Innovation in Kulturorganisationen: Die Entfaltung unternehmerischen Handelns und die Kunst des Überlebens [1. Aufl.] 9783839426210

In the business of culture, innovation is increasingly discussed, yet »innovation« is an economic concept by which the g

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German Pages 398 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
I. Die Kulturorganisation als Unternehmung
1. Die Wirtschaft der Ökonomen. Ein befremdeter Blick aus der Perspektive künstlerischen Fortschritts
2. Wettbewerb als geschichtliche Kraft. Wie die Innovation in Theorien des Wirtschaftens kommt
3. Die wirtschaftende Organisation. Antriebe innovatorischen Verhaltens zwischen Opportunismus und Trägheit
4. Der Kulturbetrieb als Organisation und Institution. Bewegung durch Werte und die Mythen der Geschäftigkeit
5. Das Wirtschaften der Kulturorganisation. Kampf ums Überleben und Ökonomien der Freundschaft
6. Dimensionen strategischen Handelns der Kulturorganisation
II. Innovation
1. Wurzeln der Innovationstheorie
2. Das Subjekt der Innovation
3. Was ist Innovation?
4. Innovation in der Kulturwirtschaft
5. Innovation in der Kunst
6. Innovation in der Kulturorganisation
III. Drei Fallstudien
1. Die Management-Wende: Konzerthaus und Konzerthausorchester Berlin
2. Die technologische Wende: Berliner Philharmoniker und Philharmonie Berlin
3. Wendung zum Menschen: Die Philharmonie Luxemburg
IV. Die Kunst des Überlebens
1. Vielen ist der Tisch bereitet. Die Fallstudien im Licht der Theorie
2. Ist es Innovation? Was ökonomische Konzepte in unseren Kulturorganisationen erklären
3. Innovation in der Kunst durch Erneuerung ihrer Sozialformen
4. Zukunft durch Innovation? Ein Ausblick
Abstract – Zusammenfassung
Danksagung
Literatur
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Innovation in Kulturorganisationen: Die Entfaltung unternehmerischen Handelns und die Kunst des Überlebens [1. Aufl.]
 9783839426210

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Klaus Georg Koch Innovation in Kulturorganisationen

Klaus Georg Koch (Dr. phil., MBA) arbeitet als Business Analyst in der Wirtschaft. Er war Gründungs-Geschäftsführer des Modernisierungs- und Professionalisierungsprojekts »Musikland Niedersachsen« und hat zehn Jahre lang die Musikredaktion der Berliner Zeitung geleitet.

Klaus Georg Koch

Innovation in Kulturorganisationen Die Entfaltung unternehmerischen Handelns und die Kunst des Überlebens

Zugl.: Hannover, Hochschule für Musik, Theater und Medien, Dissertation, 2013.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat & Satz: Klaus Georg Koch Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2621-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einführung | 7 I. Die Kulturorganisation als Unternehmung | 27

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Wirtschaft der Ökonomen. Ein befremdeter Blick aus der Perspektive künstlerischen Fortschritts | 27 Wettbewerb als geschichtliche Kraft. Wie die Innovation in Theorien des Wirtschaftens kommt | 31 Die wirtschaftende Organisation. Antriebe innovatorischen Verhaltens zwischen Opportunismus und Trägheit | 34 Der Kulturbetrieb als Organisation und Institution. Bewegung durch Werte und die Mythen der Geschäftigkeit | 57 Das Wirtschaften der Kulturorganisation. Kampf ums Überleben und Ökonomien der Freundschaft | 76 Dimensionen strategischen Handelns der Kulturorganisation | 101

II. Innovation | 105

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Wurzeln der Innovationstheorie | 110 Das Subjekt der Innovation | 115 Was ist Innovation? | 122 Innovation in der Kulturwirtschaft | 143 Innovation in der Kunst | 157 Innovation in der Kulturorganisation | 173

III. Drei Fallstudien | 209

1. 2. 3.

Die Management-Wende: Konzerthaus und Konzerthausorchester Berlin | 212 Die technologische Wende: Berliner Philharmoniker und Philharmonie Berlin | 250 Wendung zum Menschen: Die Philharmonie Luxemburg | 287

IV. Die Kunst des Überlebens | 311

1. 2. 3. 4.

Vielen ist der Tisch bereitet. Die Fallstudien im Licht der Theorie | 311 Ist es Innovation? Was ökonomische Konzepte in unseren Kulturorganisationen erklären | 326 Innovation in der Kunst durch Erneuerung ihrer Sozialformen | 338 Zukunft durch Innovation? Ein Ausblick | 346

Abstract – Zusammenfassung | 359 Danksagung | 365 Literatur | 367

Einführung

Als Tatsache betrachtet, mag das seit Hegel vielfach beschworene Ende der Kunst nicht auszumachen sein. Je nach Standpunkt bleibt es eine »Meditationsform der Kunst am äußersten Ende ihrer Bestimmung« (Agamben), eine Anerkennung von Geschichtlichkeit am Ende der Kunstgeschichte (Danto). Es bleibt ein Schlüsselbegriff einer »kulturschöpferischen Existenzdebatte« (Friedrich), eine rhetorische Tradition moderner Kunst-Apologetik (de Man), ein Mittel, dem Reden über Kunst Höhe zu geben, vielleicht auch nur ein »Gerücht« (Geulen). 1 Wie immer man sie dabei deutet – die Rede vom Ende der Kunst hat ihren heilsgeschichtlichen Schrecken verloren, den sie zuletzt noch bei Adorno hatte. 2 Aber auch wenn sich das Publikum an den Verlust an Fallhöhe gewöhnt hat, das Ende droht weiter. Jetzt sind es die Institutionen der Kunst, die mit der Möglichkeit systematischen Verschwindens rechnen. So hat im Jahr 2012 ein Buch mit dem notfallmedizinischen Titel »Der Kulturinfarkt« eine schnell auflodernde Debatte über die Zukunft staatlich geförderter Kulturorganisationen ausgelöst. Die vier Autoren – Fachleute aus den Bereichen Förderung, Beratung, Verwaltung und Management – schwanken darin zwischen Rettungsversuchen vor dem »Infarkt«, vor dem »Koma«, vor dem »Tod«, und einem latent aggressiven Impuls, der alten, alteuropäischen, »wirklichkeitsfern« gewordenen Kultur und 1

Giorgio Agamben (1994): L’uomo senza contenuto, p. 81; Arthur C. Danto (2000): Das Fortleben der Kunst [After the End of Art], pp. 31f. und 24; Heinz Friedrich (1985): Ende der Kunst – Zukunft der Kunst, p. 7; Paul de Man (1989): Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism, p. 161; Eva Geulen (2002): Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel, p. 19.

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Zwar ist für Adorno das Ende der Kunst in den 150 Jahren seit Hegel nicht eingetreten. Die Kunst kann aber auch nicht bleiben, was sie war (vgl. Ästhetische Theorie 1970: 503). Im »Bewußtsein der Nöte von Kunst« und im Angesicht ihres »Gestus des Verstummens und Verschwindens« arbeitet Adorno daher an vielen Stellen mit dem Pathos der Endlichkeit. Letztlich darf Kunst im Zusammenhang von Adornos Eschatologie ihr Ende gar nicht zulassen, denn »indem sie sich abschaffte [...], leistete sie erst recht der sprachlosen Herrschaft Vorschub und wiche der Barbarei.« (1970: 309f.)

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ihrer Förderung ein Ende zu machen und die Zukunft dem Markt anzuvertrauen. 3 Während dieser Text geschrieben wurde, kursierten Aufrufe und Unterschriftenlisten zur Erhaltung des Kölner Opernhauses und der Rundfunksinfonieorchester in Stuttgart und Baden-Baden, und dem SWR-Orchester wurde in der Tat ein Ende gesetzt. Kaum weniger dramatisch sieht die Enquete-Kommission Kultur des Deutschen Bundestags nach vierjähriger Arbeit im Dezember 2007 die Kulturlandschaft Deutschlands »von Unterspülungen bedroht«. »In den vergangenen Jahren«, so stellt das Vorwort des Lageberichts fest, »sind viele Theater, Orchester, Bibliotheken und Musikschulen den Sparzwängen geopfert worden – zu viele« (Deutscher Bundestag 2007: 5). Vor dem Horizont, dass es noch weitaus mehr »Opfer« geben könnte, dem Opferzwang argumentativ und politisch vielleicht aber beizukommen sei, ist die enzyklopädische Anstrengung dieser Kommission zu verstehen. Während die Knappheit der Ressourcen als Bedingung jeglichen Wirtschaftens gilt4 und zunächst eine Aufforderung zu effektivem Management darstellt, trifft die Geldknappheit der öffentlichen Haushalte die Kultur als freiwillige Leistung mehr als das Gesundheitswesen, die Sozialhilfe, den Straßenbau, mehr auch als die Bildung. So hat sich die Zahl der Kulturorchester in Deutschland von 1992 bis 2010 um 20,8 Prozent verringert, die Zahl der Planstellen ging um 18,4 Prozent zurück.5 Vor allem in den 1990er-Jahren wurden viele Orchester in den neuen Bundesländern geschlossen. Das dichte Angebot an Einrichtungen traditioneller Hochkultur, das die DDR erhalten, in einigen Fällen neu aufgebaut hatte,6 wurde unter den finanziellen und politischen Bedingungen der Nachwendezeit nicht aufrecht erhalten, so dass sich der Rückgang der Zahl der Orchester im Osten deutlicher als Strukturwandel beschreiben lässt. In der Zukunft drohen Antagonismen zwischen der Kosten- und der Einnahmenstruktur zu einem Zusammenbruch der verbliebenen Organisationen zu führen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass ihre Personalkosten ungefähr parallel zur Entwicklung in der Volkswirtschaft steigen, die Produktivität ihrer Beschäftigten aber stagniert.

3

Dieter Haselbach/Armin Klein/Pius Knüsel/Stephan Opitz (2012): Der Kulturinfarkt.

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Max Weber (1921): Wirtschaft und Gesellschaft, p. 199. Aus Sicht der Wirtschafts-

Zur Frage der »Wirklichkeitsferne« und der »Weltfremdheit« siehe p. 77f. wissenschaften: Lionel Robbins (1932): An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, etwa p. 16: »Economics is the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses.« 5

Deutsches Musikinformationszentrum 2010e.

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Wie Allmendinger und Hackman (1996) in ihrer Studie über Anpassungsleistungen ostdeutscher Sinfonieorchester zeigen, wurde zwischen dem Anfang der SED-Herrschaft und ihrem Ende die Zahl der professionellen Orchester in der DDR von 48 auf 76 erhöht. So kam am Ende auf jeweils 220.000 Einwohner ein Sinfonieorchester.

E INFÜHRUNG

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Bei nominal ungefähr gleichbleibenden Einnahmen machen die Personalkosten dieser arbeitsintensiven Betriebe einen immer größeren Anteil der Haushalte aus, für die künstlerische Produktion bleibt immer weniger übrig.7 Das Gefühl, in einer Endzeit traditioneller Kulturorganisationen zu leben, entsteht jedoch nicht aus Einsichten in deren Finanzstruktur, sondern aus einer sozial-biologischen Erfahrung. Das Publikum der Sinfonieorchester, Konzerthäuser, Musiktheater ergraut und vergreist. Ihm sieht man das Ende schon an. Teils repräsentative Studien aus den zehn Jahren nach 2001 ermitteln für das Publikum klassischer Konzerte und Opernaufführungen ein Durchschnittsalter zwischen 55 und 60 Jahren.8 Dabei lässt sich nach Thomas Hamann (2009) feststellen, dass das Durchschnittsalter dieses Publikums binnen 20 Jahren um gut elf Jahre gestiegen sei, drei Mal so schnell wie das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung, das im gleichen Zeitraum um 3,4 Jahre zugenommen hat. Die Alterungsbilanz ist eine Folge der Veränderungen des kulturellen Nutzerverhaltens. Je jünger eine Altersgruppe ist, desto geringer fällt das Interesse an Kunstmusik aus (Gembris 2009: 68; Köcher 2008). Es wächst also weniger Publikum nach, als für den Ausgleich des Alterssaldos und für die Erhaltung des Besucherpotenzials notwendig wäre. Noch eine der jüngsten Studien bestätigt, dass ein Zuwachs bei den jüngeren und mittleren Altersgruppen nicht nur ausbleibt: »Die Besucherentwicklung bei Klassische-Musik-Konzerten im Zeitvergleich ist sogar weiterhin leicht rückläufig« (Keuchel 2011a: 37). Das Konzerthaus Berlin rechnete nach einer internen Publikumsanalyse im Jahr 2007 damit,

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Das Phänomen wird unter dem Namen »Baumolsche Krankheit« oder »Baumol’s cost disease« häufig angeführt. Vgl. William J. Baumol/William G. Bowen (1966): Performing arts: The economic dilemma. Unumstritten ist die These nicht. So weisen Throsby und Withers (1979: 291) darauf hin, dass auf der Nachfragerseite steigende Einkommen sowie eine Zunahme von Freizeit die Wirkung wachsender Kosten für die Kulturanbieter mildern können. Eine ausführliche Kritik findet sich in DiMaggio 1987: 202f. sowie Caves 2000: 221ff. und 253ff. Nach Throsby (2001: 119) lassen sich auf längere Sicht kaum Belege dafür finden, dass die darstellenden Künste einer stärkeren Inflation unterlägen als andere Sektoren der Wirtschaft. Zum Personalkostenanteil siehe Mertens 2011, p. 14: In Theatern und Orchestern liegt er bei 85-90%. In einem deutschen Landeshaushalt liegen die Personalkosten dagegen im Durchschnitt bei ca. 33%, in den Kommunen bei ca. 45%, in der Verwaltung des Bundes bei 10%. Da die Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes in der Regel für die Beschäftigten der Theater, Opern und Orchester übernommen werden, belasten die damit verbundenen Mehrausgaben die Kulturbetriebe überproportional.

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Vgl. den zusammenfassenden Beitrag von Heiner Gembris (2009): Entwicklungsperspektiven zwischen Publikumsschwund und Publikumsentwicklung.

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dass sein Abonnentenstamm mit jedem Jahr fünf Prozent verliert, weil sich Abonnenten zu gebrechlich für den Konzertbesuch fühlen oder gestorben sind. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem vielfach gedachten »Ende der Kunst« und der augenfälligen Endlichkeit ihrer Organisationen? Martin Tröndle spricht davon, das »klassische Musikereignis« – Oper, Konzerte sinfonischeund Kammermusik – habe »auf breiter Front« an »Relevanz« verloren, als ästhetische wie als soziale Institution.9 Was Relevanz bedeutet, bliebe genauer zu bestimmen. Tatsache ist, dass sich die Anhänger der traditionellen Organisationen der Kunst mit zunehmendem Alter aus gesellschaftlichen Macht- und politischen Entscheidungspositionen verabschieden. Es ist zwar nicht so, dass nur die Nutzer traditioneller Kulturangebote für den Fortbestand – im Jargon der Politik: den »Erhalt« – der Orchester, Konzerthäuser, Musiktheater stimmten. Es gibt Belege für die Annahme, dass der Anteil der Gesamtbevölkerung, der sich für einen »unbedingten Erhalt« ausspricht, höher ist als der Anteil derjenigen, die mindestens ein Mal im Jahr eine Veranstaltung besuchen.10 Aber in einer Demokratie wird über die Verwendung von Ressourcen im Mehrheitsverfahren entschieden, und eine dauerhaft abnehmende Unterstützerbasis führt – bei allen Besonderheiten, die sich aus den Bedingungen einer repräsentativen Demokratie ergeben11 – zu Nachteilen für die Mittelgewinnung. Schwieriger ist es, den »Relevanzverlust« klassischer Konzertereignisse mit Blick auf deren ästhetisch-institutionelle Dimension zu belegen. In jedem Fall wird darüber in der Öffentlichkeit gesprochen. Eine »Unlust am Artifiziellen«, »Überdruß« sowie »Argwohn gegen eine Kunst, die eine Welt für sich bildet« glaubte Carl Dahlhaus bereits im Jahr 1974 in der emanzipatorischen Bewegung der 68-er wahrzunehmen.12 Der Sänger Thomas Hampson hat im Jahr 2011 in einem Interview erklärt, für sein Metier, im vorliegenden Statement das Kunst-

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Martin Tröndle (2009): Von der Ausführungs- zur Aufführungskultur, p. 9.

10 Vgl. Susanne Keuchel (2011b): Gut gerüstet für die Zukunft? (p.11). Allerdings fällt die Unterstützung für traditionelle Organisationen der Kunst umso schwächer aus, je jünger die Altersgruppe ist. Nach Keuchel (2011a): »Ist die Krise überwunden?« liegt »der Anteil der Befürworter des unbedingten Erhalts mit 30 Prozent bei den 50-Jährigen und älteren nahezu dreimal so hoch wie der unter den unter 25-Jährigen (11%). Sehr hoch, fast doppelt so hoch wie in der Bevölkerung allgemein, ist dagegen der Anteil derjenigen, die konkret für den bedingungslosen Erhalt von Orchestern und Musiktheatern eintreten, unter der Bevölkerung, die mindestens einmal innerhalb der vergangenen zwölf Monate ein E-Musik-Konzert besucht hat.« (p. 26) 11 Vgl. Susanne Krebs/Werner Pommerehne (1995): Politico-Economic Interactions of German Public Performing Arts Institutions, p. 21f. sowie Bruno Frey (2000): Arts & Economics, p. 14f. 12 Carl Dahlhaus (1974): Autonomie und Bildungsfunktion, p. 21f.

E INFÜHRUNG

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lied, gebe es zwar zahlreiche talentierte junge Sänger, aber »durchaus einen Mangel an jungem Publikum«. Hampson führt das darauf zurück, dass den Zeitgenossen der Zugang schwinde. Zugang bedeutet für ihn noch gar nicht besondere Fachkenntnis, sondern viel elementarer, »dass wir in der Literatur und insbesondere im Gedicht unsere eigene Weltsicht, unseren eigenen Bildungsprozess, ja unser eigenes Ich wiederfinden.« Für den Sänger spricht aus der Komplexität der Gattung Lied die Komplexität »des Menschen«. Diese darzustellen, zu verkörpern, ist seine Kunst. Aber das Sprechen des Liedes trifft auf taube Ohren. »Wir verstehen die Künste nicht mehr als Tagebuch oder Lehrbuch des Daseins«, sagt Hampson.13 Damit beklagt er das Verschwinden von etwas, das Hans-Georg Gadamer mit Blick auf Hegel die »Selbstbegegnung des Menschen in den Werken der Kunst« genannt hat.14 »Das Kunstwerk«, so Gadamer, wird bis ins 20. Jahrhundert hinein »als die Vollendung der symbolischen Repräsentation des Lebens verstanden, zu der ein jedes Erlebnis gleichsam schon unterwegs ist« (1986: 76). Man fragt sich, warum Hampson das Problem nur in den Texten sieht und die Musik schont, wenn er vom Zugang zum Kunstlied spricht. Die so häufig zitierte Annahme, Musik sei »eine Sprache, die jeder versteht«, unterläge jedenfalls der gleichen Erosion des Sinns wie das Gedicht als Ausdruck der »Komplexität des Menschen«. Das Problem ist nicht, dass mancher »die Musik« nicht »versteht«. Was sollte das auch heißen? Vielmehr hat die etwa bei Herder und Rousseau so eindringlich formulierte Grundlage einer gemeinsamen Sprache für eine umfassende Menschheit ihre Verbindlichkeit verloren, und mit ihr die Vorstellung »des Menschen« als eines sich emanzipierenden empirischen Subjekts der Geschichte, die sich noch bei Adorno und beim frühen Habermas 15 findet. Im Übrigen fällt die Nähe der Idee von »Relevanz« zu Fragen des Wertes und der Wertschöpfung auf, zu dem, was Pierre Bourdieu »capital symbolique« nennt16, wohl auch zu Walter Benjamins »Kultwert«. 17

13 Michael Stallknecht (2011): Ich kann niemanden überreden, die Winterreise super zu finden. Interview mit Thomas Hampson. Hampsons Wort von der »Komplexität des Menschen« im Lied steht Hegels emblematischer Bestimmung der lyrischen Dichtung nahe. In dieser wird sich der Mensch »in seiner subjektiven Innerlichkeit selber zum Kunstwerk« (Vorlesungen über die Ästhetik (1971 [1717-1738]) Bd. III, p. 427). 14 Hans-Georg Gadamer (1986): Wahrheit und Methode, p. 64. 15 Vgl. etwa Stefan Müller-Doohm (2012): Zukunftsprognose als Zeitdiagnose. Habermas’ Weg von der Geschichtstheorie zur Evolutionstheorie bis zum Konzept lebensweltlicher Pathologien, pp. 160 und 166. 16 Pierre Bourdieu (1992): Les règles de l’art, p. 234ff. 17 Walter Benjamin (1963): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, p. 18ff.

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Bei Bourdieu ist die Bedeutung künstlerischer Äußerungsformen in der Gesellschaft endlich, und der Einfluss ihrer Agenten bemisst sich nach der Menge an symbolischem Kapital, das ihnen nach dem jeweiligen Stand der kulturell ausgetragenen gesellschaftlichen Auseinandersetzung zukommt.18 Die von vielen Produzenten und Organisatoren der Kunst beklagte »Kommerzialisierung« des organisationalen Feldes bezeichnet einen Bedeutungsverlust künstlerischer Argumente gegenüber wirtschaftlichen, also einen Verlust an symbolischem Kapital, während auf der Seite des ökonomischem Kapitals mehr erwartet wird. Dieser Autoritätsgewinn des Ökonomischen auf Kosten des Symbolischen bedeutet nach Bourdieu einen Zuwachs an Heteronomie im Feld der Kultur. 19 Dagegen soll jene Kunst, über deren Ende seit Hegel nachgedacht worden ist, das, was noch heute im deutschen Sprachraum emphatisch »Kunst« bedeutet und zu dessen Verwirklichung Theater, Opern, Konzerthäuser und Sinfonieorchester geschaffen wurden, sich auszeichnen durch Autonomie.20 Kulturschaffende, die in der Tradition teleologischer oder emanzipatorischer Geschichtsmodelle der Kunst aufgewachsen sind, häufig in der Tradition der Moderne des 20. Jahrhunderts, neigen dazu, in der aktuellen Lage den Niedergang zu sehen. So kommt der Gedanke, Theater, Opernhäuser und Konzertsäle für schließbar zu halten, weil sie »in dieser Gesellschaft nichts mehr bedeuten«, für Klaus Zehelein, den Vorsitzenden des Deutschen Bühnenvereins und früheren Intendanten der Staatsoper Stuttgart, kulturpolitisch »aus der Hölle«.21 Würde man so heilsorientiert und fundamental auch in anderen gesellschaftlichen Systemen argumentieren? Eher gehört in einem Wirtschaftsunternehmen, das keine Kunden findet, im Fall von Schulen, denen die Schüler, im Fall von Krankenhäusern, denen die Patienten ausgehen, der Gedanke an Schließung zur nüchternen Abwägung der Optionen. Der Eindruck, die Kräfte der Verderbnis seien am Werk, der Niedergang sei unausweichlich, ist unter Kultur-Verantwortlichen verbreitet, wenngleich aus politischer Umsicht solche Einschätzungen eher privat geäußert werden. Dann hört man von heute über 50-Jährigen in leitenden

18 In »Langage et pouvoir symbolique« (1991) schreibt Bourdieu: »Le poids des différents agents dépend de leur capital symbolique, c’est-à-dire de la reconnaissance, institutionnalisée ou non, qu’ils reçoivent d’un groupe [...].« (p. 107) 19 Vgl. Bourdieu (1992): »[...] des entreprises de production culturelle les plus hétéronomes (que [...] on appelle justement ‹commerciales›).« (p.410) 20 Wie Peter Bürger in seiner »Theorie der Avantgarde« zeigt, ist »Autonomie« kein deskriptiver, sondern ein relativ zu bestimmender Begriff (1974: 63ff.). In unserer Studie wird »Autonomie« vor allem als historisch entwickeltes Konzept in Abgrenzung zu Vorstellungen verwendet, wie sie aus den Systemen der Wirtschaft und der Politik an das Verhalten unserer Kulturinstitutionen gerichtet werden. 21 Claus Spahn (2003): Signale aus der Hölle. Interview mit Klaus Zehelein.

E INFÜHRUNG

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Positionen Äußerungen wie für mich wird es noch reichen, aber die jüngeren ... Die Jüngeren, so wird angenommen, werden es schwer haben, ein ganzes Erwerbsleben in öffentlich unterhaltenen Organisationen der Kunst zu bestreiten. Freilich sprechen wir von einer Wahrnehmung der Endlichkeit traditioneller Organisationen der Kunst, nicht von deren Ende als Tatsache. Es gibt kein Ende in Echtzeit, sagt Baudrillard, »das Ende wird immer zeitlich verschoben, in einer symbolischen Handlung erlebt.«22 Und so weit sind wir nicht. Diesseits aller Projektionen lässt sich eine Branche beschreiben, die sich in einem Schrumpfungsprozess befindet, vielleicht in einer Anpassungskrise an sich verändernde demografische, soziale, politische Bedingungen, an neue Technologien, an sich wandelnde Wahrnehmungsgewohnheiten, an zeitgenössische Erwartungen medialer Selbstrepräsentation, an Auslagerungsprozesse der Sinnproduktion.23 Nichts davon unterscheidet die Sphäre der Kunst von anderen gesellschaftlichen Bereichen, die dem Lauf der Zeit unterworfen sind. Ergebnisse aktueller empirischer Untersuchungen deuten sogar darauf hin, dass in Deutschland »der Trend des Publikumsrückgangs trotz anderslautender Prognosen bei Musiktheatern und Klassische-Musik-Konzerten zunächst gestoppt werden konnte« (Keuchel 2011a: 35). Damit wird zwar in der Hauptsache das Besucherreservoir unter älteren Nutzern besser ausgeschöpft;24 in einer gemeinsamen Marketing-Aktion machen es sich Orchester in London zur Aufgabe, Wiederholungsbesucher zu Stammkunden zu entwickeln (Kerner 2011: 39). Aber wer immer diese Besucher seien – hier gibt es etwas zu gewinnen. Unternehmerisch gesagt, bieten sich unseren Kulturorganisationen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten unter Bedingungen prognostischer Unsicherheit und sich beschleunigt wandelnder Marktverhältnisse. In einer Sache exzellent zu sein, die zunehmend irrelevant erscheint, stellt eine strategische Aufgabe. Sind aber Organisatoren und Produzenten von Kulturveranstaltungen, sind Intendanten von Theater, Opern, Konzerthäusern Unternehmer? Sind ihre Organisationen – im Alltag oft »Institutionen« genannt – Unternehmen? Hier stellt sich der im Schlagwort der »Kommerzialisierung« enthaltene Gegensatz zwischen den Systemen der Kunst und der Wirtschaft wieder ein, wie auch jener zwischen Autonomie und Heteronomie innerhalb des Feldes künstlerischen Wirtschaftens. Die

22 Jean Baudrillard (1994): Die Illusion des Endes, p. 140. 23 Vgl. Zygmunt Bauman (1998): Globalization: The Human Consequences: »The centres of meaning and value production are today extraterritorial and emancipated from local constraints – this does not apply, though, to the human condition which such values and meanings are to inform and make sense of.« (p. 3) 24 Im Detail stellt Keuchel fest: »Das Gros des Konzertpublikums besucht jährlich nur ein Livekonzert. […] Im Klassikbereich liegt der Anteil der Bevölkerung, die mehr als drei Mal im Jahr ein Konzert aufsucht, bei drei Prozent.« (2011a: 35)

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Entgegensetzung von »Kunst« und »Kommerz«, wie sie um den Anfang des 19. Jahrhunderts begründet und strukturbildend für das Feld künstlerischer Produktion wurde, prägt das Selbstverständnis von Kunst und Kunstschaffenden bis heute.25 Zwar ließe sich im Rollenverständnis auf das Modell des Impresario, wörtlich also des (Kultur-) Unternehmers, zurückgreifen, wie es in der italienischen Opernkultur des beginnenden 17. Jahrhunderts entstand. Doch das Wort steht heute für einen zwielichtig am Geld orientierten Bereich des Wirtschaftens mit Kunst und hat keinen guten Klang. Weniger der Intendant als der Agent steht heute in der Nachfolge des Impresario. Angesichts der prekären Lage, gewiss aber auch der Entwicklungspotenziale staatlich unterhaltener Kulturorganisationen, lässt sich fragen, ob das »anti-ökonomische« (Bourdieu 1992: 235) und »kritische«26 Berufsethos vieler ihrer Leiter sowie die konservative Verfasstheit der Organisationen eine günstige Voraussetzung für ein erfolgreiches Bestehen sind. Sind sie sogar ein Problem, heute, wo die sozialen und ideellen Grundlagen traditionell definierter Kunst ins Historische zu gleiten scheinen? Was als professionell gilt, hängt jedenfalls von wandelbaren Kriterien ab. Die Anhänger der Modernität im Kulturmanagement fordern Anstrengungen zu einer »Professionalisierung«, vergleichbar mit jener, die in den letzten Jahrzehnten in Großbritannien als »new public management« propagiert wurde und deren Schwerpunkt auf Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Rechen-

25 Für die zahllosen Belege dieser zum Allgemeinplatz gewordenen Position stellvertretend die Passage aus August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801-1804): »Vielmehr liegt es im Wesen der schönen Künste, nicht nützlich sein zu wollen. Das Schöne ist auf gewisse Weise der Gegensatz des Nützlichen: es ist dasjenige, dem das Nützlichsein erlassen ist.« (Schlegel 1963: 13) Noch Adorno und Horkheimer gehen im Kulturindustrie-Kapitel ihrer »Dialektik der Aufklärung« davon aus, das Kunstwerk habe »die Befreiung vom Prinzip der Nützlichkeit« zu leisten (1969: 167). Niklas Luhmann erklärt weitere 30 Jahre später, die Kunst wende sich »nicht nur gegen das, was so ist, wie es ist, sondern auch noch gegen Versuche, in diese Welt Zwecke einzubringen« (Die Kunst der Gesellschaft, 1997, p. 237). Die strukturbildende Funktion dieser Antinomie hat Pierre Bourdieu am Beispiel des Literaturbetriebs im Frankreich des späteren 19. Jahrhunderts beschrieben. Eine Begriffsbestimmung findet sich in »Les règles de l’art« im Abschnitt »Deux logiques économiques« (Bourdieu 1992: 235). 26 Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie: »Der kritische Begriff von Gesellschaft, der den authentischen Kunstwerken ohne ihr Zutun inhäriert, ist unvereinbar mit dem, was die Gesellschaft sich selbst dünken muß, um so fortzufahren, wie sie ist.« (1970: 30) Zum Thema auch Thierry de Duve (2006): Die kritische Funktion der Kunst und das Projekt der Emanzipation, p. 21ff.

E INFÜHRUNG

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schaftslegung und unternehmerischem Denken liegt.27 So beklagt Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung DOV, viele Orchester hätten »im Managementbereich noch erheblichen Nachholbedarf« und professionelles Orchestermarketing scheine »vielerorts noch ein Fremdwort zu sein«. Mertens fordert, es solle »selbstverständlich werden, dass Modelle, die sich in der [...] freien Wirtschaft erfolgreich bewährt haben, auch im Orchester- und Kunstbereich entsprechende Anwendung finden«.28 Maurice Lausberg, geschäftsführender Gesellschafter einer im Kulturbereich tätigen Beratungsfirma, bemängelt, für Besucherforschung und »strategisches Direktmarketing« fehle in vielen Häusern das Verständnis, auch den Bereich des Fundraising betrieben nur wenige professionell.29 Es gibt Anzeichen dafür, dass Anstrengungen im Sinn der geforderten Modernisierung von vielen Kulturorganisationen unternommen werden. Orchester und Musiktheater haben neue Angebote entwickelt und entwickeln sie weiter. In der Produktkategorie der Bildungsangebote, im Bereich von Musikvermittlung und Konzertpädagogik, haben die Orchester in Deutschland nach einer Erhebung des Zentrums für Kulturforschung zwischen 2005 und 2009 die Menge der angebotenen Veranstaltungen um rund 150 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Fünf-Jahres-Zeitraum gesteigert. Gegenüber dem Zeitraum 1995-1999 beträgt die Steigerungsrate 450 Prozent. Nach einer Statistik der Deutschen Orchestervereinigung nahm die Zahl der von Kulturorchestern angebotenen musikpädagogischen Veranstaltungen zwischen den Spielzeiten 2003/04 und 2009/10 um 91,3 Prozent zu (Deutsches Musikinformationszentrum 2011). Gut drei Viertel der Mehrspartenhäuser und mehr als ein Drittel der Orchester planen einen weiteren Ausbau ihres kulturellen Bildungsangebots.30 Wie substanziell aktuelle

27 Vgl. Nobuko Kawashima (1999): Privatizing Museum Services in UK Local Authorities, p. 158. 28 Gerald Mertens (2004): Aufbruch, Umbruch oder Abbruch? Die deutschen Berufsorchester auf ihrem Weg ins 21. Jahrhundert, p. 12f. 29 Ulrich Ruhnke (2011): Professionalisierung ist notwendig. Gespräch mit Maurice Lausberg. 30 Susanne Keuchel (2011): Klangkörper oder Vermittlungskünstler, p. 14. Generell sind Statistiken aus dem Kulturbereich mit Vorsicht zu interpretieren. Die zu Grunde liegenden Populationen sind häufig uneinheitlich definiert und in manchen Fällen selbst in ein und derselben Statistik im zeitlichen Verlauf nicht zu vergleichen. Erhebungsmethoden etwa für Besucherzahl und Auslastung hängen von Entscheidungen der Orchester und Häuser ab und können selbst innerhalb der einzelnen Statistiken differieren. Auf europäischer Ebene siehe auch KEA European Affairs (2006): The Economy of Culture in Europe, p. 4.

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Veränderungen in traditionelle Praktiken eingreifen oder ob das Neue dem Traditionellen nur hinzugesellt wird, wäre noch zu klären. »Sind Theater- und Orchesterbetriebe vielleicht besonders innovationsresistent oder gar -feindlich?«, fragt Gerald Mertens in seiner Analyse professioneller Defizite (2004: 13). Die Frage ist rhetorisch gestellt. Als Erben und Hüter historischer Kulturgüter und -Techniken, wohl auch in Kunstwerken manifestierter historischer Anthropologien, haben Opern und Orchester alt hergekommene Prägungen, die dazu führen, dass sie neuen Produkten, neuen Wirtschaftsweisen, neuen Zielen mit Zurückhaltung begegnen. Der nun bald 100 Jahre währende Widerstand gegen Neuerungen in der Kompositionstechnik oder, romantisch gesagt, der Tonsprache, mag ein Hinweis darauf sein, dass es eine Öffentlichkeit gibt, die Innovationsresistenz von ihren Institutionen der Kunst sogar erwartet. Oft sind es die Abonnenten und nicht die Intendanten, die in jeder Spielzeit eine Aufführung von Beethovens Schicksalssymphonie erzwingen. Insofern erfüllten die Theater- und Musikbetriebe mit ihrem Konservatismus einen gesellschaftlichen Auftrag. Sie bilden einen Traditionsraum im Sinn Anthony Giddens’, mit eigenem Ethos, eigenen Ritualen, eigenen Autoritäten, abgeschirmt durch den Staat von den Zumutungen der Modernität.31 Dass die Techniken in Angelegenheiten einer Modernisierung und Professionalisierung von außen herangetragen werden – aus der »freien Wirtschaft« –, sagt Mertens selbst. Mit den Techniken der Wirtschaft sind Maßstäbe und Werte verbunden, die ebenso in das Feld künstlerischer Produktion hineingetragen werden wie eine neue Sprache, neue Verkaufsargumente, neue Distributionskanäle, neue Erfolgskriterien. Modernisierung bringt immer auch eine Pädagogik mit sich, und wie jede Pädagogik setzt auch die Pädagogik der Modernisierung Asymmetrie voraus, ein Gefälle zwischen den Protagonisten von Modernität und denen, die lernen sollen, wie man es macht. Das eben bedeutet Heteronomie: Dass sich die Spielregeln ändern, dass sich der Ort der Kontrolle verschiebt. Mit ihnen werden sich auch Inhalt und Gegenstand dieser Organisationen wandeln. Dass die Kunst vielleicht nicht endet, in jedem Fall aber nicht bleiben kann, was sie einmal war,32 gilt also aus vielerlei Gründen. Dies verhüten zu wollen, wäre für Innovationsresistenz doch ein plausibles Motiv.

31 Anthony Giddens (1996): Leben in einer posttraditionalen Gesellschaft, p. 113f. 32 Um noch einmal Adornos Wort aus der Ästhetischen Theorie (1970) aufzugreifen: »Sogar wenn sie [die Kunst] bliebe, was sie einmal war und nicht bleiben kann, so würde sie in der heraufkommenden Gesellschaft und kraft ihrer veränderten Funktion darin zu einem gänzlich Verschiedenen« (p. 503). Freilich sieht Adorno die Kunst und ihre Künstler in der Hauptsache als Subjekte der Veränderung, nicht als Adressaten einer gesellschaftlich durchgesetzten Pädagogik.

E INFÜHRUNG

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Nun ist Anpassung immer mit einem Moment von Zwang verbunden – Zwang in den Gestalten etwa von Wettbewerb, oder von Legitimitäts- und Konformitätserwartungen. In unserer Perspektive, derjenigen auf Innovation, kommen Zwänge hinzu, die im Inneren von Organisationen aus selbst gesteckten Leistungs- und Erfolgserwartungen erwachsen. Das ist in staatlich unterhaltenen Organisationen der Kunst nicht anders als in Wirtschaftsunternehmen, wenn sich im Einzelnen auch Kriterien unterscheiden. Auch »Innovationsresistenz« ist keineswegs auf Kulturorganisationen beschränkt. Als inertia, Trägheit, wird sie in Theorien der Innovation, evolutionärer Ökonomie und des strategischen Managements diskutiert. Resistenz erscheint dabei, so wie Anpassung auch, als Funktion der Selbsterhaltung. Strategische Veränderung und strategische Konformität bilden – bei gegensätzlicher psychologischer Motivation – systematisch gleichwertige Handlungsalternativen.33 So steht das verändernde Moment der Innovation unausweichlich in Spannung zur bewahrenden, inerten, trägen Tendenz mehr oder weniger ausdrücklich formulierter Identitäten und organisationaler Handlungsroutinen,34 in Spannung zur Selbstreplikation oder Autopoiesis der als System verstandenen Organisation. Dis-integration is needed for ongoing innovation, formuliert Bart Nooteboom in seinem Versuch einer Theorie, die Innovation, Fragen organisationellen Lernens und organisationaler Identität handlungstheoretisch verbindet35 – in unserem Wort vom »Aufbruch« sind beide Aspekte enthalten. Immer bewegt sich innovatorisches Verhalten im Spannungsfeld von Stabilität und Veränderung, Fixiertheit und Fluss, oder, wie es in den Wirtschaftswissenschaften verbreitet heißt, exploitation und exploration.36 Fast immer wirkt es für eine Organisation zunächst attraktiver, so zu bleiben, wie sie ist.

33 Dan Chiaburu sieht in »Chief executives’ self-regulation and strategic orientation« (2010) strategischen Wandel durch die Hoffnung auf Belohnung motiviert, strategische Konformität dagegen durch die Furcht vor Bestrafung. 34 Larry Greiner befasst sich mit dem Thema in »Evolution and revolution as organizations grow« (1972): »The passage of time also contributes to the institutionalization of managerial attitudes. As a result, employee behavior becomes not only more predictable but also more difficult to change when attitudes are outdated. [...] Companies therefore experience the irony of seeing a major solution in one time period become a major problem at a latter date.« (p. 40) 35 Bart Nooteboom (2000): Learning and Innovation in Organizations and Economies, p. 64. 36 Klassisch heißt es bei James March in »Exploration and exploitation in organizational learning« (1991): »Exploration includes things captured by terms such as search, variation, risk taking, experimentation, play, flexibility, discovery, innovation. Exploitation includes such things as refinement, choice, production, efficiency, selection, im-

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Die Rahmenbedingungen für die staatlich unterhaltenen Kulturorganisationen erscheinen zumindest in den deutschsprachigen Ländern klar: Die finanziellen Ressourcen, die Unterstützerbasis, die Nachfrage unter den Jüngeren und der politische Rückhalt schwinden, vielleicht schwindet auch eine nicht leicht zu belegende gesellschaftliche »Relevanz« oder, mit Bourdieu gesprochen, das symbolische Kapital. Setzen sich die Trends fort, verlieren die Organisationen die Grundlagen ihrer Existenz. Ungewiss ist dagegen, was daraus folgt. Aber diese Ungewissheit ist unvermeidlich; je weiter man in die Zukunft zu blicken versucht, desto verschwommener wird in der Regel das Bild. Es ist die klassische Entscheidungssituation des strategischen Managements: Belässt man alles beim Alten, riskiert man, eines Tages von Konkurrenten oder von der technischen Entwicklung abgehängt zu werden. Unternimmt man etwas, erweisen sich die Annahmen vielleicht als Irrtum, es kommt anders, als man dachte, und das Unternehmen scheitert. Wartet man hingegen zu, beobachtet die Entwicklung, diskutiert die Optionen, so bindet man Kräfte, die anderswo produktiver eingesetzt wären und verpasst unter Umständen den Moment, in dem man noch erfolgreich hätte handeln können. In dieser Situation interessiert sich dieses Buch für die Kulturorganisationen in Hinsicht auf ihre Veränderung: Auf die Veränderung, die innerhalb der Organisationen absichtsvoll generiert wird mit dem Ziel, die eigene Wettbewerbsposition zu verbessern und die Chance auf ein Fortbestehen erhöhen. Das mit diesem Konzept Gemeinte wird hier »Innovation« genannt. Es ist spezifischer als die Idee der Anpassung, technischer als der Begriff des strategischen Wandels, und stärker prozessorientiert als der Blick auf die bloße Neuheit, wie sie auf den Märkten beworben wird. Innovation bedeutet in unserer Perspektive die Erzeugung, Aneignung, am Ende möglichst Erfolg bringende Verwertung wertschöpferischer Neuheit. Sie bedeutet weiterhin die neuartige oder erweiterte Nutzung bereits bestehender Produkte, Dienstleistungen oder Märkte, die Entwicklung neuer Produktions- und Distributionsmethoden, neuer Managementsysteme sowie neuer Austauschverhältnisse mit der Öffentlichkeit oder mit Interessengruppen in der gesellschaftlichen Umwelt. In diesem Sinn bezeichnet »Innovation« Handlungen und Produkte, Prozesse und Ergebnisse gleichermaßen.37

plementation, execution.« (p. 71) Weiter: »The essence of exploitation is the refinement and extension of existing competences, technologies and paradigms. Its returns are positive, proximate and predictable. The essence of exploration is experimentation with new alternatives. Its returns are uncertain, distant, and often negative.« (p.85) 37 Die Definition folgt in wesentlichen Punkten derjenigen, die Mary M. Crossan und Marina Apaydin 2010 unter dem Titel »A Multi-Dimensional Framework of Organizational Innovation« aus ihrer Meta-Analyse von knapp 11.000 wissenschaftlichen Artikeln zum Thema Innovation entwickelt haben (p. 1155).

E INFÜHRUNG

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Gegenstand der Betrachtung ist die einzelne Organisation. Begriffen wird sie in ihrer organisationalen und institutionellen Umwelt, in ihrer Abhängigkeit von- und Interaktion mit Systemen der Politik, der Wirtschaft, der Bildung. Aus dem Interesse am absichtsvoll Generierten der Innovation, betrachtet dieses Buch innovatorische Prozesse auf der Ebene des Managements. Das Management wird verstanden als diejenige intentional handelnde Instanz, in der sich die Verarbeitung von externer und interner Information, Entscheidungen zur Ressourcengewinnung und -verwendung sowie Zielformulierungen und strategische Weichenstellungen bündeln.38 Ohne den Einsatz des Managements wird es keine erfolgreiche Innovation geben. Ohne Innovation ist es wenig wahrscheinlich, dass eine Organisation, die im Wettbewerb um Ressourcen und Publikum steht, dauerhaften Erfolg hat.39 Gewinn erhofft sich dieser Blick auf die staatlich unterhaltenen Organisationen der Kultur aus der engen Beziehung von Innovation und Heteronomie, aus der Anregung durch das, was dem Betrieb oder zum Betrieb zunächst nicht passt. Sicher: Neuerungen, auch systematisch gesuchte Neuerung, hat es innerhalb des Feldes künstlerischer Produktion in der hier eigentlich reflektierten Zeit bürgerlichen Musiklebens von Hegel bis zur Gegenwart immer gegeben. Auf der Produktseite, in der Komposition, ist das evident; dass ein Werk originell sein müsse, um als authentisch akzeptiert zu werden, gilt nicht erst seit Carl Dahlhaus als ästhetische Prämisse des 18. und noch mehr des 19. Jahrhunderts.40 Das Auftauchen immer wieder neuer Fortschrittsparteien und Musiken der Zukunft bezeugt, welche künstlerische und gesellschaftliche Bedeutung das Thema besaß, entsprechend ist auch Musikgeschichte in Europa bis ins späte 20. Jahrhundert als Fortschrittsgeschichte geschrieben worden. Auch auf der Seite der Produktion spielte Neuerung im 19. Jahrhundert eine fundamentale Rolle: im Instrumentenbau, in den Spieltechniken, bei der Organisation effizient funktionierender Orchester. Mögen auch die Voraussetzungen von Innovation im Instrumentenbau durch die Entwicklung neuer Materialien und Verarbeitungstechniken sowie durch Apparate der Klanganalyse und -reproduktion41 geschaf-

38 Vgl. Crossan/Apaydin (2010): »Managerial levers link individual or group determinants with organizational factors and provide the necessary (usually missed) connection between leadership intentions and organizational results.« (p. 1171) 39 Vgl. Richard Nelson (1991): Why do firms differ, and how does it matter, p. 68. 40 Vgl. Carl Dahlhaus (1977): Grundlagen der Musikgeschichte, p. 24. 41 Zum Verhältnis von Klavierbau und Komposition Robert Winter (1988): »Striking it Rich: The Significance of Striking Points in the Evolution of Romantic Piano«. Weiter: John Durham Peters (2002): »Helmholtz und Edison. Zur Endlichkeit der Stimme.« Zur technischen Vorgeschichte: Brigitte Felderer (2002): »Stimm-Maschinen. Zur Konstruktion und Sichtbarmachung menschlicher Sprache im 18. Jahrhundert«.

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fen worden sein, also in den Systemen Wissenschaft und Technik, so absorbierte sie das System der »autonomen« Kunst doch selbstverständlich. Heute sind es genau die Bereiche der Kompositionen sowie der Instrumente und der mit ihnen bewerkstelligten kunsthandwerklichen Musikproduktion, die, je nach Interesse, das Veraltete, das nicht mehr Finanzierbare oder das zu Bewahrende des Sektors ausmachen. Die letzte Neuerung mit nennenswerter Breitenwirkung ist die Einführung der historisierenden oder historisch informierten Aufführungspraxis gewesen. Es ist, als hätte sich die Neuerungsfähigkeit der organisierten Produktion von Kunstmusik damit erschöpft, als würden die Errungenschaften der Vergangenheit zum Problem für ein erfolgreiches Weiterbestehen. Fast alle Innovationen, die dem organisationalen Feld heute empfohlen oder nahe gebracht werden, kommen aus Systemen, die nun als fremd empfunden werden. Am wenigsten fremd wirken wohl noch die kulturellen Bildungsprogramme, die neuen musikalischen Sozialformen in den Bereichen Konzertpädagogik und Musikvermittlung. Der Terminus »Bildungsprogramme« weist darauf hin, dass die Idee einem anderen, wenngleich über den gemeinsamen Ahnen der ästhetischen Erziehung verwandten System, dem der Bildung, entstammt. Indem der alte Universalismus, der auf ästhetischem Gebiet die Waffen gestreckt hat, im Pädagogischen weiterlebt, sind viele kulturelle Bildungsprogramme heute sogar klassischer als die klassische Musik.42 »Fremd« bleibt das Prinzip einstweilen in einem organisationalen Sinn, so lange in den Hierarchien die operative Verantwortung für die Programme kultureller Bildung nicht oberhalb der Projektleiterebene angesiedelt ist. Inhaltlich zeigt sich das vorläufig Fremde der Bildungsprogramme im Schwerpunkt ihres Interesses fern vom künstlerischen Werk und nah an sozialer und kreativer Erfahrung. Vom Konzept des audience development, das sich mit vielen dieser Programme verbindet, bis zur Entwicklung und Erschließung neuer Märkte ist es dann nur ein kleiner Schritt. Der größte Teil dessen, was heute als Innovation zur Verbesserung der Wettbewerbssituation von Sinfonieorchestern, Konzert- und Opernhäusern empfohlen wird, entstammt Praktiken und Theorien aus der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften. Aus diesem Bereich kommt auch die ganz überwiegende Zahl an Studien und Theorien zum Thema Innovation.43 Joseph Schumpeter, der beginnend in den 1910-er Jahren das Denken der Ökonomik mit seinen Konzepten von Unternehmertum und Innovation dynamisierte, verstand die Innovation als schöpferischen Prozess, der durch neue Produkte, neue Herstellungsme-

42 Eine positiv konnotierte Beschreibung des kulturellen Universalismus als spezifisch europäische Interpretationsleistung hat Niklas Luhmann in »Die Kunst der Gesellschaft« vorgeschlagen (1997: 341). Nach Kants »Kritik der Urteilskraft« ist im Übrigen die Beurteilung von Schönheit selbst universal, das ästhetische Urteilen ein Ausdruck des Gemeinsinns (KdU, erster Abschnitt § 22, p. 81 der Ausgabe von 1990). 43 Vgl. Crossan/Apaydin 2010: 1154ff.

E INFÜHRUNG

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thoden und neue Märkte den Kapitalismus in Bewegung hält,44 und auch wenn sich die Innovationstheorien differenziert und fortentwickelt haben, so bleiben sie doch am Beispiel industrieller Innovation in wettbewerbsintensiven Branchen orientiert. Praktisch ist in den ökonomischen Ansätzen die Veränderbarkeit auf arbeitsteilig definierte Parameter und Wirkzusammenhänge bezogen, auf die Finanzstruktur etwa, auf Ressourcengewinnung, Marktdurchdringung, Generierung eines nach Zielgruppen differenzierten Publikums, Markenwert, institutionelle Legitimität, um einige zu nennen. Eine gemeinsame Perspektive erhalten diese Aktionsfelder in der Strategie. Als klassisches organisatorisches Subjekt solchen strategischen Handelns darf die Unternehmung gelten. Im Wettbewerb stehende, um Wettbewerbsvorteile methodisch sich bemühende Unternehmungen bilden die Avantgarde der Innovation. Wer dort vorausfährt, darf mit doppeltem Sinn den »Vorsprung durch Technik« in der Werbung rühmen. In dieser Perspektive verhalten sich Innovation und Innovationstheorien zum Feld künstlerischer Produktion, in dem traditionell das Urteil der Fachleute und Eingeweihten mehr zählt als das des Marktes, als heteronom und heterodox. Fremd und von der Logik des Geldes bestimmt erscheinen Innovationen selbst da, wo sie von Kulturorganisationen angelsächsischer Länder übernommen werden. Vor gut 30 Jahren haben David Throsby und Glenn Withers in »The Economics of the Performing Arts« die Entwicklung eines effektiveren Managements, eines ergebnisorientierten Marketings, differenzierter Preisstrukturen und eine Diversifikation der Finanzstruktur für Veranstalter in Großbritannien, Australien und den USA vorausgesagt (1979: 292). Der beiläufigen Unabweisbarkeit, mit der sie das taten, ist man unter den Bedingungen des deutschsprachigen Kulturbetriebs, in dem der Ausschluss des »Kommerziellen« die traditionelle Definition von Kunst mit bestimmt, bis in jüngste Zeit nur selten begegnet. Die traditionell strukturbildende und handlungsleitende Entgegensetzung der »Kunst« und des »Kommerziellen« zu überspielen oder für obsolet zu erklären, hat diese Studie kein Interesse. Die ideellen Grundlagen, wenn man will: die ideologischen Routinen des Handelns und der historisch wandelbare, sozial konstruierte Sinn des Gegenstands, das, was in der Perspektive dieses Buches unter dem Namen »Kunst« verhandelt wird, bilden einen bestimmenden Faktor der organisationalen Entwicklung – so, wie sie umgekehrt von organisationalen und gesellschaftlichen Entwicklungen verändert werden können. Das Widerstrebende im Blick zu behalten und Ambivalenzen anzuerkennen, wird dem Bemühen um ein Verstehen des gegenwärtigen Wandels nicht schaden. Die wertende Funktion der alten Gegensätze macht sich dieses Buch allerdings auch nicht zu eigen – das, was sich mit der traditionellen Topologie des kulturellen Feldes verbindet, mit dem Hoch und Niedrig, Aufgestiegen und Abgesunken, inside und

44 Vgl. Joseph Schumpeter (1942): Capitalism, Socialism, and Democracy, p. 82.

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Außen vor, avant und Zurückgeblieben, auch wenn diese Unterscheidungen in anderen Sprechzusammenhängen etwas bedeuten. Nicht nur das Selbstverständnis unserer Institutionen der Kunst und die Praktiken der Organisationen verändern sich. Auch die Grundlagen des Urteilens über diese Veränderungen sind in Bewegung. Die Wandlungsprozesse betreffen die Praktiken ebenso wie ihre Interpretation. Deswegen bildet in dieser Studie das traditionelle Denken vom Kunstwerk her weiter eine Orientierung. Gleichzeitig wird den Chancen nachgegangen, die aus der spezifischen Rationalität ökonomischen Denkens – Ökonomik verstanden als Sozialwissenschaft – erwachsen. Wenn hier ökonomische Vorstellungen von Innovation auf Organisationen der Kultur bezogen werden, dann also nicht, um Kultur möglichst geldförmig zu machen. Viel mehr geht es um die Frage nach strategisch generierten Neuerungen in der Kulturorganisation, die dazu beitragen können, deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens zu erhöhen. Ökonomisch ist der Zugang in zweierlei Hinsicht: Er ist es in Hinsicht auf den Fluss von Ressourcen zwischen Gesellschaft und Organisation, auf die Sinnproduktion und die Werturteile der Verbraucher, auf deren Wahlverhalten, auf Wertschöpfung aus Sicht der Kulturorganisationen und aus der Sicht ihrer Publika. Und ökonomisch ist der Zugang in Hinsicht auf die Instrumente, mit denen Kulturorganisationen ihre Wettbewerbsposition verändern. Zumutungen einer Pädagogik der Modernisierung gibt es dabei gewiss. Möglicherweise handelt es sich bei den ökonomisch informierten Veränderungen um Momente eines Säkularisierungsprozesses der Kunst und ihrer Institutionen, der mit einem betrauernswürdigen Verlust von Bedeutung und Sinn einhergeht. Ob und inwieweit es solche Verluste gibt, ist Teil des Fragehorizonts. Neben möglichen Zumutungen aber sollen die Chancen hervorgehoben werden, die darin liegen, unabhängig vom Fortleben kunstreligiöser Sehnsüchte die instrumentell veränderbaren Funktionsweisen von Organisationen der Kunst zu beschreiben, zu untersuchen, zu interpretieren, Optionen zu generieren und zu realisieren.45 Entscheidende Faktoren für Innovation sind der Wettbewerb und das methodisch zielorientierte Verhalten. Der erste Teil dieses Buches wird zu klären versuchen, wie weit die Arbeit staatlich unterhaltener Kulturorganisationen aus Prinzipien wirtschaftlichen Handelns begründet werden kann. Ziel dieses ersten

45 Das Handlungsmodell entspricht zunächst den Vorstellungen neoklassischer Ökonomie, wie sie etwa Richard Nelson und Sidney Winter in »An Evolutionary Theory of Economic Change« (1982) beschreiben: »In orthodox theory, firms are viewed as operating according to a set of decision rules that determine what they do as a function of external (market) and internal (such as available capital stock) conditions. [...] The rules reflect maximizing behavior on the part of the firms.« (p. 12) Dass die Grenzen dieses Modells letztlich zu eng sind, wird zu diskutieren sein.

E INFÜHRUNG

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Teils ist es, Grundzüge einer Theorie der Kulturorganisation als wirtschaftende Unternehmung und als Institution zu entwickeln. Eine solche Organisation arbeitet instrumentell an der Verfolgung selbst formulierter Ziele und an der Maximierung eigener Erfolgskriterien. Zugleich ist sie gesellschaftlich ausgehandelten, historisch verwurzelten und in steter Veränderung begriffenen Aufgaben verpflichtet, die über ihre operativen Interessen hinausreichen. In dieser doppelten, teilweise widersprüchlichen Identität ließe sich die Kulturorganisation als Subjekt innovatorischen Verhaltens verstehen. Im dann folgenden zweiten Teil werden die Grundanliegen ökonomischer Theorien der Innovation erörtert und Ansatzpunkte für eine Anwendung auf die Arbeit unserer Kulturorganisationen entwickelt. Nur wenn sich die Erneuerung von Produkten, Verfahrensweisen, Geschäftsmodellen strukturell mit den Aufträgen und mit der Arbeit staatlich unterhaltener Kulturorganisationen verbinden lässt, kann man sinnvoll von Innovation in Kulturorganisationen sprechen. Vielleicht aber gibt es eine kategorische Grenze zwischen ökonomisch begründeter Innovation und Neuerung im Bereich der Kunst, vielleicht existiert eine nicht zu vermittelnde Differenz zwischen der Kulturorganisation als Unternehmung und der Kulturorganisation als Institution der Kunst, vielleicht wird solch eine kategorische Grenze durch aktuelle Veränderungen des Kunstbegriffs aufgelöst – das wird zu diskutieren sein. Ob von Innovation in Kulturorganisationen in einem theoretisch begründeten Sinn gesprochen werden kann, ob sich aus der ökonomischen Theorie Innovationskonzepte ableiten lassen, die es erlauben, aktuelle Wandlungsprozesse im Kulturbetrieb zu beschreiben, zu erklären und weiterzudenken, das ist zunächst eine offene Frage. In jedem Fall verspricht sich dieses Buch vom Transfer ökonomisch fundierter Innovationskonzepte Einsichten und Anhaltspunkte für eine Theorie der Innovation in staatlich unterhaltenen Organisationen der Kunst Einzelne Aspekte gegenwärtiger Wandlungsprozesse sind in den vergangenen Jahren aus der Perspektive des Kulturmanagements beschrieben worden, unter den Stichworten etwa der Vermittlung, des audience development, des Marketings, der Markenentwicklung. Eine Theorie der Innovation in Organisationen der Kunst aber existiert bis heute nicht. Wo Innovation von staatlichen und überstaatlichen Organisationen beobachtet und gemessen wird, liegt der Bereich der Künste allenfalls am Rand.46 Aber auch die ökonomische Innovations-

46 Strukturell verwandte Anliegen verfolgt Peter Tschmucks »Kreativität und Innovation in der Musikindustrie« aus dem Jahr 2003. Tschmuck sucht Erklärungen in der Frage, »wie das Neue in der Musikindustrie entsteht« (p. 11). Dabei beschäftigt er sich mit Organisationen und Medien der Verbreitung populärer Musik; die Verbindung organisationaler und institutioneller Fragen im Sinne einer »Kulturbetriebslehre« bildet einen Horizont seiner Arbeit. Außerhalb des von Tschmuck untersuchten Feldes liegen

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forschung bewegt sich, und sich bewegt sich in Bereiche jenseits technologisch orientierter Industrien. Ausgehend von Interessen an den gewissermaßen postindustriellen Bereichen der Wirtschaft ist in den letzten Jahren die Theorie der Innovation im Bereich der Dienstleistungen, der Kulturwirtschaft und der Erlebniswirtschaft entwickelt worden. Von dort eine Brücke zu Kulturorganisationen und staatlich unterhaltenen Organisationen der Kunst zu schlagen, werden wir versuchen. Anschauung gewinnen die Überlegungen am Beispiel der beiden großen Konzerthäuser Berlins – der Berliner Philharmonie und des Konzerthauses am Gendarmenmarkt – und der Philharmonie Luxemburg sowie der ihnen zugehörigen Orchester, der Berliner Philharmoniker, des Konzerthausorchesters Berlin (bis 2008: Berliner Sinfonieorchester) und des Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Alle drei Organisationen stehen im Wettbewerb um Publikum, um Ressourcen, um gesellschaftlichen und politischen Rückhalt. Das Beispiel Berlin ist gewählt, weil sich die Stadt gegenüber anderen Städten, zumindest in Deutschland, durch den besonderen Reichtum an Kulturorganisationen, durch die Schärfe der Konkurrenzsituation, durch die intensive kulturpolitische Debatte und die Wahrnehmung durch eine nationale und internationale Öffentlichkeit auszeichnet. Die Stadt bietet die seltene Möglichkeit, ähnliche Kulturorganisationen ersten Ranges innerhalb ein und desselben Marktes zu vergleichen. Darüber hinaus ist Berlin nicht nur ein Markt, sondern für ein nationales und internationales Publikum auch eine Bühne, auf der ein Beispiel für die Anstrengungen von Kulturorganisationen gegeben wird, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Wie die Berliner Häuser ist auch die Philharmonie Luxemburg ein Konzerthaus von europäischem Rang. Besonderes Interesse gewinnt ein Vergleich aus der Tatsache, dass es sich bei ihr um eine Neugründung handelt, das Haus wurde im Sommer 2005 eröffnet. Innovatorisches Verhalten setzt sich auch hier mit der Geschichte der Institution »Konzerthaus« auseinander. Historisch gewachsenen Erwartungen und Strukturen ist es aber weniger verpflichtet. So hat das Luxemburger Haus in seinem Verhalten und seiner Programmatik vom Anfang an ein Beispiel für die Einlösung innovativer Ansprüche zu geben versucht.

staatlich unterhaltene Organisationen der Musik mit ihren konstitutiven Konflikten um die institutionelle Frage der Kunst. Die von Michael Theede im Jahr 2007 veröffentlichte Doktorarbeit, »Management und Marketing von Konzerthäusern«, trägt einen »innovativen Faktor« im Untertitel und setzt sich das Ziel, »innovative Konzepte […] ausfindig zu machen« (p. 19). »Innovation« und »innovativer Faktor« werden jedoch umgangssprachlich verwendet und nicht definiert. Implizit wird bei Theede »Innovation« mit Marketing, mit der methodischen Ansprache neuer Publika (p. 324) und auch mit Neuer Musik (pp. 170ff., 258ff.) gleichgesetzt.

E INFÜHRUNG

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Unser Beobachtungszeitraum erstreckt sich über sechs Jahre. Er beginnt mit der Spielzeit 2006/2007 und reicht bis zum Ende des Jahres 2012.47 Zusätzlich zur Beobachtung der Aktivitäten von außen, in den Medien und in der öffentlichen Selbstdarstellung der Organisationen wurden am Anfang und am Ende dieser Zeit in Teilen vorstrukturierte Tiefeninterviews mit den verantwortlichen Managern der Häuser geführt. Diese Gespräche erstreckten sich teilweise über mehrere Stunden und mehrere Sitzungen. Die Gesprächspartner thematisieren ihre Einschätzung der Handlungsbedingungen, der Risiken und der Chancen ihrer Organisationen, Horizonte und Grenzen einer möglichen Erneuerung, Fragen der Kunst, ihrer Produktion und ihrer Vermittlung sowie interne Lern-, Kommunikations-, Konfliktlösungs- und Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit Innovation. Auf diesen Grundlagen werden in dieser Studie Wandlungsprozesse, konkrete Neuerungen und innovatorisches Verhalten im zeitlichen Verlauf beobachtet und beschrieben. In einem präzise umrissenen Bereich entsteht dabei ein Stück Zeitgeschichte unseres Kulturlebens. Diese weiß um den Horizont traditioneller Kultur- und Kunstgeschichten, folgt selbst jedoch einem Modell, das mit den Kontingenzen des Einzelfalls rechnet, etwa in der Art der Evolutionären Ökonomie, die Innovation nicht teleologisch, geschichtlich zielgerichtet, sondern als Erhöhung der Varianz möglicher Lösungen versteht. Innovation erscheint also nicht als Moment einer Fortschrittsgeschichte der Kunst und ihrer Organisationen, sondern in jenem Sinn, in dem Friedrich August Hayek vom Fortschritt spricht, als von einem grundsätzlich offenen und unvorhersagbaren Prozess von Anpassung und Lernen.48 Es ist ein Prozess, in dem sich nicht nur die Problemstellungen und Lösungsansätze, sondern auch unsere Möglichkeiten, Bedürfnisse, Werte und Interpretationen fortwährend verändern.

47 Die Recherchen des Jahres 2006 gingen im gleichen Jahr in einem research report mit dem Titel »Innovation in Berlin’s Concert Organisations« ein, der als wissenschaftliche Abschlussarbeit zur Erlangung eines Master of Business Administration (MBA) an der Graduate School of Business der University of Cape Town diente. Die nun vorliegende, im Jahr 2013 eingereichte Dissertation baut auf den Recherchen und Erkenntnissen des Jahres 2006 auf. Zugleich stellt sie eine neu konzipierte Studie mit vertieften theoretischen Fundamenten und einer sachlich und im zeitlichen Verlauf breiteren empirischen Grundlage dar. 48 Friedrich August Hayek (1960): The Common Sense of Progress, p. 40f.

I. Die Kulturorganisation als Unternehmung

1.

D IE W IRTSCHAFT DER Ö KONOMEN . E IN BEFREMDETER B LICK AUS DER P ERSPEKTIVE KÜNSTLERISCHEN F ORTSCHRITTS

Im berühmten Kulturindustrie-Kapitel ihrer »Dialektik der Aufklärung« haben Adorno und Horkheimer die wirtschaftliche Herstellung der Kultur, die Kultur der Wirtschaft als menschenverachtenden Prozess ohne Ziel und ohne Ausweg beschrieben, als Wüste diesseitiger Zweckhaftigkeit, jedem Reich der Kunst entgegengesetzt. Arbeit und Erholung,1 Arbeit und »Amusement«,2 Alltag und Paradies3 – in der wirtschaftlichen Kultur ist alles gleich. Die Industrie ist an den Menschen »bloß als an ihren Kunden und Angestellten interessiert«,4 alles, was gemacht wird, »hat nur Wert, sofern man es eintauschen kann, nicht sofern es selbst etwas ist«.5 Der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmer schlägt »den Zweifel an der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Fertigprodukte nieder«.6 In der so beschriebenen Welt gibt es keinen Ort, der anders sein könnte als der, an dem man sich gerade befindet. 7 Jede Ahnung »von der Möglichkeit des Widerstands« wird durch die Kulturindustrie unterdrückt;8 die einzelnen Konsumenten werden zu einem massenhaften Gut mit berechenbarem Geschmack und vorhersagbaren Bedürfnissen verarbeitet. Und deswegen ist in jener Kultur

1

Theodor W. Adorno/Max Horkheimer (1969): Dialektik der Aufklärung, p. 135.

2

Ebd., p. 145.

3

Ebd., p. 150.

4

Ebd., p. 155.

5

Ebd., p. 167.

6

Ebd., p. 129.

7

Ebd., p. 158.

8

Ebd., p. 150.

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unablässiger Veränderung Fortschritt nicht möglich: »Das Neue der massenkulturellen Phase gegenüber der spätliberalen ist der Ausschluß des Neuen. Die Maschine rotiert auf der gleichen Stelle. Während sie schon den Konsum bestimmt, scheidet sie das Unerprobte als Risiko aus. [...] Darum gerade ist immerzu von idea, novelty und surprise die Rede, dem, was zugleich allvertraut wäre und nie dagewesen. Ihm dient Tempo und Dynamik. Nichts darf beim Alten bleiben, alles muß unablässig laufen, in Bewegung sein. Denn nur der universale Sieg des Rhythmus von mechanischer Produktion und Reproduktion verheißt, daß nichts sich ändert, nichts herauskommt, was nicht paßte«.9 Man kann dieses Kapitel der »Dialektik der Aufklärung« als literarische Groteske verstehen, als Ausdruck des Entsetzens über eine tief empfundene Tendenz zur Gleichschaltung nun auch in jener Welt, die sich als freiheitlich versteht, in der die Freiheit sogar als Grundvoraussetzung wirtschaftlichen Handelns gilt. 10 In den fratzenhaften Zügen der Wirtschaft als Höllenmaschine, die Individuum und Gesellschaft verschlingt, scheint a eine Theorietradition der Wirtschaftswissenschaften auf, die mechanistische Züge trägt. In der Tat nimmt die so genannte orthodoxe neoklassische Theorie Zwecke jenseits der Profitmaximierung sowie Werte jenseits der Tauschwerte in die Reihe ihrer Axiome nicht auf. Die von Adorno und Horkheimer beklagte Reduzierung »des Menschen« auf seine Eigenschaft als Kunde oder Angestellter verlangt nach der neoklassischen Theorie allenfalls eine Ergänzung um den Wettbewerber und vielleicht den Geschäftspartner. Modelle von Gesellschaft, in denen sich eine »Notwendigkeit« kommerzieller Produkte vorab bestimmen ließe, liegen außerhalb des neoklassischen Theoriehorizonts. Produziert wird, was sich mit Gewinn verkaufen lässt. Auch das, was Adorno und Horkheimer unter Fortschritt verstehen, die Veränderungen gesellschaftlicher Zustände als eine Folge und als Bedingung der Emanzipation der Subjekte, bildet nicht notwendigerweise die Grundlage der Produktion von Neuheit und Innovation in der Wirtschaft. Milton Friedman hat die Theorie dieser Wirtschaft als »positiv« und als »im Prinzip unabhängig von allen spezifischen ethischen Positionen oder normativen Urteilen« definiert. Sie handelt von dem, »was ist«, und nicht von dem, »was sein sollte«.11 Dass gerade

9

Ebd., p. 142.

10 Die Idee von der Freiheit als Bedingung und als Ergebnis des Wirtschaftens wird schon von Voltaire formuliert. So schreibt er im zehnten seiner Lettres philosophiques (1723): »Le commerce, qui a enrichi les citoyens en Angleterre, a contribué à les rendre libres, et cette liberté a étendu le commerce à son tour; de là s’est formée la grandeur de l’État.« (p. 75 der Ausgabe von 1986) 11 Milton Friedman (1953): The Methodology of Positive Economics, p. 4.

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ihre bedeutenden Hypothesen auf wildly inaccurate descriptive representations of reality, auf schemenhaften Darstellungen und wenig realistischen Abstraktionen beruhen (1953: 14), dass sie gerade nicht den »ökonomischen Lebensprozess«12 Einzelner oder ganzer Gemeinschaften abbilden, ist nach Friedman die Bedingung dafür, dass sie »viel« erklären und »gültige« Vorhersagen erlauben. Das sind weit reichende Einschränkungen, und dennoch bildet die neoklassische Theorie in ihren Grundzügen den Ausgangspunkt unserer Überlegungen, weil ohne sie (und dann auch über sie hinaus) der Innovationsbegriff der Ökonomie kaum zu verstehen ist. Denn das entscheidende Motiv für innovatorische Tätigkeit – am Ende einen Gewinn zu erzielen – gilt, wie man kaum eigens zu sagen braucht, als Grundmotiv und Zweck des Wirtschaftens überhaupt. Die neoklassische Ökonomik interessiert sich für den möglichst effizienten Einsatz grundsätzlich knapper Mittel (Faktoren) zur Erzielung eines maximalen Gewinns. Diese Mittel werden, soweit es sich um private Güter handelt, erworben (Input) und in Güter oder Dienstleistungen umgewandelt (Output), die ihrerseits verkauft werden. »Gewinn« ist in dieser Theorie immer finanziell definiert. Deswegen sollen die Güter zu einem Preis verkauft werden, der über den für Faktoren und Betrieb aufgewendeten Mitteln liegt und dadurch einen monetären Überschuss abwirft bzw. eine Rendite auf das eingesetzte Kapital. Ziel der Wirtschaftstätigkeit ist es, Bedürfnisse und Begehrlichkeiten von Menschen zu bedienen, auf eine Weise, die dem Nachfrager einen Nutzen und dem Anbieter einen Gewinn verschafft. Dies findet idealerweise im Wettbewerb statt; mehrere Marktteilnehmer ergreifen zu einem gegebenen Zeitpunkt ähnliche Gelegenheiten, Gewinne zu erzielen oder ihren Nutzen zu mehren. Was auf jeder Stufe der Wirtschaftstätigkeit die jeweils angemessenen Preise sind, wo also von Fall zu Fall die Maßstäbe für eine effiziente Verwendung der Mittel liegen, mit welchen Techniken und für welche Kunden welche Produkte und Dienstleistungen am zweckmäßigsten hergestellt werden, das zeigt sich auf dem Markt. Ist der Käufer selbst Unternehmer, bietet er den Preis, der ihm nach Weiterverarbeitung einen maximalen Gewinn ermöglicht. Endverbraucher entscheiden je nach individueller Nutzenfunktion, nach der Frage also, »ist mir die Sache das Geld wert?«. In diesem Sinn erhält ein Gut oder eine Dienstleistung – durchaus auch kultureller Natur – Wert aus dem Vergleich mit seinen nächsten Alternativen, tatsächlich »sofern man es eintauschen kann, nicht sofern es selbst etwas ist«. Wem etwas auf dem Markt zu teuer scheint, der kann darauf verzichten oder ein alternatives Produkt (Substitut) erwerben oder selbst produzieren.

12 Das Konzept entstammt Thorstein Veblens Aufsatz »Why is Economics not an Evolutionary Science« aus dem Jahr 1898 und findet sich dort auf p. 394.

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Dass der Markt eine objektive Erkenntnisfunktion erfüllen soll, ist eine Zumutung für jede Denktradition, die bestimmten Dingen Wert ontologisch zuspricht, sofern sie, wie bei Adorno und Horkheimer, selbst etwas sind, oder allein ihrer selbst wegen da, so, wie Schopenhauer es von den Werken des Genies sagt.13 Während der intrinsische Wert der Gegenstände von wenigen Einzelnen definiert wird, die über das notwendige kulturelle Kapital und die Diskursmacht für ein öffentliches Urteil verfügen – in der Kultur Wissenschaftler, Kritiker, Kuratoren, Dramaturgen, Intendanten –, entscheidet auf dem Markt jeder Konsument für sich, was ihm die Sache wert ist. Alles wird vergleichbar nach Maßgabe der persönlichen Nutzenfunktionen. In diesem Sinn kann man sagen, Märkte würden von Herstellern organisiert, um die unüberschaubare Vielfalt der Nutzenfunktionen der Konsumenten begreifbar zu machen.14 Märkte verschaffen Produzenten Aufschluss über die Präferenzen der Käufer sowie über die Leistungen ihrer Konkurrenten; Käufer sehen, welche Befriedigungsmöglichkeiten es für ihre Bedürfnisse oder Begehrlichkeiten gibt. Jede Seite leitet daraus Folgerungen für das eigene Verhalten ab:15 Ein Unternehmen wird den Faktoreneinsatz optimieren, ein Endverbraucher die wirtschaftlichste Art der Befriedigung seiner Bedürfnisse wählen oder seine Bedürfnisse neu strukturieren, und so lässt sich dank der Rationalität der individuellen Nutzenmaximierung und der »kollektiven Intelligenz des Marktes« (Levinthal 1995) auf der Ebene der Gesamtwirtschaft beobachten, welche Ressourcen jeweils auf die effizienteste Weise für Produktion oder Konsum verwendet werden. 16 Letztlich streben die Kräfte in der auf die Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem auf Léon Walras zurückgehenden neoklassischen Theorietradition, 17 vermittelt und ausgedrückt durch den Preis in einen Zustand des Gleichgewichts. Ändert sich eine der Variablen (etwa die Nachfrage), erfolgt durch die Marktteilnehmer ein Ausgleich über die anderen

13 Vgl. Arthur Schopenhauer, (1987 [1818]): Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Kapitel 31, p. 507. 14 Richard Peterson/Narasimhan Anand (2004): The Production of Culture Perspective, p. 317. Zur informationsökonomischen Funktion von Märkten siehe auch Brian Loasby (1996): The Organization of Industry, p. 50. 15 »Prices in the neoclassical model do more than just inform people, they also motivate them. [...] Prices [...] serve to inform the parties about what they should do.« Paul Milgrom/John Roberts (1992): Economics, Organization and Management, p. 67. 16 Daniel Levinthal (1995): Strategic Management and the Exploration of Diversity, p. 24. Vgl. auch Edith Penrose (1959): The Theory of the Growth of the Firm, p. 197. 17 Vgl. Henri Denis (1999): Histoire de la pensée économique, p. 481ff. und mit Bezug auf die Gleichgewichtstheorie: 490ff.

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(etwa Preis, Produktion, Substitute) nach bekannten Entscheidungsregeln. Sind die Werte der Variablen bekannt, und das unterstellt die neoklassische Theorie, dann lässt sich kalkulieren, auf welche Weise der Gewinn zu maximieren ist. 18 Innovation verändert nun Produkte und/oder Preise. Sie wird auf der Grundlage rational mit dem Markt kalkulierenden Verhaltens generiert.

2.

W ETTBEWERB ALS GESCHICHTLICHE K RAFT . W IE DIE INNOVATION IN T HEORIEN DES W IRTSCHAFTENS KOMMT

Das rational-utilitaristische Erklärungsmodell fasste das Verhalten von Personen in Variablen und setzte individuelle Nutzenfunktionen in eine beobachtbare Beziehung zu Angebot, Nachfrage und Preisen. Damit trug es dazu bei, Ökonomien auch dort theoretisch zu erschließen, wo man sie zuvor nicht sah oder nicht sehen mochte. So ist auch eine Kulturökonomie entstanden, die alternative Beschreibungsmodelle zu den auf ästhetischen Werturteilen und metaphysischen Hoffnungen aufbauenden Soziologien Adornoscher Prägung anbieten kann. Doch ist auch Ökonomen nicht entgangen, dass sich die Welt in vielem anders verhält, als neoklassische Gleichgewichtsmodelle es annehmen. Zwar gilt, woran Friedrich August Hayek in »Der Sinn des Wettbewerbs« erinnert, dass Wettbewerb »der Akt des Bemühens« ist, »zu gewinnen, was ein anderer sich zur gleichen Zeit zu gewinnen bemüht«.19 Das Streben nach Gewinn ist ein Kampf gegen andere, die ebenso nach Gewinn streben, es ist, mit einem älteren Wort, ein Prozess aktiver Rivalität, in dem die Differenz zu den Wettbewerbern vieles entscheidet. Dauerhaft besser zu sein als seine Konkurrenten, so sagt es Metcalfe, ist der einzige Weg, auf Dauer höhere Gewinne zu erwirtschaften. 20 Die Kräfte, die sich im freien Spiel entfalten sollen, sind allerdings oft gar nicht hinreichend ausgebildet. Das Entscheidungsmodell der rational choice-Theorie sieht etwa vor, dass jeder Konsument ein klares Bewusstsein seiner Präferenzen, der Ergebnisse also seiner Nutzenfunktionen, und der möglichen wirtschaftlichen Alternativen hat; überhaupt wird jedem Marktteilnehmer unterstellt, er be-

18 Vgl. Richard Nelson/Sidney Winter (2002): Evolutionary Theorizing in Economics, p. 24, sowie Nelson/Winter (1982: 12). Für eine ausführliche Diskussion der neoklassischen oder Mainstream-Theorie in den Wirtschaftswissenschaften siehe auch Tony Lawson (1997): Economics and Reality, insbesondere p. 86ff. 19 Friedrich August Hayek (1952): Der Sinn des Wettbewerbs, p. 127. 20 Stanley Metcalfe (2001): Evolutionary Economics and Creative Destruction, p. 36.

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sitze sämtliche notwendigen Informationen, um vernünftige Entscheidungen für Investitionen oder Konsum zu treffen. So sehr aber der Markt über kollektive Intelligenz verfügen mag – die Urteilsfähigkeit der einzelnen Wirtschaftssubjekte ist beschränkt. Auch in anderen Punkten verhält sich die Realität nicht konform zu ihrem Modell. Die Preisbildung ist dem freien Spiel der Kräfte entzogen, sobald auf einem Markt dominierende, preismächtige Anbieter heranwachsen oder sich Monopole bilden. Ebenso arbeitet nicht jedes Unternehmen mit den gleichen Kostenfunktionen, weswegen es in den meisten Fällen keine einheitliche (Preis-) Reaktion auf Änderungen der Nachfrage gibt. Und nicht jedem Unternehmen stehen zu jeder Zeit jene Produktionsalternativen zur Verfügung, unter denen nach der Theorie eine Wahl getroffen werden soll. Vor allem besitzt das neoklassische Gleichgewichtsmodell keine Idee von der Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung oder, noch eine konzeptionelle Stufe weiter, von der Geschichte. Dass sich die Bedingungen und Kräfte des Wirtschaftens aus der Wirtschaft heraus verändern, dass immer neue Möglichkeiten entdeckt werden, Profite zu erzielen, während überkommene Wirtschaftsformen und Produktionstechniken in den Ruin führen, und ganze Produktkategorien dem Vergessen anheim fallen, während neue Geräte oder Medien zu Kassenschlagern werden, dafür hat die orthodoxe Theorie weder ein Interesse noch ein Erklärungsmodell entwickelt. Trotz seiner unzweifelhaft auch statisch-betriebswirtschaftlichen Dimension haben wir das Problem der staatlich unterhaltenen Kulturorganisationen aber als das einer geschichtlichen Dynamik beschrieben: Museen, Theater, Konzert- und Opernhäuser haben mit sich wandelndem kulturellen Verbraucherverhalten, mit sich verändernden politischen Erwartungen und neuen technologischen Entwicklungen umzugehen. Sie sind alte Organisationen, vergleicht man sie mit den meisten Unternehmungen, mit denen sich die Ökonomik beschäftigt, so alt, dass sie als Institutionen schon für die Sache der Kunst als solche stehen, und sollten sie sich tatsächlich in ihrer Endzeit befinden, sollte es für sie keine Möglichkeit der Anpassung, strategischer Entwicklung oder der Erneuerung geben, so bedeutete das nicht einfach den verdienten Bankrott überholter Unternehmungen, sondern das Ende einer Kultur. Die Beschreibung und Modellierung der Ökonomie als geschichtsloses homöostatisches System, verbreitet auch als Kreislauf, hat eine zentrale Frage nicht beantwortet, die die Wirtschaftswissenschaften gleichwohl seit Adam Smith umtreibt: Wie kommt es zu einem Wachstum der Wirtschaft? Joseph Schumpeter hat die Frage in seiner erstmals 1911 erschienenen »Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« so formuliert: »Freilich sieht unser Bild [von den Wirtschaftskreisläufen] etwas verblüffend aus. In aller begrifflichen Schärfe und theoretischen Strenge erscheint es so wirklichkeitsfremd mit seiner starren Kon-

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stanz, seiner Friktionslosigkeit, seinen Menschen, die sich stets gleichbleiben, und seinen Gütermengen, die sich in stets gleicher Weise erneuern.«21 Dagegen rechnet Schumpeter mit der teilweise spontanen und diskontinuierlichen Veränderung von (Gleichgewichts-) Zuständen aus der Tätigkeit der Unternehmer heraus,22 also in einem geschichtlich-dynamischen Sinn mit »Entwicklung«, wie er es nennt,23 und nicht mit einem ewigen Kreislauf oder einer Pendelbewegung. Gleichzeitig bemerkt er etwas, was heute meist unter dem Stichwort der Pfadabhängigkeit diskutiert wird, dass nämlich jeder Systemzustand, jede Wirtschaftstechnik, eigentlich jede Entscheidung und jede Aktion eine Folge der vorhergehenden sowie zurückliegender kritischer Ereignisse sei24 und dass umgekehrt diese in Habitus und Routine verfestigte Geschichte die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten zu einem bedeutenden Teil bestimmt. Pfadabhängigkeit ist eine Erklärung dafür, warum aus alten Erfolgen Verhaltensmuster für Misserfolge hervorgehen und warum eben nicht jedes Unternehmen zu jedem Zeitpunkt die nach neoklassischer Auffassung effektivsten Entscheidungen treffen kann. An dieser Stelle kommt das Konzept der Innovation in die ökonomische Theorie. Produzieren heiße in der Wirtschaft, so Schumpeter, »die vorhandenen Dinge und Kräfte kombinieren«. Werden sie in diskontinuierlicher Weise »anders« kombiniert, entstehen neue Konsumgüter, neue Produktionsmethoden, neue Transportverfahren, neue Märkte, neue Formen wirtschaftlicher Organisation. Diesen Vorgang der Neukombination nennt Schumpeter Innovation.25 Bis heute ist die Debatte um Innovation von dieser Konzeption geprägt. In der Folge erhält der Wettbewerb einen neuen Zweck, über die Steuerung der Preise und Allokationen hinaus: Er treibt möglichst immer bessere Produkte und Verfahrensweisen hervor. 26 Im gleichen Sinn gewinnt der Markt eine weitere Erkenntnis-Funktion: Er wird zum Testfeld für das, was an Neuem möglich ist.27 In »Capitalism, Socialism, and Democracy« (1942) bezeichnet Schumpeter, nun Professor in Harvard und nicht mehr in Bonn, Innovation als den »fundamenta-

21 Joseph Schumpeter (1987 [1934]): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, p. 77. Das Zitat ist der dritten, durch Schumpeter überarbeiteten Auflage entnommen. 22 Ebd., p. 99. 23 Ebd., p. 95f. 24 Ebd., p. 89. Eine anschauliche Bestimmung findet sich in Paul Davids »Clio and the Economics of QWERTY« (1990). Zur Diskussion des Konzepts s. auch Victor Tiberius (2012): Pfadbrechung und Pfadkreation als zukunftsgenetische Ansätze, p. 263ff. 25 Schumpeter 1987[1934]): 82 und 100. 26 Vgl. Nelson 1991: 72. 27 Vgl. Christian Knudsen (1996): The competence perspective – a historical view, p. 26.

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len Impuls, der den kapitalistischen Motor in Bewegung setzt und hält«.28 So werde die Struktur der Wirtschaft unablässig von innen heraus revolutioniert, unablässig werde Altes zerstört, unablässig Neues geschaffen. Und dann verwendet Schumpeter jenen Begriff, für den er berühmt geworden ist, mit dem auch Nicht-Ökonomen ihn verbinden, kreative Zerstörung: »This process of Creative Destruction is the essential fact about capitalism.«29 Wenn Schumpeter dann noch vom ewigen Sturm schöpferischer Zerstörung spricht, vom »perennial gale of creative destruction«, entsteht ein Bild von literarischer Kraft.30

3.

D IE WIRTSCHAFTENDE O RGANISATION . ANTRIEBE INNOVATORISCHEN V ERHALTENS ZWISCHEN OPPORTUNISMUS UND T RÄGHEIT

3.1 Organisationen Bis hierher ist geradezu ostentativ von der Kultur-Organisation die Rede gewesen, während man die Einrichtungen im Alltag häufig auch als Institutionen bezeichnet. Die institutionelle Dimension wird später noch eine Rolle spielen, doch in erster Linie gelten Konzerthäuser, Orchester, Opernhäuser, Theater, Museen für unsere Untersuchung als Organisationen, weil sich das Interesse auf deren tätige Veränderung ihrer Wettbewerbssituation richtet. Was ist nun eine Organisation? Wie orientiert sie sich? Wie stellt sie Ziele für sich auf? Wie arbeitet sie, um diese Ziele vielleicht zu erreichen? Als »Entitäten«,31 als soziale Gegenstän-

28 Schumpeter 1942: 82. 29 A.a.O. 83. 30 A.a.O. 85. Schumpeters Bild erinnert an Walter Benjamins – weniger optimistische – Beschwörung des Fortschritts in der IX. geschichtsphilosophischen These. Hier steht der Engel der Geschichte im Sturm, der vom Paradies her weht: »Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.« (Über den Begriff der Geschichte, 1991 [1940], p. 697f) In auffallender Nähe zu Nietzsche idealisiert Schumpeter (1934: 115) den Unternehmer als kreativen Zerstörer, als Schöpfer und Führer. »Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit« hatte Nietzsche etwa in »Ecce Homo« mit Blick auf eine Umwertung aller Werte formuliert: » – und wer ein Schöpfer sein will im Guten und Bösen, der muß ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen.« (Nietzsche (1969 [1888]): p. 363f.) 31 Wil Martens (2000): Organisation und gesellschaftliche Teilsysteme, p. 295.

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de oder soziale Systeme treten Organisationen ja nicht zufällig ins Leben. Sie werden geschaffen und zwar – in der abstraktesten Bestimmung durch den Wirtschaftshistoriker Douglass C. North – »im Hinblick auf die Opportunitätsmenge, die sich aus einer gegebenen Menge von Beschränkungen ergibt«.32 Organisationen entstehen und existieren, nach vorherrschender Meinung jedenfalls der klassischen Organisationstheorien,33 in Hinblick auf einen Zweck. Verfolgt wird dieser Zweck, indem die Organisation »unwahrscheinliche Handlungszusammenhänge« verwirklicht,34 indem sie also Dinge tut, die von Einzelpersonen allein kaum getan würden. Wirtschaftende Organisationen nur aus ihrem Streben nach Geldgewinn zu erklären, griffe jedenfalls zu kurz. Mit der Erörterung der Frage, was Organisationen bewegt, will dieses Kapitel Anschlussmöglichkeiten für eine Theorie der Kulturorganisation als Unternehmung schaffen – einer Unternehmung, die strategische Veränderung und innovatorisches Verhalten generiert. Dass gehandelt wird, um Zwecke zu verfolgen, ist eine Vorstellung, auf die bereits die neoklassische Ökonomik baut. Dort sind es nach dem Bild der rational choice-Theorie Individuen, die ökonomische Gewinnchancen realisieren oder ihre privaten Nutzenfunktionen maximieren. In ebenso instrumentell denkenden Theorien der Organisation treten auf der nächsthöheren Komplexitätsebene nun kollektive Akteure oder soziale Systeme auf den Plan. Nicht anders als der einzelne wirtschaftende Mensch gehen diese Organisationen ihren Interessen rational und als Herren ihrer Handlungen nach. In diesem Sinn bestimmt Philip Selznick die Organisation als »Instrument zur Mobilisierung menschlicher Energien und zu ihrer Ausrichtung auf vorgegebene Ziele«.35 Talcott Parsons spricht von Organisationen als rationalen Instrumenten zur Erreichung eines Zwecks oder eines Ensembles von Zwecken,36 und ebenso instrumentell formuliert Georg Schreyögg für die vor-institutionelle Organisationstheorie, formale Organisationsstrukturen würden »zur effizienten Koordination und Rationalisie-

32 Douglass C. North (1992): Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung, p. 5. 33 Vgl. Peter Kappelhoff (2000): Rational Choice, Macht und die korporative Organisation der Gesellschaft, p. 246f. 34 Das Konzept stammt von Niklas Luhmann, »Soziologische Aufklärung« (1987) und »The paradox of system differentiation and the evolution of society« (1990). Hier ist es zitiert nach Martens 2000: 283. 35 Philip Selznick (1957): Leadership in Administration, p. 5. 36 Talcott Parsons (1956): Suggestions for a sociological approach to the theory of organizations sowie Jeffrey Pfeffer/Gerald Salancik (2003): The External Control of Organizations – A Resource Dependence Perspective, p. 23.

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rung arbeitsteiliger Leistungsprozesse« geschaffen.37 Der damit gemeinte straff arbeitsteilige und effizient koordinierte Organisationstyp ist keineswegs der einzig beobachtbare. Aber wie Peter Kappelhoff bemerkt hat, genießt das Modell der Organisation als Instrument zur Durchsetzung von Zielen, die von oben definiert und auf dem Befehlsweg umgesetzt werden, theoretische Prominenz durch seine Herkunft aus der von Max Weber in »Wirtschaft und Gesellschaft« entwickelten Herrschaftssoziologie. 38 Eine phänomenologische Klassifizierung von Organisationen entwickelt Gareth Morgan in »Images of Organization«. Der Ansatz führt in einem systematischen Sinn nicht weit, aber er kann doch einen Beitrag zur Aufklärung über das Sprechen von Organisationen leisten. Morgan unterscheidet Organisationen nach den Metaphern der Maschine (»mechanization takes command«), des Organismus (»nature intervenes«), des Gehirns («toward self-organization«), der Kultur (»creating social reality«), des psychischen Gefängnisses (»exploring Plato’s cave«), des Flusses und der Transformation (»unfolding logics of change«) sowie des Herrschaftsinstruments (»the ugly face«).39 Er geht davon aus, dass Organisationen komplexer, mehrdeutiger und manchmal paradoxer seien, als es die klassische Organisationstheorie mit ihrem Interesse am Management, am Planen, Organisieren, Befehlen, Koordinieren und Steuern annehme. 40 Morgan benennt Organisationstypen, die nach bestimmten Vorstellungen funktionieren und performative Vorteile in spezifischen Umgebungen entfalten. So funktionieren mechanistische, am Modell der Maschine ausgerichtete Organisationen gut in Situationen, in denen genau definierte Aufgaben unter gleich bleibenden Umweltbedingungen zu bewältigen und genau definierte Produkte für konstante Nachfragemuster zu produzieren sind – sofern die Mitglieder der Organisation mitspielen. Die Schwächen des mechanistischen Organisationsmodells liegen in seiner beschränkten Anpassungsfähigkeit und, nach Morgan, in seiner Unfähigkeit zur Innovation.41 Morgans Metaphern entwickeln einen Sinn für die Komplexität der Lebenszusammenhänge – der Lebenszusammenhänge von Menschen –, den die klassische Organisationstheorie mit ihrer Eingenommenheit für Herrschaft und instrumentelle Rationalität so nicht besitzt. Vor dem von Morgan phänomenologisch aufgerissenen Horizont erscheint die Reflexion über Organisationen grundsätz-

37 Georg Schreyögg (2000): Organisation, p. 65. 38 Kappelhoff 2000: 246f. 39 Gareth Morgan (1986): Images of Organization, p. 17. 40 Ebd., pp. 17 und 25. 41 Ebd., p. 35f.

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lich unabschließbar, weil sich die Grenzen der Organisationen gegenüber ihren Umwelten, vermittelt in den Lebenswelten ihrer Mitglieder, auflösen. Die Systemtheorie Luhmannscher Prägung hat das Problem dadurch entschärft, dass sie die Mitglieder eines sozialen Systems als Personen der Umwelt zuordnet. Nach Willke (2006) bildet diese Umwelt der Organisationsmitglieder die »Innenwelt« des Systems; »Außenwelt« sind alle anderen relevanten Umwelten.42 Die mehrfache Identität der Organisationsmitglieder hat damit indessen nicht aufgehört, für die Grenzbestimmung der Organisation aus wirtschaftswissenschaftlicher und aus soziologischer Sicht ein Problem zu stellen. Peter Kappelhoff sieht in der »individualistischen Prämisse«, in der unvermittelten Übertragung individueller Handlungsrationalität auf soziale Gebilde, einen methodischen Irrtum. Er zieht es vor, Organisationen als sozial mehrdimensionale Räume zu entwerfen, in denen gewiss Organisationsziele in Organisationshandeln umgesetzt werden, die aber auch als »Systeme strukturierter Interdependenzen« und als »soziale Tauschsysteme« beschrieben werden können.43 Jeffrey Pfeffer und Gerald Salancik haben die Unschärfe der Grenzen von Organisationen und sozialen Systemen darauf zurückgeführt, dass im Zweifelsfall lediglich Aktivitäten und Verhaltensformen organisiert werden, nicht aber individuelle Personen. Für eine Person ist es möglich, Teil einer Organisation zu sein und zugleich Teil von deren Umwelt oder konkurrierender Systeme, mit der Möglichkeit, sich in einem Kontext so zu verhalten, in einem anderen Kontext aber anders. Daher ließen sich Organisationen als Zusammenspiel der Verhaltensweisen aller einzelnen Mitglieder definieren, wobei die Mitglieder jeweils nur zum Teil in der Organisation eingeschlossen seien. Einer älteren Bestimmung Philip Selznicks zufolge vereint eine »lebende Organisation« technische Ziele und Verfahrensweisen mit persönlichem Streben (»desires«) und Gruppeninteressen. In der Folge hätten verschiedenartige Elemente ein je spezifisches Interesse an der fortgesetzten Existenz der Organisation.44 Die Frage, wie man Organisationen versteht, insbesondere welches Modell man für den Austausch zwischen der Organisation und ihrer Umwelt oder Gesellschaft verwendet, hat Folgen für die Erklärung der internen und externen Anforderungen, der internen und externen Kräfte, die Strategien, Ziele und gegebenenfalls auch das innovatorische Handeln unserer Kulturorganisationen beeinflussen. Richard Scott beschreibt in seinen »Grundlagen der Organisationstheorie« (1986) mit den drei wesentlichen organisationstheoretischen Perspektiven,

42 Helmut Willke (2006): Systemtheorie I, p. 57. 43 Kappelhoff 2000: 246ff. 44 Selznick 1957: 21.

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die sich bis dato herausgebildet haben, auch Grund legende Alternativen der Erklärung. Organisationen gelten danach als »rationale«, als »natürliche« und als »offene« Systeme. Als rationales System ist eine Organisation »eine an der Verfolgung relativ spezifischer Ziele orientierte Kollektivität mit einer relativ stark formalisierten Sozialstruktur« (p. 45). »Rational« sind dabei die zur Realisierung der Ziele eingesetzten Mittel, ihre Implementation (p. 93). Mit den rationalen Modellen ist nach Scott die Organisationstheorie als eigenständiges Forschungsfeld begründet worden. Das Konzept der Organisation als natürliches System ist weitgehend als kritische Reaktion auf das rationale Modell entstanden. Anders als jenes betont es die Gemeinsamkeiten, die Organisationen mit sozialen Phänomenen im Allgemeinen besitzen und legt weniger Wert auf eine instrumentelle Bestimmung. Anpassung und Überleben sind für die Organisation wichtiger als das Erreichen eng umrissener Ziele (p. 119f.). Die Betrachtungsweise der Organisation als offenes System zieht auch die Umwelt mit ein. »Offen« ist die Organisation gegenüber ihrer Umwelt, aus der sie ihre Mitglieder und Ressourcen aktiv bezieht, der sie aber auch ausgesetzt ist: Mitglieder, Ressourcen, Werte, Techniken, Interessen strömen »in ihr System hinein«. Die Mitglieder der Organisation als offenes System verhalten sich opportunistisch, das heißt, sie verfolgen ihren eigenen Vorteil; ihre persönlichen Ziele sind mit denen der Organisation nicht notwendigerweise identisch. Daher ist aus dieser Sicht eine Organisation für Scott »eine Koalition wechselnder Interessengruppen, die ihre Ziele in Verhandlungen entwickelt; die Struktur dieser Koalition, ihre Aktivitäten und deren Resultate sind stark geprägt durch Umweltfaktoren.« (1986: 47) Die »Umweltfaktoren« und die Wechselwirkungen mit der Organisation wird Scott später in »Institutions and Organizations« zum Thema machen. Doch schon in seinen »Grundlagen« stellt er fest, Organisationen stünden nicht nur für sich, wie in der klassischen Theorie, sondern sie seien selbst, innerhalb ihrer wie auch immer definierten Grenzen, Gesellschaft. 3.2 Unternehmungen Der frühe Schumpeter kommt in wichtigen Hinsichten noch ohne die Unternehmung aus: Es ist die Persönlichkeit des Unternehmers selbst, die Innovation schafft. In seiner amerikanischen Zeit entdeckt Schumpeter dann, welche innovatorische Kraft große Unternehmen mit eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen besitzen.45 Als System organisierten Handelns und als rechtlich verfasste Organisation, bestimmt sich sich die Unternehmung durch ihren spezi-

45 Vgl. Schumpeter 1942: 83ff.

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fischen Zweck. Dieser Zweck liegt in der Schaffung von Wert, in systemtheoretischer Theorie auch in den Leitdifferenzen Gewinn-Verlust und EigentumNichteigentum.46 Der Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler sieht in der Unternehmung das wichtigste Instrument kapitalistischer Ökonomien für die Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen sowie für deren künftige Planung und Allokation.47 Aus Sicht eines Investors oder Kapitalgebers stellt die Unternehmung zunächst eine bestimmte Menge möglicher Produktionspläne dar, von denen der voraussichtlich profitabelste zu wählen ist.48 In der tätigen Praxis ausgeführter Produktionspläne ist die Unternehmung dadurch gekennzeichnet, dass sie eine beschreibbare Menge an Aktivitäten ausübt, durch die sie mit einer messbaren Menge an Ressourcen eine messbare Menge an Output erzeugt. Die Unternehmung soll nach bekannten vernünftigen Entscheidungsregeln handeln mit dem Ziel, ihren Gewinn oder ihren eigenen Wert als Ausdruck der Erwartung zukünftiger Gewinne zu maximieren. Geleitet von Preisen kauft sie Arbeitskraft, Rohstoffe und andere Faktoren und verwandelt sie mit Hilfe der verfügbaren Techniken und Verfahren in Produkte oder Dienstleistungen, um diese wiederum auf Märkten zu verkaufen. Nach Nelson und Winter enthält das Maximierungsmodell des Firmenverhaltens üblicherweise drei Aspekte: Eine Bestimmung dessen, was genau die Unternehmung zu maximieren versucht. Dann folgt eine Bestimmung dessen, was die Unternehmung herzustellen in der Lage ist. Und drittens nimmt das Maximierungsmodell an, dass die Tätigkeit der Unternehmung die Folge ihrer Wahl der Mittel sei, die jeweils aus einer gegebenen Menge an Handlungsalternativen, Marktbedingungen und in manchen Fällen auch internen Bedingungen getroffen wurde (1982: 12). Diese Theorie der Unternehmung hängt weitgehend von einer Theorie der Preise und Märkte ab; eigentlich ist sie eine Form wirtschaftlicher Analyse. Grundlegende Kritik hat sich an der neoklassischen Gegenübersetzung der Unternehmung und des Marktes entzündet, nach der Unternehmungen als autonome Akteure im Markt erscheinen, als »islands of planned co-ordination in a sea of market relations«.49 Dagegen stellte Ronald Coase in seiner bahnbrechenden Arbeit »The Nature of the Firm« 1937 die Frage noch einmal neu, warum

46 Zur Frage der Eigentumsrechte vgl. Geoffrey Hodgson (1994): Evolution and Institutions. On Evolutionary Economics and the Evolution of Economics, p. 237f. 47 Alfred D. Chandler (1992): Organizational Capabilities and the Economic History of the Industrial Enterprise, p. 79 48 Vgl. Milgrom/Roberts 1992 : 449 und 65 sowie aus der Perspektive einer Evaluation der Performanz p. 19f. 49 George Richardson (1972): The Organization of Industry, p. 883.

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Unternehmung existieren und wodurch sie sich auszeichnen. Wenn, so fragt Coase, auf der Ebene des Marktes Preise und ihre Veränderungen die Produktion steuern, warum können sie das nicht auch auf der Ebene des Betriebes tun? Warum sollte es angesichts der Koordinierungsleistungen des Marktes profitabel sein, eine Unternehmung aufzubauen?50 Der Hauptgrund, so vermutet Coase, könnte darin liegen, dass auch die Nutzung der Marktmechanismen mit Kosten verbunden ist. So verursacht es bereits einen Aufwand, herauszufinden, welches die relevanten Preise seien. Auch die Beobachtung und Kontrolle von Vertragsverhältnissen verursache Kosten, daher könne es günstiger erscheinen, langfristige Vertragsverhältnisse gleich in die Strukturen einer Firma zu integrieren. Im Kern kommt Coase zu dem Schluss, die Unternehmung und der Markt seien alternative »Modi«, um grundsätzlich gleichartige Transaktionen zu organisieren.51 Zieht man daraus die Konsequenz, stehen die Grenzen der Unternehmung als Organisation zur Debatte. Auf der einen Seite bleiben auch nach Coase »Firma« und »Markt« zwei scharf unterschiedene Konzepte. Dagegen erscheint aber die Praxis als ein Kontinuum zwischen den Polen Markt und Unternehmung. Dadurch, dass Marktelemente in Unternehmungen integriert werden und umgekehrt Marktverhältnisse zwischen Partnern am Markt quasi organisational verstetigt werden, entstehen Formen, die von anonymen Transaktionen auf Spotmärkten über längerfristige, auf Treu und Glauben gegründete Austauschverhältnisse bis zu formal kodifizierten Allianzen, komplexen Kooperationsformen mehrerer Unternehmungen reichen.52 Geoffrey Hodgson sieht den eigentlichen Gegensatz denn auch nicht zwischen Unternehmungen und Märkten, sondern zwischen strukturierten Arbeitsabläufen und vertragsförmigen Austauschprozessen.53 Coases Überlegungen haben enorme Folgen für die betriebswirtschaftliche Kalkulation, für die Vorstellungen von Preisen überhaupt und den Gegenstandsbereich von Kosten gehabt. Mit der Transaktionskosten-Theorie ist ein neuer Ansatz ökonomischer Forschung entstanden.54 Von der Differenzierung des klas-

50 Ronald Coase (1937): The Nature of the Firm, p. 19. 51 Vgl. Oliver Williamson/Sidney Winter (1993): The Nature of the Firm, p. 4. 52 Vgl. Richardson 1972: 887. 53 Hodgson 1994: 243. Im Gegensatz dazu sieht die nexus of contracts-Theorie Organisationen und damit Firmen eben durch ein Netz von Verträgen (und damit verbundenen Austauschverhältnissen) zwischen ihren Mitgliedern und mit der Umwelt definiert. Vgl. Milgrom/Roberts 1992: 20. 54 Transaktionskosten entstehen durch die Anbahnung, den Abschluss, die Überwachung und die Nachverhandlung von Verträgen, also auf der Seite der Information und Kom-

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sischen Marktkonzeptes führt aber auch ein Weg zu einer komplexeren Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Unternehmung und ihrer Umwelt, oder zwischen Organisationen und ihrer sozialen Welt, und das ist es, was uns mit Blick auf eine Grundlegung der innovatorischen Tätigkeit in Kulturorganisationen interessiert. Gesucht ist ein Begriff der wirtschaftenden Organisation, der eine Analyse und eine Beschreibung erlaubt, wie sich die Organisation innerhalb vielfältiger Kontexte – eingeschlossen die relevanten Märkte – verhält, und zwar, anders als in neoklassischen Gleichgewichtsmodellen, sowohl aktiv oder sich anpassend (taktisch) als auch pro-aktiv (strategisch). Drei Perspektiven der Beschreibung und Erklärung des Handelns von Unternehmungen sollen dabei eine besondere Rolle spielen: Der ressourcenorientierte oder auch Kompetenzbasierte Ansatz, Theorien der Ressourcenabhängigkeit sowie institutionelle Theorien der Firma und der Organisation. 3.3

Was die wirtschaftende Organisation bewegt

3.3.1

Das einzigartige Können. Ressourcenorientierte und Kompetenz-basierte Ansätze

Der ressourcenorientierte oder auch Kompetenz-basierte Ansatz geht von der in der Ökonomik nicht selbstverständlichen Beobachtung aus, dass Unternehmen, selbst Unternehmen innerhalb der gleichen Branche, sich voneinander unterscheiden. In der neoklassischen Theorie gibt es das je individuelle Unternehmen als Gegenstand des Interesses nicht. Ein Unternehmen kann im Prinzip jede beliebige Tätigkeit wählen, wenn sich die Sache nur rentiert. Unter jeweils gegebenen Bedingungen verwandeln alle Unternehmungen auf die gleiche rationale Weise Inputs in Waren oder Dienstleistungen55. Konsequenterweise liegen auch ihre Gewinne unter solchen Umständen sämtlich auf der gleichen, durch die Konkurrenz beschränkten Höhe. Was das Unternehmen tut, bestimmt sich aus den Bedingungen des Marktes. Im Unterschied dazu versteht sich der ressourcenorientierte Ansatz als Theorie der Unternehmung. Er nimmt an, dass Unternehmungen eigene Identitäten, Profile, Gestalten entwickeln und dass sie versuchen, distinguierte, möglichst privilegierte Positionen im Markt einzunehmen, um letztlich mehr ihrer Ziele zu erreichen, mehr zu gewinnen als der Durchschnitt ihrer Vergleichsgruppe. So

munikation. Firmen versuchen, sowohl ihre Produktions- als auch die Transaktionskosten zu minimieren. Vgl. Schreyögg 2000a: 73; Wieland 2000: 50; Hodgson 1994: 203; Chandler 1992: 85. 55 Vgl. Nelson 1991: 64f.

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arbeitet der ressourcenorientierte Ansatz an Modellen der einzelnen Unternehmung, die erklären sollen, warum diese typische Aktivitäten gegebenenfalls besser bewerkstelligen und Probleme besser lösen kann als ihre Wettbewerber. Entscheidend ist im Verhältnis zu grundsätzlich verwandten evolutionären Theorien, dass Gründe für die Marktposition einer Firma in den ihr eigenen Verhältnissen gesucht werden, und weniger in den Bedingungen ihrer Umwelten. Was aber ist ein Profil, und was tun Unternehmen, um sich von anderen zu unterscheiden? Einmal etabliert, lässt sich die Unternehmung als spezifische Menge ihrer Sachmittel, ihrer erlernten Fähigkeiten und ihres flüssigen Kapitals bestimmen.56 Die Fähigkeit, unter bestimmten Umständen produktiv werden zu können, qualifiziert die physischen Mittel und die erlernten Fähigkeiten als Ressourcen und Kompetenzen. Die Unternehmung definiert sich also nicht wie in der neoklassischen Theorie als Summe oder als Verhältnis ihrer Produktionsfunktionen, sondern als Ganzheit, als organization as a whole.57 Dabei ist sie eine »Sammlung produktiver Ressourcen«58 oder auch eine »Menge flexibler Ressourcen«.59 Von diesen Ressourcen hängt es ab, welche Märkte die Unternehmung sinnvollerweise für ihre Leistungen wählen kann. Umgekehrt lässt sich sagen, die Umwelt habe einen Einfluss auf die Verwendungsfähigkeit und folglich den Wert von Ressourcen.60 Wie Ressourcen und Kompetenzen konfiguriert werden, wie sie innerhalb der Unternehmung genutzt werden, wie sie sich entwickelt haben, wie sie entwickelt werden oder sich entwickeln lassen, das versuchen ressourcenorientierte und Kompetenz-basierte Theorien zu erklären. Ressourcen und Kompetenzen (competences, capabilities) haben innerhalb der Ausprägungen der Theorie ähnliche Funktionen; über das Wie ihrer Unterscheidung gehen die Ansichten auseinander. Nach Paul Rubin sind Ressourcen Inputs – Menschen, Maschinen, auch in Kombination –, die der Firma erlauben, eine bestimmte Aktion auszuführen.61 Rubins Position steht in der Tradition von Edith Penrose, auf deren »Theory of the Growth of the Firm« der ressourcenorientierte Ansatz in großen Teilen zurückgeht. Auch Penrose fasst Sachmittel oder physische Produktionsmittel sowie nicht-physische Produktionsmittel – im Wesentlichen Humankapital – im Begriff der Ressource zusammen.62 Birger

56 Vgl. Chandler 1992: 79. 57 Penrose 1959: 7. 58 Ebd., pp. 24 und 31. 59 Paul Rubin (1973): The Expansion of Firms, p. 937. 60 Vgl. Penrose 1959: 79. 61 Vgl. Rubin 1973: 937. 62 Penrose 1959: 24f.

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Wernerfelt (1984) geht so weit, so unterschiedliche Aspekte wie Maschinenkapazitäten, Kundenloyalität, die Beherrschung von Produktionsmethoden und technologischen Vorsprung als Ressourcen zu bezeichnen.63 Trennt man etwas feiner zwischen Ressourcen und Kompetenzen, dann können als Ressourcen sowohl Sachmittel oder physische Produktionsmittel verstanden werden, als auch nicht-physische Produktionsmittel, im Wesentlichen Humankapital. Dagegen sind Kompetenzen niemals physisch. Kompetenzen entstehen aus dem Zusammenwirken mehrerer Akteure und existieren letztlich außerhalb der handelnden Individuen. Foss (1996) sieht Kompetenzen als für die Organisation »idiosynkratisches Wissenskapital«.64 Ressourcen sind handelbar; ihr Marktwert übersteigt den Wert ihrer einzelnen Bestandteile. Kompetenzen, die gleichwohl auf Ressourcen gründen, lassen sich dagegen nicht handeln.65 Aber sie sind käuflich. So sind Firmenübernahmen oder das Abwerben von Personal ein Mittel, Kompetenzen anderer Organisationen zu erwerben. Was über die je spezifische Qualität der Ressourcen und Kompetenzen entscheidet, ist ihre Nutzung. Das bedeutet zunächst die Nutzung überhaupt, unterschieden von der Nicht-Nutzung: In jedem Unternehmen, so die Annahme, gibt es ungenutzte Ressourcen, die sich gewinnbringend einsetzen ließen. Weil Einsatzmöglichkeiten und Dienste der Ressourcen und Kompetenzen zumindest teilweise indeterminiert sind, weil Ressourcen also auf verschiedene Weise genutzt werden können, entsteht ein Handlungsspielraum für die einzelne Unternehmung. Nutzt sie diesen, und nutzt sie ihn anders als ihre Konkurrenten, kann sie sich von diesen unterscheiden und hat die Chance, ihre Position im Konkurrenzkampf zu verbessern, Vorteile zu erlangen und überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen.66 In jedem Fall sind Ressourcen und Kompetenzen immer marktspezifisch, d.h. eine Beurteilung des Wertes der Ressourcen und Kompetenzen einer Organisation lässt sich eigentlich nur mit Blick auf ihr Tätigkeitsfeld bzw. auf den bedienten Markt vornehmen.67

63 Birger Wernerfelt (1984): A Resource-based View of the Firm, p. 174. 64 Nicolai Foss (1996): The emerging competence perspective, p. 1. 65 Vgl. Nicolai Foss/Bo Eriksen (1995): Competitive Advantage and Industry Capabilities, p. 46f. 66 Vgl. Penrose 1959: 54. Ökonomisch gesehen, entsteht aus der Differenz zwischen der erst- und der zweitbesten Verwendung einer Ressource die so genannte Quasi-Rente. Eignet sich die Firma diese an, erzielt sie einen übernormalen Gewinn (Joseph Mahoney/ Rajendran Pandian 1992: The Resource-Based View within the Conversation of Strategic Management; p: 364). 67 Vgl. Levinthal 1995: 27.

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Joseph Schumpeter hatte die Frage gestellt, auf welche Weise Wirtschaften wachsen, und die Produktion als Kombinieren der »vorhandenen Dinge und Kräfte« bestimmt (1934: 100). Veränderungen gehen bei ihm auf die Interessen und Vorsätze einer Unternehmerpersönlichkeit zurück.68 Die von Edith Penrose entwickelte Theorie lässt sich nun als Versuch verstehen, eine Grundlegung des Wachstums aus der Aktivität der einzelnen Unternehmung heraus zu entwerfen, aus deren Konfiguration ihrer eigenen »Dinge und Kräfte«. Für Schumpeter ist es die Innovation, die einen Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern herstellt. Bei Penrose, und nachfolgend in den ressourcenorientierten und Kompetenz-basierten Ansätzen, erzielen die Unternehmen durch die Entwicklung ihrer Ressourcen den entscheidenden Abstand. Als Organisationen entwickeln sie ein unverwechselbares Know-how, mit dessen Hilfe sie »das können, was ihre Wettbewerber nicht können«.69 Innovation als Schaffung von Angeboten, die Wettbewerber nicht haben, würde aus den proprietären Ressourcen entstehen. Die, wie es im Englischen heißt, »idiosynkratische«, also unternehmenspezifische Konfiguration der Ressourcen und Kompetenzen, ihre häufig nicht schriftlich niedergelegte, unausgesprochene, nur der Organisation als ganzer verständliche Struktur sowie ihre von außen nicht nachvollziehbare Entstehungsgeschichte sollen es Wettbewerbern schwer machen, aufzuholen oder Kompetenzen durch Nachahmung zu erwerben.70 So lange eine Unternehmung über ungenutzte oder noch nicht optimal genutzte Ressourcen verfügt, hat sie einen Anreiz, zu wachsen (Penrose 1959: 67). Dass ungenutzte Ressourcen eine Voraussetzung für Grund legende Innovationen bilden, wird sich später noch zeigen. Die entscheidende Ressource der Unternehmung ist für Penrose das Management. Jedes Ergreifen von Marktchancen (productive opportunities) mittels der entsprechenden Konfiguration der Ressourcen setzt voraus, dass solche Chancen gesehen – »gesehen« auch im imaginativen Sinn – und ergriffen werden.71 Diese Vorstellungs- und Willensleistung wird vom Management erbracht, und in diesem Sinn spricht Penrose von den »unternehmerischen Ressourcen« der Unternehmung (1959: 37). Dieser Auffassung folgt im Übrigen auch dieses Buch, in-

68 Richard Langlois (1995): Capabilities and Coherence in Firms and Markets, p. 90f. 69 John Seely Brown/ Paul Duguid (1998): Organizing Knowledge, p. 98. 70 Vgl. Hodgson 1994: 228, Wernerfelt 1984: 173, Robertson 1996: 81. Die von Wettbewerbern nicht nachvollziehbare Entstehung und Struktur strategisch wichtiger Kompetenzen wird in der Literatur unter dem Stichwort »causal ambiguity« diskutiert. Eine Erklärung des Konzepts findet sich in Richard Rumelt (1984): Towards a Strategic Theory of the Firm, p. 561ff. 71 Vgl. Penrose 1959: 31f. und 41.

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dem es sich spezifisch mit den Zielen, den Interpretationen, Strategien und Initiativen des Managements der untersuchten Kulturorganisationen beschäftigt. In der Managementtheorie hat die von Penrose begründete Sicht der Unternehmung dreißig Jahre später zu Überlegungen geführt, die dort als umstürzend empfunden wurden. In »The Core Competence of the Corporation«, dem Dokument des Einzugs ressourcenorientierter Ansätze in die Managementlehren, fragten Coimbatore Prahalad und Gary Hamel 1990, wie sich angesichts beschleunigt wechselnder Marktverhältnisse, Technologien und Konsumentenpräferenzen möglichst dauerhafte Wettbewerbsvorteile erzielen lassen. Die »orthodoxen« Mittel der Preis-/Leistungsoptimierung schienen lediglich noch kurzfristige Vorteile zu bewirken – als Folge ihrer leichten Imitierbarkeit, wie man annehmen darf, und der in großen Unternehmen wichtiger werdenden organisationalen Faktoren. Auf längere Frist schien Prahalad und Hamel nun die Wettbewerbsfähigkeit auf einer Kombination von Preisvorteilen, Reaktionsschnelligkeit und schneller Produktentwicklung zu gründen. Um diese Kombination herzustellen und um ihre Ressourcen reaktionssicher rekonfigurieren zu können, müssen Unternehmen ihre technologischen Fähigkeiten und ihre Produktionskapazitäten mit einander in Beziehung setzen. Diese Fähigkeit des »In-Beziehung-Setzens« und der schwer zu imitierenden Rekonfigurierbarkeit in Hinblick auf möglichst schnell zu erreichende Entwicklungsziele nennen die Autoren »Kernkompetenz« (Prahalad/Hamel 1990: 82). Sie sind nach den Autoren die »Wurzel« der Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit der Unternehmung und ihrer Fähigkeit, schwer einzuholende Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten zu erarbeiten. Die Kernkompetenzen bilden das Fundament einer »strategischen Architektur«. Von dieser Architektur wird verlangt, dass sie eine Begründung der Unternehmung und der von ihr bedienten Märkte vermittelt, die Logik der Ressourcenallokation entfaltet und den Mitgliedern der Organisation transparent erscheint (p. 89). Einschränkend sei hier noch einmal betont, dass es sich bei den ressourcenorientierten und Kompetenz-basierten Ansätzen um Modelle der Analyse und der Beschreibung von Unternehmungen und Organisationen handelt. Im Fall des Gelingens wären sie »wildly accurate descriptive representations of reality«, um Milton Friedman zu paraphrasieren; »gültige« Vorhersagen nach den Vorstellungen einer positiven Ökonomik erlauben sie nicht. Stets wird im Nachhinein von Beobachtungen des Firmenerfolgs auf Wettbewerbsvorteile geschlossen. Wenn zum Beispiel Autoren wie Bo Eriksen und Jesper Mikkelsen erklären, sie interessierten sich für die Bestimmung der Kernkompetenzen eines Unternehmens, um dessen Fähigkeit zu verstehen, sich von seinen Wettbewerbern zu unterscheiden (1996: 65), dann setzen sie sich den Gefahren logischer Zirkel aus: Die zu erklärende Differenz der Unternehmung ist die Voraussetzung dafür,

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dass Kernkompetenzen überhaupt identifiziert werden können. Thomas Powell hat in der vielleicht schärfsten Kritik der Theorien von Wettbewerbsvorteilen festgestellt, ressourcenbasierte Theorien seien »Konstrukte«. Kompetenzen seien grundsätzlich unbeobachtbar, daher fälle die Theorie analytische Urteile, die nicht empirisch falsifizierbar seien.72 Ohne den Drang nach einem endgültigen Urteil hat dagegen Geoffrey Hodgson den epistemologischen Standpunkt des Kompetenz-basierten Ansatzes mit Blick auf dessen Konzeption des Lernens und Wissens als »nicht-positivistisch« bezeichnet und darauf hingewiesen, der Ansatz sehe auch methodologisch von der rationalistischen Beschränkung auf individuelle Akteure ab (Hodgson 1994: 27). Gewiss ist im Bereich des Sozialen »zwischen« den Menschen vieles nicht unmittelbar zu beobachten, und doch lässt sich über Wirkungen reden und von diesen auf Ursachen schließen. 3.3.2

Bedürftig aus Prinzip. Theorien der Ressourcenabhängigkeit

Ressourcen-orientierte Ansätze erklären die Organisation aus der Gestaltung und Entwicklung ihrer internen Kräfte und aus der daraus erwachsenden performativen Differenz zu anderen Organisationen. Theorien der Ressourcenabhängigkeit dagegen – von der Namensähnlichkeit darf man sich nicht täuschen lassen – thematisieren Organisationen durch den Bezug zu ihrer Umwelt. Diese Umwelt besteht aus anderen Organisationen.73 Der Bezug zur jeweiligen Umwelt wird auf einen entscheidenden Aspekt hin zugespitzt: Auf die Abhängigkeit von Ressourcen, die eine Organisation für die Verfolgung ihrer Ziele, eigentlich für ihr Überleben benötigt, und die sie aus ihrer Umwelt bezieht. Wie die Ressourcen-orientierten und Kompetenz-basierten Ansätze erweitern auch Theorien der Ressourcenabhängigkeit das neoklassische Modell der wirtschaftenden Organisation kategorial. Die neoklassische Theorie sagt über Ressourcen, dass sie knapp sind und Konkurrenz um ihren Erwerb besteht. Wer die Ressourcen am Ende erhält und als Input seiner Aktivitäten verwenden kann, entscheidet sich am Markt über den Preis. Von einer Konkurrenz um Ressourcen gehen nun auch die Theorien der Ressourcenabhängigkeit aus. Zumindest als private und rivalisierende Güter vorliegende Ressourcen wie Rohstoffe, Arbeitskraft, Kapital, Maschinen, Wissen und Distributionsmöglichkeiten74 liegen in

72 Thomas Powell (2001): Competitive advantage – Logical and Philosophical Considerations, p. 876ff. 73 Pfeffer/Salancik 2003: 2. 74 Die Beispiele stammen aus Mary Jo Hatch/Ann Cunliffe (2006): Organization Theory – Modern, Symbolic and Postmodern Perspectives, p. 81. Wie schon beim Katalog der

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ihrer Sicht aber nicht für sich auf einem Markt, sondern sie werden von anderen Organisationen gehalten, zu denen die nachfragende Organisation in Beziehung tritt. Dadurch erfährt sich die nachfragende Organisation als verwundbar: Unter Bedingungen der Konkurrenz ist eine Einigung mit der die Ressource haltenden Organisation ungewiss. Auf einer allgemeineren Ebene entsteht Ungewissheit durch die Möglichkeit, dass die jeweiligen Umweltbedingungen sich ändern können.75 So erscheinen auch jene Organisationen als verwundbar, deren Ressourcenbezug zu einem gegebenen Zeitpunkt garantiert ist. Theorien der Ressourcenabhängigkeit interessieren sich für die Austauschbeziehungen einer Organisation zu anderen Organisationen, von denen sie etwas bezieht (auch »vertikaler Leistungsverbund« genannt76). Das Verhältnis der nachfragenden Organisation zu den Ressourcen-Haltern konzeptualisiert die Theorie als eines der Abhängigkeit. Umgekehrt finden sich die Ressourcen haltenden Organisationen in einer Position relativer Macht. Aus der Analyse dieser Abhängigkeitsverhältnisse entsteht die Darstellung eines nach den Kriterien Abhängigkeit und Macht geordneten inter-organisationalen Netzwerks. Differenziert wird die Analyse durch die Fragen nach dem Wettbewerb mit anderen Ressourcen-Nachfragern77 und nach möglichen Substituten. Organisationstheoretisch lautet die Frage, wie sich die Austausch- und Abhängigkeitsverhältnisse einer Organisation auf ihre Struktur und auf ihr Verhalten auswirken.78 Zunächst können die Ressourcen haltenden Organisationen darauf Einfluss nehmen, was in einer abhängigen Organisation möglich ist und was nicht. Subventionsgeber, um ein Beispiel aus der Welt unserer Kulturorganisationen zu wählen, entscheiden nicht selten über Aktivitäten in der empfangenden Organisation mit (das in staatlichen Kulturverwaltungen gebräuchliche Wort vom »Zuwendungsempfänger« drückt ein Machtgefälle aus). Die Struktur der Abhängigkeitsverhältnisse beeinflusst die Machtstruktur auch im Inneren: So genießen in abhängigen Organisationen diejenigen, die den Zufluss entscheiden-

Ressourcen in den ressourcenorientierten und Kompetenz-basierten Ansätzen lässt sich im Übrigen auch hier fragen, ob »Ressource« am Ende nicht zu einer Metapher für alles wird, was die Organisation am Leben erhält – also neben den eigentlichen Produktionsmitteln in unserem Zusammenhang auch öffentliche Aufmerksamkeit, Verbindungen zu schulischen Lehrplänen, ein Platz in der Medienberichterstattung, Wertschätzung durch die Politik etc. 75 Pfeffer/Salancik 2003: 47. 76 Georg Schreyögg (2000b): Theorien organisatorischer Ressourcen p. 96. 77 Vgl. Hatch/Cunliffe 2006: 80ff. 78 Vgl. Aldrich/Pfeffer 1976: 92 und 101.

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der Ressourcen »garantieren« und über diese Ressourcen verfügen können, Positionen der Macht. Damit nehmen sie unter Umständen stärkeren Anteil an Entscheidungen als etwa Vertreter der Bereiche Entwicklung oder Marketing, deren Tun gleichwohl die größere strategische Tragweite haben kann. Generell hemmt die Ungewissheit, die für die Organisation aus ihren Abhängigkeitsverhältnissen entsteht, den Vollzug der organisationalen Routinen und die weitere Planung. Organisationen versuchen deshalb, diese Ungewissheit zu verringern oder beherrschbar zu machen. Nach innen tun sie das zum Beispiel, indem sie ihre Abläufe (letztlich die Organisationsstruktur), ihre technischen Verfahren oder ihre Produkte flexibilisieren, oder indem sie Reserven bilden. Vor allem versuchen Organisationen, ihre Umwelt zu beeinflussen – Aldrich und Pfeffer sprechen sogar von »gestalten« (1976: 102). Organisationen verändern die Austauschverhältnisse mit ihrer organisationalen Umwelt und versuchen so, Abhängigkeiten und Machtverhältnisse zu ihrem Vorteil neu zu definieren. Probate Mittel hierfür sind der Abschluss langfristiger Verträge, Kooperationen, die Gründung von Joint Ventures und im Extremfall die Fusion oder die Einverleibung einer Organisation, die eine kritische Ressource hält.79 »Extrem« erscheinen die Fälle der Fusion oder Inkorporation, weil sie die Grenze zwischen Organisation und Umwelt verändern – die Umwelt wird Teil der Organisation. 3.3.3

Handeln ist Kultur. Theorien der Institution

Im allgemeinen, nicht-theoretischen Sprachgebrauch werden Konzerthäuser, Opernhäuser, Theater, Museen meist als »Institutionen« bezeichnet und weniger als »Organisationen«. Was ist damit bedeutet? Zunächst wohl, dass man sie als tragende Teile einer öffentlichen Ordnung versteht, wie etwa Banken, Schulen oder Parlamente, und allenfalls in zweiter Linie als Spieler innerhalb einer öffentlichen Ordnung oder auf einem Markt, die im Interesse ihres Vorteils handeln. Der Augenschein spricht dafür, dass solche Institutionen auch als zeichenhafter Ausdruck einer Ordnung gelten. Im Stadtbild sind sie als Monumente einer institutionalisierten Tradition durch Lage und architektonische Gestaltung herausgehoben und körperhaft repräsentiert. Damit ist ein Verhältnis angedeutet, von dem die meisten institutionellen Theorien in Ökonomie und Soziologie ausgehen: Organisationen werden mit Hilfe von Individuen gebildet, sie handeln mit anderen Organisationen, und sie handeln im Raum des Sozialen mit seinen Regeln, Ansprüchen, Konventionen und Repräsentationen. Der Begriff der Institution zielt nun auf diese Regeln, Ansprüche, Konventionen, Repräsentationen, die der Organisation vor- und überge-

79 Vgl. Schreyögg 2000b: 96 und 367.

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ordnet sind, aber auch eingeschrieben, wie wir sehen werden. Mit Blick auf die Wirtschaftswissenschaft lässt sich sagen: Während in der orthodoxen Ökonomik Wertesysteme oder allgemeiner: die Kultur des Sozialen in den individuellen Nutzen- und Präferenzfunktionen eingeschlossen und für die Diskussion verborgen bleiben, erlaubt es das Konzept der Institution, nun auf Systemebene über Kultur zu reden und sie als soziale Kraft zu verstehen. Diese Kraft nimmt Einfluss auf das wirtschaftliche Handeln, in unserem Fall auch auf Akte des Beharrens und der Innovation von Individuen und Organisationen. Wenn zuvor gesagt wurde, Kompetenzen ließen sich nicht unmittelbar beobachten, so gilt das in noch stärkerem Maß für die soziale Funktion von Institutionen, und entsprechend groß ist der Spielraum für theoretische Bestimmungen. Eine ausgesprochen zugängliche Bestimmung findet sich bei Douglass C. North, der sich der Metapher des Spiels bedient: If institutions are the rules of the game, organizations are the players.80 Selbstverständlich bleibt hier vieles zu ergänzen, aber entscheidende Dinge sind schon impliziert. Noch vor der Mechanik des Marktes und über diese hinaus wirken auf die handelnden Organisationen Einflüsse sozialer Natur, oder, wie North im gleichen Aufsatz sagt: von Menschen geschaffene, auf menschliche Interaktion zielende, menschlicher Interaktion auferlegte Beschränkungen, die aus formalen Regeln, informellen Beschränkungen, Verhaltensnormen, selbst auferlegten Verhaltensregeln, und den entsprechenden Durchsetzungsmechanismen bestehen.81 Das klingt schon komplexer als die »rules of the game«, und dennoch ist der Ansatz der Ökonomik gegenüber soziologischen Theorien der einfachere, weil er einen Begriff der Institution zunächst nur aus ihrer regulativen Funktion entwickelt. Nach North sind Institutionen geschichtlich als Mittel entstanden, Unsicherheiten menschlicher Interaktion zu mindern, Unsicherheiten speziell beim Tausch.82 Als System von förmlichen und formlosen Regeln, von Routinen, Gewohnheiten, Traditionen und Konventionen machen Institutionen es Menschen möglich, »ihre alltäglichen Tauschakte zu vollziehen, ohne in jedem Augenblick und in jedem Einzelfall die Bedingungen eines Tausches genau festlegen zu müssen« (1993: 88). Der Begriff des Tausches kann weite Bereiche menschlicher Beziehungen umfassen, über den Tausch Ware gegen Ware oder Ware gegen Geld hinaus. Dass sich im Handeln Dinge quasi von selbst verstehen, verringert für die Akteure nach ökonomischer Lesart die Transaktionskosten, die ja aus dem Aufwand für die Information über Güter, Preise und Transaktionspart-

80 Douglass C. North (1993): Towards a theory of institutional change, p. 62. 81 North 1993: 62. 82 North 1992: 140.

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ner sowie für die Überwachung und Durchsetzung des vertraglich vereinbarten Handelns erwachsen. North geht von der klassischen anthropologischen Annahme der Ökonomik aus, nach der Wirtschaftssubjekte in erster Linie ihr Eigeninteresse verfolgen, also instrumentell und zweckbezogen handeln. Weil auch institutionelle Regelungen unvollkommen sind und Information asymmetrisch verteilt ist, wird es, so North, zunächst immer Anreize zum Betrügen, Tricksen, Schnorren und Trittbrettfahren geben, die geeignet sind, Unvollkommenheiten des Marktes zu verstärken. Dagegen tragen institutionelle Innovationen – im historischen Maßstab etwa die Definition und Durchsetzung von Eigentumsrechten – dazu bei, Transaktionskosten zu senken und damit den Gewinn des Wirtschaftens zu erhöhen. 83 Das Kriterium des finanziellen Effizienzgewinns hebt Thráinn Eggertsson aus volkswirtschaftlicher Sicht hervor. Danach sollen nur solche Regelsysteme als Institutionen gelten, die Anreize erzeugen oder die von den Wirtschaftssubjekten erwarteten Belohnungen und Gewinne beeinflussen.84 Indem Institutionen der einen Handlungsweise Grenzen setzen, eröffnen sie anderem, legitimem Handeln Chancen. Das heißt zwar nicht, dass damit immer ein Maximum an Effizienz erreicht wird, dennoch sind für North Institutionen der wesentliche Faktor für das Wachstum von Märkten und für die langfristige Leistung einer Wirtschaft. Der Innovationstheorie des Ökonomen Schumpeter stellt der Wirtschaftshistoriker North die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens voran: »Wenn wir es je zu einer dynamischen Theorie des Wandels bringen wollen [...], so muß sie auf einem Modell institutionellen Wandels aufbauen.« (North 1992b: 127) Soziologische Institutionen-Theorien bewegen sich in einem weiteren Problemhorizont als ökonomische. Sie fragen nach gesellschaftlichen Kräften oder Strukturen, die das Handeln von Organisationen und Individuen prägen und konditionieren, nach Kräften und Strukturen wie Wertorientierungen, habitualisierten sozialen Praktiken oder Interpretationsmustern der sozialen Realität. Und sie fragen nach den Wechselwirkungen des je aktuellen Handelns mit den dauerhafteren Institutionen. Bereits der regulative Institutionenbegriff ökonomischer Herkunft enthält Elemente des Normativen und kognitiver Vorstellungen – also kodifizierter sozialer Verpflichtung und verinnerlichter Geltung dessen, was sich jeweils von selbst versteht. Elemente des Normativen und des Kognitiven bleiben für die ökonomischen Theorien aber Teilaspekte der regulativen Funktion. Soziologische Theorien entwickeln hingegen einen Blick für die eigenständige

83 Ebd., p. 66. 84 Thráinn Eggertsson (1997): The Old Theory of Economic Policy and the New Institutionalism, p. 17.

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Funktionalität normativer und kognitiver Aspekte. Richard Scott erklärt aus soziologischer Sicht, Institutionen bestünden sowohl aus kognitiven wie auch aus normativen und regulativen Strukturen und Aktivitäten; gemeinsam sorgten sie für die Bedeutung und Stabilität sozialen Verhaltens.85 Theorien der normativen Funktion von Institutionen gingen nach Scott aus der Forschungstradition Durkheims, Parsons’ und Selznicks hervor, deren Gegenstandsbereich Institutionen wie Verwandtschaft oder religiöse Systeme waren, in denen von gemeinsamen Werten, Glaubensannahmen und Verhaltensnormen ausgegangen werden kann.86 Diese Werte und Verhaltensnormen prägen die jeweiligen Entscheidungen der einzelnen Mitglieder, und diese verhaltensprägende Funktion macht sie zur Institution. In diesem Zusammenhang erhält der rationale Entscheidungsbegriff, wie er in der neoklassischen Ökonomik verwendet wird, einen komplexeren Sinn: Rationale Handlungen werden nun immer in einem sozialen Kontext vollzogen, der spezifischen Zwecken die geeigneten Mittel zuordnet. Nach Scott verhalten sich die einzelnen Akteure nicht deswegen konform, weil es ihren persönlichen Zielen im engeren Sinne dient, sondern weil es von ihnen erwartet wird (1995: 39). Letztlich »konstruierten« Institutionen sogar Akteure und definierten die ihnen zugänglichen Aktionsformen.87 Am Fernsten im Konzeptuellen verankert erscheint der kognitive Aspekt institutioneller Theorien. Hier wird nach der handlungsleitenden Funktion von Deutungen und Wirklichkeitsinterpretationen gefragt, die eben durch ihren praktischen Einfluss zu sozialen Tatsachen werden. Als »kognitiv« gelten jene kulturellen Aspekte des Institutionellen, die für die Mitglieder sozialer Systeme selbstverständlich sind und in der Regel nicht hinterfragt werden. In dieser Hinsicht nennt Klaus Türk Institutionen »symbolische Systeme, Weisen des Ordnens von Realität « sowie »relativ erfahrungsresistente, gesellschaftlich hegemoniale Beschreibungen ›idealtypischer‹ Art, die der Konfigurierung und (re-) Interpretation von Ereignissen, Strukturen und Prozessen dienen.« Sie haben eine reproduktive Funktion »im Hinblick auf die zentralen Strukturprinzipien und die aus ihnen resultierenden Strukturen«.88 Vermutlich ist es unvermeidlich, dass ein so weitläufiges Konzept wie das der Institution am Ende disparat erscheint. Kulturen, Strukturen und Routinen, die hier in einem Begriff zusammengezogen werden, stehen auf unterschiedli-

85 Richard Scott (1995): Grundlagen der Organisationstheorie, p. 33f. 86 Ebd., p. 38f. 87 Ebd., p. 26f. 88 Klaus Türk (2000): Organisation als Institution der kapitalistischen Gesellschaftsformation, pp. 141 und 159.

