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German Pages 318 Year 2014
Markus Gamper, Linda Reschke, Michael Schönhuth (Hg.) Knoten und Kanten 2.0
Sozialtheorie
Markus Gamper, Linda Reschke, Michael Schönhuth (Hg.)
Knoten und Kanten 2.0 Soziale Netzwerkanalyse in Medienforschung und Kulturanthropologie
Das Forschungscluster der Universitäten Trier und Mainz »Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke« wird gefördert durch die Forschungsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Linda Reschke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1927-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Zwischen face-to-face und Web 2.0. Mit der Netzwerkperspektive zur Verbindung von Kultur und Struktur
Michael Schönhuth, Linda Reschke und Markus Gamper | 7
THEORIE UND METHODE Neue Netzwerke und alte Tragödien. Über den Wandel von Normalität im Umgang mit Medien
Michael Jäckel und Gerrit Fröhlich | 31 Möglichkeiten und Grenzen der Erhebung egozentrierter Netzwerke im Online-Fragebogen und über digitale Netzwerkkarten
Andreas Herz und Markus Gamper | 57 Eine Einführung zur Bestimmung der Dichte in egozentrierten Netzwerken unter Berücksichtigung eines alternativen Erhebungsvorschlags
Matthias Rau | 89
MEDIENFORSCHUNG Das Soziale an „sozialen Netzwerkseiten“. Eine relational-soziologische Analyse
Markus Gamper | 111 Modeling Open, Web-Based Collaboration Networks. The Case of Wikipedia
Jürgen Lerner, Ulrik Brandes, Patrick Kenis and Denise van Raaij | 141
Weblogs im internationalen Vergleich. Meinungsführer und Gruppenbildung
Darko Obradovic | 163 Jugendliche im Bann von Freundschaftsnetzwerken im Internet. Eine kulturvergleichende Analyse von Freundschaftsstrukturen und Netzwerkpraktiken in Wien und Bangkok
Gerit Götzenbrucker und Margarita Köhl | 185
KULTURANTHROPOLOGIE Innovative Use of Social Network Analysis in Cultural Anthropology
Christopher McCarty and José Luis Molina | 217 Between Intuition and Indicators. Using Net-Map for Visual and Qualitative Social Network Analysis
Jennifer Hauck and Eva Schiffer | 231 Quellen und Weitergabe von Wissen. Eine Untersuchung anhand persönlicher Netzwerkkarte n
Ruth Haselmair | 259 „Afaro – ich verbinde“. Zur Herstellung transethnischer verwandtschaftlicher Netzwerke am Beispiel der Wampar (Papua New Guinea)
Bettina Beer | 285
Autorinnen und Autoren | 311
Zwischen face-to-face und Web 2.0 Mit der Netzwerkperspektive zur Verbindung von Kultur und Struktur M ICHAEL S CHÖNHUTH , L INDA R ESCHKE UND M ARKUS G AMPER 1
Im Herbst 2009 ging die interdisziplinäre Vorlesungsreihe Soziale Netzwerkanalyse an der Universität Trier in die zweite Runde.2 War die erste Reihe der Migrations- und Wirtschaftsforschung gewidmet, so standen diesmal Netzwerke in den Neuen Medien und in kulturellen Prozessen im Mittelpunkt. Die nun vorliegende Anthologie mit dem Titel Knoten und Kanten 2.0 trägt die Früchte dieser zweiten Vortragsreihe zusammen. Während im ersten Band Knoten und Kanten, der sich an Bourdieus Sozialkapitalansatz orientierte, theoretisch informierte Beiträge überwogen, (Gamper/Reschke 2010, Bourdieu 1983), rückt die vorliegende Anthologie verstärkt das methodische Vorgehen von Netzwerkforschern in den Vordergrund. Kapitel 1 präsentiert so Beiträge, die auf die Erhebung von egozentrierten Netzwerken und die hierfür inzwischen gängigen Instrumente von Online-Fragebogen und (digitalen) Netzwerkkarten fokussieren – Erhe1
Die Herausgeber danken dem Vorstand des Forschungsclusters der Universitäten Trier und Mainz „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ für die Unterstützung. Ebenso gebührt Daniel Bauerfeld, Christian Nitschke, Martin Stark sowie Britta Heiles und David Laudwein ein herzlicher Dank für die tatkräftige Hilfe.
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Die Beiträge der Vortragsreihe „Soziale Netzwerkanalyse“ können auf dem Kanal „Soziale Netzwerkanalyse“ auf www.podcampus.de angesehen werden.
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bungsmethoden, deren Vor- und Nachteile anschließend anhand der Forschungsbeispiele der Medienforschung und der Kulturanthropologie thematisiert werden. Angesichts der Omnipräsenz des Netzwerkbegriffs in aktuellen Lebenszusammenhängen liegt es nahe, nach der generellen Bedeutung von Beziehungen für das moderne Individuum zu fragen. Manuel Castells hat den Begriff der „Netzwerkgesellschaft“ für das neue Jahrtausend geprägt (Castells 2001). Sogar zwischen den Dingen und den menschlichen Akteuren, so scheint es, vermittelt nur noch das Netz. Das zumindest erklärt uns die von Bruno Latour entworfene Akteur-Netzwerk-Theorie: „Alles spielt sich in der Mitte ab, alles passiert zwischen den beiden Polen, alles geschieht durch Vermittlung, Übersetzung und Netze“ (Latour 2008: 53). Hat damit das Diktum von Georg Simmel und der klassischen Soziologie der Moderne ausgedient, dass der wesentliche Sinn von sozialen Beziehungen darin besteht, den Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, personale Stabilität und Identität zu stiften? Bedeutet dies, dass wir uns der modernen Gesellschaft nur noch vom Primat des Relationalen (Fuhse/Mützel 2010) nähern können? Nach Castells Auffassung stellen Netzwerke offene Strukturen dar, die eine grenzenlose Expansion ermöglichen und dazu fähig sind, „neue Knoten zu integrieren, solange diese innerhalb des Netzwerks zu kommunizieren vermögen, also solange sie dieselben Kommunikationscodes besitzen – etwa Werte oder Leistungsziele“ (Castells 2001: 528f.). In der Informationsgesellschaft, deren Kennzeichen ein durch ständigen Informationsfluss und -bedarf gekennzeichneter Kapitalismus darstellt, sind sie ein Instrument für Innovation, Globalisierung und dezentrale Konzentration, da sie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ermöglichen. Netzwerke sind nach Castells daher Ausdruck einer „Kultur der endlosen Zerstörung und eines nie endenden Neuaufbaus“ (Castells 2001: 529). Zum Verhältnis von Individuum und sozialem Netzwerk hält Simmel dagegen schon 1908 fest: „Der kausale Zusammenhang, der jedes soziale Element in das Sein und Tun jedes andern verflicht und so das äußere Netzwerk der Gesellschaft zustande bringt, verwandelt sich in einen teleologischen, sobald man ihn von den individuellen Trägern her betrachtet, von seinen Produzenten, die sich als Ichs fühlen und deren Verhalten aus dem Boden der für sich seienden, sich selbstbestimmenden Persönlichkeiten wächst“ (Simmel 1908: 30). Auch die Arbeiten von Harrison White
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über Kontrolle und Identität (White 1992, 2008), die bereits in Knoten und Kanten vorgestellt wurden (vgl. Gamper/Reschke 2010; Holzer 2010), deuten eher auf die stabilisierende Wirkung als auf den ständigen Umbruch oder die Neuaushandlung von Beziehungen hin. Angesichts der Entwicklung in virtuellen Netzwerken ist womöglich dennoch ein Umdenken gefragt: Gerade die sozialen Beziehungen, die auf den Sozialen Netzwerkseiten (SNS) in einer für den Menschen völlig neuartigen Umgebung, bar jeden face-to-face-Kontaktes, geschlossen werden, verlangen nach neuen Erklärungsmodellen und stellen die soziale Netzwerkanalyse vor die Herausforderung, die Dynamik dieser neuen sozialen Netzwerke und ihre Mechanismen adäquat zu erfassen. Zwischen der rein strukturalen Analyse mit ihren von oben und außen arbeitenden Blockmodellen und ethnomethodologisch verkürzten Modellen, die nur noch den Geschichten der Akteure folgen, öffnet sich derzeit eine dritte Perspektive, in der Relationen strukturell wie kulturell gedacht werden. Der vorliegende Band mit Beispielen aus der medienwissenschaftlichen und kulturanthropologischen Praxis versteht sich als weiterer Baustein und Werkstattbericht in diesem lebendigen und fruchtbaren Dialog zwischen den Disziplinen.
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Soziale Beziehungen im Wandel und unter den Bedingungen des digitalen Zeitalters nehmen Michael Jäckel und Gerrit Fröhlich in ihrem theoretischen Beitrag über die Veränderungen im Umgang mit (digitalen) Medien in den Blick. Die Autoren gehen dabei nicht nur der Frage nach, was „normal“ ist und wie die Gesellschaft auf die Neuen Medien reagiert, sondern sie haben ebenso ein besonderes Interesse daran, den parallel zu der „Anpassung“ an die Möglichkeiten und Herausforderungen stattfindenden Diskurs darüber zu verfolgen, was ein angemessener Umgang mit dem Internet ist. Auf den Nutzer umgemünzt ergibt sich aus diesen Betrachtungen letztlich die Frage, wo sich das von der westlichen Zivilisation als Kulturgut empfundene Individuelle in der Kollektivität des Internet finden lässt, und wie sich das Individuum im zunehmend von „access“ geprägten OnlineAustausch „rund um die Uhr“ zwischen Privatheit und Öffentlichkeit positioniert (vgl. hierzu z.B. auch Lovink 2012). So bringt die globale Datenflut in Online-Portalen, Tweeds und Weblogs nicht nur veränderte Bedingun-
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gen für eine neu zu erlernende Medienkompetenz hinsichtlich der Wahrnehmung von Privatem und Öffentlichem und damit auch für den Stellenwert und Umgang mit zum Teil zu vielen, zum Teil zu wenigen Informationen mit sich. Die Datenflut wartet auch mit spezifischen sozialen Phänomenen auf, die aus der Internetsphäre in die reale Welt hinüber greifen. Zu ihnen zählt das Phänomen der „Schwarmintelligenz“, die neue Wissensordnungen hervorbringt und als Zusammenspiel von Individuen entsteht. Aus dem vermeintlichen Chaos heraus entwickeln diese emergente kollektive Verhaltensweisen, Bewertungsformen und Problemlösungsstrategien und lassen den „Solisten“ oder „Experten“ als herausragende Persönlichkeit und Produzent von „Inhalt“ – und damit auch von „Wahrheit“ – scheinbar verschwinden. Andererseits fordert das Internet den Nutzer als „Produtzer“ heraus, d.h. als Zwitterwesen, das Inhalte gleichzeitig konsumiert und produziert. Darüber hinaus weicht das Internet Besitzverhältnisse und Eigentumsrechte auf, während neue Programme und Betriebssysteme weltweit Zugriff auf Daten und Programme ermöglichen und somit andernfalls isolierte Subjekte zusammenbringen. Gehen Jäckel und Fröhlich in ihrem Beitrag in gewisser Weise von einer Omnipräsenz Neuer Medien aus und prognostizieren die Selbstverständlichkeit von Internet und Computern, so setzen sich Andreas Herz und Markus Gamper kritisch mit der Frage auseinander, welche Vor- und Nachteile der Einsatz von Computern bei der Erhebung egozentrierter Netzwerke mit sich bringt. Ist die Nutzung von Programmen für die Datenauswertung und die Visualisierung bereits gang und gäbe, müssen sich Netzwerkforscher nun Gedanken darum machen, wie sich die interpersonale Umgebung ihrer Probanden, sowohl in der Interviewsituation, als auch in Abwesenheit des Forschers, ideal erfragen lässt. Zwei gängige Erhebungsverfahren sind die standardisierte Befragung („klassischer“ Fragebogen) und der Einsatz von Netzwerkkarten, die vom Befragten erstellt und zum Teil auch unterstützend eingesetzt werden. Beide Varianten werden zunehmend mit Computerunterstützung durchgeführt. Herz und Gamper vergleichen die Erhebung mittels eines Online-Fragebogens mit der in einem Methodenexperiment durchgeführten computerunterstützten Erstellung von Netzwerkkarten mittels VennMaker, einer an der Universität Trier entwickelten Netzwerksoftware. Anschließend diskutieren sie die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Erhebungsformate für egozentrierte Netzwerke. Unterschiede ergeben sich insbesondere im Hinblick auf die Resonanz der Befragten und
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die Qualität der Ergebnisse. Das Zeichnen von digitalen Netzwerkkarten am Bildschirm nimmt zum Beispiel längere Zeit in Anspruch, führt jedoch zu einer höhere Zufriedenheit bei den Probanden. Ebenso ist die Erhebung offen für spontane Veränderungen noch während des Interviews. OnlineFragebögen sollten dagegen bei der selbstadministrierten Erhebung auf Verständlichkeit in der Fragestellung Wert legen sowie bei der Abfrage von Alter-Alter-Beziehungen Zufallsauswahlen zur Verfügung stellen, um Frustration bei den Befragten und damit hohe Dropout-Quoten zu vermeiden. Mit dem Einsatz von Zufallsstichproben zur Optimierung der Netzwerkauswertung arbeitet auch Matthias Rau in seinem Beitrag. Während Netzwerkdaten auf die Eigenschaften der erhobenen Kontakte oder auf die relationalen Eigenschaften der Beziehungen hin untersucht und beschrieben werden können, setzt sein Vorschlag zur Ermittlung der Dichte in egozentrierten Netzwerken bei der dritten möglichen Analyseebene an: den Struktureigenschaften, mittels derer Netzwerke miteinander verglichen werden können. Zu ihnen gehört die Netzwerkdichte als Maßzahl, welche die Anzahl der existierenden Beziehungen im Verhältnis zu den potentiell möglichen Beziehungen darstellt und somit Aussagen über die Verbundenheit der Akteure eines Netzwerkes zulässt. So ist die Ermittlung der Dichte in egozentrierten Netzwerken in Hinblick auf die Handlungsoptionen von Ego in seinem Netzwerk interessant: So kann sich Ego in einem lose verbundenen Netzwerk relativ frei bewegen, während es in einem dichten Netzwerk – etwa einer Clique, in der jeder mit jedem verbunden ist – vielleicht einerseits hohen sozialen Kontrolle ausgesetzt ist, andererseits jedoch auch leichteren Zugang zu Ressourcen hat. Die Netzwerkgröße, d.h. die Anzahl der Kontakte von Ego, bestimmt dabei den Dichtegrad und wirkt sich auf die Intensität der von Ego gepflegten Kontakte aus. