen ein hohes Maß an Geschlossenheit auf. Dies hängt im Kern mit der Unterscheidung revolutionären und normalen Fortschritts zusammen. In Phasen normalen, also paradigmagebundenen Fortschritts, stellt ein Paradigma innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft eine weitreichende Kohärenz her. Fortschritt besteht in Aufräumarbeiten, die in einer Ausarbeitung anerkannter Probleme und Lösungen bestehen. Diese wiederum werden wesentlich durch die Beispiellösungen vorgegeben. Normaler Fortschritt, und das ist der für diese Arbeit wichtigste Aspekt, wird damit vor allem durch die Bindung an Musterlösungen geprägt, die ganz im Sinne des Wortes Paradigma ein Schema der anerkannten Herangehensweise, also des Gestaltsehens, vorgeben. Weiter unten (S. 97-121) wird zu zeigen sein, dass es die Bedeutung der Musterlösungen ist, die die Kuhnsche Konzeption für eine Beschreibung des technologischen Wandels so attraktiv gemacht hat. Für Kuhn bedingen vor allem die Musterlösungen die Gerichtetheit des Denkens und weniger die gemeinsamen Gruppenpositionen, da diese impliziten Grundannahmen in jene Musterlösungen
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eingeschrieben sind. Seine Konzeption enthält im Kern also sehr konkrete Elemente, welche die Basis paradigmagebundenen Fortschritts darstellen. Für Kuhn besteht die innovative Bedeutung seines Paradigmakonzepts genau in dieser Konkretheit. Es sind Beispiele, die es im Zuge der Einweihung in ein Paradigma nachzuvollziehen gilt, und die die Grundlage fUr das gerichtete Gestaltsehen darstellen. Entsprechend blendet Kuhn in seiner Konzeption die Änderung des Gestaltsehens, die mit normalen, paradigmagebundenen Fortschritt einhergehen, weitgehend aus. Für ihn ist es gerade die Konstanz und Geschlossenheit solcher Gestalten in wissenschaftlichen Gemeinschaften, aus denen sich die Inkommensurabilität verschiedener Paradigmen ergibt, und die somit die Voraussetzung für seine Konzeption revolutionären Forschritts darstellen. Ganz anders stellt sich das Fortschrittsverständnis von Fleck dar. Für ihn sind es gerade die subtilen Bedeutungsverschiebungen innerhalb eines Denldmllektivs, die wissenschaftlichen Fortschritt ausmachen (Harwood 1986). Jede neuen Entdeckung, jede neue Begriftlichkeit geht mit einer Veränderung des gesamten Begriffsnetzwerkes eines Denkstils einher und ändert die Art des Gestaltsehens, die ein Wissenschaftler auf seinen Gegenstand hat. Fleck geht davon aus, dass Fortschritt weitgehend als sukzessive Veränderung eines Denkstils anzusehen ist. Auch wenn er an einigen Stellen auf die Möglichkeit revolutionärer Umbrüche hinweist, nehmen diese in seiner Konzeption keinen zentralen Stellenwert ein (Schäfer/Schnelle 1980). Bei ihm fehlen die dafür notwendigen konkreten und konstanten Elemente, die den Grundstein eines sehr spezifischen Gestaltsehens darstellen. Trotzdem finden wir in der Konzeption Flecks mit den Ur- bzw. Präideen etwas, das mit den Musterlösungen Kuhns vergleichbar ist. Nur sind diese Urideen eben selbst weitgehend implizit in die Grundannahmen eines Denkstil eingeschrieben und damit Gegenstand von Bedeutungsvarianten. Ur- bzw. Präideen verändern sich im Zuge wissenschaftlichen Forschritts, Musterlösungen im Sinne Kuhns können nur durch wissenschaftliche Revolutionen abgelöst werden. Im Gegensatz zu Kuhn standen für Fleck stets vor allem die soziologischen Implikationen seiner Konzeption im Mittelpunkt, von denen Kuhn eher abgeschreckt zu sein schien (vgl. Harwood 1986; Donglas 1991; Babich 2003). Wo bei K.uhn ein eigentlich zentraler Punkt, nämlich die Beschreibung der Wirkung eines Paradigma innerhalb der entsprechenden Paradigmagemeinschaft, vergleichsweise unterbelichtet bleibt, arbeitet Fleck diese Wirkung pointiert heraus. So vollziehe Wissenschaft sich in intra- und interkollektivem Denkverkehr. Jedes Individuum bringe dabei eine einzigartige Art des Gestaltsehens mit, die sich
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aus einer spezifischen Überkreuzung des Eingebundenseins in unterschiedliche Denkkollektive ergebe (Fleck 1980: 138t). Die Bindekraft dieser Denkkollektive könne über große räumliche und zeitliche Distanz wirken, 10 es sei aber immer die Auseinandersetzung des Einzelnen mit den entsprechenden Kollektiven, in der sowohl wissenschaftliche Tatsachen, also auch die Veränderung von Denkstilen, konstruiert würde. Damit stehen für Fleck Interaktionen im Mittelpunkt, in denen Wissenschaft gestaltet wird und in denen eine Stabilisierung von Denkkollektiven und -stilen erfolgen kann. Für das Erklärungsinteresse dieser Arbeit ist dies von zentraler Bedeutung, da es die Beschreibung eines Kuhnschen Paradigmas als besondere Form eines Denkkollektivs zulässt, nämlich als hochgradig stabilisiertes Denldcollektiv. Darüber hinaus gibt es aber bei Fleck eine Reihe anderer, weit weniger stabiler Kollektive. Auf diesen Zusammenhang wird in Kapitel 4 ausführlich eingegangen. An dieser Stelle ist zunächst festzuhalten, dass ein wesentlicher Unterschied beider Klassiker in der spezifischen Darstellung normalen wissenschaftlichen Forschritts bei Kuhn liegt. Dieser begründet sich über die Musterlösungen als zentrale Bausteine von Paradigmen. Wissenschaftliche Paradigmen haben ihre bindende Wirkung also aufgrund eines sehr konkreten Elements. Weiter unten (S. 97-121) wird hierauf ausführlich eingegangen. Bei Fleck fehlt eine solch zentrale Rolle materieller Aspekte. Zwar sind auch fiir ihn Instrumentationen und Beispiele wichtige Elemente von Denkstilen. Sie stellen jedoch keinen Fixpunkt einer bestimmten Art von Fortschritt dar. In diesem Sinne genießen Musterlösungen bei Kuhn eine Priorität gegenüber anderen Aspekten eines Paradigmas; Fleck nimmt eine solche Einordnung nicht vor.
Der Einfluss Kuhns in der Innovationsforschung In Kapitel 2 wurde gezeigt, dass der Kern technologischen Wandels in der Erzeugung neuen Wissens und dessen Umsetzung in Wertschöpfung besteht. Innovationsprozesse lassen sich damit im Wesentlichen als Prozesse der Wissenserzeugung darstellen. Weniger eindeutig ist in diesem Zusammenhang das Verständnis von Technologie als Wissensbestand. Welche Rolle spielen Artefakte als Form "geronnenen" Wissens innerhalb eines Wissensbestands? Wie verhält sich Wissen hinsichtlich der Herstellung eines Artefakts zu solchem hinsichtlich der Weiterentwicklung dieses Artefakts? Wie verhalten sich Akteure zu Artefakten, wie al10 Hierauf hat insbesondere auch Douglas hingewiesen und dies als wesentliche Ergänzung der Flecksehen Konzeption zur Arbeit von Durkheim und seinen Schülern ausgearbeitet (vgl. Douglas 1991: 30-35).
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so ist das Denken (Know-how und Know-what) durch den Bezug auf Artefakte beeinflusst? Und: ist es dies überhaupt? Eine Konzeption von Technologie als Wissensbestand kann diese Fragen nur unzureichend beantworten. Trotzdem liegen in dieser Analogie von Technologie und Wissen die Ursprünge einer Übertragung des Kuhnschen Fortschtittsverständnisses auf technologischen Wandel, die bis heute die Innovationsforschung wesentlich geprägt hat. Ziel dieses Abschnitts ist es, den Einfluss Kuhns in der Innovationsforschung nachzuzeichnen und aufzuzeigen, dass dieser Einfluss bis heute ungebrochen ist. Es wird zunächst der Ursprung dieser Übertragung diskutiert, der insbesondere in der Pionierarbeit von Johnston ( 1972) zu sehen ist. Seine Arbeit enthält wichtige Impulse für die dann folgende Diskussion der neueren Ansätze sowohl aus der wirtschafts- als auch aus der sozialwissenschaftliehen Innovationsforschung. Die Arbeit von Johnston ist dabei im Kontext der Diskussion um Technologie als Wissen zu sehen, die im Wesentlichen in den 1970er und '80er Jahren geführt wurde (vgl. Layton 1974; Laudan 1984; Clark 1987; Faulkner 1994). Vor allem die Überbetonung der internen Struktur von Technologie und der daraus vermeintlich folgende Technikdeterminismus (vgl. Pinch/Bijker 1984; Weingart 1984) haben dazu geführt, dass die Arbeit von Johnston heute weitgehend ignoriert wird. Letzteres wird auf den Seiten 98-104 ausführlich zu diskutieren sein, wenn das Paradigmaverständnis dieser Arbeit präzisiert wird. In diesem Abschnitt sollen zunächst die wichtigsten Aspekte technologischer Paradigmen herausgearbeitet werden. Insbesondere wird gezeigt, dass die Analogie zum Kuhnschen Paradigmabegriff eine bestimmte Art normalen, technologischen Fortschritts bezeichnet. In diesem Sinne geht es weniger um eine Beschreibung technologischen Wandels insgesamt als "Fortschritt durch Revolutionen", sondern um die Feststellung einer gerichteten Form des Fortschritts, der sich in Analogie zu Kuhn als paradigmagebundener Fortschritt beschreiben lässt.
Technologie als spezifische Wissensform und die Rolle der Artefakte Johnston hat sich 1972 als erster mit der Übertragbarkeit des Kuhnschen Paradigmabegriffs auf den technologischen Wandel auseinandergesetzt. Er geht davon aus, dass technologischer Wandel sich nicht allein über die externen sozialen, ökonomischen und wissenschaftlichen Faktoren erklären lasse. Für ihn ist vielmehr eine interne Struktur von Technologie entscheidend, in der er den Schlüssel zum Verständnis technologischen Wandels insgesamt sieht:
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Jt is the purpose of this paper to make an initiating step towards an understanding ofthe intema1 structure oftechno1ogy. lt is on1y with the know1edge ofthis intema1 structure, and the way in which the extema1 factors impinge upon it, that a coherent model, and hence control, of technology can be developed. (Johnston 1972: 117f)
Die interne Struktur von Technologie erklärt Johnston über eine Analogie zur Wissenschaft. Genau wie diese lasse sich Technologie prinzipiell als Wissenssystem verstehen, dabei müsse man allerdings die Unterschiede von technologischem und wissenschaftlichem Wissen berücksichtigen. Die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen von Technologie machen daher den Kern ihrer internen Struktur aus (Johnston 1972: 118). Ingenieure (technologists) spielen ftlr Johnston dabei eine zentrale Rolle: He [the technologist - A.P.] has a set of guiding principles composed of elements of scientific law, technological ,know-how', and previous practice on which to draw. lt is the essence of these guiding princip1es which fotm the basis for treating technology as a system ofknow1edge. There is a need to examine these sets of guiding principles, the elements they are composed of, the way in which they are modified over time, and the ways in which they are Iransmitted from generation to generation of technologists. (Johnston 1972: 119f) Technologisches Wissen unterscheide sich von wissenschaftlichem Wissen insbesondere durch die Bedeuttmg von Bestätigung (corroboration). Johnston verweist hier auf Funktionalität. Ein technologisches Artefakt müsse in erster Linie zeigen können, dass es eine spezifische Funktion erfülle (Johnston 1972: 118). Technologischer Fortschritt lasse sich damit nicht wie wissenschaftlicher Fortschritt als kontinuierliche Verbesserung eines theoretischen Wissensbestands beschreiben. Es gehe vielmehr darum, "Besseres" der gleichen Art zu entwickeln. Das Ziel von Ingenieuren sei die Verbesserung von Möglichkeiten (Johnston 1972: 119). Seine Übertragung des K.uhnschen Paradigmabegriffs gründet Johnston auf drei Annahmen: • Die interne Struktur von Technologie lässt sich als Wissenssystem verstehen, so dass technologischer Fortschritt prinzipiell in Analogie zum wissenschaftlichen Fortschritt untersucht werden kann. • Die empirische Feststellung, dass technologischer Wandel in Phasen kontinuierlicher Verbesserungen und radikaler Umbrüche verläuft, legt es nahe, technologischen Wandel insgesamt in Analogie zum
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"Fortschritt durch Revolutionen" im Sinne Kuhns zu beschreiben (Johnston 1972: 123f, 128). • Eine Übertragung der Kuhnschen Begrifflichkeit setzt es voraus, die Unterschiede technologischen und wissenschaftlichen Wissens zu berücksichtigen (Johnston 1972: 117-119). Basierend auf diesen Annahmen definiert Johnston ein technologisches Paradigma zunächst als Katalog von Leitlinien, die von den Praktikern in einem bestimmten technologischen Feld geteilt würden: Jn the context of this paper a technological paradigm is a set of guiding principles generally accepted by practitioners in a particular field of technology. [ ... ] there are sets of beliefs and principles including relevant scientific laws. Also subsumed within the paradigm, but not identical with it, are exemplars. These are models which demonstrate the functioning and the success of a paradigm. The term is most commonly used to refer to the first artefact representing the new paradigm. Thirdly, there is the body of techniques, and experiences based on previous practice. (Johnston 1972: 122)
Johnston vollzieht also den wesentlichen Schritt Kuhns nach, indem er Beispielen eine zentrale Rolle einräumt. Diese sind für ihn jedoch nicht identisch mit einem Paradigma. Johnston formuliert hier einen zentralen Unterschied zu wissenschaftlichen Paradigmen: Es sind nun konkrete Artefakte, die die Rolle der Musterlösungen einnehmen, und zwar die ersten, die den Erfolg eines Paradigmas zu demonstrieren imstande waren. Johnston lässt offen, woran dieser Erfolg sich messen lasse, er deutet aber an, dass es ihm um externe Kriterien geht, die eine Operationalisierung von Bestätigung und Funktionalität darstellen. Den Erfolg und die Verbesserung einer Technologie könne man anhand ihrer Funktion messen. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Abgrenzung eines Paradigmas und der entsprechenden Paradigmagemeinschaft Johnston spricht in diesem Zusammenhang von einem technologischen Feld und den in diesem Feld agierenden Praktikern. In einem technologischen Feld könnten verschiedene Paradigmen wirksam sein, die sich nach Bedeutung und Zentralität unterscheiden. Paradigmen würden in einem solchen Feld vor allem als Norm fungieren, die akzeptierte Lösungen zu einer Klasse technologischer Probleme abgrenzen (Johnston 1972: 122f). Die Grenzen eines technologischen Feldes fallen damit nicht mit den Grenzen eines technologischen Paradigmas zusammen. Hierin besteht ein Unterschied zur Kuhnschen Konzeption. Johnston lässt offen, wie sich ein technologisches Feld abgrenzen lässt, deutet aber an, dass dieses den
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Gegenstandsbereich der Paradigmen betrifft, also die zugrunde liegende Technologie. Technologische Felder sind also für Johnston durch die Technologie abgegrenzt, deren Herstellung und Weiterentwicklung in diesem Feld betrieben wird. Die bindende Kraft eines technologischen Paradigmas betreffe dabei nicht alle in einem Feld agierenden Praktiker, sondern nur diejenigen, die mit der Weiterentwicklung einer Technologie befasst sind. Technologische Paradigmen würden ausschließlich jene Handlungen leiten, die auf Fortschritt zielten: Thus, if progress in technology is seen as the expansion of man' s capabilities, either by the development of artefacts with new capabilities or artefacts which produce old capabilities more efficiently, in the widest sense ofthe word, then it is the action to produce these advances which is largely directed by the prevailing set ofparadigms. (Johnston 1972: 123)
Johnston unterscheidet zwei Typen von Fortschritt: die Entwicklung von Artefakten mit neuen Funktionen und die Weiterentwicklung von Artefakten, so dass diese bestehende Funktionen besser (" efficiently, in the widest sense of the word") erfüllen. Dieses bildet die Grundlage einer Unterscheidung normalen technologischen Fortschritts und technologischer Revolutionen in Analogie zu Kuhn: A detailed examination ofmodem technology reveals that much ofthe activity of producing artefacts representing new or improved capabilities can be considered to be paradigm-bound, and many of the innovations which are commonly accepted as Iandmark events in technology possess the characteristics of paradigm shifts. (Johnston 1972: 123)
Sein Verständnis normalen technologischen Fortschritts verdeutlicht Johnston empirisch am Beispiel der Röhrentechnologie. Das entsprechende Paradigma sei mit der Erfindung der ersten Vakuumröhre begründet worden: This paradigm was made up of elements including the then current understanding of the nature and properties of electrons, experience with cathode-ray tubes, the knowledge of electron emission, and the techniques for production of evacuated vessels and the selection and forming of suitable emitters. (Johnston 1972: 124)
Die Entwicklung besserer Verstärker sei anschließend flir ungefähr dreißig Jahre im Rahmen dieses Paradigmas verlaufen, und zwar durch die gleichzeitige Verbesserung einzelner materieller Komponenten (John-
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ston 1972: 124). Erst durch die Entdeckung des Transistoreffekts sei ein neues Beispiel entwickelt worden, auf dessen Grundlage ein neues Paradigma das bestehende Röhren-Paradigma abgelöst habe. Paradigmagebundener Fortschritt ist für Johnston also dadurch gekennzeichnet, dass ihm ein Artefakt als Beispiel, Regeln zum Verständnis dieses Artefakts sowie anerkannte Probleme und Erwartungen bezüglich des Fortschritts dieses Artefakts zugrunde liegen. Im Unterschied zum wissenschaftlichen Fortschritt kenne technologischer Wandel allerdings keine Krisen. Hierin liegt flir Johnston ein wichtiger Unterschied wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts. Für die Entstehung einer Krise, also der Grundlage eines Paradigmawechsels, müsse ein anderer Mechanismus als der von Kuhn beschriebene verantwortlich sein. Johnston identifiziert diesen Mechanismus in einer Grenze flir die Aufräumarbeiten (exploitation) innerhalb eines Paradigmas. An dieser Grenze setze anscheinend ein Gesetz abnehmenden Nutzens im Hinblick auf technischen Fortschritt (Johnston 1972: 124) ein. 11 Wenn dieses Plateau paradigmagebundenen Fortschritts en·eicht sei, könne nur noch wenig Verbesserung realisiert werden, so dass, häufig aufgrund sozialen oder ökonomischen Drucks, eine radikal neue Lösung entsteht, die die Grundlage flir ein neues Paradigma darstellt. Erst wenn die Grenzen eines Paradigmas erreicht seien, könne ein Paradigmawechsel einen bemerkenswert neuen Typ Technologie hervorbringen (Johnston 1972: 124f). Für die Akzeptanz eines neuen Paradigmaanwärters spiele das Vertrauen einer kleinen Gruppe innerhalb eines technologischen Feldes eine Schlüsselrolle. Eine radikal neue Lösung sei nie "eins-zu-eins" mit bestehenden Lösungen vergleichbar; darüber hinaus seien die innerhalb eines neuen Paradigmas entwickelten Artefakte in der Regel zunächst technisch noch unzureichend. Ein neuer Paradigmaanwärter müsse daher vor allem ein Versprechen neuer Möglichkeiten hinsichtlich zu lösender Probleme enthalten, um für eine Weiterentwicklung zumindest durch einen kleinen Teil der technologischen Gemeinschaft attraktiv zu sein. Bei der Auswahl eines neuen Paradigmas spiele daher Intuition eine zentrale Rolle (Johnston 1972: 127). Neue Paradigmen beträfen dabei nur den weiteren technologischen Wandel, sie würden nicht zwangläufig zum 11 Man beachte, dass Johnston hier zwar auf eine Eigenschaft der internen Struktur einer Technologie verweist, diese im Hinblick auf die Grenze paradigmagebundenen Forschritts jedoch in Beziehung zu externen (hier: ökonomischen) Kriterien setzt. Hier deutet sich bereits an, dass Johnstons Konzeption weniger technikdeterministisch ist, als von seinen Kritikern unterstellt. Johnston geht es um die Wechselwirkung von interner und externer Struktur; dafür ist allerdings eine klare analytische Unterscheidung solcher Strukturen notwendig.
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Aussterben bestehender Technologien führen. Wenn die Aufräumarbeiten innerhalb eines Paradigmas ihr Plateau erreicht hätten, sei der damit realisierte Stand der Technik durch ein neues Paradigma nicht zwangsläufig direkt betroffen (Johnston 1972: 126f). So werden Röhrenverstärker bis heute für Nischenmärkte - z.B. im High-End Bereich oder flir Musiker- produziert. Hierin besteht ein weiterer Unterschied zur Kuhnschen Konzeption. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Johnston in seinem Aufsatz die Rolle der internen Strnktur einer Technologie in ihrer Beziehung zu externen Strukturen betont. Die interne Struktur einer Technologie lasse sich als Wissenssystem beschreiben, so dass technologischer Fortschritt vor allem im Rahmen dieses Wissenssystems auszumachen ist. Insbesondere die Leitlinien von Ingenieuren in einem technologischen Feld im Bezug auf mögliche Lösungen anerkannter Probleme bestimmen für Johnston die Weiterentwicklung einer Technologie. Hierin sieht er die Grundlage für eine Analogie zum Kuhnschen Paradigmabegriff. Johnston identifiziert eine Form technologischen Fortschritts, der sich in Analogie zu Kuhn als paradigmagebundener, normaler Fortschritt beschreiben lässt. Dieser bestehe in dem Auffüllen von Fehlstellen, also den "Aufräumarbeiten" eines Paradigmas; im Falle technologischer Paradigmen sei dieses Auffüllen im Erarbeiten von Verbesserungen eines Artefakts hinsichtlich bestimmter Effizienzkriterien zu verstehen. Dies wirft drei zentrale Fragen auf: (i) Weiche Kriterien sind hier von Bedeutung und wie kommt ihre Akzeptanz in den jeweiligen Paradigmagemeinschaften zustande? (ii) Welche Rolle spielen Artefakte im Rahmen der internen Struktur einer Technologie, die ja als Wissenssystem zu verstehen ist? (iii) Wie lässt sich die Gemeinschaft derjenigen abgrenzen, die einem Paradigma angehören? Dies ist die Frage nach der technologischen Gemeinschaft, die für Johnston Träger eines Paradigmas ist. Johnston leitet seine Übertragung des Kuhnschen Paradigmabegriffs auf technologischen Wandel aus den Unterschieden von wissenschaftlichem und technologischem Wissen ab. Sein Ansatz setzt voraus, dass sich Technologie als Wissen verstehen lässt. Diese Annahme ist Thema einer umfangreichen Debatte in den 1970er und '80er Jahren gewesen, in der vor allem die Parallelen und Unterschiede technologischen und wissenschaftlichen Wissens (Layton 1974; Constant 1980; Vincenti 1990; Faulkner 1994) sowie darauf basierend die Übertragbarkeit von Modellen wissenschaftlichen FOrtschritts auf technologischen Fortschritt (Granberg/Stankiewicz 1981; Laudan 1984; Clark 1987) thematisiert wurden. Johnston nimmt einige wichtige Punkte dieser Debatte vorweg, in erster Linie dadurch, dass er die Rolle von Bestätigung (corrobation),
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also Funktionalität, zum Kern seiner Unterscheidung wissenschaftlichen und technologischen Wissens macht. Für Ingenieure gehe es weniger darum, ihr Wissen zu systematisieren, als darum zu zeigen, dass die auf diesem Wissen basierenden Artefakte in der Lage sind, die für sie spezifizierte Funktion erfolgreich auszuführen. Technologisches Wissen manifestiert sich also in Artefakten, deren Funktionalität zum Maßstab für den Erfolg dieses Wissens wird (Johnston 1972: 118). Johnston ist vor diesem Hintergrund dafür kritisiert worden, dass er der internen Struktur zuviel Bedeutung gegenüber anderen Gestaltungsfaktoren technologischen Wandels einräumt (Weingart 1984: 122), so dass Technologie zu einem "autonomen Prozess" (Krohn/Rammert 1985) würde, der nur über eine nicht gerechtfertigte intern-extem-Unterscheidung erklärt werden könne (Pinch!Bijker 1984). Wie bereits angedeutet, ist diese Kritik aus Sicht der vorliegenden Arbeit zu relativieren. Hierauf wird weiter unten ausführlicher eingegangen. Für Johnston entsprechen Artefakte weitgehend den Beispiel- und Musterlösungen Kuhns. Sie sind Teil eines technologischen Paradigmas und werden durch das erste Artefakt dargestellt, das die Funktion und den Erfolg eines Paradigmas zu demonstrieren vermag (Johnston 1972: 122). Artefakte und Beispiellösungen im Sinne Kuhns unterscheiden sich jedoch in einem wesentlichen Punkt. Während letztere vor allem dem Erwerb der impliziten Regeln eines Paradigmas dienen (Kuhn 1976: 198), erfüllen erstere noch eine weitere Funktion: Artefakte sind bei Johnston Maßstab für paradigmagebundenen Fortschritt. Johnston geht auf diesen Unterschied nicht ausdtücklich ein, impliziert ihn aber vor allem im Rahmen seiner empirischen Argumentation. Normaler technologischer Fortschritt innerhalb des Vakuumröhrenparadigmas habe sich als Entwicklung verbesserter Verstärker (Johnston 1972: 124) dargestellt. An anderer Stelle bezeichnet er Fortschritt als "development of artefacts with new capabilities or artefacts which produce old capabilities more efficiently" (Johnston 1972: 123). Paradigmagebundener Fortschritt drückt sich damit im Endeffekt als Veränderungen von Artefakten und deren Funktionalität aus. In der Argumentation von Johnston bleibt allerdings unklar, welche Rolle die Artefakte im Verhältnis zu dem Wissenssystem einnehmen, welches er als Technologie bezeichnet. Insbesondere müsste sich Fortschritt innerhalb eines Wissenssystems auch in der Weiterentwicklung der Leitlinien dieses Wissenssystems ausdrücken. Johnston geht in seiner Beschreibung normalen technologischen Fortschritts jedoch ausschließlich auf die Weiterentwicklung von Funktionalitäten eines Artefakts ein. Dies lässt die entscheidende Frage nach dem Verhältnis von Artefakten, und den Gemeinschaften, die mit ihrer Weiterentwicklung
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befasst sind, offen. Gleichzeitig enthält dieser Aspekt im Vergleich zum Kuhnschen Fortschrittsbegriff auch wesentliche Vereinfachungen im Hinblick auf technologische Paradigmen: Diese enthalten mit dem Beispielartefakt ein konkretes, "handfestes" Element, um das sich sowohl denkmäßige Leitlinien gmppieren als auch Fortschrittskriterien definieren lassen. Technologische Probleme und ihre möglichen Lösungen als Teil eines Paradigmas lassen sich damit im Rahmen von Funktionalitäten und antizipiertem Fortschritt hinsichtlich dieser Funktionalitäten beschreiben. Normaler technologischer Fortschritt lässt sich als Ausarbeitung spezifischer Funktionalitäten verstehen; welche Funktionalitäten dies betrifft, und welche Grenzen ihrer Verbessemng wahrgenommen werden, ist Teil des Wissenssystems, dass ein technologisches Paradigma ausmacht. Dies wird weiter unten ausführlich zu diskutieren sein. Abschließend kann nun die Frage nach der Gemeinschaft derjenigen diskutiert werden, die ein technologisches Paradigma teilen und in deren Interaktionen es sich verändert. Für Johnston betrifft dies die Gemeinschaft derjenigen Praktiker, die innerhalb eines technologischen Feldes mit dem Fortschritt eines Artefakts befasst sind. Es geht also um Aktivitäten der Wissenserzeugung, die die Mitglieder einer technologischen Gemeinschaft auszeichnen. Johnston liefert jedoch noch einen weiteren Hinweis für die Abgrenzung eines technologischen Feldes: lt must be emphasised that a paradigm is a directing factor primarily for the
community of technologists involved in developing new technology, rather than for industry, or indeed other groups, which use the outputs of technology. (Johnston 1972: 123)
Für ihn sind die Grenzen einer technologischen Gemeinschaft mit den Grenzen eines industrial sectors, also einer Industriebranche, identisch. Eine technologische Gemeinschaft im Sinne Johnstons lässt sich damit folgendermaßen abgrenzen: Es sind diejenigen Praktiker in einer Branche, die mit der Weiterentwicklung der branchenspezifischen Technologie (hier: im Sinne einer Wissensbasis) befasst sind. Johnston geht dabei nicht näher auf mögliche Formen von Technologie und die Konsequenzen für die Abgrenzung technologischer Gemeinschaften ein. Paradigmagemeinschaften sind für ihn identisch mit den Entwicklergemeinschaften spezifischer Industriebranchen. Für Johnston gibt es eine interne Dynamik technologischen Wandels, die vor allem durch technologische Probleme, also durch Verheißungen im Hinblick auf Verbesserungen bezüglich bestimmter Effizienzkriterien, bestimmt ist. Eine wichtige Parallele zu Kuhn besteht darin, dass diese technologischen Probleme routinemäßig bearbeitet
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werden. Die Gemeinschaft eines technologischen Paradigmas arbeitet an Lösungen, weil eben dies zum Wesen normalen technologischen Fortschritts gehört. Johnston vollzieht dabei in Analogie zum Kuhnschen Fortschrittsbegriff einen wichtigen Schritt und identifiziert eine Form normalen technologischen Fortschritts in Analogie zur normalen Wissenschaft. Normaler technologischer Fortschritt besteht in der routinemäßigen Bearbeitung der Verheißungen eines Paradigmas. Wenn normale Wissenschaft in den Aufräumarbeiten eines Paradigmas besteht, also im Arbeiten an erwartbaren Lösungen zu akzeptierten wissenschaftlichen Problemen, so besteht normaler technologischer Fortschritt ebenfalls in Aufräumarbeiten. Diese enthüllen sich als das routinemäßige Bearbeiten der innerhalb einer technologischen Gemeinschaft anerkannten technologischen Probleme. Es ist dieses Zusammenspiel von Artefakten, Entwicklergemeinschaften und den denkmäßigen Leitlinien, die in diesen Gemeinschaften geteilt werden, die für Johnston den Kern technologischer Paradigmen und der internen Struktur von Technologie ausmachen. Johnston blendet in dieser Darstellung gesellschaftliche und ökonomische (also externe) Faktoren weitgehend aus. Er zweifelt jedoch nicht daran, dass solche Faktoren wichtig sind. Allein: Ihm geht es darum, den Einfluss einer internen Struktur im Wechselspiel sehr verschiedener Faktoren herauszuarbeiten. In diesem Sinne gelingt es Johnston, lokale Stabilität und Muster im Rahmen eines "normalen" technischen Fortschritts zu erklären. Diese Lesart einer Analogie zu Kuhn wird die weitere Argumentation der vorliegenden Arbeit prägen. Der Aufsatz von Johnston ist ein wichtiges Bindeglied zu der im Folgenden diskutierten Literatur zum technologischen Wandel. Aus der Diskussion seiner Arbeit lassen sich drei wichtige Fragen ableiten, die für die verschiedenen Ansätze der Innovationsforschung zu thematisieren sind. Diese Fragen betreffen die Entsprechungen zu den wissenschaftlichen Paradigmen Kuhns. Die folgenden Leitfragen dienen also der Systematisierung der Paradigmadiskussion: • Weiche Bestandteile eines Paradigmas bilden die Grundlage, auf der inkrementellertechnologischer Wandel stattfindet? Wie wird also paradigmagebundener Fortschritt in den einzelnen Ansätzen dargestellt? • Welche Akteure sind zu berücksichtigen? Wie wird also eine Paradigmagemeinschaft in den verschiedenen Ansätzen identifiziert und abgegrenzt? • Wie verhalten sich inkrementeller Fortschritt, radikale Umbrüche und Stabilisierung zueinander? Wie wird also in den verschiedenen Ansätzen technologischer Wandel insgesamt dargestellt?
