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German Pages 234 [233] Year 2014
Oliver Ibert, Felix C. Müller, Axel Stein Produktive Differenzen
Oliver Ibert (Prof. Dr. rer. pol.) leitet die Forschungsabteilung »Dynamiken von Wirtschaftsräumen« am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) Erkner und lehrt Wirtschaftsgeographie an der Freien Universität Berlin. Felix C. Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsabteilung »Dynamiken von Wirtschaftsräumen« am IRS Erkner. Axel Stein (Dr.-Ing.) arbeitet als Strategie- und Managementberater für öffentliche Dienstleistungen bei der KCW GmbH in Berlin.
Oliver Ibert, Felix C. Müller, Axel Stein
Produktive Differenzen Eine dynamische Netzwerkanalyse von Innovationsprozessen
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) Erkner
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Inhalt
Vorwort ................................................................................ 7 1
Einleitung ..................................................................... 9
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Nähe und Distanz in Beziehungsräumen der Wissensgenerierung: Konzeptionelle Grundlagen ...... 17
2.1 Von Wissen (und Nicht-Wissen)................................................. 20 2.2 Beziehungen in der Wissenskollaboration: Ideenzentrierte, dynamische Wissensnetzwerkanalyse ............... 29 2.3 Nähe und Distanz als Grundkategorien der Analyse ................... 34 2.4 „Relationale Distanz“ als Schlüsselbegriff.................................. 46 3
Innovationsbiographien als Instrument zur Erhebung raum-zeitlicher Daten ........................... 51
3.1 „Follow the idea“ – Innovationsbiographien............................... 52 3.2 Zur Auswahl der Beispielbranchen: Rechtsberatung und Biotechnologie............................................ 55 3.3 Zur Auswahl der Fallstudien ....................................................... 61 3.4 Datenerhebung und -auswertung................................................. 71 4
Aus Gegebenheiten werden Gelegenheiten – Ein Phasenmodell der Innovationsgenerierung .......... 77
4.1 Merkmale des Phasenmodells ..................................................... 77 4.2 Phasen und Brüche ...................................................................... 82 4.3 Fazit ............................................................................................ 95 5
Assoziationen über Distanz – Phasendifferenzierte Beziehungskonstellationen ..... 101
5.1 Inkubation: Immersion (Eintauchen) und Komplizenschaft ................................................................ 102 5.2 Validierung: Mentorat, Rivalität und „Hanging Out“ .............. 116 5.3 Mobilisierung: Pioniernutzerbeziehung, Aufbaupartnerschaft und graue Eminenz .................................. 133
5.4 Konkretisierung: Nutzerbeziehung, Shareholderbeziehung, Konkurrenz und Routinisierung .......... 152 5.5 Analyserahmen für die relationale Dynamik von Innovationsprozessen.......................................................... 180 6
Raum-Zeitlichkeit von Innovation und politische Implikationen ..................................... 189
6.1 Die Produktivität von kultureller Differenz: Lernen als Distanzüberwindung und Distanzierung .................. 191 6.2 Zur Raum-Zeitlichkeit von Innovationsprozessen ..................... 196 6.3 Implikationen für die Regional- und Innovationspolitik ........... 203 7
Literatur .................................................................... 213
Abbildungen
Abbildung 1: Formen von Nicht-Wissen .............................................. 29 Abbildung 2: Nähe und Distanz ........................................................... 36 Abbildung 3: Schematische Darstellung des Leitfadens....................... 73 Abbildung 4: Phasenmodell der Innovation ......................................... 98 Abbildung 5: Analyserahmen für relationale Dynamiken in Innovationsprozessen ................................................................. 183 Tabellen
Tabelle 1: Überblick über ausgewählte Fallstudien aus der Rechts beratung ................................................................. 69 Tabelle 2: Überblick über ausgewählte Fallstudien aus der Biotechnologie .................................................................... 70
V ORWORT
In diesem Band werden Leserinnen und Leser zu einer Reise eingeladen, die sie zunächst durch Raum und Zeit zu den Ursprüngen von neuen Ideen führt und von dort aus zu heute ökonomisch genutzten, innovativen Geschäftsmodellen. Die Reiseroute, von der auf den folgenden Seiten berichtet werden wird, verbindet viele Orte miteinander – einige näher aber viele auch ferner gelegen, einige auf Dauer eingerichtet, andere nur provisorisch für eng definierte Zwecke errichtet, einige alltäglich, wie Büroräume oder Konferenzhotels, und andere hochgradig spezifisch, wie Labore oder Baustellen großer Infrastrukturprojekte. Die der dynamischen Entwicklung von Ideen zu Innovationen zugrunde liegende Geographie zu ergründen und in ihrer inneren Logik zu verstehen, bildet das Haupterkenntnisinteresse dieses Buches. Dieses Erkenntnisinteresse hat unsere Forschungsstrategie bestimmt. Haben wir zunächst nach innovativen Ideen in unserem unmittelbaren Umfeld gesucht, in der Region Berlin-Brandenburg, in der unser Arbeitgeber, das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner seinen Standort hat, so hat uns die Suche nach den Quellen und weiteren Durchgangstationen der ausgewählten Innovationen an mannigfaltige Orte in Deutschland, Europa und der Welt geführt. Im weiteren Verlauf der Entwicklung dieses Bandes haben wir Reisen unternommen, um Forschungsbefunde zu präsentieren. Diese führten uns nach Seattle, Dortmund, Los Angeles, Aachen, Passau, Turku, Barcelona und Lund. Wir haben wichtige Zentren unserer Disziplinen besucht, unter anderem das am nördlichsten gelegene Institut für Geographie in Oulu, Finnland, und waren auf großen Events unserer Disziplinen vertreten. Wir haben Kollegen aus verschiedenen für uns wichtigen Institutionen zu uns nach Erkner eingeladen, um mit ihnen vorläufige Ergebnisse unserer Forschung zu diskutieren. Im Rückblick ist es faszinierend, sich das im Verlauf der Zeit immer weiter verzweigte Netzwerk an Orten vorzustellen, das wir durch Reisen und medial vermittelte Interaktion aufgebaut haben, um Daten, Fakten, Informationen, Anregungen, Kritik oder Bestätigung für die im folgenden dargestellten Befunde zu sammeln. Im Rückblick lässt sich feststellen, dass die Arbeit zur Erstellung einer wissenschaftlichen Mono-
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graphie eine ähnlich dynamische Geographie entfaltet, wie eine zur Innovation reifende Idee. Wir präsentieren unsere Befunde in Form einer dynamischen, ideenzentrierten Netzwerkanalyse. Dabei interessieren uns nicht nur für Orte, deren Qualitäten und Positionen im physischen Raum, sondern auch Begegnungen, die eine Idee im Laufe ihrer Entfaltung mit verschiedenen Menschen macht. Insbesondere die „produktiven Differenzen“ zwischen diesen Menschen haben dazu beigetragen, dass sich Ideen weiterentwickelt haben. Aus Gründen der Vertraulichkeit bleiben die Befragten unserer Fallstudien anonym. Dennoch möchten wir diesen Personen, an dieser Stelle danken, dafür dass sie ihr Wissen und trotz ihrer verantwortungsvollen Positionen als Geschäftsführer, Berater, Forschungsdirektoren, Universitätsprofessoren, Clustermanager oder Entwicklungsleiter auch ihre knappe Zeit mit uns geteilt haben. Ohne ihre Offenheit wäre unsere Forschung nicht zu realisieren gewesen. Aus dem Kreis der Fachkollegen möchten wir einigen Kolleginnen und Kollegen für ihre Kommentare danken: Harald Bathelt, Anna Butzin, Lars Coenen, Pablo D’Este, Martina Fromhold-Eisebith, Johannes Glückler, Anna Growe, Johanna Hautala, Sebastian Henn, Jussi Jauhiainnen, Christian Stegbauer. Dieses Buch ist Ergebnis der institutionell geförderten Leitprojektforschung der Forschungsabteilung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“ am IRS in Erkner. Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft wird das IRS unterstützt von der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern. Unser Dank gilt den Mitgliedern des IRS-Leitprojekts „Nähe und Distanz in der Wissensökonomie: Analyse von Innovationsprozessen in ausgewählten Räumen Deutschlands“: Kai Pflanz, Suntje Schmidt, Manuela Wolke, Sabine Zillmer. Der Direktorin des IRS, Heiderose Kilper, verdanken wir zahlreiche Anregungen zur Endfassung des Manuskripts. Petra Koch, Heike Pirk und Henrika Prochnow haben die Publikation durch technische und redaktionelle Zuarbeiten unterstützt. Erkner und Berlin, im Dezember 2013
1 Einleitung
Der Wandel modernen Wirtschaftens hin zu einer wissensbasierten Ökonomie wird angetrieben durch „Reflexivität“ (Giddens 1990; Drucker 1993), also die systematische und professionalisierte Anwendung von Wissen auf das dem ökonomischen Handeln zugrunde liegende Wissen selbst. Reflexivität erlaubt es, Wissensvorsprünge zu generieren, die sich für ökonomische Monopolgewinne nutzen lassen (Stehr 2001), oder kulturelle Umwertungen vorzunehmen und damit Überraschungseffekte zu erzeugen, die sich ökonomisch verwerten lassen (Lash und Urry 1994). Das Verhältnis zwischen Bewahrung von Tradition und zweckrationaler Infragestellung etablierten Wissens hat sich damit zugunsten des Letzteren verschoben. Für ein tieferes Verständnis der Wissensökonomie ist es daher notwendig, diese grundlegende Antriebskraft des Wandels besser zu verstehen. Dieses Buch beschäftigt sich mit Innovationsprozessen in der Wissensökonomie, weil sich in ihnen das Wirken von Reflexivität, also der Vorgang, bei dem Wissen auf Wissen angewendet wird, beobachten lässt. Schumpeter hat Innovationen als „neue Kombinationen“ (1952) bezeichnet und damit die Zusammenführung einstmals getrennter Wissensbestände als wesentliche Quelle für Innovationen unterstrichen. Demfolgend kann die in Innovationsprozessen ausgeführte, reflexive Wissensarbeit als die Schaffung oder Entdeckung und anschließende Ausbeutung von Diversität konzipiert werden. Innovation entsteht, in anderen Worten, aus den Dissonanzen interferierender divergierender Logiken (Stark 2009). Scott Page (2007) konnte in einer umfassenden Untersuchung modellhaft nachweisen, dass eine Gruppe von Personen, die sich durch zufällige Diversität auszeichnet, bei der Lösung komplexer Probleme regelmäßig Gruppen übertrifft, in denen ausschließlich die für das in Frage stehende Problem die
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am besten qualifizierten Individuen versammelt („diversity outperforms ability“). Diese Überlegenheit des Diversitätsprinzips sei darin zu suchen, dass Gruppen hoher Diversität über eine größere Anzahl an unterschiedlichen Lösungsansätzen und Interpretationen verfügten. Während in Gruppen, die eine Auswahl der fähigsten Vertreter versammeln, der Nutzen der Gruppe wegen der Homogenität an verfügbaren Lösungsansätzen schwinde, sei es in diversen Gruppen möglich, dass andersartiges Denken aus Situationen hinausführe, in die sich der Problemlösungsprozess zunächst hineinmanövriert habe (Page 2007). Mit der Vorstellung von Diversität ist wiederum die Vorstellung von Raum und Räumlichkeit intensiv verknüpft. Wenn unter Diversität ein Zustand verstanden wird, in dem mindestens zwei unterschiedliche Elemente gleichzeitig existieren, dann haben wir bereits zwangsläufig – ob implizit oder explizit – die Existenz von Raum mitgedacht. Denn Raum ist eine „Ordnung der Existenzen im Beisammen, wie die Zeit eine Ordnung des Nacheinander ist“ (Leibniz 1715/1716 zit. nach Löw 2001: 27). Mit anderen Worten: Raum ist die leere Stelle, die sich zwischen unterschiedlichen Einheiten öffnet. Ohne Raum wäre das Unterschiedliche nicht unterschiedlich, sondern eins. Deswegen bezeichnet Doreen Massey (2005) die Ideen von Raum und Diversität als füreinander ko-konstitutiv. Mit diesem Nexus zwischen Raum und Diversität ist die Räumlichkeit von Wissensarbeit nicht mehr bloß ein Randaspekt, der außerhalb raumwissenschaftlicher Disziplinen kaum interessiert, sondern wird – wie im Folgenden gezeigt werden soll – zentral zum Verständnis kollaborativer Lernund Innovationsprozesse. Wir sehen darin eine Ursache, warum viele der Disziplinen, die sich mit Eigenschaften und Entstehungsbedingungen menschlichen Wissens auseinandersetzen, implizit oder explizit die große Bedeutung der Geographie thematisieren (z.B. Knorr Cetina 1981; Law 1986; Latour 1987; Shapin 1988; 1998; Livingstone 2003), ohne dass daran von vornherein ein originäres disziplinäres Interesse bestünde. Die räumliche Perspektive auf unseren Forschungsgegenstand „Innovationsprozesse in der Wissensökonomie“ bietet ein hohes Potenzial, eine Integration und einen Austausch über disziplinäre Grenzen hinweg zu organisieren (Ibert und Kujath 2011). Wir haben diese räumliche Perspektive über die Begriffe „Nähe“ und „Distanz“ konkretisiert (ausführlich: Ibert 2010; 2011). Diese Begriffe umfassen ein weites Feld an Konnotationen. Neben mehr oder weniger großen
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physischen Entfernungen umfasst das semantische Spektrum auch vielfältige weitere Bedeutungen, in denen vor allem Beziehungsqualitäten zum Ausdruck kommen, z.B. bekannt/fremd, ähnlich/unähnlich, warm/kühl, zuwendend/abweisend. Wir betrachten diese Kategorien als zentral für ein Verständnis von Raum als etwas, das nicht a priori gegeben ist, sondern sich erst aus gelebten Beziehungen heraus konstituiert. Nähe und Distanz sind in all ihrer semantischen Unbestimmtheit Kategorien mit einem hohen analytischen Potenzial, wenn es darum geht, die Beziehungen besser zu verstehen, die für die Etablierung der Räumlichkeit von Innovationsprozessen konstitutiv sind. Um das darin liegende Potenzial einzulösen, ist es allerdings auch notwendig, einige Voraussetzungen zu klären und eine Strategie zu entwickeln, wie vielschichtige Bedeutungsebenen der Analyse dienen können, und diese Begriffe über ihre bisherige Benutzung weiterzuentwickeln. Zwei zentrale konzeptionelle Beiträge dazu wollen wir in diesem Band liefern: In der gegenwärtigen geographischen und regionalökonomischen Literatur besteht weitgehend Konsens darüber, dass Nähe einen förderlichen Einfluss auf Innovationsprozesse hat. Physische Nähe, wie sie etwa zwischen benachbarten Organisationen innerhalb von Wissensclustern besteht, erlaubt den reibungslosen Austausch von implizitem Wissen, weil es in solchen Komplexen deutlich einfacher möglich ist, dass sich Akteure zu Faceto-Face-Interaktionen begegnen oder dass Begegnungen sich sogar zufällig im local buzz derartiger Agglomerationen ergeben (Bathelt und Glückler 2011). Weitergehende Reflexionen über die Wirkung physischer Nähe belegen, dass dabei häufig gar nicht die kilometrische Distanz (Boschma 2005) im Zentrum des Interesses steht, sondern lediglich ihre vermittelte Wirkung auf als wichtig erachtete Vorbedingungen für kollaborative Wissensarbeit. Nähe im physischen Raum im Sinne von Ko-Lokation kann sozial folgenreich sein, weil sie die Herstellung von Ko-Präsenz an einem Ort ermöglicht und erleichtert. Ko-Lokation bietet Bedingungen, unter denen sich individuelle Aktionsräume überlagern können und damit die Voraussetzungen für die Entwicklung von eigentlich als wichtig erachteten sozialen Faktoren, also beispielsweise der Herstellung von persönlichem Vertrauen, ähnlichen institutionellen Handlungsbedingungen, ähnlichen Realitätswahrnehmungen oder von intensiver Kollaboration, geschaffen oder gar gefördert werden (Malmberg und Maskell 2006).
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Die Erkenntnis, dass die eigentlichen Qualitäten wissensbezogener Interaktionen weniger in den physisch-räumlichen als vielmehr in den sozialen Beziehungen der Akteure zu suchen sind, hat dazu geführt, dass der Diskurs um die förderlichen Funktionen von Nähe erweitert wurde um weitere Dimensionen von – diesmal relationaler – Nähe. Dabei werden die metaphorischen Konnotationen, die das Begriffspaar Nähe und Distanz transportieren, in ihrem analytischen Potenzial ausgenutzt. Im Vordergrund stehen hier die in sozialen Beziehungen zum Tragen kommenden Differenzen zwischen den Akteuren. Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass Nähe die Qualität von Wissensarbeit verbessert (Bouncken 2011), zugleich wird aber die Möglichkeit stärker in Erwägung gezogen, dass die Nähe im physischen Raum auch durch relationale Nähe oder Ähnlichkeit in Bezug auf eine Unterscheidungsdimension substituiert werden kann (Boschma 2005). Unser erstes Anliegen besteht darin, Nähe und Distanz als gleichberechtigte analytische Kategorien zur Untersuchung von Innovationsprozessen zu etablieren. Konkret soll der bisher weit verbreitete Reflex aufgebrochen werden, wonach Beziehungen von Nähe als Beleg für die (fortbestehende) Bedeutung von Raum angesehen werden, wohingegen das Wirken von Distanzen in Beziehungen den „Tod der Geographie“ einläutet. Weiterhin geht es uns darum, nicht automatisch anzunehmen, dass Distanz für Innovationsprozesse automatisch hinderlich sein muss. Wir wollen in diesem Band systematischer, als dies bisher geschehen ist, darüber nachdenken, welche produktiven Wirkungen von distanzierten Beziehungen in Innovationsprozessen ausgehen können. Der eingangs kurz gestreifte Diskurs über die Produktivität von Diversität deutet bereits darauf hin, dass es gerade bei Innovationsprozessen, in denen es ja darum geht, etabliertes Denken zu relativieren und Gewissheiten in Frage zu stellen, entscheidend ist, statt nach den verbindenden Gemeinsamkeiten besser nach den Lernprozesse stimulierenden Unterschieden zu fragen. Weiterhin ist im Diskurs eine Tendenz zur Ausdifferenzierung des Nähekonzepts unübersehbar. Immer mehr verschiedene Dimensionen von Nähe werden thematisiert und voneinander unterschieden. So werden neben geographischer (oder synonym: räumlicher) Nähe weitere Formen nichträumlicher Nähe, etwa organisationale, institutionelle, kognitive oder soziale Nähe untersucht (Boschma 2005; Knoben und Oerlemans 2006). Diesen relativ übereinstimmend über viele Publikationen als wichtig angesehenen Formen von Nähe werden vereinzelt weitere Dimensionen hinzugefügt, et-
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wa die „psychische“, „emotionale“ (Bouncken 2011), „technologische“ (Cantner 2011) oder „funktionale“ (Trippl und Tödtling 2011) Dimension. Weiter kann konstatiert werden, dass nach Antworten auf die Frage nach der Innovativität und Innovationsfähigkeit vor allem innerhalb der einzelnen Dimensionen gesucht wird. Dabei wird das jeweils optimale Mischungsverhältnis von Nähe und Distanz gesucht (Überblick in Boschma 2005; Trippl und Tödtling 2011), z.B. in der kognitiven (Nooteboom 2001; Hautala 2011) oder in der sozialen Dimension (Uzzy 1997), und häufig auf einem ausgewogenen Niveau oder moderaten Maß an Distanz gefunden. Darüber hinaus wird die Ausdifferenzierung zum Anlass genommen, räumliche von nicht-räumlichen Formen von Nähe zu unterscheiden (Oerlemans und Knoben 2006; Moodysson und Olsson 2007), wobei die physische Dimension unabhängig von der relationalen Dimension betrachtet wird. Raum wird dann entweder recht verkürzt als rein physischer Raum angenommen oder aber als reine Metapher benutzt. Unser zweites Anliegen besteht darin, die konstatierte Mehrdimensionalität anders als bisher für die Analyse von Innovationsprozessen nutzbar zu machen. Beziehungen mit hohem Innovationspotenzial sind unseres Erachtens vielschichtiger Natur und lassen sich daher nicht durch die Analyse einzelner, isolierter Dimensionen von Nähe und Distanz, sondern erst durch das Zusammenwirken verschiedener Dimensionen angemessen verstehen. Es gibt dann nicht mehr den einen Punkt mit einem optimalen Maß an moderater Nähe oder Distanz, sondern vielfältige Konstellationen, in denen größere Distanzen entlang einer Dimension produktiv werden, indem sie durch Nähe entlang anderer Dimensionen aufeinander bezogen werden können. Innerhalb derartiger mehrdimensionaler Konstellationen kann auch physische Distanz eine Funktion übernehmen, sei es als Produzentin von Irritation und Differenz oder als vermittelnde Instanz. In jedem Fall wird es nötig, den Unterschied zwischen physischer Distanz und relationaler Distanz als analytische Trennung (Boschma 2005; Malmberg und Maskell 2006) zu bewahren, aber der Versuchung zu wiederstehen, sie vereinfachend als faktische Trennung zu denken. Unter dem Begriff der „physischen Distanz“ fassen wir dieser Logik folgend die einschränkenden und ermöglichenden Eigenschaften der natürlichen und bebauten Umwelt für soziales Handeln und Interagieren.