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chen theoretischen Fundamenten, erklären sich zum Teil gegenseitig oder besitzen sich überschneidende Gegenstandsbereiche. Eine Theorie, die alle Aspekte integrierte, gibt es bisher nicht, und so trifft der Vorwurf der Soziologin Lynne Zucker, die einzige Gemeinsamkeit der sozialwissenschaftlichen Definitionen bestehe in dem Merkmal der Dauerhaftigkeit, vermutlich noch heute.89 Der aus der Ökonomik stammende Gedanke der Reduzierung von Transaktionskosten, also des Effizienzgewinns durch Institutionalisierung, findet sich allerdings auch in der Soziologie. So hat Niklas Luhmann für das System Politik erklärt, wie institutionalisierte Verhaltenserwartungen dem Handelnden Konsens gewissermaßen garantieren und ihn von persönlicher Verantwortung entlasten.90 Wichtig für das Verständnis innovatorischen Handelns von Kulturorganisationen ist zunächst, dass dieses nicht ausschließlich aus organisationalen Zielen und Zwecken hervorgeht. Vielmehr sind sowohl die Motive als auch die Verfahren und Ergebnisse innovatorischen Handelns Produkt und Teil eines Zusammenhangs aus gesellschaftlichen Zwecken, politischen Zielen, künstlerischen Maßstäben, Verwaltungsregeln und Bräuchen bürgerlicher Repräsentation. Diese müssen weder untereinander noch mit den organisationalen Zielen übereinstimmen. 3.3.4

Muss sich die Organisation bewegen? Inertia oder das Prinzip der Trägheit

»Was bewegt die wirtschaftende Organisation?«, so lautet die leitende Frage dieses Abschnitts. Ihre Absicht ist es, die Theorie der Unternehmung aus der verengenden Sicht auf Geldgewinn herauszuführen. Sie will Anschlussmöglichkeiten für eine Theorie der Kulturorganisation als Unternehmung schaffen und Licht in das Geflecht von Voraussetzungen, Bedingungen und Antrieben für strategische Veränderung und innovatorisches Verhalten bringen. Die Antworten auf die Frage nach dem, was die Unternehmung bewegt, reichen von dem in Preisen sich ausdrückenden Marktgeschehen über die Unternehmerpersönlichkeit, die Interessen der Organisationsmitglieder, die Abhängigkeit von Ressourcen, das Streben nach Wettbewerbsvorteilen bis hin zu Prozessen gesellschaftlicher Einflussnahme, die im Begriff der Institutionalisierung zusammengefasst sind und die ihrerseits in jene komplexe Verbindung von Regeln, Verhaltensmustern, Prozessen der Sinngebung und Ausdrucksformen übergehen, die man Kultur nennt. Jeder der genannten Beweggründe hat seinen eigenen Zeithorizont, seine eigene Dauer. Am kürzesten ist der Horizont der Preise, sie können jederzeit geändert werden. Am längsten ist der Zeithorizont der Institutionalisierungsprozes-

89 Lynne Zucker (1977): The Role of Institutionalization in Cultural Persistence, p. 726. 90 Vgl. Niklas Luhmann (2010): Politische Soziologie, p. 98.

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se. Sie zielen auf Verstetigung und bilden eine Gegenkraft zu spontanen Reaktionen auf Preisveränderungen und Marktchancen. In einer evolutionären Perspektive haben Robert Boyd und Peter Richerson in »Culture and the Evolutionary Process« den Versuch unternommen, das Spiel der Kräfte zwischen Anpassung, Variation und der Tradierung des kulturellen »Erbguts« auf einen Begriff zu bringen. Gegenwärtige kulturelle Traditionen (also Formen sozial erlernten Verhaltens) sind für sie das Ergebnis kumulativer Variationsprozesse vergangener und lebender Teilhaber. Auf dieser Grundlage stellen die Autoren zwei Fragen: Wie werden kulturell erworbene Verhaltensmuster von einer Generation zur nächsten weitergegeben – im Unterschied zu individuell erlerntem und mit dem Individuum wieder verschwindendem Verhalten? Und welche Prozesse erhöhen die Häufigkeit bestimmter kultureller Verhaltensvarianten und hemmen das Auftreten anderer?91 Dass ein großes und hoch entwickeltes kulturelles (durch soziale Prozesse bestimmtes) Verhaltensrepertoire allein durch Konditionierung erworben werden könne, halten Boyd und Richerson für unökonomisch und unwahrscheinlich. Stattdessen bestehe der evolutionäre Prozess sozialen Lernens aus der Weitergabe stabiler Verhaltensdispositionen durch Lehren und durch Nachahmung (p. 40f.). Für ihr Konzept der Kultur als Vererbungssystem benötigen die Autoren eine Entsprechung zu biologischen Mechanismen phylogenetischer Trägheit, also einen Mechanismus zur Bewahrung kulturell erworbener Muster. Kulturelle Traditionen bilden sich danach nicht unmittelbar in Reaktion auf sich ändernde Umweltbedingungen um. Vielmehr sollten in der Vergangenheit liegende Einflüsse einen großen Teil gegenwärtiger Verhaltensmuster erklären – ein Phänomen, dem wir aus einer anderen Perspektive bereits als Pfadabhängigkeit begegnet sind. Entsprechend sollte sich eine gemeinsame Geschichte in bedeutenden Ähnlichkeiten zwischen Gesellschaften niederschlagen. Diesen Mechanismus nennen Boyd und Richerson cultural inertia, kulturelle Trägheit.92 Trägheit besitzt hier positive Bedeutungen: Sie ist es, die als stabil wahrgenommene Verhaltensdispositionen erzeugt und damit das Funktionieren von Regeln und die mentale Repräsentation einer Identität erlaubt. Die positive Seite

91 Robert Boyd/Peter Richerson (1985): Culture and the Evolutionary Process, p. 20. 92 Ebd., p. 56. Dagegen bestimmen Hannan und Freeman (1984) und in ihrer Folge Singh et al. Inertia als Verhältnis zwischen dem Veränderungstempo einer Organisation und jenem ihrer Umwelt. Jitendra Singh, Robert House und David Tucker formulieren es so: »When environmental conditions change at a faster rate than the rate of structural reorganization, organizations have relatively inert structures.« (Organizational Change and Organizational Mortality, 1986: 588).

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der Trägheit formuliert aus ökonomischer Sicht Bart Nooteboom, wenn er sagt, Inertia werde für die Koordination und Kontrolle von Prozessen benötigt und sei unabdingbar für die effiziente Anwendung etablierter Verfahren. Trägheit repräsentiert danach auch das Prinzip der Zähigkeit. Sie ist notwendig, um bestehende Praktiken zu bewahren, um dann herauszufinden, wo sie eventuell versagen und wie sie ersetzt werden müssten (Nooteboom 2000: 177). Unter Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern findet sich auch die Ansicht, Inertia sei eine Qualität von Organisationen, die einen Zustand stabiler Strukturen erreicht haben, der auch von ihrer Umwelt geschätzt wird. Michael Hannan und John Freeman setzen diesen Zustand mit Institutionalisierung gleich und argumentieren, dass sich die Kosten kollektiver Aktion und der Reproduktion der Strukturen verringerten, wenn eine Organisation einmal einen Status von Selbstverständlichkeit erreicht habe, der sie Zweifeln ihrer Mitglieder und Umwelten enthebt. Hannan und Freeman schließen, die gleichen Faktoren, die ein System reproduktionsfähig machten, machten es auch widerständig gegen Veränderung.93 An anderer Stelle betonen die Autoren, Selektionsprozesse tendierten zur Bevorzugung von Organisationen, deren Strukturen schwer zu verändern seien. Ein hohes Maß an struktureller Beharrlichkeit innerhalb einer Population von Organisationen ließe sich also als Ergebnis eines evolutionären Prozesses verstehen (p. 149). Trägheit könnte in Kulturinstitutionen also nicht einfach den Konsum von Substanz und Rendite historischer Errungenschaften bedeuten, sondern eine Voraussetzung dafür sein, auch weiterhin in der Gesellschaft eine Rolle spielen zu können. Bei Schumpeter dagegen erscheint die Trägheit in Entgegensetzung zur Innovation als soziales Verdikt. Trägheit prägt für ihn den gewöhnlichen Menschen, sie ist ein Attribut der Masse. »Wo die Grenze der Routine aufhört,« schreibt Schumpeter in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung von 1911, »können [...] viele Leute nicht weiter und der Rest kann es nur in sehr verschiedenem Maß«.94 Jeder Schritt aus dem Bezirk der Routine involviere »ein neues Moment« und bereite deshalb Schwierigkeiten; »immer wieder lenkt der Gedanke auf die gewohnte Bahn ein.«95 Das, was nach Schumpeter die Trägheit übersteigt und sie herausfordert, ist aber die Innovation. Schon Hannan und Freeman waren in ihrem einflussreichen Aufsatz »Structural Inertia and Organizational Change« davon ausgegangen, Organisationen seien starken Trägheitskräften unterworfen, und selbst angesichts von Gefahren

93 Michael Hannan/John Freeman (1984): Structural Inertia and Organizational Change, p. 154. 94 Schumpeter 1987[1934]: 118. 95 Ebd., p. 124ff.

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aus ihrer Umwelt gelinge es ihnen nur selten, radikale Kurswechsel in Bezug auf Strategie und Struktur vorzunehmen (1984: 149). Die Grenzen der Anpassungsfähigkeit, die existenzgefährdende Seite der Trägheit, heben auch Susan FoxWolfgramm, Kimberly Boal und James Hunt in ihrer Studie zur organisationellen Anpassung amerikanischer Banken an institutionellen Wandel hervor. Danach ist eine Veränderung zweiten Grades (second-order change), ein Wechsel der strategischen Orientierung, selbst dann nicht wahrscheinlich, wenn sich die Umwelt in Aufruhr befindet. Üblicherweise – und das entspricht dem Beschreibungsmodell institutioneller Theorie – orientieren sich Organisationen an einem vorherrschenden Modell. In der Regel beschränken sie sich auf Veränderung ersten Grades (first-order adaptive change), auf eine Veränderung innerhalb der bekannten Grenzen des Systems, und vermeiden alles was zur Veränderung des Systems oder seiner Grenzen führt.96 Besonders der Verhaltenspfad, den das Autorenteam »Inertia« nennt, läuft auf die Beibehaltung der jeweils bestehenden Strukturen, Verhaltensmuster und Werte selbst in Krisensituationen hinaus.97 Einige praktische Ursachen für die Trägheit von Organisationen beschreibt mit Philip Selznick einer der Väter institutionellen Denkens in der Soziologie. Die Versetzung von Personal etwa wird im gleichen Maß behindert, in dem sich Geschäftsbeziehungen in persönlichen Beziehungen niederschlagen. So bildet sich Widerstand gegen jede Veränderung, die angenehme oder auch nur bestätigende Bindungen gefährden könnte (Selznick 1957: 17). Für Hannan und Freeman entsteht Trägheit in Organisationen unvermeidlich aus früher getätigten Investitionen in physische Anlagen und soziale Beziehungen.98 Aber auch die Umwelt setzt Anreize zur Trägheit oder zum Bewahren, etwa durch gesetzliche Regeln und durch Schranken für professionelle Aktivitäten – das ist im Begriff der Institutionalisierung bereits beschrieben. Arbeitsbeziehungen zu anderen Organisationen stellen für Hannan und Freeman Investitionen dar, die nicht leicht abgeschrieben werden. Nicht zuletzt könne jeder Versuch eines tief greifenden strukturellen Wandels das einmal erreichte Maß an Legitimität gefährden.99

96 Susan Fox-Wolfgramm/Kimberly Boal/James Hunt (1998): Organizational Adaptation to Institutional Change, p. 87. Die These vertreten auch Nelson/Winter 1982: 9f. 97 Vgl. Fox-Wolfgramm et al. 1998: 89. 98 Edith Penrose hat in anderem Zusammenhang bemerkt, dass einmal getätigten Investitionen häufig weitere Ausgaben zu folgen haben, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. Da Finanzmittel begrenzt sind, schließt das Investitionen auch explorativer Art in andere Felder häufig aus (vgl. Penrose 1959: 134). 99 Hannan/Freeman 1984: 149. Anknüpfend an die beiden Autoren hat sich Richard Rumelt in »Inertia and Transformation« (1995) aus unternehmensstrategischer Sicht de-

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Auf die Frage wird noch einmal zurückzukommen sein, wenn es im Innovationskapitel um das institutionelle Alter unserer Kulturorganisationen geht. Jetzt schon sollte deutlich sein, dass in Organisationen starke Kräfte der Beharrung wirken, die Innovationen behindern, und dass es strukturelle Gründe gibt, die Veränderungen und Innovation als riskant für das Bestehen der Organisation erscheinen lassen. Paul DiMaggio und Walter Powell kehren die verbreitete Ansicht, Organisationen müssten sich anpassen oder Innovation generieren, sogar um. Nach diesem Gedanken erreichen ältere und größere Organisationen ein Stadium, in dem es ihnen leichter fällt, ihre Umwelt zu dominieren, als sich ihr anzupassen.100 In gewisser Weise wird das durch Hannan und Freeman bestätigt, wenn sie sagen, alte Organisationen neigten dazu, ein dichtes Beziehungsgeflecht zu entwickeln, sich mit den Zentralen der Macht zu verbinden und eine Aura von Unvermeidbarkeit zu entwickeln (1984: 158). Überfordert erscheinen namentlich ältere Organisationen, wenn sie veränderte Handlungsbedingungen, Notwendigkeiten für Veränderungen und neue Marktchancen erkennen sollen. Evolutionäre Prozesse und die Tragweite disruptiver Innovationen erschließen sich dem analytischen Blick ohnehin meist besser in der Rückschau. Singh et al. betonen, Veränderungen, die glückliche Folgen haben, erschienen in der Rückschau als Anpassungsleistungen, ins Unglück führende Veränderungen dagegen gälten als disruptiv.101 Nach Alchian »werden« diejenigen, die neue Wege erfolgreich beschreiten, zu Innovatoren, diejenigen aber, die scheitern, zu ruchlosen Übertretern altbewährter Regeln (1950: 218). Auch für Bart Nooteboom lassen sich Genies immer erst nach der Konsolidierung von Narren unterscheiden (2000: 173). Inertia kennzeichnet in diesem Zusammenhang eine Position weniger der Trägheit als der Vorsicht. Für die Analyse und Beschreibung wirtschaftlichen und organisationalen Geschehens, für die Erarbeitung und Nutzung strategischer Optionen setzen solche naturhaften Kontingenzen, die Unabsehbarkeit der Zukunft, die Trägheit der Organisationen und ihrer Lebensverhältnisse Grenzen. Diese Grenzen sind schwer zu bestimmen, in den Arbeiten der Ökonomik, der Organisationswissenschaft und der Managementlehren ist von ihnen kaum die Rede. Bart Nooteboom beschreibt den Spielraum für rational-instrumentelle Veränderung mit einem Vergleich mit der biologischen Evolution. Durch deren Wirken würden neue For-

tailgenau mit Faktoren und Prozessen beschäftigt, die Organisationen gegenüber Veränderungen zurückhalten (p. 105ff.). 100 Paul DiMaggio/Walter Powell (1983): The Iron Cage Revisited – Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields, p. 149. 101 Singh/House/Tucker 1986: 606.

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men Schicht für Schicht auf ältere Formen »aufgebaut«, die sich zu ihrer Zeit jeweils in ihren Umwelten als tüchtig erwiesen haben. Solche Substrate gebe es unausgesprochen und unbewusst auch in den Tiefenschichten der sozio-ökonomischen Evolution; als Grund legende Kategorien beeinflussten sie unsere Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, als Metaphern unsere Lebensweisen. Gleichwohl ließen sich auf einer weniger radikalen und weniger unzugänglichen Ebene überkommene Formen beseitigen, ersetzen oder verändern (Nooteboom 2000: 84). Oberhalb der Tiefenschichten der aktuellen Verhältnisse, an der schnelllebigeren Oberfläche der Geschichte und ihrer Kräfte also bestünde ein Spielraum. In ihm bewegen sich die Strategie und das intentionale Verhalten der Organisationen, und mit ihnen alle Innovation.

4.

D ER K ULTURBETRIEB ALS O RGANISATION INSTITUTION . B EWEGUNG DURCH W ERTE UND DIE M YTHEN DER GESCHÄFTIGKEIT

UND

4.1 Vom Zweck zum Sinn: Unausweichlichkeit und zweifelhafter Nutzen der Institutionalisierung Als Institutionen formen unsere staatlich unterhaltenen Kulturorganisationen den gesellschaftlichen Umgang mit »Kunst« und deren Repräsentation. Sie formen das Verhältnis von Öffentlichkeit und Kunst und auch das Verhältnis von Kunst, Wirtschaft, Politik und Bildung – als Systeme verstanden – in der Kommunikation der Öffentlichkeit. Jedenfalls ist das nach historischem Herkommen ihre Funktion bis in die Gegenwart. Gleichzeitig sind Konzerthäuser, Opern, Theater und Museen Organisationen, und in dieser Eigenschaft agieren sie ihrerseits innerhalb der verschiedenen Dimensionen von Institutionalität und sind dem Anspruch von außen kommender Erwartungen unterworfen. Die Dialektik dieses Verhältnisses von Organisation und Institution wird in Wirtschaftswissenschaften und Soziologie zumeist unter dem Stichwort der Institutionalisierung verhandelt. Ein Teil der Debatte geht um die Frage, ob Institutionen einfach nur Umwelten sind, deren Regeln, Ansprüche, Forderungen eine Organisation auf ihrer Rechnung haben muss – Zucker (1987: 443) spricht von »normative pressures« –, oder ob Institutionen eine konstituierende Rolle für Organisationen spielen und auch umgekehrt von diesen wieder beeinflusst werden. Selbstverständlich lässt sich eine solche Antithese ihrerseits als Sozialform des Argumentierens verstehen; denkbar sind daher auch Mischformen der beiden Modelle oder auch Denkformen, in denen die Dichotomie als solche aufgelöst

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wird. So begreift etwa Klaus Türk Institutionen als »supraorganisationale Muster menschlicher Aktivität« (2000b: 141), gleichzeitig lasse sich »die Organisationsform selbst […] als eine wesentliche Institution der kapitalistischen Gesellschaftsformation« verstehen (p. 160). Einigkeit besteht darüber, dass mit »Institutionalisierung« ein Prozess gemeint ist. In diesen Prozess gewinnen soziale Erwartungen, Handlungsmodelle und kognitive Muster Verbindlichkeit. So beschreibt Philip Selznick Institutionalisierung als etwas, das sich in Organisationen im Lauf der Zeit vollzieht. Institutionalisierung reflektiert »die individuelle Geschichte der Organisation, die Menschen, die in ihr gewirkt haben, die Gruppen und die von ihnen geschaffenen Interessen, die sie verkörpert, und die Art, in der sie sich an ihre Umwelt angepasst hat.«102 Das Ausmaß oder der Grad der Institutionalisierung hängt für Selznick davon ab, wie viel Spielraum Individuen und Gruppen zur Interaktion haben: Je genauer die Ziele einer Organisation gefasst und je spezialisierter und technischer ihre Operationen seien, desto weniger Möglichkeiten bestünden für Kräfte aus dem sozialen Raum, die Entwicklung der Organisation zu beeinflussen. »To institutionalize is to infuse with value beyond the technical requirements of the task at hand«, sagt Selznick in einem berühmt gewordenen Satz (1957: 17), der im Englischen umso interessanter klingt, als die Bedeutung von »infuse« schillert – zwischen dem Einflößen und dem Füllen bis hin zum Erfüllen. Dabei besteht nach Selznick ein enger Zusammenhang zwischen einer werthaften Beund Erfüllung einer Organisation und ihrer Selbsterhaltung. In dem Maß nämlich, in dem eine Organisation ein über Werte sowie über bestimmte Arten des Handelns und Glaubens definiertes Selbstbewusstsein, eine eigene Identität entwickle, werde sie zur Institution. Von diesem Moment an besitze die Selbsterhaltung eine Funktion, die über das bloße Überleben hinausgehe – sie werde »zu einem Streben, die Eigenart der Gruppe gegenüber neuen Problemstellungen und veränderten Umständen zu behaupten« (1957: 21). Aus instrumentellen Anfängen kommend, gewinnt die Organisation durch ihre hinzutretenden psychischen und sozialen Funktionen – durch Institutionalisierung – an zusätzlicher, weiterer, umfassenderer Bedeutung und, wie man wohl hinzufügen darf, an Kultur. So werde sie allmählich »für sich« geschätzt, und nicht mehr in Folge ihrer Leistung.103 Der Wert der Institutionalisierung erscheint am Ende ambivalent. Auf der einen Seite verspricht Institutionalisierung einer Organisation – zusätzlich zur Leistung ihrer rationalen Struktur – Effizienzgewinne. Nach Selznick trägt ein

102 Selznick 1957: 16 und 20. 103 Ebd., p. 20.

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breiter Kontext selbstverständlicher Bedeutungen dazu bei, dass zugewiesene Aufgaben von den Mitgliedern der Organisation sowohl dem Buchstaben als auch dem Geist nach ausgeführt werden. Entsprechend mobilisiere die Identifikation mit der Organisation Ressourcen, die die alltäglichen Anstrengungen stärkten, besonders in Zeiten der Bedrohung oder Krise. 104 Auch die Entwicklung einer eigenen Klientel – etwa durch ein Unternehmen, eine Hochschule; in unserem Fall wäre die Kulturorganisation zu ergänzen – trage zur Institutionalisierung bei, die Organisation gewinne Stabilität durch verlässliche Unterstützer und Kommunikationskanäle. Aber diesen Gewinnen stehen auch Kosten gegenüber. Institutionalisierung bindet die Organisation an Aufträge und Handlungsweisen. Dies begrenze die Freiheit ihrer Leitung, die Nutzung der Ressourcen neu auszurichten. Die Organisation verliere an Flexibilität; ihre Fähigkeit, durch Anpassung zu überleben, nehme ab.105 Auch Zucker stellt fest, Institutionalisierung fördere den Fluss von Ressourcen, stärke die Stabilität einer Organisation, verbessere durch ihre Routinen die Leistungsfähigkeit und erhöhe die Wahrscheinlichkeit des Überlebens – es sei denn, effizientere Alternativen kämen der Organisation als Folge ihrer Institutionalisierung nicht mehr in den Blick oder würden ignoriert. Davon aber kann man ausgehen, und deshalb erklärt Zucker die Institutionalisierung einer Organisation am Ende für effizienzverringernd.106 Grundsätzlich bleibt es nach diesem Verständnis bei einem konflikthaften Verhältnis zwischen der technischen Kernfunktion einer Organisation und ihren daran angelagerten institutionellen Funktionen. Freilich lässt sich fragen, ob die Welt des Institutionellen, die durch die soziale Natur der Organisationsmitglieder und der Organisationsform Anspruch auf Einfluss erhebt, nicht eigentlich eine verdrängte Seite des technischen Rationalitätsbegriffs sei. Und umgekehrt formuliert: Warum sollten die Vorstellungen technischer Rationalität oder der technischen Kernfunktion nicht selbst einen institutionellen Charakter haben? Seit den Arbeiten Meyers und Rowans (1977) sowie DiMaggios und Powells (1983) ist die zweite Frage Gegenstand einer Debatte. In Meyers und Rowans »Institutionalized Organizations« taucht sogar der bei Horkheimer und Adorno so wichtige Begriff des Mythos wieder auf, nun als Chiffre der Rückkehr eines undurchsichtig Sozialen in die vernunfthaft geordnete Welt der Organisation. Die Autoren halten dabei weiter an der alten Dichotomie fest; sie gehen von einem Grund legenden Gegensatz zwischen der objektiven instrumentellen Rationalität der Organisation und den vielfältigen, oft in sich

104 Ebd., p. 18. 105 Selznick 1957: 7 und 18. 106 Lynne Zucker (1987): Institutional Theories of Organization, pp. 443-447.

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widersprüchlichen, »sachfremden« Anforderungen der sozialen Welt aus. Gegenüber jener objektiven instrumentellen Rationalität fungieren institutionelle Regeln und Muster guter Praxis als »Mythen«, die von den Organisationen inkorporiert werden. Diese Mythen führen ein Eigenleben unabhängig von der Organisation und selbst von deren nächsten sozialer Umgebung. Oft tragen sie eine rationale Diskursoberfläche und sind daher auf den ersten Blick als Mythen kaum zu erkennen. Sie erscheinen in der Gestalt normierter Rationalität, formulieren verschiedenartige sozial veranlasste Zwecke als technische und geben als rational sanktionierte Organisationsformen vor, denen sich die einzelnen Mitglieder der Organisation kaum entziehen können.107 Selbst Technologien werden zu Mythen. Unabhängig von der Frage, ob sie im einzelnen Fall ihre Wirkung entfalten können, tragen solche institutionalisierten Techniken und Technologien einen für Organisationen als »angezeigt«, »rational« oder »modern« verpflichtenden Charakter. Je moderner eine Gesellschaft, je enger geknüpft ihre Netzwerke und je größer deren wechselseitige Abhängigkeiten, desto weiter reiche der Einfluss rationalisierter Institutionen (Meyer und Rowan 1977: 344f.). Wie sich am Beispiel der kunsthandwerklichen und manufakturiellen Musikproduktion von Sinfonieorchestern noch zeigen wird, funktioniert die Verwandlung einer Technik in einen Mythos aber auch umgekehrt, gegen Forderungen nach Zeitgemäßheit oder Modernität. Warum lassen sich Organisationen auf Mythen ein, die ihrem instrumentellen Kern widersprechen? Weil sie ihnen Legitimität verschaffen, sagen Meyer und Rowan, Legitimität gegenüber eigenen Mitgliedern, Anteilseignern, Interessengruppen, der Öffentlichkeit, dem Staat. Legitimität verspricht den Organisationen Ressourcen, Stabilität, Erfolg, Wachstumsmöglichkeiten, letztlich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, zu überleben. So sicherten sie sich Unterstützung – etwa aus der Hand des Staates – durch Einverständnis, und nicht nur durch objektive Leistung. Damit scheint eine ältere Bemerkung Talcott Parsons’ weiter ausgeführt, nach der die Gesellschaft die Nützlichkeit und Legitimität des Gebrauchs knapper Ressourcen durch Organisationen beobachte. 108 Paul DiMaggio und Walter Powell sehen Organisationen im Wettbewerb nicht nur um Ressourcen und Kunden, sondern auch um politischen Einfluss und institutionelle Legitimität, um wirtschaftliche ebenso wie soziale Fitness.109 Dabei mangele es Organisationen, die eigenständige Strukturen aufbauten, anstatt Strukturelemente zu verwenden, die von ihrer Umwelt sanktioniert seien, häufig an glaubwürdigen

107 John Meyer/Brian Rowan (1977): Institutionalized Organizations, pp. 340 und 343f. 108 Vgl. Parsons 1956. 109 DiMaggio/Powell 1983: 150.

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Zeichen legitimer Aktivität. Meyer und Rowan zufolge sind solche Organisationen verwundbar durch Unterstellungen, sie seien nachlässig, irrational oder überflüssig. Solche Unterstellungen eigener Mitglieder, interessierter Dritter oder auch von Regierungen könnten für Organisationen Kosten nach sich ziehen. 110 Meyer und Rowan interessieren sich auch für die strukturellen Folgen der Aufnahme von »Mythen« in die geordnete Welt der zweckrational verfassten Organisationen. Dabei stoßen sie auf den Umstand, dass die klassische KostenNutzen-Rechnung einem stillschweigenden Einverständnis zwischen Organisationen und ihrem institutionellen Umfeld geopfert werden kann. Danach hat Konformität zunächst einmal eine »zeremonielle« Seite: Beruf eine Universität einen Nobelpreisträger, so das Beispiel Meyers und Rowans, bringt ihr das zu allererst einen »zeremoniellen« Gewinn. Ob der Nobelpreisträger in der Universität effektiv forscht und unterrichtet, erscheine nicht so wichtig. Selbstverständlich haben Organisationen die Möglichkeit, institutionellen Anforderungen zu widerstehen. Es wird ihnen dann aber schwer fallen, ihre Effektivität der entsprechenden Öffentlichkeit glaubhaft zu machen. Entscheidend ist umgekehrt nicht, dass institutionelle Mythen einfach nur inkorporiert werden. Entscheidend ist, dass die Organisation den Anschein erzeugt, sie funktionierten in der Tat. In den Worten Meyers und Rowans: »Considerations of face characterize ceremonial management.« (1977: 358) Mit der letztgenannten Bemerkung kommt eine neue Unterscheidung in die Debatte – die Unterscheidung zwischen einer Aktivität und ihrem Schein. Organisationen, die rational an tatsächlicher Effizienz orientiert sind, halten ihre Strukturen und ihre Aktivitäten in enger Abhängigkeit aufeinander bezogen. Inspektionen, Controlling, Evaluationen tragen dazu bei, dass die Folgen des Handelns festgestellt werden; Abweichungen ziehen Korrekturen nach sich. Institutionalisierte, den Mythen »rationaler Ordnung« und »guter Praxis« ergebene Organisationen versuchen dagegen, ihr Verhältnis von Struktur und Aktivität einer tatsächlichen Evaluation zu entziehen. Das heißt keineswegs, dass Evaluationen nicht vorgenommen würden – jeder, der Erfahrungen etwa mit der hochgradig institutionalisierten Welt von Regierungsbehörden gemacht hat, wird die Existenz von Steuerungsgruppen, Zielvereinbarungen und Evaluationen kennen. Es bedeutet vielmehr, dass die konformen Strukturen institutionalisierter Organisa-

110 Meyer/Rowan 1977: 340 und 349ff. Die institutionelle Dimension von Kosten und Preisen beleuchtet Douglass North. Danach verlagern Unternehmen, die sich in einem System relativer Preise als Verlierer ökonomischer Austauschverhältnisse sehen, ihre Interessen auf die politische Ebene, um ihre Nachteile durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen und der Preisstruktur aufzuheben (North 1993: 63f.).

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tionen und deren Repräsentation von ihrer realen Tätigkeit abgekoppelt werden. So entgehen die tatsächlichen Arbeitsergebnisse einer objektiven Messung. Nicht selten gewinnen die erklärten Zwecke und Ziele in dem Maß an Vagheit, in dem die Institutionalisierung der Organisation fortschreitet und die Zahl der Teilhaber und Interessierten zunimmt. Das Abkoppeln (decoupling) von repräsentierter Organisationsstruktur und faktischer Tätigkeit ist die Bedingung dafür, dass institutionalisierte Organisationen überhaupt arbeiten können. Denn über den Nachweis mythenkonformer Strukturen und Tätigkeiten hinaus vollzieht die Organisation ja immer noch Aktivitäten, die einen vorgängigen technischen Zweck verfolgen. So kommt es, dass sich Organisationen innerhalb eines Feldes auf der Ebene ihrer (institutionell sanktionierten) Formen und Strukturen gleichen, die tatsächlichen Aktivitäten aber divergieren. Es entsteht gewissermaßen eine Substruktur, die es zulässt, dass die Lösung technischer Erfordernisse hinter den Kulissen durch Organisationsmitglieder auf informelle Weise erreicht werden kann, während das Management den beruhigenden Eindruck aufrecht erhält, die Dinge verhielten sich so, wie sie scheinen.111 Meyer und Rowan öffnen einen Blick auf eine Welt, von deren Vielschichtigkeit klassische ökonomische und soziologische Theorien der Organisation keinen Begriff haben. Es ist eine Welt reicher Sinnbezüge, aber auch der undurchsichtigen Komplizenschaft und dunkler Kompensationsgeschäfte zwischen der Organisation, ihren Teilhabern, ihren Unterstützern, ihren Partnern, ihren Paten, Ministern und Ministerialdirigenten, ihrem sozialen »Kontext«; eine Welt des Scheins und der Täuschung, in der am Ende – auch wenn Meyer und Rowan nicht so weit gehen, diese Konsequenz zu ziehen – selbst die scheinbar so objektive technische Rationalität als soziales Konstrukt gelten kann. Von endgültigen Bewertungen sehen Meyer und Rowan ab. Sie bestätigen die Verringerung technischer Effizienz durch den Prozess der Institutionalisierung, lassen aber offen, ob damit nicht Rationalitäten auf einer überorganisationalen Systemebene entsprochen werde, wodurch die jeweilige Organisation ihre »globale soziale Effektivität« (overall social effectiveness) verbesserte und die Chancen auf ihr Überleben auf lange Sicht erhöhte (Meyer und Rowan 1977: 360). Dem »unaufhaltbaren Druck in Richtung einer Homogenisierung« gehen in der Folge Paul DiMaggio und Walter Powell nach. Dass sich Organisationen, nachdem sich ihr Tätigkeitsfeld einmal etabliert hat, mit der Zeit immer ähnlicher werden, ist eine Annahme, von der auch diese Autoren ausgehen (1983: 147). Woran liegt dieses Ähnlichwerden? Theoretisch berufen sich DiMaggio und Powell auf die Strukturationstheorie Anthony Giddens’, nach der, wie im

111 Meyer/Rowan 1977: 355ff.

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Kapitel über Organisationen bereits angesprochen, ein soziales System durch sein Handeln eben jene Strukturen hervorbringt, die sodann alles weitere Handeln ermöglichen und begrenzen. Hochgradig strukturierte organisationale Felder bildeten, so DiMaggio und Powell, einen Kontext, in dem individuelle Anstrengungen, rational mit Unsicherheit und Zwängen umzugehen, zur Homogenisierung von Strukturen, Kulturen und Erzeugnissen führten (1983: 147). Dieser Vorgang der Homogenisierung ist ein wesentlicher Aspekt dessen, was wir zuvor als Institutionalisierung bezeichnet haben. Und so gewinnt eine Organisation auch für DiMaggio und Powell ab einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung des Feldes durch strukturelle Reform oder die Übernahme von Innovationen nicht mehr an Effizienz, sondern an Legitimität, auf Kosten ihrer Effizienz. Den Prozess und das Ergebnis einer solchen Angleichung bezeichnen DiMaggio und Powell in der Tradition Meyers und Rowans als »Isomorphie«. Isomorph, gleichförmig, werden Organisationen, die dem gleichen Feld angehören und den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Die Autoren unterscheiden dabei zwischen drei Arten von Isomorphie mit jeweils eigener Herkunft: Zunächst nennen sie die verpflichtende oder erzwungene (coercive) Isomorphie, die auf politischem Einfluss und dem Problem der Legitimität gründe Die zweite Kategorie, mimetische Isomorphie, folge aus Reaktionen auf Unsicherheiten. Wenn Technologien noch nicht recht verstanden werden, wenn Ziele unklar sind oder wenn die Umwelt Unsicherheit erzeugt, dann neigten Organisationen dazu, das Vorbild anderer nachzuahmen. Generell richten sich Organisationen, so DiMaggio und Powell, nach Vorbildern in ihrem Feld, denen sie einen höheren Grad an Legitimität oder Erfolg zusprechen. Die dritte Kategorie nennen die Autoren »normative Isomorphie«. Sie geht vor allem auf die Entwicklung professioneller Standards im jeweiligen Feld zurück. Professionalisierung verstehen sie als »kollektives Bestreben innerhalb einer Berufsgruppe, Bedingungen und Methoden ihrer Arbeit festzulegen«, über die Ausbildung von Nachwuchs zu verfügen und eine »kognitive Grundlage und Legitimation ihrer professionellen Autonomie zu etablieren«.112 Eine »positive« Organisationstheorie etwa nach den Vorstellungen Milton Friedmans, würde nach Vorhersagekriterien für die Ausbildung von Isomorphien fragen. »Positiv« in diesem Sinn ist die Theorie DiMaggios und Powells nicht geworden, die Kategorien bleiben analytisch. Einige Kausalitätsbeziehungen ha-

112 DiMaggio/Powell 1983: 150-152. Die Autoren betonen, es handle sich um analytische Kategorien; empirisch ließen sich die Phänomene nicht immer so exakt unterscheiden.

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ben die Autoren gleichwohl plausibel zu machen versucht, sie seien hier noch einmal zusammengefasst. Danach nimmt die Ähnlichkeit von Strukturen und Verhaltensmustern zwischen Organisationen nach dem Maß ihrer Abhängigkeit zu. Je stärker die Konzentration auf wenige Ressourcensteller – im Fall unserer Kulturorganisationen wäre das die staatliche Kulturverwaltung –, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Organisation jenen Organisationen ähnlich macht, von deren Ressourcen sie abhängt. Um beim Beispiel zu bleiben: Staatlich unterhaltene Kulturorganisationen würden dann einer Tendenz zur Bürokratisierung folgen und auch in dieser Hinsicht zu Institutionen. Dies geschehe auf Kosten ihres unternehmerischen Charakters, den sie als Organisationen der Kunst, der Unterhaltung und der Bildung ja ebenfalls haben. Je größer im Übrigen die Bedeutung akademischer Ausbildung und Abschlüsse für die Rekrutierung des Personals einer Organisation, desto größer wird nach DiMaggio und Powell die Wahrscheinlichkeit ihrer Isomorphie. Je ausgeprägter die Mitgliedschaft leitenden Personals in Verbänden und berufsständigen Organisationen, desto ähnlicher wird die Organisation anderen Organisationen des gleichen Feldes. Je größer die Unsicherheit über Zwecke, Mittel und deren Verhältnis, desto größer die Neigung einer Organisation, sich als erfolgreich wahrgenommenen Vorbildern anzugleichen. Je größer die Unklarheit einer Organisation über ihre Ziele, desto größer die Neigung zur Imitation. Und auch hier gilt wieder umgekehrt: Mit Innovationen erfolgreiche Organisationen werden als Vorbilder institutionalisiert, so, wie es im Fall der Berliner Philharmoniker nach dem Film Rhythm is it (2004) im Bereich der Education-Programme geschehen ist. In der Frage, warum Organisationen jeweils so sind, wie sie geworden sind, auf welche Arten und Weisen sie handeln und welche Einflüsse ihre Entwicklung konditionieren, haben DiMaggio und Powell den Weg für wichtige Differenzierungen geöffnet. Für die neoklassische ökonomische Theorie sind wirtschaftende Organisationen alle gleich, weil sie den gleichen (Markt-) Kräften ausgesetzt sind und nach den gleichen Kriterien entscheiden. Ressourcenorientierte und Kompetenz-basierte Ansätze gehen von der Voraussetzung aus, dass Firmen und Organisationen, auch innerhalb des gleichen Feldes, sich voneinander unterscheiden, und versuchen, diese Unterschiede aus der Organisation und ihrer Geschichte heraus zu erklären. In scheinbar paradoxem Verhältnis zu Vorstellungen der Marktabhängigkeit und Effizienzsteigerung betont die Theorie der Institutionalisierung nun das Gleiche im Verschiedenen als Folge von Konkurrenz und als Antwort auf die Frage nach Dauer und Überleben. Nicht allein Differenzierung wäre demnach eine nützliche Eigenschaft, um dem Wettbewerbsund Selektionsdruck standzuhalten, sondern neben ihr auch Konformität.

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Der Erweiterung oder auch Relativierung ökonomischer und organisationstheoretischer Konzepte von Rationalität und Effizienz, wie sie aus der Arbeit Meyers und Rowans folgt, leisten DiMaggio und Powell weiteren Vorschub. Jeder Begriff von Innovation als absichtsvoll herbeigeführter Veränderung wird damit rechnen müssen. Das Verständnis der doppelten Identität von Konzerthäusern und Sinfonieorchestern als Organisationen und als Institutionen – traditionell als Institutionen der Kunst, zunehmend aber auch der Bildung und der sozialen Integration und Inklusion – kann den Blick dafür schärfen, dass hier verschiedenartige Motive und heterogene Anforderungen an effizientes und an legitimes Verhalten ihren Einfluss entfalten. So kann in einem Fall Innovation blockiert werden, weil sie Anforderungen an eine Institution »der Kunst« oder »der klassischen Musik« widerspricht oder weil sie quer zu den Erfordernissen einer bürokratisierten Organisation steht. In anderen Fällen können Innovationen übernommen oder sogar generiert werden, weil es der Legitimation etwa in Hinsicht auf institutionelle Erwartungen an Bildung und Integration dienlich ist, oder weil Kulturorganisationen heute attraktiv für Sponsoren sein sollen, oder weil eine Kulturorganisation, die mit der Zeit gehen will, auch ein junges und diverses Publikum ansprechen soll. 4.2

Wert schaffen über die Kunst hinaus: Institutionelle Kräfte und die Rekonfigurierung der Kultur

4.2.1

Kulturen der Nützlichkeit. Moderne Ethos-Lehren als Legitimation staatlich geförderter Organisationen der Kunst

Selznicks Satz, nach dem Institutionalisierung die An- und Erfüllung mit Werten bedeutet, die über ursprüngliche Aufgaben der Organisation hinausgehen – »To institutionalize is to infuse with value beyond the technical requirements« – lässt sich nach dem bisher gesagten auch umkehren. Danach schafft die Organisation Wert in Dimensionen und für Interessengruppen, für die sie funktional nicht gegründet wurde. Für unsere Organisationen der Kunst erwachsen daraus neue Aufgaben und neue Anforderungen an die Bilanzierung der Ergebnisse ihrer Tätigkeit. Ob mit dem sich erweiternden institutionellen Begründungshorizont auch neue Chancen entstehen, die sich durch Innovation nutzen ließen, ist eine Frage, der im Fallstudien-Teil dieses Buches nachgegangen wird. Die aus ökonomischer Sicht fundamentalste institutionelle Begründung von Organisationen der Kunst bestünde im Nachweis ihrer Dienste für das Funktionieren der Märkte und des wirtschaftlichen Lebens. David Throsby spricht sich in diese Richtung aus, wenn er sagt, es werde immer deutlicher, dass sich die

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Operationen der Wirtschaft auf dem Boden kultureller »Ökosysteme« vollziehen, die das Verhalten und die Präferenzen der Marktteilnehmer beeinflussen. Lasse dagegen eine Gesellschaft ihr kulturelles Erbe verfallen, vernachlässige sie kulturelle Werte, die Menschen mit einer Identität versehen, unterlasse sie Investitionen in die Erhaltung und Entwicklung kulturellen Kapitals, werde das dazu führen, dass kulturelle Systeme in Schwierigkeiten kommen oder havarieren, mit Folgen für die wirtschaftliche Leistung und die öffentliche Wohlfahrt. 113 Robert Scott Gassler und Robert Grace haben diese zivilisierende Funktion kultureller Organisationen als eine konstruiert, die Voraussetzungen für den effizienten Umgang der Wirtschaftssubjekte miteinander schafft (preconditional function und parametrical function) und zu zeigen versucht, wie Kunstmuseen dazu beitragen, die Bedingungen herzustellen, unter denen Markt-Transaktionen stattfinden können. Dies umfasse mindestens die Sozialisation der Wirtschaftssubjekte, aber auch die Bestimmung der Dinge, die auf einem Markt gehandelt werden können. Kunstmuseen trügen zur Etablierung von Werten und zur Einübung von Individuen bei, die vertrauenswürdig handeln und einander vertrauen sollen, sodass alle effektiv am Markt teilnehmen können. Nach der Vorstellung der Autoren (deren Vorbilder man in antiken Ethos-Lehren sehen kann) üben Kunstmuseen diesen Einfluss über die Auswahl der erworbenen und ausgestellten Werke aus: Jedes Kunstwerk verkörpere Werte, diese teilten sich dem Publikum mit.114 Ob nicht auch das aufmerksame Schauen im Museum ein zivilisatorisches Training sei und ein bestimmtes Ethos transportiere, ließe sich zusätzlich fragen. Im Bereich musikalischer Organisationen beträfe dies das disziplinierte Hören, aber auch die Disziplin gemeinschaftlichen Musizierens. In welchem Maß die Bestimmung der Arbeit kultureller Organisationen von institutionellen Erwartungen der Politik geprägt werden kann, zeigt eine Studie, die im Jahr 2006 unter dem Titel »Contributing to Lisbon’s social objectives« für die Generaldirektion für Erziehung und Kultur der Europäischen Kommission in Brüssel erstellt worden ist. Hauptgegenstand des Vertrags von Lissabon, der Ende 2009 in Kraft trat, ist eine institutionelle Reform der Europäischen Union, die vor allem eine effizientere Entscheidungsfindung ermöglichen soll. Kultur erscheint als Teilaspekt der Sozialpolitik, wo sie als staatliche Infrastrukturaufgabe115 aufgefasst wird. Sie entfaltet Wohlfahrt stiftende (beneficial)

113 David Throsby (2001): Economics and Culture, p. 58. 114 Robert Scott Gassler/Robert Grace (1980): The Economic Functions of Nonprofit Enterprise, p. 20f. 115 Als solche reklamiert sie die Enquete-Kommission des Bundestags (Deutscher Bundestag 2007: 85).

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Nebenwirkungen zum Vorteil des wirtschaftlichen Umfelds im Sinn nachhaltiger Entwicklung. Entsprechend dieser Einordnung wird der Nutzen kultureller Arbeit für Zwecke wie soziale Integration, territorialer Zusammenhalt, Ausdruck kultureller Diversität und für das Empowerment von ethnischen Minderheiten, Einwanderern, sozial schwachen Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen betont. Marginalisierte und »ressourcenschwache« Bürger können von kultureller Arbeit ebenso profitieren wie heruntergekommene Vorstädte, Industrieregionen mit Strukturproblemen, wirtschaftlich absteigende landwirtschaftliche Regionen. Kultur wird als nützliches Mittel (useful tool) bestimmt, mit dem sich soziale Integration zum Bau eines »inklusiven Europa« verbessern lasse. Durch sie können Fähigkeiten erworben werden, die das Selbstvertrauen erhöhen, auf andere Lebensbereiche übertragbar sind und die Beschäftigungsfähigkeit (employability) verbessern. Auch im Wettbewerb um kreative Talente und um Investitionen aller Art könne Kultur die Regionen attraktiver machen. Und schließlich gilt Kultur als einer der Hauptattraktoren für den Tourismus, der mit einem Weltmarktanteil von 55 Prozent eine der erfolgreichsten Branchen Europas darstelle. 116 Solche Studien liefern gebrauchsfertige Argumentationen für die politische Debatte, die in der Tat unter dem Druck defizitärer Haushalte und des globalen Standortwettbewerbs um die prekäre Einheit von Industrialisierung, Landflucht, Altenpflege, Familienförderung, Tourismus, unterirdischen Bahnhöfen und der Eindämmung des Rowdytums ringt. Die politische Debatte ihrerseits ist Teil einer breiten, mehr oder weniger artikulierten gesellschaftlichen Diskussion um Werte und Lebensperspektiven, um die Verteilung von Mitteln und Einkommen, um die Rolle des Staats, um Inhalte und Funktionsweisen gesellschaftlicher Institutionen. An diesem Meinungsbildungs- und Verteilungsprozess wirkt die Wissenschaft mit. Für manche Argumente legt sie den Grund, anderen soll sie Legitimität verschaffen. Mit Wirkungen kultureller Arbeit und institutionellen Anforderungen an Kulturorganisationen beschäftigt sie sich angeregt durch die gesellschaftliche Debatte, manchmal im Auftrag der Politik, und zum Teil im Dienst künstlerischer und pädagogischer Apologien. Die im deutschsprachigen Raum wohl noch immer bekannteste Studie dieser Art ist Hans Günter Bastians »Musik(erziehung) und ihre Wirkung« (2000), eine mit außergewöhnlichem Aufwand durchgeführte Langzeitstudie an Berliner Grundschulen in den 1990-er Jahren, die nahe legt, eine intensive Musikerziehung habe positive Wirkungen

116 KEA European Affairs 2006: 8f. Weitere direkte und indirekte wirtschaftliche und soziale Wirkungen der Kultur zählt eine im Jahr 1997 verfasste Studie der European Task Force on Culture and Development auf. Details finden sich in Michelle Reeves (2002): Measuring the economic and social impact of the arts, p. 28ff.

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auf die individuelle Entwicklung eines breiten Spektrums intellektueller, praktischer, sozialer, psycho-motorischer, kreativer, ästhetischer Fähigkeiten; bis heute werden ihre »teils sensationell positiven Ergebnisse« in politischen und verbandspolitischen Reden genutzt.117 Für den englischsprachigen, vorwiegend US-amerikanischen Raum haben McCarthy et al. wissenschaftliche Begründungen von Attributionen direkter Wirkungen und Externalitäten kultureller Arbeit in einer Meta-Studie systematisiert. In »Gifts of the Muse: Reframing the debate about the benefits of the arts« (2004) untersuchen sie eine »extensive« Auswahl empirischer Studien118 und bewerten ihre Methoden und Ergebnisse. Die an sozialen und wirtschaftlichen Effekten orientierten Argumentationen zu Gunsten privater und öffentlicher Investitionen in die Künste betrachten McCarthy et al. als verhältnismäßig junges Phänomen. Bis in die 1970-er Jahre sei der eigenständige Wert der Künste für die amerikanische Öffentlichkeit eine »gegebene Größe« gewesen. Erst seit Beginn der 90-er Jahre gebe es öffentlichen Druck, der zur Legitimation durch den Nachweis eines Nutzens der Künste für die gesamte Gesellschaft – und nicht nur für die Gruppe traditioneller Publika – nötige.119 Ebenfalls in den frühen 1990-er Jahren sieht Michelle Reeves in ihrer für den britischen Arts Council entstandenen Meta-Studie »Measuring the economic and social impact of the arts« (2002) in Großbritannien einen »Gezeitenwechsel« in der Stadtentwicklungspolitik, der einschneidende Konsequenzen für die Anerkennung der Rolle von Kunst und Kultur in der wirtschaftlichen und sozialen Debatte hatte. Obwohl ebenso am instrumentellen Nutzen der Künste orientiert wie in den USA, hat der von Reeves für Großbritannien beschriebene Meinungsumschwung andere Konnotationen. Geht es in den USA um eine Umkehrung der Beweislast, so führt der Umschwung der politischen Debatte in Großbritannien eher zu einer Umdeutung der Wirkungen. Danach sollen die Kultur und ihre Organisationen kompensatorische Leistungen erbringen. Mit ihrer Hilfe sollen jene Entwicklungen befördert werden, die von Kapitalinteressen geleitete Investitionen in Restrukturationsprojekte (regeneration projects) für die sozialen Bedürf-

117 Hans Günter Bastian (2000): Musik(erziehung) und ihre Wirkung, p. 624. 118 Kevin McCarthy/Elizabeth Ondaatje/Laura Zakaras/Arthur Brooks (2004): Gifts of the Muse: Reframing the debate about the benefits of the arts, pp. XII und 2. Die genaue Zahl der ausgewerteten Studien geben die Autoren nicht an. 119 Ebd., p. XI. Was Forschungen zur Kulturpolitik anbelangt, zieht Mark Davidson Schuster in »Making Compromises to Make Comparisons in Cross-National Arts Policy Research« (1987) die Grenze zwischen einem expansiven und einem defensiven Paradigma um das Jahr 1980 (p. 4).

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nisse örtlicher Gesellschaften zuvor nicht erzeugen konnten (Reeves 2002: 13). Pointiert gesagt, profitieren die Kultureinrichtungen von der Verlagerung des politischen Interesses von Investitionen in Immobilien, Sachen und Anlagen hin zu sozialen Investitionen. In keinem der beschriebenen Fälle geht es um eine »Eigenlogik« der Kultur und ihrer Organisationen, um das, was in den Worten Adornos »nicht angetastet, nicht nach irgendwelchen taktischen oder technischen Erwägungen zurechtgestutzt wird« (Adorno 1960: 122). Wo die Auseinandersetzung um die Verteilung gesellschaftlicher Mittel nicht institutionellen Routinen folgt, sondern in der demokratischen Öffentlichkeit ausgetragen wird, stellen »Eigenlogiken« schwache Argumente dar. Den einen etwas zu geben, heißt unter den Bedingungen knapper Mittel, anderen etwas vorenthalten, somit müssen Verteilungsentscheidungen Vertretern unterschiedlichster Interessen, letztlich »der Allgemeinheit« vermittelt werden können. Dabei zählen Argumentationen, die den Eindruck der Tat und – unter den Ermahnungen auch des deutschen Grundgesetzes120 – investiver Wirkung erzeugen. Ökonomisch gesehen, nützt die Unterstützung durch die öffentlichen Hände jenen, die sie für sich durchgesetzt haben, den Organisationen und ihrem Publikum. Anderen nützt sie weniger.121 Das Ziel politischen »Verkaufens« liegt dagegen darin, möglichst viele glauben zu machen, sie hätten etwas von dem jeweils geschaffenen Gut. Wenn Politiker in den einschlägigen Grußworten und Reden so wenig zur Kunst selbst sagen, dann also nicht nur deswegen, weil das meist nicht in ihrer Kompetenz liegt, sondern auch, weil sie stets innerhalb des gesellschaftlichen Verteilungsdiskurses sprechen, ihre Worte sich also an die Nutznießer der Verteilungsentscheidungen ebenso richten wie an jene, die dadurch nichts erhalten, gleichwohl aber bezahlen. Kulturorganisationen und ihre Verbände haben ihre Konsequenzen daraus gezogen und unter dem Druck drohender Mittelkürzungen ihren Vorteil darin gesucht, Argumente und praktische Beispiele für eine demokratisch vermittelbare instrumentelle Nutzenbestimmung ihres Tuns zu liefern. Innovationen in diesem Bereich haben ihr Motiv in der Sicherung lebensnotwendiger Ressourcen für die Organisation. In den letzten Jahren kann man in Fachdiskussion aber auch wieder zunehmende Zweifel gegenüber instrumentellen Bestimmungen von Organisationen

120 Art. 115, Abs. 1 GG. 121 Vgl. William Grampp, Rent-seeking in arts policy (1989): »Government assistance to the arts is an involuntary transfer of resources from the public to arts organizations and their audiences. The transfer is not resisted because the cost to those who lose is small and they are numerous while the recipients are few and they benefit substantially.« (p. 120)

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der Kunst und der Kultur beobachten. Die Studien von McCarthy et al. und von Reeves lassen sich vor diesem Horizont verstehen. Dass Menschen sich von den Künsten angezogen fühlen, geht für McCarthy et al. nicht auf deren instrumentelle, sondern auf deren intrinsisch begründete Wirkungen zurück – darauf, dass die Kunst Menschen in eine spezifische Form des Wohlbefindens (pleasure) und emotionaler Angeregtheit versetzt und einen Gewinn an Sinn mit sich bringt. »Was Menschen zu den Künsten zieht«, so beschreibt es Gifts of the Muse, »ist nicht die Hoffnung, dass die Erfahrung sie smarter macht oder ihre Selbstdisziplin steigert. Stattdessen erwarten sie, dass die Begegnung mit einem Kunstwerk eine erfüllende Erfahrung ist, die ihnen Freude oder Vergnügen, emotionale Anregung und Sinn vermittelt«.122 Das schließt nach Meinung der Autoren nicht aus, dass intrinsische Wirkungen neben rein privaten Effekten auch solche für die Gesellschaft haben können.123 Für Großbritannien stellt John Holden in »Cultural Value and the Crisis of Legitimacy« (2006) kritisch fest, Politiker sprächen in der Rhetorik des »Lieferns«. Im Bereich der Kultur lauteten die Botschaften: »freier Eintritt in Museen, neue Bauten aus Lotteriemitteln, mehr Partizipation von Kindern«, und gewiss seien all dies wichtige Erfolge. Nur gingen die Erfolgsbotschaften instrumenteller Ergebnisse am Eigentlichen vorbei. Die Politiker verkennten das Interesse der Öffentlichkeit am intrinsischen Wert von Kultur. Für die Politik scheine Kultur nur noch in Hinsicht auf soziale und wirtschaftliche Ziele zu zählen, nur in dieser Hinsicht würden Förderungsentscheidungen getroffen. Die damit veränderten Ressourcenflüsse führten in Teilen zu einer »Rekonfigurierung« der Kultur.124 Wie vor ihm McCarthy et al. vermeidet es auch Holden, den intrinsischen Wert von Kunst und Kultur ihren instrumentellen Wirkungen im Sinne sich ausschließender Alternativen entgegenzusetzen. Für Holden erzeugt öffentlich bereit gestellte und unterstützte Kultur drei Arten von Wert: intrinsischen Wert, instrumentellen Wert und institutionellen Wert. Die verschiedenen Akteursgruppen im sozialen Kontext der Kulturorganisationen orientieren sich dabei an jeweils anderen Dimensionen kultureller Arbeit: Politikern sind instrumentelle Ergebnisse wichtig, die professionellen Kultur-Akteure handeln aus ihrem Interesse an intrinsischen Werten heraus, und das Publikum interessiert sich für den intrinsischen und den institutionellen Wert kultureller Arbeit. Holdens Definition des Institutionellen ist dabei enger oder spezifischer als die Definitionen weiter Teile der Ökonomie und der Soziologie; sein Begriff des

122 McCarthy et al. 2004: 37. 123 Ebd., p. XV. 124 Holden 2006, pp. 12, 17 und 30ff.

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institutionellen Werts entspricht in vielem dem, was andernorts als Sozialkapital bezeichnet wird. Institutioneller Wert entsteht für Holden (oder wird vernichtet) durch die Art, in der Kulturorganisationen auf ihr Publikum eingehen. So könne eine als Institution verstandene Organisation öffentliche Güter wie Vertrauen und gegenseitigen Respekt unter den Bürgern (Gassler und Grace nannten das die präkonditionale Funktion) sowie einen Kontext für die Erfahrung von Gemeinschaft und das Vergnügen geteilter Erfahrungen herstellen. Gegen die Ansprüche der Politik betont Holden, Kulturorganisationen seien eigenständige Akteure, die aus eigenem Recht sich mit der Zerstörung und der Schaffung von Dingen befassen, die das Publikum wertschätzt – eine Formulierung, in der wie von fern Schumpeter und Nietzsche anklingen. Nicht die bloße Existenz eines Theaters oder Museums schafft und schöpft diese Werte, sondern sie gehen aus der selbst verantworteten Zusammenarbeit, aus dem spezifischen Verhältnis der Organisation zu ihrem Publikum hervor. Diese Zusammenarbeit wird für Holden in einem Kontinuum erfahrbar, das von der Zurschaustellung künstlerischer Akte oder Objekte bis zum Anbieten warmer Getränke reicht. Denn neben der ästhetischen, emotionalen und sozialen Erfahrung von Kunst und Kultur schätzt es das Publikum nach Holden, gut behandelt zu werden. Es schätzt ein ansprechendes Catering zu fairen Preisen, gute Gebäude und Technik auf dem aktuellen Stand. Es möchte informiert sein und bequem sitzen, und immer häufiger möchte es in irgend einer Form mit einbezogen werden.125 Ersichtlich werde der von den Organisationen in Beziehung zu ihrem Publikum generierte institutionelle Wert aus der Reaktion (feedback) der Öffentlichkeit, der Partner und all jener, die mit der Organisation zusammenarbeiten. 126 Für Holden wird die institutionelle Leistung der Kulturorganisation also nicht geliefert, wie es auf der Ebene der Güter Denk- und Praxismodellen der Wirtschaft entspricht. Die institutionelle Leistung der Kulturorganisation entsteht. Sie entsteht idealerweise im Beziehungsfeld von kulturellen Akteuren, Politikern und der Öffentlichkeit. Und sie entsteht zwischen Kulturorganisation und Öffentlichkeit aus dieser Beziehung.127 Wir kommen auf den Gedanken im Dienstleistungs-Kapitel unter dem Konzept der Co-Kreation von Wert zurück. »Idealerweise« muss man einstweilen aber betonen, denn die Wirklichkeit sieht nach Holden oft anders aus. So sei das kulturelle System zu einer geschlossenen, schlecht gelaunten Konversation zwischen den Akteuren der Kultur und den über die Ressourcenvergabe entscheidenden Politikern geworden. Die Kul-

125 Ebd., p. 23f. 126 Ebd., p. 17f. 127 Ebd., p. 9f.

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turorganisationen achteten zu viel auf die Zufriedenstellung der Geldgeber, zu wenig dagegen auf die Erreichung ihres selbst formulierten Auftrags und auf die Einbindung des Publikums. Sie hätten sich darauf konzentriert, die Erwartungen ihrer Förderer zu erfüllen in der Hoffnung, dadurch die gleiche fraglose Unterstützung zu erhalten, die es für das Gesundheits- und das Bildungswesen gibt. In Wahrheit könnten die Politiker eine vergleichbare Unterstützung aber niemals gewähren, solange kein breiterer und klarer artikulierter demokratischer Konsens dafür vorliege.128 Die Legitimationskrise unserer Organisationen der Kunst, die ihre Einkommensbasis gefährdet und ihre Überlebensaussichten verschlechtert, beschreibt Holden als systemisches Problem, als Problem unkoordinierter Erwartungen und misslingender Kommunikation im institutionellen Beziehungsnetz. Letztlich ist auch für Holden die Sicherung der notwendigen Ressourcen eine Frage demokratischer Mehrheiten, die sich jedoch nur dann herausbilden können, wenn alle Seiten in eine für sie befriedigende Interaktion einbezogen sind. Den Lösungsansatz sieht Holden auf der Seite der professionellen KulturAkteure. Ihre Chance liege darin, dass Wert und Wertschöpfung kultureller Arbeit grundsätzlich unbegrenzt und unbegrenzt erweiterbar seien (2006: 10). 4.2.2

Unverbindlich aus Berechnung. Das Problem der Bilanzierung von Leistungen in der Kulturorganisation

Jeder demokratische oder diskursethische Lösungsversuch des Legitimationsproblems steht damit vor der Schwierigkeit, dass bestimmt werden muss, worin die Wertschöpfung der Kulturorganisationen denn liege und wie diese gegebenenfalls zu messen, in jedem Fall plausibel zu machen sei. Was aber optimiert oder maximiert die staatlich unterhaltene Kulturorganisation, deren Produktion auch öffentliche und meritorische Güter umfasst, die in den Produktionsfunktionen der Standard-Ökonomik externalisiert werden? Den finanziellen »Gewinn« optimiert die Kulturorganisation allenfalls als relatives Maß in Form der Eigenfinanzierungsquote. Wenn man will, kann man auch in der von Hansmann beschriebenen Strategie mancher Kulturmanager, das von ihnen betreute Budget zu vergrößern, ein Nonprofit-Äquivalent zur Profitsteigerung erkennen.129 Für gewöhnlich wird nach Hansmann angenommen, Nonprofit-Firmen suchten die Qualität ihrer Leistungen zu verbessern – im Musikleben ist dann von »Exzellenz« die Rede; Veranstalter sammeln für ihre Geldgeber Zeitungskritiken, deren Inhalte in die Kategorien des »Positiven« und des »Negativen« ge-

128 Ebd., p. 9 und 56. 129 Henry Hansmann (1987): Economic Theories of Nonprofit Organization, p. 37.

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presst werden.130 Auch die Quantität kultureller Dienste lässt sich steigern. Nach dem industriellen Modell bietet sich der »Output« als zu maximierende Größe an, in Form einer Zahl der Veranstaltungen pro Zeitraum etwa, als Zahl der verkauften Eintrittskarten, als Größe der erreichten Publikumskreise oder – wieder als relative Bestimmung – als Auslastung der Platzkapazität.131 Gegenüber den Fachpolitikern und der Kulturverwaltung tritt die Auslastung oder die Zahl der Besucher an die Stelle, die in der Wirtschaft der Umsatz einnimmt. Quantitative Leistungsgrößen, die sich einfach beobachten lassen, werden von den Kulturverwaltungen als Kriterien für finanzielle Zuwendungen bevorzugt, wenn diese, worauf Krebs und Pommerehne (1995: 28) hinweisen, Einfluss auf qualitative – besonders programmatische und künstlerische – Entscheidungen nicht nehmen dürfen, wie das in Deutschland der Fall ist. Nach Brooks und Ondrich hängt die Entscheidung, qualitative oder quantitative Größen zu maximieren, auch von der Größe (gemessen am Budget) von Nonprofit-Kulturorganisationen ab. Danach lässt sich unter US-amerikanischen Sinfonieorchestern beobachten, dass große Orchester vor allem die Qualität zu steigern suchen, während kleinere Orchester daran arbeiten, ihre Zuhörerschaft zu vergrößern.132 Die Realisierung der intrinsischen Werte, auf die es nach Holden für das Publikum und auch für die Kultur-Akteure ankommt und die zum Teil aus sozialer Interaktion erwachsen, ist schwer zu messen. Holden zieht es daher vor, von intrinsischem Wert als von einem Potenzial, Menschen zu affizieren, zu sprechen (2006: 14f.), doch bleiben die Argumente, die auf diese Weise für die demokratische Urteilsbildung generiert werden, unverbindlich. Reeves (2002: 42) definiert die nicht-materiellen Werte der Kulturorganisation näher zu solchen, mit denen

130 Zur Debatte um Qualität vgl. Catherine Bunting (2007): Public value and the arts in England, p. 16f. 131 Vgl. Hansmann 1987: 37; Hansmann (1981): Nonprofit Enterprise in the Performing Arts, p. 347; Throsby 2001: 117ff. Zur Diskussion der Leistungsbestimmung siehe aus wirtschaftlicher Sicht auch Gassler/Grace 1980: 29. Eine Kritik Hansmanns findet man bei Richard Steinberg: Kurz gesagt, hängen die Ziele von Nonprofit-Organisationen immer auch von den Bedingungen der Märkte ab, auf denen sie operieren, nicht selten in Konkurrenz zu kommerziellen Unternehmen. Letztlich handelt es sich bei Profit vs. Nonprofit für Steinberg um eine juristische, nicht um eine ökonomische Unterscheidung (Nonprofit Organizations and the Market, 1987, p. 124). 132 Arthur Brooks und Jan Ondrich (2007): Quality, service level, or empire – which is the objective of the nonprofit arts firm?, p. 129ff. Inwieweit die Größe des Publikums nicht auch eine qualitative (legitimatorische und strategische) Dimension in Hinsicht auf die Sicherung von Ressourcenflüssen hat, wäre zu fragen.

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auch die Ökonomik umgeht – Markenwert, goodwill, immaterielle Vermögenswerte – und öffnet damit einen Weg zu in der Wirtschaft entwickelten, wegen ihrer Ermessensspielräume dort allerdings auch problematischen Methoden der Bilanzierung. Auf dem Boden der Trennung zwischen privaten und öffentlichen Gütern und in Analogie zur Unterscheidung quantitativer und qualitativer Organisationsziele unterscheiden Reeves (2002: 31) zwischen output und outcomes und Holden (2006: 17) zwischen output, outcome und impact. Nach diesen Unterscheidungen ließe sich die Wertschöpfung von Kulturorganisationen nach Dimensionen wie Produkten, Ergebnissen und Folgen getrennt bestimmen. John Falk und Lynn Dierking versuchen in »Re-envisioning success in the cultural sector«, die Wirkung (impact) einer Kulturorganisation in Orientierung an deren selbst formulierte Ziele zu ermitteln (2008: 237f.). Die Aufgabe, institutionelle und soziale Wertschöpfung zu dokumentieren, ist nach ihrer Ansicht »nicht trivial«, und in der Vergangenheit hätten es Organisationen zumeist vermieden, sich ihr zu stellen. Direkte Messgrößen für den Erfolg seien vonseiten der Förderer aber zunehmend gefragt und könnten auch entwickelt werden, wenn es der Organisation erst einmal gelänge, zu artikulieren, worin das von ihr produzierte öffentliche Gut besteht und welche Bevölkerungsgruppen davon profitieren. Was die Bewertung des Erfolgs anbelangt, bevorzugen Falk und Dierking einen analytischen Zugriff von den Adressaten der Arbeit her. Messgröße ist der »tatsächliche Wandel« in den Nutzerpopulationen. Die Autoren empfehlen, zunächst die jeweiligen Publika zu segmentieren: Jedes Publikumssegment ist bestimmt durch das spezifische Gut, das durch die Interaktion mit der Kulturorganisation geschaffen wird. Damit gehen die Autoren über die übliche Bestimmung von Ziel- und Publikumsgruppen nach sozio-demografischen Merkmalen (wie Geschlecht, Alter, sozialer Status) hinaus. Ihre Segmentation schließt die Bestimmung der Bedürfnisse einer jeden Publikumsgruppe ein. Aus den spezifischen Bedürfnissen sind sodann Vergleichsgrößen (benchmarks) zu entwickeln, anhand derer sich das Maß des Erzeugens eines öffentlichen Nutzens (public value) bestimmen lässt. Anhand der entwickelten Messgrößen soll für jedes Publikumssegment das Maß der Veränderung ermittelt werden – nach Ansicht der Autoren etwa die Entwicklung der Wertschätzung klassischer Musik, die Entwicklung des Verständnisses für die Rolle des Künstlers im öffentlichen Diskurs oder die Entwicklung geistiger oder körperlicher Gesundheit. Zu den im mission statement der Organisation formulierten Zielen treten nach Falk und Dierking öffentliche, die nicht von der Organisation formuliert sind, von Kulturorganisationen aber erzeugt oder unterstützt werden müssten. Zu denken sei hier an die Unterstützung anderer Organisationen und die Verbesserung der Lebensqualität aller, über die eigene Klientel hinaus, die Schaffung kul-

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tureller Teilhabemöglichkeiten (opportunities), das Angebot eines sicheren und familienfreundlichen öffentlichen Treffpunkts, die Generierung wirtschaftlicher Impulse, die Verringerung von Umweltbelastungen, die aus den eigenen Aktivitäten entstehen. Alle Wirkungen in diesen Hinsichten hätten einen Wert und sollten in der »Arithmetik« des institutionellen Erfolgs erscheinen. So sollte jede Organisation neben ihrer wirtschaftlichen Bilanz eine weitere für ihre organisationale Entwicklung und eine dritte Bilanz für ihre soziale Wertschöpfung erstellen. Die Fragen, die dabei zu beantworten sind, lauten nach Falk und Dierking unter anderem: Ist der Wertschöpfungsprozess für eine Publikumsgruppe gemeinsam mit anderen Organisationen vollzogen worden? Wenn ja, hat die Zusammenarbeit den Wert der anderen Organisation gesteigert? Selbstverständlich seien die Bilanzen kooperierender Organisationen aufeinander bezogen. Für Aktivitäten, Dienstleistungen und Güter, die zur Befriedigung der Interessen eines Publikumssegments vollzogen oder produziert werden, sollten die aufgewendeten Mittel und die erzielten Einkünfte angegeben werden.133 Unterstellt, es wäre den Kulturorganisationen praktisch möglich, neben der Erledigung ihrer täglichen Arbeit auch deren Wirkungen zu ermitteln, dann wäre für eine Legitimierung dieser Arbeit, für das Geschäft der Ressourcensicherung und der politischen Diskussion etwas getan. Hansmanns herausfordernde Behauptung, Nonprofit-Organisationen der darstellenden Künste verkauften primär Unterhaltung an ein Publikum, nicht anders als ihre Profit-orientierten, privatwirtschaftlichen Gegenspieler (1981: 346), wäre auf die Ebene der privaten Güter verwiesen, wo sie etwas, wenngleich nicht die ganze Wahrheit trifft, wenn man den Publikumsbefragungen glauben darf. 134 Auch kritischen Einwänden, nach denen die Ziele und Missionen von Nonprofit-Kulturorganisationen notorisch unverbindlich und vieldeutig seien mit dem Zweck, die Koexistenz vielfältiger persönlicher und institutioneller Interessen zuzulassen und um eine Erfolgskontrolle von außen zu behindern,135 ließe sich mit einer detaillierten Dokumentation der Wirkungen künstlerischer und pädagogischer Arbeit begegnen. Unbeantwortet bleibt die Frage, zu welchen Teilen sich Legitimität über Leistungsnachweise herstellt, und zu welchen Teilen in den Sphären des Scheins

133 Falk/Dierking 2008: 241f. 134 Christine Burton etwa hat in »Scoping the Challenge – Entrepreneurial Arts Management in Times of Uncertainty« (2003) für Museen in Australien umfassend beschrieben, wie kulturelle Angebote als Teil des Freizeitmarktes wahrgenommen werden. 135 Vgl. Paul DiMaggio (1987): Nonprofit Organizations in the Production and Distribution of Culture, p. 209f.

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und des Glaubens. Überdies ist nicht gewiss, in welchen Fällen künstlerische Arbeit dadurch Erfolg hat, dass sie auf die Erwartungen eines Zielpublikums exakt zugeschnitten wird, und in welchen Fällen sich der Erfolg einstellt, weil ein Publikum in den künstlerischen Hervorbringungen unerwartet etwas zu erkennen glaubt – Adorno zumindest unterscheidet kategorisch zwischen »Geist« und »Dienst am Kunden«.136 In jedem Fall wird eine Analyse der Interessen der Publikumssegmente und der spezifischen Interaktionen es einer Organisation ermöglichen, die aus ihrem künstlerischen Kapital hervorgehenden Dienstleistungen effektiver zu machen, zu entwickeln oder zu erneuern.

5.

D AS W IRTSCHAFTEN DER K ULTURORGANISATION . K AMPF UMS Ü BERLEBEN UND ÖKONOMIEN DER F REUNDSCHAFT

Ob und inwieweit ökonomisch orientierte Theorien sinnvolle Aussagen über Organisationen der Kunst ermöglichen, darüber gehen in der Wissenschaft die Meinungen auseinander. Alan Peacock hält in Fragen der Erhaltung kulturellen Erbes die Unterscheidung zwischen »ökonomisch« und »nicht-ökonomisch« für »vollkommen irreführend«. Die Wirtschaftswissenschaften untersuchten Umstände und Auswirkungen von Wert- und Wahlentscheidungen (choices) unter den Bedingungen begrenzter Ressourcen, daher könnten sie ebenso gut auf kulturelle wie auf nicht-kulturelle Problemstellungen angewendet werden.137 Roger Lohmann kritisiert, durch ausgrenzende Bestimmungen wie »Nonprofit-Organisationen« werde der Dritte Sektor jenseits des Marktes angesiedelt, ohne dass damit seine Eigenarten näher bestimmt seien.138 Von der Seite kultureller Produktion her argumentieren Richard Peterson und Narasimhan Anand, die Vorstellung einer Einzigartigkeit der Künste sei abzulehnen. Vielmehr könnten diese Status-betonten Bereiche (high-status fields) genau so untersucht werden wie andere symbolproduzierende Institutionen auch, zum Beispiel unter Anwendung des Leitgegensatzes von »elitär« und »populär«.139 Mit einem anderen Begriff

136 Theodor W. Adorno (1960): Kultur und Verwaltung, p. 122. 137 Alan Peacock (1978): Preserving the Past: An International Economic Dilemma, p. 10. 138 Roger Lohmann (1992): The Commons. A Multidisciplinary Approach to Nonprofit Organization, Voluntary Action, and Philanthropy, p. 321. 139 Peterson/Anand 2004: 326f. Zu utilitaristischen Konzepten kultureller Güter vgl. Paul Hirsch (2000): Cultural Industries Revisited, p. 359.

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produzieren Organisationen der Kunst symbolische Güter, zu denen Autoren wie Lash und Urry oder Lindner und Musner Wissen und Beratung, Medien, Markennamen, »Ikonen« in Architektur und Design sowie Luxusgüter zählen. 140 Hinzufügen müsste man die Ökonomie sowie die Organisations- und Veranstaltungsformen des Sports, deren Gemeinsamkeiten vor allem mit den darstellenden Künsten Bruce Seaman herausgearbeitet hat.141 Ebenfalls mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden, mit Hilfe von Theorien ökonomischer Vertragsbeziehungen, hat Richard Caves Strukturen und Organisationsformen des Kulturbetriebs umfassend erklärt, unter der Annahme, Akteure im kulturellen und kreativen Feld handelten vergleichbar interessengeleitet und orientiert am Leitbild rationaler Entscheidungen wie Akteure außerhalb der Kultur.142 Im Gegensatz dazu kritisieren Robert Scott Gassler und Robert Grace, der größte Teil ökonomischer Theorien beziehe sich auf gewinnorientierte Unternehmungen. Die anderen Organisationen – häufig als »nonprofit« einer zu allgemein definierten Gruppe zugeordnet – leisteten aber viel mehr innerhalb ihrer Wirtschaftssysteme als nur die Allozierung von Ressourcen und die Distribution von Einkommen; mit gängigen ökonomischen Kriterien könnten ihre Aktivitäten nicht bewertet werden.143 Für die Analyse der Aktivitäten etwa eines Kunstmuseums könne man nicht einfach den Begriff »Firma«, wie er in den Lehrbüchern stehe, durch »Museum« ersetzen. Praktisch jede vereinfachende Annahme konventioneller ökonomischer Analyse erweise sich im Zusammenhang des Museums nicht nur als unrealistisch, sie wirke schlicht deplatziert (silly); der Gegenstand sei zu weit für die Mittel ökonomischer Analyse (Gassler und Grace 1980: 29f.). Martin Tröndle verleiht dem traditionellen Gegensatz von Kunst und Wirtschaft Ausdruck, wenn er mit Werner Heinrichs kritisiert, betriebswirtschaftliche Instrumentarien müssten, um in Kulturorganisationen zu funktionieren, zwangsläufig »das Künstlerische auf seine ökonomische Seite verkürzen«. Wohl in Anlehnung an Habermas argumentiert Tröndle, diese SteuerungsInstrumente seien nach der »Eigenlogik« anderer Bereiche entwickelt worden, namentlich der industriellen Produktion und des politischen Systems, in denen Handlungen durch Zahlung (Geld) und durch administrative Kontrolle (Macht) koordiniert werden. An der »Eigenlogik« und den »Spezifika des Kunstsystems«

140 Vgl. Scott Lash/John Urry (1994): Economies of Sign and Space sowie Rolf Lindner/Lutz Musner (2005): Kulturelle Ökonomien, urbane Geschmackslandschaften und Metropolenkonkurrenz. 141 Bruce Seaman (2003): Cultural and Sport Economics – Conceptual Twins? 142 Richard Caves (2000): Creative Industries. Contracts between Art and Commerce. 143 Gassler/Grace 1980: 19.

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und seiner Unternehmungen als »Sinnorganisationen« gingen diese Methoden vorbei, sie operierten mit »Größen« – hier folgt Tröndle Adornos »Kultur und Verwaltung« – »die dem Künstlerischen nicht innewohnen«, es fehle ihnen ein »inhaltlicher Bezug« zu dem, was gesteuert werde. 144 »Es kann also nicht darum gehen«, folgert Tröndle, »Steuerungsinstrumente, die aus der Eigenlogik anderer Bereiche entwickelt wurden, im Kulturbetrieb zu etablieren«.145 Dass die traditionelle Entgegensetzung des »Kommerziellen« und der »Kunst« für viele Kulturorganisationen handlungsleitend ist, lässt sich feststellen, ohne für eine Seite Partei zu ergreifen. Das Kunstwerk habe seinen Zweck in sich, sagt Hegel, andere Zwecke wie Belehrung, Reinigung, Besserung, Gelderwerb, Streben nach Ruhm und Ehre »gehen das Kunstwerk als solches nichts an und bestimmen nicht den Begriff desselben«.146 Adorno und Horkheimer entwickeln aus dem Gedanken in ihrer »Dialektik der Aufklärung« einen Imperativ: Das Kunstwerk habe »die Befreiung vom Prinzip der Nützlichkeit« zu leisten (1969: 167). Noch Niklas Luhmann erklärt, »die Kunst« wende sich »nicht nur gegen das, was so ist, wie es ist, sondern auch noch gegen Versuche, in diese Welt Zwecke einzubringen« (1997: 237). Carl Dahlhaus’ Bemerkung, die Obsession von der Frage nach dem Kunstcharakter sei ein Phänomen des 20. Jahrhunderts,147 ist zwar geeignet, Zweifel an der Universalität der Kategorie zu stärken, für unsere Gegenwart macht sie aber umso plausibler, dass sich ohne den Gegensatz zwischen »der Kunst« und der Welt wirtschaftlicher Zwecke viele Routinen des Handelns und die damit ausgeschlossenen Optionen in Kulturorganisationen kaum verstehen lassen. Sowohl die Beobachtung dieser Dichotomie als auch ihre Reproduktion als Kategorien der Untersuchung prägen Teile der kulturökonomischen und kultursoziologischen Forschung. Victoria Alexander hat ihre strukturierende Wirkung in nordamerikanischen Kunstmuseen beschrie-

144 Martin Tröndle (2006): Entscheiden im Kulturbetrieb, p. 21ff. Mit der Idee der spezifisch künstlerischen Größen weicht Tröndle von Habermas andererseits wieder ab. Habermas setzt dem Geld und der Macht die »Verständigung« als Mechanismus der Handlungskoordinierung entgegen. Steuerungs- und Verständigungsleistungen können »nicht in beliebigem Umfang füreinander substituiert werden«, »Geld und Macht können Solidarität und Sinn weder erkaufen noch erzwingen« (Jürgen Habermas 1985: Der philosophische Diskurs der Moderne, p. 421). 145 Vgl. Adorno 1960: 122f. Allerdings formuliert Adorno realistisch im gleichen Text auch die Notwendigkeit, dass Kunstschaffende am »verwalteten« Betrieb teilnehmen, wenn sie gehört werden möchten und ihre Subsistenz sichern wollen (p. 134). 146 Hegel (1971 [1717-1738]): Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. I, p. 82. 147 Dahlhaus 1970: 19.

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ben, wo sie sich in der Opposition zwischen »managerial« (an einem breiten Publikum orientiert) und »gelehrt« (orientiert am Diskurs über Kunst) manifestiert;148 vergleichbare Phänomene beobachtet Lamar Pierce in der Studie über »Programmatic Risk-Taking by American Opera Companies« (2000). Xavier Castañer und Lorenzo Campos beklagen in »The Determinants of Artistic Innovation« (2001) das Wirken »semi-professioneller« Manager, die ihr künstlerisch geprägtes Berufsethos auf Kosten organisationaler Werte verteidigten (p. 41). In Mary Ann Glynns Beschreibung eines »Conflict Over Organizational Identity Within a Symphony Orchestra« (2000) prägt die Dichotomie die Muster der Erklärung, und vollends verschmelzen die Kategorien der Beobachtung mit dem Beobachtungsergebnis in Tuomas Auvinens »Unmanageable Opera« (2000), das eine »künstlerisch-ökonomische Dichotomie« in den Strukturen von Opernhäusern in London, Glyndebourne, Helsinki, Paris und Berlin beschreibt. Aber ist damit etwas über die Grenze unseres Untersuchungsgegenstands gesagt und daher über die Anwendbarkeit ökonomischer Theorien auf die Generierung von Neuheit in Kulturorganisationen? Oder handelt es sich bei der konflikthaften Grenzbestimmung zwischen »Kultur« und »Wirtschaft«, »Kunst« und »Geld« um eine interne, strukturbildende Eigenschaft von Kulturorganisationen und ihrem Feld – mithin um einen Teil des Problems, auf das Theorie auch in Form ökonomischer Analyse zu beziehen wäre? Ist beides zugleich der Fall? Sind kulturelle Güter und Leistungen so grundlegend von anderen Gütern und Dienstleistungen unterschieden, dass sich ihre Herstellung, ihre Distribution und die mit ihnen verbundenen Tauschakte nicht mehr mit den Mitteln der Ökonomik erklären und verbessern lassen? Immerhin ist in der Argumentation Tröndles trotz aller Abwehr eingeräumt, »das Künstlerische« habe eine ökonomische Seite. Damit werden Verhältnisse denkbar, wie sie Bourdieu in »Les règles de l’art« beschrieben hat. Danach ist das Feld kultureller Produktion durch die Konkurrenz zweier verschiedener wirtschaftlicher Logiken geprägt: Durch die Ökonomie des Kommerziellen (économie du «commercial» et du profit) auf der einen Seite, gegen deren Imperative sich Adorno, Horkheimer und auch Tröndle wenden, und durch eine anti-ökonomische Ökonomie (économie anti-«économique») auf der anderen Seite, die der Kunst im emphatischen Sinn (l’art pur) verpflichtet sein möchte. Nach Bourdieu gibt es also keine nicht- oder außer-ökonomische Organisation kultureller Unternehmungen, sondern allenfalls eine anti-ökonomische. Diese anti-ökonomische Ökonomie der Kultur lehnt die »Unterwerfung«, so Bourdieu, unter den Primat

148 Victoria Alexander (1996): Pictures at an Exhibition – Conflicting Pressures in Museums and the Display of Art, p. 831.

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aktueller Nachfrage ab. Sie privilegiert die Produktion nach eigenen Maßstäben und akzeptiert damit nur eine Nachfrage, die sie selbst schaffen kann.149 Ebenso wenig, wie man von einer homogenen und unwidersprochenen Haltung zur Ökonomie im Kunst- und Kulturbetrieb sprechen kann, gibt es eine einheitliche Wirtschaftswissenschaft, gegen deren Modelle sich der Widerstand aus den Kulturwissenschaften richten könnte. Gewiss existiert eine ökonomische Orthodoxie, die von einer kleinen Menge rationalistischer, utilitaristischer und individualistischer Verhaltens- und Entscheidungsaxiome ausgeht und deren Relevanz für die empirische Wirklichkeit in Frage steht. Gleichzeitig ist die ökonomische Theorie aber reich an interdisziplinär inspirierten Heterodoxien. Diese unter Bezug auf biologische, soziologische und geschichtswissenschaftliche Methoden entwickelten Theorien versuchen, das wirtschaftliche Verhalten von Individuen, Gruppen, Organisationen aus ihrem historischen Gewordensein, aus ihrer Orientierung an Ressourcenflüssen, aus der internen Entwicklung ihrer Kompetenzen, aus der Bezogenheit auf gesellschaftliche Regel- und Wertesysteme zu erklären – also gerade, um das Wort Habermas’ zu verwenden, aus ihren Eigenlogiken heraus, die ihrerseits heterogenen Einflüssen unterliegen. Diese notwendigerweise kontextabhängige Eigenlogik soll im Folgenden für die staatlich unterhaltenen Organisationen der Musikproduktion weiter entwickelt werden. Mit ihrer Hilfe lässt sich erklären, worin jeweils die spezifische Differenz von »Innovation« in diesen Organisationen liegt, woraus sich Widerstände speisen, welche Ressourcen sie befördern können und warum ökonomische Innovationskonzepte für den Kulturbetrieb Effektivitätsgewinne versprechen. 5.1 Gewinn ohne Eigentümer. Die Kulturorganisation als nicht Profit-orientierte Unternehmung Mit Peterson und Anand (2004: 316) und auf dem Boden der klassischen Organisationstheorie Max Webers lassen sich Konzerthäuser und Sinfonieorchester als Kulturorganisationen bürokratischer Verfasstheit definieren, mit klarer Arbeits- und Aufgabenteilung, einem mehrstufigen Autoritätssystem, einer Trennung zwischen Produktion und Verwaltung, organisationaler Kohärenz und Kon-

149 Vgl. Bourdieu 1992: 234ff. Entgegen dem Anschein sind also beide widerstreitenden Ökonomien an Nachfrage interessiert. Sie arbeiten jedoch vor unterschiedlichen Zeithorizonten: Die Ökonomie des Kommerziellen versucht, zeitlich unmittelbar eine schon existierende Nachfrage zu befriedigen (und ihre Investitionen schnell zu amortisieren). Die anti-ökonomische Ökonomie hofft auf die Reifung ihrer Werke zu Klassikern und deshalb auf eine späte (und nachhaltige) Nachfrage.

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tinuität verpflichtet. Die Organisationen haben gegliederte Produktionsstrukturen und mit dem Chefdirigenten einen Produktionsleiter. Dramaturgen konzipieren Produkte, das künstlerische Betriebsbüro organisiert ihre Herstellung, Orchestermusiker führen die Herstellung aus. Die Organisationen verfügen über eine professionelle Verwaltung mit eigener Finanzabteilung, vielfach gibt es auch eine Marketingabteilung. Und schließlich gibt es in Gestalt eines Intendanten oder Generaldirektors eine zentrale Funktion, der die Koordination und Leitung der gesamten Organisation obliegt. Allerdings hatten wir unter Bezug auf Schumpeter nicht die bürokratischrationale Organisation als solche, sondern die Unternehmung als Modell einer innovatorisch tätigen Unternehmung definiert. Konzerthäuser sind keine Unternehmungen. Oder doch? Ihrer Organisationsstruktur nach können sie es sein. Auch ihre Input-Output-Funktionen lassen diese Interpretation zu. Konzerthäuser und Sinfonieorchester erwerben Faktoren auf Märkten (etwa Musiker auf Arbeitsmärkten), transformieren sie in Dienstleistungen und Produkte (Konzerte, Workshops für Schüler, Tonträger) und setzen diese wiederum gegen Entgelt auf Märkten (für Freizeit, Bildung, Unterhaltung) ab. Auf den Märkten für Faktoren und für Produkte operieren Konzerthäuser und Sinfonieorchester in Konkurrenz: unter ihresgleichen, wo sie sich einen Markt teilen, und noch mehr mit Anbietern von Substituten wie Theater, Kinos, Zirkusse und Restaurants. Ob als nichtrechtsfähige Anstalten (der staatlichen Kulturverwaltung unterstellt) oder als Stiftungen (mit Vertretern des Staates im Stiftungsrat), die Stellung von Kulturorganisationen ist sowohl in Hinsicht auf das Modell der Unternehmung als auch auf das der Behörde und der Nonprofit-Organisation zu bestimmen. Die Entscheidung, ob eine solche Organisation als Unternehmen oder als Nonprofit-Organisation zu gelten hat, fällt mit Blick auf die Eigentumsrechte. In Firmen gibt es mindestens eine Person, die Eigentumsrechte an der Differenz zwischen Aufwendungen und Einkommen besitzt. Das ist bei öffentlich unterhaltenen Organisationen der Musikproduktion nicht der Fall; sie haben keine Besitzer, deren Ziel es sein könnte, durch erwirtschaftete Überschüsse ihren privaten Reichtum zu mehren. Als Nonprofit-Organisationen sind sie so verfasst, dass eine Verteilung von Nettogewinnen ausgeschlossen bleibt. Werden Gewinne erwirtschaftet, haben die Erlöse in der Organisation zu verbleiben und sind für die Verfolgung von deren Zielen und Zwecken zu.150 Die juristische Bestimmung

150 In der englischsprachigen Theorie ist hier vom »nondistribution constraint« die Rede. Vgl. etwa Hansmann 1987: 28; West 1987: 37; Gassler/Grace 1980: 19; Milgrom/Roberts 1992: 524f. In der Praxis lassen sich in Sinfonieorchestern allerdings Ausschüttungen von Sondereinnahmen in Form etwa von »Medienpauschalen« an

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der Eigentumsrechte hat Konsequenzen für die Finanzstrukturen: Eine Finanzierung an der Börse ist für Nonprofit-Organisationen nicht möglich, weil die Geldgeber Eigentumsrechte erwürben. Umgekehrt macht der Ausschluss von Eigentümern und Eigentumsrechten den Zuschuss privaten Kapitals durch Spender und Mäzene leichter, weil diese den Eindruck gewinnen, ihr Beitrag sei »für die Sache«, die gegenüber dem privaten Gewinnstreben meist als gute gilt. Was ihre ökonomischen Grunddimensionen anbelangt, steht die NonprofitOrganisation in der Selektionsumgebung des Marktes wie jedes Unternehmen auch: Wer seine Kosten nicht decken kann, der wird nicht lange überleben. Andererseits arbeiten Nonprofit-Organisationen unter besonderen institutionellen Bedingungen; für sie sind der Markt und die Frage der Kostendeckung anders definiert als für die kommerziell arbeitende Unternehmung. Das Einkommen eines Unternehmens muss nach der Theorie sämtliche Kosten, auch die des Kapitals, zu Marktpreisen decken. Die Nonprofit-Organisation dagegen ist auf ihren Faktorenmärkten Marktpreisen nicht in jedem Fall unterworfen: Das gilt für Arbeitskraft, wenn diese von Ehrenamtlichen gestellt wird, und das gilt für finanzielles Kapital, wenn es durch Sponsoren, Mäzene oder öffentliche Hände beigesteuert wird, im Fall des Staats durch direkte Zuschüsse oder indirekt über Steuererleichterungen für private oder gemeinnützige Geber.151 Von einem Markt nach den Regeln neoklassischer Theorie oder im Sinn der von Autoren wie Mertens bemühten »freien Wirtschaft« lässt sich bei Nonprofit-Organisationen auch auf der Seite der Produkte nicht immer sprechen. Marktpreise, die die Kosten nicht decken, kann es in neoklassischen Gleichgewichtsverhältnissen nicht geben, weil der mangelnden Nachfrage ein Verschwinden des Produkts, manchmal auch des Herstellers folgt. Im Fall von Konzert- und Opernhäusern liegen die Preise für Eintrittskarten jedoch in aller Regel unter der Höhe, in der sie die Kosten decken könnten. Nach Hansmann (1981: 343) liegt die Nachfragekurve im Bereich der darstellenden Künste sogar generell unterhalb der Kurve der durchschnittlichen Kosten, sodass es keinen Eintrittspreis geben kann, der die Deckung der Kosten ausschließlich über den Verkauf von Karten erlaubt. Dennoch halten sich die Konzerte und Aufführungen am Markt. Davon, dass hier eine Eigenlogik »der Kunst« gegenüber ökonomischer Logik zum Tragen komme, kann aber nicht die Rede sein. Die Organisationen der Kunst erwirtschaften ihr Einkommen nur nicht ausschließlich auf den Märkten für Produkte, sondern auch auf Märkten für mildtätige, privatwirtschaftliche, ge-

die Musiker beobachten, und ob es sich beim Honorar des Chefdirigenten nicht ebenfalls um eine Ausschüttung handele, lässt sich zumindest diskutieren. 151 Vgl. Gregory Dees (1998): Enterprising Nonprofits, p. 65.

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meinnützige und staatliche Förderung, in allen Fällen unter Bedingungen des Wettbewerbs. So haben Krebs und Pommerehne in ihrer Studie zu »PoliticoEconomic Interactions of German Public Performing Arts Institutions« festgestellt, dass Intendanten die Höhe ihrer öffentlichen Subvention durchaus nicht als exogene Größe betrachten, sondern als abhängig von ihrem eigenen Handeln (1995: 17). Entgegen der häufig in Anschlag gebrachten GemeinnützigkeitsRhetorik lässt sich sagen, die Finanzierung von Nonprofit-Organisationen erfolge durch Geschäfte wie im Fall von Unternehmen auch – so, wie umgekehrt profitorientierte Unternehmen in den Genuss staatlicher Förderung kommen können und auch danach streben. Nach Steinberg machen Käufer auf kommerziellen Märkten explizite Geschäfte, bei denen sie Waren oder Dienstleistungen gegen Geld erhalten. Im Nonprofit-Bereich gehen Spender und andere Unterstützer dagegen implizite Geschäfte ein, bei denen sie mit ihrem Geld entweder direkte Vorteile erwirtschaften, indirekte Befriedigungen erlangen oder einen »Kantianischen Vorzug« erwerben. Direkte Vorteile wären etwa ein Platz in der ersten Reihe, öffentliche Anerkennung, eine Beförderung der eigenen Karriere. Eine indirekte Befriedigung läge in dem guten Gefühl, etwas zur Verbesserung der Bildung nachwachsender Generationen beigetragen zu haben. Der »Kantianische Vorzug« bestünde im Genuss des Aktes des Gebens. Zumindest im Fall der Erwirtschaftung direkter Vorteile besteht nach Steinberg zwischen einer Spende und einem Kauf kein Unterschied, und die Kriterien einer Gewinnmaximierung durch ein fundraising-Programm sind mit jenen einer Gewinnmaximierung durch Produktion und Marketing identisch (Steinberg 1987: 121f.). Warum haben Nonprofit-Organisationen und unsere Organisationen der Kunst keine Eigentümer, die mit ihnen Gewinne erwirtschaften wollen? Weil das die beschränkte Nachfrage an den Märkten angesichts der Kostenstrukturen nicht zulässt, lautet eine Antwort: Es gibt für Oper und Kunstkonzert, wie sie heute an festen Häusern angeboten werden, nicht genügend Zuhörer und Zuschauer, auf die sich die Kosten so verteilen ließen, dass am Ende ein Gewinn übrig bliebe. Ein weiterer Grund liegt in der Geschichte, im evolutionären Pfad dieser Organisationen, die bis heute ihre Organisationskultur und ihr Entwicklungspotenzial beeinflusst. Nonprofit-Organisationen haben sich in Bereichen außerhalb des (historisch jüngeren) privaten Unternehmertums und kompetitiver Märkte entwickelt: im Bereich der feudalstaatlichen Repräsentation152 und im Bereich kirchlicher Wohlfahrts-, Bildungs- und Sozialpflege. Der prägende Einfluss auf die Handlungs- und Legitimationsroutinen dieser Organisationen ging weniger von

152 Vgl. Roland Vaubel (2005): The Role of Competition in the Rise of Baroque and Renaissance Music, p. 277.

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einer »Eigenlogik der Kunst« aus – diese trat als radikale Position erst später ins Feld – als von den Bedingungen höfisch oder kirchlich beherrschter Bereiche des gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Am Beispiel Großbritanniens hat James Douglas gezeigt, wie sich Organisationen in den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Künste und Wohlfahrt historisch im Rechtsbereich der Kirche gebildet haben. Erst nach der Reformation, Anfang des 17. Jahrhunderts, fielen sie unter die Rechtsprechung des weltlichen Staates, wobei sie einen Sonderstatus als Nichtregierungs-Organisationen erhielten, der die Vorstellungen über gemeinnützige Organisationen bis in die Gegenwart prägt.153 Ihre Herkunft aus gemeinschaftlichen und nicht privatwirtschaftlichen Handlungszusammenhängen beeinflusst die Arbeits- und Sozialformen kultureller Nonprofit-Organisationen bis heute. Bourdieu macht das explizit, wenn er sagt, vor allem in den Bereichen der anti-ökonomischen Ökonomie des kulturellen Feldes, also im Bereich der Kunst im emphatischen Sinn, gebe es eine Klasse von Praktiken, in denen die Logik der vorkapitalistischen Ökonomie überlebe, ähnlich dem früheren (Aus-) Tausch zwischen Familienmitgliedern und Generationen (im Sinn des »ganzen Hauses«, des oikos) sowie allen Verhältnissen der philia.154 Dass auch das Publikum jener production pure zunächst vorwiegend aus Insidern und Spezialisten, oft aus ihren eigenen Produzenten besteht, kann man auf der Ebene der Sozialformen als weiteren Beleg für die Gemeinschaftsorientierung dieser Ökonomie sehen.155 Aus einer eher systematischen Perspektive bemerken Nelson und Winter, ein Auszeichnungsmerkmal nicht kommerziell-marktorientierter Unternehmungen (nonmarket sector) sei es, dass die Trennung der Interessen zwischen Firmen und Kunden – etwa zwischen einer Universität und ihren Studenten – weniger scharf ausfällt als im Bereich kommerzieller Märkte (1982: 269). Gassler und Grace definieren Kunst generell als »quasi group-consumption good« (1980: 23f.); Throsbys Vorschlag, der ökonomische Impuls sei individualistisch, der kulturelle kollektiv (2001: 13), wurde sogar zum Axiom erhoben. Der Verdacht drängt sich zwar auf, das kollektive Moment an den Künsten und ihrer Konsumption werde hier im Vergleich zu anderen, weniger offenkundig symboltragenden Gütern übertrieben, weil es nicht opportun ist, über egoistische Antriebe in der Kultur zu sprechen und weil die Mainstream-Ökonomik die Bedeutung kollektiver Akteure für wirtschaftliche Entscheidungen systematisch unter-

153 James Douglas (1987): Political Theories of Nonprofit Organization, p. 43. Zur gemeinnützigen Bereitstellung öffentlicher Güter siehe auch Dees 1998: 56. 154 Bourdieu 1992: 247. 155 Ebd., p. 203f.

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schätzt;156 im Grund wird hier die Hypostasierung der Kunst als das Andere der Welt wirtschaftlicher Zwecke von Seiten der Ökonomik wiederholt. Dennoch lässt sich sagen, dass kulturelle Güter und Dienste im Bereich des Sozialen relevante Bedeutungsebenen und Funktionen haben, die über diejenigen privater Güter, wie sie üblicherweise auf Märkten gehandelt werden, hinausreichen können. 5.2 Gut für alle, nicht für jeden. Was Kulturorganisationen herstellen Im Zusammenhang einer Funktionsbestimmung der Kulturorganisation ist auch der vielfach behauptete »nicht-utilitaristische«, »nicht-materielle«, »erfahrungszentrierte« Charakter kultureller Güter und Dienstleistungen zu klären. Lampel, Lant und Shamsie zum Beispiel tragen sowohl eine ältere Definition Paul Hirschs als auch einen Gemeinplatz weiter, wenn sie über kulturelle Güter sagen, sie dienten mehr einem ästhetischen oder expressiven Zweck als einem Gebrauchszweck und gewännen ihren Wert aus subjektiven Erfahrungen.157 Die Definition kultureller Güter als Erfahrungsgüter bildet nach Ansicht der Autoren sogar den notwendigen Ausgangspunkt einer Bestimmung der Kulturwirtschaft, im Unterschied, ja Gegensatz zu den durch Gebrauchsgüter geprägten »Industrien«, die den Gegenstand der Standard-Ökonomik darstellen. Die Frage ist zweifellos interessant, ob kulturelle Güter wirklich eine Welt für sich bilden oder ob sich nicht auch über eine Reihe von Konsum- und Gebrauchsgütern wie etwa Automobile oder Mobiltelefone sagen ließe, ihr Wert konstituiere sich – unter anderem – durch subjektive ästhetische Erfahrung und durch eine kollektive Attribution nichtmaterieller Eigenschaften. Es führt von dieser Frage auch ein Weg in die Debatte um den Wert kultureller Güter und Angebote.158 Insofern die Bestimmung der Natur kultureller Güter mit der aktuellen Rückbesinnung auf ihre intrinsischen Werte verbunden ist, gegenüber eher instrumentellen, wie sie die kulturpolitische Debatte prägen, wird das Thema auch im Kapitel über die institutionellen Erwartungen an staatlich unterhaltene Organisationen der Musikproduktion noch einmal zu diskutieren sein.

156 Zur Kritik des methodischen Individualismus in der neoklassischen Ökonomik siehe Amartya Sen (1977): Rational Fools – A Critique of the Behavioral Foundations of Economic Theory. 157 Joseph Lampel/Theresa Lant/Jamal Shamsie (2000): Balancing Act – Learning from Organizing Practices in Cultural Industries, p. 263f. 158 Siehe etwa David Throsbys »Economics and Culture« (2001), das dem Thema value ein Kapitel widmet (p. 19ff.).

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Zu den entscheidenden Gründen, warum Nonprofit-Organisationen wie unsere Organisationen der Kunst anders als privatwirtschaftlich verfasst sind, gehört, dass sie Güter und Leistungen bereitstellen, die einen öffentlichen, kollektiven, sozialen, gemeinschaftlichen oder gemeinnützige Charakter haben. Jennifer Kuan hat an den darstellenden Künsten die These entfaltet, Nonprofit-Organisationen entstünden dann, wenn sich Verbraucher an der Produktion nichtrivalisierender Güter für den eigenen Gebrauch beteiligten. 159 Dies präzisiert eine verbreitete Ansicht, nach der sich der Sektor der Nonprofit-Organisationen vorwiegend mit der gemeinschaftlichen Produktion und Bereitstellung öffentlicher Güter beschäftigt – in Ergänzung, zum Teil auch in Konkurrenz zur Bereitstellung solcher Güter durch den Staat. Finanziert wird diese Produktion in wechselnden Verhältnissen durch Regierungen, private Geldgeber und durch Einnahmen aus dem Verkauf dieser Güter. Die weitläufige Diskussion, ob diese durch Nonprofit-Organisationen bereitgestellten Güter öffentlich, kollektiv, sozial, gemeinschaftlich oder gemeinnützig genannt werden sollten, häufig mit sich überschneidenden Definitionen, kann im Rahmen dieses Buches nur angedeutet werden. Danach sind öffentliche Güter privaten entgegengesetzt. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften sind sie dadurch gekennzeichnet, dass es nicht mehr kostet, das Gut vielen Personen zur Verfügung zu stellen als nur einer, und dass der Gebrauch des Gutes durch eine Person dessen Verfügbarkeit für andere nicht beeinträchtigt (das ist mit »nichtrivalisierend« gemeint). Da es keine privaten Verfügungsrechte an öffentlichen Gütern gibt, kann der Gebrauch durch andere nicht verhindert werden. Öffentliche Güter werden daher auch als universell und nicht-teilbar definiert. 160 Hansmann (1987: 29) nennt – offenkundig in Anlehnung an Musgrave – als Beispiele die »Bereitstellung« unverschmutzter Luft durch staatliche Auflagen und Kontrollen, militärische Verteidigungseinrichtungen und den öffentlichen Rundfunk. Öffentliche Güter im vollen Sinn werden in der Regel durch den Staat zur Verfügung gestellt. In den Worten Keynes’: »The most important Agenda of the State relates not to those activities which private individuals are already fulfilling, but to those functions which fall outside the sphere of the individual, to those decisions which are made by no one, if the State does not make them.«161

159 Jennifer Kuan (2001): The Phantom Profits of the Opera: Nonprofit Ownerships in the Arts as a Make-Buy Decision, p. 507. 160 Vgl. Patricia Hughes/William Luksetich (2004): Nonprofit Arts Organizations: Do Funding Sources Influence Spending Patterns?, p. 204, und Lohmann 1992: 319. 161 John Maynard Keynes (1972): Collected Writings 9, p. 288. Zitiert nach Heilbrun (1984): Keynes and the Economics of the Arts, p. 41.

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Nichtstaatliche oder – wie im Fall unserer Kulturorganisationen – begrenzt staatlich kontrollierte Organisationen werden dann aktiv, wenn bestimmte Arten öffentlicher Güter über die Bedürfnisse des durchschnittlichen Bürgers hinausgehen, wenn es einen residualen Bedarf gibt, der weder unmittelbar durch den Staat noch vom Markt befriedigt wird.162 Anders gesagt, wird durch eine Kombination von öffentlicher und nicht profitorientierter Bereitstellung kultureller Leistungen den Interessen breiterer Gesellschaftskreise Rechnung getragen, als das privaten Unternehmungen allein möglich wäre, und spezifischeren Gruppeninteressen, als sie der Staat in alleiniger Verantwortung bedienen dürfte. 163 Im Fall der deutschsprachigen Länder wird die Arbeit der Konzerthäuser und Sinfonieorchester ergänzt oder komplementiert durch vereinsmäßig verfasste Organisationen öffentlicher Musikpflege und durch Organisationen meist weniger formaler Struktur in der Zwischenzone zwischen institutioneller Förderung und rein privater Initiative, die so genannte freie Szene, die durch die öffentlichen Hände und durch gemeinnützige Stiftungen nach schwankenden Bedingungen Projektförderung erhält. Es ist dabei kein Zufall, dass diese »freie«, also weniger institutionalisierte und in ihren organisatorischen Strukturen flexible Szene meist weniger etablierte, stärker diverse kulturelle Präferenzen bedient und häufig den Bereich des »Experimentellen« kultiviert, den Bereich, in dem man unter Umständen von künstlerischer oder ästhetischer Innovation sprechen könnte. Das Verhältnis von freier Szene und den Institutionen der Kunst ist ambivalent. Auf der einen Seite besitzen die Akteure in den freien Szenen ein durch Anschauung genährtes Bewusstsein von den gerontologischen Folgen jeder Institutionalisierung. Andererseits stehen ihnen die Institutionen als Beispiele von Kulturorganisationen vor Augen, die eine bessere Position im Kampf um die Mittel der öffentlichen Hand erworben haben, sowohl was deren Höhe als auch was die Regelmäßigkeit ihres Fließens anbelangt. Zwar hört man oft, Flexibilität sei für Organisationen eine Tugend und bringe Vorteile am Markt. Faktisch aber genießen etablierte Kulturorganisationen einen Wettbewerbsvorteil, indem sie den Förderern, vor allem dem Staat und seinen Behörden, verlässlicher in ihren Leistungen und berechenbarer in ihrem Verhalten erscheinen als junge oder ad hoc gebildete Organisationen. Nach Krebs und Pommerehne wird die öffentliche Verwaltung immer etablierte Kulturinstitutionen fördern, und unter diesen solche, die sie am besten kontrollieren kann (1995: 21). DiMaggio bestätigt das, wenn er sagt, Organisationen, die von der dominierenden Form abweichen, neig-

162 Die Ansicht geht auf Burton Weisbrots »The Voluntary Nonprofit Sector« (1977) zurück. Hier ist sie zitiert nach Hansmann 1987: 29. 163 Vgl. Douglas 1987: 44f.

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ten dazu, klein und peripher zu bleiben. 164 Gleichzeitig entsteht den traditionellen Institutionen durch die freie Szene eine Konkurrenz, in der die jeweils Nachdrängenden die Etablierten dazu zwingen, klassisch zu werden oder deklassiert, wie es Bourdieu als dialectique de la distinction beschreibt.165 Die Bestimmung von Angeboten der Kunst als »quasi group-consumption good« durch Gassler und Grace (1980: 23f.) oder als kollektive, nicht aber öffentliche Güter durch Shanahan166 ist eine Möglichkeit, definitorisch mit ihren Eigenarten umzugehen. Der begriffliche Schritt vom Öffentlichen hin zur Gruppe weist in Richtung einer Theorie, die Bedingungen gesamtgesellschaftlicher Pluralität mit universalistischen Ansprüchen auf der Ebene bestimmter Gruppen vermitteln kann. Im Sinn einer solchen Theorie sollen die Angebote der staatlich unterhaltenen Kulturorganisationen hier als gemischte und als meritorische Güter bestimmt werden. Als gemischte Güter können sie gelten, weil sie Wert sowohl für den einzelnen Verbraucher als auch in Form positiver Externalitäten für die Gesellschaft schaffen; die Güter sind in bestimmten Hinsichten privat, in anderen öffentlich.167 Meritorisch sind die Güter und Dienste der Kunst insofern, als die Gesellschaft insgesamt (unterschieden von den Präferenzen der einzelnen Verbraucher) die Nachfrage nach ihnen anzuregen wünscht.168 Demnach werden Konzerte, Workshops und Tonträger als Privatgüter angeboten, in beschränkter Menge, also rivalisierend, und gegen Entgelt. Garantiert wird das Angebot durch den Staat. Dieser hält den gesellschaftlichen Nutzen der Kulturangebote für so bedeutend, dass er die naturwüchsig unzureichende Allokation der benötigten Mittel durch den Markt mit dem Geld der Steuerzahler korrigiert. Ökonomisch liegt dem die Einschätzung zu Grunde, Subjekte, die aus Eigennutz handeln, wären nicht in der Lage und (daher) auch nicht willens, Kulturangebote, die überdurchschnittliche Ansprüche an die Rezeptionsfähigkeit stellen, in der gewünschten Qualität und Menge und – durch die Gestaltung der Eintrittspreise – mit den gewünschten sozialen Effekten und Nachfragestrukturen auf den Markt zu bringen.169 Entsprechendes gilt für die Seite der Verbraucher.

164 DiMaggio 1987: 20. 165 Bourdieu 1992: 259ff. Zu den gerontologischen Folgen von Institutionalisierung in individualgeschichtlicher Hinsicht vgl. Adornos kleines Kapitel »Gezeichnet« in der Dialektik der Aufklärung (1969: 256). 166 James Shanahan (1978): The Consumption of Music – Integrating Aesthetics and Economics, p. 18. 167 Richard und Peggy Musgrave (1984): Public Finance in Theory and Practice, p. 209. 168 Ebd., p. 78. Vgl. auch Throsby 2001: 23ff. 169 Zum Thema des vom Staat gewünschten discriminatory pricing s. Peacock 1978: 8.

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Grampp (1989: 115) weist darauf hin, dass Menschen den Künsten mehr Wert zusprechen, wenn sie nach ihrer Meinung zu ihnen befragt werden, und weniger Wert zumessen, wenn sie dafür Geld geben sollen.170 Sowohl in Hinsicht auf die Angebots- als auch auf die Nachfrageseite spricht die Ökonomik hier von Marktversagen, dessen Korrektur nach verbreiteter Ansicht der Staat zu seiner Sache machen soll. In einer Formulierung Edwin Wests ist zumindest ein Teil der staatlichen Unterstützung der Künste darauf gerichtet, die Macht der Nachfrage auf dem Markt gegenüber dem Inhalt künstlerischer Aktivitäten zu verringern; idealerweise führe das mit der Zeit zu einer Bildung (improvement) des Geschmacks der Verbraucher und in der Folge zu einer Erhöhung der Nachfrage.171 In seiner Definition der Kulturorganisationen als »Sinnorganisationen«, die eine »gesellschaftliche Aufgabe, einen öffentlichen oder selbstgesetzten Auftrag haben«, verbindet daher Tröndle die Dimension der meritorischen Güter unmittelbar mit der Erwartung einer Finanzierung durch den Staat, indem er anschließt: »Darin besteht ihre Zuwendungslegitimierung« (Tröndle 2006: 231). Diese Haltung bestätigt Jean-Pierre Guillard aus der Perspektive eines traditionell paternalistischen europäischen Kulturstaates, wenn er sagt, die Ziele des Orchestre de Paris (dessen Manager Guillard gewesen ist) hätten nichts damit zu tun, Geld zu verdienen oder so wenig wie möglich davon zu verlieren. Gedacht sei das Orchester als öffentlicher Dienst, der möglichst breiten Kreisen Zugang zur Musik verschaffen und im Ausland für das Prestige französischer Musik eintreten solle. 172 Kategorisch wird auch im Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Kultur in Deutschland« erklärt, die Förderung der kulturellen Ausdrucks- und Präsentationsformen, die sich am Markt nicht »verkaufen« und Erwartungen an einen »vermeintlichen Massengeschmack« nicht entsprechen, gehöre zu den Kernaufgaben der öffentlichen Kulturpolitik: »Nur mit öffentli-

170 Was der angemessene Preis für kulturelle Güter und Dienstleistungen sei und wie er bestimmt werden kann, ist allerdings eine komplexe und kaum definitiv zu beantwortende Frage. Auf der Seite des Verbrauchers gibt es ein Informationsproblem, weil er eigentlich erst nach dem Verbrauch weiß, was das (Erfahrungs-) Gut für ihn wert gewesen ist (vgl. Caves 2000: 179; Choi et al. 2007: 313f.). Marta Zieba hat in »Full-Income and Price Elasticities of Demand for German Public Theatre« (2009) eine komplexe Präferenzfunktion erstellt, in der auch Preisvariablen für Freizeit und für Substitute eine Rolle spielen (p. 93ff.). Und schließlich bleiben positive gesellschaftliche Wirkungen von Kunst und Kultur bei einer Bestimmung des Preises als Privatgut ausgeschlossen (Throsby 2001: 13). 171 Edwin West (1987): Nonprofit vs. Profit Firms in the Performing Arts, p. 45. 172 Jean-Pierre Guillard (1985): The Symphony as a Public Service, p. 35f.

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cher Unterstützung kann die Kultur einer problematischen Nivellierung kultureller Standards entgegenwirken und ihre Bedeutung als identitätsfördernder Faktor in einer demokratischen Gesellschaft erhalten. Kulturförderung ist nicht «Subvention». Sie dient der notwendigen Grundausstattung des demokratischen Gemeinwesens.« (2007: 43) 5.3 Kommerzialisierung und Identität: Der immerwährende Streit um die Ziele der Kulturorganisation Mit der Festlegung auf ein öffentlich gefördertes marktfernes Wirken ginge die Bestimmung der staatlich unterhaltenen Organisationen der Kulturproduktion fast vollständig in ihrer institutionellen Dimension auf. Nicht mehr die Beziehung von Angebot und Nachfrage, das Übertreffen der Konkurrenten, das Zusammenstellen eines attraktiven Programms, die Entwicklung von Märkten und die effiziente Transformation der Faktoren in Produkte wie Konzerte, Schülerworkshops und CDs erscheinen für die Arbeit und das Fortbestehen der Kulturorganisationen als konstitutiv, sondern ihre Funktion innerhalb einer überkommenen gesellschaftlichen Ordnung. Was in dieser Perspektive den Kulturorganisationen bis heute ihr Auskommen sichert, ist ihre angestammte Position in der von politischen Verteilungsströmen durchzogenen Kulturlandschaft. Dagegen denken Autoren wie Falk und Dierking die Kulturorganisation analog zu neueren Theorien der Unternehmung, die diese als soziales System in einer komplexen institutionellen Umgebung verstehen. Nach einer Pointe der beiden Autoren konvergieren die Anforderungen an Unternehmen und an Kulturorganisationen im Hinblick auf die Bereitstellung privater und öffentlicher Güter: Immer mehr würden profitorientierte Unternehmen danach bewertet, ob sie traditionelle Nonprofit-Kriterien wie sozial und ökologisch verantwortliches Verhalten erfüllten, während Nonprofit-Organisationen sich zunehmend Fragen nach ihrer finanziellen Performance stellen müssten (2008: 237). Aus der Definition der Unternehmung als soziale, institutionell vielfach interdependente Organisation heraus sind in den Managementwissenschaften mehrdimensionale interne Bilanzierungs- und Steuerungsmethoden entwickelt worden wie die Balanced Scorecard, denen sich Falk und Dierkings Vorschläge für eine Erfolgsbestimmung der Kulturorganisationen wohl verdanken. Der Grundgedanke der Balanced Scorecard ist uns bereits aus den ressourcenorientierten und Kompetenzbasierten Theorien bekannt. Er liegt darin, dass Firmen schwer imitierbare strategische Vorteile durch die Entwicklung ihres Wissens, ihres intellektuellen und kreativen Vermögens, der Motivation ihrer Belegschaft, der eingesetzten Informationstechnologie, innovativer Produkte, der Qualität ihrer Leistungen und

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nicht zuletzt durch die Entwicklung ihrer Beziehungen zu Kunden und Verbrauchern erlangen. Die Fragen, die nach der Balanced-Scorecard-Methode in aufsteigender Ordnung als Grundlage zu entwickelnder Messgrößen gestellt werden, betreffen Innovationsvermögen und interne Lernvorgänge, besondere produktive Kompetenzen der Organisation, die Beziehungen zu Kunden, und erst am Ende – gemäß der Maxime, Gewinne kämen zu spät, um als Größe zur Steuerung eines Unternehmens dienen zu können – die finanzielle Leistung.173 Je genauer man die Verflechtungen institutioneller Interessen und Erwartungen sowie die Abhängigkeiten von Ressourcenstellern ermittelt, desto mehr nähern sich die Modelle der Unternehmung und der Nonprofit-Kulturorganisation an. Victoria Alexander geht so weit zu sagen, zwischen technischen Ressourcen und institutionellen Ressourcen lasse sich theoretisch und empirisch kein Unterschied bestimmen, der zu einem gegenseitigen Ausschluss führte. Vielmehr ließen sich Ressourcen als Kontinuum zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten beschreiben – selbst das Geld in seinen Formen wie Kapital, Kredit, Profit, Einkommen und Aktien sei eine sozial konstruierte und institutionell legitimierte Ressource (1996: 831f.). Wie Holden oder Falk und Dierking geht auch Alexander davon aus, Kulturorganisationen seien hochgradig symbolische Institutionen, deren Ressourcen von ihrem Ruf und ihrem Ansehen abhängen. Man könnte daraus schließen, Verschiebungen in der Struktur der Finanzströme und damit verbunden der Motivation der Förderer müssten unmittelbar Veränderungen in der Arbeit der Kulturorganisationen bewirken. Doch weist das Alexander auf der Grundlage einer von ihr durchgeführten Studie als zu wenig komplex zurück. Alexander untersuchte mehr als 4000 Ausstellungen, die zwischen 1960 und 1986 in den USA veranstaltet wurden. Danach sind Kulturorganisationen gewiss daran interessiert, ihre Legitimität gegenüber ihrer institutionellen Umwelt zu erhalten oder möglichst noch zu steigern. Gleichzeitig versucht das Management, seine Autonomie zu bewahren oder ebenfalls zu vergrößern. Dies führt zu Strategien der Vermittlung innerhalb der Organisationen wie dem von Alexander so genannten Puffern und der Umwidmung von Ressourcen. Das Puffern gehört in den Kreis der Strategien zur Reduktion von Umweltabhängigkeiten, denen wir im Rahmen der Ressourcenabhängigkeits-Theorien schon begegnet sind. Im Fall der Organisationen der Kunst bedeutet es, dass diese ihre Kernfunktionen schützen, indem sie Veränderungen in Randbereichen zulassen. So ändern sich nach Alexander Formate von Ausstellungen – sie werden etwa »populärer« oder »unterhaltender« –, nicht aber deren Gegenstände

173 Vgl. Robert Kaplan (2003): Building Strategy-Focused Organizations with the Balanced Scorecard.

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(1996: 805f.). Kuratoren können »korrumpierte« Ausstellungen zulassen in der Hoffnung, traditionelle Funktionen ihres Museums wie Sammlung, Konservation und Forschung damit zu schützen und zu bewahren. Beobachten lässt sich nach Alexander auch, dass Museen Geld von Sponsoren und Förderern so verwenden, dass dadurch Mittel zur Finanzierung von Aktivitäten frei werden, deren Förderung weniger populär ist. Diese Art der Umschichtung erlaubt es der Kulturorganisation, aus ihrer Sicht ideale Angebote zu erhalten. Letztlich suchten die Museen ein Gleichgewicht oder einen Kompromiss zwischen »curational« und »managerial«, zwischen kunsthistorischen und konservatorischen Standards und einer gesteigerten Zugänglichkeit für breitere Publikumsschichten (1996: 831). Mit diesen Überlegungen wäre eine Theorie der Kulturorganisation als Unternehmung und Institution fast erreicht: Im Sinn einer Organisation, die Faktoren effektiv zur Herstellung privater und öffentlicher Güter einsetzt, die ihre Ziele und Strategien in Anpassung an vielfältige institutionelle Erwartungen, Zwänge, aber auch Angebote verfolgt, die zwischen ihren Zwecken und den Erwartungen ihrer Ressourcengeber sowie denen ihrer Publikumsgruppen einen Ausgleich schafft, und deren Wertschöpfung am Ende dem Gemeinwesen zugute kommt, das in dieser Hinsicht den Platz einnimmt, den in der Firma die Eigentümer besitzen. Alexanders Museum, das zwischen organisationaler Selbstbestimmung und institutioneller Außensteuerung vermittelt, das vermittelt zwischen den geschichtlich gewachsenen Anforderungen der Kunst und den aktuellen Erwartungen eines breiten Publikums, das zwischen den Anforderungen der fördernden Institutionen und den Selbstverwirklichungsansprüchen seiner Kuratoren und Manager vermittelt, das vermittelt zwischen der Produktion öffentlicher Güter und der Erwirtschaftung des zum Betrieb notwendigen Kapitals, dieses Museum als Ort einer an organisationalen und an gesellschaftlichen Zielen orientierten Vermittlung wäre das Modell einer öffentlich unterhaltenen Unternehmung der Kunst. »Vermittlung« bedeutet indessen nicht Neutralisierung. Der Vermittlungsprozess kann sich unter den Vorzeichen des Konflikts vollziehen; von einer effizient arbeitenden Organisation als Ausdruck einer neoklassisch-optimalen Produktionsfunktion sind Kulturorganisationen in einigen Fällen mehr, in anderen weniger weit entfernt. Mit ihrer Antinomie von »scholarly« und »managerial«, von gelehrt und wirtschaftlich, räumt Alexander die Möglichkeit eines strukturellen Konflikts ein, die Möglichkeit, dass die Verfolgung der einen Ziele auf Kosten der anderen geschieht. Den historisch gewachsenen Maßstäben der Kunst und ihrer Metiers genügen zu wollen, bedeutet, Differenzen zu produzieren und zu vertiefen, um auf diese Weise Sinn zu generieren, und das wiederum bedeutet

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die Schaffung fragmentierter Märkte, die kommerziell kaum rentabel sind. Umgekehrt fordert konventionelle Wirtschaftlichkeit die Entfernung von Differenzen, die Verschleifung von Grenzen zwischen Marktsegmenten, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen – solange jedenfalls, bis durch Innovation möglicherweise eine neue Differenz geschaffen wird, die Ansprüchen der Kunst gerecht werden kann und gleichzeitig breite Publikumskreise interessiert. Grundsätzlich haben Kulturorganisationen mit dem institutionellen Charakter des Geldes zu rechnen, damit also, dass Forderungen nach mehr Wirtschaftlichkeit, nach breiter gestreuten, möglichst privaten Finanzquellen, nach höheren Eigeneinnahmen auch neue Zielgruppen, neue Verkaufsargumente, eine neue Sprache, neue Arbeitstechniken, neue Vorstellungen von den anzubietenden Diensten und Gütern und damit vom Charakter der Organisation mit sich bringen. Wo die Chancen einer »Managerialisierung« von Nonprofit-Organisationen liegen, hat Gregory Dees, einer der einflussreichsten Autoren der Sozialen Unternehmung, 1998 in »Enterprising Nonprofits« beschrieben. Danach können Effizienz- und Innovationsgewinne erwachsen aus dem Vertrauen auf die Kräfte des Wettbewerbs, aus der bisweilen größeren Verlässlichkeit von auf dem Markt gewonnenen Mitteln gegenüber befristeten Projektförderungen, aus dem Autonomiegewinn durch diversifizierte Einkommensquellen, aus der legitimatorischen Kraft selbst verdienten Geldes. Dees verschweigt aber auch nicht, dass Qualifikationen wirtschaftlichen Managements in Nonprofit-Organisationen oftmals fehlen, sogar suspekt oder anrüchig sind, dass die Ausrichtung an marktwirtschaftlichen Maßstäben einen Wandel der Organisationskultur mit sich bringt und zu kulturellen Konflikten innerhalb der Organisation führen kann. Viel ist über das Thema bisher nicht geforscht worden, fast gar nicht im Bereich der Kultur. Zwei Fallstudien seien hier aber angeführt, die kulturelle Veränderungen in der Nonprofit-Organisation beschreiben, Gewinn und Kosten einer Modernisierung, die Vorstellungen einer kommerziellen Wirtschaftlichkeit durchsetzt, und die Folgen institutionell heteronomer Innovation. Die eine Studie kommt aus dem Feld sozialer Dienste: Raymond Darts »Being ›Business-Like‹ in a Nonprofit Organization« (2004). Die andere stammt aus der Welt der Kultur: »Business Planning as Pedagogy – Language and Control in a Changing Institutional Field« von Leslie Oakes, Barbara Townley und David Cooper (1998). Darts »Being ›Business-Like‹ in a Nonprofit Organization« untersucht den Prozess, in dem sich ein kanadischer Sozialdienst wirtschaftlich und unternehmerisch neu konstituiert. Die Organisation mit einem Jahresbudget von einer Million Kanadischer Dollar (ca. 760.000 Euro), größtenteils, jedoch mit stark abnehmender Tendenz vom Staat bereitgestellt, bot traditionell Beratungs- und Hilfsdienste für Menschen in Notsituationen und aus ärmeren Schichten an –

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Lebensberatung, Gesundheitsberatung, Beratung bei Drogenproblemen, Familienberatung, Schuldnerberatung. Diese Dienste erhielten durch die Neuausrichtung eine zum Teil wesentlich veränderte Konfiguration. Nonprofit-Organisationen sind für Dart durch ihre Orientierung an sozialen und voluntaristischen Werten und Zielen definiert. »Business-Like« zu sein, bedeutet dagegen die Verfolgung des Ziels, Markteinkommen, Überschüsse oder Gewinne zu erwirtschaften (p. 297), weiterhin den Gebrauch wirtschaftstypischer Denkmodelle sowie Organisations- und Managementtechniken, Geschäftsplanung, Orientierung an Märkten, marktorientierte Innovation, gesteigerte Effizienz, reduzierte Kosten. Unterschiede zwischen den beiden Ausrichtungen gibt es also in Hinsicht auf Ziele und Motive, in einigen Fällen auch auf die angewandten Mittel (p. 293f.). Seine Analyse des Transformationsprozesses nimmt Dart auf der Grundlage des Handelns, der Sprechpraxis und des Selbstverständnisses der Organisationsmitglieder vor. Dabei unterscheidet er vier Dimensionen der Business-Orientierung: wirtschaftsorientierte Ziele, wirtschaftsförmige Leistungserbringung, wirtschaftsorientiertes Management und wirtschaftsförmige Rhetorik. Wirtschaftsorientierte Ziele sind mit der Erzielung von Markteinkommen, Überschüssen oder Gewinnen umschrieben; im untersuchten Fall wurden sie von der Organisation mit der Knappheit der verfügbaren Ressourcen begründet. Durch die erwirtschafteten Überschüsse sollten vor allem die als unangemessen niedrig empfundenen Gehälter der Mitarbeiter erhöht werden. Die Leistungen der Organisation und ihre Erbringung erfuhren durch die Neuausrichtung erhebliche Veränderungen. Bis zur Umstrukturierung um das Jahr 1998 war die Leistungserbringung durch langfristige Prozesse, geringe Spezialisierung der Tätigkeiten, geringe Fallzahlen und eine intensive Fürsorge für einzelne Klienten geprägt. Es gab lange Wartelisten; wer als Klient angenommen war, befand sich lange in Behandlung bzw. in Beratung nach dem Modell psychoanalytischer Sitzungen. Wirtschaftsförmig wurde die Leistungserbringung durch die Umstellung auf einen schnelleren und in der Folge höheren Durchsatz der Klienten, durch einen weniger persönlich und stärker verhaltenstherapeutisch geprägten Beratungsstil, durch standardisierte Leistungen und durch den Ausschluss betreuungsintensiver Fälle. Klienten, denen durch die neue Art der Leistungen geholfen werden konnte, wurden schneller und in größerer Zahl versorgt – in diesem Bereich wurde die Arbeit der Organisation effektiver. Den Preis für diesen Effektivitätsgewinn zahlten die schwierigen und arbeitsaufwändigen Fälle, die faktisch von der Versorgung ausgeschlossen wurden (p. 297ff.). Auf der Ebene des organisationalen Sprechens bringt der Versuch, business like zu werden, eine Rhetorik hervor, die ein Eigenleben jenseits der faktischen Transformationen führt. Dart spricht davon, die Business-Rhetorik sei zwar ex-

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tensiv verwendet worden, dabei aber »bemerkenswert dünn« in dem Sinn, dass ihr eine Verbindung zu Entscheidungen und Taten fehle (p. 307). Man könnte auch sagen: Die Business-Rhetorik ist ein Ausdruck des institutionellen Charakters der organisationalen Transformation im Sinn einer sprachlichen Isomorphie, die zumindest nach außen legitimatorisch wirkt. Dart deutet die Rhetorik als Beleg für die soziale Konstruiertheit der angestrebten Business-Förmigkeit. Aus seinen Beobachtungen folgert der Autor, wirtschaftsförmige Aktivität bedeute – anders, als es die Forschung zumeist annehme – kein einheitliches Konzept, sondern ein Gemisch (cluster) voneinander unterschiedener und unabhängiger Phänomene (p. 308). Das Beispiel zeige, dass kommerzielle und nichtkommerzielle Ziele innerhalb unbestimmter Grenzen durchaus vereinbar seien – im untersuchten Fall ist es gelungen, mit sozialen Diensten Einkommen zu generieren. Die Neuausrichtung sei unter Beibehaltung sozialer Ziele erfolgt. Allerdings führte sie zu einer tiefgreifenden Umgestaltung des Angebots, ohne dass dies ursprünglich ein Ziel gewesen wäre: Waren die Dienste vor der Neuausrichtung auf grundlegende Bedürfnisse der Klienten hin ausgerichtet, so orientierten sie sich nun am Kriterium der Steigerung der Quantität, in einem enger gewordenen Sinn auch der Qualität. Nach Ansicht Darts gäbe diese nicht intentionale Verschiebung der organisationalen Ziele (mission drift), namentlich der Ausschluss der bedürftigsten Klientel, mit Blick auf das »zentrale Ethos« sozialer Nonprofit-Organisationen Anlass zu einer kontroversen Diskussion (p. 305). Zu einem noch ausgeprägter ambivalenten Urteil kommen Leslie Oakes, Barbara Townley und David Cooper in »Business Planning as Pedagogy – Language and Control in a Changing Institutional Field« (1998). Die Studie stellt eines der seltenen Beispiele für eine Längsschnittuntersuchung eines Transformationsprozesses im Bereich kultureller Organisationen dar. Sie beschreibt und analysiert die Einführung von Techniken ökonomisch geprägter Geschäftsplanung (business planning) in der Cultural Facilities and Historical Resources Division, einem Fachbereich der Regierung der kanadischen Provinz Alberta in den Jahren 1993 bis 1995. Der Fachbereich ist zuständig für 18 kulturelle Einrichtungen, eingeschlossen die Archive der Provinz, eine Unesco-Welterbestätte zur Geschichte der Blackfoot-Indianer, einige »große Museen« und einige kleinere Einrichtungen zu Themen wie historischer Pelzhandel, Einwanderersiedlungen, Ölsand sowie regionalhistorische Denkmäler. Zusätzlich befasst er sich mit geschichtswissenschaftlicher und archäologischer Forschung sowie kultureller Bildung (p. 258). Die Studie gebraucht eine diskursanalytisch geprägte Methodik und fußt in großen Teilen auf Bourdieus Theorie des Feldes sowie des kulturellen, sozialen, symbolischen und politischen Kapitals.

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Die Methoden des business planning wurden durch die Provinzregierung nicht spezifisch für den Kulturbereich eingeführt, sondern allgemein, um das finanzielle Defizit der Provinz zu verringern, als Methode der Ausgabenkontrolle und der Steigerung der Rechenschaftslegung (accountability). Was den Bereich der Kultur anbelangt, so führten diese Planungsmethoden eine Sprache und Sprechregeln ein, die dort bis dahin fremd gewesen waren. Traditionell wurde in den Kulturinstitutionen Rechenschaft durch Urteile und Evaluationen von Akteuren aus dem gleichen Feld abgelegt – durch Fachleute aus den Bereichen Museum, Geschichtswissenschaft und Archäologie, und damit wurde das kulturelle Kapital des Feldes vermehrt. Dies änderte sich der Studie zufolge grundlegend mit der Einführung der Geschäftsplanungsprozesse. Nun sollte Rechenschaft gegenüber Organisationen der Umwelt hergestellt werden nach Kriterien, die das Feld als fremd und äußerlich empfand. Vor der Einführung der Planungsmethoden hatten die Museen ihre Aufgaben in der Konservierung von Denkmälern, in der Vertiefung des Wissens und der Schaffung von Zugang zu beidem gesehen, im Bewahren, Studieren und Kommunizieren, wie die Autoren sagen (p. 267). Alle diese Aufgaben beziehen sich auf eine Verantwortung gegenüber dem Objekt, Artefakt, Kunstwerk, von diesem ausgehend bilden sie ein Kontinuum von Sammlungen, Forschung und Interpretation. Dass ein Publikum davon tatsächlich Kenntnis nehme, stand nicht im Mittelpunkt der Aufgaben. Mit der Einführung des business planning änderten sich die Prioritäten. Nun wurden alle Regierungsbehörden dazu verpflichtet, Dreijahrespläne zu erstellen sowie Ziele, sichtbare Ergebnisse und messbare Erfolgskriterien zu entwickeln und anzugeben. Damit stand nicht mehr das Artefakt im Mittelpunkt, verpflichtend wurden vielmehr Konzepte wie »Produkte«, die »Generierung von Einkommen«, »Konsumenten«. Im Lauf der Untersuchung gaben die Leiter der Einrichtungen zunehmend zu verstehen, ihre Organisationen hätten nur durch die Artikulation von Missionen, Zwecken, Zielen und Strategien im Rahmen der Geschäftsplanung eine Chance auf institutionellen Erfolg. Aus der Sicht des business planning war Erfolg definiert als Herstellung erfolgreicher Produkte und als deren erfolgreiche Vermarktung an »Museumskunden«. Erfolgsnachweise waren nach den Maßgaben der vereinbarten Ziele beizubringen. In der Praxis stellten sich die Manager die Frage, wie sie ihre Ausstellungen auffälliger, greller (more flashy), interaktiver und zugänglicher namentlich für jüngere und weniger wohlhabende Gruppen machen könnten (p. 283). In zunehmendem Maß wurde die Arbeit der Einrichtungen nach ihrem Wert am Markt bewertet, nach ihrer Attraktivität für ein breites Publikum. Von der Bewertung einer Einrichtung aber hängen die künftigen Ressourcenflüsse vonseiten der Regierung ab.

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Die Relevanz der Regeln der künstlerischen und historischen Metiers, so urteilen die Autoren der Studie, sei durch das business planning außer Kraft gesetzt worden (p. 277f.). Die traditionellen Kernaktivitäten eines Museums bildeten nicht länger eine Quelle kulturellen oder sozialen Kapitals. Das Handlungsinteresse habe nicht länger in der Bewahrung oder Schöpfung kulturellen Kapitals gelegen, sondern zielte darauf, innerhalb kurzer Zeit alle vorliegenden Formen in ökonomisches Kapital zu verwandeln. Daher erinnere das Feld in seiner rekonfigurierten Form in vielem an Bourdieus Feld der kommerziellen Kultur-Ökonomie oder noch schärfer gesagt: der Massenkultur mit ihren intuitiven Repräsentationen der Erwartungen eines möglichst breiten Publikums. Die Museen und historischen Stätten müssten nun mit Disneyland, örtlichen Festivals, Kinos und Videospielen konkurrieren und fänden sich in diesem weiten Feld als »sehr kleine Spieler« wieder. So ist für die Autoren in einer Art Umkehrung der ursprünglichen Werte nun die Fähigkeit, Eigeneinnahmen zu generieren, und sei ihr Anteil am Gesamtbudget auch klein, zu einer Quelle symbolischen Kapitals geworden (p. 279f.). Letztlich muss man in der Darstellung Oakes’, Townleys und Coopers wohl von einem Vorgang der Entmachtung sprechen. Verliert ein Feld symbolisches oder kulturelles Kapital, dann verliert es auch an Legitimität, an Autonomie, an der Autorität, eigene Kriterien für die Produktion und Evaluation organisationaler Identität, für Managementprozesse, Sammlungsgegenstände, Interpretationen und Botschaften zu setzen. Mit seinem Kapital verliert das Feld seine Fähigkeit, die eigenen Produkte, Zielgruppen und selbst die Märkte zu bestimmen, in denen sein Kapital gehandelt wird (p. 263). Wenn das Kapital eines Feldes aber erst einmal abzunehmen beginnt, dann setzt nach Meinung der Autoren ein beschleunigter Prozess der Kapitalflucht ein (p. 281). Wie ein solcher in der Kultur häufig pauschal als »Kommerzialisierung« beklagter Transformationsprozess funktioniert, was in einem solchen Fall Heteronomie, Macht und institutionelle, von der Umwelt erwünschte Anpassung bedeuten, das haben Oakes, Townley und Cooper auf der Ebene der Diskurse detailliert und mit großem Engagement beschrieben. Nach ihnen wird struktureller Wandel wie der beschriebene durch den Vorgang der Geschäftsplanung eingeleitet; nicht durch ein Machtwort, sondern durch die Einführung eines neuen Vokabulars mit Elementen wie »Einkommenserwirtschaftung«, »Produkt«, »Konsument«. Dabei wirkt business planning über drei Wege: Es fordert von den Organisationsmitgliedern Aufgeschlossenheit für Veränderungen, es bezieht sie operativ ein und vermittelt ihnen beim Vollziehen des Prozesses den Eindruck, sie gestalteten ihn. Und schließlich bringt es das Erlernen der neuen »offiziellen« Sprache mit sich, im Sinn rhetorischer Isomorphie, wie es im Beispiel der kanadischen Nonprofit-Sozialorganisation schon sichtbar wurde.

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Sowohl kognitiv als auch sozial wirkt business planning nach Ansicht der Autoren, indem es bestimmte Ideen als undenkbar definiert, als nicht businesslike, nicht effizient, kundenorientiert und gewinnbringend zum Beispiel, während es auf der anderen Seite eine Vision der Organisation als Unternehmung propagiert. So müsse sich Macht gar nicht des äußeren Zwangs bedienen, sondern könne durch die Rekonfiguration organisationaler Sprechweisen, Identitäten und Werte ausgeübt werden. Geschäftspläne werden verstanden als Repräsentationen rationaler Entscheidungsprozesse, ihre technische Anmutung lasse sie »neutral« und »normal« wirken und stelle damit zumindest den Schein der Legitimität her. Die Autoren sprechen von einem »Monopol legitimen Benennens« (p. 273), gegen das Widerstand zu leisten nun illegitim erscheine, dies umso mehr, als das Modell des ökonomisch ausgebildeten Managers und der entsprechenden Methoden von vielen heute als universal betrachtet werde. Bezeichnend für das insgesamt ambivalente Urteil der Studie ist das von Oakes, Townley und Cooper angeführte Zitat eines Leiters einer Kultureinrichtungen: »Wir empfinden den Verlust der traditionellen Stellung, des Images, der Ressourcenbasis, die Museen innerhalb der Gesellschaft besaßen«, sagt der Manager; »andererseits kommen jetzt viele Leute, um die Show zu sehen, die früher nie ins Museum gekommen wären.« (p. 283) In einigen Passagen erscheint das Urteil der Autoren aber nicht mehr ambivalent, sondern nur noch erschüttert. Das mag an der tatsächlichen Vernichtung kulturellen Kapitals durch das business planning liegen. Es kann aber auch eine Folge der diskursanalytischen Methode der Untersuchung sein, die der Wahrnehmung der befragten Manager und Fachleute mitten in dem Wandlungsprozess großen Einfluss einräumt und andere Perspektiven und Wahrnehmungen ausblendet. Interessant wäre es jedenfalls, der Analyse der diskursiven Aspekte eine Beschreibung der tatsächlichen Veränderungen zur Seite gestellt zu sehen sowie eine Einschätzung durch die Nutzer der Einrichtungen und durch die Öffentlichkeit. Auch die Bewertung könnte von einer Erweiterung der Perspektiven profitieren; immerhin ist es denkbar, dass durch die Interaktion mit jüngeren und weniger wohlhabenden Besuchern neues Sozialkapital entsteht. Ob die Auseinandersetzung mit den aus traditioneller Sicht wohl sachfremden Perspektiven jener Kundschaft nicht auch anregend auf den Diskurs von Kuratoren und Historikern wirken könnte, wäre ebenfalls eine Untersuchung wert. Den Anschein, die Kulturinstitutionen seien von den Zumutungen des business thinking überrollt worden, sollte man hinterfragen: Wenn der Bereich tatsächlich so schnell und

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widerstandslos »kolonialisiert« werden konnte,174 lag es vielleicht daran, dass er bereits zuvor an Reputation, Legitimität, symbolischem und politischem Kapital verloren hatte? Wäre das so, hätten die Kulturorganisationen Anpassungen unter Umständen nicht vorausblickend oder rechtzeitig vollzogen. Oakes, Townley und Cooper legen aber auch Wert auf die Feststellung, sie unterstützten nicht eine Nostalgie für ein goldenes Zeitalter der Museen. Einige Aspekte des Feldes beschränkter Produktion mögen auch nach ihrer Ansicht elitistisch und exklusiv sein, und es mag im beschriebenen Fall tatsächlich eine Notwendigkeit für die Einbeziehung einer größeren Öffentlichkeit gegeben haben (p. 287). Zu den Einsichten, die »Business Planning as Pedagogy« vermittelt, gehört auch, dass mit der Bestimmung der Kulturorganisation als Unternehmung und als Institution zwei zum Teil gegensätzliche, vielleicht widersprüchliche Optionen formuliert sind, die das Bewusstsein der Organisationsmitglieder prägen. Als Unternehmung bemächtigt sich die Kulturorganisation ihrer instrumentell veränderbaren Funktionsweisen und verfolgt explizite Handlungsziele, deren in naher oder jedenfalls überschaubarer Zukunft zu erzielende Ergebnisse überprüfbar sind. Kaum etwas ist universeller prüf- und vergleichbar als das finanzielle Kapital und seine Veränderungen. Als Institution dagegen lebt die Kulturorganisation in einer eigenen Welt, deren Horizonte weit in die Vergangenheit und in die Zukunft reichen; durch die konservierende, verstehende und deutende Arbeit an den Artefakten wird Vergangenheit vergegenwärtigt und gleichzeitig die Generierung von Sinn einer unbestimmten Dauer unternommen. Erreicht wird auf diese Weise ebenfalls etwas, aber die Ziele sind häufig nicht operationalisiert und die Ergebnisse alles andere als allgemein vergleichbar. Sie müssen es in der KulturInstitution nicht sein, denn diese sieht sich vor allem den Maßstäben und Werten des eigenen Systems verpflichtet, der Markt ist für sie traditionell keine entscheidende Kategorie. Innovation im Sinne einer Erzeugung, Aneignung und am Ende möglichst Erfolg auf einem Markt bringende Verwertung wertschöpferischer Neuheit hätte in einer solcherart definierten Institution nur wenig Sinn. Mit der bei Oakes, Townley und Cooper herausgearbeiteten Dichotomie scheint etwas Wesentliches in Hinsicht auf Optionen von Kulturorganisationen verstanden. Dennoch bleibt gerade mit Blick auf die von den Autoren herangezogene Theorie des organisationalen Feldes etwas zu relativieren. Bourdieus Di-

174 Oakes/Townley/Cooper 2008: 286. Die Autoren gebrauchen das Wort der Kolonialisierung, wo sie eine Parallele zwischen Kommerzialisierungsprozessen im Kulturbereich und im Gesundheitswesen ziehen. Im Deutschen wird das Wort von Habermas gegenüber Einflüssen von Wirtschaft und Politik auf die »Lebenswelt« ähnlich kritisch verwendet (Theorie des kommunikativen Handelns, 1981, Bd. II, p. 452).

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chotomien sind in der Tat analytisch, und das heißt: Die extremen Optionen eines Feldes sind konkret nicht zu beobachten.175 Vielmehr verkörpern die einzelnen Organisationen anteilig immer mehrere Optionen; deren Verhältnis manifestiert sich in der relativen Position der Organisationen zueinander und zu den analytischen Grenzpositionen des Feldes. Verschiedene Rationalitäten sind in jeder Kulturorganisation strukturell durch die Differenzierung der Rollen präsent, je nachdem ob eher künstlerische oder eher dramaturgische oder politische oder verwaltungstechnische Aufgaben zu erfüllen sind – schon allein deshalb wird man ein homogenes, eindeutiges Selbstbild einer Organisation kaum finden. Angesichts der immer vorhandenen Produktionsprozesse, Personalstrukturen, Ressourcenabhängigkeiten und operativen Ziele ist es im Übrigen ausgeschlossen, ein Museum, ein Theater, ein Konzerthaus ohne Rest als Institution zu bestimmen. Je genauer man die institutionellen Interessen und Erwartungen sowie die Abhängigkeiten von Ressourcenstellern ermittelt, so stellten wir fest, desto mehr nähern sich die Modelle der Unternehmung und der Kulturorganisation an. Mit dem aus Sicht des Kulturmanagements formulierten Gegensatz von Managementtechniken aus dem »geldbasierten Wirtschaftssystem« auf der einen Seite und »kulturspezifischen Entscheidungsinstrumenten« auf der anderen Seite ist daher eine Scheinalternative aufgestellt. Es ist wahr, und die zitierten Fallstudien beschreiben es, dass mit neuen Methoden des Managements neue Inhalte und fremde Werthierarchien in die Kulturorganisation gebracht werden können, manchmal wie in einem trojanischen Pferd. Autoren wie McCarthy et al., Reeves oder Oakes, Townley und Cooper haben gezeigt, wie Vorstellungen kommerzieller Unternehmensführung seit den 1990-er Jahren Eingang in die Praxis von Kulturorganisationen gefunden haben und traditionelle Praktiken unter einen Legitimierungsdruck setzen. Die kategorische Entgegensetzung von »geldbasiert« und »kulturspezifisch« jedoch ist falsch: Zum einen geht es bei vielen Methoden der Unternehmensführung nicht nur um Geld, sondern um Effektivität, um die Erreichung selbst gesetzter Ziele. Zum anderen ist das Kommerzielle bereits ein Konstituent des kulturellen Feldes selbst. Der Unterschied zwischen heteronom und »kulturspezifisch« liegt nicht in den Methoden rational-instrumenteller Zielverfolgung. Er liegt in den Zielen, die eine Organisation verfolgt. Die Kulturorganisation als instrumentell handelnde Unternehmung wirkt als Produzent privater und öffentlicher und meritorischer Güter. Angesichts der vielfältigen, teils widersprüchlichen institutionellen Bezüge sind Konflikte unvermeidlich. Sie auszuhandeln gehört zu den gesellschaftlichen Aufgaben der Kulturorganisation. Die Konflikte sind aber keine zwischen Zielen und Methoden,

175 Bourdieu 1992: »[...] deux limites qui ne sont, en fait, jamais atteintes.« (p. 235)

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als solche werden sie nur gerne ausgetragen. Tatsächlich sind es immer Konflikte zwischen Zielen: Zwischen der Bedienung eines Geschmacks der Vielen und den Ehrenkodizes der künstlerischen und wissenschaftlichen Metiers, zwischen Mitmach-Erfahrung und Kontemplation, zwischen bürgerlichen Repräsentationsbedürfnissen und sozialer Integration, etc. Diese Feststellung ebnet den Unterschied zwischen kommerziellen und Nonprofit-Organisationen in der Kultur nicht ein. Der Unterschied der Kulturinstitutionen zu ihren Profit-orientierten Konkurrenten liegt nur darin, dass die Profit-orientierte Organisation die Grenzen zwischen Marktsegmenten schleift, um ein breites Publikum zu erreichen, auf das sich die Kosten dann verteilen lassen. Die staatlich unterhaltene Kulturorganisation kann es sich dagegen noch immer leisten, ihre auch in der Wirtschaft entwickelten Instrumente auf die Erzeugung meritorischer Güter anzuwenden, ihre Publika nach deren Bedürfnissen und Distinktionsgewohnheiten zu segmentieren, ihre Produkte und Dienste zu differenzieren und dadurch fragmentierte, kleine, kommerziell unrentable Märkte zu entwickeln und zu bedienen.

6.

D IMENSIONEN STRATEGISCHEN H ANDELNS DER K ULTURORGANISATION

Wie verhält sich eine solche Kulturorganisation gegenüber den Herausforderungen ihrer Gegenwart? Wie vermittelt sie zwischen den vielfältigen und teilweise widersprüchlichen Anforderungen, um auch in der Zukunft bestehen zu können? Anhaltspunkte für eine Synthese der Perspektiven zu einem strategischen Konzept finden sich in einer Studie von Glenn Voss, Daniel Cable und Zannie Giraud Voss.176 Auf der Grundlage einer Untersuchung von 97 professionellen Nonprofit-Theatern in den USA gehen die Autoren der Frage nach, wie sich Beziehungen und Austauschverhältnisse der Kulturorganisationen mit ihrer Umwelt aus ihren organisationalen Werten erklären lassen. Sie nehmen dabei an, dass Organisationen versuchen, in komplexen Austauschverhältnissen und veränderlichen Bedingungen, die ihre Fähigkeiten zu rationaler Voraussicht und Entscheidung übersteigen, über Werte und deren Manifestationen die passenden Partner zu finden und Beziehungen zu anderen Organisationen, namentlich zu ihren Ressourcengebern zu entwickeln. Werte fungieren demnach als Mittel der Komplexitätsreduktion und als symbolische Grundlage von Kommunikation. Die Kausalkette, die Voss et al. auf der Grundlage dieser Annahme beschreiben,

176 Glenn Voss/Daniel Cable/Zannie Giraud Voss (2000): Linking Organizational Values to Relationships with External Constituents.

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beginnt auf der Ebene der Beziehungs-orientierten Einstellungen einer Organisation (relational attitudes), mit ihrer Wahrnehmung und Artikulation von Werten, die denen externer Austauschpartner ähnlich sind. Aus dieser Wahrnehmung gehen Entscheidungen zur Allokation von Mitteln hervor, die dazu dienen, Beziehungen zu externen Partnern aufzubauen und zu pflegen (relational behaviors). Im Erfolgsfall führt das zu den gewünschten und benötigten Ressourcenflüssen (relational outcomes). Im Prinzip beschreiben Voss et al. auf der Grundlage von Theorien der Ressourcen-Abhängigkeit den Vorgang der Institutionalisierung von Beziehungen zwischen Organisationen. Sie tun das in Weiterentwicklung kontingenztheoretischer Theorien, die davon ausgehen, dass Organisationen sich zweckmäßig an ihre Umwelt anpassen. Bevor die Autoren nach Werten suchen, leisten sie daher eine umfassende funktionale Bestimmung der relevanten Beziehungspartner in der Umwelt der Theater. Danach haben sich die Kulturorganisationen gegenüber Förderern (Regierungsbehörden, Stiftungen, Privatpersonen), Kunden (ihrem Publikum), Lieferanten (Schauspieler, Regisseure, Autoren etc.) und gegenüber der Öffentlichkeit oder der Gesellschaft (community, weitere Kulturorganisationen) zu verhalten. Man kann die Frage stellen, ob die Bestimmung von Werten in diesem analytischen Arrangement von wesentlicher Bedeutung sei und ob es sich wirklich um Werte handele oder nicht eher um Komplexe von Zielen und Präferenzen. Christensen und Raynor definieren Werte als Standards, nach denen Angestellte Entscheidungen über Prioritäten treffen, das würde eher die zweite Lesart stützen. 177 In unserem Zusammenhang entscheidend ist jedoch die Matrix organisationaler Handlungsfelder, die aus den Überlegungen der Autoren hervorgeht. Für Voss et al. sind die Handlungen der Kulturorganisationen durch fünf Kategorien von »Werten« bestimmt: Soziale, künstlerische, finanzielle, marktorientierte und leistungsorientierte.178 Nach unserer an Funktionen orientierten Lesart soll anstelle von »Werten« im Folgenden von Handlungsdimensionen die Rede sein. Die Kulturorganisation handelt also in den Dimensionen des Sozialen, des Künstlerischen, des Finanziellen, des Marktes und der Leistung. Diese Dimensionen schließen die an der Ressourcensicherung orientierte Gestaltung von Beziehungen mit der Umwelt ebenso ein wie die Produktion privater und öffentlicher Güter. Sie umfassen sämtliche operativen Aspekte der staatlich unterhaltenen Kulturorganisation als Unternehmung und als Institution.

177 Clayton Christensen/Michael Raynor (2003): The Innovator’s Solution: Creating and Sustaining Successful Growth, p. 185. 178 Ebd., p. 335ff.

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Innerhalb der sozialen Handlungsdimension versucht die Kulturorganisation, breiteren Schichten den Zugang zu den Künsten zu eröffnen, Verständnis und Interesse für ihre Sache zu wecken, etwa durch Education-Programme, durch Kooperationen mit Bildungs- und Sozialeinrichtungen, durch die Gestaltung ihrer Eintrittspreise. Über Voss et al. hinaus zählen wir auch Programme, die der Integration, der Inklusion sowie der Begegnung der Generationen dienen zu dieser sozialen Dimension. Die künstlerische Handlungsdimension umfasst Ziele wie die Schaffung neuer Werke, neuer Konzepte, neuer Interpretationen sowie die Erweiterung des Repertoires und der Ausdrucksmittel. In der Dimension des Finanziellen streben Kulturorganisationen nach Einkommen und mit ihm nach Stabilität und nach der Sicherung oder Erweiterung ihrer Handlungsspielräume. Die Ausweitung des Budgets ist in dieser Dimension ebenso denkbar wie die Diversifizierung der Einkommensquellen, die Steigerung der Eigeneinnahmen oder die Begrenzung der Personal- und Produktionskosten durch neue Organisationsformen. In der Dimension der Marktorientierung zielt die Kulturorganisation auf die Gewinnung von Kunden oder Publika, von Förderern und Unterstützern sowie auf deren Zufriedenstellung und Bindung. Dies tut sie etwa durch Werbung, durch die Ausgestaltung des Zuschauerraums, durch das Vorhalten von Parkplätzen, durch das Anbieten von Services rund um die künstlerische Leistungserbringung, durch die Gestaltung von Abonnement-Reihen und auch des Spielzeitprogramms. Die Leistungs-Dimension schließlich umfasst alle extrinsisch motivierten Bemühungen der Kulturorganisation um Anerkennung in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt – in unserem Fall etwa den Versuch eines Orchesters, diesseits der Frage nach künstlerischem Sinn in den Ruf der Exzellenz zu kommen. Auch das Engagement bekannter Namen, also als exzellent gehandelter künstlerischer Gäste, lässt sich in diesem Zusammenhang erklären. Offenkundig überschneiden sich die Handlungsdimensionen, und in einigen Fällen konkurrieren sie miteinander: Der Versuch, als exzellent zu gelten, kann auf Kosten künstlerischer Innovativität gehen, das Streben nach Kostenreduktion beschneidet nicht selten den Werbeetat, Aktionen mit Schulklassen können die Probenzeit reduzieren und so gleichermaßen auf Kosten von künstlerischen und leistungsorientierten Zielen gehen. In den Handlungsfeldern und in ihrer Differenzierung konkretisieren sich das Selbstverständnis der Organisation, ihre Ziele und Zwecke sowie ihre Verhältnisse zur organisationalen und institutionellen Umwelt. Alle Handlungsfelder enthalten Raum für Veränderungen, für Weiterentwicklungen, für Erneuerung, und aus Sicht der Ressourcensicherung auch die Notwendigkeit, etwas zu tun. Jede Veränderung in einem der Handlungsfelder verschiebt die Wettbewerbsposition der Organisation. Auf der Grundlage dieser Matrix ist es möglich, Inno-

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vation und innovatorisches Verhalten aus Zielen und Zwecken abzuleiten oder auf solche zu beziehen, gleichermaßen in Hinsicht auf die Ressourcensicherung wie auf das Publikum, auf den Markt für Faktoren (z.B. finanzielle Mittel) wie auf den Markt für künstlerisch geprägte private und öffentliche Güter oder Produkte.179 Jede der fünf Handlungsdimensionen repräsentiert eine Klasse historisch gewachsener, durch Pfadabhängigkeit in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschränkter, durch institutionelle Vorgaben beeinflusster, innerhalb dieser Grenzen instrumentell veränderbarer Kompetenzkomplexe und Funktionsweisen. Da überdies die Handlungsdimensionen in vielerlei Hinsicht voneinander abhängig sind, die Faktoren einen systemischen Zusammenhang bilden, lassen sich auch die Folgen einzelner Innovationen für das Selbstverständnis, für die Handlungsoptionen, für die Wettbewerbsposition, letztlich für die Existenzsicherung der Kulturorganisationen beschreiben, und in diesem Sinn ist in der Gestaltung der Handlungsfelder und ihres Zusammenhangs eine strategische Aufgabe gestellt.

179 Einen Markt gibt es für öffentliche Güter selbstverständlich nicht im privatwirtschaftlichen Sinn, wohl aber einen politischen Markt, auf dem die Produktion öffentlicher oder meritorischer Güter gegen eine Förderung aus Mitteln des Staates getauscht wird.

II. Innovation

Bewegen sich die Hoffnungen in der Ökonomie zwischen Subsistenz und Reichtum, so stellt »Innovation« eine Verheißung dar. Neue Konsumgüter, neue Produktionsmethoden, neue Transportverfahren, neue Märkte, neue Formen wirtschaftlicher Organisation verheißen der Wirtschaft Wachstum, dem Unternehmer Gewinn, und dem Verbraucher verheißen sie die tiefere Befriedigung seiner Bedürfnisse, den bestmöglichen Gegenwert für die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen. Religiöse Heilslehren und gesellschaftliche Utopien mögen in den industrialisierten Gesellschaften an Attraktivität verloren haben und als große Erzählungen ins Historische entschwinden, und mit ihnen Vorstellungen von einer fortschreitenden Menschheit oder Ideen einer künstlerischen Moderne. Doch Innovation als der seit Schumpeter »fundamentale Impuls, der den kapitalistischen Motor in Bewegung setzt und hält«,1 steht unangefochten da. Innovation ist ein Ziel unternehmerischer Anstrengung. Innovation befeuert die Forschung. Der Staat fördert Innovation. Die Vorgänge im Inneren des kapitalistischen Motors hat der britische Geograph und Kulturtheoretiker David Harvey beschrieben, auf der Suche nach den Prinzipien kulturellen Wandels unter den Bedingungen der Postmoderne. »Kapital« ist für ihn dabei keine Sache, sondern der Begriff umfasst den gesamten Prozess der Reproduktion sozialen Lebens durch die Produktion von Gütern, »in den wir alle in der entwickelten kapitalistischen Welt tief verwickelt sind. […] Dieser Prozess maskiert und fetischiert, er erzielt Wachstum durch kreative Zerstörung, er schafft neue Wünsche und Bedürfnisse, er nutzt die Kraft menschlicher Arbeit und des Begehrens, verwandelt Räume und beschleunigt das Tempo unserer Existenzen.«2 Das eigentlich dynamische Element lässt sich in Harveys

1

Schumpeter 1942: 82.

2

David Harvey (1990): The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change, p. 343.

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Konzeption kaum anders als früher schon für Schumpeter mit »Innovation« benennen. Hier entsteht jene Differenz zum Gebräuchlichen, Herkömmlichen, Gewohnten, Bekannten, Begriffenen, Bewährten, Durchschnittlichen, Eingeschliffenen, Normalen, auf die sich das Begehren von Erzeugern und Verbrauchern, von Anbietern und Nachfragern richtet und die das Begehren entfacht. Harvey verbindet den Innovationsbegriff mit jenem der Spekulation – der Spekulation in Form neuer Technologien, neuer Herstellungsprozesse, neuer Produkte, und der Spekulation auf höhere Profite. Das bringt nicht nur das kreative Prinzip des Kapitalismus auf einen Begriff, es verweist auch darauf, dass kapitalistische Prozesse Risiken bergen.3 Gleichwohl ist innovativ zu sein in aller Regel mit positivem Image beladen, wie George Downs und Lawrence Mohr bemerken: In dem gleichen Maß, in dem man von »sozialen Organismen« Effizienz erwarte, erwarte man von ihnen auch Innovativität.4 David Edgerton stellt fest, eine »revolutionäre, an der Zukunft orientierte Rhetorik« sei zur beherrschenden Art geworden, über Technologie zu sprechen.5 So muss, wer sich der Innovation verweigert oder wer sie verschläft, fürchten, den Anschluss zu verlieren. Wem umgekehrt erklärt wird, seine Zeit, Ära oder Epoche gehe zu Ende, dem verspricht Innovation die Möglichkeit des Fortbestehens. Wer an seinen Perspektiven zweifelt, dem verspricht Innovation, Zukunft lasse sich machen. Das lässt Innovation für unsere Organisationen der Kunst so interessant, vielleicht sogar verpflichtend erscheinen. Als Institutionen sind sie vergleichsweise alt, und sie legitimieren sich aus der Vergangenheit. Innovation brächte sie in den Strom des Begehrens, ins Leben zurück. Wo die Entstehung von Zukunft selbst berührt wird, das Leben der Wünsche, Hoffnungen, Bedürfnisse und der Anstrengung zu ihrer Erfüllung, da bleibt die Bestimmung eines Begriffs von »Innovation« so verlockend wie vermutlich unabschließbar. »Das Thema Innovation hat Massen an Forschung, Theorie, Spekulation und Wunschdenken angeregt«, schreibt John Kimberly 1981 in »Managerial Innovation«.6 Bereits 1976 hatten Downs und Mohr gewarnt, Innovationsforschung sei zum vielleicht größten Modethema in den Sozialwissenschaften geworden.7 Dabei war damals, wie man im Rückblick feststellen muss, Innova-

3

Ebd., p. 343.

4

George Downs/Lawrence Mohr (1976): Conceptual Issues in the Study of Innovation, p. 700.

5

David Edgerton (1999): From innovation to use: Ten eclectic theses on the historio-

6

John Kimberly (1981): Managerial Innovation, p. 84.

7

Downs/Mohr 1976: 700.

graphy of technology, p. 128.

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tionsforschung noch ein Randphänomen. Mary Crossan und Marina Apaydin beschreiben in ihrer 2010 veröffentlichten Meta-Analyse von knapp 11.000 wirtschaftswissenschaftlichen Artikeln zum Thema Innovation die exponentielle Zunahme der Forschungsliteratur in den letzten Jahrzehnten. Danach ist die Zahl der Veröffentlichungen im Bereich Business, Finanzökonomie und Management mit dem Thema »Innovation« im Titel um durchschnittlich 14 Prozent pro Jahr gewachsen, von rund 50 im Jahr 1981 auf mehr als 1000 im Jahr 2008.8 Die enorme Menge der Literatur geht mit einer breiten Streuung der Konzepte, Begriffe, Untersuchungsebenen, Forschungsperspektiven und Methoden einher. Was die Untersuchungsebenen anbelangt, wird Innovation in Bezug auf Individuen, Organisationen, Branchen, Märkte, Regionen, Länder, Wirtschaftssysteme erforscht. Jeder dieser Ebenen entsprechen andere Forschungsansätze: Psychologische Theorien etwa kommen auf der Ebene von Individuen oder Gruppen zur Anwendung, Ressourcen-orientierte und lerntheoretische Ansätze auf der Ebene von Firmen oder Organisationen; evolutionäre Theorien greifen auf der Ebene von Branchen oder Ökonomien.9 Crossan und Apaydin bedauern, als Hindernis für eine systematische Analyse der Literatur habe sich die ungenaue Verwendung des Begriffs erwiesen; in vielen Arbeiten werde »Innovation« als Ersatz für »Kreativität«, »Wissen« oder »Wandel« verwendet (p. 1155). Abgeschlossen ist die Liste semantischer und begrifflicher Überschneidungen damit nicht: So konstituieren auch »Anpassung«, »Erfindung«, »Entwicklung«, »Distinktion«, »Neuheit« oder »Erneuerung« das Bedeutungsfeld von Innovation. Wenn in der Einführung eines Forschungsberichts der britischen Regierung befürchtet wird, am Ende könnte »alles und jedes, was Unternehmen für ihr Überleben tun«, als Innovation gelten,10 ist damit noch immer nicht die gänzliche Auflösung begrifflicher Grenzen benannt, sondern im Blick auf die Anpassungsleistungen einzelner Organisationen wieder nur eine bestimmte Perspektive.

8

Crossan/Apaydin (2010): 1160. Die Vielfalt der Begriffe und Methoden wird von zahlreichen Autoren bemerkt. Crossan und Apaydin beklagen »the lack of a coherent and explicit theoretical base« (2010: 1164). Alice Lam bedauert: »The existing literature on organizational innovation is indeed very diverse and not well integrated into a coherent theoretical framework.« (Organizational Innovation, 2004, p. 3) Eine Chance sehen John Bryson und Christine Monnoyer in der Vielfalt: Die Definition von »Innovation« sei ebenso mit Problemen behaftet wie jene von »Service« und von »Wissen«. Man müsse sich aber klar machen, dass Diversität auch Vitalität bedeuten könne. (Understanding the relationship between services and innovation, 2004, p. 209).

9

Vgl. Crossan/Apaydin 2010: 1164.

10 Chris Voss/Leonieke Zomerdijk (2007): Innovation in Experiential Services, p.10.

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In seiner Erörterung der »innovativen Firma« kommt William Lazonick auf die enge Beziehung zwischen Innovations- und Lernprozessen zu sprechen, auf die Kontingenz, die nicht nur der Zukunft selbst, sondern auch deren Imaginierung und aktiver Gestaltung eigen ist. Der Innovationsprozess ist von Ungewissheit geprägt, sagt Lazonick, »weil das, was über die Umgestaltung von Technologien und den Zugang zu Märkten gelernt werden muss, nur aus dem Prozess selbst bekannt werden kann«.11 Aus einer lerntheoretischen Perspektive schreiben auch Modesto Maidique und Billie Jo Zirger, zu viele unkontrollierbare externe Variablen beeinflussten das Ergebnis eines Innovationsprozesses, als dass der Erfolg neuer Produkte jemals sicher sein könnte; Misserfolge gehörten zum Leben der Produktinnovation.12 Der von Zufall bestimmte, emergente, in seinen Ergebnissen nicht determinierte Charakter der Innovation findet darüber hinaus in Theorien evolutionärer Ökonomie Beachtung. Dort gilt Innovation als der Generator jener Vielfalt an Verhaltensformen, ohne die Selektionsprozesse gegenstandslos wären. Graham Astley legt eine unmittelbare Analogie zwischen der Grund legenden technologischen Innovation und der biologischen Mutation nahe.13 Stanley Metcalfe schreibt in »Evolutionary Economics and Creative Destruction« (2001), Innovation bringe Überraschungen mit sich, Überraschungen seien nicht vorhersagbar. Für Metcalfe ist diese Unvorhersagbarkeit die wesentliche Eigenschaft der in ihrer rationalen Gestaltbarkeit begrenzten, durch Versuch und Irrtum geprägten Variationsprozesse, wie sie für Innovation im modernen Kapitalismus kennzeichnend seien (p. 86). In einem solcherart von Kontingenzen, von unvorhersehbarer Dynamik, von überraschenden Ergebnissen, von Erfolg oder Misserfolg, Glück oder Unglück im Einzelfall geprägten Feld sind eine einheitliche Theorie und ein feststehender Begriff der Innovation nicht zu erwarten. Und deshalb erklärt etwa Metcalfe jedes Modell der Innovation zu einem unabschließbaren Unterfangen, das auf ewig im Bereich freundlich-einfühlsamer Theorie verbleiben werde.14 Aus Sicht einer »exakten« und allgemeinen, auf Vorhersagen zielenden ökonomischen Theorie ist das ein Mangel. Der Erklärungsmacht von Theorien, Begriffen, Modellen oder Fallstudien von Innovation muss es aber keinen Abbruch tun. Eher zeigt sich in der Entwicklung der Innovationsbegriffe, wie sich die Wahrnehmung

11 William Lazonick (2005): The Innovative Firm, p. 30. 12 Modesto Maidique/Billie Jo Zirger (1990): The new product learning circle, p. 245. 13 Graham Astley (1985): The two Ecologies – Population and Community Perspectives on Organizational Evolution, p. 232. 14 »To use Nelson and Winter’s felicitous phrase, it will forever remain within the domain of appreciative theory.« (Metcalfe 2001: 89).

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verändert und welche Wege das Nachdenken geht – das Nachdenken über unsere Versuche, Zukunft zu gestalten, über ökonomische Prozesse, über Kulturen des Wirtschaftens überhaupt. Was Organisationen und Institutionen der Künste anbelangt, so ist Innovation ein Thema unter Förderern, in der Kulturverwaltung und in der Kulturpolitik, bisweilen sogar eine in Stiftungsrichtlinien oder in Zielvereinbarungen formulierte Bedingung für die finanzielle Förderung. Viele Kulturorganisationen ergreifen einzelne Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbssituation, zur Erweiterung ihres Publikumskreises, zur Nutzung neuer Medien, die man als innovativ beschreiben kann. Ob und in welchem Maß darüber hinaus Innovation, Innovativität und Innovationsprozesse in einem systematischen und strategischen Sinn in Kulturorganisationen verankert sind, ist eine Frage, der dieses Buch am Beispiel staatlich unterhaltener Organisationen der Musik nachgeht. In der Forschung zum Thema Innovation gewinnt der Bereich der Kreativindustrie, an deren Rand auch der Kulturorganisationen und der Künste, in den allmählich an Bedeutung. Techniken und einzelne »Maßnahmen« der Anpassung oder Erneuerung werden zwar seit Längerem aus der Perspektive des Kulturmanagements diskutiert; eigentlich ist das Aufkommen des Kulturmanagements auf dem europäischen Festland ein Ausdruck eben dieser Bewegung. Aber der Gedanke, solche Erneuerungs- und Anpassungsprozesse systematisch im Zusammenhang eines Konzepts wie »Innovation« zu betrachten, taucht erst seit wenigen Jahren auf. Christian Handke sagt noch 2004 über die Kulturindustrie, sie stelle für ökonomische Theorien der Innovation eine terra incognita dar; Kriterien und Konzepte seien für diesen Forschungsbereich erst noch zu entwickeln.15 Obwohl Kriterien wie »Neuheit« und »Originalität« zweihundert Jahre lang zur Qualifizierung von Erzeugnissen europäischer Kunst herangezogen worden sind, man also annehmen könnte, Innovation gehöre zu den selbstverständlichen Kompetenzen des Kulturbetriebs, herrscht in der Forschung »wenig Klarheit darüber, was ›Innovation‹ in den Künsten und in kulturellen Zusammenhängen denn bedeute«, wie Hasan Bakhshi und David Throsby in ihrer ökonomischen Untersuchung »Culture of Innovation« (2010) schreiben.16 Zum Teil ist das damit zu erklären, dass die Frage nach einem Innovationsbegriff für Kulturorganisationen in der Innovationsforschung erst jetzt gestellt zu werden beginnt; Bakhshis und Throsbys für die britische Stiftung National Endowment for Sci-

15 Christian Handke (2004): Defining creative industries by comparing the creation of novelty, p. 72. 16 Hasan Bakhshi/David Throsby (2010): Culture of Innovation: An economic analysis of innovation in arts and cultural organisations, pp. 10 und 56.

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ence, Technology and the Arts erstellte Studie ist eine der ersten dieser Art. Ob die Unklarheit auch daher rühren könnte, dass ökonomische und künstlerische Innovationsbegriffe vielleicht auf gegensätzlichen Denkvoraussetzungen aufbauen, dass Innovation im Sinn der ökonomisch geprägten Theorie dem Kulturbetrieb fremd, vielleicht inadäquat ist, dieser Möglichkeit soll in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden. In der Forschungsliteratur der letzten zehn Jahre lässt sich bemerken, dass sich nicht nur das ökonomische Denken in der Formulierung von Handlungserwartungen auf Organisationen von Kunst und Kultur zubewegt – diese Entwicklung wird von vielen Kulturschaffenden unter dem Verdacht einer »Ökonomisierung« mit Misstrauen beobachtet. Weniger auffällig gibt es auch Ansätze einer gegenläufigen Bewegung, die wirtschaftliches Verhalten und Formen wirtschaftlichen Austausches nach Kategorien sozialer Interaktion und einer Ökonomie der Zeichen beschreibt. Mit solchen Ansätzen könnten sich Organisationen der Kunst ohne den Verrat romantischer Ideale identifizieren. Diese Entwicklung der Theorie lässt sich für den Dienstleistungsbereich, für die Informationswirtschaft, für die Kulturwirtschaft, für die Nahrungsmittelwirtschaft, für das Design, die Werbung, das Marketing unter den Konzepten einer »soft innovation« und »hidden innovation« beobachten und steht im Zusammenhang mit postindustriellen, post-fordistischen und postmodernen Neuinterpretationen westlichen Wirtschaftens. Auch wenn Organisationen der Kunst in diesem Strang der Innovationsforschung bisher eine Rolle allenfalls am Rand spielen, lässt sich doch sagen, zunehmend entwickelten sich Verständnisse von Innovation, die sich – unter den Begriffen etwa der Information, der gemeinschaftlichen Wertschöpfung, des Netzwerks – kultureller Erklärungsmuster bedienen und damit Anschlussmöglichkeiten an kulturelle Diskurse und Praktiken bieten.

1.

W URZELN

DER INNOVATIONSTHEORIE

Zwischen dem traditionellen und vorherrschenden Innovationsbegriff und dem traditionellen Selbstverständnis der meisten öffentlich unterhaltenen Kulturorganisationen tut sich ein konzeptioneller Graben auf. Denn Zweck der Innovation ist nach klassisch ökonomischer Auffassung nicht der Fortschritt, auch nicht der Erfolg oder unmittelbar das Überleben von Organisationen, noch nicht einmal ein Gewinn, dessen Kategorie die Organisation selbst bestimmen dürfte, sondern am Ende die Erzeugung monetären Einkommens, finanzieller Überschüsse. Es ist durchaus möglich, den Ergebnissen erfolgreicher Innovationsprozesse im Zusammenhang einer Fortschrittsgeschichte Sinn zuzuschreiben, und möglich ist es

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auch, Innovation im Zusammenhang mit Anpassungsleistungen von Firmen oder von anderen Organisationen zu erklären. Für eine Kulturorganisation bedeuteten überdies eine durch neue Angebote oder Verfahren bewirkte Erweiterung ihres Publikums oder dessen vertiefte Bildung einen Gewinn. Aber die Forschungstradition will es, dass alle durch Innovation generierte Differenz von Gütern, Dienstleistungen, Produktionsmethoden, Transportverfahren, Markterschließungen, von Strukturen, Abläufen, Umweltbeziehungen einer Organisation auf eine Verbesserung der Wettbewerbsposition auf einem in finanziellen Größen rechnenden Markt zielt und damit auf die Generierung überdurchschnittlichen Einkommens.17 Aus diesem Grund beginnt das innerhalb Europas und der OECD-Staaten maßgebliche Regelwerk zur Erforschung von Innovation mit der Bemerkung, es sei »allgemein anerkannt, dass Innovation eine zentrale Rolle für das Wachstum von Produktion und Produktivität spielt.«18 Es gebe substanzielle Belege dafür, dass Innovation der beherrschende Faktor für das volkswirtschaftliche Wachstum und für Strukturen des internationalen Handels sei.19 Das seit 1992 mehrmals von internationalen Expertenkommissionen überarbeitete Regelwerk zur Ermittlung und Interpretation von Daten zur Innovation, das so genannte Oslo Manual, schließt damit unmittelbar an Schumpeters ursprüngliche Einsicht an, nach der es unternehmerische Innovation sei, die Wirtschaften wachsen lasse.20 Ausdrücklich bezieht sich das Oslo-Manual auf Schumpeter, wenn es auf das Hauptmotiv innovativer Firmen zu sprechen kommt: »Ein technologisch neues Gerät ist für den Innovator die Ursache eines gewissen Vorteils. Im Fall einer Prozessinnovation, die die Produktivität erhöht, gewinnt die Firma einen Kostenvorteil über ihre Wettbewerber, der ihr eine höhere Gewinnmarge vom geltenden Marktpreis lässt oder der […] durch die Verbindung eines niedrigeren Preises mit einer im Vergleich zur Konkurrenz höheren Gewinnspanne einen größeren Marktanteil und damit weiteres Einkommen bringt.«

17 Das »durchschnittliche Einkommen« entspräche einem Gleichgewichtszustand des Marktes, wie ihn die neoklassische Theorie gerne als natürlichen Zustand vorstellt. Angenommen, es gibt solche Gleichgewichtszustände, so hat Innovation eben deren Verschiebung zum Ziel. 18 OECD/Eurostat (2005): Oslo Manual; Guidelines for collecting and interpreting innovation data, p. 10. 19 OECD/European Commission/Eurostat (1997): The Measurement of Scientific and Technological Activities: Proposed Guidelines for Collecting and Interpreting Technological Innovation Data, p. 15. 20 Schumpeter 1987[1934]): 77, 95f. und 99.

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Im Fall der Produktinnovation gewinne die Firma eine Monopolstellung durch den zeitlichen Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern, häufig gesichert durch ein Patent. Diese Monopolstellung erlaube es, einen höheren Preis durchzusetzen und damit Einkommen für sich zu generieren. 21 Auch Richard Nelson und Sidney Winter unterstreichen in ihrer »Evolutionary Theory of Economic Change« (1982), in letzter Konsequenz ziele Innovation auf profitable Investitionsmöglichkeiten und höhere monetäre Profite. Verbesserte Produktionsmethoden führten zu niedrigeren Herstellungskosten, und bessere Produkte zur Bereitschaft von Verbrauchern, Preise zu bezahlen, die über den Herstellungskosten lägen. Profitable Firmen wiederum wachsen, gewinnen größere Marktanteile und greifen so die Profitabilität weniger innovativer Konkurrenten an (p. 266). Aus dem Wachstum von Firmen aber soll ein Wachstum der Wirtschaft folgen, und dieses soll ein Wachstum des nationalen Einkommens bewirken. Aus diesem Grund interessieren sich Regierungen und überstaatliche Organisationen wie die OECD für Innovation, und gemeinsam mit einer an Wachstum interessierten Nationalökonomik, mit der Betriebswirtschaft sowie mit technologisch und betriebswirtschaftlich ausgerichteten Managementlehren hat das zur Konzentration der Innovationsforschung auf den privatwirtschaftlichen Bereich geführt. Zusätzlich zum unmittelbar einsichtigen Profitmotiv besitzt die traditionelle Innovationsforschung einen eigentümlichen Hang zum Handfesten, Sichtbaren, Greifbaren, zum technischen Ding. Der größte Teil der Innovationsforschung widmet sich dem neu entwickelten, technisch überlegenen, in industrieller Massenfertigung herstellbaren Gegenstand. Leitobjekt dieser Forschung ist die »technologische Produkt- und Prozessinnovation« (TPP) mit ihrem Leitkriterium der verbesserten Funktionalität. Bezeichnenderweise ist etwa in dem 2005 erschienenen, für die arrivierte Forschung repräsentativen »Oxford Handbook of Innovation« nur ein einziges der 22 Kapitel dem Thema Innovation im Dienstleistungsbereich gewidmet. Kultur als innovatorisches Feld kommt überhaupt nicht vor. Die Innovationsforschung im Dienstleistungsbereich, in der Kulturindustrie, auch im Bereich der Organisationstheorie lehnt sich zunehmend gegen diese als Verengung empfundene Privilegierung der technologischen Produkt- und Prozessinnovation auf22 und hat damit ersten Erfolg; die jüngste Ausgabe des Oslo Manual räumt ein, dass sich von bedeutsamer Innovation auch im nicht-industriellen und im nicht-kommerziellen Bereich sprechen lasse. Tatsächlich berücksichtigt das Regelwerk nun auch Innovation im Dienstleistungsbereich und im

21 OECD/Eurostat 2005: 29. 22 Vgl. etwa Ian Miles/Lawrence Green (2008): Hidden innovation in the creative industries, p. 5; Damanpour/Schneider 2008: 511 sowie Alice Lam 2004: 33.

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Bereich der »Low-Tech«-Branchen. Um den »vollen Umfang« dessen zu beschreiben, was Firmen unternehmen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen und ihr wirtschaftliches Ergebnis zu verbessern, erweitert das Werk seinen Geltungsbereich über die technologische Produkt- und Prozessinnovation hinaus um organisationale und Marketing-Innovation (OECD 2005: 10 ff.). Der Hang zum technischen Ding jedoch hat Ursachen, die historisch vor der Herausbildung eines Konzepts von Innovation liegen. Er ist das Produkt einer alten Auseinandersetzung um das Harte und das Weiche in der Ökonomie, in der das Harte bis heute den Vorzug genießt – in Fragen der Währungspolitik zum Beispiel oder von Standortfaktoren, und das Weiche von heterodoxen Strömungen im Wappen geführt wird, aktuell etwa in den Konzepten einer »liquid modernity« (Zygmunt Bauman) oder einer »soft innovation« (Paul Stoneman). Dass Kunst und Kultur zu den weichen Faktoren gehören, in den Bereich der Interpretationen eher als in den der Fakten, erübrigt sich fast auszusprechen. Wie intim das greifbare, besitzbare, anhäufbare, lagerbare und handelbare Gut letztlich wieder mit dem Konzept des Reichtums verbunden ist, darauf hat Peter Hill mit einem historischen Aufriss von Adam Smith bis in die Gegenwart hingewiesen.23 Adam Smith spricht im Zusammenhang seiner wohl bekanntesten These, nach der Wohlstand aus der Arbeitsteilung entstehe, vom Interesse am Ding und von dessen ökonomischen Eigenschaften: »This division of labour, from which so many advantages are derived, […] is the necessary [...] consequence of a certain propensity in human nature [...] to truck, barter, and exchange one thing for another.«24 Dieses Ding bewahrt den Wert der in es investierten Arbeit und behält einen Tauschwert, während die Zeit vergeht. Es ist, nach Smith, das Ergebnis produktiver Arbeit. Wer viele wertvolle Dinge besitzt, von dem kann man sagen, er sei reich. Dem Ding entgegengesetzt ist das nicht aufbewahrungsfähige und nicht weiter veräußerbare Ergebnis einer Dienstleistung. Entsprechend ist die Arbeit, die für die Erbringung einer Dienstleistung aufgewendet werden muss, für Smith unproduktiv. Zur Arbeit des Dieners bemerkt Smith im Kapitel über die Akkumulation des Kapitals, sie konkretisiere sich nicht in einem spezifischen Gegenstand oder einer handelbaren Ware. Dienstleistungen vergingen üblicherweise im Augenblick ihrer Erbringung und hinterließen nur selten eine Spur oder einen Wert.25

23 Peter Hill (1999): Tangibles, Intangibles and Services: A New Taxonomy for the Classification of Output, p. 428ff. 24 Adam Smith (1976 [1784]): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Book I, Chapter 2, p. 25. 25 Ebd., Book II, Chapter 3, p. 330.

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Auch die Musik ist so ein Erzeugnis, das sich im Augenblick seiner Hervorbringung schon wieder verflüchtigt, und daher zählt Smith – Schallplatten und MP3-Dateien gab es noch nicht – Musiker und Opernsänger zu den unproduktiven Berufen, die keine Werte schaffen. Diese unproduktiven Berufe sind über alle Schichten und Klassen der Gesellschaft anzutreffen: »The labour of some of the most respectable orders in society is, like that of menial servants, unproductive of any value, and does not fix or realize itself in any permanent subject, or vendible commodity, which endures after that labour is past. The sovereign, for example, with all the officers both of justice or war who serve under him, the whole army and navy, are unproductive labourers. [...] Their service, how honourable, how useful, or how necessary soever, produces nothing for which an equal quantity of service can afterwards be procured. [...] In the same class must be ranked, some both of the gravest and most important, and some of the most frivolous professions: churchmen, lawyers, physicians, men of letters of all kinds; players, buffoons, musicians, opera singers, opera dancers, etc. Like the declamation of the actor, the harangue of the orator, or the tune of the 26

musician, the work of all of them perishes in the very instant of its production.«

Hills Darstellung der Geschichte der wirtschaftlich bedeutenden Sache führt auch zu Alfred Marshall, auf dessen »Principles of Economics« der Begriff des »Gutes« in der Ökonomie wohl zurückgeht, und der noch einmal feststellt, »All wealth consists of desirable things«.27 Die Details dieser Begriffs- und Ideengeschichte weiter zu verfolgen ist hier nicht der Ort, so interessant es wäre. Festzuhalten ist aber doch, dass das alte Wertgefälle zwischen Gütern und Dienstleistungen Konnotationen sozialer Hierarchien besitzt, die den Diener noch heute im Begriff der Dienstleistung bewahren, den servant im Service, und die sich im Wertgefälle und wenn man will: in Machtverhältnissen von Perspektiven und Gegenständen der Ökonomik und der Innovationsforschung abbilden. Jede Entwicklung eines Innovationsbegriffs für Kulturorganisationen bewegt sich innerhalb dieser alten Auseinandersetzung um die wirtschaftliche Bedeutung von Dingen und Dienstleistungen, innerhalb der alten Werte-Diskussion, die ja auch das Selbstverständnis und die Funktionsweisen der Institutionen der Kunst geprägt hat. Und so, wie unser strategisches Konzept der Kulturorganisation als Unternehmung seinen Ausgang in der neoklassischen, orthodoxen Ökonomik genommen hat, um deren reiche Theorie für das Verständnis spezifischer

26 Ebd., Book II, Chapter 3, p. 330f. 27 Alfred Marshall (1890): Principles of Economics, Book II, Chapter 2. Zitiert nach Hill 1999: 433.

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Bedingungen im Kulturbetrieb zu nutzen, so nehmen auch die Überlegungen zu einem Innovationsbegriff für Kulturorganisationen ihren Ausgang von der weit entwickelten industriell-technisch geprägten Theorie der Innovation. Damit hat die Entwicklung eines kulturbezogenen Innovationsbegriffs aber auch Teil an der aktuellen Entwicklung alternativer Interpretationen. Diese betreiben eine Emanzipation der Dienstleistung mit Verweis auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Sektors, auf seine funktionale Komplementarität zum produzierenden Gewerbe, auf seinen Beitrag zur Erzeugung von Arbeitsplätzen und nationalem Einkommen. Darüber hinaus gibt es radikalere Strömungen, die eine Überwindung der alten Dichotomie betreiben. Sie erklären den »Service«, den Einsatz von Kompetenzen zum Nutzen eines Transaktionspartners, zum Kern eines jeden ökonomischen Tausches, also auch jeder Transaktion, die ein Gut zum Gegenstand hat. Güter selbst gelten nach dieser Auffassung nicht mehr als Aufbewahrungsformen von Wert, sondern als Distributionsmechanismen für Dienste oder als Vermittler einer Beziehung zwischen Hersteller und Verbraucher.28 Der Wert ist nun nicht mehr Ergebnis des Herstellungsprozesses und Eigenschaft des Produkts, sondern er entsteht zwischen dem Hersteller und dem Verbraucher.29 Ist im klassisch ökonomischen Denken die Dienstleistung der kleinere und schwächere, von der Erbfolge ausgeschlossene Bruder der technischen Güterproduktion, so lautet der Anspruch in der Servicedominanten Logik: All economies are service economies.30

2.

D AS S UBJEKT DER INNOVATION

Innovation lässt sich aus Sicht der Sachen untersuchen – etwa unter der Frage, wie eine Spracherkennung für Smartphones entwickelt wird, oder ein elektronisches Customer-Management-System für Museen. Eine Untersuchung, die von den Sachen ausgeht, nennt das Oslo Manual der OECD und der Europäischen Kommission den object approach. Ihr Vorgehen ist das Sammeln quantitativer

28 Vgl. Albert Bressand/Kalipso Nicolaïdis (1988): Les services au cœur de l'économie relationnelle, p. 146. 29 Stephen Vargo (2009): Toward a transcending conceptualization of relationship: a service-dominant logic perspective, p. 374. In diesem Sinn beginnen etwa Autohersteller, sich neu zu definieren als Anbieter von Mobilität, zum Beispiel durch den Aufbau markeneigener Carsharing-Dienste. 30 Stephen Vargo/Robert Lusch (2008): Service-dominant logic: continuing the evolution, p. 4.

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und qualitativer Daten über eine Innovation und über die mit ihr befassten Unternehmungen. Dem entgegengesetzt lässt sich Innovation auf der Ebene der Organisation erforschen mit der Frage, welche Bedingungen, Ressourcen oder Strategien das innovatorische Verhalten beeinflussen, wie die Organisation ihre Innovationsprozesse organisiert, welche Innovationen sie realisiert, welche Wirkung sie mit diesen hervorruft. Richtet eine Untersuchung den Blick vor allem auf die Organisation, auf deren innovatorisches Verhalten und dessen Bedingungen, spricht das Regelwerk vom subject approach (OECD 2005: 20). Das Oslo Manual bevorzugt den am innovatorischen Subjekt orientierten Zugang, weil sein Interesse an der Innovation auf das Interesse an Einkommenseffekten zurückgeht. Es ist der differenzielle, im Wettbewerb sich zeigende Erfolg individueller Firmen, der über die Generierung von überdurchschnittlichem Einkommen entscheidet (OECD 2005: 21). Die Orientierung an der individuellen Firma oder Organisation geschieht dabei durchaus unter Berücksichtigung der systemischen Dimension von Innovation: Innerhalb der Organisation hängt Innovation vom Verhalten Einzelner ab, entscheidend von Einzelpersönlichkeiten im Management. In der Umwelt üben Netzwerke, Kooperationen, Innovationen Dritter und institutionelle Faktoren – etwa aus der Politik oder aus den Systemen von Bildung und Forschung – Einfluss auf das innovatorische Geschehen aus.31 Subjekte sind die solcherart untersuchten Organisationen in einem umfassenden Sinn. Sie bilden Systeme, die interpretieren und lernen.32 Sie versuchen, sich ihres Schicksals aktiv zu bemächtigen durch strategisches Handeln. Strategiebildung soll hier verstanden werden als Verknüpfung von Lern- und Interpretationsprozessen mit einem Entscheidungsprozess. Als strategisch gelten Entscheidungen, wenn sie etwa die Bestimmung von Zielen, anzubietende Dienstleistungen oder Produkte, die Positionierung der Organisation gegenüber Wettbewerbern oder die Wahl der eigenen Organisationsform betreffen. Die Integration dieser Entscheidungen und das Muster ihrer gegenseitigen Verstärkung wird als Strategie bezeichnet.33 Abgrenzen muss sich Strategie in der Praxis von der Routine – von den Kräften der Beharrung, der Inertia, die nach den Theorien der Pfadabhängigkeit das Handeln von Organisationen prägen –, und von kurzfristig ausgerichtetem Anpassungs- und Optimierungsverhalten.34 Abgrenzen muss sie

31 Vgl. OECD 2005: 20 und 32. 32 Vgl. Lam 2004: 33f. 33 Vgl. Richard Rumelt/Dan Schendel/David Teece (1994): Fundamental Issues in Strategy, p. 9. 34 Zum Verhältnis von Strategie und Anpassung vgl. Michael Tushman/Charles O'Reilly (2001): Ambidextrous Organizations, p. 729ff.

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sich auch von Modi der Entscheidungsfindung, die der Umwelt kontinuierlich Sitz und Stimme zugestehen – wenngleich Interaktion und Dialog zur Strategiefindung gehören können. Für die Entwicklung von Innovationen im ServiceBereich betrachten Koelling, Neyer und Moeslein (2010) eine Verbindung des strategischen Ansatzes mit dem interaktiven als Erfolgsfaktor.35 Ziel einer Strategie ist es, die Organisation unter den für sie bedeutsamen Umweltbedingungen mittel- und langfristig so erfolgreich wie möglich handeln zu lassen und die dafür notwendigen Ressourcen zu sichern. Unter den Bedingungen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs zielt Strategie besonders auf die Erzeugung dessen, was man einen Wettbewerbsvorteil nennt, also des aus effektiverer Ressourcennutzung entstehenden qualitativen Abstands der Unternehmung zu ihren Konkurrenten, der ihr für eine möglichst lange Zeit höhere Gewinnmargen, höhere Marktpreise oder beides sichert. Innovation lässt sich in diesem Zusammenhang als Rekonfiguration der Ressourcen einer Organisation verstehen, sowohl der durch Lernprozesse entwickelten immateriellen Ressourcen wie Wissen oder Know-how, als auch der materiellen Inputs und der Mittel zu deren Umwandlung im Produktionsprozess.36 Wie im Kapitel über Ressourcen-orientierte und Kompetenz-basierte Ansätze ersichtlich wurde, werden »Wettbewerbsvorteile« von den Organisationen zwar angestrebt, analytisch aber erst rückblickend erkannt. So weist Thomas Powell darauf hin, nicht der Wettbewerbsvorteil sei die abhängige Variable, sondern die »über längere Zeiträume überlegene Leistung« (Powell 2001: 875). Metcalfe bringt es auf die Formel: »Wie also verbessert eine Firma ihre Wettbewerbsfähigkeit? Selbstverständlich indem sie innovativer ist als ihre Wettbewerber. […] Wer seinen Wettbewerbsvorteil erhöhen will, muss sich oberhalb des Durchschnitts verbessern.« Und je länger der Beobachtungszeitraum sei – hier spricht der Theoretiker einer evolutionären Ökonomie –, desto entscheidender werde die Innovation (Metcalfe 2001: 102f.). Während die gängigen Konzepte des Wettbewerbsvorteils die Firma in den Mittelpunkt des Geschehens stellen und diese oft antagonistisch zu ihrer Umwelt definieren, stellt die jüngere Denkrichtung der Service-dominanten Logik den relationalen Aspekt vorteilhaften Konkurrierens heraus. Danach bedeutet Strategie, Entscheidungen darüber zu treffen, wie die gemeinschaftliche Wertschöpfung mit Partnern in Netzwerken – mit Geschäftspartnern und mit Kunden – befördert und verstärkt werden kann, zum beiderseitigen und möglichst langfristigen Nut-

35 Marcus Koelling/Anne-Kathrin Neyer/Kathrin Moeslein (2010): Strategies towards innovative services: findings from the German service landscape, p. 610. 36 Vgl. OECD 1997: 28.

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zen. Karpen et al. sprechen in diesem Zusammenhang von der »Optimierung von Prozessen interdependenter Ressourcen-Integration«, mit Hilfe derer Gewinn aus überlegenen Wertschöpfungs-Angeboten gezogen werden solle.37 Das strategisch bestimmte innovatorische Handeln einer Organisation zielt auf die auktoriale Gestalt der eigenen Zukunft – nach antagonistischen Modellen ausschließlich, nach kooperativen, am Netzwerk orientierten Modellen abhängig auch vom Handeln anderer. Über die Anpassung oder Optimierung des eigenen Handelns hinaus, die sich innerhalb »gegebener« Umstände arrangieren, sucht die strategisch begründete Innovation auch die für die Organisation bedeutsamen Bedingungen zu verändern, seien es Marktbedingungen oder technologische Voraussetzungen. Grund legend neue Technologien etwa können neue Märkte schaffen.38 Lazonick nennt in »The Innovative Firm« (2005) einen solchen Veränderungsprozess – eine, wie er sagt, durch theoretische Perspektiven bestimmte Ressourcenallokation – »historical transformation«.39 Der Zufall hingegen, das nicht Vorhersagbare, Glück oder Unglück, das, was sich ergibt oder ereignet, bildet gleichsam die Außenseite des absichtsvollen organisatorischen Handelns. Deswegen nimmt etwa Paul David in »Clio and the Economics of QWERTY« den Zufall in seine Beschreibung technischen und wirtschaftlichen Wandels auf. Nach ihm setzt sich keineswegs immer die bessere Lösung oder die überragende Leistung durch. David beschreibt eine pfadabhängige Folge ökonomischer Veränderungen als einen stochastischen Prozess. Sie enthält Einflüsse weit zurück liegender Ereignisse, eingeschlossen solche, die eher durch Zufälle als durch systematisch wirkende Kräfte verursacht wurden (1990: 391). So lässt sich Innovation sowohl als Ergebnis strategischer Zielsetzungen, geplanter Prozesse und organisierten Arbeitens beschreiben, gleichzeitig aber auch als emergent, als durch nicht restlos planbare Wechselwirkungen unterschiedlichster Faktoren bestimmt. Die Perspektive der Planbarkeit beherrscht die Forschung; viele Managementlehren machen sich die Entwicklung einer Methodik zur Aufgabe. Stellvertretend sei Jon Sundbo zitiert, der in »Management

37 Ingo Karpen/Liliana Bove/Bryan Lukas (2012): Linking Service-Dominant Logic and Strategic Business Practice, p. 22f. 38 David Mowery/Nathan Rosenberg (1979): The influence of market demand upon innovation, p. 138. 39 Lazonick 2005: 31. Der Gedanke taucht früher schon bei Fariborz Damanpour und William Evan in »Organizational Innovation and Performance« (1984) auf. Dort heißt es, »Innovative organizations […] not only adapt to the environmental change, but also use their resources and skills to create new environmental conditions, e.g., by introducing new products or services never offered previously.« (p. 395)

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of Innovation in Services« für den Dienstleistungsbereich erklärt, die strategische Innovationstheorie mit ihren Wurzeln im Bereich der Industrie sei in den meisten Fällen die angemessenste, um Innovationsprozesse zu erklären. Ins Normative gewendet heißt das bei Sundbo, »top strategic organisations« seien dadurch gekennzeichnet, dass Innovation bei ihnen eine strategische Aufgabe darstelle. »Die Strategie setzt den Rahmen, innerhalb dessen die Innovationen entwickelt werden sollten.«40 Strategie und Innovation als Aspekte ein und desselben Vorgangs zusammenzudenken, schlagen Joe Tidd, John Bessant und Keith Pavitt mit ihrem Konzept der Innovation als wirtschaftlichem Schlüssel-Prozess vor. Überleben und Wachstum der Organisation sind die Ziele dieses Prozesses im Kernbereich des unternehmerischen Handelns. So wird »Innovation« zum Begriff eines fundamentalen Erneuerungsprozesses der Angebote einer Organisation, ihrer Herstellung und ihrer Übereignung an das Publikum. Dieser Prozess reicht von der Beobachtung der Umwelt (intern und extern) über die Strategiefindung, die aus den Beobachtungen Schlüsse zur Vermeidung von Risiken und zur Ergreifung von Chancen zieht, bis zur Sicherung der Ressourcen, die zur Umsetzung der Strategie gebraucht werden. Diese Ressourcen bestehen aus physischem Input, aber auch aus Technologien, aus Forschungs- und Entwicklungsleistungen und aus Know-how, das an Personal gebunden ist. Die letzte Stufe dieses prinzipiell unabschließbaren Lern-, Erzeugungs- und Verbesserungsprozesses bildet das Einbringen des Angebots in einem Markt.41 In einem ähnlichen Sinn empfiehlt Damanpour »wahrhaft innovative[n] Organisationen« eine Unternehmenskultur, die Innovation als Aufgabe aller Organisationsteile fördert.42 Zu den wenigen Autoren, die beginnen, konzeptuell auch auf die ungewisse, manchmal spontane Entstehung von Innovation und auf das schwankend Konstrukthafte ihrer Wahrnehmung einzugehen, gehören Marja Toivonen und Tiina Tuominen. Nach ihnen geht Innovation im Dienstleistungsbereich vielfach überhaupt nicht aus geplanter Aktivität hervor. Sie sei emergent, entstehe aus der Erbringung von Dienstleistungen auf der Grundlage von Kundenbedürfnissen, und werde manchmal erst in der Rückschau als Innovation erkannt.43 Armen Alchian

40 Jon Sundbo (1997): Management of Innovation in Services, p. 451. 41 Joe Tidd/John Bessant/Keith Pavitt (1977): Managing Innovation – Integrating Technological, Market and Organizational Change, p. 25f. 42 Fariborz Damanpour (1991): Organizational Innovation: A Meta-Analysis of Effects of Determinants and Moderators, p. 584. 43 Marja Toivonen/Tiina Tuominen (2009): Emergence of innovations in services, p. 887.

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hat einen ähnlichen Gedanken schon 1950 formuliert, als er schrieb, neben denen, die absichtsvoll innovatorisch tätig sind, gebe es auch jene, die in ihren unvollkommenen Versuchen, andere nachzuahmen, Innovationen hervorbringen, ohne es zu wissen, unbeabsichtigte, aber doch einzigartige »Attribute«, die unter den obwaltenden Umständen einen Teil zum Erfolg beitragen (p. 218 f.). Bisweilen geht es im Leben unsystematischer zu als Management- und Strategielehren es empfehlen und als Erfolgsgeschichten der Innovation es rückblickend darstellen. Unterstützung finden diese Hinweise auf Emergenz bei Richard Walker, der im Sinn evolutionärer Modelle zu bedenken gibt, Innovation könne auch aus den kumulativen Wirkungen kleinschrittiger Veränderungen hervorgehen. Walker hält es daher für angezeigt, auch Wechselwirkungen und »komplementäre Verhältnisse« zwischen verschiedenen Typen von Innovation zu untersuchen. 44 Dass Neuheit – neue Konzepte, Technologien, Praktiken, Produkte – zu Beginn oft unvollständig determiniert ist und in vielen Fällen erst Versuch und Irrtum, Weiterentwicklungen und sekundäre Innovation zu best practice und allgemein geteilten Lösungen führen, darauf weist Bart Nooteboom hin. Aber auch die Durchsetzung und Verbreitung einer bestimmten Innovation ist dann keineswegs das Ende der Geschichte, obwohl die gängigen Darstellungsmuster das nahelegen. Vielmehr lässt sich auch eine zyklische Struktur beschreiben. »In dem Maß, in dem sich der Anwendungsbereich einer bestehenden Praxis ausweitet«, schreibt Nooteboom, »häufen sich im Prozess der Differenzierung und der Weiterverbreitung die Probleme. Ad-hoc-Erweiterungen und Modifizierungen beeinträchtigen die Klarheit und Effizienz der Praxis und erhöhen deren Komplexität, was zu einem Verlust an Effizienz und der Rendite führt. Dies macht es immer schwieriger, neue Erweiterungen oder Zusätze hinzuzufügen und gleichzeitig die Kohärenz zu wahren. Verdopplungen treten auf, die Möglichkeiten von Mengeneffekten beeinträchtigen. Ungelöste Leistungsbeeinträchtigungen sammeln sich an. Dies erzeugt einen Anreiz für […] neue Strukturen, für kreative Zerstörung im Sinn Schumpeters.«45 Der Hinweis auf Emergenz und unplanbare Wechselwirkungen ist wichtig, und geeignet, den Grad an Realismus einer jeden Theorie und jeder Untersuchung von Innovation zu erhöhen. Dennoch wählt unsere Untersuchung, analog zum Standard der OECD-Leitlinien, ihren Zugang in Hinsicht auf die Organisation als Urheberin von Innovation, primär also den »subject approach«. Die Kulturorganisation wird dabei als absichtsvolle, strategisch denkende und handelnde

44 Richard Walker (2007): An Empirical Evaluation of Innovation Types and Organizational and Environmental Characteristics, p. 592. 45 Nooteboom 2000: 172f. und 183.

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Urheberin von Innovation verstanden, vielleicht auch idealisiert. Denn die Frage, die unsere Überlegungen bewegt, lautet nicht, wie sich einzelne Innovationen in Populationen staatlich geförderter Kulturorganisationen verbreiten; auch was der Zufall für unsere Institutionen der Kunst noch bringen mag, wird nicht untersucht. Die Frage lautet, ob sich etwas machen lässt, damit Kulturorganisationen eine Zukunft haben, was sich machen lässt, was schon gemacht wird, wie es gemacht wird und wie sich das auf die Organisationen und ihre Inhalte auswirkt, denn Innovation verändert die Organisationen selbst.46 Mit dem Machen stehen die Manager in den Organisationen im Mittelpunkt. In ihrer Funktion bündeln sich die Verarbeitung externer und interner Information, Entscheidungen zur Ressourcengewinnung und -verwendung sowie Zielformulierungen, programmatische Orientierung und strategische Weichenstellung. Dabei personifizieren vor allem Intendanten und Generaldirektoren ihre Organisationen. Die Spitzen des Managements sind eine Funktion ihrer Organisation. Vom Input und Engagement ihrer Mitarbeiter hängen sie ab. Auf der anderen Seite muss die Organisation die Entscheidungen ihrer Manager umsetzen und lässt sie dadurch wirksam werden. In den gesellschaftlichen Umwelten verkörpern und vermitteln Intendanten und Generaldirektoren die wirtschaftlichen, programmatischen und oft auch die künstlerischen Anliegen ihrer Organisation. Gleichzeitig sind sie die Adressaten institutioneller Erwartungen etwa der Politik, der Sponsoren oder des Bildungssystems. Indem diese Manager gleichermaßen als auktoriale wie als vermittelnde Instanzen verstanden werden, behält die Privilegierung des Entscheidens, des Machens, des Gestaltens in diesem Buch auch das Institutionelle, das nicht Steuerbare, das Kontingente und das Emergente im Blick, ohne die jedes Konzept subjektgeleiteter Innovation eine technokratische Abstraktion bleiben müsste. Für Organisationen im Service-Bereich betonen Flikkema, Jansen und van der Sluis, wegen der wirtschaftlichen Zielsetzungen und der Notwendigkeit eines absichtsvollen Suchprozesses hänge Innovation vom aktiven Einsatz des Managements ab (2007: 555). Die Verhältnisse zwischen dem intentionalen und strategischen Handeln auf der einen Seite und dem Ausgeliefertsein an Umstände, Umwelten und Zeitströmungen auf der anderen bleiben dabei unbestimmt. Sie unterscheiden sich von Organisation zu Organisation. Die Einstellungen der Manager zu beeinflussbaren und unbeeinflussbaren Faktoren, zu Effektivität und Reichweite ihrer Entscheidungen gehen, wie sich im Fallstudien-Kapitel zeigen wird, erheblich auseinander, und damit unterscheiden sich in den Organisationen auch die Bedingungen und die Funktion von Innovation.

46 Vgl. dazu Damanpour 1991: 556.

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3.

W AS

IST INNOVATION ?

Auch wenn in der Einführung dieses Buches bereits eine Arbeitsdefinition von Innovation formuliert worden ist, zeichnet sich inzwischen ab, dass es Innovation eben so wenig »in Zeit und Raum« geben kann wie die von Thomas Powell so unerbittlich als »Metapher« entlarvten Wettbewerbsvorteile. Innovation erscheint als Konstrukt, und zwar als eines, von dem Technik- und Sozialgeschichtsschreiber, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen, Investoren, Ingenieure, Komponisten, Marketingleiter, Unternehmensplaner, Wirtschafts- oder Kulturminister jeweils eigene Vorstellungen haben. Als Innovationen werden einzelne Phänomene aus dem Kontinuum der Dinge und Verhaltensformen identifiziert. So bedeutet die Rede von »Innovation« zunächst den Ausdruck einer Wahrnehmung von Diskontinuität. Umgekehrt suchen Manager Dinge und Ereignisse zu produzieren, von denen sie erwarten, dass sie als Innovationen wahr- und angenommen werden. Eine Definition wie diejenige Sidney Winters, nach der die Änderung einer organisationalen Routine, die aus einer Suchbewegung hervorgeht, eine Innovation für die betreffende Organisation bedeute, kennzeichnet die lerntheoretische Dimension der Innovation.47 Für eine umfassende Definition reicht sie freilich nicht aus. Innovation, so hatten wir in der Einleitung gesagt, bedeutet in unserer Perspektive die Erzeugung, Aneignung, Übernahme, am Ende möglichst Erfolg bringende Verwertung wertschöpferischer Neuheit. Sie bedeutet weiterhin die neuartige oder erweiterte Nutzung bereits bestehender Produkte, Dienstleistungen oder Märkte, die Entwicklung neuer Produktions- und Distributionsmethoden sowie neuer Managementsysteme. In diesem Sinn bezeichnet »Innovation« Prozesse und Ergebnisse gleichermaßen. Weiterhin stellt diese Bestimmung Innovation als etwas vor, das über einen kreativen Akt hinausgeht, indem sie die Anwendung (Verwertung) einschließt, und sie hebt den intendierten Nutzen oder Gewinn hervor.48 Diese von der Mehrheit der wissenschaftlichen Autoren geteilte Begriffsbestimmung baut auf den Überlegungen Schumpeters auf und findet sich, wie bei der ideengeschichtlichen Nähe zu erwarten, ähnlich in den Forschungsempfehlungen der OECD und der Europäischen Kommission. Dort heißt es, eine Innovation sei die Implementierung eines neuen oder signifikant verbesserten Produkts (gleich ob Gut oder Dienstleistung), eines Prozesses, einer neuen Marketingmethode, einer neuen Organisationsform eines Geschäftsbereichs, einer neu-

47 Sidney Winter (1984): Schumpeterian Competition in Alternative Technological Regimes, p. 291. 48 Vgl. Crossan und Apaydin 2010: 1155.

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en Arbeitsorganisation oder einer neuen Form von Beziehung zur Umwelt (OECD 2005: 46). Damanpour schreibt bereits 1991 in Abgrenzung von Konzepten, die sich auf technologische Produkt- und Prozessinnovation beschränken, Innovation bedeute die Erzeugung, Entwicklung und Implementierung neuer Ideen oder Verhaltensformen. Von Innovation könne in Hinsicht auf eine neues Produkt oder eine neue Dienstleistung gesprochen werden, auf eine neue Herstellungstechnik, eine neue Organisationsstruktur oder ein Verwaltungssystem. Innovation sei daher definiert als die Anwendung intern generierter oder erworbener Geräte, Systeme, Konzepte, Programme, Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen, die neu für die anwendende Organisation seien (1991: 556). Was den Prozesscharakter der Innovation anbelangt, ergänzt Walker, Innovation sei ein Vorgang, durch den in einer Organisation neue Ideen, Objekte und Praktiken geschaffen, entwickelt oder neuen Zwecken angepasst (reinvented) und schließlich angewendet würden (2007: 592). Toivonen und Tuominen betonen den Prozesscharakter der Innovation auch gegenüber der Erfindung. Innovationen seien das Ergebnis kontinuierlicher und komplexer Interaktion zwischen einer Vielzahl von Akteuren, während Erfindungen plötzlich aufträten (2009: 892). Lässt sich anhand dieser Begriffsbeschreibungen entscheiden, ob ein Phänomen als Innovation bezeichnet werden soll oder nicht? Lässt sich entscheiden, ob ein neues Angebot oder eine Organisationsreform nur Veränderung bringen oder ob sie innovativ genannt werden dürfen? Denn am Ende lautet unsere Frage, ob etwas und wenn ja: was innerhalb einer Kulturorganisation als Innovation angesehen, sinnvoll entwickelt oder eingeführt werden kann, so dass die Organisation ihre Lage und ihre Aussichten verbessert. Was zunächst an den zitierten Definitionen auffällt, ist ihr inklusiver Charakter: Als Innovation kann eine Menge verschiedenartiger Phänomene verstanden werden: neue Produkte, Dienstleistungen, Produktions-, Distributions- und Marketingmethoden, Managementsysteme, Organisationsformen, Arbeitsprozesse, Geschäftsmodelle, Beziehungen zur Umwelt und neue Märkte. Neu müssen diese vor allem auf der Ebene der Organisation erscheinen, und sie müssen einem Organisationsziel dienen, sich auf einem Markt zu bewähren suchen. Doch eine Definition muss auch etwas ausschließen. Ausgeschlossen sind zunächst Routine und Erfindung. Routine ist per definitionem nicht neu. Der Erfindung, deren Begriff Neuheit impliziert, fehlt hingegen die Nutzanwendung. Auch Konzepte wie »Kreativität«, »Lernen« oder »Wandel« fallen nicht unter die Definition der Innovation, da sie weder einen distinkten Gegenstand oder Prozess noch deren Implementierung notwendig beinhalten. Erfindungen, Kreativität, Lernen oder Routinen können als Elemente eines Innovationsprozesses fungieren, aber sie müssen es nicht. Routinen gelten als der Normalfall in Orga-

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nisationen, Innovation als die Ausnahme,49 wobei in der Praxis beide eng verflochten sein können. In seiner Dekonstruktion gängiger Erzähl- und Deutungsschemata weist David Edgerton darauf hin, dass ein Innovationsprozess abhängig von Routinen überkommenen Wissens sein kann, zum Beispiel durch die Anwendung standardisierter Testverfahren für neue Produkte. Übernahmen von Routinen aus einem anderem Kontext oder aus einer anderen Organisation können für den Übernehmenden Innovationen darstellen. Und neue Produkte oder Prozesse selbst mögen aus Entwicklungsverfahren hervorgehen, die man ihrerseits als Routinen beschreiben kann. Edgerton fasst den Vorgang in dem Paradoxon einer »Routinisierung der Innovation« (1999: 126). 3.1 Der Sinn des Neuen Die entscheidende Frage liegt in der Bestimmung des »Neuen« und des »signifikant Verbesserten«. Wie entscheidet man, in den Worten Howard Aldrichs, welche Variationen gegenüber vergangenen Praktiken neu und anders genug sind, um »Innovationen« genannt zu werden?50 Damit »Innovation« über ein Konstrukt oder Konzept hinaus auch ein Begriff sein könnte, der die unzweideutige Unterscheidung von aller nicht-innovatorischen Veränderung zuließe, müssten sich Neuheit und Signifikanz bestimmen, am besten auch messen und so vergleichen lassen. Noch vor aller Bestimmung oder Messung wäre klar zu machen, für wen und in welcher Hinsicht eine Innovation als neu und signifikant zu gelten habe, denn eigentlich handelt es sich bei der signifikanten Neuheit, die Innovationen auszeichnen soll, um eine Prädikation, nicht um ein Merkmal der Gegenstände selbst, die für sich und untereinander betrachtet nur als »gleich« oder »verändert« zu beschreiben sind. Erst in der Bestimmung einer Richtung von Veränderung ist deren Sinn formuliert und damit hergestellt. In der Praxis gehören beide Referenzen zusammen: Eine Innovation wäre stets eine Veränderung von etwas, das in der Folge für jemanden als neu und bedeutsam erscheinen müsste. In der Frage des »für wen« sind die Referenzrahmen für die Bestimmung der Neuheit die Weltneuheit (new to the world), die Neuheit für einen bestimmten Markt, für eine Branche oder Population von Organisatio-

49 Vgl. etwa Mark Mone/William McKinley/Vincent Barker in »Organizational Decline and Innovation« (1998): »Innovation is relatively rare in organizations, compared to normal administrative routines, because the act of implementing an innovation is controversial, creates uncertainty, and requires coordination across organizational subunits.« (p. 117) 50 Howard Aldrich (1979): Organizations and Environments, p. 97.

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nen und schließlich die Neuheit für eine einzelne Organisation (new to the firm) oder Geschäftseinheit. Gelegentlich wird auch der Kunde als Referenz genannt (new to the customer), aber wenn man davon ausgeht, dass Märkte sowohl durch Produkte als auch durch Nachfrager konstituiert werden, ergibt der Kunde als Referenz außerhalb des Marktes keinen Sinn. Mit jedem Referenzrahmen ändert sich der Anspruch des Begriffs des Neuen. Er wird umso relativer, je weiter man sich der kleinsten operativen Einheit einzelner Organisationen nähert. Eine indirekte Messgröße für Innovativität ist herkömmlicherweise die Zahl von Patenten, die eine Firma oder eine Volkswirtschaft anmelden und halten. Auch die Betriebsausgaben für Forschung und Entwicklung werden als Indizien für Innovativität herangezogen. Beide Messgrößen sind allerdings für den Bereich technisch-industrieller Fertigung entwickelt worden, im Dienstleistungsbereich oder gar im Bereich öffentlich unterhaltener Kulturorganisationen sind sie von geringer Aussagekraft. Weder unterhalten Konzerthäuser Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (obwohl das vielleicht besser für sie wäre), noch melden sie Patente an. Die Frage einer unmittelbaren Messbarkeit hat Keith Smith 2005 in »Measuring Innovation« untersucht. Auch Smith geht davon aus, Innovation sei die Schaffung von etwas qualitativ Neuem durch Prozesse des Lernens und der Entwicklung von Wissen. Die Innovativität daraus entstehender Produkte kann, sagt Smith, intrinsisch auf die eine oder andere Weise messbar sein. Aber die innerhalb einer Produktkategorie gewonnenen Ergebnisse ließen sich mit denen anderer Kategorien kaum vergleichen (p. 149). Das bedeutet, dass sich in manchen Fällen der Grad an Neuheit relativ bestimmen ließe als Abstand zu schon existierenden Produkten oder Prozessen der gleichen Kategorie. Nicht Innovativität als solche wäre also mess- und damit vergleichbar, sondern der Abstand zu Ähnlichem und Bekanntem. Damit erscheint Neuheit in der Innovation auch bei Smith in zweierlei Hinsicht relativ: in Hinsicht auf einen Markt, eine Branche oder eine Organisation, und in Hinsicht auf den »Stand des Materials« innerhalb einer bestimmten Praxis oder Produktkategorie. Die Fähigkeit, die Neuheit des Veränderten wahrzunehmen, ist dabei vielfältigen Einschränkungen unterworfen. Man könnte denken, je neuartiger ein Phänomen, je größer die Diskontinuität zum Bekannten, desto auffallender wirke es auf die Wahrnehmung. Tatsächlich aber kann gerade das Neue die Wahrnehmung überfordern. Nooteboom spricht davon, eine »radikal neue Kombination« sei nicht leicht als Chance zu erkennen, weil sie buchstäblich keinen Sinn ergebe: »Sie kann nicht im Sinn bestehender Praktiken interpretiert werden und geht deshalb über etablierte Bedeutungen […] hinaus. Aus diesem Grund ist sie häufig eine einsame persönliche Sache« (2000: 183). Die Veränderung eines Gegenstands oder einer Praxis kann so weit gehen, dass im Vergleich zu Objekten oder

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Praktiken innerhalb eines Referenzrahmens das Verbindende nicht mehr wahrgenommen wird. So trifft sich das radikal Neue in den Schwierigkeiten für Wahrnehmung und Interpretation mit der unscheinbar geringen, marginal diskontinuierlichen Neuerung, die im Verdacht der Bedeutungslosigkeit steht oder übersehen wird. Zuletzt ist die Wahrnehmung von Neuheit auch abhängig vom Gedächtnis der mit einer Innovation befassten Personen, oder weniger wertend: vom zeitlichen Maßstab der Betrachtung. Am Beispiel der Produktion von Neuheiten in der Popmusik kritisiert der Soziologe Zygmunt Bauman, unter Ausnutzung der kurzen Lebenserwartung des öffentlichen Gedächtnisses würden »alle erdenklichen Retro-Stile und alle möglichen Formen von neu Aufbereitetem, Recyceltem und Plagiiertem als Neuheiten ausgegeben und in die eine, begrenzte Aufmerksamkeitsspanne der Musikfans gepresst«.51 Crossan und Apaydin sagen zu ihrer oben zitierten Common-sense-Definition, sie lasse offen, ob sich »Innovation« durch absolute oder relative Neuheit auszeichne (2010: 1155). Vorausgesetzt aber, es gebe so etwas wie »absolute Neuheit« wirklich, müsste dann nicht sie allein als das entscheidende Kriterium für Innovation dienen? Alles andere, alle »relative Neuheit«, käme über den Rang einer Weiterentwicklung, Anpassung oder Anverwandlung nicht hinaus. Dagegen impliziert das weitere Konzept von Innovation mit der einzelnen Firma oder Organisation als Referenzrahmen, das die OECD und die Mehrheit der wissenschaftlichen Autoren vertreten, die absolute Neuheit nur als Grenzbestimmung eines Feldes, das zwischen dem absolut Neuen und dem absolut Gängigen unendlich viele Valeurs des Innovativen kennt. Die äußersten empirischen Positionen dieses Feldes sind durch »radikale« und »inkrementelle« Innovation bezeichnet; andere Terminologien setzen Reorientierungen gegen Variationen, disruptiv gegen kontinuierlich, explorativ gegen verwertend (exploitative), radikal gegen kombinatorisch oder architektural, radikal gegen verbessert, original gegen reformuliert, revolutionär gegen evolutionär. Die unvermittelte Charakteristik radikaler, Grund legender technologischer Innovation mit ihren sprunghaften Veränderungen deutet Astley in seiner Arbeit über organisationale Evolution als Entsprechung zur biologischen Mutation (1985: 232). Vielleicht ist »unvermittelt« aber auch hier nur eine Wahrnehmungsform, und eben so plausibel kann es sein, disruptive Innovation nicht als Ereignis zu sehen, sondern als Prozess, dessen Wirkung sich über Jahrzehnte

51 Zygmunt Bauman (2009): Leben als Konsum, p. 57. Allerdings hängt die Bewertung eines Retro-Stils als »neu« nicht zwingend vom Gedächtnis des Bewertenden ab. Sie kann auch aus der Definition dessen folgen, was nach Meinung des Urteilenden in der Popmusik als neu gelten darf und was nicht.

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entfalten kann, wie Clayton Christensen und Michael Raynor das vorschlagen.52 Dass in jedem Fall radikale Innovation für Organisationen nicht unproblematisch ist, wird aufbauend auf Christensen in Fariborz Damanpours und Marguerite Schneiders Studie zum Management von Innovation in öffentlichen Einrichtungen klar. Die Autoren schreiben, radikale oder auch explorative Innovationen stellten erhebliche Abweichungen zu den aktuellen Praktiken einer Organisation dar und erforderten häufig die Neukonfigurierung vielfältiger und spezialisierter Ideen und Kenntnisse. Inkrementelle Innovationen erzeugten dagegen einen geringeren Abstand zur gängigen Praxis und seien deswegen meist einfacher zu entwickeln und zu implementieren.53 Auch James Utterback stellt die Folgen radikaler Innovation für die Firma heraus. Nach ihm spült radikale Innovation einen Gutteil der bisherigen Investitionen in Wissen und Know-how, Technik und Ausrüstung hinweg. Daher hat radikale Innovation Diskontinuität auch auf der Ebene von Firmenpopulationen zur Folge, wohingegen kontinuierliche, inkrementelle Innovation eher zur Standardisierung innovativer Produkte und Verfahren und damit zu einer Verstetigung der Verhältnisse führt.54 Einen Grund legenden Systematisierungsversuch haben Rosanna Garcia und Roger Calantone unternommen, um der Inkonsistenz, ja Willkür, wie sie sagen, bei der Klassifizierung von (Produkt-) Innovationen ein Ende setzen. Diese hätten zu einer Stagnation der wissenschaftlichen Forschung geführt, weil einheitliche Phänomene unter verschiedenen Namen und ein und dieselbe Bezeichnung für unterschiedliche Phänomene verwendet würden und deshalb Forschungsergebnisse nicht miteinander vergleichbar seien. 55 Auch Garcia und Calantone betonen, dass »radikal« und »inkrementell« auf eine Vielzahl von Arten und Weisen definiert werden könne, abhängig von der Perspektive des Urteilenden. Eine Systematik ist nach ihrer Meinung aber möglich. Dazu müsse man die Makro- und die Mikroebene der Betrachtung mit den Veränderungen im Bereich der Technologien und der Marktbearbeitung in Beziehung setzen. Mit »Makro-Ebene« ist eine weltweite oder auf Märkte oder Branchen bezogene Beobachtung gemeint, »Mikro-Ebene« bedeutet den Blick auf Organisationen oder Kunden. Radikale Innovationen zeichnen sich innerhalb dieser Systematik dadurch aus, dass sie auf der Makro-Ebene Diskontinuitäten im Bereich von Technologien und Marktstrukturen bewirken. Radikal innovative Produkte übersteigen

52 Christensen/ Raynor 2003: 69. 53 Damanpour/Schneider 2008: 512. 54 James Utterback (1996): Mastering the dynamics of innovation, p. 200. 55 Rosanna Garcia/Roger Calantone (2002): A critical look at technological innovation typology and innovativeness terminology, p. 112ff.

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das bekannte technologische Know-how und durchbrechen bestehende Marktstrukturen. Zugleich erzeugen sie auf der Mikro-Ebene Diskontinuitäten im Bereich von Technologie und Marketing (Marktbearbeitung). Inkrementelle Innovationen dagegen sind nur auf der Mikroebene wirksam. Sie verursachten eine Diskontinuität im Bereich der technologischen Kompetenzen einer Firma oder im Bereich ihrer Fähigkeiten zur Marktbearbeitung, aber niemals für Technologie und Marketing zugleich. Von den Produkten her formuliert hieße das: Inkrementell innovative Produkte erfordern entweder kein neues technologisches Know-how zu ihrer Herstellung oder Verwendung, oder keine neuen Methoden für Marketing oder Vertrieb. Daher lässt sich inkrementelle Innovation definieren im Sinn von Produkten, die neue Eigenschaften, Vorteile oder Verbesserungen im Rahmen einer etablierten Technologie auf einem bestehenden Markt einführen. Radikale Innovation dagegen ist auch in der Lage, neue Nachfrage zu erzeugen und neue Märkte zu schaffen (2002: 119 ff.). Die vier Variablen Makro- und Mikroebene, Technologie und Marketing lassen darüber hinaus acht weitere Kombinationen zu, und diese zu einer eigenen Kategorie zusammengefasst zu haben, darin liegt der eigentliche Beitrag der Arbeit Garcias und Galantones. Diese dritte Kategorie zwischen den Polen radikal und inkrementell soll den größten Teil der Produktinnovationen repräsentieren. Die Autoren nennen sie »wirklich neue Innovationen« (really new innovations). Zu diesen auch als »moderat« bezeichneten Innovationen gehören all jene, die auf der Makro-Ebene entweder eine Diskontinuität in Hinsicht auf Technologie oder eine Diskontinuität in Hinsicht auf den Markt erzeugen, niemals aber beides zugleich. Auf der Ebene der Firmen kann eine »wirklich neue Innovation« eine Diskontinuität im Bereich der Technologie oder im Bereich der Marktbearbeitung erzeugen, oder beides zugleich. Diese mittlere Kategorie von Produktinnovation kann in die Entstehung neuer Produktlinien aus neuen Technologien münden, oder in die Schaffung neuer Märkte für technologisch bereits eingeführte Produkte. Der Unterschied zur radikalen Innovation liegt also darin, dass die Wirkung auf der Makroebene auf einen der beiden Parameter Technologie oder Markt beschränkt bleibt; der Unterschied zur inkrementellen Innovation ergibt sich aus der Reichweite von der Ebene der einzelnen Organisationen bis hin zur Makro-Ebene von Märkten und Branchen (2002: 122). Garcias und Calantones Systematisierung ist von bestechender Logik, wenn man sich innerhalb der vier vorgeschlagenen Parameter Makro-/Mikroebene, Technologie und Markt bewegt. Die Bestimmung des Extremwerts der radikalen Innovation gelingt aber nur um den Preis, dass zwischen Produkten und Erfindungen nicht mehr unterschieden wird – die Autoren nennen etwa die Dampfmaschine als Beispiel. Deren revolutionäre Wirkung, wie wir sie heute verste-

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hen, hat sich aber über viele Jahrzehnte hinweg und durch eine Vielzahl anwendungsbezogener, lediglich »wirklich neuer« und inkrementeller Innovationen hergestellt – im Sinn von Christensens und Raynors Konzept der Prozessualität disruptiver Innovation.56 Auch Keith Smith erinnert daran, dass relativ kleine schrittweise Innovationen kumulativ im Lauf der Zeit große technologische und ökonomische Folgen entwickeln können (2005: 150 f.). Die zeitliche Streuung der Wirkung aber führt zu einer konzeptionellen Unschärfe: In Garcias und Calantones Taxonomie sind weder die einzelnen Positionen unzweideutig messbar, noch sind fließende Übergänge und Überlappungen ausgeschlossen. Ob sich Makro- und Mikroebene über das Konzeptionelle hinaus voneinander trennen lassen, wie es die beiden Autoren nahe legen, oder ob sie empirisch nicht eher miteinander verschränkt sind, weil Firmen, die als Subjekte der Innovation handeln, auch Teil einer Population sind, wäre zu diskutieren. Metcalfe etwa sieht die Adoption oder Imitation von Innovationen als Bindeglied zwischen der Makro- und der Mikro-Ebene: Die einzelne Innovation werde von einer individuellen Organisation hervorgebracht. Auf der Ebene von Populationen lasse sich die Verbreitung (diffusion) von Innovationen beobachten. Adoption und Imitation brächten Veränderungen in das Verhalten individueller Organisationen und seien gleichzeitig Phänomene innerhalb einer Population (2001: 29). Letztlich findet alle Messbarkeit und jede Taxonomie ihre Grenze darin, dass sich im Konzept der Innovation Neuheit und Signifikanz zu einem werthaften Komplex verbinden. Das Neue erhält einen Sinn – Sinn als Bedeutung in Bewegung –, und vielleicht ist das unvermeidlich, wo das Vergehen der Zeit und die Entstehung von Zukunft berührt werden, das Leben der Hoffnungen und der Ängste, der Bedürfnisse, der Wünsche und der Anstrengung zu ihrer Erfüllung. Je nach dem Standpunkt des Urteilenden und dem Kontext des Urteils bestimmt Innovation sich im Verhältnis zu qualitativ konnotierten Gegenbegriffen wie etwa Beharrung, Stillstand oder Tradition. Diesen werthaften und institutionellen Charakter von Innovation hebt auch Aldrich hervor, wenn er davon spricht, es hänge vom Abstand zu den vorherrschenden Formen, aber auch von geltenden Normen und Standards ab, ob eine Veränderung von Strukturen oder Aktivitäten als Innovation bezeichnet werde (1979: 104). »Signifikanz« liegt nicht in der Innovation selbst und nicht zwingend in der Reichweite ihrer Neuheit. Innovation schafft Differenz, und Differenz kann Grundlage einer Vielzahl von Bedeutungen sein. So ist es nach Ian Miles und Lawrence Green denkbar, den Wert von Innovationen auch danach zu bestimmen, inwieweit sie Erfahrungen und Verhaltensweisen umformen, Einkommen generieren, Nachahmer oder Nachfolger an-

56 Zur Wirkungsgeschichte der Dampfmaschine siehe Edgerton 1999: 115f.

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regen.57 Ob und in welchem Maß eine Neuerung als signifikant bezeichnet wird, hängt von den Interessen des Urteilenden ab und von dem, was für den Urheber, für das Subjekt der Innovation auf dem Spiel steht. Auch scheinbar neutralere Konzepte wie diejenigen des Wandels oder der Entwicklung haben bei näherem Hinsehen ihre wertbehaftete Seite. Im Unterschied zu ihnen ist im Konzept der Innovation die Ambivalenz getilgt, die dem Verhalten zur Zukunft häufig eigen ist. Deswegen spricht das Oslo Manual der OECD fortschrittsfroh von Produktverbesserungen als einem Kriterium zur Bestimmung von Innovation (2005: 46), wo es eigentlich auch an den Marktteilnehmern läge, zu entscheiden, ob ihnen ein neues Produkt mehr Wert bietet als das schon vorhandene. Im Begriff der Innovation liegt die Feststellung einer Differenz in Hinsicht auf den Gebrauch des Guts vor dem Horizont des Vergehens der Zeit (Neuheit), die geeignet sein muss, mit Wert aufgeladen zu werden (Signifikanz). Innovation ist Neuheit, die etwas bedeutet; nach allgemeiner Übereinkunft etwas Erstrebenswertes. Ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung, eine neue Organisationsform, die nach dem Urteil der Urheber und der Marktteilnehmer den Nutzen nicht mehren oder das Begehren nicht wecken, während die Zeit vergeht, verdient es nicht, Innovation genannt zu werden. 3.2

Innovation im Bereich von Dienstleistungen

Ob es primär oder sogar ausschließlich ein Dienst ist, was den Wert eines jeden wirtschaftlichen Austausches und jedes verkauften Dings erzeugt, wie es Vargo und Lusch unter der Maxime All economies are service economies nahe legen, muss hier nicht entschieden werden. Aber dass Güter Dienste leisten, für die Verbraucher Geld bezahlen, daran besteht kein Zweifel, und das begründet die Anwendbarkeit von Theorien der Produktinnovation aus der Güterwirtschaft auf den Dienstleistungsbereich. Die Tätigkeit von Kulturorganisationen wie Sinfonieorchestern und Konzerthäusern besteht nun in erster Linie und zum überwiegenden Teil in der Erbringung von künstlerischen und kulturpädagogischen Dienstleistungen. Soweit etwas hergestellt wird, sind es kulturelle Güter wie CDs oder Musikvideos, oder aber öffentliche Güter, die von den Kriterien der technologischen Produktinnovation nicht erfasst werden. Überdies definieren sich unsere staatlich unterhaltenen Organisationen der Musikproduktion institutionell aus einem Gegensatz zur technischen Güterproduktion. Der Weg zu einem Innovationsbegriff für diese Organisationen führt deshalb über die Theorie und die Forschung zu Innovation im Dienstleistungsbereich.

57 Miles/Green 2008: 70.

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Innovationsforschung im Dienstleistungsbereich profiliert sich gegenüber der technologischen Produkt- und Prozessinnovation zunächst unter Verweis auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Sektors. Betrachtet man die Verflochtenheit des Konzepts der Innovation mit jenem des Wachstums, wie sie Schumpeter begründet hat, dann ist das Argument auch keineswegs akzidentiell. Ian Miles schreibt im Jahr 2005, Dienstleistungen hätten in den 1970-er Jahren mehr als die Hälfte zur Wertschöpfung in den Ländern der Europäischen Union beigetragen, zur Jahrtausendwende seien es bereits mehr als zwei Drittel gewesen. 58 Nach Jeremy Howells und Bruce Tether (2004) ist der Dienstleistungsbereich für zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts und für den gleichen Anteil der Beschäftigung in den »entwickelten Ökonomien« verantwortlich, in Europa sei in den letzten zwanzig Jahren das Angebot an neuen Arbeitsplätzen nur in diesem Sektor erweitert worden. In auffallendem Kontrast zu den Prioritäten des Oslo Manuals der OECD und der Europäischen Kommission erklären die Autoren, der Bereich der Dienstleistungen sei heute der wichtigste Wachstums-Motor in den entwickelten Industrieländern.59 Bereits 1986 sagte Richard Barras voraus – noch unter Ausschluss von in Realzeit übertragenen Darbietungen historischer Kulturgüter – Dienstleistungen auf der Basis elektronischer Datenverarbeitung seien die kommende innovative Branche tout court, im Sinn der Kondratieff’schen Zyklen. Dienstleistungen bildeten sich als »neues technologisches System« heraus, weil in ihnen Technologien wie Computer, Elektronik und Telekommunikation konvergierten, und weil sie wegen der zunehmenden Informatisierung der Produktionsprozesse die etablierten Industrien umformten und neue Märkte bildeten.60 Von vielen Autoren wird betont, die Theoriebildung zum Thema Innovation in Dienstleistungen stehe noch am Anfang oder sei ein sehr junger Forschungsgegenstand.61 Das mag auch ein Topos wissenschaftlicher Literatur sein, aber der emanzipatorische Charakter vieler Argumentationen, die fortdauernde Abgrenzung und Differenzierung vom beherrschenden Paradigma der technologischen Produkt- und Prozessinnovation deuten darauf hin, dass hier wissenschaftliche Innovation stattfindet und ein dominant design sich in der Forschung noch nicht

58 Ian Miles (2005): Innovation in Services, p. 433f. 59 Jeremy Howells/Bruce Tether (2004) Innovation in Services, pp. 6 und 11. 60 Richard Barras (1986): Towards a theory on innovation in services, p. 169. 61 Meindert Flikkema/Paul Jansen/Lidewey van der Sluis (2007): Identifying NeoSchumpeterian Innovation in Service Firms, p. 541. John Bryson/Christine Monnoyer (2004): Understanding the relationship between services and innovation: the RESER review of the European service literature on innovation, 2002, p. 207.

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durchgesetzt hat. Für unsere Zwecke ist wichtig zu sehen, dass Teile der Theoriebildung Weisen des Wirtschaftens neu interpretieren und legitimieren, die nicht dem bisher maßgeblichen Bereich technisch-industrieller Fertigung, Forschung und Innovation entstammen. Dies betrifft besonders die für die Dienstleistung typische Verschmelzung von Prozess und Produkt, Innovationen der Geschäftsmodelle, Innovationen in den Dimensionen des Ästhetischen und des Kognitiven und die Idee einer relationellen Wertschöpfung zwischen Anbieter und Konsument. Eine Beschreibung und Interpretation von Praktiken in staatlich unterhaltenen Kultureinrichtungen wird dort ihre Anknüpfungspunkte suchen. Verschiedene Autoren entwickeln eine Genealogie der Dienstleistungsforschung, um den gegenwärtig erreichten Stand der Diskussion verständlich zu machen. Tether und Howells etwa zeichnen eine Folge sich ablösender Haltungen und Konzepte seit den 1989-er Jahren nach, die von »Vernachlässigung« über »Assimilation« und »Abgrenzung« bis zu einer aktuellen »Synthese« reichen. In der »Vernachlässigungs«-Phase erfährt der Dienstleistungsbreich nach Darstellung der Autoren wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung. In der dort herrschenden Sicht bedeutet Innovation vor allem das technische Fortschreiten von Maschinen, Ausrüstung und anderen technischen Gütern sowie der Prozesse ihrer Entwicklung und Vermarktung. Dienstleister werden ebenso wie die LowTech-Branchen als bloße Anwender von technischen Innovationen aus dem Bereich industrieller Fertigung gesehen, nicht als Innovatoren. Nachdem das Wachstum des Dienstleistungsbereichs zu Beginn der 1980-er Jahre unübersehbar geworden war, setzte nach Tether und Howells eine Phase der »Assimilation« in der Forschung ein. Dabei wurden Konzepte und Methoden, die für technologische Innovation im Bereich industrieller Fertigung entwickelt worden waren, unvermittelt auf Dienstleistungen angewendet. Dies äußerte sich etwa in der gleichbleibend zentralen Stellung, die methodischer Forschung und Entwicklung oder der Erzeugung von Patenten im Innovationsprozess eingeräumt wurde. Die im folgenden Jahrzehnt einsetzende Phase der »Abgrenzung« lehnte sich gegen das Paradigma der technischen Produkt- und Prozessinnovation auf und beschäftigte sich statt dessen mit organisationaler Innovation, mit Fragen sozialer Interaktion und mit Innovation in wissensbasierten Dienstleistungen, wo Technologie, förmliche Forschungs- und Entwicklungsprozeduren sowie Patente eine geringere Rolle spielten.62

62 Bruce Tether/Jeremy Howells (2007): Changing Understanding of Innovation in Services. Von der quantitativen Bedeutung von Forschung und Entwicklung gibt Miles (2005) eine Vorstellung, wenn er sagt, die Investitionen in Forschung und Entwicklung innerhalb des Service-Bereichs in der EU hätten sich seit Mitte der 1980-er Jahre

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Die jüngste Perspektive einer »Synthese« soll nun sowohl technologische als auch nicht-technologische Formen des Wandels miteinander verbinden. Daraus entstehende Innovationskonzepte führen nach Ansicht Tethers und Howells’ zu neuen Erkenntnissen und Erklärungen für den Bereich der Dienstleistungen und für den der industriellen Fertigung gleichermaßen. Dabei werden auch die Interaktionen, wechselseitigen Abhängigkeiten und Komplementaritäten zwischen den beiden Wirtschaftsbereichen reflektiert, wie sie sich etwa in der wachsenden Zahl so genannter integrierter Lösungen äußern, in denen technische Güter und Dienstleistungen miteinander verbunden sind.63 Mit den Veränderungen in den wirtschaftlichen Prozessen habe sich auch die vorrangige Beschäftigung der Forschung mit Technologien in Richtung auf Information und Wissen weiterbewegt, und von der einzelnen Firma hin zu Wertschöpfungsketten und Netzwerken. Im gleichen Sinn förderte seit Anfang der 1990-er Jahre eine breit angelegte, eigentlich auf technologische Innovation ausgerichtete Untersuchung wie der European Community Innovation Survey (CIS) ein weit bedeutenderes innovatorisches Geschehen in den Dienstleistungen zu Tage, als das Fachöffentlichkeit und Politik bis dahin wahrgenommen hatten.64 Anregung finden viele der aktuellen Synthese-Überlegungen in einem Aufsatz von Faïz Gallouj und Olivier Weinstein aus dem Jahr 1997. Unter dem Titel »Innovation in services« entwerfen die Autoren die Grundzüge einer Synthese, die auf der Annahme gründet, Theorien und Beschreibungen von Innovation in der Güterwirtschaft ließen sich grundsätzlich auf Dienstleistungen anwenden. Die Autoren bauen auf einem breiten Fundament eigener Untersuchungen zur

verdoppelt. Im Jahr 1997 hätten sie ca. elf Prozent der gesamten F&E-Investitionen der Wirtschaft betragen (p. 436f.). 63 Ein Beispiel sind Automobilhersteller, die zu ihren Fahrzeugen auch Finanzierungsund Assistenzdienstleistungen anbieten. Eine theoretische Auseinandersetzung mit Angeboten, die aus einer Kombination von Gütern und Dienstleistungen bestehen, findet sich früh bei Eric Langeard/Pierre Eiglier (1988): Le couple produit-service dans l'offre globale de services aux entreprises. 64 Tether/Howells 2007: 21f. und 35. Zum European Community Innovation Survey (CIS) auch p. 28 sowie Howells/Tether 2004: 6f. und Smith 2005: 163f. Der CIS wurde auf der Grundlage des Oslo-Manuals erstellt, ist also nicht auf Dienstleistungen ausgerichtet. Dennoch wurde aus ihm geschlossen, dass mehr als ein Drittel der Dienstleistungsfirmen innovatorisch gehandelt hätten, indem sie neue Dienstleistungen oder neue Methoden zur Entwicklung von Dienstleistungen einführten. Eine Übersicht der Forschungsansätze zu Innovation im Dienstleistungsbreich findet sich bei Vence und Trigo (2009): Diversity of innovation patterns in services.

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Innovation im Dienstleistungsbereich. Gleichzeitig bleibt ihr Blick auf Innovation beherrscht vom technischen Ding und seinen Funktionen, auch da, wo es um die im Dienstleistungsbereich so häufige nicht-technologische Innovation geht. Was auch immer erklärt werden soll – das heuristische Modell orientiert sich an der Vorstellung eines technischen Dings mit Eigenschaften. Daher beschreibt Galloujs und Weinsteins »characteristics approach« sowohl Güter als auch Dienstleistungen nach ihren Merkmalen. Diese werden in »finale«, »technische« und »prozesshafte« unterschieden. Die finalen oder auch Gebrauchs- oder Service-Merkmale bezeichnen die »äußerlichen Eigenschaften«, dasjenige am Produkt, das dem Verbraucher die gewünschten Dienste leistet, seine Funktion, seine Eigenschaften. Allgemein gesprochen, gründet jede Bestimmung des Nutzens oder der Dienstleistung eines technischen Gutes auf diesen Merkmalen. Die technischen oder »internen« Merkmale dagegen bezeichnen die, wie die Autoren sagen, »interne Struktur« des Produkts, also wie es gemacht ist, seine Dinghaftigkeit, die Mechanismen, die die Funktion oder die Gebrauchs-Merkmale hervorbringen. Im Fall der Dienstleistung zählen die Autoren auch immaterielle Merkmale dazu, die man in anderem Zusammenhang als Ressourcen des Anbieters bezeichnen würde: juristische oder kaufmännische Expertise, mathematische Instrumente (zur Erstellung finanztechnischer Modelle oder zur quantitativen Recherche), Methoden der Unternehmensberatung oder Standardverträge juristischer Ratgeber. Dienstleistungen zeichneten sich geradezu dadurch aus, dass ihre »Technologien« in Wirklichkeit aus Wissen und Know-how bestehen, die den Dienstleistern eigen sind und die während der Transaktion unmittelbar ihre Wirkung entfalten. Die Prozess-Merkmale schließlich bezeichnen die Art und Weise, wie das Produkt hergestellt oder im Fall der Dienstleistung vielleicht besser: vorbereitet wird. Prozess-Merkmale schließen sowohl die eingesetzte Technologie als auch die Form der Organisation ein, also den spezifischen Transformationsprozess, an dessen Ende das Gut zum Verkauf steht und die Dienstleistung erbracht wird. Wie viele Autoren stellen auch Gallouj und Weinstein fest, die für die Produktion von Gütern typische Unterscheidung zwischen Produkt und Prozess sei im Dienstleistungsbereich oft schwierig zu treffen, in einigen Fällen seien Produkt und Prozess sogar identisch. Was sie im Dienstleistungsbereich unter prozesshaften Merkmalen verstehen, sind vor allem die Organisationsformen der Dienstleister und besonders die Arbeit im backoffice- oder im Fall unserer Konzertorganisationen im backstage-Bereich, also dort, wo ein Kontakt mit dem Kunden nicht unmittelbar besteht (1997: 539 ff.). Als Innovation kann nach Gallouj und Weinstein jede Veränderung bezeichnet werden, die einen oder mehrere der drei Merkmalbereiche betreffen; Verän-

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derungen also der finalen, der technischen und der prozessualen Merkmale. Dies betrifft auch das in den technischen Merkmalen eingeschlossene Wissen und Können sowie, wie man ergänzen sollte, die Kompetenzen des Nutzers. Die von Gallouj und Weinstein herausgearbeiteten Arten von Innovation bilden dabei kein System, in vielerlei Hinsicht überschneiden sie sich. Es sind heuristische Kategorien, die jeweils aus ihrem Verhältnis zu den drei Merkmalbereichen des Dings oder der Dienstleistung bestimmt sind. So sprechen Gallouj und Weinstein von Verbesserungs-Innovation und von inkrementeller Innovation, von Ad-hocInnovation und von rekombinativer Innovation sowie von FormalisierungsInnovation. Was die »Mechanismen« solcher Veränderungen anbelangt, lassen die Autoren ein weites Spektrum zu, das sich von jeder Festlegung auf Forschungs- und Entwicklungs-dominierte Innovation absetzt: »Evolution oder Variation, Verschwinden, Erscheinen, Assoziation, Dissoziation«. Die Veränderungen mögen intentional sein, die Folge absichtsvoller Forschung und Entwicklung, oder emergent, Ergebnis »natürlicher« Lernvorgänge (1997: 547 ff.). Im Hinblick auf Innovation in Kulturorganisationen erscheint besonders die Kategorie der »rekombinativen« oder auch »architektonischen« Innovation von Bedeutung. Diese Art der Innovation besteht in der Neukombination »technischer« und »finaler« Merkmale bereits bestehender Produkte. So können neue Produkte entweder aus der Kombination von Merkmalen vorhandener Produkte entstehen, oder durch die Isolierung bestehender Produktmerkmale zu nun eigenständigen Produkten, oder durch die Einführung einer neuen Technologie zur Erbringung einer schon bekannten Leistung. Den Entwurf einer solchen »rekombinativen« oder »architektonischen« Innovation finden Gallouj und Weinstein in einer Arbeit Rebecca Hendersons und Kim Clarks, der sich die Terminologie verdankt,65 und in einem visionären Aufsatz von Albert Bressand und Kalipso Nicolaïdis, in dem das Konzept einer neuen Klasse rekombinativer Innovationen umrissen wird.66 Henderson und Clark bezeichnen Innovationen, bei denen im Prinzip unveränderte Komponenten zu neuen Funktionseinheiten zusammengefügt werden, als architektonisch (pp. 10 und 13). Dafür werden zwei verschiedene Arten des Wissens gebraucht: Die eine bezieht sich auf die Kernfunktion der Komponenten. Die andere reflektiert die Art der Zusammenfügung und die Integration der vorhandenen Teile zu einem neuartigen Ganzen (p. 11). Veränderungen der ersten Art von Wissen in einer Organisation sind inkrementell, die der zweiten Art sind disruptiv und machen vorhandenes Wissen obsolet.

65 Rebecca Henderson/Kim Clark (1990): Architectural Innovation – The Reconfiguration of Existing Product Technologies and the Failure of Established Firms. 66 Bressand/Nicolaïdis (1988): Les services au cœur de l'économie relationnelle.

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Für Bressand und Nicolaïdis geht es bei der rekombinativen Innovation um eine Verschiebung des Denkens weg von den Komponenten und hin zu Fragen der Funktion. Im Licht neuartiger Funktionen erschienen die alten Komponenten häufig nicht mehr als aus bestehenden Zusammenhängen isoliert, sondern viel mehr als neu erfunden. Dissoziation und Assoziation als Modi der Innovation erinnerten daher weniger an ein Spiel mechanischer Kombinationen (jeu de mécano), sondern eher an Gentechnik (ingénierie génétique), durch die sich die Natur der Produkte evolutiv und irreversibel verändere (1988: 143 ff.). Als Beispiele nennen die Autoren die Entstehung von Charterfluggesellschaften aus einer Rekombination und Spezialisierung von Leistungen von Linien-Fluggesellschaften sowie die Entstehung von Fastfood-Restaurants.67 Über diese Beispiele hinaus dürfte man vermutlich auch Internet-Buchhändler in diese Kategorie zählen, überhaupt macht es das Internet möglich, Elemente auch von Wertschöpfungsketten zu rekombinieren und dabei etwa Zwischenhändler oder überkommene Transformationsprozesse zu eliminieren. Die Verbindung ursprünglich voneinander unabhängiger Dienstleistungen zu einem neuen »System« gehört ebenso in diese Kategorie der »rekombinativen« oder »architektonischen« Innovation. Nach Darstellung Galloujs und Weinsteins sind solche neuen Dienstleistungskomplexe um Supermärkte, Versicherungen, Banken, Beförderung, Hotels, Tourismus und Freizeitindustrie entstanden (1997: 550 ff.). Auch Galloujs und Weinsteins »Formalisierungs-Innovation« wird mit Blick auf staatlich unterhaltene Kulturorganisationen zu reflektieren sein. Während für die beiden Autoren alle anderen Kategorien von Innovation auf der qualitativen und quantitativen Veränderung von Produkteigenschaften beruhen, bezeichnet die Formalisierungs-Innovation eine Veränderung des Formalisierungsgrads einzelner Merkmale, eine Veränderung ihrer Sichtbarkeit und ihres Symbolgehalts, man könnte auch sagen: ihrer Gestalt. Oft besteht der Formalisierungsprozess darin, dass einzelnen Leistungsmerkmalen ein Name gegeben wird, so dass sie als eigenständige Leistungen vermarktet werden können; Gallouj und Weinstein sprechen hier auch von einem »Explizit-Machen durch soziale Konstruktion« (1997: 553 f.). Auch dieser Gedanke findet sich bereits bei Bressand und Nicolaïdis angelegt, für die sich die funktionale Neukombination mit einem korrespondierenden sprachlich (und damit sozial) geprägten neuen »Konzept« verbin-

67 Betrachtete man solche Innovationen aus der Perspektive der wirtschaftenden Organisation, ließen sich die Beispiele auch als Innovationen des Business-Modells beschreiben. Diese leisten eine Neubestimmung eines schon bestehenden Produkts oder einer Dienstleistung und der Art und Weise, wie diese dem Kunden zugänglich gemacht werden. Vgl. Constantinos Markides (2006): Disruptive Innovation, p. 19f.

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det (1988: 144). Für unsere Konzerthäuser und Sinfonieorchester wird zu prüfen sein, ob auf diese Weise soziale, nicht-künstlerische Funktionen traditioneller Kulturveranstaltungen und die Erzeugung öffentlicher Güter als eigenständige Leistungen explizit gemacht und vermarktet werden. Zehn Jahre nach dem Entwurf Galloujs und Weinsteins formulieren Flikkema, Jansen und van der Sluis eine Genealogie der Innovationsforschung als Abfolge der drei Leitbilder der Assimilation, der Abgrenzung und der Synthese, ganz ähnlich wie zur gleichen Zeit Tether und Howells. Die Herstellung einer Synthese beanspruchen auch sie. Diese nähert sich der technologischen Innovation als – nach ihrer Meinung – Paradigma aller Innovation und als zentrale Ursache wirtschaftlichen Wachstums wieder an und reduziert dadurch die Menge der Veränderungen, die von Gallouj und Weinstein als Innovationen anerkannt werden. Konzepte Dienstleistungs-spezifischer Innovation oder von Innovationen, die das Verhältnis von Anbietern und Kunden am Markt verändern, lehnen Flikkema, Jansen und van der Sluis als unhaltbar ab. Neu ist an ihrem Ansatz, dass Dienstleister als Urheber eigenständiger technologischer Innovation anerkannt werden.68 Im Dienstleistungsbereich bedeute Innovation den »kreativen Gebrauch« und die »Neuerfindung« an anderem Ort entwickelter neuer Technologien aus dem Bestreben heraus, Lösungen für Kundenbedürfnisse zu finden (p. 549). Demnach bezeichnete »Produktinnovation« die Anwendung einer neuen Technologie zur Generierung einer neuartigen Dienstleistung oder die Anwendung einer bestehenden Technologie auf eine Weise, die ein neues Dienstleistungs-Angebot schafft. Jede neu entwickelte Dienstleistung muss ein individuell gekennzeichnetes Angebot sein, das unter eigenem Titel verkauft werden kann. Ziel aller Innovation und wichtigstes Kriterium für ihre Anerkennung ist nach Flikkema, Jansen und van der Sluis die Erzielung wirtschaftlichen Wachstums. Neue Services, für die der Nutzer nichts zu zahlen braucht, finden daher keine Berücksichtigung als Innovation (2007: 552 f.). Dass sich formale Produkte und informelle Leistungen, zu bezahlende und nicht-monetarisierte Angebote aufeinander beziehen und ihre Grenzen durch Innovation laufend verschoben werden, liegt außerhalb des Erklärungshorizonts der drei Autoren. »Synthese« bedeutet in der Theoriebildung also nicht »Konsens«. Unter dem Leitbild einer Synthese lebt die alte Auseinandersetzung um Status und Eigenart des industriellen, produzierenden Sektors auf der einen, und der Dienstleistungen auf der anderen Seite fort. Das erste Problem einer Innovationstheorie für Dienstleistungen und Dienstleister liegt in der Schwierigkeit, überhaupt ein schlüssiges Konzept des weitläufigen Bereiches zu entwickeln. Im Grund be-

68 Flikkema/Jansen/van der Sluis 2007: 543ff.

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schäftigen dabei die historischen Urteile und Vorurteile über die »Probleme« der Dienstleistung die Forschung noch heute: Das Problem der Immaterialität – das sich in Zeiten der Informatisierung in einen Normalfall wandeln mag. Das Problem der Heterogeneität, einer »mangelnden« Standardisierbarkeit von Dienstleistungen – das angesichts der wachsenden technischen Möglichkeiten massenhaft produzierter »maßgeschneiderter Lösungen« seine Grundlage verliert. Das Problem der Untrennbarkeit von Produktion und Konsumption – das sich in den Vorzug größerer Kundennähe umformulieren ließe, und das Problem der Ephemeralität, der »mangelnden Konservierbarkeit« – die man unter dem Aspekt einer geringeren Bindung von Kapital an Inventar ebenso gut als Vorteil werten kann.69 Die Fragen werden uns bei der Beschäftigung mit den drei Konzerthäusern wieder begegnen. Denn was ist eigentlich das Produkt dieser Kulturorganisationen? Sind es Konzerte? Ist es »Abendunterhaltung«, um ein von Brecht gern abschätzig gebrauchtes Wort zu verwenden?70 Sind es Begegnungen? Begegnungen mit Musik? Mit »Künstlern«? Ist es die Teilhabe an einer festlich gestimmten Gesellschaft? Ein Bildungserlebnis? Wo und wie entsteht für die Kunden, für das Publikum so etwas wie Wert? Wenn man die konkrete Wirklichkeit oder paradox gesagt: den Gegenstand der Dienstleistung nicht recht beschreiben kann, dann wird es schwierig, Veränderung und Neuheit, oder signifikante Veränderung und Neuheit, also Innovation, zu fassen. Aller Bemühungen um eine eigenständige Definition ungeachtet werden Dienstleistungen nach Meinung von Vargo und Lusch noch immer negativ definiert, hauptsächlich aus Sicht der Eigenschaften materieller, technischer Güter. Dienstleistungen sind das, was technische Güter nicht sind; eine allgemein anerkannte positive Definition der Dienstleistung sei noch immer nicht erreicht (2004b: 325). Die allgemeinste Bestimmung einer Dienstleistung ist nach dem Vorschlag der Autoren die einer Anwendung von Kompetenzen zum Nutzen einer weiteren Partei durch »Taten, Prozesse und Darbietungen (performances)«. Vargo und Lusch wollen damit eine Definition für »Prozesse angewandter Kompetenz« geben, die immaterielle Dienstleistungen und materielle Güter gleichermaßen umfasst.71 Auch die Definition der Dienstleistung als Transformations-

69 Eine eingehende Diskussion findet sich bei Stephen Vargo und Robert Lusch (2004b): The four service marketing myths: remnants of a goods-based, manufacturing model, p. 326f. Siehe auch Flikkema, Jansen und van der Sluis 2007: 541. 70 Bertolt Brecht, etwa 1938: Anmerkungen zur Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, pp. 77 und 86, oder 1948: Kleines Organon für das Theater, p. 349. 71 Vargo/Lusch 2004b: 325 sowie 2004a: Evolving to a New Dominant Logic for Marketing, p. 2.