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Vor diesem Hintergrund folgt nun die Diskussion der verschiedenen auf Kuhn basierenden Ansätze technologischen Wandels in der Literatur.
Technologische Regime in den Entwicklergemeinschaften von Industriebranchen In Kapitel 2 wurde die Arbeit von Richard Nelson und Sidney Winter zur evolutionären Ökonomie bereits kurz dargestellt. Es wurde gezeigt, dass ihr Vorschlag einer "nützlichen" Theorie der Innovation im Wesentlichen auf einer Auseinandersetzung mit dem productivity growth puzzle beruht. Um dieses zu erklären, müsse man im Hinblick auf technologischen Wandel in Ergänzung zur neoklassischen Tradition die tatsächlich technischen, also physischen Besonderheiten einer Technologie berücksichtigen (Nelson/Winter 1982: 248). In diesem Zusammenhang haben Nelson & Winter den Begriff des technologischen Regimes geprägt, um eine hinreichend technologiespezifische Perspektive zu ermöglichen. Das Konzept sei in der Lage, kumulativen technologischen Wandel und insbesondere die Unterschiede, die sich zwischen verschiedenen Industriebranchen ergeben, zu erklären. Für Nelson & Winter sind technologische Regime vor allem ein kognitives Konzept, das sich auf "technicians' beliefs about what is feasible or at least worth attempting" (Nelson/Winter 1982: 258f) bezieht. Ein technologisches Regime umfasse innerhalb einer Klasse von Technologien die Idee eines grundsätzlichen Designs sowie Vorstellungen über das Potenzial dieses Designs. Für eine Designidee würden mögliche Verbesserungen einzelner Komponenten vielversprechende Trajektorien und Strategien der weiteren Entwicklung vorgeben (Nelson/Winter 1982: 259). In diesem Sinne seien Forschungsaktivitäten innerhalb eines technologischen Regimes an einem sukzessiven Ausfüllen der Details einer ungefähren Designidee orientiert (Nelson/Winter 1982: 256). Hierdurch entstünden natürliche Trajektorien, auf denen die Entwicklung bestimmter Technolagien voranschreite. Technologische Regime geben dabei einerseits wahrgenommene Grenzen einer Technologie vor (das, was als unmöglich wahrgenommen wird) und entwerfen gleichzeitig mögliche Bahnen, auf denen sich die Technologie entwickeln wird (das, was als möglich wahrgenommen wird): The sense of potential, of constraints, and of not yet exploited opportunities, implicit in a regime focuses the attention of engineers on certain directions in which progress is possible, and provides strong guidance as to the tactics likely to be fruitful for prohing in that direction. In other words, a regime not only defines boundaries, but also trajectories to those boundaries. (Nelson/ Winter 1977: 57)
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Das Konzept eines technologischen Regimes erklärt dabei bestimmte Aspekte eines Produktzyklus. Einer größeren Neuerung (major invention) würde in der Regel eine Welle kleinerer Neuerungen folgen, von denen zumindest ein Teil als Evolution des entsprechenden Designs gelten kann: "Part of what is going on is product design evolution." (Nelson/ Winter 1982: 257) Ein technologisches Paradigma gebe die Richtungen dieser Designevolution vor, so dass man in diesem Zusammenhang von gerichteten Suchprozessen sprechen könne. Diese sind die Grundlage natürlicher Trajektorien (Nelson/Winter 1982: 258). Ein wichtiger Aspekt einer natürlichen Trajektorie ist für Nelson & Winter der Wissensbestand, der der Bewegung auf der entsprechenden Trajektorie zugrunde liegt. Dieser werde innerhalb einer Gemeinschaft von Technologen, Ingenieuren und Wissenschaftlern geteilt. 12 Eine natürliche Trajektorie und das damit verbundene "Abarbeiten" der Details einer allgemeinen Designvorstellung entstehen flir Nelson & Winter dadurch, das die Aktivitäten der Wissenserzeugung auf eine bestimmte Designvorstellung innerhalb einer Technologie -Nelson & Winter sprechen in diesem Zusammenhang von class of technology - konzentrie1i sind, die als besonders vielversprechend gilt. Erst wenn sich diese Bindtmg an eine Designvorstellung löst, könne es zu diskontinuierlichen Umbrüchen kommen. Neues Wissen spielt hierfür eine zentrale Rolle, Wissen, das eine alternative Designidee wieder interessant macht. Für Nelson & Winter sind Diskontinuitäten somit an wissenschaftliche Erkenntnisse geknüpft, die das wahrgenommene Potenzial eines bisher vernachlässigten Designs verändern (Nelson/Winter 1982: 262). Nelson & Winter erwähnen Kuhn nicht ausdrücklich in ihrer Diskussion der technologischen Regime, führen die "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" aber in ihrer Literaturliste (Nelson/Winter 1982: 423). Tatsächlich finden sich etliche Parallelen zu einem Kuhnschen Fortschrittsbegriff Dies drückt sich insbesondere darin aus, dass technologische Regime einen kollektiv erzeugten und geteilten Wissensbestand darstellen, der durch gerichtete Suchprozesse erweitert wird. Die Gerichtetheit liegt dabei im Wissensbestand selbst begründet. Im Konzept der natürlichen Trajektorien finden sich weitgehende Entsprechungen zu ei12 "One aspect of natural trajectories [ ... ] isthat underlying the movement along them is a body ofknowledge held by the technicians, engineers, and scientists involved in the relevant inventive activity." (Nelson/Winter 1982: 261) Neuerungen müssten dabei nicht unbedingt als Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entstehen, die Tatsache, dass an der Entwicklung von Technologien vor allem technische und wissenschaftlich gebildete Ingenieure beteiligt wären, sei jedoch von entscheidender Bedeutung: "[ ... ], at the very least, scientific literacy is an important background factor." (Nelson/Winter 1982: 262)
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nem normalen Fortschritt im Sinne Kuhns. Die zentralen Bestandteile eines technologischen Regimes sind eine Designvorstellung sowie die Wahrnehmungen von Ingenieuren hinsichtlich des Entwicklungspotenzials dieser Designvorstellung (anerkannte Probleme, mögliche Lösungen). Die allgemeine Designvorstellung ist dabei in Artefakten manifestiert, dies machen Nelson & Winter anhand verschiedener empirischer Beispiele deutlich. Die weitere Entwicklung der Designvorstellung verläuft auf Trajektorien, die sich aus gerichteten und routinemäßigen Suchprozessen von Ingenieuren ergeben. Technologische Regime drücken sich also in den Erwartungshaltungen einer bestimmten Gemeinschaft hinsichtlich der Verbesserungsmöglichkeiten eines Designs aus. Die Abgrenzung einer technologischen Gemeinschaft, die diese Erwartungshaltungen teilt, ergibt sich für Nelson & Winter aus den Grenzen des Wissensbestandes, der einem Regime zugrunde liegt. Für Nelson & Winter besteht eine technologische Gemeinschaft also aus Ingenieuren, die mit der Ausarbeitung einer Designvorstellung befasst sind. Die Grenzen dieser Gemeinschaft sind durch eine Bindung an diese Designvorstellung vorgegeben. Das Erklärungsinteresse von Nelson & Winter bezieht sich auf das productivity growth puzzle. Technologische Regime dienen zur Erklärung von Unterschieden zwischen Industriebranchen. Einer solchen Branche liegt eine Technologie zugrunde, deren Wissensbestand ein technologisches Regime darstellt. Technologische Gemeinschaften lassen sich also bei Nelson & Winter als Entwicklergemeinschaften in Industriebranchen identifizieren, die durch die Bindung an eine bestimmte Designvorstellung voneinander abgegrenzt sind. Inkrementeller Fortschritt besteht innerhalb eines Regimes in der Ausarbeitung einer allgemeinen Designvorstellung und der daraus resultierenden sukzessiven Verbesserungen des entsprechenden Artefakts. Dies stellt eine weitreichende Parallele zur Kuhnschen Konzeption im Hinblick auf die Erklärung kumulativen Fortschritts dar. In der Darstellung technologischen Wandels im Allgemeinen weichen Nelson & Winter jedoch von der Kuhnschen Konzeption ab. Diskontinuitäten entstehen, wenn sich der Schwerpunkt innerhalb eines Regimes auf bisher vernachlässigte Designvorstellungen verschiebt. Einen solchen Wechsel erklären Nelson & Winter mit der Verfügbarkeit neuen Wissens bezüglich des Potenzials einer dieser alternativen Designvorstellungen sowie sinkenden Grenzerträgen auf einer Trajektorie (Nelson/Winter 1982: 262). Für die Erklärung einer Diskontinuität sind damit vor allem exogene Einflussfaktoren verantwortlich, nämlich "neues Wissen", welches eine Verschiebung der Schwerpunkte innerhalb eines Regimes nach sich
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zieht, sowie - ganz ähnlich wie bei Johnston - die sinkende W ertschöpfung entlang einer natürlichen Trajektorie.
Technologische Paradigmen in den Entwicklergemeinschaften von Industriebranchen Giovanni Dosi entlehnt seine Konzeption technologischen Wandels explizit einer Analogie zu Kuhn und spricht von technologischen Paradigmen und Trajektorien. 13 Er begründet seine Arbeit in einer Abgrenzung zu technology push- und demand pull-Modellen des technologischen Wandels. Diese seien aufgrundeines linearen Verständnisses des Zusammenhangs von Wissenschaft, Technologie und Markt nicht in der Lage, die vielfältigen Interaktionsmechanismen und Rückkoppelungsschleifen des technologischen Wandels abzubilden (Dosi 1982: 151 ). Dosi schlägt daher eine Analogie zur Kuhnschen Konzeption der Paradigmen vor, um den zyklischen Charakter technologischen Wandels zu erklären. Ähnlich wie Nelson & Winter erklärt er diesen als Wechselspiel von Phasen kontinuierlichen Fortschritts und Phasen diskontinuierlichen Wandels. Kontinuierlicher Wandel gehe auf endogene Veränderungen, diskontinuierlicher Wandel auf exogene Veränderungen zurück: The task of the theory is to study precisely the general conditions which affect exogeneaus and endogeneaus technical progress. We will attempt a few steps in this direction and suggest that (relatively) exogeneaus changes relate to the emergence of new ,technological paradigms', while endogeneaus change concerns technical progress along the ,trajectories' which these paradigms define. (Dosi 1984: 5) Kernstück von Dosis Konzeption sind technologische Paradigmen und Trajektorien. 14 Der Ausgangspunkt ist dabei eine Definition von Technologie, in deren Zentrum Wissen steht: Let us define technology as a set ofpieces ofknowledge, both directly ,practica1' [... ] and ,theoretical ' [... ], know how, methods, procedures, experience of successes and failures and also, of course, physical devices and equipment. [... ] Technology, in this view, inc1udes the ,perception' ofa limited set ofpos13 Dosi erachtet in diesem Zusammenhang wissenschaftliche Paradigmen und Forschungsprogramme im Sinne von Lakatos (1978) als weitgehend äquivalent (Dosi 1982: 152). 14 Die Konzeptionen der technological guideposts (Sahal 1981; 1985), auf Basis derer sich innovation avemtes herausbilden, sowie der technologischen Leitbilder (Dierkes et al. 1992; Knie 1998; Canzler/Dierkes 2001) können für das Erklärungsziel dieser Arbeit als weitgehend äquivalent zu den technologischen Paradigmen Dosis betrachtet werden (vgl. Fleischmann 1998: 13-17). Sie werden hier daher nicht gesondert diskutiert.
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sible technological alternatives and of national future developments. (Dosi 1982: 152) Das Bemerkenswerte an dieser Definition ist, dass sie neben Artefakten auch Wahrnehmungen und Erfahrungen beteiligter Akteure berücksichtigt und damit die (neoklassische) Vorstellung des Akteurs als "Optimierungsmaschine" erweitert. Technologie beinhaltet eine Wahrnehmung dessen, was möglich ist bzw. zukünftig möglich sein kann. Sie ist in diesem Sinne der Kuhnschen Konzeption von Wissenschaft sehr ähnlich. In Analogie zu Kuhn lassen sich technologische Paradigmen identifizieren: We shall define a ,technological paradigm' broadly in accordance with the epistemological definition as an , outlook', a set of procedures, a definition of the ,relevant' problems and ofthe specific knowledge related to their solution. (Dosi 1982: 148) In broad analogy with the Kuhnian definition of a ,scientific paradigm', we shall define a ,technological paradigm' as ,model' or ,pattern' of solution of selected technological problems, based on selected principles derived from natural sciences and on selected material technologies. (Dosi 1982: 152) Im Mittelpunkt dieser Beschreibung steht dabei zunächst weniger ein konkretes Design, sondern ein Schema der Problemlösung. Ein technologisches Paradigma lasse sich wie ein wissenschaftliches Paradigma in erster Linie als Ausblick verstehen, der relevante Probleme sowie ein Schema ihrer Untersuchung vorgebe (Dosi 1982: 152). Genau wie normale Wissenschaft sei auch der normale, also paradigmagebundene, technologische Fortschritt die Verwirklichung eines Versprechens: We shall argue also that each ,technologica1 paradigm' defines its own concept of ,progress' based on its specific technological and economic trade-offs. Then, we will call a technological trajectory the direction of advance within a technological paradigm. (Dosi 1982: 148) We will define a technological trajectory as the pattem of ,normal' problern solving activity (i.e. of ,progress') on the ground of a technological paradigm. (Dosi 1982: 152) Für Dosi umfasst ein technologisches Paradigma (i) die allgemeine Aufgabe, auf die es angewendet wird (z.B. elektrische Signale verstärken), (ii) die materielle Technologie, die es auswählt (z.B. Halbleiter), (iii) die physikalischen Eigenschaften, derer es sich bedient (z.B. des "Transistor Effekts") sowie die technologischen und ökonomischen Dimensionen
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und trade-offi, die es ausnutzt. Technologische Trajektorien entstehen aufgrund der starken Präskriptionen, die ein technologisches Paradigma für die Richtungen technologischen Wandels vorgibt: [ ... ] the efforts and the technological imagination ofengineers and ofthe organizations they are in are focussed in rather precise directions while they are, so to speak, ,blind' with respect to other technological possibilities. (Dosi 1982: 153)
Ein technologisches Paradigma eröffne eine Vorstellung von Fortschritt hinsichtlich einer Technologie. Die Analogie zur Wissenschaft beziehe sich insbesondere darauf, dass eine Technologie genau wie Wissenschaft als selektive Gestalt verstanden werden kann, in der sich wirkmächtige Heuristiken ausdrücken (Dosi 1982: 153). Normaler Fortschritt bewegt sich auf Trajektorien, die die Verwirklichung des Fortschrittsversprechens eines Paradigmas sind. Dosi widmet der Frage, wie ein technologisches Paradigma überhaupt entsteht und selektiert wird, viel Aufmerksamkeit. Seine Erklärung kann allerdings nicht vollständig überzeugen, da sein Konzept im Zuge dieser fom1alen Diskussion einiges an heuristischer Kraft einbüßt.15 Dosi geht davon aus, das in einem technologischen Feld immer mehrere konkunierende Paradigmen existieren (Dosi 1982: 155). Eine ex-ante Selektion zwischen diesen Paradigmen sei problematisch, da es keine verbindlichen Kriterien hierfür gebe. 16 Insbesondere greife an dieser Stelle die Selektion durch den Markt nicht, da sich Paradigmen vor der Entstehung marktreifer Produkte etablieren würden. Für die Erklärung einer ex-ante Selektion eines Paradigmas geht Dosi zunächst vereinfachend von einem linearen Zusammenhang zwischen Wissenschaft, Technologie und Produktion aus. Abwärts, also von Wissenschaft zur Produktion, würden verschiedene ökonomische, institutionelle und soziale Faktoren fokussierend wirken. Gleichzeitig gebe es "Aufwärtskräf15 Aufdiesen Punkt haben van den Belt/Rip (1987: 139, 156n1) eindrucksvoll hingewiesen. 16 In der Tat weist bereits Kuhn darauf hin, dass ein Vergleich zwischen wissenschaftlichen Paradigmen problematisch ist. Er sei nur aufgrund von Glauben und von Kriterien möglich, die außerhalb beider Paradigmen liegen. Da1über hinaus sei bei der Entstehung eines Paradigmas immer auch ein Element der Willkür zu berücksichtigen (vgl. Kuhn 1976: 18f, 158170). Dosi betont in diesem Zusammenhang, dass nichttechnologische Faktoren bei der Entstehung technologischer Paradigmen unbedingt zu berücksichtigen sind: "[... ] but it might prove impossible to compare ex ante two different technological paradigms and even ex post there might be overwhe1ming difficulties in doing it on solely technological grounds." (Dosi 1982: 159)
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te", die sich auf die Paradigmen auswirken. Dosi nennt hier insbesondere Marktkräfte sowie ungelöste technologische Probleme. Es ist das Zusammenspiel dieser Kräfte, in dem sich ein technologisches Paradigma schließlich durchsetzt und stabilisiert ( vgl. Dosi 1982: 153-157). Auch wenn Dosi in dieser Beschreibung der Durchsetzung eines Paradigmas relativ vage bleibt, enthält seine Arbeit eine reichhaltige heuristische Beschreibung paradigmagebundenen Fortschritts im Anschluss an die Durchsetzung eines Paradigmas. Diese heuristische Beschreibung geht im eigentlichen Sinne auf eine Analogie zu Kuhn zurück, und auf sie lässt sich die breite Resonanz zurückführen, die die Arbeit von Dosi in der Innovationsforschung gefunden hat (vgl. Leder 1989; Parayil 1993; Kowol!Krohn 1995). Seine Beschreibung technologischer Paradigmen erklärt eine bestimmte Art technologischen Fortschritts: den normalen technologischen Fortschritt. Die zentralen Bestandteile eines technologischen Paradigmas sind flir ihn positive und negative Heuristiken, die sich auf die Lösung akzeptierter technologischer Probleme bestimmter materieller Technologien auf der Basis ausgewählter naturwissenschaftlicher Prinzipien beziehen. Interessant ist dabei der Technologiebegriff von Dosi. Er umfasst sowohl einen materiellen Anteil (Artefakte), der die Erfolge einer Technologie repräsentiert, als auch einen entmaterialisierten (disembodied) Anteil, in dem sich die Expertise und die Erfahrungen sowie das praktische Wissen zur Reproduktion des Stands der Technik widerspiegeln (Dosi 1982: 152). Innerhalb dieses Wissens definiert ein technologisches Paradigma eine Vorstellung von Fortschritt, an deren Umsetzung die entsprechende technologische Gemeinschaft arbeitet. Ein technologisches Paradigma umfasst bei Dosi also Heuristileen einerseits und Artefakte, an denen Fortschritt und Erfolg gemessen werden können, andererseits. Bei der Beschreibung einer technologischen Gemeinschaft ist Dosi weniger eindeutig. Ein technologisches Paradigma verbindet die Gemeinschaft derjenigen, die mit der Produktion von Wissen einer Technologie befasst sind. Träger eines Paradigmas sind Technologen und Ingenieure sowie die Organisationen, denen sie angehören (Dosi 1982: 153, 158). Die Abgrenzung einer Gemeinschaft nimmt er also über die Bindung an eine Technologie vor, unterstellt dabei allerdings eine Welt "a la Feyerabend", in der immer mehrere konkurrierende Paradigmen existieren (vgl. Feyerabend 1970; 1986). Die Abgrenzung einer technologischen Gemeinschaft im Sinne Dosis lässt sich über das Wissen einer Industriebranche vornehmen. Eine technologische Gemeinschaft umfasst die Technologen und Ingenieure, die mit der Weiterentwicklung dieses Wissensbestands befasst sind. Innerhalb einer technologischen Gemeinschaft können dabei mehrere Paradigmen existieren, die durch die Tra-
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jektorien des jeweiligen Artefakts voneinander abzugrenzen sind. Technologische Gemeinschaften gestalten Fortschritt im Sinne der Erzeugung neuen Wissens innerhalb einer Industriebranche. Dosi erklärt mit der Kuhnschen Begrifflichkeit den zyklischen Charakter technologischen Wandels (Dosi 1982: 158). Normaler technologischer Fortschritt ist dabei durch ein Paradigma geleitet und verläuft auf technologischen Trajektorien. Diese ergeben sich aus dem routinemäßigen Bearbeiten akzeptierter Probleme innerhalb einer technologischen Gemeinschaft. Neben seiner heuristisch reichhaltigen Beschreibung paradigmagebundenen Fortschritts legt Dosi ebenfalls den Grundstein einer formalen Beschreibung. Normaler Fortschritt stellt sich dann als die Verbesserung bestimmter trade-offs dar, die sich aus den verschiedenen Dimensionen eines Paradigmas ergeben. A technological trajectory, i.e. to repeat, the ,normal' problern solving activity detennined by a paradigm, can be represented by the movement of multidimensional trade-offs among the technological variables which the paradigm defines as relevant. Progress can be defined as the improvement ofthese tradeoffs. One could thus imagine the trajectory as a ,cylinder' in the multidimensional space defined by these technological and economic variables. (Thus, a technological trajectory is a cluster ofpossible technological directions whose outer boundaries are defined by the nature ofthe paradigm itself). (Dosi 1982: 154)
Dosi arbeitet dies zunächst nicht weiter aus, so dass seine Vorstellung nom1alen Fortschritts sich ganz im Sinne K.uhns aufantizipierte Verbesserungen bezieht, deren Verwirklichung den Grundstein ftir grundlegende Neuerungen darstellt. Diskontinuitäten haben flir Dosi dementsprechend vor allem zwei Ursachen. Zum einen werden sie attraktiv, wenn auf einer Trajektorie die Grenzen der als möglich wahrgenommenen Verbesserungen erreicht werden. Zum anderen entstehen sie, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse neue Verheißungen für den Erfolg alternativer Trajektorien eröffnen (Dosi 1982: 157). Diskontinuitäten und die anschließende Stabilisierung technologischer Paradigmen beschreibt er als komplexes Wechselspiel verschiedener Faktoren. Die Stärke seiner Arbeit liegt allerdings vor allem in seiner Konzeption paradigmagebundenen Fortschritts. Hieraufwird weiter unten (S. 111-121) noch zmückzukommen sein.
Dominante Designs als Grundlage inkrementeilen Fortschritts Im Rahmen des technology cycles-Ansatzes nutzen vor allem Anderson & Tushman sowie Teece eine explizite Analogie zum Kuhnschen Wissenschaftsverständnis, um den zyklischen Charakter technologischen
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Wandels zu erklären. Dieser sei im Grunde einem Fortschritt durch Revolutionen im Sinne Kuhns ähnlich und verlaufe in Phasen der Unruhe (eras o.fferment) und Phasen inkrementeilen Wandels (eras ofincremental change), welche im Sinne Kuhns als Phasen radikaler Umbrüche und normalen technologischen Fortschritts verstanden werden könnten (Anderson/Tushman 1990: 605). Teece spricht im gleichen Zusammenhang explizit von vorparadigmatischen und paradigmatischen Phasen (Teece 1986). Anstelle von wissenschaftlichen Paradigmen ist es im technology cycles-Ansatz jedoch die Entstehung eines dominanten Designs im Sinne von Abernathy/Utterback (1978), die in einer Produktklasse eine diskontinuierliche Phase beendet und einen normalen technologischen Fortschritt ermöglicht: At some point in time, and after considerable trial and error in the marketplace, one design or a narrow class of designs begins to emerge as the more promising. [... ] Once a dominant design emerges, competition shifts to price and away from design. (Teece 1986: 287t) This technological experimentation and competition persists within a product class until a dominant design emerges as a synthesis of a number of proven concepts [... ]. A dominant design reflects the emergence of product-class standard and ends the period of technological ferment. Alternative designs are largely crowded out of the product class, and technological development focuses on elaborating a widely accepted product or process; [ ... ]. (Tushman/ Anderson 1986: 441) A dominant design is a single architecture that establishes dominance in a product class [ ... ]. Once a dominant design emerges, future technological progress consists of incremental improvements elaborating the standard and the technological regime becomes more orderly as one design becomes standard expression. (Anderson!Tushman 1990: 613) Die Phasen technologischer Unruhe seien durch einen Wettbewerb verschiedener Designalternativen charakterisiert. Dieser Wettbewerb entscheide, welche Alternative sich schließlich als neuer Standard in einer Produktklasse, also als dominantes Design durchsetze. Die Designalternativen seien spezifische Ausarbeitungen der ursprünglichen Diskontinuität (Teece 1986: 288; Anderson/Tushman 1990: 606). Für Teece erfolgt die Selektion eines dominanten Designs ausschließlich über Marktkräfte, die die Parameter dieses neuen Standards bestimmen würden. Anderson/Tushman (1990: 605, 616f) weisen darüber hinaus auf die sozialen und politischen Faktoren hin, die in Phasen technologischer Unruhe die Selektion eines dominanten Designs bestimmen.
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In der Retrospektive lasse sich die Entstehung eines dominanten Designs daran erkennen, dass sie zu einer deutlichen Reduktion der Unsicherheiten geführt habe, die charakteristisch für die Phasen technologischer Unruhe seien (Anderson/Tushman 1990: 614). Die Etablierung eines dominanten Designs markiere die Reife (maturity) und Konsolidierung einer Branche (Teece 1986: 302; Utterback/Suarez 1993) und ermögliche eine Optimierung der Prozesse, eine Stabilisierung der Kundenbeziehungen sowie die Standardisierung austauschbarer Komponenten (Anderson/Tushman 1990: 614). Entsprechend stelle sich Innovation in der Phase inkrementeilen Wandels als Verbesserung einzelner Aspekte des dominanten Designs dar; statt Designwettbewerb gebe es nun Wettbewerb bezüglich der Optimierung eines dominanten Designs (Teece 1986: 288). Der Schwerpunkt des Wettbewerbs verschiebe sich von Produkt- zu Prozessinnovationen (Utterback/Abernathy 1975), d.h. zu niedrigeren Kosten und kleineren Designmodifikationen. Insofern finde in der Phase inkrementeilen Wandels eine Stabilisierung der bestehenden technischen Ordnung statt (Tushman/Anderson 1986: 441; Anderson/Tushman 1990: 618). Die Phase inkrementeilen Wandels ende, wenn eine neue Diskontinuität erneut einen Wettbewerb um die Etablierung eines dominanten Designs einleite. Der Iechno/gy cycles-Ansatz konzipiert technologischen Wandel insgesamt als einen Fortschritt durch Revolutionen, d.h. als Fortschritt in dem sich Phasen radikaler Umbrüche mit solchen normalen Problemlösens (Anderson/Tushman 1990: 605) abwechseln. In diesem Sinne nutzt der Ansatz das Kuhnsche Fortschrittsverständnis für eine Beschreibung des technologischen Wandels insgesamt. Gerade hier sind jedoch die Parallelen zur Kuhnschen Konzeption relativ begrenzt: Diskontinuitäten, die die Phasen des Umbruchs einleiten, sind im Rahmen der Technology Cycles eine exogene und stochastische Größe. Bei Kuhn werden sie dagegen endogen, als Folge des Versagens normaler Problemlöseaktivitäten provoziert. Insofern fehlt im technology cycles-Ansatz die Beschreibung dessen, wie das normale Problemlösen im Hinblick auf ein dominantes Design die Grundlagen einer neuen Diskontinuität herstellt. In seiner Beschreibung inkrementeilen Wandels geht der technology cycles-Ansatz jedoch außerordentlich pointiert auf einen ganz zentralen Aspekt für Übertragung der Kuhnschen Konzeption auf technologischen Wandel ein. Folgt man den verschiedenen Darstellungen der technology cycles, in denen die Entstehung eines dominanten Designs die Grundlage inkrementeilen Fortschritts darstellt, so lassen sich dominante Designs als Entsprechung der Musterlösungen im Sinne der Kuhnschen Konzeption verstehen. In ihrer Darstellung kommt die Konkretheit dieser Musterlösungen im Kuhnschen Sinne voll zum Tragen. Ein domi-
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nantes Design ist ein Produktstandard, der die Designregeln eines Produkts vorgibt, die gleichzeitig eine bestimmte Problemlöselogik etablieren, die eine Konzeption inkrementellen Forschritts markiert (Clark 1985; Afuah/Utterback 1991). Die Entstehung eines dominanten Designs fixiert insofern innerhalb einer Produktklasse die Regeln, die sowohl die Struktur als auch die Funktion eines Produktes betreffen (Baldwin/Clark 2000: 22f). Inkrementeller Fortschritt bezieht sich in diesem Sinne auf die Regeln eines Designs und die Verheißung von Fortschritt, die in diesen Regeln bereits enthalten ist. Inkrementeller Fortschritt wird dabei durch die Gemeinschaft derjenigen gestaltet, die innerhalb einer Produktklasse mit der Entwicklung dieser Regeln befasst sind. Erst in Phasen der Umuhe spielen andere Akteure und insbesondere soziale und politische Faktoren eine zentrale Rolle, wenn es um die Selektion eines dominanten Designs geht (Anderson/Tushman 1990). Diskontinuitäten entstehen, wenn durch exogene Veränderungen die Preis-Leistungs-Grenze einer Produktklasse radikal verbessert wird. Es beginnt dann ein Wettbewerb zwischen Designalternativen um ihre Etablierung als dominantes Design. Anderson/Tushman (1990: 615) nennen insbesondere fünf Mechanismen, die eine soziale Schließung ermöglichen: (i) Nutzer bevorzugen eine der Designalternativen; die soziale Schließung kommt dann einem lock-in auf Basis des von David ( 1985) beschriebenen Mechanismus gleich. (ii) Einzelne Hersteller haben soviel Marktmacht, um die Etablierung ihrer Alternativen als Standard durchzusetzen. (iii) Für systemische Technologien etablieren Industriekomitees häufig einen Standard, der dann für alle Hersteller verbindlich ist. Schließlich gibt es (iv) die Möglichkeit, dass eine Regienmg die Etablierung eines Standards erzwingt. Die Etablierung eines Standards ist dabei kein technikdeterministischer Prozess, der zur Durchsetzung einer technologisch besten Lösung führt. Vielmehr sei er "the outcome of the social and political dynamics of compromise and accommodation between actors of unequal influence" (Anderson/Tushman 1990: 617). Es sind die Aktionen und Interaktionen von Individuen, Organisationen und Organisationsnetzwerken, die ein dominantes Design gestalten. Diskontinuitäten lassen sich als Gestaltwechsel interpretieren (Anderson/ Tushman 1990: 609).
,.Technological Frames" in relevanten sozialen Gruppen Bijker hat im Rahmen von SCOT das Konzept der technological frames eingeführt, um die Verbindung zwischen den Handlungen und Interaktionen von Individuen und den sozialen Prozessen zwischen relevanten sozialen Gruppen herzustellen (Bijker 1995: 103). Für Bijker be-
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steht ein technologischer Frame zunächst aus den Konzepten und Techniken, die eine solche Gruppe zum Lösen ihrer Probleme anwendet: A technological frame is composed of, to start with, the concepts and techniques employed by a community in its problern solving. Problem solving should be read as a broad concept, encompassing within it the recognition of what counts as a problern as weil as the strategies available for solving the problems and the requirements a solution has to meet. (Bijker 1987: 168) Die Parallelen zum Kuhnschen Paradigmabegriff sind nicht zu übersehen. Ein technologischer Frame im Sinne Bijkers bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Interaktionen von Akteuren in sozialen Gruppen. Technologische Frames existieren zwischen Akteuren (Bijker 1987: 172f; 1995: 123). A technological frame comprises all elements that influence the interactions within relevant social groups and Iead to the attribution of meanings to technical artifacts - and thus to constituting technology. [... ] these elements include (to begin with, at least): goals, key problems, problem-solving strategies (heuristics), requirements to be met by problern solutions, current theories, tacit knowledge, testing procedures, and design methods and criteria. (Bijker 1995: 123) Artefakte spielen in Bijkers Konzeption eine besondere Rolle. Technologische Frames entstünden aus den Interaktionen, die sich um ein bestimmtes Artefakt konstituierten. 17 Ein technologischer Frame enthalte damit materielle Aspekte. Die Interaktionen in den sozialen Gruppen seien niemals ausschließlich durch kognitive und soziale Faktoren bestimmt, sondern ebenfalls durch Artefakte, "as stabilized in previous construction processes" (Bijker 1995 : 124). 18 Ein technologischer Frame beschreibe die Grammatik, die eine relevante Gruppe benutze, um die Bedeutung von Artefakten zu konstruieren (Bijker 1987: 173). Darüber hinaus stelle er die Ziele, Ideen und Mittel zur Verfügung, die zum Handeln notwendig seien: Technologische Frames würden das Denken und 17 Man beachte, dass Bijker eine sehr weit gefasste Definition eines Artefakts benutzt: "T will use the term ,artifact' to encompass all products of technology: it denotes machines as weil as technical processes, hardware as weil as software." (Bijker 1995: 291nl) 18 Die radikal sozialkonstruktivistische Perspektive, die SCOT unterstellt, beinhaltet in diesem Zusammenhang, dass Artefakte als Wahrnehmungen und Definitionen existieren, die innerhalb relevanter sozialer Gruppen konstruiert wurden (vgl. Bijker 1987: 186n I). "Relevant social groups do not simply see different aspects of one artifact. The meanings given by a relevant social group actually constitute the artifact." (Bijker 1995: 77)
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die Interaktionen einer relevanten sozialen Gruppe vorgeben, in dem sie relevante Probleme sowie Strategien für deren Lösung vorgäben (Bijker 1995: 191f). Technologische Frames hätten insofern sowohl ermöglichende als auch einschränkende Auswirkungen: [ ... ] within a technological framenot everything is possible anymore [... ], but the remaining possibilities are relatively clearly and readily available to all members ofthe relevant social group. (Bijker 1995: 192) Ein technologischer Frame ist dabei für Bijker ein analytischer Wegweiser, der es erlaubt, Interaktionen innerhalb einer relevanten sozialen Gruppe zu interpretieren. Die Elemente, die ein Frame enthalte, würden daher von Fall zu Fall variieren, ließen sich jedoch immer bestimmen (Bijker 1995: 124f). Der ontologische Status eines technologischen Frames ergebe sich aus der Kombination einer interaktionistischen und einer semiotischen Perspektive. Erstere beziehe sich auf das Vokabular, das innerhalb einer sozialen Gruppe zur Beschreibung ihrer Welt benutzt würde. Artefakte würden als Teil dieser Welt sozial konstruiert. Gleichzeitig hätten Artefakte einen stabilisierenden Effekt auf das Vokabular, das zu seiner Beschreibung genutzt würde. Dies ist die semiotische Perspektive. Soziale Gruppen würden durch das Vokabular geprägt, das sie zur Beschreibung eines Artefakts nutzen. Im Konzept der technologischen Frames sind diese beiden Betrachtungsweisen vereint. Es verbindet die Welt verschiedener Artefakte, die von einer sozialen Gruppe wahrgenommen werden, mit der Welt verschiedener sozialer Gruppen, die durch die Wahrnehmung eines Artefakts abgegrenzt werden. Für Bijker löst das Konzept daher zwei zunächst unvereinbare Positionen auf, die des social shaping of technology und die des technological shaping ofsociety (Bijker 1995: 193-196). Bijker ordnet sein Konzept ausdrücklich in die Tradition der Ansätze der Innovationsforschung ein, die sich auf die Kuhnsche Konzeption wissenschaftlichen Fortschritts beziehen. Technologische Frames würden sich jedoch in zwei wesentlichen Punkten von anderen Ansätzen unterscheiden. Zum einen seien sie nicht als Bezugsrahmen von Ingenieuren zu verstehen, sondern sie sind ein Konzept, dass sich auf alle sozialen Gruppen anwenden lässt, die für die Entwicklung eines Artefakts relevant sind. Er nennt Konsumenten, Manager, Journalisten und Politiker als naheliegende Beispiele (Bijker 1995: 123f). Dies sei der wichtigste Unterschied seiner Idee zu den Konzepten der heterodoxen Ökonomie, in denen die Analogie zum Kuhnschen Paradigmabegriff typischerweise auf die Gemeinschaften von Innovatoren und Produzenten beschränkt sei (Bijker 1995: 193).
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Der zweite wesentliche Unterschied besteht flir Bijker darin, dass Akteure mehreren Frames angehören können. Ein technologischer Frame strukturiere zwar die Interaktionen einer relevanten sozialen Gruppe, tue dies jedoch nie vollständig. Individuen hätten verschiedene Grade der Einbindung (inclusion) in einen technologischen Frame. Bijker beruft sich dabei ausdrücklich auf die Arbeit von Ludwik Fleck, "whose ,thought styles' and ,esoteric/ exoteric circles' are at the roots of the concepts of technological frame and inclusion" (Bijker 1987: 186n4). Genau wie der Wissenschaftler bei Fleck in verschiedenen Denkstilen sozialisiert ist, sind Akteure bei Bijker in verschiedene Frames eingebunden: Baekeland [der Protagonist aus Bijkers Fallstudien zur Entstehung des Bakelits - A.P.}, and any other actor, can only be understood as belonging to several different relevant social groups at the same time. To capture this aspect, which I will argue causes much of the dynamics of technological change, the concept of ,inclusion' is introduced [ .. .]. (Bijker 1995: 103)
Bijker unterscheidet dabei zwischen sukzessiver und gleichzeitiger Sozialisation in verschiedenen relevanten sozialen Gruppen (Bijker 1995: 139-143). Individuelle Akteure seien im Laufe ihrer Biographie Mitglied unterschiedlicher relevanter Gruppen und entsprechend in verschiedenen technologischen Frames sozialisiert. Während der Sozialisation in eine neue Gruppe würden die Elemente des älteren Frames allmählich in den Hintergrund verdrängt, dabei jedoch nicht vollständig verschwinden. Von größerem Interesse ist für Bijker jedoch, dass individuelle Akteure stets in mehreren technologischen Frames gleichzeitig eingebunden seien. Der Grad der Einbindung eines Akteurs sei dadurch bestimmt, inwieweit ein Frame die Interaktionen dieses Akteurs bestimme. "If an actor has a high degree of inclusion, this means that she thinks, acts, and interacts to a !arge extent in terms ofthat technological frame." (Bijker 1995: 143) Der Grad der Einbindung sei dabei kein eindimensionales Konzept. Vielmehr könnten Akteure hinsichtlich unterschiedlicher Elemente eines Frames unterschiedliche Grade der Einbindung aufweisen. Die Grade der Einbindung ließen sich damit nicht einfach messen. Bijker sieht in diesem Gebindecharakter technologischer Frames genau wie Ludwik Fleck einen Schlüssel zum Verständnis von Erfindungen. Nur Baekeland sei in der Lage gewesen, das Potenzial des neu entdeckten Kunstharzes zu sehen, weil er es durch die Brille des elektrochemischen Frames wahrgenommen habe (Bijker 1987: 170f; 1995: 148ft). Bijkers Konzept der technologischen Frames ist dezidiert im Zusammenhang mit SCOT zu sehen, d.h. es bezieht sich auf den Rahmen
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relevanter sozialer Gruppen, interpretativer Flexibilität und sozialer Schließung. Zentrale Bestandteile eines technologischen Frames sind, ähnlich wie bei Dosi bzw. Kuhn, denkmäßige Leitlinien, die im Wesentlichen die relevanten Probleme, Heuristiken zu deren Lösungen sowie Artefakte, auf die sich diese Leitlinien beziehen, umfassen. Für Bijker ist ein Frame ein analytisches Instrument, mit dessen Hilfe die Konstruktion von Bedeutung nachvollzogen werden kann. Die Entwicklung eines Artefakts lasse sich entsprechend der konstruktivistischen Perspektive von SCOT beschreiben, wenn man die Ziele, Ideen und Mechanismen kennt, die die Interaktionen und das Denken einer relevanten sozialen Gruppe bestimmten, deren Bedeutungszuweisung ein Artefakt konstituiere (Bijker 1995: 191 ). Die Parallele zu Kuhn ist in diesem Zusammenhang deutlich. Technologische Frames enthalten kognitive und soziale Elemente, die eine Gemeinschaft abgrenzen und eine Form normalen Fortschritts im Sinne einer Abarbeitung relevanter Probleme und Lösungsstrategien vorgeben. In der Perspektive Bijkers sind sozial erzeugte Definitionen eines Artefakts Teil eines Frames; diese Definitionen entsprechen in einer konstruktivistischen Variante den Musterlösungen Kuhns. Genau hierin liegt j edoch auch die größte Schwierigkeit in Bijkers Konzept. Artefakte existieren flir Bijker einerseits nur als Bedeutungszuweisung, die keine materielle Entsprechung in der realen Welt haben. Gleichzeitig scheint es aber genau diese Entsprechungen in der realen Welt doch zu geben. Sie definieren, welche Interaktionen für die Konstruktion eines technologischen Frames zu beachten sind. 19 Bijker thematisiert diese Ambivalenz in der Beschreibung des ontologischen Status der technologischen Frames als Kombination einer interaktionistischen und einer semiotischen Perspektive. An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass Artefakte einen wichtigen Teil eines Frames darstellen und einen wichtigen Einfluss im Hinblick auf die entsprechende Konzeption von Fortschritt ausüben. In Ergänzung zu einer Analogie zur Kuhnschen Konzeption eröffnet Bijkers Ansatz jedoch eine erweiterte Perspektive auftechnologischen Wandel insgesamt. Diese erweiterte Perspektive ergibt sich aus dem Konzept der relevanten sozialen Gruppen, mit denen Bijker viel stärker als die bisher in diesem Abschnitt diskutierten Ansätze den Gebindecharakter verschiedener Gemeinschaften hervorhebt. Jede relevante soziale Gruppe lässt
19 "A technological frame is built up when interaction ,around' an artifact begins." (Bijker 1995: 123); bzw.: "A technological frame is built up when interaction ,around' an artifact starts and continues." (Bijker 1987: 173)
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sich als technologische Gemeinschatf0 verstehen, die auf der Grundlage ihres technologischen Frames eine Bedeutungszuweisung für ein Artefakt konstruiert. Das Konzept der technologischen Frames bezieht sich damit nicht allein auf die Gemeinschaften von Ingenieuren, die mit der technologischen Weiterentwicklung eines Artefakts direkt befasst sind, sondern auf alle relevanten sozialen Gruppen, die durch eine gemeinsame Bedeutungszuweisung hinsichtlich dieses Artefakts gekennzeichnet sind (siehe Kapitel 2, S. 38ft). Der entscheidende Unterschied zu den bisher diskutierten Ansätzen besteht also darin, dass technologische Gemeinschaften zwar durch ihren Bezug auf ein Artefakt voneinander abgegrenzt werden können, dass aber gleichzeitig mehrere solcher Bezüge existieren, die sich gegenseitig beeinflussen. Insofern lassen sich im Schema von Bijker die tatsächlichen, materiellen Artefakte als reale Verbindung zwischen den Bedeutungszuweisungen der relevanten sozialen Gruppen verstehen. Die Entwicklung eines Artefakts schreitet für Bijker im Rahmen eines "seamless web" (Hughes 1983) aus Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft voran (Bijker 1995: 6). In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Stadien, in denen sich ein Artefakt befinden kann: • Es existiert noch kein technologischer Frame: In der Kuhnschen Begrifflichkeit entspricht dies einem vorparadigmatischen Zustand. Für Bijker gibt es in diesem Stadium die radikalsten Varianten eines Artefakts; Selektion und Stabilisierung hänge wesentlich davon ab, wie gut es eine soziale Gruppe verstehen würde, Verbündete zu mobilisieren. Darüber hinaus spiele Zufall eine wichtige Rolle. Dies entspricht weitgehend dem Prozess einer Paradigmaentstehung bei Kuhn. • Es existiert ein dominierender technologischer Frame: In diesem speziellen Fall lasse sich technologische Entwicklung als normaler, inkrementeHer Fortschritt im Sinne Kuhns verstehen. Es fänden Aufräumarbeiten in Form von "improvements, optimalizations, adaptions" (Bijker 1987: 183) statt. Diskontinuitäten könnten in diesem Stadium entstehen, wenn Akteure mit geringer Eingebundenheit in den dominierenden Frame, Probleme dieses Frames durch die Brille eines anderen Frames wahrnähmen. Dies deckt sich in seinem Fokus einzelner Individuen mit der Kuhnschen Konzeption. "My contention is that especially young, recently trained engineers are in a position to recognize and to react on a presumptive anomaly: They are trained
20 Um Bijker zu paraphrasieren: Technologische Gemeinschaften sind Gemeinschaften, die sich auf eine Technologie beziehen, nicht Gemeinschaften von Technologen bzw. Ingenieuren (Bijker 1987: 172).
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within the technological frame but have low enough inclusion to question the basic assumptions ofthat frame." (Bijker 1987: 184) • Es ringen mehrere technologische Frames um Dominanz: In diesem Stadium würden Kriterien wichtig, die außerhalb der relevanten technologischen Frames lägen. Dies entspricht bei Kuhn der Situation, in der zwei Paradigmen um die Anerkennung in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft streiten. Auch für Kuhn ist ein solcher Streit nur aufgrund von Kriterien zu entscheiden, die außerhalb der betreffenden Paradigmen liegen. Stabilisation erfolge, sobald ein Frame sich als dominierend bezüglich des betrachteten Artefakts durchsetzt. Bijker macht deutlich, dass diese drei Stadien nicht als Abfolge zu betrachten sind: lt is stressed that these situations should not be interpreted as forming a rigid
scheme ofphases through which an artifact successively has to pass. Rather, it is a heuristic device to simplify the description ofthe ,seamless web' ofhistory. (Bijker 1987: 185)
Für alle drei Stadien skizziert Bijker typische Muster der Variation, Selektion und Stabilisierung. Insbesondere das zweite Stadium ist für die weitere Argumentation dieser Arbeit von Bedeutung. Der technologische Frame einer sozialen Gruppe dominiert die Gestaltung eines Artefakts. Fortschritt könne dann als normaler, paradigmagebundener Fortschritt im Sinne Kuhns beschrieben werden. Dieser Aspekt der Bijkerschen Konzeption wird weiter unten (ab S. 97) ausführlich thematisiert.
Die institutionelle Einbettung technologischer Paradigmen in Regimes Das Kuhnsche Fortschrittsverständnis ist im Grunde gegenstandszentriert; zumindest die Paradigmagebundenheit normalen wissenschaftlichen Fortschritts ergibt sich aus der internen Struktur einer Fachdisziplin. Entsprechend stellt die Paradigmadefinition von Dosi bzw. der Regimebegriff von Nelson & Winter grundsätzlich eine technikzentrierte Perspektive dar. Soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen sind in den Wissensbestand einer Technologie eingeschrieben, allenfalls wirken Märkte als Selektionsmechanismus. Technologischer Wandel insgesamt ist jedoch ein sozial und institutionell eingebetteter Prozess, in dem die Loslösung einer Technologie von ihren gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen immer idealtypisch bleiben muss. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich die Beschreibung technoökonomi-
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scher Paradigmen (Perez 1983, 1985; Freeman/Perez 1988; Kodama 1991). Diese existieren nicht auf der Ebene bestimmter Technologien und Produktklassen, sondern sie beeinflussen technologischen Wandel insgesamt. Sie sind in diesem Sinne Metaparadigmen: Some changes in technology systems are so far-reaching in their effects that they have a major influence on the behaviour ofthe entire economy. [ ... ] We use the expression ,techno-economic' [ ... ] rather than ,technological paradigm' [ ... ] because the changes involved go beyond engineering trajectories for specific product or process technologies and affect the input cost structure and conditions of production and distribution throughout the system. (Freeman/Perez 1988: 47) Technoökonomische Paradigmen bezeichnen also den erweiterten gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext, in den technologische Paradigmen eingebettet sind. Technologische Paradigmen sind ein Teil breiterer Entwicklungslinien, in denen die Regeln und Strukturen des gesamten Wirtschaftssystems den Verlauf technologischen Wandels beeinflussen. Eine Analogie zum Kuhnschen Verständnis blendet diesen erweiterten Kontext technologischen Wandels analytisch aus. Aufbauend auf dem Konzept der technoökonomischen Paradigmen haben insbesondere Rene Kemp, Arie Rip und Johan Schot eine Definition technologischer Regime vorgestellt, in deren Mittelpunkt die institutionelle Einbettung technologischer Paradigmen und Trajektorien steht (Kemp 1994; Rip 1995; Schot 1998; Ende/K.emp 1999; Kemp et al. 2001; Geels 2002; Kemp 2003). In dieser Perspektive ist technologischer Wandel ein pfadabhängiger Prozess, d.h., "a cumulative process in which the existing body ofknowledge, techniques and tools determine which further steps can be taken at any time." (Kemp et al. 2001: 271) In Erweiterung zu Dosis ursprünglicher Idee würden Pfade jedoch nicht ausschließlich aufgrund einer internen, technologischen Logik aufrechterhalten. Man müsse darüber hinaus die aktiven Bemühungen der beteiligten Akteure - diese haben ein Interesse an der Aufrechterhaltung eines Pfades (vgl. MacKenzie 1992)- sowie institutionelle und Organisationale Kontexte, Infrastrukturen und Nachfragemuster berücksichtigen (Kemp et al. 2001: 272). Technologischer Wandel sei zwar ein hochstrukturierter Prozess, dessen Regeln und Grammatik jedoch nicht allein die Suchaktivitäten von Ingenieuren und Entwicklergemeinschaften beträfen (Rip/Kemp 1998).
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Vor diesem Hintergrund werden technologische Regime folgendermaßen definiert: 21 Combining both economic and sociological approaches, a technological regime is defined as the grammar or rule set comprised in the complex scientific knowledges, engineering practices, production process technologies, product characteristics, skills and procedures, and institutions and infrastructures that make up the totality of a technology (for example, an intemal combustion engine or gas turbine) or a mode of organization (for example, the Fordist regime ofmass production). (Kemp et al. 2001: 272) Dieser Regimebegriff ist sehr breit Lmd umfasst die technologischen Paradigmen im Sinne Dosis. Darüber hinaus werden jedoch ebenfalls ökonomische und soziale Faktoren berücksichtigt, die in der Umgebung solcher Paradigmen zu verorten sind: Technological regimes are a broader, ,socially embedded' version of a technological paradigrn. A technological regime combines the rules that are embedded in engineering practices and heuristics with the rules ofthe selection environment. (Kemp et al. 2001: 272) Technologische Regime beziehen sich also nicht auf einzelne Technologien, sondern auf die technoökonomische Struktur eines Wirtschaftssystems. Sie berücksichtigen das Zusammenspiel verschiedener Technolagien und beeinflussen technologischen Wandel auf der Mesoebene (Rip/Kemp 1998). Aus der Betrachtung technologischer Regime ließen sich insbesondere Hinweise für das Management technologischer Übergänge (transitions) gewinnen (Kemp et al. 2001: 273). Ein Beispiel für einen solchen Übergang ist die Entstehung des Computerregimes, welches historisch aus den bestehenden computing regimes gewachsen sei (v. d. Ende/Kemp 1999). In dieser Perspektive vernachlässigt die technikzentrierte Sicht von Dosi bzw. Nelson & Winter den historischen Kontext technologischer Übergänge, die immer mit Veränderungen gesellschaftlich-institutioneller RahmenbedingLmgen einhergehen. Technologische Übergänge lassen sich nur durch Veränderungen erklären, die auf allen Ebenen der Gesellschaft stattfinden. Sie betreffen daher die Regeln m1d die Grammatik, die auf der Ebene einer Gesellschaft den technologischen Wandel struk21 Diese Definition eines technologischen Regimes ist sowohl von der Defi-
nition im Sinne von Malerba & Orsenigo zu unterscheiden, die damit strukturelle Eigenschaften von Wissensbasen bezeichnen, als auch von der Definition im Sinne von Nelson & Winter, die technologische Regime innerhalb bestimmter Entwicklergemeinschaften verorten (siehe Kapitel 2).
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turieren. In diesem Sinne lassen sich technologische Übergänge als Umwandlung eines technologischen Regimes (regime shift) und als Brüche mit bestehenden technologischen Pfaden erklären. Viewing it as a process oftransforrnation of an old regime (or a set of regimes) into a new one, the question central to transition processes can now be adressed [sie!] as one ofhow regimes change. (Kemp et al. 2001: 273)
Technologischer Wandel sei zwar ein hochgradig strukturierter Prozess, allerdings auf der Ebene institutioneller Einbettungen. Ein technologischer Übergang lasse sich vor diesem Hintergrund nur als endogen produzierte Regimeumwandlung verstehen. Im Laufe einer solchen Umwandlung würden sich die Regeln eines Regimes verändern. Technologischer Wandel betrifft damit die Regeln eines Regimes; die Kreation des Neuen (novelty creation) erfolge dabei immer innerhalb eines bestehenden Regimes und müsse sich also zunächst innerhalb eines Regimes durchsetzen. Neue Technologien seien damit erstmal von der Kompatibilität zu bestehenden Technologien abhängig; ihr Erfolg bestimme sich durch ihre Positionierung gegenüber den bestehenden Technologien eines Regimes (Kemp et al. 2001: 276f). Von dieser Positionierung hänge es ab, ob eine neue Technologie ein hinreichendes Moment entwickeln könne, um innerhalb des bestehenden Regimes zu einer eigenständigen Kraft zu werden. Erst wenn dies der Fall sei, könnten bestehende soziotechnische Beziehungen zerstört und durch andere ersetzt werden (Rip/K.emp 1998). Der hier skizzierte Regimebegriff fokussiert Pfadabhängigkeiten, die sich durch gesellschaftliche Einbettungen ergeben. In diesem Sinne ist er komplementär zu den bisher diskutierten Ansätzen, die eine eher technikzentrierte Perspektive darstellen (Ende/K.emp 1999: 835). Diese Regimedefinition ist insofern nur als lose Analogie zum Kuhnschen Verständnis wissenschaftlichen Fortschritts zu sehen. Interessant ist dieser Regimebegriff aber insofern, als er Pfadabhängigkeiten über Regelsysteme erklärt, die den Prozess technologischen Wandels beeinflussen. Es sind solche Regeln flir die Produktion neuen Wissens, die für die Erklärung technologischer Übergänge zu berücksichtigen sind. Regelsysteme würden dabei auf verschiedenen Ebenen existieren, nur solche Neuerungen, die sich auf allen Ebenen manifestieren, ließen sich als technologische Übergänge verstehen (v. d. Poel 2003). In diesem Sinne muss also differenziert werden. Technologische Regime beeinflussen zwar technologischen Wandel, nicht jede technologische Veränderung muss jedoch auf der Ebene eines Regimes analysiert und erklärt werden. Auch in die-
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sem Zusammenhang gilt: Nicht alle Technologien sind gleich (v. d. Belt!Rip 1987: 158). In den in diesem Kapitel diskutierten Ansätzen lassen sich grundsätzlich zwei Perspektiven identifizieren. Die erste ist weitgehend eine technikzentrierte, in der der Einfluss von Entwicklergemeinschaften eine wichtige Rolle im Prozess technologischen Wandels spielt (Nelson/Winter; Dosi; Anderson/Tushman; Teece). Die zweite betrachtet technologischen Wandel aus einem erweiterten Blickwinkel, in dem gesellschaftliche Kontextfaktoren berücksichtigt werden (Bijker; Kemp/Rip/Schot). Beide Perspektiven beziehen sich in unterschiedlichen Ausprägungen auf die Paradigmakonzeption von Kuhn. Im folgenden Abschnitt wird dieser Bezug nun näher zu diskutieren sein. Es wird gezeigt, dass den diskutieren Ansätzen eines gemeinsam ist: Sie identifizieren eine bestimmte Art technologischen Fortschritts, der sich über eine Analogie zur normalen Wissenschaft erklären lässt. Es ist diese spezifische Form technologischen Fortschritts, die sich über eine Darstellung technologischer Paradigmen beschreiben lässt.
Die "Priorität der Paradigmata": Soziale Schließung als Entstehung eines Paradigmas Kuhn spricht in der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" von einer "Priorität der Paradigmata": Ein Paradigma sei deshalb so wirkmächtig, weil es, weitgehend implizit, eine Gestalt vorgebe. Verschiedene Akteure könnten sich über die "vollständige Interpretation oder abstrakte Formulierung" (Kuhn 1976: 58) eines Paradigmas durchaus uneinig sein, sie ließen sich trotzdem eindeutig als zu diesem Paradigma zugehörig identifizieren. In Übertragung dieser Idee wird in diesem Abschnitt gezeigt, dass auch in der Innovationsforschung von einer "Priorität der Paradigmata" gesprochen werden kann, und zwar in zweierlei Hinsicht: Die verschiedenen Ansätze, die oben diskutiert wurden, betonen lokale Muster und Regelmäßigkeiten im Prozess technologischen Wandels. Diese Muster und Regelmäßigkeiten sind durch technologische Paradigmen bedingt, deren spezifische Ausprägung, ganz im Sinne der Kuhnschen Konzeption, weitgehend implizit ist. Darüber hinaus kann noch in einem zweiten, übertragenen Sinn von einer Paradigmenpriorität gesprochen werden. In den diskutieren Ansätzen der Innovationsforschung werden technologische Paradigmen in verschiedenen Facetten als Vorraussetzung für eine spezifische Art technologischen Wandels gehandelt, der als normaler technologischer Fortschritt be-
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schreibbar ist. Die "Priorität der Paradigmata" kann flir die Innovationsforschung damit in einer zweiten Variante festgestellt werden: Eine Analogie zum Kuhnschen Paradigmakonzept stellt in den diskutierten Ansätzen einen Koordinationsmechanismus dar, der die Wissensproduktion normalen technologischen Fortschritts im Anschluss an eine soziale Schließung ermöglicht. Die "Priorität der Paradigmata" bezieht sich in diesem Sinne auf eine Gleichsetzung sozialer Schließung mit einer Paradigmaentstehung. Im Anschluss an die Herausbildung eines Paradigmas folgt eine Phase des Ausdeklinierens, in der die Früchte eines neuen Paradigmas "geerntet" werden. Dieser Abschnitt gliedert sich in drei Teile. Zunächst wird die Frage nach dem Einfluss des Technischen im Rahmen technologischen Wandels gestellt. Es wird gezeigt, dass technologische Paradigmen sich auf diesen Einfluss des Technischen im Zuge technologischen Wandels beziehen. Der Einfluss des Technischen determiniert dabei die Ergebnisse technologischen Wandels nicht, sondern ist im Rahmen eines "weichen Determinismus" (Rosenberg 1994) zu berücksichtigen. Anschließend wird eine Definition technologischer Paradigmen dargestellt, die die oben diskutierten Ansätze vor dem Hintergrund der Kuhnschen Arbeit präzisiert. Insbesondere wird auf die materiellen, kognitiven und soziologischen Aspekte eines technologischen Paradigmas eingegangen und deren Bedeutung für einen normalen technologischen Fortschritt spezifischer Technologien beschrieben. Der Abschnitt endet schließlich mit einer Diskussion der "Priorität der Paradigmata", wie sie sich in der Literatur zum technologischen Wandel darstellt. Paradigmen stellen einen Koordinationsmechanismus normalen technologischen Fortschritts dar, der innerhalb technologischer Gemeinschaften als Bezugsrahmen fungiert. Dieser Bezugsrahmen ist die Kombination eines dominanten Designs mit denkmäßigen Leitlinien hinsichtlich des Fortschritts dieses Designs.