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Zum Aufbau der Untersuchung Wir untersuchen die Wirkungen von Mehrdimensionalität von Nähe und Distanz und die Interaktion zwischen verschiedenen Dimensionen von Nähe und Distanz in Innovationsprozessen aus einer dynamischen Prozessperspektive. Dies erfolgt anhand von Innovationsbiographien. Dieser Untersuchungsansatz ist inspiriert von der kulturanthropologischen Tradition innerhalb der Humangeographie „follow the thing“ (Cook et al. 2004; Cook und Harrison 2007), bei der für Alltagsgegenstände gefragt wird, wo sie eigentlich herkommen. Die Idee ist es, die verschiedenen Lokalitäten, die bei der Herstellung und dem Vertrieb eines Produktes involviert sind, zu identifizieren und in Beziehung zu setzen. Analog dazu verfolgen Innovationsbiographien nicht Produktions-, sondern Entwicklungsprozesse zurück (Butzin und Widmaier 2008, 2012; Butzin 2009; Butzin, Rehfeld und Widmaier 2012; Strambach und Dieterich 2011; Strambach 2012). Ausgangspunkt sind identifizierbare qualitativ neue Güter oder Dienstleistungen und von dort aus wird dann zurückverfolgt, woher die darin eingearbeiteten Ideen kommen: Aus „follow the thing“ wird „follow the idea“. Es handelt sich dabei also um eine ex-post-Betrachtung erfolgreicher Innovationsprozesse, bei der die Ideen in Raum und Zeit zu ihren Ursprüngen zurückverfolgt werden. Anders als bei „follow the thing“ ist die verwendete „tracking strategy” (Marcus 1995) aber auf Ideen und nicht auf Objekte fokussiert. Da die „Wissensökonomie“ in sich funktional ausdifferenziert ist (Zillmer 2010), ist es sinnvoll, Innovationsprozesse durch einen vergleichenden Ansatz zu analysieren. Um begründet Fallbeispiele für die Erfassung von Innovationsbiographien und Kollaborationsnetzwerken auswählen zu können, haben wir uns zunächst an einer Typologie von Funktionssystemen der Wissensökonomie orientiert (Kujath und Zillmer 2010). Wir haben dann zwei Wissensdomänen ausgewählt, Rechtsberatung und Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen am Beispiel der Biotechnologie, die uns ertragreich für einen Kontrast erschienen, da sie unterschiedliche Funktionssysteme der Wissensökonomie exemplifizieren. Dabei steht die Rechtsberatung für eine transaktionsorientierte Dienstleistung, wohingegen die Biotechnologie für eine transformationsorientierte Dienstleistung steht. Der Fokus auf Dienstleistungen erfolgte auch deshalb, weil die bisherige Innovationsforschung stark auf Produktentwicklung abzielte, wohinge-
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gen Innovationsprozesse bei Dienstleistungen weitaus seltener untersucht worden sind. Die Auswahl dieser Branchen macht auch deshalb Sinn, weil damit zwei klassische Quellen für Innovationen einbezogen werden können, zum einen die wissenschaftliche Grundlagenforschung (z.B. Pavitt 2005), zum anderen die intensive Interaktion in Business-to-BusinessBeziehungen (z.B. Lundvall 1988). Eine Ausdehnung des Vergleichs auf weitere potenziell interessante Fälle wurde erwogen, aber letztlich verworfen, weil dies nur auf Kosten der Analysetiefe erreichbar gewesen wäre. Es war zunächst einmal das Ziel, über den Vergleich Sensibilität für die interne Differenzierung der Wissensökonomie zu bewahren und Anregungen zu erhalten, welche Konsequenzen diese Differenzierungen für Dynamiken und Konstellationen von Nähe- und Distanzbeziehungen in Innovationsprozessen haben. Angesichts des explorativen Charakters der Untersuchung erschien uns eine thematische Ausweitung der Empirie auf weitere Wissensdomänen zunächst wenig ratsam. Wenn Nähe und Distanz als gleichberechtigte Kategorien betrachtet werden sollen, dann verbietet sich ein Vorgehen über die Betrachtung von Untersuchungsregionen. Wir interessieren uns ja gerade für die Mobilität und die Distanzen überspannenden Interaktionen in Innovationsbiographien und Kollaborationsnetzwerken, so dass das übliche Vorgehen raumwissenschaftlicher Innovationsforschung über regionale Fallstudien unseren Untersuchungsgegenstand an entscheidender Stelle abschneiden würde. Gleichzeitig haben wir aus Gründen der Vergleichbarkeit unserer analysierten Fälle ein räumlich vollkommen offenes Vorgehen verworfen. Unsere Strategie sah vielmehr vor, über eine gemeinsame räumliche Zentrierung Vergleichbarkeit herzustellen, darüber hinaus aber die uns interessierenden Innovationsprozesse und Netzwerkstrukturen über jedwede überbrückte Distanz nachzuverfolgen. Daher haben wir Berlin als gemeinsamen Referenzraum für unsere Innovationsbiographien gewählt. Wir haben im Raum Berlin nach aktuell von Unternehmen genutzten Innovationen gefahndet und sind diesen dann durch Raum und Zeit zu ihrem Ursprung gefolgt. In keiner unserer Innovationsbiographien konnte sich die Untersuchung auf die Region Berlin beschränken. Folgende fünf übergeordnete Forschungsfragen haben die empirische Untersuchung geleitet: 1. Gibt es über die beobachteten Fälle hinweg eine typische Phasierung von Innovationsprozessen?
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2. Wie werden Beziehungen der Nähe und Distanz im Zuge von Innovationsprozessen ausgestaltet und lassen sich wiederkehrende Formen von Beziehungen identifizieren? 3. Wie interagieren verschiedene Dimensionen von Nähe und Distanz im Zuge von Innovationsprozessen und welche Wirkungen hat dies auf den Ausgang des Prozesses? 4. Wie interagieren verschiedene Beziehungsarten in bestimmten Phasen und im Verlauf von Innovationsprozessen? 5. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf Nähe- und Distanzdynamiken lassen sich zwischen ausgewählten Segmenten der Wissensökonomie feststellen? Überblick über den Inhalt des Bandes Der Band ist in sechs Kapitel untergliedert. Nach diesem Einleitungskapitel werden in Kapitel 2 begriffliche Grundlagen gelegt und ein theoretischer Rahmen für die nachfolgenden Analysen aufgespannt. Dieser Teil enthält grundlegende Gedanken zu den Begriffen „Nähe“ und „Distanz“ sowie ihrer Beziehung zueinander und etabliert die zentrale Unterscheidung zwischen physischer Nähe und Distanz und relationaler Nähe und Distanz. Im Kapitel 3 wird die Untersuchungsstrategie über Innovationsbiographien detailliert erläutert, die Fallauswahl begründet und eine beschreibende Übersicht über die ausgewählten Innovationsereignisse geliefert. Die nächsten beiden Kapitel sind den Dynamiken der Innovationsprozesse gewidmet. Hier wird zunächst in Kapitel 4 ein Phasenmodell entfaltet, das es erlaubt, die Dynamik von Innovationsprozessen in den gewählten empirischen Ausschnitten in ihrer Zeitlichkeit zu erfassen und für einen Fallvergleich zu synchronisieren. Anschließend erfolgt eine detaillierte Analyse des empirischen Materials im Hinblick auf wiederkehrende Beziehungsarten in der Art und Weise der Ausgestaltung von Nähe und Distanz und in ihrer Funktion und Interaktion in Innovationsprozessen. Der Band schließt ab mit Kapitel 6, das eine Synthese der wichtigsten Befunde zur Dynamik von Innovationsprozessen liefert, Hinweise auf die Politikrelevanz der Forschungsbefunde gibt und zukünftigen Forschungsbedarf konstatiert.
2 Nähe und Distanz in Beziehungsräumen der Wissensgenerierung: Konzeptionelle Grundlagen
Jane Goodall gelang in den 1960er Jahren so etwas wie eine kopernikanische Wende auf dem Gebiet der Verhaltensforschung. Diese Wissensdomäne wurde beherrscht von der Vorstellung, das Verhalten von Tieren sei mechanisch von deren Trieben und Instinkten determiniert. In ihrer ersten sechsmonatigen, intensiven Beobachtung wildlebender Schimpansen in Afrika konnte Jane Goodall beobachten, wie ein Schimpansen-Männchen mithilfe eines Grashalms Termiten aus einem Loch herausstocherte, um diese anschließend genüsslich zu verzehren. Die bis dahin gängige Lehrmeinung hätte die Möglichkeit, dass ein wildlebendes Tier ein Werkzeug benutzen könnte, vollkommen ausgeschlossen. Mithilfe intensivierter Beobachtungen in den folgenden Jahrzehnten wurden weitere verbreitete Annahmen über die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Mensch und Tier durch empirische Beobachtungen widerlegt. Heute wird anerkannt, dass Tiere und Menschen in Bezug auf Bewusstsein, Intelligenz, Kulturleistungen, Gefühlsleben und Individualität sich keineswegs grundlegend, sondern nur graduell unterscheiden. In einem Interview mit dem ZEITmagazin äußert sich Jane Goodall zu den Rahmenbedingungen, die sie in die Lage versetzt haben, eine so zentrale Rolle in dieser Wende im Denken einzunehmen. Sie nennt als wichtigste Einflüsse die Erziehung und Weisheit ihrer Mutter, die sie gelehrt hatte, „unerschrocken zu sein, wenn andere meine Meinung nicht teilten“ (Klein 2011), sowie ihren wichtigsten „Lehrer“, den Spaniel Rusty, der unheimlich intelligent gewesen sei. „Dank Rusty kam ich nicht auf die Idee, am Ver-
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stand und der Persönlichkeit von Tieren zu zweifeln.“ (Ebd.) Diese wichtigen Einflüsse haben Jane Goodall gleichsam vorbereitet auf die bahnbrechenden Erkenntnisse, die sie später ans Licht bringen sollte. Jane Goodall schloss eine Ausbildung als Sekretärin ab und erfüllte sich 1957 ihren persönlichen Traum, die Einladung eines Schulfreundes nach Nairobi annehmend, Afrika kennenzulernen. Sie fand eine Anstellung im Kenia National Museum, das zu jener Zeit vom Paläoanthropologen Louis Leaky geleitet wurde. Leaky ermutigte Jane Goodall dazu, Langzeitstudien mit wildlebenden Schimpansen zu beginnen. Er hatte von einem reichen Amerikaner Forschungsgelder akquiriert, aus denen sich sechs Monate Feldaufenthalt finanzieren ließen. Leaky erhoffte sich aus der Beobachtung wildlebender Schimpansen Rückschlüsse auf das Verhalten prähistorischer Humanoiden. Diese Konstellation war die Gelegenheit, die Jane Goodall mit beiden Händen ergriff: „Ich wusste: Wenn ich in einem halben Jahr keine Ergebnisse habe, ist mein Abenteuer für immer beendet.“ (Ebd.) Diese kurze Anekdote führt uns an den Ursprung eines fundamentalen Wandels im Denken und vieler sich daraus ergebender grundlegender Wandlungsprozesse. Sie legt zudem einige Strukturmerkmale offen, deren Zusammenspiel sich auch in unseren Forschungen zu Innovationsprozessen als relevant erweisen sollte: Erstens ging der zentrale Lernprozess aus einer Beziehung hervor, deren Effekte weit über die Addition der Eigenschaften der beteiligten Personen hinausreichen. Die Beziehung Leaky-Goodall sah auf der einen Seite eine hochintelligente, selbstbewusste junge Frau ohne akademische Vorbildung (und damit auch ohne akademisch gepflegte Vorurteile), die wichtige Erfahrungen mit Tieren gesammelt hatte, auf der anderen Seite einen einflussreichen Wissenschaftler mit Zugang zu Forschungsgeldern, der ein Forschungsinteresse hegte, das er nicht selbst verfolgen konnte. Erst das Zusammentreffen ermöglichte einen Lernprozess, dessen Ausgang von keinem der Beteiligten intendiert war: Leakys Forschungsinteresse lag auf dem Gebiet der Paläoanthropologie, nicht auf der Verhaltensforschung. Und Jane Goodall hatte, als sie ihre Forschungen begann, „noch gar keine Ahnung davon, wie Wissenschaftler über Tiere dachten.“ (Ebd.) Durch das im Rückblick als „glücklich“ zu bezeichnende Zusammentreffen dieser Personen nimmt die Wissensproduktion hier ein Momentum an, aus dem sich dann etwas so Unwahrscheinliches wie eine radikale Wende im Denken entwickeln konnte. Die Anekdote zeigt, dass ein Innovationsprozess sicherlich nicht denkbar ist, ohne die individuellen
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Handlungsdispositionen von Akteuren zu berücksichtigen. Dabei nehmen einige Akteure sehr zentrale Rollen ein, anderen bleiben weniger wichtige Rollen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass das Wesentliche der Dynamik nicht in individuellen Eigenschaften der Beteiligten zu suchen ist, sondern in der Interaktion im Zuge der Beziehung. Keiner der Beteiligten hatte die Intention, die Verhaltensforschung zu revolutionieren, und doch verstärkten sich die jeweils gehegten Intentionen wechselseitig, so dass genau dies möglich wurde. Zweitens zeigt die Anekdote, dass die Qualität der Beziehung sowohl durch Nähe als auch durch Distanz geprägt war und dass beides – Nähe wie Distanz – einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert hat, dass diese Beziehung ertragreiches Lernen ermöglicht hat. Wesentlich für die Beziehung Leaky-Goodall war sicherlich eine Distanz in Bezug auf kognitive Denkmuster. Auf der einen Seite steht ein fest im Wissenschaftssystem verankerter und als Paläoanthropologe disziplinär verorteter Museumsdirektor, auf der anderen Seite eine hoch begabte, aber wissenschaftlich unerfahrene junge Frau. Die fehlende akademische Ausbildung Jane Goodalls war für Leaky jedoch kein Hinderungsgrund, sie zu fördern. Im Gegenteil: „Er wollte jemanden, der sich den Tieren ohne Vorurteile nähert.“ (Ebd.) Auf der anderen Seite hat sicherlich auch eine kulturelle Nähe beide zusammengebracht. Sie waren beide britische Staatsbürger und hielten sich in einer ansonsten durch kulturell Fremde dominierten Umwelt auf. Auch Nähe im physischen Raum mag eine mit-entscheidende Rolle gespielt haben. Durch den zeitgleichen Aufenthalt in Kenia war es problemlos möglich, sich häufiger über den Weg zu laufen. Die vergleichsweise leichte Erreichbarkeit des gemeinsamen Forschungsobjekts, die wildlebenden Schimpansen, bot eine günstige Gelegenheit genau für die Lernprozesse, die sich später als entscheidend herausstellen sollten. Drittens schließlich ist die Beziehung Leaky-Goodall – so entscheidend sie im Rückblick auch sein mag – nur eine aus einer ganzen Kette von Beziehungen. In dem erwähnten Interview werden von Jane Goodall einige weitere, noch länger zurückliegende Beziehungen erwähnt (zur Mutter, zum Schulfreund, sogar zum Haustier), die im Rückblick betrachtet ihre Persönlichkeitsentwicklung auf so eine Art beeinflusst haben, dass sie für die bevorstehenden Entdeckungen bereits in gewisser Weise „vorbereitet“ war. Eine Mentoratsbeziehung wie die zwischen Leaky und Goodall – so viel kann im Vorgriff auf unsere empirischen Befunde gesagt werden – ist
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charakteristisch für die frühe Phase der Innovation. Es ist aber anzunehmen, dass sich Jane Goodall zunehmend als weltbekannte Wissenschaftlerin von ihrem ursprünglichen Mentor emanzipieren konnte – ja musste. Dafür werden neue und andersartige Beziehungen, auf deren Existenz die Anekdote kein Licht wirft, an Bedeutung gewonnen haben, um der ursprünglichen Idee zu dem Status zu verhelfen, den wir heute kennen. Die Anekdote gibt also Hinweise darauf, dass in unterschiedlichen Stadien von Innovationsprozessen unterschiedliche Arten von Beziehungen und damit auch unterschiedliche Konstellationen von Nähe und Distanz gesucht und genutzt werden. Diese Anekdote verdeutlicht exemplarisch, worum es in diesem Band geht: Um die vertiefte Analyse von Konstellationen der Nähe und Distanz in Beziehungen, die sich im Verlauf von Innovationsprozessen als produktiv erwiesen haben. Ziel dieses Kapitels ist es, die konzeptionellen Grundlagen für die folgende Analyse zu schaffen und in den aktuellen sozialwissenschaftlichen und raumwissenschaftlichen Diskurs einzuordnen. Dazu wird zunächst der zentrale Begriff des „Wissens“ beleuchtet (2.1). Zwei für unsere Untersuchungen zentrale konzeptionelle Neuerungen werden vorgestellt, erstens das Verständnis von Wissen als Bestandteil von Praktiken (2.1.1) sowie zweitens die neue Bedeutung von Nicht-Wissen im Diskurs um die Wissensökonomie (2.1.2). Danach wird näher erläutert, wie Beziehungen in diesem Band gefasst werden (2.2). In Bezug auf Beziehungen der Wissensgenerierung bieten insbesondere die Debatten um Wissensnetzwerke sowie um „communities of practice“ wertvolle Anknüpfungspunkte (2.2.1). Anschließend werden die Begriffe „structural folds“ sowie „inter-cohesion“ präsentiert, mit denen in diesem Band operiert werden wird (2.2.2). Schließlich wird das Begriffspaar „Nähe“ und „Distanz“ eingeführt und systematisch hinsichtlich des Potenzials diskutiert, Beziehungen in Wissensnetzwerken genauer zu verstehen. Dabei wird zunächst der Stand der Debatte umrissen (2.3) sowie anschließend der Begriff der relationalen Distanz als analytischer Begriff ausgeleuchtet (2.4).