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prozess einer bestimmten Realität, die Flikkema, Jansen und van der Sluis vornehmen, ist geeignet, Güter und Dienstleistungen in einer einheitlichen Perspektive zu erklären. Der Unterschied der Dienstleistung zur Güterwirtschaft liegt in diesem Fall darin, dass das Ergebnis der Transformation nicht als eigenständiges Ding vorliegt, das unabhängig von seiner Herstellung in der Wirtschaft zirkulieren kann. Der »Dienstleistung« genannte Transformationsprozess ist aber umgekehrt geeignet, von anderen hergestellte Güter zu verändern. Verändern können Dienstleistungen auch Menschen (in der Bildung, im Gesundheitswesen, in der Kultur), Symbole (Informationen) und den Zustand einer wie auch immer definierten Umwelt. Das Marketing von Dienstleistungen definieren Flikkema, Jansen und van der Sluis als »Marketing transformationaler Versprechen«.72 Der zweite Grund, warum im Bereich der Dienstleistungen schwer zu bestimmen ist, was als Innovation gelten darf, liegt an deren verglichen mit dem körperhaften Gut geringeren Augenfälligkeit. So stellen Howells und Tether fest, der Moment, in dem sich das Dienstleistungs-Produkt signifikant ändere, lasse sich nicht immer beobachten (2004: 31f.). Auch die häufig nicht-lineare Entstehung von Dienstleistungs-Innovation aus Interaktionen mit Kunden könne die Beobachtung des Innovationsprozesses zu einer komplexen Aufgabe machen (2004: 32). Komplex ist daher auch das wissenschaftliche Instrumentarium, das die Autoren zur Bewältigung der Herausforderungen von Innovation im Dienstleistungssektor für notwendig halten. Wegen des relationalen Charakters, wie auch der nicht formalisierten (disembodied) und impliziten (tacit) Innovationsprozesse bei Dienstleistungen, sei eine Integration von Theorien aus Bereichen außerhalb der traditionellen Innovationsstudien notwendig: Theorien organisationalen Verhaltens, sozialer Netzwerke, des Marketings, der Strategie und der Kommunikation. Und eigentlich müsste dieser erweiterte Zugang der Dienstleistungsforschung zur gesamten Wirtschaft geöffnet werden (2004: 13 und 35). Marja Toivonen und Tiina Tuominen definieren Innovation im Bereich der Dienstleistungen als neuen Service oder als Neufassung einer bestehenden Dienstleistung im Sinn einer diskontinuierlichen Veränderung, die der Organisation, die sie einführt, einen Nutzen oder Gewinn bringt. Dieser Gewinn entstehe üblicherweise aus dem Mehrwert, den die Dienstleistung dem Kunden beschert (2009: 892). Die Autorinnen sind der Meinung, eine solche Innovation müsse replizierbar sein und generalisierbare Aspekte besitzen – eine Vorstellung, die man aus der Produktinnovation in der Güterwirtschaft kennt. Dies ist allerdings ein Punkt, über den in der Forschung debattiert wird, denn wie bei Gallouj und

72 Flikkema/Jansen/van der Sluis 2007: 550.

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Weinstein zu sehen war, entstehen Neuerungen in Dienstleistungen in vielen Fällen ad hoc, bei der Lösung spezifischer Probleme individueller Kunden. Zugespitzt bedeutete dies, dass Innovation durch die Erbringung der Dienstleistung selbst erzeugt wird. Gallouj und Weinstein verstehen die Replizierbarkeit dabei nicht als Eigenschaft der einzelnen Ad-hoc-Innovation, vielmehr entsteht die Möglichkeit von Replikation als Folge der durch die Problemlösung erweiterten Wissensbasis des Dienstleisters (1997: 549). Im Fall der Ad-hoc-Problemlösungen sprechen Toivonen und Tuominen von reaktiver, bei planvoll-prozesshafter Entwicklung von proaktiver Innovation. Sie stellen fest, dass die meisten Dienstleistungs-Innovationen aus graduellen Verbesserungen entstehen, selten aus radikalen Veränderungen (2009: 894). Diese Auffassung wird von anderen Studien bestätigt, etwa von Andrea Ordanini und A. Parasuraman, nach denen direkte Lösungsbeiträge von Kunden zu inkrementellen Verbesserungen führen, radikalere Lösungen aber oft verhindern.73 Kundenspezifische Lösungen sind also eine wichtige Quelle von Neuerungen im Dienstleistungsbereich, doch bestehen Toivonen und Tuominen darauf, solche Lösungen müssten weiterentwickelt werden und mehr als nur eine Anwendung ermöglichen, um wirklich als Innovationen gelten zu können (2009: 892f.). Denkbar ist auch, über Toivonen und Tuominen hinaus, eine strategisch induzierte Prozessinnovation eines Dienstleisters, die diesen dazu befähigt, methodisch Ad-hoc-Lösungen für individuelle Kundenprobleme zu finden, etwa durch bestimmte Analyse-Methoden oder Expertensysteme. Ohne sich in die Diskussion um die eigentümlichen Eigenschaften der Dienstleistung und die Bedingungen ihrer Beobachtung zu verwickeln, schlagen Ordanini und Parasuraman eine formale Bestimmung der DienstleistungsInnovation als »vormals nicht verfügbares Angebot an die Kunden eines Unternehmens« vor. Bei einer solchen Innovation könne es sich entweder um die Erweiterung eines bestehenden Leistungsangebots handeln oder um eine Veränderung des Prozesses der Leistungserbringung, die wiederum Veränderungen der Kompetenzstruktur des Dienstleisters und/oder der Kunden erfordere (2011: 5). Damit ist der durch Flikkema, Jansen und van der Sluis verengte Möglichkeitsraum strategischer Innovation wieder geöffnet. Aus der gleichen Perspektive der Service-dominanten Logik formulieren Vargo und Lusch (2008), Innovation sei nicht eine Bestimmung dessen, was eine Firma produziere, sondern der Art und Weise, wie sie bessere Dienste leisten könne (p. 4 f.). Die Unterscheidung zwischen dem Produkt des Dienstleisters und der Essenz seiner Dienste mag dabei

73 Andrea Ordanini/A. Parasuraman (2011): Service Innovation Viewed Through a Service-Dominant Logic Lens, p. 4.

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wie ein Sophismus erscheinen, doch liegt der Unterschied nicht zwischen der Formulierung eines Eigentlichen und eines noch Eigentlicheren, sondern es wandert der Fokus der Beobachtung von der Dienstleistungs-Organisation an die Schnittstelle zwischen ihrem Tun und demjenigen des Kunden – an jenen Ort oder zu jener Handlung, in denen Wert erzeugt wird. Die Dienstleistungs-Organisation, so formulieren es Ordanini und Parasuraman, kann die Wertschöpfung nicht herstellen und liefern, sondern nur anbieten (2011: 5). Anders als ein Produzent von technischen Gütern kann ein Dienstleister ohne Kunden – in unserem Fall ohne Publikum – nichts produzieren, was einen Wert hätte. Im Unterschied zu traditionellen Bestimmungen von Gütern und Dienstleistungen spielt nun der Verbraucher mit seinen eigenen Kompetenzen und seinem Engagement eine Rolle im Prozess der Wertschöpfung.74 Traditionell sind Gütern jeweils distinkte Eigenschaften zugeordnet worden, die sich dem Planen und Tun des Herstellers verdanken; dem Verbraucher sollte es obliegen, diese Eigenschaften abzurufen, zu nutzen, wie man heute sagt. Dem widersprechen die jüngeren Vorstellungen einer gemeinschaftlichen Produktion von Wert zwischen Dienstleister und Kunde. Unser Wort von der »Bedienung« technischer Geräte durch ihre Besitzer zeigt, dass die Herrschaftsverhältnisse und Ressourcenflüsse auch zwischen Gut und Verbraucher niemals einsinnig geregelt gewesen sind. Bei der Betrachtung von Gütern wie etwa Automobilen, Spielkonsolen, Zimmeraquarien und E-Pianos wird deutlich, dass diese jeweils Teil bestimmter Kulturen sind und ohne die Kompetenz, bisweilen sogar Kreativität der Verbraucher nur einen Teil ihres Wertes entfalten. Die zahlreichen Hinweise in der Güterwirtschaft auf »Bedienungsfreundlichkeit« und »user friendlyness« lassen sich überdies so verstehen, dass es zwischen den Ansprüchen der technischen Funktion und dem lebensweltlichen Begreifenkönnen einen Bedarf an Vermittlung gibt, auf den die Hersteller einzugehen suchen. Der gleichen Diskussion um die Ansprüche der Gegenstände und die Ressourcen des Publikums, um die Ansprüche des Publikums und die Potenziale der Gegenstände werden wir in den Organisationen der Kunst wieder begegnen. Auch hier steht Vermittlung im Mittelpunkt von Produkt- und Marketinginnovationen, auch hier wird viel Aufwand betrieben, um für den Kunden, für das Publikum eine Atmosphäre von Freundlichkeit bis hin zur Freundschaft herzustellen. Der Kunde spielt nach den Vorstellungen der Service-dominanten Logik eine aktive Rolle bei der In-Wert-Setzung einer Dienstleistung, indem er seine Ressourcen einbringt. Das Geschick eines Anbieters liegt darin, Kunden und andere

74 Vargo/Lusch 2004a: 2 und 11. Vgl. auch Roderick Brodie/Linda Hollebeek/Biljana Juric/Ana Ilic (2011): Customer Engagement.

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externe Akteure wie Lieferanten mit ihrem Wissen, ihren Fertigkeiten und ihrem Wollen als operante Ressourcen in seine Prozesse einzubinden und »Veränderung als kollaborative Kompetenz« zu befördern (Ordanini und Parasuraman 2011: 5). Als operante Ressourcen gelten jene vor allem kulturellen und sozialen Ressourcen, über die Verbraucher oder Partner wirtschaftlicher Tauschverhältnisse »autoritativ« verfügen und deren kulturelle Schemata nachfolgend die Allokation operander Ressourcen wie Sachmittel und Geld bestimmen.75 Amy Risch Rodie und Susan Schultz Kleine erwägen sogar, die vom Kunden eingebrachten Ressourcen mit jenen der Angestellten gleichzusetzen. Nach verbreiteter Meinung steige die Produktivität, wenn Kunden als »partielle Mitarbeiter« verstanden würden; in jedem Fall erhöhe die Partizipation der Kunden deren Zufriedenheit und ihre Toleranz gegenüber eventuellen Fehlern des Dienstleisters.76 Für den Bereich öffentlicher Organisationen – wie im Gesundheitswesen, in der Bildung und implizit auch in der Kultur – bestimmt Richard Walker Innovation als Versuch, Bedürfnisse externer Nutzer zu befriedigen. Als Folge des Zwecks, Bedürfnisse eines Publikums zu befriedigen, ließen sich Innovationen im Bereich öffentlicher Dienstleistungen am besten aus dem je spezifischen Verhältnis zu den Nutzern verstehen (2007: 593). Innovation wird also auch hier als relational bestimmt, und als die Art und Weise, wie eine Organisation – mit dem oben zitierten Wort Vargos und Luschs – »bessere Dienste leisten« kann. Überboten wird diese Perspektive der Service-dominanten Logik noch einmal durch die gegenwärtig parallel sich entwickelnde »Kunden-dominante Logik«. Der Grundgedanke ist zwar nicht neu, Theodore Levitt hat bereits im Jahr 1960 darauf hingewiesen, Ziel des Managements sei die Herstellung von Zufriedenheit bei den Kunden, nicht die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen. Marketing bedeute die Befriedigung von Kundenbedürfnissen mit den Mitteln von Produkten und den Dingen im Zusammenhang mit ihrer Schaffung, ihrer Zurverfügungstellung und ihrer Aneignung durch den Kunden.77 Nach aktuellen Formulierungen werden Güter und Dienstleistungen als Ressourcen verstanden, die vom Verbraucher als Inputs zur Beförderung seiner eigenen Wertschöpfungsprozesse und Erfahrungen (experiences) gebraucht werden.78 Nicht mehr

75 Zum Konzept operanter und operander Ressourcen vgl. Steve Baron/Gary Warnaby (2008): Individual customers’ use and integration of resources, p. 64, sowie Vargo 2009: 375. 76 Amy Risch Rodie/Susan Schultz Kleine (2000): Customer Participation in Services Production and Delivery, p. 113ff. 77 Theodore Levitt (1960): Marketing Myopia, pp. 50 und 53. 78 Karpen/Bove/Lukas 2012: 22.

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Dienstleistungen und Austauschverhältnisse stehen im Mittelpunkt dieses Forschungsinteresses, sondern die Frage, wie sich eine Dienstleistung in die Lebenszusammenhänge, Praktiken, Aktivitäten und Erfahrungen des Kunden einfügt, wie sie den Interessen und Zielen des Kunden dient. Aus Sicht der Firma gilt es also zu verstehen, wie Kunden Dienstleistungen in ihre »Aktivitätssysteme« oder – so einfach wie theoretisch weit gefasst – in ihr Leben integrieren können.79 Damit wächst nicht zuletzt der kritische Einfluss des »Kontaktpersonals« auf Innovationsprozesse, derjenigen Mitglieder einer Organisation also, die Umgang mit dem Publikum haben.80 Nicht zuletzt in der Kreativwirtschaft haben sich von den Nutzern her konzipierte (user-driven) Innovationsprozesse etabliert. Ian Miles und Lawrence Green nennen als Anwendungsbeispiele die Schaffung von neuen Medieninhalten (content), die Gestaltung von Benutzeroberflächen, die Distribution von Inhalten, etwa durch peerto-peer-Systeme oder über soziale Netzwerke im Internet (2008: 59 f.). Auch der in den deutschen Medien präsente »Kundenbeirat« der Commerzbank ist ein Beispiel für eine Marketinginnovation und zugleich für eine Innovation des unternehmenseigenen Innovationsprozesses, der Kunden nun aktiv einbezieht.

4.

INNOVATION

IN DER

K ULTURWIRTSCHAFT

Innovationstheorien aus dem Bereich der Dienstleistung können die Theoriebildung für staatlich unterhaltene Organisationen der Kunst in mehrfacher Hinsicht fördern. Sie erweitern die innovationsfähigen Bereiche über die Grenzen der materiellen Greifbarkeit hinaus, die mit dem Paradigma der technologischen Produktinnovation gesetzt worden sind. Sie machen die vielfältigen, oft kleinschrittigen Formen und Prozesse der Erneuerung, die ohne methodische Forschung und Entwicklung zu Stande kommen, zu einem würdigen Gegenstand der Forschung. Und sie schärfen den Blick für die soziale Natur wirtschaftlicher Austauschverhältnisse, darauf, dass sich Innovation auf die Interaktion zwischen Organisation und Marktteilnehmer, zwischen Anbieter und Publikum beziehen kann und daraus in manchen Fällen entsteht. Doch ist der Bereich der Dienstleistungen ein weites Feld. Es reicht vom örtlichen Krankengymnasten bis zum internationalen Bankenkonzern, von der städtischen Musikschule bis zum weltumspannenden Fluglinien-Verbund. Einzelne Funktionsbereiche haben unsere Kulturorganisationen mit anderen Branchen ge-

79 Kristina Heinonen et al. (2010): A Customer-Dominant Logic of Service, p. 533ff. 80 Vgl. Ordanini/Parasuraman 2011: 4.

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meinsam: das informatisierte Buchungswesen etwa mit der Fluglinie, die kulturellen Vermittlungsprogramme mit der Schule oder der Volkshochschule. Die Felder von Dienstleistungen, die den Bedingungen und Fragestelllungen unserer staatlich unterhaltenen Organisationen der Kunst am nächsten kommen, sind indessen die Kreativwirtschaft und die so genannte Erlebniswirtschaft. In diesen Bereichen lässt sich eine Theoriedebatte zum Thema Innovation noch immer in Entstehung beobachten. So stellen Ian Miles und Lawrence Green in »Hidden innovation in the creative industries« fest, Innovation und Kreativwirtschaft seien nur in sehr wenigen Studien systematisch aufeinander bezogen worden (2008: 5 und 14). Den Hauptgrund für diese Vernachlässigung vermuten die Autoren in der Dominanz ästhetischer Fragen und in der so wichtigen wie schwer zu objektivierenden Rolle des Inhalts (content) in den Erzeugnissen dieses Wirtschaftszweigs. Man wird auch die in vielen Fällen soziale Natur der Leistungserbringung zu den Gründen einer schwierigen Theoriebildung zählen können. Technische Prozesse der Transformation von Inputs zu Gütern sind einfacher auf einen Begriff ökonomischer Rationalität zu bringen als die Erzeugung eines als wertvoll empfundenen Erlebnisses. Welche Wirtschaftszweige zur Kreativwirtschaft gezählt werden sollen, ist umstritten, es gibt eine Vielzahl von Definitionen. Was »Kreativwirtschaft« jeweils bedeutet, spielt eine taktische Rolle in den Diskussionen um Autorenrechte und um die Ansiedlung von »Zukunftsbranchen« sowie in diesem Zusammenhang um harte und weiche Ansiedlungsfaktoren; die Definitionen werden von wirtschaftlichen und politischen Interessen beeinflusst. Miles und Green verwenden in ihrer Studie einen weit gefassten, inklusiven Begriff. Er bezeichnet Aktivitäten, die ihren Ursprung in individueller Kreativität, individuellem Geschick und Talent haben und deren Erzeugnisse das Potenzial zur Wertschöpfung durch intellektuelles Eigentum besitzen. Danach umfasst die Kreativwirtschaft Werbung, Architektur, Kunst- und Antiquitätenmessen, Kunsthandwerk, Design einschließlich Designermode, Film, Musik, die darstellenden Künste, das Verlagswesen, Softwareentwicklung, Computerspiele, Radio und Fernsehen.81 Eine genauere Bestimmung macht eine Definition der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2006 möglich. In ihr wird zwischen einem »kulturellen Sektor« und einem »kreativen Sektor« unterschieden. Der »kulturelle Sektor« besteht zunächst aus einem Kern, der weitgehend den klassischen Künsten ent-

81 Miles/Green 2008: 12. Die Autoren folgen der Definition der Taskforce Kreativwirtschaft des Department for Culture, Media and Sport (DCMS) der britischen Regierung aus dem Jahr 1998. Eine Übersicht verschiedener Taxonomien, auch der des DCMS, findet sich in KEA 2006: 57.

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spricht. Er versammelt nicht-industrielle Hersteller nicht-reproduzierbarer Güter und Dienstleistungen, welche zum Konsum im Augenblick ihrer Entstehung bestimmt sind – ein Konzert oder eine Opernaufführung wären solche Produkte. Dieser Kern umfasst den Bereich der darstellenden und der bildenden Künste, Kulturerbe-Stätten wie Museen, archäologische Fundorte, Bibliotheken und Archive sowie den Zirkus. Die Erzeugnisse dieses Sektors, etwa unser Beispiel einer Opernaufführung, gelten als Prototypen und haben ein Potenzial für Autorenrechte (copyright). Um diesen Kern des »kulturellen Sektors« herum existiert der innere Kreis der Kulturindustrien, die Kulturgüter produzieren, die zur massenhaften Reproduktion, zur massenhaften Vermarktung und auch für den Export bestimmt sind. Hierzu gehören Rundfunk und Fernsehen, die Filmwirtschaft, Hersteller von Videospielen (KEA 2006: 53). Wird eine Opernaufführung von einer Plattenfirma als Prototyp für die Produktion und Vermarktung von DVDs verwendet, so zählt diese Firma zum inneren Kreis der Kulturindustrien. Im »kreativen Sektor«, dem zweiten Kreis um den Kern der Künste, wird »Kultur« zum Input bei der Produktion »nicht-kultureller« Güter. Dem solcherart definierten kreativen Sektor gehören die Bereiche Produktdesign und Modedesign, Architektur und Innenarchitektur sowie Werbung an. Kreativität wird hier verstanden als »Gebrauch kultureller Ressourcen zum zwischengeschalteten Konsum innerhalb des Produktionsprozesses nicht-kultureller Wirtschaftszweige, und in diesem Sinn als Quelle von Innovation.« Ausführlich argumentiert die Studie, mit der »Kreativität« des kreativen Sektors sei ein komplexer Prozess der Innovation bezeichnet, bei dem Ideen, Kompetenzen und Fertigkeiten, Technologie, Management, Produktionsprozesse und Kultur zusammenwirken können. Diese Definition der Kulturindustrie hat den Vorzug, dass die Künste nicht als Randthema oder sogar als Antipoden der Wirtschaft angesehen werden müssen, vielmehr bilden sie einen kreativen Pol, dessen Schöpfungen in wirtschaftliche und industrielle Prozesse Eingang finden. Kultur wird in diesem Prozess der Innovation im »kreativen Sektor«, zur Ressource im Transformationsprozess der Herstellung »funktionaler Güter«. Sie liefert Fertigkeiten, Arbeitsmethoden und »Codes« an andere Wirtschaftsbereiche, wo diese mit weiteren Ressourcen kombiniert werden (KEA 2006: 36f.). Ein einfaches Beispiel dafür wäre die Verwendung von Opernmusik in der Werbung für italienische Teigwaren, ein komplexeres die Entwicklung selbst-reflexiver und symbolisch mehrdimensionaler RetroDesigns bei der Gestaltung neuer Automobilserien. Nicht als »kreativ« gelten der Bereich der Software-Entwicklung und jener des Sports, obgleich der erste Merkmale von Autorenschaft aufweist und der zweite Gemeinsamkeiten mit den darstellenden Künsten besitzt. Der Grund hierfür ist, dass in keinem der beiden Bereiche »Kultur« als Ressource in den Produktionsprozess einfließt.

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Auf andere Weise funktional bestimmt sich das Konzept der Erlebniswirtschaft. Joseph Pine und James Gilmore propagieren in »The Experience Economy« (2011) ihre Produkte und Prozesse als vierte Gattung neben Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen. Während Güter materiell (tangible) und Dienstleistungen immateriell (intangible) seien, kennzeichnen die Autoren Erlebnisse als erinnernswürdig (memorable). Nimmt man die Idee beim Wort, so erführe ein Produkt durch den Konsum eine erneute Transformation im Sinn einer Internalisierung durch den Verbraucher, wodurch eine mentale Repräsentation von gewisser Dauerhaftigkeit erzeugt würde. Der Verbraucher wird zum Co-Produzenten einer solchen Erlebnis-Erfahrung, indem er eigene Kompetenzen und Ressourcen in den Konsumptionsprozess einbringt.82 Nach Pine und Gilmore ist es die Aufgabe einer Unternehmung, ihre Leistungen so in Szene zu setzen, dass der Kunde Erlebnisse hat, an die er sich gerne erinnert. So produziere die Unternehmung idealerweise happyness-generating experiences, Erlebnisse, die das Gefühl von Glück erzeugen (2011: 3 ff.). Das Konzept einer Erlebniswirtschaft enthält demnach ein praktisches Prinzip: das einer planvollen Dramaturgie und Inszenierung eines Konsumptionsprozesses durch den Anbieter, als Folge derer sich beim Kunden ein Erlebnis oder eine Erfahrung konkretisiert. Man mag sich dabei an Theodore Levitts weiter oben zitiertes Postulat erinnert fühlen, nach dem das Ziel des Managements nicht die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen sei, sondern die Herstellung von Zufriedenheit bei den Kunden. Mit seinem Hinweis, Güter würden produziert, Dienstleistungen aber inszeniert, nimmt Levitt Konzepte einer Erlebniswirtschaft sogar wörtlich vorweg.83 So vollzieht die aktuelle Entwicklung den Paradigmenwechsel weg vom Tauschakt und hin zur Konsumptionserfahrung als jenem Ort wirtschaftlicher Austauschverhältnisse, an dem sich der Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung realisiert.84 Helkkula, Kelleher und Pihlstro beschreiben diesen Vorgang der Wertschöpfung als »fortgesetzten, iterativen Prozess oder Kreislauf individueller und kollektiver Herstellung von Sinn, in den die Kunden eigene kulturelle und soziale Ressourcen einbringen und in dem die aktuelle Konsumptionserfahrung von der Erinnerung an vorhergehende und von der Erwartung an nachfolgende beeinflusst wird.85 Eigentlich handelt es sich dabei um eine Subjekti-

82 Vgl. auch Miles/Green 2008: 12f. 83 Theodore Levitt (1981): Marketing intangible products and product intangibles, p. 8. 84 Leonieke Zomerdijk/Christopher Voss (2010): Service Design for Experience-Centric Services, p. 67f. 85 Anu Helkkula/Carol Kelleher/Minna Pihlstro (2012): Characterizing Value as an Experience, p. 59ff.

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vierung dessen, was die klassische Theorie als Wert objektiv in der Ware eingeschlossen sieht, und deshalb erwächst die Theoriebildung zunächst aus der Dienstleistungs-Forschung, die sich immer schon zur Beschäftigung mit nichtmaterieller Leistungserbringung zwischen Wirtschaftssubjekten verpflichtet sah. Einem Orchester, das mit seinen Kunden an Konzertabenden kommuniziert, ist diese Perspektive nicht fremd; vielleicht sprechen Pine und Gilmore auch deshalb von der »Orchestrierung« von Verbraucher-Erlebnissen (2011: 27). Die Grundzüge des Erlebnis-Marketings haben sich im Bereich der hedonischen Konsumption entwickelt, in Dienstleistungen, die Musik, Unterhaltung, Bewirtung, Unterbringung, Reisen zum Gegenstand haben. Dieser Bereich bildet den Kern dessen, was man unter dem Namen »Erlebniswirtschaft« zusammenfassen mag. Nach den Grundsätzen dieser Wirtschaft aber geht es darum, den Erlebniswert im Prinzip jeglicher Leistungserbringung zu gestalten und zu steigern,86 so wie es inzwischen etwa Autohersteller mit der Auslieferung und im Fall der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen sogar mit der Produktion tun. Dienstleistungen als inszenierte Vorstellungen (staged performances) zu sehen, sei daher nicht metaphorisch gemeint, schreibt John Deighton in einer frühen Formulierung des Prinzips. »Inszenierte Vorstellung« bedeute ein Arrangement, das in Hinsicht auf den Eindruck, den es auf die andere Seite mache, getroffen werde, und zwar ohne den Versuch, dieses Ziel zu verbergen. Eine Aktion werde zur Aufführung, wenn das Publikum glaube, die Akteure seien ihm zur Einhaltung von Standards verpflichtet. 87 Entscheidend für den Wert der DienstleistungsPerformance sei, dass der Kunde involviert ist, dass er eine Rolle spielt. Je mehr der Kunde in dieser Rolle aufgehe, desto höher sei der Erlebniswert.88 In der Praxis werden Interaktionen mit Kunden nach den Prinzipien des Schauspiels oder der Show inszeniert. Stephen Grove, Raymond Fisk und John Joby sehen dabei Akteure (das Service-Personal), ein Publikum (die Kunden), eine Spielstätte und die performance selbst im Spiel.89 Nach Ansicht von Zomerdijk und Voss sind zur Erzielung emotionaler Wirkungen von Dienstleistungen Dauer, Sequenz und der Gang der Dramaturgie von Bedeutung, nicht anders

86 Vgl. Sara Sandström et al. (2008): Value in use through service experience, p. 117. 87 John Deighton (1994): Managing Services When the Service Is a Performance, pp. 124f. und 137. 88 Ebd., p. 131. Der Autor unterscheidet zwischen skill-, thrill- show- und festive performance und beschreibt ein Kontinuum der Involviertheit des Kunden, das vom detached role taking über ritual acting, heated stage acting und hypnotic role taking bis zu trance states reicht. 89 Stephen Grove/Raymond Fisk/Joby John (2000): Services as Theater, p. 25.

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als in Romanen, Theaterstücken und Kinofilmen. Dabei erinnerten sich Kunden an die Grundzüge der Dramaturgie, an den »Trend« einer Sequenz von Tiefen und Höhen; besonders positiv sei die Erinnerung, wenn die Vorstellung ein angenehmes Ende hat. Die Gestaltung erfahrungsorientierter Dienstleistungen erfordere daher die bewusste Gestaltung der dramaturgischen Struktur.90 Die Autoren heben einige Felder für die Gestaltung und Innovation erfahrungsorientierter Dienstleistungen hervor: Die prozessorientierte Gestaltung der Leistungserbringung aus der Perspektive der Kunden (customer journey und Dramaturgie), die sinnlichen Qualitäten, die Interaktionen des Kontaktpersonals mit den Kunden, die Gestaltung des Verhältnisses zu anderen Konsumenten (etwa in Form von Freundeskreisen, Fanclubs oder brand communities) und schließlich die Verbindung der Frontstage- mit den Backstage-Bereichen.91 4.1 Versteckte Innovation Die Frage, welche Branchen zu den »kulturellen«, den »kreativen« und den erlebnisorientierten Sektoren gehören, berührt diejenige nach dem Produkt. Vom Produkt sowie der Art und Weise seiner Herstellung und Übereignung hängt es ab, nach welchen Gesichtspunkten von Innovation die Rede sein kann. Und hier beginnt die Auseinandersetzung auch der Kulturwirtschaft mit den »klassischen« Kriterien der technologischen Produkt- und Prozessinnovation. Flikkema, Jansen und van der Sluis hatten Innovation in Dienstleistungen ja auch deshalb am Beispiel der technologischen Produkt- und Prozessinnovation orientiert, weil ihnen organisationelle, konzeptuelle oder gar ästhetische Neuerungen als »zu idiosynkratisch«, als zu sehr von den Bedingungen und Maßstäben des Einzelfalls abhängig und zu wenig verallgemeinerbar erschienen (2007: 549). Dagegen wird man sagen können, das »Idiosynkratische« mache gerade die unverzichtbare Eigenart künstlerischer Produktion und Erzeugnisse aus, in ästhetischen Theorien wird es unter den Begriffen des Besonderen, des Subjektiven, des Authentischen verhandelt. Versucht man, einen Innovationsbegriff für Kulturorganisationen, die sich mit der Produktion von Kunst beschäftigen, zu entwickeln, erscheint eine Auseinandersetzung mit dieser Kategorie »idiosynkratischer« Neuerungen unerlässlich. Daher soll hier zwei Konzepten nachgegangen werden, die

90 Zomerdijk/Voss 2010: 69. 91 Ebd., p. 79. Abstraktere Anforderungen an die Dramaturgie des LeistungserbringungsProzesses formulieren Marion Buchenau und Jane Fulton Suri in »Experience Prototyping« (2000). Nach ihnen sind kontextuelle, physikalische, sensorische, soziale und kognitive Faktoren einzubeziehen (p. 425).

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an Phänomenen kultureller Produktion und Dienstleistung ausgerichtet sind und dabei aus Sicht der technologischen Produkt- und Prozessinnovation als heterodox erscheinen: Dem Konzept einer hidden innovation, einer »versteckten Innovation«, das Ian Miles und Lawrence Green 2008 veröffentlicht haben, und Paul Stonemans 2007 vorgestelltes und 2009 ausgearbeitetes Konzept einer soft innovation, einer »weichen Innovation«.92 »Hidden innovation« ist zunächst als Bezeichnung für Phänomene der Neuerung eingeführt worden, die von traditionellen Mess- und Erhebungsmethoden für Innovation nicht erfasst werden, für Innovationen, die gängigen Definitionen und Beobachtungsmethoden verborgen bleiben. Dazu gehören Neuerungen, die nicht aus wissenschaftlicher oder technologischer Forschung entstehen, die nicht in Patenten kodifiziert sind oder die Firmen oder Organisationen entwickelt werden, die so klein sind, dass sie durch das Raster statistischer Erhebungen fallen. Diese Neuerungen betreffen Kategorien wie rekombinative Innovation, Innovationen von Organisationsformen, von Produktionsprozessen, von Geschäftsmodellen oder der Art und Weise, wie Angebote einem Publikum zugänglich gemacht werden. Im Besonderen bezieht sich hidden innovation auf Neuerungen im kreativen Sektor. Miles und Green übernehmen dabei die Bestimmung der Felder und Prozesse von Innovation, wie sie von Autoren wie Zomerdijk und Voss für die Erlebniswirtschaft formuliert worden sind. So bezeichnet hidden innovation Neuerungen in den Bereichen des Leistungserbringungs-Prozesses, der räumlichen Umgebung der Service-Leistung (etwa eines Theaters, eines Konzerthauses), des Service-Personals, der Beziehungen zwischen den Konsumenten und der Unterstützung durch den Backoffice-Bereich. Was das Produkt anbelangt, untersuchen Miles und Green Innovationen in vier Hinsichten. Da ist zunächst das »kulturelle Produkt« im Sinn eines Dings, das einen Inhalt (content) von Informationen und Bedeutungen transportiert: ein Film, ein Videospiel, nach Meinung der Autoren auch eine Skulptur oder eine Darbietung auf einer Bühne. Selbst wenn ein solches kulturelles Produkt in seiner Dinghaftigkeit materiellen Wirtschaftsgütern gleiche, so unterscheide es sich doch in seiner Funktionalität, die primär in der Aufbewahrung eines Inhalts und dadurch der Ermöglichung einer Erfahrung bestehe.93 Die zweite Hinsicht oder

92 Ian Miles/Lawrence Green (2008): Hidden innovation in the creative industries sowie Paul Stoneman (2009): Soft innovation – Towards a more complete picture of innovative change, und Paul Stoneman (2007): An Introduction to the Definition and Measurement of Soft Innovation. 93 Vgl. auch Throsby 2001: 103f. Throsby spricht mit Blick auf Kunstwerke davon, es existierten getrennte Märkte für ihre physische Erscheinung und für die mit ihnen ver-

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»Dimension« ist das von den Autoren so genannte »kulturelle Konzept«, der »Inhalt« des Produkts: Figuren, Geschichten (narratives), Repräsentationen von physischen Objekten oder von Ideen. Die dritte Hinsicht ist die Art und Weise, wie das Produkt für den Nutzer zugänglich gemacht wird. Und viertens erscheint die Benutzeroberfläche als Feld von Innovation, die Art und Weise, wie der Konsument mit dem Produkt interagiert, um die Erfahrung zu machen, die nach Miles und Green das Ziel und Ergebnis der kreativen Aktivität ist (2008: 16). Neue – vor allem Daten verarbeitende – Technologien führen zu Innovationen bei der Herstellung von Produkten, bei ihrer Distribution (häufig über Plattformen im Internet) und im Bereich ihrer Benutzeroberfläche. So entstehen rekombinative Innovationen, die sich durch die Änderung der Konfiguration von Inhalten und Technologien auszeichnen. Fernsehserien werden etwa auf DVD veröffentlicht; Inhalte, die zunächst von der Compact Disc für das Internet und den Gebrauch am PC umformatiert wurden, sind nach einer erneuten Umformatierung jetzt auch über das Mobiltelefon zu konsumieren (2008: 69 f.). Neue Techniken führen auch zu Innovationen der Geschäftsmodelle, etwa in der Migration von Videospielen von festen Datenträgern hinein ins Internet. Treiber solcher Innovationen sind in der Kreativwirtschaft mehr als in anderen Bereichen Privatkunden oder Endverbraucher, die nach Darstellung Miles’ und Greens immer ausgefeiltere Geschmäcker und expertenhafte Vorlieben entwickeln und die, wie man ergänzen darf, häufig auch selbst zu Fachleuten der technologischen Entwicklung werden, die Anbieter mit der Veröffentlichung ihrer Meinungen in spezialisierten Foren anregen oder unter Druck setzen können.94 4.2 Vertikale, horizontale und weiche Innovation Zwischen den OECD-Leitlinien der Jahre 1997 und 2005 fällt eine rhetorische Veränderung auf, die in unserem Zusammenhang bedeutsam ist. 1997 schloss das Oslo Manual vom Begriff der Innovation Veränderungen aus, die lediglich more of the same, mehr vom gleichen brächten (p. 8). In der jüngsten Version dagegen werden Veränderungen ausgeschlossen, die »geringen Umfangs« sind oder eines »hinreichenden Maßes an Neuheit« entbehren (2005: 17). Beide Bestimmungen lassen subjektiven Einschätzungen Raum. Die ältere, pointiertere

bundenen Ideen. Auf dem einen Markt werde der ökonomische, auf dem anderen der kulturelle Wert bestimmt. 94 Miles/Green 2008: 6. Zur Bedeutung informierter anspruchsvoller Publika auch Jody Evans/Kerrie Bridson/Ruth Rentschler (2012): Drivers, impediments and manifestations of brand orientation in museums, p. 4.

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Formulierung aber eröffnet einen für die Innovation in der Kulturwirtschaft entscheidenden Prinzipienstreit, dem die OECD im jüngeren Dokument wieder aus dem Weg zu gehen sucht. Im Grund lässt sich alle Innovation außer der als »radikal« oder »revolutionär« definierten als ein »Mehr vom Gleichen« bezeichnen, wählt man das Raster der Wahrnehmung nur groß genug. Warum sollte etwa der Schritt vom Vergaser- zum Einspritzmotor bei einem Automobilhersteller als Innovation gelten – in beiden Fällen ist und bleibt das Produkt doch ein Auto mit Verbrennungsmotor? Mit ähnlicher sprezzatura könnte man über die Gründung spezialisierter Orchester urteilen, die nach Grundsätzen historisch informierter Aufführungspraxis auf Nachbauten alter Instrumente spielen – Orchester bleiben sie doch. Was ist mit der ersten nach »historischer« Praxis gestalteten Einspielung einer Beethoven-Symphonie, die bis dahin nur in Aufnahmen romantischer Klangtradition vorgelegen hat? Stellt die erfolgreich am Markt platzierte CD eine Innovation dar? Ist sie more of the same? Nach den Leitlinien der OECD bleibt kulturellen Produkten wie Büchern, Filmen, Kompositionen, CDs, von denen Neuheiten laufend in großer Zahl entwickelt und auf den Markt gebracht werden, die Anerkennung als Innovation verwehrt. Sie sind und bleiben »mehr vom Gleichen«. Die spezifische Natur der Neuheit kultureller Produkte hat Richard Caves in »Creative Industries« herausgestellt. Keine neu eingespielte CD ist identisch mit einer schon vorhandenen, kein neues Buch, kein neuer Film sind identisch mit einem anderen. Sie unterscheiden sich allerdings auf zwei verschiedene Weisen, so Caves, die jeweils etwas Unterschiedliches bedeuten. So können Verbraucher, die über die Kenntnis eines neuen und eines vergleichbaren vorhandenen Buches verfügen, übereinstimmend zu dem Schluss kommen, das eine sei besser als das andere. Unterstellt, beide Bücher sind zum gleichen Preis erhältlich, werden alle das bessere wählen. Dieses Verhältnis der Güter zueinander nennt die Ökonomik »vertikal differenziert«. Häufig aber gehen die Meinungen über »besser« und »schlechter« auseinander, häufig sind die Unterschiede fein. Für welches Buch, für welchen Film oder für welche Einspielung der Einzelne sich entscheidet, das hängt – gleiche Preise unterstellt – von seinen Vorlieben ab. Der eine zieht dieses vor, der andere jenes. In diesem Fall spricht die Ökonomik von »horizontal differenzierten« Gütern. Nach Caves weisen Produkte aus dem kreativen Sektor eine Mischung vertikaler und horizontaler Differenziertheit auf. Je differenzierter die Produkteigenschaften, je mehr unterschiedliche Kriterien es zu ihrer Beurteilung gibt, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Güter horizontal differenziert sind. Dennoch stellen sich in zahlreichen Fällen weithin geteilte Präferenzen oder Rangordnungen ein – ein Indiz für vertikale Differenzierung.

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Caves spricht von der »infinite variety property« kreativer Produkte, von ihrer unendlichen Differenzierbarkeit (Caves 2000: 6). Gängige Vorstellungen von Innovation gehen in der Regel ohne weitere Diskussion davon aus, Innovation sei ein Vorgang vertikaler Differenzierung, ein neues Produkt bedeute ein besser funktionierendes, ein überlegenes Produkt, und daher verdränge das Neue das Alte. »Innovation ist die Implementierung eines bezogen auf eine Firma neuen oder signifikant verbesserten Produkts«, formuliert das Oslo Manual der OECD (2005: 46). Die erste Hälfte des Satzes ließe eine Öffnung in Richtung horizontal differenzierter Produkte zu, und erstmals wird in der Ausgabe des Jahres 2005 mit der Anerkennung von »MarketingInnovationen« eine Tür zur Erneuerung von Anmutung und Aufmachung eines Produkts geöffnet. Dennoch gelten ein neuer Roman oder eine neue Einspielung einer Beethoven-Symphonie lediglich als veränderte Versionen vorhandener Produkte, nicht als Innovation. Wegen eines »Mangels an Kriterien«, so formuliert es das Oslo Manual von 1997, bleiben Veränderungen ausgeschlossen, die Verbesserungen einer »weitgehend subjektiven, auf persönlichem Geschmack, ästhetischen Urteilen oder Moden gründenden Kundenzufriedenheit« mit sich brächten (p. 9). Das ist wieder, nur anders formuliert, der Vorwurf des »Idiosynkratischen«. Über den Gebrauchswert glaubt die OECD objektiv reden zu können, über ästhetische Präferenzen und Kundenzufriedenheit nicht. Mit seinem Konzept einer »soft innovation« plädiert der Ökonom Paul Stoneman dagegen für die Ausweitung des ökonomischen Innovationsbegriffs auf Neuerungen von Gütern und Dienstleistungen, die deren sinnliche Qualitäten, ästhetische Erscheinung, intellektuellen Gehalt und kognitive Herausforderungen verändern.95 Grundsätzlich kann soft innovation nach Stoneman in jeder Branche entwickelt werden. Dabei unterscheidet er zwischen Produkten mit ästhetischem oder intellektuellem Zweck sowie primär »funktionalen« Produkten. Im ersten Fall lässt sich von soft innovation sprechen, wenn ein neues Buch geschrieben und veröffentlicht wird, wenn eine neue CD aufgenommen und auf den Markt gebracht wird, wenn ein neuer Film gedreht und in die Kinos gebracht, ein Computerspiel entwickelt und vermarktet wird. Die Entwicklung und Implementierung einer Werbekampagne zählt Stoneman ebenso zu dieser Gruppe wie den Entwurf und die Vermarktung einer Modekollektion; sein Begriff reicht vom Cirque du Soleil bis zur Erfindung von Botox in der Schönheitschirurgie (2009: 86). Von soft innovation im Zusammenhang mit »funktionalen« Gütern spricht Stoneman im Fall der Entwicklung und Vermarktung neuer Finanzinstrumente, bei der Designentwicklung einer Möbelkollektion oder eines neuen Automo-

95 Stoneman 2009: 21.

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dells. Weiter gehören dazu der Klang eines Autoauspuffs, der Geschmack einer Speise, der Duft bestimmter Blumen in einer Gartenarchitektur (2009: 19 ff.). Die Frage, aus welchem Grund Neuerungen ästhetischer oder informationeller Natur als Innovationen bewertet sollen, ist für die Verfechter einer »versteckten« und einer »weichen« Innovation nicht leicht zu beantworten. Am Anfang der Überlegungen steht wohl der Eindruck, das traditionelle Konzept funktionaler Verbesserungen werde der Entwicklung einer zunehmend Informationsbasierten und Dienstleistungs-orientierten Wirtschaft nicht umfassend gerecht, sein universaler Anspruch beziehe sich also auf historisch entwickelte Wirtschaftsformen und Wertschöpfungsarten, die heute immer partikularer werden. Dass kreative Industrien innovativ seien, setzen Miles und Green voraus. Und weil die Erlebniswirtschaft und die Perspektive des Verbrauchers bei der Entfaltung von Mehrwert immer wichtiger würden, wird nach ihrer Ansicht auch die Anerkennung von Veränderungen zeichenhafter Inhalte (symbolic content) als wichtige Form von Innovation wachsen (Miles und Green 2008: 69). Stoneman hingegen versteht vor allem den wirtschaftlichen Effekt kulturwirtschaftlicher Novitäten als Argument. So sei in der Kreativwirtschaft der Beitrag neuer Produkte zum Umsatz im Durchschnitt fast doppelt so hoch wie in anderen Wirtschaftszweigen (2009: 30). Damit wendet sich Stoneman gegen den Mainstream der Wirtschaftswissenschaftler, die zum Beispiel Joanne Rowlings Harry-PotterWerk nicht als Innovation verstünden, obwohl es doch über die Bücher und Filme ein beträchtliches Einkommen generiert hat (p. 21). More of the same ist ein neuer Harry-Potter-Band für Stoneman deswegen nicht, weil er messbare Wohlfahrtsgewinne erzeugt. Diese errechnen sich aus der Summe des Gewinns der Anbieter und jenes Gewinns, der sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis und der subjektiven Wertschätzung der Käufer ergibt. Je mehr Exemplare verkauft werden oder je größer der Marktanteil eines neuen Produkts ausfällt, desto größer ist für Stoneman die Bedeutung von dessen Neuheit. Innovationen in der Kreativwirtschaft seien überdies geeignet, den Markt zu entwickeln, indem sie die Nachfrage nach einer Produktklasse insgesamt erhöhen (p. 65). Eigentlich versucht Stoneman, »weiche« Innovation mit ökonomisch harten Fakten zu belegen. Ein wichtiger Indikator für relevante Innovation sind für Ihn Bestsellerlisten und Charts, weil sie Hinweise auf Marktanteile von Neuerscheinungen geben (p. 106). Da der Umsatz der Titel exponentiell abnimmt, je weiter sie von den Spitzen der Charts entfernt liegen, lasse sich signifikante Innovation durch einen Blick auf den verhältnismäßig kleinen Bereich der Bestseller erkennen (pp. 38 und 45). Aber haben Bestsellerlisten vielleicht eigene Dynamiken? Diese Frage wird von Stoneman nicht geklärt, und ungefragt bleibt, ob Bestseller in allen Fällen unterscheidbare Eigenschaften verglichen mit weniger nachge-

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fragten Produkten besitzen. Unterstellt wird offenkundig, alle neuen Produkte hätten die gleichen Chancen am Markt, Erfolg verdanke sich der Innovativität. Auch die Differenzierung zwischen kurzfristigem und langfristigem Markterfolg, die Bourdieu in seiner Theorie kommerzieller und artistischer Kulturen entwickelt hat, wird bei Stoneman nicht berücksichtigt. Er erwähnt das Phänomen späten Markterfolgs zwar am Beispiel von Tolkiens »Herr der Ringe«. Das Werk gilt ihm jedoch als Ausnahme, als »Schläfer«, nicht als Beispiel einer bedeutenden Gruppe kreativer Erzeugnisse, zu denen in der Musik etwa die Symphonien Gustav Mahlers zu zählen währen. Technische Innovation und ihre Diffusion sowie Marketing-Innovationen – im Fall des Buches etwa die Einführung des Taschenbuchs – sind für den Markterfolg kreativer Produkte oft wichtige Faktoren, neben der Differenzierung inhaltlicher, ästhetischer oder sensorischer Merkmale. Der Erfolg eines kreativen Produkts verdankt sich vielfältigen Faktoren und deren Zusammenwirken. Bis er eintritt, kann Zeit vergehen. Für Stonemans Konzept einer soft innovation erscheint dagegen der kurzfristige Markterfolg als der Normalfall. Obwohl der Ökonom doch einen eigenständigen Begriff für »kreative« Produkte anstrebt, folgt er damit dem Paradigma der technischen Massenproduktion von Gütern mit ihrer Notwendigkeit einer schnellen Amortisierung des eingesetzten Kapitals, weil innovative Produkte rasch wieder unter Preis- und Kostendruck geraten.96 Das ist jene Seite der Kulturindustrie, die Adorno und Horkheimer, in jüngerer Zeit auch Jameson kritisiert und unter den Verdacht nur scheinbarer, gewiss nicht signifikanter Neuerung gestellt haben.97 Latent bevorzugt Stoneman durch seine Fixierung auf die Charts eine vertikale Differenzierung kultureller Güter. Dass »idiosynkratischen« Neuerungen im kreativen Bereich eigenständige Mus-

96 Das Konzept zunehmenden Kostendrucks haben James Utterback und William Abernathy in »A Dynamic Model of Process and Product Innovation« (1975) begründet. Dabei gehen sie von einer typischen Verlaufskurve der Produktinnovation aus. An deren Anfang liegt das Erfolgskriterium in der Funktion des Produkts. In einer zweiten Phase bildet die Differenzierung des Produkts oder der Produktklasse den Gegenstand der unternehmerischen Anstrengung. Die letzte Phase ist durch Standardisierung und die Senkung der Herstellungskosten geprägt (p. 427ff.). 97 Fredric Jameson (1991): Postmodernism, or, The cultural logic of late capitalism. Jameson erklärt auf p. 4f.: »What has happened is that aesthetic production today has become integrated into commodity production generally: the frantic economic urgency of producing fresh waves of ever more novel-seeming goods […] at ever greater rates of turnover, now assigns an increasingly essential structural function and position to aesthetic innovation and experimentation.«

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ter des Markterfolgs entsprechen können, realisiert etwa durch die extensive Vermarktung im long tail des Internet-Handels, spielt für das Modell Stonemans keine Rolle. Der Ökonom nimmt wahr, dass sich in den von ihm betrachteten Charts der Umschlag neuer Produkte in den letzten Jahrzehnten beschleunigt hat, dass die Verweildauer von Titeln auf den Bestseller-Plätzen stetig abnimmt. Er schließt daraus, die Innovationsrate habe sich um ein Mehrfaches erhöht.98 Mit dem Verweis auf die Charts ist etwas zur ökonomischen Relevanz kreativer Produkte gesagt, aber wenig zur Relevanz horizontaler Differenzierung für die Frage nach der Innovation. Stonemann geht von dem Anliegen aus, »Wandel und Dynamik« in der Kreativwirtschaft,99 die Erzeugung von Neuheit in den Dimensionen des Ästhetischen, des Gustativen, des Intellektuellen und des Informativen für eine Theorie der Innovation zu erschließen, und gewiss setzt der Begriff der Innovation voraus, dass Neuheit erzeugt und an den Markt gebracht wird. In diesem Sinn sagt Stoneman, »weiche« Veränderungen bedeuteten Neuheit und erfüllten daher eine grundlegende Anforderung des Innovationsbegriffs (2007: 14). Zum Ziel kommt das Unterfangen aber deswegen nicht, weil die Referenzkategorie für jene Signifikanz, die eine Neuheit zur Innovation macht, ohne sachlichen Bezug zur Veränderung des Produkts gewählt ist. Stoneman glaubt, mit dem Markterfolg ein allgemeines und objektives Kriterium für innovatorische Relevanz gefunden zu haben. Was sich damit messen lässt, ist jedoch nichts weiter als der Markterfolg selbst, der kommerzielle Ertrag einer Neuheit, indirekt vielleicht der Einfluss ästhetischer, sensorischer, inhaltlicher Veränderungen auf die Konsumentscheidungen eines Publikums. Letzteres wiederum entspricht dem Begriff der Marketing-Innovation in der jüngsten Ausgabe des Oslo Manuals, der den Versuch einer Öffnung des Technologie-orientierten Innovationsbegriffs darstellt, Stoneman aber als nicht hinreichend erscheint. 100 Über das, was Innovativität bedeutete, über die Signifikanz einer Neuheit, ist im Konzept der soft innovation qualitativ nichts gesagt. Dass horizontale Produktdifferenzierung, die ökonomische Wohlfahrtsgewinne erzeugt, Innovation bedeute (2009: 23), bleibt letztlich ein Postulat. Stonemans Abgrenzungsversuch von Innovationsbegriffen, die eine Funktionsverbesserung zum entscheidenden Kriterium machen, bleibt auch deswegen

98

Um den Faktor drei über die vergangenen 30 Jahre (Stoneman 2009: 42).

99

Stoneman 2007: 13.

100 OECD (2005): »A marketing innovation is the implementation of a new marketing method involving significant changes in product design or packaging, product placement, product promotion or pricing.« (p.49) Die Kritik dieser Definition findet sich in Stoneman 2009 auf p. 22.

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unvollständig, weil er der Frage nach der Funktion kaum nachgeht. Die Annahme, ästhetische oder sensorische Variationen hätten mit der Funktion eines Produkts nichts zu tun, verfängt jedoch nur, wenn mit »Funktion« ausschließlich so etwas wie technische Instrumentalität gemeint ist. Das Oslo Manual von 1997 schließt, wie erwähnt, Verbesserungen in Hinsicht auf eine subjektive, auf Geschmack, ästhetischen Urteilen oder Moden gründenden Kundenzufriedenheit aus dem Kreis der Innovation wegen eines »Mangels an Kriterien« aus (p. 9). Aber Kriterien für eine soft innovation kreativer Produkte lassen sich gewinnen. Warum sollte man etwa ästhetische Bildung, die Vertiefung des Wissens, die Erzeugung sinnlich angenehmer oder reizender Wahrnehmungen nicht als Funktionen oder Leistungen eines Produktes verstehen, die sich verbessern oder erneuern lassen? Ein beträchtlicher Teil der individuellen Konsumption vollzieht sich überdies im sozialen Raum, sodass auch die Beförderung sozialer Distinktion zu den Funktionen eines Buchs, eines Films, eines Modeartikels, eines Automobils gezählt werden kann. Das gilt umso mehr für kreative Produkte, deren Funktionsumfang die Erzeugung und Gestaltung eines sozialen Ereignisses umfasst, wie in unserem Fall das Konzert eines Sinfonieorchesters. In diesem Sinn haben Jorge Alcaide-Marzal und Enrique Tortajada-Esparza die Wirkung ästhetischer Innovation als Steigerung des vom Verbraucher wahrgenommenen Wertes eines Produkts definiert und als Befriedigung von Kundenbedürfnissen in Hinsicht auf persönlichen Geschmack, soziales Image und Interesse an Neuheit. So halten diese Autoren ästhetische Neuerungen für vergleichbar mit technologisch erzeugten Funktionsveränderungen von Gebrauchsgütern.101 Nach diesen Kriterien wäre zum Beispiel die Übertragung der Ästhetik von Action-Filmen in Computerspiele, die die Rollenidentifikation des Spielenden vertieft und dadurch den Erlebniswert erhöht, eine Innovation. Obwohl die Leitlinien der OECD und auch Stoneman routinemäßig das Kriterium der Signifikanz bemühen, schließen sie die Welt der Zeichen, der Bedeutungen, des Diskurses von der Beurteilung ästhetischer Innovation aus. Auch

101 Jorge Alcaide-Marzal/Enrique Tortajada-Esparza (2007): Innovation assessment in traditional industries. A proposal of aesthetic innovation indicators, pp. 40 und 43. Über die Frage, welches die Gründe und Motive individueller Konsum-Wünsche seien, wird seit Veblens »The Theory of the Leisure Class« (1899) in den Wirtschaftswissenschaften diskutiert. Den vorherrschenden utilitaristischen und individualistischen Modellen stehen dabei soziologische und kulturwissenschaftliche Konzepte entgegen, nach deren Dafürhalten Gütern und Preisen eine sozial konstruierter Sinn zugewiesen ist. Vgl. die Darstellung von Veblens Ansatz in Colin Campbell (1987): The Romantic Ethic and the Spirit of Modern Consumerism, p. 36ff.

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Marzal und Esparza sprechen lieber von der »Magnitude« der Veränderungen und versehen ihr Konzept mit der Klausel, kleine ästhetische Veränderungen, die keine »substanziellen Veränderungen der formalen Struktur des Produkts« mit sich brächten, seien insignifikant und daher keine Innovation (2007: 43). Eine solche bedeutungslose Veränderung ist ihnen etwa der Wechsel der Farbe eines Produkts. Ob eine solche Veränderung als Innovation gelten kann, hängt aber nicht von ihrer Amplitude ab. Worauf es ankommt, ist der Kontext der Bedeutungen und der Sinn-Produktion auf dem jeweiligen Markt. So stellt heute die Einführung einer neuen Farbe im Automobilbau in der Regel tatsächlich nur »Mehr vom Gleichen« dar. Im Fall von Fords T-Modell ließe sich die Einführung bunter Ausführungen im Jahr 1926 dagegen mit Gründen als Innovation bewerten, nachdem das Massenmodell in den Jahren zuvor einheitlich in schwarzen Lackierungen gefertigt worden war. Mit der Einführung der Farblackierung wurde ein neues Ausdrucksmittel für individuelle Mobilität geschaffen und eine neue Möglichkeit der Distinktion. Wesentlich für einen Erfolg von Konzepten wie jenes einer soft innovation ist es daher, dass der Raum der Bedeutungen, in dem Urteile über signifikante Neuerungen immer vollzogen werden, für die Gewinnung von Kriterien für die Innovation kultureller Dienstleistungen und Güter genutzt wird. Für klassische Ökonomen ist der Gedanke ungewohnt, aber benötigt wird tatsächlich eine Hermeneutik der Innovation.

5.

INNOVATION IN DER KUNST

Lassen sich die Innovation der Dinge und Dienstleistungen sowie die Schaffung von Neuem in den Künsten auf einen gemeinsamen Begriff bringen? Liegt der Schlüssel zu solch einem Begriff in einer Hermeneutik der Innovation, in der Einbeziehung der Zeichen, Bedeutungen, Diskurse in die Beantwortung der Frage nach der Signifikanz von Neuerungen? Gelänge diese Begriffsbildung, so erschiene eine umfassende Theorie der Innovation in der Kulturorganisation als Unternehmung und Institution der Kunst als möglich. Innovation ist eine wesentliche Dimension organisationalen und unternehmerischen Handelns. Auf der anderen Seite gilt Neuheit zumindest bis in jüngste Zeit als zentrales Kriterium für die Beurteilung des Kunstwerts von Kunst. »Neuheit« und »Originalität« sind zweihundert Jahre lang zur Qualifizierung von Erzeugnissen europäischer Kunst herangezogen worden; auf den Eindruck von »Neuheit« und »Originalität« zielte ein Teil der Produktion – aus Sicht der Nachwelt der entscheidende Teil der Produktion. Was aber wäre der Referenzhorizont, was wären die Kriterien, um etwas Neues in der Kunst als Innovation zu verstehen? Kann das, was man in der

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Kunst gewöhnlich Neuerung, Erfindung, Entwicklung und manchmal auch Schöpfung nennt, den Kriterien für Innovation aus der ökonomischen Theorie entsprechen? Entspricht es dem, was über Innovation in der Kreativwirtschaft gesagt worden ist?102 Von der Seite der Innovationsforschung ist über die Frage der Innovation in der Kunst bisher nicht viel gearbeitet worden, wie auch Miles und Green feststellen (2008: 14), und wenn es eine Literatur über Innovation in den Künsten gibt, so gehen die Meinungen bereits bei der Bestimmung des Gegenstands auseinander.103 Einige Autoren wenden, und sei es implizit, performative Kriterien auf künstlerische Neuheit an. So schreibt Leila Jancovich, neue Künstler und neue Kunstformen seien in den letzten Jahren in das Feld staatlich unterstützter Kulturorganisationen eingebracht worden, einige von ihnen zögen neue Publika an.104 Umgekehrt beklagt James Heilbrun, künstlerische Innovation in der Komposition ernster Musik habe sich in den vergangenen Jahrzehnten als nicht hinreichend attraktiv und aufregend (exciting) erwiesen, um Publika zu halten und zu generieren.105 Betrachtet man künstlerische Neuheit in dieser Perspektive, so wäre, auch wenn es um Publika und Aufmerksamkeit, nicht primär um finanzielle Erlöse geht, dem Kriterium ökonomischer Innovationstheorien entsprochen, wonach sich Innovationen auf einem Markt bewähren müssen. Andere Autoren verwenden die Praxis und den fachlichen Diskurs eines künstlerischen Feldes als Referenzsystem für Innovation, das Metier also, nicht den Markt. So bestimmt David Galenson (2006) den »wahren Gegenstand der

102 Der hier verwendete Kunstbegriff ist ein vorwiegend heuristischer, systematisch ist er stark verkürzt. Er meint einerseits die Sphäre der Produktion von Kunst bzw. von Prototypen im Kernbereich des kulturellen Sektors, die Arbeit so genannter Künstler. Er bezieht sich zweitens auf philosophische Konzeptionen der Kunst, wie sie aus dem 19. Jahrhundert ins 20. gekommen sind. Diese Vorstellungen definieren Kunst als Realität, die nicht nur mit Fragen der sinnlichen Wahrnehmung sondern auch mit Fragen des Erkennens verbunden ist, mit einem Leben der Ideen, mit einem Wahrheitsgeschehen. Theodor W. Adorno wird als Kronzeuge solcher Vorstellungen angeführt, weil er in der Kulturlandschaft und den Diskursen der hier untersuchten Organisationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen prägenden Einfluss ausgeübt hat. 103 Vgl. Castañer/Campos 2002: 29f. 104 Leila Jancovich (2011): Great art for everyone? Engagement and participation policy in the arts, p. 273. 105 James Heilbrun (1993): Innovation in Art, Innovation in Technology, and the Future of the High Arts, p. 91.

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Kunstgeschichte« wirkungsgeschichtlich als die Erzählung und die Analyse von Innovationen, die in der Folge die Praktiken anderer Künstler verändert haben, so wie in jüngerer Zeit auch Bakhshi und Throsby fordern, innovative Werke müssten zumindest das Potenzial haben, künstlerische Trends zu beeinflussen und sie vielleicht in neue Richtungen zu führen (2010: 17 f.). Nach der Überzeugung Galensons liegen Innovationen dann vor, wenn Werke eine Diskontinuität im Feld künstlerischer Produktion hervorrufen, wenn die in ihnen verkörperten Neuerungen von Kunst-Kollegen übernommen oder nachgeahmt werden, wenn sie älteren Techniken oder Stilen vorgezogen werden, wenn sie Schule machen. Seine Analysemethode hat der Wirtschaftswissenschaftler an der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts entwickelt. Er zählt die Abbildungen der Werke einzelner Künstler in kunstgeschichtlichen Büchern und kommt so zu einem Satz quantitativer Daten, aus dem er die Bedeutung einzelner Künstler ableitet, und weiterhin die Bedeutung einzelner Werke und Schaffensphasen.106 So entsteht eine Kunstgeschichte, die ohne eine Analyse der Werke und der Kunstmittel auskommt. Faktisch bildet die Sphäre künstlerischer Produktion, das Metier, für Galenson einen Markt, auf dem Ideen und Praktiken von Kunstschaffenden übernommen oder aufgegeben werden. Natürlich ist das nicht der Markt, von dem die Wirtschaftswissenschaften sprechen; ein Tausch von Wert und Gegenwert findet auf ihm nicht statt. Galensons Sicht entspräche einer Innovationstheorie innerhalb einer Ökonomik der Kunst, für die der Markt der Endverbraucher und der Institutionen keine Bedeutung hat. Aber vielleicht gibt es für Galensons Ausblendung dieses Marktes einen Grund. Denn innerhalb der Grenzen des Metiers kann man in einigen Fällen beschreiben, wie etablierte künstlerische Verfahren durch neue abgelöst werden – das wäre ein Vorgang kreativer Zerstörung, bei dem sich etwa das »Authentische« gegenüber dem »Epigonalen« durchsetzt. Dagegen wird die Einbeziehung der Verbraucher-Märkte in eine Innovationstheorie künstlerischer Erzeugnisse dadurch kompliziert, vielleicht sogar kompromittiert, dass für den Kunstsammler und für den Museumsbesucher der kubistische Picasso ganz gut neben Renoir und auch neben Jackson Pollock hängen kann, dass also ein nach neuen Verfahren oder Kriterien hergestelltes Erzeugnis der Kunst die ihm vorausgegangenen nicht verdrängt – kreative Erweiterung statt kreativer Zerstörung. Das würde bedeuten, dass auf der Ebene des Marktes künstlerische Neuerung zumindest auf

106 David Galenson (2006): Analyzing artistic innovation: the greatest breakthroughs of the twentieth century, p. 3f. Galensons Datengrundlage besteht aus »all available textbooks of art history, published in English since 1990, that survey the art of the twentieth century.«

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längere Sicht vorwiegend die Wirkung horizontaler Differenzierung entfaltet oder dass Werke der Kunst in eine zeitliche Dimension eingehen, die durch andere Unterscheidungen gekennzeichnet ist als die für Innovation typischen zwischen »neu« und »veraltet«, »begehrenswert« und »obsolet«. Eine Theorie der Innovation in der Kunst, in der es einen Gegensatz zwischen dem kulturellen und dem ökonomischen Prinzip nicht mehr geben soll, hat Boris Groys entworfen. Eigentlich will Groys die Ökonomie sogar im Begriff der Kultur aufgehoben sehen. Mit dem Interesse vieler ökonomischer Innovationstheorien an der praktischen Funktion, an technischen Merkmalen einzelner Produkte hat Groys’ Theorie dabei wenig zu tun. Ebenso wenig geht es um eine Bestimmung des inhaltlichen Bedeutungsgehalts neuer Kunstwerke, den der Autor »Sinn« nennt: Nicht der Sinn einer Innovation sei für die Kultur relevant, sondern ihr Wert. Weil aber Wert einer Sache nicht inhärent ist, sondern ihr zugemessen wird, ist es ein Wert-Urteil, was eine Neuheit vertikal differenziert, was sie signifikant macht und so zur Innovation qualifiziert. »Das Neue ist nicht bloß das Andere, sondern es ist das wertvolle Andere«, sagt Groys, »nach dem Neuen zu fragen, ist das Gleiche, wie nach dem Wert zu fragen.«107 Wert wird für Groys also durch ein Urteil produziert, nicht durch Produktentwicklung und Herstellung, nicht durch eine verbesserte Produkteigenschaft. Darin unterscheidet sich der Kulturphilosoph von der Mehrzahl der Ökonomen. Eine Perspektive teilt die Theorie mit der Kunden-dominanten Logik, bei der es der Verbraucher ist, der aus seinen Lebenszusammenhängen heraus den Wert eines Produkts attribuiert. In einem ähnlichen Sinn war am Ende des vorigen Kapitels von der Einbeziehung der Bedeutungen und Diskurse in die Beantwortung der Frage nach der Signifikanz von Neuerungen die Rede, allerdings ohne kategorisch zwischen Sinnattribution und Werturteil zu unterscheiden. Spezifisch ist das Wert produzierende Urteil bei Groys als Umwertung definiert. Umwertung ist für ihn die allgemeine Form der Innovation. Innovation bestehe nicht darin, dass etwas zum Vorschein komme, was verborgen war – das, so darf man ergänzen, wäre die Perspektive aller Theorien, die von Erfindungen, von Neu- und Weiterentwicklungen, von Schöpfungen oder von einer Entbergung des Seins im Kunstwerk ausgehen. Vielmehr entsteht für Groys Innovation daraus, dass der Wert dessen, was man immer schon gekannt hat, umgewertet wird (p. 14). Umgewertet werden Dinge aus dem »profanen Raum«, dem Raum der, wie Groys sie nennt, wertlosen, unscheinbaren, uninteressanten, außerkulturellen, irrelevanten und vergänglichen Dinge (p. 56). Der Ursprung des künstlerisch Neuen ist kein Schöpfungsakt – die für die Annahme eines Schöpfungsak-

107 Boris Groys (1992): Über das Neue – Versuch einer Kulturökonomie, pp. 43 und 12.

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tes notwendigen metaphysischen Grundannahmen hält Groys für überholt. Vielmehr entsteht Innovation durch die Neubewertung oder, wenn man will, die InWert-Setzung von Dingen aus dem profanen Raum, die damit in den kulturellen Raum übergehen, in die kulturellen Archive aufgenommen werden. Die Umwertung der Werte aber ist für Groys eine ökonomische Operation, die Orientierung am Neuen »das ökonomische Gesetz […], nach welchem der Kulturmechanismus selbst funktioniert.« Damit gehöre die moderne Orientierung des Kunstschaffens am Neuen in den Bereich der ökonomischen Zwänge, die das Leben der Gesellschaft insgesamt bestimmten (p. 14). Umgekehrt ist die nach Groys ökonomische Logik der Umwertung, an der Künstler, Theoretiker, Kritiker und Historiker mitarbeiten, aber auch die Logik der Kultur. Kultur sei immer schon eine Hierarchie von Werten, wegen ihrer Dynamik und Innovationsfähigkeit sei die Kultur »der Wirkungsbereich der ökonomischen Logik par excellence«. 108 Groys’ Begriff des Wirtschaftens geht über die Ökonomie der Güterproduktion und des Warentausches hinaus, ausdrücklich schließt der Autor Ökonomien des Opfers, der Verausgabung, der Gewalt, der Eroberung in seinen Horizont ein (p. 16). Von einer ökonomischen Theorie des Wertes, aufbauend etwa auf der Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert, ist Groys ebenfalls weit entfernt. Wert wird nach ihm nicht mehr dinghaft geschaffen, namentlich durch Arbeit. Allenfalls schafft der »Künstler« durch seine Arbeit die Voraussetzung dafür, dass Werturteile gefällt und Archive gefüllt werden können. Der dabei entstehende Wert wäre also primär institutioneller Natur; Kräfte wie Angebot und Nachfrage beeinflussen ihn kaum, ein Marktwert entspricht ihm nur vermittelt. Kaum einen Anschluss an ökonomische Theorien hat Groys’ Vorstellung vom Tausch. Innovation, so sagt er, vollziehe sich hauptsächlich »in der kulturökonomischen Form des Tauschs«. Und in der Tat hat das Prinzip des ökonomischen Tausches, nach dem die Partner eines Handels bestimmte Werte von Objekten und Handlungen gegeneinander aufrechnen, Eingang in soziologische Beschreibungen des Alltags gefunden, bei so unterschiedlichen Autoren wie Gary Becker oder Niklas Luhmann, bis hinein in die Erklärung von Liebesbeziehungen. Doch entsteht bei Groys kultureller Wert erst durch den Tausch. Dieser wertschöpfende Tausch findet »zwischen dem profanen Raum und dem valorisierten kulturellen Gedächtnis« statt, nicht wie in der Ökonomie zwischen wirtschaftenden Subjekten. Das kulturelle Gedächtnis wiederum besteht aus der Summe der kulturellen Werte, die in Museen, Bibliotheken und anderen Archiven aufbewahrt werden, und aus den Gepflogenheiten, Ritualen und Traditionen im Umgang mit diesem Archiv (p. 119).

108 Ebd., pp.15 und 37f.

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Anders als die Innovation von Dienstleistungen, technischen Gegenständen oder Verfahren macht Groys’ künstlerische Innovation nichts obsolet. Was heute als Avantgarde umstritten ist, kann morgen klassisch werden. Die Archive werden immer größer, das Alte muss nicht verschwinden, und sollte es im Archiv vergessen werden, im Museum verstauben, so besteht doch immer die Möglichkeit von neuen Prozessen der In-Wert-Setzung, von Renaissancen, Wiederentdeckungen oder produktiven Aneignungen. Zerstört im Sinn Schumpeters wird nur der Modellcharakter einmal etablierter Kunst: »Kunst« zu produzieren, die als solche identifiziert werden kann, weil sie aussieht wie Kunst, steht nach Groys unter dem Verdikt des Epigonentums oder des Kitsches, wird also zum Gegenstand einer Abwertung (p. 77). In dieser Auffassung künstlerischer Innovation trifft sich Groys mit Autoren wie Galenson, Bakhshi und Throsby. Ob mit der Umwertung der Werte wirklich ein ökonomisches Prinzip formuliert ist, und nicht eher umgekehrt – aufgrund der gesellschaftlichen Natur aller Wertsetzungen – eine institutionelle Voraussetzung des Wirtschaftens, bleibt die Frage. Im Kapitel über die Grundlagen der Rede über Innovation findet sich die These von Gassler und Grace zitiert, in der Verhandlung, Erfahrbar-Machung und Etablierung von Werten erbringe die Kultur eine präkonditionale Funktion für das Wirtschaften ihrer Gesellschaft. In einem Groys entgegengesetzten Sinn haben Ökonomen wie Bruno Frey oder Richard Caves die Rolle des Marktes für die In-Wert-Setzung von Erzeugnissen der Kunst betont und dabei einem ungeregelten, teils heteronomen, auch von Zufällen bestimmten Prozess den Vorzug gegeben. Frey weist darauf hin, der Markt erlaube Vielfalt und rege sie an. Die im Markt reflektierten Geschmäcker und Vorlieben bedürften nicht der Zustimmung von Kommissionen und Experten – also gerade keiner Legitimation durch ein institutionelles Werturteil. Dies erhöhe die Chancen dafür, dass innovative Ideen entstehen, und halte die Kunst lebendig.109 Caves schreibt, während Kunst zu machen immer eine Suche nach neuen Problemstellungen und Lösungen sei, zeige sich ein Durchbruch darin, dass ein neuer Stil durch ein Publikum angenommen werde. Auch das beschreibt die Attribution von Innovativität durch ein Werturteil. Nur sind es bei Caves, anders als bei Groys, die Marktteilnehmer, die dieses Urteil sprechen. Nach Caves ist die Bereitschaft von Konsumenten, für Neuheit Geld auszugeben, ein wesentliches Element im Innovationsprozess. Das Interesse eines Publikums an Neuheit und Innovation, das durch den »ewigen Zyklus jugendlicher Rebellion« unterstützt werde, bestehe dabei in nur loser Abhängigkeit zu einer Originalität der Problemlösung im Sinn der Künstler.110

109 Frey 2000: 13. 110 Caves 2000: 174 und 185f.

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5.1 Neuerung in der Kunst als Frage der Zeit Groys’ Theorie der Innovation, die eine Ökonomie ohne Markt, ohne Produktion, ohne Nachfrager entwirft, in der Kunstschaffende »profanes« Material so codieren, dass es anschließend als »Kunst« bewertet werden kann, besitzt zu wirtschaftswissenschaftlichen Innovations-Modellen wenig Anschlussmöglichkeiten. Eher öffnet der Autor eine Türe zu einer Ökonomie der Zeit, die dem Kunstbetrieb eigentümlich ist. Diese Ökonomie der Zeit hebt die von »Künstlern« hervorgebrachten Neuerungen von der Innovation der Dinge, Dienstleistungen, Herstellungsprozesse, Vermarktungstechniken ab. In dieser Rückung der Zeit der Kunst weg von der Zeit der wirtschaftlichen Prozesse liegt eine bedeutende Schwierigkeit für eine einheitliche Theorie der Innovation. Die Umwertung eines profanen Gegenstands in einen Gegenstand der Kunst, die Groys als formales Modell künstlerischer Innovation vorstellt, ändert dessen Status innerhalb der sozialen Konstrukte der Zeit. Der profane Gegenstand und die technische Praxis sind vergänglich und können nach ihrer Ersetzung durch das bessere Neue problemlos vergessen werden. Auch das meint Schumpeter mit kreativer Zerstörung: Das Alte hatte seine Zeit. Kunst hingegen wird zum Gegenstand eines kollektiven kulturellen Gedächtnisses, sie wird technisch und institutionell vor dem Vergehen geschützt. Für dieses Ergebnis der Umwertung, für diese Statusveränderung ist die Passage aus dem »profanen Raum«, dem zugigen Brachland der nach Groys unscheinbaren, uninteressanten, unbedeutenden Dinge, in den windgeschützten Raum der Archive eine Metapher. Innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung der Dinge macht das Archiv Gegenstände auffindbar. Vor allem sind in ihm die Gegenstände vor dem Einfluss der Zeit bewahrt: Sie bleiben anschaubar, ohne ständig von den Neuheiten des Marktes oder von den Sedimenten abgenutzter und abgelegter Dinge überdeckt zu werden, und das Angeschautwerden verleiht ihnen Dauer. Nun tritt die Unterscheidung zwischen »Kunst« und »Nicht-Kunst« an die Stelle der Unterscheidungen zwischen »neu« und »veraltet« und zwischen »besser« und »schlechter«, die zusammengenommen die vertikal differenzierende technologische Produkt- und Prozessinnovation kennzeichnen. Robert Scott Gassler und Robert Grace haben einmal über Museen schön gesagt, sie seien Repositorien – Ruheräume, wenn man will –, die über dem Versuch, gegenwärtige und zukünftige soziale Interessen im Gleichgewicht zu halten, vorsichtig bleiben.111 Diese Vor-Sicht als Relativierung der jeweiligen Gegenwart, als Übernahme einer Anwaltschaft für eine Zeit, die vielleicht noch

111 Gassler/Grace 1980: 26.

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kommt, die Reduzierung des Risikos künftiger Umwertungen, die Bewahrung des kulturellen Kapitals sind eine Funktion der kulturellen Archive und des kulturellen Gedächtnisses. Darüber hinaus ist in modernen Theorien das Kunstwerk aber nicht einfach Objekt im Museum. Die Relativierung der Gegenwart und die Vorwegnahme einer Zeit, die kommen soll, sind Funktionen und Aufgaben der Werke selbst. Groys, der den Standpunkt einer Post-Moderne vertritt, weist auf diesen Aspekt des Kunstwerks hin, wenn er sagt, die Philosophie wie auch die Kunst der Moderne strebten fortwährend etwas an, das nicht im Lauf der Zeit relativiert werden könne, eine universelle, außerzeitliche Wahrheit, deren Manifestation der fortdauernden Bewahrung unterliege. So sei »der Utopismus der Moderne […] ein Konservatismus der Zukunft« (p. 24f.). Es würde die Grenzen dieses Buches sprengen, Vorstellungen der Zeitlichkeit und des teleologischen Charakters von Kunst erschöpfend zu diskutieren. Aber dass Kunst bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine utopische Mission erfüllen, auf Wahrheit zielen sollte, ein Moment in einer Dialektik des Geistes darstellte, den Anspruch eines utopischen Gehalts besaß, der sie in einen eigenen, dem profanen Wirtschaften übergeordneten Zeithorizont stellte, dass sie das für viele Kunstschaffende und Teile des Publikums noch heute tut, das muss im Zusammenhang mit einer Theorie der Innovation in Kulturorganisationen zur Sprache kommen. Die gesellschaftliche Seite dieses emanzipatorischen Utopismus formuliert Bertolt Brecht in seinen Anmerkungen zur Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«. Dort wendet er sich gegen »Fortschritte, welche die Folge von nichts sind und nichts zur Folge haben, welche nicht aus neuen Bedürfnissen kommen, sondern nur mit neuen Reizen alte Bedürfnisse befriedigen, also eine rein konservierende Aufgabe haben.« (1938: 85) »Fortschritt« erscheint hier in zweifacher Bedeutung: Einmal als Fortschritt der Kunstmittel, als Innovation künstlerischer Technik, der »Kunst« also im voridealistischen Sinn. Und dann als Fortschritt der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Entwicklung des Subjekts. Beide Bedeutungen sind ineinander verschränkt. Vor der zweiten hat jede Neuerung der Kunstmittel sich zu legitimieren. Künstler und Kunstwerk treten für eine neue Gesellschaft ein, und deswegen geht der Anspruch an Neuerungen in der Kunst über alle Vorstellungen von Innovation als Veränderung der Funktionalität eines Produkts hinaus. »Wirkliche Neuerungen« so Brecht, »greifen die Basis an.« (1938: 88) Bei ähnlichen geschichtsphilosophischen Voraussetzungen erscheint die Funktion des Kunstwerks zumindest beim späten Adorno stärker vermittelt, hinund hergerissen zwischen dem Anspruch auf Autonomie und der Hoffnung, die Gesellschaft möge sich ein Beispiel an der Kunst nehmen. Fortschritt und Utopie werden zu Merkmalen der künstlerischen Struktur, das Utopische, sich jeder

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positiven Bestimmung Entziehende, bildet das »innerste Prinzip« der Kunst. 112 Doch habe jedes Kunstwerk heute, auch das radikalste, »seinen konservativen Aspekt«, schreibt Adorno in seiner unvollendet gebliebenen Ästhetischen Theorie: »Seine Existenz hilft, die Sphären von Geist und Kultur zu befestigen, deren reale Ohnmacht und deren Komplizität mit dem Prinzip des Unheils nackt zutage treten.« (1970: 348) Mit seinem Anspruch auf Autonomie bleibt das Kunstwerk fremd zur Welt der Verfügens über Sachen. Als kreativer Gegenstand dagegen spielt es der Welt, wie sie ist, in die Hände. In diesem Sinn ist für Adorno das Neue nur »die Sehnsucht nach dem Neuen. […] Was als Utopie sich fühlt, bleibt ein Negatives gegen das Bestehende, und diesem hörig.« Adorno sagt von der Kunst, sie wolle und müsse Utopie sein, »und zwar desto entschiedener, je mehr der reale Funktionszusammenhang Utopie verbaut.« Gleichzeitig schränkt er ein, »daß sie aber, um nicht Utopie an Schein und Trost zu verraten, nicht Utopie sein darf. Erfüllte sich die Utopie von Kunst, wäre das ihr zeitliches Ende.« (1970: 55) Umgekehrt erzeugt das Utopische als Prozessualität der Konstituenten die »innere Zeit«, die »immanente Geschichte« des Kunstwerks: Das Kunstwerk ist »als Seiendes ein Werdendes« (Adorno 1970: 132). In dieser Konzeption erscheint Zukunft im Inneren des Kunstwerks als antizipierte Geschichte, und das Kunstwerk hat Zukunft, solange diese Geschichte nicht eintritt. Wo aber läge nun der Unterschied zur Innovation der Dinge und Dienstleistungen? Ohne Zweifel rechnet auch die ökonomische Innovation mit Zukunft. Zukunft ist dem Begriff der Investition inhärent. Strategisch begründete Innovation baut auf die Rationalisierung der Zukunft, durch Pläne etwa und Zielformulierungen. Mit Utopie aber hat die Zukunft der ökonomischen Innovation nicht notwendig etwas zu tun, selbst wenn der Begriff der Spekulation in der Nähe der Utopie diesseitig schillert. Innovation bewegt sich in einer Ökonomie der überschaubaren und kalkulierbaren Zeit, deren Knappheit von der Geschwindigkeit der Konkurrenz und den Kosten des Kapitals bestimmt wird. Die Zukunft der Innovation ist gerade nicht utopisch, sie ist pragmatisch. Innovation erzeugt Zukunft aus Gegenwart, ihr Horizont ist, wie Thomas Welskopp es in anderem Zusammenhang formuliert, ein »aus «Zukünften» zusammengesetzte[s] Kompositum aus Plänen, Projekten, Ressourcenallokation, Tendenzen, Potenzialen und Prozessen«.113 Bedeutete die Realiserung der Utopie das Ende der Kunst, so verhält es sich mit der Innovation gerade umgekehrt: Die Innovation muss realisieren, was die Spekulation entwirft, sonst ist sie gescheitert.

112 Theodor W. Adorno (1977): Ohne Leitbild – Die Kunst und die Künste, p. 451. 113 Thomas Welskopp (2012): Kontingenz als Prognose – Die Modellierung von Zukunft in der Strukturierungstheorie à la Giddens, p. 283.

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Lassen sich die utopisch-emanzipatorischen Konzeptionen Adornos als Fortschreibung metaphysischer Anliegen verstehen, so hat Christine Matter den postmodernen Wandel der Ökonomie der Zeit als Säkularisationsprozess beschrieben. Danach habe sich die Heilsgeschichte, die ihr Telos in der Perfektion der Welt und des Menschen sehe, in Form einer beschleunigten Linearität »ganz in die Innerweltlichkeit verlagert«. Darin jedoch seien auch die Unwägbarkeiten aller Zukunftsentwürfe immer schon angelegt: »In einer dynamisierten Zeit«, so Matter, »muß sich, was sich durchsetzen und bewähren will, schnell bewähren«. Unter den Bedingungen der Immanenz überbiete Neuheit jetzt immerzu Neuheit. Auf Zeitgewinn komme es an – ein Problem, das die christliche Heilsprognostik nicht kenne, »denn die unerfindlichen Ratschlüsse Gottes und die sich daraus ergebenden Umwege des Erdendaseins sind wesentlicher Teil der eschatologischen Hoffnung«.114 Ähnlich, wenngleich nicht theologisch, argumentieren Lash und Urry in ihrem Entwurf einer Ökonomie der Postmoderne, die gesteigerte Verfügbarkeit von Optionen und Angeboten führe zu beschleunigtem Umsatz und einer zur Zeitweiligkeit gesteigerten Zeitlichkeit (heightened temporaryness).115 Im gleichen Zusammenhang spricht Zygmunt Bauman von der »inhärenten Obsoleszenz« der auf dem Markt angebotenen Waren.116 Auch Boris Groys stellt das eigentümlich Gegenwartszentrierte eines post-modernen Zeitverständnisses heraus. Das Denken und die Kultur der Neuzeit seien bereit gewesen, sich in den Gegensatz zur Vergangenheit zu stellen, nicht aber in einen Gegensatz zur Zukunft, »die sie als den Bereich ihrer durch nichts begrenzten Expansion verstehen« (1992: 26). Wenn Neuheit dagegen keine Zeit mehr hat, Zukunft herzustellen, liegt ihre Funktion in der Erhöhung der Gegenwart. Im Horizont des Denkens Adornos kann sich Gegenwart für das Subjekt im Mitvollzug der utopischen inneren Geschichte des Kunstwerks, seines Formprozesses herstellen – das meint unter anderem der emphatische Begriff der Wahrnehmung, bei Adorno auch des Hörens. Unter den Bedingungen radikaler Immanenz dagegen bietet es sich an, Gegenwart im Moment der Konsumption der unablässig erneuerten Güter und Dienstleistungen zu erfahren. Die Autoren der Streitschrift »Der Kulturinfarkt«, die im Frühjahr 2012 eine lebhafte kulturpolitische Debatte ausgelöst hat (auch Thesen haben einen Erlebniswert), widmen ein eigenes Kapitel der von ihnen so genannten »AdornoFalle«, die sie in der wertenden Trennung zwischen Hochkultur und kommer-

114 Christine Matter (2006): Moderne Zeitstrukturen und die Symbolisierung amerikanischer Individualität, p. 280f. 115 Lash/Urry 1994: 245f. 116 Bauman 2009: 45.

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zieller Massenkultur erblicken. Sie rühmen den Markt als Ort der freien Willensbekundung der als ökonomische Subjekte verstandenen Bürger und setzen ihn der »Wirklichkeitsferne« und »gefährlichen Weltfremdheit« traditioneller emanzipativer kultureller Modelle entgegen.117 Bei Adorno ist dagegen »Fremdheit zur Welt« ein wesentliches Moment der Kunst; wer Kunst anders wahrnehme als fremd, nehme sie überhaupt nicht wahr (1970: 274). Als der Welt fremde Gegenstände, die ihre Dinghaftigkeit transzendieren 118 und ihre eigene Zeit konstituieren, sind Kunstwerke in ihren utopischen Dimensionen nicht kompatibel mit anderen Dingen, Dienstleistungen und Wertfeststellungsmechanismen auf dem Markt. Im Gegenteil: Für Adorno sind sie »die Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge«.119 Kunstwerke sind vor allem einmal sie selbst, und deswegen wird das Neue »von der Sache erzwungen, die nicht anders zu sich selbst, los von Heteronomie kommen kann«.120 Nahe am historischen Ursprung des Gedankens beschreibt Arthur Schopenhauer in einer berühmt gewordenen Formulierung das Prinzip solcher Autonomie: »Daß das Genie im Wirken des freien, d. h. vom Dienste des Willens emancipirten Intellekts besteht, hat zur Folge, daß die Produktionen desselben keinen nützlichen Zwecken dienen. Es werde musicirt, oder philosophirt, gemalt, oder gedichtet; – ein Werk des Genies ist kein Ding zum Nutzen. Unnütz zu seyn gehört zum Charakter der Werke des Genies: es ist ihr Adelsbrief. Alle übrigen Menschenwerke sind da zur Erhaltung, oder Erleichterung unserer Existenz; bloß die hier in Rede stehenden nicht: sie allein sind ihrer 121

selbst wegen da […].«

Auf den Tausch und damit die Kommensurabilität, auf den praktischen Vergleich mit anderen Angeboten und die Unterwerfung unter die Nutzenfunktionen von Individuen, auf den Erfolg am Markt zielt indessen die in ökonomischen Theorien beschriebene Innovation. Der zeitliche Horizont ökonomischer Innovationsprozesse reicht primär bis zu jenem Moment des Tausches, zu dem es als Folge verbesserter Leistungen, attraktiverer Produktmerkmale, effektiverer Bedienoberflächen oder wirksameren Marketings kommt, und der nachfolgenden Konsumption (im Fall der Dienstleistung ist das ein und derselbe Moment).

117 Haselbach et al. 2012: 77f. 118 Vgl. Adorno 1970: 412. 119 Ebd., p. 337. 120 Ebd., p. 40. Vgl. den Hinweis Bourdieus, die Entwicklung der Autonomie gehe mit einer Zunahme der Reflexivität in den Kunstgattungen einher (1992: 398). 121 Schopenhauer 1987 [1818]: Band II, Kapitel 31, p. 507.

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Wie ein künstlerischer Neuerer, der nach alter Art seiner Zeit voraus sein möchte, zwischen die Mühlen der Zeit-Konzepte gerät, der marktförmig immanenten und der weltfremden Zeit, hat der Komponist und Autor Claus-Steffen Mahnkopf beschrieben. Nach ihm scheint »die heutige Kultur […] ganz auf den verschwenderischen Augenblick versessen zu sein – Geschichte wird als ein Altmodisches und vor allem als moralischer Ballast abgeworfen, für die Zukunft hat man dann kaum mehr als leere Worte anstatt konkreter Visionen und Utopien.« Für diejenigen Kunstschaffenden, die sich als innovativ und authentisch verstehen, bedeute diese »Augenblicksversessenheit« der Öffentlichkeit, dass sie marginalisiert werden und »erst mit einer derartigen zeitlichen Verzögerung in das Bewußtsein dringen werden, daß sie nicht als Ausdruck der Jetztzeit, sondern als der einer verpaßten Chance dermaleinst gehört werden«.122 Für Kunstschaffende, die ihre Produktion, und für Veranstalter, die ihre künstlerischen Produkte primär an den Werthierarchien einer utopisch emanzipatorischen Kunst und an einer Rezeption der langen Zeiträume ausrichten, haben die Vorstellungen einer ökonomisch fundierten Innovation wenig Sinn. Deren Ergebnis wären aus ihrer Sicht die zitierten »Fortschritte, welche die Folge von nichts sind und nichts zur Folge haben« oder, wie Brecht an anderer Stelle sagt, Fortschritte, »welche nur anzeigen, daß etwas zurückgeblieben ist« (1938: 86). Was unter solchen Voraussetzungen des Wertens von einer an Kundenbedürfnissen orientierten Produktentwicklung zu halten ist, gibt Adorno im Opern-Kapitel seiner Einleitung in die Musiksoziologie zu verstehen, wo er sagt, das »trostlose Niveau« der meisten Novitäten auf dem Operntheater werde »von den Bedingungen gesellschaftlicher Rezeption erzwungen« (1968: 269). Umgekehrt ist eine ökonomisch geprägte Innovationstheorie kein geeignetes Mittel, um Neuerungen einer sich als autonom verstehenden Kunst zu erklären oder zu befördern; die Konzepte definieren Erfolg unter Bezug auf verschiedenartige, teilweise antagonistische Referenzsysteme und Ökonomien der Zeit. Wo Kulturschaffende als Vertreter einer, wie der »Kulturinfarkt« kritisch anzumerken versucht, »durch und durch von europäischen Kulturnormen geprägt[en]« Kunst agieren (2012: 104), kommt eine von ökonomischen Voraussetzungen ausgehende Innovationstheorie an eine Grenze, die sie beschreiben, aber nicht überschreiten kann. So wichtig es ist, Unterschiede zwischen Konzepten sowie Grenzen der theoretischen Reichweite herauszuarbeiten, so klar der Gegensatz zwischen Neuerungen einer sich als autonom verstehenden Kunst und Innovationen im Sinn öko-

122 Claus-Steffen Mahnkopf (2006): Über Zeit und Geschichte in der Musik, p. 102ff. Für Mahnkopf ist die Augenblicksversessenheit »nicht Ausdruck eines […] hedonistischen Lebensgefühls, vielmehr der einer geistigen und Lebensleere« (p. 104f.).

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nomischer Theorie erscheint: Die Grenze zwischen den Konzepten bildet einen Gegenstand gesellschaftlicher Verhandlungen und ist historischen Verschiebungen unterworfen. Eben diese Verschiebungen sind der Grund, unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung unserer Organisationen der Kunst nach Innovation zu fragen. Im Bereich der Normen und Werte liegen diese Verschiebungen darin, dass Erzählungen »der idealistischen oder humanistischen Legitimierung« an Verbindlichkeit verlieren, wie Jean-François Lyotard in einer bekannten Formulierung sagt.123 In den neuen Sprachspielen ist der Einsatz nicht mehr Wahrheit – wie vielfach noch bei Adorno –, sondern Performativität. Performativität aber fällt in den Kompetenzbereich des Managements. Die Sprachspiele der Postmoderne sind pragmatisch; nach Meinung Lashs und Urrys führen sie zu einer Entdifferenzierung der ehedem getrennten Werte-Sphären.124 Und so sind im Bereich der Bewertungen die Dinge des »profanen Raums« nicht unbedingt so kategorisch von jenen der »kulturellen Archive« geschieden, wie etwa Groys das darstellt. Während die Auseinandersetzung um Werte und Konzepte häufig von Dichotomien geprägt ist, lässt sich für die Dinge ein Kontinuum beschreiben, das von Manifestationen autonomer Kunst bis zu Erzeugnissen funktionaler Kunst reicht125 und auf dem umgekehrt Konsumgüter den Bereich des Vergänglichen verlassen und zu Klassikern werden können. Viel hängt davon ab, auf welchen Ebenen man die Phänomene vergleicht. In der Frage der Kunst und der Bedeutung künstlerischer Neuerungen gelangt man rasch auf die institutionelle Ebene, auf der traditionell geschichtsphilosophisch argumentiert wird. In der Frage der Innovation, die sich innerhalb einer Ökonomie der überschaubaren Zeit bewegt und die lediglich durch ihren Erfolg am Markt oder durch die Verbesserung der Wettbewerbsposition legitimiert zu werden braucht, spielt die institutionelle Ebene eine geringere Rolle. Innovation ist ein Fall für die ökonomische Theorie, für Managementlehren und für die Wirtschaftspolitik. Und doch sieht sich auch die Rede von der Innovation in Meta-Erzählungen eingebettet, und diese gleichen jenen der Kunst. Die

123 Jean-Fançois Lyotard (1979): Das postmoderne Wissen, p. 135. 124 Lash/Urry 1994: 272. Vgl. etwa Peter Bürger (2001): Das Altern der Moderne. Hier wird beschrieben, wie künstlerische Verfahren der historischen Avantgarden von Werbung und Design übernommen und weiter entwickelt worden sind (p. 124). 125 Carl Dahlhaus formuliert in »Autonomie und Bildungsfunktion« (1974) einen Gegensatz zwischen autonomen Musikwerken, die aus dem Zusammenhang der Gattungsgeschichte zu begreifen seien, und funktionaler Musik, die »als geschichtslos gedacht werden kann« (p. 22). Wir ziehen eine Betrachtungsweise vor, die mit der Möglichkeit von fließenden Übergängen und Doppelcodierungen rechnet.

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einzelnen Innovationen entstehen innerhalb eines als evolutionär verstehbaren, von Variation und Selektion bestimmten Feldes. Aber Zufall ist hier nicht alles, auf einigen Feldern lassen sich Trends ausmachen, die Innovatoren für sich nutzen und auf diese Weise verstärken. Im Rückblick werden die Innovationen, die Erfolg hatten, schließlich zu Elementen einer Geschichte der Technik, der unternehmerischen Praktiken oder der Sozialformen. Nicht selten erscheint Innovation auch vor einem universalen Horizont, als Element einer Geschichte der Zivilisation oder der Entwicklung »der Menschheit«. Nicht nur die moderne Geschichte der Kunst, sondern auch die Geschichte der technischen Innovationen wird also bisweilen nach teleologischen Modellen oder vor einem (innerweltlich) heilsgeschichtlichen Horizont erzählt. Danach verbessert technische Innovation das Leben in der Zukunft, ja eigentlich die Zukunft selbst.126 Weder der einzelne Innovator noch die ökonomische Innovationstheorie benötigt, wie gesagt, eine solche Meta-Erzählung einer leichteren, angenehmeren, unterhaltsameren, kommunikativeren, effizienteren, gesünderen, ökologischeren, einer wie auch immer besseren Zukunft. Und doch bildet sie den Fond der Entscheidungen und Bewertungen sowohl von innovativen Firmen und Organisationen als auch von Verbrauchern. Je länger man das Phänomen von Neuerung in den Sphären der sich als autonom verstehenden Kunst und der Wirtschaft gegeneinander abzugrenzen versucht, desto mehr bewegen sich die Konturen. Das Verhältnis der Kunst zum Konzept der Innovation hatten wir aus einer Reihe von Gegensätzen bestimmt. Diese bestehen zwischen einer idealen Sache und Sachen, die auf einem Markt gehandelt werden. Zwischen einer Rezeptionsgeschichte der langen Dauer und der Verwertbarkeit innerhalb einer kalkulierbaren Zeit. Zwischen persönlicher Verwirklichung und dem Streben nach dem Geld der anderen. Zwischen der Wertschätzung durch Kenner und der Nachfrage durch Verbraucher. Zwischen Utopie und Anwendung. Damit ist aber nicht nur eine Antinomie zwischen dem System der Kunst und jenem der Wirtschaft ausgedrückt. Es gibt diese Gegensätze auch im Inneren der ökonomischen Theorie und wohl auch Praxis. Dort werden sie, worauf Paul Stoneman in »Soft Innovation« hinweist, zwischen Grundlagenforschung und Technologie ausgetragen. Das Neue und seine Erzeugung in der Grundlagenforschung wiese Eigenheiten auf, die wir zuvor für den Bereich einer Kunst beschrieben haben, die Autonomie beansprucht: Es sind Neuerungen, mit denen eine Sache zu sich selbst kommen soll, die einem intrinsischen Problemlösungsimpuls entspringen, die sich der persönlichen Hingabe Einzelner verdanken, die

126 Vgl. Edgerton 1999: 117 und 126ff.

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zunächst nur von einem kleinen Kreis von Kennern verstanden und (ein-)geschätzt werden und die sich um ihre Anwendbarkeit oder Verkäuflichkeit zunächst keine Gedanken machen. Stonemans wichtigste Anregung in dieser Frage, Partha Dasguptas und Paul Davids Aufsatz »Toward a new economics of science« (1994), nennt noch ein weiteres Merkmal der Grundlagenforschung, das man als Parallele zur Kunst verstehen kann. Danach lässt sich der wirtschaftliche Wert von Grundlagenforschung kaum voraussagen und manchmal selbst im Rückblick nur schwer bestimmen. Gewinne aus Entdeckungen der Grundlagenforschung könnten sich kurzfristig machen lassen, häufiger aber würden sie über lange Zeiträume hinweg nicht realisiert (1994: 490). Typischerweise entstünden Gewinne aus der Grundlagenforschung erst durch höhere Renditen auf das Kapital, das für angewandte Forschung eingesetzt wird.127 Stoneman überträgt deshalb in Soft Innovation das Verhältnis von Wissenschaft und Technologie auf Kunst und Kulturwirtschaft und trifft die, wie er sagt, »nützliche Unterscheidung« zwischen »hoher Kunst« und »dem Rest«.128 Kunst wäre also die Grundlagenforschung der Kulturwirtschaft, die daraus zum Markt hin orientierte Innovation entwickelt. Auf der einen Seite liefert diese Analogie einen Anhaltspunkt für eine klare Abgrenzung des ökonomisch begründeten Innovationsbegriffs von der Kunst. Eine Theorie muss ja etwas stillstellen, wenigstens für einen Moment, damit ihr Gegenstand zur Anschauung kommt und die Diskussion einen Bezugspunkt findet. In diesem Moment des Stillgestelltseins wäre daran zu erinnern, dass Neuerungen wie häufig jene der Grundlagenforschung Erfindungen darstellen. Erfindungen liegen außerhalb des Begriffs der Innovation. Sie können Innovationen vorangehen, aber zur Innovation fehlt ihnen die absichtsvolle Weiterentwicklung hin zu einer vermarktbaren oder einen Nutzen mehrenden Anwendung. Folglich sind Neuerungen der Kunst, die in erster Linie bedeutsam für Kunstschaffende und für die Kunstgeschichte sein wollen, Neuerungen, die dadurch legitimiert

127 Dasgupta/David 1994: 510. Interessant für ein Verstehen des Verhältnisses autonomer Kunst zur Kulturwirtschaft ist der Hinweis Dasguptas und Davids, in Europa sei die Trennung zwischen akademischer Forschung und Wirtschaft traditionell weit ausgeprägter als in den Vereinigten Staaten (p. 489). Maxwell Anderson sieht in »Museums of the Future – The Impact of Technology on Museum Practices« (1999) einen analogen Gegensatz zwischen der traditionellen Rolle des Gelehrten und Innovation im kommerziellen Sinn (p. 137f.). Eine Grund legende Parallele zwischen Kunst und Wissenschaft hat im Übrigen bereits Nelson Goodman aus zeichentheoretischer Perspektive in »Languages of Art« (1969) aufgestellt. 128 Stoneman 2009: 101.

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sind, dass, um mit Adorno zu sprechen, eine Sache zu sich selbst kommt, aus der Definition der Innovation auszuschließen. Auf der anderen Seite enthält ökonomisch fundierte Innovation gewiss auch ein Element sachlicher, technischer, gestalterischer Stimmigkeit, anders funktionieren die Dinge und Dienstleistungen nicht. Aber Innovation bringt die Sache nicht zu sich. Sie bringt sie zu ihrem Empfänger, und das heißt im Fall unserer Kulturorganisationen: zur Öffentlichkeit, zum Publikum, zu Partnerorganisationen, zu den Geldgebern, also zum Markt. Innovation hat etwas Instrumentelles, einen Zweck, und sie legitimiert sich aus der Verfolgung dieses Zwecks. Jenseits des Moments theoretischen Stillgestelltseins sollen Neuerungen einer Kunst, die Autonomie beansprucht, als potenzielle Innovationen in die Beobachtung weiter eingeschlossen bleiben. Aus zwei Gründen. Erstens ist die Ökonomie der überschaubaren Zeit gewiss typisch für die intentionalen und die prozessualen Dimensionen der Innovation, wenn man es aus der Perspektive von Herstellern und Konsumenten betrachtet. Aber »Innovation« ist als Konstrukt abhängig von Wertungen, die sich in der Zeit verändern. Und so werden Neuerungen oft zunächst nur von Nutzergruppen mit Spezialkenntnissen – ähnlich den Kennern der Kunst – adoptiert, von breiteren Konsumentenschichten erst nach einiger Zeit angenommen, und manchmal werden sie erst im Rückblick als Innovationen erkannt. Hier würde eine zeitliche Festlegung einen Akt der Willkür bedeuten: Im Fall der kurzfristigen Position erwiesen sich jene Neuerungen als Innovation, deren Erfolg sich unmittelbar beobachten ließe. Im Fall der langfristigen Position zeigte die Geschichte, was die wahren Innovationen gewesen sind. Angewandt auf Kunst bedeutet das: Jede definitorische Eingrenzung des zeitlichen Horizonts von Innovation legt den Gegenstand ideologisch fest: Kurzfristigkeit nähme, zugespitzt gesagt, Partei für eine Ökonomie des »Kommerziellen«, Langfristigkeit für eine Ökonomie der »reinen« Kunst. Will man den Gegenstand durch den alten Gegensatz nicht vorweg strukturieren, dann erscheint es sinnvoller, von einem Kontinuum auszugehen, dessen Pole Langfristigkeit und Kurzfristigkeit sind. Auf diesem Kontinuum bewegen sich sowohl die künstlerische Neuheit als auch die technologische Produktinnovation, das künstlerische Expertenpublikum und die technologischen Lead-user, der künstlerische Laie und der technologische Nachzügler-Konsument. Der zweite Grund, warum Neuerungen der Kunst als potenzielle Innovationen in die Beobachtung einbezogen bleiben, ist, dass sich die Konzepte des Kommerziellen und der Kunst selbst bewegen, dass sie historischen Veränderungen unterworfen sind. Innovation ist Neuheit, die für jemanden signifikant sein muss. Jedes Werturteil in dieser Sache ist abhängig von gesellschaftlich verhandelten und daher veränderlichen Problem-Definitionen dessen, was Kunst

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leistet und sein soll. Andererseits sind künstlerische Neuerungen nicht nur Gegenstände von Werturteilen. Sie treiben die Veränderungsprozesse der Grundlagen des Urteilens auch selbst voran. Sie selbst können die Diskussion der Funktion und des Wertes der Kunst in unseren Gesellschaften beeinflussen. In manchen überkommenen Antinomien wie jener von Kunst und Kommerz ist die gesellschaftliche Praxis heute nicht mehr hinreichend abgebildet. Gleichzeitig wird sichtbar, wie sehr ein begrifflicher Ausschluss des künstlerisch Neuen aus dem Geltungsbereich ökonomisch begründeter Innovation zur Tautologie tendiert, schließt doch bereits die Definition der Autonomie die marktorientierte Anwendung aus. Umgekehrt dient die Auseinandersetzung mit traditionellen Konzepten von Kunst in unserer Untersuchung der Vorbeugung zirkelförmiger Bestätigungen zwischen Konzepten und Beobachtungen. Vermieden werden soll, dass im Licht eines ökonomisch begründeten Innovationsbegriffs nur Verhalten in den Blick kommt, das von ökonomischer Rationalität geprägt ist, und alles Träge, Widerständige oder Inkompatible in unseren Kulturorganisationen übersehen würde, das zum Innovationsgeschehen doch ebenso gehört.

6. INNOVATION IN DER KULTURORGANISATION Die Diskussion über Innovation in der Kunst macht noch einmal deutlich, wie sehr die Dimensionen des Organisationalen und des Institutionellen in Kulturorganisationen verschränkt sind. Aus beiden Dimensionen erwachsen der Kulturorganisation spezifische und nicht immer kongruente, manchmal widersprüchliche Anforderungen für die Beibehaltung und für die Weiterentwicklung ihrer Aktivitäten und Produkte. Diese Anforderungen gründen in dem, worin Menschen innerhalb und außerhalb der Organisationen den Wert der Kunst sehen. Gegenwärtig zu beobachtende Wandlungen des Kunstbegriffs, etwa hin zu Kunst als einem Medium sozialer Prozesse oder sinnlichen Lernens, gehen mit veränderten Erwartungen an unsere Organisationen einher. Das zeigt sich im Nachfrageverhalten der Öffentlichkeit und ausdrücklich in Zielvereinbarungen Kultur verwaltender Behörden sowie in Förderrichtlinien gemeinnütziger Geber, die nun etwa nach dem Aufbau von Human- und Sozialkapital durch kulturelle Bildungsarbeit fragen. Entsprechend müssen Innovationen Erfolg nicht nur beim zahlenden Kunden auf dem Markt, beim Publikum suchen, sondern auch bei den Entscheidungsträgern in Parlamenten, Regierungen und der Kulturverwaltung sowie bei gemeinnützigen und privaten Förderern, von denen die Finanzierung der Kulturorganisationen zum größeren Teil abhängt.

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Kompliziert wird die strategisch reflektierte Generierung von Innovation dadurch, dass utopisch-emanzipatorische Kunstbegriffe, institutionelle Forderungen etwa nach dem Aufbau von Human- und Sozialkapital durch Bildungsarbeit sowie die Nachfrage nach bekannten Produkten wie der Abendveranstaltung in Konzertform eigene Zeithorizonte haben, die jeweils eigene Definitionen und eigene Beobachtungsmodi für Neuerungen nach sich ziehen. Eine Theorie der Innovation in Kulturorganisationen wird daher vielschichtiger und komplexer sein als eine Innovationstheorie für überwiegend wirtschaftlich orientierte Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Sie macht ihre Rechnung mit den unterschiedlichen Zeithorizonten künstlerischer und organisationaler Prozesse, mit der Verschränktheit institutioneller Erwartungen und organisationaler Ziele sowie mit der Vielfalt der Wertschöpfungsarten. Will man an ökonomisch begründete Theorien der Innovation anschließen, dann lassen sich Kulturorganisationen am sinnvollsten als Dienstleister verstehen: als Erbringer von Diensten in den Feldern vor allem der Unterhaltung und der Bildung. In zweiter Linie sind die Kulturorganisationen Produzenten öffentlicher und privater Güter. Worin ihre Dienste und Güter bestehen, hängt davon ab, wie weit man den Produktbegriff fasst. In unserer Perspektive zählen zu den Produkten von Konzerthäusern: Konzert- und Bildungsveranstaltungen, Prototypen für Rundfunksendungen, CDs und Videos, die Bereitstellung von Formen sozialer Begegnung, die Schaffung von Rahmenbedingungen für private und öffentliche Repräsentation, die Bewahrung und Aktualisierung des kulturellen Bestandes an Werken, Interpretationen und artistischen Praktiken sowie die Vertretung der Sache der Kunst innerhalb der gesellschaftlichen Systeme. Die Werke der Kunst, schon vorhandene oder eigens in Auftrag gegebene, stellen in unserer Perspektive primär Ressourcen für die Kulturorganisation dar. Sie dienen der Produktgestaltung oder der Marktbearbeitung. Sie sind Input für Produkte wie Konzerte, Salons, Ton- und Bildträger, Mitmach- oder Bildungsveranstaltungen. Mit Dienstleistern haben die Kulturorganisationen die vorwiegend nichtmaterielle Natur ihrer Produkte und die Leistungserbringung in unmittelbarer Anwesenheit ihres Publikums, oft in Interaktion mit diesem, gemeinsam. Die für sie typischen Transformationsprozesse lassen sich dem zuordnen, was Howells und Tether die Bereitstellung Kompetenz-basierter Dienste (in unserem Fall durch Musiker und Dramaturgen) und die »Transformation von Menschen« nennen, die Veränderung physischer, kognitiver und emotionaler Zustände.129 Wendet man die eher wirkungsorientierte Typologie, die sich bei Flikkema, Jansen und van der Sluis findet, auf die Dienste von Konzerthäusern und Orchestern an,

129 Vgl. Howells/Tether 2004: 6 und 41f.

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so lässt sich sagen, diese veränderten den Zustand von Symbolen (zum Beispiel durch die musikalische Interpretation) sowie den Zustand von Menschen (den Hörern im Konzert oder den Teilnehmern von Education-Programmen).130 Innerhalb der Taxonomie, die Pine und Gilmore für die Erlebniswirtschaft entwerfen, bedienen Konzerthäuser und Sinfonieorchester mit ihren Produkten alle vier Kategorien der Unterhaltung, der Erziehung, des Ästhetischen und des Eskapistischen. Aus Sicht der Verbraucher sind mit den Kategorien vier Teilnahme-Modi bezeichnet, die sich durch unterschiedliche Grade der Passivität und der Aktivität, der Absorption und der Immersion auszeichnen. Absorption bedeutet die Vereinnahmung der Aufmerksamkeit. Immersion bedeutet, dass der Konsument körperlich oder virtuell ein Teil des Erlebnis-Geschehens wird, oder mit einer Formulierung Walter Benjamins: »Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein, wie die Legende es von einem chinesischen Maler beim Anblick seines vollendeten Bildes erzählt.«131 Nach Pine und Gilmore bilden diese Kategorien vier distinkte »Reiche des Erlebens« (experience realms), von denen jeweils zwei aneinander angrenzen. So bewegt sich der Konsument im Bereich der Unterhaltung zwischen Passivität und Absorption, im Bereich der Bildung zwischen Absorption und Aktivität, im Bereich des Eskapistischen zwischen Aktivität und Immersion, im Bereich des Ästhetischen zwischen Immersion und Passivität.132 Immer ist in unserem strategischen Modell der Kulturorganisation der eher kurzfristige Aktionshorizont Produkt-orientierter Innovation in einen Horizont langfristiger, auch als geschichtlich verstandener Entwicklung eingeschlossen. Es geht in der Kulturorganisation also nicht einfach um Anpassungsmaßnahmen in einer als schwierig wahrgenommenen wirtschaftlichen und kulturpolitischen Situation, obwohl aktuelle Gefahren umgehend abzuwehren, aktuelle Chancen kurzfristig zu ergreifen sind. Es geht um eine Antwort auf die nach Falk und Dierking kritische Frage, wie die Organisationen weit in die Zukunft hinein gedeihen können, wie es ihnen »morgen besser gehen kann als heute«.133 Im Zu-

130 Flikkema/Jansen/van der Sluis 2007: 550. Nach dieser Kategorisierung gibt es überdies Transformationen, die den Zustand der Umwelt verändern, oder den Zustand von Artefakten (Gütern), die in anderen Sektoren produziert wurden. Mit der Transformation von Symbolen ist ursprünglich das gemeint, was Howells/Tether (2004) die Transformation von Information nennen, also die Verarbeitung von Daten. 131 Benjamin (1963 [1935]): 40. 132 Joseph Pine/James Gilmore (2011): The Experience Economy, p. 45ff. 133 John Falk/Lynn Dierking (2008): Re-envisioning success in the cultural sector, p. 244f.

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sammenhang mit der Strategiebildung von Wirtschaftsunternehmen hatten wir Innovation als Schlüssel-Prozess identifiziert, als Konzept und als Aktivität im Kernbereich des unternehmerischen Handelns.134 Dass Innovation eine organisationale Kernfunktion vor dem Horizont der langfristigen Existenzsicherung darstellt, gilt in einem normativen (nicht immer, wie sich zeigen wird, in einem empirischen) Sinn, auch für die öffentlich unterhaltene Kulturorganisation. Falk und Dierking empfehlen ihr, die Frage nach ihrer Orientierung zu habitualisieren und einen größeren Teil ihrer personellen und finanziellen Ressourcen in strategische Analyse und Innovationsplanung zu investieren (2008: 244f.). 6.1 Innovation im Licht der Endlichkeit Ein spezifisches Profil besitzen Kulturorganisationen aus Sicht ökonomisch begründeter Innovationstheorien durch ihr Alter und die von vielen Kulturschaffenden als prekär wahrgenommene Lage der Branche. Selbstverständlich kann man nicht wissen, wie sich die Dinge tatsächlich entwickeln – je weiter man in die Zukunft zu blicken versucht, desto verschwommener wird das Bild. Dass es sich bei den Organisationen staatlich geförderter Kultur um eine schrumpfende Branche handele, davon geht dieses Buch nach Lage der im Vorwort genannten Zahlen und Entwicklungen aber aus, und das entspricht auch Einschätzungen, die man von Verantwortlichen in Kulturorganisationen, Hochschulen und Kulturstiftungen im Gespräch erfahren kann. Die damalige Intendantin der Berliner Philharmonie, Pamela Rosenberg, äußerte in der Befragung 2006 die Erwartung, klassische Musik werde »mittelfristig marginalisiert«. Ein prominenter Spieler wie Daniel Barenboim nennt sogar ein Verfallsdatum: »Ab etwa 2050«, so sagt er in einem Interview zu seinem 70. Geburtstag im November 2012, »wird die Musik in unserer Gesellschaft kaum noch eine Rolle spielen.«135 Wie Barenboim auf dieses Datum kommt, ist nicht überliefert. Doch würde »etwa 2050« dem Zeitraum entsprechen, in dem die nach dem Zweiten Weltkrieg geborene BabyBoomer Generation die gesellschaftliche Bühne jüngeren, dem kulturellen Erbe vielleicht weniger verpflichteten Generationen überlassen haben wird. Schrumpfende Branchen verzeichnen in der Strategieanalyse nach Michael Porter einen Rückgang ihrer verkauften Stückzahlen, kleiner werdende Ertragsspannen, schmaler werdende Produktlinien, sinkende Ausgaben für Forschung,

134 Vgl. Tidd/Bessant/Pavitt 1977: 25f. 135 Eleonore Büning (2012): Und die Welt versinkt. Interview mit Daniel Barenboim. Eine andere Frage ist, wie sinnvoll so ein Satz sein kann. Es ist ja doch denkbar, dass auch »unsere Gesellschaft« im Jahr 2050 der Geschichte angehört.

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Entwicklung und für Werbung sowie eine sinkende Zahl an Wettbewerbern. Sie tun dies über einen längeren Zeitraum hinweg, so dass der Niedergang nicht auf den Konjunkturzyklus oder auf kurzfristig wirkende Einflüsse wie Haushaltssperren, Streiks oder Material-Engpässe zurückgeführt werden kann.136 Eine Beobachtungsebene darunter verwenden Mark Mone, William McKinley und Vincent Barker das Konzept der schrumpfenden Branche als Ursache eines »organisationalen Niedergangs«. Den organisationalen Niedergang definieren sie als Schrumpfen der Ressourcen-Basis einer Organisation. Konkret zeigt er sich im Rückgang des Marktanteils, in finanziellen Verlusten, zurückgehenden Einschreibungen oder Abonnements oder allgemeiner in einer über längere Zeiträume signifikant zurückgehenden Nachfrage. Neben einer insgesamt schrumpfenden Branche sehen die Autoren ein verarmendes Marktsegment oder von der Zeit überholte Strategien als mögliche Ursachen des Niedergangs.137 Dass eine Branche schrumpft, bedeutet für die ökonomische Strategiebildung nicht die Dämmerung vor der Nacht oder die Agonie vor dem Tod, auch in der Kultur durchaus nicht die letzten Herzschläge vor dem Infarkt. Porter nennt die Situation aus strategischer Sicht ein »Endspiel«. Es kann für diejenigen profitabel sein, die überleben, unter der Voraussetzung, dass »die Abnehmer in den verbleibenden Nachfragenischen nicht preisempfindlich sind und nur geringe Verhandlungsstärke besitzen«. Das wären in unserem Fall etwa Menschen, die eine Schostakowitsch-Symphonie live erleben wollen, sich von Theaterangeboten oder Computerspielen davon nicht ablenken lassen und bereit sind, für das Konzert einen vergleichsweise hohen Preis zu bezahlen. Gelinge es innerhalb einer Branche, die Kapazitäten »geregelt« abzubauen, so Porter, dann lasse sich für die übrig bleibenden Firmen auskömmlich wirtschaften (1999: 328f.). In unserem Zusammenhang stellen sich vor allem zwei Fragen. Zum einen: Bietet eine solche Niedergangsphase eine gute Voraussetzung für innovatorische Initiative? Und zum anderen: Erhöht Innovation in einem Niedergangs-Szenario die Wahrscheinlichkeit des Überlebens? Der zweiten Frage werden wir am Ende dieses Buches nachgehen. Zur ersten Frage muss man sagen, sie hat in der Forschung gegensätzliche Antworten gefunden. Insofern der Niedergang eine Differenz zwischen den Erwartungen einer Organisation und den Ergebnissen ihrer Aktivitäten erzeugt, kann dies Such-, Anpassungs-, Wandlungs- und Innovationsprozesse anregen und die Risikobereitschaft steigern. Lerntheoretisch argumentiert, führt die Erfolglosigkeit traditioneller Verhaltensweisen in einer Organisation dazu, dass Such- und Verhaltensroutinen zunehmend die etablierten

136 Michael Porter (1999): Wettbewerbsstrategie, p. 324f. 137 Mone/McKinley/Barker 1998: 117.

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Bahnen verlassen. Mone, McKinley und Barker fassen solche Ansätze in der »Not-ist-die-Mutter-der-Erfindung-Schule« zusammen (1998: 116f.). Umgekehrt findet sich aber auch die Argumentation, die Erfahrung des Niedergangs hemme kognitive Prozesse, störe die Entscheidungsfindung und verringere die Bandbreite der Optionen, die Manager in Betracht ziehen. Dies wäre entsprechend die »Not-ist-die-Mutter-der-Verhärtung-Schule«, und Mone, McKinley und Barker führen eine Reihe von Untersuchungen ins Feld, die zeigen, dass organisationaler Niedergang zu einer erhöhten Effizienz-Orientierung führe (meist in Form von Maßnahmen zur Kostensenkung), zu einer Fokussierung auf interne Angelegenheiten, zu einer verengten Definition des eigenen Geschäftsfeldes, und das heißt: zu verringerter innovatorischer Aktivität (1998: 117f.). Belege gibt es für beide Positionen. Richard Cyert und James March haben in ihrer bis heute als Referenz dienenden »A Behavioral Theory of the Firm« (1963) den Widerspruch aber insofern aufgelöst, als sie unterschiedlichen Ausgangslagen und Motivationen jeweils eigene Arten der Innovation zuordnen. Danach ist bei in Schwierigkeiten steckenden Unternehmen von einer höheren Bereitschaft zur Innovation auszugehen, die daraus entstehenden Neuerungen haben aber eine verhältnismäßig geringe Tragweite und dienen vor allem der Lösung von Problemen. Grund legende Innovationen würden dagegen von erfolgreichen Unternehmen hervorgebracht, die über ungenutzte Reserven (slack) verfügen. Dabei haben die problemlösenden Innovationen der in Schwierigkeiten steckenden Unternehmung einen kürzeren Zeithorizont, während umgekehrt Innovationen, die aus ungenutzten Reserven hervorgehen, auf kurze Sicht oft nicht zu rechtfertigen seien.138 Michele Kremen Bolton stellt diese Überlegungen in einen Zusammenhang zyklischer Entwicklungsphasen von Organisationen. Nach der von ihr ins Feld geführten punctuated equilibrium-Theorie wechseln sich Phasen größerer Innovationen und einschneidender Veränderungen und solche inkrementeller Innovation innerhalb ein und derselben Organisation ab. Allerdings sehen sich verhältnismäßig erfolglose Organisationen einem stärkeren Druck zur Übernahme von Innovationen ausgesetzt als Organisationen, deren Aktivitäten gut gehen. Erfolgreiche Organisationen könnten es sich leisten, ihre Risiken zu minimieren und Innovationen erst dann zu implementieren, wenn erkennbar sei, dass diese sich in der Branche oder auf dem Markt durchsetzten. 139 Dass es sich bei diesen Theorien trotz aller empirischer Belege vor allem um plausible Anregungen zur Strukturierung der Diskussion handelt, liegt auch an

138 Cyert/March (1992): A Behavioral Theory of the Firm, p. 188ff. 139 Vgl. Michele Kremen Bolton (1993): Organizational Innovation and Substandard Performance: When is Necessity the Mother of Innovation?, p. 59ff.

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dem Umstand, dass in ihnen Innovation in Hinsicht auf unternehmerischen Erfolg als abhängige und gleichzeitig als erklärende Variable erscheint: Abhängig ist sie, weil innovatorisches Verhalten vom Maß des organisationalen Erfolgs beeinflusst wird. Erklärend wirkt sie, weil sich der Erfolg einer Unternehmung vorhergehenden Innovationen verdanken kann. Ursachen und Wirkungen können sich hier also zirkelförmig zueinander verhalten. Der andere Grund, warum die Theorien vor allem den Blick auf die Wirklichkeit schärfen, zu Vorhersagen aber nur unter Vorbehalten taugen, ist die Vielzahl der beteiligten Faktoren inund außerhalb der Organisation. Einer dieser Faktoren ist die Einschätzung der Handlungsbedingungen und die Attribution der Ursachen des Niedergangs durch die Organisation selbst, vor allem durch deren Management. Nach Mone, McKinley und Barker wirkt sich die Situation eines Niedergangs dann positiv auf die innovatorische Aktivität einer Organisation aus, wenn diese ihre Nöte auf konstant wirkende Ursachen zurückführt (1998: 124). Im Fall unserer Konzerthäuser und Sinfonieorchester würden solche Ursachen durch das Altern der interessierten Publikums-Kohorten, durch sich verschiebende kulturpolitische Präferenzen oder sich wandelnde Rezeptionsgewohnheiten der möglichen Publika repräsentiert. Je mehr ein Manager dagegen den Niedergang seiner Organisation als Folge einer Krise, also als kurzfristig verstandener Widrigkeit betrachtet, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass er durch Innovation dagegen angeht. Oder noch einmal umgekehrt: Je mehr die Organisation glaubt, Einfluss auf die anhaltenden Ursachen ihres Niedergangs nehmen zu können, desto positiver ist die Wirkung des Niedergangs auf ihre innovatorische Aktivität.140 Der andere für Innovation bedeutsame verhaltensprägende Faktor ist der Grad der Institutionalisierung. Mone, McKinley und Barker argumentieren, in hochgradig institutionalisierten Organisationen dominierten Dynamiken, die im Kontext eines organisationalen Niedergangs innovationshemmend wirkten. Die Autoren führen das Beispiel staatlicher Universitäten an, in denen eine Vielzahl von Interessengruppen Widerstand gegen Veränderungen leisteten. Privatuniversitäten falle es leichter, innovatorisch auf zurückgehende Einschreibungszahlen und darauf folgende Budgetkürzungen zu reagieren. Je weniger institutionalisiert der Auftrag einer Organisation sei, desto positiver falle voraussichtlich der Effekt eines organisationalen Niedergangs auf ihre innovatorische Aktivität aus; gering institutionalisierte Organisationen könnten neue Märkte und Nischen mit größerer Legitimität bedienen oder erschließen. Umgekehrt sei zu erwarten, dass ein stark institutionalisierter Auftrag einer Organisation hemmend auf deren Versuche wirke, auf Niedergang mit Innovation zu reagieren (1998: 119 ff.).

140 Mone/McKinley/Barker 1998: 118 und 126.

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In den Kreis der Metaphern aus der Welt organischen Vergehens gehört neben dem Niedergang auch das Konzept der alten Organisation. Ob Kulturorganisationen und Institutionen wie Konzerthäuser und Sinfonieorchester sinnvoll als »alt« bezeichnet werden können, hängt wesentlich vom Referenzhorizont ab. Alt sind unsere Konzerthäuser und Orchester in Hinsicht auf die Unternehmen und auf die Zeitspannen, die von der Innovationsforschung im Bereich von Industrie und Dienstleistung in der Regel untersucht werden. Auch einige der Konkurrenten und Substitute in der Unterhaltungswirtschaft – der Film, das Computerspiel – lassen unsere Konzerthäuser und Orchester alt aussehen. Alt sind sie auch, wenn man auf die Jahrgänge der sie tragenden Bevölkerungsschichten blickt. Nicht auffallend alt erscheinen sie im Vergleich zu anderen Institutionen gesellschaftlicher Sinnproduktion wie Schulen, Universitäten, Verlage und, wenn wir weiter in den Bereich institutioneller Daseinsvorsorge vordringen wollen, der Gesundheitspflege, wie Hospitale oder Pflegeheime. Als Institutionen reichen die Orchester bis zu den Hofkapellen des 16. Jahrhunderts zurück. Als Organisationen sind sie zumeist jünger – das Berliner Philharmonische Orchester wurde 1882 gegründet, das Grand Orchestre symphonique de Radio-Luxembourg 1932, das Konzerthausorchester Berlin im Jahr 1952 (unter dem Namen Berliner Sinfonie-Orchester). Die Institution des Konzerthauses, wie wir sie heute verstehen, bildete sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, parallel zur Evolution des von einem Dirigenten geleiteten Symphonieorchesters sowie des Konzerts als dem »spezifische[n], eigentliche[n] Realisierungsort autonomer Musik«.141 Referenzdaten sind hier etwa die Eröffnung des Wiener Musikvereinsgebäudes im Jahr 1870 und des Concertgebouw Amsterdam im Jahr 1887. Sprechen wir von Innovation in Konzerthäusern und Sinfonieorchestern, sind sowohl das institutionelle als auch das organisatorische Alter von Belang. Das organisatorische Alter kann etwas aussagen über den Stand der Routinen, der Strukturen, der Lernfähigkeit und der Außenbeziehungen der Kulturorganisation. Das institutionelle Alter sagt etwas über kulturelle Prägungen, gesellschaftliche Aufgaben und über den Charakter der Produktionstechniken. In diesem Sinn sind auch das Konzerthaus und das Konzerthausorchester Berlin älter, als es die Daten der Gründung des Orchesters nach dem Zweiten Weltkrieg und die Neueröffnung des im Krieg zerstörten Schauspielhauses im Jahr 1984 vermuten lassen: Orchester und Haus knüpfen an das von Karl Friedrich Schinkel entworfene Königliche Schauspielhaus an, das 1821 eingeweiht wurde und in dem unter anderem Webers »Der Freischütz« zur Uraufführung kam. Der frühere Intendant des Konzerthauses, der Musikwissenschaftler Frank Schneider, stellte Besuchern das

141 Werner Heister (1983): Das Konzert – Theorie einer Kulturform, Bd. 1: 55 und 94.

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auf Konzerthaus und Gendarmenmarkt blickende Eckfenster seines Büros in der Charlottenstraße gerne als Des Vetters Eckfenster vor, von dem es in der Erzählung E.T.A. Hoffmanns heißt, es liege »in dem schönsten Teile der Hauptstadt, nämlich auf dem großen Markte, der von Prachtgebäuden umschlossen ist und in dessen Mitte das kolossal und genial gedachte Theatergebäude prangt. Es ist ein Eckhaus, was mein Vetter bewohnt, und aus dem Fenster eines kleinen Kabinetts übersieht er mit einem Blick das Panorama des grandiosen Platzes.«142 Da man sich überdies beim Wiederaufbau der Theaterruine und ihrer Umgestaltung zum Konzerthaus am Wiener Musikvereinssaal orientierte, verfügt das Haus gewissermaßen über zwei Genealogien, die beide ins 19. Jahrhundert reichen. Auch wenn jede automatische Assoziation von Alter und Niedergang zurückzuweisen ist, so gleichen sich die ökonomischen und organisationstheoretischen Erklärungsmodelle doch. Nach ihnen ist auf der einen Seite zu erwarten, dass alte Organisationen zu verfestigten Entscheidungs- und Handlungs-Routinen neigen, zu dem, was sich als Trägheit, Inertia, beschreiben lässt. Mögen die Kompetenzen der alten Organisation auch hoch entwickelt sein, so hat diese über die Jahre vielleicht doch in unmerklich kleinen Schritten an Bezug zu ihrer sich wandelnden Umwelt (environmental fit) verloren.143 Die eingesetzten Technologien werden allmählich obsolet, während die Organisation auf vertrauten Pfaden wandelt und ihre alten Kompetenzen und Produkte weiter und weiter verfeinert. Nach Dororthy Leonard-Barton bevorzugt jede Unternehmung jene Kulturen des Lernens, des Handelns; der Produktentwicklung, die aus der technologischen Basis der Zeit ihrer Entstehung hervorgegangen sind. Kern-Kompetenzen können dadurch zu Kern-Verkrustungen werden.144 Oftmals schließt aus Sicht der Organisation auch die Notwendigkeit, angestammte Publikumsgruppen zu bedienen und das eigene Image zu bestätigen, die Ergreifung neuer Marktchancen aus.145 Auf der anderen Seite wissen viele alte Organisationen, wie man Innovationen hervorbringt oder zumindest, wie eine quantifizierende Forschung gezeigt hat, wie man Patente produziert.146 Sie besitzen das notwendige Wissen, die Erfahrung, die Routinen, das Personal. In Phasen einer nur allmählich fortschrei-

142 Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann (1990 [1822]): Des Vetters Eckfenster, p. 302. 143 Die Überlegungen zum Verhältnis von Alter und Innovation verdanken sich in weiten Teilen Jesper Sørensen und Toby Stuart (2000): Aging, Obsolescence, and Organizational Innovation. Der Gedanke des environmental fit findet sich auf p. 83. 144 Dororthy Leonard-Barton (1992): Core Capabilities and Core Rigidities: A Paradox in Managing New Product Development, p. 118. 145 Grund legend hierzu ist Clayton Christensen (1997): The innovator’s dilemma. 146 Sørensen/Stuart 2000: 106f.

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tenden technologischen Evolution schreiben alte Organisationen ihre Erfolgsgeschichte fort, oft erscheinen sie effizienter und produktiver in ihren innovatorischen Prozessen als junge Organisationen. In solchen Phasen stellt sich häufig ein positiver Regelkreis her, in dem Organisationen mit hoher innovatorischer Kompetenz zahlreiche Gelegenheiten zur Innovation ergreifen, damit Erfolg haben, und so ihre Kompetenzbasis weiter stärken (Sørensen und Stuart 2000: 85). Umgekehrt entwerten disruptive Innovationen die Wissensbasis einer Organisation; in Zeiten raschen Wandels schlägt das zum Nachteil der alten Organisation aus. Man kann also sagen, die Fähigkeit einer alten Organisation, Erfolg durch Innovation auf ihren Märkten zu generieren, hänge vom Verhältnis ihrer Kompetenzen zum Veränderungstempo in ihren relevanten Umwelten ab. 6.2 Innovation als Frage der Technik Was das Museum mit seinen Gegenständen macht, ist im Kapitel über Innovation in der Kunst beschrieben: Es bewahrt sie vor den Unbilden der Zeit, vor dem, was Schumpeter den ewigen Sturm kreativer Zerstörung nennt. Die Dinge bleiben anschaubar, ohne von den Neuheiten des Marktes oder von den Sedimenten abgenutzter Dinge überdeckt zu werden. Wie aber verhält es sich mit dem Museum selbst? Ist es alterslos? Kann es ein Ort der Innovation sein? Ist es in Form und Anliegen selbst museal? Die Frage stellt sich für unsere Konzerthäuser mit besonderer Schärfe, weil sie gewiss als »Archive« dienen, ihr spezifisches Angebot aber darin besteht, die Werke mithilfe von Orchestern, Kammermusikern und Solisten jeweils aktuell zu produzieren. Die dabei verwendeten Techniken stammen aus der Gründerzeit dieser Institutionen und aus den Jahrhunderten davor, man kann sie vor-industriell nennen. Während die Mitte des 19. Jahrhunderts eine industrielle Revolution hervorbrachte und einen Prozess fortschreitender Mechanisierung und Automatisierung in Gang setzte, wird sinfonische Musik bis heute von einem Kollektiv kunsthandwerklich spezialisierter Mitarbeiter in körperlicher Arbeit durch Blasen, Zupfen, Reiben und Schlagen auf mechanischen Geräten zusammengesetzt. Vor-industriell ist die Methode auch darin, dass jeder musikalische Kunstgegenstand in einem »Konzert« genannten Prozess aufs Neue hergestellt wird, unter den Augen und vor den Ohren der Verbraucher, in einem Hier und Jetzt, als Einzelstück. Versuche, diesen Prozess zu rationalisieren, hat es gegeben. Parallel zur Geschichte des Orchesters gibt es eine Geschichte der Entwicklung mechanischer Musik-Automaten. In Anwendungsfällen wie im Ballett oder im Sprechtheater ist das Live-Orchester vielfach durch Abspielgeräte ersetzt worden, aus denen Tonaufnahmen erklingen. Auch die Gründung der Rundfunkorchester wie jenem

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in Luxemburg verdankt sich einem historischen Rationalisierungsschub; mit der Ausstrahlung im Rundfunk konnte das als Prototyp hergestellte Konzert nun einer virtuell unbegrenzten Vervielfältigung zugeführt werden.147 Nach den Maßgaben der Innovationstheorien muss man die vor-industrielle Produktionstechnik der Konzerte heute als obsolet bezeichnen. Noch vor jeder Krise der Nachfrage sind die finanziellen Nöte unserer Konzerthäuser und Sinfonieorchester, auch der Oper, eine Folge der in ihnen konservierten handwerklichen Herstellungsmethoden, deren Produktivität sich kaum mehr steigern lässt und die daher bei steigenden Personalkosten in einem im gesamtwirtschaftlichen Vergleich überproportionalen Maß teurer werden. Und doch sind die historischen Produktionsweisen nicht nur ein Handicap. Die altertümliche Herstellungstechnik unter den Augen des Publikums, der körperliche Einsatz der Musiker tragen zum Erlebniswert einer Konzertveranstaltung bei, und damit zur Attraktivität des Produkts. Insofern generiert die Technik gerade durch ihre Antiquiertheit Wert. Sie wird, nach dem Begriff Meyers und Rowans, zum Mythos. Auch Weihnachtsmärkte werden ja nicht besucht, obwohl ihr Budenzauber an eine versunkene Welt vorindustriellen Handels und Wandels erinnert, sondern gerade wegen ihrer historischen Exterritorialität. Ähnliches lässt sich für die öffentlich ausgetragenen Mannschaftssport-Wettbewerbe wie etwa Fußball oder Eishockey mit ihrem atavistischen Kampf Mann gegen Mann sagen. Darüber hinaus ist die Herstellungstechnik wesenhaft mit den Objekten im Musik-Museum verbunden, der Prozess ist vom Produkt nicht zu trennen. Jedes Werk wird durch die individuelle Zusammensetzung des handwerklichen Produktionsapparates, die Besetzung, konstituiert. Eine Änderung der Produktionstechnik würde die Objekte im Museum verändern und in vielen Fällen – moralisch argumentiert – verfälschen; nach Walter Benjamin ist die »Echtheit« einer Sache »der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren«.148 Es steht zu vermuten, dass der Sinn der Werke als Ausdruck, als ideales Abbild und als mitvollziehbarer Bildungsprozess einer wie auch immer historischen Subjektivität sich durch die individuell-körperliche Hervorbringung der Stimmen des Orchesters realisiert. Das Konzert ist nicht nur Realisierungsort autonomer Musik, sondern auch ein Schauspiel des Menschen, wie er den Klang durch seine Anstrengung hervorbringt, und mit dem Klang ein anders nicht zugängliches Selbst. Insofern Konzerthäuser und Sinfonieorchester eine institutionelle Verpflichtung dazu haben, dieses Kunst-, Kultur- und Bildungsgut als Symbol des Menschli-

147 Zum Einfluss des Rundfunks auf die Musikproduktion siehe Tschmuck 2003, bes. Kapitel 4, »Die Rundfunkindustrie im Zentrum der Musikindustrie« (pp. 91-110). 148 Benjamin 1963 [1935]: 13.