Der Einfluss des Technischen im Rahmen eines weichen Determinismus Johnston bezieht sich in seiner Arbeit auf eine innere Struktur von Technologie. Technologischer Wandel vollzieht sich für ihn vor allem aufgrund einer inneren technischen Logik, die mit sozialen, "externen" Faktoren in Wechselwirkung steht. Für das Verständnis technologischen Wandels sei eine Analyse dieser inneren technischen Logik der entscheidende Aspekt. Diese Priorität, die Johnston der internen Struktur von Technologie gegenüber den externen, sozialen Faktoren einräumt, sowie die Unterscheidung interner und externer Faktoren überhaupt ist insbesondere im Rahmen des Social Shaping of Technology kritisiert
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worden (z.B. Hughes 1983; Pinch/Bijker 1984; Latour 1987). Die Pionierarbeit Johnstons wird daher in der neueren Innovationsliteratur weitgehend ignoriert. Dies ist insbesondere deshalb überraschend, weil die viel zitierten Arbeiten Dosis und Nelson & Winters die Betonung einer inneren, technischen Logik nachvollziehen. Die Kritik an diesen Arbeiten setzt dann auch vor allem an einer vermeintlich technikdeterministischen Perspektive an, die aus der Identifizierung einer inneren technischen Logik folge. Diese Kritik an dem Konzept technologischer Paradigmen (vgl. Pinch!Bijker 1984: 407; Russell/Williams 2002: 92n28) umfasst die starke - technologische Trajektorien würden ihre eigenen Ergebnisse determinieren - und die schwache - die Beziehung zwischen Technologie und Gesellschaft sei einseitig durch Technologie geprägtVariante einer technikdeterministischen Perspektive (vgl. MacKenziel Wajcman 1999: 7-11; Russell/Williams 2002: 39f). Vor dem Hintergrund der Kuhnschen Arbeit sind beide Varianten dieser Kritik jedoch zu relativieren. In Bezug auf die starke Variante des Technikdeterminismus ist das Konzept technologischer Paradigmen daflir kritisiert worden, dass die Ergebnisse technologischen Wandels durch technologische Trajektorien determiniert seien. Die Rolle politischer Steuerung müsse sich dann darauf beschränken, die Ergebnisse solcher Trajektorien vorauszusehen und auf die entsprechenden Konsequenzen flir die Gesellschaft zu reagieren.22 In diesem Zusammenhang haben van den Belt & Rip darauf hingewiesen, dass sich die technikdeterministische Note insbesondere für die ökonomischen Ansätze aus der Notwendigkeit zur Modeliierung ergebe. Die Heuristik des Paradigmabegriffs verliere erst im Zuge der formalen Modelle an Kraft; die generelle Kritik einer Determiniertheil technologischen Wandels in den Arbeiten von Johnston und Dosi sei jedoch unberechtigt (v.d. Belt/Rip 1987: 136, 156nl). Die vorliegende Arbeit folgt dieser Kritik an der Kritik, und zwar aus einem originär von Kuhn abzuleitenden Grund. Technologische Paradigmen haben ihre Wurzeln in einer Analogie zu den wissenschaftlichen Paradigmen. Die Kritik an einer vermeintlichen Determiniertheil technologischer Trajektorien23 kann also vor dem Hintergrund der Kuhnschen Darstellung 22 Insbesondere Pinch/Bijker (1984: 407) haben diese Kritik im Hinblick auf Johnston und Dosi formuliert. Eine aktuelle Variante derselben Kritik findet sich bei Parayil (2003). 23 Ein Teil dieser Kritik hat seinen Ursprung sicherlich in der Analogie zum physikalischen Trajektorienbegriff, der sich auf eine ballistische Flugbahn bezieht, deren Verlauf durch ihre Anfangsbedingungen exakt bestimmt ist. Im Folgenden werden wir sehen, dass die Bezeichnung ,technologische Trajektorie' eben deshalb unglücklich gewählt ist, weil sie diese Parallele zur Ballistik heraufbeschwört.
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überprüft werden. Wissenschaftliche Paradigmen müssten die Ergebnisse wissenschaftlichen Fortschritts determinieren, so dass die normale Wissenschaft tatsächlich ihre erwarteten Lösungen produziert. Dies ist jedoch eine verkürzte Darstellung der normalen Wissenschaft. Zwar spricht Kuhn tatsächlich davon, dass normale Wissenschaft erwartbare Ergebnisse produziere, sie tue dies jedoch tatsächlich nie komplikationsfrei. Genau hierin liegt der Grund für Anomalien, Krisen und schließlich wissenschaftliche Revolutionen begründet. Für Kuhn bezieht sich daher die normale Wissenschaft auf einen Hintergrund von Erwartungen. Ein Paradigma determiniert Ergebniserwartungen und nicht die Ergebnisse selbst; es leitet Suchrichtungen. Die Determinierung des Erwarteten wiederum ist bei Knhn die Voraussetzung dafür, dass Unerwartetes überhaupt als solches erkannt werden kann. Anerkannte Probleme und die entsprechend erwartbaren Lösungen schaffen den Rahmen, in dem grundlegende Neuerungen erst identifiziert werden können. In Anlehnung an das Platonische Suchparadox (vgl. Ortmann 2004: 2lf) lässt Kuhn sich damit wie folgt zusammenfassen: Man kann nurfinden, was man nicht sucht, wenn man weiß was man sucht. Aus der Identifikation einer inneren technischen Logik und deren Beschreibung anhand des Kuhnschen Paradigmabegriffs folgt damit nicht, dass die Ergebnisse technologischen Wandels durch diese innere Logik determiniert sind. Selbst unter der Annahme, dass eine solche innere technische Logik der dominierende Einflussfaktor technologischen Wandels ist, kann die Annahme vorherbestimmter technologischer Trajektorien vor dem Hintergrund der Kuhnschen Arbeit zmückgewiesen werden. Technologische Paradigmen determinieren die Suchrichtungen und Erwartungen bezüglich der Entfaltung technologischen Fortschritts, sie determinieren die Ergebnisse dieses Fortschritts jedoch nicht. Aus dem Kuhnschen Paradigmaverständnis folgt, dass die Trajektorien technologischer Entwicklung durch ein technologisches Paradigma beschränkt sind. Über den tatsächlichen Verlauf der technologischen Entwicklung ist damit allerdings noch nichts Endgültiges gesagt. 24 Nelson & Winter sind in dieser Auffassung relativ explizit. Und auch Dosi stellt Paradigmen zunächst als ein Konzept dar, das positive und negative Heuristiken für die Suchrichtungen technologischen Wandels beschreibt (Dosi 1982: 152f). Erst seine formale Analyse, in der Trajektorien als Optimierungsbewegungen entlang bestimmter trade-offs dargestellt werden, lässt eine technikdeterministische Perspektive anklingen; eine Trajektorie endet dann in einem prinzipiell berechenbaren Optimum. 24 Bijker & Pinch sprechen in diesem Zusammenhang von Whiggish History, die die ex-post Beschreibungen technologischer Trajektorien in der Regel darstellen würden (Bijker/Pinch 2002).
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Nichtsdestotrotz lässt sich auch die formale Diskussion im Rahmen einer evolutionären Perspektive verorten, in der Variation ein ständiger Begleiter der Stabilisierung ist (vgl. Dosi/Nelson 1994). Für die Arbeiten von Dosi bzw. Nelson & Winter muss die Kritik eines starken Technikdetetminismus also zmückgewiesen werden. In der schwachen, allgemeineren Variante beinhaltet eine technikdeterministische Perspektive, dass eine innere technologische Logik Priorität gegenüber externen, sozialen Gestaltungsfaktoren auf technologischen Wandel habe: They [determinist models- A.P.} depict technology as an essentially autonomaus entity, which develops according to an intemal logic and in a direction of its own, and then has determinate impacts on society - in effect moulds society to suit its needs. (Russell/Williams 2002: 39)
Diese Form einer technikdeterministischen Perspektive konnte insbesondere durch die Arbeiten des Social Shaping of Technology (z.B. MacKenzie/Wajcman 1985; Bijker et al. 1987; Bijker/Law 1992) widerlegt werden, die den prinzipiell kontingenten und heterogenen Charakter technologischen Wandels betonen. Daraus folgtjedoch nicht zwangsläufig, dass eine innere technische Logik im Rahmen technologischen Wandels nicht existiert. So betonen auch innerhalb des Social Shaping of Technology verschiedene Ansätze, dass technologischer Wandel Regelmäßigkeiten und Muster kennt, die sich kontingenzeinschränkend auswirken. Genau auf diese Regelmäßigkeiten und Muster würden sich die verschiedenen, von Kuhn beeinflussten, Konzepte technologischen Wandels beziehen (vgl. Russell/Williams 2002: 63). Die Erklärung technologischen Wandels in Analogie zu Kuhn beinhaltet also, dass sich bestimmte Muster und Regelmäßigkeiten in diesem Prozess identifizieren lassen. Diese hängen eng mit der Bindung an bestimmte Technolagien zusammen und sind daher auf einen Einfluss des Technischen zutückzuführen. Über das Verhältnis dieser Muster und Regelmäßigkeiten zu anderen Gestaltungsfaktoren technologischen Wandels ist damit jedoch noch nichts gesagt. Im Hinblick auf das Konzept technologischer Paradigmen kann die Kritik eines vermeintlichen Technikdeterminismus also auch für seine schwache Form zurückgewiesen werden. Aus der Übertragung des Kuhnschen Paradigmaverständnisses folgt zwar, dass es regelmäßige (patterned) Formen technologischen Wandels gibt, die durch den Einfluss einer inneren Logik strukturiert und beeinflusst sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser Einfluss Priorität gegenüber anderen sozialen, politischen und organisationalen Kontextfaktoren hat. Rosenberg be101
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schreibt diese Konstellation als weichen Determinismus, über den technologische Veränderungen nachfolgende Entwicklungen beeinflussen würden: There is commonly a certain logic in the sequence of some technological developments, a kind of, at least, , soft determinism' , in which one historical event did not rigidly prescribe certain subsequent technological developments, but at least made sequences of technological improvements in one direction easier - and hence both eheaper and more probable - than improvements in other directions. (Rosenberg 1994: 15) In dieser Perspektive ist technologischer Wandel zwar historisch und sozial kontingent sowie durch die Interessen verschiedener Akteure geprägt. In Wechselwirkung mit diesen Kontingenzen gibt es jedoch einen Einfluss des Technischen auf den Verlauf technologischen Wandels. Vincenti beschreibt diesen Einfluss wie folgt: Engineers, by the nature oftheir craft, must operate in a world ofreality. Whatever one chooses to think ab out ultimate truth and scientific theory, a real world apart from human wishes does appear to exist out there [.. .] and this world imposes intractable, non-negotiable constraints on what engineers can and cannot do. Such technical constraints, combined with intractable though less inflexible cost constraints, frequentl y tie the hands of engineers in their design decisions. (Yincenti 1995: 553) Für Vincenti sind es also Ingenieurslogileen und deren Wechselwirkungen mit den Beschränkungen der realen Welt, die den Einfluss des Technischen begründen. Das bedeute nicht, dass dieser Einfluss dominierend ist, jedes vollständige Modell technologischen Wandels müsse jedoch die physische, reale Welt berücksichtigen (Vincenti 2000: 174). Diese schränke Entscheidungsspielräume ein, da sie Begrenzungen auferlege, die nicht durch menschliches Handeln beeinflussbar sind. Eine technische Logik ergibt sich für Vincenti aus einer Übersetzung dieser real-world constraints in die Entscheidungsoptionen von Designern und Ingenieuren. Die Perspektive des weichen Determinismus berücksichtigt dies im Zusammenspiel mit sozialen und historischen Kontingenzen (vgl. auch Tushman/Rosenkopf 1992: 313f; Molina 1999: 2). Vor diesem Hintergrund haben die verschiedenen Ansätze der Innovationsforschung, die oben diskutiert wurden, nun einen Punkt gemeinsam: Es gibt Formen technologischen Wandels, in denen der Einfluss des Technischen dominiert. Genau auf diesen Einfluss bezieht sich die Analogie zu Kuhn. Technologische Paradigmen wirken in Form eines Einflusses des Technischen und stellen so lokale Regelmäßigkeiteil und
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Muster her. Weiter unten wird dieser Einfluss ausführlicher dargestellt. An dieser Stelle bleibt zunächst festzuhalten, dass der Einfluss des Technischen für eine vollständige Beschreibung technologischen Wandels zu berücksichtigen ist. Die entscheidende Fragestellung, die sich daraus ergibt, ist graduell und bezieht sich auf den Wirkungsbereich technologischer Paradigmen. Unter welchen Bedingungen undfür welche Konstellationen und Ebenen kann der Einfluss des Technischen als dominierend gegenüber anderen Gestaltungsfaktoren angenommen werden? Die oben diskutierten Ansätze sind in unterschiedlichem Maße unspezifisch hinsichtlich einer Beschreibung dieser Bedingungen, Konstellationen und Ebenen. Eine Spezifizierung ist also die Voraussetzung flir die Definition eines Paradigmabegriffs. Insbesondere sind dabei folgende Fragen zu klären: • Wie verhält sich der Einfluss technologischer Paradigmen im Verhältnis zu anderen Gestaltungsfaktoren? Es ist also zu klären, auf welche Art technologischen Wandels sich der Einfluss technologischer Paradigmen überhaupt bezieht. Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, dass den diskutierten Ansätzen vor allem eines gemeinsam ist: Sie unterstellen, dass es unter klar abzugrenzenden Bedingungen eine Form technologischen Wandels gibt, der vor allem durch den Einfluss des Technischen in Form technologischer Paradigmen geprägt ist. Eine Präzision des Paradigmabegriffs muss daher die Form technologischen Fortschritts spezifizieren, der durch technologische Paradigmen beeinflusst ist. Vor diesem Hintergrund ist eine analytische Unterscheidung interner und externer Strukturen durchaus sinnvoll, so dass es Phasen technologischen Wandels gibt, in denen von einer "Dekontextualisierung" (Hack 1988) gesprochen werden kann. • Auf welcher Ebene sind technologische Paradigmen zu verorten? Die Feststellung, dass es einen Einfluss des Technischen gibt, macht es notwendig diesen Einfluss abzugrenzen. Insbesondere geht es darum, vor dem Hintergrund des Kuhnschen Paradigmabegriffs zu klären, aufwelche Formen von Technologie sich Paradigmen überhaupt beziehen können. Eine Präzision des Paradigmabegriffs muss daher die Elemente eines technologischen Paradigmas benennen sowie die Reichweite des Begriffs und die Gemeinschaft der relevanten Akteure spezifizieren. Auch dies wird Gegenstand des nächsten Abschnitts sein. Zusammenfassend kann an dieser Stelle bereits folgendes konstatiert werden: Aus der Analogie zum Kuhnschen Fortschrittsbegriff ergibt sich, dass technologischer Wandel einerseits historisch kontingent ist und insgesamt einer gesellschaftlichen Formung unterliegt. Gleichzeitig 103
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existiert ein Einfluss des Technischen: Genau auf diesen Einfluss beziehen sich die verschiedenen Übertragungen des Paradigmabegriffs, die sich auf lokale Regelmäßigkeiten und Muster technologischen Wandels beziehen. Der Einfluss des Technischen ist dabei ein Einflussfaktor unter vielen. Unter bestimmten Bedingungen und flir bestimmte Konstellationen kann der Einfluss des Technischen jedoch als dominierend betrachtet werden. Dies ist der zentrale Aspekt, der durch eine Analogie zum Kuhnschen Paradigmaverständnis herausgestrichen wird. Dieser Aspekt wird insbesondere in der Literatur zum Social Shaping of Technology nur unzureichend berücksichtigt, die soziale Gestaltungsfaktoren gegenüber "real-world and other technical constraints" tendenziell privilegiert (Vincenti 1995: 555). Im Folgenden sind also zunächst die Konstellationen zu spezifizieren, unter denen von einem paradigmagebundenen Fortschritt im Sinne Kuhns gesprochen werden kann. Vor dem Hintergrund einer solchen Spezifikation kann dann die Rolle technologischer Paradigmen im Ensemble der verschiedenen Gestaltungsfaktoren technologischen Wandels präzisiert werden. Es wird gezeigt, dass den technologischen Paradigmen eine zentrale Rolle als Koordinationsmechanismus im Anschluss an eine soziale Schließung zukommt. Hierin sind sich die verschiedenen Ansätze einig, so dass in dieser Hinsicht von einer "Priorität der Paradigmata" zu sprechen ist. Präzisierung des Paradigmabegriffs K.uhn ist in seiner Definition eines wissenschaftlichen Paradigmas nicht einheitlich. Er benutzt den Terminus Paradigma in mindestens 21 unterschiedlichen Weisen (Masterman 1970: 61-65). Aus der Diskussion weiter oben wird deutlich, dass sich diese Uneinheitlichkeit durch die verschiedenen Ansätze der Innovationsforschung zieht, die sich auf eine Analogie zu Kuhn berufen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, zunächst eine Präzision des Paradigmabegriffs vorzunehmen, d.h., für die weitere Argumentation dieser Arbeit zu spezifizieren, wie sich technologische Paradigmen auf die Gestaltung technologischen Wandels auswirken. Im Folgenden werden dabei die allgemeinen Bezugsrahmen technologischen Wandels, die sich aus einer Analogie zu Kuhn herleiten, als technologische Paradigmen bezeichnet. Im Besonderen heißt dies, dass die Bezeichnungen Regime bzw. Frame zugunsten der originär Kuhnschen Bezeichnung aufgegeben werden; dominante Designs und Produktstandards werden als Elemente eines Paradigmas von Bedeutung sein. Um die begriffliche Vielfalt zu ordnen, die sich um das Konzept technologischer Paradigmen rankt, können zunächst verschiedene Bedeutungsgruppen für das Konzept technologischer Paradigmen unter104
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schieden werden. Hier ist die Arbeit von Masterman ( 1970) einschlägig; sie identifiziert drei Aspekte, unter denen sich die verschiedenen Bedeutungen eines Kuhnschen Paradigmas gruppieren lassen: Paradigmen existieren bei Kuhn als metaphysische Paradigmen, die sich als gesamte Weltanschauung verstehen lassen. Sie existieren ebenso als soziologische Paradigmen, d.h. als Gewohnheiten und lokale Praktiken, als sets of habits; und sie existieren schließlich als Artefakt-Paradigmen, also als konkrete Beispiele, d.h. als (irgend)etwas konkret Dingliches und Anschauliches, das in der Lage ist, rätsellösende Aktivitäten auszulösen (vgl. Masterman 1970: 65, 67). 25 Johnston hat diese Dreiteilung in seiner Arbeit als kognitive, soziologische und materielle Aspekte technologischer Paradigmen übertragen (Johnston 1972: 120-122). In dieser Unterscheidung lässt sich nun der Schlüssel für die Präzision eines technologischen Paradigmabegriffs finden. Die einzelnen Ansätze aus der Literatur zum technologischen Wandel unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Schwerpunktsetzung bezüglich der drei Aspekte. Gleichzeitig teilen sie eine Analogie zu Kuhn, indem sie auf diese Aspekte eingehen und ihren Fortschrittsbegriff darauf g1ünden. Die begriffliche Präzision muss also mit der Diskussion materieller, kognitiver, sozialer und - in Erweiterung zu Mastermans Schema - institutioneller Aspekte technologischer Paradigmen beginnen. Aus dem Kuhnschen Paradigma- und Fortschrittsverständnis wird abgeleitet, dass ein technologisches Paradigma immer aus einer Kombination dieser Elemente besteht. In diesem Sinne kann nicht von verschiedenen Bedeutungen eines technologischen Paradigmas gesprochen werden (z.B. MacKenzie/Wajcman 1999: 9; Russell/Williams 2002: 92n28), die sich getrennt von einander analysieren ließen. Die verschiedenen Ansätze der Literatur legen einen Paradigmabegriff zugrunde, in dem die verschiedenen Aspekte untrennbar miteinander verwoben sind. Sie beziehen sich aufeinander. Ich werde zeigen, dass technologische Paradigmen als soziologisch erzeugte Leitlinien zu verstehen sind, die sich auf die Weiterentwicklung einer bestimmten Technologie beziehen. Dies kann nun vor dem Hintergrund kognitiver, soziologischer und materieller Aspekte dargelegt werden. 26 25 Masterman bezeichnet die Artefakt-Paradigmen auch als construct paradigms, die flir die Wissenschaftsphilosphie das eigentlich Neuartige der Kuhnschen Arbeit seien. Nur über etwas sehr Konkretes, etwas Dingliches und Anschauliches, könne die Entstehung einer Wissenschaft in ihrer Anfangsphase - also vor Existenz eines Paradigmas - überhaupt erklärt werden. In diesem Sinne gehe die Erklärungskraft des Kuhnschen Paradigmabegriffs weit über die Arbeiten Feyerabends und Poppers hinaus (Masterman 1970: 68-76). 26 Diese Unterscheidung ist flir die weitere Argumentation dieser Arbeit wichtig, da insbesondere zu klären ist, ob Paradigmen überhaupt kognitive
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INNOVATION UND PARADIGMA
Materielle A:-.pekte von Paradigmen spielen in allen unter 3.2 diskutierten Ansätzen eine entscheidende Rolle. Konkrete Artefakte und Objekte nehmen dabei die Rolle ein, die in Kuhns Paradigmaverständnis den Musterlösungen zukommt. Es geht um Beispielartefakte, anhand derer das Funktionieren und die Beschaffenheit eines Paradigmas demonstriert werden kann. So ranken sich technologische Paradigmen bei Dosi um das erste Artefakt, das als Beispiel für die erfolgreiche Anwendung eines Paradigmas dient (Dosi 1982: 152). Vor allem dieser Aspekt ist im Rahmen des technology cycles-Ansatzes ausgearbeitet worden. Dort sind es dominante Designs, mit denen sich die materiellen Aspekte eines Paradigmas identifizieren lassen. Ein wesentlicher Unterschied wissenschaftlichen und technologischen Wissens kommt in diesem Zusammenhang voll zum Tragen. Technologisches Wissen ist in Artefakten manifestiert, die mit einer bestimmten, sozial und kulturell erzeugten Funktion verknüpft sind. Die Derivate technologischen Wissens (also: dominante Designs) lassen sich damit sowohl an der Realität als auch an den ihnen zugewiesenen Funktionen messen (vgl. Vincenti 1995; 2000). Die von Masterman betonte Bedeutung des Konkreten als zentraler und innovativer Bestandteil eines Kuhnschen Paradigmas (Masterman 1970: 70-76) wird damit für die Betrachtung technologischer Paradigmen noch relevanter: Technologische Paradigmen beziehen sich auf bestimmte und konkrete Artefakte und deren Designs. Der technology cycles- Ansatz liefert die umfassendste Ausarbeitung dieser Aspekte, da er die materiellen Aspekte eines Paradigmas als dominantes Design greifbar macht. Die Grundlage eines Paradigmas ist damit ein dominantes Design, welches als konkretes Produkt (Beispiel) sowie in einer Anzahl Designregeln vorliegt, die sowohl die Struktur und die Funktion dieses Produkts beschreiben (Baldwin/Clark 2000: 23). Gleichzeitig sind in ein dominantes Design mögliche Richtungen von Fortschritt eingeschrieben, die sich als Verbesserung dieses Designs hinsichtlich seiner Funktion beschreiben lassen (Baum et al. 1995: I 01 ). Damit wird deutlich, dass ein dominantes Design zwar der zentrale Baustein eines technologischen Paradigmas ist, dieses jedoch nicht vollständig beschreibt. Insbesondere die Dimensionen möglichen Fortschritts können erst im Wechselspiel mit einer Paradigmagemeinschaft in den Blick genommen werden. Aspekte haben. Bijker bezweifelt dies, indem er die Priorität des Sozialen betont und aus der Arbeit von Ludwik Fleck ableitet. Weiter oben (S. 56ft) wurde gezeigt, dass die Denkstile Flecks jedoch durchaus kognitive Aspekte aufweisen und dass Fleck in seiner Betonung der Priorität des Sozialen nicht konsequent ist. Bijker relativiert dementsprechend die ursprüngliche Annahme von SCOT in späteren Publikationen und gibt an, dass seine Konzeption der technological frames soziologische mit kognitiven Aspekten verbindet (Bijker 1995: 11 , 103).
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Kuhns Paradigmaverständnis ist daher auch im Grundsatz soziologisch. Wissenschaftliche Paradigmen fungieren erstens als Norm einer Gruppenzugehörigkeit und werden zweitens sozial innerhalb einer solchen Gruppe erzeugt. Sie beziehen sich auf die innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannten Probleme und Lösungen; entsprechend enthalten sie Routinen, Gewohnheiten und Praktiken, die die normale wissenschaftliche Praxis regeln, d.h. die Wissenserzeugung im Zuge der Aufräumarbeiten eines Paradigmas. Wissenschaft versteht sich bei Kuhn in erster Linie als Tätigkeit, nicht als formales Konstrukt. 27 Für technologische Paradigmen folgt daraus, dass sie innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft erzeugt und aufrechterhalten werden. Dieser Aspekt wird insbesondere von Bijker hervorgehoben, für den sich technologicalframes auf die Interaktionen von Akteuren beziehen, die einer relevanten sozialen Gruppe angehören (Bijker 1987: 172; 1995: 123). Technologische Paradigmen, so lässt sich auch unmittelbar von Kuhn ableiten, verstärken sich also in den Interaktionen der Gemeinschaft, die ein solches Paradigma teilt. Damit ist es also eine technologische Gemeinschaft, die Träger eines technologischen Paradigmas ist. 28 Die Bestandteile eines Paradigmas sind die, die innerhalb der entsprechenden Gruppe als solche anerkannt sind. Für die Betrachtung technologischen Wandels ergibt sich daraus eine wichtige Konsequenz. Bezieht man sich auf das Kuhnsche Paradigmaverständnis, so folgt daraus, dass paradigmagebundener technologischer Fortschritt auf einem Konsens darüber beruht, wie dieser Fortschritt aussehen wird. Dieser Konsens umfasst ein dominante Design (Struktur und Funktion, Produkt und Prozess) sowie die darauf bezogenen Probleme, Problemlöseheuristiken, Erwartungen und anerkannten Lösungen. Es ist genau dieser soziologische Aspekt technologischer Paradigmen, aus dem sich der Einfluss des Technischen auf die Pfadabhängigkeit technologischen Wandels ergibt. Geschichte zählt; sie zählt jedoch vor allem im Sinne eines historisch gewachsenen, sozial erzeugten und materiell manifestierten Verständnisses dessen, was
27 Es ist dieses soziologische Paradigmaverständnis, das von denjenigen wissenschaftsphilosophischen Kritikern missverstanden wird, die die Betonung normaler Wissenschaft als Betonung eines zutiefst langweiligen und unheroischen Vorgangs abtun (vgl. Popper 1970; Watkins 1970). Aus einer soziologischen Perspektive muss diese Kritik zurückgewiesen werden: Normale Wissenschaft ist deshalb so wichtig, weil in ihr ein pragmatisches Wissenschaftsverständnis voll zum Tragen kommt. 28 Es bleibt dabei zunächst unklar, wie sich solche Gemeinschaften abgrenzen lassen. Bereits Kuhn weist darauf hin, dass eine solche Abgrenzung theoretisch sehr anspruchsvoll, praktisch (d.h. im Einzelfall) jedoch relativ einfach sei.