2.1 V ON W ISSEN ( UND N ICHT -W ISSEN ) Die bis vor kurzem dominierende Weise, in der Wirtschaftsgeographie sowie der Regionalökonomie Wissen konzeptionell zu fassen, bestand darin,
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sich an den Diskurs in der Ökonomie anzuschließen (z.B. Huggins und Izushi 2007; Brandt 2008). Dort wird Wissen über eine Verortung in die Gütertheorie in den Rahmen des ökonomischen Diskurses integriert. Konkreter wird Wissen als ein nicht-rivales und nicht-exkludierbares ökonomisches Gut konzeptionalisiert. Nicht-rival bedeutet, dass die Benutzung des Gutes durch einen Akteur die Benutzung durch weitere Akteure nicht automatisch verhindert. Auch wenn viele Menschen dasselbe Wissen nutzen, vermindert dieses sich nicht in seinem Umfang (Cantner 2011). Nichtexkludierbar bedeutet hingegen, dass es für den Besitzer eines Gutes nicht ohne weiteres möglich ist, andere von der Nutzung auszuschließen. In dem Moment, in dem Wissen offenbart wird, ist es für den Eigentümer kaum möglich, andere daran zu hindern, dieses Wissen in ihrem Handeln zu berücksichtigen – sprich, dieses Wissen ebenfalls zu nutzen. Durch den Begriff des „Gutes“ wird Wissen behandelt, als sei es ein Objekt, das für sich, unabhängig von Personen, Kontexten und historischen Zeiten, existiert (kritisch dazu: Amin und Cohendet 2004; Ibert 2007). Güter, deren Konsum nicht-rival und nicht-exkludierbar ist, werden in der Ökonomie als öffentliche Güter bezeichnet. Da diese Gleichsetzung von Wissen mit ubiquitären Gütern wie Luft oder Wasser aber mit der Komplexität der Realität schwer vereinbar ist, werden beide Klassifizierungen im ökonomischen Diskurs insofern differenziert, als zunehmend anerkannt wird, dass die Merkmalskombination nicht-rival und nicht-exkludierbar lediglich auf bestimmte Anteile menschlichen Wissens zutrifft, auf andere wiederum nicht oder nur eingeschränkt. Durch die Unterscheidung zwischen codified knowledge und tacit knowledge wird anerkannt, dass immer nur ein Teil des menschlichen Wissens systematisiert, explizit kodifiziert und publiziert wird, wohingegen die dem Wissen zugrunde liegenden Vorannahmen implizit bleiben (Polanyi 1966). Kodifiziertes Wissen ist insofern ein öffentliches Gut, als dass die Entzifferung der Symbole das darin enthaltene Wissen nicht schmälert und folglich die rivalisierende Nutzung durch andere nicht automatisch ausschließt (Maskell und Malmberg 1999). Ebenso schwierig ist es, nach erfolgter Veröffentlichung andere von der Rezeption einmal kodifizierten Wissens auszuschließen. Durch institutionelle Schutzmaßnahmen, etwa dem Patentschutz, kann kodifiziertes Wissen aber zeitlich befristet in ein latent öffentliches Gut (Cantner 2011) transformiert werden. Das Wissen wird durch das Patent veröffentlicht, im Gegenzug erhält der Patenthalter ein zeitlich befristetes Monopol der Wis-
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sensverwertung. Die Publikation in Form eines Patents soll im Idealfall sicherstellen, dass das Wissen von dritter Seite prinzipiell genutzt werden könnte, zugleich darf diese Nutzung nicht kommerzieller Natur sein. Auch Zugangsbeschränkungen zu publiziertem Wissen grenzen einen Teil des kodifizierten Wissens von der allgemeinen Nutzung aus (Helfrich et al. 2010). Die im Akt der Kodifizierung implizit angewandten Vorannahmen, das tacit knowledge hingegen, bleiben dem Rezipienten kodifizierten Wissens verborgen (Meusburger 2009). Weiterhin wird argumentiert, diese Dimension des Wissens sei stark personengebunden. Es sei beispielsweise weitgehend unmöglich, anderen die Nutzbarkeit von tacit knowledge zu ermöglichen, allein indem es artikuliert wird (Gertler 2003) (niemand hat je das Fahrradfahren erlernt, bloß indem es ihm oder ihr erklärt wurde). Daraus kann abgeleitet werden, dass diese Dimension des Wissens als im Sinne der Gütertheorie exkludierend zu gelten habe und somit tacit knowledge vergleichbar mit einem Clubgut werde. Oft wird die analytische Unterscheidung zwischen tacit knowledge und codified knowledge vor allem in der Wirtschaftsgeographie und Ökonomie vereinfachend als eine faktische Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen des Wissens konzipiert, wobei die eine Form als ubiquitär verfügbar, die andere hingegen als beschränkt nutzbar verstanden wird (stellvertretend für viele: Maskell und Malmberg 1999). Diese Lesart ist aber zunehmender Kritik ausgesetzt. Es kommt dem Verständnis von Michael Polanyi näher, anzunehmen, dass auch kodifiziertes Wissen nicht automatisch und voraussetzungslos von jedem Akteur verstanden wird (Meusburger 2009; Fritsch 2011; Meusburger, Koch und Christmann 2011). Polanyi hat diese von ihm etablierte Unterscheidung nicht auf verschiedene Arten, sondern auf verschiedene Schichten des menschlichen Wissens bezogen (Polanyi 1966). Um symbolisch verschlüsseltes Wissen auch aufnehmen und nutzen zu können, ist es unumgänglich, die diesem Wissen zugrunde liegenden impliziten Vorannahmen zu verstehen. Darin liegt sicherlich auch ein Teil der Erklärung, warum Imitatoren Wissen nicht kostenfrei imitieren können (Cantner 2011). Vielmehr ist Imitation nur möglich, wenn zuvor in Fähigkeiten investiert worden ist, um das verschlüsselte Wissen auch verstehen und anwenden zu können. Wegen dieser konzeptionellen Begrenzungen entfernt sich die aktuelle Diskussion von Bemühungen, Wissen als ökonomisches Gut präziser zu
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fassen, hin zu einem anderen Verständnis von Wissen. So kritisiert Moldaschl (2011) die Neigung vieler Autoren, Wissen zu verdinglichen. Es dürfe aber eben nicht geradeheraus als Produktionsfaktor oder ökonomisches Gut verstanden werden, sondern als eine Größe, die nur im praktischen Einsatz – in der Arbeit – Werte schaffe. Wissen ist demnach kein Objekt, das für sich, also unabhängig von wissenden Akteuren und deren Intentionen, existiert und gleichsam nur noch im Erkenntnisprozess „entdeckt“ werden muss (Latour 1987). In Anlehnung an Pionierarbeiten der Wissenschaftssoziologie (Latour und Woolgar 1979; Knorr Cetina 1981; 1999; Latour 1987) verstehen wir Wissen dabei zunächst einmal als Fähigkeit zum sozialen Handeln (Stehr 2001). Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass Wissen sich den ökonomischen Taxonomien zur Unterscheidung ökonomischer Güter entzieht. Zunächst einmal betont die Praxisperspektive, dass Wissen ein relationaler Effekt ist (Bathelt und Glückler 2005; Ibert 2007; 2009). Es handelt sich bei der Fähigkeit zum sozialen Handeln also um eine Beziehung zwischen dem wissenden Individuum und seinem Handlungskontext, der sozialen, kulturellen, organisatorischen und auch technisch-materiellen Umwelt (Lave und Wenger 1991; Hutchins und Klausen 1996; Wenger 1998). Weiter wird deutlich, dass Wissen sozial geteilt wird (Belk 2010), also durch die wechselseitige Einbeziehung („mutual engagement“; Wenger 1998) von Praktikern in ihre jeweiligen praktischen Handlungszusammenhänge existiert und sich weiterentwickelt (Lave und Wenger 1991; Wenger 1998). Wissen, verstanden als sozial geteilte Praxis, entzieht sich einer gütertheoretischen Einordnung, und zwar sowohl in der Dimension der Rivalität als auch in der Dimension der Exkludierbarkeit. Hinsichtlich der Rivalität stellt sich bei geteiltem Wissen nicht primär die Frage, ob die Nutzung durch einen Akteur die Nutzung durch einen anderen ausschließt oder nicht. Vielmehr gehört Wissen zu jenen kollektiven Errungenschaften, die sich paradoxerweise vermehren, wenn sie mit anderen geteilt werden (ein weiteres Beispiel sind Sprachen) (Belk 2010). Hinsichtlich der Ausschließbarkeit ist geteiltes Wissen immer zugleich beides, es ist Teil von geteilten Praktiken (etwa in epistemischen Gemeinschaften) und somit grundsätzlich zugänglich, aber es grenzt gleichzeitig all jene aus, die nicht in diese Praktiken enkulturiert sind (Wenger 1998). Ein Transkript, das die Kommunikation in einem Flugzeug-Cockpit wiedergibt, kann beispielsweise von jedem gelesen werden, aber nur von Menschen, die die darin reflektierten Prakti-
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ken für eine bestimmte Zeit geteilt haben, in seiner Bedeutung erfasst werden (Hutchins und Klausen 1996). Die Darstellungen in diesem Band verfolgen deshalb nicht das Ziel, Wissen als ökonomisches Gut geradlinig in ökonomische Theorien zu überführen, sondern dienen dem besseren Verständnis des Wesens des Wissens. Deshalb schließen sie an einem Verständnis von Wissen als Teil von Praxis an, um in der raumbezogenen ökonomischen Analyse besser als bisher den Spezifika des Wissens Rechnung zu tragen. 2.1.1 Wissen als Praxis Folgende Aspekte sind für das in diesem Band zugrunde liegende Verständnis von Wissen zentral: •
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Wissen ist gebunden an Körperlichkeit: In unserem Ansatz denken wir Kognitives und Körperliches als untrennbar miteinander verknüpft (Haraway 1988; 2000; Blackler 1995; Barnes 2004). Das Gehirn wird nicht als ein Prozessor verstanden, der logische Operationen durchführt, sondern als ein „controller of embodied activity“ (Clark 1997: xii). Selbst abstrakteste Wissenschaft darf nicht als eine körperlose Aktivität gedacht werden. „Our own body is the only thing in the world we normally never experience as an object, but experience always in terms of the world to which we are attending from our body. It is by making this intelligent use of our body that we feel it to be our body“ (Polanyi 1966: 45). Wissen ist relationaler Natur, da es darauf beruht, Realität auf ein körperliches Maß zu bringen, so dass eine korporeale Auseinandersetzung möglich wird – Sterne und ferne Länder werden auf „handhabbare“ Karten gebannt, Zellen oder Nanostrukturen auf Sensorchips werden auf ein für den menschlichen Sehapparat erfahrbares Maß vergrößert und durch technische Werkzeuge „manipulierbar“ gemacht (Latour 1987). Körperlichkeit steht vor jeglicher Erkenntnis, sie ist als gemeinsame Erfahrung so unausweichlich, dass es schwer fällt, sie zu problematisieren (Haraway 1988). Wissen ist sozial und sozio-technisch verteilt („distributed cognition“): Wissen als sozial geteilte Praxis betont, dass Wissen niemals getrennt von wissenden Individuen zu denken ist. Zugleich wird aber auch deutlich, dass Individuen dieses Wissen nicht voll und ganz „besitzen“
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(Amin und Cohendet 2004), sondern die Resonanz einer Gemeinschaft von verständigen Gleichgesinnten benötigen, um es einzusetzen. Zum Beispiel entfaltet sich das Wissen eines Handwerkers, indem Handwerker sich in der Werkstatt untereinander über das sich fortentwickelnde Werkstück austauschen, während es von einem Produktionsschritt zum nächsten gereicht wird (Cook und Yanow 1993). Das Wissen über ein hochtechnisiertes Messgerät entwickelt sich analog dazu im Austausch zwischen Wissenschaftlern und Produktentwicklern, die gemeinsam Applikationsexperimente entwickeln und durchführen (Ibert 2010). Weiter sensibilisiert die Praxisperspektive auf Wissen uns für die Bedeutung von Artefakten in Wissenspraktiken (Knorr Cetina 1981; 1999; Latour 1987; 2005; Amin und Cohendet 2004; Ibert 2006; 2010; Cacciatori 2009; Faulconbridge 2010), die an praktischem Handeln partizipieren, da sie bestimmte Tätigkeiten ermöglichen, erleichtern, unterstützen, aber auch erschweren oder gänzlich verhindern (Law 1986a). Praktiken, so Wenger (1998), können Teile ihrer Routinen verdinglichen („reification“). Beispielsweise kann eine Messroutine in Form einer Checkliste verdinglicht werden, die dann alle folgenden Messroutinen anleitet (Ibert 2010). Auch sind zu einem Teil das Wissen von Flötenbauern in ihren Werkzeugen und Werkstätten (Cook und Yanow 1993) und das Wissen von Bauingenieuren und Architekten in Modellen der künftig entstehenden Gebäude (Tryggestad, Georg und Hernes 2010) verdinglicht. Wissen ist also nicht nur sozial zwischen den handelnden Akteuren, sondern darüber hinaus auch sozio-technisch verteilt. Es ist eingearbeitet in Objekte, Artefakte und Materialien, die an Wissenspraktiken beteiligt sind. Die Partizipation von Dingen an Handlungen bedeutet explizit nicht, dass diese die entsprechenden Handlungen determinieren, sehr wohl aber strukturieren (Latour 2005). Wissen ist pragmatisch: Wissen ist damit keine Ressource, die immer und überall den gleichen Wert besitzt, sondern es hängt immer von der Position im relationalen Gefüge ab, welchen Wert es jeweils einnehmen kann (Bathelt und Glückler 2005). Wissen ist dann „wahr“, wenn es hilft, sinnvoll und erfolgreich zu agieren (Stehr 2001), und wenn es in den Praktiken anderer als gegeben vorausgesetzt wird (Latour 1987). Insgesamt negiert der Praxisansatz die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis gänzlich. Selbst eine so abstrakte Wissenschaft wie theoretische Physik sei letztlich als eine Praxis zu verstehen. Obwohl theo-
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retische Konzepte und abstrakte Formeln darin einen hohen Stellenwert einnehmen und das Theoretisieren der Gegenstand der Wissensarbeit ist, unterscheiden sich die zugrunde liegenden Praktiken nicht grundlegend von anderen Praxen (Wenger 1998). Wissen ist performativ: Wissen als Teil praktischen Handelns zu betrachten legt einen besonderen Akzent auf die performative Natur von Wissen (Ibert 2007). Der Begriff „Performance“ verdeutlicht, dass im wissenden Handeln immer auch Unvorhergesehenes oder Überraschendes passieren kann.1 Damit sind selbst gut eingeübte Routinen grundsätzlich als ergebnisoffen anzusehen (Helbrecht 2011). Eine Performance eröffnet ein mehr oder weniger hohes Maß an Kontingenz und damit Spielräume für überraschendes (Hutter 2011), abweichendes und damit potenziell kreatives Verhalten (Bouncken 2011; Dirksmeier 2011). Performance vereint also zwei wichtige Aspekte von Wissensarbeit: Wiederholbarkeit, was die Basis für die Bewährung und Validierung von Wissen bildet, und Kontingenz, was Spielraum für Veränderungen und Überraschungen eröffnet.
2.1.2 Von Wissen zu Nicht-Wissen Wann immer von Wissen die Rede ist, wird gleichzeitig automatisch auch ein Nicht-Wissen unterstellt. Wissen ist gleichsam eine kleine feste Insel, umgeben von einer „sea of ignorance“ (Gross 2010: 50). Nun ist ein Kennzeichen einer Wissensgesellschaft, dass sich die gesellschaftlichen Wissensbestände beständig und mit zunehmender Geschwindigkeit erweitern (Kujath und Stein 2011). Paradoxerweise führt mehr Wissen dabei nicht zu weniger Ignoranz – im Gegenteil: Je mehr gewusst wird, desto größer wird auch die Sphäre des Nicht-Wissens. In Bezug auf das kulturell entwickelte Wissen vergrößert sich – bildlich gesprochen – die Insel des Wissens (und wird dabei für den Einzelnen unüberschaubarer) ebenso, wie die See der Ignoranz sich ausdehnt.
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Der Begriff Performance wird hier nicht benutzt im Sinne von „Performativität“. Letzteres meint theoretische Konzepte, die vorgeben, der Beobachtung von Realität zu dienen, tatsächlich aber, indem sie Realität konstruieren und bewerten, die im Modell postulierte Realität durch ihren verbreiteten Einsatz mitproduzieren (Callon und Muniesa 2005; Berndt und Boeckler 2009).
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Das Nicht-Wissen erhält eine prominentere Position in der gesellschaftstheoretischen Debatte, zum Beispiel um Risiken und ihre Umwandlung in Unsicherheit. Der Tenor dieser Debatten lag bisher auf den Problematiken des Nicht-Wissens. Ausufernde Unsicherheit und sich in unkalkulierbare Gefahren zurück verwandelnde, vermeintlich beherrschbare Risiken lassen die Zukunft bedrohlich erscheinen und erschüttern den Glauben an die Gestaltbarkeit und Steuerbarkeit von gesellschaftlichen Prozessen. Der Diskurs um Wissensökonomie bildet allerdings eine Ausnahme von dieser Regel. Hier wird zunehmend erkannt, dass Ignoranz nicht allein die Handlungsbeschränkungen der Zukunft begründet, sondern vielmehr auch die Opportunitäten für zukünftige Entwicklung. Nicht-Wissen ist kurz gesagt eine Ressource, die es zu bergen gilt, und aus der das Wachstum von morgen generiert werden kann (Strulik 2004; 2010). Für die ökonomische Verwertung ist also gar nicht so entscheidend, wie viel gewusst wird, sondern vor allem, wie groß der Wissensvorsprung vor Konkurrenten ist (Meusburger 1998) und wie in Zukunft neue Wissensasymmetrien erzeugt werden können. Eine Analyse von Innovationsprozessen kann davon profitieren, wenn nicht allein Formen des Wissens unterschieden werden, sondern auch strukturelle Unterschiede auf der Seite des Nicht-Wissens Beachtung finden. Matthias Gross hat in einer umfänglichen Literaturauswertung (2007; 2010: 49ff.) einige wichtige Unterscheidungen herausgearbeitet, die eine Orientierung bieten. Die weite See des Nicht-Wissens kann auf einer ersten Ebene unterteilt werden, in „nescience“ und „non-knowledge“. „Nescience“ steht für all jene Zusammenhänge, die vom menschlichen Geist nicht erfasst werden können, die also grundsätzlich nicht zu Wissen werden können (Gross 2010). Das Unfassbare entzieht sich dem lernenden Zugriff und kann daher auch nicht in Innovationsprozessen instrumentalisiert werden. Aus diesem Grund beschäftigt sich unsere Analyse mit diesem Phänomen nicht weiter. Ignoranz ist von „nescience“ zu unterscheiden, weil es all jenes NichtWissen benennt, das grundsätzlich erlernt werden könnte (also „fassbar“ ist), trotzdem (noch) nicht erschlossen worden ist. Die Thematisierung von Ignoranz setzt Bewusstsein über die Grenzen des Wissens voraus (Gross 2010). Innerhalb der Sphäre der „Ignoranz“ lässt sich weiter zwischen „specified ignorance“ und „unspecified ignorance“ unterscheiden (Merton
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1987)2. Diese Unterscheidung entstammt der frühen Wissenschaftssoziologie, derzufolge es zum Wesen des wissenschaftlichen Arbeitens gehört, dass der erste Schritt der Erkenntnis darin liegt, eine Erkenntnislücke zu finden und diese einzugrenzen. Unspezifizierte Ignoranz bezeichnet eine naive Form des Nicht-Wissens, bei der weder das Ausmaß des NichtWissens erahnt, noch Vermutungen über seine Natur formuliert oder Bezüge zu den Grenzen des Wissens hergestellt werden können. Die Eingrenzung der Ignoranz ist so etwas wie eine Vorstufe der Erkenntnis, weil durch den Akt der Spezifikation Beziehungen hergestellt werden. Das Wissen um die Grenzen des Wissens wird instrumentell benutzt, um Teile des NichtWissens zu benennen und einzugrenzen. Damit wird das spezifizierte Feld im Reich der Ignoranz für zukünftige Lernprozesse erreichbar, wohingegen die Sphäre des naiv Unbekannten sich dem zielgerichteten Zugriff entzieht. Innerhalb der Sphäre der „specified ignorance“ existiert noch eine weitere Form des Nicht-Wissens, die von Gross unter Bezugnahme auf Karin Knorr Cetina (1999) als „negative knowledge“ (Gross 2010: 64) bezeichnet wird. Negatives Wissen ist ebenfalls dem Feld der spezifizierten Ignoranz zuzuordnen, allerdings bleibt dieses Nicht-Wissen aus unterschiedlichen Gründen unerschlossen. Ein Grund kann darin bestehen, dass dieses Wissen als nicht wertvoll genug gilt, um erschlossen zu werden. Es wird von den beteiligten Akteuren als besser verstanden, sich nicht damit zu belasten. Ein weiterer Grund kann darin bestehen, dass dieses Wissen tabuisiert (Kerwin 1993: 181f.) wird, weil es mit bestehenden Kernglaubenssätzen nicht vereinbar scheint. Ein Beispiel zur Veranschaulichung wären die Erkenntnisse von Galileo Galilei über die Position der Planeten im Sonnensystem. Der Galileo-Effekt bezeichnet die Reaktion eines Kardinals, der sich weigerte, durch ein von Galileo dargebotenes Fernrohr zu sehen, weil er befürchten musste, dass das, was er zu sehen bekäme, ihn hätte zwingen können, als wahr zu akzeptieren, dass die Planeten um die Sonne kreisen (Tannert, Elvers und Jandring 2007 zit. in Gross 2010: 64). Schließlich könnte auch geleugnetes Wissen dem negativen Wissen zugeordnet werden. Geleugnetes Wissen umfasst Einsichten, von denen Menschen zwar ahnen, dass sie zutreffen, deren Existenz aber als so schmerzhaft und bedrohlich erlebt wird,
2
Ähnlich unterscheidet Ann Kerwin zwischen „known unknowns“ („things we know we do not know“) und „unknown unknowns“ („things we do not know we do not know“) (1993, 178ff.).