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chen durch beständiges Aktualisieren und durch fortdauernde Praxis zu erhalten, sind ihnen für Innovation auf der Seite der Produktionstechnik Grenzen gesetzt. Aber vielleicht gibt es andere Möglichkeiten für die Kulturorganisation, technologische Innovation zu adoptieren oder selbst hervorzubringen. Flikkema, Jansen und van der Sluis hatten Innovation im Dienstleistungsbereich als den »kreativen Gebrauch« und die »Neuerfindung« an anderem Ort entwickelter Technologien zur Lösungsfindung für Kundenbedürfnisse bestimmt. Danach meint »Produktinnovation« die Anwendung einer neuen Technologie zur Generierung einer neuartigen Dienstleistung oder um eine schon bestehende Technologie so zu nutzen, dass dabei ein neues Dienstleistungs-Angebot entsteht (2007: 549 ff.). In der Studie, die Carmen Camarero, Maria José Garrido und Eva Vicente im Jahr 2011 zu Innovation in 491 britischen, französischen, italienischen und spanischen Museen veröffentlicht haben, bedeutet technologische Innovation den Gebrauch neuer Technologien, um Veränderungen von Prozessen, von Produkten und von Dienstleistungen zu bewirken. Dabei sehen die Autorinnen technologische Innovation, die sich an die aktuellen Präferenzen der Besucher anpasst, als einen von drei entscheidenden Faktoren für die Leistung eines Museums; sie steht bei ihnen neben Innovation in den Weisen der Wertschöpfung (value creation) sowie neben organisationaler Innovation durch Manager, »die Fragen des Marktes eine größere Bedeutung zumessen«.149 Für Camarero, Garrido und Vicente hat technologische Innovation das Potenzial, alle Kernaktivitäten der Kulturorganisation zu verändern. Der Gebrauch von Technologien anderer Wirtschaftsbereiche – gemeint sind Entwicklungen etwa der Kommunikation, der Bilder, des Designs, der Architektur – helfe Museen, neue Märkte zu erreichen oder neue Erwartungen oder neues Interesse zu wecken und ihren Besuchern neue Erfahrungen zu ermöglichen. Als Beispiele der Anwendung fortgeschrittener Technik nennen sie digitale Kataloge, virtuelle Besuche und die Repräsentierung des Museums und seiner Sammlung im Internet (p. 249f.). Etwas früher hatten bereits Bakhshi und Throsby in ihrer Pionier-Studie »Culture of Innovation« (2010) Technologie als treibende Kraft für Weiterentwicklungen in Kulturorganisationen herausgestellt. Treibende Kräfte für Innovation sind auch bei ihnen neue Konzepte der Wertschöpfung, daneben führen sie die (ihrerseits durch neue Technologien veränderte) Struktur der KonsumentenNachfrage und die Interessen der Förderer und Geldgeber als Innovations-

149 Carmen Camarero/Maria José Garrido/Eva Vicente (2011): How cultural organizations’ size and funding influence innovation and performance: the case of museums, pp. 263 und 249.

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Motoren an (2010: 13). Technologische Innovation ist für Bakhshi und Throsby ein transversales Thema in der Kulturorganisation. Sie schaffe neue Möglichkeiten, die Art und Weise zu überdenken, wie Kulturorganisationen ihre Ziele verfolgen, und sie ermögliche den Kulturorganisationen, die traditionellen räumlichen Grenzen ihres Wirkens hinter sich zu lassen und neue Publika zu erreichen. Außerdem öffneten sie neue Perspektiven für die Entwicklung der Kunstformen, neuer Arten der Wertschöpfung und innovativer Geschäftsmodelle (2010: 56). Besonders gilt das nach Bakhshi und Throsby für Innovation auf der Grundlage neuer Kommunikationstechnologien. Unter den drei Leitideen Interaktivität, Konnektivität und Konvergenz eröffneten das Internet und verschiedenartige Kommunikationsgeräte neue Wege für die Gestaltung des Verhältnisses der Kulturorganisationen zu ihren Öffentlichkeiten (2010: 13 und 17). Interaktivität bezeichnet dabei die Möglichkeit einer Kommunikation, sogar eines Austausches der Kulturorganisation mit ihrem Publikum. Konnektivität erweitert diesen Gedanken um den Austausch auch der Nutzer untereinander sowie die Verbindung der Ressourcen der Kulturorganisation (etwa in Form von Online-Inhalten) mit den Ressourcen ihrer Nutzer (etwa Meinungen, Bewertungen, Kenntnis potenziell Interessierter; allgemeiner in sozialen Netzwerken vorhandenes soziales Kapital). Konvergenz schließlich bedeutet, dass Publika Zugang zu ihrer Kulturorganisation und zu deren Angeboten jederzeit von vielen Orten aus und mittels vielfältiger Kanäle und Geräte haben können. Den am stärksten dynamischen Verlauf hat diese technologisch induzierte Innovation nach Bakhshi und Throsby im Bereich der Museen genommen. Wenn die Autoren schreiben, nach der Jahrtausendwende habe sich die Aneignung der neuen, mit dem Internet verbundenen Technologien rasant intensiviert, bis hin zu Konzepten wie dem »virtuellen Museum« oder dem »Museum ohne Mauern« (2010: 22), dann beschreiben sie die Zeit, die in Wirtschaft und Finanzwelt als die Zeit der Internet-Blase, dem Aufschießen der mit dem Internet verbundenen Zukunftserwartungen, zusammenfällt. In den darstellenden Künsten und namentlich in der Musik ist dieser technologische Innovationsschub zunächst schwächer ausgefallen, oder er hat später eingesetzt. Bakhshi und Throsby zitieren Pioniere wie die Pilot Theatre Company aus York mit ihrem Theaterzentrum in Second Life (p. 21), erwähnen auch den Einsatz digitaler Gestaltungsmittel im Bereich des Bühnenbilds, stellen aber fest, dass das Internet weitere Verbreitung bisher vor allem als Mittel zur Information über die Angebote von Kulturorganisationen und als Schnittstelle für Online-Buchungen gefunden habe. Eine wichtige Anwendungsart neuer Technologien in den darstellenden Künsten ist inzwischen die Übertragung eigener Produktionen über Satelliten und über Live-Streams in Kinos. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde

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diese innovative Distribution selbst produzierter Inhalte ab dem Jahr 2006 durch die Kino-Übertragungen der New Yorker Metropolitan Opera. Die San Francisco Opera folgte 2007. Im Jahr 2008 begann die Arts Alliance Media, Aufführungen des Royal Opera House in Covent Garden in Kinos zu übertragen; die Kinosaison 2012/13 umfasst sechs Opernproduktionen und drei Ballette, die laut der Homepage der Oper in mehr als 700 Kinos in 22 Ländern übertragen werden. 2009 erfolgte die Gründung von Digital Theatre, einer Partnerschaft des Almeida Theatre, des English Touring Theatre, des Royal Court, der Royal Shakespeare Company und des Young Vic.150 Auf dem europäischen Festland haben es die Kino-Übertragungen des Teatro alla Scala in Mailand zu internationaler Bekanntheit gebracht, auch wenn die Einbindung dieser Übertragungen in die Selbstdarstellung des Hauses und sein Distributionssystem bisher nicht mit der gleichen Konsequenz vollzogen wurde wie etwa in der der Royal Opera. Dass solche Übertragungen eine enorme Steigerung der Produktivität von Theatern, Konzert- und Opernhäusern mit sich bringen, liegt auf der Hand. Jeder Saal hat eine begrenzte Kapazität an Plätzen pro Aufführung – immer zu gering, um kostendeckend zu arbeiten – und jeder städtische oder regionale Markt birgt nur eine begrenzte Zahl möglicher Theater-, Ballett-, Konzert- und Opernbesucher. Übertragungen in Kinos und im Internet können den Kreis der Abnehmer und die Menge der zahlenden Kunden einer Produktion vergrößern. Wie die Kinoübertragung einer einzigen Aufführung das Publikum der Produktion nahezu verdoppeln kann, beschreiben Bakhshi und Throsby am Beispiel einer Produktion von Racines Phèdre des English National Theatre im Jahr 2009, der ersten derartigen Produktion, die eine unter dem Namen National Theatre Live bis heute gepflegte Produktlinie eröffnete. 151 6.3 Innovation in den Handlungsdimensionen der Kulturorganisation Bakhshi und Throsby sehen in der technologisch induzierten Innovation einen Schlüssel für die erfolgreiche Weiterentwicklung der Kulturorganisationen. Die technologische Entwicklung verändert die Wahrnehmungs- und Konsumgewohnheiten in der Gesellschaft. Zugleich liefert sie den Kulturorganisationen Mittel, auch mit neuen Publika in Beziehung zu treten. Ob und unter welchen Bedingungen solche Innovation in Konzerthäusern und Sinfonieorchestern prak-

150 Vgl. Bakhshi/Throsby 2010: 21. 151 Bakhshi/Throsby 2010: 29ff. sowie dieselben 2013. Das Beispiel wird im Kapitel über die Handlungsdimension des Marktes noch im Detail dargestellt.

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tikabel ist, wird sich in unseren Fallstudien zeigen, besonders im Kapitel über die Berliner Philharmoniker und ihr junges Tochterunternehmen Berlin Phil Media mit der von ihm aufgebauten Digital Concert Hall. Die Wirkung von Innovation in Kulturorganisationen analysieren Bakhshi und Throsby in vier Hinsichten oder Dimensionen, die sie mit Publikumsentwicklung (audience reach), Geschäftsmodelle, Formen der Wertschöpfung und Entwicklung der Kunstform bezeichnen. Camarero, Garrido und Vicente reduzieren in ihrer Museums-Studie diese Dimensionen auf drei. Sie untersuchen die Wirkungen von Innovation in den Bereichen Technologie, Wertschöpfung und Organisation in Hinsicht auf die soziale, die wirtschaftliche und die marktorientierte Leistung der jeweiligen Kulturorganisation.152 Bakhshis und Throsbys vierte Hinsicht, Innovation zur Entwicklung der Kunstform, ist für sie wohl als Folge der Definition des Museums als Anstalt des Bewahrens nicht von Belang. Letztlich geht es in jeder Systematik der Innovation in Kulturorganisationen darum, den vielfältigen organisationalen und institutionellen Anforderungen, Zielen und Prozessen gerecht zu werden und gleichzeitig die Übersicht zu steigern. Je kleiner die Zahl der Dimensionen, desto generischer werden diese. Je größer die Zahl, desto naturalistischer wird das Bild, aber es wird schwierig, eine systematische Ordnung herzustellen, die etwas erhellt. Miles und Green ordnen Innovation in ihrer Arbeit über den kreativen Sektor klassischen Geschäftsprozessen zu, die sie um Aspekte der Verbrauchererfahrung und der Co-Kreation von Wert erweitern (2008: 65). Nach einem ähnlichen Prinzip hatten wir in unserem strategischen Konzept der Kulturorganisation fünf Handlungsfelder der Organisation hergeleitet, und mit ihnen fünf Hinsichten der Innovation. Konzerthäuser und Sinfonieorchester handeln danach in den Dimensionen des Sozialen, des Marktes, des Finanziellen, der Leistung und des Künstlerischen. Diese Handlungsfelder schließen die Produktion privater und öffentlicher Güter ebenso ein wie die an der Ressourcensicherung orientierte Gestaltung von Beziehungen zur organisationalen und institutionellen Umwelt. Innovation kann in jedem dieser Handlungsfelder stattfinden. Sie verändert in den beschriebenen Dimensionen die Leistungsfähigkeit, die Wettbewerbsposition und daraus abgeleitet die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kulturorganisation. Manche dieser Dimensionen haben gemeinsame Schnittmengen. In seiner weiteren Bedeutung durchzieht das Soziale alle Bereiche, so lassen sich etwa auch Finanzstrukturen als soziale Ordnungen verstehen. Kategorien wie Produktinnovationen, Prozessinnovationen, technologische und technologisch induzierte Innovation ziehen sich transversal durch die Handlungsdimensionen.

152 Camarero/Garrido/Vicente 2011: 249f. und 262f.

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6.3.1

Innovation in der Handlungsdimension des Sozialen

Innerhalb der sozialen Handlungsdimension versucht die Kulturorganisation, breiteren Schichten den Zugang zu den Künsten zu eröffnen, breiten Schichten Möglichkeiten der Partizipation am öffentlichen Leben zu geben, Verständnis und Interesse für ihre Sache zu wecken und sich als wertvoller Teil des sie tragenden Gemeinwesens zu profilieren. Aus vielfältigen Gründen gewinnt die soziale Handlungsdimension in unseren Kulturorganisationen seit einigen Jahren an Bedeutung. So greift eine Auffassung der Kunst als soziales Produkt und als soziales Ereignis, als Medium des Lernens, als Mittel sozialer Integration Raum, während Begriffe einer absoluten, der wirtschaftenden Gesellschaft und den Erlebnisansprüchen des Konsumenten übergeordneten Kunst auf dem Rückzug sind. Entsprechend verschiebt sich das Selbstverständnis der Kulturorganisation als Institution der Kunst in Richtung eines kulturellen und sozialen Dienstleisters, ähnlich dem, was Stephen Weil für den Bereich nordamerikanischer Museen schon 1999 in einem Essay mit dem emblematischen Titel From being about something to being for somebody beschrieben hat. In Weils beherzt reformatorischer Vision wendet sich das Museum ganz nach außen, in den sozialen Raum. Es sieht sich nicht mehr selbst als Zweck, sondern als ein »Instrument« im Dienst der Öffentlichkeit, das seine Kompetenz im Umgang mit Objekten nutzt, um »positive Beiträge für die Qualität individueller menschlicher Existenzen und zur Verbesserung des Wohlergehens menschlicher Gemeinschaften zu leisten« (1999: 231). Ein solches Museum oder allgemeiner: eine solche Kulturorganisation versteht sich als soziale Unternehmung, als enterprising nonprofit (Gregory Dees), die sich innerhalb der sie tragenden Gesellschaft durch das Erreichen operationalisierbarer und selbstredend nützlicher Ziele legitimiert. Ihr Personal sollte nach Weil in der Lage sein, unmittelbar mit Mitgliedern der gesellschaftlichen Umwelt zu arbeiten. Dabei entwickelt es Arten und Weisen, deren Bedürfnissen zu entsprechen, eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen in Gang zu setzen und die zur Verfügung stehenden Mittel – Ausstellungen, Vorträge, Filme, Konzerte, Education-Programme – zur Interaktion mit der Gesellschaft und zur Befriedigung ihrer »physischen, psychologischen, wirtschaftlichen und sozialen« Ziele einzusetzen (1999: 251 ff.). Auch die noch heute in der Literatur zu findende Kategorie der ancillary innovation – einer »Hilfs-Innovation«, die den Interessen der Organisationen vermittelt dient – bezeichnet die von Weil beschriebenen neuen Formen der Zusammenarbeit von Kulturorganisationen und Dritten. Entwickelt wurde der Begriff von Fariborz Damanpour in einer Studie zu Innovation in öffentlichen Bibliotheken im Jahr 1987, zu einer Zeit, als das Konzept der sozialen Unternehmung noch nicht auf Kulturorganisationen angewendet wurde. Damanpour inte-

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ressiert sich deshalb auch mehr dafür, was die Zusammenarbeit mit Dritten organisationstheoretisch für die Grenzen der Kulturorganisation bedeutet, und weniger für das neue Ganze, das die Partner der Zusammenarbeit aus ihren TeilBeiträgen entstehen lassen. Ancillary innovations sind für Damanpour neu entwickelte Dienste, die über die traditionellen Kern-Funktionen einer Organisation hinausgehen – in Bibliotheken wären das etwa Bildungsveranstaltungen für Erwachsene. Die Implementierung solcher Dienste oder Programme hängt gleichermaßen von der Organisation ab wie von ihren Kunden oder Partnern oder allgemein: von ihrer Umwelt. Das betrifft auch ihren Erfolg, der für Damanpour nun außerhalb der »vollen Kontrolle« durch das Management liegt.153 Hat die Kulturorganisation einmal begonnen, sich als Dienstleister zu definieren, dann gewinnen die heterogenen Interessen des Publikums – im Sinn der Service- und Kunden-dominanten Logiken – wie von selbst an Gewicht. Nimmt man den Gedanken einer Co-Produktion von Wert, einer gemeinschaftlichen Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich ernst, dann verändern sich die Nutzer auch in den Künsten – mit einem Wort Leila Jancovichs – von Nutznießern zu Mitarbeitern.154 Der Prozess der Leistungserbringung wird damit zu einer Form sozialer Interaktion zwischen der Kulturorganisation und ihrem Publikum. Innovation, so sagt Catherine Bunting in ihrer Studie Public value and the arts in England, betreffe eben nicht nur Produkte, sondern auch den Prozess des Engagements und der Partizipation. Praktiker in den Kulturorganisationen seien aufgefordert, die Arten und Weisen innovativ zu verändern, wie sie Publika verstehen, sie erreichen und mit ihnen kommunizieren (Bunting 2007: 18). Von Innovation lässt sich also auf einer institutionellen Ebene sprechen, wenn sich das Konzept einer Kulturorganisation weg von der Kunst und hin zur sozialen Unternehmung entwickelt. Auf der organisationalen Ebene stellen einzelne neue Programme, Kooperationen, Formate und Sozialformen Innovationen dar. Traditionell haben Konzerthäuser und Sinfonieorchester soziale Ziele durch die Gestaltung ihrer Eintrittspreise zu erreichen versucht. Auch Sozialkritik in musikalischen Werken (prominent bei Luigi Nono oder Hans Werner Henze) und sozialkritische Inszenierungen gehören in diesen Bereich sozialen Wirkens. Besuche von Schulklassen in Proben und Konzerten gab es lange, bevor Education-Arbeit auf dem europäischen Festland ankam. In den vergangenen Jahren führten Innovationen zu breit und manchmal systematisch angelegten Education-

153 Fariborz Damanpour (1987): The Adoption of Technological, Administrative, and Ancillary Innovations, p. 677f. Zu ancillary innovation s. auch Walker 2007: 593. 154 Jancovich 2011: 2. Zu Co-Produktion in öffentlichen Einrichtungen s. David Boyle et al. (2010): Right here, right now – Taking co-production into the mainstream.

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Programmen, zu Kooperationen mit Bildungs- und Sozialeinrichtungen, zu sozial inklusiven Programmangeboten wie Tagen der offenen Tür, zu ethnischen oder folkloristischen Programmen, die Mitglieder verschiedener ethnischer Gruppen zusammenführen, oder zu Formaten, die um eine gesellige Komponente erweitert werden, wie Gesprächs- oder Mitmach-Konzerten. Einen Wandel hat die Bedeutungszunahme der sozialen Dimension auch im Berufsbild der Orchestermusiker herbeigeführt. So haben Musiker neue Rollen für sich ergriffen, die über diejenigen des spezialisierten Orchester-Virtuosen und gegebenenfalls des Lehrers hinausgehen. Sie umfassen nun auch gemeinschaftliches Spielen und Lernen mit Kindern und erwachsenen Laien und das Musik-Machen gegenüber Gruppen, die sich am Rand der aktiven Gesellschaft befinden, wie Alten, Kranken und Strafgefangenen, für die es vielleicht mehr um Geselligkeit, Berührung und Trost als um Kunstgenuss in glanzvollen Ritualen geht. 6.3.2

Innovation in der Handlungsdimension des Marktes

An die Handlungsdimension des Sozialen grenzt die Dimension der Marktorientierung an. Das Handeln in dieser Dimension zielt auf die Gewinnung von Kunden oder Publika, von Förderern und Unterstützern, auf ihre Zufriedenstellung und schließlich auf ihre Bindung an die Organisation. Dies wird durch eine Vielzahl von Praktiken zu erreichen versucht: Durch Werbung, durch die Gestaltung des Veranstaltungsorts, durch neue Zahlungsmethoden, durch Kundenbindungsprogramme und Rabattsysteme, durch das Angebot von Diensten rund um die künstlerische Leistungserbringung, durch die Entwicklung der Schnittstellen zwischen Produkt und Publikum, durch den von den Angestellten dargestellten Stil des Hauses, durch die Steuerung der Zusammensetzung des Publikums, durch die Gestaltung von Abonnement-Reihen und auch des Spielzeitprogramms.155 All diese Maßnahmenfelder sind für Innovation offen. Beispiele sind die Möglichkeit, zu Hause Eintrittskarten für Veranstaltungen auszudrucken, die Integration von Monitoren in Sitzlehnen, die Zugänglichmachung von Konzerten über DVD oder das Internet, Konzerte zu Randzeiten wie Matineen oder »Latenight-Konzerte«. Was dabei »Markt« bedeutet, hatten wir breit definiert. Der Horizont unseres Marktes schließt Kunden oder Publika ebenso ein wie Konkurrenten oder Anbieter von Substituten. Weiter gibt es für Kulturorganisationen Märkte für Faktoren wie Musiker, Dramaturgen oder neue Kompositionen sowie Märkte für Förderungen, Spenden, Sponsoring, institutionelle Partnerschaften.

155 Für die Kreativwirtschaft beschreiben Miles und Green (2008) in großer Ausführlichkeit Kategorien und Einzelmaßnahmen zur Verbesserung der Leistung am Markt (pp. 15 und 66ff.). Das meiste davon lässt sich auf Kulturorganisationen übertragen.

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Die Dimension des Marktes kann sich mit der des Sozialen überschneiden, denn Zielgruppen von Kunden bestehen aus Individuen, deren mit anderen geteilten kreativen, ästhetischen, spirituellen, sozialen, gesellschaftlichen Interessen sich die Kulturorganisation zuwendet. Ohne weiteres kann eine Innovation in der Dimension des Sozialen – ein Education-Programm zum Beispiel für Kinder und Enkel türkischer Einwanderer – gleichzeitig eine Innovation mit Blick auf die Dimension des Marktes darstellen, indem ein neuer Publikumskreis erschlossen wird, und selbst mit Blick auf die Dimension des Finanziellen, etwa, weil sich damit Zuwendungen der staatlichen Kulturverwaltung oder Fördergeld einer an Integrationsfragen interessierten Stiftung gewinnen lassen. Der Gewinnung von Kunden oder Publika und der progressiven Entwicklung der Beziehungen gehen Bakhshi und Throsby in ihrer britischen Innovationsstudie unter dem Begriff audience reach nach. Innovation in diesem Bereich bedeutet für die beiden Autoren die Generierung neuer Publikumsgruppen, unter anderem mit den Mitteln sozialer Medien und digitaler Technologien, und die Vertiefung bestehender Beziehungen, auch hier bevorzugt durch die Nutzung neuer Technologien, die neue Formen der Interaktion und der Bereitstellung von Information über Inhalte und Ausführende ermöglichen (2010: 13). Ähnlich den Standard-Modellen des Marketing – der Marktpenetration (Erhöhung von Marktanteilen und Vergrößerung des Marktvolumens) und der Marktentwicklung – differenzieren Bakhshi und Throsby zwischen audience broadening, audience deepening und audience diversifying. Eine Verbreiterung des Publikums entspricht der klassischen Marktpenetration und bedeutet für eine Kulturorganisation, einen größeren Anteil jener Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, die traditionell zu den Nutzern ihrer Angebote gehören, zum gegebenen Zeitpunkt aber nicht teilnehmen. Innerhalb des gleichen Konzepts ist mit audience deepening die Erhöhung der Teilnahmefrequenz bereits gewonnener Nutzer gemeint; Bakhshi und Throsby geben dem Konzept einen qualitativen Ausdruck, wenn sie es als die Ermöglichung neuer und wertgeschätzter kultureller Erfahrungen für ein Publikum bestimmen. Diversifizierung des Publikums schließlich bedeutet im Sinn der Marktentwicklung die Attraktion neuer Publikumsgruppen. Im Fall unserer Konzerthäuser und Sinfonieorchester sind damit meist Kinder und Jugendliche, Personen mit geringerer formaler Bildung sowie Angehörige allochthoner Bevölkerungsgruppen gemeint (2010: 16). Am Beispiel der Kino-Übertragung von Racines Phèdre des English National Theatre im Jahr 2009 haben Bakhshi und Throsby die Wirkungen innovativer Distributionsmethoden auf Publikumsgewinnung und Reichweite untersucht. Dass durch die nationale und internationale Kino-Übertragung die Zahl der Besucher des Theaters praktisch verdoppelt wurde, ist im Kapitel über technologi-

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sche Innovation schon gesagt: Die Produktion wurde in 70 Kinos im Vereinigten Königreich und in weitere 210 Kinos in anderen Ländern übertragen. 14.000 Menschen verfolgten die Aufführung live vor den Leinwänden in Großbritannien, 14.000 weitere nahmen anderen Ländern Europas und – mit einigen Stunden Zeitverschiebung – in Nordamerika teil. Zählt man diejenigen hinzu, die zu einem späteren Zeitpunkt eine Aufzeichnung sahen, dann wurde die Aufführung des National Theatre vom 25. Juni 2009 von vermutlich mehr als 50.000 Menschen mitverfolgt. Im Theater selbst hatte die Aufführungs-Serie der Phädra insgesamt 54.500 Besucher. Bakhshi und Throsby erhoben Daten unter den Besuchern von 35 britischen Kinos sowie den Besuchern des Theaters selbst. Dabei gab ein Drittel der befragten Kino-Besucher in Großbritannien an, die Übertragung vor allem deshalb besucht zu haben, weil ihnen der Weg in das National Theatre zu weit gewesen wäre. 13 Prozent der befragten Kino-Besucher gaben an, sie hätten keine Karten mehr für eine Aufführung im Theater erhalten. Beiden Gruppen gab die Übertragung in ihr Kino erst die Möglichkeit, die Theaterproduktion zu erleben. In mehreren Hinsichten mobilisierte die Kino-Übertragung Publikumsgruppen, die den Weg ins Theater auch dann nicht angetreten hätten, wenn er kurz gewesen wäre und sich Karten noch im Verkauf befunden hätten. Das zeigt die Gegenüberstellung des kulturellen Nutzungsverhaltens der Kino- und der Theaterbesucher. Unter den Personen, die Phädra im National Theatre erlebten, waren 96 Prozent auch in den zwölf zurückliegenden Monaten schon in dem Haus gewesen. Nicht mehr als drei Prozent der Theater-Besucher gaben an, in den zurückliegenden zwölf Monaten an gar keiner kulturellen Veranstaltung teilgenommen, kein Kunstmuseum und kein Kino besucht zu haben. Dagegen hatten lediglich 40 Prozent der Kino-Besucher in den zwölf zurückliegenden Monaten das National Theatre besucht. Zehn Prozent waren im zurückliegenden Jahr in überhaupt keinem Theater; sieben Prozent der Besucher der Kino-Übertragung gaben an, in den zurückliegenden zwölf Monaten an keiner kulturellen Veranstaltung teilgenommen zu haben. Sowohl die Besucher des Theaters als auch die Besucher der britischen Kinoübertragung waren im Schnitt älter und wohlhabender und zu einem größeren Teil weiblich als der Durchschnitt der Bevölkerung. Die Kino-Besucher waren allerdings im Schnitt weniger alt, und das Verhältnis der Geschlechter war ausgeglichener als in der Vergleichsgruppe im Theater. Vor allem lag bei den Kino-Übertragungen der Anteil von Besuchern niedriger Einkommensgruppen bedeutend höher als im Theater, für sie war die KinoÜbertragung das attraktivere oder zugänglichere Angebot. Die meisten dieser Zahlen lassen sich als Indizien dafür verstehen, dass das English National Theatre sein Publikum mit der Kino-Übertragung verbreitert

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und diversifiziert hat. Darüber hinaus gibt es Belege, dass das Theater seine Beziehung zum Publikum auch vertiefen konnte. Nach Bakhshi und Throsby kamen die Kino-Besucher mit geringeren Erwartungen in die Vorstellung als die Besucher des Theaters. Sie erwarteten ein weniger emotionales Erlebnis, weniger Hingerissen-Sein, weniger Abstand zum Alltag. Ihre tatsächliche Erfahrung beschrieben sie hingegen als stärker und intensiver als die Theaterbesucher. Die höheren Identifikations-Werte des Kino-Publikums mit den Darstellern der Theaterproduktion führen Bakhshi und Throsby auf das Medium zurück: Demnach wären die Darsteller den Zuschauern im Kino durch die Kameraführung näher gebracht worden. Zentrale Eigenschaften haben Kino-Übertragungen mit der Aufführung im Theater auch gemeinsam, vor allem die zeitliche Unmittelbarkeit einer Live-Aufführung und den geselligen Charakter; beide Eigenschaften tragen sowohl für die Zuschauer im Theater als auch für die im Kino zur Erhöhung des Genusses oder zur Steigerung des Erlebnisses bei. Insgesamt schließen die Autoren, dass die Kino-Übertragung das Potenzial besitzt, neue kulturelle Erfahrungen für erweiterte Publika zu schaffen (2010: 32 ff.). Während die Möglichkeit von Live-Übertragungen in Kinos bislang nur von wenigen Kulturorganisationen genutzt wird, haben sich andere Nutzungsformen des Internet so weit verbreitet, dass sie gelegentlich gar nicht mehr als Innovation wahrgenommen werden. Dennoch sind, ungeachtet der lebensweltlichen Naturalisierung, Internet-basierte Anwendungen als technologisch induzierte Innovationen zu betrachten. Ihre Wirkung auf die Erweiterung und Diversifizierung eines Publikums sowie auf eine Vertiefung der Beziehungen untersuchen Bakhshi und Throsby am Beispiel einer Ausstellung des Museums Tate Liverpool. Die Ausstellung Colour Chart, die den Gebrauch der Farbe in der Kunst des 20. Jahrhunderts zum Thema hatte, lief von Mai bis September 2009 und führte in dieser Zeit mehr als 19.000 Besucher ins Museum. Parallel hatte die Tate Liverpool eine Website für die Ausstellung geschaffen. Dort fanden sich MultimediaInhalte zum Downloaden oder Streamen: Informationen über die Ausstellungsstücke von Colour Chart und über die bildenden Künstler, Links zu weiterführenden Informationen, Foto-Projektseiten auf der Plattform Flickr sowie kunstpädagogische Materialien und Spiele, die auf ein junges Publikum zielten. Eine virtuelle Multimedia-Tour durch die Ausstellung war als MP4-Datei auch über iTunes erhältlich.156 Die Website verzeichnete rund dreieinhalb Mal so viele Besuche wie die Ausstellung selbst. Ähnlich wie im Fall der Kino-Übertragung des English Na-

156 Vgl. hierzu und im Folgenden: Bakhshi/Throsby 2010: 42ff.

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tional Theatre ist auch hier verglichen mit dem Publikum des Stammhauses der Anteil jener Nutzer höher, die in ihrem Alltag nur sporadisch Kulturveranstaltungen besuchen. Das Publikum der Internet-Ausstellung ist ethnisch diverser als das Publikum des Museums. Die Geschlechter sind gleichmäßiger vertreten. Wie im Fall der Kino-Übertragung der Theaterproduktion brachte auch die OnlinePräsenz von Colour Chart bedeutend mehr Nutzer, die über wenig Geld verfügen, zur Beschäftigung mit Kunst und Künstlern. Die Zugänglichmachung der Multimedia-Ausstellungstour durch iTunes machte knapp die Hälfte der Downloads aus; Bakhshi und Throsby formulieren es so, dass mit Hilfe von Apples Distributions-Plattform die Nutzerzahlen knapp verdoppelt werden konnten. Die Frage, ob die Online-Fassung der Ausstellung auch zu einer Vertiefung der Beziehung zum Publikum beigetragen habe, ist nicht so leicht zu beantworten. Zunächst muss man feststellen, dass die Besucher des Museums mehr Zeit investieren, als es die Besucher der Website tun – im Durchschnitt vier Mal so viel; An- und Abreise kommen hinzu. Anders als bei Kino-Übertragungen darstellender Künste unterscheidet sich das Tätigkeitsprofil bei einem Internet-Besuch von einem traditionellen Besuch im Museum.157 So sahen sich vier Fünftel der Online-Besucher die Einführung zur Ausstellung an, und in der Folge einzelne oder alle Werke sowie Text auf den Seiten der vertretenen Künstler und auf weiteren verlinkten Seiten. Wie schon im Beispiel der Kino-Übertragung hatten auch im Fall von Colour Chart die Besucher der Online-Ausstellung bescheidenere Erwartungen als die Besucher des Museums. Zwei Drittel der Museumsbesucher kamen mit der Erwartung, ihre Kenntnis zeitgenössischer Kunst verbessern zu können; unter den Online-Besuchern äußerte das nur die Hälfte. Tatsächlich machten aber wesentlich mehr Online-Besucher die Lern-Erfahrung, als sie erwartet hatten. Anders gesagt, wie schon im Fall des Theaterpublikums im Kino: Ihre Erwartungen an die neue mediale Form wurden in ihrer Erfahrung übertroffen.158 Zweifel bleiben auch dem befragten Publikum, inwieweit die Repräsentation auf der Website den Eindruck oder die Ausstrahlung des realen Kunstgegenstands vermitteln könne. Bakhshi und Throsby schließen, der Online-Auftritt komplementiere die Ausstellung im Museum. In der einen Richtung könne er das Interesse für die Ausstellung wecken, den Gewinn eines Besuches erhöhen und zum Besuch von Ausstellungen generell anregen. In der anderen Richtung zeigten die Untersuchungsergebnisse, dass der Besuch einer Ausstel-

157 »Traditionell« sollte man wohl unterstreichen. Rezeptionsweisen im Museen können sich etwa durch den vermehrten Einsatz von Smartphones und von Tablet-Computern in naher Zukunft ändern und dem Besuch einer Internet-Seite annähern. 158 Bakhshi/Throsby 2010: 48f.

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lung das nachfolgende Aufrufen der Website anregen kann. Auch aus den Untersuchungen zur Online-Präsenz der Ausstellung lasse sich schließen, der Einsatz neuer Kommunikationstechnologien und -kanäle steigere die Reichweite der Kulturorganisation, vergrößere das Publikum, diversifiziere es über den Kreis der habituellen Kulturnutzer hinaus und wirke sozial inklusiv.159 In vielen Kulturorganisationen gehen die Öffnung neuer Kommunikationskanäle und die Entwicklung komplementärer Angebote durch digitale Technologien mit einem Wandel der Marketingkonzepte einher. Carmen Camarero und Maria José Garrido bezeichnen diesen Wandel als Umsetzung quasi-kommerzieller (business-like) Ansätze mit dem Ziel, das Museum zugänglicher und attraktiver zu machen, mehr Besucher anzuziehen und diesen befriedigendere Erlebnisse zu verschaffen. Innovation in Hinsicht auf Wert schöpfende Angebote (value creation) entstehe aus einem methodisch vertieften Verständnis für die Besucherbedürfnisse und -wünsche, die zu den finanziellen und sozialen Zielen des Museums passen. Dieses Konzept bedeutet mehr als nur eben den Wunsch, Kultur in die Öffentlichkeit zu bringen. Eigentlich handelt es sich nach den Autorinnen um den Versuch, Einsicht zu gewinnen, was Besucher wollen, und sich an diese Erwartungen anzupassen.160 Dieser »frische Ansatz« stellt für die Museen eine ursprünglich heteronome Initiative dar – ausdrücklich weisen Camarero und Garrido auf den strukturellen Gegensatz von Managern und Kuratoren hin, dem wir schon bei Alexander (1996) begegnet waren. Manager, die aus kommerziellen Kontexten rekrutiert werden, sind es, die den »frischen Ansatz« in den Bereichen Organisationsstruktur, Marketing und Kommunikation umsetzen.161 Camarero, Garrido und in der ersten Fassung der Studie auch Vicente betrachten die quasi-kommerzielle Orientierung bei Managern als übergreifendes Konzept, innerhalb dessen sie zwischen Marktorientierung, Orientierung am Kunden, Qualitätsorientierung und Service-Orientierung zu unterscheiden versuchen. Jody Evans, Kerrie Bridson und Ruth Rentschler differenzierten hingegen auf ein und derselben Ebene zwischen einer Marketing-Orientierung und einer kommerziellen Orientierung in der Kulturorganisation. Nach ihnen bedeutet Marktorientierung die Hinwendung zur Analyse von Besuchern und von Wettbewerbern und das Bemühen, Einsichten über Kundenverhalten und -interessen für alle Teilbereiche der Organisation relevant und verpflichtend zu machen. Be-

159 Ebd., p. 51ff. 160 Carmen Camarero/Maria José Garrido (2012): Fostering Innovation in Cultural Contexts: Market Orientation, Service Orientation, and Innovations in Museums, p. 43f. 161 Camarero/Garrido/Vicente 2011: 249f. und 262f.

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reits in einer früheren Arbeit wendete Rentschler mit anderen Autoren den Gegensatz zwischen einem Transaktions-Marketing, das auf den Aufbau neuer Publika zielt, und einem Beziehungs-Marketing, das langfristige Austauschverhältnisse mit individuellen Nutzern aufzubauen sucht, auf die Kulturorganisation an.162 Mit der kommerziellen Orientierung ist dagegen ein Interesse an Publika gemeint sowie die Überzeugung, dass die Kulturorganisation in einem größeren Zusammenhang in Konkurrenz mit Wettbewerbern auf den Feldern der Unterhaltung und der Bildung steht. Auf dieser Grundlage bemüht sich die Kulturorganisation zentral um die Generierung von Einkommen.163 Ein Konzept, mit dem das Strukturprinzip der Orientierung am Verbraucher operativ und zeichenhaft nach außen gewendet werden soll, liegt mit der Markenorientierung vor. Nach Evans, Bridson und Rentschler verleihen ein Markenbewusstsein und eine Markenstrategie allen Teilbereichen der Kulturorganisation einen gemeinsamen Zweck; die Autorinnen sehen darin eine Brücke, mit der sich die antagonistischen Handlungsmuster der künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Metiers und des an einem breiten Publikum interessierten Kommerziellen verbinden lassen. Allerdings ist mit diesem Brückenschlag nach Evans’, Bridsons und Rentschlers Studie von Museen in Großbritannien, Australien und den USA in vielen Fällen noch ein Wunsch bezeichnet. Denn es ist zunächst die Kultur der Kuratoren mit ihrer Ausrichtung an den traditionellen Normen der Kunst, die es schwierig macht, ein Markenbewusstsein einzuführen, das auf das breite Publikum nicht weniger zielt als auf Eliten. Generell gelte, dass sich eine Markenorientierung umso schwieriger etablieren lässt, je älter, größer und komplexer die Kulturorganisation ist. Hinderlich für ein Marken-Bewusstsein ist auch eine Ausrichtung auf kurzfristige Verkaufserfolge. Dagegen scheint ein intensiver Wettbewerb im fachlichen Feld und auf der breiteren Ebene des Freizeitsektors die Einführung einer Markenorientierung zu befördern.164 Positiv formuliert, gilt in den untersuchten Museen Zugänglichkeit für das Publikum als wichtige Markenbotschaft, während Relevanz ein beherrschendes Ziel vieler Anstrengungen zur Markenbildung darstellt. Evans, Bridson und Rentschler erinnern daran, dass Nutzer innerhalb des Kulturbereichs Marken ebenso als heuristische Mittel zur Entscheidungsfindung verwenden, wie sie es in den übrigen Feldern ihres Konsums tun. Für die Kulturorganisation lässt sich überdies sagen, die Marke werde zur Metapher für eine – in sich durchaus be-

162 Ruth Rentschler/Jennifer Radbourne/Rodney Carr/John Rickard (2002): Relationship marketing, retention and performing arts organisation viability, p. 119. 163 Evans/Bridson/Rentschler 2012: 5. 164 Ebd., p. 15f.

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wegte – Einheit der einzelnen Interessen, Ziele und Zwecke der Kulturorganisation. Damit ist insbesondere die Synthese heteronomer Management-Prinzipien mit den traditionellen Werten der Kulturorganisation bezeichnet, und so versteht man, warum zahlreiche Befragte in den Museen diese neue Ausrichtung auf die Marke als eine »kulturelle Revolution« empfinden.165 6.3.3

Innovation in der Handlungsdimension des Finanziellen

Innovationen in der Dimension des Finanziellen finden in Kulturorganisationen im Wesentlichen in drei Bereichen statt: in den Methoden der Einkommensgenerierung und Finanzierung, in der Gestaltung der Wirtschaftsabläufe, der Lieferund Produktionsketten sowie im Bereich der Geschäftsmodelle. Wirtschaftsabläufe, Liefer- und Produktionsketten werden verändert, um die Produktivität des eingesetzten Kapitals zu erhöhen, also entweder, um die Kosten zu verringern bei gleichbleibendem Output, oder um mit dem vorhandenen Geld mehr produzieren zu können. So sind in manchen Häusern die telefonische Kundenbetreuung und der Abenddienst an Drittanbieter vergeben worden, Ensembles werden fallweise mit Freelancern oder Praktikanten besetzt, Produktionen werden in Kooperationsverbünden realisiert. Da vom Staat getragenen Kulturorganisationen die Kreditaufnahme untersagt bleibt, während die Finanzierung durch die öffentliche Hand oft nur die festen Kosten deckt und Karteneinnahmen nur einen Teil der variablen Kosten einspielen, sind die Organisationen auf andere, gelegentlich neue Wege der Finanzierung angewiesen. Manche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind in Stiftungen umgewandelt worden, um privates Kapital besser einwerben und befreit von kameralistischen Regeln wirtschaften zu können, andere Organisationen gründen, wie sich in den Fallstudien zeigen wird, eigene Stiftungen, um für bestimmte Teile ihres Programms private Gelder einwerben zu können. Zunehmend werden von Kulturorganisationen auch Möglichkeiten des crowdsourcing erprobt, die Finanzierung von Projekten durch Spenden, die in der Regel als Vielzahl von kleinen Einzelbeiträgen über Plattformen im Internet eingeworben werden. Bakhshi und Throsby führen in Culture of Innovation das Beispiel der Tate Liverpool an, wo die Hälfte der befragten Online-Besucher der Colour chart-Ausstellung angab, sie hätten bereits gespendet oder erwägten, eine Online-Spende zu überweisen (2010: 53). Das sind mehr als die 41 Prozent der Live-Besucher der Tate Liverpool, die das Gleiche erklären, auch wenn man sagen muss, dass eine Absichtserklärung noch keine Spende darstellt, während die Besucher eines Museums häufig bereits Eintritt bezahlt haben.

165 Ebd., p. 8f.

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Das Internet hat im Dienstleistungsbereich vielfach auch Innovationen des Geschäftsmodells ermöglicht und angeregt. »Geschäftsmodell« bedeutet die Art und Weise, wie eine Organisation Einkommen generiert, wie sie ihre Ressourcen einsetzt, um für ihre Kunden und mit ihnen Wert zu generieren und damit Geld zu verdienen. So werden etwa Medieninhalte im Internet nicht durch ein Entgelt des Nutznießers finanziert, sondern indirekt über Werbung. Dabei sind auch hybride Branchenmodelle oder, wie man mit Schumpeter sagen könnte, Neukombinationen von Geschäftsmodellen möglich, wie das Beispiel des Hardware-Herstellers Apple zeigt, der mit seinem iTunes-Geschäft auch zu einem MedienEinzelhändler von weltweiter Bedeutung geworden ist. Disruptive Innovationen von Geschäftsmodellen sind in traditionellen Kulturorganisationen nicht wahrscheinlich, weil deren Inhalte, Produkte und auch Produktionstechnologien stark institutionalisiert sind, erinnert sei an das Beispiel der Sinfonieorchester. Unter bestimmten Voraussetzungen sind sie aber doch möglich und werden auch realisiert, wie in der Fallstudie über die Berliner Philharmoniker zu sehen sein wird. Miles und Green weisen in ihrer Arbeit über hidden innovation in der Kreativwirtschaft darauf hin, dass Unternehmungen ihre Position innerhalb bestehender Lieferketten verändern können. Auch so wird sich das Vorgehen der Berliner Philharmoniker beschreiben lassen. Eigentlich aber zielen Miles und Green auf die Möglichkeit, die eigene Expertise auf einem Gebiet nicht nur in Form von selbst hergestellten Produkten, sondern auch als Beratungsleistungen anzubieten (2008: 60). Orchestermusiker haben das schon immer getan, indem sie Musikunterricht erteilten. Eine Innovation stellt dar, wie im Fall der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ein ganzes Orchester seine Kompetenzen in Sachen Zusammenspiel und gemeinschaftlicher Produktion neu definiert und Management-Kurse für Führungskräfte auf den Markt gebracht hat. Auf ein Beispiel für innovative Geschäftsmodelle weisen Chris Voss und Leonieke Zomerdijk in ihrer Arbeit über Innovation in erlebnisorientierten Dienstleistungen hin. So bietet das English National Theatre seit 2003 – neun Jahre bevor es die Streaming-Technik für Übertragungen in Kinos zu nutzen begann – Eintrittskarten »zum Kinopreis« an. Bei ihrer Einführung kostete eine solche Karte zehn Pfund, weniger als die Hälfte einer normalen Eintrittskarte, wie es damals in einer Presseerklärung hieß,166 heute sind es zwölf Pfund. 150.000 Plätze wurden in der ersten Saison dafür bereitgestellt, in der Spielzeit 2012 sind es 125.000. Die Kosten, die aus der Senkung der Eintrittspreise resultieren, muss das Theater nicht aus eigenen Mitteln aufbringen. Unterstützt wird das Programm durch einen Sponsor aus der Wirtschaft, Travelex, einem welt-

166 Travelex 2003.

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weit operierenden Dienstleister für Devisentransaktionen, mit einer Million Pfund pro Spielzeit. Multipliziert man die Zahl der ermäßigten Karten mit der Summe, die dem Theater pro Karte verglichen mit dem normalen Preis entgeht, gelangt man allerdings auf einen Betrag, der mindestens 50 Prozent über dem Sponsoringbeitrag liegt. Ein Teil dieses nominalen Verlusts wird, so darf man vermuten, durch die höhere Auslastung des Theaters ausgeglichen, Voss und Zomerdijk sprechen von nahezu ausverkauften Häusern. Der verbleibende Rest wird – und das ist nach Voss und Zomerdijk die zweite Komponente des innovativen Geschäftsmodells – durch eine Produktionsweise mit »signifikant niedrigeren Kosten«167 vom Theater ausgeglichen; Nicholas Hytner, der Direktor des National Theatre, sprach bei der ersten Vorstellung des Programms von einer »kühnen neuen Art der Produktion«, zu der sich führende Schauspieler, Regisseure und Bühnenbildner einverstanden erklärt hätten.168 Im September des Folgejahres 2004 wurde ein ähnliches Programm von Travelex und dem Royal Opera House aufgelegt. Der Zuschuss durch das Unternehmen betrug auch in diesem Fall eine Million Pfund pro Jahr, doch sind die kalkulatorischen Bedingungen in einem Opernhaus offenkundig andere als in einem Sprechtheater. Das Angebot war stärker begrenzt und bestand aus jeweils 100 von den teureren Plätzen der Oper mit einem Wert von bis zu 175 Pfund, die während der halben Saison an jedem Montag für 10 Pfund an jene Interessierten verkauft wurden, die sich in einem Losverfahren dafür qualifizieren konnten. 169 Selbstverständlich ist das Projekt nicht nur innovativ in Bezug die Geschäftsmodelle sowie die Einnahme- und Kostenstrukturen der Häuser. Möglich ist auch eine Interpretation, die das Travelex-Ticket als innovatives transaktionales Marketingprojekt erklärt. So sind von den 1,2 Millionen Zuschauern, die in den neun Jahren seit seiner Einführung das Angebot genutzt haben, knapp ein Drittel Neukunden, die das Nationaltheater niemals zuvor besucht hatten. Im Fall der Oper beträgt der Anteil der Neukunden unter den Nutzern der TravelexTickets 80 Prozent. Das Angebot wirkt also sowohl im Sinn des audience broadening als auch des audience diversifying, der Mobilisierung bestehender und der Gewinnung neuer Publikumskreise. Darüber hinaus hat das Programm – auch das ist ein Aspekt des Marketings – das Image des Theaters in der Öffentlichkeit verändert und, nach den Worten seines Direktors Nicholas Hytner, »die Wahrnehmung des National Theatre komplett gedreht«.170

167 Voss/ Zomerdijk 2007: 122. 168 Travelex 2003. 169 Travelex 2004. 170 Arts & Business 2012.

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6.3.4

Innovation in der Handlungsdimension der Leistung

Die Dimension der Leistung umfasst alle extrinsisch motivierten Bemühungen der Kulturorganisation um Anerkennung in der Öffentlichkeit – in unserem Fall etwa den Versuch eines Orchesters, in den Ruf der Exzellenz zu kommen. Innovationen in diesem Bereich sind am schwersten zu identifizieren, zumal Exzellenz in der Regel in Hinsicht auf traditionelle Tugenden oder Parameter bestimmt wird. Innovationen gibt es, etwa das Engagement von Prominenten als Veranstaltungs-Paten, als Einführungsredner, als anchormen oder -women, wobei zu diskutieren bliebe, ob Prominenz in vielen Fällen nicht als Para-Exzellenz oder als Exzellenz-Surrogat zu verstehen wäre. In der Fallstudie zum Konzerthaus Berlin wird die Frage nach der Funktion von Stars eine Rolle spielen. Technisch gesehen, handelt es sich beim Einsatz von Prominenten um Techniken des branding oder des co-branding, die auf einen Imagetransfer zielen, und als solche gehören sie dem Bereich des Marketing an. Das Fallbeispiel der Berliner Philharmoniker wird zeigen, wie sich das co-branding mit einem exzellenten Sponsoring-Partner mit der innovativen Aneignung aktueller Technologien verbinden lässt. Als Innovation in der Dimension der Leistung lässt sich auch die Gründung eigener Nachwuchs-Akademien durch Orchester beschreiben, insofern hier eigene Qualitätsanforderungen öffentlich gemacht und auf dem Faktorenmarkt für Orchestermusiker durchgesetzt werden. 6.3.5

Innovation in der Handlungsdimension der Kunst

Im Kapitel zur Frage der Innovation in der Kunst ist deutlich geworden, dass die Urheber künstlerischer Werke oder Konzepte vielfach in einer anderen Perspektive handeln als die Organisationen der Kunst. Wenn Boris Groys vom »Innovationszwang« spricht, der in der Kultur der Moderne herrsche (1992: 10), so meint er damit den einzelnen Maler, Bildhauer, Schriftsteller, Komponisten. Jeder von ihnen müsse sich der Forderung unterwerfen, etwas Neues herzustellen, »um in der Kultur die Anerkennung zu finden, die er anstrebt« (p. 11). Ob wirklich alle die gleiche Anerkennung anstreben, ist nicht sicher,171 aber auch Bourdieu hat unter der Formel »exister c’est différer« einen Mechanismus der Schaffung von Unterscheidbarkeit in der Literatur Frankreichs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben: Das Neue wird in einer Situation der Konkurrenz hervorgebracht, weil junge, nachdrängende Literaten einen Platz auf dem Feld ihrer Kunstgattung erobern, sich einen Namen machen wollen (1992: 393).

171 Wie Musiker ihr Marktverhalten nach ganz unterschiedlichen Modellen gestalten, haben Krzysztof Kubacki und Robin Croft in einer Reihe von Fallstudien dargestellt (Markets, music and all that jazz, 2011).

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Kunst bildet traditionell das leitende Konzept für das Selbstverständnis unserer Museen, Theater, Opern, Konzerthäuser, Sinfonieorchester. Insofern kommt der künstlerischen Handlungsdimension eine zentrale Rolle für ihre Arbeit und für ihre Legitimation zu. Wegen ihres hohen Grads an Institutionalisierung sind unsere Kulturorganisationen aber eher dem klassisch gewordenen Werk vergleichbar, dem sie ein Dach bieten, als dem nachdrängenden Kunstschaffenden, der sich durch die Herstellung von Differenz einen Platz auf ihrer Bühne erobern muss. In ihren lokalen und regionalen Märkten bilden etwa Konzerthäuser in der Regel Monopole. Ihr Angebot steht in Konkurrenz zu Substituten, und das unterscheidet sie vom einzelnen Kunstschaffenden, der sich primär von Konkurrenten im eigenen Feld abzuheben versucht. Wenn man im Bereich künstlerischer Urheberschaft von Innovation sprechen möchte, so hatten wir gesagt, dann am ehesten in jenen Fällen, in denen eine Neuerung künstlerische Praktiken im Feld der Produzenten verändert. Auf der Ebene der Kulturorganisation fassen wir künstlerische Erzeugnisse dagegen primär als Ressourcen für die Produktgestaltung oder die Marktbearbeitung auf. Hier kann eine künstlerische Neuerung als Innovation gelten, wenn sie für ein Publikum eine neue Möglichkeit der Distinktion eröffnet, wenn sich durch sie das Profil der Kulturorganisation auf ihrem Markt ändert. In solchen Momenten schlägt eine zunächst bedeutungslose oder gleichgültige künstlerische Variation – bezogen auf vorhergehende Zustände oder die Standards des organisationalen Feldes – zur signifikanten Neuerung um, mit der nachfolgenden Anziehung von Publika oder Geldgebern und der Herausbildung eines Wettbewerbsvorteils. Organisationen wie Orchester und Konzerthäuser vermitteln zwischen der Erfindung von Neuem im Feld der Kunst und den Interessen des Marktes. Sie sind der unmittelbaren Befriedigung individueller Bedürfnisse in ihren Publika und unter ihren Geldgebern verpflichtet, und zugleich der langfristigen Entwicklung und Sicherung öffentlicher Güter, zu denen das gehört, was wir traditionell Kunst nennen. In beiden Richtungen haben Kulturorganisationen die Möglichkeit, innovativ zu wirken. Weil das öffentliche Gut »Kunst« eine soziale Sache ist, ein Konstrukt, ein Zeichensystem, ein soziales Ereignis, kann die Kulturorganisation es sowohl auf der Seite der Produktion als auch auf der Seite der Rezeption entwickeln. Die Rezeption in unserem Fall einer Musik, die rezipierende Co-Kreation ihres Wertes, hängt ja auch vom kulturellen Kapital ab, das die einzelnen Hörer einbringen. Dieses Kapital wird durch das teilnehmende Hören vergrößert, paradox gesagt: durch den Konsum, es wächst mit der Erfahrung. 172

172 Zu den Theorien des kulturellen Konsumptionskapitals und der rational addiction vgl. Caves 2000: 175ff. und Throsby 2001: 23f. und 115. Im Gegensatz zum Erleben

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Die Kulturorganisation ist in der Lage, dieses Kapital bei ihren Kunden oder Teilnehmern aktiv zu vermehren und so die Wertschöpfung bei der Konsumption ihrer künstlerischen Produkte zu erhöhen. Das ist ein wesentlicher Zweck der vielfältigen Bildungsangebote, der Einführungsveranstaltungen, Gesprächskonzerte, Mitmachkonzerte, Schulbesuche, Führungen »hinter den Kulissen«, der Programmhefte, Podcasts, Education-Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche und Erwachsene. Auf der anderen Seite, derjenigen der Produktion, besteht der wichtigste Beitrag von Kulturorganisationen für die Entwicklung des öffentlichen Guts »Kunst« in der Schaffung und Vorstellung neuer Werke, Konzepte, künstlerischer Praktiken. Herkömmlicherweise tragen Konzerthäuser und Orchester durch Kompositionsaufträge und Wettbewerbe dazu bei; in jüngerer Zeit kommen Formen wie Kompositionsworkshops für Jugendliche und kollektives Komponieren im Internet hinzu. Weitere Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der künstlerischen Handlungsdimension sind die Erweiterung des Repertoires um schon existierende, aber unbekannte Werke (manchmal als »Ausgrabungen« und Wiederentdeckungen vermarktet), die Erarbeitung neuer Interpretationen, die Erweiterung der Ausdrucksmittel. Neue Kompositionen, neue Interpretationen, neue Ausdrucksmittel, Wiederentdeckungen und Ausgrabungen sind jedoch nicht per se Innovationen. Auch das Aufs-Programm-Setzen zeitgenössischer, »moderner« Werke ist nicht gleich eine Innovation.173 Dabei ist gerade diese Meinung verbreitet, auch in der wissenschaftlichen Literatur: Voss, Montoya-Weiss und Giraud Voss etwa definieren den Innovationsgrad der Produkt-Portfolios von Theatern abhängig davon, ob bekannte oder noch unbekannte Stücke gespielt werden. Eine Uraufführung zählt für die Autoren als Innovation, eine Produktion von, sagen wir, Racines Phädra stellte dagegen lediglich ein inkrementell variiertes Produkt dar.174 In einem ähnlichen Sinn, aber mit der Erzeugung von Differenz zwischen dem einzelnen Stück und seiner jeweiligen Inszenierung, strukturiert James Heilbrun die

schließt der Begriff der Erfahrung auch ein Wissen ein, ihre Verbindung ist die Bedingung für Kennerschaft. Nach Bruce Seaman (An Assessment of Recent Applications of Economic Theory to the Arts, 1982) macht das eingesetzte Konsumptionskapital das Publikum effizienter, und die gesteigerte Effizienz der Rezeption senkt den Preis der Kulturangebote (p. 43f.). 173 Vgl. die Darstellung dieser Position bei Castañer/Campos 2002: 29ff. 174 Glenn Voss/Mitzi Montoya-Weiss/Zannie Giraud Voss (2006): Aligning Innovation with Market Characteristics in the Nonprofit Professional Theater Industry, p. 297. Vgl. auch Theede 2007: 170ff., 258ff., 332.

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Sache. Für ihn bedeutet eine neue Inszenierung, etwa eine aktualisierende Opernaufführung, eine Innovation.175 Voss, Montoya-Weiss und Giraud Voss verstehen das jeweilige Stück auf dem Spielplan als Produkt, bei Heilbrun ist es im jüngeren Sinn einer soft innovation die Inszenierung. Methodisch haben solche formalen Klassifikationen für die Studien den Vorzug, Vergleichbarkeit zwischen künstlerischen Erzeugnissen herzustellen. So vergleichen auch Jutta Allmendinger und Richard Hackman in ihrer Studie über den Strukturwandel bei ostdeutschen Sinfonieorchestern die Zahl der von Orchestern in der DDR, in der Bundesrepublik, in Großbritannien und in den USA aufgeführten Werke »des 20. Jahrhunderts«.176 Doch ist mit solchen Klassifikationen über den Wert aus Sicht der Nutzer, des Publikums nichts gesagt: Für sie können sich ein neues Stück oder eine neue Inszenierung als Innovationen herausstellen, aber sie müssen es nicht. Mit der der Entscheidung für ein Theaterstück, eine Operninszenierung, eine Komposition ist eine qualitative Frage gestellt. Sie lautet für die Kulturorganisation und für das Publikum gleichermaßen: Was bedeutet es? Es ist die Frage nach der Signifikanz, wie wir sie schon für die Bewertung von Neuheit in der Kreativwirtschaft aufgeworfen haben. Und da kann man feststellen, dass die Vergleichbarkeit ihre Grenzen hat, weil etwa Werke »des 20. Jahrhunderts« in Karl-Marx-Stadt etwas anderes bedeuteten als zur gleichen Zeit in Köln, und in Köln etwas anderes als in Boston. Es sind häufig auch nicht die gleichen, noch nicht einmal gleichartige Werke. Die Gleichsetzung von »neu« mit »innovativ« ist in qualitativer Hinsicht eine willkürliche Setzung. Ein uraufgeführtes Theaterstück, ein sinfonisches Auftragswerk, eine aktualisierende Operninszenierung können durch und durch konventionell gemacht sein. Umgekehrt hat in der Musik die historisch informierte Aufführungspraxis – der reflektierte und imaginative Rückbezug auf etwas Altes – für die Interpretation und das Klangbild einmal eine Innovation dargestellt. Ein Sinfonieorchester, das sich diese Interpretationstechnik zu eigen machte, handelte innovativ. Wie aber werden Werke, Interpretationen, Ausdrucksmittel für die Kulturorganisation und durch ihr Wirken zu Innovationen? Da die Erzeugung von Differenz immer im Spiel ist, wenn Sinn erzeugt wird, und Differenz formal auch als Bedingung für Neuheit gelten kann, ist Neuheit erst einmal ein allgemeiner Ausdruck der Sinnproduktion in den Künsten. Die Feststellung von Innovativität hängt nun von Werturteilen über die Signifikanz des jeweilig Neuen ab. Dieses

175 Heilbrun 1993: 94. 176 Jutta Allmendinger/Richard Hackman (1996): Organizations in Changing Environments: The Case of East German Symphony Orchestras, p. 362f.

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Werturteil bildet die Grundlage von Konsum-, Partizipations- und auch Förderentscheidungen der Teilnehmer am Markt. Die Kulturorganisation vermittelt zwischen der Urheberschaft von künstlerisch Neuem und dem Werturteil des Publikums, und auf beide wirkt sie ein. Daher werden in Hinsicht auf die Kulturorganisation künstlerische Neuerungen dann zu vertikalen Differenzierungen, zu werthaft überlegenen Innovationen im Sinn ökonomischer Theorie, wenn sie geeignet sind, deren Performance an den Märkten für Nachfrager und für Fördermittel zu verbessern, Wettbewerbsvorteile zu erzeugen, oder auch, wie Richard Caves sagt, wenn eine große Zahl an Konsumenten dafür Geld auszugeben bereit ist (2000: 174). Wie in anderen Bereichen des Wirtschaftens hätte sich Innovativität auch in Kulturorganisation am Potenzial einer Neuerung zur Verbesserung der Performativität oder zur Erzeugung von Wettbewerbsvorteilen zu erweisen. In der Praxis entsteht dagegen immer wieder der Eindruck, dass künstlerische Neuerung Probleme erzeugt, den Geschäftsgang behindert. »Wie effektiv können künstlerische Innovationen […] ein Publikum generieren und halten?«, so formuliert der Kulturökonom James Heilbrun die für den Markterfolg entscheidende Frage. Empirisch ist sie von der Wissenschaft bisher nicht beantwortet worden, die Probleme beginnen, wie gesagt, bei einer Definition künstlerischer Innovation. Heilbruns Antwort, künstlerische Innovation in der Komposition ernster oder Konzert-Musik habe sich in den vergangenen Jahrzehnten als nicht hinreichend attraktiv erwiesen, um Publika zu generieren und zu halten (1993: 90f.), drückt zumindest eine verbreitete Wahrnehmung aus. Offenkundig bringt die Gleichzeitigkeit der Funktionen von Museum, Inkubator, Unterhaltungsbetrieb und Bildungseinrichtung Anforderungen an Neuheit in unseren Kulturorganisationen hervor, die nicht immer miteinander harmonieren, die einander widersprechen können. Einen dieser Widersprüche formulieren Lampel, Lant und Shamsie, wenn sie für den Bereich der Kulturwirtschaft sagen, generell werde der Wettbewerb durch das Streben nach Neuerungen angetrieben. Gleichzeitig erwarteten die Konsumenten, Neuheiten sollten leicht zugänglich und in ihrer Anmutung vertraut sein (2000: 266). Das kann man auf den Bereich der Kunst in Kulturorganisationen übertragen. So führt Neuheit in musikalischen Kompositionen am Markt oftmals nicht zur Wahrnehmung einer verbesserten Nützlichkeit oder zu erhöhtem Vergnügen, sondern im Gegenteil zum Eindruck einer Beschädigung der hedonischen Qualitäten des Produkts. Verstärkt neue, im Sinn des künstlerischen Metiers innovative Kompositionen anzubieten, kann den Konsens in einem bestehenden Publikum verringern, und in diesem Sinn stellt es ein Risiko für die Kulturorganisation dar.

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Wenn die Dinge so liegen, dann wirken sich radikale Innovationen im Bereich der künstlerischen Angebote weniger positiv auf den Markterfolg etablierter Kulturorganisationen aus als inkrementelle Innovationen, die dort, wo sie überwiegend horizontale Differenz herstellen, als Innovationen kaum mehr zu werten sind. Vielleicht kann das nicht anders sein in einem Bereich, in dem die Rezeption, die Co-Kreation des Gegenstands im Akt seines Konsums, so sehr von der Erfahrung und dem Wissen der Konsumenten abhängt. Disruptive Innovation geht ja immer auch mit einer Vernichtung von Kompetenzen einher, so dass ihre Produkte für den Nutzer im Extremfall keinen Sinn ergeben.177 Die Zeit, die nach einer romantischen Vorstellung für ein radikal neuartiges Werk noch kommen wird, ars longa!, beginnt dann, wenn die Konsumenten hinreichende Kompetenzen aufgebaut haben, wenn sie über das zum rezipierenden Herstellen von Sinn erforderliche Kapital verfügen. Diese Gegensätze disruptiver und inkrementeller Neuerung in der kulturellen Produktion, die Abhängigkeit des Erfolgs künstlerischer Neuheit von den Ressourcen des Publikums hat Schopenhauer mit dem Vokabular seiner Ästhetik bereits vollkommen beschrieben. Die »bloßen Talentmänner«, um ihn noch einmal zu zitieren, greifen ein »in den fortschreitenden Bildungsgang ihrer Zeitgenossen, oder in die schrittweise Förderung einer speciellen Wissenschaft. […] Das Talent vermag zu leisten, was die Leistungsfähigkeit, jedoch nicht die Apprehensionsfähigkeit der Uebrigen überschreitet: daher findet es sogleich seine Schätzer. Hingegen geht die Leistung des Genies nicht nur über die Leistungs-, sondern auch über die Apprehensionsfähigkeit der Andern hinaus.«

178

Wo es in Kulturorganisationen darum geht, Kriterien einer Kunst im emphatischen Sinn und einer marktorientierten Kulturwirtschaft gleichermaßen zu genügen, ist daher bei vielen Autoren von »Balanceakten« durch das Management die Rede. Appelle an das »Gleichgewicht« finden sich auch in den Experteninterviews unserer Fallstudien. Die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Disruption und Bewahrung, die sich auf die »Leistungsfähigkeit« und die »Apprehensionsfähigkeit« des Zielpublikums einzustellen versucht, konditioniert daher die Richtung und das Maß der innovatorischen Tätigkeit in der Handlungsdimension der Kunst. Voss, Montoya-Weiss und Giraud Voss beschreiben für den Bereich des Sprechtheaters ein Publikum, das sich an ein bestimmtes, an »sein« Haus bindet und damit die Komplexität und die Risiken der Entscheidung zum Theaterbesuch zu verringern sucht. Im Gegenzug versuchen die Häuser, dem Si-

177 Vgl. die oben zitierten Nooteboom (2000: 183) und Garcia/Calantone (2002: 119ff.). 178 Schopenhauer 1987 [1818]: Band II, Kapitel 31, p. 510f.

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cherheitsbedürfnis ihres Publikums durch bekannte Werke und vertraut wirkende Interpretationen zu entsprechen und bieten fürsorglich nicht mehr als eben jene Neuheiten, die »Abwechslung garantieren und Innovativität signalisieren« 179 oder, um noch einmal Bertolt Brechts kritische Bemerkung zu zitieren, »Fortschritte, welche […] mit neuen Reizen alte Bedürfnisse befriedigen« (1938: 85). Die wenigsten Kulturorganisationen haben die Zeit, disruptive Werke oder Konzepte von der Entstehung bis zu einem möglichen Stadium des Durchgesetztseins im Angebot zu halten. Oberhalb der Ebene der einzelnen Organisationen bildet das Wechselspiel der Gezeiten von Kompetenz-Zerstörung und Kompetenz-Aufbau180 jedoch den Antrieb einer Dialektik der Innovation, die sowohl im Bereich der Konsumgüter als auch im Bereich kultureller Produktion und Dienstleistung wirkt. In dieser Dialektik entstehen auf der einen Seite neue Angebote als Antwort auf sich wandelnde Kundenbedürfnisse und Wünsche, während auf der anderen Seite die Vorstellungen, die sich Verbraucher von ihren Bedürfnissen und Wünschen machen, durch neue Angebote und Produkte entwickelt und vorangetrieben werden. Die Wirkung dieses Prozesses entsteht zwischen den Produzenten von Kunst auf der einen Seite und ihrem Publikum, ihrer Öffentlichkeit auf der anderen. Auch hier sieht sich die Kulturorganisation in einer Vermittlerrolle, die sowohl die Produktion als auch die Rezeption von künstlerischen Erzeugnissen fördern kann. Catherine Bunting hat in Public value and the arts in England argumentiert, Menschen stellten zunächst gar keine fachspezifischen Anforderungen an Kunst, sie wendeten sich ihr in Erwartung einer »reicheren Erfahrung des Lebens« zu, in der Erwartung anregender, außergewöhnlicher, überraschender Begegnungen, die sie aus dem Alltag entführen können. Zu solchen Begegnungen trägt für Bunting »etwas Neues« bei, und deshalb betrachteten Menschen künstlerische Innovation als etwas Wesentliches, als Mittel, die Erfahrung der Künste insgesamt intensiver zu machen. Wollten die Künste – und mit ihnen die Organisationen der Kunst – individuelle und kollektive Horizonte herausfordern und erweitern, dann müssten sie selbst in Bewegung bleiben und fortgesetzt die Grundlagen der Debatte verändern. Für viele, die sich in der Frage nach dem Wert der Künste äußerten, betrifft, so Bunting, Innovation aber nicht nur den Bereich der künstlerischen Erzeugnisse, sondern ebenso den Prozess des Engagements oder der Teilhabe. Daher seien die Kulturschaffenden aufgefordert, innovativ darin zu sein, wie sie ihre Publika verstehen, wie sie sie erreichen und wie sie mit ihnen kommunizieren (2007: 18).

179 Voss/ Montoya-Weiss/Giraud Voss 2006: 297. 180 Vgl. das Konzept des punctuated change bei Tushman/O’Reilly 2001.

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Buntings Spannweite des Konzepts künstlerischer Innovation ist gewaltig, sie reicht von der graduellen horizontalen Differenzierung der Novität bis zur Disruption der »Grundlagen der Debatte«. Ihr Konzept schließt alles ein, was sich irgendwie als Innovation bezeichnen lässt, von der kleinsten lokalen Generierung von Sinn bis zum zivilisatorischen Paradigmenwechsel. Insbesondere das Kriterium der Wirkungsorientierung, das wir für die Definition der Innovation herangezogen hatten, wird in Buntings Begriff strapaziert. Darüber ließe sich streiten. Was an dieser Stelle unserer Diskussion aber eigentlich interessieren soll, ist die Bewegung, die sich in Buntings Konzept vom Artefakt, vom Werk, hin zu seiner Vermittlung vollzieht, die Umdeutung des Raums zwischen Produzenten und Publikum von einer Zone bloßer Transaktion zum Ort einer produktiven Beziehung, deren Formen Gegenstand innovatorischer Anstrengung sind. Bunting steht mit dieser Umdeutung keineswegs allein, zu einem ähnlichen Vorschlag waren, wenngleich weitaus tastender, bereits Castañer und Campos in ihrer organisationstheoretischen Arbeit zu Bedingungen künstlerischer Innovation gekommen. Sie bemerken dort, das traditionelle Konzept, künstlerische Innovation an der Zunahme zeitgenössischer Werke in den Veranstaltungsprogrammen zu messen, sei unvollständig. Stattdessen schlagen sie vor, die innovatorische Funktion von Organisationen der Kunst auch in der Gestaltung der »Interaktivität« der künstlerischen Arbeit zu suchen (2002: 33). Auch Stephen Weils ideales Museum (1999) macht sich auf den Weg vom Schrein des Artefakts hin zu einer mediatorischen Funktion. Ob diese Entwicklung eine Folge gradueller Erneuerung und disruptiver Innovation darstellt und sich die Begriffe von der Kunst aus der künstlerischen Praxis heraus entwickeln, oder umgekehrt, ob die Grundlagen der Debatte sich aus der Gesellschaft heraus so verändern, dass künstlerische Praxis und Begriffe nicht anders können, als sich in Richtung einer interaktiven Wertschöpfung mit dem Publikum, bis hin zur Dienstleistung zu entwickeln, braucht hier nicht entschieden zu werden. Es ist nicht einmal sicher, dass die Frage nach alternativen Antworten verlangt – je nachdem, auf welcher Ebene man die Grundlagen der Debatte sieht, kann es sich bei den scheinbar alternativen Erklärungen auch um zwei Beschreibungen desselben Sachverhalts handeln. Für unsere Diskussion ist die Verschiebung von Praxis und Begriff als solcher von Bedeutung. Immer mehr wird die künstlerische Praxis aus den Handlungsdimensionen des Sozialen und der Markttechniken heraus erneuert. Es erscheint daher sinnvoll, die Generierung von Innovation in der Dimension der Kunst auch als Folge der Innovationen in den Dimensionen des Sozialen und des Marktes zu erklären.

III. Drei Fallstudien

Wie Kulturorganisationen tatsächlich über die Jahre mit dem Thema Innovation umgehen, darüber gibt die Wissenschaft bisher wenig Auskunft, und noch weniger tut sie es im Bereich musikalischer Organisationen. Wir haben deshalb drei Konzerthäuser und die ihnen zugehörigen Sinfonieorchester über einen Zeitraum von sechs Jahren, von Herbst 2006 bis Ende 2012 untersucht: das Konzerthaus Berlin mit dem Konzerthausorchester Berlin, die Berliner Philharmoniker und die Philharmonie Berlin, die Philharmonie Luxemburg und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Ausgehend von einer Definition innovatorischer Tätigkeit als Teilaspekt strategisch-reflektierten Verhaltens haben wir vor allem das Management bei seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Innovation beobachtet. Mit den Managern der Berliner Konzertorganisationen wurden im Herbst 2006 und im Sommer und Herbst 2012 ausführliche, in Teilen vorstrukturierte Experteninterviews geführt, mit dem Generaldirektor der Philharmonie Luxemburg fanden Gespräche im Herbst 2009 und im Sommer 2012 statt.1 Diese

1

Im Einzelnen wurden folgende Gespräche geführt: Konzerthaus und Konzerthausorchester Berlin: Berger Bergmann, Verwaltungsdirektor (16. November 2006), Heike Hoffmann, Künstlerische Direktorin (27. November 2006), Prof. Dr. Sebastian Nordmann, Intendant (4. April, 9. August und 25. September 2012), Prof. Dr. Frank Schneider, Intendant (16. November 2006), Lothar Zagrosek, Chefdirigent (18. November 2006). Stiftung Berliner Philharmoniker: Martin Hoffmann, Intendant (9. August 2012), Frank Kersten, Verwaltungsdirektor (1. Dezember 2006), Andreas Knapp, Assistent des Chefdirigenten und Künstlerischen Leiters (23. November 2006), Peter Riegelbauer, Orchestervorstand Berliner Philharmoniker (22. November 2006; 20. September und 9. Oktober 2012), Pamela Rosenberg, Intendantin (28. und 30. November 2006), Andrea Tober, Leiterin Education-Abteilung (20. September 2012), Robert Zimmermann, Geschäftsführer Berlin Phil Media GmbH (25. September 2012). Philharmonie Luxemburg und Orchestre Philharmonique du Luxembourg: Matthias Naske, Directeur général (11. November 2009; 21. Juni 2012).

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Gespräche dauerten zwischen einer Stunde und fünf Stunden, in mehreren Fällen wurden zur Vertiefung Folgegespräche geführt. Die Manager geben darin Auskunft über Motive, Gegenstände, Modi und Projekte von Innovation in ihren Organisationen. Auch nach wichtigen Determinanten strategischen und innovatorischen Verhaltens wurde gefragt – nach dem Selbstverständnis der Häuser und Orchester als Organisationen und als Institutionen der Kunst, nach der Einschätzung der wesentlichen Chancen und Bedrohungen, nach den wesentlichen Einflussfaktoren auf das Handeln der Manager, nach den wichtigen Interessengruppen, nach Lern- und Orientierungsprozessen, nach der sozialen Reichweite und der organisatorischen Struktur des Innovationsgeschehens. Die zahlreichen Zitate in den drei Fallstudien stammen aus diesen Gesprächen, ebenso weite Teile der Darstellung der realisierten und der geplanten Innovationen. In den Fällen, in denen aus anderen Quellen zitiert wird, sind diese angegeben. Ergänzt werden die Befragungen durch eine Analyse der Wirtschaftsdaten, der publizierten Selbstdarstellungen der Häuser sowie durch Quellen des politischen und des programmatischen Diskurses. Bei den drei Häusern mit ihren Orchestern handelt es sich um Kulturorganisationen, die stabil und erfolgreich genug sind, um konsistente Organisationsstrukturen und Arbeitsroutinen aufrecht zu erhalten, auf deren Grundlage sie Entscheidungen über ihre strategische Ausrichtung und über Innovationen treffen. Strategien, Strukturen und Verhaltensmuster werden in den untersuchten Organisationen nicht von einem Krisenmanagement beherrscht, das sich von Tag zu Tag hangelt oder das auf einzelne Schockereignisse reagiert. So sollten die Untersuchungsergebnisse als Ausgangspunkte für Transfers und für systematisches Weiterfragen zu verwenden sein, auch wenn die Untersuchung kein einheitliches Bild von den Prinzipien und Praktiken in den drei Häusern ergibt, sondern charakteristische Unterschiede bei der Behandlung der mit Innovation verbundenen Fragen durch die jeweiligen Manager zutage fördert. Die drei Häuser sind einander ähnlich genug, um sinnvolle Vergleiche zuzulassen, und sie sind verschieden genug, damit solch ein Vergleich aufschlussreiche Ergebnisse zulässt. Zunächst stellen das Konzerthaus und die Philharmonie Berlin interessante Vergleichsgegenstände dar, weil sie einen wirtschaftlich und politisch wichtigen Teil ihrer Aktivitäten auf ein und demselben städtischen und regionalen Markt entfalten. Innerhalb des Berliner Marktes befinden sie sich im Wettbewerb. Was darüber hinaus den nationalen und den internationalen Markt anbelangt, genießen die Berliner Philharmoniker gegenüber dem Konzerthausorchester faktisch eine Monopolstellung. Obwohl beide als traditionelle Institutionen auf dem gleichen städtischen Markt agieren, unterscheiden sie sich in ihren geschichtlichen

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Prägungen. Die Philharmoniker und die Philharmonie bildeten während der Jahre der Trennung der Stadt und der Konfrontation der Systeme ein Flaggschiff der West-Berliner, eigentlich der westdeutschen Kultur. Das Berliner SinfonieOrchester und ab dem Jahr 1984 auch das Konzerthaus stellten dazu eine Gegengründung innerhalb der Hauptstadt der DDR dar. Bezeichnenderweise erhebt das Konzerthaus, obwohl erst 21 Jahre nach Hans Scharouns West-Berliner Philharmonie eröffnet, architektonisch und urbanistisch den größeren Anspruch auf Tradition. Das Konzerthaus und sein Orchester erscheinen als Institutionen des Erbes, die Philharmoniker suchen den Erfolg am Markt, wo sie ihn auch finden. Aber die Dinge sind in Bewegung. Wie die mit den konkurrierenden politischen Systemen verbundenen Unternehmens- und Management-Kulturen sich in den Jahren seit der Wiedervereinigung der Stadt verändert haben, das wird, insofern es das innovatorische Verhalten der Häuser beeinflusste, in diesen Fallstudien deutlich. Die Philharmonie Luxemburg verhält sich in zweifacher Hinsicht komplementär zu den Berliner Häusern. Während sich die Berliner Institutionen auf Pfaden vorwärts bewegen, die aus dem 19. und einem politisch polarisierten 20. Jahrhundert in die Gegenwart führten, stellt die Philharmonie Luxemburg eine Neugründung dar. Erbaut ab dem Jahr 2002, in Betrieb genommen im Sommer 2005, ist die Philharmonie das erste Konzerthaus in der Geschichte des Großherzogtums. Der Umstand der Neugründung verbindet sich mit einer inhaltlich innovativen Konzeption des Hauses, die sich durch einen ästhetisch offeneren, an Vermittlung und Partizipation orientierten Ansatz von etablierten Vorbildern absetzt. Während aber die Berliner Häuser in den vergangenen Jahren durch organisationale Innovation die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Wirtschaften zu schaffen versuchten, hat die Philharmonie Luxemburg ihre formale Struktur gewissermaßen retroaktiv den älteren Modellen angenähert. Bedingt durch politische Entscheidungen ist zwischen Ende 2009 und dem Jahr 2012 das bis dahin unabhängige Orchestre Philharmonique du Luxembourg in die Organisation der Philharmonie inkorporiert worden, sodass das Haus mit seinem Orchester jetzt über die gleiche Struktur verfügt wie in Berlin das Konzerthaus und die Philharmonie.

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1.

DIE MANAGEMENT-WENDE: KONZERTHAUS UND KONZERTHAUSORCHESTER BERLIN

1.1 Bedingungen des Wirtschaftens Das Konzerthaus liegt im alten Stadtzentrum Berlins, wenige Gehminuten entfernt von der Staatsoper, der Staatsbibliothek, der Humboldt-Universität, der Hedwigs-Kathedrale, dem Zeughaus und dem Maxim Gorki Theater, in dem Zelters alte Singakademie und anfänglich auch die preußische Nationalversammlung ihr Heim hatten, nicht weit von der Museumsinsel, auf halbem Weg zwischen Friedrichstraße und Friedrichswerderscher Kirche, eingerahmt vom Deutschen Dom auf der linken und den Französischen Dom auf der rechten Seite, an einem der repräsentativsten Plätze der Stadt, dem Gendarmenmarkt. Sein Sitz ist das von Karl Friedrich Schinkel entworfene, im Jahr 1821 eingeweihte Königliche Schauspielhaus, das im Krieg zerstört und nach dem Wiederaufbau im Jahr 1984 als »Konzerthaus am Gendarmenmarkt« neu eröffnet wurde. Sein Großer Saal verfügt über 1534 Plätze, daneben gibt es kleinere Spielstätten, den Kammermusiksaal mit 392 Plätzen, den modern gestalteten und mit Hub-Podien in seiner Tektonik modular veränderbaren Werner-Otto-Saal mit 280 Plätzen, den Beethovensaal mit 148 und den Musikklub mit 80 Plätzen. Das Konzerthaus wird traditionell als nichtrechtsfähige Anstalt geführt, durch das Land Berlin finanziell gefördert und in seinem wirtschaftlichen und rechtlichen Handeln durch die Senatsverwaltung für Kultur überwacht. Künstlerisch genießt das Haus Autonomie, doch dem Management seiner Finanzen – etwa einer möglichen Kreditaufnahme oder dem Auflaufen und Ausgleich von Defiziten über mehrere Jahre hinweg – sind enge Grenzen auferlegt. Die künstlerische, wirtschaftliche und administrative Gesamtleitung des Hauses liegt bei einem durch die Senatsverwaltung ernannten Intendanten. Weiterhin besteht das Management aus dem Verwaltungsdirektor, dem Chefdirigenten des Konzerthausorchesters und dem Orchesterdirektor sowie dem Marketingdirektor. Der größte Teil der Angestellten des Konzerthauses sind Bedienstete des Landes Berlin; sie genießen die Arbeitsbedingungen des öffentlichen Dienstes. Zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums beschäftigte das Konzerthaus 110 Orchestermusiker und 90 nicht-künstlerische Mitarbeiter. Bis Ende 2012 wurde die Zahl der nicht-künstlerischen Mitarbeiter auf 73 verringert, die Zahl der fest angestellten Musiker stieg auf 112. Sowohl die Organisationsform des Konzerthauses als auch seine Funktion innerhalb der Berliner Kulturlandschaft wurden in den Jahren nach der Wiedervereinigung durch ein Landesgesetz geregelt (Roloff-Momin 1993). Darin wird

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die Eigenart des Konzerthauses insbesondere aus seinem Verhältnis zur Philharmonie bestimmt. Beiden Häusern gemeinsam ist, dass ihre Orchester Konzerte geben. Das Konzerthaus aber soll weitere Veranstaltungen, vorzugsweise in eigener Regie, zusätzlich auch von Fremdveranstaltern, anbieten. Ein durch den Intendanten entwickeltes Konzept soll die Veranstaltungen verbinden und dank seines »interessanten« künstlerischen Profils, wie es der Kultursenator Ulrich Roloff-Momin nannte, unterschiedliche Publikumsgruppen anziehen. Das Hausorchester des Schauspielhauses, das Berliner Sinfonie-Orchester, wie es damals noch hieß, stellt nach dem Willen des Berliner Gesetzgebers ein Kerninstrument zur Realisierung der programmatischen Absichten des Intendanten dar. Neben den im Gesetz benannten kulturellen Aktivitäten betätigt sich das Konzerthaus auch als Vermieter seiner repräsentativen Räume, häufig für Veranstaltungen des Staates oder der Medien. Die Einnahmen aus dem Vermietungsgeschäft liegen heute über denjenigen aus dem Verkauf von Eintrittskarten und tragen die Hälfte (2012: 50,34 Prozent) zu den Eigeneinnahmen bei. Dabei wächst die Bedeutung dieser Einnahmequelle gegenüber dem Kartenverkauf. Der Haushaltstitel für Vermietungen (und zu einem kleinen Teil für Spenden und Sponsoring) in der Statistik der Berliner Kulturverwaltung ist von 2006 bis 2012 um real 31 Prozent gewachsen, dagegen wuchsen alle selbst erwirtschafteten Einnahmen zusammen lediglich um real 13,77 Prozent.2 Unter den beiden großen Berliner Konzertorganisationen ist das Konzerthaus in vielerlei Hinsicht die kleinere. Das beginnt bei den Räumlichkeiten: Der Große Saal des Konzerthauses etwa besitzt mit maximal 1534 Plätzen nur knapp zwei Drittel der Kapazität des großen Saals der Philharmonie. In der Folge ist das Verhältnis zwischen der Zahl der Zuhörer und den Kosten eines Konzerts im Konzerthaus ungünstiger als in der Philharmonie. Da das Konzerthaus keine höheren Kartenpreise durchsetzen kann als die Philharmonie, müssen seine Einnah-

2

Das Material für die hier vorgestellten Zahlen, Verhältnisse und Interpretationen stammt aus den je zwei Jahre umfassenden Berichten der Berliner Kulturverwaltung an den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses mit dem Titel »Finanzielle Entwicklung der landeseigenen Theater- und Orchesterbetriebe« (Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, 2007, 2009, 2011, 2012) sowie aus statistischen Angaben, die von den Häusern für diese Studie zur Verfügung gestellt wurden. Vergleiche werden unter Berücksichtigung der Tatsache gezogen, dass die Bewertungsgrundlagen und Bezugsgrößen der Statistiken der beiden Berliner Konzertorganisationen nicht immer identisch sind. Zur Berechnung der inflationsbereinigten prozentualen Veränderungen wird eine durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 1,7 Prozent für den Zeitraum von 2006 bis 2012 eingesetzt.

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men aus dem Kartenverkauf geringer ausfallen als bei seinem größeren Konkurrenten. Tatsächlich gibt es bei den Erlösen aus dem Kartenverkauf einen Klassenunterschied. Im Konzerthaus liegt der Erlös pro zahlendem Besucher 2012 durchschnittlich bei 22 Euro, in der Philharmonie liegt er hingegen mehr als doppelt so hoch, bei 50,10 Euro.3 Inflationsbereinigt ist der Erlös pro zahlendem Besucher von 2006 bis 2012 im Konzerthaus um zwei Prozent gefallen. In der Philharmonie stieg er um real 23 Prozent. Die Philharmonie hat also entweder Leistungen mit einem höheren Wert an den Markt gebracht, oder es gelingt ihr, für ihre bekannt hochwertigen Leistungen höhere Preise durchzusetzen, oder beides. Im gleichen Verhältnis fallen die Zuschüsse pro zahlendem Besucher aus. Im Konzerthaus liegen sie 2012 bei 102,50 Euro. In der Philharmonie beträgt der Zuschuss pro zahlendem Besucher 63,70 Euro. Der Eigenfinanzierungsgrad des Konzerthauses liegt im Vergleichszeitraum um die 35 Prozent. Bei der Stiftung Berliner Philharmoniker liegt er annähernd doppelt so hoch, mit von Jahr zu Jahr leicht schwankenden Werten um die 60 Prozent. Die Größenverhältnisse werden auch im Volumen der Haushalte deutlich. Beim Konzerthaus liegen die Gesamteinnahmen zwischen knapp 18 Millionen Euro im Jahr 2006 und knapp 23 Millionen im Jahr 2012. Im Vergleich dazu beträgt das Volumen der ausgewiesenen Einnahmen der Stiftung Berliner Philharmoniker das Doppelte, zwischen 35,5 Millionen Euro im Jahr 2006 und 41,7 Millionen im Jahr 2011 (2012: 41.26). In der Tendenz nähern sich die Einnahmen an. So beträgt das Wachstum der Einnahmen des Konzerthauses zwischen 2006 und 2012 real 15,76 Prozent (2006-2011: 6,98%), während die ausgewiesenen Einnahmen der Stiftung Berliner Philharmoniker um real 4,95 Prozent wachsen. Im letzten Jahr des Beobachtungszeitraums – und das ist im Zusammenhang mit der Frage nach Innovation möglicherweise bedeutsam – hat sich der Trend verstärkt. Das Konzerthaus kann seine Einnahmen gegenüber dem Vorjahr 2011 um nominal 9,85 Prozent steigern, die Einnahmen der Stiftung Berliner Philharmoniker verringern sich dagegen leicht um 1,23 Prozent. Bei den

3

Die unterschiedlichen durchschnittlichen Karten-Erlöse erklären sich zum Teil auch aus den Angebotsstrukturen. So haben im Portfolio der Philharmonie Plätze in Sinfoniekonzerten einen bedeutend größeren Anteil als in Kammermusikkonzerten; rechnerisch kommen auf einen Platz im Kammermusiksaal 4,5 Plätze in Sinfoniekonzerten. Im Konzerthaus ist das Platzangebot in Sinfoniekonzerten weniger dominierend. Jedoch erweisen sich die Kartenpreise der Philharmoniker auch im Vergleich mit den drei Opernhäusern Berlins als hoch. Die Statistik der Kulturverwaltung nennt für die Opern im Jahr 2012 einen durchschnittlichen Kartenpreis von 35,70 Euro (Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten 2012: 1).

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Eigeneinnahmen, also ohne den Beitrag des Staates, ist die Dynamik zuletzt noch ausgeprägter: Das Konzerthaus erzielt zwischen 2011 und 2012 einen Zuwachs von 12,3 Prozent, die Philharmonie verzeichnet einen Rückgang von 3,53 Prozent. Bei den Einnahmen aus dem Kartenverkauf erzielt das Konzerthaus 2012 einen Sprung von 19 Prozent, der auch mit einer finanziell qualitativen Verbesserung einhergeht; der Erlös pro zahlendem Besucher wächst um 2,8 Prozent, der Zuschuss pro zahlendem Besucher sinkt um 7,6 Prozent. Aus dem kleineren Haushalt bestreitet das Konzerthaus bedeutend mehr eigene Veranstaltungen als die Philharmonie. Insgesamt verzeichnet das Konzerthaus 330 Eigenveranstaltungen im Jahr 2012; von 2006 bis 2011 schwankt die Zahl um einen Wert von 280 Veranstaltungen. Demgegenüber weist die Philharmonie 149 Eigenveranstaltungen in Berlin im Jahr 2012 aus; 27 Gastspielauftritte im In- und Ausland sind hinzuzuzählen (in den Jahren davor sind es jeweils um die 34 Tourneeauftritte). Mittlerweile geben die Philharmoniker nahezu gleich viele Sinfoniekonzerte in Berlin wie das Konzerthausorchester: 125 Konzerte gab das Konzerthausorchester im Jahr 2012; in den Jahren davor waren es jeweils zwischen 101 und 108. Die Philharmoniker gaben 106 Konzerte im Jahr 2012, im Jahr 2006 waren es noch 96, das Minimum liegt bei 86 Orchesterkonzerten im Jahr 2008. Zur Hälfte verdankt sich die Vermehrung der philharmonischen Orchesterkonzerte der Einführung von Kammerkonzerten, Konzerten also mit geringerem Aufwand an Personal. Insgesamt kann man sagen, dass die Berliner Philharmoniker wesentlich mehr zum Ergebnis der Philharmonie beitragen als das Konzerthausorchester zum Ergebnis des Konzerthauses. Das Konzerthaus Berlin handelt aus der Position des Zweiten am Markt. Das zeigt sich auch bei den Besucherzahlen. Mit 261.194 zahlenden Besuchern im Jahr 2012 ist die Philharmonie der Marktführer in Berlin. Im Konzerthaus steigt zwischen 2006 und 2011 die Zahl der zahlenden Besucher um 3,64 Prozent auf nunmehr 126.794, gleichzeitig sinkt jedoch die Auslastung der Veranstaltungen um 2,35 Prozent. Auch hier zeigt sich im letzten Jahr des Beobachtungszeitraums eine erhebliche Steigerung: Die Zahl der Veranstaltungen wird zwischen 2011 und 2012 um 18,3 Prozent erhöht, die Zahl der zahlenden Besucher steigt um 15,51 Prozent auf 146.442, die Auslastungsquote verbessert sich um 2,4 auf nun 68 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit den Eigeneinnahmen des Konzerthauses: Sie steigen, aber sie steigen im Beobachtungszeitraum ein klein wenig langsamer als die Ausgaben, während der Eigenfinanzierungsgrad stagniert – bis zum Jahr 2012, in dem er sich um vier Prozent verbessert. In der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums wird die leichte Divergenz zwischen Ausgaben und Einnahmen durch den größten Geldgeber, das Land Berlin, ausgeglichen. Der Zuschuss des Landes liegt am Ende, 2012, no-

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minal um 29,29 Prozent höher als am Anfang 2006. Das Konzerthaus ist vom finanziellen Scheitern also nicht bedroht, solange der politische Wille zu seinem Betrieb besteht, und dieser Wille hat sich in den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums in einer erheblichen Steigerung des Fördervolumens manifestiert. Dennoch erlaubt es die schwache Performanz am Markt für musikalische Veranstaltungen bis zum Jahr 2011, die sich im Rückgang des Erlöses pro zahlendem Besucher zeigt, Bezüge zu den Konzepten des organisationalen Niedergangs und der an der Grenze zwischen Gewinn und Verlust operierenden marginal firm herzustellen. In der freien Wirtschaft erzielen solche Firmen nur noch Preise am Markt, die allenfalls auf der Höhe ihrer Produktionskosten liegen. Sie investieren nicht mehr, sodass ihre Kapazitäten als Relikt ihrer Vergangenheit angesehen werden können. Kommt eine Firma erst einmal in eine marginale Lage, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie aus dem Wettbewerb ausscheidet.4 1.2 Der Wechsel im Management Als Relikt seiner Vergangenheit dastehen und untergehen, das will das Konzerthaus allerdings nicht. Fragen der strategischen Ausrichtung und konkreter Innovationen haben die Leitungspersonen während der gesamten Beobachtungsperiode beschäftigt. Innovationen wurden während der gesamten sechs Jahre diskutiert, geplant und realisiert. Dabei wurden diese Aktivitäten von einem Ereignis entscheidend geprägt: dem Wechsel des Intendanten in der Mitte des Untersuchungszeitraums, im Jahr 2009. Personalwechsel sind ja niemals nur Personalien, niemals nur der Austausch von Gesichtern. Wir hatten Innovation unter anderem als Ergebnis der Entwicklung von Ressourcen, Kompetenzen und Umweltbeziehungen bestimmt. Dem Management kommt dabei eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Strategien und Innovationen sowie bei deren Realisierung zu. Insofern kann ein Wechsel der Manager-Persönlichkeiten bedeutende Veränderungen des innovatorischen Verhaltens mit sich bringen, und im Konzerthaus ist dies der Fall. Der Generationenwechsel von Frank Schneider, Jahrgang 1942, zu Sebastian Nordmann, Jahrgang 1971, bringt auch einen Paradigmenwechsel in der Leitung des Konzerthauses mit sich und führt zu einer neuen Kultur des Wirtschaftens mit Musik und mit der öffentlichen Wahrnehmung. Schneider ist auf der Grundlage eines Kapellmeisterstudiums Musikwissenschaftler. Als Direktor des Instituts für Ästhetik und Kunstwissenschaften an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin (seit 1990) wurde er im Jahr 1992 zum Intendanten des Kon-

4

Vgl. Metcalfe 2001: 65 und 69.

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zerthauses und des Berliner Sinfonie-Orchesters berufen. Dagegen lässt sich Sebastian Nordmann, obgleich auch er ein Musikwissenschaftsstudium mit Promotion abgeschlossen hat, als Mann des Festivalbetriebs beschreiben, der, folgt man seiner Erzählung, prägende Stationen in der Welt der Unternehmensberatung und der Unternehmen durchlaufen hat. Versucht man eine pointierte Darstellung der beiden Manager-Persönlichkeiten, erscheint bereits die Wahl der Dissertationsthemen bezeichnend. Schneider promovierte über das Streichquartettschaffen der DDR, ein weiteres Mal über politische Dimensionen des Komponierens, und als Mann der Kunstwerke und einer auch politisch gedachten Ästhetik erscheint er im persönlichen Gespräch. Nordmann, der nach eigener Erzählung prägende Eindrücke durch Leonard Bernstein und Justus Frantz beim SchleswigHolstein-Musikfestival erhielt, schrieb seine Dissertation über den Einfluss eben dieses Festivals auf die Musiklandschaft des Bundeslandes, bevor er wenig später in die Leitung der benachbarten Festspiele Mecklenburg-Vorpommern eintrat. Gewiss hat auch Nordmann ein persönliches Interesse an den Werken der Kunst. Sie bilden bei ihm jedoch weniger den Ausgangspunkt des Handelns. Eher erscheinen sie als Moment im sozialen und institutionellen Zusammenhang eines erlebnisorientierten Musikbetriebs, dessen ideale Form das Festival darstellt. Schneiders Konzept des Musikbetriebs geht von den Werken und ihrer Interpretation aus. Nordmann handelt mehr aus Vorstellungen von Gesellschaftlichkeit heraus; dass er öffentlich seine Bekanntschaft oder Freundschaft mit Musikern herausstellt, ist wohl mehr als nur ein Topos des Marketing.5 Geschichte und Bildung sind Schlüsselbegriffe für Schneiders Kultur der Konzerthaus-Arbeit. Eine Mission im Sinn eines offiziellen Leitbilds hat das Konzerthaus zwar weder unter der Leitung Schneiders noch bisher unter Nordmann formuliert. Danach befragt, antwortet Schneider jedoch sehr artikuliert mit den Konzepten der Geschichte, der Bildung und der Hochkultur. Bildung ist dabei verstanden im Hegelschen Sinn, als prozesshafte Einheit von Persönlichkeit, Erziehung, Wissen und künstlerischer Erfahrung. Bildung entsteht bei Hegel in der Auseinandersetzung – Hegel bezeichnet sie als Arbeit – nicht mit dem unter das »bloße Geschichtliche« Zurücktretenden, »das man aufnehmen könnte oder auch nicht«, sondern mit dem, was die Geschichte an »Vortrefflichem« erzeugt hat, mit dem »geistigen Inhalt, welcher Wert und Interesse in und für sich selbst

5

Siehe etwa das Gespräch Nordmanns mit der Geigerin Julia Fischer, dem Artist in Residence der Saison 2012/13, das im Saisonprogramm 2012/13 veröffentlicht ist (Nordmann 2012b: 19-21). Das Saisonprogramm gründet nach den Worten des Intendanten auf der neu erarbeiteten »strategischen Markenplattform« und ist als Manifest der neuen Ausrichtung des Konzerthauses konzipiert.

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hat«.6 In der Perspektive einer Mission, einer Grund legenden Zielsetzung der Konzerthaus-Arbeit, bedeutet dieses Konzept von Bildung, dass Begegnungen mit Kunst angeboten werden, um es dem Besucher zu ermöglichen, sich in den Dimensionen des kulturellen Wissens, der Kultur des Fühlens und der Einsicht in Werke zu entwickeln. Dabei steht Schneiders Bildungskonzept der Erziehung näher als der Vermittlung. Das Bonmot, wonach das Volk zwar dumm sei, es aber belehrt werden könne, verwendet Schneider vermutlich auch selbstironisch. Es verweist aber doch auf die Tatsache, dass Bildung im oben beschriebenen Sinn mit einem System von Werten verbunden ist, dass sie normativ verstanden und durch Autoritäten vertreten wird. Die Werte, die das Konzerthaus in seiner Arbeit bestimmen, kommen für Schneider aus der Geschichte. Für ihn sind sie heute »im bürgerlichen Bildungskanon« kodifiziert. Sie bilden einen Anspruch und einen Maßstab, vor dem sich die Aktivitäten der Gegenwart zu verantworten haben. Daraus folgt die Aufgabe für das Konzerthaus, »Hochkultur ohne Entertainment« anzubieten und »die Kunst« gegenüber »dem Kommerz« zu behaupten. Schneiders Kunstbegriff entspricht dem einer emanzipatorischen Moderne, und ihren Werken räumen die Programme seines Konzerthauses weiten Raum ein. Programmarbeit, so sagt es Schneider, vollzieht sich »an der Musikgeschichte«, in »Verantwortung vor der Geschichte«, in »Verantwortung vor den Lebenden« und »natürlich der Auslastung«. In einer Situation des »Zusammenbruchs gesellschaftlicher Instanzen« im Bereich der Erziehung und einer »nicht anwachsenden« Bildung im Abonnentenpublikum unternimmt es Schneider, die Leistungen der Musikgeschichte öffentlich machen, und umgekehrt »die Öffentlichkeit mit den Leistungen der Musikgeschichte [zu] konfrontieren«. Dabei werde erkennbar, »was wir brauchen und was wir nicht brauchen« und was »bewahrt werden muss«. Mit Ausnahme des Verwaltungsdirektors Berger Bergmann, der sich dafür einsetzt, die Arbeit des Konzerthauses »am Publikum« zu orientieren, sich stärker zum Dienstleister zu entwickeln und davon abzurücken, »Laboratorium für nicht durchgesetzte Kunst [zu] sein«, stützen alle Führungskräfte bei der Befragung im Jahr 2006 die Kultur ihres Intendanten. Heike Hoffmann, die künstlerische Direktorin, unterstreicht die Bedeutung der Programmarbeit. Durch sie unterscheide sich das Konzerthaus Berlin von anderen Konzerthäusern, die vom Tourneebetrieb geprägt seien und deren Programme daher »von außen vorgegeben werden«. Für die künstlerische Direktorin liegt der Sinn staatlich finanzierter Kultur-Arbeit darin, eine Gegenposition zum »Stargeschehen mit seinen Verengungen« zu etablieren. Das Konzerthaus biete Dinge an, »die

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1968 [1809]): Gymnasialrede, pp. 48-51.

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kommerziell nicht zu machen sind« und stelle die Musikgeschichte in ihrer ganzen Breite in hoher Qualität vor. Auch Hoffmanns Kunstbegriff ist utopischemanzipatorisch. So glaubt die künstlerische Direktorin, dass das Publikum »eben doch nicht so dumm ist, und dass es dieser Unterhaltungsmaschinerie müde wird«. Der damalige Chefdirigent des Konzerthausorchesters, Lothar Zagrosek, schätzt das Konzerthaus als Arbeitsort, weil es »europaweit fast einzigartig« ein programmatisches Gesamtkonzept habe. Innerhalb dieses Konzeptes ist ihm die Arbeit »am Kulturbegriff klassischer Prägung« wichtig, auch unter Bezug auf »die Exzellenz-Diskussion in der Gesellschaft«, im Gegensatz zu den aus seiner Sicht wenig anspruchsvollen Programmen des Fernsehens und einer »immer stärker um sich greifenden Beliebigkeit«. Dabei stehen die Identitäten und Trennlinien fest; »crossover«, so der Dirigent, »ist mir suspekt.« Wie zuvor schon bei Schneider zeigt sich auch bei Zagrosek, wie sehr die Konzepte der Bildung und der »Kulturbegriff klassischer Prägung« mit einem Tableau von Werten verbunden sind. Diese als gegeben oder ererbt empfundenen Werte regeln und begrenzen das Feld der Wahl- und Handlungsmöglichkeiten. Für Erneuerung und Innovation bilden sie keine günstige Ausgangsbasis; eine Äußerung Schneiders wie »neue Konzertformen – da bin ich eher skeptisch« mag dafür beispielhaft stehen. Die Haltung des Konzerthauses zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums, unter der Intendanz Frank Schneiders, begünstigt eine spezifische Art des Managements, die eher zur Führerschaft und zum Erziehen neigt und weniger zur Moderation oder zur Vermittlung der vielfältigen Interessen im Haus, in den Publika und in der Öffentlichkeit, oder gar zum Entgegenkommen. Das schließt Innovation nicht aus, aber sie wird dem Publikum nun verordnet. In einem Interview mit dem Musikwissenschaftler Jan Brachmann zum Amtsantritt als Chefdirigent hat Lothar Zagrosek sein Rollenverständnis in diesem Sinn beschrieben: Zagrosek: […] Nun wird es darum gehen, das Publikum mitzunehmen, es für unsere Arbeit zu interessieren, für neue Musik, für neue Lesarten traditionellen Repertoires. Man muß dem Publikum schon einiges zumuten, sich selbst eine gewisse Art der Meinungsführerschaft herausnehmen. Brachmann: Ein Dirigent, der dem Publikum entgegenkommt, nimmt es also nicht ernst, weil er es unterfordert? Zagrosek: Vollkommen richtig. Ich sehe mich nicht als Erfüllungsgehilfen des Publikums an, in keiner Weise. Das hielte ich für den falschen Weg. 7

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Jan Brachmann (2006): Stuttgart leuchtet. Interview mit Lothar Zagrosek.

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Diese mit Autorität fordernde Haltung gegenüber dem Publikum kehrt Schneiders Nachfolger Sebastian Nordmann um. Danach befragt, was er bei seinem Amtsantritt als Intendant im Jahr 2009 als strategische Aufgabe verstanden habe, antwortet Nordmann, die Aufgabe liege im Öffnen des Hauses. »Die Frage war«, so Nordmann, »wie kriegen wir das hin, dass wir wieder mehr Besucher bekommen?« Dazu nahm er sich die »komplette Ummodelung des Programms, des Images, der Vision« vor. Was er im Konzerthaus vorfand, nennt der jüngere Intendant ein »immer programmatisches Denken«. Was er dagegen einführt, ist »dieses ganze Denken des Publikums«. Auch unter der alten Leitung Frank Schneiders waren die Verbesserung der Akustik, eine frische Polsterung der Sitze und ein anregenderes Licht-Design in den Sälen und Foyers ein Thema. An Neuerungen dieser Art wurde gearbeitet. »Inhalt« und »Hülle« blieben dabei aber kategorisch voneinander unterschieden. Bei Nordmann erscheinen die vormals getrennten Aspekte im Begriff des »Hauses« nun als Einheit. Genauer gesagt: Aus Sicht des Intendanten formiert sich diese Einheit im Begriff des Hauses, aufseiten der Besucher wird sie durch das Erlebnis konstituiert und im Erleben wohl auch schon vorausgesetzt. Deshalb will Nordmann dem Konzerthaus »Wohlfühlaspekte erarbeiten«, er will »das Haus so machen, dass der Mensch, der dort reingeht, sich wohlfühlt, sodass das Publikum sich sagt, hier bin ich gerne, das ist mein Haus.« Über die Neugestaltung der Homepage im Jahr 2012 und die auf der neu erarbeiteten »strategischen Markenplattform« aufgebauten Broschüren sagt Nordmann: »Es muss alles leichter gehen, zugänglicher sein, frischer sein.« Die Programmbroschüre der Saison 2012/13 hat Nordmann wie seine Markenplattform mit der Hilfe einer namhaften, international agierenden Agentur für strategisches Marketing entwickelt, sie macht das neue Markenkonzept des Hauses sichtbar.8 Semantisch manifestiert sich »Zugänglichkeit« etwa in der Zuordnung des Adjektivs »bequem« zu allen Service-Schritten, an denen der Konzerthaus-Besucher beteiligt ist. Was Nordmann für die Kommunikation formuliert, ist für seinen gesamten Ansatz bezeichnend. »Zugänglich sein« bedeutet, dass mögliche Interessenten über den Kreis der Kenner und des Stammpublikums hinaus angesprochen werden. Seine Aufgabe als Intendant sei es, »die Musik so zu vermitteln, dass gleichzeitig der anspruchsvolle Bildungsbürger, der sagt, ›ich habe keine Lust schon wieder den üblichen Kanon zu hören‹, als auch ein Publikum, das vom Kind bis zur Oma sagt, ›ich hab’ ne Chance, hier überhaupt reinzu-

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Es handelt sich um die Firma MetaDesign mit Hauptsitz in Berlin. In der Programmbroschüre der Konzerthaus-Saison 2012/13 wird die Firma als »Identity- und Brandingagentur« bezeichnet (Konzerthaus Berlin 2012: Musik bewegt. p.65).

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kommen‹, einen Weg da rein finden.« Der Zugänglichkeit steht nach Nordmann die »Kruste« entgegen. Sie umgibt das Haus und seine musikalischen Angebote: »Durch diese Erdkruste außen, da kommen die meisten nicht rein. Es ist nun mal schwierig, im Gegensatz zu einer Gemäldegalerie. ›Konzert‹ heißt, eineinhalb Stunden ruhigsitzen, teilweise Programme, die man überhaupt nicht versteht, während man durch eine Gemäldegalerie individuell durchgeht und sich das rauspickt, wozu man Lust hat, und am Besten gleich noch einen Kaffee trinken geht. Wir haben einen viel schwierigeren Stand. Es ist unsere Aufgabe, durch diese Kruste die Leute wieder reinzuholen.« »Kruste« erscheint in diesem Statement nicht nur als Verfestigung des Habitus des Konzertbetriebs und seiner Protagonisten. »Kruste« bezeichnet auch eine Schwierigkeit der Rezeption und des Erlebens, ja der Werke selbst. Die Disziplinierung des Körpers, das aufmerksame Zuhören und der Vorgang, den Nordmann das »Verstehen« der Musik nennt, sind selbst mit Schwierigkeiten behaftet. In dieser Lage erscheint der Star, den Frank Schneider und sein Team als Produkt eines kommerziellen Kunstverständnisses zugunsten der Werke und des Programms abgelehnt hatten, in einem neuen Licht. Er wird zum Musenführer, der das Publikum durch die Kruste zieht und leitet, und als solcher strategisch eingesetzt. Gemessen an den Kriterien seines Amtsvorgängers betreibt Nordmann eine Verringerung des Institutionalisierungsgrads des Konzerthauses. Dass damit eine Gefährdung der Legitimation auf der Seite der traditionellen Kunst und ihrer Metiers einhergeht, ist zu erwarten, und in der Tat bezieht der neue Intendant im Gespräch immer wieder defensive Positionen in dieser Richtung. Zwar stellt er sein »Denken des Publikums« überzeugt dem programmatischen Denken seiner Vorgänger entgegen. Angefochten sieht er sich aber durch eine Institution des kulturellen Lebens, die ihre Autorität vielfach aus dem gleichen traditionellen Tableau von Werten zu beziehen sucht wie zuletzt Frank Schneider und sein künstlerisches Leitungspersonal, auch wenn dieses einer tiefgreifenden Erosion unterworfen ist: Der journalistischen Kritik oder, wie Nordmann sie nennt, dem Feuilleton. »Viele Feuilletonisten« werden in der Programmbroschüre 2012/13 pauschal als Vertreter einer Ablehnung von Konzert-Moderationen durch Dirigenten bemüht; dagegen bietet das Konzerthaus solche Moderationen zur Förderung der Zugänglichkeit an.9 Auf die Frage, was traditionelle Kulturorganisationen tun könnten, um ihre Existenz zu sichern, antwortet Nordmann mit »Viel […], wenn wir uns vom Feuilleton nicht zerschlagen lassen.« An anderer Stelle präzisiert er, ein Intendant müsse »mutig sein, auch das Publikum mal anzuse-

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Nordmann 2012a: 16.

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hen. Ohne dass man denen nach dem Mund redet. Das Feuilleton kann sehr schnell schießen und sagen, da ist jemand nur darauf aus, Quantität zu schaffen. Und das ist eben nicht meine Aufgabe. Wenn ich Quantität will, kann ich’s ganz anders machen.« Man glaubt, dem alten und von Nordmanns Vorgängern programmatisch verwendeten Gegensatz von »Kommerz« und »Kunst« nun in der Entgegensetzung von »Quantität« (der Besucher) und »Qualität« (der Programme) wieder zu begegnen. In der Tat ist Kommerzialisierung auch als Vergrößerung der Kundenbasis durch das Einebnen von Differenzen definiert. Und doch hat Nordmann einen anderen Anspruch, als einfach die Vorzeichen umzukehren. Zwar arbeitet er daran, dem Haus eine größere »Breite« zu erschließen – mehr Publikum, zugänglichere Formate, in einigen Fällen einfachere Konzertprogramme. Gleichzeitig jedoch will er die Qualität des Angebots nicht aufgeben. Breite, so Nordmann, »kann eine hohe Qualität haben, darf sich aber nicht nur auf den Bildungsbürger beschränken, der das Stück oder das Programm versteht.« Zum musikalischen Pop, der im Koordinatensystem des Musikmarkts den Pol der Quantität repräsentiert, zieht Nordmann eine Grenze, die er mit dem Konzept der Interpretation beschreibt. »Klassische Musik« ist für ihn der Interpretation bedürftig. Sie ist daher, wie man folgern darf, mit Anforderungen an eine unterscheidende Wahrnehmung verbunden. Eine unbeschränkte Rabattierung der Ansprüche lehnt Nordmann ab, das Konzerthaus habe »schon den Anspruch, das Publikum eine Stufe höher zu nehmen«. Er setzt dabei nur niedriger an als sein Vorgänger, der den Abstand des Publikums vom Ideal gewissermaßen von oben mit resignativem Bedauern beobachtete. Den Hauptinhalt des Angebots, die »klassische Musik«, sieht Nordmann auf einem soliden Fundament; dass Nachfrage und Angebot versiegen könnten, glaubt er nicht, »dazu ist das einfach zu gut, was es da gibt«. In seinen Augen wandelt sich dagegen das Wertesystem, das die Nachfrage strukturiert. So fragt sich Nordmann, »ob der Liebhaber die klassische Musik immer noch so weit oben ansiedelt wie früher, oder ob es mittlerweile nicht andere Punkte gibt, die ihm mindestens genauso wichtig sind.« Grundlage seines im Sinn der Dienstleistung und der Erlebniswirtschaft auf den Besucher ausgerichteten Hauses bleibt auch für Nordmann das inhaltliche Angebot: »Am Anfang muss das Programm, die Programmidee, die künstlerische Idee stimmen. Wenn das nicht gut ist, dann wird es ganz schwer, den Rest durchzuhalten, dann sind Wohlfühlaspekte völlig Wurst.« Der Ursprung eines solchen für das Publikum und für die Qualitätsansprüche des Hauses stimmigen Programms liegt bei Nordmann, wie zuvor bei Frank Schneider, in der Persönlichkeit des Leiters; mit Instrumenten des Marketing oder der Kundenforschung soll es nicht konstruiert werden. Auf die Frage, woher er wisse, was das

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richtige Programm sei, antwortet auch der jüngere Intendant mit einer Geste der Autorität, fast wie ein Künstler: »Das weiß ich einfach. Das ist Intuition, glaube ich […]. Das Eigene, die Intuition, das Brennen für eine Idee, das muss da sein.« Nordmanns Dienstleistungs-orientiertes »Denken des Publikums« ist strategischen Veränderungen und Innovationen gegenüber günstig. Sein Management definiert operationalisierbare Ziele, und zur Erreichung dieser Ziele werden neue Mittel systematisch gesucht, neue Angebote methodisch entwickelt und eingeführt. Nach Cyerts und Marchs »A Behavioral Theory of the Firm« lässt die wirtschaftlich knappe Lage des Konzerthauses vermuten, dass diese Innovationen vorwiegend einen problemlösenden Charakter besitzen und weniger Grundlegendes für die Praxis des Feldes hervorbringen. Das mag so sein, bemerkenswert ist aber der systematische Charakter dieser Innovation. Weil Nordmann durch eine bewusste, instrumentell gedachte Entscheidung der Berliner Landesregierung berufen wurde und daher als Ressource eingesetzt wird, verstehen wir den durch ihn verkörperten kundenorientierten Management-Ansatz im Zusammenhang des Konzerthauses selbst als Innovation.10 1.3 Chancen und Risiken in der Wahrnehmung der Manager Trotz aller Unterschiede im Konzeptionellen und, wenn man so sagen darf, im Ideologischen, versteht das Management sowohl unter der Leitung Frank Schneiders als auch unter seinem Nachfolger Sebastian Nordmann das Konzerthaus als Anbieter einer Reihe von Diensten für die Öffentlichkeit. An erster Stelle steht das Anbieten von Konzerten auf hohem professionellen Niveau, definiert als Konzerte, die ein »enormes Spektrum von Musik« bieten, »zwischen recht alter und Neuer Musik, die durch Uraufführungen versucht wird, weiter zu bringen. Meist handelt es sich um europäische Musik, »aber nicht nur« (Heike Hoffmann). Unter der Intendanz Frank Schneiders wird dies ergänzt durch ein Programm, das den Anspruch erhebt, durch eine Komposition von Kunstwerken, durch die »Herstellung musikalischer Beziehungen« (Heike Hoffmann) zwischen gegebenen Werken neuen Sinn zu generieren. Während andere Konzerthäuser überwiegend Konzerte reisender Orchester und Ensembles präsentieren und damit von der Programmpolitik ihrer Vertragspartner sowie deren Heuristik der Marktgängigkeit abhängen, bietet das Konzerthaus zumindest bis zum Amts-

10 Vgl. Camarero/Garrido/Vicente (2011). Die Autorinnen deuten die Anwendung von Management-Ansätzen kommerzieller Herkunft [business-like], die das Museum zugänglicher und attraktiver für die Öffentlichkeit machen wollen, als Beispiel für organisationale Innovation (p. 250).

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ende Frank Schneiders im Jahr 2009 ein diskursiv orientiertes Konzept. Dieses ist entweder durch querschnitthafte kulturelle Themen bestimmt (»Goethe und die Musik«, »Natur in der Musik«, »Populär? Elitär?«), häufig über eine ganze Saison hinweg, oder die Zusammenstellung der Kompositionen eines einzelnen Konzerts oder einer Konzertreihe ist bedeutsam in primär musikalischen Kategorien. Zu den Leistungen des Konzerthauses gehören außerdem Werkeinführungen, öffentliche Gespräche mit Musikern, Musikfilme, Education-Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, die »Förderung junger Künstler« (Heike Hoffmann) sowie Führungen durch das Haus. Der Verwaltungsdirektor, dem die Generierung von Einkommen durch nicht-künstlerische Angebote obliegt, führt im Jahr 2006 auch die Vermietung der Säle an musikalische und an außermusikalische Fremdveranstalter und damit verbundene Serviceleistungen an. Nicht zuletzt weil es repräsentativen Veranstaltungen einen Rahmen biete und eine Spielmöglichkeit für eine Vielzahl von Gruppen in der Stadt zur Verfügung stelle, werde das Konzerthaus zum »Schaufenster Berlins« (Berger Bergmann). Zentrale Herausforderungen und problematische Rahmenbedingungen, denen die Führungspersonen die Arbeit des Konzerthauses gegenüber sehen, sind in der Beschreibung der Management-Prioritäten bereits deutlich geworden. An erster Stelle steht die Wahrnehmung, das Publikum sei alt und werde immer älter und sei soziologisch zu wenig divers. Heike Hoffmann, die frühere künstlerische Direktorin, und der damalige Verwaltungsdirektor Berger Bergmann sagen zu Beginn des Untersuchungszeitraums im Jahr 2006, das Publikum bestehe einseitig aus Menschen eher überdurchschnittlicher Bildung im Alter von Mitte 30 bis über 70 Jahre. Der damalige Chefdirigent Lothar Zagrosek tritt mit Nachdruck dafür ein, die Basis des Hauses verbreitern: »Wir müssen im Blick auf das Publikum unbedingt etwas tun – die Altersstruktur […] ist nicht sehr zukunftsförderlich.« Trotz des Unbehagens am Überwiegen eines bürgerlich-gebildeten Publikums machen die Führungskräfte unter Frank Schneider einen Wertewandel in der Gesellschaft als Gefahr aus, der nach ihrer Wahrnehmung Bildung in den Hintergrund rückt und dadurch zu einer Verringerung der Bedeutung von Kunstmusik sowie der ästhetischen Wahrnehmungskompetenzen führt (das Wort »Dummheit« taucht in verschieden Formen in den Gesprächen des Jahres 2006 auf, bei Sebastian Nordmann spielt es im Jahr 2012 dagegen keine Rolle). In diesem Zusammenhang sieht das Konzerthaus auch seine traditionell wichtigste Vermarktungsform in Gefahr. Abonnements herkömmlicher Art seien »keine Form für die Zukunft«, so der damalige Verwaltungsdirektor. Die Leute seien flexibler als früher, und viele müssten es, bedingt durch kürzere Entscheidungszeiträume im Beruf und im Privatleben, auch sein.

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Der Wertewandel wird von der alten Führung auch dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Prioritäten von Kulturverwaltung und Politik zulasten der Unterstützung des Konzerthauses verschieben. So sagt Heike Hoffmann im Jahr 2006, vor zehn bis zwanzig Jahren sei es noch selbstverständlich gewesen, Dinge zu machen oder auf den Spielplan zu setzen, auch wenn sie keinen PublikumsErfolg versprachen, dagegen werde heute »mehr auf die Kassen- und Zuschauerbilanz geschielt«. In der Tat steht das Konzerthaus Frank Schneiders unter finanziellem Druck. Obwohl die allgemeinen Kosten und die Gehälter der staatlich bediensteten Konzerthaus-Mitarbeiter, namentlich der Orchestermusiker, stiegen, war zu Beginn des Untersuchungszeitraums der Zuschuss des Landes nach Angaben des Managements bereits seit fünf Jahren eingefroren. Das verpflichtete das Konzerthaus einerseits, sein Einkommen aus Vermietungstätigkeit und Sponsoring zu steigern. Darüber hinaus sah es sich gezwungen, Einschnitte am Programm vorzunehmen, sofern externe Ensembles oder Solisten darin auftraten. Der neue Intendant Sebastian Nordmann neigt weniger zum Problematisieren der kulturgeschichtlichen und demografischen Rahmen-Entwicklungen, obwohl in der Zwischenzeit die Gesellschaft weiter gealtert ist. Eher bewegt er sich in einem Horizont operationalisierbarer Ziele. Dazu gehört unter dem Programm der Öffnung ein Entgegenkommen an niedrigere Bildungsvoraussetzungen. Und während Frank Schneider noch klagen konnte, alles, was mit der Politik zusammenhänge, sei misslich, wird in den Äußerungen Nordmanns ein grundsätzliches Einverständnis mit den politisch Verantwortlichen erkennbar, die ihn berufen haben. Die Anhebung der Landeszuschüsse zwischen den Jahren 2009 und 2010, zu Beginn von Nordmanns Amtszeit, um mehr als 22 Prozent lässt sich als Beleg dafür lesen, dass die vom alten Leitungsteam als abweisend empfundene Haltung der Berliner Landesregierung mit dem bevorstehenden Ende einer 17 Jahre währenden Intendantenära zu tun hatte. Demnach hätte es sich bei der ZuschussDeckelung in den letzten Jahren um eine Form absichtsvoller Nichteinmischung der Politik in Angelegenheiten der Kunst gehandelt,11 und bei der Anhebung zum Amtsantritt Nordmanns um eine Anschubfinanzierung für eine politisch gewollte Neuorientierung. Im Rückblick scheint es, als sei die Wahrnehmung der finanziellen, politischen und kulturellen Lage als schwierig und advers durch die alte Führung selbst zum Entwicklungshindernis für das Konzerthaus geworden. »Wir reden nicht über Entwicklung«, sagt mit dem Verwaltungsdirektor das pragmatischste

11 Die Forderung »Und Sie müssen sich auch öffnen!« hatte bereits zur Saisoneröffnung 2001/02 die damalige Kultur-Staatssekretärin Alice Ströver an das Konzerthaus erhoben (Koch 2001).

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Mitglied der Konzerthaus-Leitung im Jahr 2006: »Wir arbeiten daran, den Status quo zu retten – das ist eine wahnsinnige Aufgabe.« Von Rettung spricht damals auch der Intendant. Obwohl ihm das Orchester durch den Aufwuchs der Personalkosten mehr und mehr die Mittel für seine Programme nimmt, sieht er eine strategische Notwendigkeit darin, die Qualität des Orchesters zu verbessern, denn »nur ein starkes Orchester kann das Haus retten«. Für die künstlerische Direktorin muss die künstlerische Qualität des Orchesters verbessert werden »bis in jede kleine Kinder-Veranstaltung«. Dem stand damals nicht nur die Schwierigkeit entgegen, die Besetzung aller 113 Planstellen zu finanzieren, sondern auch der Umstand, dass zahlreiche Spitzenkräfte das Orchester nach kurzer Zeit wieder verließen. Ambivalent ist das Urteil der Führungskräfte darüber, ob die Konkurrenz der zahlreichen Berliner Kulturveranstalter ein Problem oder ein Gewinn für das Konzerthaus sei. Berger Bergmann verweist auf den Umstand, es gebe in der Stadt »sieben konkurrierende Sinfonieorchester auf engem Raum«, als auf einen die Geschäftstätigkeit erschwerenden Faktor. Die Konkurrenz in Berlin sei hart, sagt auch Heike Hoffmann, das Publikum wisse sehr genau, für welche Veranstaltungen es Geld ausgeben wolle. Aber sie sieht es auch positiv: Die intensive Konkurrenz hebe das Niveau »ungemein«. Lothar Zagrosek nimmt das Konzerthaus im Wettbewerb mit allen anderen großen Kultureinrichtungen Berlins wahr. Man könne es aber auch anders sehen: Es gebe viele Querverbindungen. Was den institutionell als nächstes vergleichbaren Konkurrenten angeht, die Berliner Philharmoniker in der Berliner Philharmonie, so sind diese für Zagrosek »das viel spektakulärere Orchester. Aber eigentlich sind sie keine Konkurrenz, sondern eine Orientierung in vielerlei Hinsicht.« Auch Sebastian Nordmann betrachtet in den Gesprächen 2012 die Berliner Konkurrenten in vielen Hinsichten als Vergleichsmaßstab und gelegentlich als Vorbild: »Jedes Orchester ist toll in Berlin. Die Konkurrenz ist so stark, da kann sich keiner einen schlechten Tag erlauben. Deswegen funktionieren auswärtige Orchester in Berlin auch nicht. Wir haben alle Spitzendirigenten in der Stadt – zum Glück haben wir die Philharmoniker, man braucht gar nicht woanders hinzugehen, die haben alle großen.« Die vom Landesgesetz vorgesehene und durch das Kunstwollen des Intendanten ausgeprägte Programmatik des Konzerthauses sehen die künstlerischen Führungskräfte unter Frank Schneider als spezifische Kompetenz und als Wettbewerbsvorteil. Zu den Stärken zählt die alte Führung auch die »viele Jahre aktiv leitende Mannschaft« und die damit verbundene kulturpolitische Stabilität (Berger Bergmann). Als größter Vorzug des Konzerthauses gilt das Gebäude selbst, seine vielen Säle, sein zentraler, mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbarer Standort in der touristischen Mitte der Stadt. Auch der neue Inten-

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dant Nordmann benennt als Stärke »zunächst einmal die Hardware, dieser Ort. Alle sagen, das ist der schönste Platz Berlins, wenn nicht sogar deutschlandweit. Es ist die Mitte Berlins, wir sind perfekt angebunden. Jeder kann hier herkommen, zu jeder Uhrzeit. Dieser Platz ist ein Magnet, wie die Spanische Treppe in Rom. Ich will auch, dass die Leute auf unserer Treppe sitzen – und eben auch mal reingucken. Das Haus ist echt mit seinem DDR-Stil, das ist doch schon wieder Kult.« Die wichtigste Zielgruppe des Konzerthauses unter der Leitung Frank Schneiders sind die über 50-Jährigen und besser gebildeten Abonnenten, ungeachtet des Tatsache, dass das Management deren Alter und sozio-demografische Homogenität als Problem empfindet. Dieses Abonnenten-Publikum kommt zur Zeit der Befragung im Jahr 2006 zu 60 Prozent aus dem Ostteil der Stadt, der vor dem Fall der Mauer den Kernmarkt des Konzerthauses bildete. Um eine größere Diversität zu erreichen und um eine breitere politische Basis zu gewinnen, zielt das Konzerthaus auf Publikum aus dem Westen Berlins. Dieses Publikum ist offenbar besser mit Angeboten jenseits der sinfonischen Abonnementkonzerte zu gewinnen, in diesem Bereich stellt es die Mehrheit. Zum Amtsantritt Lothar Zagroseks als Chefdirigenten im September 2006 gewinnt das Konzerthaus 700 neue Abonnements hinzu, davon den größeren Teil aus dem Westteil Berlins. Das Management vermutet, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass der Dirigent im Westen bekannter sei, vor allem durch seine langjährige Tätigkeit als Generalmusikdirektor der vielfach ausgezeichneten Oper in Stuttgart. Empirische Belege durch eine Befragung der neuen Abonnenten werden aber nicht gesucht. Zagrosek selbst sagt, er wolle dafür arbeiten, dass das Konzerthaus das Publikum der »Kultur-Nomaden« in der Hauptstadt anziehe und zum »Treffpunkt der Zivilgesellschaft« werde. Auch wenn der Verwaltungsdirektor den »Jugendwahn, die Jagd nach 15- bis 30-Jährigen« für vergeblich hält, zielt das Konzerthaus unter Frank Schneider auf Familien, Kinder (»am Anfang der künstlerischen Sozialisation«, wie Zagrosek sagt) und Jugendliche, um die Verjüngung und Diversifizierung voranzutreiben. Die häufige Benennung der touristischen Qualitäten des Hauses in den Befragungen 2006 und 2012 könnte vermuten lassen, dass auch Touristen als Zielgruppe angesprochen werden. Die künstlerische Direktorin bezieht sich auf anekdotische Evidenz, wenn sie sagt, der Konzertbesuch durch Touristen habe »wahnsinnig angezogen, vor allem der Besuch von Städtetouristen am Wochenende«. Spezielle Angebote für Touristen sind aber weder eingeführt noch vorgesehen, »Festtagskonzerte« als für Touristen interessante Angebote führt der neue Chefdirigent Zagrosek erst nach ausdrücklicher Nachfrage an.

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Der neue Intendant nennt die »Kulturnomaden« ebenfalls als Zielgruppe und schließt sich Zagrosek, dessen Vertrag nicht verlängert wurde, ausdrücklich an. Gemäß seinem Projekt, die Breite des Angebots zu vergrößern, erscheinen Nordmanns Zielgruppen soziodemografisch kaum definiert. Der Intendant will sowohl den »anspruchsvolle[n] Bildungsbürger« gewinnen als auch ein nicht spezifisch vorgebildetes Publikum »vom Kind bis zur Oma«, sowohl den an Neuer Musik Interessierten als auch den »klassischen Kunden«, der Mozart hören will. Das »heutige Stammpublikum« unter den Abonnenten bezeichnet Nordmann als »60- bis 70-Jährige«; Ziel sei es, den »40- bis 70-Jährigen wieder ins Konzert zu holen, der es einfach vergessen hat, dass man das mal tun kann«. Die Hauptgruppe, die mit den neuen Marketing-Instrumenten angesprochen werden soll, sind »durchschnittlich 40-jährige Käufer«. Education-Programmen für Kinder steht Nordmann reserviert gegenüber: »Dieses «nur die Jugend», was im Moment so gut funktioniert, auch durch die [Förderung durch] Stiftungen, das ist der falsche Zugang. Das ist wichtig, aber da reden wir in 25 Jahren dann wieder darüber. Wir müssen jetzt die packen, die den Kindern das wieder beibringen. Also, wir investieren im Moment in das Kind, vergessen dabei aber die Eltern, die ganz entscheidend sind für das Kind, die es dann mitnehmen, wenn sie etwas gut finden. Meistens ist es viel leichter, die Eltern zu begeistern, und die nehmen ihre Kinder dann mit. Dagegen wird meistens nur von unten gegraben, nur über die Jugendschiene, über Education.« Konsequenterweise rühmt Nordmann die von Zagrosek eingeführten Matinee-Konzerte, sie seien »ein großer Erfolg bei den typischen Prenzlauer-Berg-Familien mit Kindern«. 1.4 Innovationen im Konzerthaus Berlin Woran arbeitet das Konzerthaus konkret? Was hat es realisiert? Aus den Gesprächen mit den Managern, aus der Beobachtung des Hauses und aus Quellen der öffentlichen Selbstdarstellung lassen sich folgende innovativen Projekte und Innovationen zusammenfassen: 1.4.1

Innovationen der Intendanz Frank Schneiders bis 2009

Innovation in der Dimension des Sozialen •

Programm zum Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter. Ehrenamtliche Mitarbeiter werden systematisch angeworben, aus- und fortgebildet. An den Konzertabenden betreuen die Ehrenamtlichen Besucher, bevorzugt Erstbesucher, und informieren etwa über die Geschichte des Hauses. Sie begrüßen Gäste und

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führen sie durch das Haus, sei es auf halbstündigen Rundgängen, an denen man unangemeldet und gratis teilnehmen kann, sei es bei ca. 75-minütigen Führungen, die in der Regel samstags stattfinden und an denen teilzunehmen etwas kostet. Im Projekt »EinBlick frei« informieren die Ehrenamtlichen außerhalb der Konzertzeiten über das Haus und seine Veranstaltungen und machen es Besuchern, etwa touristischen Besuchern des Gendarmenmarkts, möglich, einen Blick in den großen Saal zu werfen. Innerhalb der EducationProgramme besuchen Ehrenamtliche in Zweier-Teams Schulklassen und bereiten sie mit Informationen zum Orchester und zu den Werken auf Generalproben vor. Kommen die Klassen dann zu den Schulkonzerten in das Konzerthaus, werden sie von »ihren« Ehrenamtlichen empfangen und durchs Haus geführt. Betreut wird das Ehrenamts-Programm durch den Marketingdirektor und einen weiteren Mitarbeiter aus dem Bereich Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Unter den Ehrenamtlichen gibt es eine Gesamtkoordinatorin und zwei Sub-Koordinatoren. Vorgesehen ist ein zeitlicher Aufwand von sechs bis acht Stunden pro Woche für jeden Ehrenamtlichen. Zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Saison werden mit den Ehrenamtlichen Arbeitstreffen veranstaltet, an denen auch ihr Feedback abgefragt wird. Mindestens ein Mal im Jahr gibt es ein Fest, zu dem neben den hauptamtlichen Mitarbeitern des Konzerthauses auch die ehrenamtlichen eingeladen werden. Darüber hinaus werden die Ehrenamtlichen zwei Mal im Jahr zu Exkursionen eingeladen und sie erhalten zehn Freikarten in jeder Saison. Das EhrenamtsProgramm, das in Berlin und darüber hinaus ein Beispiel gesetzt hat und von anderen Kulturorganisationen übernommen wurde, gibt es seit der Spielzeit 2003/04. Im Sommer 2010 arbeiteten nach Angaben des Marketingdirektors Martin Redlinger 35 Ehrenamtliche für das Konzerthaus.12 •

Das Konzerthaus ergreift die Führungsrolle eines neuen interdisziplinären Education-Projekts für das Land Berlin. Das Projekt sieht längerfristige Partnerschaften zwischen vielfältigen Kulturinstitutionen und Berliner Schulen vor. Es ist für eine Laufzeit von vier bis fünf Jahren konzipiert. Geplant ist, dass Musiker Schulen besuchen und mit Schülern arbeiten. Die Schüler werden ihrerseits das Konzerthaus besuchen und dessen Arbeit begleiten. Das Projekt wird von den Senatsverwaltungen für Kultur und für Bildung

12 Vgl. Gesa Birnkraut/Martin Redlinger (2010): Ehrenamt – Chancen und Methoden. Das Beispiel des Konzerthauses Berlin.

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gemeinsam unterstützt. Der neue Chefdirigent des Konzerthausorchesters, Lothar Zagrosek, übernimmt die Schirmherrschaft.13 Innovation in der Dimension des Marktes •

Neuer Saal (Werner-Otto Saal). Der neu ausgebaute Saal mit einer Kapazität von bis zu 280 Plätzen besitzt einen Boden aus modular veränderbaren Hubpodien, der eine Vielzahl verschiedener Konstellationen von Bühne und Zuschauerraum möglich macht. Der Raum, der vormals als Probensaal genutzt wurde, hat im Gegensatz zu den historisierend gestalteten anderen Sälen im Konzerthaus eine moderne Erscheinung. Er ist für zeitgenössische Musik, besonders für experimentelles Musiktheater eingerichtet. Eröffnet wurde er 2003. Sein Umbau wurde durch einen privaten Mäzen möglich gemacht.



Neue Abonnementreihen mit vergrößerter Wahlmöglichkeit für die Abonnenten. Zur Saison 2006/07 wurden 700 neue Abonnenten verzeichnet.

• Neues Format für das Saison-Eröffnungskonzert. Das Format ist nach den Worten des Chefdirigenten Zagrosek vom Vorbild der Londoner Proms angeregt. Die ersten beiden Teile des Abends finden im großen Saal statt, aus dem aus diesem Anlass die Sitzreihen ausgebaut wurden; das Publikum folgt den Darbietungen im Stehen. Inhaltlich unterscheidet sich das Saisoneröffnungs-Event durch seine musikalischen Sozialformen vom üblichen Sinfoniekonzert. Verschiedene Besetzungen werden kombiniert. Im zweiten Teil wird ein Werk vom Chefdirigenten mit einem Ad-hoc-Laienorchester öffentlich geprobt und aufgeführt. Um hier mitzuwirken, reisen Musikfreunde aus dem In- und Ausland an. Der dritte Teil des Abends ist als Party konzipiert, der Zuschauerraum im großen Saal dient nun als Tanzboden. Nach Angaben des Managements war das erste Saisoneröffnungs-Event 2006 ein großer Erfolg – »einfach, weil es anders war« (künstlerische Direktorin) – und zog Leute ins Konzerthaus, die bis dahin nicht zum Publikum gehört hatten. Aspekte des neuen Formats lassen sich auch als Innovationen in der Dimension der Kunst interpretieren: Durch eine neue Sozialform der Musik wie der des Publikumsorchesters und seine Kombination mit professionenellen Darbietungen und funktionaler Musik (Tanzmusik) verschiebt sich der Charakter

13 Detaillierte Beispiele für die Education-Programme des Konzerthauses in den Spielzeiten, die dieser Untersuchung vorhergehen, finden sich bei Theede 2007: 244-247.

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der Kunst vom Werkhaften des traditionellen Sinfoniekonzerts hin zu einem sozialen Prozess.

• Rekonstruktion historischer Konzerte bzw. Konzertprogramme, etwa von Akademien, die zur Zeit Mozarts in Wien veranstaltet wurden. Die ersten Erfahrungen mit diesem Programmformat waren laut Auskunft des Führungspersonals negativ insofern, als sich kein hinreichend großes Publikum einstellte. •

Die erste Serie der Matineekonzerte gilt zum Zeitpunkt der Befragung im November 2006 zunächst ebenfalls als Misserfolg. Diese Konzerte waren als Ableger der Abonnementskonzerte konzipiert und boten die gleichen Programme. Es fand sich kein hinreichend großes Publikum, das Sinfoniekonzerte herkömmlicher Art am Sonntagvormittag hätte hören wollen. Nun – in der ersten Hälfte der Spielzeit 2006/07 – werden die Matineekonzerte überarbeitet. Künftig wird das Konzerthaus in den Matineekonzerten kürzere Programme anbieten, die von kleineren Ensembles gespielt werden. Für Kinder gibt es ein eigenes musikalisches Betreuungsangebot. In Planung ist, ein anschließendes Frühstück im Konzerthaus anzubieten.



Mit dem neuen Chefdirigenten kommt als neues Format die Aufführung halbszenischer Opern im großen Saal. Das Angebot geht im Herbst 2007 mit drei von Glucks Reformopern an den Start.



In Planung ist, Aufführungen des Konzerthausorchesters mitzuschneiden und anschließend auf Compact Discs zu veröffentlichen.



In der Planung befinden sich zur Zeit der Befragung Ende 2006 kurze Konzerte am Mittag nach dem Vorbild der Lunchkonzerte der Londoner Southbank, die für Angestellte und Geschäftsleute der britischen Hauptstadt angeboten werden. Hierfür ist das Konzerthaus noch auf der Suche nach Sponsoren. Dieses Format ist sechs Jahre später, am Ende des Untersuchungszeitraums, unter dem Namen Espressokonzerte im Angebot, während Lunchkonzerte von der Berliner Philharmonie in der Spielzeit 2007/08 realisiert wurden.



In Arbeit ist Ende 2006 ein Musikfest oder ein Tag der offenen Tür im Konzerthaus, mit dem ein Publikum gewonnen werden soll, das bisher nicht ins

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Konzerthaus kommt. Am Ende des Untersuchungszeitraums ist das Konzept als »Musikfest am Gendarmenmarkt« etabliert. •

Die Akustik des großen Saals galt immer als unzulänglich, sowohl gegenüber dem architektonischen Vorbild des Wiener Musikvereinssaals als auch gegenüber der direkten Konkurrentin, der Berliner Philharmonie. Unter der Führung des neuen Chefdirigenten geht das Konzerthaus im Jahr 2006 die Verbesserung der Akustik an. Zu diesem Zweck werden Klangreflektoren in den Saal eingebaut.



Im Erdgeschoss des Konzerthauses wird ein Café neu eröffnet, um die Aufenthaltsqualität im Konzerthaus zu erhöhen und um das Konzerthaus zu einem Aufenthaltsort auch außerhalb der Konzertzeiten zu machen. In den Räumen war zuvor eine Musikalienhandlung etabliert.



Für die Zukunft wünscht sich der Intendant Frank Schneider Fortbildungen für die Mitarbeiter, um die Kundenorientierung und das Interesse an der Tätigkeit des Verkaufens zu stärken.



Der neue Chefdirigent denkt über die Installation einer modernen Skulptur vor dem Konzerthaus, eventuell auf der Freitreppe, nach, um ein öffentliches Zeichen für den innovatorischen Geist des Hauses zu setzen.



Erhöhung der Effizienz und der Servicequalität im Bereich Vermietung: Um Mietern mehr Termine anbieten zu können, hat das Konzerthaus seine eigene Belegung und Nutzung der Räumlichkeiten flexibilisiert. Außerdem bietet das Konzerthaus Serviceleistungen bei der technischen Ausstattung und beim Catering an. Insofern die Maßnahme durch die Generierung höherer Einnahmen durch Vermietung und Service die Einkommensstruktur des Konzerthauses verändert, lässt sie sich auch als Innovation in der Dimension des Finanziellen interpretieren.

Innovation in der Dimension des Finanziellen •

Outsourcing der Kundenbetreuung an ein Call Center. Nach Auskunft des Managements hat sich dadurch die Effizienz erhöht. Gleichzeitig war die Maßnahme mit einem Verlust an Beratungskompetenz und an persönlicher Beziehung zu den Kunden verbunden.

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Outsourcing des Abendservice. Diese Innovation beurteilt das Management 2006 als nicht erfolgreich. Das Fremdpersonal kenne weder das Haus noch dessen Produkte noch das Publikum. Dadurch erreiche der Dienst nicht die gewünschte Qualität. Zum Teil wird das Problem durch den Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter gelöst.



Vor der Einführung stehen zum Zeitpunkt der Befragung im Herbst 2006 neue Dienst-Arrangements mit den Orchestermusikern. Eine größere Flexibilität der Proben und Konzerte soll es möglich machen, Konzerte an Freitagen, Samstagen und Sonntagen sowie eine zusätzliche Matinee am Sonntag anzubieten. Nach Ansicht des Intendanten Frank Schneider wären weitere Neuerungen in diesem Sinn wünschenswert, namentlich flexiblere Verträge und eine stärker leistungsorientierte Bezahlung für Orchestermusiker.

Innovation in der Dimension der Kunst •

Mit dem neuen Chefdirigenten Zagrosek ist eine Erweiterung des Orchester-Repertoires geplant. Insbesondere sollen Repertoires des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts – Zagrosek nennt Rameau und Händel – erschlossen werden, die zuletzt eher von historisch informiert spielenden Spezialensembles als von Sinfonieorchestern kultiviert wurden.



In Entwicklung befindet sich Ende des Jahres 2006 ein neuer Zugang für die Darstellung neuer Musik. Bisher war neue Musik im Konzerthaus aus der Perspektive der Zweiten Wiener Schule Schönbergs, Weberns und Bergs dargeboten worden, aus der die Kriterien »guter« und »gültiger« zeitgenössischer europäischer Musik gewonnen wurden. Der Plan ist nun, die Musik der europäischen Avantgarden in Kombination mit zeitgenössischen Musiken aus anderen Gegenden der Welt zu kombinieren.

1.4.2

Innovationen unter der Leitung Sebastian Nordmanns

Innovation in den letzten Jahren der Intendanz Frank Schneiders lässt sich angemessen in Einzelprojekten und -Maßnahmen darstellen. Und gewiss kann man auch die ersten drei Jahre unter Sebastian Nordmanns neuer Leitung, beginnend im Sommer 2009, in ihren einzelnen Maßnahmen beschreiben. Dabei entsteht sogar das Bild einer Kontinuität der Innovation – manche Projekte, mit denen sich die Führungspersonen um Schneider beschäftigten, wurden unter Nordmann realisiert oder vollendet, andere, wie das Musikfest am Gendarmenmarkt, wurden ausgebaut, einzelne, bereits realisierte, wie das neue Format des Saison-

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Eröffnungskonzerts, wurden wieder abgeschafft. Der Innovationsschub, der mit dem Beginn der Amtszeit Nordmanns das Haus erfasste, unterscheidet sich von der dadurch abgelösten Praxis jedoch grundlegend. Mit Nordmann wird Innovation zu einem zentralen Moment eines strategisch konzipierten Prozesses. Sie manifestiert sich nicht mehr nur in einzelnen Projekten, sondern sie betrifft auch die Prinzipien, die Routinen, die Kultur des Arbeitens in der Organisation. Nahezu alles, was im Konzerthaus gedacht, geplant und realisiert wird, zielt nun auf den Erfolg an den Märkten für Ressourcen und an den Märkten für musikalische, kulturelle oder soziale Produkte. Nach unserer Definition stellt die Wende zu einem strategischen Management und den damit verbundenen Methoden für das Konzerthaus selbst eine Innovation dar. Entsprechend führt die folgende Darstellung vor den einzelnen Maßnahmen und Projekten auch Innovationen an, die Prinzipien des Handelns und grundlegende Praktiken der Organisation betreffen. Innovation in der Dimension des Marktes •

Öffnung: Das Konzerthaus Berlin unternimmt seit 2009 Anstrengungen, seine Besucherbasis zu verbreitern. Ein nicht-»bildungsbürgerliches« Publikum wurde unter der alten Leitung bis 2009 nicht ausgeschlossen, Bildung gehörte aber zu den Schlüsselbegriffen, die hinter dem Programm standen. Unter dem neuen Intendanten Nordmann wird ein kulturell nicht spezifisch gebildetes Publikum dagegen systematisch angesprochen. Wenn der Intendant davon spricht, alles müsse »leichter sein, leichter gehen, zugänglicher sein«, so bezeichnet er damit auch eine Verringerung der Eingangsvoraussetzungen. Neben dem »anspruchsvolle[n] Bildungsbürger« soll sich ein Publikum »vom Kind bis zur Oma« eingeladen fühlen. Dazu will Nordmann »die klassische Hemmschwelle« senken: »Es geht ja immer schon los mit der Frage, wie ziehe ich mich an? Wann darf ich klatschen? Um was geht es überhaupt?« Die Saisonbroschüre 2012/13, die programmatisch für die Intentionen des Konzerthauses steht, macht die neuen Eingangsvoraussetzungen für das Publikum deutlich.14 Wo der neue Chefdirigent Iván Fischer zu seinen moderierten Generalproben einlädt, geht er »erst einmal davon aus, dass jemand gänzlich unwissend« kommt (p. 16). Programmatisch formuliert der Dirigent: »Man muss nicht schon alles vorher wissen, sondern so offenherzig und unschuldig zuhören wie ein Kind. Die Musik ist eigentlich eine ständig

14 Konzerthaus Berlin (2012): Musik bewegt.

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hin und her wogende Gefühlswelt mit Hunderten von Schattierungen, Überraschungen und Kontrasten. Es geht also nicht darum, klug zu sein, sondern sich den Gefühlen, Emotionen und Launen der Musik hinzugeben.« (p. 14) Die Beschreibung des Education-Projekts »open your ears« beginnt mit der Bemerkung: »Neue Musik? Keine Sorge – so kompliziert ist das nicht.« Dem Vorsatz, auf ein weniger gebildetes Publikum zuzugehen, folgt auch die Kritik des Intendanten am »feuilletonistischen Anspruch« von Dramaturgen, die sagten, »ich breite mich jetzt mal aus« und dadurch »die Einführung fast komplizierter [machen] als das Stück selbst.« Auch die Dramaturgen müssten lernen, »verständlich zu reden, für das ganze Publikum.« Auf die im Vergleich zum Konzerthaus Frank Schneiders gesenkten Eingangsvoraussetzungen baut Nordmanns »Anspruch, das Publikum eine Stufe höher zu nehmen. […] Der Mensch muss das erstmal mögen und sagen, ›ich kann addieren, ich kann Mozart hören‹. Und irgendwann sollte er auch soweit kommen, dass er zeitgenössische Musik toll findet.« »Mehr wissen, mehr genießen«, postuliert die Programmbroschüre in diesem Sinn, und der Chefdirigent und die Dramaturgen versprechen »Informationen« zu Komponisten, zu deren Leben, zu den Umständen der Werkentstehung, zu Werken und Interpreten (pp. 14-17 und 34). Für das Programm einer Öffnung des Hauses steht auch der weitere Ausbau der Einblickmöglichkeiten und Führungen in das Gebäude hinein und durch dessen Räume. So wurde das Angebot einer Familienführung (ab fünf Jahre) einmal in jedem Monat eingeführt. Auf neu aufgestellten Großbildschirmen wird Tagesbesuchern im Eingangsbereich ein Imagefilm in deutscher und in englischer Sprache gezeigt. •

Einheit des Erlebens: Im Konzept des »Hauses« werden das Musikprogramm sowie die Service- und Erlebnisqualitäten nun zusammengefasst. In diesem Sinn ist die nach Kriterien eines strategischen Marketings neu gestaltete Programmbroschüre der Saison 2012/13 mit Schlüsselsignalen einer erlebnisorientierten Wahrnehmung angefüllt. An erster Stelle steht das Wort des Erlebnisses selbst: In verschiedenen Formen ist es auf 37 Textseiten insgesamt 16 Mal in die Texte eingebaut. Von »Vielfalt«, »Breite« und »Abwechslungsreichtum« ist 14 Mal die Rede, ergänzt durch die wiederholte Einladung zum »Entdecken«. Neun Mal »begeistern« die Angebote, sieben Mal werden sie als »spannend« bezeichnet, sieben Mal ist das Konzerthaus in Bewegung, oder es ist die Musik selbst, die bewegt. Nordmanns Pro-

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gramm, alles müsse »leichter sein, leichter gehen, zugänglicher sein«, bezeichnet daher auch die Arbeit an Wahrnehmungsqualitäten. •

Personalisierung: Der Intendant geht davon aus, dass sich musikalische Programme und Interpretationen an Teile des Publikums, selbst an Musikliebhaber, nur verkaufen lassen, wenn sie über Personen transportiert werden, über den »tollen Künstler«, wie er sagt, im Idealfall den Star. Entsprechend werden die Wahrnehmungsmodalitäten der Konzerthaus-Produkte gestaltet. In einigen Konzertformaten stellen sich Musiker selbst vor. In den Espresso-Konzerten etwa komme das ausgezeichnet an, sagt Nordmann: »Allein schon das Begrüßen des Publikums [….]. Und schon ist der Bann gebrochen, das Publikum ist auf deren Seite, und dann geht’s ab.« Formate wie das »Überraschungskonzert« des neuen Chefdirigenten, die EspressoKonzerte und die Lied-Recitals besitzen kein vorher veröffentlichtes Programm mehr, sondern bauen darauf, dass der jeweilige Leit-Musiker wie ein »Freund« (Iván Fischer) für die Musikstücke bürgt. Vom Prinzip der »Familie« spricht der Intendant im Zusammenhang mit den festivalartigen Schwerpunkten im Jahresprogramm. Diese können sich an Personen orientieren, wie dem ehemaligen Chedirigenten des Berliner Sinfonie-Orchesters Kurt Sanderling (Schwerpunkt in der Saison 2012/13) oder in der darauf folgenden Saison Leonard Bernstein, »weil der damals die große Neunte hier gespielt hat zum Mauerfall. Das hat niemand, diese Hommage-Festivals. Und es gibt immer Familie dazu, es gibt Schüler des Dirigenten […].« In diesem Sinn lässt sich auch sagen, das unter Frank Schneider eingeführte Angebot eines Artist in Residence sei unter der neuen Intendanz zu sich selbst gekommen und Teil eines Gesamtkonzepts geworden mit seinem Qualitätsversprechen und seinem »Glamour-Effekt« (Nordmann). Personalisierung spielt auch in der Abgrenzung zu den Berliner Philharmonikern eine strategische Rolle. Der Annahme, die international agierenden Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle wirkten auf einen Teil der Öffentlichkeit elitär und unnahbar, setzt das Konzerthaus das eigene »lebendige, offene Orchester« entgegen. Dessen Intendant Nordmann arbeitet an der Herstellung des Eindrucks, »dass man den Menschen kennt, der dort spielt«. So wird zum Zeitpunkt der Befragung 2012 mit jedem Musiker des Konzerthaus-Orchesters ein Profil erarbeitet, das dem Publikum online zugänglich gemacht wird. Zur Herstellung eines Eindrucks persönlicher Nähe gehört auch, dass das Publikum im Anschluss an jedes Abonnement-Konzert in einer Gesprächsveranstaltung Gelegenheit erhält,

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dem Dirigenten, einem Solisten oder einem entscheidenden Orchestermusiker als Person näher zu kommen. Zu dieser Praxis gehört, dass »Musiker nach dem Konzert auch mal durch das Publikum gehen« (Nordmann). •

Customer Relationship Management. Im Zusammenhang seiner Strategie der Orientierung am Kunden versucht das Konzerthaus, Techniken eines digitalen Kundenmanagements systematisch einzuführen. Internet-basierte Techniken etwa des Kartenbuchens sind im Rahmen ihrer Diffusion in Kulturorganisationen in den letzten Jahren nach und nach im Konzerthaus eingeführt worden. Der derzeit versuchte qualitative Sprung liegt darin, den Service am Kunden, die Information des Kunden und die Information über den Kunden systematisch zusammenzufassen. Durch jede elektronische Buchung und jede Kommunikation mit einem Kunden entstehen Informationen, etwa über dessen musikalische Interessen und praktische Vorlieben, die sich auswerten und anschließend wieder für die Ansprache des Kunden und für personalisierte Angebote nutzen lassen. Davon verspricht sich der Intendant, eine Intensivierung der Kundenbeziehung im Sinn des audience deepening. Sei der Käufer einer Karte erst einmal im System, so sei er in der Folge, nach den Worten Nordmanns, »relativ schnell auf vier Karten oder ein Abo zu holen. […] Wir müssen nur wissen, wer da hin will. So muss man den Kunden erst einmal überhaupt begreifen und fassen.« Zur Zeit der Befragung in der zweiten Hälfte 2012 arbeitet das Konzerthaus an mehreren Mitteln eines solchen vernetzten Kundenmanagements. So gibt es seit der Spielzeit 2012/13 erstmals eine Kundenkarte, die auf der einen Seite für wiederholte Buchungen Belohnungen, Incentives verspricht und auf der anderen Seite Informationen über den Wiederholungs-Besucher sammelt und es auf dieser Basis erlaubt, bei Gelegenheit einer Kartenbuchung gezielt weitere Konzerte zu empfehlen. Ihr soll im Jahr 2013 ein »Online-Konto« folgen, auf dem der Kunde seinen Stand im IncentiveProgramm prüfen kann. Innerhalb der gleichen Strategie werden das Internet und besonders soziale Medien durch das Konzerthaus genutzt. Die Besucher der Facebook-Seite werden dabei als potenzielle Besucher des Hauses und seiner Veranstaltungen verstanden. Seit der Saison 2012/13 hat das Haus eine neue Homepage, auf der etwa das Buchungssystem und eine virtuelle Einsicht in das Haus miteinander verbunden sind; für jeden Sitzplatz gibt es eine Vorschau der jeweiligen Sicht auf die Bühne. Bei jedem Kanal, so der Intendant, werde jetzt überlegt, »wie wir neu an die Adresse kommen und wie das dann gepflegt wird. Wir müssen rausbekommen: Das ist ein

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Ehepaar, die gehen gerne in Generalproben – ja, dann schenken wir denen doch eine Karte. Oder er sagt, er will unbedingt danach noch eine CD signiert bekommen, er will den Künstlerkontakt – haben wir ja auch.« •

Mit der Kundenkarte geht eine Neudefinition des Abonnenten einher. Eine Erweiterung des Abonnentenstamms von ca. 7000 Personen (12.000 Abonnements) hält der neue Intendant wegen der schon von seinen Vorgängern erkannten Flexibilisierungstendenzen im Verhalten der Verbraucher für schwierig. An Stelle des klassischen Abonnenten zielen die neuen Marketinginstrumente nun auf den »Vielkäufer«, der sich erst wenige Tage vor dem Konzert zum Besuch entscheidet. »Warum«, so fragt der Intendant »ist jemand nicht wichtig, der vier Mal ins Konzert geht, mehr Geld ausgibt als ein Abonnent, und auch treu ist?« Im traditionellen Verkauf an der Abendkasse blieben solche Nutzer anonym. Mittel wie die Kundenkarte erlauben es nun, mit ihm zu kommunizieren, Einfluss auf sein Nutzungsverhalten zu nehmen und eine Beziehung aufzubauen.



Nutzungs-Qualität des Hauses. Im Sinn des für die Erlebniswirtschaft entwickelten Prinzips einer planvollen Dramaturgie und Inszenierung des Konsumptionsprozesses überprüft das Konzerthaus-Management jeden einzelnen Handlungsschritt seiner Besucher von der Buchung bis zum Verlassen des Hauses auf die Möglichkeit, zu einem als positiv wahrgenommenen Erlebnis beizutragen. »Das Haus so machen, dass der Mensch, der dort reingeht, sich wohlfühlt«, so beschreibt der Intendant das Programm. Dem Kauf der Eintrittskarte an der Kasse oder über ein Buchungsportal wurde in den vergangenen Jahren die Möglichkeit hinzugefügt, Eintrittskarten zu Hause auszudrucken; nächstes Ziel des Intendanten ist es, dies über Mobiltelefone abzuwickeln. Die Kassen im Untergeschoss des Konzerthauses sind dann »ein Überbleibsel. Ich sehe eine Beratung, eine Tischsituation, gemütlich, wo man sich über Abos unterhalten kann.« Hat sich der Besucher erst einmal Eintritt verschafft, arbeitet das Konzerthaus daran, dass er nirgends lange anstehen muss, als erstes, dass die Garderobe zugänglich ist. In den Worten des Intendanten: »Geradeaus wird jetzt ein neuer Infotresen stehen mit einer riesigen Leinwand im Hintergrund, wo die wichtigsten Informationen draufstehen. Man hat vorne per Touchscreen die Möglichkeit, virtuell durchs Haus zu gehen, um schonmal zu sehen, wo will ich überhaupt hin.« Um dem Eindruck der Leere und einer unangenehmen Halligkeit entgegenzuwirken, wurden in den Foyers zwischen den Sälen Tresen aufgestellt, an

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denen man gewissermaßen andocken und Getränke erwerben kann. Nach den Vorstellungen des Intendanten entsteht dadurch eine »Atmosphäre der Gemütlichkeit«. Die Wartezeiten zum Beispiel beim Erwerb eines Getränkes werden gemessen, die Betriebsabläufe beschleunigt. »Wir haben also«, sagt Sebastian Nordmann, »mehr Möglichkeiten, die Leute zu bedienen, und es ist vor allem eine wärmere Atmosphäre in dieser Betreuung.« Kurzeinführungen in die Musikprogramme von zehn Minuten Dauer wurden eingeführt, zum Zeitpunkt der Befragung im Jahr 2012 werden auch die Programmhefte neu aufbereitet. Der neue Intendant rühmt die unter Lothar Zagrosek und Frank Schneider in Angriff genommene bauliche Verbesserung der Akustik im großen Saal und führt den Plan einer erneuerten Beleuchtung zu Ende. So wurde das Licht im großen Saal »wärmer geschaltet«. Die Abfolge der Lichtqualitäten wurde so geändert, »dass das Publikum fast inszeniert wird«, Orchester und Solisten werden von der Saalbeleuchtung nicht mehr geblendet. •

Veranstaltungs-Formate sind unter den Leitideen der Öffnung, der Personalisierung, der Erhöhung von Zugänglichkeit verändert oder neu eingeführt worden. Die Espresso-Konzerte, 2006 noch in Planung, wurden zwischenzeitlich eingeführt. Sie bilden ein weniger formelles Format als die abendlichen Sinfoniekonzerte. Das Konzerthaus stellt junge Musiker aus seiner Orchesterakademie vor, auch Studierende der Universität der Künste und Preisträger von Stiftungen können auftreten. Das Programm wird erst während des Konzerts bekannt gegeben. Der Eintritt liegt unter zehn Euro, dazu gibt es einen Espresso. Liederabende sind unter dem Titel »Ein Abend mit« auf die Persönlichkeit des Vortragenden hin neu formatiert worden. Wie schon seine Vorgänger, bemerkte auch Nordmann, »dass der Liederabend hier nicht mehr ging«. Als ein Hauptproblem bei jüngeren Hörern identifizierte Nordmann, dass diese »die Texte schon gar nicht mehr verstehen«. Auch das Ritual, »das Stehen am Flügel und eigentlich die immer gleiche Gestik und immer der gleiche Ausdruck oder Blick« zehrten an der Attraktivität des Genres: »Das lebt nicht mehr, das ist zu steif.« Von den Sängern wird nun verlangt, den Vortragsstoff und die Gattung über den Gesangsvortrag hinaus zu vermitteln. Auch hier wird das Programm nicht vor dem Konzert bekannt gegeben; Prominenz oder Ausstrahlung des Sängers müssen das Interesse eines

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Publikums wecken. Das Angebot hat 180 neue Abonnenten angezogen; nach dem ersten Jahr wertet der Intendant das Format als Erfolg. Einem ähnlichen geselligen Prinzip folgt der Beethoven-Salon. Im akustisch renovierten Beethoven-Saal (er hatte früher sehr viel Nachhall) führen die Musiker des Konzerthausorchesters samstagnachmittags Kammermusik auf. Die Musiker können moderieren oder in ihre Stücke einführen. Gedacht ist, eine »Salon-Atmosphäre wie zur Beethoven-Zeit« zu erzeugen. Eingeführt durch den Festival-Manager Markus Fein bietet das Konzerthaus »Zwei Mal Hören« an, ein neues Format für zeitgenössische Musik. Werke werden dabei moderiert und nach Einsichtnahme, gelegentlich auch durch ein Gespräch mit dem Komponisten, ein zweites Mal gespielt. Auch mit der Öffnung der Generalproben des Chefdirigenten für das Publikum wird ein Format neu angeboten, das im Vergleich zum abendlichen Sinfoniekonzert eine didaktische Verbindung (oder Distanz) zum Musizieren und zur Musik herstellt. Dem Interessierten wird ein Fenster zu einer Innensicht der Werke und des Musizierens geöffnet, insofern handelt es sich auch hier um ein Durchbrechen der »Kruste«. Gleichzeitig ist der Besuch der Generalproben gegen einen geringen Eintritt auf eine Stunde am Mittag beschränkt, sodass für die konzertante Aufführung am Abend, für das Ereignis der Kunst, Geheimnisse bleiben. Um ein Gesprächsformat mit Musik handelt es sich bei der Talk-Runde »Thomas Quasthoffs Nachtgespräch«. Nach dem Ende seiner Sänger-Karriere lädt Quasthoff »Freunde« zum öffentlichen Gespräch ein. Junge Musiker spielen, Quasthoff stellt sie vor, das Publikum kann Fragen stellen. Die Talkrunden beginnen um 21.30 Uhr, also später als das klassische Sinfoniekonzert, und mit einer Dauer von ungefähr 70 Minuten sind sie auch kürzer. Das Beispiel der Espresso-Konzerte, der Beethoven-Salons und der Talk-Runde zeigen, dass innovative Konzertformate auch durch eine Veränderung von Zeiten und Orten entstehen. Der zum »Musikfest am Gendarmenmarkt« entwickelte Tag der offenen Tür greift über die Außenmauern des Konzerthauses sogar hinaus und bezieht die stadträumliche Nachbarschaft mit ein. In manchen Fällen wird auch die performative Ordnung der Räume verändert, etwa indem Publikum auf der Bühne platziert wird oder um die Musiker herum sitzt. In der Saison 2013/14 ist ein Format geplant, bei dem die Sitze im großen Saal ausgebaut wer-

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den. Das Orchester spielt im Saal, das Publikum soll zwischen den Musikern stehen und sitzen. So soll es die Werke einmal in anderer räumlicher Gestalt, aus dem »Inneren« des Orchesters heraus erleben können. Nordmann adaptiert das Format, sein Haus hat es nicht erfunden. Als ehemaligem Manager von Festivals, die in Flächenländern an verschiedenartigen Orten spielen, ist ihm die Idee nicht-institutioneller Veranstaltungsformate und festlicher Ausnahmesituationen jedoch vertraut. »Vielfalt« und »Breite«, Schlüsselbegriffe von Nordmanns Konzept, stellen sich auch in der räumlich und zeitlich extensivierten und differenzierten Nutzung des Konzerthauses dar. Der im November 2012 erstmals veranstaltete Beethoven-Marathon stellt in Hinsicht auf das Konzerthaus als räumlich und zeitlich entgrenzte FestivalLandschaft das extensivste Format dar. Einen ganzen Tag lang bekommt das Publikum in allen Sälen Musik von Beethoven vorgespielt, darunter sämtliche Klaviersonaten. Neben dem Konzerthausorchester spielen die Dresdner Philharmonie und prominente Solisten sinfonische Musik Beethovens. Zumindest bei den solistisch oder kammermusikalisch besetzten Veranstaltungen sind die Besucher nicht verpflichtet, die Programme von Anfang bis Ende anzuhören; die Räume zu verlassen und weiterzuziehen, steht ihnen frei. Nach Auskunft des Intendanten stellt dieses Format den Versuch dar, etwas »für die Masse« und dabei Qualität zu bieten. Das Verhältnis von Zentrum (das am Gendarmenmarkt stehende Konzerthaus) und Stadtraum wird durch die neue Reihe der Kiez-Konzerte neu zu bestimmen versucht. In einer Umkehrung der üblichen Bewegungsrichtung sind es in diesen Konzerten Musiker des Konzerthausorchesters, die sich auf den Weg in die Quartiere machen, um dort ein Publikum für ihre Kunst zu suchen. Die neue Konzertreihe stellt damit einen weiteren Ausdruck des Vorsatzes dar, Distanz zu verringern und den Weg durch die »Kruste« zu erleichtern – in diesem Fall, indem das Konzerthaus der Öffentlichkeit physisch entgegenkommt. Die Herstellung von Präsenz in den Quartieren der Stadt lässt sich überdies als Form des Aufmerksamkeitsmanagements und damit als Mittel des Marketing verstehen. Noch im Konzept-Stadium befindet sich bei den Gesprächen im Jahr 2012 ein Format, das Nordmann »Klassisch?« nennt. Darin sollen auch Weltmusik und Jazz eine Rolle spielen. »Ich möchte uns definieren lassen«, sagt Nordmann, »als Veranstalter, und das Publikum, ist das noch Klassik?«

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Nach Überzeugung des Intendanten »passt dieses Randgebiet auf hohem Niveau« auch in ein Konzerthaus. Insgesamt entsteht der Eindruck, als habe es zur Zeit der Befragung im Jahr 2006 mehr Innovationen im Projektstadium und Vorüberlegungen gegeben als im Jahr 2012. Das kann an einer größeren Diskretion des neuen Intendanten bei der Befragung liegen. Nach den ersten drei Jahren seines Umbaus sieht er aber auch die Zeit gekommen, die zahlreich vorgenommenen Veränderungen zu festigen. »Ich will«, so sagt er, »nicht jedes Jahr alles wieder neu machen. Drei Jahre habe ich das gemacht, […] jetzt will ich die Konsolidierung. Auf längere Sicht denkt der Intendant über den Aufbau eines externen Standorts für das Konzerthausorchester nach, so, wie es etwa die Berliner Philharmoniker mit Salzburg getan haben und seit 2013 mit Baden-Baden tun. »Wenn wir da draußen glänzen«, so Nordmanns Kalkül, »gewinnen wir ein ganz anderes standing auch in der Berliner Politik und bei unserem Publikum in Berlin, die dann sagen: Wow, die waren gerade drei Wochen in Amerika«. Es sei »eine Mischung aus Bestpractice-Denken und einem emotionalen Element, dass es einen Ort gibt, auf den man sich immer schon freut, wo man vielleicht die Familie mitnimmt, so ein Camp«. In einem ähnlichen Sinn beschäftigt sich das Konzerthaus mit der Idee, ein Programmkonzept gemeinsam mit einem anderen Konzerthaus zu realisieren, sich gegenseitig einzuladen, Orchester und Artists-in-Residence auszutauschen. Abgeschafft hat der neue Intendant dagegen das vom früheren Chefdirigenten Zagrosek eingeführte Format des von den Londoner Proms inspirierten SaisonEröffnungskonzertes mit ausgebauten Sitzreihen und Publikumsorchester. Die Konzerte hätten sich schlecht verkauft, das Publikum sei nicht wirklich mitgegangen, viele Besucher hätten sich gewünscht, sitzen zu können, sagt Nordmann. Abgeschafft wurden auch die halbszenischen Opernaufführungen Zagroseks – wegen der hohen Kosten (für die sie im Haus von Anfang an umstritten waren) und weil sie angesichts der Konkurrenz dreier Opernhäuser in Berlin zum Kerngeschäft nicht passten. Innovation in der Dimension des Sozialen Innerhalb der sozialen Handlungsdimension, so lautete unsere Definition, versucht die Kulturorganisation, breiteren Schichten den Zugang zu den Künsten zu eröffnen, breiten Schichten Möglichkeiten der Partizipation am öffentlichen Leben zu geben, Verständnis und Interesse für ihre Sache zu wecken und sich als wertvoller Teil des sie tragenden Gemeinwesens zu profilieren. Zumindest die

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ersten beiden Motive lassen sich für die Erklärung des Programms der Öffnung, der Verbreiterung, der Erleichterung des Zugangs zur Musik heranziehen, die für das Konzerthaus ab dem Jahr 2009 innovatorische Ansätze darstellen. Ob man über die Arbeit an einer Öffnung, an der Senkung der Eingangsvoraussetzungen, an der Verbreiterung der Publikumsbasis innerhalb der Dimension des Sozialen oder innerhalb der Dimension des Marktes spricht, ist eine Frage des Interesses, die beiden heuristischen Kategorien schließen einander nicht aus. In unserer Darstellung fällt die Entscheidung zugunsten der Dimension des Marktes, weil der Intendant als das strategische Motiv die Verbesserung der Performanz am Markt benennt: »Die Frage war, wie kriegen wir das hin, dass wir wieder mehr Besucher bekommen?« Dass die Werke der Musik nun weniger als etwas erscheinen, dem man gegenübertritt, sondern mehr als Kristallisationsgegenstand, um den sich eine urbane Geselligkeit anlagert, ist als Folge von Nordmanns angebotsseitiger Innovation dennoch bedeutsam. Mit Formaten wie Thomas Quasthoffs spätabendlicher Talkrunde kommt das Konzerthaus dem 2006 vom damaligen Chefdirigenten Zagrosek formulierten Wunsch, zum »Treffpunkt der Zivilgesellschaft« zu werden, jedenfalls näher. Die meisten der als projekthaft eingrenzbaren Innovationen der Ära Schneider, vor allem die unter Schneider ins Leben gerufenen Schul- und Jugendprojekte, werden vom Konzerthaus Nordmanns weitergeführt. Das Ehrenamtlichen-Programm hat sich etabliert. So erscheint als einzige projekthafte Innovation in der Dimension des Sozialen das seit der Saison 2011/12 bestehende, auf drei Jahre und 2000 Teilnehmer angelegte Education-Programm: •

Konzerthaus meets Gropiusstadt. Musikprojekte mit Kindern und Jugendlichen, auch mit Kindern und Jugendlichen aus kulturell weniger reich ausgestatteten sozialen Umfeldern, sind im Konzerthaus nicht neu. Neu ist, dass diesmal ein ganzes Stadtquartier den Bezugspunkt bildet und nicht, wie es inzwischen etablierte Praxis ist, eine Kindertagesstätte oder eine Schule. Was das Konzerthaus den Schülerinnen und Schülern der Klassen eins bis 13 näher bringen möchte, ist der eigentliche Gegenstand seiner Arbeit und sein Hauptprodukt, die, wie es unter Nordmann heißt, »klassische Musik«. Sie wird in das Quartier im Bezirk Neukölln transportiert, und umgekehrt werden die Schüler in das Konzerthaus zu Führungen, zu Gesprächen mit Musikern, zu Proben- und Aufführungsbesuchen eingeladen. Realisiert wird das Projekt gemeinsam mit dem Berliner Wohnungsunternehmen Degewo.

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Was für die Handlungsdimension des Sozialen gesagt wurde, gilt auch für die Dimensionen der Kunst, der Leistung und des Finanziellen: Der von Nordmann seit seinem Amtsantritt 2009 ausgelöste Innovationsschub hat seine Motive und Ziele primär in der Dimension des Marktes, in den anderen Handlungsdimensionen wirken sich innovatorische Prozesse aus. Uraufführungen lassen sich weiter im Programm des Konzerthauses finden, aber Investitionen in neue Werke spielen gegenwärtig keine zentrale Rolle im Programm und in der Selbstdarstellung.15 Investiert wird in Stars. In den Worten des Intendanten: »Stars kosten zunächst vielleicht mehr Geld, aber das ist ein Konzept des return on investment. Wenn ich einen hole, kostet der mehr, aber ich kann auch mehr einnehmen.« Wenn man will, wird mit dem vermehrten Engagement von Markennamen für die Öffentlichkeit ein Zeichen im Sinn der Leistungs-Dimension gesetzt. Im Bereich des Finanziellen setzt sich der Trend, Einkommen aus Vermietung und Sponsoring zu gewinnen, fort. Nordmann hat gegenüber seinem Vorgänger die Suche nach Sponsorengeldern intensiviert, doch wie dieser legt auch er Wert auf die Feststellung, erst müsse das Programm entwickelt und dann nach der Finanzierung gesucht werden. Als einzige Innovation in der Handlungsdimension des Finanziellen – mit Auswirkungen auf die Dimension der Kunst – erscheint die Gründung der •

Orchesterakademie im Januar 2010. Orchesterakademien gibt es in zahlreichen Orchestern und in Einzelfällen gibt es sie seit Langem – die Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker feierte im Dezember 2012 ihr 40-jähriges Bestehen. Als gemeinnütziges Ziel wird auch im Konzerthaus die Förderung des musikalischen Nachwuchses genannt. Realisiert wird es mit Hilfe von Stipendien für eine Dauer von mindestens einem Jahr. Die Akademisten werden durch Musiker des Konzerthausorchesters, ihre Mentoren, unterrichtet und in die Spielpraxis des Orchesters eingeführt. Gleichzeitig spielen sie im Orchester neben den fest angestellten Musikern, und wie diese wirken sie in den Education-Projekten mit. Im Prinzip funktioniert eine Akademie also wie ein Volontariat, die Akademisten erhalten in Form des »Stipendiums« ein kleines Gehalt. Weil sie Orchesterdienste leisten und ihr Stipendium unter dem Gehalt eines angestellten Orchestermusikers liegt und weil überdies die Stipendien zu knapp 43 Prozent durch den Förderverein des Konzerthauses drittfinanziert werden, lassen sie sich als Innovation

15 Im Programm der Spielzeit 2012/13 sind vier Uraufführungen verzeichnet. Davon wird eine durch das Konzerthausorchester realisiert, drei werden von spezialisierten Ensembles gespielt.

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in der Dimension des Finanziellen interpretieren. In den Dimensionen des Künstlerischen und der Leistung erfüllt die Orchesterakademie eine Funktion als Instrument der Rekrutierung, der Selektion – Kandidaten für Orchesterstellen lassen sich über längere Zeiträume in der Praxis beobachten – und der Sozialisation neuer Orchestermitglieder. 1.5 Der Prozess der Innovation Auch wenn die künstlerische Direktorin in der Befragung 2006 die Überzeugung äußert, das Konzerthaus müsse angesichts der Konkurrenz und der Rahmenbedingungen »eben neue Ideen entwickeln« und sich »wegbewegen von dem etwas biederen Ambiente«, erscheint die Haltung des Managements zum Thema Innovation unter der Intendanz Frank Schneiders ambivalent. Der Verwaltungsdirektor etwa setzt sich für die Weiterentwicklung des Hauses im Sinn eines Dienstleisters ein, Institutionen der ernsten Musik jedoch sieht er »angelegt auf Konservierung«, und allein den Status quo zu retten sei, wie schon zitiert, »eine wahnsinnige Aufgabe«. Der Intendant selbst geht »davon aus, dass sich alles peu à peu verbessert«, größere Veränderungen jedoch erwartet er vor seiner Emeritierung nicht mehr. So arbeitet Schneiders Haus an neuen Service-Angeboten, an neuen Veranstaltungsformaten, an den Aufenthaltsqualitäten, am Ausbau seiner Leistungsfähigkeit bei Produktion und Vermietung. Gleichzeitig bewegt sich das Management auf jenen Pfaden fort, hält es an jenen Überzeugungen fest, die es in eine Lage geführt haben, in der nun das Gefühl entsteht, Veränderung sei eine Frage des Überlebens. Eine Schwierigkeit bei der Entwicklung und bei der Aneignung von Innovationen ist, dass es im Jahr 2006 keine Definition von Erfolg und daher auch keine Definition von Zielen gibt, die von allen in der Organisation geteilt würden. Diese Beobachtung wird sowohl vom Verwaltungsdirektor geäußert, der für pragmatische Veränderungen eintritt, als auch vom Chefdirigenten, der aus einem klassisch modernen Kunst-Verständnis heraus handelt. Je nach Standpunkt wird der Erfolg nach der eigenen Einschätzung der künstlerischen Ergebnisse bestimmt, nach der Intensität des Applauses, nach dem Urteil der Presse, nach der Größe des Publikums, nach dem Umfang von Sponsorengeldern, nach den Verhältnissen zwischen Kosten und Einnahmen oder von Kosten und Besucherzahl. Der Verwaltungsdirektor klagt, eine Bewertung der künstlerischen Tätigkeit nach Kriterien eines instrumentell denkenden Managements, besonders nach finanziellen Parametern, sei in der Organisation »nicht gewollt«. In seinen Augen ist ein Wandel als solcher nicht willkommen. In gewisser Weise bestätigt das der Intendant, wenn er sagt, es sei ihm »nicht wichtig, dass jeder Saal hun-

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dertprozentig ausgelastet ist«. Impliziert wird in solchen Äußerungen, der künstlerische Wert einer Veranstaltung besitze Priorität vor dem Publikumserfolg, überhaupt vor der Meinung der nicht-fachlichen Öffentlichkeit. Der in zahlreichen Äußerungen dokumentierte Gegensatz zwischen »Kunst« und »Kommerz« oder auch, wie die künstlerische Direktorin einmal sagt, »der natürliche Konflikt zwischen Verwaltung und Kunst«, scheinen die Arbeit der Organisation strukturell zu prägen. So kann der Eindruck entstehen, als arbeite das Konzerthaus mit der Innovation eine fremde, fremdbestimmte Agenda ab. Hinzu kommen unterschiedliche Interessen zwischen dem Management und Teilen der Belegschaft. Immer wieder beklagen Mitglieder der Leitung, dass eine »Menge von Leuten« im Konzerthaus arbeite, »die nicht in die Konzerte gehen« sowie das »Desinteresse der Mitarbeiter an dem, was wir künstlerisch tun«. 80 Prozent der Mitarbeiter seien unkündbar, und viele verhielten sich »entsprechend«. Die Befragung im Jahr 2006 fällt in eine Zeit, in der das Land Berlin die Tarifgemeinschaft der Länder verlassen hat und die öffentlich Bediensteten Einkommenseinbußen hinnehmen müssen; Schwierigkeiten mit der Motivation gibt es nicht nur im Konzerthaus. Was aber die Frage von Innovation anbelangt, verweisen die Mitglieder der Konzerthaus-Führung auch auf ein Problem unterschiedlicher Arbeitskulturen in ihrer Organisation. Der Intendant deutet das Phänomen an, wenn er äußert, das Verkaufspersonal müsste ein spezielles VerkaufsTraining erhalten. Die Mitarbeiterinnen seien zu DDR-Zeiten eingestellt worden, »eigentlich sind die falsch als Typ«. Die »Mentalität aus alter Zeit«, aus der Zeit der sozialistischen Staatsbürokratie, benennt auch der damals neu aus Stuttgart gekommene Chefdirigent als Hindernis für Innovation im Haus, viele Mitarbeiter hätten »bisher keine neuen Aufgabenstellungen gefunden«. Auch an dieser Stelle setzt der neue Intendant nach seiner Ankunft im Jahr 2009 einen Kulturwandel ins Werk. Sebastian Nordmanns »Denken vom Publikum her« bedeutet eine Orientierung des Angebots an vorhandenen und möglichen Nachfragern und steht in der Perspektive des »Verkaufens«, und um hier Erfolg zu haben, versucht er, eine einheitliche Kultur des Arbeitens herzustellen. Dazu musste Nordmann viele Mitarbeiter erst einmal »gewinnen«, wie er sagt, und ihnen ein Gefühl der Eignerschaft am Haus vermitteln. Ziel ist, dass »wir alle die klassische Musik hier leben«. Nordmann will »Liebe und Freude für die klassische Musik bei allen wecken, die hier arbeiten, und dann beim Publikum. […] Jeder, bis zum Techniker, bis zum Kartenverkäufer, muss dieses Konzert kennen, muss die Möglichkeit haben, die Künstler, das Programm, das wir hier erarbeiten, wirklich zu verstehen und rüberzubringen.« Die parallele Perspektive auf die Mitarbeiter und auf das Publikum findet sich wieder, wenn der Intendant sagt, das »Wohlfühlen« betreffe »nicht nur unsere Kunden, sondern auch die

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Mitarbeiter«. Das Argument zielt auf jene »emotionale Arbeit«, die nach der Darstellung Zomerdijks und Voss’ in erlebnisorientierten Dienstleistungen verrichtet wird, wenn Mitarbeiter auf persönliche Art mit den Kunden interagieren, und die in besonderem Maß zur Kundenzufriedenheit beitragen kann.16 Darüber hinaus scheint der Intendant davon auszugehen, Belegschaft und Publikum teilten die gleichen kulturellen Präferenzen. Dass Mitarbeiter sich nicht für das musikalische Geschehen interessierten, habe sich mit den Stars geändert, die er in das Haus geholt habe. Als etwa der Pianist Fazil Say Artist-in-Residence gewesen sei, »kamen unsere ganzen Mitarbeiter, weil der eben so ein Typ ist«. Dass man die Mitarbeiter zur Identifikation mit dem Haus nicht »zwingen« könne, räumt auch Nordmann ein. Anders als seine Vorgänger verfolgt er sein Ziel jedoch methodisch. Die bis ins Jahr 2012 entwickelte strategische Markenplattform zielt mit der Frage »Wie wollen wir sein?« zu erst auf die Identität des Hauses und dann auf deren Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. Daher soll, wie der Intendant sagt, die Markenidee, »klassische Musik« zu einem »lebendigen Ereignis für Herz, Seele, Geist« zu machen, »vor allem in mein Team reingehen«. Um das zu erreichen, sucht er von Anfang an das Gespräch »mit jedem Musiker, mit jedem Mitarbeiter«. In diesem internen Konsultationsprozess führte der Intendant standardisierte Einzelinterviews mit einem Teil der Orchestermusiker, anschließend veranstaltete er einen Workshop für das gesamte Orchester, »wo wir definiert haben: Wer sind wir eigentlich? Was will das Orchester? Wie definiert es sich selbst?« Wie zuvor schon bei den Veranstaltungsformaten erkennbar, mischen sich institutionelle Umgangsformen und, von seinen FestivalErfahrungen angeregt, der Schwung festlicher Ausnahmesituationen auch in Nordmanns Umgang mit der Belegschaft. Einzelne Abteilungen wie die »Kassenrunde« habe er einmal im Monat über jedes Konzert informiert, »um die einfach anzustecken, um die zu infizieren mit diesem Virus, wie ich das beim Schleswig-Holstein-Festival kennen gelernt habe, von Lennie Bernstein auch, der jedes Mal, bevor er ein Stück mit seinem Orchester geprobt hat, erstmal mit

16 Zomerdijk/Voss 2010: 69. Die Autoren fahren unter Berufung auf die Forschungsliteratur fort: »One form of emotional labor is the creation of rapport […]. Rapport relates to enjoyable interactions, including feelings of care and friendliness and personal connections based on psychological similarity or a genuine interest in the other party. It also involves the conveying of authentic understanding, which is particularly important in extended, affective, and intimate service encounters […]. Authentic understanding is achieved when service providers and clients engage in self-revelation, expend emotional energy, and connect as individuals rather than simply performing their respective roles […].«

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denen geredet hat und gefragt hat, was versteht ihr überhaupt darüber?« Seinem Ziel sähe sich Nordmann näher gekommen, wenn es mit der Belegschaft gelänge, »so einen Fan-Klub zu bilden – wir haben ein Orchester, das ist unser Team, und die müssen wir unterstützen. Ich hätte auch gerne eine Diskussion hier im Haus über das Konzert des vorigen Abends … und nicht die Diskussion, was schlecht ist.« Analog zum Umgang und zum Verhältnis mit den Mitarbeitern gestaltet sich unter den beiden unterschiedlichen Intendanzen der Prozess der Innovation im Konzerthaus. Bei der Befragung der Führungskräfte im Jahr 2006 gibt es Klagen über starre Strukturen, über quasi-monarchische Strukturen, über »Strukturen der Unzulänglichkeit«; vieles gehe zu langsam, Impulse kämen eher nicht von Mitarbeitern. »Ritualisierte Formen« der Strategiefindung und Innovationsentwicklung gebe es nicht, auch keine förmlichen Kreativitätstechniken oder -Methoden. Das Prinzip der Balanced Scorecard sei abgelehnt worden, erzählt der Verwaltungsdirektor, weil es keine Einigkeit über Performanzkriterien und deren Messbarkeit gegeben habe. Vieles entstehe dagegen aus Diskussionen im Leitungsteam, zum Teil auch mit den Dramaturgen. Wer an solchen Diskussionen jeweils beteiligt sei, hänge von dem Bereich ab, in dem etwas verändert werden solle; werde ein Projekt verfolgt, würden Spezialisten aus dem Haus eingebunden. Eine Rolle im Innovationsprozess spielen individuelle Ressourcen. So besucht der Verwaltungsdirektor am Ende der Ära Schneider jährliche Fortbildungen zum Thema Change Management. Einzelne Vorschläge kommen aus dem »Mittelbau« des Konzerthauses, vom Orchestermanager, von der Kassenleiterin, vom Abteilungsleiter der technischen Bereiche. Als Ressource für den Innovationsprozess erweist sich auch der Freundeskreis des Konzerthauses, aus dem die Initiative zum Aufbau des Ehrenamts-Projektes kommt. Über seinen engeren Zuständigkeitsbereich hinaus scheint der damals neu engagierte Chefdirigent Impulse eingebracht zu haben. Von ihm wird erzählt, er sei in vielen Teambesprechungen im Haus anwesend. Er selbst sagt, er führe mit allen Abteilungen Gespräche, um Dinge anzustoßen, die mit großer Nachhaltigkeit wirken sollten. Die Anregung von Innovationen, die Generierung von Ideen sieht der Dirigent als »absolut meine Funktion«. Input zum Thema Strategie und Innovation wurde auch durch das Engagement einer kleinen, auf Kultur spezialisierten Unternehmensberatung ins Haus geholt, von der in unserer Befragung berichtet wird, sie habe »ein wenig in diese Richtung zu arbeiten versucht«, die Bereitschaft zur Beteiligung sei aber »nicht bei allen« vorhanden gewesen. Die neue Intendanz Sebastian Nordmanns hat seit 2009 Systematik auch in Hinsicht auf den Strategie- und Innovationsprozess in das Konzerthaus gebracht. Der eher widerstrebend empfangenen Unternehmensberatung unter seinem Vor-

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gänger folgte nun die Einladung an eine weltweit führende Beratungsfirma, der Nordmann früher einmal angehörte. Die Zusammenarbeit bewertet der Intendant als Erfolg; die gemeinsam angefertigte Studie enthalte so viele Anregungen, dass man sie »gar nicht alle in drei Jahren umsetzen kann«. Die zentrale Rolle bei der Generierung von Ideen spielt darin die Methode des Benchmarking. »Wir haben nicht gesagt, wir müssen das Rad neu erfinden«, sagt der Intendant: »Das Wiener Konzerthaus zum Beispiel hat viel früher als wir diesen Change gemacht. […] Das war schon ein Vorbild.« Eine weitere Methode zur Generierung von Innovation liegt in der Durchbrechung von Routinen des Vorstellens und Planens. Als Beispiel nennt der Intendant die Arbeit am Format der Orgelkonzerte im großen Saal: »Eine Orgelreihe heißt, mit bestimmten Daten erstmal zu hantieren – wann gehen die Leute in Orgelkonzerte? – und dann zu überlegen, wie viel kann ich denen jetzt programmatisch zumuten, oder wann kann ich welches Publikum mit Orgelmusik gewinnen. Sodass man sagt, es kommen nicht immer die gleichen 180 Leute zu einem Orgelkonzert, sondern wir haben an einem 25. Dezember morgens um elf Uhr auch mal 1800 Leute da sitzen – warum denn nicht?«

Wurden unter der alten Intendanz Projekte meist innerhalb der Horizonte der Fachabteilungen entwickelt, so organisiert Nordmann permanente Querbezüge zwischen den Abteilungen. Jetzt, so berichtet er, »schaffen wir es, dass sich alle vier Wochen das Marketing mit dem Programm trifft und Überlegungen mit einem Vorlauf von bis zu zwei Jahren anstellt«. Der wichtigste organisationale Unterschied zur vorhergehenden Leitung des Hauses ist, dass der »Change«, dass Strategie und Innovation nun Chefsache sind und vom Intendanten persönlich vorangetrieben werden. Dabei können der Konsultationsprozess im Haus und überhaupt die intensivierte interne Kommunikation den Eindruck nicht verwischen, dass die Initiative grundsätzlich von der Intendanz ausgeht. Ein Hinweis darauf ist, dass trotz weiter gefasster Anfragen für unsere Studie der Intendant allein für das Haus spricht. Nordmann selbst beschreibt die Struktur des Innovationsprozesses als »Prozesskette«: Wenn man ein Format ändere, Programmlinien neu entwickele, müsse man anschließend »alle Stufen beachten, dass man die mitnimmt«, bis hin zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit durch das Marketing. Sowohl zu Beginn als auch am Ende des Untersuchungszeitraums wird Innovation ohne die aktive Einbeziehung der Publika generiert. Innovation ist eine Leistung des Managements. Publikumsbefragungen werden durch das Haus und durch Verbünde Berliner Kulturorganisationen periodisch durchgeführt, aber sie

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dienen der allgemeinen Orientierung, der Marktbeobachtung, der Abschätzung der Publikumsstrukturen, als Instrumente zur Feinplanung und -steuerung werden sie nicht verwendet.17 Der Konflikt um Ziele, Strategien und Bewertungskriterien scheint unter der neuen Leitung beigelegt. Erfolg wird vielleicht nicht gemessen, nicht über die bekannten wirtschaftlichen Parameter hinaus, aber er wird evaluiert in einem Prozess, der die Fachabteilungen im Haus zusammenführt. So berichtet der Intendant unmittelbar vor dem Beginn der Saison 2012/13 von der bevorstehenden Klausur der Direktoren, die der Aktualisierung der Strategie und der Generierung neuer Ideen dienen soll. Die Gruppe werde »nicht nur Zahlen analysieren«, sondern auch die Kommunikation, die Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit der Medien, den Erfolg der neuen Formate beim Publikum, die Effektivität des Change Management. Während des laufenden Betriebs trifft sich der Intendant nach seiner Darstellung mit dem Kassenpersonal, das berichte, welche Veranstaltungen sich verkauften und welche nicht. »Es wird immer und ständig kontrolliert«, sagt Nordmann. Dabei gehe es ihm nicht um die Kontrolle »sondern um die Frage: Was muss sich denn ändern?«

2.

DIE TECHNOLOGISCHE WENDE: BERLINER PHILHARMONIKER UND PHILHARMONIE BERLIN

2.1 Bedingungen des Wirtschaftens Erbaut nach Plänen Hans Scharouns, eröffnet im Jahr 1963, zählt die Berliner Philharmonie noch immer zu den architektonisch beispielhaften Konzerthäusern der Welt. Ihr großer Saal enthält 2440 Plätze, der Kammermusiksaal ist 1180 Plätze groß. Mit der Errichtung des Quartiers am Potsdamer Platz in den späten 1990-er Jahren ist die Philharmonie aus ihrer Randlage am Mauerstreifen in der durchtrennten Mitte der Stadt befreit worden. Auf Laufkundschaft, wie im Konzerthaus, kann sie zwar weiter nicht hoffen, ihr Haupteingang öffnet sich in Richtung auf das wenig bevölkerte Kulturforum, auf das Botschaftsviertel und den Tiergarten. Aber die Zahlen, die beim Vergleich mit dem Konzerthaus eine Rolle spielten, deuten darauf hin, dass die Veranstaltungen der Philharmoniker ihre eigene Anziehungskraft entfalten, und auch zu den neuen Angeboten in der Mittagszeit findet ein bunt gemischtes Publikum den Weg in die Philharmonie.

17 Einen Überblick und eine Diskussion der Instrumente, die Kundendaten mit Planung und Steuerung verbinden, geben Zeithaml et al. (2006) auf dem aktuellen Stand der Technik in »Forward-looking Focus – Can Firms have Adaptive Foresight?«

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261.194 zahlende Besucher verzeichnet die Philharmonie im Jahr 2012, das sind knapp sieben Prozent mehr als die 244.462 zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums sechs Jahre zuvor. Unternehmerisch besitzt die Philharmonie bedeutend größere Freiheiten als das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, seit die nicht rechtsfähige Anstalt im Jahr 2002 in eine Stiftung öffentlichen Rechts, in die Stiftung Berliner Philharmoniker überführt wurde. Die Stiftung verfügt über kein eigenes Vermögen, aus dessen Erträgen sie ihre Aktivitäten finanzieren könnte, sondern erhält weiterhin einen über jeweils mehrere Jahre vertraglich festgelegten Zuschuss durch das Land Berlin. Im Untersuchungszeitraum machen die Zuschüsse der öffentlichen Hand zwischen 34,8 und 38,8 Prozent der Gesamteinnahmen aus, der Zuschuss des Landes Berlin liegt im Jahr 2012 bei 15,457 Millionen Euro, hinzu kommen 1,174 Millionen aus Lotto-Mitteln. Von 2006 bis 2012 steigen die Zahlungen des Landes inflationsbereinigt um 3,85 Prozent. Ungeachtet der beibehaltenen Zuschussverpflichtung verringern sich in der neuen Betriebsform die Einflussmöglichkeiten des Landes. Es behält die Rechtsaufsicht, die Fachaufsicht gibt es ab. Für die Philharmoniker ist es nun leichter, Nebenaktivitäten und Geschäftszweige innerhalb der Stiftung in eigenen Tochtergesellschaften privaten Rechts zu organisieren und auch Sponsoren auf längere Frist zu gewinnen. So wird die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der früher die Medienrechte der Musiker parallel zur nicht rechtsfähigen Anstalt bewirtschaftet wurden, nun unter dem Dach der Stiftung in Form einer Treuhand GmbH geführt. Die Sponsorenmittel der Deutschen Bank für das EducationProgramm und für Kommunikation und Marketing werden in der Berliner Philharmonie GmbH bewirtschaftet. Die Berlin Phil Media GmbH wiederum wurde als Gesellschaft für das eigene Distributionsgeschäft, derzeit in erster Linie mittels der Digital Concert Hall, gegründet. 18 Der Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus sind im Aufsichtgremium, dem Stiftungsrat, mit drei von insgesamt bis zu zwölf Stimmen vertreten. In einem gewissen Gegensatz zu den Grundsätzen guter Praxis für Stiftungen der öffentlichen Hand, wie sie der Bundesverband Deutscher Stiftungen veröffentlicht und nach denen Geschäftsführung und Aufsichtsgremien »klar zu trennen« sind, haben die Philharmoniker zwei Sitze im Stiftungsvorstand und mindestens einen Vertreter im Stiftungsrat.19 Nach

18 Vgl. die Erläuterungen des kaufmännischen Direktors der Stiftung Berliner Philharmoniker, Frank Kersten, in Corinna Kolbe (2009): Von Vorteil? Drei Stiftungen, drei unterschiedliche Erfahrungen. 19 Nach §9, Absatz 3 des Gesetzes über die »Stiftung Berliner Philharmoniker« vom 12. Juli 2001 (Senatsverwaltung für Justiz 2001: 252-254) ist lediglich untersagt, dass

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außen fällt die Stiftung durch ihren geringen Grad an Transparenz auf, auch dies anders als die Praxis, die der Verband empfiehlt.20 Von anderen Konzerthäusern und Orchestern unterscheiden sich Philharmonie und Berliner Philharmoniker darin, dass die Musiker traditionell starke Mitspracherechte in Fragen der Geschäftstätigkeit, der Programmgestaltung, der Aufnahme neuer Kollegen und der Besetzung ihrer Chefdirigentenstelle besitzen. Während im Konzerthaus Berlin und in der Philharmonie Luxemburg das Management in der Person des Intendanten beziehungsweise des Generaldirektors repräsentiert ist, werden in der Philharmonie strategische und operative Entscheidungen in einer breiter angelegten Struktur getroffen. Der Stiftungsvorstand besteht aus dem Chefdirigenten und künstlerischen Leiter, aus dem Intendanten, aus dem Orchestervorstand und aus dem Medienvorstand, der seinerseits ein Mitglied des Orchesters ist. So können wichtige Gruppen der Organisationsmitglieder selbst ein unternehmerisches Interesse entwickeln und innerhalb der Stif-

Mitglieder des Stiftungsvorstandes zu Mitgliedern des Stiftungsrates berufen werden. Bereits zu Beginn der Wirksamkeit der neuen Verfassung hat der damalige Intendant Franz Xaver Ohnesorg öffentlich Forderungen erhoben, was gewählte Parlamentarier mitbringen müssen, um die Philharmoniker kontrollieren zu dürfen: »Darüber hinaus wird drittens das Parlament von Berlin zwei Abgeordnete in den Stiftungsrat entsenden, die sich entsprechend qualifizieren müssen […]. Es müssen also kompetente und engagierte Parlamentarier sein, denen das Schicksal der Philharmoniker etwas bedeutet.« (Grünewald 2002: 19) 20 Vgl. Bundesverband Deutscher Stiftungen 2010, p. 15: »Es soll ein jährlicher Rechenschaftsbericht erstellt werden, der von einer staatlichen Prüfbehörde oder einem Wirtschaftsprüfer kontrolliert und anschließend veröffentlicht wird.« Auf der Website der Philharmoniker-Stiftung (www.berliner-philharmoniker.de/die-stiftung/) sind über die aktuelle Besetzung der Gremien hinaus keine Informationen veröffentlicht. Auch eine Stiftungssatzung sucht man vergebens. So ist unsere Untersuchung dank der freundlichen Gesprächsbereitschaft der Intendanten und wichtiger Mitglieder des Managements und des Orchesters sowie der Unterstützung durch die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit möglich geworden. Nicht in jedem Detail war eine Verifizierung auf der Grundlage von Geschäftszahlen möglich, weil die Stiftung Berliner Philharmoniker über ihre Pressemitteilungen hinaus einen Jahresbericht, in dem Zahlen und Tätigkeiten transparent gemacht würden, nicht veröffentlicht und auch im Einzelfall keine Einsicht gewährt. Wie schon im Fall des Konzerthauses, stammt ein beträchtlicher Teil der untersuchten Zahlen aus der Berliner Kulturverwaltung bzw. aus den Akten des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus. Diese müssen indessen nicht alle Haushalte der einzelnen Gesellschaften der Stiftung Berliner Philharmoniker umfassen.

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tungs-Konstruktion verfolgen. Vor allem das Orchester hat das Gefühl, »es ist unser eigenes Projekt«, wie der Orchestervorstand Peter Riegelbauer bei der Befragung 2006 sagte. Mitarbeiter, die nach dem Gründungsjahr 2002 engagiert wurden, sind Angestellte der Stiftung, also im Unterschied zum Konzerthaus keine öffentlich Bediensteten mehr. Die komplexere Führungsstruktur ist auch ein Grund dafür, dass der Wechsel in der Intendanz in der Mitte des Jahres 2010 anders als ein Jahr zuvor im Konzerthaus keine paradigmatische Bedeutung hat, zumindest soweit sich das am Ende des Untersuchungszeittraums im Jahr 2012 beurteilen lässt. Die Intendanten sind Sprecher des Stiftungsvorstands, Entscheidungen sollen im Konsens gefällt werden.21 Gewiss unterscheiden sich die Profile von Pamela Rosenberg, Intendantin von 2006 bis 2010, und ihrem Nachfolger Martin Hoffmann in wesentlichen Aspekten: Rosenberg ist studierte Literatur- und Musikwissenschaftlerin, vor ihrer Zeit in der Berliner Philharmonie leitete sie die Oper in San Francisco, davor war sie für das Casting der Staatsoper Stuttgart in der künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreichen Ära unter dem Intendanten Klaus Zehelein verantwortlich. Hoffmann ist Jurist und hatte Führungspositionen im deutschen Privatfernsehen inne. Grundsätzlich lässt sich ein Gegensatz zwischen einem künstlerisch-programmatischen Denken und einer Orientierung am Markt zwischen Rosenberg und Hoffmann herstellen, so, wie wir ihn, sehr kurz gesagt, zur Beschreibung des Intendantenwechsels im Konzerthaus herausgearbeitet haben. Auf die Frage nach ihrer Einschätzung der Risiken und Chancen musikalischer Arbeit zeigen sich tatsächlich Parallelen zwischen Rosenberg und dem künstlerischen Leitungspersonal des Konzerthauses unter Frank Schneider sowie zwischen Martin Hoffmann und Sebastian Nordmann. Weil aber den Intendanten der Stiftung Berliner Philharmoniker faktisch keine Richtlinienkompetenz zukommt, sind ihrem Einfluss auf die Kultur und die Strategie der Organisation durch die Interessen der anderen Vorstandsmitglieder Grenzen gesetzt. Zweck der Stiftung Berliner Philharmoniker ist die »Förderung der Kunst und Kultur, insbesondere der Musikkultur«. Dieser Zweck wird laut Stiftungsgesetz »verwirklicht durch Konzerte und Veranstaltungen des Orchesters Berliner Philharmoniker, dessen Trägerschaft die Stiftung übernimmt, sowie [durch] den Betrieb der Philharmonie und des Kammermusiksaales mit eigenen und Fremdveranstaltungen.«22 Der zweite Teil dieser Bestimmung lenkt den Blick noch einmal auf die »substanzielle Unterscheidung«, die im Jahr 1993 das Konzerthaus-Gesetz vorsah. Beide Häuser bieten sowohl Veranstaltungen mit eigenen

21 Grünewald 2002: 23. 22 Senatsverwaltung für Justiz 2001: 252-254, §2, Absatz 1.

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Orchestermusikern als auch mit Gastensembles sowie Veranstaltungen Dritter an – für 406 Veranstaltungen ist die Philharmonie im Jahr 2012 vermietet, 149 Veranstaltungen bestreitet die Stiftung Berliner Philharmoniker selbst. Der Unterschied zwischen den Häusern sollte nach dem Willen des Gesetzgebers darin liegen, dass die Einzelveranstaltungen im Konzerthaus in den Zusammenhang eines Gesamtprogramms integriert erscheinen. In der Philharmonie ließ sich bei den Expertenbefragungen im Jahr 2006 ein gewisses Bedauern bemerken, »dass die Philharmonie noch keine eigene, selbst geprägte [Programm-] Politik hat« (Riegelbauer), und eine gewisse Besorgnis vernehmen, die disparaten Qualitätsansprüche zwischen eigenen und von Dritten veranstalteten Konzerten könnten das Image des Hauses beschädigen (Rosenberg). Aber letztlich stellt die Intendantin damals fest, die Stiftung habe nicht genügend Ressourcen, um als Veranstalterin für eine umfassende Bespielung selbst sorgen zu können; die Philharmonie sei ein öffentliches Kulturzentrum, das unterschiedliche Interessen und Publika eben zu beherbergen habe. Und so ist die Konkurrenzsituation zwischen der Philharmonie und dem Konzerthaus auch am Ende des Untersuchungszeitraums dadurch geprägt, dass der Name der Philharmoniker bereits selbst Programm ist, wie sowohl der kaufmännische Geschäftsführer der Philharmonie, Frank Kersten, im Jahr 2006 als auch der Konzerthaus-Intendant Nordmann 2012 bemerken, während das Konzerthaus nach Nordmanns Worten aus »einem Orchester und vielen Zusatzangeboten« besteht. »Wir heißen Konzerthaus, die heißen Berliner Philharmoniker«, so fasst es Nordmann zusammen, und an dieser Einschätzung ändert einstweilen auch der Umstand nichts, dass das Konzerthaus unter seiner neuen Leitung Anstrengungen unternimmt, sein Orchester stärker zu profilieren, während die Betonung des Programms verringert wird. Was das internationale Geschäft anbelangt, genießen die Philharmoniker gegenüber dem Konzerthausorchester praktisch eine Monopolstellung. Sie treten weltweit in den kulturellen Zentren auf, ihre Honorare liegen »an der Spitze« (Kersten); mit rund 34 Konzerten pro Saison gastieren die Philharmoniker öfter als die meisten anderen großen Orchester. Wie sich an den Zuschauerzahlen und Wirtschaftsdaten im Konzerthaus-Kapitel sehen ließ, sind die Philharmoniker Marktführer für Orchesterkonzerte auch in Berlin. Dass der Erlös pro zahlendem Besucher im Untersuchungszeitraum um real 23,11 Prozent gesteigert werden konnte, während etwa der Sach- und Personalaufwand inflationsbereinigt um nicht mehr als 2,6 Prozent zunahmen, bei insgesamt steigenden Zuhörerzahlen, darf als Beleg für die Marktmacht der Philharmoniker gewertet werden. Gleichwohl kennt die Stiftung Berliner Philharmoniker Herausforderungen auf dem von ihr dominierten Heimatmarkt. Ihre im Vergleich zu anderen Organisationen mit 96 bis 93 Prozent sehr hohen Auslastungszahlen im Kerngeschäft, dem Sin-

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foniekonzert im großen Saal, zeigen im Untersuchungszeitraum eine Tendenz zum Bröckeln: Über den gesamten Untersuchungszeitraum beträgt der Rückgang ein knappes Prozent, und darüber bräuchte man kaum zu reden. Im Vergleich zum Schnitt der guten Jahre 2007, 2009 und 2010 liegt er jedoch zum Schluss unserer Untersuchung bei 2,4 Prozent. Dieses Bröckeln der Auslastung ist durch die Steigerung der Eintrittspreise weit mehr als wettgemacht, zuletzt aber möglicherweise auch befördert worden. Die Philharmoniker sehen sich vor der Frage, ob die feine Linie zwischen einer noch unangefochtenen Stellung am Markt – die Leute kommen von selbst; es gibt noch immer eine Warteliste für die Abonnements – und einer beginnenden Verpflichtung, mehr Publikum zu mobilisieren, damit wohl überschritten sei. Vor allem muss sich die Stiftung Berliner Philharmoniker darum bemühen, ihren im Vergleich mit anderen Häusern riesigen Kammermusiksaal mit Publikum zu füllen. Die Auslastung der Eigenveranstaltungen im Kammermusiksaal liegt bedeutend unter der Auslastung des großen Saals mit den philharmonischen Sinfoniekonzerten, zwischen 66 und 63 Prozent. Insgesamt wurde die Zahl der Kammermusik-Veranstaltungen erheblich erhöht, von 2006 bis 2012 um knapp ein Viertel. Dass dem auch ein Publikum folgt (die Zahl der verkauften Karten steigt um 33 Prozent), ist bemerkenswert. Aber an der Auslastung und damit an der Kostenstruktur der Kammermusikveranstaltungen ändert sich wenig. Immer wieder dreht das Management daher an betriebswirtschaftlichen Stellschrauben. So wird zwischen 2011 und 2012 das Angebot an Kammermusikkonzerten um 12,24 Prozent verringert. Die Zahl der verkauften Karten sinkt in der Folge um 13 Prozent, die Zahl der Besucher pro Kammermusikkonzert sinkt um ein Prozent, auf 742 (der Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2012 liegt bei 719), und für den Veranstalter sinken die Produktionskosten. Darüber hinaus haben die Herausforderungen rund um den Kammermusiksaal in den letzten Jahren zu einer Differenzierung des Programms und zu innovatorischen Anstrengungen auch im Bereich der Werbung geführt. 2.2 Risiken und Chancen in der Wahrnehmung der Manager Bei der Befragung im November 2006 sagt die damalige Intendantin Pamela Rosenberg nach ihren ersten drei Monaten im Amt, sie sei mitten in der Arbeit an der Formulierung einer Mission für Philharmoniker und Philharmonie. Ausformulierte Missionen sind ein Zeichen für einen vorläufig abgeschlossenen Strategiefindungsprozess. Rosenberg gibt ihr Amt nach vier Jahren wieder ab; bis heute finden sich weder eine ausformulierte Mission noch ein abgeschlossener Strategiefindungsprozess in der Stiftung Berliner Philharmoniker. Dennoch ergeben

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die Befragungen das Bild eines gemeinsamen Bewusstseins innerhalb des Führungszirkels, was die Ansprüche der Organisation an ihr Handeln und ihre Ziele anbelangt. Fast alle Befragten sprechen sich dafür aus, den Anspruch der »Exzellenz« zu verwirklichen, »Exzellenz« definiert als außerordentliche technische Beherrschung und erlesene Klangkultur und zugleich als Eigenschaft, die den Philharmonikern von der Öffentlichkeit attribuiert wird. Rosenberg spricht davon, das Orchester sei »ein Symbol für Exzellenz«.23 Im gleichen Sinn, wenngleich stärker aus der Perspektive des Marketing, formuliert ihr Nachfolger Hoffmann, das Orchester sei »Weltspitze« und die Marke Berliner Philharmoniker besitze »Weltgeltung als Synonym für klassische Musik«. Drei weitere Anliegen werden in den Befragungen über den Untersuchungszeitraum hinweg artikuliert. Das erste liegt in der Bewahrung des musikalischen »Erbes« durch die mustergültige Interpretation der überlieferten europäischen Orchestermusik. Das zweite Anliegen liegt in der Ansprache neuer, vorzugsweise jüngerer sowie ethnisch und sozial diverserer Publika, vor allem durch Education-Programme. Damit will man für die Zukunft ein Publikum heranbilden und das Erbe »möglichst gut an das Publikum und an die nächsten Generationen herantragen« (Riegelbauer 2006). Das dritte Anliegen ist mit einer stärkeren Integration der Philharmoniker in das soziale und kulturelle Leben Berlins umschrieben; »wir wollen eine Rolle im kulturellen Leben der Stadt spielen«, sagt Pamela Rosenberg. Nach der Überzeugung Sir Simon Rattles sind die Philharmoniker eine privilegierte Organisation. Gäben sie aber der community, der Stadt nichts zurück und würden sie nicht zu einem guten Partner für die neben ihnen arbeitenden Kulturorganisationen, dann verlören sie die öffentliche Unterstützung. Dabei geht Rattle davon aus, dass in jedem Fall »auf lange Sicht« die staatlichen Subventionen weniger werden. In dieser Situation regt der Dirigent sein Orchester dazu an, die gewohnte institutionelle Rolle zu durchbrechen und aktiv den Kontakt mit der Stadtgesellschaft zu suchen. Zum Beginn seines Amtsantritts im Jahr 2002 sagt der Dirigent in einem Interview: »Wir dürfen nicht hinter dem Schalter sitzen bleiben und warten, dass die Leute kommen. Wir müssen rausgehen und uns ein neues Publikum suchen. […] Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der sich jeder willkommen fühlt.«24 Die Mittel, mit deren Hilfe sich die Stiftung Berliner Philhar-

23 »A symbol for excellence«. Die Gespräche mit Pamela Rosenberg wurden auf Englisch geführt. Im Folgenden werden die Statements der Intendantin in deutscher Übersetzung zitiert. 24 Claus Spahn (2002): Wir können den Ton der Hauptstadt prägen. Interview mit Simon Rattle.

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moniker stärker in das soziale und kulturelle Leben Berlins einbringen will, sind in wesentlichen Teilen mit jenen der Education-Arbeit identisch. Der Einschätzung der Ziele und Zwecke entspricht, wie die Mitglieder des Managements die entscheidenden Kompetenzen und Angebote der Stiftung Berliner Philharmoniker verstehen. An erster Stelle steht das Orchester mit seiner Fähigkeit, »in erstaunlicher Qualität« (Rosenberg) Musik zu machen. Alle Mitglieder des Managements heben bei der Befragung 2006 überdies die stilistische Vielseitigkeit der Philharmoniker hervor. Rosenberg spricht von einem »breiten Orchesterrepertoire, das 400 Jahre umfasst«.25 Peter Riegelbauer, der Orchestervorstand, sieht im Jahr 2012 »die hervorragenden Musiker, die wir hier haben« als »Ressource für ein ganz, ganz breites Spektrum«. Diese Ansicht vertritt auch der Intendant Martin Hoffmann, wenn er auf die Verjüngung des Orchesters, das persönliche Engagement und die vielfältigen individuellen Kompetenzen der Musiker, »aus 30 Nationen mittlerweile«, hinweist. Ein zentraler Bestandteil des Angebots ist nach Ansicht des Führungspersonals auch das Gebäude der Philharmonie selbst, an erster Stelle wegen der guten Akustik im großen Saal, an zweiter Stelle wegen der Architektur. Wie im Fall des Konzerthauses sind es auch in der Philharmonie die eher künstlerisch-programmatisch denkenden Führungskräfte, die mit Unbehagen auf die Entwicklung der kulturellen Rahmenbedingungen blicken, während bei dem durch die private Medienwirtschaft geprägten neuen Intendanten von kulturellen Gefährdungen nicht die Rede ist. Peter Riegelbauer betrachtet es in den Gesprächen sowohl im Jahr 2006 als auch 2012 aus Sicht des Orchesters als Herausforderung, Orchestermusik als lebendiges und nicht nur als museales Genre zu erhalten. Überdies gebe es eine »berechtigte Sorge, dass das Publikum weniger werden kann«. Pamela Rosenberg glaubt, es werde Auswirkungen auf die Philharmonie haben, dass »Musik« mittelfristig »marginalisiert« werde – in den Schulen, in der Gesellschaft überhaupt. Eine Herausforderung liegt für Rosenberg auch im Altern und in der nachlassenden gesellschaftlichen Repräsentativität des angestammten Konzertpublikums. Diesen Trend wollten die Berliner Philharmoniker nicht zuletzt durch ihre Education-Programme »aktiv entgegenwirken«. Martin Hoffmann spricht von »Musik« dagegen nicht in diesem emphatisch zivilisatorischen Sinn, eher denkt er, wie sein Kollege Nordmann im Konzerthaus, an »Klassik«. Probleme werden eher als implizite Momente seiner Pragmatik kenntlich. So sieht er die Philharmoniker und ihre Stiftung »vor die

25 Rosenbergs Repertoire-Verständnis entspricht der Absicht des früheren Chefdirigenten Claudio Abbado, die stilistische Kompetenz der Philharmoniker vom Barock bis zur Gegenwart auszubauen, geäußert im Jahr 1997 im Gespräch mit dem Verfasser.

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Aufgabe gestellt, eine nachwachsende Generation, die nicht so selbstverständlich mit klassischer Musik oder mit bürgerlicher Kultur aufwächst, an dieses Haus zu binden. Unsere Aufgabe ist es, die, die wir haben, zu behalten, aber auch die Nachwachsenden zu bekommen.« Zu keinem Zeitpunkt aber fällt in den Gesprächen mit den Managern der Philharmonie ein Ton der Bedrohtheit auf, wie er die Äußerungen der Führungskräfte des Konzerthauses am Ende der Ära Schneider durchzieht. Im Gegenteil liegt die größte Herausforderung nach Pamela Rosenbergs Darstellung darin, »dass wir so erfolgreich sind«. Dank der exzellenten Qualität führe das Orchester ein unangefochtenes und begünstigtes Dasein. Die Konzerte der Philharmoniker im großen Saal seien zu 96 Prozent ausverkauft, zwei bis drei weitere Prozent der Karten würden an Journalisten und VIPs gegeben, das führe viele Interessierte zu der Annahme, die Konzerte seien ausverkauft und entmutige sie, sich überhaupt um eine Karte zu bemühen. Und wenn auch die Philharmonie feststellt, dass die Bindungswilligkeit des Publikums und damit die Nachfrage nach Abonnements nachlasse, dass »die nachwachsende Generation […] nicht mehr mit der alten Selbstverständlichkeit nach Abonnements« greift (Hoffmann), gibt es zum Ende des Untersuchungszeitraums im Jahr 2012 noch eine kleine Warteliste. Ungefähr 70 Prozent der Konzertkarten werden laut Rosenbergs Darstellung im Jahr 2006 über Abonnements vergeben, das Durchschnittsalter der Abonnenten liege über 60 Jahren. So sieht das Management in der Warteliste sowohl ein Zeichen des Erfolgs als auch ein Zugangshindernis für interessierte neue Hörer, ein Hindernis, neuen Publika Raum zu geben. Wie im Fall des Konzerthauses ist das Gebäude der Philharmonie nicht nur ein Anziehungspunkt, sondern ein notwendiges Mittel zur Erbringung der eigenen Leistung und ein Teil des Produktes »Konzertabend«, das grundsätzlich dem Imperativ ständiger Erneuerung unterworfen werden kann. Von beispielhaft moderner Gestalt, ist Scharouns Philharmonie allerdings ganz ähnlich wie das auf Schinkel zurückgehende klassizistische Konzerthaus mit den Lasten des Denkmals belegt; zu zeitgenössischen Anforderungen an ein Kulturgebäude darf es sich nicht parallel entwickeln. Die Philharmonie wurde Ende der 1950-er Jahre für ein Publikum geplant, das rechtzeitig zum Konzert eintraf und sich anschließend wieder auf den Weg nach Hause machte. Heute versuchen Kulturzentren eher, Aufenthaltsqualitäten für den ganzen Tag zu entwickeln und eine Reihe von Zusatzangeboten zu erbringen, wie eine Gastronomie oder den Verkauf von Medien und Merchandising-Artikeln. Der Orchestervorstand Peter Riegelbauer spricht 2012 mit gewisser Reserve von Beispielen in Großbritannien und in den USA, »wo das Konzerthaus sozusagen zur Shopping-Mall wird«. Soweit möchte man in der Philharmonie nicht gehen. Aber die Intendantin im Jahr 2006 würde

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sich schon wünschen, die Philharmonie könnte etwa mit einem Restaurant einen Ort anbieten, zu dem Menschen auch außerhalb der Konzertzeiten kommen wollen. Auch der Verwaltungsdirektor sagt im Jahr 2006, die Philharmonie wolle ein »lebendiges Konzerthaus« sein und ein »zeitgemäßes Angebot« machen, etwa durch Catering für Empfänge und durch abgesonderte Bereiche für »besondere Gäste« wie etwa Sponsoren. Dass auch die Schalter für den Kartenverkauf denkmalgeschützt »noch immer hinter Panzerglas« vom Publikum getrennt seien, das finde man heute »kaum in einer Bank mehr«. Chancen sucht die Organisation vor allem auf drei Feldern zu nutzen. Der internationalen Nachfrage nach Auftritten der Berliner Philharmoniker kommt das Orchester nun in einem globalen Maßstab entgegen. Global ist auch der Horizont, der sich durch neue digitale Kommunikationstechnologien auf Grundlage des Internet eröffnet und den die Philharmoniker mit eigenen Distributionskanälen und Medien zu nutzen suchen. Und schließlich sehen die Philharmoniker Chancen in den Sozial- und Kommunikationsformen des Education-Bereichs. Pamela Rosenberg etwa versteht sie als Mittel, über das traditionelle Publikum hinaus ethnische Gruppen, Kinder, Jugendliche und die Berliner Stadtgesellschaft (community) anzusprechen, ihre Kreativität anzuregen, kulturelle Horizonte von Jugendlichen zu erweitern und sie in Kontakt mit Musik zu bringen. 2.3 Der Prozess der Innovation Alle vier Anliegen und alle Versuche, durch internationale Präsenz und mit dem Education-Programm Chancen zu ergreifen, sehen sich zusammengefasst in einer Strömung, die aus den Philharmonikern das »Orchester des 21. Jahrhunderts« entwickeln will. Schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums sieht die damalige Intendantin die Philharmoniker als avanciertes Beispiel, als cutting edge des modernen Orchesters. Diesem Anspruch versucht die Organisation in den Bereichen Spielkultur, Repertoire, neue musikalische Sozialformen, gesellschaftliche Interaktion, Medien und Technologie über den Untersuchungszeitraum hinaus gerecht zu werden. Dass die Intendantin im Jahr 2006 davon spricht, sie arbeite daran, einen Konsens im Orchester herzustellen und zu festigen, deutet freilich auch darauf hin, dass es im Machtgefüge der Organisation mehr als nur eine Auffassung über die richtige Strategie gibt und dass Innovationen aus einem komplexen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess hervorgehen. Was die interne Meinungsbildung anbelangt, zeigt sich die Stiftung Berliner Philharmoniker noch diskreter als beim Thema Geschäftszahlen. Der befragte Orchestervorstand beschreibt innerorganisatorische Konflikte über strategische Fragen im Jahr 2006 als gering, es gebe »ja insgesamt wenig Verrücktes«, über

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das man streiten könnte. Auch die Intendantin sieht »kaum einen Konflikt« in der Organisation. Der Verwaltungsdirektor wünscht sich damals, »dass wir uns überhaupt Gedanken machten und eine klare strategische Ausrichtung diskutierten«. Zugleich werden die Alternativen der Diskussion erkennbar. Jene »Öffnung«, die der Intendant des Konzerthauses im Jahr 2009 kraft seiner Richtlinienkompetenz zum Programm macht, ist im komplexeren Machtgefüge der Philharmonie Gegenstand einer fortdauernden Diskussion. Der neue Intendant der Stiftung Berliner Philharmoniker, Martin Hoffmann, spricht bei der Befragung 2012 von einer »Kontroverse« in der »grundsätzlichen Frage […], ob sich so eine Marke öffnet, ob sie sich neuen Kommunikationswegen öffnet.« Gemeint sind damit neue Distributionskanäle, etwa Übertragungen von Konzerten in Kinos, und neue Kommunikationskanäle wie Facebook, wo sich zum damaligen Zeitpunkt rund 300.000 »Fans« registriert haben. Was die strategischen Perspektiven der öffentlichen Kunstausübung anbelangt, formuliert der Orchestervorstand Peter Riegelbauer 2012, es gebe im Orchester »unterschiedliche Auffassungen, sogar Pole«, und zwischen ihnen Abstufungen. Der eine Pol ist nach Riegelbauer »das alte Modell, sozusagen der Tempel, der heilige Tempel, der in gewisser Weise abgeschlossen ist und der nur für die eigentliche Sache, sozusagen für den spirituellen Akt des Konzertes steht.« Die Vertreter dieser konservativen Position sagten, »wir wollen den alten Tempel wieder, wir wollen uns auf das Wesentliche reduzieren« und dabei »möglichst auch immer nur das klassisch-romantische Kernrepertoire, nur «die guten Werke» spielen«. Auf der anderen Seite gebe es diejenigen, die sagten: »Ja natürlich, wir müssen uns wandeln und wie alles im Leben bleibt nichts bestehen; wir müssen uns anpassen, wir müssen modern sein, sogar die Speerspitze der Bewegung sein und anderen Orchestern zeigen, dass ein Orchester sich auch ganz anders darstellen kann als das herkömmliche – siehe Education.« Diese Position beschreibt der Orchestervorstand als »die totale Öffnung«, die sich an die Öffentlichkeit wende, gewissermaßen mit den Worten: »Kommt herein, wir sind jederzeit erreichbar, jederzeit greifbar, und wir erscheinen in wechselnder Gestalt und sind nicht nur die Gralshüter.« Dabei handele es sich um systematische Alternativen, mit dem Alter der einzelnen Musiker hätten die Positionen nichts zu tun. In dieser Lage kommt Riegelbauer auf das Konzept einer »geeigneten Balance« zurück, dem in der wissenschaftlichen Diskussion in der Frage einer Abwägung zwischen Kriterien einer Kunst im emphatischen Sinn und einer marktorientierten Kulturwirtschaft schon zu begegnen war. Nach Ansicht des Orchestervorstands ist insbesondere mit der Gefahr umzugehen, »dass man in eine Situation kommt, in der es eine ungeordnete Wucherung gibt – man möchte immer noch mehr und mehr und ist dann letztlich überfordert, als Institution, und

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auf der anderen Seite vielleicht auch der Rezipient, auch weil es zum Teil zu schnell geschieht.« Innovationen entstehen in der Stiftung Berliner Philharmoniker aus einem Diskussionsprozess, an dem das einzelne Orchestermitglied ebenso teilnimmt wie der Stiftungsvorstand. Dass der Intendant keine Richtlinienkompetenz besitzt, hatten wir schon festgestellt. Der Amtsinhaber am Ende unseres Untersuchungszeitraums, Martin Hoffmann, weist darauf hin, dass der Intendant seine richtungsweisenden Vorstellungen nicht »ex cathedra« vermittle, »sondern dass in einem Forum mit den Kollegen gemeinsam entwickelt wird, wohin die Reise geht.« Wenn man als Intendant um eine Idee ringe, wenn man überzeuge, dann folge einem auch die Organisation. Faktisch gilt das aber auch in der anderen Richtung. Hoffmann weist darauf hin, »im Grund« sei die Geschichte der Intendanten der Philharmoniker »eine Geschichte des permanenten Scheiterns«, auf die letzten vier Chefdirigenten kämen wohl zehn Intendanten. Darauf, dass Innovation in der Stiftung Berliner Philharmoniker methodisch generiert werde, ergeben die Befragungen keinen Hinweis. Spezielle Kreativitätstechniken, eine Planung in Szenarien, eine systematische Generierung von Optionen werden nicht bemüht; solche Techniken seien für Organisationen der Kunst weder geeignet noch notwendig, sagt Pamela Rosenberg, Kreativität sei von Natur aus »Teil unserer Arbeit«. Vielfach wird in den Gesprächen deutlich, dass der Musikmarkt, dass einzelne Orchester und die technologische Entwicklung im Bereich der Medien genau beobachtet werden. Innovationen anderer werden übernommen, wenn es sinnvoll erscheint, ein Beispiel ist das EhrenamtsModell des Konzerthauses, das die Philharmonie in der Spielzeit 2007/08 in reduzierter Form einführt. Förmliche Strategie-Tagungen habe man, so berichtet der Orchestervorstand am Ende des Untersuchungszeitraums, zu Beginn der Ära Simon Rattles veranstaltet,26 seitdem habe es eine Klausur »ausgeprägt, wirklich intensiv, mit viel Zeit und Ruhe« nicht gegeben. Hier liegt die Priorität der Organisation auf einer hohen Handlungsdichte und schnellen Entscheidungen. Auch gibt es keine speziellen Innovationsteams oder Qualitätszirkel, dafür ist nach Ansicht Pamela Rosenbergs die Organisation zu klein. Innovation sei ihre Sache als Intendantin sowie die Sache des Stiftungsvorstands und des Orchestervorstands. Daneben sei Innovation ein Thema auch in den regelmäßigen Treffen mit den Managern, namentlich dem Verwaltungsdirektor sowie den Verantwortlichen für künstlerische Planung, für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Rosenbergs Nachfolger Hoffmann rühmt die »wunderbare Energie«, die durch das Engagement der einzelnen Orchestermitglieder spürbar werde, die Or-

26 Simon Rattle trat sein Amt zum Beginn der Spielzeit 2002/03 an.

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chestermusiker »wollen ja auch, dass die Institution eine Zukunft hat, die sehen ja auch, wo vielleicht Gefahren sind«, und das Orchester habe »diesen absoluten und unbedingten Willen, immer die Besten zu sein«. Insgesamt verdankt sich Innovation in der Stiftung Berliner Philharmoniker auf dem Boden einer gemeinsamen Diskussion in vielen Fällen der Initiative Einzelner, die, um mit Martin Hoffmann zu reden, um Ideen ringen und zu überzeugen versuchen. Wenn eine Idee gut oder interessant sei und in einem größeren Kreis Zustimmung gefunden habe, so sagt es Peter Riegelbauer in der Befragung 2006, dann versuche man, sie umzusetzen. Tatsächlich wissen die Gesprächspartner im Management in vielen Fällen auch noch im Nachhinein bestimmte Innovationen einzelnen Urhebern zuzuordnen. Eine eher unsystematisch und intuitiv genutzte Quelle für Anregungen ist das Publikum. Der Verwaltungsdirektor berichtet im Jahr 2006, statistisches Material wie die Geburtsdaten der Abonnenten werde erst seit wenigen Jahren gesammelt, daher sei die Analyse von Veränderungen der Publikumsstruktur über längere Zeiträume nur nach Augenschein möglich. Gelegentlich ergäben sich Anregungen aus dem Bereich des Publikums, es gebe da »konstruktive Schriftwechsel«. Spezifische Kundenbefragungen würden unregelmäßig und in der Regel auf bestimmte Anlässe und Fragen bezogen durchgeführt, etwa was den Besuch des Kammermusiksaals betreffe. Bei solchen Befragungen werde nach soziodemografischen und verhaltensspezifischen Daten gefragt. Angesichts des »Erfolgs am Markt« stellt der Verwaltungsdirektor allerdings die Frage, ob Aufwand und Ausgaben für diese Art von Marktforschung überhaupt gerechtfertigt seien. Die Intendantin verlässt sich bei der Befragung im Jahr 2006 lieber auf ihre Wahrnehmung der Publikumsreaktionen. Publikumsbefragungen steht sie reserviert gegenüber, da die Antworten häufig Allgemeinplätze enthielten oder persönlich und nicht verallgemeinerbar seien. Am Ende von EducationProjekten werden die beteiligten Lehrkräfte befragt. 2.4 Innovationen in der Stiftung Berliner Philharmoniker Innovation in der Dimension des Sozialen •

Die wichtigste Innovation in der Handlungsdimension des Sozialen ist die Einführung der Education-Programme durch den Künstlerischen Leiter Simon Rattle zum Beginn seiner Amtszeit in der Saison 2002/03. Ziel des Education-Programms ist nach der bereits zitierten Definition Pamela Rosenbergs, über das traditionelle Publikum hinaus Kinder, Jugendliche, ethnische Gruppen und die Berliner Stadtgesellschaft anzusprechen, ihre Kreati-

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vität anzuregen, ihre kulturellen Horizonte zu erweitern und sie in Kontakt mit Musik zu bringen. Vereinzelt gibt es auch intergenerationelle Projekte. Mit Workshops und mit Einführungsveranstaltungen zu Konzerten (»Hörstudio« genannt) wendet sich die Philharmonie inzwischen mit vermittelnder Absicht auch an Erwachsene. Von Anfang an wird Simon Rattle mit den programmatischen Worten zitiert, das Education-Programm solle »uns daran erinnern, dass Musik kein Luxus ist, sondern ein Grundbedürfnis. Musik soll ein vitaler und essenzieller Bestandteil im Leben aller Menschen sein.«27 Rattle hat die Education- und Community-Programme in Großbritannien nicht erfunden, und die Philharmoniker sind in Berlin nicht die Ersten gewesen, die solche Programme realisierten.28 Dennoch hat wegen des großen Prestiges der Philharmoniker das Beispiel Schule gemacht und die neuen musikalischen Sozial- und Aktionsformen in deutschen Musikorganisationen und in FörderOrganisationen durchgesetzt. Erhöht wird die Wirkung des Programms durch dessen außergewöhnliche Finanzkraft, die sich der Unterstützung durch die Deutsche Bank im Umfang von rund einer Million Euro pro Jahr verdankt.29 Populär wurde das Programm durch den Film »Rhythm is it« von Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch (2004), der das erste große Education-Projekt der Philharmoniker dokumentiert, ein Tanzprojekt mit 250 Schülerinnen und Schülern verschiedener Berliner Bezirke zu Strawinskys Ballettmusik »Le Sacre du printemps«. Das Tanzprojekt gewinnt einen Teil seiner Wirkung aus der sozialen Grenzüberschreitung der Philharmoniker, die sich mit Nicht-Experten aus Bevölkerungsschichten einlassen, die bis zu jenem Zeitpunkt nichts oder wenig mit

27 Das Zitat ist den Materialien der Jahrespressekonferenz 2012 der Stiftung Berliner Philharmoniker entnommen. Vgl. auch Koch 2003: Lernen in der Stadt. 28 Vor ihnen haben sich etwa das Orchester der Deutschen Oper und die Berliner Symphoniker systematisch an Berliner Schulen engagiert. Auch im Konzerthaus gab es konzertpädagogische Arbeit vor dem Beginn des Education-Programms der Philharmonie. Ein Format im Sinn der späteren Education-Arbeit gibt es in der Philharmonie mit dem Schulorchestertreffen seit der Spielzeit 1999/2000. 29 Sowohl die Stiftung Berliner Philharmoniker als auch die Deutsche Bank machen ein striktes Geheimnis aus der Höhe des Sponsoringbeitrags. Die Zahlen der Berliner Kulturverwaltung weisen für das Jahr 2012 Einnahmen im Bereich Sponsoring, Vermietungen und Spenden von 6 Millionen Euro aus, ohne deren Herkunft zu spezifizieren. Der jährliche Anteil der Deutschen Bank liegt bei mehr als einer Million und wahrscheinlich deutlich unter sechs Millionen Euro.

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dem Orchester und seiner Musikkultur zu tun hatten.30 In vielen Fällen veranstalten die Philharmoniker Projekte parallel zu bestimmten Konzert-Programmen, in der Spielzeit 2012/13 etwa zu George Gershwins »Porgy and Bess«. Inhalt dieses Projektes ist, dass Berliner Gymnasiasten in Auseinandersetzung mit Gershwins Werk eigene musikalische Ideen entwickeln und dazu Choreografien erarbeiten. Die Präsentation der Projekt-Ergebnisse findet in zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft zu den entsprechenden Orchesterkonzerten statt. In den Education-Projekten leistet nicht nur das Orchester eine soziale Grenzüberschreitung, auch die einzelnen Musiker ergreifen Rollen als Pädagogen und Sozialarbeiter, die zunächst nicht ihrer Anstellung als Fach-Instrumentalisten im Orchester entsprechen. Das hat die Programme anfangs im Orchester umstritten gemacht, und es setzt viele Musiker nach Darstellung der seit 2012 amtierenden Education-Leiterin Andrea Tober nach wie vor unter Druck. Zwar verfolge das Programm auch legitimatorische Zwecke, doch wirkten viele Musiker aus der Überzeugung mit, es sei Teil ihrer Arbeit am »Orchester der Zukunft«, das sich langfristig stärker in die gesellschaftliche Struktur hineinbewegen solle. Viele Musiker seien zu dem Schluss gekommen, sagt Tober, dass sie nicht nur die Aufgabe hätten, Musik zu produzieren, auf höchstem Niveau, sondern auch eine Aufgabe »in Richtung des Rezipienten und damit letztlich eine Verantwortung in der Gesellschaft«. Dabei laste ein »ziemlicher Leistungsdruck« auf den einzelnen Musikern, »besonders wenn sie wissen, am Ende sehen auch Kollegen zu«. Eine Präsentation auf die Beine zu stellen, mache den Musikern »Stress«, wie Tober sagt, »wenn sie am Ende vorstellen sollen, was sie da über Wochen an einer Schule gemacht haben.« Die Qualität des Ergebnisses entziehe sich zum Teil ihrer Kontrolle, sie sei eben Ergebnis der Aktivität der Schüler. Für manche Orchestermusiker sei das ein Hinderungsgrund, an der Leitung eines Workshops mitzuwirken. Aus Sicht des Orchesters stellt Peter Riegelbauer im Jahr 2012 fest, die Rolle »als Musikvermittler« gehöre für das Orchester nicht zur Peripherie, sondern werde »jetzt verstanden als eine ganz wesentliche Arbeit,

30 Vgl. Koch (2003): Lernen in der Stadt. Während ihrer Veranstaltung in der Arena Treptow im Januar 2003 verteilten die Philharmoniker Fragebögen, die damit rechneten, Besucher hätten vielleicht »noch nie ein Konzert mit klassischer Musik besucht«, keine Kenntnis von den Philharmonikern, »noch nie Musik von Strawinsky gehört«. Eine kritische Würdigung des Films im Kontext der Berliner Kultur- und deutschen Bildungspolitik findet sich bei Jan Brachmann (2004): »Spaß? Was für ein Spaß? Mit dem Film ›Rhythm is it!‹ sahnt Simon Rattle als geistiger Nothelfer an Berlins Schulen ab.« Zur Frühgeschichte des philharmonischen Education-Programms von 2002 bis 2005 finden sich detaillierte Beispiele bei Theede (2007), pp. 227-234.

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die wir genau so wichtig nehmen wie das Spielen auf dem Podium«. Gleichzeitig bezeichnet er das Education-Programm als »Forschungsarbeit«. Das Orchester müsse »über viele Jahre« erst einmal Erfahrung erwerben, was in diesem Bereich sinnvoll und was weniger sinnvoll sei. In der Zukunft wollen die Philharmoniker ihre Education-Projekte stärker mit ihrem eigenen Musizieren verbinden. Es solle, so Tober, ein breites Angebot geschaffen werden, »wo Musiker sich wiederfinden mit dem, was sie interessiert und was sie können.« Nicht jeder Musiker könne sprechen, es gebe aber vielfältige Möglichkeiten, Musik vermittelnd aktiv zu sein. Tober wünscht sich, dass jeder Musiker »am besten für sich selbst überlegt, was er dazu beitragen könnte«. Tanzveranstaltungen, bei denen zu Musik vom Tonband geprobt wird und das Orchester erst zur Generalprobe dazukommt, soll es nicht mehr geben. Geplant ist dagegen ein niedrigschwellig ansetzendes Vokal-Projekt mit dem Chordirigenten Simon Halsey, bei dem im Sinn einer aufsuchenden kulturellen Bildung Partnerschaften besonders in Stadtteilen aufgebaut werden, die als sozial problematisch gelten, wie Moabit, Neukölln und Marzahn-Hellersdorf. Dabei soll es nicht vordergründig um Chorsingen gehen, sondern um die langfristige Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten im Sinn eines »Wir machen zusammen Musik«. Schon bei der Befragung im Jahr 2006 hatte der Orchestervorstand Peter Riegelbauer bemerkt, die Education-Programme könnten etwas bewirken, Zweifel bestünden aber daran, ob diese Wirkungen nachhaltig seien. »Die jungen Leute«, sagte Riegelbauer damals, »werden nach der durch uns gemachten Erfahrung allein gelassen«. Sechs Jahre später stellt auch die neue EducationLeiterin fest: »Wir haben die Kinder und Jugendlichen am Haken, aber wir holen die Angel nicht ein und die schwimmen wieder weg. Gerade wenn wir über Breitenförderung sprechen, ist das das große Thema: Wo gibt es die Anschlüsse?« Am Ende des Untersuchungszeitraums und zehn Jahre nach Gründung des Education-Programms nimmt die Organisation daher eine strategische Korrektur vor. Einzelmaßnahmen sollen vermieden werden, die Education-Arbeit soll eine Verstetigung erfahren. Die Philharmoniker arbeiten an einem Programm, dessen Teile aufeinander aufbauen, und das, nach den Worten Tobers, »das Orchester als zuverlässigen Partner etabliert«. Die Education-Leiterin erklärt es zu ihrem Ziel, »dass, wenn wir an einer Schule ein Projekt machen, wir immer auch anschlussfähig sind zu weiteren Projekten, die nicht mehr an die Institution Schule gekoppelt sind, sondern auf Freiwilligkeit bauen.« Als Beispiel für eine systematisch längerfristig angelegte niedrigschwellige instrumentale Programmschiene nennt sie ein Projekt in der Spielzeit 2012/13, in dem Kinder Brittens »Noah’s Flood« aufführen. Der Aktion folge dann ein zweiter partizipativer »Baustein«,

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ein »Mitmach-Stück, in dem 35 Philharmoniker mit noch einmal so vielen Kindern, die eine vereinfachte, reduzierte Mitspiel-Version haben, ein Stück aufführen.« Die Idee sei, auf unterschiedlichem Leistungsniveau gemeinsam gute Musik zu machen. •

Eine weitere Innovation in der Dimension des Sozialen soll die Einrichtung eines festen Kartenkontingents für Studenten bilden. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums sind 50 Plätze pro Konzert mit einem Rabatt von 50 Prozent für Studenten reserviert. Die damalige Intendantin plant, dieses Kontingent auf 200 zu erhöhen und die Karten zum Festpreis von je 15 Euro anzubieten. Nach Auskunft des Intendanten am Ende des Untersuchungszeitraums wurde dieser Plan nicht realisiert.



Mit Beginn ihrer Amtszeit im Spätsommer 2006 arbeitet die Intendantin Pamela Rosenberg daran, ethnische Gruppen und Migranten, wie sie sagt, in die Arbeit der Philharmonie einzubeziehen, beginnend mit der größten Gruppe, den türkisch-stämmigen Mitgliedern der Stadtgesellschaft.31 Dazu werden Konzertprogramme entwickelt und unter dem Titel »Alla turca« auch aufgeführt, die türkische Musik oder Musik des östlichen Mittelmeerraums mit mittel- und westeuropäisch geprägter Musik verbinden. Der künstlerische Leiter der Philharmoniker, Simon Rattle, wird zur Einführung der ersten Saison mit ihren fünf Konzerten mit dem programmatischen Satz zitiert: »Von allem, was Musik leisten kann, ist für mich das Wichtigste: Menschen zusammenbringen.«32 Zum Ende des Untersuchungszeitraums ist das Programm Geschichte, die Alla-turca-Reihe ist in einer neuen Weltmusik-Reihe aufgegangen. Insofern das Programm der Philharmonie ein neues Publikum generieren sollte, in seiner marktbezogenen Dimension, hatte es nach Wahrnehmung des im Jahr 2012 befragten Orchestervorstands eine »überschaubare Wirkung«, als Schlüssel für die Gewinnung dieser Publika habe es sich nicht erwiesen. Um Mitglieder entsprechender Bevölkerungsgruppen im Sinn der sozialen Handlungsdimension zu erreichen, habe sich der Weg über die Education-Arbeit als geeigneter erwiesen, weil die Eltern der beteiligten Kinder an der Präsentation der Ergebnisse teilnähmen.

31 Nach Angaben des Statistischen Landesamts Berlin (2005) lebten zu Beginn des Untersuchungszeitraums 117.624 türkische Staatsangehörige und rund 60.000 eingebürgerte Türken in der Stadt. 32 Berliner Zeitung vom 28.9.2007: Mit Messer und Stimmgabel.

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Bereits erwähnt wurde die Übernahme des Ehrenamt-Modells des Konzerthauses. Seit der Spielzeit 2007/08 engagieren sich Ehrenamtliche nach einer Schulung und ausgestattet mit einem Handbuch in der Betreuung der Konzertbesucher der Philharmonie. Der Aufgabenbereich in der Philharmonie ist beschränkter als im Konzerthaus. Anders als dort ist in der Philharmonie nicht vorgesehen, dass Ehrenamtliche Führungen durch das Haus leiten oder Schulprojekte begleiten.

Innovation in der Dimension des Marktes Die Stiftung Berliner Philharmoniker hat im Untersuchungszeitraum neue Veranstaltungsformate entwickelt und eingeführt. In einigen Fällen wird die Musik über das klassische Musizieren hinaus von Personen vermittelt, die sprechen. Auch eine Diversifizierung der Veranstaltungszeiten und Spielorte lässt sich, ähnlich wie im Konzerthaus, wenngleich in geringerem Umfang und zum Teil mit anderer Bedeutung, in der Philharmonie beobachten. •

Die Lunchkonzerte werden von der damaligen Intendantin Rosenberg praktisch zur gleichen Zeit wie die heutigen Espresso-Konzerte des Konzerthauses entwickelt. Sie finden seit der Spielzeit 2007/08 dienstags um 13 Uhr im Foyer der Philharmonie statt. Der Besuch der Lunchkonzerte ist kostenlos. Es sind informelle Darbietungen kammermusikalischer oder klein besetzter Musiken, denen das aus Berlinern und Touristen augenscheinlich bunt gemischte Publikum auch im Stehen, oft um die Ausführenden geschart, zuhört. Die Musiker können Mitglieder der Philharmoniker sein, aber auch von außerhalb kommen. Im Anschluss an das zwischen 40 und 50 Minuten dauernde Konzert bietet die Philharmonie eine Mahlzeit gegen Entgelt an. Das Format ist ein Erfolg beim Publikum, im Jahr 2011 wurden 63.000 Besucher gezählt. Die Lunchkonzerte unterliegen aber nicht der gleichen stringenten Qualitätskontrolle wie die förmlicheren Veranstaltungen in den Sälen, für deren Besuch die Philharmonie Geld verlangt. Will man den im Berliner Konzerthaus programmatisch verwendeten Begriff der Öffnung anwenden, so stellen die Lunchkonzerte in der Philharmonie ein Mittel der Öffnung dar. Mit ihrem Veranstaltungsort im Foyer machen sie einen funktional als Ort der Passage und der Präsentation von Gesellschaftlichkeit konzipierten Raum auch ästhetisch zu einer Zone des Übergangs. Dabei befestigen sie parallel zum Prozess einer Öffnung den Stellenwert des »Tempels«, also des großen Saals als Ort eines »eigentlichen«, der ästhetischen

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Kontemplation gewidmeten Musizierens, für dessen Besuch, um im Bild zu bleiben, ein finanzielles Opfer erforderlich ist. Als Vor-Raum zum inneren ästhetischen Bereich des großen Saals erscheint das Foyer im Übrigen auch in jenen Fällen, in denen dort die Ergebnisse von Education-Projekten aufgeführt werden, die mit einem Konzertprogramm der Philharmoniker verbunden sind. •

Die Late Night-Konzerte der Philharmonie greifen urbane Praktiken wie den Besuch von Clubs oder die Lange Nacht der Museen auf. Sie beginnen in der Regel um 22.30 Uhr, in Einzelfällen noch eine Stunde später. Die Konzerte finden meist im großen Saal statt, und obwohl in vielen Fällen mit Simon Rattle der Chefdirigent der Philharmoniker selbst auftritt, sind sie für einen Einheitspreis von lediglich zehn Euro zu besuchen. Wer bereits das zeitlich davorliegende Sinfoniekonzert besucht hat, erhält für das Late Night-Konzert sogar freien Eintritt und schafft sich damit eine persönliche »Lange Nacht der Musik«. In der Spielzeit 2012/13 gibt es vier Late NightKonzerte. Auf ihren Programmen steht Musik des 20. Jahrhunderts bis hin zu Uraufführungen. Das Format ist nach dem Amtsantritt des Intendanten Martin Hoffmann in der Spielzeit 2011/12 eingeführt worden.



Die so genannten Carte blanche-Konzerte stellen in der Spielzeit 2004/05 den Versuch dar, einen der »besten Sendezeit« der Philharmonie vorgelagerten Konzertbeginn um 18 Uhr zu etablieren. Die Idee ist, den Lebensgewohnheiten der Menschen in der Stadt dadurch zu entsprechen, dass ein Konzertbesuch unmittelbar im Anschluss an die Arbeitszeit möglich gemacht wird. Die Carte blanche-Konzerte waren schwach besucht und wurden nach einer Saison wieder eingestellt. Nach Meinung Pamela Rosenbergs waren die Konzerte zu vereinzelt im Spielplan aufgetaucht und nicht hinreichend beworben worden. Der Verwaltungsdirektor sieht im Jahr 2006 den frühen Beginn als Hauptproblem. Nach seiner Meinung arbeiten die Besucher der philharmonischen Konzerte länger als andere und sind nicht darauf eingestellt, Konzerte verhältnismäßig früh am Abend zu besuchen.



Mit den Familienkonzerten hat sich die Philharmonie ein Format zu eigen gemacht, das in ihren Räumen zuvor von den Berliner Symphonikern gepflegt wurde, solange es sie gab. Zunächst als Meet the orchestra-Konzerte im Rahmen des Education-Programms in der Spielzeit 2006/07 eingeführt, gibt es die Familienkonzerte seit 2007/08. In der Saison 2012/13 gibt es fünf Familienkonzerte, sie finden samstags oder sonntags am Vormittag oder am

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Nachmittag statt, in manchen Fällen werden Konzerte zu mehreren Uhrzeiten in Folge angeboten. Die Formate und Themen der Familienkonzerte sind vielgestaltig. Immer sind sie moderiert oder enthalten Erzähler-Rollen, häufig wird die Moderation von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker ausgeführt. Oft ist die Partizipation von Schülern unterschiedlicher Stufen Teil des Konzepts, etwa durch den Bau und den Gebrauch eigener Instrumente. •

Während sich die Philharmoniker als Orchester traditionell europäischer und gelegentlich nordamerikanischer Kunstmusik widmen, bringt die Reihe Unterwegs – Weltmusik mit Roger Willemsen Musiken auch anderer Kulturkreise und Funktionalitäten in die Philharmonie. Hier wird eine prominente Fernseh-Persönlichkeit, die auch als Autor von Reisebüchern aufgetreten ist, als Vermittler musikalischer Programme eingesetzt. Die WeltmusikReihe wird seit der Spielzeit 2011/12 angeboten. Sie steht in der Nachfolge der Reihe »Alla turca« aus der Saison 2007/08. In der Spielzeit 2012/13 gibt es vier Weltmusik-Konzerte im Kammermusiksaal, und wie die Familienkonzerte sind auch sie aus Themen entwickelt. Diese reichen von Musik aus dem arabischen Kulturkreis über Musik der Polarregion und musikalische Abschiedsrituale unterschiedlicher Kulturen bis zu einer »Musik der Meere« auf dem Indischen Ozean und um ihn herum. Zu einem Teil dieser Themenkonzerte veranstaltet die Philharmonie zusätzlich öffentliche Workshops, die gewissermaßen vorbereitend wenige Tage vor dem darbietenden Format stattfinden.



Gattungsgrenzen werden auch mit einer Reihe von Musikfilmen unter dem Titel »Musik bewegt Bilder« überschritten. Ein Mal pro Monat, in der Saison 2012/13 zehn Mal, wird in der Philharmonie ein Film mit musikbezogenem Thema gezeigt. Mit der Film-Reihe übernimmt die Philharmonie seit der Spielzeit 2010/11 eine Praxis, die vor ihr das Berliner Konzerthaus in seinem Musikclub eingeführt hat.



Ein frühes Beispiel für Formate, die Sprechen und Musikmachen miteinander verbinden, ist der Philharmonische Salon. Eingeführt in der Saison 2000/01, geht er auf die Initiative des philharmonischen Cellisten Götz Teutsch zurück, der die Reihe auch nach seiner Pensionierung als Dramaturg und zum Teil als Moderator begleitet. Der Philharmonische Salon bleibt seinem historischen Gattungsvorbild insofern treu, als er solistische und Kammermusik vorzugsweise des 19. Jahrhunderts mit Themen romantischer Künstlerpersönlichkeiten verbindet. In der Spielzeit 2012/13 sind

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dies die Themen »Der Künstler steht allein – Franz Liszt in Rom« und »Sie sind wirklich eins für das andere – Fanny und Felix Mendelssohn«. Der Erfolg der Reihe erlaubt es mittlerweile, jeden Themen-Salon an aufeinanderfolgenden Wochenenden zwei Mal im Kammermusiksaal zu veranstalten. •

Das Problem der unzulänglichen Beachtung des Kammermusiksaals versucht die Philharmonie unter der Intendanz Pamela Rosenbergs mit künstlerisch verknüpften Programmen zwischen den Sälen zu bekämpfen. Für die Philharmonie liegt eine Schwierigkeit in der Größe des Kammermusiksaals – Peter Riegelbauer spricht in Hinsicht auf kleine musikalische Besetzungen sogar von einer »Überdimensionierung« des Saals mit seinen 1180 Plätzen. Überdies bildet der Kammermusiksaal einen selbständigen Baukörper mit eigenem Eingang, sodass sein Besuch als etwas anderes erscheint als ein Besuch der Philharmonie mit ihrem großen Saal. Um das Publikum des großen Saals zum Besuch auch des kleinen zu veranlassen, entwickelt Rosenberg für die Spielzeit 2007/08 einen Beethoven-Webern-Zyklus, der Aufführungen in beiden Sälen verbinden soll. Am Ende des Untersuchungszeitraums 2012 bilden kombinierte Programme zwischen den Sälen eine Angebots-Innovation, die aufgegeben wurde.



Auch mit Mitteln der Werbung hat die Philharmonie versucht, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und Interesse für den Kammermusiksaal und seine Angebote zu erzeugen. Die Kampagnen »Komponisten privat« und »wilde Klassik« setzen dabei Mittel ein, die zumindest in Berlin neu für die Bewerbung von Konzerten ernster Musik sind. »Komponisten privat«, die Kampagne der Saison 2003/04, fällt vor allem durch Plakate auf, die bekannte Komponisten in einer Mischung aus altmeisterlicher und fotorealistischer Ästhetik bei persönlichen Verrichtungen zeigen – Johann Sebastian Bach etwa erscheint mit einem Teller und einer Spülbürste beim Abwasch, Ludwig van Beethoven beim Nassrasieren mit Schaum im Gesicht, Haydn mit Lockenwicklern in der Perücke, Mozart beim Zähneputzen. »Wilde Klassik« bringt in der Saison 2005/06 Bilder von exotischen Tieren, die aus Instrumenten zusammengesetzt sind – ein Krokodil etwa als Collage aus Bauteilen von Klarinetten, Saxophonen und Querflöten, ein Löwe, dessen Mähne aus unzähligen Schnecken von Streichinstrumenten besteht. Diese Bilder werden als Plakate in der Stadt aufgehängt, zusätzlich wird in Zeitungsanzeigen mit ihnen geworben, werden Postkarten in Restaurants ausgelegt, Blow-ups in Ladengeschäfte gestellt. Plakate sowie mit den Motiven bedruckte Umhängetaschen, Schlüsselanhänger, Kühlschrankmagnete und

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eine »Wilde Klassik«-Kammermusik-CD mit Live-Mitschnitten der Berliner Philharmoniker sind im Rahmen einer Merchandising-Kampagne auch käuflich zu erwerben. Nach Angaben der verantwortlichen Werbeagentur Scholz & Friends hat sich der Umsatz des philharmonischen Merchandising-Handels vom Beginn der Kampagne bis zum Jahr 2008 durch den ausgelösten Aufmerksamkeitsschub mehr als verdoppelt. 33 Parallel zur Werbekampagne bietet die Philharmonie mit der Kammermusikreihe »Aktuelles«, bei der zeitgenössische und moderne Musik auf dem Programm stehen, ein neues Produkt im Kammermusiksaal an. Dabei kann sich das Publikum in der Aktion »Wilde Klassik Live« aus sechs Konzerten nach eigenem Interesse ein Abonnements-Paket von vier Konzerten zusammenstellen.34 Als wichtigste Zielgruppen nennt die Werbeagentur die »allgemeine Berliner Öffentlichkeit, vor allem junge Menschen unter 30 Jahren, die klassischer Musik gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen sind«, und Besucher des großen Saals der Philharmonie, »die sich bisher nicht an die Kammermusik herangetraut haben« und die »denken, dass Orchestermusik spannender und unterhaltsamer ist als Kammermusik«. Ziel der Kampagne ist es, »Neulingen und Unentschlossenen die Hand [zu] reichen« und in der allgemeinen Öffentlichkeit eine »hohe Schwellenangst vor der Kammermusik« abzubauen, die »als verstaubtes Nischengenre für alte Klassikexperten wahrgenommen wird«. Die »zentrale Nachricht« sei: »Kammermusik macht Spaß, nicht Angst.« Nach Darstellung der Werbeagentur sind die Kampagnen erfolgreich. Über »Komponisten privat« berichtet die Agentur, die Zahl der Erstbesucher im Kammermusiksaal habe sich bis Februar 2004 von durchschnittlich 2,5 Prozent um fast das Fünffache auf 12 Prozent erhöht. Der Anteil der unter 30Jährigen im Publikum habe sich von durchschnittlich 4,1 Prozent auf 25,2 Prozent versechsfacht. Der erste Kampagnenmonat zeige im Vergleich zum Vorjahresmonat eine Steigerung der Auslastung von 57 Prozent auf nunmehr 88 Prozent. Dabei seien die Steigerungen »nachhaltig« und »dauerhaft«. Auch die Intendantin sagt bei der Befragung im Jahr 2006, die Kampagnen seien erfolgreich, das zeigten auch die Kartenverkäufe. In den Zah-

33 Vgl. die Präsentationen der Agentur in Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V. (2005) und Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V. (2006). 34 Vgl. Berliner Zeitung (2005): Luftsprünge, Liebessätze – Zeitgenössische Kammermusik in der Reihe »Wilde Klassik«.

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len der Berliner Senatsverwaltung für Kultur lässt sich das nicht nachvollziehen. Nach ihnen schwankt die Auslastung aller philharmonischen Veranstaltungen im Kammermusiksaal im Zeitraum von 2005 bis 2012 zwischen 56 Prozent im Jahr 2009 (58 Prozent in 2006, dem zweiten Kampagnenjahr von »wilde Klassik«) und 66 Prozent im Jahr 2008. Einen Trend lassen die Zahlen dieser sieben Jahre nicht erkennen. Am Ende der Spielzeit 2005/06 werden die mit der Kampagne verbundenen Kammermusik-Produkte »Aktuelles« und »Wilde Klassik Live« wieder aus dem Angebot genommen. In der Spielzeit 2012/13 tragen die Abonnement-Reihen im Kammermusiksaal wieder traditionellere, auf Gattungen und Stile bezogene Titel wie »Klavier«, »Quartett«, »Originalklang«, »Umsungen – die Welt der Vokalmusik«. Der befragte Orchestervorstand erklärt im Jahr 2012, in Werbung und Marketing-Kampagnen für den Kammermusiksaal sei »viel investiert« worden, der Nutzen sei umstritten. Die Attraktivität von Veranstaltungen habe »viel mit dem Ort zu tun«, und gegenwärtig sei in Berlin das Radialsystem »cool«. Insgesamt sei das Angebot in Berlin stark gewachsen, ohne dass dem ein Wachstum des Publikums entspräche. •

Den Tag der offenen Tür haben die Philharmoniker im Untersuchungszeitraum zu »eine[r] Art Volksfest« (Peter Riegelbauer) ausgebaut. Mit mehr als 8500 Besuchern etwa am Pfingstmontag des Jahres 2012 ist der Tag der offenen Tür das populärste Format der Philharmoniker nach den traditionellen Open-Air-Konzerten in der Berliner Waldbühne. Neben Musikaufführungen verschiedener Philharmoniker-Formationen unterrichten Orchestermitglieder zur Probe und veranstalten Workshops; ein ad hoc zusammengestelltes Laienorchester tritt unter der Leitung Simon Rattles auf. Veranstaltungen gibt es in sämtlichen Räumen der Philharmonie, vom Musikinstrumentenmuseum bis zum philharmonischen Garten. Martin Hoffmann erzählt, er habe sein Intendantenzimmer für eine »klangtherapeutische Praxis« abgegeben. Veranstaltungen wie der Tag der offenen Tür verankerten die Philharmoniker »im Bewusstsein der Leute«, nach den Worten des Intendanten: »Viele sagen, das ist eine Elite. Aber viele haben auch den Eindruck, ›diese Qualität ist auch für mich etwas‹.«



Für den internationalen Markt haben die Philharmoniker mit dem Orchestra in Residence ein Format entwickelt, mit dem sie ihre Berliner Arbeit am »Orchester des 21. Jahrhunderts« in Produktform nach außen tragen und zum Markenzeichen machen. Das Orchestra in Residence wendet das international verbreitete Modell des Artist in Residence auf ein Orchester an und

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erzeugt damit den Eindruck, das Instrumentalisten-Kollektiv sei eine eigenständige Künstler-Persönlichkeit, die aus Künstler-Persönlichkeiten besteht. An Stelle der gängigen Kettenform einer Tournee lassen sich die Philharmoniker während ihrer Residenzen für einige Tage in einer Stadt nieder. Dabei treten neben die traditionellen Orchesterkonzerte nun auch Kammermusikkonzerte, bei denen Instrumentalisten der Philharmoniker in kleinen Formationen auftreten, sowie Education-Projekte mit Jugendlichen der Gast-Stadt. Erstmals treten die Philharmoniker als Orchestra in Residence im November 2007 eine Woche lang in der New Yorker Carnegie Hall im Rahmen des »Berlin Festival of Lights« auf. Im Jahr 2010 präsentieren sie sich mit Sinfonik, Kammermusik und dem Education-Projekt »remix« für australische Schüler in Sidney, 2011 residieren sie in London, 2013 in Madrid und wieder in New York, in der Spielzeit 2013/14 nach Auskunft des Intendanten in Amsterdam. Das Residenz-Format hat die traditionelle Tournee mit ihrer Reihung von Gastkonzerten in einer Folge von Städten nicht ersetzt, sondern es erweitert das internationale Produkt-Portfolio der Philharmoniker. •

Parallel zur Erweiterung ihres Produktportfolios erweitern die Berliner Philharmoniker auch ihren internationalen Markt als solchen. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums sprechen Mitglieder des Managements von den Chancen, die sich in Asien auch außerhalb des traditionell besuchten Japan auftun. Die erste Tournee nach Taiwan im Jahr 2005 hatte dem Orchester die Erfahrung vermittelt, dass sein Publikum größer und auch jünger ist als angenommen. Peter Riegelbauer berichtet nach der Tournee: »In Taiwan sind wir geradezu euphorisch aufgenommen worden: 3000 Zuhörer im Saal und 25.000 auf dem Platz davor, die die Live-Übertragung ansahen. Davon war kaum jemand älter als 25 Jahre«. Wie das erste große EducationProjekt, wird im Übrigen auch diese Konzertreise mit Auftritten in Peking, Schanghai, Hongkong, Taipeh, Seoul und Tokio in einem Film dokumentiert (»Trip to Asia« von Thomas Grube, 2008). Für das Jahr 2009 ist zum ersten Mal eine Südafrika-Tournee in Planung, bei der das Orchester mit Auftritten in schwarzen Townships seinen neuen sozialen Ambitionen und dem universalen Anspruch auf Musik als »Grundbedürfnis« Ausdruck geben möchte.35 Ebenfalls zum ersten Mal ist für das Jahr 2010 eine Tournee

35 Die Tournee nach Südafrika ist bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht realisiert worden. Das Orchester setzte die Tournee immer wieder auf den Plan, konnte jedoch nie eine Finanzierung dafür finden.