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Fortschritt innerhalb eines Paradigmas ausmacht. Dieses Verständnis bezieht sich unmittelbar auf ein dominantes Design. Paradigmen umfassen also sozial innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft erzeugte Erwartungshaltungen und Heuristiken bezüglich möglichen Fortschritts. Für Kuhn manifestieren sie sich individuell in den Angehörigen einer wissenschaftlichen Gemeinschaft. Dies sind die kognitiven Aspekte eines Paradigmas. Sie betreffen im Kuhnschen Paradigmaverständnis die gemeinsamen Gruppenpositionen, die in einzelnen Individuen einer technologischen Gemeinschaft als denkmäßige Leitlinien repräsentiert werden. Die kognitiven Aspekte eines Paradigmas entsprechen damit am ehesten dem allgemeinen, alltäglichen Gebrauch des Wortes, wie es im Mertonschen Paradigmaverständnis zum Ausdruck kommt. Sie betreffen die Konstellation von Annahmen, Konzepten und grundsätzlichen Vorschlägen, die innerhalb einer Gemeinschaft als kognitive Leitlinien ihrer Mitglieder geteilt werden (Merton 1968), sie sind also eine Brille grundsätzlicher Annahmen, Theorien, Konzepte und Vorschläge, durch die ein Individuum die Welt wahrnimmt (AIlison/Zelikow 1999: 23f, 60n20). Bezogen auf technologische Paradigmen wird dies insbesondere in den Ansätzen von Dosi bzw. Nelson & Winter deutlich. Für sie stellt ein Paradigma in erster Linie einen Ausblick von Ingenieuren dar, der die Richtungen möglichen Fortschritts einer Technologie angibt (Nelson/Winter 1977: 57; Dosi 1982: 148). Ein solcher Ausblick umfasst denkmäßige Leitlinien, die sich auf anerkannte Probleme sowie Heuristiken bezüglich deren Lösungen beziehen (Dosi 1982: 157). Der entscheidende Punkt in dieser Betonung kognitiver Aspekte liegt darin, dass sie die Praktiken der Wissenserzeugung einer Gemeinschaft betreffen, deren Träger einzelne Individuen sind (Constant 1987: 228). Kognitive Elemente eines technologischen Paradigmas stellen den logischen Aufbau des Denkens im Individuum dar, der durch die Einbindung in entsprechende technologische Gemeinschaften sozial erzeugt ist. Kognitive Elemente sind zwar nicht losgelöst von soziologischen oder materiellen Aspekten zu sehen, aus ihrem Vorhandensein in der Kuhnschen Paradigmakonzeption kann jedoch eines geschlossen werden: Es sind die kognitiven Elemente eines Paradigmas, durch die die Einbindung in eine Paradigmagemeinschaft zu einer spezifischen Perspektive führt, in der die Welt wahrgenommen wird. Paradigmen sind geschlossene Gebilde einerseits, in denen die sozial erzeugte Einheitlichkeit des Denkens die Norm einer Gruppenzugehörigkeit ausmacht, gleichzeitig prägen sie die individuelle Perspektive der Gruppenmitglieder.29 Dieser Punkt wird ftir die weitere Argumentation in 29 Dies tun sie unter anderem auch durch Selektion: Angehörige einer technologischen Gemeinschaft teilen in der Regel einen gemeinsamen denk-
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Kapitel 4 von zentraler Bedeutung sein, wenn die kognitiven Aspekte verschiedener Paradigmen als Ursache für die epistemische Diversität in den Innovationsräumen systemischer Technologien identifiziert werden. Ein vierter Aspekt, den Kuhn im Rahmen seines Paradigmenverständnisses nur am Rande betrachtet und den Masterman lediglich beiläufig als Unteraspekt soziologischer Paradigmen sieht, sind die institutionellen Aspekte eines Paradigmas. Hierunter sind die breiteren kulturellen und institutionellen Strukturen gefasst, in die ein Paradigma eingebettet ist. Diesem Aspekt kommt insbesondere im Rahmen der technoökonomischen Paradigmen ein zentraler Stellenwert zu, die sich als Metaparadigmen verstehen lassen, die die Rahmenbedingungen spezifischer Paradigmen vorgeben (Freeman/Perez 1988: 47). In der Konzeption Kuhns würden Metaparadigmen sich auf die institutionelle Rahmung der Wissenschaft im Allgemeinen beziehen, nicht auf spezifische Disziplinen. Dies spiegelt sich in den Arbeiten von Kemp, Rip u.a. wider, die die Idee der technoökonomischen Paradigmen aufgreifen und untersuchen, wie diese sich auf spezifische Technologiefelder auswirken. Man müsse für die Analyse technologischen Wandels die Regeln auf allen institutionellen Ebenen der Gesellschaft berücksichtigen. Vergleicht man diesen Ansatz mit den wissenschaftlichen Paradigmen Kuhns, so ergibt sich ein deutlicher Unterschied in der Reichweite (scope) beider Konzepte. Wissenschaftliche Paradigmen im Sinne Kuhns beziehen sich auf eine wissenschaftliche Gemeinschaft, d.h. auf eine Gruppe von Wissenschaftlern, die im weiteren Sinne einer wissenschaftlichen Disziplin angehören und in diese eingebunden sind. Sie beziehen sich in diesem Sinne auf lokale Praktiken und Regularitäten, in die einerseits ein allgemeiner Kontext bereits übersetzt ist und die andererseits diesen Kontext mitgestalten (vgl. Russell/Williams 2002: 63). Diese Ebenenunterscheidung gilt auch ftir technologische Paradigmen: Technologische Regime im Sinne von Kemp, Rip u.a. stellen einen allgemeinen Rahmen für die technologischen Paradigmen dar, wie sie in dieser Arbeit analysiert werden. Sie sind Metaparadigmen, deren allgemeine Vorgaben zwar in die lokalen Praktiken spezifischer Paradigmen eingewoben und übersetzt werden, die an sich jedoch nicht Bestandteil eines technologischen Paradigmas sind. Institutionelle Aspekte technologischer Paradigmen und damit die technologischen Regime werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit vor allem deshalb ausgeklammert, weil sie sich in ihrem Erklärungsinteresse und in ihrer Reichweite deutlich von der K.uhnschen Konzeption unterscheiden.
mäßigen Hintergrund, typischerweise die Ausbildung in einer bestimmten Disziplin oder Profession.
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Vor diesem Hintergrund kann nun eine Beschreibung technologischer Paradigmen präzisiert werden. Technologische Paradigmen im Sinne dieser Arbeit bezeichnen den Einfluss des Technischen im technologischen Wandel. Dieser Einfluss besteht in Form von dominanten Designs, d.h. in Form von technischen Fixierungen von Strukturen und Funktionen sowie Produkten und Prozessen, die die Kontingenz technologischen Wandels einschränken; er wirkt durch die Praktiken der Wissenserzeugung in Entwicklergemeinschaften, in denen diese Fixierungen hergestellt und aufrechterhalten werden. In diese Fixierungen und Praktiken sind sowohl Übersetzungen von Kontextfaktoren als auch die realworld constraints im Sinne Vincentis eingeschrieben. Vor diesem Hintergrund konstituieren technologische Paradigmen eine dekontextualisierte Komponente technologischen Wandels. Dies folgt unmittelbar aus der Kuhnschen Beschreibung der normalen Wissenschaft als "Aufräumarbeiten". Damit ermöglicht die Analogie zu Kuhn folgende "enge" Definition eines technologischen Paradigmas, deren Kernelemente eine bestimmte Gemeinschaft als Träger und ein dominantes Design als Muster sind. Ein technologisches Paradigma bezieht sich at!f ein innerhalb einer technologischen Gemeinschaft anerkanntes Beispielartefakt und umfasst die innerhalb derselben Gemeinschaft anerkannten Probleme und erwarteten Lösungen bezüglich des Fortschritts dieses Artefakts. Es stellt damit einen Konsens des zu erwartenden Fortschritts hinsichtlich einer ebenfalls in der Gemeinschaft anerkannten und konstruierten Funktion dar. Ein Paradigma ist sozial erzeugt, da es innerhalb einer Gemeinschaft konstruiert und aufrechterhalten wird. Es enthält Bestandteile zweierlei Typs: kognitive Bestandteile, die sich als denkmäßige Leitlinien in den Mitgliedern einer Gemeinschaft manifestieren und materielle Bestandteile, die sich innerhalb der Gemeinschaft als anerkanntes dominantes Design manifestieren.
Diese Definition liefert nun eine Präzision der verschiedenen Konzepte aus der Literatur und geht dabei auf die materiellen, kognitiven und soziologischen Aspekte technologischer Paradigmen ein. In dieser engen Definition ist das Konzept technologischer Paradigmen in der Lage, eine bestimmte Art technologischen Fortschritts zu beschreiben, der einen Einflussfaktor im technologischen Wandel insgesamt darstellt. Ob dieser insgesamt einer Logik des "Fortschritts durch Revolutionen" folgt, bleibt dabei offen. Es können nun die Elemente paradigmagebundenen Fortschritts diskutiert werden.
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Paradigmagebundener technologischer Fortschritt Bisher ist die Frage nach einer Abgrenzung und Beschreibung technologischer Gemeinschaften noch unbeantwortet geblieben. Diese Frage steht zunächst in engem Zusammenhang mit der Pluralität der Paradigmen, die bereits Johnston angedeutet hat und die in erster Linie von Bijker spezifiziert und als besonderes Element seiner Konzeption hervorgehoben wird (Bijker 1987: 172). Wie lässt sich die Gemeinschaft deljenigen abgrenzen, die einem technologischen Paradigma angehören? Und welche Gemeinschaften müssen überhaupt für die Betrachtung einer Technologie berücksichtigt werden? Eine Pluralität der Paradigmen hat dabei grundsätzlich zwei Dimensionen. Zum einen kann es hinsichtlich einer Technologie mehrere relevante Paradigmen geben, zum anderen sind die Angehörigen eines Paradigmas nie ausschließlich Mitglieder dieses einen Paradigmas. Hier ist vor allem der erste Aspekt relevant, da normale Wissenschaft bei Kuhn unbedingt an die Dominanz eines Paradigmas gebunden ist. Die Abgrenzung der entsprechenden Gemeinschaft nimmt er anhand eines zirkulären Arguments vor: Der Fortschritt eines Paradigmas wird von den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Gemeinschaft gestaltet; Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft sind diejenigen, die den Fortschritt innerhalb eines Paradigmas gestalten (Kuhn 1976: 187t). Für wissenschaftlichen Fortschritt lässt sich eine Pluralität der Paradigmen mit diesem Argument tatsächlich auflösen. Anders sieht dies jedoch im Hinblick auftechnologischen Fortschritt aus, der sich vor allem flir Bijker wesentlich in Aushandlungsprozessen im Rahmen einer interpretativen Flexibilität konstituiert. Diese Problematik ergibt sich aus der Objekthaftigkeit der materiellen Aspekte technologischer Paradigmen. Einem Artefakt wird durch verschiedene soziale Gruppen Bedeutung zugewiesen, so dass Interaktionen zwischen diesen Gruppen zur weiteren Gestaltung dieses Artefakts beitragen (interaktionistische Perspektive). Für Bijker sind technologische Paradigmen (in seiner Terminologie: Frames) nicht ausschließlich die Paradigmen von Ingenieuren. Vielmehr müssten alle relevanten sozialen Gruppen und deren Paradigmen berücksichtigt werden, die über eine Bedeutungszuweisung mit der entsprechenden Technologie verbunden sind. Genau hierin besteht Bijkers pluralistische Modifikation des Kuhnschen Paradigmaverständnisses. Verschiedene soziale Gruppen konstruieren verschiedene Paradigmen, auf deren Grundlage sie sich in die Gestaltung einer Technologie einbringen. Diese Paradigmen teilen das dominante Design, auf das sie sich beziehen, sie unterscheiden sich jedoch in ihren soziologischen und kognitiven Bestandteilen. Die Pluralität der Paradigmen bezieht sich bei
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Bijker allerdings auf eine Konstellation, die dem Prozess einer Revolution bzw. einem vorparadigmatischen Zustand im Sinne Kuhns entspricht. Bei Bijker endet die Pluralität der Paradigmen mit der sozialen Schließung. Bijker spricht dann von normal technology, die durch die Dominanz eines einzigen Paradigmas gekennzeichnet sei und daher auch in Anlehnung an das Kuhnsche Fortschrittsverständnis beschrieben werden könne (Bijker 1987: 182). Für Bijker ändert sich im Zuge der sozialen Schließung vor allem die Rolle der Artefakte. Bestünde diese in Phasen interpretativer Flexibilität in der Bedeutung, die ihnen von den relevanten sozialen Gruppen zugewiesen werde, so würde sie im Anschluss an eine soziale Schließung als Beispiele im Rahmen eines stabilen und dominierenden Frames fungieren (semiotische Perspektive): An important element of any technological frame is the exemplary artifact, and this is the second way in which artifacts have been described in this book. An artifact in the roJe of exemplar (that is, after closure, when it is part of a technological frame) has become obdurate. The relevant social groups have, in building up the technological frame, invested so much in the artifact that its meaning has become quite fixed - it cannot be changed easily, and it forms part of a hardened network of practices, theories, and social institutions. From this time on it may indeed happen that, naively spoken, an artifact ,determines' social deve1opment. (Bijker 1995: 282) In dieser Beschreibung Bijkers wird vor allem eines deutlich: Eine soziale Schließung geht mit der Durchsetzung eines dominierenden Paradigmas einher. Dieses gewährleistet Stabilität, da das zugrunde liegende Beispielartefakt ( exemplary artefact) mit der sozialen Schließung eine gewisse Hartnäckigkeit entwickelt (has become obdurate). Es ist dann Teil eines stabilisierten Netzwerks aus Praktiken, Theorien und Institutionen geworden. Insofern deckt sich diese Beschreibung Bijkers mit der Konzeption Dosis, für den eine soziale Schließung (in seinen Worten: die Selektion eines Paradigmas) mit "technology totally embodied in devices and equipment" (Dosi 1982: 153) einhergeht. Diese Beschreibungen sozialer Schließung unterscheiden sich in ihrer Betonung technologischer und sozialer bzw. institutioneller Aspekte, sie haben jedoch eines gemeinsam: Eine soziale Schließung geht mit der Fixierung eines Beispielartefakts einher, die für den dann folgenden paradigmagebundenen Fortschritt die notwendige Stabilität gewährleistet, die in der Kuhnschen Beschreibung normaler Wissenschaft so charakteristisch ist. Fortschritt im Anschluss an eine soziale Schließung ist insofern paradigmagebundener Fortschritt, als dass er sich auf ein (zumindest temporär) fixiertes Beispielartefakt bezieht.
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Vincenti beschreibt (in Fortsetzung des Zitats von S. 102) vor dem Hintergrund seiner empirischen Untersuchungen den Prozess einer sozialen Schließung ganz ähnlich, und er geht dabei auf die Besonderheiten des Fortschritts im Anschluss an eine solche Schließung ein: [ ... ], once some basic elective decision has been made, possibly (even probably) on social grounds [Hervorhebung - A.P.], a kind of technical logic can take over, leaving designers and inventors little or no choice in important aspects of their engineering solutions. We should not [... ] take such technical shaping as incidental if we want to understand technological change in all its fascinating complexity. (Vincenti 1995: 553t)
Hier finden sich entscheidende Hinweise über die Beschaffenheit normalen technologischen Fortschritts. Für Vincenti gewinnt mit der sozialen Schließung (bei ihm: an elective decision, probably made on social ground~) eine technische Logik an Bedeutung, die den Entscheidungsspielraum von Konstrukteuren und Erfindern einengt. Eine soziale Schließung tritt ftir ihn dann auf, wenn über die grundsätzlichen Richtungen einer Innovation Konsens herrsche und es anschließend um die Gestaltung konkreter Designs gehe. Die Richtungen für Innovationen seien sozial geformt; innerhalb dieser Richtungen würden konkrete Designentscheidungen dann jedoch vor allem auf Basis technischer Überlegungen gemacht. Er beschreibt dies am Beispiel von Flugzeugfahrwerken: The direction of the variation-selection process leading to retractable gear was thus socially shaped. Once the direction had been set, however, technical considerations took over in shaping the form ofthe outcome, that is, in leading the design community to settle in the end on retraction. (Vincenti 1994: 28) Diese technische Logik habe zwar keinen Determinismus oder gar Automatismus zufolge, sie umfasse jedoch eine gewisse technische Expertise, die den Verlauf der Ereignisse im Anschluss an die soziale Schließung beeinflussen würde. Für Vincenti besteht der Einfluss des Technischen also darin, dass technologische Probleme, wie sie sich im Hinblick auf ein als Beispielartefakt fixiertes dominantes Design ergeben, einen wesentlichen Teil der anerkannten Probleme eines Paradigmas ausmachen. Zusätzlich gebe es andere anerkannte Probleme, die sich vor allem aus Übersetzungen eines breiteren ökonomischen und sozialen Kontexts ergeben: Suchproblems [technical problems- A.P.], which can be highly demanding, arise out ofthe need to attain some !arger engineering goal. That goal may ha113
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ve been socially derived, and solving the problern may involve limitations of time and money or other socially related concems. The problern itself, however, is purely a ,technical construct'. For me and my fellow engineers, who may devote whole careers to the solution of such purely technical problems, the distinction [the social/ technical distinction - A.P.] is very real [... ). (Vincenti 1995: 573n31) Für Vincenti sind es jedoch also neben diesen ökonomischen und sozialen Faktoren vor allem auch Entwicklerlogiken, die über die konkrete Weiterentwicklung eines grundsätzlichen Designs entscheiden.30 Technische Dimensionen prägen also wesentlich die Ausarbeitung dominanter Designs. In dieser Beschreibung liefert Vincenti die deutlichste, wenn auch in der Innovationsforschung wenig zitierte, Darstellung einer Analogie zur normalen Wissenschaft im Sinne Kuhns. Die Ansätze der Innovationsforschung, die oben diskutiert wurden, haben damit eines gemeinsam: Sie identifizieren in Analogie zu Kuhn eine Form technologischen Fortschritts, die von einem Paradigma geprägt ist. Dies drückt sich zunächst in der technologischen und sozialen Fixierung eines Beispielartefakts aus. Eine soziale Schließung kommt damit in Anlehnung an Kuhn einer Paradigmaentscheidung bzw. -entstehung gleich. Kuhn beschreibt allerdings zwei Formen sozialer Schließung: Zum einen markiert der Beginn der normalen Wissenschaft die Entstehung eines Paradigmas und beendet somit einen vorparadigmatischen Zustand (Kuhn 1976: 33f). Zum anderen enden wissenschaftliche Revolutionen mit der Entscheidung hinsichtlich eines neuen Paradigmas und damit ebenfalls mit dem Beginn einer nom1alen Wissenschaft (Kuhn 1976: 157). Kuhn ist insbesondere für seine Beschreibung wissenschaftlicher Revolutionen ktitisiert worden, die einzelnen Individuen eine große Bedeutung einräumt (vgl. Schäfer/Schnelle 1980). Im Hinblick auf technologische Paradigmen kann hier jedoch eine Vereinfachung vorgenommen werden, die den Aspekt der Revolution ausklammert: Die soziale Schließung beendet eine Phase der Paradigmapluralität, die dem vorparadigmatischen Zustand bei Kuhn entspricht. In diesem Sinne folgt diese Arbeit der Social Shaping of TechnologyPerspektive. Das Konzept technologischer Paradigmen kann zwar eine besondere Form technologischen Fortschritts erklären, die in Anlehnung an Kuhn als normaler technologischer Fortschritt verstanden werden kam1. Grundlegende Umwälzungen sind aber in erster Linie historisch, 30 Eine ausführliche Beschreibung, wie solche Entwicklerlogiken im Einzelnen wirken, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es sei aber auf die umfassenden Darstellungen bei Vincenti (1990), Bucciarelli (1994) sowie de Vries (2003) verwiesen.
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ökonomisch und sozial kontingent, so dass zumindest zu hinterfragen ist, ob technologischer Wandel durch Revolution in Anlehnung an das Kuhnsche Konzept überhaupt beschreibbar ist. 31 Im Hinblick auf das Kuhnsche Fortschrittsverständnis interessiert damit im Rahmen dieser Arbeit vor allem der paradigmagebundene technologische Fortschritt, der in Analogie zu Kuhn ein Fortschritt in die Tiefe ist. Paradigmagebundener Fortschritt beginnt mit einer sozialen Schließung. Dabei sind hier weniger die Mechanismen der sozialen Schließung von Interesse, sondern die Tatsache, dass eine soziale Schließung mit der Entstehung eines Paradigmas einhergeht. In der Feststellung dieses Sachverhalts besteht eine wesentliche Gemeinsamkeit der verschiedenen Ansätze der Innovationsforschung, die sich auf eine Analogie zu Kuhn berufen. Im Folgenden soll geklärt werden, wie und in welchen Gemeinschaften technologische Paradigmen im Einzelnen wirken. Technologische Paradigmen beziehen sich auf den Einfluss des Technischen; die Stabilität technologischer Paradigmen wird durch die Fixierung eines Beispielartefakts in Form eines dominanten Designs hergestellt. Fortschritt im Anschluss an eine solche Fixierung wird - das haben am deutlichsten die Studien von Vincenti gezeigt - vor allem durch die technischen, ökonomischen und sozialen Einschreibungen in die Beispielartefakte und die dadurch begründeten und damit zusammenhängenden Entwicklerlogiken geprägt. Im Hinblick auf die Abgrenzung einer Paradigmagemeinschaft hat dies vor allem eine Konsequenz. Die Mitgliedschaft in einer Paradigmagemeinschaft ist voraussetzungsreich. Die Angehörigen eines Paradigmas müssen sowohl mit der technischen Expertise vertraut sein, die diesem Paradigma zugrunde liegt, als auch mit den spezifischen Übersetzungen des breiteren sozialen und ökonomischen Kontextes. Im Anschluss an eine soziale Schließung, also während normalen technologischen Fortschritts, wenn Artefakte eine fest definierte Bedeutung haben und das Zentrum eines Netzwerks spezifischer Praktiken geworden sind, setzt die Mitgliedschaft in einem Paradigma elaborierte Kenntnis im Hinblick auf die Grundannahmen dieses Paradigmas voraus. Bei Kuhn nimmt dieser Aspekt einen zentralen Stellenwert ein, da über ihn die Kohärenz eines Paradigmas gewährleistet wird. Hat sich ein Paradigma erst einmal durchgesetzt, so ist die Mitgliedschaft nicht mehr beliebig. Sie wird bei Kuhn durch Ausbildung erworben, und zwar durch eine Ausbildung dahingehend, einen Beitrag zu den Aufräumarbeiten eines Paradigmas leisten zu können. Entsprechend spezifiziert Kuhn zwei Voraussetzungen flir die Mitgliedschaft in 31 Diverse Autoren haben genau dies mit Konzepten wie presumptive anomalies (Constant 1980, 1987), reverse salients (Hughes 1983, 1987) oder plateaus (Sahal 1981, 1985) versucht.
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einem Paradigma (Kuhn 1976: 193-203): Das Mitglied einer wissenschaftlichen Gemeinschaft muss mit den Grundannahmen des jeweiligen Paradigmas vertraut sein, und es muss an den Aufräumarbeiten, also dem Produzieren erwartbarer Ergebnisse des Paradigmas beteiligt sein (Wissenserzeugung). Im Hinblick auftechnologischen Fortschritt bedeutet dies, dass die Mitglieder einer Paradigmagemeinschaft an der Wissensproduktion normalen Forschritts beteiligt sind; sie sind nicht diejenigen, die mit der Produktion eines state-of-the-art befasst sind (vgl. zu dieser Unterscheidung auch Fleck 2002; Hage 2003). Entsprechend sind sie durch einen Stil der Wissensproduktion, einen epistemischen Stil, charakterisiert, der wesentlich durch die verschiedenen Elemente ihres Paradigmas geprägt ist. Hierauf wird in Kapitel 4 ausführlich eingegangen. Auf der Grundlage der grundsätzlichen Überlegungen Kuhns sowie der Diskussion in diesem Abschnitt kann nun im Hinblick auf die Beschaffenheit technologischer Paradigmagemeinschaften folgende Aussage gemacht werden: Technologische Paradigmagemeinschaften sind Spezialistengemeinschaften, d.h. die Mitgliedschaft in einem Paradigma ist voraussetzungsvoll: Mitglieder einer Paradigmagemeinschaft müssen mit den Designregeln vertraut sein, die im Rahmen des zugrunde liegenden dominanten Designs fixiert sind (Struktur und Funktion, Produkt und Prozess). Darüber hinaus können aber nur diejenigen Eingeweihten Angehörige einer Paradigmagemeinschaft sein, die mit der Weiterentwicklung dieser Designregeln befasst sind. Paradigmamitglieder müssen -ganz im Sinne Kuhns- an den Aufräumarbeiten des Paradigmas beteiligt sein. Paradigmagemeinschaften sind also Spezialistengemeinschaften, in denen neues Wissen erzeugt wird. Hierin drückt sich nicht zuletzt auch der entscheidende Nutzen der Kuhnschen Konzeption für die Innovationsforschung aus, die sich ja wesentlich mit der Erzeugung neuen Wissens auseinandersetzt (vgl. Kapitel 2). Der Zusammenhang von Paradigmagemeinschaft und Spezialistentum kommt in den ökonomischen Ansätzen der Innovationsforschung naturgemäß deutlicher zum Ausdruck. So stellt Molina fest, dass ökonomische Ansätze der Innovationsforschung die Rolle des Technischen in der Regel pointierter formulieren, als entsprechende sozialwissenschaftliche Konzepte: Some sociologists - especially of the social constructivist school - have been quick to issue a blanket condemnation of technological determinism without much regard for systematic analysis. [... ] Economists - particularly of the tradition of evolutionaty economics - have clearly perceived that the nature of technology plays a major part in the development of firms and the economy. (Molina 1999: 2) 116
DIE "PRIORITÄT DER PARADIGMATA"
Darüber hinaus lässt sich aus den ökonomischen Ansätzen der Innovationsforschung noch eine weitere Eingrenzung technologischer Paradigmagemeinschaften ableiten. Und zwar verorten sie ein Paradigma innerhalb einer Industriebranche. Paradigmagemeinschaften sind somit Spezialistengemeinschaften innerhalb einer Industriebranche und sind mit der Wissensproduktion bezüglich der dieser Branche zugrunde liegenden Technologie befasst. Eine genauere Abgrenzung einer Paradigmagemeinschaft kann allerdings weder aufgrundder diskutierten Ansätze noch aus der originalen Arbeit Kuhns abgeleitet werden. Innerhalb der Spezialistengemeinschaften, denen ein gemeinsames technologisches Paradigma zugrunde liegt, muss die Wissenserzeugung jedoch den Aufräumarbeiten Kuhns entsprechen, d.h. aus dem routinemäßigen Abarbeiten bestimmter Fortschrittsvorstellungen bestehen. Hieraus lässt sich nun die Präzision einer technologischen Trajektorie ableiten: Normaler technologischer Fortschritt wird in den engen Grenzen des Konsenses produziert, der innerhalb der Gemeinschaft von Spezialisten einer Branche hinsichtlich der Möglichkeiten des entsprechenden dominanten Designs herrscht. Diese Grenzen und die Fortschrittserwartungen innerhalb dieser Grenzen beinhalten im Sinne Vincentis sowohl eine technische Logik, als auch allgemeine Vorstellungen von Funktion, Bedeutung und Marktstrukturen, die in die lokalen Praktiken der jeweiligen Spezialistengemeinschaften eingeschrieben sind. In diesem Sinne stellen technologische Trajektorien eine Dynamik technologischen Wandels dar, die zumindest bis zu einem gewissen Grad dekontextualisiert ist. Diese Dekontextualisierung liegt in der Schließung begründet, in deren technologischer Fixierung ebenfalls soziale und ökonomische Kontextbedingungen über ein "Verfallsdatum" (Knie 1998: 40) hinaus eingeschrieben bleiben. Im Zuge dieser Schließung erfolgt also die Fixierung der materiellen, sozialen und kognitiven Elemente, die dann im Rahmen des so entstehenden technologischen Paradigmas untrennbar miteinander verwoben sind. Zusammenfassend kann nun folgendes festgehalten werden: Das Konzept technologischer Paradigmen in seiner hier dargestellten engen Fassung betont den dominierenden Einfluss von Spezialistengemeinschaften und den in ihnen anerkannten technologischen Paradigmen in bestimmten Phasen technologischen Wandels und für bestimmte Formen von Technologie. Dies heißt nicht, dass technologischer Wandel insgesamt vom Einfluss dieser Spezialistengemeinschaften dominiert wird. Allerdings stellen technologische Paradigmen und die in ihnen vorgenommenen technischen, ökonomischen und sozialen Fixierungen einen Einflussfaktor dar, der die Kontingenz technologischen Wandels ein-
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INNOVATION UND PARADIGMA
schränkt und lokale Regelmäßigkeiten, Muster und Stabilität im komplexen Prozess technologischen Wandels herstellt.
Soziale Schließung und die Koordination durch technologische Paradigmen Die Übertragung und Nutzbarmachung eines Kuhnschen Paradigmabegriffs zur Beschreibung technologischen Wandels bezieht sich auf die Betonung lokaler Stabilität. Diese Stabilität wird innerhalb einer Spezialistengemeinschaft hergestellt, sie umfasst die Fixierung eines dominanten Designs sowie denkmäßiger Leitlinien, die sich auf die Weiterentwicklung hinsichtlich dieses Designs beziehen (Wissensproduktion). Technologische Paradigmen sind also insofern begrenzt, als sie ein dominantes Design voraussetzen, auf das sie sich beziehen. Im Sinne Vincentis betonen sie den Einfluss des Technischen, da das in ihnen festgeschriebene Fortschrittsverständnis vor allem in technischen Dimensionen ausgedrückt wird. Damit stellen technologische Paradigmen eine lokale technologische Dynamik im komplexen, sozial und ökonomisch geformten Prozess technologischen Wandels dar. Hierin kommt die "Priorität der Paradigmata" in einem direkten Kuhnschen Sinn zum Ausdruck: Es ist der weitgehend implizite Komplex sozialer, materieller und kognitiver Elemente, die eine Spezialistengemeinschaft als solche identifiziert und ihre Kohärenz gewährleistet. In diesem ersten Sinn sichert die "Priorität der Paradigmata" lokale Regelmäßigkeiten und Strukturen im komplexen Prozess technologischen Wandels. Dieses drückt sich in technologischen Trajektorien aus, also in einem routinemäßigen Abarbeiten gewisser Fortschrittserwartungen hinsichtlich eines dominanten Designs. Dieser Fortschritt entspricht der normalen Wissenschaft Kuhns, indem er kumulative Neuerungen produziert. Er ist ein Fortschritt in die Tiefe, nicht in die Breite (vgl. Kuhn 1976: 182ft). Eine Abgrenzung der Spezialistengemeinschaft, die Träger eines technologischen Paradigmas ist, hat sich sowohl vor dem Hintergrund der verschiedenen Ansätze aus der Innovationsforschung als auch im Kuhnschen Paradigmaverständniss als problematisch erwiesen. Die Eingrenzung "Spezialistengemeinschaft" bezieht sich darauf, dass die Mitglieder einer Paradigmagemeinschaft mit der Wissenserzeugung hinsichtlich eines dominanten Designs befasst sind. Sie sind insofern Spezialisten, als diese Wissensproduktion, ganz im Sinne Kuhns, durch die Grundannahmen des entsprechenden Paradigmas geprägt ist. Die Kenntnis dieser Grundannahmen wird damit zur Voraussetzung dafür, Mitglied einer Paradigmagemeinschaft sein zu können. Gleichzeitig ergibt sich daraus eine weitere Konsequenz, die aus dem Zirkelschluss folgt, mit dem Kuhn wissenschaftliche Paradigmagemeinschaften voneinander 118
DIE "PRIORITÄT DER PARADIGMATA"
abgrenzt (Kuhn 1976: l87f): Paradigmen regulieren ihre innere Kohärenz u.a. dadurch, dass die Mitglieder der entsprechenden Gemeinschaft Träger derselben kognitiven Elemente sind. Technologische Paradigmen üben nach ihrer Etablierung eine Selektion hinsichtlich ihrer Mitglieder aus. Träger eines Paradigmas sind daher Spezialisten. Diese Spezialisten sind dabei durch die Bindung an dominante Designs innerhalb einer Industriebranche charakterisiert. Gleichzeitig sind sie von anderen Akteuren dadurch abgegrenzt, dass sie mit der Wissenserzeugung hinsichtlich dieses dominanten Designs befasst sind. Für diese Zwischenbilanz gibt es jedoch noch einen weiteren entscheidenden Punkt: Paradigmen koordinieren die Spezialistengemeinschaften, in denen sie wirken, und ermöglichen in diesem Sinne erst einen kumulativen Fortschritt im Sinne der Ausarbeitung eines dominanten Designs. In den verschiedenen Ansätzen werden Analogien zu Kuhn nicht allein genutzt, um lokale Stabilitäten zu erklären. Lokale Stabilitäten im Sinne der Ermöglichung technologischer Trajektorien werden als Voraussetzung für den Einfluss des Technischen im Rahmen des technologischen Wandels überhaupt dargestellt. Der sozialen Schließung, durch die eine lokale Stabilität hergestellt wird, kommt also eine zentrale Bedeutung in Innovationsprozessen zu. Soziale Schließung wiederum wird in der Literatur durchgehend über eine Analogie zu Kuhn, also über die Entstehung eines technologischen Paradigmas in einer seiner Facetten, erklärt? 2 Hierauf bezieht sich ein zweiter, übertragener Sinn einer "Priorität der Paradigmata" in der Innovationsforschung: Soziale Schließung wird durch eine Paradigmaentstehung erklärt, die eine lokale Stabilität im Sinne einer Ausarbeitung technologischer Probleme ermöglicht. Ein technologisches Paradigma ermöglicht diese lokale Stabilität, indem sie die Aktivitäten innerhalb einer Paradigmagemeinschaft koordiniert. Die Entstehung eines Paradigmas wird damit zur Voraussetzung einer bestimmten Art von Innovationsprozessen. Erst mit der Etablierung eines Paradigmas wird ein gemeinsamer Bezugsrahmen hergestellt, der eine koordinierte Wissensproduktion im Hinblick auf die Ausarbeitung eines dominanten Designs möglich macht. Somit wird deutlich, dass technologische Paradigmen neben einer Erklärungsfigur ftir lokale Stabilität ein Koordinationsmechanismus
32 Darin sind sich di e oben diskutierten Ansätze einig. Vgl. darüber hinaus auch die Beiträge in Esser et al. (1 998) sowie Canzler/Dierkes (2001 : 460), Garud/Kamoe (2003: 278), Suarez (2004) und Gatignon et al. (2002). Dies impliziert nicht, dass soziale Schließung etwas Vollständiges, Endgültiges ist (vgl. Rammert 1995; Pinch 2001; Russell/Williams 2002: 58). Genau dies wird durch die Einschränkung einer lokalen Stabilität hervorgehoben.
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INNOVATION UND PARADIGMA
sind, der kumulative Innovationsprozesse überhaupt erst ermöglicht. So stellen Paradigmen für Fleischmann eine Übereinkunft dar, die "eine wirksame Kooperation zwischen den forschenden und entwickelnden Akteuren" (Fleischmann 1998: 15) gewährleistet. Van de Poel sieht die koordinierende Wirkung technologischer Paradigmen in einer Vermeidung von Unsicherheit: Akteure würden sich normalerweise darauf verlassen, dass andere Akteure sich auf eine durch ein Paradigma vorhersehbare Art und Weise verhalten (van de Poel 1998: 168). Technologische Paradigmen koordinieren also die Aktionen und Interaktionen der Wissenserzeugung in einer Paradigmagemeinschaft Hieraus ergibt sich allerdings ein wesentliches Problem: Der Einflussbereich technologischer Paradigmen ist begrenzt, d.h. er setzt die Existenz eines dominanten Designs voraus, dessen Ausarbeitung im Rahmen des entsprechenden Paradigmas betrieben wird. Die "Priorität der Paradigmata" stößt hier an ihre Grenzen. Sie kann kumulative Innovationsprozesse nur auf der Ebene spezifischer Technologien erklären. Das zentrale Problem ist damit eines der Koordination. Die Ansätze in der Innovationsforschung teilen sich diesbezüglich in zwei Stränge: Der erste betont, dass Innovationsprozesse vollständig durch Kontingenz und Unvorhersehbarkeit charakterisiert seien, der zweite ergänzt diese Perspektive und weist auf die Bedeutung lokaler Regelmäßigkeiten und Muster hin, die diese Kontingenz und Unvorhersehbarkeit begrenze (vgl. Russell/Williams 2002: 63-67): Now [ .. .] almost ten years down the road, horror oftechnological deterrninism is as vigorous as ever, but so are concems about how to avoid getting bogged down in utter contingency - in approaches which represent techno1ogies as endlessly malleable and freely interpretable by groups of actors. (Disco/ Meulen 1998: 4)
Die vorliegende Arbeit betont die Bedeutung lokaler Stabilitäten in Innovationsprozessen als notwendige Voraussetzung für die Entstehung solcher Prozesse überhaupt. Es geht also darum, lokale Stabilität auf der Ebene spezifischer Technologien als kontingenzeinschränkenden Gestaltungsfaktor technologischen Wandels herauszustreichen. Technologische Paradigmen stellen lokale Stabilität her, indem sie die Wissenserzeugung verschiedener Akteure in Innovationsprozessen koordinieren. Daraus ergibt sich ihre Bedeutung in der Innovationsforschung. Technologische Paradigmen genießen ihre Priorität als Koordinationsmechanismus, der die Wissensproduktion verschiedener Akteure koordiniert, in dem er ihnen einen gemeinsamen Bezugsrahmen zur Verfügung stellt, in dem verschiedene technische, ökonomische und soziale
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DIE "PRIORITÄT DER PARADIGMATA"
Faktoren eingeschrieben und fixiert sind. Dieses Erklärungsmuster hat jedoch Grenzen, da es die Figur der sozialen Schließung und damit ein dominantes Design voraussetzt. Die entscheidende Lücke, die das Konzept technologischer Paradigmen offen lässt, betrifft damit die Koordination von Akteuren, die kein gemeinsames Paradigma teilen. Dieses Thema ist Gegenstand des nun folgenden Kapitels, in dem es um systemische Technologien und insbesondere technologische Konfigurationen geht. Es wird gezeigt, dass sich die Herausforderung einer losen Koppelung verschiedener, also diverser, Paradigmen stellt. Damit geht es um eine Form sozialer Schließung, die nicht mit einer Paradigmaentstehung einhergeht. Genau für diesen Fall muss die "Priorität der Paradigmata" durch die Flecksehe Konzeption der Denkkollektive ergänzt werden.
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4. Technologische Konfigurationen: Von der "Priorität der Paradigmata" zur Koordination epistemischer Diversität
In Kapitel 3 wurde eingegrenzt, unter welchen Bedingungen technologische Paradigmen wirken: Sie beschreiben eine Form lokaler Stabilität, wie sie für die Entwicklung spezifischer Technologien im Anschluss an eine soziale Schließung relevant ist. Es lässt sich dann eine Form normalen, technologischen Fortschritts identifizieren, die in Analogie zum Kuhnschen Verständnis normaler Wissenschaft beschrieben werden kann. Paradigmen koordinieren diese Form des Fortschritts als Resultat sozialer Schließung, indem sie einen Bezugsrahmen für kumulativen Wandel vorgeben. Normalen technologischen Fortschritt kann man als "Aufräumarbeiten" hinsichtlich bestimmter Kriterien beschreiben. In diesem Sinne und auf dieser Ebene ist eine soziale Schließung und die damit einhergehende Paradigmaentstehung eine wichtige Voraussetzung für Innovationsprozesse überhaupt, da sie eine Identität der Technologie etabliert. In diesem Kapitel wird zunächst das Technologieverständnis thematisiert, welches der Diskussion um die technologischen Paradigmen zugrunde liegt. Nicht alle Technologien sind spezifische Technologien, sondern sie stellen in der Regel Komponenten im Rahmen technologischer Systeme dar. Technologische Systeme wiederum, so wird gezeigt, lassen sich nicht immer im Rahmen technologischer Paradigmen beschreiben. Insbesondere wenn ihre Systemidentität erst vor dem Hintergrund spezifischer Anwendungen beschreibbar wird, fehlt ihnen eine eigene Systemdynamik. James Fleck bezeichnet solche Technologien als technologische Konfigurationen (Fleck 1993, 1994b). Dies wirft die Frage nach dem Fortschrittsverständnis auf, welches sich zur Beschreibung technologischer Konfigurationen heranziehen lässt. In diesem Ka123
INNOVATION UND PARADIGMA
pitel wird gezeigt, dass die zentrale Herausforderung technologischer Konfigurationen in der Diversität technologischer Paradigmen zu finden ist, die auf der Ebene der einzelnen Komponenten existieren. Die zentrale Frage lautet also: Wie werden Innovationsprozesse koordiniert, an denen unterschiedliche Paradigmagemeinschaften beteiligt sind? Damit geht es um eine paradigmaübergreifende Kooperation. Es wird gezeigt, dass soziale Schließung in diesem Fall nicht über eine Analogie zu Kuhn erklärt werden kann. Auf Grundlage der empirischen Studien von James Fleck wird zunächst der Unterschied von technologischen Systemen und Konfigurationen herausgearbeitet. Dieser Unterschied wird für die weitere Argumentation dieser Arbeit von zentraler Bedeutung sein. Anschließend wird eine neue Form technologischen Fortschritts dargestellt, die sich aus der Konzeption technologischer Konfigurationen ergibt. Diese erhält in der unmittelbaren Berücksichtigung lokaler Kontingenzen eine neue Dimension. Fortschritt besteht dann in der Definition einer Anwendung für die Konfiguration bisher unabhängiger Komponenten (siehe S. 123147). Technologische Konfigurationen werden, so wird anschließend gezeigt, in branchenübergreifenden Kooperationen innerhalb von technologischen Feldern gestaltet. Solche Felder zeichnen sich insbesondere durch eine lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften aus. Auf der Ebene einzelner Akteure drückt sich dies als Diversität verschiedener Modi der Wissenserzeugung, als epistemische Diversität, aus. Für die Erklärung technologischer Felder muss die "Priorität der Paradigmata" um die Konzeption der Denkkollektive von Ludwik Fleck erweitert werden (siehe S. 148-168).
Technologische Konfigurationen als spezielle Form systemischer Technologien In der Literatur zum technologischen Wandel existiert eine Vielzahl von Typologien, die verschiedene Formen von Technologien unterscheiden (vgl. Molina 1999). Eine grundsätzliche Unterscheidung zieht sich dabei durch diese ganz unterschiedlichen Typologien, eine Unterscheidung, die Dosi mit den Bezeichnungen spezifische Technologie und technologisches System andeutet (vgl. Dosi 1997: 1535). Es gibt Technologien, die sich nicht oder nur in geringem Maße aus Komponenten zusammensetzen (stand alone-Technologien); und es gibt Technologien, in denen verschiedene stand alone-Technologien als Komponenten in einem System zusammenwirken (systemische Technologien). Selbstverständlich kann eine solche Unterscheidung nie absolut sein - schließlich lässt sich 124
TECHNOLOGISCHE KONFIGURATIONEN
jede Apparatur prinzipiell in verschiedene Komponenten unterteilen -, sie ist jedoch aus analytischen Gründen relevant, da sie etwas über den Wirkungsbereich der Identität einer Technologie aussagt. Darüber hinaus existiert in der Literatur jedoch noch eine weitere Unterscheidung, die allerdings seltener be1ücksichtigt wird. Dies ist die Unterscheidung technologischer Systeme, ftlr die eine allgemeine Identität beschrieben werden kann, und solcher technologischer Systeme, deren spezifische Identität sich erst im Rahmen einer Anwendung ergibt (Russell/ Williams 2002: 48f). In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Arbeiten von James Fleck relevant.
Allgemeine Systeme und technologische Konfigurationen Systemische Technologien zeichnen sich dadurch aus, dass sich eine Produktarchitektur identifizieren lässt, die das Zusammenspiel verschiedener Komponenten regelt. Analytisch kann so zwischen Designregeln unterschieden werden, die sich auf bestimmte Komponenten beziehen, und Designregeln, die angeben, wie verschiedene Komponenten im Sinne der Gesamtarchitektur zusammenwirken (vgl. Clark 1985; Henderson/Clark 1990; Afuah!Utterback 1991; Christensen/Rosenbloom 1995; Ulrich 1995; Baldwin/Clark 2000). Rosenkopf & Tushman unterscheiden im gleichen Zusammenhang zwischen einfachen und zusammengesetzten Produkten. Einfache Produkte seien solche, die nicht oder nur sehr eingeschränkt in einzelne Komponenten separiert werden könnten. Bei zusammengesetzten Produkten würden dagegen verschiedene Komponenten, die über anspruchsvolle Schnittstellen miteinander verbunden seien, das Endprodukt konstituieren (Rosenkopf/Tushman 1998: 324). Zusammengesetzte Produkte bezeichnen Rosenkopf & Tushman als systemische Technologien. 1 Systemische Technologien sind also durch (mindestens) zwei Ebenen charakterisiert, die der Komponenten und die des Zusammenspiels dieser Komponenten in einer Architektur. Für Rosenkopf & Tushman lassen sich systemische Technologien im Rahmen der technology cycles beschreiben, so dass für ihre Entwicklung diskontinuierliche und kontinuierliche Phasen unterschieden werden könnten, deren Übergang durch die Entstehung eines dominanten Designs markiert sei:
Systemische Technologien wiederum könnten in offene und geschlossene Systeme unterteilt werden (Tushman/Rosenkopf 1992: 333). Die Darstellung offener Systeme entspricht dabei weitgehend den großtechnischen Systemen (vgl. Hughes 1983; Mayntz!Hughes 1988), die nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind (siehe Kapitel 2).
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INNOVATION UND PARADIGMA
The selection of a dominant design settles technological competition, drawing the era of ferment to a close. [... ] After the dominant design emerges, further refinement and elaboration of this design occur during the era of irreremental change. During the emergence of the dominant design, the primary function of the community is standardization; during the era of irreremental change, the primary function of the community is the elaboration of the standard. (Rosenkopf/Tushman 1994: 417f)
Der Systemcharakter systemischer Technologien spiele dabei vor allem für die Phasen diskontinuierlichen Wandels eine Rolle. Der Prozess der sozialen Schließung sei im Falle systemischer Technologien ungleich komplexer als im Falle einfacher stand-alone Technologien. Insbesondere nehme die Bedeutung interorganisationaler, netzwerkartiger Beziehungen zu, in denen die Spezifikationen einer systemischen Technologie ausgehandelt würden. Rosenkopf & Tushman sprechen daher von einer sozialen Konstruktion von Technik in diskontinuierlichen Phasen und einer technischen Determination von Technik in kontinuierlichen Phasen eines technology cycle (Rosenkopf/Tushman 1994: 424). Vor diesem Hintergrund untersuchen sie insbesondere die Rolle formaler, grenzüberspannender (boundary spanning) Organisationen - sog. cooperative technical organizations (CTO 's) - im Prozess der sozialen Schließung (Rosenkopf/Tushman 1998). Dieser Prozess, und damit die soziale Schließung an sich, ende jedoch auch für systemische Technologien in einem stabilisierten Zustand, der sich um ein dominantes Design ranke und die Voraussetzung für irrkrementeilen Wandel sei (Rosenkopf/ Tushman 1994: 416, 419)? Auch ftir systemische Technologien ist soziale Schließung bei Rosenkopf & Tushman im Sinne der technolgy cyles durch die Etablierung eines dominanten Designs markiert und entspricht damit der Entstehung eines Paradigmas (siehe Kapitel3, S. 98-121). Dieser Erklärung der Entwicklung systemischer Technologien im Rahmen des Phasenmodells des technology cycles-Ansatzes liegt jedoch ein Kunstgriff zugrunde. Für Rosenkopf & Tushman besitzen systemische Technologien nämlich eine Produktidentität (das Endprodukt), die über die Grenzen spezifischer Anwendungen hinweg robust ist (Rosenkopf/Tushman 1998: 324). Soziale Schließung sei zwar ein sozial konstruierter Prozess, er finde aber im Sinne des technology cycles-Ansatzes als Wettbewerb zwischen verschiedenen Designs um Dominanz statt. 2 Interessanterweise deckt sich die Darstellung dieses stabilisierten Zustands bei Rosenkopf & Tushman weitgehend mit Bijkers Beschreibung der Dominanz eines technologischen Frames: das dominante Design ist Zentrum eines stabilisierten Netzwerkes, welches- so lange es stabil ist- den weiteren Pfad der Entwicklung prägt (vgl. Rosenkopf/Tushman 1994: 419; Bijker 1995: 282).
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TECHNOLOGISCHE KONFIGURATIONEN
Der Gegensatz zwischen einfachen und systemischen Technologien bestehe darin, dass dieser Wettbewerb ftir einfache Technologien auf der Basis einfach zu messender, technischer Dimensionen von Gewinn ausgetragen werde, wohingegen für systemische Technologien diverse Dimensionen der Gewinnverteilung zu be1ücksichtigen seien (Rosenkopf/ Tushman 1994: 409). Mit anderen Worten: Das Endprodukt, von dem Rosenkopf & Tushman sprechen, also eine konkrete Produktidentität auf der Ebene des Systems, existiert in verschiedenen Varianten bereits in Phasen diskontinuierlichen Wandels. Diese Annahme ist von zentraler Bedeutung. Erst wenn von einer Produktidentität gesprochen werden kann, die unabhängig von einer konkreten Anwendung identifizierbar ist, ist ein Wettbewerb zwischen alternativen Designs überhaupt erst möglich, die eine Analyse im Rahmen eines technology cycle zulässt. Im Hinblick auf die Technologie lässt diese Perspektive einen wesentlichen Aspekt unberücksichtigt. Geht es um die Integration verschiedener Komponenten in einem System, so ist die spezifische Funktion dieses Systems im voraus nicht zwangsläufig definiert. Hier geht es also um eine Unterscheidung zwischen Technologien, deren Identität über die Grenzen ihres spezifischen Kontexts hinweg stabil ist, und Anwendungen, deren spezifische Produktidentität sich erst im Zusammenspiel mit lokalen Kontingenzen und Unsicherheiten ergibt.3 James Fleck hat in diesem Zusammenhang den Begriff der technologischen Konfiguration geprägt, mit der er spezifische technologische Systeme bezeichnet, die er von allgemeinen (generic) technologischen Systemen unterscheidet (Fleck 1993).4 Technologische Systeme definiert er dabei weitgehend analog zu Rosenkopf & Tushman: Conventionally, systems refer to complexes of elements or components, which mutually condition and constrain one another, so that the whole complex works together, with some reasonable clearly defined overall function. (Fleck 1993: 17)
Auf der Grundlage dieser Definition nimmt er jedoch eine Unterscheidung allgemeiner und spezifischer Systeme vor. Das Kennzeichen all3 Vgl. hierzu Russell/Williams (2002: 48f): "Confusion arises especially
when people fail to distinguish between technologies as generic capabilities, components or techniques, and technologies as specific applications or arrangements of components." 4 Weder die Bezeichnung "technologisches System" von James Fleck noch die Bezeichnung "systemische Technologie" von Rosenkopf & Tushman sind mit den technological systems im Sinne von Carlsson identisch, die sich auf die technoökonomische Struktur einer Branche beziehen (vgl. Carlsson 1997; Carlsson et al. 2002).
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gemeiner Systeme ist für James Fleck das Vorhandensein einer "clearly defined overall function" (Fleck 1993 : 17). Allgemeine Systeme seien durch eine Identität charakterisiert, die über die Grenzen spezifischer Kontexte hinweg stabil ist. Ihnen liege damit eine Kohärenz zugrunde, die die Anordnung ihrer Komponenten und Integration festlegt; ihre Entwicklung in der Zeit sei daher durch eine innere Logik stark strukturiert. With generic systems, the clear sense of generic identity is reflected by the existence of explicit system standards specifying functions and performance, and by the existence of markets for the generic technology systems and standard system elements. Generic identity, therefore, may be accompanied by an underlying systematicity, relating to the existence of standard plans for building systems and the provision of standard parts to realize the plan. (Fleck 1993: 17f) Diese Beschreibung ist im Prinzip die eines dominanten Designs, das im Rahmen des technology cycle-Ansatzes den Beginn irrkrementeilen Fortschritts markiert. Die Architektur eines Systems ist durch einen Standard definiert, der Funktion und Arbeitsweise festlegt, die Herstellung eines Systems ist durch Regeln (standard plan) beschreibbar, und die Beziehungen zwischen Nutzern und Herstellern sind durch bestehende Märkte geregelt. 5 Ein System zeichne sich dann durch eine Systemdynamik aus, die eine Entwicklung des Systems unabhängig von spezifischen Anwendungskontexten im Rahmen technologischer Trajektorien ermögliche: Such considerations amount to the existence of identifiable system dynamics which direct and guide further generic development, which can consequently be carried out independently of the application context by technology suppliers. [ ... ] Irrcremental innovations improve system performance without essentially altering basic system functions, and thus take place within more or less defined natural trajectories, with consistent improvements in stably defined parameters [Nelson & Winter, 1982]. (Fleck 1993: 18)6 Die Entwicklung allgemeiner technologischer Systeme folgt damit für James Fleck der Logik eines normalen technologischen Fortschritts, wie 5 Gegenüberstellend: "After dominant designs emerge, [... ] [t]echnical clarity and convergence on a set of technical parameters permit firms to design standardized and interchangable parts and to optimize organizational processes for volume and efficiency [... ].Dominant designspermit more stable and reliable relations with supp1iers, vendors, and customers. [ .. . ] Finally, if the product is part of a I arger system, industry standards permit system-side compatibil ity and integration [... ]." (Tushman/Rosenkopf 1992: 321) 6 Vgl. hierzu auch Fleck (1993: 28; 1995: 44; 2000: 263f; 2002: 16).
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er in Analogie zu Kuhn beschreibbar ist. 7 Es dominiere der Einfluss des Technischen, da inkrementeHer Fortschritt hinsichtlich klar definierter Kriterien auf der Ebene des Systems erfolge. Genau hierin liegt für James Fleck die wesentliche Beschränkung eines allgemeinen Systembegriffs im Zusammenhang mit der Analyse technologischen Wandels. Nicht alle technologischen Systeme, in denen verschiedene Komponenten eine gemeinsame Funktion erfwlen, würden diese Identität über die Grenzen ihrer spezifischen Anwendung hinaus bewahren. Nicht alle technologischen Systeme seien mithin auch Beispiele eines allgemeinen Systems, für das eine Systemdynamik identifiziert werden könne. Vielmehr müsse man spezifische Systeme von allgemeinen Systemen unterscheiden. Spezifische Systeme bezeichnet James Fleck als technologische Konfigurationen: Configurations are closely related to systems. Indeed, at the Ievel of the individual operating unit, they are systems, in the tautological sense that any complex functioning entity is a system. But it is of greater import to consider the manner in which different classes of individual Operating system stand in relation to their constitutive components, and their pattem of development. ln these terms configurations can usefully be identified as a specific subspecies of system distinguishable from a more coherent type: generic systems. [... ] Configurations differ from generic systems, in that there is a greater looseness or ,ad-hoc-ness' and Iack of systematicity about configurations. The overall ,shape' of the configuration stems from the particular requirements and exigencies of the application addresses - i.e., the scheme or plan according to which the components are arranged varies according to the contingencies of the particular application. (Fleck 1993: 17t) James Fleck macht hier also eine Unterscheidung zwischen systemischen Technologien, deren Identität und Architektur unabhängig von einer spezifischen Anwendung feststeht, und einem lockeren Verbund technologischer Komponenten. Letztere bezeichnet er als technologische Konfigurationen, die ihre Systemidentität erst im Zuge einer Anwendung erhalten. Für Konfigurationen ließe sich dabei keine allgemeine Funktion bestimmen; es ergebe sich lediglich jeweils eine spezifische Funktion. Das Schema bzw. der Plan einer Konfiguration variiere mit den Kontingenzen der entsprechenden Anwendung: 7 Gegenüberstellend: "After dominant designs emerge, technical progress is driven by numerous irreremental innovations [... ]. As in normal science (Kuhn, 1962), normal technological progress invovles puzzle-solving about a given set of technological premises (see also Nelson & Winter's (1982) and Dosi 's (1984) work on technological trajectories)." (Tushman/ Rosenkopf 1992: 323)
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Thus, the particular form assumed by the working configuration will be dictated by the specificities of the application situation. [ ... ] Consequently, there is no clear system Ievel dynamic which indicates how the components should integrate and work together. [... ] The crucial point about configurations in comparison to generic systems, then, is the Iack of stability in the overall system performance characteristics and requirements. (Fleck 1993: 18) Technologische Konfigurationen sind also solche Systeme, bei denen die Anordnung der Komponenten (die Architektur) erst für einen spezifischen Anwendungskontext ausdekliniert wird. Die Architektur ist somit nicht standardisiert, sondern - zumindest bis zu einem gewissen Grad - offen für lokale Kontingenzen. Für James Fleck ist die Unterscheidung zwischen allgemeinen Systemen und technologischen Konfigurationen graduell. Sie unterstreicht dabei insbesondere einen Aspekt: Die Existenz eines dominanten Designs bzw. die Existenz von Designaltemativen, die um Dominanz ringen, sollte nicht als selbstverständlich angenommen werden. Genau hierin liegt für James Fleck das Besondere technologischer Konfigurationen. Innovationsmöglichkeiten eröffnen sich vor allem aus einer Umsetzung lokaler Kontingenzen in spezifische Produktarchitekturen. Die Neuartigkeit einer Konfiguration ergibt sich, anders ausgedrückt, nicht aus einer inkrementeilen Verbesserung einer allgemeinen Funktion, sondern aus einer Einschreibung lokaler und nicht-technischer Kontingenzen in spezifische Anwendungen. James Fleck bezeichnet diesen Vorgang als das Kristallisieren von Kontingenzen (crystallizing contingency). Technologische Konfigurationen kristallisieren erst im Zusammenspiel technischer und nicht-technischer Komponenten: [... ], through the process ofbuilding a configuration equal to coping with local exigencies, certain local contingencies may literally be reified - i.e. translated into artifactual form, and crystallized as a distinct technological component from out of a fluid mixture of social, organizational, and other technological and nontechnological contingencies. (Fleck 1993: 27) Für James Fleck sind technologische Konfigurationen zunächst Unikate. In sie sind lokale und damit spezifische Kontextfaktoren eingeschrieben, und zwar als integraler Bestandteil einer spezifischen Konfiguration. Wichtige Systemspezifikationen werden erst während der Implementierung festgelegt, so dass die Implementierung selbst zu einem innovativen Prozess wird. James Fleck bezeichnet dies als innofusion: "In innofusion, the processes of innovations and diffusion are collapsed together." (Fleck 1993: 28) Im Gegensatz zu allgemeinen Systemen stelle jede Konfiguration an sich etwas Neuartiges dar. "Significant novelty
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may emerge at each instance of diffusion ofthe technology, [... ]."(Fleck 1993: 28) Diesem Vorgang liege dabei ein grundsätzlich sehr einfacher Zusammenhang zugrunde, der sich im Rahmen der grundsätzlichen Implementierungsgleichung beschreiben lasse: "successful implementation requires generic technology knowledge + local practical knowledge " (vgl. Fleck 1993: 30; 1994b: 641). Für technologische Konfigurationen mache dieser Zusammenhang den Kern einer Innovation aus, die in der Integration verschiedener Wissensbestände zu sehen sei. Erst in den Interaktionen lokaler und allgemeiner Wissenskomponenten würden neue Kombinationen (new syntheses) entstehen, die von radikaler Bedeutung sein könnten.8 So einfach dieser grundsätzliche Zusammenhang sei, so schwierig stelle sich jedoch die Integration der verschiedenen Wissensbestände tatsächlich dar. Insbesondere das relevante lokale Wissen sei in der Regel implizit und daher schwer zu kommunizieren. Die spezifischen Anforderungen an eine Konfiguration würden sich darüber hinaus häufig erst im Zuge erster Erfahrungen mit Vorversionen dieser Konfiguration herauskristallisieren. Die Implementierung technologischer Konfigurationen sei somit ein langwieriger und iterativer Prozess. Eine Implementierung finde daher in der Regel im Rahmen von Projekten statt, die erheblichen Arbeitsaufwand erforderten: The management of configurational development is, therefore, far from being a simple matter of installation. lt takes the form of a major project over a substantial period of time, typically years, and requires the dedicated efforts of !arge teams of people from both within and outside the organization. (Fleck 1993: 31) Für James Fleck ist eine aktive Nutzerbeteiligung fllr die Gestaltung technologischer Konfigurationen daher von größter Bedeutung. Dabei gehe es um eine Nutzerbeteiligung, die über die Erhebung strategischer und ergonomischer Informationen weit hinausgehe. Konfigurationen und allgemeine Systeme unterscheiden sich damit auch in der Bedeutung und Realisierung von Nutzerbeteiligung im Zuge einer Implementierung: User involvement may also be important in the installation of generic systems. However, it is then more a matter of selecting between clear system-defined choices such as alternative machirre settings or equipment options. The parti8 "It is in the course of interaction between the local and generic components that new syntheses emerge, in some cases of radical import." (Fleck 1993: 30)
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cipation of users is relatively minimal and highly formalized, consisting primarily of market-mediated selections, perhaps extending to choosing specifications from a previously defined range. ln the case of configurational development, on the contrary, it will rarely be possible for users to Iimit their contribution to a formal one by simply setting specifications. Because of the importance of local contingencies [... ] a moreextensive process of interaction and communication will be necessary. (Fleck 1993: 33) Während allgemeine Systeme Nutzeranforderungen weitgehend internalisiert hätten, ihre Entwicklung also ohne den unmittelbaren Einfluss des Kontextes erfolge, sei eine solche Dekontextualisierung für technologische Konfigurationen nicht gegeben.9 Sie würden ihre Identität erst durch die Berücksichtigung eines spezifischen Anwendungskontextes erhalten. Zunehmende Standardisierung und Spezifizierung von Anforderungen könne im Laufe der Zeit dazu führen, dass aus einer Konfiguration schließlich ein allgemeines System entsteht. As requirements become clearer and standardization emerges among a greater proportion of the critical dimensions which define overall characteristics, configurations may in some cases give rise to generic systems. (Fleck 1993: 18) In diesen speziellen und von James Fleck nicht näher spezifizierten Fällen könne es zu einer Akkumulation von Erfahrungen kommen, die schließlich in eine Metastruktur (superpattern) münde. Diese Metastruktur sei in der Lage, eine langfristige Beziehung zwischen einzelnen Konfigurationen und einer allgemeinen Systemfunktion zu regeln. So werde eine Dynamik über die Grenzen spezifischer Kontexte hinweg möglich. Unter solchen Umständen könne aus der wiederholten Gestaltung spezifischer Konfigurationen schließlich ein stabiles allgemeines System entstehen: Stable generic systems can emerge from configurations, once knowledge about the ranges of possibility open to the configuration has been developed, and subsets of those possibilities which exhibit a degree of internal consistency have been identified, and for which a market demand is evident. This process represents a crystallization of technological regimes (Georghiou et al., 9 Hier wird deutlich, dass technologische Konfigurationen zum Konzept modularer Produktarchitekturen (vgl. Baldwin/Ciark 1997; Robertson/Ulrich 1998; Brusoni/Prencipe 2001; Shibata et al. 2005) komplementär sind. Während Modularität auf die Austauschbarkeil von Komponenten im Rahmen einer festgelegten Produktarchitektur verweist, beschreibt James Fleck das genaue Gegenteil: Gerade die Identität der Architektur wird erst im Zuge der Implementierung definiert.