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dass es bequemer ist, dieses Wissen einfach zu leugnen (Kerwin 1993: 182). Abbildung 1: Formen von Nicht-Wissen
Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage von Gross 2010: 68
2.2 B EZIEHUNGEN IN DER W ISSENSKOLLABORATION : I DEENZENTRIERTE , DYNAMISCHE W ISSENSNETZWERKANALYSE Welche Konzepte bestehen, um Beziehungen im Prozess der Generierung von Wissen oder der Erschließung von Nicht-Wissen zu analysieren? Wie lässt sich der in diesem Band verfolgte Ansatz zu bestehenden Ansätzen positionieren? 2.2.1 Wissensnetzwerk und Community of Practice Netzwerkanalyse geht von einem „totalen Netzwerk“ aus (Glückler 2012), welches zunächst einmal die Gesamtheit aller Beziehungen umfasst. Bei der Generierung von totalen Netzwerken ist es notwendig, zuvor zu definieren, was als Beziehung gilt. Ohne dieses vorgefasste Verständnis von Beziehung ist es nicht möglich, Knoten zu identifizieren und Netzwerke einzugrenzen. Im Falle von Wissensnetzwerken werden all jene Beziehungen thematisiert, die primär oder ausschließlich dazu dienen, Lernprozesse zu stimulieren und neues Wissen zu generieren. Innerhalb des Wissensnetz-
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werks können verschiedene Ebenen analysiert werden, z.B. Teilnetzwerke oder fokale Netzwerke. Diese Definition rückt ein Wissensnetzwerk in große konzeptionelle Nähe zu einer „community of practice“, denn beide Begriffe benennen soziale Verflechtungen die durch Lernen definiert sind („Relations that constitute practice are defined by learning“; Wenger 1998: 131). Aufgrund dieser semantischen Nähe sollen im Folgenden kurz einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Netzwerk und Community herausgearbeitet (ausführlich dazu Ibert und Stein 2012) und auf der Basis die Benutzung beider Begriffe in der folgenden Analyse erläutert werden. In sehr allgemeinen Worten kann eine Community als eine informelle Gruppe beschrieben werden, deren Mitglieder eine gemeinsame Praxis teilen, sich dabei wechselseitig einbeziehen („mutual engagement“; Wenger 1998) und sich freiwillig gemeinsamen Regeln der Zusammenarbeit fügen. Communities entstehen, weil die Beteiligten immer wieder mit Situationen konfrontiert werden, in denen sie überfordert sind und sich dann wechselseitig um Rat fragen. Als meist nicht intendierten Effekt dieser gegenseitigen Unterstützung kultivieren die Beteiligten einen gemeinsamen Wissensschatz, den sie pflegen, aktualisieren und immer wieder variieren. Begriffe wie Gruppe, informeller Zusammenschluss, wechselseitige Einbeziehung deuten an, dass eine Community viele Merkmale besitzt, die auch Netzwerken zugesprochen werden. So ließe sich eine Community in Kategorien der Netzwerkterminologie (Kenis und Oerlemans 2008) beschreiben, etwa über die sie konstituierenden „nodes“ (Netzwerkakteure) und „ties“ (Beziehungen). Neben diesen Gemeinsamkeiten existieren aber auch wichtige Unterschiede, die es insgesamt rechtfertigen, beide Begriffe auf unterschiedliche Art zu verwenden: Erstens ist der Netzwerkbegriff sehr viel offener als der CommunityBegriff in Bezug auf die „nodes“. Während Netzwerke zwischen Personen oder kollektiven Akteuren bestehen können (z.B. Unternehmensnetzwerke), wird eine Community of Practice ausschließlich auf inter-personaler Ebene konzipiert (Mayntz 2010). Zweitens ist der zentrale Governance-Mechanismus in Communities das Teilen (sharing, Belk 2010). Teilen beschreibt einen Mechanismus der Verteilung knapper Güter innerhalb einer Gruppe, bei der jedes Gruppenmitglied zu einem gemeinsamen Pool nach Kräften beiträgt, ohne dabei von den anderen eine reziproke Gegenleistung zu erwarten, denn jedes Grup-
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penmitglied hat zugleich das Recht, den gemeinsamen Pool an Ressourcen nach seinen Bedürfnissen zu nutzen. Die Reziprozitätserwartung ist hingegen in vielen Netzwerkdefinitionen konstitutiv (z.B. Grabher 1993). Es scheint, als würde Netzwerken in weitaus stärkerem Maße eine strategische Dimension zugesprochen (z.B. Burt 1992; Grabher und Ibert 2006), wohingegen Communities selbstverständlich auch mit derartigen Erwägungen konfrontiert sind, aber in ihrer inneren Logik davon eher gestört als getrieben werden. Drittens umfasst das Teilen von Wissen nicht bloß die inter-personale Ebene, sondern zusätzlich dazu auch die Ebene der technisch-materiellen Kontexte der gemeinsamen Praxis. Teile des geteilten Wissens sind eingeschrieben in Artefakte, Werkzeuge und Arbeitsumgebungen der jeweiligen Praxis („reification“, Wenger 1998), und werden auch geteilt, wenn kein persönlicher Kontakt besteht und auch wenn nicht unmittelbar zusammengearbeitet wird (Faulconbridge 2010; Grabher und Ibert 2014). Anders als in der klassischen Netzwerkterminologie verbinden Communities nicht nur Personen miteinander, sondern binden auch materielle Elemente mit ein, so dass insgesamt eher Gebilde entstehen, die soziale und nicht-soziale Elemente zu einem Actor-Network assoziieren (Latour 2005). Diesen semantischen Unterschieden in der Terminologie wird in diesem Band Rechnung getragen. Dabei erwiesen sich die Konzepte des „structural folds“ und der „inter-cohesion“ als zielführend. 2.2.2 „Structural folds“ und „inter-cohesion“ Mit dem Begriff des „structural folds“ identifizieren Vedres und Stark (2010) Positionen in Netzwerken, in denen innovative Rekombinationen besonders wahrscheinlich sind. Ähnlich wie der Begriff des „structural hole“ (Burt 1992) entstammt auch das „structural fold“ dem Denken der Netzwerkstrukturanalyse und bezeichnet eine Position, die ansonsten getrennte Teilnetzwerke miteinander verbindet. Ein „structural hole“ bezeichnet die Position eines Netzwerkakteurs, der als Einziger Kontakte in Teilnetzwerke pflegt. Aufgrund dieser privilegierten Position kann dieser Akteur Handlungsmöglichkeiten im Netzwerk gewinnen, über die außer ihm kein anderer verfügt. Beispielsweise kann die wechselseitige Unwissenheit der Teilnetzwerke genutzt werden, um diese für die eigenen Interessen auszunutzen – die „tertius gaudens“-Strategie. Diese wird idealtypisch vom
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Arbitrageur eingesetzt, der in einem Teilnetzwerk günstig einkauft, um im anderen Teilnetzwerk teuer zu verkaufen (Burt 1992). „Structrual holes“ eröffnen aber auch Spielräume für den „tertius iungens“, den Vermittler (Obstfeld 2005). Dieser nutzt seine Position, um die Akteure, die füreinander wertvolle Eigenschaften besitzen, aber nicht voneinander wissen, miteinander bekannt zu machen und deren fruchtbare Zusammenarbeit mit zu initiieren. Im Unterschied zum „tertius gaudens“ geht es dem „tertius iungens“ nicht primär um einen eigenen Gewinn, sondern auch um einen Gewinn für die übergeordnete Gruppe (Obstfeld 2005). In einer Studie zu Musikproduzenten von Country Music in Nashville, Tennessee, zeigen Long Lingo und O’Mahony (2010), dass beide Strategien auch von Personen kombiniert und situationsadäquat zum Einsatz gebracht werden können. „Structural folds“ hingegen bilden sich im Gegensatz dazu, wenn Teilnetzwerke nicht nur qua Brückenakteur punktuell in Kontakt kommen, sondern wenn sich diese Teilnetzwerke dauerhaft überlagern und mit ihren unterschiedlichen internen Logiken durchdringen: „Actors at the structural fold are multiple insiders, participating in dense cohesive ties that provide close familiarity with the operations of the members in their group. Because they are members of more than one cohesive group, they have familiar access to diverse resources. This combination of familiarity and diversity facilitates the work of recombining resources.“ (Vedres und Stark 2010: 1156)
Während das Konzept des structural holes ein Netzwerk wie ein neuronales Netz auffasst, das Informationen prozessiert, ist für „structural folds“ charakteristisch, dass in ihnen die jeweiligen Logiken der Teilnetzwerke interagieren, wobei sich Elemente dieser Logiken herauslösen und auf neuartige Weise mit anderen Elementen verschmelzen können. Der Begriff der InterKohäsion als multiplem Insidertum bringt dieses gut zum Ausdruck: „Deep access for generating new problems, new knowledge, new capabilities (as opposed to transferring already accepted ideas) requires considerable trust, hence familiarity. Such access can only be achieved by being an insider, an accepted member of a group. […] Yet these ties cannot be so cohesive to constitute a single group. To be able to recognize the potential for novel recombinations, entrepreneurship requires access to diverse sets of resources – access that is only possible by being a member of two or more cohesive groups.“ (Vedres und Stark 2010: 1158f.)
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Die Autoren spezifizieren den Ansatz, indem sie das „structural hole“Konzept in die Nähe der Physik rücken, d.h. die Netzwerke als „Drähte“ und Wissen als darin fließende „Elektronen“ ansehen und auf Informationsvorsprünge fokussieren. Die Idee des „structural folds“ nimmt Anleihen bei der Chemie, bei der vormals getrennte Elemente miteinander reagieren und dabei vollkommen neue Verbindungen eingehen können. Dieses Konzept verbindet also drei für die Untersuchung wichtige Elemente miteinander. Es ist erstens fokussiert auf Beziehungen zwischen Akteuren, die zweitens zentrale Figuren in Innovationsprozessen sind und dabei drittens zu kohäsiven Wissensgemeinschaften gehören, die sich mit anderen Gemeinschaften überlagern und durchdringen. 2.2.3 Innovationsnetzwerke: Ideenzentrierung und Netzwerkdynamik Um Beziehungen in Innovationsprozessen analysieren zu können, ist es weiterhin notwendig, innerhalb von totalen Netzwerken den richtigen Fokus zu finden sowie dem prozessualen Charakter von Innovationsprozessen gerecht zu werden. Mit einem ideenzentrierten Netzwerk konstruieren wir ein „fokales“ Netzwerk (Glückler 2012), selektieren also aus der Totalität aller „nodes“ und „ties“ (Kenis und Oerlemans 2008) eines Wissensnetzwerks jene Beziehungen heraus, die bei der Entwicklung und Veränderung einer ausgewählten Idee eine Bedeutung hatten. Die Ausgangsüberlegung ist dabei, dass jede Innovation auf eine zentrale neuartige Idee oder Problemdefinition zurückzuführen ist, über die das Neuartige an der Innovation in einfacher und prägnanter Weise zum Ausdruck gebracht werden kann – und diese Idee ist identifizierbar und benennbar. Üblicherweise setzen fokale Netzwerke einzelne Akteure ins Zentrum der Analyse und bilden somit ego-zentrierte Netzwerke (Glückler 2012). Ein ideenzentriertes Netzwerk ist hingegen nicht auf eine Person begrenzt, auch wenn natürlich einzelne Personen – verwiesen sei auf die Jane Goodall-Anekdote – eine Idee während ihrer gesamten Existenz begleiten können und es auch häufig tun. Insofern umfasst ein ideenzentriertes Netzwerk alle Egos, die an der Entdeckung und Weiterentwicklung der zentralen Idee beteiligt waren. Dynamische Netzwerkanalysen sind bisher nur selten durchgeführt worden, Ansätze dazu hat es in der Vergangenheit zum einen in der Netzwerkevolu-
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tion gegeben (Glückler 2007 verweist auf die Arbeiten von McPherson, Smith-Lovin und Cook 2001; Baum, Shipilov und Rowley 2003; Kilduff und Tsai 2003). Netzwerkevolution orientiert sich jedoch im Unterschied zum hier präsentierten Ansatz an der Netzwerkstrukturanalyse und untersucht die Dynamik der Netzwerkevolution durch die Erfassung der Selektion neuer Verbindungen und der Erhaltung/Auflösung bestehender Netzwerkverbindungen (Glückler 2007). Zum anderen hat sich auch die ActorNetwork-Theorie, die den Prozess des „enrollment“ (Latour 1987), also der Ausweitung und Mobilisierung von Anhängerschaften beschreibt, mit Netzwerkdynamiken beschäftigt (auch Ibert und Lelong 2010). Unsere Analyse gleicht der evolutorischen Sichtweise durch die Fokussierung auf Netzwerkdynamiken. Die Dynamik unserer Analyse ergibt sich daraus, dass wir den Prozess der Entstehung und Festigung einer innovativen Idee in seinem zeitlichen Verlauf untergliedern (vgl. auch Moodysson 2008). Dazu haben wir aus unserem empirischen Material induktiv ein Phasenmodell hergeleitet (siehe Kapitel 4), das es uns erlaubt, typische, im Sinne von über verschiedene Innovationsbiographien wiederkehrende und sich ähnelnde Beziehungen den zuvor identifizierten Phasen zuzuordnen. Sie gleicht zugleich dem ActorNetwork-Ansatz durch die primäre Fokussierung auf ausgehandelte Sinnzusammenhänge und ihre Wirkung in den Verbindungen (weniger auf die Gesamtzahl der Verbindungen).
2.3 N ÄHE UND D ISTANZ DER ANALYSE
ALS
G RUNDKATEGORIEN
Beziehungen in Wissensnetzwerken untersuchen wir im Hinblick auf die Art und Weise, wie in ihnen kulturelle Differenz ausgehandelt und für den Innovationsprozess fruchtbar gemacht worden ist. Wir untersuchen also keine Netzwerkstrukturen, da die Analyse selektiv auf jene Beziehungen beschränkt bleibt, denen für die Fortentwicklung einer Idee besondere Bedeutung zugeschrieben worden ist, wohingegen andere ausgeblendet bleiben. Der Fokus der Analyse liegt vielmehr darauf, die in der Beziehung ausgehandelten Sinnzusammenhänge und Praktiken zu erfassen (Pachucki und Breiger 2010). Das Aufeinandertreffen von kultureller Differenz in sozialen Beziehungen bezeichnen wir deshalb als „relationale Distanz“ (Ibert
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2010). Dieser Begriff ist ein Versuch, das Begriffspaar „Nähe und Distanz“ als heuristische Grundfigur heranzuziehen, um die prinzipiell unendlichen Kombinations- und Variationsmöglichkeiten innerhalb von kulturellen Sinnzusammenhängen auszuloten, die in Innovationsprozessen kombiniert und rekombiniert werden können (Pachuki und Breiger 2010: 215) oder, in anderen Worten, die verschiedenen Varianten von inter-cohesion zu analysieren. Das Begriffspaar Nähe und Distanz ist für diesen Zweck sinnvoll, da es immer dann verwendet werden kann, wenn eine irgendwie geartete Ungleichheit zwischen zwei oder mehr Entitäten besteht. Es benennt damit Konstellationen, in denen zugleich eine Beziehung und eine Differenz existieren: •
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Differenz, weil Nähe und Distanz immer ein Auseinanderfallen umschreiben. Selbst nahe Beziehungen überbrücken Distanz, denn wären zwei Elemente sich unendlich nahe, dann würde die Kategorie der Nähe keinen Sinn mehr machen. Sie nähmen dann eine identische Position ein und wären nicht mehr zwei Elemente, sondern ein Element (Massey 2005). Nähe ist also nicht Identität, sondern Unterschied, auch wenn es bloß ein relativ kleiner Unterschied ist. Beziehung, weil Nähe und Distanz nur Unterscheidungen meinen, die noch vermittelbar sind. Durch Nähe oder Distanz wird gleichsam eine gemeinsame Ebene etabliert, auf der dann unterschiedliche Positionen identifizierbar werden, die den betreffenden Unterschied ausdrücken. Lägen die fraglichen Elemente so weit auseinander, dass zwischen ihnen gar kein Zusammenhang mehr bestünde, wäre auch die Kategorie der Distanz nicht mehr angemessen. Der Simmelsche Bewohner des Sirius’ (Simmel 1908a) ist beispielsweise nicht räumlich und sozial distanziert, sondern existiert vollkommen separat in einer Welt für sich. Die Differenz ist so umfassend, dass eine Beziehung weder in physischer noch in kultureller Hinsicht mehr herstellbar wäre (vgl. auch Lem 1981). In diesem Fall ließe sich keine gemeinsame Ebene mehr bilden, auf der unterschiedliche Ausprägungen auftreten.
Diese Qualität, zugleich Beziehungen und Differenz zu benennen, prädestinieren die Begriffe „Nähe“ und „Distanz“ für eine Analyse von kultureller
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Diversität innerhalb von Beziehungen der Konnektivität (Page 2007; Stark 2009; Ibert 2010; Pachucki und Breiger 2010; Bathelt und Glückler 2011). Weiterhin ist wichtig festzuhalten, dass die Begriffe zwei Pole eines breiten Kontinuums an möglichen Beziehungen besetzen. Die Begriffe sind also keine Gegensätze, die einander ausschließen, wie es auf den ersten Blick leichthin erscheinen mag. Vielmehr betonen sie lediglich eine graduell steigerbare Intensität einer Ungleichheit. Ein hohes Maß an Nähe lässt sich zum Beispiel auch ausdrücken als ein geringes Maß an Distanz und umgekehrt. Nähe und Distanz benennen also zunächst einmal nur unterschiedliche Intensitäten, nicht aber unterschiedliche Qualitäten in der betreffenden Unterscheidung. Abbildung 2: Nähe und Distanz
Quelle: Eigene Darstellung, Entwurf Felix C. Müller, Design Henrika Prochnow
Ein weiteres wichtiges Merkmal von Nähe und Distanz ist schließlich, dass damit auch eine Gleichzeitigkeit (Massey 2005) impliziert wird. Nah oder fern sind sich Elemente, die zur selben Zeit nicht dieselbe Position einnehmen. Das bedeutet, dass die Intensität des Unterschiedes in einer Beziehung kein unveränderlicher Zustand ist. Unterstellt wird vielmehr, dass Distanzen – einen entsprechenden Aufwand vorausgesetzt – im Zeitverlauf überwunden werden können. Insofern ist mit Distanz immer auch ein Potenzial benannt, den entscheidenden Unterschied überwinden zu können, wobei Nähe mit einem hohen Potenzial, Distanz mit einem geringen Potenzial zur Überwindung eines Unterschiedes assoziiert ist. Während die Überbrückung physischer Distanz durch – physische – Mobilität bewerkstelligt werden kann, sind relationale Distanzen nur zu überwinden durch wechselseitiges Verständnis und letztlich durch die Revidierung und Relativierung kulturell vermittelter Werte bei den Beteiligten. Dies eröffnet die Möglich-
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keit, im Spannungsfeld der divergierenden Ansichten neue Positionen zu finden, die in der Ausgangssituation nicht existiert haben, sprich: zu lernen. In der wirtschaftsgeographischen Analyse sind Nähe und Distanz bisher nur sehr ungleichgewichtig benutzt worden – mit einer starken Präferenz für den Begriff der Nähe im physischen Raum. Allerdings kann in den vergangenen Jahren eine Verschiebung des Diskurses von physischer Nähe zu relationaler Distanz verzeichnet werden. Diese Verschiebung lässt sich insgesamt auf drei Ebenen nachzeichnen: • •
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von Ko-Lokation zu Ko-Präsenz (2.3.1); von „Nähe und Distanz“ als Kategorien zur Beschreibung physischräumlicher Beziehungen zu „Nähe und Distanz“ als mehrdimensionale Begriffe zur Beschreibung von Beziehungen sämtlicher Art (2.3.2); die Entdeckung von „Distanz“ als geographisches Thema (2.3.3).
2.3.1 Von Ko-Lokation zu Ko-Präsenz Die Kategorie der „Nähe“ ist ein wichtiges Element in territorialisierten Innovationsmodellen. Dazu zählen insbesondere die Konzepte der „Industrial Districts“, der „Milieux Innovateurs“, der „Regional Systems of Innovation“, der „Clusters“ sowie der „Learning Regions“ (Überblick in: Moulaert und Sekia 2003). Bei allen Unterschieden in den Untersuchungsfragen und daraus resultierenden begrifflichen Differenzen im Detail, teilen doch all diese Modelle Ideen, die die Vorzüge und Wettbewerbsvorteile von räumlichen Systemen der permanenten Ko-Lokation von Organisationen, die funktional in der Wissensarbeit zusammenhängen, in den Fokus des Interesses rücken. Räumliche Nähe zwischen Unternehmen sowie weiteren für Innovationsprozesse und Wissensproduktion wichtigen Organisationen, etwa Forschungslaboren oder Universitäten, erleichtert die innovationsbezogene Interaktion der Akteure. Insbesondere wird argumentiert, dass die von hoher inhaltlicher und sozialer Unsicherheit geprägte Kollaboration bei der Wissensproduktion auf die Vorzüge von Face-to-Face-Interaktion nur schwer verzichten könne (Storper und Venables 2004). Face-to-Face-Interaktion ermögliche es, auf mehreren Kanälen gleichzeitig zu senden und zu empfangen. Durch die sich daraus ergebende Informationsredundanz (Grabher 1994) könnten sich ausgetauschte Informationen wechselseitig komplementieren, so dass ins-
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gesamt die Ambiguität in der Kommunikation gesenkt werde. In Face-toFace-Interaktionen würden auch unbewusste Signale mittransportiert, was es den Akteuren erleichtere, auch die sozialen Ungewissheiten (zum Beispiel in Bezug auf die Motive der Interaktionspartner oder auf deren Zuverlässigkeit) in Innovationsprozessen besser einschätzen zu können. Eine weitere wichtige Argumentationslinie in territorialen Innovationsmodellen betrifft den innerhalb einer Region gemeinsam geteilten institutionellen Kontext (Storper 1995). Räumliche Nähe impliziert damit auch eine Ähnlichkeit der Akteure in Bezug auf ihre Realitätswahrnehmung sowie ihren Sprachgebrauch. Diese „gemeinsame Interaktionslogik“ (Mailliat 1998: 12) bildet eine wichtige Ressource, um sich zu gemeinsamem Handeln zu koordinieren sowie auch über unterschiedliche Wissensbestände hinweg, zu Einigungen zu kommen. Schließlich betonen beinahe alle territorialisierten Konzepte der Innovation die Bedeutung von beruflicher Mobilität auf dem regionalen Arbeitsmarkt. Die Ko-Lokation vieler konkurrenzfähiger Unternehmen mit ähnlicher Spezialisierung erleichtert die berufliche Mobilität der Akteure, ohne dass diese dafür auch physisch-räumlich mobil sein müssen (Vinodrai 2006). Der dabei nicht intendierte Transfer personengebundenen Wissens zwischen den Unternehmen macht einen guten Teil des von Unternehmen kontrollierten Wissens öffentlich, allerdings vor allem für Unternehmen in der Region. Auf diese Art verwandeln sich unternehmerische Wettbewerbsvorteile einzelner Marktakteure innerhalb territorialer Innovationssysteme schnell in regionale Standortvorteile (Angel 2000). Für die heutige Diskussion kann konstatiert werden, dass diese Zusammenhänge weiterhin breit akzeptiert sind, sich jedoch von der Idee einer permanenten Ko-Lokation ablösen. Für die praktische Wissensarbeit ist eigentlich faktische wechselseitige Erreichbarkeit der beteiligten Akteure (Asheim, Coenen und Vang 2007) entscheidender als die bloße physische Nähe in nachbarschaftlichen Konstellationen. Dieser Idee folgend wird im Diskurs zunehmend die Bedeutung von temporärer Nähe betont (Rallet und Torre 2009). Für intensive, auch zahlreiche aufeinander folgende persönliche Treffen ist letztlich keine permanente Ko-Lokation notwendig, es reicht völlig aus, wenn sich für die Akteure häufigere, zeitlich befristete Gelegenheiten bieten, in denen sie sich persönlich austauschen können. Insbesondere größere Events, wie zum Beispiel Messen (Power und Jannsson 2008; Bathelt und Schuldt 2008) oder wissenschaftliche Kongresse (Fritsch
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2011), bieten konkrete Anlässe, zu denen ansonsten im physischen Raum verstreute Akteure für ein gewisses Zeitfenster eine Konstellation der KoLokation bilden, aus der sich dann wiederum zahlreiche Gelegenheiten für geplante und ungeplante persönliche Treffen ergeben. In ihrem Gesamteffekt schaffen viele zeitlich befristete, räumlich kompakte Situationen der Ko-Lokation eine Ökologie der Interaktion, die als „global buzz“ (Schuldt und Bathelt 2009) bezeichnet worden ist und die in ihren wesentlichen Qualitäten den „local buzz“ territorialisierter Innovationszusammenhänge ähnelt. Diese temporären Cluster werden dabei als wichtige Komplemente permanenter Cluster (Trippl und Tödtling 2011 sowie Fritsch 2011) und als Konkretisierung globaler Pipelines (Maskell, Bathelt und Malmberg 2006) betrachtet. Je stärker das Kriterium „Erreichbarkeit“ ins Zentrum der Überlegung rückt, desto weniger sinnvoll scheint es, geographische, räumliche oder physische Nähe als kilometrische Distanz zu erfassen (Boschma 2005). Stattdessen rücken die Opportunitätskosten für physische Mobilität in den Blick, etwa der Preis oder der Zeitaufwand für physische Mobilität (Kramer 2005). Henckel und Herkommer sprechen gleich direkt von „zeitlicher Nähe“ (Henckel und Herkommer 2011). Die vereinfachende Annahme, die gegenseitige Erreichbarkeit verändere sich proportional zur physischen Distanz, wird dabei aufgegeben und dahingehend präzisiert, dass die zeitlichen Opportunitätskosten für die Realisierung eines Treffens und die physische Distanz nur indirekt miteinander korrelieren. Es gibt sowohl physisch nahe Orte, die schwer erreichbar sein können, als auch physisch distanzierte Räume, die regelmäßig durch Verkehrsmittel verbunden werden und dadurch faktisch gut erreichbar sind. In letzter Konsequenz etabliert sich eine begriffliche Trennung zwischen Ko-Präsenz und Ko-Lokation. Diese begriffliche Differenzierung macht zwei Konnotationen explizit, die sehr häufig im Begriff der räumlichen oder geographischen Nähe vermengt werden. Dabei beschränkt sich der Begriff der Ko-Lokation auf Konstellationen im physischen Raum, bei denen sich Elemente zur selben Zeit an unterschiedlichen, nicht weit voneinander entfernten Orten befinden. Ko-Lokation umschreibt dabei einen stabilen Zustand zwischen immobilen Elementen, d.h. meist sind die Elemente, auf die der Begriff angewendet wird, Standorte und nicht Akteure. Die Konstellation dieser Standorte im Raum wird als räumliche Nähe bezeichnet, wenn die Akteure, die diese Standorte regelmäßig frequentieren, sich
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wechselseitig ohne größeren Aufwand – geplant oder ungeplant – treffen könnten. Ko-Präsenz hingegen meint Konstellationen, bei denen sich die fraglichen Elemente zur selben Zeit am selben Ort aufhalten. Es benennt damit einen nur flüchtigen Zustand, der zwischen grundsätzlich mobilen Akteuren auftritt, das tatsächliche – vorübergehende – Treffen. KoLokation und Ko-Präsenz sind insofern aufeinander bezogen, weil sich aus einer Konstellation der Ko-Lokation Interaktionen in Ko-Präsenz ergeben können, aber natürlich keineswegs ergeben müssen. 2.3.2 Von der Betrachtung des physischen Raums zur Betrachtung räumlicher Beziehungen Die internen Logiken von Prozessen der Wissensarbeit dienen als eine weitere Ebene der Erklärung, warum Unternehmen und Organisationen sich räumlich konzentrieren (Malmberg und Maskell 2002). In diesem Diskurs dominieren Argumente, die begründen, wie und warum physische Nähe lernförderlich wirken kann (Malmberg und Maskell 2006). Die Argumente beruhen im Wesentlichen darauf, eine logische Beziehung der KoKonstitution zwischen lernintensiven Beziehungen einerseits und physischer Nähe in Konstellationen der Ko-Lokation andererseits herzustellen. Die Kernargumente lauten dabei: Physische Nähe erleichtert den Aufbau von Vertrauen, reduziert die Kosten für Face-to-Face-Interaktionen durch die Überlagerung von Aktionsräumen, erhöht wegen eines geteilten institutionellen Rahmens die Wahrscheinlichkeit für übereinstimmende Problemwahrnehmungen sowie für eine geteilte Sprache. Diese Argumente über die Wirkung physischer Nähe belegen, dass häufig gar nicht die kilometrische Distanz (Boschma 2005) im Zentrum des Interesses steht, sondern lediglich ihre vermittelnde Wirkung auf als wichtig erachtete Qualitäten sozialer Beziehungen, wie Vertrauen, geteilte Problemsicht, gemeinsame Sprache, die ihrerseits als Vorbedingungen für kollaborative Wissensarbeit gelten. Viele der kulturellen Parameter (Sprache, Problemsichten, Deutungsmuster), die Lerndynamiken beeinflussen, haben eine territoriale Komponente, und vor allem deswegen ist physische Distanz ein bedeutsamer Faktor in Lernprozessen. Die Erkenntnis, dass die eigentlichen Qualitäten wissensbezogener Interaktionen weniger in den physisch-räumlichen als vielmehr in den sozialen Beziehungen der Akteure zu suchen sind, hat jedoch in der Folge dazu geführt, dass sich der Diskurs
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um die förderlichen Funktionen von Nähe zunehmend abgelöst hat, vom physischen Raum und einer territorialen Betrachtung, und erweitert wurde um eine mehrdimensionale Betrachtung von Nähe (Boschma 2005; Knoben und Oerlemans 2006). Dabei werden die metaphorischen Konnotationen, die das Begriffspaar Nähe und Distanz transportieren, in ihrem analytischen Potenzial ausgenutzt. Im Vordergrund stehen hier die in sozialen Beziehungen zum Tragen kommenden Differenzen zwischen den Akteuren. Es wird dabei weiterhin davon ausgegangen, dass Nähe die Qualität von Wissensarbeit verbessert (Bouncken 2011). Im Verlauf dieser Diskussionen haben sich einige Dimensionen als besonders wichtig entpuppt, vor allem organisationale, institutionelle, soziale und kognitive Nähe (Blanc und Sierra 1999; Torre und Gilly 2000; Boschma 2005; Knoben und Oerlemans 2006; Asheim, Coenen und Vang 2007; Trippl und Tödtling 2011; Kujath und Stein 2011). Es ist unklar, wohin diese Diskussion um die Ausdifferenzierung von Taxonomien von Nähe führen wird. Zwar verfestigen sich einige von allen Autoren als relevant betrachteten Dimensionen, dazu zählen besonders „soziale Nähe“ (Uzzy 1997), „kognitive Nähe“ (Nooteboom 2001; Hautala 2011), „organisationale Nähe“ (Knoben und Oerlemans 2006) sowie „institutionelle Nähe“. Über diesen Kernbestand hinaus scheint es beinahe unmöglich, alle Dimensionen vollständig zu erfassen. Es kommen immer wieder Vorschläge auf, neue Dimensionen hinzuzufügen, etwa von Ricarda Bouncken, die vorschlägt, neben der bereits seit längerem etablierten Dimension der kognitiven Nähe (Nooteboom 2000; auch Fritsch 2011) auch die „emotionale“ und „psychische“ Nähe stärker zu berücksichtigen (Bouncken 2011). Weiter schlagen Trippl und Tödtling (2011) vor, den Diskurs um die Dimension „funktionaler Nähe“ zu erweitern, wohingegen Zeller (2004) und Cantner (2011) die „technologische“ Dimension ins Spiel bringen. Weitere ungeklärte Fragen im Diskurs betreffen die Abgrenzungen zwischen den Dimensionen sowie ihre Hierarchisierung (vgl. zum Beispiel die Unterschiede in der Strukturierung des Diskurses, wie sie in den Reviews von Boschma 2005 sowie Knoben und Oerlemans 2006 angeboten werden). So schlagen Trippl und Tödtling (2011) vor, aus dem ansonsten sehr breit benutzten Begriff der institutionellen Nähe das Feld der „kulturellen Nähe“ als Sonderfall institutioneller Nähe zu unterscheiden. Der in diesem Band zentral benutzte Begriff der relationalen Distanz hingegen umfasst alle Beziehungen, in denen kulturelle Differenzen wirk-
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sam werden (Ibert 2010; 2011). Kultur wird hier also in einem breiten Verständnis benutzt – als geteiltes System von Werten und Regeln (vgl. auch Schoenberger 1997), die jedoch nicht abstrakt vorhanden und homogen in der Gesellschaft verteilt, sondern kontextspezifisch präsent sind: In den materiellen und routinierten Elementen der Alltagspraxis, als Muster der Sinngebung und Bewertung sowie der damit zusammenhängenden Herstellung von Identität und sozialer Zugehörigkeit. In diesem breiten Verständnis von Kultur erscheinen Institutionen, Organisationen, wissenschaftliche Disziplinen, aber auch in typische Praktiken eingebundene (sozio-)technische Strukturen als Varianten kulturell erzeugter Unterscheidungen. Relationale Distanz als Heuristik für alle Arten kultureller Differenzierung bietet sich damit als konzeptionelles Dach an, ohne eine bestimmte Taxonomie zur gültigen zu erklären. Bathelt und Glückler benutzen den Begriff der „psychic distance“ (2011: 159f.) für einen recht ähnlichen Sachverhalt („differences in language, education, business practice, culture or industrial development“ (ebd.), allerdings bezogen auf das Thema der Internationalisierung von multi-nationalen Dienstleistungsunternehmen. Diese unterschiedlichen Akzentsetzungen hinsichtlich der inneren Hierarchie der Dimensionen machen deutlich, dass die Autoren offensichtlich theoretische Vorannahmen in den Diskurs um Nähe (und Distanz) importieren, nicht selten, ohne dies explizit zu machen. Wichtig ist festzuhalten, dass, im Unterschied zum Ausgangspunkt der Debatte, in den späteren Publikationen der kausale Zusammenhang zum physischen Raum immer mehr aufgeweicht wird. Wurde anfangs noch die These der Ko-Konstitution stark in den Vordergrund gerückt, wonach die „raumlosen“ Formen von Nähe durch physische Nähe mit bedingt seien (Malmberg und Maskell 2006), so lockert sich der kausale Zusammenhang zwischen Beziehungen im physischen Raum und Beziehungen entlang anderer Dimensionen zunehmend, bis schließlich umgekehrt die Substitutionsthese im Raum steht, wonach die Nähe im physischen Raum verzichtbar ist, wenn sie durch andere Formen von Nähe ersetzt werden kann (Boschma 2005). Der Diskurs dreht sich seither darum, verschiedene Dimensionen „raumloser“ (Knoben und Oerlemans 2006; Moodysson und Jonsson 2007; Mattes 2012) Konzepte von Nähe herauszuarbeiten und deren vermittelnde Wirkungen zu spezifizieren.
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2.3.3 Von der Fokussierung auf Nähe zur Hinwendung zur Distanz Der bisherige Diskurs um Raum und Wissen ist auf physische und relationale Nähe fixiert (Grabher und Ibert 2006). Während die Raumwissenschaften in der Wirkung von physischer Nähe Bestätigung für die fortdauernde Wirkung des Raumes finden, wird mit der gestiegenen Fähigkeit der Distanzüberwindung immer wieder auch der „Tod der Geographie“ (Morgan 2004) assoziiert und möglichweise auch die disziplinäre Existenzberechtigung der Raumwissenschaften in Frage gestellt. Es ist wichtig festzuhalten, dass explizit nicht behauptet wird, distanzierte Beziehungen seien als unwichtig zu betrachten oder weniger bedeutsam als nahe Beziehungen (Malmberg und Maskell 2006). Sehr wohl aber handelt es sich um eine konzeptionelle und auch empirische Schwerpunktsetzung, die insgesamt zu dem Eindruck beigetragen hat, Regionen seien als „islands of innovation“ (Amin und Cohendet 2004: 75) zu verstehen. Im Unterschied zu früheren Beiträgen öffnet sich der Diskurs heute zusehends für das bisher vernachlässigte Thema „Distanz“. Physisch und sozial distanzierte Beziehungen werden zunehmend auch als räumliche und damit für die Geographie relevante Beziehungen ernst genommen (Kujath und Stein 2011). Der Gesamteindruck wird dadurch zunehmend korrigiert und in jüngeren Beiträgen wird entsprechend argumentiert, dass die Bedeutung von physischer Nähe in der Vergangenheit überschätzt worden ist (Fritsch 2011). Die Aktionsräume in der aktuellen Wissensökonomie haben längst eine globale Reichweite erlangt (Ernst 2006; Helbrecht 2011), distanzierte Beziehungen können sogar Qualitäten erreichen, die in unmittelbarer Face-to-Face-Interaktion nicht erreichbar sind (Grabher und Ibert 2013). Die „Buzz und Pipelines“-Literatur eröffnete diese Debatte, indem sie darauf aufmerksam macht, dass Unternehmen in innovativen Clustern selten ausschließlich regionsinterne Vernetzungen aufweisen, sondern darüber hinaus auch strategische Kontakte mit anderen hoch wettbewerbsfähigen Organisationen in anderen Clustern unterhalten (stellvertretend für viele die Darstellung der Diskussion in Bathelt und Glückler 2011: 131ff.), wobei die Konzepte „buzz“ und „pipelines“ viele Argumente aus den zuvor genannten Diskursen aufgreifen und kombinieren. Der „local buzz“ wird als eine lebendige regionale Informationsökologie beschrieben, die funktional
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begünstigt wird durch die physische Nähe zwischen zahlreichen Organisationen, einem geteilten institutionellen Rahmen sowie einer gemeinsamen regionalen Kultur. Wichtige Informationen zirkulieren zwischen den Beteiligten, ohne dass diese es verhindern könnten oder dafür eigens Anstrengungen unternehmen müssten. Neben der räumlichen Nähe kann „local buzz“ auch durch soziale Distanz angereichert sein. Die Akteure sind gleichzeitig in verschiedene Netzwerke integriert, wobei die räumliche Nähe dazu beiträgt, dass diese Diversität in Interaktion treten kann. Komplementär dazu unterhalten Unternehmen auch noch „global pipelines“. Im Unterschied zum „local buzz“ funktionieren „global pipelines“ ohne physische Nähe. Aufgrund ihres strategischen Charakters sind sie selektiv auf bedeutsame Partner beschränkt. Ihre Entstehung und Aufrechterhaltung erfordern einige Mühen, wie die Institutionalisierung von Regeln des Austauschs und zahlreiche Dienstreisen, und bedürfen der Unterstützung neuer Informationstechnologien. In primär internetbasierten Formen der Wissenskollaboration wird die Notwendigkeit, die Kategorie der Distanz in die Analyse einzubeziehen, noch offenkundiger (Amin und Roberts 2008; Gertler 2010; Grabher, Ibert und Flohr 2008; Dahlander, Frederiksen und Rullani 2008; Hercheui 2011), die weitgehend oder sogar vollkommen ohne Face-to-Face-Interaktionen auskommen und trotzdem Formen des Wissensaustausches etablieren können (Bathelt und Turi 2011; Grabher und Ibert 2014). Typischerweise verbinden Online-Communities Akteure über große physische Distanzen hinweg und gleichzeitig ist die Beziehung auch dominiert von sozialer Distanz, da sich die Mitglieder nicht persönlich kennen. Zusammengehalten werden solche Gebilde vor allem durch die geteilte Begeisterung für den Gegenstand des Wissensaustauschs oder Betroffenheit von einer Problemstellung. Global Pipelines und Online-Communities zeigen deutlich, dass die Kategorie der Distanz eine eigenständige, gleichberechtigte analytische Bedeutung hat. Im Rahmen des bisher dominierenden Fokus‘ wurde Distanz selten direkt thematisiert, meist wurde sie implizit behandelt wie das negative Spiegelbild von Nähe. Sofern Nähe als wichtige Bedingung für erfolgreiches Lernen begriffen worden ist, wurde Distanz einfach die gegenteilige Wirkung zugeschrieben. Dementsprechend wurde Distanz als eine Barriere interpretiert, die Wissensarbeit störe und die es zu überwinden gelte. Die spezifische Konstellation von Distanz und Nähe in Online-Communities ist
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aber nicht mehr nur als defizitäre Abwandlung der zur Idealsituation stilisierten Face-to-Face-Interaktion zu verstehen, sondern eröffnet auch neue Qualitäten, z.B. die strenge, professionelle Sachorientierung (Ren, Kraut und Kiesler 2007) oder die Vorteile, nicht spontan auf Anregungen reagieren zu müssen, sondern länger über Antworten nachdenken zu können (Grabher und Ibert 2013). Durch die Hinwendung zum Thema Distanz wird nun auch explizit die Frage nach den produktiven Funktionen von distanzierten Beziehungen in Lernprozessen gestellt. So betrachten zum Beispiel Trippl und Tödtling (2011) in Anlehnung an die Arbeiten von Uzzy (1997), Nooteboom (2000) und Boschma (2005) nicht etwa die größtmögliche Nähe als lernförderlich, sondern vielmehr moderate Grade an Distanz. Aus dieser Denklogik ergeben sich Lernfunktionen in umgekehrter U-Form (Nooteboom 2000), die jeweils ein optimales Mischverhältnis von Nähe und Distanz markieren. Dabei gelten jene Unterschiede als Innovationen fördernd, die auf der einen Seite so klein sind, dass sie überbrückbar bleiben und damit Verständigung grundsätzlich erlauben, auf der anderen Seite aber auch hinreichend groß sind, um wechselseitige Neuheit zu garantieren (Nooteboom 2000; Boschma 2005; Trippl und Tödtling 2011). Anhand einer Modellierung kann Page (2007) zeigen, dass Gruppen, die durch eine zufällige Diversität an Problemlösungsfähigkeit gekennzeichnet sind, besser in der Lage sind, komplexe Aufgabenstellungen zu lösen als Teams, die durch eine bewusste Selektion der am besten zur Problemlösung Qualifizierten zusammengestellt wurden. Dieser auf den ersten Blick erstaunliche Befund kann damit erklärt werden, dass bei den am besten Qualifizierten unterstellt wird, dass sie alle den vermeintlich besten Ansatz zur Problemlösung bevorzugen würden und damit alle denselben Pfad einschlagen würden, wohingegen in diversen Teams auch neue Lösungen aus konkurrierenden Ansätzen entstehen können – dies unter der Voraussetzung, dass es um komplexe Probleme geht, denn einfache Probleme werden dagegen von den Bestqualifizierten erfolgreicher gelöst. Zudem ist Differenz nur unter der Bedingung fruchtbar, wenn durch sie die Varianz der instrumentellen Zugänge erhöht wird, nicht jedoch, wenn grundlegendere Differenzen hinsichtlich der zugrundliegenden Werte und Präferenzen vorherrschen. Wichtig ist festzuhalten, dass Distanz im Sinne von kultureller Differenz und Diversität in den Raumwissenschaften zunehmend als eine Res-
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source für Lernprozesse interpretiert wird (Ibert 2010). Während die Literatur zu Nähe vor allem das Problem der Koordinierung von Unterschieden zwischen Akteuren in Lernprozessen in den Vordergrund rückt, geht es bei der Thematisierung von Distanz darum, zu fragen, woher eigentlich das Neue kommt (Ibert 2007). Die Dissonanzen divergierender kulturell vermittelter Deutungen (Stark 2009) oder auch „cognitive frictions“ (Hautala 2011) können die entscheidenden Impulse sein, um eine neue Idee zu inspirieren. Zugleich ist auch festzuhalten, dass Distanz und Differenz nicht in jedem Fall fruchtbar wirken. Vielmehr bedarf es der Vermittlung durch Nähe, etwa indem Distanz auf einem mittleren Niveau (Boschma 2005; Trippl und Tödtling 2011) gehalten wird oder indem sie innerhalb eines Rahmens an geteilten Werten und Präferenzen auftritt (Page 2007). Für Hautala (2011) beschränkt sich der lernförderliche Zustand kognitiver Reibung auf Fälle, in denen sich die Mental Maps von Akteuren hinsichtlich der Inhalte ähneln (und damit aufeinander bezogen werden können), aber hinsichtlich der zugrunde liegenden Strukturen unterscheiden (und damit Interpretationsspielraum eröffnen).