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nach Australien geplant, mit einem Zwischen-Auftritt in Abu Dhabi, mit der man, nach den Worten des Verwaltungsdirektors bei der Befragung 2006, »von traditionellen Pfaden abweichen« wolle. Der erweiterten Definition des Marktes gibt bei der Befragung 2012 der Intendant der Berliner Philharmoniker Ausdruck, wenn er sagt, es gebe »einen starken Fokus, ein Bedürfnis, dass wir in den Kapitalen der Welt präsent sind. […] Und dann wollen wir auch da hingehen, wo es ein bisschen wehtut, wo es neu oder überraschend ist. Das hat das Orchester 2010 in Australien getan, und wir planen jetzt eine größere Tournee nach Lateinamerika – Venezuela, Uruguay, Brasilien.« In der Dimension des Marktes steht auch die Arbeit am Haus selbst. Das Bauwerk der Philharmonie ist ja sowohl ein notwendiges Mittel zur Erbringung der Leistung »Konzert« als auch ein erlebnisträchtiger Teil des Produkts »Abendveranstaltung«. Daher kann man neue Veranstaltungsformate im Foyer, wie die Lunchkonzerte, als Beiträge zur Erschließung des Hauses interpretieren, als niedrigschwellige Einstiegs-Angebote für ein breites Publikum. Das wären mit Blick auf das Gebäude der Philharmonie die wirkungsvollsten Innovationen im Untersuchungszeitraum. Seit der Spielzeit 2000/01 lädt die Philharmonie auch zu kostenpflichtigen Führungen durch das Bauwerk ein. Bei der Befragung im Jahr 2006 wird von Überlegungen berichtet, die Besucherführung in der zum Labyrinthischen neigenden Philharmonie mit ihren Stegen, Treppen und versteckten Saaleingängen zu verbessern. Dass die Intendantin im Jahr 2006 Überlegungen anstellt, mithilfe eines Restaurants die Philharmonie den ganzen Tag über für die Menschen der Stadt zu öffnen, wurde eingangs schon erwähnt. Doch der Wunsch des Managements, die Philharmonie möge umfassender im Leben der Stadt präsent sein, bleibt unerfüllt. Noch im Frühjahr 2013 wünscht sich der künstlerische Leiter, Simon Rattle, »es gäbe hier ein gutes Restaurant im Haus, für jedermann zugänglich. Das würde viel helfen. Aber da steht der Denkmalschutz im Weg«. Noch ist die Philharmonie, so Rattle, kein gesellschaftliches Zentrum für die Stadt geworden, wie etwa das Southbank Center für London, »als sozialer und kultureller Fokus, ein Ort für alle.«36 Im Gespräch am Ende des Untersuchungszeitraums wird die Realisierung dieses Konzepts vom befragten Orchestervorstand auf einen Zeitpunkt »irgendwann« in der Zukunft verwiesen. Dann werde möglicherweise auf dem Angestelltenparkplatz ein neuer Bauteil errichtet, der einen Shop und ein Restaurant beherbergen könnte.

36 Eleonore Büning (2013): Das dunkelste C-Dur, das je komponiert wurde. Interview mit Sir Simon Rattle.

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Technologische Innovation in der Dimension des Marktes In den Beispielen des Education-Projekts zu Strawinskys Le Sacre du printemps und der Asien-Tournee von 2005 mit ihren dazugehörigen Film-Dokumentationen, aber auch an den Werbekampagnen für den Kammermusiksaal zeigt sich ein Interesse, die eigene Arbeit zu mediatisieren. Im Fall des Tanzprojekts kann man sogar sagen, der Film Rhythm is it habe eine breitere Wirkung entfaltet als das aufwändige Projekt selbst. Die herausragende philharmonische Qualität stellt sicher, dass die Arbeit des Orchesters für sich selbst spricht. Gleichzeitig tun die Philharmoniker etwas dafür, dass auch über sie gesprochen wird. Mit beidem zusammengenommen ist viel von dem bezeichnet, was Marketing überhaupt bedeutet. Erfolg am Medienmarkt suchten und fanden die Philharmoniker schon lange, parallel zum Aufschwung der Unterhaltungselektronik seit den 1960-er Jahren. Nach dem Amtsantritt Simon Rattles im Jahr 2002 ist es ihnen gelungen, mit zusätzlichen Mitteln des sozialen Engagements einen positiv sich verstärkenden Regelkreis von kultureller Arbeit, medialer Wirkung und wirtschaftlichem Erfolg aufzubauen: Die Exzellenz des Orchesters zieht ein exzellentes Publikum an, das seinerseits das Prestige des Orchesters bestätigt. Das hohe Prestige erlaubt es, im internationalen Geschäft hohe Gagen zu erzielen, und lässt es für Sponsoren und staatliche Förderer lohnend erscheinen, große Beträge verlässlich beizusteuern. Gleichzeitig erlaubt es soziale Grenzüberschreitungen und Experimente mit nicht-exzellenten Publika. Die sozialen Grenzüberschreitungen wecken das Interesse der Medien, auch solcher, die sich mit Musik allein kaum beschäftigen würden, die daraus resultierende Publizität erhöht den Aufmerksamkeitswert der Philharmonie, und das macht die Philharmoniker wiederum interessant für solvente Förderer und für ein exzellentes Publikum. In dem, wie sie symbolische Repräsentation und die Sicherung tangibler und nicht-materieller Ressourcen miteinander verbindet, kann diese Mediatisierungs-Strategie der Philharmoniker ihrerseits als Innovation verstanden werden. Ein entscheidender Faktor der Entwicklung medialer Selbstdarstellung und Kommunikation ist die technologische Entwicklung. In diesem Bereich gibt es im Untersuchungszeitraum den in Hinsicht auf die Reichweite größten und im organisationalen Feld herausragenden Innovationsschub. Die Philharmoniker handeln dabei aus tief verwurzelten Routinen; an der Front der technischen Entwicklung von Aufnahme- und Wiedergabemedien zu arbeiten, ist Teil ihrer Geschichte. Herbert von Karajan, 34 Jahre lang der Chefdirigent der Philharmoniker, hatte im Jahr 1965 begonnen, Musikfilme zu drehen und bald darauf mit dem Filmehändler Leo Kirch eine erste Produktionsfirma gegründet. Auf Kara-

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jan geht auch die technische Zusammenarbeit mit der Firma Sony zurück, »gewissermaßen Karajans Abteilung für Forschung und Entwicklung«, wie Peter Uehling die Firma in seiner Biografie des Dirigenten nennt. 37 So stellte Karajan 1981 die damals neue Compact Disc gemeinsam mit Akio Morita, dem Gründer von Sony, während der Osterfestspiele der Philharmoniker in Salzburg in einer Pressekonferenz vor. Nach der Einführung der CD arbeitete Karajan auf ein digitalisiertes Medium hin, das Ton und Bild vereinigt dem häuslichen Konsum der Endverbraucher zuführen sollte. Ein solches Medium war damals die Laserdisc, die sich technisch nicht durchsetzte. Eine Aufnahmetechnik fand sich im HDTVVerfahren. Damit arbeitet heute die Philharmonie. Ein Medium, das Kommunikation und Distribution gegenwärtig grundlegend verändert, konnte Karajan bis zu seinem Tod im Jahr 1989 allenfalls in seinen wissenschaftlichen Anfängen wahrnehmen: das Internet. Dessen umfassende Nutzung durch die Philharmoniker kündigt sich zum Beginn des Untersuchungszeitraums im Jahr 2006 an. Das Management der Philharmonie hatte erkannt, dass sein Haus über das Internet mehr Kontakte zu Kunden und Interessenten herstellte als mit den herkömmlich verwendeten Mitteln. In einigen Fällen war bereits die Hälfte der Konzertkarten über das Internet verkauft worden. Daher arbeitet die Philharmonie damals fortgesetzt an der Erhöhung der technischen Kapazität zum Online-Verkauf. Die Einführung von e-Tickets, die von den Besuchern zu Hause ausgedruckt werden können, ist im Jahr 2006 in Planung. Erste Wirkungen erzielen die Philharmoniker auf ihrer Website mit Podcasts, die Informationen über die Inhalte ihrer Konzerte sowie persönliche Vorstellungen der Ausführenden enthalten. Die größten Neuerungen befinden sich zur Zeit der Befragung 2006 indessen noch im Stadium der Entwicklung. Pamela Rosenberg spricht davon, die Philharmonie wolle »die Möglichkeiten des neuen digitalen Zeitalters« nutzen und mit Hilfe der Streaming-Technologie im Internet mehr Menschen erreichen und sich außerhalb Berlins präsentieren. Auch über Möglichkeiten der Nutzung des Internet für Education-Programme und über die Etablierung eines eigenen Medien-Labels wird in der Philharmonie nachgedacht. Sechs Jahre später sind wesentliche Teile dieses Projekts realisiert. Auf der Plattform ihrer Digital Concert Hall bieten die Philharmoniker inzwischen mehr als 30 Konzerte pro Saison weltweit als Live-Videostreams an, mehr als 100 Konzerte sind aus dem Archiv abrufbar, dazu gibt es Podcasts mit Interviews und Informationen zu den aufgeführten Werken und zu den ausführenden Musi-

37 Peter Uehling (2006): Karajan, p. 315. Die Hinweise auf Karajans medientechnologische Arbeit sind den Seiten 312-318 entnommen.

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kern. Mit ihrer in Einzelfällen bereits genutzten Möglichkeit, Konzerte auch von Gastorchestern und eingeladenen Kammermusikern aus der Philharmonie zu übertragen, stellt die Digital Concert Hall einen weltweit empfangbaren Kulturkanal im Internet dar. Über seine Inhalte und deren Verbreitung hat die Stiftung Berliner Philharmoniker mit ihrer Tochter Berlin Phil Media GmbH die technische und redaktionelle Hoheit; zwei Mitglieder des Orchesters gehören der dreiköpfigen Geschäftsführung der Berlin Phil Media an. Im Sinn technischer Konvergenz arbeitet die Tochtergesellschaft daran, alle Inhalte der Digital Concert Hall auf dem PC, dem Tablet-Computer, dem Smartphone, dem Blue-Ray-Spieler, der Stereoanlage und dem Fernseher zugänglich zu machen. Die Angebote sind teils gratis, teils kostenpflichtig, sie lassen sich einzeln oder über Abonnements unterschiedlicher Laufzeit konsumieren. Seit Ende 2011 übertragen die Philharmoniker ihre Konzerte mit der Streaming-Technik auch in eine Reihe von Kinos in Europa. Daneben unterhalten sie einen eigenen Kanal auf Youtube und kommunizieren über die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter. Die Philharmonie Berlin und die Berliner Philharmoniker sind zum Abschluss des Untersuchungszeitraums Ende 2012 die erste und einzige Konzertorganisation in der Welt, die über ein solches Angebot verfügt. Bereits Herbert von Karajan wollte mit den Tonaufnahmen, den Filmen und Videos ein internationales Publikum erreichen, das über die Besucher der philharmonischen Konzerte hinausreichte. Mit dem Konzept, die Tätigkeit der Philharmoniker möglichst vielen Menschen auf der ganzen Welt »zugänglich zu machen«, wie es etwa der Geschäftsführer der Berlin Phil Media GmbH, Robert Zimmermann, im Gespräch 2012 als »Herzensangelegenheit« beschreibt, erhält Karajans Anliegen heute eine andere Konnotation im Sinn der neuen sozialen und musikvermittlerischen Absichten der Philharmonie. Gleichwohl liegt mit der Digital Concert Hall die Konkretisierung eines für eine gemeinnützige Kulturorganisation innovativen Geschäftsmodells vor, das genuin wirtschaftliche Interessen verfolgt. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends hatten sich die Philharmoniker in einer Situation gesehen, in der die Verkäufe von CDs und DVDs, aber auch Auftritte im Fernsehen dauerhaft rückläufig erschienen. Als Folge der Verlagerung eines Teils des Medien-Handels auf Internet-Plattformen (wie etwa iTunes) erschienen die traditionellen Distributoren der Philharmoniker, die großen Plattenlabels und die niedergelassenen Einzelhändler, selbst als eine Branche im Niedergang. Die Philharmoniker sahen sich am Anfang einer Wertschöpfungskette, deren weitere Glieder wie Plattenlabels, Produzenten, Großhändler und Einzelhändler durch ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten am Investieren gehindert waren, die verbleibenden Erlöse aber zum größten Teil für sich beanspruchten. In dieser Situation entscheidet sich das Orchester, einen möglichst

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großen Teil der Verwertungskette selbst aufzubauen und zu kontrollieren, idealerweise den gesamten Weg von der Produktion, vom Konzert, bis zu den Endverbrauchern in der ganzen Welt. Wenn der Geschäftsführer der GmbH, Zimmermann, die Fähigkeit, direkt mit dem Endkunden zu kommunizieren, als den »große[n] Schatz des Orchesters« bezeichnet, ist das sowohl in musikvermittlerischer als auch in kommerzieller Hinsicht wörtlich zu verstehen. Die Philharmoniker seien nun in der Lage, »auf einen Knopf zu drücken und mit einer halben Million Leute zu kommunizieren«. Das sei »etwas anderes« als zum Beginn des Projekts vier Jahre zuvor, »als wir einen Newsletter-Verteiler hatten von 10.000 Leuten und ein Mal im Monat etwas versendet haben.« Mitte des Jahres 2012 haben sich ungefähr 250.000 Nutzer in der Digital Concert Hall registriert. Mit rund 300.000 Personen kommunizieren die Philharmoniker auf Facebook. »Und wenn wir auf Youtube ein Video hochladen«, sagt Zimmermann, »dann wissen wir, dass es 40- bis 50.000 Leute sofort sehen.« Seit der Etablierung des Youtube-Kanals haben die Philharmoniker mehr als zwölf Millionen Abrufe verzeichnet; die drei Minuten langen Videoclips sind dabei mit Facebook und Twitter verlinkt. Für die Digital Concert Hall nennt die Stiftung Berliner Philharmoniker auf ihrer Jahrespressekonferenz Ende Mai 2012 die Zahl von 10.000 zahlenden Nutzern. Vier Monate später schätzt Zimmermann die Zahl auf 12.000 – »das wächst jeden Monat«. Rechnet man die Zahlen auf das Jahr hoch, ergibt sich eine Wachstumsrate von mehr als 60 Prozent, und Zimmermann geht davon aus, dass sich das in den kommenden Jahren fortsetzen wird, denn »der Markt ist so groß«. Über eine Analyse der Nutzerstruktur sowie der Erfahrungen der Nutzer, wie sie Bakhshi und Throsby in ihrer britischen Innovations-Studie aus dem Jahr 2010 vorgenommen haben, verfügt die Berlin Phil Media nicht. Einige Erkenntnisse gibt es aber doch. Während das Orchester in Berlin und seinem Umland mit seinen Veranstaltungen rund 50- bis 70.000 Menschen erreicht, sind die insgesamt 250.000 registrierten und die mehr als 12.000 zahlenden Nutzer der Digital Concert Hall über mehrere Kontinente verteilt. Zum Ende des Untersuchungszeitraums im Jahr 2012 kommen nach den Ausführungen des Geschäftsführers 20 Prozent der Umsätze aus Deutschland (davon ein bis zwei Prozent aus Berlin), 20 Prozent kommen aus Japan und rund 18 Prozent aus den USA. Die an der Musik der Philharmoniker Interessierten sind, nach den Worten des Geschäftsführers, »eine unglaublich spitze Zielgruppe«, das heißt, ein Minderheitenpublikum wie im Konzertgeschäft auch. Allerdings ist dieses Publikum in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich strukturiert. »In unserem Denken«, sagt Zimmermann, »gibt es die alte Welt – Europa, Nordamerika, Japan – und es gibt die neue Welt, die rising states Korea, Taiwan, Brasilien, Ve-

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nezuela.« In Europa, Nordamerika und Japan besteht das Publikum zu großen Teilen aus älteren, meist besser situierten Menschen, die es im Übrigen häufig noch nicht gewohnt sind, ihren kulturellen Interessen in der Form der neuen Technologien nachzugehen. In einigen Ländern Asiens außerhalb Japans sind die Philharmoniker dagegen bereits bei ihren Tourneen einem anderen Publikum begegnet. »Unsere Fangruppe in Taiwan und Korea sind Menschen zwischen 20 und 25«, sagt Zimmermann. Eine klassisch musikalische Bildung, verbunden mit der Zugehörigkeit bestimmter kultureller Interessen zu bestimmten Alterskohorten wie in Europa, gebe es dort nicht. Viele Abonnenten der Digital Concert Hall sind nach den Erkenntnissen der Berlin Phil Media Musiker oder Lehrer, die das mediale Angebot für ihre tägliche Arbeit und zu Unterrichtszwecken nutzen. Die physische, analoge Konzert- und Vermittlungsarbeit der Philharmoniker und ihre Erscheinung in der digitalen Welt sind also in ihrer Wirkung miteinander verbunden. Auch die Tourneen der Philharmoniker regen das Interesse am digitalen Medienangebot an: Die Nutzerzahlen steigen im Umfeld der Gastspiele und setzen ihre Entwicklung anschließend auf höherem Niveau fort. Die Kompetenzen, die finanziellen Mittel und die Risikobereitschaft, die für den Aufbau eines solchen Geschäfts und seiner Infrastruktur notwendig sind, gehen über das hinaus, worüber staatlich unterhaltene Kulturorganisationen in der Regel verfügen. Die Digital Concert Hall stellt kaum andere Anforderungen als kommerzielle Startup-Unternehmen im Technologie-Bereich, die auf unternehmerische Initiative und zunächst auf Risikokapital angewiesen sind. Finanziell verdankt sich die Digital Concert Hall wesentlich dem Engagement des GroßSponsors der Berliner Philharmoniker, der Deutschen Bank, die im Erfolgsfall ihre weltweite Präsenz als Partner des Orchesters enorm gesteigert sieht. Im Jahr 2012 gewinnen die Philharmoniker die Firma Sony als Sach-Sponsor hinzu, der technologisches Know-how und technisches Gerät beisteuert. Auch hier ist das Geschäft eines auf Gegenseitigkeit; die Digital Concert Hall ist auf den internetfähigen Fernsehern der Firma vorinstalliert und kann damit zum Image der Firma als Anbieter im so genannten Premium-Segment beitragen. Hier zeigt sich, wie eng die Innovationstätigkeit einer Kulturorganisation mit ihrer Ressourcen-Basis zusammenhängen kann. Denn die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung und die daraus resultierenden Kosten der technischen Investitionen sowie der Aufwand für die Produktion der Konzertvideos sind höher als das, was die Philharmoniker über die Digital Concert Hall vorläufig an Gewinn einzuspielen in der Lage sind. Für die ersten vier Jahre kann man davon ausgehen, dass bis zu fünf Millionen Euro in die Digital Concert Hall investiert worden sind (die Zahlen hält die Philharmonie unter Verschluss). Die aufgebaute Reichweite kann die gemeinnützige Stiftung Berliner Philharmoniker

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an niemanden, an keine Werbekunden etwa, verkaufen – außer in der Vertragsform des Sponsoring an die Deutsche Bank und an Sony. Selbst wenn man annimmt, die Mitte 2012 ungefähr 12.000 zahlenden Nutzer hätten ausnahmslos das vollständige Jahresabonnement zum Preis von 149 Euro gewählt, würde die resultierende Einnahme von rund 1,8 Millionen Euro im Jahr nicht ausreichen, die aufgelaufenen Investitionskosten sowie die Kosten für die technische Weiterentwicklung und den laufenden Betrieb zu decken. Für jedes Konzert, das aufgezeichnet und übertragen werden soll, benötigt die Philharmonie neben einem hausinternen Produktionsteam vier Freelancer für Regie und Kameraführung. Diese bereiten sich mindestens eine Woche lang auf das Konzert vor: »Die nehmen die Partitur auseinander«, sagt Zimmermann, »richten die technischen Abläufe ein, probieren das in den ersten zwei Konzerten aus und nehmen beim dritten dann auf.« Zu den variablen Kosten kommen die Kosten für das Streaming, für die Rechte beziehungsweise die Tantiemen der gut 100 Solisten und Gastdirigenten in jeder Saison, für die Verlage und die Verwertungsgesellschaft GEMA. Im Übrigen ist die Halbwertszeit im Bereich der neuen Technologien nicht lang. Die erste Website der Digital Concert Hall hatte nach Auskunft ihres Geschäftsführers Zimmermann eine Lebensdauer von eineinhalb Jahren – »dann haben wir wieder von vorne angefangen. Die Welt der elektronischen Medien ist zu schnelllebig; Sie können heute nicht mehr sagen, ich programmiere etwas und dann kann ich das vier Jahre lang nutzen.« Nach vier Jahren wird zum Ende des Untersuchungszeitraums auch die technische Produktionsbasis erneuert, das Ton-Bild-Studio, die Kameras, die Fernsteuerungen. Die strategischen Perspektiven für die Digital Concert Hall betreffen deren musikvermittlerische und die kommerziellen Aspekte gleichermaßen. Der Medienvorstand der Philharmoniker und Co-Geschäftsführer der Berlin Phil Media, Olaf Maninger, sagt im Jahr 2011, er habe »eine Vision, die über den heutigen Stand der DCH noch weit hinausgeht. Die Zuschauer sollen nicht nur Konzerte erleben, sondern auch einen Blick hinter die Kulissen werfen können. Dabei soll eine Nähe zu den Künstlern entstehen, die man bei einem Konzertbesuch nicht hat. Die bisherigen Pausen-Interviews genügen mir noch nicht. Ich möchte mehr vom Backstage-Bereich zeigen, etwa durch Gespräche vor den Konzerten oder Porträts von Musikern und Instrumentengruppen.«38 Robert Zimmermann spricht hier von den wachsenden Möglichkeiten der Philharmoniker, über sich und ihre Arbeit zu »erzählen«. Die Darstellung von Aktivitäten aus dem Education-Be-

38 Corinna Kolbe (2011): Digital Concert Hall. Der Markt ist noch längst nicht gesättigt, p. 33.

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reich soll in diesem Zusammenhang nach Auskunft von deren Leiterin Andrea Tober technisch avanciertere Mittel verwenden als die übrigen Bereiche der Digital Concert Hall, etwa eingeblendete Textbänder und Zusatzinformationen. Diskutiert wird in der Philharmonie in strategischer Hinsicht über die Frage, was eigentlich das Produkt der Digital Concert Hall sei. Die Plattform kann jedenfalls bedeutend mehr Inhalte tragen und bedeutend häufiger mit neuem Content bestückt werden, als das zum Ende des Untersuchungszeitraums mit den 30 Live-Übertragungen und den mehr als 100 Archivaufnahmen der Fall ist. Denkbar ist, auch Auftritte von Gastorchestern systematisch zu übertragen, sowohl von solchen, die die Stiftung selbstständig einlädt, als auch von jenen, die etwa durch die Kooperation mit dem Musikfest Berlin in die Philharmonie kommen. Diskutiert wird nach den Worten Zimmermanns auch die Frage, »was macht man mit altem Material – Fernsehaufzeichnungen, alte Karajan-Aufzeichnungen. Und was macht man mit dem riesengroßen Audio-Archiv, das es auf der Welt mit den Berliner Philharmonikern gibt?« Peter Riegelbauer, der befragte Orchestervorstand, spricht sich klar für die Veröffentlichung von Archivmaterial in der Digital Concert Hall aus, wobei es ihm »nicht so sehr« um dessen kommerzielle Bedeutung geht, sondern mehr um die interpretationsgeschichtliche und musikwissenschaftliche Bedeutung. Mit dem Auslaufen von Exklusivverträgen mit großen Plattenfirmen im Jahr 2013 wird es für die Philharmoniker möglich, ein eigenes Label zu gründen, über das sie zum Beginn des Untersuchungszeitraums im Jahr 2006 bereits nachdachten. Nach dem Beispiel der im Jahr 2010 selbst produzierten Matthäus-Passion Bachs in der Inszenierung Peter Sellars’ werden die Philharmoniker ab der Saison 2013/14 Produktionen von CDs und Musikvideos selbst durchführen und zumindest zum Teil erstmals über ihre eigene Plattform im Direktvertrieb absetzen. Innovation in der Dimension der Kunst Mit ihrer Würdigung einer »zeitgemäße[n] Moderne« im Vorwort des Saisonprogramms 2012/13 durch Simon Rattle und Martin Hoffmann präsentiert sich die Berliner Philharmonie nicht als Verfechterin der Avantgarde.39 Eine »zeitgemäße Moderne« ist eigentlich ein Widerspruch in sich; zumindest die Moderne des 20. Jahrhunderts zog es vor, ihrer Zeit voraus zu sein. Zu seinem Amtsantritt erklärte Rattle seine generelle Skepsis gegenüber einem »allein selig machenden Weg«, wie manche ihn in der kontinentaleuropäischen Avantgarde sähen. Stattdessen geht der Dirigent davon aus, »dass die Komponisten sich mehr

39 Berliner Philharmoniker 2012: 6.

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und mehr mit den unterschiedlichsten Musikstilen auch jenseits der abendländischen Kunstmusiktradition befassen werden«, dass »andere Musikkulturen, die stärker in unser Bewusstsein dringen, auch in der zeitgenössischen Musik reflektiert werden«. Die Musik, die durch ihn in die Philharmonie kommen werde, sei »vielleicht weniger der Moderne verpflichtet, dafür aber attraktiver«. 40 Weniger ästhetisch argumentiert der Verwaltungsdirektor im Expertengespräch 2006, das Haus befinde sich auf einer »Gratwanderung« zwischen einer anspruchsvollen Programmgestaltung und dem Publikumsgeschmack, denn die Auslastungszahlen sollten stabil gehalten werden. Das Orchester wolle auch moderne Musik spielen, das aber müsse mit Blick auf den Publikumsgeschmack ausgewogen bleiben. Vermutlich kann ein Verwaltungsdirektor kaum anders, als für Ausgewogenheit einzutreten, für ein Gleichgewicht zwischen Innovation und Bewahrung, das seine Rechnung mit der Leistungsfähigkeit und – mit Schopenhauer gesagt – der Apprehensionsfähigkeit des Publikums macht. Gleichwohl ist für das Orchester, das sich als Beispiel für sein Jahrhundert profilieren will, die Entwicklung auch seines Gegenstandes »Kunst« ein Thema. Das betrifft das Orchester als historisch gewachsenen Apparat der Kunst, dann die aufzuführenden Werke und schließlich auch das Verhältnis des Apparats zu den Werken, die wechselseitige Abhängigkeit ihrer Entwicklung. Der Orchestervorstand Peter Riegelbauer, auch als Kammermusiker ein engagierter und erfahrener Interpret neuer Musik, spricht das Thema bereits in der Befragung 2006 mit der Bemerkung an, Innovation in der Dimension der Kunst habe »ihre Grenzen«. Es sei wichtig, dass die Orchestermusik eine lebendige Kultur bleibe und »nicht nur Museum«, dass auch Werke neu geschrieben werden. Aber das Orchester sei ein Produkt des 19. Jahrhunderts, und seine Verfasstheit wirke wie ein Korsett. Unter diesen Bedingungen etwas »wirklich Neues« zu machen, etwa neue Konzertformen zu entwickeln, sei »unheimlich schwer«. Disruptive Innovationen in der Dimension der Kunst führten leicht zu einer Auflösung der Identität des Orchesters, dann »wäre das Orchester nicht mehr das, was es war, sondern nur noch ein Pool von Musikern«. Sechs Jahre später kommt Riegelbauer auf das Thema noch einmal vertieft zu sprechen. Auf der einen Seite sieht er den Gewinn einer umfassenden Mitsprache des Orchesters in den Belangen der Stiftung Berliner Philharmoniker. Auf der Seite der Musik bleibe das Orchester jedoch »ein Klangkörper noch des 19. Jahrhunderts, wenn man so will ein vordemokratischer Apparat. Wir können nicht sagen, das Tempo ist viel zu schnell, oder hier steht pianissi-

40 Spahn 2002.

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mo, warum wird das nicht gefordert? Das tut manchmal auch weh. So arbeiten wir ja in der Kammermusik, wo wir die Möglichkeiten haben und um die Interpretationen streiten. Dieser Streit findet auch im Orchester irgendwo statt, aber nicht in der Probe.«

Dass sich das Orchester zunehmend auch in den Kammermusikformationen seiner Mitglieder präsentiert, etwa im Rahmen der internationalen Residenzen, kann man als Ausdruck jenes Wunsches verstehen, aus den Zwängen der historischen Organisationsform herauszutreten und stärker auf das Individuum zu verweisen, auf den Menschen, der Musik macht, so, wie er auch in der Perspektive der Education-Programme liegt. 41 Doch Riegelbauers Reflexion der geschichtlichen Grenzen des Orchesters geht weiter. Selbstverständlich müsse ein »Orchester des 21. Jahrhunderts« auch Musik des 21. Jahrhunderts spielen. Ob sich der Apparat dabei aber noch im Gleichklang mit seinen musikalischen Aufgaben entwickele, ja, ob es überhaupt noch wahrhaft neue Aufgaben für das Sinfonieorchester geben könne, das lasse sich fragen. »Was einem so ein bisschen Sorgen macht«, sagt Riegelbauer, »der eigentliche Inhalt, also die Musik verändert sich ja auch, und das geht ein bisschen weg vom Sinfonieorchester.« Die Frage stehe im Raum, »ob wir noch neue Klangformen in unserer Zeit mit so einem Apparat erfinden können. Das war vor 100 Jahren überhaupt kein Problem, Mahler, Strauss, Strawinsky, die konnten aus dem Vollen schöpfen. Das wird immer proklamiert, wir machen neue Musik, und wir tun es ja auch. Aber ist es wirklich noch so lebendig, wie das einmal war vor 200 oder vor 100 Jahren?« Traditionell gibt die Philharmonie neue Werke in Auftrag und beteiligt sich an den Kompositionsaufträgen anderer. Dass daraus künstlerische Innovationen entstehen, ist zumindest möglich. In der Saison 2012/13 sind fünf Uraufführungen vorgesehen, mehrheitlich vielleicht wirklich in den Grenzen einer nur »zeitgemäßen Moderne«, mit beschränktem Potenzial, die Praktiken innerhalb des Metiers im Sinn einer künstlerischen Innovation zu verändern, aber das zu bewerten, liegt außerhalb der Aufgaben dieser Studie. Von den fünf Uraufführungen dieser Saison werden zwei innerhalb der Abonnementskonzerte von den Berliner Philharmonikern selbst an jeweils drei Abenden in Folge gespielt, im repräsentativsten Format. Drei der neuen Kompositionen werden nicht vom Orchester aufgeführt. Sie erklingen jeweils ein Mal innerhalb der Late Night-Reihe, innerhalb eines Akademisten-Konzerts und im Rahmen der Orgel-Reihe.

41 In der Spielzeit 2012/13 sind die Phiharmoniker zum Beispiel in Paris mit zwei Orchesterkonzerten in der Salle Pleyel und mit neun Kammermusikkonzerten in der Cité de la musique präsent.

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Es gibt aber auch einzeln identifizierbare Innovationen der Berliner Philharmoniker in der Handlungsdimension der Kunst: •

So will die Education-Abteilung der Philharmonie mit dem 2006 zum ersten Mal für Teilnehmer aus Berlin durchgeführten Kompositionswettbewerb Schüler, Auszubildende und anfangs auch Wehr- und Zivildienstleistende im Alter von 14 bis 20 Jahren zum selbständigen Verfassen kammermusikalisch besetzter Werke anregen. Der Wettbewerb wird ein Mal im Jahr ausgeschrieben, seit 2009 bundesweit. Die preisgekrönte Komposition wird von Musikern der Philharmoniker öffentlich aufgeführt und professionell aufgenommen.



Der Claudio-Abbado-Kompositionspreis wird in unregelmäßigen Abständen, idealerweise alle zwei Jahre, von der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker vergeben. Mit dem Preisgeld von bis zu 10.000 Euro ist ein Kompositionsauftrag für ein Werk verbunden, das die Preisträger für die Stipendiaten schreiben und mit diesen anschließend einstudieren und zur Aufführung bringen. Der Claudio-Abbado-Kompositionspreis wird seit dem Jahr 2006 vergeben, nachdem sein Namensgeber, der frühere Chefdirigent der Philharmoniker, im Jahr 2002 das Vermögen seiner Musikstiftung der Orchesterakademie zukommen ließ.

Nach der langen Regentschaft Herbert von Karajans und des mitteleuropäisch orientierten Claudio Abbado war es der Wille der Berliner Philharmoniker, einen Briten zu ihrem neuen Chefdirigenten zu verpflichten. Als Simon Rattle im Jahr 2002 kam, ersetzte er deutsche Begriffe durch englische. An Stelle von »Erziehung« sagte er education. Anstatt ein raffiniert erdachtes Programm aufzustellen, versprach er, alle Nahrungspräferenzen zu bedienen, to serve all food groups.42 An die Stelle der »Kunst« setzte er die community. Rattle sprach kaum deutsch, und Kritiker sagten ihm nach, auch deutsche Musik verstehe er schlecht.43 Aber der Dirigent führte einen neuen, angelsächsisch geprägten Stil in der Philharmonie ein. Rattles leadership erscheint weniger durch Begriffe, Konzepte oder Prinzipien bestimmt als traditionelle deutsche Modelle. Seine Führung ist pragmatisch, kommunikativ, und von daher offener gegenüber Innovation. Rattle hält sich fern von der traditionellen erzieherischen Autorität kultureller Führung. Er

42 So kündigte es Rattle in seiner ersten Pressekonferenz an (Koch 2002). 43 Siehe etwa Brachmann (2002): Die Zergliederung des Skrupels – Simon Rattle gibt sich mit Bachs »Johannes-Passion« der Lust am Spiel der Nerven hin.

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lässt die von ihm geleitete Organisation einen Dialog eröffnen, in künstlerischpraktische Interaktion mit Publika treten, die von der Philharmonie bis dahin als Partner nicht wahrgenommen wurden, etwa Schüler so genannter Problemschulen in Berlin. Dieser Dialog, diese Zusammenarbeit hat einen Lernprozess auf beiden Seiten ausgelöst, und in den Gesprächen mit Mitgliedern der Philharmonie wird deutlich, dass sich das Orchester und seine Organisation dadurch verändert haben. Die Vorstellung, auf einer Tournee mit Schülern in Australien zu arbeiten oder für Bewohner südafrikanischer Townships wie Soweto zu spielen, stand vor Rattles Amtsantritt für das vielleicht teuerste Orchester der Welt nicht zur Diskussion. So erwies sich die aus der Rekrutierung Rattles folgende Neuformatierung der Organisationskultur als eine der folgenreichsten Innovationen in der Philharmonie nach der Jahrtausendwende. Während mit Rattles Ernennung neue Ressourcen für die Philharmonie gewonnen wurden, ist die zweite entscheidende Innovation jener Jahre struktureller Natur. Die Etablierung der Stiftung Berliner Philharmoniker ist zunächst mit Misstrauen beobachtet worden als leichtfertige Privatisierung öffentlichen Kapitals, als Verringerung der Transparenz, als Aufgabe politischer Kontrolle über eine öffentliche Kulturinstitution. Ein solches Misstrauen lässt sich auch heute noch begründen – was bedeutete etwa für das Land Berlin ein mögliches Scheitern der Berlin Phil Media GmbH? Das Land müsste eine Firma mit abwickeln, auf deren risikoreiche Geschäftstätigkeit es zuvor nur marginal Kontrolle hatte ausüben können. Auf der anderen Seite hat die Etablierung der Stiftung Berliner Philharmoniker unternehmerische Energien freigesetzt und ihnen Raum zur Entfaltung verschafft, wie das unter dem Regime der nicht rechtsfähigen Anstalt vorher nicht möglich gewesen wäre und wie es den allermeisten Konkurrenten, das Konzerthaus Berlin eingeschlossen, bis heute nicht möglich ist. Verbunden mit einer im Branchenvergleich außergewöhnlichen Finanzkraft haben die Berliner Philharmoniker damit im Bereich der Education-Arbeit ein Beispiel gesetzt und im Bereich der medialen Präsenz einen von ihren Konkurrenten kaum mehr einholbaren Wettbewerbsvorteil errungen. Eigentlich geht die mediale Arbeit der Philharmoniker auf der Plattform ihrer Digital Concert Hall über die bloße Erweiterung des Leistungsangebots und der Märkte hinaus. Mag etwa das Konzerthaus Berlin im Jahr 2012 die erweiterten Funktionen seiner Website als großen Schritt in Richtung eines entgegenkommenden Kundenmanagements öffentlich machen und die Philharmonie Luxemburg die virale Wirkung selbst produzierter Werbeclips erproben – die Berliner Philharmoniker haben sich mit der Digital Concert Hall nichts weniger als eine eigene Existenzform im Internet erschlossen. Für die Musiker ist es ein natürlicher Teil ihrer Tätigkeit geworden, Interviews zu geben, etwas über sich zu sa-

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gen oder über die Musik. Die im Saal installierten Kameras verweisen darauf, dass die Konzerte nicht mehr nur gespielt werden, um nach kurzem Aufglühen vor dem anwesenden Publikum wieder zu verklingen. Im Studio der Philharmonie werden die Töne und Bilder in Datenpakete transformiert, die auf ein Hundertstel reduziert mit einem Volumen von zwei Megabyte pro Sekunde über die Streaming-Server des Content-Delivery-Netzwerks an die Edge-Server in der ganzen Welt versandt werden. Das Publikum in Brasilien, Korea, Australien, Frankreich und den USA, das die Konzerte an seinen Endgeräten erlebt, ist heute größer als jenes, das während der jeweils drei Abonnementskonzerte einer Produktion in der Philharmonie sitzt. Während die Arbeit an der Digital Concert Hall, getrieben von der technologischen Entwicklung, unablässig voranschreitet, artikuliert sich am Ende des Untersuchungszeitraums im Führungspersonal der Philharmonie aber auch ein Bedürfnis – wie zur gleichen Zeit im Konzerthaus – nach den zahlreichen Veränderungen der letzten Jahre das Erreichte zu konsolidieren. Die neue Leiterin des Education-Bereichs, Andrea Tober, sieht eine wichtige Aufgabe darin, in einer Art innerer Pädagogik nach den ersten zehn Jahren des Programms mit den Musikern nach einer genauen Bestimmung der Ziele und der Qualitätsmaßstäbe zu fragen, um nach einer strukturellen Analyse und strategischen Standortbestimmung neue Mittel, Formen und Inhalte zu entwickeln. »Die Musiker«, sagt sie, »sollen sich als Person vermitteln und natürlich auch die Kunst. Das muss man mit Konzept tun und sich überlegen: Was will ich, wie tu ich’s, was möchte ich am Ende dafür haben?« Für eine strategische Reflexion, für eine gelassene Haltung zum Thema Innovation spricht sich auch der Orchestervorstand Peter Riegelbauer aus. In den letzten Jahren habe es ein Feuerwerk an neuen Ideen gegeben, die Stiftung Berliner Philharmoniker habe viel ausprobiert, »auch zu Recht«. Jetzt müsse man sehen, was Bestand hat und was nicht. Daneben beleuchtet Riegelbauer das Thema Innovation auch grundsätzlich, etwa wenn er fragt, »und warum will man überhaupt etwas ändern? Sicher ändert sich immer alles, aber Veränderung an sich ist ja noch kein Wert.« Er verweist auf andere berühmte europäische Orchester, die sich darüber definieren wollten, dass sie sich nicht verändern. »Die verändern sich natürlich, im wahrsten Sinne des Wortes natürlich, einfach weil sie Menschen sind«, sagt Riegelbauer: »Aber transportieren wollen sie etwas anderes – die Nicht-Veränderung, die Stabilität, die Gewähr, dass man das gute Alte hat.« Das Pendel, so sagt er, könne ja auch einmal wieder in die andere Richtung gehen, »dass man sagt, wir wollen wieder zurück zu den Wurzeln!« Und dann lacht er.

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WENDUNG ZUM MENSCHEN: DIE PHILHARMONIE LUXEMBURG

Die Fahrt zur Philharmonie Luxemburg, aus der alten Stadt hinauf auf das Kirchbergplateau, gleicht einem Sprung aus der langen Geschichte der Kleinstaaterei in eine von historischen Besitz- und Baubeständen unbehinderte, frei und weitläufig geplante europäische Moderne. Erbaut vom Frühjahr 2002 bis zum Sommer 2005 nach Plänen Christian de Portzamparcs, steht die Philharmonie am Rand einer von breiten Boulevards durchzogenen Verwaltungsstadt, unmittelbar neben dem von Ieoh Ming Pei entworfenen Musée d’Art Moderne, in Nachbarschaft zum Europäischen Gerichtshof, zum Europäischen Rechnungshof, zum Generalsekretariat des Europäischen Parlaments, zu Eurostat, zur Europäischen Investitionsbank, zu Geschäftsbanken, wissenschaftlichen Instituten, Medienzentralen und Sportzentren. Die 827 schlanken Stahlsäulen, die in der Art eines dicht gestellten Peristyls die Außenbegrenzung der Philharmonie bilden, lassen sich als Erinnerung an alte Kulturbauten verstehen. Aber unverkennbar bleibt das erste Konzerthaus in der Geschichte Luxemburgs ein Bau unserer Gegenwart. Sein Grand Auditorium, der große Saal, fasst bis zu 1472 Personen, daneben gibt es einen Kammermusiksaal, der bis zu 313 Personen Platz bietet, sowie den bis zu 180 Personen fassenden Espace Découverte.44 Zum Zeitpunkt der Eröffnung im Juni 2005 war die Organisation der Philharmonie Luxemburg zweieinhalb Jahre alt. Alle Mitarbeiter waren neu, die meisten hatten Aufgaben übernommen, in deren Erfüllung sie noch keine Routinen besaßen. Das gilt auch für den Generaldirektor Matthias Naske, der in der österreichischen Zentrale der Jeunesses Musicales in Wien rekrutiert worden war. »Ich hatte einen Veranstaltungsbetrieb geleitet«, sagt Naske im Sommer 2012, »und ich wusste, was veranstalten heißt. Aber ich hatte vorher noch kein Konzerthaus geleitet.« Obwohl die Philharmonie gebaut worden war, um dem in staatliche Fürsorge übergegangenen Orchestre Philharmonique du Luxembourg einen Aufführungsort zu verschaffen, war der Etablissement public Salle de Concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte, dessen Leitung Naske übernahm, als rein veranstaltendes Konzerthaus konzipiert. Das Orchester sollte als Stiftung verfasst und eigenständig bleiben. Detaillierte Vorgaben seitens der luxemburgischen Regierung fand der Generaldirektor zu Beginn seiner Planungen nicht vor; Naske berichtet, es sei ihm möglich gewesen, das Haus »relativ frei« zu entwickeln. Eine erste Formulierung der Mission der Philharmonie, gemeinsam mit den staatlichen Auftragge-

44 In der Darstellung des Architekten auch salle électroacoustique (Portzamparc 2013).

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bern erstellt, nennt den »einfachen Zugang zu künstlerisch hochwertigen Programmen« für »unser Publikum aus Luxemburg und der Großregion«, die »Stimulation der künstlerischen Szene durch ein vielfältiges Programm«, das auch der Förderung des Neuen verpflichtet sei, den Aufbau einer »lebendigen Beziehung zwischen Komponisten, Musikern und Publikum«, die »Freude am gemeinsamen Erleben von Musik« sowie den Aufbau »tragfähiger Beziehungen zu Fördergebern der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand.« Das mag kaum mehr als politisch korrekt klingen, und doch lassen bereits diese Formulierungen Naskes persönliche Anliegen erkennen. Die Jeunesses Musicales Österreich, oder »die Jeunesse Musicale«, wie man in Wien sagt, sind der bedeutendste Veranstalter des Landes von Konzerten und Vermittlungsprojekten für Kinder, Jugendliche und Familien. In zahlreichen Städten Österreichs unterhält die Organisation eigene Veranstaltungsreihen; die Vermittlungsformate entwickeln die Jeunesses Musicales Österreich in vielen Fällen selbst. Aus dieser Arbeit geht Naskes Programm des neu gegründeten Konzerthauses zu wichtigen Teilen hervor, und dieser Entwicklungspfad erklärt grundlegende Unterschiede, die es zum Konzerthaus Berlin, zur Berliner Philharmonie und zu zahlreichen anderen musikalischen Veranstaltungsbetrieben gibt. Schlüsselbegriffe für Naskes Konzept der Konzerthaus-Arbeit sind »Vermittlung«, »Wahrnehmung«, »Kommunikation«, »Begegnung« und durchaus auch »Spektakel«. Die Formulierung des Kernmotivs aber entwickelt der Generaldirektor wie beiläufig im Gespräch. Es liegt in der Unterscheidung zwischen einem Haus, welches »das Selbstverständnis hat, für Menschen da zu sein, die sich für Musik interessieren«, und einem Haus, »das zunächst einfach jeden Menschen erreichen möchte«. Konzerthäuser, die für Musikinteressierte da sind und die unter dieser Voraussetzung angebotsorientiert agieren, bilden die historisch gewachsene Norm. Indem Naskes Philharmonie Luxemburg »zunächst einfach jeden Menschen erreichen« möchte, geht sie dagegen nicht vom Produkt aus, sondern von der Frage, wie sie zur Herstellung von Beziehungen zu Menschen beitragen kann, zu Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Voraussetzungen. Darin ist das Konzept der Philharmonie Luxemburg nicht lediglich anders, sondern es ist neu im organisationalen Feld. Nach seinen wichtigsten Zielgruppen befragt, antwortet Naske, er sei bei der Erarbeitung des Programms von Anfang an darauf aus gewesen, »dass wir niemandem erlauben zu sagen, er interessiere sich nicht für das Haus, weil er sich nicht für Musik interessiere.« Insofern sei die breite Allgemeinheit die primäre Interessengruppe und nicht spezifisch der Musikfreund oder der Melomane. »Ich glaube«, sagt er, »dass wir gut daran tun, zu versuchen, jeden Menschen in einer Gesellschaft mit möglichst viel Erlebnis, Qualität und künstlerischem Geschehen in Verbindung zu setzen.«

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Vermittlung bedeutet vor diesem Horizont, dass die Kulturorganisation »die Lust an der Wahrnehmung des jeweiligen künstlerischen Schaffens im individuellen Besucher fördert«, dass sie »die Qualität in der Wahrnehmung fördert«, wie Naske sagt. Dadurch werde sie zu einem entscheidenden Faktor für die Weiterentwicklung und für den Erfolg von Kulturinstitutionen. Lange hätten sich die Organisationen bei der Präsentation klassischer Musik auf den Bildungskanon westlicher Musik- und Rezeptionsgeschichte verlassen und diesen als Eingangshürde akzeptiert. Unter den Bedingungen der Gegenwart führe das zu leeren Sälen und zu einem fortschreitenden Bedeutungsverlust der Institutionen. Dagegen sei das unmittelbare Erleben des künstlerischen Geschehens »das große offene Geheimnis«, das zu teilen hoffentlich alle bereit seien. Ohne die Mitwirkung der Zuhörer im Konzert könne sich auch die Musik nicht richtig entfalten. In einem pragmatischen Sinn ist Naske bewusst, dass ein Teil des Publikums das Konzerthaus schlicht als Dienstleister sieht, von der Philharmonie einen schönen Abend erwartet und »sich überhaupt keine Gedanken machen« will. Solange aber »das prozessuale Geschehen in seiner Wertigkeit geschätzt« werde, solange der größere Teil des Publikums sich »seiner Rolle bewusst ist als Mitträger eines künstlerischen Geschehens«, solange funktionierten die Veranstaltungen auch. Vermittlung bedeutet also, im Prinzip ohne normative Vorerwartung eine Kommunikation zwischen Besucher und Musik aufzubauen und zu fördern, »die Menschen bei der Wahrnehmung begleiten«. Viele Menschen gäben die Auskunft, sie interessierten sich nicht für Musik, aber es könne ja niemand sagen, dass Wahrnehmung ihn nichts angehe – »ich hoffe jedenfalls«, sagt Naske. Die Kommunikation zwischen Besucher und Musik, zwischen Haus und Besucher sowie unter den Besuchern selbst fasst Naske im Konzept der Begegnung zusammen. Dieses Konzept habe er in der Mission des Hauses im Lauf der zurückliegenden sechs Jahre mehrmals neu zu formulieren versucht und immer stärker betont, »auch um das Haus in seiner Werthaftigkeit und Bildhaftigkeit etwas zu emanzipieren vom musikalischen Geschehen.« Begegnung profitiere durch wiederholte Übung, sagt Naske, »ohne Zweifel auch zwischen den Personen«. Nicht zuletzt sei die Philharmonie aber auch als »Ort der Begegnung von mir selbst mit der Musik« zu verstehen. Der Musik zu begegnen wiederum habe »schon ein bisschen mit Bewusstsein zu tun«. Die Fähigkeit, zu hören, müsse man lernen. In dem Augenblick aber, in dem man darauf komme, »was da an Qualitäten emotionaler und intellektueller Natur vorhanden ist, ist das ein Füllhorn wiederkehrender Freuden und … einer unstillbaren Sehnsucht auch, es ist ja nie vollendet.« Neben der sozial vermittelten, fürsorgend unterstützten Bildung von Bewusstsein als kognitive Voraussetzung des Hörens gibt es für Naske noch eine

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gewissermaßen seinsmäßige Voraussetzung in der Philharmonie Luxemburg, die eine besondere Qualität ihrer Räume ausmache. Diese Voraussetzung nennt Naske »Stille«. Auf dem Grund der Qualität dieser Stille könne die Musik sich entwickeln und eine Bedeutung bekommen. Man denke, sagt Naske, immer produktorientiert: »Man denkt immer, jetzt kommt Lang Lang und jetzt kommt die Frau Mutter und das ist dann wichtig oder auch nicht, schön oder nicht schön. Aber eigentlich ist die Basis nicht die Frau Mutter, sondern die Basis ist die Stille, und aufgrund der Qualität dieser Stille kann sich die [Musik der] Frau Mutter entwickeln.« Als Ort, in dem sich Stille herstellt, bildet die Philharmonie nach der Auffassung ihres Generaldirektors einen privilegierten Raum in der Stadt, und stünden nicht sicherheitstechnische Gründe dem entgegen, hätte er die Philharmonie längst außerhalb der Veranstaltungszeiten geöffnet, »um die Stille den Menschen zugänglich zu machen«. Nicht alles von dem, was als Vision einer in sozialen Beziehungen realisierten Kunst formuliert ist, lässt sich unmittelbar operationalisieren. Mehr als andere Manager gibt Naske seinen Visionen und Wünschen Raum zur gedanklichen Entfaltung, bevor er sie in organisationales Handeln umsetzt. Danach befragt, wie nützlich die immer wieder neu präzisierte Mission für die Arbeit seines Hauses sei, antwortet der Generaldirektor, sie sei von zentraler Bedeutung. Man müsse »genau wissen, warum man etwas macht oder nicht macht«. Gleichzeitig gebe es »keinen direkt zum Erfolg führenden Maßnahmenkatalog«. Durch beides aber, durch die am Ideal orientierte Motivation und durch die konkrete Arbeit, schafft die Kulturorganisation eine Grundlage dafür, dass sich die Öffentlichkeit ein Bild macht. »Ich glaube«, sagt Naske, »dass ein geschlossenes Bild einer Institution – getragen vom Vorstand, von den Mitarbeitern, von uns allen – uns sehr stark beeinflusst. Und das hat seine Widerspiegelung in der Akzeptanz eines möglichst breiten Anteils der Bevölkerung für dieses Bild – das kommt dann wieder als Subvention oder als Interesse oder als awareness in den Medien. Der Ursprung der Qualität liegt nicht in der Beziehung mit der Politik – wir sind ja kein Lobbyinstrument – sondern in der Stringenz des Bildes, das man gemeinschaftlich erwirkt.« Was sich Naske von der Arbeit seiner Organisation gesellschaftlich verspricht, nennt er »kulturelle Relevanz«. Relevanz sei »breit getragene Bedeutung«, sie sei dann gegeben, wenn die Mehrzahl der Menschen mit der Existenz des Konzerthauses oder des Orchesters ein konkretes Erlebnis, ein konkretes Gefühl verbänden. Habe eine Kulturorganisation sich Relevanz erarbeitet, zeige sich das auch in den Verkaufszahlen, im Fall der Philharmonie Luxemburg etwa an den 13.000 Abonnements und an den 160.000 zahlenden Besuchern pro Jahr, aber auch darin, »dass wir als Ort der Begegnung anerkannt werden und gelebt

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werden«. »Wir versuchen«, sagt Naske, »so erreichbar zu sein wie irgendwie möglich. Das hat mit Relevanz auch etwas zu tun.« 3.1 Bedingungen des Wirtschaftens Mit einem Budget, das Einnahmen in Höhe von 25,85 Millionen Euro im Jahr 2012 verzeichnet – davon 14 Millionen für das Orchester – liegt die Philharmonie Luxemburg in etwa in der Größe des Konzerthauses Berlin (knapp 23 Millionen Euro), mit dem sie auch die Personalstärke gemeinsam hat. Der Eigenfinanzierungsgrad der Philharmonie beträgt im Jahr 2011 – noch ohne das Orchestre Philharmonique du Luxembourg – 41,2 Prozent und im Jahr 2012, nach der Übernahme des Orchesters, 21,8 Prozent (Konzerthaus Berlin: 36 Prozent). Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die im Jahr 2007 ausgelöste Finanzkrise auch in Luxemburg Folgen nach sich zog, konnte die Philharmonie nach Angaben ihres Generaldirektors bis zu zehn Prozent ihres Budgets durch privatwirtschaftliche Geldgeber, vor allem aus dem Bereich der in Luxemburg ansässigen Banken, finanzieren. Manche dieser Banken verschwanden, andere wurden neu strukturiert und verloren ihre Entscheidungsgewalt über das Sponsoring. In der Folge gingen die Einnahmen aus dieser Quelle zurück. Die Zahl der Eigenveranstaltungen der Philharmonie Luxemburg steigt von 164 im ersten vollständigen Wirtschaftsjahr 2006 auf 258 im Jahr 2011. Die Zahl der Besucher wächst im gleichen Zeitraum von 66.548 auf 100.642 (Konzerthaus Berlin: knapp 127.000). 58 Prozent der Karten werden über Abonnements abgesetzt, 42 Prozent im freien Verkauf. Im Januar 2009 gründet die Philharmonie Luxemburg zur Erweiterung ihrer Aktivitäten die Stiftung EME, Fondation Ecouter pour Mieux s‘Entendre. Im Jahr 2012 organisiert die Stiftung 500 Konzerte und Workshops für Alte, Kranke, Behinderte oder Obdachlose, zumeist außerhalb der Philharmonie, und erreicht damit 10.000 Menschen. Die rund 97.000 Euro, über die EME im Jahr 2012 verfügt, stammen zu ca. 40 Prozent aus Spenden von Privatpersonen und zu 60 Prozent von Firmen und Vereinen. Daneben vermietet die Philharmonie ihre Räume auch an Fremdveranstalter. Die Zahl der von Dritten verantworteten Veranstaltungen schwankt zwischen 94 im Wirtschaftsjahr 2009 und 122 im Jahr 2007. Drei Viertel des Publikums der Philharmonie Luxemburg kommen aus dem Land Luxemburg, davon wiederum knapp 44 Prozent aus dem Gebiet der Stadt. 3,7 Prozent des Publikums kommen aus Frankreich, 2,6 Prozent aus Belgien. Fast 18 Prozent kommen aus Deutschland, namentlich aus dem benachbarten Trier, für dessen Publikum die Philharmonie eigene Busverbindungen zu ihren

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Konzerten eingerichtet hat.45 In Luxemburg beherrscht die Philharmonie im Bereich qualitativ hochwertiger Aufführungen von Orchester- und Kammermusik sowie systematisch angelegter Musikvermittlung praktisch den Markt. Das hat ihren Aufbau und die Durchsetzung ihres Programms erleichtert. Es gebe in Luxemburg keine so weit entwickelte Privatveranstalter-Szene wie in anderen Städten, etwa in Hamburg, sagt auch der Generaldirektor. Andererseits zeigt der Umstand, dass Konzertprogramme in der Regel jeweils nur einmal gespielt werden – und nicht wie bei den beiden Berliner Sinfonieorchestern zwei oder drei Mal in Folge mit den entsprechenden wirtschaftlichen Mengeneffekten – dass der Markt in Luxemburg nicht sehr groß ist. Nach dem Aufbau eines umfassenden Veranstaltungsbetriebs und der Etablierung der entsprechenden organisationalen Routinen ist die im Juli 2010 beschlossene und im Januar 2012 in Kraft getretene Übernahme und Integration des Orchestre Philharmonique du Luxembourg der bedeutendste einzelne Faktor, der das Wirtschaften der Philharmonie Luxemburg beeinflusst. Das 1933 bei Radio Luxemburg (heute RTL) gegründete Orchester war nach der Privatisierung des Senders im Jahr 1996 in Form einer Stiftung in staatliche Verantwortung übernommen worden. Es gibt Sinfoniekonzerte in der neu gebauten Philharmonie, spielt Oper am Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg und veranstaltet Filmkonzerte mit der Cinémathèque de la Ville de Luxembourg. Als das Management des Orchesters die jährlich anfallenden Defizite trotz der fortdauernd steigenden staatlichen Zuschüsse nur noch aus Rücklagen zu decken vermag, beschließen die Träger die Eingliederung in die Philharmonie. Um die Voraussetzungen für eine betriebswirtschaftlich auskömmliche Orchesterarbeit zu schaffen, werden die Arbeitsverträge grundlegend neu ausgehandelt. Dabei werden die einzelnen Musiker aus ihrer pauschalen Teilhabe am Kollektiv herausgehoben und mit mehr Verantwortung sowohl für ihre individuelle Arbeitsleistung als auch für die Arbeit des Orchesters als Ganzem versehen. Ein Orchesterbeirat und Fachkommissionen wirken jetzt an Entscheidungen etwa zu Gastdirigenten oder zu Diensteinteilungen mit. Der traditionelle Kollektivvertrag hatte die Tendenz, alle Anforderungen, die vom historischen Kernbestand klassisch-romantischen Orchesterspiels abweichen, zusätzlich zu honorieren. Dagegen tragen die neuen Verträge den sich verändernden Anforderungen an Orchester und ihre Musiker Rechnung und beziehen sowohl kammermusikalische als auch musikvermittlerische Tätigkeiten in die Aufgabenbeschreibung ein. Das Beispiel des Konzerthauses Berlin in den letzten Jahren der Intendanz Frank Schneiders zeigt, wie steigende Kosten für das überproportional per-

45 Philharmonie Luxemburg (2012a): Jahresbericht 2011, p. 74.

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sonalintensive Orchester bei gleichbleibenden Einnahmen den Spielraum für die künstlerische Programmierung mehr und mehr verringern. Die Philharmonie Luxemburg hat darauf geachtet, ihrem Orchester mit Hilfe des neuen Kollektivvertrags mehr Beweglichkeit zu verschaffen. Dennoch sieht der Generaldirektor mittel- bis langfristig durch den hohen Personalkostenanteil der Musiker strukturell »eine wirkliche Gefahr für die Freiheit des künstlerischen Betriebs«. Formal gesehen gleicht sich die Philharmonie Luxemburg mit dem Beitritt des Orchesters traditionellen Institutionen wie dem Konzerthaus Berlin an. Praktisch haben sich auch die Anforderungen an ihre unternehmerische Initiative erhöht. Die Neujustierung des Verhältnisses von Leistung und vertraglich geregelter Bezahlung der Musiker wird allein nicht ausreichen, das Orchester auskömmlich zu führen. Dafür ist das verbliebene Publikum zu klein und sind die Auftrittsmöglichkeiten in Luxemburg zu begrenzt, ganz abgesehen von der grundlegenden Frage, worin die gesellschaftlichen Aufgaben von Sinfonieorchestern künftig bestehen sollen. Das Orchester muss künstlerisch konkurrenzfähiger werden, sich ein Publikum in der Philharmonie zurückerobern und sich neue Märkte auch außerhalb Luxemburgs erschließen. Das sind Aufgaben, deren Bewältigung mehrere Jahre in Anspruch nimmt. »Man muss mit dem Orchester eine stabile Qualität entwickeln. Das ist nichts, was man von heute auf morgen erreichen kann«, sagt der Generaldirektor: »Man muss einmal im Inneren beginnen, einen Ethos zu entwickeln, wofür man als Kollektiv überhaupt existiert. Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen.« Das Orchester müsse versuchen, über das, was es im Haus an gesicherten und strukturierten Aktivitäten zu leisten in der Lage sei, Impulse zu setzen, »die als relevant, als bedeutend oder als wertvoll in der Gesellschaft anerkannt werden« und durch sein eigenes Tun die Erwartungen der Öffentlichkeit mit zu formen. Ein Berufsorchester zu integrieren und in ein »Sinn stiftendes Leben zu führen«, das ist für Naske eine der größten Herausforderungen seit der Gründung der Philharmonie. 3.2 Innovationen in der Philharmonie Luxemburg Innovation in der Dimension des Sozialen Eine Kulturorganisation, die »zunächst einfach jeden Menschen erreichen möchte« und die versucht, »jeden Menschen in einer Gesellschaft mit möglichst viel Erlebnis, Qualität und künstlerischem Geschehen in Verbindung zu setzen«, handelt in einer humanistischen Mission. Die Universalität des Anspruchs geht über soziale Schicht- oder Klassengrenzen und auch über gesellschaftliche Grenzen der Geschmäcker hinaus, versucht sie zumindest zeichenhaft zu überwinden.

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Insofern kann man auch sagen, die Philharmonie Luxemburg, so, wie Matthias Naske sie entworfen hat, verfolge ein soziales Programm. Selbstverständlich lässt sich dieses Programm im Sinn des audience diversifying verstehen, als Marktentwicklung durch die Attraktion neuer Publikumsgruppen, und in diesem Sinn werden die Kinder- und Familienprogramme im Abschnitt über die Dimension des Marktes zu diskutieren sein. Die primäre Motivation für das Interesse an »einfach jedem Menschen« ist jedoch eine soziale, und hier liegt der kategoriale Unterschied der von Grund auf neu entwickelten Philharmonie Luxemburg zu traditionellen Konzerthäusern begründet. Beobachten lässt sich dieser Unterschied in der Zusammensetzung der Eigenveranstaltungen: Von den 258 Musik-Veranstaltungen, die in der Saison 2011/12 angeboten werden, sind 135 für Kinder, Jugendliche und Familien bestimmt. Das ist mehr als die Hälfte (52,3 Prozent). Angesichts dieser Gewichtung lässt sich kaum noch im gleichen Sinn von Education sprechen wie etwa im Konzerthaus Berlin und in der Stiftung Berliner Philharmoniker. Tatsache ist, dass sich als Folge dieser Programmstruktur die soziodemografische Zusammensetzung der teilnehmenden Öffentlichkeit und das öffentliche Bild der Kulturorganisation verändern. Die Philharmonie Luxemburg ist nicht die Institution einer »hohen« Kunst, die mit ihren Vermittlungsprogrammen auch Anfängern und Nicht-Eingeweihten die Hand reicht oder den Anschluss an gesellschaftliche Veränderungen sucht. Sie ist ein gesellschaftlicher Ort, der unterschiedlichen Publika nach Maßgabe ihrer kulturellen Voraussetzungen Möglichkeiten anbietet, sich mit Musik zu beschäftigen. Nicht alle, die der Anspruch, »jeden Menschen in einer Gesellschaft mit möglichst viel Erlebnis, Qualität und künstlerischem Geschehen in Verbindung zu setzen« einschließt, sind in der Lage, an den Veranstaltungen in der Philharmonie teilzunehmen. Sei es, dass ihre Gesundheit oder ihre Mobilität es nicht zulassen, sei es, dass sie sich in der Philharmonie sozial deplatziert empfinden würden. Daher hat die Philharmonie drei Jahre nach der Aufnahme ihrer öffentlichen Aktivität ein Programm entwickelt, das die entsprechenden Bevölkerungsgruppen mit einem Angebot aufsucht. Wie in anderen Schöpfungen des Generaldirektors Naske findet man auch in der Stiftung EME einen Überschuss an Sinn: Ihr namensgebendes Motto écouter pour mieux s’entendre – hören, um sich besser zu verstehen – lässt sich gleichermaßen in Hinsicht auf den Einzelnen wie auch auf die Gesellschaft verstehen. Die Programme für, wie die Stiftung sagt, »Kinder und Erwachsene mit komplexen Behinderungen, mit eingeschränkter Mobilität oder in schwierigen Lebensumständen sowie sozial benachteiligte, vereinsamte oder an den Rand der Gesellschaft gedrängte Menschen« werden von der Stiftung vielfach selbst entwickelt und gelegentlich durch kleine

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Fachsymposien oder Vorträge ergänzt. Sowohl die Zahl der Veranstaltungen als auch die Vielfalt der Programmangebote wachsen rasch. Im Einzelnen bietet die EME-Stiftung in den Jahren 2011 bis 2013 folgende Aktivitäten an: •

Eine interaktive, von einer Komponistin und Musiktherapeutin für Menschen mit Alzheimer konzipierte Konzertserie (sechs Konzerte in Tagesstätten) und dazu den Vortrag »Another Dementia in Music« im Kammermusiksaal der Philharmonie. Dabei arbeitet die EME-Stiftung mit dem Alzheimerverband Luxemburg zusammen.



Konzerte in Pflegeheimen und in Palliativstationen Luxemburger Krankenhäuser. Aufgesucht werden Personen, die unter anderem an degenerativen Erkrankungen leiden. Mit den Konzerten will EME Abwechslung in den Alltag bringen, Familien und Freunde einbeziehen und überhaupt musikalische Begegnungen an Orten ermöglichen, wo der Zugang zur Musik nicht unmittelbar gegeben ist. Das Jahr 2011 verzeichnet 140 dieser Konzerte und mehr als 6000 Zuhörer.



Interaktive Konzerte für Kinder von vier bis zehn Jahren in Kinderkliniken und Kinderheimen. Hier ist eine Einführung in die Musik beabsichtigt, die Kinder sollen Musik und Instrumente spielerisch kennenlernen, einen Moment der Ausgelassenheit erleben. Im Jahr 2011 gibt es mehr als 50 dieser Konzerte. Sie werden durch einen internationalen Stahlkonzern finanziert.



Ein musikalisches Spiel, »The Midnight Moon«, nach Benjamin Brittens »A Midsummernight’s Dream« durch die English Touring Opera adaptiert. Das Programm ist auf Möglichkeiten und Bedürfnisse autistischer Kinder sowie Kinder mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen abgestimmt. Ihre Sinne sollen angeregt werden, und sie sollen Freude an der Musik erfahren. In elf Vorstellungen erreicht dieses Programm mehr als 200 junge Zuhörer. Ergänzt wird die Reihe durch einen Vortrag zum Thema Musik und Behinderung im Kammermusiksaal der Philharmonie.



Malkonzerte für Schulkinder im Alter von sechs bis 16 Jahren mit spezifischem Förderbedarf. Auch bei ihnen soll die Lust an der Musik geweckt werden, die Kinder und Jugendlichen sollen die Musik, aber auch die Philharmonie spielerisch kennenlernen und neue Sinneseindrücke erhalten. Dazu arbeiten Musiker mit einem bildenden Künstler zusammen. Das Programm im Espace Découverte erreicht 480 Kinder aus 80 Schulklassen; im An-

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schluss werden die Bilder im Foyer der Philharmonie ausgestellt. Bei diesem Programm arbeitet EME mit dem Service de l’Education Différenciée des Erziehungsministeriums zusammen. •

Gesangsworkshops in psychiatrischen Kliniken. Die Workshops richten sich an Patienten von Suchtstationen und einer Tagesklinik, an Psychosepatienten und gleichermaßen an das medizinische Personal. Die Gesangsaktionen sollen Freude spenden, die Arbeit in der Gruppe fördern und den Teilnehmenden neue Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. 43 solcher Workshops gibt es im Jahr 2011.



Eine ähnliche Reihe mit 48 Workshops veranstaltet EME in AlzheimerTagesstätten. Hier will man das Wohlbefinden der Patienten steigern und speziell durch das Singen bekannter Volkslieder deren Gedächtnis anregen und vergessene Erinnerungen durch Musik wachrufen.



Für Jugendliche aus dem sozialpädagogischen Zentrum Dreibron veranstaltet EME ein Rap-Projekt. Damit will die Stiftung die Sozialisierung der Jugendlichen fördern, Gruppenarbeit anregen, Kreativität wecken sowie Momente der Ablenkung und Ausgelassenheit schaffen. Das Programm hat die Gestalt einer Serie von zehn wöchentlich stattfindenden Workshops unter der Leitung von zwei bekannten Rap-Musikern.



Für Obdachlose und sozial isolierte Menschen bietet die Stiftung Gesangsworkshops im Foyer Ulysse an. Den 19 Workshops folgt anschließend ein Konzert, das gemeinsam mit einem Amateurchor im Rahmen des Projektes »Debout contre la pauvreté« – Aufrecht gegen die Armut – veranstaltet wird.



Die Philharmonie selbst öffnet fünf ihrer Generalproben für Obdachlose und sozial isolierte Menschen.



Im Jahr 2012 bietet die Stiftung EME einen fünftägigen Workshop in Bodypercussion für gehörlose oder schwerhörige Jugendliche an. Abgeschlossen wird die Reihe durch ein öffentliches Konzert.



Mit dem intergenerationellen Projekt »Joy« wendet sich EME an hörgeschädigte Kinder und Senioren. Unter der Leitung eines Perkussionisten beschäftigen sie sich mit afrikanischen Rhythmen. Als Ziel formuliert die Stiftung, die Teilnehmer mögen einen außergewöhnlichen Moment erleben, in dem

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niemand an das Alter, die Herkunft, die Behinderung oder andere Sorgen denken müsse. Das Projekt findet seinen Abschluss im Juli 2013 mit einem Konzert im Espace Découverte der Philharmonie. Die Erweiterung der sozialen Basis, die Partizipation breiter Gruppen an der Philharmonie hat auch die Reihe »Fräiraim« zum Ziel. Der auf Letzeburgisch formulierte Titel für »Freiräume« weist auf die regionale Ausrichtung der Reihe hin. In ihr treten Laienmusiker, Amateure, Nachwuchsmusiker aus der Stadt Luxemburg und der Region in der Philharmonie auf – Bands aus einem Jugendtreff, Laienchöre, Blasmusikorchester. Auch dem Europäischen Musikwettbewerb für Blasorchester, Fanfarenorchester und Brass Bands und seinem Publikum gibt die Philharmonie einen Ort. Innovation in der Dimension des Marktes Um »jeden Menschen« zu erreichen, bietet die Philharmonie Luxemburg vielen etwas. Von Anfang der Planungen an hatte eine hohe Diversität der angebotenen Stile, hatte die Vielzahl der bedienten Geschmäcker einen Platz in der Mission des Hauses. Am Ende des Untersuchungszeitraums machen sinfonische und kammermusikalische Programme mit klassischer, romantischer und alter Musik nicht mehr als 23 Prozent des Angebots aus. Zeitgenössische Kunstmusik (Neue Musik) hat einen Anteil von sieben Prozent am Programm, Jazzmusik macht sechs Prozent aus, Weltmusik, »Pops« und »Live Cinema« tragen acht Prozent bei. Der größte Teil der Veranstaltungen, 52 Prozent, wir hatten es schon gesagt, sind Konzerte und Workshops für Kinder und Jugendliche.46 Dass sich die Verteilung der Musikarten und Veranstaltungen so exakt beziffern lässt, mag überraschen. In der Tat geht es auf ein Prinzip zurück, das dem sozialen Anspruch der Grenzüberschreitung und dem weiten Musikbegriff der Philharmonie entgegenzustehen scheint: Vielfach sind in den Veranstaltungsreihen die musikalischen Stile wie in Silos voneinander getrennt oder nach Geschmacksrichtung verpackt. Nach Ansicht des Generaldirektors bietet dieses Verfahren dem Publikum »relative Sicherheit und Berechenbarkeit«. Man dürfe, sagt er, beim Veranstalten das Publikum überraschen, aber nicht enttäuschen. Enttäuschend wirkten häufig aber die gemischten oder »Sandwich-« Programme, die zeitgenössische Werke zwischen traditionellen platzieren, wie sie unter öffentlich geförderten Veranstaltern verbreitet sind. Wie bei ihm die Abwägung

46 Die Veranstaltungen der EME-Stiftung sind hier nicht eingerechnet, weil sie über einen von der Philharmonie unabhängigen Haushalt finanziert werden.

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verläuft, erzählt Naske am Beispiel eines Konzerts neuer Musik mit Schwerpunkt auf Kompositionen von Heinz Holliger und Eliott Carter in der Saison 2010/11: »Ich hatte 70 Leute hier in meinem kleinsten Saal, und das war ein dermaßen schönes, großartiges Konzert, wie es schöner nicht hätte sein können. Das war besonders – diese 70 Leute mit dieser Art von Musik zweidreiviertel Stunden freiwillig an einem Wochentag versammeln zu können. Wenn ich versuchen würde, das im Kammermusiksaal zu machen, müsste ich in der Kommunikation ganz andere Kompromisse machen. Ich könnte nie die gleiche Radikalität entwickeln. Da ist es mir lieber, ich kommuniziere sehr stringent und sage, das ist musique d’aujourd’hui. Da mache ich auf der anderen Seite den Fehler, dass ich 200 Halb-Interessierte davon ausschließe. Dafür gebe ich denen, die sich wirklich dafür interessieren, so viel Sicherheit, dass sie kontinuierlich in ihrem Interesse wachsen.«

Er habe es »ganz gern«, sagt Naske, wenn die Leute wissen, was sie erwartet. Es gebe Menschen, »die einfach Wiener Klassik wollen und sonst nichts. Und da können wir die Nase rümpfen und sagen, die sind ja dumm – oder auch nicht. Es gibt genauso viele Sinn stiftende Erlebnisse in einem Konzertprogramm, das nur von Haydn bis Mozart geht. Und warum soll ich das nicht erlauben?« Auf der anderen Seite werden aber auch jene bedient, die sich für eine Überschreitung traditioneller Geschmacksgrenzen interessieren oder – nach dem pädagogischen Anspruch des Hauses – interessieren sollten. Zur ersten Kategorie gehört die von der Pianistin Joanna MacGregor kuratierte vierteilige Reihe »Aventure+«, die in der Spielzeit 2012/13 neu eingeführt wird. Aventure+ besteht aus einem Konzert des Orchestre Philharmonique du Luxembourg und einem anschließenden weniger formellen musikalischen »Überraschungsprogramm« im Foyer der Philharmonie. Die Orchesterkonzerte werden thematisch aufgeladen, anschließend wird das Thema im informellen Musikteil mithilfe diverser musikalischer Genres interpretiert. So bietet ein Konzert unter dem Titel »Tristan goes India« Richard Wagners Tristan-Vorspiel und »Isoldes Liebestod« sowie Olivier Messiaens Turangalila-Sinfonie; im zweiten Teil tritt ein indischer Tabla-Spieler auf. In den Orchesterkonzerten stellt Richard Wagner den historisch ältesten Komponisten dar, jüngere Orchestermusiken reichen bis in den Jazz. Im Fall der Orgel-Reihe der Philharmonie Luxemburg bezeichnet der Generaldirektor die in der Saison 2012/13 eingeführte Öffnung auf weitere Genres und Stile gewissermaßen als Rettungsmaßnahme einer traditionellen Veranstaltungsgattung. »Ich habe über Jahre das klassische Rezital mit Orgel beibehalten«, erzählt er, »und bin dabei genauso würdevoll gescheitert wie die anderen

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Konzerthäuser. Und irgendwann nach sieben Jahren habe ich meinen Widerstand aufgegeben und gesagt: OK, machen wir etwas ganz anderes. Dann haben sich zwei Kollegen mit Akribie darauf gestürzt und dem Orgelzyklus ein neues Gesicht und einen neuen Inhalt gegeben. Sie haben Tanz hineingenommen, German Brass und Orgel kombiniert, was ich nie gemacht hätte, und es verkauft sich um einhundert Prozent besser als je zuvor.« Zur zweiten Gruppe pädagogisch motivierter stilistischer Diversität gehören die Kinderprogramme, die spielerisch zum Beispiel Musik von Karlheinz Stockhausen integrieren. Neben den musikalischen Stilen und Genres mischen sich hier auch die Kunstgattungen: Neben musikalische Anregungen und Tätigkeiten treten die Bewegung und das bildnerische Gestalten. Die Reihe iPhil, die Jugendliche von 13 bis 17 Jahren auf dem Weg ins musikalische Erwachsenwerden begleiten möchte und dabei bereits bestehende Angebote für die Zielgruppe zu einem Paket schnürt, enthält klassische Sinfonie- und Kammermusikkonzerte ebenso wie zeitgenössische Filmmusik und »funky Dhol n’brass Sounds aus Indien«. Ein neues Konzept liegt mit dem Aufbau der eigenen Kammermusik-Marke vor. Neu daran ist, dass das Konzerthaus das Branding junger Virtuosen nicht mehr Musikwettbewerben oder Agenturen überlässt und dann in sein Angebot übernimmt. Vielmehr baut die Philharmonie Luxemburg die Marke eigens ausgewählter junger Musiker gemeinsam mit anderen Häusern der European Concert Hall Organisation (ECHO) auf, seit der Spielzeit 2007/08 in der ebenso wie die Marke »Rising Stars« genannten Veranstaltungsreihe. Was die Berliner Philharmonie nach nun zehnjähriger Education-Arbeit anstrebt, findet sich in der Philharmonie Luxemburg realisiert: Die Angebote für Altersgruppen »von 0 bis 3 Jahren«, »ab 2 Jahren«, »von 3 bis 5 Jahren«, »von 5 bis 9«, »von 9 bis 12« und »von 13 bis 17« bauen auf einander auf.47 Im Anschluss gewährt die Philharmonie jungen Menschen bis 27 Jahren vierzig Prozent Ermäßigung auf die Kartenpreise im freien Verkauf. Und wenn man will, kann man in der 2012/13 erstmals angebotenen Reihe »Yoga & Music« eine Fortsetzung der Vermittlungsprogramme nun für Erwachsene sehen: Dieses Angebot beinhaltet jeweils eine Yoga-Stunde und anschließend ein Konzert. Die Vermittlungs-Veranstaltungen werden vorzugsweise im Abonnement verkauft, um für die teilnehmenden Kinder und auch Eltern Kontinuität herzustellen. Kinder, die hier einsteigen, im Idealfall bereits im Krabbelalter, gehören

47 Veranstaltungen für Kinder ab zwei Jahren gehören von Anfang an zum Angebot. Erstmals wird das Angebot in der Spielzeit 2007/08 auch für Kinder im Säuglingsalter erweitert.

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oft mehrere Jahre lang zum Publikum der Philharmonie. Dort gehen sie nach der Überzeugung des Generaldirektors »in Wirklichkeit durch eine Wahrnehmungsschule«, und das heißt mit anderen Worten, die Philharmonie Luxemburg versteht sich nicht nur als Veranstalter, als Konzerthaus mit Musikvermittlungsangeboten, sondern auch als Einrichtung der kulturellen Bildung und handelt wie eine solche. Die Programme für Kinder ab drei Jahren werden aus den Kompetenzen der Philharmonie heraus selbst produziert; für bis zu drei Jahre alte Kinder werden Produktionen spezialisierter Ensembles eingekauft. Künstlerische Rabatte werden dabei nicht gegeben: In die Vermittlungsprogramme sind international erfolgreiche Musiker eingebunden – in der Spielzeit 2011/12 etwa der Artist in Residence Ian Bostridge, in der Spielzeit 2012/13 die Alte-Musik-Interpreten Hille Perl und Lee Santana – unabhängig von deren bisheriger Erfahrung in der Arbeit mit Kindern. Die interne Abonnementsstatistik der Philharmonie Luxemburg vor Beginn der Spielzeit 2012/13 zeigt, dass bei nahezu allen Veranstaltungen die Nachfrage mit der Zahl der angebotenen Abonnements gleichauf liegt oder sie übersteigt. Die Reihe »Philou«, die musikalisches Theater und musikalisches Erzählen für Kinder von 5 bis 9 Jahren anbietet, ist in der Saison 2012/13 ein zweites Mal parallel aufgelegt worden, um der Nachfrage entsprechen zu können. Die Tendenz, Veranstaltungszeiten und -orte zu diversifizieren, insbesondere das Wochenende zu beleben und die Nacht zu erschließen, sowie das Konzerthaus zu einem gastlichen Ort zu machen, ist bereits im Konzerthaus Berlin und in der Berliner Philharmonie zu beobachten gewesen. Sie findet sich auch in der Philharmonie Luxemburg. Die oben beschriebene Konzertreihe Aventure+ etwa beginnt um 19 Uhr und reicht bis in die Nacht, dabei wird dem Publikum auch ein gastronomisches Angebot gemacht. Die Reihe Yoga & Music beginnt um 18.30 Uhr, im Anschluss an die berufliche Arbeitszeit. Die Familienkonzerte finden am Samstagnachmittag statt. Zu den in der Saison 2012/13 neu formatierten (seit 2006 als concerts-apéritifs angebotenen) Matineen des Orchestre Philharmonique du Luxembourg am Sonntagvormittag mit Werken der Klassik und Vorklassik wird nun ein Frühstück und im Anschluss ein Brunch angeboten. Ein Mal im Jahr richtet die Philharmonie eine DJ-Party für rund 3000 Gäste aus, deren Bühne im Foyer des Hauses steht, und zu der eine Bewirtung angeboten wird. Die Jazz-Reihe »Chill at the Phil« lädt dazu ein, den Darbietungen im Kammermusiksaal bequem zurückgelehnt »mit einem Glas in der Hand« zu lauschen.48 Den Rahmen der Philharmonie verlässt das Festival »Rainy Days« mit

48 Philharmonie Luxemburg (2012b): 112.

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seinen Veranstaltungen von Musik der Gegenwart. Rainy Days findet in der Philharmonie, nach den Worten des Generaldirektors aber auch im öffentlichen Raum und auf öffentlichen Plätzen statt und zeichnet sich auch dadurch aus: »Das kann im Park hinter dem Musée d’Art Moderne sein, das kann ein großes Spektakel auf öffentlichen Plätzen sein, das kann ein Marktstand sein, eine Marktbude, das kann in den Kasematten sein – da machen wir vor nichts halt.« In einem größeren Zusammenhang überschreitet das mit dem Grand Théâtre gemeinsam veranstaltete Luxemburg-Festival institutionelle Grenzen, indem es einzelne Veranstaltungen in den Monaten Oktober und November in einem die gesamte Stadt repräsentierenden Paket verpackt und mit Hilfe luxemburgischer Tourismusorganisationen auch international zu vermarkten sucht. Vermittlung und Kommunikativität, zwei Schlüsselbegriffe in Naskes Konzept der Konzerthaus-Arbeit, gründen, wie zu sehen war, in einer eigentlich sozialen Motivation: Sie kennzeichnen die Art, wie die Philharmonie Luxemburg Beziehungen zu Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Voraussetzungen herzustellen sucht. Kommunikativität als soziale Qualität wird dadurch ein Merkmal der Angebote der Philharmonie am Markt. »Es gibt«, so bilanziert der Generaldirektor seine Arbeit auf diesem Gebiet, »kaum eine Veranstaltung, die nicht begleitet wird durch Vermittlungsangebote – Gespräche vor oder nach Konzerten. Wir gehen da jetzt sicher noch radikaler in die Gestaltung eines künstlerischen Ambientes, das einfach Spaß macht.« Kommunikativität als expliziter Produktbestandteil zeigt sich in der erstmals 2009/10 angebotenen »Dating«-Reihe des Orchestre Philharmonique du Luxembourg. An drei Abenden wird unter den Titeln »Dating Debussy«, »Dating Moussorgski«, »Dating Borodine« jeweils ein Schlüsselwerk der Komponisten gespielt. Im ersten Teil der Konzerte stellt ein Moderatorenpaar gemeinsam mit dem Orchester und im »lockeren Gespräch« mit Dirigenten und Musikern Details der Kompositionen vor und erzählt »die Hintergründe der Entstehung«.49 Zusätzlich wird die musikalische Darstellung mit Hilfe von Kameras auf einer Leinwand hinter dem Orchester visualisiert. Moderiert, wenngleich auf technisch weniger aufwändige Art, sind auch die Familienkonzerte des Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Ein englisch »Backstage« genanntes Programm-Komplement beinhaltet Einführungsvorträge durch Musiker oder durch Referenten vor den Konzerten sowie Gespräche mit Ausführenden (»meet the artist«) im Anschluss. An zwei Abenden in der Saison wird seit der Saison 2012/13 das Gesprächsformat »2 x hören« für neue Musik auch in der Philharmonie Luxemburg angeboten.

49 Philharmonie Luxemburg (2012b): 26.

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In Hinsicht auf technologische Entwicklungen ist die Kommunikationsarbeit der Philharmonie Luxemburg weniger ambitioniert als jene der Stiftung Berliner Philharmoniker. Die primäre Aufgabe der Luxemburger Kulturorganisation ist nach der Überzeugung ihres Generaldirektors, musikalisch-kulturelle Interessen in der Region zu bedienen, das »Entwickeln von kultureller Relevanz für die Gesellschaft, die uns hier trägt«. Ein Projekt wie jenes der Berliner Digital Concert Hall wäre angesichts dieser Aufgaben zu aufwändig, und um weltweit ein Publikum für Konzert-Übertragungen zu gewinnen, fehlt es einstweilen am künstlerischen Alleinstellungsmerkmal. Ein Indiz für die unterschiedliche Bedeutung der Musikorganisationen im Internet bildet die Anhängerschaft im Netzwerk Facebook: Dort stehen den rund 300.000 »Fans« der Berliner Philharmoniker zum gleichen Zeitpunkt Mitte 2012 kaum mehr als 6.500 Anhänger der Philharmonie Luxemburg gegenüber. Innovation im Bereich der Kommunikation beschränkt sich in der Philharmonie Luxemburg in technologischer Hinsicht auf Versuche, etwa über selbst hergestellte Video-Spots über Youtube virales Marketing zu betreiben. Soziale Medien als Form einer community sind für Naske »ein konkretes Entwicklungsfeld«. Neue Kommunikationsmittel werden punktuell zur Unterstützung der Kommunikation künstlerischer Projekte angewandt. So gibt die Philharmonie im Herbst 2012 eine App zur Vorbereitung der Konzert-Reihe mit den Sinfonien und Solokonzerten Karol Szymanowskis heraus. Nach Darstellung Naskes dient diese App der Information, »der kulturgeschichtlichen und musikwissenschaftlichen Verortung des Komponisten, der nicht so bekannt ist und vor dem viele Leute sogar eher Angst als Freude haben.« Nach den Planungen enthält die App eine Reihe fortlaufend ergänzter Podcasts mit dem Dirigenten der Reihe, Valery Gergiev, mit den Solisten sowie mit Konzertbesuchern. BlogBeiträge von Musikern des ausführenden London Symphony Orchestra und von Mitarbeitern der Philharmonie Luxemburg sollen »live« von den Vorbereitungen, den Proben und der Tournee berichten. »Mir geht es darum, das künstlerische Personal in einer dynamischen Art zu präsentieren und da eine Beziehung aufzubauen, und auf der anderen Seite eine geschichtliche Verortung des künstlerischen Schaffens dem Publikum zur Verfügung zu stellen«, sagt Naske. Die App und die Entwicklung ihrer Inhalte werden überdies mit den Printprodukten der Philharmonie verknüpft. Innovation in der Dimension der Kunst Obschon die Philharmonie Luxemburg davon absieht, zeitgenössische Kunstmusik grundsätzlich allen Hörern nahe zu legen, tut sie etwas für deren Produktion. Uraufführungen gibt es seit der ersten Spielzeit, in nennenswertem Umfang (elf

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neue Stücke) seit der Spielzeit 2008/09. Seit der Spielzeit 2010/11 gibt die Philharmonie Luxemburg teils in alleiniger Verantwortung, teils in Kooperation mit anderen Veranstaltern neue Werke selbst in Auftrag. Das Programm der Saison 2012/13 verzeichnet vier selbst in Auftrag gegebene neue Kompositionen, davon eine für das Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Hinzu kommen mehr als zehn Uraufführungen, deren Auftraggeber nicht genannt wird. Das ist mehr als im Konzerthaus und in der Philharmonie in Berlin, ohne dass es den von diesen gesetzten Rahmen sprengte und Luxemburg zu einem Zentrum neuer Musik machte. Systematisch generiert die Philharmonie Luxemburg Innovationen im Bereich ihrer Programme für Kinder, wo sie mit eigenen Ressourcen und den Ressourcen auswärtiger Kunstschaffender anderer Sparten neue Formen musikalischen Erzählens schafft. Innovation in der Dimension des Finanziellen Die Knappheit des Geldes spielte in den letzten Jahren der Intendanz Frank Schneiders am Konzerthaus Berlin eine zentrale Rolle in der Wahrnehmung und in den Überlegungen des Managements. Als Folge der Skandale der Berliner Bankgesellschaft in den Jahren 2001 und 2002 und der folgenden Haftungsübernahmen war das Land Berlin tiefer in eine Schuldenkrise geraten; die Sparmaßnahmen der Landesregierung und der Zweifel an der Finanzierbarkeit der öffentlichen Leistungen beunruhigten die vom Land abhängigen Kulturinstitutionen, selbst in den Gesprächen mit dem Management der Stiftung Berliner Philharmoniker im Herbst 2006 wird die finanzielle Lage Berlins als Risiko bewertet. Dagegen erklärt der Generaldirektor der Philharmonie Luxemburg im Sommer 2012, er habe gelernt, »dass Geld gar nicht so wichtig ist. Man kann natürlich sagen, ich sitze hier im goldenen Käfig. Aber zuvor habe ich die Jeunesse Musicale in Österreich geleitet, und die zeichnet sich dadurch aus, dass sie besonders wenig Geld hat, also durch besonders beschränkte Mittel. Und die Arbeit der Organisation hat unendlich Spaß und Freude gebracht. Geld ist ein Mittel zum Zweck, und man darf sich nicht fürchten davor, und wenn man Qualität bringt und das stark kommuniziert, dann kommt es. Ich bin jetzt seit mehr als 20 Jahren im Geschäft, aber ich habe noch nie zu wenig Geld gehabt – das kann mir natürlich noch passieren. Es ist eine Mär, dass es zu wenig Geld gibt. Man muss sich natürlich immer anpassen, und man muss Menschen überzeugen, an etwas zu glauben.« Die Philharmonie Luxemburg hat Angebote entwickelt, mit denen sie Unternehmen als Sponsoren zu gewinnen, als Quelle finanzieller Ressourcen zu erschließen sucht. Unternehmen können pauschal und über einen längeren Zeitraum als Sponsor der Salle de Concerts auftreten, oder kurzzeitig als Sponsor

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einer Konzertreihe, eines Einzelkonzerts, einer Vermittlungsreihe. Im Gegenzug können die Sponsoren die Veranstaltungen der Philharmonie für eigene Auftritte nutzen, etwa durch die Präsentation ihres Firmenlogos. Sie können Geschäftspartner zu Konzerten einladen oder die Räume der Philharmonie für eigene Veranstaltungen nutzen, wobei das Haus auch den dazugehörenden Veranstaltungsservice anbietet. In einzelnen Fällen bietet die Philharmonie Luxemburg im Paket mit der Vermietung ihrer Räume für Firmenevents auch moderierte GalaVeranstaltungen im Firmensitz des Corporate Partner an. Ziel dieser Programme soll nicht die Generierung von Einkommen als solchem sein. Ein Sponsor ist nach den Worten Naskes »für uns nur diejenige Organisation, die uns ermöglicht, künstlerische Pläne zu realisieren. Dass der Sponsor Kommunikationsinteressen ganz linearer Natur hat, das müssen wir akzeptieren und dem auch Rechnung tragen.« Eigentlich neu ist dieses Partnerschafts-Programm in seinen einzelnen Bestandteilen nicht. Im Vergleich zu den Berliner Häusern erscheinen die Möglichkeiten von Unternehmenspartnerschaften jedoch systematisch angewendet. Im Brückenschlag zwischen kunstpädagogischen und kommerziellen Vermittlungsangeboten, der sich in den externen Galaveranstaltungen in den Räumlichkeiten der Sponsoren zeigt, kann man den Vorschein vielleicht künftiger Geschäftsmodelle sehen. Als Verbindung der sozialen und künstlerischen Vermittlungsinteressen mit dem Prinzip der Mittelgenerierung im privaten Bereich erscheint die Stiftung EME, Fondation Ecouter pour Mieux s‘Entendre, auch in finanzieller Hinsicht innovativ. Die Zahl der Aktionen der Stiftung beträgt zum Ende des Untersuchungszeitraums praktisch das Doppelte der Zahl der Konzerte und Vermittlungsveranstaltungen der Philharmonie. Die Zahl der erreichten Menschen beträgt knapp ein Zehntel ihres Publikums im Stammhaus. Nun verfolgt eine musikalische Aktion in einer Alzheimerstation andere Absichten als ein Orchesterkonzert im großen Saal, ein qualitativer Vergleich erscheint daher nur unter sehr spezifischen Hinsichten sinnvoll. Aber dass die Philharmonie mit der Gründung der Stiftung ein Mittel gefunden hat, die kategoriale Ausweitung ihrer Aktivitäten außerhalb der Grenzen ihres Haushalts zu finanzieren, neue Geldquellen aufzutun und ehrenamtliche Mitarbeiter zu engagieren, die Wert schaffen, ohne viel Geld zu kosten, das lässt sich innerhalb des organisatorischen Feldes als Coup verstehen, als disruptive Innovation. »Keiner gibt einem établissement public gerne Geld, einer unabhängigen Stiftung aber schon«, sagt der Generaldirektor. Die Philharmonie gibt ihren Sachverstand, ihr soziales Kapital (in Form etwa der Beziehungen zu Musikern) und eigene personelle Ressourcen hinzu; »wir machen das in Personalunion, ich bin Präsident der Stiftung, eine Mitarbeiterin ist Direktorin, die die

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Hauptlast der Arbeit leistet«, sagt Naske. Indem sie bereits auf der Website der EME-Stiftung eine direkte Spendenmöglichkeit für das breite Publikum einrichtet, nutzt die Philharmonie Luxemburg auch technisch und sozial neue Entwicklungen im Spendenwesen, wie sie unter dem Namen des crowdsourcing bekannt geworden sind. Als innovativ in finanzieller Hinsicht darf auch die bereits in Hinblick auf die Markt-Dimension erwähnte rising stars-Reihe gelten. »Rising stars« sind junge Musiker, die von der European Concert Hall Organisation ECHO, deren Mitglied die Philharmonie Luxemburg ist, ausgewählt und in den entsprechenden Reihen der Häuser gemeinschaftlich »angeboten« werden. Innovativ unter Gesichtspunkten der Marktbearbeitung ist das, weil die ECHO-Häuser damit eine von ihnen selbst kontrollierte Qualitätsmarke aufbauen. Innovativ in finanzieller Hinsicht ist der Verbund, weil sich durch ihn Mengeneffekte in Hinsicht auf Gagen und Logistik erzielen lassen und weil das Engagement junger Musiker weniger kostet als die Verpflichtung etablierter Stars. Ist Geld für das Leben der Kultur vielleicht in einem allgemeinen Sinn »gar nicht so wichtig«, so wird es für die Philharmonie nach der Aufnahme des Orchestre Philharmonique du Luxembourg doch eine größere Rolle spielen. Die Fixkosten für das Personal werden durch die Anstellung von 100 Musikern weit mehr als verdoppelt; die in der Einleitung dieses Buches beschriebene »Krankheit« steigender Personalkosten bei stagnierender Produktivität kann auch die Philharmonie Luxemburg heimsuchen. Der im Jahr 2012 nach der Eingliederung des Orchesters drastisch gesunkene Eigenfinanzierungsgrad des Hauses zeigt die Schwierigkeiten an. Naskes Satz von der relativen Wichtigkeit von Geld wäre am Beispiel der Philharmonie Luxemburg zu ergänzen um einen Zusatz, nach dem es darauf ankommt, wofür man es verwendet. Dadurch, dass die Aktivitäten der Musikvermittlung eine zentrale Rolle im Programm der Philharmonie Luxemburg erhalten, verändert sich die Struktur der Ausgaben des Hauses. Die Musikvermittlungs-Programme tragen mehr als die Hälfte zur Zahl der musikalischen Veranstaltungen bei, verbrauchen aber nicht mehr als neuneinhalb Prozent des künstlerischen Budgets. 3.3 Der Prozess der Innovation Die Philharmonie Luxemburg ist eine vergleichsweise junge Kulturorganisation, der von 2006 bis 2012 reichende Beobachtungszeitraum unserer Studie entspricht den ersten Jahren ihrer Existenz. Das wichtigste innovatorische Ereignis dieser Kulturorganisation fällt bereits mit dem Öffentlich-Werden ihrer Arbeit

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zusammen; Grund legende Innovationsprozesse wurden durch das Management während der Vorbereitungszeit gestaltet. Entscheidend ist in dieser frühen Phase, dass die Pfadabhängigkeiten im Vergleich zu etablierten Häusern gering sind. So ist die Philharmonie kaum durch das klassisch-romantische Orchesterrepertoire geprägt oder konditioniert. Entscheidend ist ebenfalls, dass die Gestalter der neuen Organisation fachliche Ressourcen und Humankapital unterschiedlicher Herkünfte einbringen und zu etwas für das organisatorische Feld Neuem verbinden können. Während der ersten Jahre kann das Management ohne die Routinen, ohne die tradierten Bedürfnisse und Angebotsstrukturen eines hauseigenen Sinfonieorchesters planen und wirtschaften. Das ist für die Gestaltung dieses konzeptionell innovativen Konzerthauses mit vielfältigen Veranstaltungsformaten und einem breiten Musikbegriff eine günstige Voraussetzung. Für den Beobachtungszeitraum kann man sagen, dass die Herausforderungen zunächst nicht in der Erneuerung ursprünglich gesetzter Angebote liegen, in der Überwindung überkommener Routinen. Die Aufgabe liegt umgekehrt in der Organisationsentwicklung durch den Aufbau verlässlicher, verbindlicher und wirksamer Handlungs- und Organisationsmuster und in der Ausbildung einer wiedererkennbaren Physiognomie sowie verlässlicher Austauschbeziehungen mit der Öffentlichkeit. Die ersten zwei bis drei Jahre habe die Gruppe »eine Pionierphase« durchlebt, erzählt der Generaldirektor; einen Teil dieser Zeit bildet die Planungsphase. Daran anschließend seien Strukturen gebaut worden, »die unabhängig von Personen dieses Leistungsniveau möglich machen«. Gegen das Ende des Untersuchungszeitraums sieht Naske die Organisation »schon im Begriff, reif zu werden«. Durch die politisch veranlasste Integration des Orchestre Philharmonique du Luxembourg sei sie jedoch in eine neue Gründungsphase geraten. Mit der Integration des wirtschaftlich angeschlagenen Sinfonieorchesters mit seiner erodierten Publikumsbasis ist eine neue strategische Aufgabe gestellt: Das Orchester muss einen Entwurf für sich selbst als Organisation und als Institution formulieren, dessen Realisierung seine weitere Existenz rechtfertigt, und es muss innerhalb des Angebots der Philharmonie Leistungen erbringen, die für das Ganze zusätzlichen Wert schaffen. Und wirklich bringt die Saison 2012/13, die erste, in der das Orchester ein integraler Teil der Philharmonie Luxemburg ist, einen Innovationsschub auch im Bereich der Produkte: Mit der Reihe Aventure+, mit 2 x hören und Yoga & Music. Die Organisation als Ganze muss nach den Ausführungen des Generaldirektors überdies lernen, was »man mit dem Orchester in Sachen Musikvermittlung alles machen« kann. Gleichzeitig ist eine organisationale Aufgabe gestellt, die der Generaldirektor mit dem Wort »Unternehmenskultur« bezeichnet. Zu den Mitarbeitern, die gewachsene Regeln der Organisa-

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tion verinnerlicht, teils selbst mit gestaltet haben, kommen nun neue, die den Entwicklungsprozess nicht mitgelebt haben. Für alle Mitarbeiter werfen der Integrationsprozess des Orchesters und die Erarbeitung eines neuen Kollektivvertrags die Frage nach formal festgelegten und informellen Gestaltungsräumen, nach den Tätigkeitsbeschreibungen und Arbeitsverträgen neu auf. Dabei führt das Interesse des Generaldirektors am einzelnen Menschen auch zur Entwicklung von Steuerungsinstrumenten, die für eine staatlich unterhaltene Kulturorganisation auf dem europäischen Kontinent als innovativ gelten können. Im Jahr 2012 entwickelt die Philharmonie Luxemburg mit Unterstützung einer internationalen Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft ein Instrument zur Evaluation der Mitarbeiter und führt eine Leistungskomponente in deren Bezahlung ein, die in jedem Jahr eine Prämie in einer Höhe zwischen null und fünf Prozent des Jahresgehalts vorsieht. Naske sagt, er glaube, die Möglichkeit, sich eine Leistungsprämie verdienen zu können, wirke motivierend. »Ich will«, sagt er, »die individuelle Beurteilung jedes Mitarbeiters – und sie sind nicht gleich.« Der Prozess einer Leistungsbeurteilung nach standardisierten Kriterien und Zielsetzungen sei ein Lernprozess für die Gruppe. Er verpflichte überdies die Abteilungsleiter, eine Führungsrolle zu leben, und auch davon verspricht sich der Generaldirektor positive Effekte auf das Handeln seiner Organisation. Mit Workshops und Strategietagungen für die Mitarbeiter und für den Vorstand versucht der Generaldirektor, einen strategischen Prozess zu gestalten, der die Interessengruppen in der Philharmonie und deren Ressourcen einbezieht. Strategieentwicklung und darauf aufbauend Innovation werden als kommunikative Aufgabe betrachtet. Naske beschreibt die interne Kommunikation als »durchaus gut strukturiert« und als »ziemlich rege«, es gebe regelmäßige Kommunikationsprozeduren wie Abteilungsleiterbesprechungen ein Mal und mehr in der Woche und für das Leitungspersonal die aktive Verpflichtung, die relevanten Dinge in die Abteilung mitzubringen und umgekehrt Anregungen aus den Abteilungen der Leitungsgruppe vorzutragen. »Innovationsspezialisten« gebe es nicht, Entwicklungen müssten mit Professionalität und Detailkenntnis der spezifischen Bedingungen vor Ort generiert werden. »Das erwarte ich konsequent von allen«, sagt der Generaldirektor. Auch selbst versteht er sich nicht als »Chefinnovator«. Zunächst höre er auf das, »was an gemeinschaftlich getragenem Wissen vorhanden ist«. Seine Rolle sei es, Entwicklungsprozesse zu moderieren und permanent zu evaluieren. Dabei müsse er »sensibel genug sein, die Prozesse bis zur Realisierung zu begleiten«. Er habe »immer davon geträumt, ein möglichst durchlässiges Miteinander im Betrieb zu haben«, sagt Naske. Das gehe bis zu einem gewissen Grad; die mit der Größe der Organisation zunehmende Formalisierung

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der Arbeitsbeziehungen und Rollen stellt einer solchen kommunikativen Durchlässigkeit ein Hindernis entgegen. Wenig formalisiert erscheinen der Informationsfluss und die aktive Informationsgewinnung zwischen Publikum und Philharmonie. Hinweise, wie Veranstaltungen wahrgenommen werden, erhält das Management vom Verkaufsteam und vom Head Usher, der unmittelbaren Kontaktperson zum Publikum. Feedback von Kunden gehe an die Verkaufsleitung und das Marketing, und wenn es eine künstlerische Produktion betrifft, auch an die zuständige künstlerische Abteilung. Wie sein Kollege Nordmann im Konzerthaus Berlin wünscht sich auch Naske, dass die Mitarbeiter möglichst viel in den Konzerten gegenwärtig sind. Die Kommunikation mit dem Publikum sei »ein fließender Prozess«, für den man als Mitarbeiter der Philharmonie präsent sein müsse. Das sei nicht standardisiert, sagt Naske, »aber das braucht es auch nicht. Wenn Menschen miteinander sprechen und auch gehört werden, dann geht das auch so.« Eine Kundenbefragung für das Orchester habe dagegen nur eine »bescheidene« Aussagekraft entwickelt; für die Philharmonie wurde eine systematische Kundenbefragung noch nicht durchgeführt. Feedback, das in die Reflexion des Managements einfließt, komme zunehmend auch über die sozialen Medien. Auf diese zu antworten, sei die Philharmonie verpflichtet, und das erzeuge einen »relativ großen direkten Druck«. Vor allem aber dient das Publikum als Informationsquelle, indem es »die Produkte kauft oder nicht kauft«. Die Daten sind in den internen Verkaufsstatistiken der Philharmonie so aufbereitet, dass sie eine zeitnahe Analyse der Nachfrage erlauben. Auch die Frage, wie die Philharmonie Luxemburg den Erfolg der von ihr entwickelten Angebote misst, ist damit zu weiten Teilen beantwortet: Erfolg zeige sich in der Nachfrage und im politischen Standing, sagt der Generaldirektor. Was im Konzerthaus Berlin »Benchmarking« genannt wird, spielt in der Strategie- und Innovationsentwicklung auch der Philharmonie Luxemburg eine Rolle, wenngleich eher im Sinn der Erwartung des Generaldirektors, dass sich bei den Mitarbeitern »Professionalität und Offenheit« verbinden. Der Vergleich mit den innovatorischen Leistungen anderer, die Wahrnehmung neuer Entwicklungen im organisationalen Feld ist in den kommunikativen Routinen der Philharmonie Luxemburg angelegt. »Das gesamte Leitungspersonal bewegt sich relativ häufig auf Fachtagungen und Veranstaltungen, wo wir den Versuch machen, zu lernen«, berichtet Matthias Naske. Weil das Haus im organisationalen Feld als Beispiel wahrgenommen wird, wird sein Generaldirektor vielfach nicht nur eingeladen, um lernen zu können, sondern um die Arbeit seiner Organisation vorzustellen. Noch im ersten Jahr ihrer öffentlichen Arbeit tritt die Philharmonie Luxemburg der European Concert Hall Association ECHO bei, einem Zusam-

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menschluss führender europäischer Konzerthäuser. Diese Organisation führt eigene Benchmarking-Studien durch und veranstaltet inzwischen auch Fachtreffen für Mitarbeiter der Konzerthäuser. Die Mitgliedschaft und die Zusammenarbeit seien »sehr wichtig«, sagt Naske gut sechs Jahre nach dem Beitritt. Sein Haus habe vom fachlichen Austausch mit anderen Mitgliedern und von deren Expertise lernen können, auch im Fall des Fusionsprojekts mit dem Orchester. Auch durch Koproduktionen mit auswärtigen Veranstaltern im Bereich Education und Vermittlung nimmt die Philharmonie Luxemburg an innovativen Entwicklungen anderer teil und trägt zur Verbreitung der selbst entwickelten good practice bei. Diese vernetzte Zusammenarbeit ist für Naske »eines der Schlüsseldinge, durch die wir wachsen können«, und deshalb will er die europäische Zusammenarbeit im Bereich »junges Publikum« weiter ausbauen. Obwohl die Philharmonie Luxemburg zahlreiche Veranstaltungsformen, Interaktionsmodelle und Programmstrukturen entwickelt und realisiert hat, die innerhalb des organisatorischen Feldes als innovativ wahrgenommen und teilweise nachgeahmt werden, nimmt ihr Generaldirektor eine vorsichtige Haltung gegenüber dem Thema Innovation ein. »Innovationsspezialisten« gebe es nicht in der Organisation, er selbst verstehe sich nicht als »Chefinnovator«, so haben wir ihn schon zitiert. Eine neue Kommunikationsform wie die SzymanowskiApp bezeichnet Naske als »oberflächliche Innovation«. Als eigentlich innovativ gilt ihm hingegen »etwas, wo das Grundkonzept sauber ist, das sich weiter entwickelt«. Die Kategorie der oberflächlichen Innovation deutet auf eine Präferenz für einen an der Disruption orientierten Innovationsbegriff. Aus Naskes Verweis auf den Grund im »Grundkonzept« aber spricht wohl der Kulturmanager, der Angebote und Organisationsstrukturen aus Ideen eines kommunikativen Miteinander und aus einem humanistischen Motiv heraus entwickelt. In einem solchen Rahmen stellen das Neue oder das primär als neu wahrgenommene Angebot als solche kein Handlungsziel dar. Auch die Kurzfristigkeit, wie sie Innovation im Bereich von Konsumgütern häufig kennzeichnet, bedeutet Naske nicht viel. Man dürfe sich bei der Weiterentwicklung von Organisation und Angebot keinen Illusionen hingeben, diese Arbeit sei immer mittelfristig ausgerichtet, und in diesem Sinn hat Naske die im Jahr 2005 aufgestellte innovative Grundstruktur seines Programms während unseres Untersuchungszeitraums weitergeführt und weiterentwickelt, »verfeinert« mit seinem eigenen Wort. Veranstalten bedeute immer, Kontinuitäten zu bieten, sagt Naske, »das ist ja irgendwie das Geheimnis.«

IV. Die Kunst des Überlebens

1. V IELEN IST DER T ISCH BEREITET . D IE F ALLSTUDIEN IM L ICHT DER T HEORIE Überblickt man die Veränderungen der Jahre 2006 bis 2012, fällt auf, dass sie Angebote vielfältiger und die Identitäten gemischter werden. Die drei Kulturorganisationen bilden eine Ökologie musikorientierter Freizeit- und Bildungsangebote heraus, in der auch widersprüchliche Motive und Praktiken nebeneinander existieren. Das Kernangebot, der Markenkern auch der Organisationen, besteht dabei nach wie vor aus Darbietungen europäischer Kunstmusik in Form von Konzerten; alle drei Häuser sind um ihren großen Saal herumgebaut und machen das im Stadtbild deutlich. Im Fall der Berliner Philharmonie ist und bleibt das Orchesterkonzert die raison d’être der Organisation. Die Leiter des Konzerthauses Berlin und der Philharmonie Luxemburg betonen, die Steigerung der (von ihnen diffus definierten) »Qualität« des Angebots sei unabdingbar; die Berliner Philharmoniker, die hier Maßstäbe setzen, sprechen von Exzellenz. Der Konzertabend soll als erschwingliches Premium-Produkt wahrgenommen werden, das sinnlichen Luxus garantiert. Die ökonomische Erklärung solchen Strebens nach Qualität läge im Versuch einer Kompensation der steigenden Herstellungskosten bei stagnierender Produktivität;1 daneben besitzt Qualität wohl eine legitimatorische Funktion im Sinn der traditionellen, von Experten bewerteten production pure und verringert, wo sie attribuiert wird, das vom Konsumenten wahrgenommene Risiko.

1

Vgl. Sergio Sparviero/Paschal Preston (2010): Creativity and the positive reading of Baumol cost disease, p. 1903. Thomas Pyzdek und Paul Keller beschreiben im Übrigen ein Kontinuum, das von der bestandserhaltenden Wartung (maintenance) bis zur Innovation reicht und in dessen Zentrum sich die Qualitätssicherung bewegt (The Handbook for Quality Management, 2013, p. 39).

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Aufbauend auf der historisch gewachsenen Substanz musikalischer Repräsentation wird ein Teil der Publikumsgewinne durch graduelle Verschiebungen innerhalb des Feldes kultureller Distinktionen erzielt. Doch zieht auch der Intendant des Konzerthauses Berlin, der diesen Weg seit 2009 am entschiedensten verfolgt, eine Grenze zu einem Massengeschmack, mit deren Überschreitung die Identität seines Hauses als Kulturinstitution gefährdet wäre, und mit ihr die staatliche Finanzierung. Hier sehen wir den auf den ersten Blick paradoxen Versuch, einerseits durch die Steigerung der wahrgenommenen Qualität die Wertigkeit des Angebots in den Premium-Bereich zu entwickeln und andererseits durch eine Senkung der Anforderungen an das kulturelle Kapital der Kunden breitere Bevölkerungsschichten einzuladen.2 Gleichzeitig entspringt das Bemühen, »dass wir wieder mehr Besucher bekommen« (Sebastian Nordmann), und die Arbeit an einem Haus, »das zunächst einfach jeden Menschen erreichen möchte« (Matthias Naske) auch humanistischen Impulsen, einem im Grund romantischen Glauben an die universale Fähigkeit von Kunst, das Leben »der Menschen« zu verbessern. So stehen traditionelle Formen und Begründungen neben neuartigen, steht das Fortklingen der Geschichte, der deep-rooted sound (Simon Rattle) und seine Pflege neben dem Versuch, die Aufmerksamkeit und die Beteiligung der Zeitgenossen durch außergewöhnliche Ereignisse, durch spectacular new things zu gewinnen.3 Dazu diversifizieren die Konzerthäuser und Sinfonieorchester ihre Produkte in alle vier Kategorien der Erlebniswirtschaft hinein – die Unterhaltung, die Erziehung, das Ästhetische, das Eskapistische.4 Der traditionelle, mit dem Konzept des Kunstwerks verbundene Teilnahmemodus der Absorption verliert an Bedeutung, der Teilnahmemodus der Immersion gewinnt durch einen Ausbau der Identifikationsangebote hinzu. Den musikalischen Darbietungen wird in allen drei Häusern das gesellschaftlich vermittelte Sprechen an die Seite gestellt. Auch dieses führt weg von der traditionellen Konzentration auf das musikalische Kunstwerk; Matthias Naske spricht einmal vom Versuch der Philharmonie Luxemburg, »das Haus in seiner Werthaftigkeit und Bildhaftigkeit etwas zu emanzipieren vom musikalischen Geschehen.« Wiederum existieren widersprüchliche und historisch unterschiedlich alte Vorstellungen nebeneinander. Einerseits werden die musikalischen Veranstaltungen systematisch in die Perspektive sozialer

2

Den verpflichteten Stars obliegt es, das Paradox aufzulösen: Sie garantieren in der öffentlichen Wahrnehmung Qualität und entlasten zugleich den Besucher von den Anforderungen eines sachkundigen Urteils.

3

Simon Rattle im Gespräch mit Claus Spahn, 2002.

4

Pine/Gilmore 2011: 45ff.

D IE K UNST DES ÜBERLEBENS

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Kommunikation gerückt. Andererseits ist es Naske wichtig, zu betonen, die Stille sei der Grund des Hörens und der Musik, und er sucht nach Wegen, das erfahrbar zu machen.5 In einem historisch synthetischen Sinn lässt sich der Anschluss an das Gespräch als Moment einer Wiederherstellung des geselligen Charakters unseres institutionalisierten Musiklebens interpretieren, einer Wiederherstellung gemeinschaftlicher Sinn- und Handlungszusammenhänge, aus denen das öffentliche Musikleben zu einem Teil erwachsen ist.6 Die Betonung der »Freundschaft« im Konzerthaus Berlin und in der Berliner Philharmonie bildet ein nostalgisches Wertschöpfungs-Angebot für die städtische Freizeitgesellschaft, kennzeichnet aber auch Kulturorganisationen, die im Interesse ihres Fortbestehens selbst nach Freunden suchen. 1.1 Trends der Erneuerung: Was die drei Organisationen gemeinsam haben Alle drei Konzerthäuser und Sinfonieorchester suchen und schaffen Veränderungen ihrer Arbeitspraktiken, ihrer Angebote, ihrer Produkte, ihrer Kommunikation. In der Regel sind diese Veränderungen auf Ziele bezogen, die das Management mehr oder weniger ausdrücklich formuliert. Manchmal folgen sie Vorstellungen der Manager von einer idealen Gestalt ihres Hauses, seines Angebots, seiner Austauschverhältnisse mit der sozialen Umwelt. Häufig beziehen sie sich auf Veränderungen in der Umwelt und der Handlungsbedingungen. Sie dienen der Vorbeugung gegen Risiken, der Abwehr von Gefahren und immer wieder auch der Ergreifung von Chancen. Risiken sehen die Manager in Begrenzungen ihrer Publikumsbasis, namentlich in deren Altersstruktur, in der jüngere Generationen anteilig gering vertreten sind. Sinkende Besucherzahlen und die Unterrepräsentierung breiter sozialer Gruppen und Altersklassen untergraben die politische Unterstützung, derer die Kulturorganisationen in der Demokratie zur Sicherung ihrer Ressourcen bedürfen. In allen Fällen ist ja der Staat der größte einzelne Geldgeber. Versicherungen wie jene des Generaldirektors der Philharmonie Luxemburg, seine Kultur-

5

Entwickelt finden sich solche Vorstellungen beim späten Heidegger. Dort sind die Stille und das Hören als Momente eines Seinsgeschehens umschrieben. Zur Stille siehe etwa »Unterwegs zur Sprache« (1959) p. 29, zum Denken als Hören ebd. p. 180.

6

Zum geselligen Charakter des Hörens im 18. Jahrhundert vgl. die Darstellung und Diskussion bei William Weber (1997): Did people listen in the 18th century?, p. 688. Zur vor-privatwirtschaftlichen Herkunft unseres öffentlichen Kulturlebens vgl. Bourdieu 1992: 247.

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organisation sei »politisch gewollt«, zeigen, wie wichtig diese Instanz genommen wird und dass ihre Unterstützung nicht als selbstverständlich gilt. Gefahren für das erfolgreiche Bestehen ihrer Organisationen vermuten die Manager in kulturellen Tendenzen, die europäische Kunstmusik an den Rand der Wahrnehmung drängen, ihren Rang im öffentlichen Leben senken, die ästhetische Erziehung durch die Schulen schwächen. Die Struktur des Publikums und das Nachfrageverhalten der Öffentlichkeit werden als Indikatoren dieser kulturellen Trends verstanden. Das Altern bildet die große Metapher für einen möglichen organisationalen Niedergang, für das Schwinden der sozialen Basis, für ein Hinabgleiten der Inhalte und der Formen des Konzertwesens ins Historische. Zu den Zielen gehören übereinstimmend die Vertiefung und die Verbreiterung der Publikumsbasis, nicht zuletzt um jüngere Bevölkerungsgruppen, und die Intensivierung des Austausches und der Bindungen mit der sozialen und gesellschaftlichen Umwelt. Darauf zielt die überwiegende Zahl der Neuerungen. Letztlich arbeiten die Manager darauf hin, die Performanz ihrer Organisationen am Markt zu steigern und die gesellschaftliche und politische Unterstützung lebendig zu halten, um auf diese Weise die Ressourcenbasis und das Bestehen ihrer Häuser zu sichern. Dies alles folgt keinem großen, einheitlichen Plan; die Veränderungen sind Teilmomente dessen, was Thorstein Veblen einmal den »ökonomischen Lebensprozess« nannte. Und doch lassen sich über die sechs Jahre des Beobachtungszeitraums charakteristische Veränderungen erkennen. 1.1.1

Dienstleistungen

So verstehen sich die beiden Berliner Häuser und Orchester im Jahr 2012 mehr als Dienstleister als sechs Jahre zuvor. Die Philharmonie Luxemburg, die im Sommer 2005 ihren Betrieb aufnahm, macht sich diese Funktion von Anfang an zu eigen. Das Selbstverständnis dieser Kulturorganisationen entspricht heute in wesentlichen Punkten dem, was die ökonomische Theorie für Dienstleister außerhalb des künstlerischen Bereiches formuliert hat. Mit »Dienstleistung« ist in unseren Konzerthäusern und Orchestern eine Anwendung von Kompetenzen zum Nutzen einer weiteren Partei durch »Taten, Prozesse und Darbietungen« gemeint;7 ihre Dienstleistungen lassen sich als Transformationsprozess von Menschen und von Symbolen erklären.8 Spezifischer bedeutet die Identität als Dienstleister, dass die Häuser sich Vorstellungen vom Verhalten und von den Interessen ihrer Kunden machen und sich bemühen, diese in möglichst vielen Bereichen ihrer Organisation relevant und wirksam

7

Vargo/Lusch 2004b: 325 sowie 2004a: 2.

8

Flikkema/Jansen/van der Sluis 2007: 550.

D IE K UNST DES ÜBERLEBENS

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werden zu lassen.9 Ziel ist es, die Produkte an dem auszurichten, was Publika wünschen. »Ausrichten« muss nicht bedeuten, dem Publikumsgeschmack hinterherzulaufen. Aber die Dienstleistungs-Orientierung kann doch in einen Gegensatz zu einem Selbstverständnis als Institution der Kunst geraten. Diesen Gegensatz hat Stephen Weil in die Formel von »being about something« und »being for somebody« gebracht: Something steht für das Kunstobjekt, für die Sache der Kunst, somebody für den Besucher, den Teilnehmer, den Kunden, das Publikum, die soziale Umwelt.10 Sebastian Nordmann, der Intendant des Konzerthauses Berlin, meint die Dienstleistungs-Orientierung, wenn er vom »Denken des Publikums« spricht, und stellt sie in einen Gegensatz zur Orientierung an künstlerischen Programmen. Vielfach zielt dieses »Denken des Publikums« direkt auf ein Greifen des Kunden. Dabei geht es den Häusern weniger um das Verkaufen, um die einzelne, flüchtige Transaktion, sondern darum, möglichst fortdauernde und für beide Seiten Gewinn bringende Beziehungen zu ihren Besuchern herzustellen. Haptische Formulierungen, nach denen man Kunden »haben« oder »fassen« oder »am Haken« haben und dann mit der Angel einholen möchte, verwenden mehrere Manager im Gespräch. Der mit Abstand größte Teil der in den Fallstudien beschriebenen Neuerungen gehört der Handlungsdimension des Marktes an. Dienstleistungsorientierung zeigt sich hier im Bereich der geschäftsmäßigen Interaktionen mit Kunden, im Service, in der Benutzeroberfläche der Häuser. Und sie zeigt sich in den Veranstaltungsformaten und -Programmen. Zum Service im engeren Sinn gehören neue Internet-basierte Buchungsverfahren, customer relationship managementProgramme wie die Konzerthaus-Card und die dahinter stehenden Analyse-, Kommunikations- und Belohnungsinstrumente. Zum Service gehören auch neue gastronomische Angebote und ein medial neu formatiertes Informieren über die Inhalte und die Protagonisten der Veranstaltungen, etwa mit Podcasts und Apps. Über social media kommen einfache Formen des Austausches hinzu. In der Gruppe der Veranstaltungsangebote finden sich die Adaption urbaner Geselligkeits- und Gesprächsformate (Salons, Late-Night-Talks, Meet-the-Artist Veranstaltungen) sowie niedrigschwellige Einstiegsangebote mit einem verhältnismäßig geringem Grad an Formalisierung und mit erleichterten Anforderungen an die Stillstellung der Körper (Lunch- oder Espressokonzerte, Musikmarathons, offene Generalproben, hauseigene Feste oder Tage der offenen Tür). An den Bedürfnissen von Kunden versuchen sich auch neue Veranstaltungszeiten zu orientieren. Sie fügen sich am frühen Abend in den Tagesab-

9

Vgl. Evans/ Bridson/Rentschler 2012: 5 sowie Camarero/Garrido 2012: 41.

10 Weil 1999.

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lauf Berufstätiger ein, knüpfen am späten Abend an Freizeitgewohnheiten jüngerer Stadtbewohner an und kommen am Samstagnachmittag und am Sonntagvormittag den Bedürfnissen von Familien entgegen, die einen Ausflug ins urbane Umfeld mit Bildung oder Erbauung verknüpfen möchten. Auch die Ergänzung des Konzerts mit einer Distributionsplattform im Internet, der Digital Concert Hall, durch die Stiftung Berliner Philharmoniker, die das künstlerische Ereignis »überall und jederzeit« abrufbar macht, bedeutet einen Schritt auf dem Feld der Dienstleistung.11 Dienstleister sind alle drei Häuser überdies darin, dass sie ihre Räume Gruppen aus ihrer Stadt oder Region für deren eigene kulturelle Repräsentation zur Verfügung stellen oder dass sie ihre Räume, ihre Technik und einen Veranstaltungsservice an zahlende Dritte vermieten. 1.1.2

Erlebnisse

Für die klassische Institution der Kunst steht der Wert eines Artefakts, eines dargestellten Theaterstücks, einer aufgeführten Komposition fest, er muss vom Betrachter oder Hörer nur noch wahrgenommen werden. Das Bild vom »Tempel«, das der Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker im Gespräch zitiert, beinhaltet eben nicht nur weihevolle Handlungen, sondern auch, dass im Tempel bekannte und legitime Götter zu verehren sind. Dagegen geht die Kulturorganisation als Dienstleister davon aus, dass sie die eigentliche Wertschöpfung, den zusprechenden Mitvollzug der künstlerischen Darbietungen und der Serviceleistungen durch das Publikum, den »gelungenen Abend« nicht herstellen kann. Sie kann nur ein Angebot machen, Voraussetzungen der Wertschöpfung schaffen, die Bedingungen für deren Realisierung optimieren.12 Theorien der Wertschöpfung und der Dienstleistung haben diese Sicht auf verschiedene Weise zu formulieren versucht: Cliff Bowman und Véronique Ambrosini sagen, der Gewinn des Konsumenten kann erhöht werden, indem der Anbieter die subjektive Wahrnehmung des Nutzens eines Gutes oder einer Dienstleistung steigert.13 Die »Kunden-dominante Logik« in der Dienstleistungstheorie versteht Dienstleistungen als Ressourcen, die vom Verbraucher zur Beförderung seiner

11 Vgl. Peter Tschmuck (2009): Vom Tonträger zur Musikdienstleistung – Der Paradigmenwechsel in der Musikindustrie. Nach Tschmuck ist es der Schritt vom materiellen Tonträger hin zur Distribution durch einen unkörperlichen Musiktransfer, der den »Zugang zur Musik zur Dienstleistung« wandelt (p. 159). 12 Vgl. für den Dienstleistungssektor im Allgemeinen Ordanini/Parasuraman 2011: 5 sowie Sandström et al. (2008). 13 Cliff Bowman/Véronique Ambrosini (2000): Value Creation Versus Value Capture – Towards a Coherent Definition of Value in Strategy, p. 3.

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eigenen Wertschöpfungsprozesse und Erfahrungen gebraucht werden.14 Nicht mehr Dienstleistungen oder Güter als solche stehen daher im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Frage, wie sich eine Dienstleistung oder ein Gut in die Lebenszusammenhänge des Kunden einfügt, wie sie seinen Interessen und Zielen dienen. Der Endzweck des Handelns liegt nach dieser Logik in der Herstellung von Zufriedenheit bei den Kunden. Im Fall unserer Konzerthäuser findet die Wertschöpfung, so verstanden, für die Besucher im Akt des Mitvollzugs und in dessen Repräsentation als Erlebnis statt. Traditionell geht die Kulturorganisation davon aus, dass sich das Erlebnis ihrer Besucher aus der künstlerischen Darbietung, in unserem Fall meist dem Konzert, speist. Versteht sich die Kulturorganisation als Dienstleister, erweitert sich das Konzept: Zum Erlebnis tragen nun auch alle anderen Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der kulturellen Darbietung und den Interaktionen mit dem Anbieter bei, von der werbenden Kontaktaufnahme und der Kartenbuchung über das Lichtdesign bis zum Abholen der Mäntel an der Garderobe und zum Weg nach Hause.15 Dieses Erlebnis zu ermöglichen, wird – mit Unterschieden bei der Gewichtung der Konstituenten – zum eigentlichen Zweck der Kulturorganisation. Nach Meinung des Soziologen Gerhard Schulze ist ein solches Erlebnis das Ziel der Konsumentscheidung der Nachfrager am Unterhaltungsmarkt. Den Kulturorganisationen bleibe nichts anderes übrig, als sich der »Herrschaft der Erlebnisorientierung« anzupassen. Wollten sie bestehen, müssten sie der »Erlebnisrationalität« der Verbraucher, deren »Funktionalisierung der äußeren Umstände für das Innenleben« entgegen kommen.16 Ein Intendant wie Sebastian Nordmann fasst alle Erlebnisqualitäten eines Konzerthaus-Besuchs produktionsseitig im Konzept des »Hauses« zusammen. In dieser Perspektive versucht er, an vielen verschiedenen Stellen Einfluss zu nehmen und die Erfahrung der Besu-

14 Vgl. Karpen/Bove/Lukas 2012: 22. Vgl. auch Helkkula/Kelleher/Pihlstro (2012) mit ihrer Theorie des Wertes als Erfahrungsprozess (p. 59ff.). 15 Vgl. Margee Hume/Gillian Sullivan Mort/Winzar Hume (2007): Exploring repurchase intention in a performing arts context, p. 145. Dort zeigen die Autoren, wie die unterschiedlichsten, heterogensten Wahrnehmungs- und Erlebnisqualitäten von KunstVeranstaltungen im Urteil der Konsumenten eine Einheit bilden. Abhängig von den Interessen und Motiven des Besuchers ist diese Einheit jedoch unterschiedlich strukturiert. Die Autoren unterscheiden Konsumenten-Typen, die sie etwa emotionally driven, highly involved, entertainment seeker oder value consumer nennen. Sandström et al. (2008) definieren »service experience« als »the sum total of the functional and emotional outcome dimensions of any kind of service.« (p. 118) 16 Gerhard Schulze (1992): Die Erlebnisgesellschaft, pp. 35, 449 und 525.

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cher als Ganze zu kuratieren. Die Gestaltung und Ausführung der musikalischen Programme ist der zentrale Teil dieser Durchformung des Konzerthaus-Erlebnisses, der Markenkern. Doch bedeutet »Vorstellung« in diesem Konzept mehr als nur das Spiel der Musiker: Die kulturelle Darbietung und die Leistungen der übrigen Akteure, vor allem der Mitarbeiter mit Kundenkontakt,17 sind im Dienstleistungsgeschehen gegenüber dem Publikum zusammenfasst. Ein Begriff, der die künstlerische und die unternehmerische Darbietungs-Leistung gemeinsam bezeichnen kann, findet sich im angelsächsischen performance.18 Nordmann hat dieses Erlebnis-Design, diese planvolle Dramaturgie und Inszenierung des Konsumptionsprozesses im Konzerthaus Berlin konsequenter, durchgängiger zu entwickeln begonnen, als das seine Kollegen in der Philharmonie Luxemburg und in der Berliner Philharmonie im Untersuchungszeitraum tun. Dieser Manager verkörpert geradezu den Dienstleistungs-Ansatz in seiner aktuellsten Form in der Kulturorganisation. Es lässt sich aber von allen drei Häusern sagen, sie arbeiteten an dem, was etwa Zomerdijk und Voss von Seiten der Forschung erfahrungsbasierten Dienstleistern empfehlen, daran, dass sich Kunden mit der Dienstleistung auf persönliche, engagierte, eindrückliche, erinnernswerte Weise verbinden. 19 In der Philharmonie Luxemburg kann man diese Sorge um die Erlebnisqualitäten des Hauses verkörpert sehen im Head Usher, der das Publikum empfängt und als Gestalt für die Qualität auch in den nicht-künstlerischen Dimensionen des Abends bürgt. Die Konzerte der Philharmonie Luxemburg in den Reihen Aventure+ und Dating steigern den Erlebniswert gegenüber dem herkömmlichen Konzertformat, indem sie im Geist von Pines und Gilmores Erlebniswirtschaft das musikalische Erlebnis durch die Zusammenstellung verschiedenartiger Veranstaltungsformen oder durch sprachbasierte Moderation mit einem Thema versehen.20 Lunchkonzerte, Espresso-

17 Zur Rolle der Mitarbeiter mit Kundenkontakt vgl. Ordanini/Parasuraman 2011: 4. 18 Vgl. Deighton (1994). Deighton unterscheidet zwischen Transaktionen, die den Besitz von Objekten betreffen, und Transaktionen, bei denen es um das Tun von Akteuren (doings of actors) geht. Die Vorstellung der Akteure mit Kundenkontakt neigt dabei durchaus zum Schauspiel. Zu der Gruppe, deren Dienstleistungen sich als show beschreiben lassen, gehören für Deighton die Bereiche Sport, Unterhaltung, Politik, Consulting und Rechtsberatung (p. 123). 19 Zomerdijk/Voss 2010: 68. Vgl. in einem verwandten Sinn auch Sandström et al. 2008: 117 sowie Pine/Gilmore 2011: 3ff. 20 Vgl. Pine/Gilmore 2011: 67ff. Die Autoren entwickeln ihre Vorstellungen unter anderem an Disneyland, das sie gleichwohl mit einem Anspruch zitieren, der demjenigen

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Konzerte, concerts-apéritifs, Matineen mit Brunch, Chill at the Phil mit Getränkeausschank, Aventure-Abende mit »gastronomischer Begleitung« steigern den Erlebniswert der musikalischen Veranstaltung, indem sie zusätzliche Sinne ansprechen21 und das Nahrungsangebot als Symbol des Wohlergehens einsetzen. Wenn Vargo und Lusch sagen, Innovation sei idealerweise eine Bestimmung dessen, wie eine Firma bessere Dienste leisten könne (2008: 4f.) und Richard Walker Innovation in öffentlichen Organisationen als Versuch definiert, Bedürfnisse externer Nutzer zu befriedigen (2007: 593), dann kann man für die drei Konzerthäuser ergänzen, Innovation ziele zu wichtigen Teilen auf eine Vertiefung der Erlebnisqualitäten. 1.1.3

Vermittlungen

Zum Erlebnis werden den Kunden Wege gebahnt. Alle drei Häuser arbeiten an einer Vereinfachung des Zugangs, an einer wirksameren Ansprache ihrer Publika, an der Herstellung eines Gefühls von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Simon Rattle formuliert dieses Programm vor seinem Amtsantritt als künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker mit den Worten: »Wir dürfen nicht hinter dem Schalter sitzen bleiben und warten, dass die Leute kommen. Wir müssen rausgehen und uns ein neues Publikum suchen. […] Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der sich jeder willkommen fühlt.«22 Sebastian Nordmann, der Intendant des Konzerthauses, sieht es zehn Jahre später als Aufgabe der Kulturorganisationen, »durch diese Kruste die Leute wieder reinzuholen«, es müsse für den Besucher »alles leichter gehen, zugänglicher sein, frischer sein«. Damit Besucher sich willkommen fühlen, arbeiten die Häuser an einer Atmosphäre gemeinschaftlicher Übereinstimmung mit ihrer Öffentlichkeit und innerhalb ihres Publikums. Die jüngere Diskussion sowohl in der Dienstleistungsforschung als auch im Umkreis des Kulturmanagements legt nahe, dass die Arbeit an der sozialen Atmosphäre einen funktionalen Nutzen erzeugt: Das Gefühl der Übereinstimmung senkt den Eindruck des Risikos beim einzelnen Teilnehmer, die soziale Rückmeldung und die Verstärkung von Meinungen und Eindrücken kräftigen seine Identität und intensivieren sein Erlebnis.23 Die Herstellung

eines alteuropäischen Konzerthauses nicht unähnlich ist. Danach wäre die künstliche Erlebniswelt »A place for people to find happiness and knowledge.« (p. 70) 21 Vgl. Pine/Gilmore mit ihrem Prinzip des Engage the Five Senses (2011: 88ff.). 22 Spahn 2002. 23 Zum Einfluss der Wahrnehmung sozialer Syntonie auf die Qualität des Erlebnisses vgl. Rajagopal Raghunathan/Kim Corfman (2006): Is Happiness Shared Doubled and Sadness Shared Halved? Social Influence on Enjoyment of Hedonic Experiences. Vgl.