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TECHNOLOGISCHE KONFIGURATIONEN
1986) out of the innovation-diffusion or innofusion process. Jt involves the emergence of a standardized body of knowledge resources out of a very open and uncertain process of experimentation and discovery. (Fleck 1993: 29) 10
Es finden also im Zuge der wiederholten Konfiguration derselben Komponenten Lernprozesse statt, die eine Wissensakkumulation über die Grenzen spezifischer Kontexte hinweg ermöglichen. So kann es flir James Fleck schließlich zu einer sozialen Schließung im Sinne einer Paradigmaentstehung kommen. Allerdings sei dies keine zwangsläufige Entwicklung; nur in besonderen Fällen ließen sich Konfigurationen und stabilisierte, allgemeine Systeme im Rahmen eines technology cylceModells beschreiben (Fleck 1993: 29). Es seien eine Vielzahl alternativer Muster denkbar, in denen die wiederholte Entwicklung technologischer Konfigurationen nicht in eine sozialen Schließung münde. Es ist also eine Akkumulation von Erfahrung (Lernen) über die Grenzen der Gestaltung spezifischer Konfigurationen hinweg möglich. Im Zuge dieser Erfahrungsakkumulation erfolgt eine Verschiebung auf dem Kontinuum singulärer, spezifischer Konfigurationen und allgemeiner Systeme. James Fleck geht auf diesen Prozess der Erfahrungsakkumulation nicht näher ein. Allerdings identifiziert er bestimmte Felder, in denen wiederholt dieselben technologischen Komponenten zu spezifischen Systemen konfiguriert werden. Dieses deutet er an, indem er diese Felder benennt (robotics, CIM, lean production). Technologische Konfigurationen können gruppiert werden, und es lassen sich technologische Felder identifizieren, in denen eine Akkumulation von Erfahrung stattfindet. Dies ist ein zentraler Aspekt in der Konzeption von James Fleck, auf den er explizit jedoch nicht weiter eingeht. Hierauf wird weiter unten noch zurückzukommen sein. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass technologische Konfigurationen sich von den systemischen Technologien im Sinne von Rosenkopf & Tushman vor allem dadurch unterscheiden, dass eine Paradigmaentstehung im Prozess ihrer Entwicklung nicht notwendigerweise eine Rolle spielt. Insbesondere folgt die Entwicklung technologischer Konfigurationen keiner Logik, in denen verschiedene Systemiden10 Vgl. Georghiou et al. (1986: 32): "The basic design parameters are the
heart of the technological regime, and they constitute a framework of lmowledge that is shared by the firms in the industry. [... ], it [the regimeA.P.] should be seen as an uncharted field ofinquiry, containing many potential lines of technical development only some of which will be made explicit in the innovation process." Der Regimebegriff, auf den Fleck sich hier bezieht, entspricht damit weitgehend dem Regimebegriff von Nelson & Winter (siehe Kapitel 3, S. 77ft).
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titäten um Dominanz ringen. Vielmehr geht es um Lernprozesse, die im Rahmen individueller Konfigurationen stattfinden. Fortschritt besteht in der Integration verschiedener Wissensbestände im Rahmen sehr spezifischer Kontexte und dem Lernen über die Grenzen dieser Kontexte hinweg. 11 Innovationsprozesse kommen somit in der wiederholten Kristallisation lokaler Kontingenzen in spezifische Systemidentitäten zustande. Sie folgen dabei keiner Logik, die durch ein technologisches Paradigma vorgegeben und koordiniert ist. Ebenso wenig stellen sie eine Form diskontinuierlichen Fortschritts dar, eben weil es sich nicht um Prozesse handelt, die zwangsläufig mit einer sozialen Schließung enden. In der Gestaltung technologischer Konfigurationen, wie James Fleck sie beschreibt, finden wir also eine Form inkrementeilen technologischen Wandels, der nicht durch ein übergreifendes Paradigma koordiniert wird. Auch hierauf wird weiter unten im Zuge einer Diskussion technologischer Felder näher einzugehen sein. Zuvor werden nun zwei weitere wichtige Aspekte der Konzeption von James Fleck herausgearbeitet. Dies betrifft zum einen die Tatsache, dass Innovation für ihn im Zuge der Implementiemng entsteht. Dies erscheint zunächst wenig spektakulär, da verschiedene Autoren prominent auf die Bedeutung von Neuerungen hingewiesen haben, die erst im Zuge der Implementierung bzw. Nutzung einer Technologie gestaltet werden. Insbesondere unter den Bezeichnungen learning-by-doing (Arrow 1962), learning-by-using (Rosenberg 1982) bzw. Nutzerinnovation (von Hippe! 1986; Herstatt 1991) sind solche Veränderungen betrachtet worden, die durch Lerneffekte während der Nutzung einer Technologie entstehen. Es geht hier jedoch im Wesentlichen um Verändemngen eines dominanten Designs, dessen Identität sich über die Grenzen spezifischer Anwendungen hinweg verändert. Innovationen im Rahmen der Implementierung und Nutzung einer Technologie betreffen in diesem Sinne die Systemdynamik allgemeiner Systeme. James Fleck betont jedoch einen anderen Punkt, der sich aus seiner Unterscheidung allgemeiner Systeme und spezifischer Konfigurationen herleitet: Innovationen entstehen im Zuge einer Implementierung als spezifische Neuerung, deren Besonderheiten zunächst nicht auf andere Kontexte übertragbar sind. In die11 Stankiewicz spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von architectual development: "Architectua1 development is very nearly a pure design activity. It differs, however, in important respects from c1assical engineering design. While the latter is concemed predominantly with the intemal coherence and reliability ofthe artefact, taking functional requirements as exogeneaus givens, the architect-designer is predominantly concemed with the very definition of function and user-interface. In most cases, complex multifunctional systems cannot be optimized along engineering lines [ ... they] are few in number and often unique." (Stankiewicz 2000: 239)
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sem Zusammenhang unterscheidet er learning-by-trying vom learningbe-doing und vom learning-by-using (vgl. Fleck 1994b: 638, 650nl2). Für die Gestaltung einer technologischen Konfiguration müssten Anpassungen der Komponenten dieser Konfiguration vorgenommen werden, damit ein funktionierendes System überhaupt erst entstehen könne. Learning-by-trying bezieht sich damit auf solche Änderungen, die vor der eigentlichen Implementierung einer technologischen Konfiguration zu machen sind (vgl. Fleck 1994b: 638). Zum anderen betrachtet James Fleck ausschließlich technologische Konfigurationen auf business-ta-business-Märkten (b2b-Märkte). Erbeschreibt die Implementierung technologischer Konfigurationen in Organisationen und vor allem in Unternehmen. Seine primären Beispiele sind IT-Implementierungen (Flecket al. 1990; Fleck 1994b, 1994a) sowie robotics in der Produktionstechnik (Fleck 1984, 1988). Das lokale, praktische Wissen ist jeweils auf eine spezifische Organisation begrenzt. Innofusion finde vor allem im Rahmen von Implementierungsprojekten statt, im Zuge derer die notwendigen Modifikationen und Verbesserungen verfügbarer Komponenten und damit die Definition einer Systemidentität im Sinne lokaler Kontingenzen vorgenommen würden (Fleck 1995: 44f). Solche Projekte seien aufwendig und zeitintensiv (Fleck 1993: 31). Die Bedeutung von Konsumentenmärkten lässt James Fleck weitgehend unberücksichtigt. Sein empirischer Schwerpunkt ist die Produktionstechnik. Allerdings deutet er an verschiedenen Stellen an, dass Konfigurationen auch für den privaten Haushalt wichtiger werden (Fleck 1993: 33; 1995: 45). Hierin besteht die zentrale Herausforderung für die folgenden Abschnitte. Es geht um eine Spezifizierung und Übertragung der Konzeption von James Fleck, so dass eine Analyse der Gestaltung technologischer Konfigurationen für den privaten Haushalt, also als Konsumgüter, möglich wird. In Kapitel 5 wird anschließend empirisch gezeigt, dass in Zukunft die Besonderheiten technologischer Konfigurationen die wesentliche Herausforderung für erfolgreiche Innovation in der Haushaltstechnologie sein werden.
Technologische Konfigurationen und die Diversität der Paradigmen Anhand der Arbeiten von Rosenkopf & Tushman und James Fleck konnte eine wesentliche Spezifizierung herausgearbeitet werden. Dominante Designs verweisen auf Technologien, die ihre Identität über die Grenzen spezifischer Anwendungen hinaus behalten. Diese Identität ist a priori bekannt, d.h., sie existiert vor einer konkreten Umsetzung und dient als Maßstab für möglichen Fortschritt. Technologische Paradigmen beziehen sich auf eine solche Identität a priori. Die Darstellung der
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Entwicklung von Flugsimulatoren bei Rosenkopf & Tushman ist hierfür ein gutes Beispiel. Über die Grenzen der unterschiedlichen Organisationen hinweg kann aufgrund dieser Identität die soziale Schließung hinsichtlich eines dominanten Designs erfolgen (Rosenkopf/Tushman 1998). 12 Doch nicht für alle Technologien kann eine solche Identität angenommen werden. Diesen Punkt unterstreicht James Fleck mit seiner Darstellung technologischer Konfigurationen. Sie zeichnen sich gerade dadurch aus, dass ihre Identität auch auf der Ebene des Zusammenwirkens von Komponenten mit jeder Anwendung neu definiert wird. Insofern existieren für Konfigurationen keine dominanten Designs. Die Designs technologischer Konfigurationen fluktuieren über die Grenzen spezifischer Anwendungen hinweg. Das Neuartige einer technologischen Konfiguration besteht in ihrer Funktion und in ihrer Anwendung, die erst in der Integration von allgemeinem, technischem Wissen und lokalem, praktischem Wissen definiert wird. Aus dieser Unterscheidung von allgemeinen Systemen und technologischen Konfigurationen folgt ein im Rahmen dieser Arbeit bisher neuartiges Verständnis von Fortschritt: Fortschritt liegt in der kreativen Kombination einzelner Komponenten, in der Integration dieser Komponenten vor dem Hintergrund lokaler Kontingenzen einer spezifischen Anwendung, nicht in einer Verbesserung hinsichtlich zuvor definierter Kriterien. Technologischer Fortschritt lässt sich für Konfigurationen nicht mehr im Rahmen eines technology cycle beschreiben, und die Gestaltung technologischer Konfigurationen wird nicht durch ein technologisches Paradigma koordiniert. Entsprechend gibt es flir Konfigurationen keine Form inkrementellen technologischen Fortschritts, die sich in Analogie zur normalen Wissenschaft im Sinne Kuhns als Ausarbeitung eines dominanten Designs beschreiben ließe. Damit kommen nun Innovationsprozesse in den Blick, deren Gegenstand neuartige Architekturen verschiedener Komponenten sind. Das Neuartige entsteht hier im Zuge einer Anwendung, nicht durch die Weiterentwicklung eines dominanten Designs. Genau solche Innovationsprozesse lassen sich jedoch nur unzureichend beschreiben, wenn man, wie der Mainstream der Innovationsforschung (vgl. Kapitel 3), eine
12 In diesem Sinne folgt sowohl aus den Arbeiten von Rosenkopf & Tush-
man als auch von James Fleck, dass sich auch der Fortschritt technologischer Systeme prinzipiell in Analogie zu einem Kuhnschen Paradigmaverständnis beschreiben lässt (Tushman/Rosenkopf 1992: 323; Fleck 1993: 18, 28; 1995: 44; Rosenkopf/Tushman 1998: 317t). Dies setzt jedoch, und das ist der entscheidende Mehrwert der Konzeption von James Fleck, eine stabile Systemidentität voraus. 136
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"Priorität der Paradigmata" zugrunde legt. In der Darstellung von James Fleck zeigen sich hier allerdings zwei wesentliche Beschränkungen: (1) James Fleck deutet an, dass Erfahrungen, die während der Implementierung technologischer Konfigurationen gemacht werden, über die Grenzen dieser spezifischen Implementiemng hinweg akkumuliert werden können. Genau dies sei Grundlage dafür, dass aus der wiederholten Implementierung technologischer Konfigurationen unter bestimmten Umständen ein allgemeines System entstehen könne, dessen Fortschritt sich im Rahmen eines technologischen Paradigmas beschreiben ließe. James Fleck geht jedoch auf die Mechanismen, die eine solche Akkumulation von Erfahrung ermöglichen und koordinieren, nicht näher ein. Er verweist lediglich darauf, dass sie möglich sei (Fleck 1993: 28-30). 13 Hieraus folgt, dass auch technologische Konfigurationen nur im Ausnahmefall vollständig unabhängig von vorherigen Erfahrungen mit vergleichbaren Konfigurationen gestaltet werden. Es bleibt dabei offen, wie die Erfahmngsakkumulation ohne die Koordination durch ein technologisches Paradigma überhaupt möglich ist. Hierin liegt eine Lücke in der Arbeit von James Fleck. Er geht mit seinem Konzept des learning-bytrying auf das Lernen während einer Implementierung ein, versäumt es jedoch zu beschreiben, wie Lernen über die Grenzen spezifischer Anwendungen hinweg erfolgen kann. (2) James Fleck betrachtet, wie bereits angedeutet wurde, nahezu ausschließlich Anwendungen im business-to-business Bereich, d.h. die Gestaltung technologischer Konfigurationen in Organisationen und Unternehmungen. Entsprechend wird innofusion und learning-by-trying bei James Fleck im Rahmen von Implementierungsprojekten gestaltet. Diese erzeugten die nötige soziale Dichte, um die beschriebene Verschmelzung allgemeinen, technologischen Wissens mit lokalem, praktischen Wissen zu ermöglichen. Die für eine solche Verschmelzung notwendige Nutzerbeteiligung könne nur über die direkte Kooperation zwischen Nutzern und Herstellern gewährleistet werden, nicht über die simple Erhebung kodifizierter Spezifikationen (Fleck 1993: 32f). Diese Darstellung lässt sich aus zwei Gründen nicht ohne Weiteres auf die Situation von Konsumgütermärkten übertragen. Zum einen geht es in den empirischen Beispielen von James Fleck immer um einzelne Nutzerorganisationen. Das lokale praktische Wissen ist also auf eine (Nutzer-) Organisation beschränkt; es kann im Zuge von unmittelbaren Interaktionen mit diesen Nutzern ohne Explizierung berücksichtigt werden. Zum 13 Für Fleck scheinen aber insbesondere Standards eine wichtige Rolle für die Koordination einer Erfahrungsakkumulation zu spielen. Standards liefern dabei in erster Linie eine Vorstabilisierung möglicher Konfigurationen in der spezifischen Anwendung (vgl. insbesondere Fleck 1995).
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anderen beschreibt James Fleck innofusion-Prozesse als zeitlich begrenzte Zusammenschlüsse, die einen formal strukturierten Rahmen haben: Implementierung erfolgt in Projekten. Für eine Gestaltung technologischer Konfigurationen im privaten Haushalt ist, wie James Fleck selbst einräumt (Fleck 1993: 32), diese Projektförmigkeit von innofusion-Prozessen in einzelnen Nutzerorganisationen problematisch. So muss z.B. die Rolle von Prototypen und damit verbundenen Methoden wie rapid prototyping neu überdacht werden; darüber hinaus ist auf Konsumgütermärkten eine Aggregation von Daten über verschiedene Typen von Nutzern entscheidend. Für die Gestaltung technologischer Konfigurationen für private Haushalte wird also eine explizite Erhebung lokaler Kontingenzen und deren Aggregation an Bedeutung gewinnen (vgl. Kapitel 5 und 6). Eine weiter Lücke in der Darstellung James Flecks besteht also darin, dass er mögliche Alternativen zu den Implementierungsprojekten nicht beschreibt. Dies wird unten (S. 148-168) ausführlich diskutiert. Es sind in der Konzeption von James Fleck also zwei Aspekte zu unterscheiden. Zum einen liefert er die Beschreibung einer bestimmten Form von Technologie, nämlich der technologischen Konfigurationen. Hierin unterscheidet er sich vom Mainstream der Innovationsforschung, der kumulativen Fortschritt mit den Konzepten sozialer Schließung und technologischer Paradigmen beschreibt. Gleichzeitig enthält seine Konzeption eine Beschreibung, wie die Gestaltung technologischer Konfigurationen, also die Integration verschiedener Wissensbestände in Innovationsprozessen, koordiniert wird. Koordination erfolgt durch Implementierungsprojekte und wird damit bei James Fleck nicht weiter thematisiert. Für die weitere Argumentation der vorliegenden Arbeit ist in erster Linie die Darstellung technologischer Konfigurationen von Bedeutung. Diese enthält eine besondere Form von Diversität, die nun als Paradigmadiversität beschrieben wird. Diese stellt ein Koordinationsproblem dar, welches jedoch bei James Fleck aufgrund seiner Fokussierung von Industriegütermärkten (business-to-business) keine Berücksichtigung findet. Im Mittelpunkt der Herausforderung technologischer Konfigurationen steht die Integration verschiedener technologischer Komponenten in ein System. Diese Darstellung kann nun auf die Gestaltung von Haushaltstechnologien, also für Konsumgüter, übertragen werden. Das Thema ist somit die Übertragung eines Phänomens (die zunehmende Bedeutung technologischer Konfigurationen) aus dem Bereich industrieller Innovationen auf den Bereich der Entwicklung innovativer Haushaltstechnologien.
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Dem Aspekt technologischer Konfigurationen haben sich für den Bereich der Haushaltstechnologien vor allem Ian Miles, Alan Cawson and Leslie Haddon in Großbritannien gewidmet. Sie beschreiben die zentrale Herausforderung der Haushaltstechnologie als Zusammenfühmng verschiedener technologischer Paradigmen (insbesondere Miles et al. 1992). Dabei gehen die Autoren davon aus, dass auf Konsumentenmärkten ein bedeutender technology push festgestellt werden könne, da verschiedene Anbieter bemüht sind, ihre Produkte aus Industriegütermärkten auch auf Konsumgütermärkten zu etablieren (vgl. auch Silverstone/Hirsch 1992): New consumer products are not called out of the air by consumer demands; they are the result of suppliers, in various industries, seeking to establish products that will capture a slice of household expenditures. (Miles et al. 1992: 68)
Dieser technology push lasse sich anhand verschiedener Designparadigmen im Sinne von Teece (1986) beschreiben, deren Trajektorien zu spezifischen Anwendungen verbunden werden müssten. Die zentrale Frage sei dabei, wie das Wissen über soziale Praktiken und Konsumentenpräferenzen den Prozess der sozialen Gestaltung von Produkten beeinflusse (Miles et al. 1992; Cawson et al. 1995). Nutzerbeteiligung sei für die erfolgreiche Etablierung von Produkten auf Konsumgütermärkten von entscheidender Bedeutung, finde jedoch in der Regel nur über hochgradig informelle Methoden zur Eruiemng von Lebensstilen und sozialen Praktiken statt: 14 Much ofthe knowledge of such trends in products and markets is derived from reading the technical and trade press, and from commissioning reports from consultants as to key developments. (Miles et al. 1992: 76) The use of systematic theories, e.g. in marketing and consumer psychology, is more than offset by unsystematic experiential knowledge gleaned from a wider community of actors which meets at industry conferences and exhibitions, or in trade associations, or is passed on by trade and professional joumals. (Cawson et al. 1995: 250)
14 Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Woolgar (1991), der am Beispiel einer Computerfirma darstellt, wie Entwickler den idealtypischen, prospektiven Nutzer zusammen mit der Technologie konfigurieren, anstatt sich auf systematische Methoden zur Erhebung von Nutzerpräferenzen zu verlassen.
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Kernstück der Arbeiten von Miles, Cawson und Haddon sind die so genannten product .spaces. Diese ließen sich als Möglichkeitsräume verstehen, in denen Erfahrungen aus der Vergangenheit, technisches Wissen sowie spezielle Inventionen einfließen (Cawson et al. 1995: 245ff). Für die Gestaltung von Haushaltstechnologien sei das Konzept technologischer Paradigmen um das des product space zu erweitern, um auch die Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Komponenten zu berücksichtigen. Product .spaces würden jedoch in Abgrenzung zu technologischen Paradigmen die Produktdifferenzierungen betonen, die unter das gleiche Paradigma fallen könnten. Ein product space grenze damit den Raum möglicher Konfigurationen aus bestimmten technologischen Komponenten ab (Haddon 1998: 64). Die Autoren benutzen das Konzept um einen physischen Ort flir die Innovationsprozesse von Haushaltstechnologien zu beschreiben. In einem product space würden verschiedene, heterogene Akteure ihre Anstrengungen koordinieren, um verschiedene Wissensformen in spezifischen Anwendungen zu integrieren (Cawson et al. 1995: 248f). Diese Idee des product space macht auf einen gmndsätzlichen Zusammenhang zwischen technologischen Konfigurationen und Konsumgütermärkten aufmerksam: Technologische Konfigurationen für den privaten Haushalt werden durch die Aktionen und Interaktionen von Akteuren gestaltet, die in unterschiedliche technologische Paradigmen eingebunden sind, nämlich in die Paradigmen der jeweiligen technologischen Komponenten einer Konfiguration. 15 Miles, Cawson und Raddon betrachten Innovationsprozesse für Konsumgütermärkte unter dem Aspekt verschiedener Paradigmen, die diese Prozesse beeinflussen. Darüber hinaus betonen sie, dass in die Gestaltung von Haushaltstechnologien soziale Alltagspraktiken prospektiver Nutzer einfließen. Dies geschehe jedoch zumeist in mittelbarer Form auf Seiten der Anbieter, d.h. ohne eine direkte Interaktion mit den Nutzern. Entsprechend liegt der Schwerpunkt ihrer Forschung darauf, zu untersuchen, wie "Innovatoren" ihr Wissen über die Präferenzen von 15 Ganz im Sinne der grundsätzlichen Perspektive von Miles, Cawson und Raddon ist dies eine Darstellung von Jnnovationsprozessen, die die Anbieterseite in den Mittelpunkt stellt und damit die Bedeutung von Nutzerinnovationen weitgehend ausblendet. Aktuelle empirische Studien, die die Bedeutung von Nutzerinnovationen auch für Konsumgüter nachweisen konnten, relativieren diese Sichtweise (Foumier 1998; Muniz/O'Guinn 2001; Franke/Shah 2003; von Hippe! 2005; Lüthje et al. 2005). Allerdings beziehen diese Studien sich auf relativ einfache Produkte des alltäglichen Gebrauchs. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im Hinblick auf die betrachteten Systemtechnologien für private Haushalte im Sinne von Miles, Cawson und Raddon auf die Anbieterseite der entsprechenden Jnnovationsprozesse.
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Konsumenten entwickeln (Miles et al. 1992: 68; Cawson et al. 1995: viii). 16 Ihre Ergebnisse sind in diesem Zusammenhang eher ernüchternd. So führen sie an, dass insbesondere Produktentwickler die Neigung hätten, auf Erfahrungen in ihrem eigenen Haushalt zurückzugreifen ( vgl. auch Glatzer 1998). Anstelle direkter Interaktionen zwischen Nutzern und Herstellern würden die Hersteller in den von Miles, Cawson und Raddon untersuchten Fällen bestenfalls auf indirekte Interaktionen mit vermittelnden Instanzen zurückgreifen, die Wissen bezüglich der lokalen Praktiken prospektiver Nutzer anbieten. Damit kann festgehalten werden, dass die Komponenten lokalen, praktischen Wissens im Sinne der grundsätzlichen Implementierungsgleichung die Alltagspraktiken privater Nutzer zu berücksichtigen hat. Im Vergleich zu den von James Fleck untersuchten Industriegütern stellt dies eine zusätzliche Problematik dar, weil lokale Alltagspraktiken nicht durch Implementierungsprojekte berücksichtigt werden können. Miles, Cawson und Raddon bezeichnen technologische Paradigmen auch als Innovationsströme (innovation streams). Diese müssten in den Innovationsprozessen technologischer Konfigurationen verschmolzen werden. Innovationsströme bestünden dabei aus den Paradigmen und den daraufbasierenden Trajektorien der einzelnen Komponenten. In diesem Sinne ist Fortschritt nicht mehr allein in paradigmagebundenen Änderungen zu sehen, sondern im Zusammenwirken verschiedener Paradigmen in neuartigen Konfigurationen. Miles, Cawson und Raddon beschreiben hier also eine vergleichbare Konstellation wie James Fleck. Sie spezifizieren diese jedoch auch fiir den Bereich der Haushaltstechnologien, in dem es dezidiert um die Verschmelzung technologischer Trajektorien unter der Berücksichtigung lokaler Alltagspraktiken geht. Das Konzept technologischer Konfigurationen kann damit für den Bereich der Haushaltstechnologien präzisiert werden. Es geht um Konfigurationen der dominanten Designs unterschiedlicher technologischer Paradigmen. Die Berücksichtigung lokalen, praktischen Wissens kann jedoch nicht unmittelbar in Implementierungsprojekten erfolgen. Im Gegenteil, die Durchführung solcher Projekte dürfte sich für Konsumgütermärkte als außerordentlich problematisch erweisen. Auch hierauf wird in den Kapiteln 5 und 6 noch einzugehen sein.
16 Hierbei geht es also nicht im Sinne der Marktforschung um Methoden, mit denen Wissen über Konsumentenpräferenzen eruiert werden kann. Das Spektrum dieser Methoden ist naturgemäß sehr breit (vgl. nur Wertenbroch/Skiera 2002; Coupland 2005). Vielmehr wird untersucht, ob und wie solche Methoden in die Innovationsprozesse von Haushaltstechnologien auch tatsächlich einfließen.
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Allerdings weisen die empirisch sehr reichhaltigen Studien von Miles, Cawson und Raddon eine konzeptuelle Schwäche auf, durch die eine wesentliche Problematik der von ihnen geschilderten Konstellation unberücksichtigt bleibt. Sie nutzen den Trajektorienbegriff in erster Linie im Zusammenhang mit Extrapolation; technologische Trajektorien stellen fllr die beteiligten Akteure Maßstäbe für die Abschätzung zukünftiger Entwicklungen dar. Technologische Trajektorien sind daher für sie weitgehend gleichbedeutend mit Trends und Entwicklungsprognosen. Dabei bleibt der ursprünglich von Dosi intendierte Aspekt einer paradigmagebundenen Wissenserzeugung unterakzentuiert. Technologische Paradigmen entfalten - so wurde gezeigt - ihre Wirkung vor allem als orientierender und koordinierender Mechanismus, weniger als Möglichkeit, um die Ausgestaltung bestimmter Trends vorauszusehen. Eine wesentliche konzeptuelle Schwäche in den Arbeiten von Miles, Cawson und Raddon liegt also in der Loslösung des Trajektorienbegriffs vom Paradigmabegriffund der damit verbundenen Überbetonung von Szenarien, die sich aus der Beschreibung technologischer Trajektorien ableiten lassen. Entsprechend versäumen die Autoren es, das Koordinationsproblem zu spezifizieren, das sich aus der von ihnen beschriebenen Konstellation ergibt: Wie koordinieren sich verschiedene, heterogene Akteure in den Produkträumen technologischer Konfigurationen, wenn ihnen ein gemeinsames Paradigma zur Orientierung fehlt? Die Lösung dieses Koordinationsproblems kann über das Konzept des product space nicht zufrieden stellend erklärt werden. In Kapitel 3 wurde für die Innovationsforschung eine "Priorität der Paradigmata" konstatiert, die sich aus der Erklärungsstärke technologischer Paradigmen als Koordinationsmechanismus ergibt. Soziale Schließung im Sinne einer Paradigmaentstehung ist die Voraussetzung für kumulativen bzw. inkrementeilen Wandel und wird in verschiedenen Facetten über eine Analogie zum Kuhnschen Paradigmabegriff erklärt. Vor dem Hintergrund der Darstellung von James Fleck sowie Miles, Cawson und Raddon kann nun die zentrale Erklärungsschwäche der "Priorität der Paradigmata" identifiziert werden. Das Konzept technologischer Paradigmen ist nicht in der Lage, kumulativen Fortschritt (bei James Fleck: die Akkumulation von Erfahrung) über die Grenzen verschiedener Paradigmen hinweg zu erklären. Die Gestaltung technologischer Konfigurationen bezieht sich aber genau auf diesen Fall; spezifische Anwendungen ergeben sich erst im Zuge der Verschmelzung verschiedener Komponenten. Eine solche Verschmelzung zeichnet sich dadurch aus, dass sie zunächst einmalig ist und ihre Identität erst durch die Berücksichtigung lokaler Praktiken erhält.
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Die zentrale Herausforderung ist damit die Koordination verschiedener Paradigmen in Innovationsprozessen. Damit kann nun eine Rückbindung zu der in Kapitel 2 dargestellten Diskussion um heterogene Netzwerke erfolgen. Die Heterogenität der Akteure, die in solchen Netzwerken agieren und interagieren, ergibt sich flir den Fall technologischer Konfigurationen aus den verschiedenen Paradigmen, in die Akteure eingebunden sind. Es kann also von einer Paradigmadiversität gesprochen werden. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass verschiedene Paradigmen vorhanden sind, ihr Verhältnis sich aber nicht in der Konkurrenz um Dominanz auszeichnet. In diesem Sinne unterscheidet sich die Paradigmadiversität von der Paradigmapluralität, wie sie in Kapitel 3 beschrieben wurde. Die Herausforderung einer Paradigmadiversität besteht in einer Überlagerung der verschiedenen Paradigmen durch eine gemeinsame Struktur, ohne dass die zugrunde liegenden Paradigmen ihre Identität verlieren. Es geht damit um Innovationsprozesse, die aus einer losen Koppelung verschiedener Paradigmen entstehen, ohne dabei durch die Schließung hinsichtlich eines neuen Paradigmas koordiniert zu sein. Es ist diese spezifische Konstellation, die in der Innovationsforschung bisher nur unzureichend berücksichtigt wird, 17 und die im Rahmen der "Priorität der Paradigmata" zunächst nicht zufrieden stellend zu erklären ist. Vor dem Hintergrund des in Kapitel 3 dargestellten Paradigmabegriffs kann dies spezifiziert werden. Dort wurde gezeigt, dass ein technologisches Paradigma aus materiellen, sozialen und kognitiven Eie17 Eine Ausnahme stellt Tuomi dar, der sich mit der Verknüpfung verschiedener technologischer Frames im Sinne von Bijker befasst (vgl. Tuomi 2002: 122-137). Tuomi betrachtet Umgehungen (ecologies) , in denen verschiedene Gemeinschaften (communities) interagieren, wobei letztere jeweils durch einen gemeinsamen Frame charakterisiert sind. Aus diesen Interaktionen könne ein neuer Frame entstehen, der dann nicht durch Spezialisierung sondern durch Kombination verschiedener Frames entstanden sei. Verschiedene Frames könnten in Interaktion also einen neuen Frame erschaffen, der die vorher bestehenden Frames überlagere. Tuomi erklärt eine solche kombinatorische Innovation als 4stufigen Prozess, an dessen Anfang ein Individuum steht, das in dem Raum zwischen den Frames ein neues Artefakt entwickelt. Dieses würde anschließend in Relation zu den verschiedenen bestehenden Frames ausdekliniert, so dass es sich in einem übergreifenden neuen Frame stabilisieren könne. Für Tuomi kristallisiert eine kombinatorische Innovation damit an einer Invention, die im Grenzbereich verschiedener Frames entstanden ist. Tuomi geht hierbei spezifisch auf die Situation der Paradigmadiversität ein, erklärt ihre Koppelung jedoch über ein zunächst vorhandenes Artefakt. Insofern ist seine Problematik anders gelagert als die Herausforderung der Paradigmadiversität, wie sie in dieser Arbeit für technologische Konfigurationen beschrieben wird.