2.4 „R ELATIONALE D ISTANZ “ S CHLÜSSELBEGRIFF
ALS
Vor dem Hintergrund dieser Diskussion sehen wir den Begriff der „relationalen Distanz“ (für eine erste Operationalisierung vgl. Ibert 2010) für die empirischen Studien in diesem Band als zentral an. Der Begriff erlaubt eine Analyse von Wissensbeziehungen, die erstens kulturelle Differenz als eine wesentliche Bedingung für die Effektivität relationaler Wissensarbeit und für das Auftreten von Lernprozessen anerkennt, zweitens die Konnektivität von Akteuren beleuchtet und drittens die Räumlichkeit der Prozesse fokussiert. Neben der Abgrenzung gegenüber dem Nähe-Bias der Raumwissenschaften wenden wir Distanz dabei als analytische Kategorie auch in einer weiteren Hinsicht innovativ an: Gegenstand der Analyse sind soziale Beziehungen, in denen neues Wissen produziert und dessen Gültigkeit ausgehandelt wird. Dabei weichen wir den in bisherigen Studien vorherrschenden Fokus auf kollaborativ-komplementäre Beziehungen auf und beziehen explizit konflikthafte und kompetitive Beziehungen mit ein. Notwendige Vorbedingung ist allein eine reflexive Bezugnahme der Teilnehmer im
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Hinblick auf die Gültigkeit und Reichweite von Wissensinhalten. Darunter kann beispielsweise die Selbstbestätigung durch Abgrenzung fallen („wir machen es nicht so wie die“) oder auch die in einer unerlaubten Kopie implizite Anerkennung einer Gültigkeit. Relationale Distanz umfasst verschiedene Ausdrucksformen für Verbindungen, in denen kulturelle Fremdheit (Simmel 1908a; Schütz 1964a; Gertler 1995; Schoenberger 1997) angelegt ist. Im Proximity-Diskurs wird spezifiziert, worin diese Ähnlichkeiten bestehen könnten: Organisationale, institutionelle, kognitive Distanzen (Boschma 2005). All diesen Ausdrucksformen ist gemeinsam, dass sie Beziehungen thematisieren, die sich durch unterschiedliche Positionierungen in kulturellen Systemen ergeben. Diese Lesart bricht allerdings mit der Idee, dass Nähe und Distanz entlang dieses Kontinuums graduell gegeneinander verschoben werden können. Vielmehr können entlang des Kontinuums durchaus auch qualitative Sprünge auftreten. Beispielsweise gehören zwei Akteure entweder zur selben Organisation oder eben nicht; entweder gilt eine Regel für zwei Akteure oder eben nicht. Pachucki und Breiger (2010) untersuchen Löcher in Netzwerkstrukturen auf ihren kulturellen Gehalt. Beziehungslücken, die auch mit kultureller Differenz aufgeladen sind, bezeichnen sie als „cultural holes“ und definieren sie als „contingencies of meaning, practice, and discourse that enable social structure.“ (Ebd.: 215) Wir gehen mit Vedres und Stark (2010) davon aus, dass solche Unvorhersehbarkeiten von Sinn, Praxis und Diskurs nicht nur an Beziehungsbrüchen, sondern auch innerhalb von Beziehungen auftreten – in Beziehungen der „inter-cohesion“. Die charakteristische Mischung aus „familiarity“ und „diversity“ in „inter-cohesion“ legt nahe, dass kulturelle Unterschiede vor allem in Interaktionsbeziehungen folgenreich werden, in denen die Beteiligten sich ernsthaft aufeinander einlassen. Relationale Distanz setzt also Träger kulturellen Wissens zueinander in Beziehung (Page 2007). Während in einer nichtvermittelten Konstellation die Distanz häufig als Konflikt zwischen den beteiligten Akteuren zu Tage tritt, können die Konfliktlinien auch von solchen Akteuren – den Intermediären – internalisiert werden, die zwischen den kulturellen Welten stehen bzw. in beiden zu Hause sind. Damit wird die Legitimität unterschiedlicher Sichtweisen anerkannt. Sie äußert sich dann möglicherweise auch als innerer Konflikt in Form von widersprüchlichen Rollenerwartungen (Lam 2007; Ibert 2010). Kennzeichnend für den Intermediär ist also die Positionierung in Form von Doppelmitgliedschaften
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oder einem dynamischen Wechsel zwischen verschiedenen Welten (Vedres und Stark 2010). Das Potenzial zum Lernen, das in Beziehungen relationaler Distanz angelegt ist, so wurde bisher argumentiert, kann nur dann entfaltet werden, wenn Distanz und Nähe in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Bart Nooteboom (2001) analysiert beispielsweise die Wirkung kognitiver Distanz auf Lernprozesse als Funktion des Zusammenwirkens von Neuheitspotenzial und Verständlichkeit. Ausgeprägte kognitive Nähe erlaubt eine schnelle und unkomplizierte Verständigung, birgt aber nur reduziertes Innovationspotenzial. Große kognitive Distanzen versprechen zwar ein gesteigertes Innovationspotenzial, dieses Versprechen erfüllt sich aber selten aufgrund sich verschärfender Kommunikationsprobleme. Kognitive Distanz – so Bart Nootebooms Fazit – wirkt am ehesten innovationsförderlich auf einem mittleren Niveau. Der optimale Punkt zum Lernen braucht eine Distanz, die hinreichend groß ist für interessante Neuerungen und hinreichend klein für reibungsarme Verständigungsprozesse. In einer ähnlichen Logik argumentiert Brian Uzzi (1997) hinsichtlich sozialer Distanzen. Ein zunehmender Grad an sozialer Einbettung zwischen Akteuren erleichtert zunächst die Verständigung zwischen den Beteiligten, erlaubt einen reicheren Informationsaustausch und erhöht deren Handlungsfähigkeit, da gegenseitiges persönliches Vertrauen sie davon entlastet, sich gegenseitig überwachen zu müssen. Doch gibt es offensichtlich einen kritischen Punkt, an dem zusätzliche soziale Einbettung anfängt, auch kontraproduktive Wirkung zu entfalten. Beispielsweise kann die Abhängigkeit von wichtigen Kooperationspartnern dazu führen, anfällig zu werden, falls diese überraschend ausscheiden. Zudem entwickelt sich große soziale Nähe in dyadischen Konstellationen oft weiter zu übereingebetteten Netzwerken (Uzzi 1997). Aus einer persönlichen Beziehung entwickelt sich ein gemeinsamer Freundeskreis, in dem dann strategisch wenig ertragreiche redundante Kontakte vorherrschen. Derartige Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr aufwändig in der Unterhaltung und zugleich wenig anregend hinsichtlich abweichender Ideen sind (Burt 1992). Als guter Kompromiss zwischen Über- und Untereinbettung gelten daher „integrierte Netzwerke“ (Uzzi 1997), in denen sich starke persönliche Kontakte und schwache, unpersönliche Kontakte die Waage halten. Im Unterschied zu diesen Ansätzen, die das für Lernprozesse optimale Niveau an Distanz in jeder Dimension einzeln definieren (vgl. die Über-
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sicht in Trippl und Tödtling 2011), möchten wir mit diesem Band den bisher noch wenig untersuchten Fragen auf den Grund gehen, ob und wie verschiedene Dimensionen von Nähe und Distanz in konkreten Fällen lernbezogener Interaktion einander überlagern (Menzel 2013; Huber 2012). Wie tiefgreifend und mit welchen Facetten der eigenen Persönlichkeit Akteure interagieren, hängt entscheidend vom funktionalen Zusammenhang ab. Bei einer anspruchslosen Markttransaktion oder einer flüchtigen Begegnung im öffentlichen Raum (Bahrdt 1961) berühren sich die Individuen beispielsweise nur mit dem Rand ihrer Existenzen. Unterschiedliche Positionierungen in kulturell vermittelten Normensystemen, sofern vorhanden, erzeugen dann keine größeren Verwerfungen und zeitigen auch keine grundlegenden Änderungen im Denken und Verhalten. In Innovationsprozessen hingegen, so unsere Annahme, interagieren Individuen stärker als „ganze“ Persönlichkeiten. Akteure sind mit größeren Anteilen ihrer Persönlichkeit involviert, tauschen sich also auch zu grundlegenden Überzeugungen, Wirklichkeitsdeutungen und normativen Orientierungen aus. Relationale Distanz ist ein Begriff, der sich nur für die Analyse sozialer und funktionaler Interaktionen eignet, die die Persönlichkeiten der involvierten Individuen in größerem Umfang umfassen. Dieser Fokus macht es notwendig, die interessierenden Beziehungen nicht eindimensional, sondern in ihrer Mehrschichtigkeit, ihrer „Multiplexität“ (Uzzy 1997) zu erfassen. Bildlich lässt sich diese Mehrschichtigkeit wie ein Wechsel von einer zweidimensionalen zu einer dreidimensionalen Betrachtungsweise vorstellen, die je nach Blickwinkel andere Distanzkonstellationen offenbart. Wir verstehen demzufolge relationale Distanz als einen mehrdimensionalen Begriff, der explizit die Möglichkeit vorsieht, dass verschiedene Dimensionen von Nähe und Distanz zugleich existieren und dass Distanz, die entlang einer Dimension auftritt, durch Nähe, die in einer oder mehreren anderen Dimensionen vorliegt, überbrückt (nicht substituiert) werden kann. Mit anderen Worten: Dieses Verständnis von relationaler Distanz erlaubt, Konstellationen der „inter-cohesion“ (Vedres und Stark 2010) von mehreren Seiten zu betrachten und dabei jeweils die verbindenden und trennenden Dimensionen in Augenschein zu nehmen. Im bisherigen Diskurs werden physische und relationale Distanz häufig als einander ausschließende Dimensionen betrachtet. Beispielsweise trennen Knoben und Oerlemans (2006) „spatial“ und „a-spatial proximity“ (ähnlich auch Moo-
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dysson und Jonsson 2007; Mattes 2012). Damit würden aber unterschiedliche Facetten empirischer Phänomene in vollkommen unterschiedliche, voneinander getrennte Sphären aufgeteilt. In diesem Band möchten wir diese falsche Dichotomie zwischen (rein) räumlich („mere kilometric distance“) und nicht-räumlich („a-spatial“) überwinden, denn in der Praxis sind beide Ebenen untrennbar miteinander verwoben. Kulturelle Unterschiede sind nicht unabhängig vom physisch-materiellen Raum zu denken. Unterschiedliche Positionierungen in Systemen kulturell vermittelter Werte sind nicht alleine Abweichungen auf der Ebene abstrakter Werte oder Ideale. Vielmehr muss Kultur als untrennbar mit praktischem Handeln verbunden gedacht werden. Kulturelle Normen und Regeln sind unseren Handlungen inhärent, sie sind in dem, was wir tun, vorausgesetzt. Insofern meint Kultur immer beides: „It embraces material practices […] and ways of thinking“ (Schoenberger 1997: 120; eigene Hervorhebung). Relationale Distanz ist also nicht allein eine kommunikative Störung (Meusburger 2009), sondern umfasst auch die Ebene von Handlungen und insbesondere Routinen und Gewohnheiten. Kulturell Fremde nutzen den physischen Raum auf jeweils unterschiedliche Weise. Wahrscheinlich frequentieren oder nutzen sie dabei unterschiedlich ausgestaltete Orte oder würden denselben Orten unterschiedliche Bedeutung zumessen. Relationale Distanz streut Sand in ansonsten reibungslose Abläufe und sperrt sich gegen eingespielte Routinen. Schließlich äußert sich die enge Verzahnung von normativen Orientierungen und praktischem Handeln auch in Diskrepanzen bei der Nutzung und Bewertung des physischen Raums (Ibert 2010; 2011). Wir benutzen den Begriff der physischen Distanz, um eine analytische Perspektive einzunehmen, mit deren Hilfe sich die Situiertheit von kulturellen Praktiken in der materiellen Welt erfassen lässt.
3 Innovationsbiographien als Instrument zur Erhebung raum-zeitlicher Daten
Eine dynamische Analyse der Mehrdimensionalität von Beziehungen in Innovationsprozessen stellt enorme methodische Herausforderungen. Die erste Herausforderung besteht darin, raum-zeitliche Daten so zu erheben, dass eine vergleichende Analyse möglich wird. In dieser Untersuchung wurde ein innovationsbiographischer Ansatz (Butzin und Widmayer 2008; 2012; Butzin 2009; Strambach und Dieterich 2011; Strambach 2012) gewählt, eine Erhebungsstrategie, die erprobt ist, für eine ex-post-Rekonstruktion des Verlaufs ausgewählter Innovationsprozesse (3.1). Die zweite Herausforderung besteht darin, Fallbeispiele für eine Untersuchung strategisch so auszuwählen, dass aus ihrer Analyse Aussagen möglich werden, die auch über die Fallbeispiele hinausweisen. Diese Auswahl wird dadurch erschwert, dass die Analyse von Beziehungen in Innovationsbiographien eine hohe Detailschärfe erfordert. Es ist notwendig, sich sehr eingehend auf einzelne Innovationsprozesse, ihre spezifischen Personenkonstellationen und ihre raum-zeitlichen Idiosynkrasien einzulassen. Der Aufwand zur Erhebung einer Fallstudie ist entsprechend hoch und es ist schwierig zu überprüfen, wie typisch die erhobenen Daten sind. In dieser Studie wird eine vergleichende Analyse durchgeführt, bei der bedeutsame Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Fällen und Untersuchungsfeldern ausgenutzt werden. Die Strategie sieht einerseits vor, zwei kontrastierende Untersuchungsfelder zu identifizieren, Rechtsberatung und Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen in der Bio-Technologie (3.2), andererseits für diese Felder typische Befunde zu generieren, indem mehre-
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re Fälle detaillierter untersucht werden, also drei respektive vier Innovationsbiographien pro Feld (3.3). Die letzte Herausforderung besteht schließlich darin, die ex-post-Daten aus der aktuellen Gegenwart zu rekonstruieren. Es geht also darum, raumzeitlich und sozial verteilte Informationen zu erheben und zusammenzuführen, und dabei existierende individuelle Erinnerungslücken zu füllen, nachträgliche Rationalisierungen zu identifizieren, und allzu teleologische Erzählungen zu entlarven. Unsere Strategie sieht vor, über ein Schneeballsystem die für eine Innovation entscheidenden Personen zu identifizieren und aus einer Triangulation der verschiedenen Aussagen zu denselben Sachverhalten eine eigene, auf den Prozess fokussierte Darstellung des Innovationsverlaufs zu generieren (3.4).