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einer solchen Atmosphäre ist zunächst eine Sache der Rhetorik. Am offensivsten geht dabei das Konzerthaus Berlin am Ende des Untersuchungszeitraums vor, das sein Publikum etwa dazu einlädt, den musikalischen Entscheidungen des Chefdirigenten zu folgen, wie den Ratschlägen eines Freundes, und Komponisten und Interpreten als »Familie« vorstellt. Aber auch die Berliner Philharmoniker sprechen in ihrem Jahresprogramm 2012/13 absichtsvoll von Freunden und Freundschaft, vom Verbinden und vom Verbindenden;24 mit der Digital Concert Hall wird dieses Band um die ganze Welt geschlungen. Um eine solche Verbindung zwischen dem einzelnen Besucher und dem Geschehen in der Kulturorganisation erfahrbar zu machen – zumindest um einen solchen Eindruck herzustellen – arbeiten alle drei Häuser an einer Personalisierung ihrer Formate. So werden bekannte Musiker in Form von Artists in Residence zu »künstlerischen Begleitern« (Berliner Philharmoniker) des Publikums und führen zu den Musen. Die Anwendung des Prinzips, »Menschen« zur Benutzeroberfläche, im wörtlichen Sinn zum interface der musikalischen Angebote zu machen, bleibt bei den Residenzkünstlern nicht stehen. Auch die Orchestermusiker werden als Einzelpersönlichkeiten oder in kleinen Gruppen in den Programmbroschüren und auf den Homepages präsentiert. So soll die Öffentlichkeit den Eindruck erhalten, »dass man den Menschen kennt, der dort spielt« (Sebastian Nordmann). In Formaten wie den Espresso-Konzerten des Konzerthauses Berlin brechen die Musiker das artistische Arrangement, den »Bann«, wie der Intendant im Jahr 2012 sagt, indem sie sich und ihre Musik verbal präsentieren. In den letzten Jahren wurden in allen drei Häusern vielfältige meet-the-artist-, Salon-, Gesprächs-, Talk- und Vortragsformate eingeführt, in denen Musiker nicht ausschließlich, manchmal nicht einmal primär musizierend auftreten, sondern in der Sprache des Publikums sprechen. Einige dieser Formate sind neu, andere erscheinen neu codiert. In allen Fällen erwartet das Management, dass sie beim Publikum Identifikation, Nähe und Gemeinschaft herstellen. Manager der drei untersuchten Häuser fassen solche mit Sprache und Gesichtern arbeitenden Strategien in einem weiten Sinn im Konzept der Vermittlung zusammen. Der Intendant des Konzerthauses Berlin stellt im Gespräch »Breite« und »Vermittlung« in einen unmittelbaren Zusammenhang. Sein Haus müsse, sagt Sebastian Nordmann, »Programmformate anbieten, in denen der

auch die Konzepte der Risikoverringerung und des collective engagement im Rahmen der Besucher-Erfahrung in Jennifer Radbourne et al. (2009): The Audience Experience, p. 20f. Zu Fragen des customer engagement und zum Management der Kundengemeinschaft aus Sicht der Dienstleistungsforschung vgl. Zomerdijk/Voss 2010: 69f. 24 Berliner Philharmoniker 2012: 6f.

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neue Besucher, der noch keine Ahnung hat, sich nicht ausgeschlossen fühlt, nicht das Gefühl hat, hoffentlich mache ich nichts falsch, oder sich einfach langweilt.« Nordmann gestaltet sein Angebot aus der Vermutung heraus, Musik-Liebhaber orientierten sich nicht mehr am Programm oder an der Interpretation, die Texte romantischer Lieder verstehe das Publikum »schon gar nicht mehr« (eine Vermutung, die in der Einleitung dieses Buches bereits der Sänger Thomas Hampson äußert). In der Berliner Philharmonie bilden die alten Konzerteinführungen unter dem Namen »Hörstudio« nun einen Teil des EducationAngebots und werden so als Vermittlungsangebote formalisiert. Der Generaldirektor der Philharmonie Luxemburg, Matthias Naske, weist darauf hin, dass er »alle Elemente, die den Aspekt der Kommunikation und des Erlebnisses fördern, stärker und stärker« betone. Es gebe »kaum eine Veranstaltung, die nicht begleitet wird durch Vermittlungsangebote – Gespräche vor oder nach Konzerten«. Es muss also niemand mit der Musik allein bleiben. Gewiss bedeutet Vermittlung für Naske in erster Linie, »Qualität in der Wahrnehmung« zu fördern; beispielhaft steht für dieses Anliegen ein so didaktisches wie sinnlich einsichtsvolles Format wie »Zwei Mal Hören«, das in Luxemburg ebenso eingeführt wurde wie im Konzerthaus Berlin. Aber das schließt den weiten Begriff von Vermittlung als der Herstellung einer sozial inklusiven und zum Erlebnis hin offenen Atmosphäre nicht aus. »Wir gehen«, sagt Naske, »jetzt sicher noch radikaler in die Gestaltung eines künstlerischen Ambientes, das einfach Spaß macht.« Zu vermitteln suchen sich die drei Häuser auch mit ihrem sozialen Umfeld, mit der Stadt, mit der sie tragenden Gesellschaft. »Wir können nicht mehr die Diva sein, die außerhalb steht«, so hatte Simon Rattle sein soziales Arbeitsprogramm für die Berliner Philharmoniker formuliert. 25 »Wir wollen eine Rolle im kulturellen Leben der Stadt spielen«, sagt Pamela Rosenberg, die Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker, bei der Befragung im Jahr 2006, und im gleichen Jahr formuliert Rattles neuer Kollege am Berliner Gendarmenmarkt, Lothar Zagrosek, seine Absicht, das Konzerthaus solle zum »Treffpunkt der Zivilgesellschaft« werden. Alle drei Häuser knüpfen im Untersuchungszeitraum Beziehungen zu ethnischen Gruppen (die Philharmonie etwa mit musikalischen Programmen für die türkische und türkisch-stämmige Bevölkerungsgruppe in Berlin), zu Kindern an so genannten Problemschulen oder aus kulturell weniger reich ausgestatteten Umfeldern, zu Personen mit Krankheiten, zu Menschen mit Behinderungen, und richten für sie manchmal kurzlebige, zum Teil länger bestehende Angebote ein. Auch die Kiez-Konzerte des Konzerthauses in entfernten Quartieren Berlins lassen sich als Vermittlungsangebot verstehen, in dem Sinn,

25 Spahn 2002.

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in dem Bunting et al. vom Versuch sprechen, Kunst in das tägliche Leben oder in die Lebenswelten der Stadtgesellschaft zu bringen, damit sie für das NichtPublikum aufhöre, eine Sache zu sein, die nur von anderen Leuten wahrgenommen wird.26 1.2 Eigenarten der Erneuerung: Worin sich die Entwicklungen der Häuser unterscheiden Eine Reihe von Neuerungen finden sich während der sechs Jahre des Beobachtungszeitraums in allen drei Häusern: Die Veränderung der Identität in Richtung Dienstleister, die Arbeit an einer Verbreiterung, Vertiefung und Diversifizierung der Publika, die Intensivierung des Austausches mit der gesellschaftlichen Umwelt, die Ausrichtung am Erlebnis, der Ausbau vermittelnder Angebote, die Tendenz zur Personalisierung. Das sind Gemeinsamkeiten, die zentrale Aspekte des Handelns von Kulturorganisationen betreffen. Daneben gibt es aber auch Unterschiede, spezifische Schwerpunktsetzungen, individuelle Profile, persönliche Prägungen, und auch sie reichen ins Grundsätzliche. So sind wesentliche Neuerungen der Berliner Philharmoniker stärker vom Produkt getrieben und stärker technologisch geprägt als in den anderen beiden Häusern. Am traditionellen Produkt orientieren die Philharmoniker ihr Handeln, weil die Qualität ihres Musizierens für die Möglichkeiten der Sache selbst steht, weil sie weltweit ein Beispiel für das geben, was Orchestermusizieren heute leisten kann. Dies hören und erleben zu können, ist das Motiv der Konsumentscheidung eines internationalen Publikums. Vermittlerische Tätigkeiten treten zur klassischen Konzerttätigkeit bisher vorwiegend hinzu, ohne diese neu zu formen. Sie bilden eine Erweiterung des Produktportfolios, Angebote für bisher nicht berücksichtigte Publikumsgruppen, eine Ergänzung der Kommunikationsformen mit der Öffentlichkeit, wobei das Orchester auch in diesem Bereich Maßstäbe gesetzt hat. Gewiss hat sich die Rollendefinition der Orchestermusiker um Elemente sozialer Kommunikation erweitert, und es gibt Musiker, die in der Fixierung auf das klassisch-romantische Repertoire und die Produktionstechniken des 19. Jahrhunderts die Gefahr einer institutionellen Sackgasse sehen. Das entscheidende Moment des organisationalen Handelns und der Fluchtpunkt neuer Marketingtechniken und neuer Formate ist und bleibt aber das arbeitsteilige instrumentale Musizieren auf höchstem Niveau. Verfolgten die Philharmoniker eine Strategie wie jene des Konzerthauses, die über das Musizieren hinaus alle Erleb-

26 Catherine Bunting et al. (2008): From indifference to enthusiasm: patterns of arts attendance in England, p. 67.

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nisaspekte der Konzerthaus-Erfahrung im Namen des Wohlfühlens fast gleichberechtigt valorisiert, rückten sie ihre einzigartige Wertproposition – ihr unvergleichliches Spiel – in ein mattes Licht. Man kann es auch umgekehrt sagen: Dem Konzerthaus bleibt angesichts des spiel- und klangtechnischen Qualitätsvorsprungs der philharmonischen Konkurrenz nicht viel anderes übrig, als sein Publikum mit dem Angebot eines menschenfreundlichen Gesamt-Erlebnisses in die Arme zu nehmen. Technologisch geprägt und motiviert sind die Neuerungen der Stiftung Berliner Philharmoniker vor allem im Zusammenhang mit der Digital Concert Hall. Auch in diesem Bereich entstehen die Entwicklungen aus Voraussetzungen, über die das Konzerthaus Berlin und die Philharmonie Luxemburg, das Konzerthausorchester und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg nicht verfügen. Zunächst darf die Tatsache, dass die Philharmoniker weltweit agieren, als begünstigender Faktor für eine aktive Weiterentwicklung auch außer-künstlerischer, technologischer Aktivitäten gelten.27 Neben dem international nachgefragten musikalischen Angebot zählen zu den konkurrenzlosen Voraussetzungen der Philharmoniker jahrzehntelange Routinen im Umgang mit Ton- und Bildträgertechnologien auf dem jeweils neuesten Stand, ein Pfad der Adaption technologischer Innovation. Entscheidend für die Digital Concert Hall sind die durch Großsponsoren gut ausgestattete Kapitalbasis und mit dem Stiftungskonstrukt eine rechtliche Unternehmensstruktur, die zusammengenommen eine klassische, mit unternehmerischen Risiken behaftete start-up-Finanzierung erlauben.28 Als einzige der drei Kulturorganisationen tritt die Berliner Philharmonie mit der Digital Concert Hall im Untersuchungszeitraum aus dem Kernbereich des kulturellen Sektors heraus. Im Kernbereich bringen nicht-industrielle Hersteller nichtreproduzierbare Güter und Dienstleistungen hervor, die zum Konsum im Augenblick ihrer Entstehung bestimmt sind. Die Erzeugnisse dieses Sektors, in unserem Fall meist ein Konzert, gelten als Prototypen und haben ein Potenzial für Autorenrechte.29 Diese Prototypen führen die Philharmoniker auf ihrer InternetPlattform nun tatsächlich einer proprietären massenhaften Vermarktung und im

27 Howells/Tether (2004) stellen für die Europäische Kommission fest: »The wider the geographical market that the businesses served […] the greater the likelihood that it would engage in all types of innovative activity.« (p. 7) 28 Dass administrative Innovationen in öffentlichen Organisationen technischer Innovation häufig vorausgehen und diese begünstigen, ist bereits das Ergebnis einer Studie, die Fariborz Damanpour und William Evan an 85 größeren öffentlichen Bibliotheken in den Vereinigten Staaten durchgeführt haben (Damanpour/Evan 1984: 406). 29 Vgl. KEA European Affairs 2006: 53.

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Sinn der Europäischen Kommission auch dem Export zu. Damit besetzt die staatlich unterhaltene Kulturorganisation mit ihrem Tochterunternehmen Berlin Phil Media GmbH eine Position auch im inneren Kreis der Kulturwirtschaft. Die Veränderungen im Konzerthaus Berlin lassen sich für die Zeit von 2006 bis 2012 als Wende von einer am musikalischen Kunstwerk orientierten Kulturinstitution hin zu einem kulturellen Dienstleister beschreiben, der zur Marktbearbeitung Methoden anwendet, wie sie im Feld der Erlebniswirtschaft entwickelt wurden. Dieser Übergang ist mit einem Generationenwechsel in der Intendanz verbunden. Unter dem älteren, bis zum Jahr 2009 gültigen Paradigma, schienen sich die Aktivitäten zuletzt unter dem Knirschen konzeptioneller Gegenkräfte zu vollziehen. Gewiss arbeitete das Management an Neuerungen des Angebots, durchaus auch im Sinn des Service und der Vermittlung. Gleichzeitig schien es, als wuchtete es einen Felsen die abschüssige Rampe der Gefälligkeit hinauf. Dieser Fels war die Kunst. Folgt der Markt den Neigungen des Publikums, so wälzte ihm das Konzerthaus sein Konzept der Kunst in den Weg. Auf diese Weise behielt die Leitung des Konzerthauses das Amt von Erziehern besetzt, während die Berliner Philharmonie das konziliantere, sozial kooperative Konzept der Education am Markt etablierte. Lässt sich das alte Paradigma mit den Worten Adornos kennzeichnen, nach denen Kunst »das Höhere und Reinere« sein möchte, »das, was nicht angetastet, nicht nach irgendwelchen taktischen oder technischen Erwägungen zurechtgestutzt wird«,30 so war darin der Machtkonflikt angelegt, in den das Management am Ende mit Kulturpolitikern der Berliner Landesregierung geriet, die ihrerseits erzieherisch eine »Öffnung« verlangten. Mit der Ausrichtung an Kriterien des Markterfolgs betreibt das neue Management des Konzerthauses seit 2009 ein Mainstreaming, das die Erhabenheiten der alten Kunstorientierung glättet und ihre Ansprüche mildert. Die zum Programm erhobene Vermittlung bringt nun mittlere Positionen zwischen elitären Kunstbegriffen und dem Massengeschmack hervor, zwischen den Ansprüchen der Werke und Erwartungen, unterhalten zu werden, zwischen den Standards der Kunstwissenschaft und einer gesteigerten Zugänglichkeit für breitere Publikumsschichten. Eine mittlere Position bezieht das Konzerthaus auch zwischen dem langen Zeithorizont kulturellen Lernens und der kurzen Frist der einzelnen Transaktion. Zwischen beiden liegt pragmatisch die Zeit, die es für die Markenbildung und den Aufbau haltbarer Kundenbindungen braucht. Strukturiert durch Instrumente des Kundenmanagements richtet das Konzerthaus ein Wertschöpfungs-Milieu ein, in dem der interessierte Passant, der einmalige Kunde, der Mehrfach-Kunde und der langjährige Abonnent unter dem Leitkon-

30 Adorno 1960: 122.

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zept des Wohlfühlens vereint sind. Neuheit generiert das Management durch den Gegensatz zu den älteren Handlungsroutinen der Institution der Kunst und durch die systematische Übernahme aktueller Marktbearbeitungs-Techniken aus den Bereichen der Konsumgüter und der Dienstleistungen, besonders jener Ausprägung, die sich für beide Bereiche als Erlebniswirtschaft beschreiben lässt. Wie vom Konzerthaus Berlin lässt sich auch von der Philharmonie Luxemburg sagen, sie werde mit Methoden eines effektivitätsorientierten Managements geführt, wie sie in der Wirtschaft entwickelt wurden, und sie suche den Erfolg am Markt. Aber während im Konzerthaus mit den neuen Methoden auch Wertkomplexe aus deren Herkunftsbereichen in die Organisation gebracht werden und dort identitätsstiftend wirken, nutzt das Management in Luxemburg die Techniken für den Aufbau einer eigenständigen Position. Diese Position behauptet sich jenseits der Zwänge des Marktes und der Zwänge der Kunst. Wendet sich das Konzerthaus Berlin an den Kunden, so wendet sich die Philharmonie Luxemburg dem Menschen zu. Das Konzerthaus optimiert das Erlebnis, die Philharmonie arbeitet an der Wahrnehmung. Im Erlebnis realisiert sich der Wert der Dienstleistung als Einheit von Musikdarbietung, Service, Ansprache und Ambiente.31 In der Wahrnehmung hingegen soll sich das künstlerische Ereignis realisieren. Noch vor allen Einzelmaßnahmen der Vermittlung trägt der Ansatz der Wahrnehmung das Vermittelnde schon in sich, indem er Werk, Aufführung und Publikum in Beziehung setzt. In dieser Beziehung ereignet sich, idealerweise, Kunst. Der einzelne Besucher wird hier bewusst als Teil eines sozialen Zusammenhangs verstanden. So erscheint Wert als etwas, das auch gemeinschaftlich geschaffen wird und das zum Teil im Raum des Gemeinschaftlichen verbleibt. Kaum vermittelt werden in der Philharmonie Luxemburg dagegen Präferenzen unterschiedlicher Publikumsgruppen. Kein anderes Haus macht seinen Publika so sehr nach Geschmacksgruppen und Genres differenzierte Angebote; selbst die Auflösung der Grenzen von Stil und Genre erhält mit der Reihe »On the border« ein eigenes Produkt.32

31 Value in use im Sinn von Sandström et al., »individuelle Bewertung der Summe aller funktionalen und emotionalen Erfahrungsresultate« (2008: 120). 32 Vgl. die These einer »proliferation of ›core‹ audiences« als Merkmal eines Publikums der Postmoderne bei Richard Neville Voase (2001): The imagination rediscovered: Cultural consumption, postmodernisation and the future for live drama, p. 303f. Dass deutsche Konzerthäuser die Vorstellung eines homogenen Publikums durch die »eines heterogene[n] Publikums mit vielen verschiedenen Bedürfnissen« ersetzen, ermittelt Theede (2007) unmittelbar vor Beginn unseres Untersuchungszeitraums (p. 326).

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Alle drei Häuser arbeiten an Formen eines erweiterten Marketing und der Vermittlung, die vor allem vorhandene Publika vertiefen und einem Besuch zugeneigte Bevölkerungsgruppen aktivieren sollen, also an Techniken der Marktdurchdringung, des audience broadening und des audience deepening. Die Berliner Philharmonie und die Philharmonie Luxemburg entwickeln darüber hinaus neue Produkte für soziale Gruppen, die bislang nicht zu jenen gehörten, für die der Konzertbesuch eine Option gewesen wäre, und erweitern damit den Markt.33 Die Berliner Philharmonie zielt besonders auf Kinder mit einer nichtbildungsbürgerlichen Sozialisation und indirekt auf deren Eltern. Die Philharmonie Luxemburg entwickelt in ihrer EME-Stiftung Produkte auch für Erwachsene, die am öffentlichen bürgerlichen Musikleben kaum teilnehmen, und sucht diese an ihren Lebensorten wie Altenheimen, Krankenhäusern oder Tagestreffs auf.

2. IST ES INNOVATION ? W AS ÖKONOMISCHE K ONZEPTE IN UNSEREN K ULTURORGANISATIONEN ERKLÄREN Ob von Innovation in Kulturorganisationen in einem systematisch begründeten Sinn gesprochen werden kann, ob sich aus der ökonomischen Theorie Innovationskonzepte ableiten lassen, die helfen, aktuelle Wandlungsprozesse im Kulturbetrieb zu beschreiben und zu erklären, das ist in der Einleitung dieses Buches als Frage gestellt. Innovation hatten wir uns als importierte Praxis vorgestellt, als konzeptionell heteronom zu grundlegenden Traditionen und Anliegen unserer Kulturorganisationen, als etwas, das aus einem anderen gesellschaftlichen System kommt und dessen Rationalität zum Kulturbetrieb zunächst nicht passt. In den drei Fallstudien ist nun von der Realisierung von Wert, von Dienstleistung, Marktbearbeitung, Produktentwicklung, Kundenmanagement, Geschäftsmodellen, Distribution und Technologie die Rede. Die befragten Manager sprechen über ihre Arbeit vielfach im Sinn wirtschaftlich instrumenteller Rationalität. Die Kulturorganisationen arbeiten absichtsvoll und in manchen Fällen methodisch an ihrem organisationalen und institutionellen Weiterkommen. Sie erneuern Praktiken und Produkte. Sie schaffen Veränderung mit dem Ziel, ihre Wettbewerbsposition zu verbessern und die Chance auf ihr Fortbestehen zu erhöhen. Ist die Frage also beantwortet? Verbindet sich Innovation im Sinn ökonomischer Theo-

33 Eine Systematik, die für das audience development nach Zielen, Zielgruppen und Formen differenziert, findet sich bei Nobuko Kawashima (2000): Beyond the division of attenders vs. non-attenders: a study into audience development in policy and practice.

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rie strukturell mit den Aufträgen und mit der Arbeit staatlich unterhaltener Kulturorganisationen? Kann ein ökonomisch begründeter Innovationsbegriff erklären, was in und was mit unseren Kulturinstitutionen geschieht? Zunächst fällt an den untersuchten Konzerthäusern und Sinfonieorchestern auf, dass es keine zwingende Verbindung zwischen den neuen Praktiken und Produkten und einer unmittelbaren Steigerung des Einkommens oder gar von Gewinnen am Markt für Endverbraucher gibt. Bei der finanziell aufwändigsten einzelnen Neuerung, der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker, ist – so eindrucksvoll das Unternehmen erscheint – nicht abzusehen, ob einmal mehr Geld von den Nutzern zurückkommt, als für Aufbau und Betrieb aufgewendet werden muss.34 Die in der Philharmonie eingeführten Lunchkonzerte tragen, ungeachtet ihres Markterfolgs von mehr als 60.000 Besuchern im Jahr, zum Betriebsergebnis wenig bei, weil der Eintritt zu ihnen kostenlos ist. Man könnte hier Eintritt erheben, an der Bedeutsamkeit der Neuerung änderte sich nichts, aber das wollen die Verantwortlichen nicht. Wirtschaftlich sogar widersinnig erscheint der Ausbau von Education-Programmen, wenn dazu in allen drei Häusern hoch bezahlte und anderweitig spezialisierte Orchestermusiker herangezogen werden – junge Fachkräfte für Musikvermittlung können konzertpädagogische Arbeit zu geringeren Kosten leisten. Einen unmittelbaren Einkommenseffekt an den Märkten für Endverbraucher rief dagegen die für die Branche neuartige Kammermusik-Kommunikationskampagne der Stiftung Berliner Philharmoniker hervor, wenngleich im Bereich des Messbaren für kurze Zeit. Eine große und die Struktur der Einnahmen dauerhaft verändernde Wirkung erzielt das Konzerthaus Berlin mit der Einführung seiner Angebote für Vermietung und Veranstaltungsservice: Hier (und zu einem kleinen Teil im Sponsoring) wachsen die Einnahmen im Untersuchungszeitraum um real 31 Prozent; nimmt man das davorliegende Jahr 2005 hinzu, beträgt die Steigerungsrate sogar gut 84 Prozent. Einige wenige Neuerungen, wie die Beschäftigung ehrenamtlicher Mitarbeiter, Kooperationen mit anderen Veranstaltern in Education-Programmreihen oder im Fall des Konzerthauses die Gründung einer Orchesterakademie, sind geeignet, Kosten zu senken und auf diese Weise in der Bilanz zu wirken.

34 Steigt die Menge der zahlenden Nutzer für einige Jahre weiter mit einer Rate von mehr als 50 Prozent pro Jahr, wie sie sich Mitte 2012 abzeichnete, dann können Einnahmen in gewinnträchtiger Höhe entstehen. Möglich ist bei einem geringeren Wachstum aber auch, dass das erwirtschaftete Einkommen immer wieder von neuen Investitionskosten verzehrt wird, die notwendig sind, um mit der einstweilen noch schnellen Entwicklung der Technologien Schritt zu halten.

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Und dann gibt es in wirtschaftlicher Hinsicht eine dritte Gruppe von Neuerungen. Mit ihnen streben die Manager nach ihren eigenen Aussagen unmittelbare Einkommenseffekte an. Doch in den Geschäftsergebnissen lassen sich diese Effekte nicht eindeutig aufzeigen. So spricht der Intendant des Konzerthauses Berlin, Sebastian Nordmann, im Jahr 2012 vom Ziel eines »Return on Investment« wenn er systematisch mehr Geld für das Engagement begehrter Musiker ausgibt als sein Vorgänger, für Stars. In den von der staatlichen Kulturverwaltung erstellten Bilanzen lässt sich ein solcher Gewinn für die ersten zwei Kalenderjahre der Amtszeit Nordmanns nicht belegen, weder bei den absoluten Einnahmen aus dem Kartenverkauf noch in der Entwicklung des Erlöses pro zahlendem Besucher. Die Zahl der Besucher steigt im ersten Kalenderjahr, 2010, bleibt aber im Rahmen der Schwankungsbreite, die sich beim VorgängerIntendanten beobachten lässt, der nicht in Stars investiert. Man kann argumentieren, es brauche Zeit, bis das vom jeweiligen Vorgänger ererbte Programm abgearbeitet sei und das neue Angebot von einer breiteren Öffentlichkeit bemerkt werde. In der Tat machen die Betriebsergebnisse des Konzerthauses 2012, im dritten Jahr, einen Sprung: Das Konzerthaus verzeichnet 15,5 Prozent mehr zahlende Besucher während die Zahl der angebotenen Veranstaltungen gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent ausgeweitet wird. Die Erlöse aus dem Kartenverkauf wachsen um nominal 19 Prozent, und der Erlös pro Besucher wächst mit 2,8 Prozent etwas stärker als die Gesamtheit der Verbraucherpreise, es wird also wirklich mehr Erlös erzielt. Man kann das als starkes Indiz dafür werten, dass die Neuerungen des Intendanten nun insgesamt – über das Engagement von Stars hinaus – Wirkung am Markt zeigen. Auf keinen Fall entkräften die Zahlen die These. Aber die Statistik der Kulturverwaltung weist auch darauf hin, dass ein nicht bezifferter erheblicher Anteil des zwanzigprozentigen Anstiegs des »kulturfachlichen Sachaufwands« auf »zusätzliche Marketingmaßnahmen i.R. Dienstantritt neuer Chefdirigent« zurückgeht,35 auf eine Kampagne, wie sie beim Antritt neuer Chefdirigenten unter Berliner Orchestern zum Standard gehört. Zu einem gewissen Anteil mag der Publikumserfolg des Jahres 2012 also ein Effekt der Werbung gewesen sein. Um hier zu einem belastbaren Urteil zu kommen, um kurzfristige Effekte und langfristige Wirkungen unterscheiden zu können, müsste die Untersuchung über den gesetzten Zeitraum hinaus fortgeführt werden. Heute schon könnte man sagen, die Werbekampagne sei eben nicht nur Standard, sondern besonders wirksam, weil sie als Teil der insgesamt marktorientierten Strategie des neuen Intendanten Angebotskomplexe bewirbt, die durch die beschriebenen Neuerungen auf die Bedürfnisse breiterer Publikums-

35 Der Regierende Bürgermeister von Berlin 2012: 10.

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kreise ausgerichtet sind. Diese Interpretation erscheint im Rahmen dieser Untersuchung plausibel. Es bleibt jedoch eine Interpretation, ein Beweis lässt sich innerhalb der Grenzen unserer Empirie nicht führen. Was empirisch belegbare Wirkungen, oft auch die von den Managern geäußerten Absichten anbelangt, sind wirtschaftlich unmittelbar ertragsorientierte Maßnahmen in den drei Kulturorganisationen in der Minderzahl. Betrachtet man jede der Neuerungen für sich, dann lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht belegen, dass sie über Einzelfälle hinaus stärkere Einkommenseffekte gehabt hätten als die Angebote, die durch sie abgelöst wurden oder neben die sie traten. Das gilt selbst für die größte Gruppe der marktbezogenen Neuerungen. Die ertragsstärkste einzelne Neuerung, das Vermietungs- und Serviceangebot des Konzerthauses Berlin, wurde der künstlerischen Tätigkeit hinzugefügt, sie erweitert das traditionelle Profil. Nimmt man das beherrschende Ziel einer Erwirtschaftung finanzieller Gewinne als Maßstab, dann bestätigen unsere Beobachtungen die traditionelle Unterscheidung zwischen Unternehmen der Privatwirtschaft und staatlich unterhaltenen Kulturorganisationen. Der Staat ist und bleibt in allen drei untersuchten Organisationen der mit Abstand größte einzelne Geldgeber. 2.1 Der Kulturwandel in Richtung des Unternehmerischen Allerdings waren wir davon ausgegangen, dass Wirtschaftsunternehmen auch andere Zwecke verfolgen können als einzig die Erwirtschaftung finanzieller Profite; bei Kulturorganisationen nimmt man das selbstverständlich an. Ausgehend von neoklassischen Theorieansätzen hatten wir gesagt, das entscheidende Motiv innovatorischer Tätigkeit sei es, am Ende einen Gewinn zu erzielen, möglichst über dem Branchendurchschnitt und dauerhaft. Was aber als Gewinn gelten soll, bestimmt die jeweilige Organisation für sich – monetäre Gewinne sind da nur eine Möglichkeit unter anderen. Auch suchen beide Gruppen Einkommen nicht nur auf den Märkten für Verbraucher. Sowohl Unternehmen als auch Kulturorganisationen bauen auf den Staat als Zuschussgeber. Kulturorganisationen agieren überdies auf einem Markt für Sponsorengelder und mäzenatische Unterstützung. Dabei geht es um mehr als um ein Streben nach Geld. Über das Geld hinaus richtet sich das Handeln der untersuchten Konzerthäuser auf die Vermehrung kulturellen und sozialen Kapitals. Die Kapitalarten stehen in Beziehung zueinander. So kann die Generierung von kulturellem und sozialem Kapital sowie eines Besucherstroms am Ende doch zu monetärem Einkommen führen, nun vonseiten öffentlicher Hände, von Sponsoren, von Spendern. Stellt man überdies in Rechnung, dass die untersuchten Organisationen die Zahl ihrer Besucher (audience) an die Stelle setzen, die im Geschäftsleben der Umsatz inne hat, und dass

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sie diese zu steigern suchen, dann ergibt sich ein anderes, bewegteres Bild als bei der rein neoklassischen Betrachtung. Dann erscheinen unsere Konzerthäuser und Sinfonieorchester zunehmend als wirtschaftende Organisationen, die auf mehr oder weniger methodische Weise unternehmerische Ziele verfolgen und die zur besseren Zielerreichung Neuerungen sowohl adaptieren als auch generieren. Was die nun als Zweck gesetzte Steigerung der audience bedeutet, ist beispielhaft im programmatisch in Gang gesetzten Prozess der »Öffnung« des Konzerthauses Berlin seit der Spielzeit 2009/10 zu beobachten, als Beantwortung der Frage, »wie kriegen wir das hin, dass wir wieder mehr Besucher bekommen?« (Sebastian Nordmann). Die neuen Formate, Atmosphären, Service-Angebote, Sozialformen, Veranstaltungszeiten zielen in allen drei untersuchten Häusern darauf, Kunden zu gewinnen, die den herkömmlichen Angeboten nicht oder nicht mehr folgen, oder weniger, als sie könnten. Einen Qualitätssprung für die Reichweite der eigenen Aktivitäten, für die weltweite Gewinnung von audience, stellt die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker dar: Die Zahl der registrierten Nutzer übersteigt inzwischen die Zahl der Konzertbesucher in der Berliner Philharmonie, die Zahl der Abrufe philharmonischer Kurzvideos auf Youtube hat sich in den zweistelligen Millionenbereich bewegt. In einigen Fällen wird die Steigerung der Attraktivität mit Mitteln der Produktgestaltung durch eine Senkung der Kosten (in der Sprache des audience development: der »Hürden«36) für den Kunden ergänzt. Nach Graf und Maas errechnet sich der Wert in der Wahrnehmung des Kunden ja aus dem Verhältnis von Eigenleistung (oder Opfer: sacrifices) und Ertrag (benefits).37 Geht man davon aus, dass der Veranstaltungsbesucher neben dem Geld für die Eintrittskarte Ressourcen aufbringen muss in Form etwa von eigener Zeit, 38 und versteht man die Verpflichtungen von Etikette, Garderobe und Körperdisziplin als Abgaben auf den Musikgenuss,39 dann stellen kürzere Formate und weniger formale Veranstaltungen, casual concerts, wenn man will,40 verbilligte Formen des Konsums von Darbietungen europäischer Kunstmusik dar.

36 Ausführlich etwa bei Bunting et al. 2008: 65f. 37 Albert Graf/Peter Maas (2008): Customer Value from a Customer Perspective. 38 Zur Berechnung des Preises der Freizeit und zum Konzept der Freizeit als Teil des Gesamteinkommens vgl. Zieba 2009: 85 und 95f. 39 Vgl. das Capriccio des Volkswirtschaftlers Andreas Wagener aus Motiven der behavioral economics: Why do People (Not) Cough in Concerts? The Economics of Concert Etiquette (2012). 40 Casual Concerts ist ein zur Marke gewordenes Veranstaltungsformat des Deutschen Symphonie-Orchesters in Berlin, das sich als umfassende Rabattierung der traditionel-

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Doch wird nicht durchgängig verbilligt, die Kulturorganisationen setzen sich auch für eine Vermehrung der Kapitalien ein. So arbeiten unsere Konzerthäuser und Sinfonieorchester an vermögensbildenden Leistungen zur Vermehrung des kulturellen Kapitals ihrer Besucher – in Vermittlungs-, Informations- und Bildungsveranstaltungen. Sie engagieren sich also auf beiden Seiten der Gleichung, im Interesse aller Beteiligten. Weil zu den Ressourcen, die das Publikum in den Konzertbesuch einbringt, auch kulturelles Kapital gehört – Hörerfahrung, informierte Wahrnehmungsfähigkeit – sind manche der neuen Vermittlungsprodukte geeignet, die Arbeit der Kulturorganisationen effektiver und ihre Ergebnisse wertvoller zu machen, die Wertschöpfung bei der Konsumption der künstlerischen Produkte zu verbessern. Die neuen Vermittlungs-, Partizipations- und Bildungsangebote weisen dem Besucher mit seinen Ressourcen eine aktive Rolle als Co-Produzenten bei der In-Wert-Setzung der kulturellen Veranstaltung zu. Sie entsprechen darin den Konzepten der Service-dominanten Logik, die sich seit einigen Jahren aus der Dienstleistungstheorie heraus entwickelt.41 Fördert die Kulturorganisation durch ein Vermittlungsangebot die Wahrnehmungskompetenzen ihrer Besucher, so schafft sie die Voraussetzung für ein Wachstum des Ertrags ihrer Arbeit.42 Am stärksten ausgeprägt ist diese Strategie in der Philharmonie Luxemburg, nach deren Überzeugung die Wertschöpfung durch den Akt der Wahrnehmung erfolgt. Die Förderung kulturellen und sozialen Kapitals – letzteres durch den Aufbau dauerhafter Beziehungen etwa mit Kindern, Alten, Kranken, Einwanderern, durch den Aufbau neuer Kommunikationsstrukturen im Internet, durch die Förderung von Aufmerksamkeit – wirkt sich auf die Einkommensströme der untersuchten Kulturorganisationen nachweislich aus. Das geschieht unmittelbar über Transaktionen am Markt für Endverbraucher, etwa beim Kartenverkauf für Familienkonzerte und Education-Veranstaltungen. In einem größeren Maß aber werden mittelbar Einkommenszuflüsse erzeugt: Die Stiftung Berliner Philharmoniker hat mit neuen Tätigkeitsbereichen wie der Education und der Internet-

len Konzertveranstaltung interpretieren lässt: Die Konzerte sind mit einer Dauer von wenig mehr als einer Stunde kürzer als das klassische Format, es gibt Wortbeiträge (der Dirigent moderiert), die Eintrittspreise sind niedriger, die Platzwahl ist frei, der Formalisierungsgrad der Kleidung ist sowohl für die Konzertbesucher als auch für die Orchestermusiker reduziert. 41 Vgl. die bereits zitierten Ordanini/Parasuraman (2011); Vargo (2009); Vargo/Lusch (2004a); Brodie et al. (2011) sowie Baron/Warnaby (2008). 42 Vgl. das Konzept der interdependenten Ressourcen-Integration bei Karpen/Bove/Lukas 2012: 22f.

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Plattform ihre Einkommensstruktur in Richtung monetärer und geldwerter Sponsoring-Mittel verändern können, die sie im Privatsektor erwirtschaftet. Den gleichen Effekt, wenngleich in geringerem Maß, erzielt die Philharmonie Luxemburg mit der neuen sozio-kulturellen und sozialpädagogischen Produktlinie ihrer EME-Stiftung.43 Umgekehrt – und auf den ersten Blick vielleicht paradox – bedingen das Versprechen der »Öffnung«, der Senkung der Zugangsvoraussetzungen im Konzerthaus Berlin, und das Versprechen der Landesregierung, ihren Anteil an der Finanzierung bedeutend aufzustocken, einander. In allen Fällen handelt es sich um einen Ausbau nichttraditionaler Praktiken und Angebote, die einen Zugewinn an Legitimität erzeugen – für beide Seiten, für die Kulturorganisationen wie für ihre Unterstützer. In diesem Sinn kann man den Prozess der Verschiebung von Einkommensstrukturen durch gezielte Neuerungen als Wandlungsprozess der institutionellen Identität unserer Kulturorganisationen beschreiben. Mit den Managern, durch ihre planmäßige Rekrutierung als personifizierte Ressourcen, ändert sich auch das, was eine Organisation und ihre staatlichen Förderer unter »Autonomie« und unter »Kernfunktion« verstehen. So prägt die Vorstellung einer unternehmerisch handelnden und Innovationen zur Erfolgssteigerung einsetzenden Kulturorganisation inzwischen nicht nur Maßstäbe organisationaler Professionalität, sondern auch die institutionelle Identität unserer Konzerthäuser und Sinfonieorchester. 2.2 Suchen und Ergreifen: Erneuerung durch Innovation Die Interessen hinter den Veränderungsprozessen sowie deren Schwerpunkte sind von Fall zu Fall verschieden. Doch von allen drei untersuchten Organisationen lässt sich sagen, sie hätten in den letzten Jahren ihre unternehmerische Seite entwickelt und entwickelten sie weiter. Sie tun das durch die zunehmende Interpretation ihrer Praktiken im Sinn von Dienstleistern, durch die Entwicklung und Gestaltung ihrer Märkte, durch die Adaption neuer Kommunikationstech-

43 Eine Steigerung des Eigenfinanzierungsgrads der Stiftung Berliner Philharmoniker um 5,26 Prozent findet sich unmittelbar am Beginn des Untersuchungszeitraums, zwischen den Jahren 2005 und 2006. Bis zum Jahr 2011 steigt der Eigenfinanzierungsgrad um weitere 5,5 Prozent. Die von der Berliner Kulturverwaltung verzeichneten Mittel aus dem Sponsoring und aus der Vermietung haben im Jahr 2011 einen Umfang, der 30 Prozent der staatlichen Zuschüsse entspricht. In Luxemburg liegen die über die EME-Stiftung zusätzlich aus dem privaten Bereich akquirierten Mittel im Jahr 2012 bei knapp zwei Prozent des staatlichen Zuschusses.

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nologien, durch die Erschließung neuer Geschäftsfelder, durch die Schärfung ihrer Produkt-Profile, durch die Vermehrung vielfältig definierter Kapitalien. Innerhalb dieses Kulturwandels in Richtung des Unternehmerischen erhalten Neuerungen und Erneuerungsprozesse nun einen Sinn als Innovation. Als Innovationen lassen sich die Neuerungen in unseren Kulturorganisationen beschreiben, weil sie über die bloße Erzeugung von Diskontinuität hinaus auf Gewinn, auf Erfolg im Sinn bestimmter Ziele gerichtet sind. Sie werden instrumentell eingesetzt, sie entstehen arbeitsteilig, sie suchen Bewährung auf den Märkten, sie sind auf Wertschöpfung aus. Die Neuerungen besitzen für die hervorbringenden Organisationen wie auch für die angesprochenen Öffentlichkeiten Signifikanz. Sie bilden Aussagen in Hinsicht auf die Stellung der Kulturorganisationen im institutionellen Gefüge der Gesellschaft, auf ihre Position innerhalb gesellschaftlicher Sinnbildungsprozesse, auf Möglichkeiten, Wert zu schaffen, 44 auf Ansprüche auf Legitimität und Ressourcen. Sie vermitteln Botschaften, wie sich die Organisationen ihr weiteres Bestehen in ihren Gesellschaften vorstellen. Dabei sind die Wahrnehmungen der Prozesse ineinander verflochten: Aus dem Kulturwandel der Organisationen in Richtung des Unternehmerischen werden Neuerungen als Innovationen plausibel. Gleichzeitig ist die innovatorische Tätigkeit selbst ein Moment, das diesen Kulturwandel darstellt und weitertreibt. Am Ende des Untersuchungszeitraums im Jahr 2012 wirken die drei Musikorganisationen gefestigter als zu Beginn. An den unvorteilhaften demografischen und kulturellen Trends hat sich zwar nichts geändert. Aber im Jahr 2006 war in Berlin die Erinnerung an die Finanzkrise des Bundeslandes noch frisch, die Einschnitte im öffentlichen Dienst schmerzten Beschäftigte und Organisationen, und wie sich die Haushaltslage und das Ausgabeverhalten des größten Geldgebers entwickeln würden, blieb ungewiss. Das Konzerthaus fühlte sich wegen der jahrelangen Deckelung seiner staatlichen Zuschüsse in seiner Existenz bedroht. Die Philharmoniker waren beunruhigt. In Luxemburg konnte man, obwohl Geld dort in komfortabler Menge vorhanden war, noch nicht wissen, ob sich die neu eröffnete Philharmonie erfolgreich werde etablieren können. Dennoch findet die Innovationstheorie der »Not-ist-die-Mutter-der-Verhärtung-Schule« in den untersuchten Organisationen von Anfang an keine Bestätigung. Zu einer Fokussierung auf interne Angelegenheiten, zu einer verengten Definition des eigenen Geschäftsfeldes und letztlich zu verringerter innovatorischer Aktivität ist es nicht

44 In diesem Sinn kann etwa Catherine Bunting sagen: »A failure of innovation in the arts is also a failure of public value.« Für die Autorin stellen Innovation und die Bereitschaft zum Risiko für Künstler, Kulturorganisationen und Förderer eine Aufgabe dar, für die sie in allen Bereichen ihrer Arbeit verantwortlich sind (2007: 18).

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gekommen. Vielleicht, weil es zwar Knappheit gab, materielle Not aber nicht wirklich herrschte. Die Not war eine Sache der Wahrnehmung und der ZukunftsProjektionen. Und diese Wahrnehmung der Situation als herausfordernd oder kritisch führte dazu, dass Such- und Verhaltensroutinen von etablierten Bahnen abweichen konnten – in einem aktiven Suchen und Ergreifen auch ursprünglich heteronomer Konzepte und Praktiken. Das würde die »Not-ist-die-Mutter-derErfindung-Schule« bestätigen, und namentlich deren Annahme, die Wahrnehmung eines Niedergangs (oder die Sorge vor einem solchen) wirke sich dann positiv auf die innovatorische Aktivität aus, wenn die Organisation ihre Schwierigkeiten auf konstant wirkende Ursachen zurückführe. Für die von Cyert und March formulierte Vermutung, finanzielle Reserven oder ungenutzte Mittel seien der Entstehung grundlegender Innovationen förderlich, lassen sich sowohl am Beispiel der Philharmonie Luxemburg als auch bei den Berliner Philharmonikern Bestätigungen finden. In Luxemburg konnte man sich den Versuch eines eigenständigen Konzerthaus-Konzepts leisten. Den Berliner Philharmonikern war es möglich, mit den Mitteln innovativer Informationstechnologien ein neues, zweites Geschäftsmodell aufzubauen, das für ihr traditionelles Produkt einen neuen Markt eröffnet. 45 Aber auch der Umbau des Konzerthauses Berlin zum kulturellen Dienstleister wäre nicht möglich ohne die wohlwollende Anschubfinanzierung durch die Berliner Landesregierung. 2.3 Strukturen der Innovation in den Kulturorganisationen Es ist dabei nicht so, dass unsere Kulturorganisationen mit wehenden Fahnen die Befestigungen der Tradition verließen. Die befragten Manager stehen der Schaffung von Innovation ambivalent gegenüber. Einerseits werden Veränderungen absichtsvoll gesucht. Bei den Berliner Philharmonikern stehen seit dem Amtsantritt Simon Rattles klar artikulierte Motive hinter den Innovationen der Organisationsform, der Education-Programme und der Kommunikationstechnologie. Die Neuerungen der Philharmonie Luxemburg gründen auf ebenso klar formulierten sozialen und humanistischen Anliegen des Generaldirektors Matthias Naske. Das Konzerthaus Berlin unter dem neuen Intendanten Sebastian Nordmann handelt aus einer methodisch entwickelten Strategie heraus und folgt einem Aktionsplan.

45 Vgl. Cyert/March 1992: 188ff. Für den Bereich der Kultur vgl. auch Castañer/Campos (2002): »When organizations engage in experimentation they accept the possibility of failure. Hence, only organizations that enjoy a certain amount of slack might engage in artistic innovation. In the context of the performing arts, a stable subscription base might be considered a source of slack that allows greater experimentation.« (p. 45)

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Auf der anderen Seite verläuft der Prozess der Generierung von Neuheit wenig strukturiert, verglichen mit den Standards unter Herstellern von Konsumund Investitionsgütern. Auf der Seite der Wahrnehmung und des Lernens wurden im Konzerthaus Berlin und in der Philharmonie Luxemburg Know-how und analytische Kompetenzen über Beratungsfirmen ins Haus geholt. Die Philharmonie Luxemburg setzt immer mehr auf Wissensgewinn durch eine Zusammenarbeit in professionellen Netzwerken. Über die Installation informatisierter Buchungssysteme und die Adaption informatisierter Kundenmanagementsysteme, wie sie hinter der 2012 eingeführten Konzerthaus-Card stehen, gewinnen die Häuser Daten von Marktteilnehmern, die sie auswerten; die Informationen gehen in den Entscheidungsprozess zu Veränderungen von Produkten und Kommunikation ein. Daneben leben alte Routinen fort. Eine systematische Marktforschung betreibt keine der drei Organisationen. Während es in der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Kulturmarketing die Meinung gibt, auch Kulturorganisationen benötigten Informationen über die Lebensstile, Programmvorlieben und Freizeitaktivitäten möglicher Besucher, um ihr Angebot auf deren Interessen ausrichten zu können,46 begnügen sich die untersuchten Konzerthäuser mit sporadischen Befragungen ihrer Kunden und mit rudimentären soziodemografischen Daten. Keine der drei Organisationen bezieht ausgewählte Kundengruppen, so genannte lead user und focus groups, in ihre Prozesse der Produktentwicklung ein, keine forscht in der Gruppe ihrer Nicht-Besucher.47 Benchmarking gegenüber anderen Kulturorganisationen spielt eine Rolle, die Häuser vergleichen sich mit anderen, lernen von diesen und übernehmen gegebenenfalls deren Innovationen. Kreative Techniken wie mind-mapping, systemische Analyse oder die Planung in Szenarien werden hingegen nicht verwendet. Teilweise sprechen sich die Manager direkt gegen Kreativitätstechniken aus, gegen eine Planung in Szenarien, gegen eine systematische Generierung von Optionen. Solche Techniken seien für Organisationen der Kunst weder geeignet noch notwendig, sagt Pamela Rosenberg in ihrer Zeit als Philharmoniker-Intendantin, Kreativität gehöre von Natur aus zur Arbeit im Kulturbereich. Auf der

46 Kevin McCarthy et al. (2001): The Performing Arts in a New Era, p. 36f. 47 Vgl. die Auseinandersetzung Michael Theedes mit einer möglichen Anwendung des Konzepts des lead user (2007: 185-192). »Informationslücken« in Hinblick auf die Besucherstrukturen stellt auch Theede beim Management zwölf deutscher Konzerthäuser fest, darunter das Konzerthaus und die Philharmonie Berlin (p. 325). Seine Primärdaten zur Situation unmittelbar vor dem Beginn unseres Untersuchungszeitraums im Jahr 2006 gewinnt der Autor aus einem Fragebogen mit 25 geschlossenen Fragen und vier Erläuterungsmöglichkeiten, den er an die Konzerthäuser versendet.

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organisationalen Ebene finden sich weder Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, noch spezielle Innovationsteams. Der befragte Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker, Peter Riegelbauer, befürwortet Neuerung als Teil des gewissermaßen natürlichen Lebensprozesses einer Organisation, die an der Spitze stehen will, äußert aber Vorbehalte gegenüber einer Verpflichtung zur Innovation. Der Generaldirektor der Philharmonie Luxemburg, Matthias Naske, strebt einen Erneuerungsprozess an, der organisch aus der Kommunikation der Organisationsmitglieder untereinander und aus der Kommunikation der Organisation mit ihrer Gesellschaft hervorgeht. »Innovationsspezialisten« gebe es bei ihm dagegen nicht, auch sich selbst versteht er nicht als »Chefinnovator«. 48 Innovativ erscheint die Philharmonie Luxemburg wiederum darin, dass sie begonnen hat, Leistungsparameter und Erfolgskriterien für ihre Mitarbeiter zu formulieren und in Form eines Beurteilungssystems zu operationalisieren. 49 Das kann einen Schritt von einem lose strukturierten kreativen Prozess hin zu einer systematischen Generierung von Neuheit und zum methodischen Ergreifen von Chancen bedeuten – im Berliner Konzerthaus des Jahres 2006 waren Entwicklungsprozesse noch dadurch gehemmt worden, dass sich die Führungskräfte nicht auf einheitliche Erfolgskriterien einigen konnten. Alle drei Kulturorganisationen sind aber weit davon entfernt, ihre Erfolge und Wirkungen, ihr Wirtschaften auch mit kulturellem und sozialem Kapital umfassend zu bilanzieren und zu veröffentlichen. Die Potenziale, die solche Bilanzierungen für Strategiefindung und Innovation eröffnen, bleiben ungenutzt. Insgesamt entstehen Innovationen in den untersuchten Konzerthäusern – wohl typisch für die Branche – aus einem

48 In einem gewissen Widerspruch zu dieser Haltung haben Damanpour und Schneider (2008) hervorgehoben, dass Manager die Kultur der Innovation und deren Effektivität in ihren Organisationen bedeutend fördern können. Auf der einen Seite folgern sie, Manager öffentlicher Organisationen bevorzugten ganzheitliche Erneuerungsprozesse gegen solche, die von oben nach unten wirkten (p. 513). Bereits in einer älteren Studie stellt Damanpour fest, »wahrhaft innovative Organisationen« besäßen eine Unternehmenskultur, die Innovation als Aufgabe aller Organisationsteile fördere (1991: 584). Auf der anderen Seite trügen persönliche Eigenschaften der Manager wie eine innovationsfreundliche Haltung zu einer signifikanten Effektivitätssteigerung von Wandlungsprozessen bei (2008: 513). 49 Innovativ ist diese Neuerung im Sinn von Richard Walkers »organisationaler Prozessinnovation«, die nach seiner Definition Verhältnisse zwischen Organisationsmitgliedern neu definiert und Regeln, Rollen, Verfahrensweisen, Strukturen, Kommunikation und Austausch sowohl innerhalb der Organisation als auch zwischen Organisationsmitgliedern und Umwelt verändert (2007: 593).

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Diskussionsprozess, primär unter den Mitgliedern der Leitungsebene, aber auch quer durch die Organisationen.50 Die Philharmonie Luxemburg und das Konzerthaus Berlin beginnen im Untersuchungszeitraum, die Strategiediskussion innerhalb ihres Leitungspersonals und zum Teil unter den Mitarbeitern in Form von Workshops oder Klausurtagungen zu institutionalisieren. Mit seinem geringen Grad an Formalisierung und der hohen Abhängigkeit von den Kompetenzen der Mitarbeiter ähnelt das Innovationsverhalten der drei Kulturorganisationen dem Muster, das sich im Dienstleistungssektor etwa bei Beratungsfirmen findet. Matthias Naske beschreibt diese Position für seine Philharmonie Luxemburg mit dem Ideal von »Professionalität und Detailkenntnis der spezifischen Bedingungen vor Ort«, mit dem Vertrauen auf das, was Cyert und March »lokale Rationalität« nennen.51 Als Ganzes betrachtet, entspricht das Innovationsverhalten unserer Konzerthäuser und Orchester dem, was Tether und Howells ein organisiertes strategisches Innovationsmuster nennen.52 Dieses Profil zeichnet sich dadurch aus, dass die Organisationen kaum eine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung oder für Innovation unterhalten, vielmehr verteilt sich das Innovationsgeschehen auf die Teileinheiten der Organisation und ist in einzelne Management-Schritte gegliedert. Projekte werden durch fallweise zusammengestellte interdisziplinäre Teams vorangetrieben, meist mit Vertretern des Marketing in führender Rolle. Der größte einzelne Faktor in allen drei hier untersuchten Organisationen sind die Kompetenzen und die Motivationen der führenden Manager. Von ihnen gehen entscheidende Impulse aus, und wenn die Häuser eigenständige Innovations-Physiognomien entwickeln, dann liegt das nicht nur an ihren spezifischen Handlungsbedingungen und Pfadabhängigkeiten, sondern in einem hohen Maß an der Wegweisung durch ihr Führungspersonal.53

50 Von einem »Mangel an systematischer Vorgehensweise beim Management von Innovation« sprechen Alastair Hughes, Kyla Moore und Nimesh Kataria in ihrer Studie »Innovation in Public Sector Organisations« (2011). So gaben lediglich 37 Prozent der von ihnen untersuchten Organisationen an, sie verfügten über eine Innovationsstrategie als Teil einer umfassenden Strategie (p. 24). Für den Bereich der Kulturorganisationen stellen McCarthy et al. (2001) fest, die am häufigsten eingesetzte Methode zur Generierung von Innovation seien Diskussionen innerhalb der Belegschaft (p. 37). 51 Das Konzept der local rationality erklären Cyert und March es folgendermaßen: »We assume that an organization factors its decision problems into subproblems and assigns the subproblems to subunits in the organization.« (1963: 165). 52 Tether/Howells 2007: 33. 53 Die vorteilhaftesten Voraussetzungen besitzt in dieser Hinsicht die Stiftung Berliner Philharmoniker: Das Orchester ist in den Leitungsgremien stark repräsentiert. Dabei

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3. INNOVATION IN DER K UNST DURCH E RNEUERUNG IHRER S OZIALFORMEN Trotz der systematischen Schwierigkeit, Neuerung und Neuheit in der Kunst auf einen ökonomisch begründeten Begriff von Innovation zu bringen, hatten wir die Handlungsdimension der Kunst bei der Untersuchung unserer Organisationen im Auge behalten. Was »Kunst« ist, verstanden wir traditionell, als etwas, das hergestellt wird, um angeschaut zu werden, und das über gewöhnliche Dinge hinaus ein Sinngeschehen eröffnen soll. Ungefähr im Sinn Hegels als etwas, dessen Bedeutung oder Wahrhaftigkeit oder Allgemeinheit den Sinn- und Empfindungshorizont des Betrachtenden übersteigt, im Sinn Heideggers als »Sich-ins-WerkSetzen der Wahrheit des Seienden«,54 in der Perspektive Adornos als etwas, das dem Zugriff gesellschaftlicher Interessen und persönlicher Nutzenoptimierung enthoben sein will, ein »Nichtidentisches«, in dem sich ein Wahrheitsgeschehen expliziert. In all diesen Fällen liegt Kunst als Werk vor und ereignet sich in diesem und aus diesem heraus. Der Bezug unserer Studie zur so verstandenen Kunst erklärt sich daraus, dass die Konzerthäuser und Sinfonieorchester als Institutionen der Kunst solchen aus dem 19. Jahrhundert kommenden Vorstellungen traditionell verpflichtet sind, über die Postmoderne-Diskussion der letzten Jahrhundertwende hinweg. Ihre Identität, ihre Routinen, ihre Produktionstechnologien, ihre Präsentationsformen sind von diesen Vorstellungen geprägt. Ein teures Arbeitskollektiv wie ein Sinfonieorchester wird vorgehalten, damit es die Werke Beethovens, Boulez’ und Bruckners aufführt. Der überwiegende Teil der beobachteten Innovationen beabsichtigt nun Wirkungen entweder auf das Verhalten von Besuchern oder auf das Verhalten von Geldgebern oder auf das Verhalten beider, er bewegt sich in der Handlungsdimension des Marktes. Neuerungen der Kunst sowie Innovationen, mit denen die Erzeugung künstlerischer Neuheit befördert werden soll, finden sich lediglich in kleiner Zahl. So arbeitet das Konzerthaus Berlin im Jahr 2006 an einer Erweiterung des Orchester-Repertoires insbesondere um Stücke des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts. Mit dem Ausscheiden des damaligen Chefdirigenten Zagrosek ist dieses Vorhaben beendet. Neue Musik, so das andere Konzerthaus-Projekt im Jahr 2006, sollte in Verbindung mit zeitgenössischen Musiken aus anderen Ge-

steht enorm viel Humankapital zur Verfügung; das Orchester rekrutiert die besten Musiker aus einem sehr diversen Kreis internationaler Bewerber. Eingeschränkt wird dieses kreative Potenzial durch Handlungsbeschränkungen, die aus der Bindung an die traditionelle Kerntätigkeit der Aufführung musikalischer Werke erwachsen. 54 Martin Heidegger (1963 [1936-1950]): Der Ursprung des Kunstwerkes, p. 25.

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genden der Welt präsentiert werden, um überkommene Deutungs- und Bewertungsschemata zu durchbrechen. In der Berliner Philharmonie kündigt der Chefdirigent Simon Rattle zu seinem Amtsantritt ebenfalls neue Musiken an, die sich mit Stilen jenseits der europäischen Kunstmusiktradition befassen.55 Zur Förderung des Komponierens im Jugend- und frühen Erwachsenenalter gründet die Stiftung Berliner Philharmoniker 2006 einen jährlich veranstalteten Kompositionswettbewerb, den es am Ende des Untersuchungszeitraums noch gibt. Ebenfalls 2006 ruft die Stiftung den Claudio-Abbado-Kompositionspreis für professionelle Komponisten ins Leben, der, schwach wahrnehmbar, im Abstand einiger Jahre vergeben wird. Alle drei Organisationen erteilen sporadisch Kompositionsaufträge, deren Ergebnisse überwiegend in den Randbereichen des Programms oder in spezialisierten Reihen präsentiert werden. Neue Formen musikalischen Erzählens generiert die Philharmonie Luxemburg im Bereich ihrer Programme für Kinder, teils aus eigenen Ressourcen, teils gemeinsam mit auswärtigen Produzenten. Ein Ende der »Kunst« im Sinn künstlerischer Werke wird durch diese spärlichen Praktiken kaum besiegelt. Aber ein Anfang für etwas Neues wird auch nicht gemacht. Die Förderung von Neuheit in der Kunst wirkt vor allem in den Berliner Häusern (im Konzerthaus seit 2010) wie eine Routine, die aus Gründen der institutionellen Schicklichkeit, der Legitimität im Sinn der überkommenen künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Ansprüche aufrecht erhalten wird. Als Beimischung zum Programm stellt die Auftragsproduktion neuer Werke eine traditionelle Praxis dar. Denkbar ist, dass der Eindruck, die Konzertorganisationen seien zukunftsorientiert im Sinn der klassischen Moderne, auch von Kunden gewünscht wird, die an den Uraufführungen gar nicht teilzunehmen beabsichtigen – in dem Sinn, in dem Zeithaml et al. der Möglichkeit Ausdruck geben, dass der Glaube eines Kunden, ein Unternehmen habe die Zukunft im Blick und erkenne entscheidende Trends, dessen Loyalität stärke.56 Das Zielbewusste aber, das auf Ergebnisse und Erfolge Gerichtete wirklicher Innovation, der Wille, Musik in werkhaften Gestalten voranzubringen, ist im Verhalten unserer Konzertorganisationen nicht zu erkennen, sieht man von den Luxemburger Produktionen für Kinder ab und vielleicht vom philharmonischen Kompositionspreis für Schüler. Innerhalb der Berliner Philharmoniker gibt es eine Wahrnehmung, nach der sich die Entwicklung künstlerisch ambitionierter Musik zunehmend jenseits der Pfade von Sinfonieorchestern vollziehe, gleichzeitig werden Aufträge für neue Kompositionen nach hauseigener Einschätzung vorwiegend eher konservativen

55 Spahn 2002. 56 Zeithaml et al. 2006: 178.

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Komponisten erteilt. Ein Programm oder eine Mission, die erklären würden, ob die Kulturorganisationen etwas in Hinsicht auf eine Zukunft ihrer Kunstgattung anstreben und was das wäre, ist nirgendwo veröffentlicht. Bedeutet das, dass die Manager unserer Musikorganisationen ihren Ehrgeiz darauf richten, einen verkapselten Bestand alter Werke mit innovativen Mitteln erfolgreicher zu verkaufen? Um wenigstens die Organisationen der Kunst vor dem Ende zu bewahren, wenn schon in die Erneuerung der Sache nicht mehr investiert wird? Setzt man die Sache der Kunst mit deren intelligiblen Werken gleich, erscheint ein solches Urteil möglich.57 Wo das Produkt als »klassische Musik« definiert wird, ist der Horizont des Kunstkonzepts bereits geschlossen. Klassizität impliziert Zeitlosigkeit, Zukunft berührt sie nicht. Aus den Äußerungen der befragten Manager und aus den neuen Praktiken ihrer Häuser lässt sich aber noch ein anderes Interesse lesen als jenes, unsere Kulturorganisationen mit einer geschickten Präsentation bekannter Ware über die Runden zu retten. Dieses Interesse ist mit dem Konzept der Vermittlung bezeichnet. Vermittlung stellt die Frage nach der Kunst und ihrer Bedeutung noch einmal neu aus dem Zusammenhang mit den Lebens- und Wahrnehmungsgewohnheiten vielfältiger Publika. Eines ihrer Mittel ist die Personalisierung. Ein Intendant wie Sebastian Nordmann glaubt, sein Publikum orientiere sich immer weniger an Werken und an deren sinnhafter Präsentation im Zusammenhang von Programmen, stattdessen »personifizieren« die Leute »die klassische Musik«. So hilft das Konzerthaus seinem Publikum, die Kunst jetzt in den Zügen der Darstellenden, der »Künstler« zu erblicken. Die Kunst, die zuvor die Gestalt der Werke trug, erhält ein menschliches Gesicht, während die Werke den sinnlichen Stoff für das Erlebnis liefern. Definiert man »Vermittlung« formal als den Aufbau einer Beziehung, dann wird diese Beziehung mit der Kunst durch den Star verkörpert, durch den Artist in Residence, durch den Dirigenten, der spricht. Die Kulturorganisation ergreift hier eine neue Rolle: Sie wird Stifterin von Beziehungen. Neben ihre traditionelle Tätigkeit der Produktion und der Repräsentation von Werken tritt nun das Ermöglichen von Begegnungen: Von Begegnungen zwischen dem Besucher und

57 Aus einer konservativen Perspektive hat der amerikanische Musikkritiker Andrew Pincus den Innovations- und Modernisierungsprozesses des Tanglewood-Festivals als Verkauf der Sache selbst gewertet: »Wenn Kunst [high art] in einem Zeitalter überleben soll, das vom Fernsehen, vom Film, von der Rockmusik und anderen Aspekten populärer Kultur beherrscht wird, dann muss sie […] nicht-initiierte Hörer gewinnen. Das Problem ist, sie zu gewinnen, ohne die Natur einer Kunst zu kompromittieren.« (Tanglewood – The Clash between Tradition and Change, 1998, p. xiii).

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dem Musiker, zwischen Besucher und Musik, zwischen den Besuchern selbst. Eine solche Begegnung kann ereignislos verlaufen. Eine durch ein Konzerthaus gestiftete Beziehung kann leer sein, unbedeutend, sie kann in den Moderationen, meet-the-artist- und after-concert-Gesprächen die Musik mit einer neuen Kruste belangloser Sprache überziehen. Sie kann aber auch Vertrauen herstellen und Lernprozesse befördern. Auch das »Erlebnis«, das nach den Maßstäben eines kommerziellen Marketings durchaus nicht mehr als ein ahnungsloses Angeregtsein zu bezeichnen braucht, gewinnt in einem solchen neuen Konzept von Kunst an Bedeutung. Das Erlebnis kann dort weiterführen, wo das begriffliche Erfassen des alten werkbasierten Kunstbegriffs an eine Grenze stößt. Es wird dann zur mentalen Repräsentation einer als Geschehen verstandenen »ästhetisch zugelassene[n] Gegenwart eines Sinnenobjekts«.58 Bereits Hegel hatte die »schöne Zeit« und die »goldenen Tage« der Kunst für vergangen erklärt und die zunehmende »Reflexionsbildung« der Moderne dafür verantwortlich gemacht, dass seine Epoche »der Kunst nicht günstig« sei.59 Für unsere Gegenwart spricht Wolfgang Iser davon, die Ästhetik sei »aus der babylonischen Gefangenschaft der philosophischen Ästhetik befreit« worden, in die sie durch deren Gleichsetzung mit dem Kunstwerk geführt worden war.60 Iser vertritt die Ansicht derer, die nach dem Ende der – durch Hegel gewaltig angeschobenen – Vorherrschaft begrifflichsystematischer Deutung nun Raum für Erfahrung und Imagination sehen, einen »existenziell offenen Welt-als-Möglichkeitsraum« (2003: 96). Sieht man den Ort der Entstehung und des Sich-Ereignens von Kunst in der Wahrnehmung durch das Publikum und nicht (oder nicht nur) in der Herstellung von Werken und deren Interpretation, und versteht man die Qualität von Wahrnehmung als abhängig auch von der Qualität sozialer Beziehungen, dann gewinnen einige der Innovationen in den Handlungsdimensionen des Marktes und des Sozialen eine zusätzliche Dimension: Sie befördern effektiv die Entwicklung von Kunst. Es bleibt eine Frage der Darstellung, des Erzählens, ob dieser Wandel als Bruch oder als Entwicklung erscheint. Für den Bruch sprechen die konzeptionellen Gegensätze, der dichotomische Charakter der Diskussion. Kunst wird in den neuen Veranstaltungs- und Sozialformen nicht mehr primär als das behandelt, was die Geschichte im Sinn Hegels an Vortrefflichem erzeugt hat, nicht mehr als ein geistiger Gegenstand, »welcher Wert und Interesse in und für sich selbst

58 Die Formulierung ist Martin Seels »Ästhetik des Erscheinens« (2003: 91) entliehen. 59 Hegel 1971 [1717-1738]: Bd. I, p. 24f. 60 Wolfgang Iser (2003): Von der Gegenwärtigkeit des Ästhetischen, p. 185.

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hat«.61 Sie verkörpert nicht, was Paul DiMaggio für die Frühzeit amerikanischer Museen als »only the best that civilization […] had to offer« bezeichnet.62 Und Kunst ist auch etwas anderes als »das noch nicht vom rationalisierten Betrieb Zugerichtete, das, was noch nicht die Fingerabdrücke der universalen Kommunikation trägt«, wie Adorno sagt.63 Der Umgang mit ihr ist nicht mehr durch das Ethos des Vorbilds oder des Modells bestimmt. Viel schlichter ist Kunst das, was das Publikum gemeinsam mit den Veranstaltern jeweils daraus macht, und damit »ist« sie eigentlich gar nichts mehr. Sie hat keine »Natur«, keine begrifflich zu fassende Essenz, sondern das Wort bezeichnet eine Wahrnehmung innerhalb eines sozialen Prozesses, in dem vielgestaltige Praktiken an die Stelle einer systematischen und hierarchischen Ordnung treten, wie sie sich in der Form etwa des klassischen Sinfoniekonzerts und seines Werkkanons ausgedrückt hat. Aus der Perspektive der älteren Kunstauffassungen liefert diese Offenheit gegenüber einer Vielzahl von Deutungen und Praktiken die Kunst der Beliebigkeit aus und bleibt hinter den Möglichkeiten und Standards der Sache zurück. Schon Richard Wagner spricht am Ende von »Oper und Drama« vom Publikum mit aggressiver Ambivalenz als dem »eigentliche[n] Ermöglicher des Kunstwerks«, das einerseits des Kunstwerks bedürftig sei, es andererseits aber »aus seinem Bedürfnisse […] allmächtig« mitgestalte. Dieses Mitgestalten führt zu nichts Gutem. Die Fähigkeiten und Interessen des Publikums könne man sich zumindest mit Blick auf das Musiktheater »als im wachsenden Verfalle begriffen« vorstellen, sagt Wagner, das Publikum sei zerstreuungssüchtig und an künstlerischen Zusammenhängen desinteressiert, »im allerglücklichsten Fall würde es etwas verstehen müssen, was es nicht verstehen will«.64 Gut achtzig Jahre später betrachtet Martin Heidegger den »bloßen Kunstgenuß« und den »Kunstbetrieb« gegenüber dem »Stoß ins Un-geheure«, den er von den Werken ausgehen sieht, mit Vorbehalten.65 Theodor Wiesengrund Adorno wendet sich gegen jedes »institutionell und gesellschaftlich diktierte Bestreben, Kunst Kunstfremden zu erschließen, ohne deren Bewußtsein zu verändern.«66 Die Jugendbewegung klagt er an, sie habe »bei aufrechterhaltenem Schein der Beschäftigung mit ernster Musik, die Ansprüche herabgemindert«, habe »einen Vorrang des Mitmachens vorm Hören, im Grunde des Publikums vor der Sache selbst etabliert, und damit

61 Hegel 1968 [1809]: 48-51. 62 DiMaggio 1987: 205. 63 Theodor W. Adorno (1966): Schwierigkeiten in der Auffassung neuer Musik, p. 280. 64 Richard Wagner: Oper und Drama (o.J. [1850-51], p. 225). 65 Heidegger (1963 [1936-1950]): 56. 66 Theodor W. Adorno (1963b): Die gewürdigte Musik, p. 163.

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schließlich das Publikum um das betrogen, was ihm Ehre antäte.«67 Das Urteil ließe sich umstandslos auf die gegenwärtige Vermittlungs-Bewegung übertragen und diskutieren. Wer »Kunstwerke erlebt, indem er sie auf sich bezieht, erlebt sie nicht«, schreibt Adorno im Sinn von Hegels Bildungsbegriff und im Grund einer Meinung mit Heidegger in seiner Ästhetischen Theorie: »Was fürs Erlebnis gilt, ist kulturell angedrehtes Surrogat« (1970: 365). Spricht Gadamer vom Ideal einer »Selbstbegegnung des Menschen in den Werken der Kunst«,68 so hätten wir es aus dieser Perspektive heute mit einer Selbstbegegnung des Verbrauchers zu tun, vor den Werken, wohingegen sich Bildung nach Hegel im Durchgang durch die Erfahrung eines Anderen ereignet. Von einem Gattungsbegriff »des Menschen« als Horizont des persönlichen Erlebens kann schon gar keine Rede mehr sein. In neuerer Zeit setzt noch Karl Heinz Bohrer »den substantiellen Kern des ästhetischen Diskurses« gegen die »banalisierenden Mißverständnisse des Ästhetischen als das Hedonistische oder das Humane oder das Soziale«,69 während unsere Konzerthäuser und Sinfonieorchester eben diese Möglichkeiten einer Kunst als soziales Produkt und als soziales Ereignis, als Genussmittel, als Medium des Lernens und als Mittel sozialer Integration ergreifen und gestalten. Dass es offenbar eine Tradition der Abgrenzung gegenüber einem »banalisierenden« Gebrauch von Kunst gibt, kann freilich auch darauf hindeuten, dass solche Praktiken über längere Zeiträume neben den Praktiken jener Kunst existiert haben, die Autonomie für sich beanspruchte und für deren Realisierung man Konzerthäuser baute. Der frühere Konzerthaus-Intendant Frank Schneider hat im Gespräch einmal bemerkt, »Kunst mit Fressen verbinden und Ähnliches«, das seien »Formen von Ranschmeißerei«. Daraus spricht offenkundig die Ablehnung historisch verbürgter70 und nun wieder neu erfundener populärer Praktiken – Schneiders eigenes Haus arbeitete am Konzept des Lunchkonzerts. Die Kraft des Ausdrucks aber, die rhetorische Vertiefung des Abstands zwischen den Lebenstätigkeiten, lässt sich als Zeichen für die Mühe verstehen, die es wohl braucht, die emphatisch verstandene Kunst von solch profanem Verhalten abzuheben.71

67 Adorno 1966: 288. 68 Gadamer 1986: 64. 69 Karl Heinz Bohrer (1998): Die Grenzen des Ästhetischen – Wider den Hedonismus der Aisthesis, p. 188. 70 Siehe etwa Weber 1997. Der Autor geht von der Feststellung aus, »Eighteenth-century musical life adhered to a social etiquette that tolerated forms of behaviour more diverse than those generally permitted today.« (p. 678) 71 Der Komponist Helmut Lachenmann (dessen Werke Schneider durch Aufführungen förderte, im Gegensatz etwa zur Praxis der Berliner Philharmoniker) zitiert die Meta-

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Der Innovationsprozess, der sich in den sechs Jahren unserer Studie beobachten lässt, bringt nun unter den Leitbildern der Kundenorientierung, der Vermittlung und der gemeinschaftlichen Wertschöpfung nach und nach heterodoxe Praktiken in die Programmangebote der Organisationen. Man kann das auch als Ergebnis einer Entwicklung verstehen, der Traditionsbruch ist nicht das einzig mögliche Deutungsmuster. So beschreibt Hermann Danuser, wie, ausgehend von einer Produktionsästhetik, die »den Begriff des ›Schaffens‹ bzw. des ›Schöpfers‹ musikalischer Kunstwerke nur dem Komponisten« vorbehält, auch dem Interpreten eine aktive, schöpferische Leistung zuerkannt wird.72 In einem nächsten Schritt wird diese Rolle gegenwärtig Rezipienten wie den Teilnehmern eines Konzerts übertragen. Viele dieser heterodoxen Praktiken – die technologischen Neuerungen stellen einen eigenen Fall dar – sind im Prinzip schon lange anzutreffen gewesen: Das Reden über Musik und bei Musik, die Interaktion der Musiker mit dem Publikum, das spielerische Mitmachen, die Verbindung körperlicher Übung mit der Aufführung von Musik, das Aufsuchen der Zuhörer an ihrem Lebensort, die Einladung, sich »den Gefühlen, Emotionen und Launen der Musik hinzugeben«,73 Trinken und Essen. Innovation im Bereich der Programmformate und der Sozialformen bringt diese Verhaltensweisen in zeitgenössische Formen und wandelt sie in legitime Praxis um. Zeitgenössische Formen entstehen dadurch, dass Elemente des traditionell legitimen Umgangs mit Kunstmusik isoliert und mit anderen, ehemals heterodoxen Praktiken zu neuen Produkten verschmolzen werden – die ökonomische Theorie spricht von rekombinativer oder architektonischer Innovation. So entstehen Produkte aus Gastronomie und Musikdarbietung, Talkshow und Musik, Bewegung und Musik, Produkte wie die Konzerthaus-Card, die den Konzertbesuch mit Vorteilen beim Einkauf oder beim Restaurantbesuch verknüpft, sowie Produkte, die das künstlerische Darbieten der Musiker mit Angeboten des Lernens und des Mitmachens kombinieren.

pher der Nahrungsaufnahme als Beispiel eines unzulänglichen Umgangs mit Kunst. »Kunstgenuß«, so schreibt er, »verstanden als Erfahrung der Identifikation des Geistes mit dem Erlebten aufgrund von Wertvorstellungen, die unsere Sehnsüchte und unser ideales Menschenbild bestimmen,« bleibe ein willkürlich auswechselbarer, bloß poetisch-idyllischer Begriff, »gastronomischen Genüssen vergleichbar, solange wir in jenen Wertvorstellungen nicht das ganze humane Potenzial angesprochen und gefordert wissen, welches dem Menschen seine Würde verbürgen sollte.« (Musik als existenzielle Erfahrung, 1996, p. 112). 72 Hermann Danuser (1992): Interpretation und Rezeption, p. 63. 73 So spricht der neue Chefdirigent des Konzerthauses Berlin, Iván Fischer, seinem Publikum zu. Konzerthaus Berlin (2012): Musik bewegt, p. 14.

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Dass mit den neuen Praktiken ästhetisch begründete Herrschaftspositionen zugunsten der Meinungen vielfältiger Publika aufgegeben werden, lässt sich sowohl als Ursache wie als Folge der Auflösung des autonomen, gewissermaßen monadischen Kunst-Produkts in einem Netz von Beziehungen verstehen. Für die bildende Kunst beschreibt Arthur C. Danto den Vorgang in »After the End of Art«. Danach höre Kunst auf, etwas zu sein, das man sich vor allem ansieht, das in erster Linie zum Schauen einlädt; stattdessen rufe sie nach einer »gänzlich neue[n] Art von Kurator […] der die Museumsstrukturen völlig beiseitelässt, um die Kunst direkt mit dem Leben der Menschen in Verbindung zu bringen«.74 Sollte mit dem »Leben der Menschen« der Alltag der Verbraucher gemeint sein, dann stellen Kiez-Konzerte, Lunchkonzerte, Yoga-Konzerte und die Zugänglichmachung der eigenen Musikproduktion »überall und jederzeit« über eine Internet-Plattform Realisierungen dieses Ideals dar. In jedem Fall hat dieses »Leben der Menschen« seine eigenen Zeichensysteme, und daher tragen die neuen Produkte nicht nur »die Fingerabdrücke der universalen Kommunikation«, wie Adorno fürchtete (1966: 280), sondern sie haben sich über die zahlreichen sprachbasierten Vermittlungsveranstaltungen und über den Gebrauch der Neuen Medien durch Teilhabe an der »universalen Kommunikation« zu legitimieren. Die romantische Vorstellung, Musik spiele um den Menschen und sei »ein Organ, feiner als die Sprache, vielleicht zarter als seine Gedanken«, 75 wird durch einen pragmatischen Sprachoptimismus, durch einen sprachlichen Universalpragmatismus ersetzt. Die Abgrenzung etwa des Intendanten Sebastian Nordmann vom »Feuilleton«, seine Mahnung an die Dramaturgen, sie müssten für das ganze Publikum »verständlich« reden, lassen sich als Indiz dafür verstehen, dass mit dem Anspruch einer Autonomie der Kunst auch die mit ihr verbundene Sprachpraxis angefochten ist. Bunting et al. empfehlen ausdrücklich den Abbau sprachlicher Barrieren, um die gesellschaftliche Basis der Kulturorganisationen zu verbreitern, »eine Art von Unterhaltung, die hilft, die Künste zu entmythologisieren [demystify the arts] und an der jeder teilhaben kann«.76 Im Gegensatz dazu hatte Nordmanns Vorgänger Frank Schneider, der seine Arbeit dem Konzept des Kunstwerks verpflichtet sah, noch geklagt, durch den Rückzug des

74 Danto 2000: 39. Freilich wäre es irreführend, zu behaupten, die Kunst nach dem deutschen romantischen Begriff habe mit dem »Leben der Menschen« nichts zu tun. Im Gegenteil, sie hat große Absichten, sie will den Alltag transzendieren. In diesem Sinn geht es noch bei Lachenmann um »Musik als existenzielle Erfahrung«. 75 Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck (1983 [1799]): Phantasien über die Kunst, IX, p. 53. 76 Bunting et al. 2008: 67.

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Feuilletons würden seine Spielräume für die Programmgestaltung enger, weil die konzeptionell und diskursiv geprägten Programmideen keine öffentliche, politisch wahrnehmbare Resonanz mehr erführen.

4.

Z UKUNFT DURCH INNOVATION ? E IN AUSBLICK

Nun sieht man, warum der Vorwurf einer Kommerzialisierung oder einer Kolonisierung durch ökonomische Wertsysteme und Praktiken die gegenwärtigen Wandlungsprozesse unvollkommen trifft. Denn von einem konkurrierenden System auferlegt sind die Neuerungen nicht. So eindringlich die im Kapitel »Kommerzialisierung und Identität« dargestellte Interpretation Oakes‘, Townleys und Coopers wirkt, die in ihrer Langzeitstudie Kulturorganisationen dem Zwang von Praktiken, Werten und Sprachregeln aus der Wirtschaft erliegen sehen – ihr Urteil ruht auf einem kategorischen Gegensatz von Kultur und Geschäft, Kunst und Geld, in dem man sich für die eine oder für die andere Seite entscheiden kann und soll. Ein solcher Gegensatz lässt sich zwar beschreiben, und in manchen Äußerungen unserer befragten Manager, in manchen Handlungsalternativen erscheint er nach wie vor als strukturierender Grund. Aber einen naturhaften Status, der das Handeln der Kulturorganisationen systematisch konditionieren könnte, besitzt er kaum mehr. Durch den Anspruch auf Autonomie hatten die Institutionen der Kunstmusik historisch die Abwertung ihres Tuns nach den Maßgaben eines Reichtumsbegriffs im Sinn Adam Smiths überwunden, das abschätzige Urteil, sie erzeugten nichts von Wert. Ihr heute beklagter »Relevanzverlust« ist eine Folge davon, über die Abhängigkeit von externen Ressourcen als Dienstleistung, als Angebot mit Gegenwert wieder in eine Gesellschaft eingegliedert zu werden, die – ebenso nach Smith – darin kommerziell ist, dass jeder seine Bedürfnisse durch Tausch befriedigt.77 Heteronom in einem präzisen Sinn sind die beobachteten Neuerungen dadurch, dass sie den Anspruch einer Autonomie der Kunst als historisch oder partikular relativieren und anderen Ansprüchen den Vorzug geben. So ist der Vorrang des Publikums vor »der Sache«, Adornos Schreckensvision, mit einem Teil der aktuellen Innovationen und Innovationsprozesse tatsächlich zum Prinzip erhoben. Das lässt sich als Kundenorientierung beschreiben, als Ausrichtung an

77 Vgl. Adam Smith 1976 [1784]), Book I, Chapter 4, p. 37. In diesem neuen, alten Geist des Tausches appelliert der Chefdirigent des Konzerthausorchesters zu Beginn seiner Amtszeit mit unkomplizierter Offenheit an den Geschäftssinn seines Publikums: »Was Sie jetzt hören werden, das lohnt sich!« (Konzerthaus Berlin 2012: 14).

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den Nutzenfunktionen und Wertschöpfungspraktiken der Besucher, und es wird, besonders im Konzerthaus Berlin, durch in der Privatwirtschaft entwickelte Techniken vorangetrieben. Dabei geht es weiter um Fragen der Deutungsmacht. Im Grund wird die eine Emanzipationsbewegung, aus dem deutschen Idealismus kommend, durch eine neuere, »spätmoderne«, ersetzt. Das ist die Grundlage jener Vervielfältigung der Kernpublika, von der Neville Voase als Merkmal eines Publikums der Postmoderne spricht.78 Der »Vorrang des Publikums« ist ein Moment in einem umfassenderen Prozess der Pluralisierung und Demokratisierung, der die Grundlagen der Werturteile verändert, Herrschaftsverhältnisse verschiebt, Konsumenten zu eigenen Wert- und Wahlentscheidungen ermächtigt, und der eine Erweiterung, Hybridisierung und Ausdifferenzierung der Umgangsformen mit Kunst und kulturellen Produkten mit sich bringt.79 Dies ist die eigentliche Bedeutung einer Ökonomisierung des Kulturbetriebs. Aus traditioneller Sicht führen der Ehrgeiz, die Zahl der Besucher zu steigern, das »Schielen auf die Zuschauerbilanz«, wie es die künstlerische Direktorin des Konzerthauses Berlin, Heike Hoffmann, im Jahr 2006 noch kritisch nennt, die Orientierung am »Kunden«, die Arbeit am Erlebniswert, durchaus zu einer Veränderung der Positionen im Feld kultureller Produktion, und zwar von der Seite der production pure, um mit Bourdieu zu sprechen, in Richtung einer économie du «commercial» et du profit mit ihrer Repräsentation der Erwartungen eines möglichst breiten Publikums. Ob man die zurückgelegte Wegstrecke

78 Wie emanzipatorische Bewegungen Vorstellungen hierarchischer Macht verpflichtet sind, und wie nach gewonnener Emanzipation die Lebensformen neu gestaltet werden müssen, beschreibt Anthony Giddens in »Modernity and Self-Identity« (1991), p. 210ff. Neville Voases Begriff der »proliferation of ›core‹ audiences« findet sich in »The imagination rediscovered« (2001) auf p. 304. 79 Wie sich die Vorstellungen bewegen, kann ein Vergleich zwischen Hilmar Hoffmanns »Kultur für alle« aus dem Jahr 1979 und dem 2012 erschienenen, gleichermaßen programmatischen »Der Kulturinfarkt« (Haselbach et al.) illustrieren. Beide Bücher sehen in Manifestationen der Kultur eine Sache, die für die Gesamtheit der Bevölkerung von Interesse ist. Dabei erscheint bei Hoffmann Kultur in ihrem Wert und in ihren Manifestationen in weiten Teilen als gegeben; Kulturpolitik und Institutionen wird die Aufgabe zugewiesen, allen Bürgern den Zugang zu ermöglichen, durch niedrige Eintrittspreise etwa, gegebenenfalls durch Nachqualifikation, durch Bildung. Bei Haselbach et al. geht die legitimatorische Gewalt dagegen von den »Interessen der Kulturkonsumenten« aus (p. 23), der Staat muss »sich aus dem Urteilen heraushalten« (p. 239). Die Kulturkonsumenten treffen »die letzte Entscheidung, wo sie ihr Geld ausgeben wollen, […] auf dem Markt.« (p. 193)

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für bedeutend hält, hängt von den Maßstäben des Urteilens ab. In der Perspektive traditioneller Werthierarchien der Kunst – die historisch mit der Entwicklung des Werkkanons und der Präsentationsformen verbunden ist – folgt die Verbreiterung der Kundenbasis aus einem Einebnen von Differenzen, einem Abschleifen von Bedeutungen, einem Senken von Bildungsanforderungen. Insofern handelt es sich um einen Vorgang, der für den Bereich der Kulturveranstalter als Kommerzialisierung definiert werden kann.80 »Kommerzialisierung« und »Demokratisierung« stellen konkurrierende Interpretationen der stärkeren Durchdringung der Märkte durch unsere Kulturorganisationen, der Verbreiterung der Publika, der Orientierung an Kunden dar. Es sind Kampfbegriffe. Im einen Fall wird davon ausgegangen, der Markt manipuliere das Individuum, so, wie es in der »Dialektik der Aufklärung« beschrieben ist. Im anderen Fall wird der Markt als Ausdruck der freien Wert- und Wahlentscheidungen mündiger Subjekte gedeutet. »Kommerzialisierung« ist daher nicht gleichzusetzen mit »Ökonomisierung«. Unser Begriff einer Ökonomisierung bezieht eine Position außerhalb des alten Streits. Er interessiert sich weniger für das, was alte und neue Herrschaftsinteressen im Feld kultureller Sinngebung fixieren wollen, sondern für die Zukunftsmöglichkeiten, die nun aus der Emanzipation individuellen Wert-Urteilens und aus der Ermunterung individueller Teilhabe- und Konsumentscheidungen erwachsen. Die Hinwendung unserer Kulturorganisationen zu den Märkten ist nicht nur von außen bestimmt oder durch die Abhängigkeit von Ressourcen konditioniert. Sie entsteht aus dem sich verändernden institutionellen Selbstverständnis der Organisationen heraus. Sicher bedeuten die Orientierung an der audience und die Verbreiterung der Publika für die Kulturorganisationen einen Verzicht auf alte Ansprüche der Sinngebung. Sie bedeuten aber auch einen Lernprozess, und wenn man ein Senken der Bildungsanforderungen wahrnehmen kann, so wird man den neu oder stärker

80 Ein Licht auf den Vorgang wirft die Entwicklung der staatlichen Zuschüsse. Zum Ende des Untersuchungszeitraums schießt das Land Berlin dem Konzerthaus durchschnittlich 102 Euro pro Besucher zu, fünf Mal mehr als mit einer Eintrittskarte erlöst wird. Das spräche gegen das Urteil einer klassischen Kommerzialisierung. Der finanzielle Einsatz der öffentlichen Hand ist sogar gestiegen, um real fast 17 Prozent, das Land kommt für den Aufwand der Neuausrichtung des Hauses auf. Unterdessen nimmt auf den einzelnen Besucher umgerechnet die Höhe der staatlichen Zuschüsse ab, von 2006 bis 2012 um real zweieinhalb Prozent. Das liegt daran, dass das Konzerthaus die Zahl seiner Besucher erhöhen konnte. Der finanzielle Einsatz des Landes für das Projekt einer »Öffnung«, die Investition in eine breitere Zugänglichkeit des Konzerthauses wird durch ein Wachstum der audience belohnt.

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mobilisierten Kunden doch die Legitimität und vielleicht auch neuartige, möglicherweise weiterführende Qualitäten ihres Interesses an den Darbietungen und Inhalten nicht absprechen wollen. Anspruchsloser zu werden, hat für die Kulturorganisation zwei Seiten, eine, die alte Ideale verrät, und eine menschenfreundliche. Das von den Veranstaltern so gerne gebrauchte Wort von den »Menschen« lässt Unterschiede in der individuellen Verkörperung kulturellen Kapitals zurücktreten. Es verweist darauf, dass audience, dass eine Teilnehmerschaft von Grund auf im Interesse der Organisationen der Künste liegt. Wenn nun die Rede vom »Publikum von morgen« an die Stelle derjenigen vom »Kunstwerk der Zukunft« tritt, so bleibt doch von etwas Kommenden die Rede. Ob die Orientierung an den gemeinschaftlich wertschöpfenden »Kunden« langfristig weniger oder mehr Entwicklungspotenzial verspricht als die produktionsästhetische Privilegierung der Werke, kann man vorab nicht wissen. Aber wenn man die Ökonomisierung des Kulturbetriebs als Tatsache versteht – die veränderten Grundlagen der Werturteile, die Ermächtigung der Konsumenten zu eigenen Wahlentscheidungen, die Pluralisierung der Praktiken – dann muss sich die Kulturorganisation für Innovation engagieren, wenn sie weiter eine Rolle spielen will. Dass Innovation zu einer Steigerung der Leistung von Unternehmungen führe, ist eine Ansicht, die aus den klassischen Wirtschaftswissenschaften ihren Weg in die Kulturökonomie gefunden hat. In einer der jüngsten, breit empirisch angelegten Studien zum Thema Innovation in Museen kommen die Autorinnen Camarero, Garrido und Vicente zu dem Schluss, Innovationen trügen zu einer verbesserten Leistung (performance) in den Bereichen Management, Technologie und Wertschöpfung (value creation) bei. Vor allem technologische Innovation, die sich an die aktuellen Präferenzen der Besucher anpasse, und organisationale Innovation durch Manager, die Fragen des Marktes eine größere Bedeutung zumessen, verbesserten die wirtschaftliche, marktbezogene und soziale Leistung eines Museums und könnten seine Integration in die Gesellschaft und die Erfüllung seiner kulturellen Mission unterstützen.81 Museen, die sich unternehmerisch in den Markt hinein bewegten, die in der Lage seien, sich zu entwickeln und Innovation zu generieren, so wird in der aktualisierten Fassung der Studie gefolgert, erwiesen sich am Ende auch als finanziell erfolgreich.82 Das lässt sich für eine Reihe von Parametern auch unserer untersuchten Konzerthäuser und Sinfonieorchester sagen: Die Kulturorganisationen sind finanziell erfolgreich insofern, als sie im Untersuchungszeitraum die notwendigen Res-

81 Camarero/Garrido/Vicente 2011: 262 f. 82 Camarero/Garrido 2012: 55.

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sourcenflüsse gesichert und über die allgemeine Teuerungsrate hinaus gesteigert haben. Die Organisationen können ihre Rechnungen bezahlen. Betrachtet man die Zahl der verkauften Karten als Erfolgsparameter, dann haben die drei Konzerthäuser auch hier ihre Leistung gesteigert, und vieles spricht dafür, dass zu der in den Zahlen ausgedrückten Verbreiterung und Vertiefung der Publika die marktorientierten Innovationen beigetragen haben. Erfolgreich sind die untersuchten Organisationen überdies darin, Veränderungen ihrer Routinen und Angebote trotz ihres hohen institutionellen Alters überhaupt bewerkstelligt zu haben, nicht zuletzt durch Innovationen ihrer Organisationsformen, ihrer Arbeitstechniken, ihrer Informationsgewinnung und -Verarbeitung. Daraus zu schließen, für die Frage des Fortbestehens museal geprägter Institutionen der Kunst sei mit der beschriebenen Innovation, namentlich der marktorientierten, die Antwort gefunden, wäre indessen voreilig. Zunächst einmal steigert Innovation die Leistung nicht unmittelbar. Sie erzeugt neue Praktiken und neue Produkte, mit denen widrige Einflüsse abgemildert, Effektivitäts- und Legitimationsgewinne erzielt und Marktchancen ergriffen werden können. Das muss aber nicht so eintreten, im Einzelfall ist Innovation mit Risiken verbunden. Traditionell gelten gemeinnützige Kulturorganisationen als risikoscheu – mit einem der Höhe des Risikos entsprechenden materiellen Gewinn könnten sie ihrer gemeinnützigen Verfasstheit wegen wenig anfangen.83 So lange der Staat noch für Verluste gerade stand, gingen Kulturorganisationen allenfalls künstlerische Risiken ein – hier sind die Gewinne solche der Reputation, symbolischer Kapitalien, die sich auch privat durch die Organisationsmitglieder aneignen lassen. Die untersuchten Organisationen erkennen ein Risiko freilich auch darin, sich nicht zu verändern, auf Innovation zu verzichten; im Fall des Orchestre Philharmonique du Luxembourg führte die frühere Immobilität zum Ende der Selbstständigkeit und verursacht jetzt durch die Neuaufstellung innerhalb der Philharmonie beträchtliche Kosten. Im Einzelfall zeigt sich, dass Innovationen unterschiedlich wirksam sind, dass einige von ihnen auch wieder zurückgenommen werden, weil sie keinen Erfolg brachten. Einige der neuen Angebote, wie die musikalischen Veranstaltungen für Kinder in Luxemburg, reagieren unmittelbar auf eine Nachfrage am Markt, andere sind explorative Produkte, in denen sich eine mögliche Gestalt der Kulturorganisationen abzeichnet. Produktinnovationen wie die im Jahr 2012 eingeführten neuen Programmformate des Luxemburger Orchesters stellen einstweilen Investitionen dar, auf deren Erfolg die Organisation angewiesen ist, deren Ertrag sich aber noch nicht abschätzen lässt.

83 Vgl. Clyde Eiríkur Hull/Brian Lio (2006): Innovation in Non-profit and For-profit Organizations, p. 61.

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Wie groß sind die Veränderungsmöglichkeiten, wie groß sind die Spielräume für Innovation in unseren Kulturorganisationen wirklich? Sind die alten Konzerthäuser und Sinfonieorchester dafür geeignet, neue Zugänge zu Musik zu schaffen? Können sie neue Veranstaltungs- und Sozialformen entwickeln und adoptieren, ohne sich damit als traditionelle Organisationen abzuschaffen? So hat ja im Gespräch der befragte Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker bemerkt, disruptive Innovationen in der Dimension der Kunst könnten zu einer Auflösung der Identität des Orchesters führen, und dann »wäre das Orchester nicht mehr das, was es war, sondern nur noch ein Pool von Musikern«. Die Philharmonie Luxemburg zeigt, wie die Schaffung neuer sozio-kultureller Produkte für bisher nicht berücksichtigte Bevölkerungsgruppen zentrale Kompetenzen und Ressourcen marginalisiert, von traditionellen Routinen keinen Gebrauch mehr macht und selbst räumlich die Mauern eines Konzerthauses hinter sich lässt. Zunächst findet die Freude, mit der Bakhshi und Throsby technologische Innovation als transversales Thema in der Kulturorganisation begrüßen, in unserer Untersuchung nur bedingt Unterstützung. In ihren britischen Fallstudien erklären die Autoren, technologische Innovation, vor allem der Kommunikationstechnologien, schaffe Kulturorganisationen neue Möglichkeiten, ihre Ziele zu verfolgen, sie ermögliche den Organisationen, die traditionellen räumlichen Grenzen ihres Wirkens zu überschreiten und neue Publika zu erreichen, sie öffne neue Perspektiven für die Entwicklung der Kunstformen, neuer Arten der Wertschöpfung, neuer Geschäftsmodelle (2010: 56). Im Grundsatz trifft das zu. Möglichkeiten werden eröffnet, im Museumsbereich mehr noch als in den darstellenden Künsten. Aber lassen sich die Möglichkeiten nutzen? Wie das Beispiel der Berliner Philharmoniker zeigt, baut signifikante technologische Innovation auf Voraussetzungen, über die nicht jeder verfügt. In der Realität versuchen die hier untersuchten Kulturorganisationen, mit der Zeit zu gehen, doch mit umwälzender technologischer Innovation ist die Mehrheit überfordert – sei es, dass sie die notwendigen Investitionsmittel nicht aufbringen können, sei es, dass ihnen das fachliche Können und Wissen abgeht, sei es, dass ihre Organisationsform risikobehaftete Unternehmensgründungen nicht zulässt. Und wie soll ein Konzerthaus oder ein Orchester die räumlichen Grenzen seines Wirkens überschreiten, wenn sein Angebot im Wesentlichen regionale Relevanz und Konkurrenzkraft besitzt? Wenn es für regional wirkende Kulturorganisationen hier Chancen gibt, dann wohl eher im Verbund mit anderen. Die Philharmonie Luxemburg könnte also zum Beispiel Internet-Angebote gemeinsam mit den Partnern der europäischen Konzerthaus-Vereinigung ECHO entwickeln, so, wie sie es beim Aufbau der Kammermusik-Marke rising stars getan hat. Selbst die weltweit agierenden Berliner Philharmoniker besetzen mit ihrer Digital Concert Hall nur eine Nische und

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unterliegen dem Risiko, dass sich im Konsumgewohnheiten etablieren, für die ihr Geschäftsmodell nicht geeignet ist (etwa die viel zitierte »Gratis-Kultur«), oder dass sich neue Oligopole von Distributionsplattformen bilden, mit denen sie allein nicht konkurrieren können. Größer sind die Erfolgsaussichten für die einzelnen Organisationen bei anwendungsbezogener technischer Innovation – im Buchungswesen etwa, bei der Kommunikation mit Kunden. Hier liegen Potenziale zur Verbesserung der Effizienz, die sich ausschöpfen lassen, und alle untersuchten Konzerthäuser und Sinfonieorchester versuchen, das zu nutzen. Die Frage stellt sich überdies, ob die neuen Vermittlungsformate die veraltende Praxis des Besuches klassischer Konzerte aus Sicht der Kulturorganisation ersetzen können. Der Größen- und Einkommensvergleich zwischen dem Konzerthaus Berlin und der Berliner Philharmonie zeigt, wie günstig es sich auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit auswirkt, wenn man über einen großen Saal verfügt und diesen an mehreren Abenden durch ein und dieselbe Produktion füllen kann. Hier gilt die Regel der industriellen Güterproduktion, nach der höhere Stückzahlen die Herstellungskosten senken. Ein Teil der neuen Vermittlungsformate ist nun auf wesentlich kleinere Publika hin angelegt, sicher zu geringeren Produktionskosten, als sie für die Aufführung einer romantischen Sinfonie anfallen, aber für die primäre Bedienung kleiner Teilnehmergruppen sind unsere Konzerthäuser und Sinfonieorchester nicht konzipiert, die großen Apparate bestehen und wollen finanziert werden. Potenziale eröffnen die Vermittlungsformate auf der anderen Seite, weil sie die ästhetische Bildung ihres Publikums erhöhen. Diese trägt weit mehr zum wiederholten Besuch künstlerischer Darbietungen bei als die allgemeine Bildung.84 Darüber hinaus wirken verschiedene Arten der Partizipation – das Zuhören im Konzert, das Studium von Werken, eigenes künstlerisches Tun, die Rezeption anderer Kunstgattungen – komplementär zusammen. Die Praxis einer Art von Partizipation erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Teilhabe an anderen,85 sodass eine Diversifizierung der Veranstaltungsformen auch das Publikum traditioneller Konzertveranstaltungen zu vertiefen verspricht. Eine Klärung verdiente die Frage, ob bestimmte Vermittlungsveranstaltungen nicht einem ambitionierten Teil des Publikums die Möglichkeit zur Repräsentation geben, der sich durch Tendenzen eines Mainstreamings missachtet fühlen mag. Dagegen ist das Vorhaben, mit Education-Arbeit gänzlich neue Teilnehmergruppen durch den Aufbau kulturellen Kapitals heranzubilden, nur über lange

84 Francesca Borgonovi (2004): Performing arts attendance: an economic approach, pp. 1875 und 1884 sowie Victoria Ateca-Amestoy (2008): Determining heterogeneous behavior for theater attendance, pp. 145 und 148. 85 Ateca-Amestoy 2008: 145.

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Zeiträume zu verfolgen. Man kann die Frage stellen, ob die Ressourcen eines Konzerthauses oder Sinfonieorchesters hier sinnvoll eingesetzt sind. Die Antwort fällt von Organisation zu Organisation unterschiedlich aus. Institutionelle Theorien lassen eine Interpretation möglich erscheinen, nach der im EducationBereich strukturell ineffektiv agiert werden kann, weil vor allem Legitimationsgewinne erwirtschaftet werden. Was Education zur Inklusion anderweitig sozialisierter Bevölkerungsgruppen angeht, kommt Nobuko Kawashima (2006) zu dem Schluss, die Aufgabe sei zu langfristig, als dass eine Kulturorganisation das Problem »an der Wurzel« lösen könnte.86 Im gleichen Sinn hält der Intendant des Konzerthauses Berlin im Jahr 2012 Kinder- und Jugendprogramme für zwar »wichtig«, aus seinem Interesse an einer Steigerung der audience heraus jedoch für einen »falsche[n] Zugang. […] da reden wir in 25 Jahren dann wieder darüber«. Dagegen zeigt die Philharmonie Luxemburg, dass Zielgruppen-spezifische und aufeinander aufbauende Education-Veranstaltungen erfolgreich eine Nachfrage erzeugen, ja sogar einen Markt entwickeln können. Mit seiner »Wahrnehmungsschule« für Kinder, Jugendliche und Familien hat das Haus einen Bereich wirksamer Kulturarbeit eigenen Rechts geschaffen. Mehr als die Hälfte der in der Saison 2011/12 angebotenen musikalischen Veranstaltungen sind für Kinder, Jugendliche und Familien bestimmt, und die hausinterne Buchungsstatistik zeigt, dass diese Veranstaltungen zu den am stärksten nachgefragten gehören. Der von der Leiterin der Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker geäußerte Grundsatz, die Kulturorganisation solle nicht die Defizite ästhetischer Bildung an den Schulen auszugleichen versuchen, ließe sich angesichts des Luxemburger Erfolgs auch umkehren: In der Entwicklung des traditionellen Konzerthauses hin zu einem Zentrum musikalischer Repräsentation und – gleichberechtigt – kulturellen Lernens liegen große Chancen, die Kulturorganisationen ergreifen können, wenn sie von den jeweiligen Regierungen und Kulturverwaltungen unterstützt werden. Zweifellos verändert das die Gestalt der Institution und das Profil der benötigten Kompetenzen und Ressourcen. Der hier beleuchtete Zeitraum von sechs Jahren in der Arbeit der Konzerthäuser und Sinfonieorchester stellt einen kleinen und überdies willkürlich gewählten Ausschnitt aus einem historisch unabgeschlossenen Geschehen dar. In diesem Geschehen bewegen sich ästhetische Konzepte und institutionelle Verfasstheiten, bewegen sich Sozial- und Veranstaltungsformen, das Leben wechselnder Kunstbegriffe, in einer Art Kontinentaldrift – die Zeitdauern, in denen die eine

86 Nobuko Kawashima (2006): Audience Development and Social Inclusion in Britain, p. 65.

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Position an gesellschaftlichem Rückhalt verliert und andere an Bedeutung gewinnen, sind mitunter lang. Abschließende Urteile sind unter diesen Voraussetzungen nicht möglich und für die Zukunft lassen sich allenfalls informierte Vermutungen anstellen. Für den untersuchten Zeitraum entsteht der Eindruck, dass die Kulturorganisationen den Abstand vom Abgrund, in dem Mitglieder niedergehender Branchen zu verschwinden drohen, vergrößert haben. Sie haben das so erfolgreich getan, dass man am Ende des Sechs-Jahres-Zeitraums an der Niedergangs-Prämisse zweifeln möchte. Die Konzerthäuser und Sinfonieorchester zeigen, dass sich durch Innovation auch unter unvorteilhaften Rahmenbedingungen die Wettbewerbsposition und die Voraussetzungen für ein Überleben verbessern lassen. Dabei erweist sich das institutionelle Alter als Anhaltspunkt für eine vorsichtige Beurteilung sowohl der Innovationspotenziale als auch des Gefährdungsgrads. Sowohl der Nicht-Veränderung als auch der ihr entgegengesetzten Innovation wohnt ja ein Mortalitätsrisiko für die Organisationen inne. Dass unsere Kulturorganisationen institutionell so alt sind, spricht daher manifest für ihre Lebensfähigkeit. Ihr Alter legt nahe, dass Trägheit, inertia, für sie ein Faktor ist, der zumindest bisher ihre Langlebigkeit begünstigt hat, und das spräche auch für die nächste Zukunft gegen einen Rat zu grundlegenden Veränderungen.87 »Das Gesicherte, nicht das an sich Vollkommenste hat die beste Aussicht, die Krise zu überleben«, sagt Schumpeter.88 Innerhalb des Feldes am Endkunden orientierter Unternehmungen besetzen unsere Kulturorganisationen eine Position nahe am Pol der Allmählichkeit, darin Unternehmen im Technologiebereich entgegengesetzt. Konsumdruck durch fortgesetzte Innovation der Angebote systematisch zu erzeugen, ist im Bereich der Konzertformen unseren Organisationen im Untersuchungszeitraum nicht gelungen und es steht zu vermuten, dass es ihnen auch nicht gegeben ist. Wenn etwas Konsumdruck erzeugt – das Gefühl, dabei sein zu müssen –, dann sind es die Stars. Die befragten Manager betonen aus ihrer Erfahrung heraus, wie wichtig Kontinuität für die Entwicklung ihres Angebots sei. Kern der Wertproposition des Konzertes ist und bleibt das atavistische Spektakel des Menschen, der handwerklich, mit seinem Körper, den Klang hervorbringt. Dieser Wertproposition entspricht zumindest beim traditionellen Publikum eine vormoderne Konsumhaltung, nach der dem Neuen, Fremden mit Misstrauen zu begegnen ist.89 Nicht das

87 Vgl. Singh/House/Tucker 1986: 588 und 605. Generell gelten öffentliche Organisationen, wie Walker (2007: 605) zeigt, als stabil; früheres Verhalten erweist sich meist als bestimmender Faktor für zukünftiges Verhalten. 88 Schumpeter 1987[1934]): 354. 89 Vgl. Campbell 1987: 39.

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bestandene Abenteuer des Neuen, sondern das Wiedererkennen verschafft Befriedigung. In diesem Sinn verändert, erweitert, bereichert der größte Teil der Innovationen die traditionelle Aktivität unserer Kulturorganisationen außerhalb des Kernbereichs. Strategisch gesehen, vollziehen die Organisationen einen Wandel (lediglich) erster Ordnung. Traditionelle Funktionen und Produkte sowie deren symbolische Repräsentation werden modifiziert, zugänglicher gemacht, aber nicht kreativ zerstört. Wenn disruptive Innovationen sich dadurch auszeichnen, dass sie sowohl herkömmliche Technologien ersetzen als auch neue Methoden der Marktbearbeitung notwendig machen,90 dann gibt es in den untersuchten Kulturorganisationen zwei dieser radikalen Neuerungen. Die eine ist die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker, die neue Technologien der Präsentation von Konzerten einführt und einen neuen, selbst kontrollierten Markt eröffnet, zu dessen Bearbeitung in der Organisation neue Kompetenzen benötigt werden. Auch das traditionelle Publikum muss neue Techniken erlernen, um die Angebote nutzen zu können. Die andere disruptive Innovation zeichnet sich in der Bewegung von den traditionellen frontalen Konzertformaten hin zu Education-Angeboten ab, in einer Bewegung weg von einer Kultur der Repräsentation von Werken, hin zu partizipativen und erlebnisorientierten musikalischen Sozialformen. Die Bewegung steht, wo sie sich auf Kinder und Jugendliche als Zielgruppe konzentriert, vermutlich noch am Anfang. Noch sind solche Angebote zumeist ein Phänomen am Rand. Aber so ist das häufig bei disruptiven Innovationen – ihre Durchsetzung beginnt am Rand, auch an den Rändern etablierter Nutzergruppen. Möglich ist, dass musikalische Sozialformen, die heute unter »Education« firmieren, zunehmend ein erwachsenes Publikum einbeziehen. Warum sollten etwa Publikumsorchester nur Ausnahmefälle bleiben, angeboten an Tagen der offenen Tür und in Konzerten zum Saisonstart? Warum sollen die neuartigen Geschichten aus vielfältigen Kunstformen und vielfältigen Stilmitteln nur Kindern erzählt werden? Warum soll es gemischte Ensembles zwischen Anfängern und ProfiMusikern nur für Schüler geben? Warum sollen Kompositions-Workshops nur an Hochschulen und in glücklichen Fällen für Jugendliche angeboten werden? Als disruptiv erweist sich Education, indem sie unter dem Qualitätsniveau der traditionellen Kunstspezialisten funktional neue Produkte für neue Publika schafft. Diese Produkte machen einen Teil der klassischen Kompetenzen überflüssig, in der Kulturorganisation ebenso wie auf der Seite der Teilnehmenden, und sie emanzipieren die Organisationen von ihrem traditionellen, sozial und biologisch im Schwinden begriffenen Publikum. So kann von Education- und

90 Garcia/Calantone 2002: 138.

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Vermittlungsprodukten eine fundamentale Veränderung der organisationalen und der institutionellen Verfasstheit unserer Kulturorganisationen ausgehen. Das bringt unsere Konzerthäuser und Sinfonieorchester zwar in jene Lage, für die Clayton Christensen 1997 den Begriff des »innovator’s dilemma« geprägt hat. Dieses Dilemma besteht darin, dass die Bedienung der Bedürfnisse traditioneller Kundengruppen mit traditionellen Praktiken und die Bedienung junger Kundengruppen mit jungen Praktiken nicht effizient von ein und derselben Organisation geleistet werden können. Das ist eine Frage der Kompetenzen und eine Frage der Organisationskultur. Einen Weg aus dem Dilemma weisen aber Ausgründungen neuer Geschäftsbereiche – bei den Berliner Philharmonikern stellt die Berlin Phil Media GmbH eine solche Ausgründung dar, im Fall der Philharmonie Luxemburg ist es die EME-Stiftung. Auch die Neugliederung des Hauses in Luxemburg in einzelne »Divisions« folgt Lösungsansätzen aus der Wirtschaft und stellt einen Schritt in Richtung einer ambidextrous organization dar, einer Organisation, die heterogenen Kundenkategorien, heterogenen Märkten und heterogenen Technologien gleichermaßen effektiv gerecht werden kann.91 Derzeit halten die Kulturorganisationen disparate Tendenzen im Zeichen des Pluralismus zusammen. Sie suchen die Potenziale in ihrer Vielfalt zu nutzen, sie schaffen explorative Innovationen, sie lernen durch ihre verbreiterte soziale Kommunikation, durch den Blick auf ihre Publika hinzu. Effektiv hat sie das in den letzten Jahren gestärkt. Doch am Ende ist es nicht die innovative oder die inerte Organisation, die über ihr Überleben entscheidet. Die Selektionsleistung wird von der jeweiligen Umwelt erbracht, die sich zwar nicht unbeeinflusst, letztlich aber kontingent zu den Aktivitäten und Angeboten der Organisation verändert. Niemand weiß, wie lange Konzerthäuser, Orchester, Darbietungen historischer Kunstmusik noch wahrgenommen werden, und sei es als Problem. Niemand weiß, wie lange es trägt, in neue Vermarktungs- und Vermittlungsformen, nicht aber in Kunstwerke der Zukunft zu investieren. Niemand weiß, was künftig in den Gehäusen wohnt, welcher Sinn der alten Kunst und ihren Praktiken gegeben wird. Ob das um den Fortschritt erleichterte Zukunftskonzept der Innovation auf längere Sicht hinreichende Handlungsmotive bietet, bleibt eine Frage. Nach den Vorstellungen der Populationsökologie wäre es wahrscheinlich, dass ein zukunftsweisender Wandel der Umgangsformen mit Kunst sowie künstlerischer Werke und Konzepte durch neu gegründete Organisationen in das Feld

91 Vgl. Tushman/O’Reilly (2001): »Ambidextrous organizations are needed if the success paradox is to be overcome. The ability to simultaneously pursue both incremental and discontinuous innovation and change results from hosting multiple contradictory structures, processes, and cultures within the same firm.« (p. 734)

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kultureller Produktion gebracht wird, während die alten verschwinden. Die Abschottung des Marktes durch die institutionelle Förderung von Seiten des Staats legt dagegen nahe, dass es zumindest im Bereich der Kunstmusik den etablierten Organisationen obliegt, neue Wertschöpfungsangebote, neue Realisations- und Rezeptionsformen, neuen Sinn hervorzubringen. Das zu tun, haben unsere Konzerthäuser und Orchester begonnen. Ihre Innovationen steigern die Diversität des Angebots, die Bandbreite möglicher Problemlösungen. Angesichts des Verblassens verbindlicher Leitbilder ist das der einzige Weg, zukunftsfähige Lösungen zu finden. Die Kulturorganisationen haben damit Erfolg. So lange es ihnen gelingt, mit ihren Neuerungen und ihnen zum Trotz die Säle zu füllen und die Ensembles auszulasten, so lange steht die Politik hinter ihnen. So lange ist ihr Bestehen gesichert. Das gibt ihnen immer noch Zeit.

Abstract – Zusammenfassung

State-funded and non-profit arts organisations in continental Europe are working under a series of persistent threats and constraints. The most prominent of these are an ageing and shrinking customer base, changing perceptions and changing consumption patterns of cultural goods, and a reduction in state funding. Arts organisations, whilst being committed to practices and contents dignified by history, have developed various strategies in order to help them cope with these constraints and enabling them to exploit market opportunities. These strategies have been conceptualised in terms such as audience development, outreach, education, public goods provision, diversification of funding structures, and business models. However, common perspectives that would be suitable for presenting the various elements of change as constituents of a multidimensional process have rarely been developed. This study seeks to develop a conceptual model for describing and explaining present change processes in state funded and not-for-profit arts organisations. Its basic concept is innovation. Innovation may be considered as being extraneous to arts organisations. In fact, traditionally, change in the practices and contents of arts organisations has rather been described in terms of “progress” whereas “innovation”, in the wake of Schumpeterian theory, has been considered a major factor in the development of capitalist industries. We derive the concept of innovation from economical theory in an effort to overcome the restraints of traditional arts versus business dichotomies that stand in the way of a comprehensive view of the arts organisation as both an enterprise and an institution. Innovation comprises action as well as outcomes, creativity as well as structure, intention as well as sensemaking. Using the concept of innovation allows to represent the various dimensions of practise in arts organisations that are addressing the needs of multiple stakeholders, the commercial imperatives of the leisure market, and the legitimatory requirements of highbrow art. In its first part, this study takes a theoretical approach to the subject of innovation. It tries to draw up a conceptual model of the arts organisation as both an

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enterprise and an institution, for the most part an institution of art. Since there is yet no specific theory of innovation in the arts sector ready to draw on, this study tries to derive constituents of such a theory from economic theorising. During the last couple of years, there has been a growing strand of research on innovation in the service, creative, and experience industries. These ever developing concepts are being used in an explorative way as a bridge to a theory of the practices of change and renewal in arts organisations. In its second part, the study presents three case-studies on change processes in leading European concert houses and symphony-orchestras. These are the Philharmonie Berlin and the Berlin Philharmonics, the Konzerthaus am Gendarmenmarkt and the Konzerthausorchester Berlin, as well as the Philharmonie Luxemburg with its Orchestre Philharmonique du Luxembourg. The case-studies cover a period of six years, beginning in 2006 and ending in 2012. The casestudies describe change with respect to product portfolios, organisational practice and structure, social relationships, audience, marketing practices, communication technologies and styles, income flows, business-models, all specifically with respect to processes and structures of innovative behaviour. One of the central outcomes is that the observed arts organisations define themselves increasingly as enterprising organisations, setting goals for themselves and adopting and developing innovation in order to reach these goals. Innovation does certainly not play the same role as in the technology sector, due to the lower pace of competition and of change in an industry that owes much to tradition. The observed concert organisations do not pursue formal research and development yet they begin to use structured methods to generate novelty instrumental in achieving organisational goals and in attaining market success. Audience has proved to be the top priority for our concert organisations. Broadening and deepening existing markets has been the most prominent strategy in its service. Accordingly, the greatest single group of innovations aim at increasing the market impact by developing and marketing new products, formats, and methods of participation, often by combining highbrow modes of cultural consumption with contemporary urban leisure habits or with convivial practices that used to be shunned by classical concert etiquette. Technological innovation is key only for the Berlin Philharmonics who manage to establish an internet-platform allowing them the proprietary distribution of their products to a global audience. The Philharmonics’ Digital Concert Hall is a major example of an innovative business model as well. There has been a growing expectation that new communication technologies may pave new ways for arts organisations to reach a wider public. Our evidence shows that major innovation in this field requires resources that only very few big arts organisations

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are able to draw on. Another innovative business model has been developed by the Philharmonie Luxemburg. By creating a foundation external to their state funded organisation they managed to attract private endowments allowing them to establish an entirely new product line of community oriented music events. All concert houses and symphony orchestras can be said to have developed identities and practices close to those of the service industries or, in other words, a customer oriented stance. This represents a fundamental shift away from their traditional role of custodians of artworks. Two concepts are key to ensuring customer attraction and retention. The first is experience. The second is Vermittlung. Innovation in terms of customer experience means that our arts organisations refrain from seeing concert performances as their only offerings. Instead, they adopt techniques for blending artistic performance and service performance, communication and atmosphere into a comprehensive proposition for customers wanting to attend a festive event. Vermittlung – a concept uniting mediation and education – means that concert organisations create forms of participation and social involvement that connect customers’ everyday sensemaking with the artistic performances. The main strategies for creating these links are the introduction of talk elements and the personalisation of the artistic offerings. During the six-year observation period there are strikingly few examples of innovation on the production side of art and artworks. However, if art is defined as the outcome of a social process of perception and sensemaking rather than in terms of artworks, then newly developed participative concert formats and education events do represent innovation affecting the quality of art.

Z USAMMENFASSUNG Obwohl Werten, Inhalten und Praktiken aus der Vergangenheit verpflichtet, arbeiten staatlich unterhaltene Organisationen der Kunst an einer Veränderung ihrer Arbeitsweise, ihrer Angebote, ihrer Finanzstrukturen, ihrer Diskurse. Sie versuchen die Teilnahme vorhandener Besucher zu intensivieren und bemühen sich um die Gewinnung neuer Publika. Sie handeln dabei, nach verbreiteter Wahrnehmung, aus einer Situation der Gefährdung heraus. Gefahren für die Organisationen liegen im Altern der sie tragenden Publikumsschichten, in sich wandelnden Praktiken der Wahrnehmung und des Konsums kultureller Güter und im Sparzwang der öffentlichen Hände. Die Veränderungen der Kulturorganisationen bilden den Versuch, Ressourcen wie Geld und öffentlichen Zuspruch und damit ihr Fortbestehen zu sichern.

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Über zahlreiche einzelne Aspekte von Veränderungen und Entwicklungen in staatlich unterhaltenen Kulturorganisationen ist aus Sicht verschiedener Disziplinen geforscht und geschrieben worden, unter den Stichworten etwa der Kulturvermittlung, des Audience Development, der Produktion öffentlicher Güter, der Markenentwicklung. Techniken der Unternehmensführung aus der Privatwirtschaft werden im Zusammenhang von Kulturmanagementlehren zur Problemlösung für den Bereich der Kultur adaptiert. Diese Arbeit versucht, die einzelnen Veränderungen in einer umfassenden Perspektive zu beschreiben, als Kulturwandel innerhalb der Organisationen der Kunst. In dieser Perspektive erscheint die Geschichtlichkeit der Inhalte und Praktiken als Problem und als Ressource zugleich. Die Wandlungsprozesse sollen zugleich als intentional und als durch institutionelle Erwartungen bestimmt zu erklären sein, zugleich als Anpassung an veränderte Nachfragebedingungen und als Angebote innerhalb einer Ökonomie öffentlicher Sinnproduktion. Dazu zieht diese Arbeit das Konzept der Innovation heran. In der Tradition Schumpeters zur Erklärung privatwirtschaftlicher Wachstumsdynamiken verwendet, steht »Innovation« ursprünglich quer zu Vorstellungen vom Fortschritt, wie sie die Reflektion über Wandlungsprozesse im Feld künstlerischer Produktion lange geprägt haben. Für den Zweck dieser Studie scheint das Konzept der Innovation geeignet, weil es sowohl die Dimension des Handelns als auch die der Produkte umfasst, Kreativität ebenso wie Struktur, Instrumentalität ebenso wie die gesellschaftliche Wertediskussion. Es verspricht eine gemeinsame Perspektive für die Handlungsdimensionen einer Kulturorganisation, die versucht, ihren Erfolg und ihr Überleben angesichts der Bedürfnisse vielfältiger Interessengruppen, der wirtschaftlichen Imperative des Freizeitmarkts und der legitimatorischen Anforderungen klassischer Kunst zu sichern. Die Studie besteht aus einem theoretischen Teil und einer Reihe von Fallstudien. Zunächst unternimmt sie den Versuch, ein Konzept der Kulturorganisation als Unternehmung und Institution herauszubilden. Die so verstandene Kulturorganisation – jenseits der traditionellen Dichotomien von Kunst und Geld, von Kultur und Kommerz – bildet das Subjekt von Innovation. Da ein Begriff der Innovation für Kulturorganisationen bisher nicht entwickelt wurde, wird hier der Versuch unternommen, ausgehend von bestehenden Konzepten aus den Wirtschaftswissenschaften, besonders aus jüngeren Forschungen im Bereich der Dienstleistungen, der Kulturwirtschaft und der Erlebniswirtschaft, Anhaltspunkte für eine Theorie der Innovation in Kulturorganisationen zu gewinnen. Anschauung gewinnt diese Unternehmung aus drei Fallstudien europäischer Konzerthäuser und der ihnen zugehörigen Sinfonieorchester: Der Berliner Philharmonie und den Berliner Philharmonikern, dem Konzerthaus am Gendarmen-

A BSTRACT – Z USAMMENFASSUNG |

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markt und dem Konzerthausorchester Berlin sowie der Philharmonie Luxemburg und dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Der Beobachtungszeitraum erstreckt sich über sechs Jahre, vom Beginn der Spielzeit 2006/07 bis Ende 2012. Daten wurden aus teilstrukturierten Tiefeninterviews mit den führenden Managern zu Beginn und gegen Ende des Untersuchungszeitraums gewonnen, aus Selbstbeschreibungen der Häuser, aus Statistiken der staatlichen Kulturverwaltung und der Kulturorganisationen, aus Veröffentlichungen in den Medien und in der Forschung sowie aus eigener Beobachtung. Die Fallstudien beschreiben Veränderungen des Produktportfolios, organisationaler Praktiken, von Organisationsstrukturen, Beziehungen zu gesellschaftlichen Gruppen, Kommunikationstechniken, Geschäftsmodellen, Zuschauerströmen, von Veränderungen der Wirtschaftsdaten und der Finanzstrukturen sowie von Prozessen und Strukturen innovatorischen Verhaltens. Dabei zeigt sich, dass sich die Kulturorganisationen im Beobachtungszeitraum zunehmend als wirtschaftende Organisationen verstehen, die Ziele für sich definieren und deren Erreichung durch Innovation zu befördern suchen. Als zentrales Ziel erscheint die Steigerung der audience, hauptsächlich durch eine Vertiefung und eine Verbreiterung, in zweiter Linie durch eine Diversifizierung des Publikums. Entsprechend bezieht sich die größte Gruppe der Innovationen auf die Handlungsdimension des Marktes, auf neue Produkte, Formate, Kommunikationsformen. Technologische Innovation spielt vor allem bei den Berliner Philharmonikern eine Rolle. Die Philharmoniker etablieren mit der Digital Concert Hall ein neues Geschäftsmodell proprietärer Distribution und erreichen eine strukturelle Erweiterung der audience im weltweiten Maßstab. Von allen Organisationen lässt sich sagen, sie hätten sich im Untersuchungszeitraum stärker zu Dienstleistern entwickelt. Dabei wird die traditionelle Orientierung am Kunstwerk durch eine Orientierung am Kunden abgelöst. Zwei Konzepte stehen hier im Mittelpunkt. Im Konzept des Erlebnisses werden die kulturellen Darbietungen, die Service-Leistungen, die Kommunikation und die Atmosphäre eines Konzertabends zu einer einzigen Wertproposition zusammengefasst. Unter dem Konzept der Vermittlung übernimmt die Kulturorganisation eine Rolle als Stifterin von Beziehungen zwischen dem Publikum und den künstlerischen Darbietungen und zwischen dem Publikum und den Ausführenden. Auf der Entstehungsseite einer werkhaft verstandenen Kunst spielt Innovation im Untersuchungszeitraum kaum eine Rolle. Viel spricht aber dafür, dass sich der Kunstbegriff in der Praxis der Kulturorganisationen ändert. So lassen sich die Neuerungen vieler Sozial-, Veranstaltungs- und Wahrnehmungsformen als Innovation einer Kunst verstehen, die nun vor allem aus ihrer Rezeption heraus bestimmt wird. Im Sinn rekombinativer Innovation verbinden die Kultur-

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organisationen klassische Veranstaltungsformen mit historisch heterodoxen Praktiken und zeitgenössischen urbanen Geselligkeitsformen zu neuen Produkten. Insgesamt entsteht im Beobachtungszeitraum der Eindruck einer Pluralisierung und Hybridisierung der Angebote. In der Bewegung von den traditionellen Konzertformaten hin zu EducationAngeboten, von einer Kultur der Repräsentation von Werken hin zu Sozialformen einer partizipativen und erlebnisorientierten Pädagogik entsteht die vielleicht einzig disruptive Innovation unserer Konzerthäuser und Sinfonieorchester. Diese Produkte emanzipieren die Organisationen von ihrem traditionellen, sozial und demographisch im Schwinden begriffenen Publikum. Sie machen aber auch einen Teil der klassischen Kompetenzen und der etablierten Räumlichkeiten überflüssig und machen damit strukturell klassische Formen und Geschäftsmodelle obsolet.

D ANKSAGUNG

Diese Studie ist aus einer viele Jahre zurückreichenden Auseinandersetzung mit Fragen nach der Rolle der Kunst in unserer Gesellschaft entstanden, aus Fragen nach der Arbeit und den Inhalten unserer Kulturorganisationen, nach Wandlungsprozessen innerhalb der öffentlich ausgeübten und repräsentierten Kultur, nach ihrer Zukunft. Sie wäre nicht zu denken ohne das Gespräch und die Anregung von Freunden und Kollegen. Viele Überlegungen verdanken sich der Diskussion in der Kulturredaktion der Berliner Zeitung in den Jahren nach dem Relaunch 1996. Sie verdanken sich Kollegen wie Jens Jessen, Prof. Dr. Michael Mönninger, Dr. Volker Müller, Dr. Gustav Seibt, Dr. Stephan Speicher, Birgit Walter, und besonders der gemeinsamen Arbeit mit den Autoren der von mir verantworteten Musikredaktion, Dr. Jan Brachmann, Dr. habil. Wolfgang Fuhrmann, Peter Uehling, Prof. Dr. Jürg Stenzl, sowie in jenen Jahren der Diskussion mit Dr. Gerard Mortier. Anschauung der sozialen Dimension unseres Kulturlebens erhielten die Überlegungen aus der Arbeit mit Kulturmanagern und Förderern beim Aufbau des Modernisierungs- und Professionalisierungsprojekts „Musikland Niedersachsen“ von 2008 bis 2011. Stellvertretend seien Dr. Dominik von König und Joachim Werren genannt, Generalsekretäre der Stiftung Niedersachsen, denen ich Einsicht in die Mechanik des politischen und des ministerialen Betriebs verdanke. Möglich wurde diese Studie durch die oft großzügige Gesprächsbereitschaft der leitenden Manager der Philharmonie Luxemburg, des Konzerthauses Berlin, der Berliner Philharmoniker, und durch die Unterstützung durch die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Berliner Philharmoniker. Für Anregungen und Hinweise im Detail danke ich Dr. Jan Brachmann, Prof. Dr. Andreas Meyer, Sylvia Nopper, Dr. Stephan Speicher, Alice Ströver sowie Clas Möller, der mit seinem unbestechlichen und sportlich anspornenden Korrekturlesen zu meinem Versuch einer Qualitätssicherung den entscheidenden Beitrag geleistet hat. Prof. Eric Wood von der Graduate School of Business der University of Cape Town danke ich für die Orientierung, die er meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema zu ihrem Beginn im Jahr 2006 gegeben hat. Ganz besonders danke ich dem Erstreferenten und wissenschaftlichen Betreuer dieser Studie, Prof. Dr. Raimund Vogels, für die Aufmerksamkeit, Anregung, Kritik und für die Aufmunterung, die er meiner Arbeit hat angedeihen lassen. KGK, Groß Munzel, Dezember 2013

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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.) NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung 2013, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2381-9

Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen 2012, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9

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Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina HabsburgLothringen (Hg.) Die Praxis der Ausstellung Über museale Konzepte auf Zeit und auf Dauer 2012, 258 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1862-4

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Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage) 2012, 384 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6

Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Theorie und Praxis der dialogischen Besucherführung 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7

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