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menten besteht, die in einem Paradigma zunächst untrennbar miteinander verwoben sind. Dadurch konstituiert sich eine Form lokaler Stabilität, die eine Dynamik des Technischen ausdrückt. Ein technologisches Paradigma wirkt koordinierend, indem es einen Konsens zwischen den Paradigmaanhängern hinsichtlich der Richtungen möglichen Fortschritts darstellt. Technologische Paradigmen koordinieren die Wissensproduktion normalen technologischen Fortschritts. Allerdings ist ihre koordinierende Wirkung an das Vorhandensein eines dominanten Designs gebunden; insbesondere dies wird durch die Kuhnsche Konzeption hervorgehoben. Die Problematik einer Paradigmadiversität ergibt sich also daraus, dass die koordinierende Wirkung der Paradigmen auf die Komponenten beschränkt ist, die flir die Gestaltung technologischer Konfigurationen zu integrieren sind. Die Gestaltung der Konfigurationen selbst findet in Überlagerung dieser technologischen Paradigmen statt. Damit besteht die Herausforderung in einer Produktion von Wissen, die nicht durch die lokale Stabilität eines dominanten Designs strukturiert ist. Dies wirft die Frage auf, welche Elemente auf der Ebene einzelner Akteure in die Interaktionen verschiedener Paradigmen einfließen, wenn diese Interaktionen nicht durch den Bezug auf ein dominantes Design koordiniert sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Zuge der Gestaltung technologischer Konfigurationen die so entstehende lokale Stabilität (Möglichkeit der Erfahrungsakkumulation) nicht durch ein neues Paradigma im Sinne einer allgemeinen Systemdynamik (vgl. Fleck 1993: 18) erklärt werden kann, sondern die bestehenden Paradigmen erhalten bleiben, jedoch im Rahmen spezifischer Anwendungen kombiniert werden. Auch flir die Gestaltung technologischer Konfigurationen müssen koordinierende Mechanismen greifen, die eine lokale Stabilität gewährleisten, diese kann jedoch nicht über einen Konsens im Sinne eines technologischen Paradigmas geregelt werden. Bevor mögliche Antworten unter Bezugnahme auf die Konzeption der Denkkollektive gesucht werden können, ist zunächst ein genauerer Blick auf den mit technologischen Konfigurationen verbundenen Fortschritt notwendig.
Konfigurationen und Fortschritt in technologischen Feldern Technologische Konfigurationen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Identität zunächst einzigartig ist; in ihnen werden verschiedene Komponenten vor dem Hintergrund lokaler Kontingenzen konfiguriert. Das Neuartige einer technologischen Konfiguration besteht in der spezifischen Anwendung, die sie im Hinblick auf diese lokalen Kontingenzen ermöglicht. Im Sinne der allgemeinen Implementierungsgleichung von James Fleck ist in technologischen Konfigurationen allgemeines, technologisches und lokales, praktisches Wissen integriert. Diese Kompo-
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nenten stellen sich flir die Gestaltung technologischer Konfigurationen der Haushaltstechnologie folgendermaßen dar: Das allgemeine, technologische Wissen an sich ist verteilt, da es unterschiedlichen technologischen Paradigmen entstammt. Das lokale, praktische Wissen kann nicht im Rahmen fortgesetzter Interaktion mit prospektiven Nutzern integriert werden, sondern wird mittelbar erhoben, so der entscheidende Aspekt in den Studien von Miles, Cawson und Haddon. Aus dieser Konstellation folgt eine spezielle Art technologischen Fortschritts, die mit der Gestaltung technologischer Konfigurationen verbunden ist. Sie lässt sich weder als normaler, paradigmagebundener Fortschritt, noch als diskontinuierlicher, revolutionärer Fortschtitt im Sinne der Kulmsehen Konzeption darstellen. Dies kann nun zusammenfassend konkretisiert werden: • Normaler, paradigmagebundener Fortschritt besteht im Sinne Kuhns vor allem in den "Aufräumarbeiten" eines Paradigmas. Im Hinblick auf technologische Paradigmen folgt daraus, dass normaler, technologischer Fortschritt vor allem in Veränderungen eines dominanten Designs zu sehen ist, d.h., es verändern sich die Eigenschaften eines Artefakts sowie die Regeln zu seiner Herstellung in Bezug auf eine bestimmte Funktion. Die Identität des Artefakts bleibt unverändert. Normaler, technologischer Fortschritt ermöglicht es, eine Unterscheidung zwischen denjenigen Aktivitäten zu machen, die der Herstellung eines dominanten Designs dienen und denjenigen Aktivitäten, die der Weiterentwicklung dieses Designs dienen (vgl. Fleck 2000: 259f). Die Gestaltung technologischer Konfigurationen stellt damit keinen Vorgang normalen, technologischen Fortschritts im Sinne eines technologischen Paradigmas dar. Sie folgt keiner allgemeinen Systemdynamik, so dass die Gestaltung einer Konfiguration an sich bereits einen innovativen Akt darstellt, eben weil es keine Regeln für eine routinemäßige Herstellung gibt. Im Zuge normalen, technologischen Fortschritts bleiben die Vorstellungen dessen, was eben diesen normalen Fortschritt ausmacht, weitgehend unverändert. Technologische Konfigurationen definieren mögliche Kategorien von Fortschritt im Zuge ihrer Gestaltung mit. Das Neuartige einer technologischen Konfiguration liegt in erster Linie in der Definition einer Anwendung und erst in zweiter Linie in den damit verbundenen Änderungen technischer Dimensionen. • Während eines revolutionären, diskontinuierlichen Fortschritts 18 kommt es zu grundsätzlichen Umwälzungen, im Zuge derer sich 18 Revolutionärer bzw. diskontinuierlicher Fortschritt war bisher nicht gesondert Thema dieser Arbeit. Der Begriff ,Fortschritt' ist in diesem Zusammenhang problematisch, da in diskontinuierlichen Phasen die Kriterien fehlen, an denen Fortschritt messbar ist. Der Begriff ,Wandel' wäre
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schließlich ein neues dominantes Design durchsetzt. Im Kuhnschen Sinne bezeichnet eine Revolution die Ablösung eines Paradigmas durch ein anderes. Für technologischen Wandel ist eine solche Beschreibung von Revolutionen problematisch; insbesondere spielt im Rahmen technologischen Wandels die Paradigmaentstehung aus vorparadigmatischen Zuständen eine größere Rolle als ein Paradigmawechsel (siehe Kapitel 3). Fortschritt durch Revolutionen ist daher nicht Thema dieser Arbeit. Die Gestaltung technologischer Konfigurationen kann aber von dem Problem der Paradigmaentstehung im Sinne diskontinuierlichen, technologischen Fortschritts abgegrenzt werden. Die Gestaltung einer technologischen Konfiguration entsteht weder aus der Konkurrenz verschiedener dominanter Designs, noch mündet sie in die Herausbildung eines allgemeinen Systems. 19 Die Gestaltung technologischer Konfigurationen stellt damit eine besondere Form von Fortschritt dar, für den zwei Aspekte zu berücksichtigen sind. Zum einen ergibt sich Fortschritt weder aus der Weiterentwicklung eines dominanten Designs noch aus der Konkunenz zwischen verschiedenen Designs um Dominanz. Vielmehr erfolgt die Konfiguration verschiedener dominanter Designs zu einer Anwendung. Insbesondere umfasst diese Form technologischen Fortschritts eine Definition von Funktion und Identität, die sich aus einem speziellen Kontext und lokalen Kontingenzen ergibt. Die Gestaltung technologischer Konfigurationen folgt also weder den Dimensionen möglichen Fortschritts, wie er durch ein Paradigma vorgegeben ist, noch lässt er sich als Veränderung einer allgemeinen Systemidentität begreifen, die im Zuge der Implementierung als Folge von Lernprozessen auftritt. Im Kern des Konzepts technologischer Konfigurationen stehen damit Innovationsprozesse, die zunächst singulär sind. Ihre Bedeutung liegt in der kreativen Kombination verschiedener Komponenten, nicht in der Verbesserung bereits definierter Funktionen. Daraus ergibt sich die Frage nach der Aldmmulation von Erfahrung über die Grenzen dieser singulären Innovationsprozesse hinweg. Betrachtet man eine technologische Konfiguration in ihrer konzeptionellen insofern an dieser Stelle angemessen. Aus Gründen der Einheitlichkeit wird hier der BegriffFortschritt jedoch beibehalten, den auch Kuhn für die Beschreibung von revolutionären Veränderungen nutzt (vgl. Kuhn 1976: 171 -185). 19 James Fleck selbst hat die Gestaltung technologischer Konfigurationen und die damit verbundenen Innovationsprozesse als Form evolutionären Wandels bezeichnet: "[... ]Fleck generalized the above overservation [ ... ] as a configurational technology, and proposed an associated mode of evolutionary innovation [... ]."(Fleck 1993: 16)
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Reinform, so findet ihre Gestaltung in Unabhängigkeit von Erfahrungen aus vorherigen Anwendungen statt. Am einen Ende des durch James Fleck beschriebenen Kontinuums ist eine technologische Konfiguration in ihrer Identität einzigartig. Am anderen Ende des Kontinuums finden sich allgemeine Systeme, für die eine Erfahrungsakkumulation schließlich zur sozialen Schließung und damit zu einer allgemeinen und dekontextualisierten Identität geführt hat. Die Entwicklung zu einem allgemeinen System findet jedoch nur in Ausnahmefällen statt. Das Besondere an tatsächlichen, technologischen Konfigurationen ist es, dass sie sich auf dem eben beschriebenen Kontinuum zwischen den beiden Extremen singulärer, spezifischer Konfigurationen und allgemeiner Systeme einordnen lassen. Sie sind spezifisch insofern, als ihre Identität im Zuge ihrer Gestaltung erschaffen wird; sie sind allgemein insofern, als sie nicht in vollständiger Unabhängigkeit zu Erfahrungen aus vorherigen Anwendungen gestaltet werden. Die Singularität von Innovationsprozessen technologischer Konfigurationen ist vor diesem Hintergrund also zu relativieren, und es lassen sich für technologische Konfigurationen Felder identifizieren, in denen die immer gleichen Komponenten neu konfiguriert werden. Die Beschaffenheit dieser technologischen Felder beschreibt James Fleck allerdings nur implizit. 20 Entscheidend ist es also zunächst, dass technologische Konfigurationen sich gruppieren lassen. Miles, Cawson und Raddon deuten dies mit ihrem Konzept des product space an. Bei James Fleck drückt es sich darin aus, dass er explizit bestimmte Felder benennt (robotics, CIM, lean production, u.a.), ohne den Begriff selbst konzeptuell zu erschließen. Im Grunde lassen sich technologische Felder daher dadurch abgrenzen, dass in ihnen bestimmte Komponenten wiederholt zu jeweils spezifischen Anwendungen konfiguriert werden. Mit anderen Worten: Für die Gestaltung technologischer Konfigurationen eines Feldes sind die immer gleichen technologischen Paradigmen relevant. Neben dem Fortschritt, der sich in jeder einzelnen Gestaltung einer Konfiguration darstellt, kann ebenso von einem Fortschritt über die Grenzen spezifischer Anwendungen hinweg ausgegangen werden. Dieser findet als Akkumulation von Erfahrung innerhalb eines technologischen Feldes statt, in dem die gleichen Komponenten wiederholt konfiguriert werden, ohne dass eine allgemeine Systemidentität dauerhaft fixiert wird. Diese Form des Lemens setzt eine Koordination voraus, die 20 Auch ansonsten sind die Theorieangebote zu den Räumen in denen Inno-
vation stattfindet eher schwach. Für eine Übersicht und Kritik vgl. Tuomi (2002: 105-121 ). Ein aktuelles Theorieangebot liefern Jörgensen/Sörensen (2002), allerdings aus einer Perspektive, die stark von der Akteurnetzwerk-Theorie beeinflusst ist.
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den verschiedenen Paradigmen auf der Ebene der Komponenten Rechnung trägt. Diese Form der Koordination kann also nicht im Rahmen einer "Priorität der Paradigmata" erklärt werden, eben weil sie die Koordination verschiedener Paradigmagemeinschaften betrifft. Das Besondere an dieser Konstellation besteht darin, dass die einzelnen Paradigmen als solche identifizierbar bleiben, weil keine soziale Schließung auf ein neues, übergreifendes Paradigma erfolgt. Es geht damit um eine lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften; der Ort dieser losen Koppelung sind technologische Felder. Das zentrale Problem ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Koproduktion von Wissen in Innovationsprozessen, also einer Wissenserzeugung, die nicht durch ein Paradigma koordiniert wird. Dies ist Thema des folgenden Abschnitts, in dem die Denkstile der verschiedenen Paradigmagemeinschaften in den Mittelpunkt rücken, deren Koordination sich als zentrale Herausforderung in den Innovationsprozessen technologischer Konfigurationen beschreiben lässt.
Soziale Schließung als Entstehung eines Denkkollektivs Die Erklärungskraft und koordinierende Wirkung von technologischen Paradigmen konnte für technologische Konfigurationen auf der Ebene von Komponenten verortet werden, die zu spezifischen Anwendungen konfiguriert werden. Daraus ergibt sich flir die vorliegende Arbeit eine zentrale Fragestellung: Wie erfolgt die Koordination von Innovationsprozessen technologischer Konfigurationen in Abwesenheit eines übergreifenden technologischen Paradigmas; wie können also Innovationsprozesse über die Grenzen von Paradigmagemeinschaften koordiniert werden, ohne dass eine soziale Schließung im Sinne einer Paradigmaentstehung erfolgt? Vor diesem Hintergrund kann die Konstellation technologischer Konfigurationen wie folgt zusammengefasst werden: • Die Analyseebene sind technologische Felder, in denen Akteure aus verschiedenen Paradigmagemeinschaften interagieren. In diesen Interaktionen werden technologische Konfigurationen gestaltet, d.h., es geht um die Konfiguration von Komponenten vor dem Hintergrund lokaler Kontingenzen zu spezifischen Anwendungen. Konfigurationen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Identität erst in diesen Anwendungen erhalten, gleichzeitig ist ein Feld dadurch abgegrenzt, 148
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dass eine Auswahl der immer gleichen Komponenten konfiguriert wird. Die Interaktionen der Akteure in einem Feld werden dabei nicht durch ein übergreifendes Paradigma im Sinne eines dominanten Designs auf der Ebene des Systems koordiniert. Die Akteure sind insofern heterogen, als sie verschiedenen Paradigmagemeinschaften angehören, sich also nicht auf ein gemeinsames Paradigma beziehen können. Das im Rahmen dieser Arbeit wichtigste Merkmal technologischer Felder ist damit die Paradigmadiversität. • Die Frage nach der sozialen Schließung ist im Falle der Gestaltung technologischer Konfigurationen neu zu besehen. Ihre Gestaltung kommt ohne eine soziale Schließung im Sinne der Paradigmaentstehung zustande. Trotzdem erfolgt eine Aldmmulation von Erfahmng über die Grenzen einzelner Innovationsprozesse hinweg. Eben deshalb kann überhaupt von technologischen Feldern gesprochen werden, die sich voneinander abgrenzen lassen. Diese spezifische Konstellation technologischer Konfigurationen wird in den unter 3.2 diskutierten Ansätzen der Innovationsforschung unzureichend behandelt: Dies betrifft auf der Ebene einzelner Innovationsprozesse die Koordination dieser Prozesse in Abwesenheit eines übergreifenden Paradigmas und auf der Ebene technologischer Felder die "Priorität der Paradigmata", über die eine Erfahmngsakkumulation ohne ein übergreifendes Paradigma nicht erklärbar ist. Die Art des Fortschritts, wie er für technologische Konfigurationen charakteristisch ist, lässt sich nicht über die Entstehung eines dominanten Designs erklären, sondern erfordert eine Erklämng auf der Ebene der Kombination verschiedener dominanter Designs. Weiter unten wird gezeigt, dass sich die Entstehung technologischer Felder als Entstehung eines Denkkollektivs im Sinne Ludwik Flecks beschreiben lässt, nicht als Entstehung eines Paradigmas im Sinne Kuhns. Die Heterogenität technologischer Felder, in denen es um die Gestaltung von Konfigurationen geht, ergibt sich also aus einer Paradigmadiversität. Anstelle eines übergreifenden Paradigmas existieren in diesen Feldern verschiedene, jedoch klar voneinander getrennte Paradigmen. Diese Situation unterscheidet sich von den in Kapitel 3 diskutierten Zuständen der Paradigmapluralität, bei denen es ebenfalls um verschiedene Paradigmen ging, die sich jedoch auf denselben Gegenstandsbereich bezogen, also nicht deutlich voneinander zu trennen waren. Paradigmadiversität betont in diesem Sinne das Trennende technologischer Paradigmen. Es interagieren Akteure aus verschiedenen Paradigmagemeinschaften, ohne dass es um eine Auflösung dieser Gemeinschaften geht. Paradigmadiversität stellt sich weder als Abwesenheit noch als Konkurrenz von 149
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Paradigmen dar, sondern als Interaktion von Paradigmagemeinschaften in einem übergeordneten Zusammenhang (hier: Felder). Innovationsprozesse in technologischen Feldern kommen in diesem Sinne durch Interaktionen in heterogenen Netzwerken zustande. Diese Heterogenität kann nun spezifiziert werden: Sie ist durch die Einbindung der verschiedenen Akteure in unterschiedliche Paradigmen bedingt. Hieraus ergibt sich ein zentrales Koordinationsproblem, welches im Mainstream der Innovationsforschung nur unzureichend berücksichtigt wird: Die Paradigmadiversität endet in technologischen Feldern nicht mit der Entstehung eines neuen Paradigmas. Es erfolgt keine soziale Schließung im Sinne einer Paradigmaentstehung. Vielmehr ist es das Ziel, eine lose Koppelung verschiedener Paradigmen zu realisieren, so dass Innovationsprozesse trotz und mit der Heterogenität der Akteure zustande kommen. Begreift man, wie in den Kapiteln 2 und 3 dargelegt, Innovationsprozesse im Wesentlichen als Prozesse der Wissensproduktion, so lässt sich das zentrale Koordinationsproblem der Gestaltung technologischer Konfigurationen als die Herausforderung einer Koproduktion von Wissen über die Grenzen von Paradigmagemeinschaften hinweg beschreiben.
Epistemische Stile in Innovationsprozessen Nun kann die Unzulänglichkeit der "Priorität der Paradigmata" konkretisiert werden. Paradigmen setzen für ihre koordinierende Wirkung ein dominantes Design voraus, das im Sinne einer Kuhnschen Musterbzw. Beispiellösung den Kristallisationskeim für die soziologischen und kognitiven Elemente eines Paradigmas darstellt - genau dies war die Kernaussage der Kuhnschen Paradigmakonzeption (vgl. Kuhn 1976: 199-203). Die "Priorität der Paradigmata", wie sie in der vorliegenden Arbeit dargestellt wurde, besteht in der Gleichsetzung von sozialer Schließung und Paradigmaentstehung. Im Falle der Gestaltung technologischer Konfigurationen liegt jedoch eine Konstellation vor, in der sich ein technologisches Feld abgrenzen lässt, ohne dass ein übergreifendes Paradigma die Wissensproduktion in diesem Feld koordiniert. Mit anderen Worten: Wir finden eine Form sozialer Schließung, die nicht mit der Entstehung eines Paradigmas einhergeht. Die Gestaltung technologischer Konfigurationen erfolgt in Innovationsprozessen, denen kein dominantes Design zugrunde liegt, sondern in denen verschiedene dominante Designs konfigutiert werden. Die Thematik technologischer Konfigurationen betrifft daher die "Priorität der Paradigmata" in ihrem Kern. Nicht mehr die koordinierende Wirkung technologischer Paradigmen steht im Mittelpunkt, sondern die trennende Wirkung solcher Paradigmen als Koordinationsproblem. Die Wissensproduktion in Innovationsprozessen erfolgt, ohne dass ein dominantes Design anerkannte
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Probleme und Lösungen vorstrukturiert Vielmehr erfolgt eine Koproduktion von Wissen, in der verschiedene dominante Designs, also verschiedene Konstellationen von anerkannten Problemen und Lösungen, sinnvoll miteinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Mit anderen Worten: Die Diversität der Paradigmen beg1iindet auf der Ebene der Akteure, die an der Wissensproduktion in Innovationsprozessen technologischer Konfigurationen beteiligt sind, mehrdeutige Zugehörigkeiten. Einerseits sind diese Akteure Mitglieder ihrer ursprünglichen Paradigmagemeinschaft. Sie nehmen Richtungen möglichen Fortschritts aus der Perspektive dieser Paradigmagemeinschaft hinsichtlich des entsprechenden dominanten Designs wahr. Andererseits interagieren sie im Zuge einer Gestaltung technologischer Konfigurationen mit Akteuren aus anderen Paradigmagemeinschaften. Genau ftir diese Art mehrdeutiger Zugehörigkeiten bietet Kuhns Ansatz wenig Spielraum, da er eine hohe kognitive und normative Integration von Gemeinschaften voraussetzt. Das Besondere an technologischen Paradigmen liegt gerade darin, dass sie die Norm bezüglich einer Gruppenzugehörigkeit darstellen. Die Zugehörigkeit zu einem Paradigma prägt die Perspektiven ihrer Mitglieder (kognitive Aspekte); dadurch prägt sie gleichzeitig die Selektion neuer Mitglieder. Paradigmagemeinschaften im Sinne K.uhns erzeugen eine hohe Kohärenz ihrer Mitglieder hinsichtlich der kognitiven Aspekte des entsprechenden Paradigmas. Die Stärke der K.uhnschen Konzeption ftir die Erklärung lokaler Stabilität im Rahmen technologischen Wandels liegt in der bindenden Rolle, die ein dominantes Design im Rahmen einer Paradigmagemeinschaft spielt. Dominante Designs strukturieren die wahrgenommenen Richtungen möglichen Fortschritts. Das Problem technologischer Konfigurationen zeichnet sich im Vergleich dazu dadurch aus, dass Interaktionen in den entsprechenden Innovationsprozessen nicht durch die Bindung an ein dominantes Design koordiniert werden. Im Gegenteil: Es wird die Konfiguration dominanter Designs zu spezifischen Systemen angestrebt, ohne dass flir diese Systeme ein dominantes Design existieren würde. Dies rückt die kognitiven Elemente in den Mittelpunkt, die durch die Mitglieder der verschiedenen Paradigmagemeinschaften in die Innovationsprozesse eingebracht werden. Innovationsprozesse technologischer Konfigurationen sind damit durch die verschiedenen Stile der Wissenserzeugung charakterisiert, die sich aus den unterschiedlichen Paradigmaeinbindungen der beteiligten Akteure ergeben. Damit werden ftir die soziale Gestaltung technologischer Konfigurationen die epistemischen Stili 1 der beteiligten Paradigmagemeinschaften relevant. 21 Der Begriff ,Epistemischer Stil' ist hier im Sinne Weingarts (1995: 21 f) in der Tradition des Flecksehen Denkstils zu sehen und verweist auf die
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Erfolgreiche Innovationsprozesse setzen eine koordinierte Wissensproduktion voraus. Innovationsprozesse technologischer Konfigurationen erfordern also die Koordination über die Grenzen von Paradigmagemeinschaften hinweg. Dies kann nun als erfolgreiche Koordination verschiedener epistemischer Stile für eine Koproduktion von Wissen in Innovationsprozessen beschrieben werden. Das zentrale Koordinationsproblem stellt damit die epistemischen Diversität dar, die sich aus den kognitiven Elementen der einzelnen Paradigmen in den Innovationsprozessen technologischer Konfigurationen ergibt. Epistemische Diversität bezieht sich auf die Modi der Wissenserzeugung, die es im Zuge einer Koproduktion von Wissen in Innovationsprozessen zu koordinieren gilt. Die erfolgreiche Gestaltung und Implementierung technologischer Konfigurationen erfordert eine Lösung dieses Koordinationsproblems. In Konkretisierung der Konzeption von James Fleck setzt die Integration verschiedener Wissensbestände im Zuge der Implementierung technologischer Konfigurationen eine Koordination von Akteuren mit unterschiedlichen epistemischen Stilen voraus. Die Herausforderung einer Integration von Wissensbeständen, die James Fleck selbst als einfach klingend, jedoch als tatsächlich höchst anspruchsvoll bezeichnet hat (Fleck 1993: 30f), kann nun als Koordinationsproblem spezifiziert werden: Anstelle einer Integration verschiedener Wissensbestände geht es um die Koordination von Akteuren mit unterschiedlichen epistemischen Stilen. Hier kommt nun der tatsächliche Anspruch einer sozialen Gestaltung technologischer Konfigurationen in den Blick. Es geht um die Koordination von Diversität ohne Homogenisierung. Für technologische Konfigurationen bedeutet dies, die kreative Spannung epistemischer Diversität Funktion eines Stils und die Art und Weise, wie er sich auf das Verhalten seiner Träger auswirkt (vgl. Harwood 1986). ln diesem Sinne unterscheiden sich epistemische Stile von Konzepten aus der Neueren Wissenschaftssoziologie (z.B. Fujimura 1987, 1988; Knorr-Cetina 1991 b, 199la; Pickering 1992; Knorr-Cetina 1999), die Wissenspraktiken und -kulturen als situativ konstruiert betrachten und damit die Sinn- und Erwartungsstrukturen ausblenden, die soziales Handeln konstituieren (Hasse et al. 1994; Hasse 1996: 36). Epistemische Stile im Sinne dieser Arbeit beziehen sich primär auf stabile Denk- und Handlungsmuster innerhalb eines Kollektivs (vgl. hierzu auch OECD 1972; Klein 1990; Bromme 2000; Brunn 2000; Klein 2000; Birrer 2001; Bruun/Hukkinen 2003) und sind daher über die Grenzen momentaner und situativer Einbindungen bis zu einem gewissen Grad stabil (vgl. Fleck 1929; 1980: 140). Die Bezeichnung Epistemischer Stil wird an dieser Stelle der des Denkstils vorgezogen, um weniger allgemein auf Stile des Denkens, sondern spezifischer auf Stile der Wissenserzeugung zu verweisen. Im Sinne eines pragmatischen Wissensbegriffs umfasst dies sowohl kognitive Strukturen als auch praktische Aspekte des Wissens, also sowohl das "Know-how" als auch das "Know-what".
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zu erhalten, dabei jedoch im Sinne einer Ermöglichung eines sinnvollen Bezugs aufeinander zu organisieren (vgl. Rammert 2002). Dies setzt den spannungsreichen Zustand einer nachhaltigen Heterogenität (vgl. Shinn/Joerges 2000; Shinn 2004) voraus, der eine Koordination ohne die Homogenisierung durch Einigung auf einen gemeinsamen, starken Bezugsrahmen erfordert. Hieraus folgt eine Besonderheit für die soziale Gestaltung technologischer Konfigurationen. Die Paradigmen der Komponenten, die im Zuge einer Gestaltung technologischer Konfigurationen kombiniert werden, bleiben in den entsprechenden Innovationsprozessen stark. Die beteiligten Akteure sind weiterhin in ihren Paradigmagemeinschaften eingebunden, deren kognitive Kohärenz über das jeweilige dominante Design gewährleistet wird. Technologische Felder, in denen die wiederholte Gestaltung spezifischer Konfigurationen erfolgt, zeichnen sich also dadurch aus, dass Heterogenität in Form epistemischer Diversität zwar in ihnen erhalten bleibt, jedoch sinnvoll für die Konfiguration spezifischer Anwendungen genutzt wird. 22 Damit geht es um eine lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaften, in der die Paradigmen stark bleiben und trotzdem eine sinnvolle Koproduktion von Wissen erfolgen kann. Für James Fleck liegt hierin auch ein Potenzial technologischer Konfigurationen begründet. Ohne die Entstehung einer generellen Systemidentität bleibt die Gestaltung technologischer Konfigurationen offen für die Berücksichtigung lokaler Kontingenzen. Es erfolgt also eine soziale Schließung in dem Sinne, dass sich technologische Felder und eine Erfahrungsakkumulation in ihnen identifizieren lassen, gleichzeitig erfolgt im Zuge dieser sozialen Schließung keine Dekontextualisierung: Wichtige Parameter der spezifischen Systemidentitäten technologischer Konfigurationen werden erst während ihrer Gestaltung festgelegt. Technologische Felder bleiben daher offen für soziale Kontingenzen und können diese im Rahmen der entsprechenden Innovationsprozesse berücksichtigen. Die epistemische Diversität in der sozialen Gestaltung technologischer Konfigurationen stellt also eine ambivalente Herausforderung dar. Einerseits erfordert sie die Lösung eines anspruchsvollen Koordinationsproblems (die lose Koppelung verschiedener Paradigmagemeinschaf22 Leigh Star hat eine ganz ähnliche Konstellation, nämlich die Kooperation verschiedener communities of practice in der Forschung, untersucht. Für sie besteht die zentrale Herausforderung dieser Kooperationen darin, lol