3.1 „F OLLOW THE IDEA“ – I NNOVATIONSBIOGRAPHIEN Die Untersuchung von Nähe- und Distanzbeziehungen im Verlauf von Entwicklungsprozessen erfolgt anhand von Innovationsbiographien. Dieser Untersuchungsansatz ist inspiriert von einer kulturanthropologischen Tradition innerhalb der Humangeographie, „follow the thing“ (Cook und Harrison 2007; Cook et al. 2004), bei der für Alltagsgegenstände, vereinfacht gesprochen, gefragt wird, wo sie eigentlich herkommen. Die Idee besteht darin, die verschiedenen Lokalitäten, die bei der Herstellung und dem Vertrieb eines Produktes involviert sind, zu identifizieren und in Beziehung zu setzen, und somit ein raum-zeitliches Netzwerk des Produktionsprozesses zu erstellen. Analog dazu verfolgen Innovationsbiographien nicht Produktions-, sondern Entwicklungsprozesse zurück (Butzin und Widmaier 2008; 2012; Butzin 2009; Strambach und Dieterich 2011; Strambach 2012) auf ihren Ursprung. Als Ausgangspunkt werden zum Untersuchungszeitpunkt am Markt identifizierbare, qualitativ neue Güter oder Dienstleistungen genommen. Für diese Güter wird genau spezifiziert, welcher „qualitative Sprung“ es rechtfertigt, in ihrem Fall von einer „Innovation“ zu sprechen. Ist diese zentrale Idee eingekreist, kann dann zurückverfolgt werden, wann diese Idee entstanden ist, wann sie zum ersten Mal explizit gemacht worden ist, wie sie sich seither gewandelt hat und welche Übersetzungen erfolgt
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sind, bis zu ihrer aktuellen Form als am Markt etabliertes Produkt oder Dienstleistungsverfahren. Kurz: Aus „follow the thing“ wird „follow the idea“. 3.1.1 Raum-zeitliche Daten Es handelt sich dabei also um Fallstudien, in denen erfolgreiche Innovationsprozesse ex post betrachtet werden. Folgende Daten sind systematisch über alle Fälle hinweg erhoben worden: •
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Die Innovation und die zugrunde liegende Idee: Für eine Erhebung der raum-zeitlichen Daten ist es unumgänglich, zu Beginn der Untersuchung eine Übereinkunft darüber zu erzielen, welche Idee zurückverfolgt werden soll. Zeitliche Abschnitte im Zuge der Innovation: Zur Vergleichbarkeit von dynamischen Prozessdaten über Fälle hinweg, war es wichtig, den Prozess zu untergliedern in Teilabschnitte, und die Abgrenzungen und Übergänge von Prozessabschnitten zu identifizieren. Da die Innovationsbiographien sehr unterschiedlich waren in Bezug auf ihre Positionen und ihre Dauer in der kalendarischen Zeit, war es wichtig, über verschiedene Fälle hinweg auftretende, prozessimmanente Phasen zu identifizieren. Die beteiligten Akteure, deren Beitrag zum Innovationsprozess und deren Beziehung zueinander: Diese Daten waren wichtig, um gleichsam die „nodes“ und „ties“, also die wesentlichen Strukturelemente zur Erfassung der Konnektivität in ideenzentrierten Netzwerken zu erfassen. Die „kulturellen Hintergründe“ der Personen: Die Erfahrungen und Vorprägungen, die die beteiligten Personen in die ideenzentrierten Netzwerke einbringen, etwa aus ihrer Qualifikation oder aus ihrer institutionellen Einbettung. Diese Daten sind wichtig, um mögliche Konstellationen von Nähe und Distanz herauszuarbeiten. Die am Innovationsprozess beteiligten Organisationen: Unser Forschungsdesign ist explizit nicht auf organisationsinterne Innovationsprozesse beschränkt, sondern sah die Möglichkeit vor, dass innovative Ideen den organisationalen Kontext wechseln können oder sich einen eigenen organisationalen Kontext schaffen.
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Die beteiligten Orte und deren Funktion im Innovationsprozess: Diese Daten dienen dazu, die raum-zeitlichen Praktiken im physischen Raum zu verorten. Die Mobilität der Akteure im Zuge des Innovationsprozesses: Diese Daten dienten der Analyse der Notwendigkeiten von physischer KoPräsenz und der Bedeutung von physischer Ko-Lokation. Die für die Innovation relevanten Interaktionsformen im Zuge der Ausgestaltung von Beziehungen: Diese Daten dienten der Ermittlung von Interaktionsformen über räumliche Distanz hinweg, ihren Beschränkungen und Möglichkeiten.
3.1.2 Räumliche Zentrierung Wenn Nähe und Distanz als gleichberechtigte Kategorien betrachtet werden und Mobilität bzw. Distanzen überspannenden Interaktionen besonderes Interesse gebührt, dann würde das ansonsten übliche, in regionalen Fallstudien bestehende Vorgehen raumwissenschaftlicher Innovationsforschung unseren Untersuchungsgegenstand an entscheidender Stelle eingrenzen. Die Erhebung der Innovationsbiographien war deshalb explizit offen in Bezug auf die beteiligten Orte. Gleichzeitig haben wir ein räumlich vollkommen offenes Vorgehen der besseren Vergleichbarkeit unserer analysierten Fälle wegen verworfen. Unsere Strategie sah vielmehr vor, über eine gemeinsame räumliche Zentrierung des Feldzugangs Vergleichbarkeit herzustellen, darüber hinaus aber die uns interessierenden Innovationsprozesse und Netzwerkstrukturen über jedwede überbrückte Distanz zu verfolgen. Als Zentrum für unsere Untersuchung haben wir die Region Berlin ausgewählt. Diese Festlegung erfolgte zum einen, weil diese Region neben Hamburg und München die einzige Region im Bundesgebiet ist, die eine sehr ausdifferenzierte Branchenstruktur in allen Funktionsspezialisierungen der Wissensökonomie aufweist. Berlin ist einerseits eine Stadt, die ihrer Größe und wichtigen Funktion wegen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Ort ist, in dem innovative Produkte aus verschiedenartigen Untersuchungsfeldern vermarktet werden und daher auch gut identifiziert werden können. Andererseits ist Berlin eine Stadt, die wegen der geringen einschlägigen Spezialisierung trotz beträchtlichen Firmenbesatzes kaum als eng fokussiertes regionales Cluster einiger weniger Branchen gilt, das primär Agglomerationsvorteile kapitalisiert. Es existieren vielmehr für viele, auch sehr
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unterschiedlich strukturierte Branchen in etwa gleich förderliche Bedingungen, die treffender als Urbanisationsvorteile (Jacobs 1970) umschrieben sind. Berlin ist nicht als regionale Fallstudie zu verstehen, sondern lediglich als geeigneter regionaler Zugang, der zudem aufgrund von räumlicher Nähe zum Zwecke der Identifizierung von ersten Interviewpartnern zu Fallstudien leicht erreichbar war. Die Fallstudien selbst wurden hingegen in Form raum-zeitlicher Prozesse erhoben. Es zeigte sich entsprechend schnell, dass sich die Untersuchung in keiner unserer Innovationsbiographien auf „die“ Region beschränken konnte, vielmehr führten uns die Innovationsverläufe in viele andere Regionen Deutschlands, aber auch Europas und der USA.
3.2 Z UR AUSWAHL DER B EISPIELBRANCHEN : R ECHTSBERATUNG UND B IOTECHNOLOGIE Um aus einer überschaubaren Anzahl von Fallstudien dennoch Befunde mit einer gewissen Reichweite an Generalisierbarkeit zu generieren, haben wir eine vergleichende Analyse durchgeführt. Dabei wurde erstens aus den Unterschieden zwischen zwei Untersuchungsfeldern ein empirisch bedeutungsvoller Kontrast angestrebt, und zweitens, durch die Auswahl von mehreren Fallbeispielen in diesen jeweiligen Untersuchungsfeldern, ein sinnvoller Vergleich der Feldlogiken ermöglicht. Als kontrastierende Untersuchungsfelder wurden Rechtsberatung und Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen in der Bio-Technologie ausgewählt. Beide repräsentieren unterschiedliche aber für die Entwicklung einer modernen Wissensökonomie gleichermaßen relevante Untersuchungsfelder. Sie lassen sich unterschiedlichen Funktionstypen der Wissensökonomie zuordnen (3.2.1) und repräsentieren zugleich unterschiedliche Formen von Praktikergemeinschaften (3.2.2). 3.2.1 Funktionstypen in der Wissensökonomie: Transaktionsorientierte und tranformationsorientierte Dienstleister Das Forschungsinteresse an einer Geographie der Wissensproduktion und ihrer Veränderung im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklungstrends (vgl.
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Ibert und Kujath 2011) findet ihre Konkretisierung im Konzept der Wissensökonomie (Kujath und Zillmer 2010). Die „Wissensökonomie“ ist allerdings in sich so stark funktional ausdifferenziert, dass sie nicht als Ganzes in einem Untersuchungsansatz erfasst werden kann – zumindest nicht in einer so begrenzten und explorativen Studie wie dieser. Kujath und Schmidt (2010) schlagen daher eine Typologie vor, die Unternehmen der Wissensökonomie nach ihrer ökonomischen Funktion sortiert. Folgende Typen werden dabei unterschieden: Hochtechnologieindustrie, transaktions- bzw. transformationsorientierte Dienstleistungen oder der Informations- und Medienindustrie zuordnete (Kujath und Schmidt 2010: 45ff.). Entsprechend der Veränderungen im Zuge der Transformation von einem fordistischen zu einem post-fordistischen oder flexibel spezialisierten Wirtschaftsregime (Piore und Sabel 1984), spielen in dieser Typologie unternehmensbezogene Dienstleistungen eine zentrale Rolle. Wir konzentrieren uns daher im Folgenden auf die beiden dienstleistungsorientierten Funktionstypen der Wissensökonomie, da vor allem sie den Grad an Reflexivität in der Ökonomie erhöhen, also die Intensität und Geschwindigkeit, mit der Wissen auf Wissen angewendet wird. Mit transaktionsorientierten Dienstleistungen sind Dienstleistungen gemeint, die wirtschaftliche Transaktionen innerhalb oder zwischen Unternehmen erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen, indem sie eine vermittelnde Position beispielsweise zwischen Rechts- und Kulturräumen oder gesellschaftlichen Akteursgruppen übernehmen. Beispiele sind verschiedene Formen der Beratung, Finanzdienstleistungen und Marketing. Transformationsorientierte Dienstleistungen beziehen sich dagegen auf die gezielte Veränderung (Transformation) von Wissen, speziell in Form von Produktund Prozessinnovationen für den industriellen Sektor, die nicht in den Industrieunternehmen selbst geleistet werden. Die betrachteten Innovationen sind damit Prozesse der Entstehung neuartiger Dienstleistungen, eine Fallgruppe, die in der Innovationsforschung bisher unterrepräsentiert ist. Damit wird Innovation zunächst schwerer fassbar, werden Innovationen doch im Allgemeinen mit Neuerungen in der Hochtechnologieindustrie verbunden und betreffen insofern in den meisten Studien die Schaffung neuer, materieller Produkte und gehen mit Patenten oder anderen, standardisierten und rechtlich relevanten Schutzmechanismen einher. Die Perspektive auf Dienstleistungsinnovationen wird aber auch deshalb erschwert, weil Innovationen in diesem Sektor nur schwer trenn-
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scharf von Produktinnovationen unterschieden werden können. So werden materielle Produkte zunehmend in Verbindung mit Serviceangeboten vermarktet (Hipp, Herstatt und Husmann 2007). Und umgekehrt integrieren viele Dienstleister technisch-materielle Produkte in ihre Dienstleistungen. Letztlich tendieren Firmen zunehmend dazu, „hybride“ Produkte zu entwickeln, was bereits als solches als innovative Leistung aufgefasst werden kann (Bryson und Daniels 2010). Diese Komplexität mag erklären, warum bis vor kurzem Innovationsprozesse im Dienstleistungssektor als vernachlässigtes Forschungsfeld galten (Howells 2007) und warum dieses Forschungsfeld auch heute noch als stärker fragmentiert und weniger empirisch fundiert gilt als Forschungen zu technisch-materiellen Produkten (Gallouj und Savona 2010). Für Innovationen im Dienstleistungsbereich gibt es im Allgemeinen weniger „harte“ Kriterien, wie sie für technische Produkte etwa in Form von Patenten bestehen. Das entbindet nicht von der Verpflichtung, einer Forschungsarbeit in diesem Sektor eine sorgfältige Definition dieses schwer fassbaren Begriffs vorzuschalten. Hilfreiche Kriterien liefern Toivonen und Tuominen (2009: 282), die in Anlehnung an Schumpeter für die Feststellung von Innovationen drei Bedingungen stellen: Sie müssen (1) in die Praxis umgesetzt sein, (2) von Nutzen für den Entwickler der innovativen Idee sein und (3) wiederholbare Leistungen betreffen. Eine weite Verbreitung und weit gestreute Effekte (auf den Markt wie die vertreibende Organisation) unterscheiden Innovationen von organisationalem Lernen (Sundbo 1997), was wichtig ist, um die Biographien von Innovationen von solchen der Unternehmen trennen zu können. Die Rechtsberatungsbranche ordnet sich in die Kategorie der transaktionsorientierten Dienstleistungen ein: Rechtsberater vermitteln in von Unsicherheit charakterisierten Situationen zwischen Wirtschaftssubjekten und dem Rechtssystem, seinen Institutionen und organisierten Repräsentanten. Konterintuitiv mag hier die Erwartung erscheinen, dass in der ausgewählten Branche Innovationen zu beobachten sind, ist doch das Rechtssystem selbst durch ein strukturelles Beharrungsvermögen gekennzeichnet. Gerade hier setzen jedoch Innovationsakteure in der Rechtsberatung an: Sie kapitalisieren, wie sich im empirischen Teil zeigen wird, die mangelnde Fähigkeit des Rechtssystems, in einer sich schnell wandelnden Welt, Transparenz und Rechtssicherheit zu garantieren, und entwickeln entsprechende innovative Dienstleistungen.
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Im Fall der Biotechnologie erschließt sich sofort der innovative Gehalt, jedoch nicht unbedingt der Dienstleistungsgedanke. Hier ist es aufschlussreich, sich einer Divergenz zwischen politischem und wirtschaftlichem Anspruch europäischer Biotechnologie-Akteure und der Praxis zuzuwenden: Während manche Biotech-Unternehmer und Innovationspolitiker dem in den USA erfolgreichen Modell des Produktunternehmens nachhängen, das an Stelle der alten Pharma- und Chemieindustrie neu entwickelte Produkte bis an den Endkundenmarkt bringt, dominiert in Kontinentaleuropa ein risikoärmeres, inkrementeller gedachtes Geschäfts- und Innovationsmodell (Casper und Kettler 2001). Biotechnologie als gezielte Nutzung und Manipulation molekularbiologischer Mechanismen ist im Unterschied zu chemisch-pharmazeutischen Mischunternehmen eine Branche, die ausschließlich aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht. In diesem organisationalen Feld, in dem keines der kleineren Unternehmen die Ressourcen besitzt, die Jahre dauernden, hoch riskanten und extrem teuren Produktentwicklungen allein durchzuführen, ist es typisch, dass Entwicklungen nur partiell in Richtung Endprodukt (etwa neue pharmazeutische Wirkstoffe) vorangetrieben werden, um dann auf einem marktnäheren Zustand weiter veräußert zu werden. Cashflow wird dagegen überwiegend durch Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen auf der Basis der jeweils neuen (Analyse-) Technologie generiert. Kunden sind dann die produktentwickelnden Industrieunternehmen. Häufig sind auch hybride Modelle anzutreffen, existieren also Produktentwicklung und Dienstleistungsangebot in einem Unternehmen (Bindseil 2005). Selbst im Fall von produktentwickelnden Biotechnologieunternehmen lässt sich der eingebrachte F&E-Aufwand häufig als indirekte Dienstleistung qualifizieren: Fast immer werden produktorientierte Biotech-Unternehmen ab einem bestimmten Entwicklungsstadium von der Großindustrie übernommen. Große Konzerne beobachten das Gründungsgeschehen in der Biotechnologie und nutzen es, so zeigt es sich auch in unserer Empirie, im Effekt als die Angebotsseite eines evolutionären, inputgetriebenen Dienstleistungsmarkts. Insofern sind sehr wohl Dienstleistungsinnovationen zu beobachten. Zugleich kann das Problem der Abgrenzung zwischen Dienstleistung und technologischem Produkt, das typisch ist für den Forschungsund Entwicklungsmarkt, hier besonders transparent gemacht werden. Einerseits basieren die Innovationen auf technischen Artefakten und in Paten-
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ten kodifizierten Wissensvorteilen. Andererseits erfolgt die Verwertung häufig in Form eines projektbasierten Dienstleistungsmodells. 3.2.2 Sozialer Kontext und Lerndynamik: Professionelle und epistemische Praktikergemeinschaften Beiden Branchen ist gemein, dass sie auf wissenschaftlichem Wissen aufbauen, das sich einerseits nach disziplinärer Logik immer weiter ausdifferenziert, aber andererseits disziplinübergreifend weiterentwickelt wird. Diese Gemeinsamkeit erschöpft sich bei der an Hochschulen durchgeführten Ausbildung der Wissensträger. Im Berufsalltag unterscheiden sich die Wissensquellen für Innovationen: Forschungs- und Entwicklungsdienstleister beziehen sich hier vorwiegend auf die wissenschaftliche Grundlagenforschung (vgl. Pavitt 2005), Juristen schöpfen hingegen aus dem Erfahrungsschatz, der in intensiven Interaktionen in ihren Business-to-BusinessBeziehungen (vgl. Lundvall 1988) angelegt ist. Es lohnt sich deshalb, die Unterschiedlichkeit der Beispielbranchen anhand ihrer typischen Ausgangspunkte von Innovationsprozessen sowie der typischen Lerndynamiken und sozialen Kontexte der Wissensproduktion vertieft zu betrachten. Innovationen in der Biotechnologie nehmen ihren Ausgang typischerweise in epistemischen Gemeinschaften (Amin und Roberts 2008) und folgen dabei einer Push-Logik, wohingegen Innovationen in der Rechtsberatung ihren Ausgang in professionellen Gemeinschaften nehmen und dabei typischerweise von einer Pull-Logik angetrieben werden. In der Bio-Technologie sind Innovationen durch eine Push-Logik (Hagel, Brown und Davison 2010) geprägt, also dadurch, dass von den relevanten Akteuren systematisch, nach vereinbarten Regeln und zielorientiert Probleme aufgeworfen werden, deren Lösung die kontinuierliche Veränderung des Wissensbestandes erfordert und bewirkt. Es existieren etablierte und geteilte Verfahrensregeln, wie Wissen reflexiv auf Wissen angewendet wird (Gore 2011). Typischerweise ist für solche Innovationsverläufe das Forschungslabor der Ausgangspunkt, und die Biotechnologie repräsentiert diese Art der Lerndynamik, die aus einer epistemischen Gemeinschaft (Amin und Roberts 2008; Gore 2011) hervorgeht. Die Veränderung des Wissensbestandes ist ihre Aufgabe. Epistemische Gemeinschaften sind die disziplinären und sub-disziplinären (oft sub-sub-disziplinären) Fach-Communities der For-
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schung, die meist in den öffentlich finanzierten Institutionen der Wissenschaft, aber auch den Forschungsabteilungen von Unternehmen verortet sind. Die verbindenden Elemente in diesen Gemeinschaften sind einerseits der Forschungsgegenstand und andererseits bestimmte Paradigmen und Methoden, mit denen er erforscht und beschrieben wird. Letztere haben dabei eine gewisse regelhafte Stabilität innerhalb der Gemeinschaften. Gemeinschaftsgrenzen werden permanent neu ausgehandelt, Überlappungen sind an der Tagesordnung (Amin und Roberts 2008) und dynamische „boundary practices“ (Wenger 1998: 114) sind ein normaler Teil des geteilten Repertoires. Die innere Distanzierung von vorhandenen Denkmustern ist ein wesentlicher Teil der professionellen Identität eines Wissenschaftlers. Allerdings verweilen neue Ideen häufig sehr lange innerhalb dieser Gemeinschaften, während ihre praktische Nutzung und Vermarktung oft erst sehr spät erfolgt. Praktische Nutzer treten in der Regel erst auf den Plan, wenn es an die Evaluierung neuer Ideen geht, die Ideen müssen häufig lange Übersetzungsprozesse durchmachen (Latour 1987), bevor sie einen praktischen Nutzen außerhalb der epistemischen Gemeinschaften haben, und nur wenig Mitglieder von epistemischen Gemeinschaften haben eine „amphibische“ (Powell und Sandholz 2012) Natur, die es ihnen erlaubt gleichermaßen sicher in industriellen, finanzmarktlichen und wissenschaftlichen Zirkeln aufzutreten. Rechtsberatung repräsentiert hingegen eher eine Pull-Logik (Hagel, Brown und Davison 2010), wonach sich Probleme und die sich daran anschließende reflexive Weiterentwicklung der relevanten Wissensbestände im Zuge der Ausübung einer Praxis aufdrängen, ohne dass nach ihnen gesucht worden wäre und ohne dass Regeln der Identifizierung und Bearbeitung solcher Probleme bereits aufgestellt worden wären (Produktorientierung). Für diese Logik sind professionelle Gemeinschaften (Amin und Roberts 2008) typische Beispiele. Mitglieder professioneller Gemeinschaften wie etwa Ärzte (Goodwin et al. 2005) oder Rechtsanwälte nutzen wissenschaftlich generiertes Wissen, um praktische Probleme zu lösen. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, den disziplinären Wissenskanon zu verändern, sondern nur, ihn anzuwenden. Kompetenz in der Praxis besteht damit in der Fähigkeit, das disziplinäre Wissen situativ an immer neue Problemfälle anzupassen und anzuwenden. Dabei müssen die Akteure immer wieder mit fremden
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Praktikergemeinschaften interagieren: Anwälte mit den Subjekten ihres Rechtsgebiets (Manager im Wirtschaftsrecht, Bauingenieure im Baurecht), Ärzte mit Sozialarbeitern und Familien. Manchmal sprengen Problemlagen den in der Community geteilten Denkrahmen, und häufig geht es dabei um die Gültigkeit von Wissen an der Schnittstelle zu anderen Communities. Zum Beispiel kann an der Schnittstelle zwischen medizinischer Versorgung und Sozialarbeit erkannt werden, dass fehlende sozial-medizinische Nachsorge armer Menschen die durch die Krankenhausbehandlung erreichten Heilungsfortschritte häufig wieder zunichtemachen. Dies führt dann wiederum zu teuren Wieder-Einweisungen (Bornstein 2005). Ist dieser die Grenzen von Wissenspraktiken überschreitende Zusammenhang erst erkannt, drängt sich eine neue, innovative Mischpraxis auf, in der Behandlungserfolge erzielt werden, in dem Elemente beider Praktiken rekombiniert werden. In Innovationsprozessen, die in professionellen Gemeinschaften ihren Ursprung haben und stärker einer Pull-Logik folgen, entstehen neue Ideen meist in der Praxis und in Interaktion mit Nutzern. Mitglieder professioneller Gemeinschaften bringen sich, lassen sie sich auf Mischpraxen ein, häufig in Opposition zu den Regeln des eigenen Fachs, die etwa, wie im genannten Beispiel, besagen, dass die Zuständigkeit des Krankenhausarztes an der Kliniktür aufhört. Die Formulierung einer neuen Idee und noch viel mehr der Versuch, die Idee umzusetzen, sie gar als neues Produkt auf dem Markt zu etablieren, kann deswegen in professionellen Gemeinschaften den Ruch der Nestbeschmutzung und des Regelverstoßes haben. Der Widerstand wird dadurch erhöht, dass der Wissenskanon einer Gemeinschaft oft in Ausbildungscurricula kodifiziert und durch Berufsstände institutionell sanktioniert ist (Staatsexamen, Kammern, Zulassungen) und diese institutionelle Prägung zum Bestandteil der Identität der Gemeinschaftsmitglieder wird.
3.3 Z UR AUSWAHL DER F ALLSTUDIEN Bei der Fallstudienauswahl war es wichtig, darauf zu achten, dass die ausgewählten Fälle erstens als Innovationen bezeichnet werden können und zweitens die Logik des Untersuchungsfeldes repräsentieren. Der Fallauswahl gingen daher umfangreiche Recherchen in den betreffenden Untersu-
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chungsfeldern voraus. Zu diesem Zweck wurden Internetauftritte von Unternehmen auf Hinweise nach innovativen Geschäftsideen und auf deren Verortung innerhalb der ausgewählten Branchen untersucht. Ergänzend dazu wurden Expertengespräche mit Brancheninsidern im Berliner Raum durchgeführt, um zu prüfen, ob und inwieweit folgende Kriterien erfüllt waren: Die Innovativität eines potenziellen Fallbeispiels wurde daran gemessen, ob es erstens möglich war, den Wissensvorsprung, der durch die Innovation gegenüber Mitbewerbern erreicht wurde, klar einzugrenzen. Es musste ein qualitativer Unterschied des untersuchten Geschäftsmodells gegenüber einer als normal klassifizierten Praxis explizit gemacht werden. Dadurch konnte zwar nicht sichergestellt werden, dass es sich bei ausgewählten Fällen um eine erstmalige, also historische Neuerung handelte. Gleichwohl wurde aber die Einordnung in einen Kontext geliefert und damit transparent, worin wir (und unsere Gesprächspartner) die kreative Leistung sahen, die der Innovation zugrunde lag. Dieses Kriterium war für die Rechtsberatungsbranche sehr schwer zu recherchieren, da es Rechtsanwälten nur in engen Grenzen erlaubt ist, mit ihren Kompetenzen offen Werbung zu betreiben. Zweitens, musste die Idee bereits praktisch folgenreich geworden sein. Die Etablierung auf dem Markt war daher ein weiteres hochrangiges Selektionskriterium. Die ausgewählten Innovationsbiographien sollten von ihrem Reifegrad zumindest den ersten Marktkontakt gehabt haben oder dem Marktdurchbruch nahe sein. Drittens schließlich, war die prinzipielle Wiederholbarkeit des Geschäftsmodells ein wichtiges Kriterium. Es ging nicht darum, vom Alltag abweichende Einzellösungen zu untersuchen. Auch sollte die Untersuchung nicht auf besonders erfolgreiche Einzelpersonen fokussiert werden. Vielmehr sollten ausgewählte Fallbeispiele sich auszeichnen durch einen gewissen Grad an Generalisierbarkeit als Geschäftsmodell. Untersuchungsfeldspezifität wurde dann als gegeben betrachtet, wenn die auszuwählenden Fälle sowohl stellvertretend für die Funktionen innerhalb der Wissensökonomie stehen konnten (transaktions- vs. transformationsorientierte Dienstleistungen), als auch die dargelegten Ausgangspunkte für Innovationsprozesse (professionelle vs. epistemische Gemeinschaften) sowie Lerndynamiken (Pull- vs. Push-Logik) repräsentierten. Es wurde recherchiert, inwieweit die entwickelte Dienstleistung, für die untersuchte Wissensdomäne (Rechtsberatung, Biotechnologie) charakteristisch war.
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Das kam beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass die Anbieter zum Erhebungszeitpunkt die für die Wissensdomäne einschlägige Ausbildung durchlaufen hatten (und daher in entsprechende professionelle und epistemische Gemeinschaften enkulturiert waren). Es wurde weiterhin ermittelt, welche Funktion die Dienstleistungen für die jeweiligen Kunden hatte. In der Rechtsberatung wurden die Fälle ausgewählt, in denen für eine Kundenbranche transaktionsorientierte Dienstleistungen angeboten wurden, für die Bio-Technologie wurde prüften, ob es sich um transformationsorientierte Dienstleistungen handelte. Aus der Sammlung von potenziellen Fallstudien wurden jene ausgewählt, bei denen diese Kriterien erfüllt waren. Angesprochen wurden zunächst Repräsentanten, die als Dienstleister im Raum Berlin die Idee anbieten und für ihre Organisation als zentraler Ansprechpartner fungierten. Sofern sich in einem ersten Telefonat oder beim Einstiegsinterview herausstellte, dass die oben genannten Kriterien doch nicht erfüllt waren oder der Interviewpartner nicht bereit war, Kontakte zu weiteren beteiligten Akteuren zu vermitteln, musste die Erhebung der Fallstudie eingestellt werden. Der erste Experte war somit zugleich der Vermittler weiterer Interviewtermine (Schneeballverfahren). Es wurden so viele Fallstudien angestoßen, bis sich pro Wissensdomäne mindestens drei als ausreichend dokumentiert erwiesen.3 Im Folgenden werden die untersuchten Innovationsbiographien hinsichtlich der entwickelten Kriterien beschrieben.
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Unter den Forschungs- und Entwicklungsdienstleistern in der Biotechnologie hat sich die Vereinbarung von Folgeinterviews in einem Fall so sehr verzögert, dass eine neue Fallstudie begonnen und fast zum Abschluss gebracht wurde, bevor die in der Zwischenzeit ruhende Fallstudie wieder aufgenommen werden konnte. Da sich beide Fallstudien als aussagekräftig erwiesen und die Eingangsinvestitionen bereits sehr hoch waren, wurden beide zum Abschluss gebracht, so dass in dieser Domäne vier anstelle von drei Fallstudien ausgewertet werden konnten.
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3.3.1 Innovationsbiographien Rechtsberatung Juristische Steuerung von Bauprojekten (J1)4: Den Kern dieser Innovation bildet eine Methode, Rechtstreitigkeiten in großen Bauprojekten zu antizipieren und sie zu vermeiden, bevor sie konflikthaft ausbrechen. Die Methode wird in Form eines juristischen Bauprojektmanagements vermarktet, dessen Besonderheit darin besteht, dass Juristen in Bauprojekten eine feste Rolle bekommen und ausfüllen. Die Dienstleistung wird mittlerweile an mehreren Standorten in Deutschland, aber auch in Europa angeboten, seit einiger Zeit treten auch Konkurrenten mit diesem oder einem sehr ähnlichen Geschäftsmodell auf. Die Innovationsbiographie nahm ihren Ausgang Anfang der 1980er Jahre und befindet sich seit 2004 in einem Stadium hoher Marktreife. Mithilfe des Bauprojektmanagements ermöglicht der Dienstleister Unternehmen aus der Baubranche, effizienter zu arbeiten, indem sie gerichtliche Konflikte um Haftungen bei eingetretenen Baumängeln vermeiden hilft. Das für diese Dienstleistung erforderliche Wissen wurde durch die Zusammenführung des akademischen Wissens und praktischen Erfahrungswissens von Juristen und Bauingenieuren generiert. Diese Innovationsbiographie korrespondiert weitgehend mit der Karriere des Geschäftsführers eines kleineren Rechtsberatungsunternehmens, welches mit dieser Idee wuchs und mehrere neue Unternehmensstandorte eröffnete. Beteiligt waren auch Bauingenieure an benachbarten Technischen Hochschulen sowie viele Kundenunternehmen der Beratungsfirma aus der Baubranche. Präventive Corporate Compliance (J2): Diese Innovation besteht darin, international tätige Unternehmen, die in mehreren Rechtsräumen gleichzeitig agieren und deren Mitarbeiter daher häufig in rechtlichen Grauzonen operieren, dabei zu unterstützen, eine präventive Compliance aufzubauen, die verhindert, dass es im Unternehmen zu Regelverstößen kommt. Das Geschäftsmodell geht also bewusst über die bis dahin dominierende Praxis hinaus, lediglich nach erfolgtem Fehlverhalten interne Untersuchungen an-
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In den folgenden empirischen Auswertungen wird immer wieder auf die einzelnen Fallstudien unter Benutzung eines Codes verwiesen. Dabei stehen die Buchstaben J/B für die Untersuchungsfelder Jura und Bio-Technologie, die Zahlen (1-4) verweisen hingegen auf das jeweilige Fallbeispiel.
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zustoßen. Vielmehr geht es darum, über neue Formate (wie z.B. Rollenspiele) das Bewusstsein für überlappende Rechtsvorstellungen bei Mitarbeitern zu wecken und Strategien zu vermitteln, wie dennoch sicher gehandelt werden kann. Diese Dienstleistung wird seit einigen Jahren von einer international agierenden Rechtsanwaltskanzlei in Deutschland als Beratungstätigkeit angeboten. Sie unterstützt ihre Kunden darin, sowohl unternehmensintern als auch in der Beziehung zu Geschäftspartnern in diversen Ländern, zu verhindern, dass Mitarbeiter in rechtlichen Grauzonen ungewollt Regeln übertreten und dadurch imageschädigende und kostspielige Untersuchungen auslösen. Das nötige Wissen stammt nicht nur aus der Rechtswissenschaft, sondern auch aus fundierten Kenntnissen der Betriebsabläufe in transnationalen Unternehmen. Ausgangspunkt der Innovationsbiographie war die Rechtsabteilung eines großen, deutschen transnationalen Unternehmens, das sich während einer krisenhaften Situation gezwungen sah, eine Sonderabteilung Compliance zu gründen. Ein Akteur aus dieser Sonderabteilung wechselte dann in ein internationales Rechtsberatungsunternehmen, das zur selben Zeit nach überzeugenden neuen Beratungskonzepten für den deutschen Markt suchte. Regulierung bei der Privatisierung einer ehemals öffentlichen Aufgabe (J3): Diese Innovation reagiert auf den Regulierungsbedarf durch die öffentliche Hand, der im Zuge des Privatisierungsprozesses einer vormals rein öffentlich erbrachten Dienstleistung, dem öffentlichen Personennahverkehr, entstand. Es geht darum, die Leistungserbringung rechtlich so auszugestalten, dass die Abwicklung der Aufgabe zwar (partiell) durch den Markt geregelt wird, die Gestaltung der Leistungsbedingungen aber weiter im Sinne des öffentlichen Auftrags erfüllt wird, wodurch ein Wissensvorsprung sowohl gegenüber einer klassischen Verkehrsplanung als auch gegenüber einer Rechtsberatung erreicht werden konnte. Das Format der Dienstleistung entwickelte sich zunächst in einem Angestelltenverhältnis in einer betroffenen Verwaltung, bevor sie dann zum Ausgangspunkt der Gründung eines Beratungsunternehmens wurde. Die Anfänge der Innovation gehen zurück zum Ende der 1980er Jahre, mittlerweile ist die Innovation zum allgemein anerkannten Geschäftsmodell geworden. Die Innovation verbindet rechtswissenschaftliche Expertise mit verkehrsplanerischem und verkehrspolitischem Know-how. Die Innovationsbiographie weist große Parallelen mit der individuellen Karriere eines Rechtsanwaltes auf, der
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diese Idee zunächst im Zuge eines Promotionsprojektes entwickelte, sie später als Angestellter eines städtischen Verkehrsbetriebes testete, bevor er dann ein Unternehmen gründete. In jeder dieser Stadien verschob sich das Zentrum der Ideenentwicklung. Eine weitere Fallstudie zur Rechtsberatung konnte im Jahr 2013 im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt werden (Schmökel 2013). Die empirischen Ergebnisse dieser zeitlich nachgelagert durchgeführten Fallstudie bestätigen im Wesentlichen die in diesem Band herausgearbeiteten Befunde, liefern aber auch wichtige Differenzierungen (ebd., S. 127ff.). 3.3.2 Innovationsbiographien Biotechnologie Wirkstoffverkapselung (Delivery) (B1): Die in dieser Fallstudie betrachtete Innovation behandelt die Entwicklung und Etablierung eines neuen Verfahrens zur Verkapselung biopharmazeutischer (und potenziell anderer) Wirkstoffmoleküle, mit dem Effekt eines schonenderen Transports von Wirkstoffen an ihren Wirkort im Körper (Delivery). Das Verfahren wird als Dienstleistung für Biotechnologiefirmen und die Pharmaindustrie angeboten. Die Innovation basiert auf neuen Erkenntnissen und der Neukombination von vorhandenem Wissen aus den Disziplinen Chemie und Biophysik. Die Innovationsbiographie beginnt Mitte der 1990er Jahre und ist – im Sinn einer allgemeinen Verbreitung des neuen Verfahrens – bislang noch nicht abgeschlossen. Allerdings haben zum Zeitpunkt der Untersuchung mehrere Kunden die Dienstleistung in Anspruch genommen. Über den gesamten Zeitraum weist die Biographie eine hohe interorganisatorische Mobilität auf: Große Industrieunternehmen waren sowohl bei der Bereitstellung des Startkontextes als auch als strategische Partner in wichtigen Entwicklungsstadien von Bedeutung. Die Innovation selbst wurde von einer kleinen Personengruppe vorangetrieben, die mehrere neue Unternehmen gründete. Hinsichtlich der individuellen Hauptakteure ist die Biographie konstant. Im Verlauf der Biographie traten mehrere Ortswechsel auf, die sich zwischen zwei deutschen und einer weiteren europäischen Metropole abspielten. Molekülsynthese (B2): Die Innovation besteht in der Entwicklung und Verbreitung eines neuen automatisierten Verfahrens zur Herstellung maßgeschneiderter Moleküle für die molekularbiologische Forschung (z.B. Immunologie). Das Verfahren wird in Form einer Entwicklungsdienstleistung
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für die öffentliche und private Forschung vermarktet. Maßgeblich für die Entwicklung des neuen Verfahrens waren Know-how aus der Biochemie und dem Ingenieurwesen. Die Innovationsbiographie begann in den frühen 1990er Jahren und befindet sich aktuell im Stadium der vollen Marktreife. Die Entwicklungsschritte der Innovation waren über eine Vielzahl von Einzelorganisationen verteilt. Hierzu zählen mindestens drei Forschungseinrichtungen und vier Unternehmen, von denen eines im Lauf der Biographie neu gegründet und eines abgespalten wurde, sowie ein deutscher Pharmakonzern. Personell weist die Biographie eine ähnlich große Vielfalt auf, wobei verschiedene Personen verschiedene Aspekte des Innovationsprozesses vorangetrieben haben. In räumlicher Hinsicht sind zwar auch internationale Beziehungen und entsprechende Mobilität beobachtbar, jedoch waren die wesentlichen Interaktionen und Mobilitätsbeziehungen auf eine Reihe von Standorten in Deutschland – teils metropolitan, teils eher peripher – beschränkt. Genfunktionsanalyse (B3): Diese Innovationsbiographie brachte ein neues Verfahren zur systematischen Beobachtung und Erfassung von Genfunktionen in Zellen hervor, das sowohl bei der Züchtung und gezielten Optimierung von Nutzpflanzen als auch bei der Entdeckung von biopharmazeutischen Wirkmechanismen (Discovery) eingesetzt werden kann. Diese Anwendung findet sowohl innerhalb eines Großunternehmens als auch als Dienstleistung für Pharmaunternehmen statt. Grundlage der Innovation war die Kombination von Wissen aus der funktionalen Genetik, der Biochemie und der Informationstechnologie. Die Innovationsbiographie begann in den frühen 1990er Jahren und erreichte in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre das Reifestadium. Die zentralen Organisationseinheiten sind ein deutsches außeruniversitäres Forschungsinstitut und ein deutscher Industriekonzern, sowie ein Joint Venture aus beiden. In einem späten Stadium kam eine weitere Ausgründung hinzu. Die Hauptakteure der Innovation wechselten im Verlauf der Entwicklungsstadien, wobei die anhaltendste individuelle Assoziation mit dem Innovationsprozess bei einem führenden Industrievertreter zu beobachten ist. Andere Akteure waren phasen- und aufgabenspezifisch von Bedeutung und übergaben jeweils den Staffelstab. Der zentrale Standort der Innovation befand sich konstant in der Stadtregion, in der auch das Forschungsinstitut lokalisiert ist. Menschen, Daten und Artefakte waren
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darüber hinaus hauptsächlich über das internationale Standortnetz des Industriekonzerns und seine Außenkontakte mobil. Biomarker (B4): Vom Ergebnis her gedacht ist die hier diskutierte Innovation eine neue Testmethode, um Krebserkrankungen durch einfache Bluttests zu diagnostizieren. Das Produkt, das als Output der Innovationsbiographie verstanden wird, ist eine neue Analytik-Dienstleistung, die von diagnostischen Labors angeboten wird. Die wissenschaftliche Basis der Innovation sind neue Beobachtungsmethoden der Steuerungsmechanismen von Genaktivität in Krebszellen. Hierfür wurden Erkenntnisse aus der Genetik, der Biochemie, der Mathematik und der Informationstechnologie zusammengeführt. Die Biographie begann Anfang der 1990er Jahre und hat das Reifestadium noch nicht erreicht. Organisationales Zentrum der Innovationsbiographie war eine bereits in einem frühen Stadium aus einem Forschungsinstitut ausgegründete Firma, die in der Folge mit einem anderen Unternehmen fusioniert wurde und sich im Verlauf der Biographie deutlich veränderte. Ein europäischer Konzern wirkte phasenweise als strategischer Partner und Treibkraft der Innovation, stieg dann aber aus der Entwicklung aus. Weitere Unternehmen und Forschungseinrichtungen traten als Kooperationspartner auf. Die erste Hälfte der Biographie war von einer engen Bindung an einen Kreis von (individuellen) Kernakteuren gekennzeichnet, die in der Folge jedoch durch spezialisierte Funktionsträger abgelöst wurden. Wichtigste räumliche Beziehung war eine enge transkontinentale Bindung zwischen zwei Standorten in einer deutschen und einer amerikanischen Metropole. Weiterhin ist die Biographie durch temporäre und aufgabenspezifische Mobilitätsbeziehungen mit Standorten im US-amerikanischen und europäischen Raum verbunden.
Quelle: Eigene Darstellung
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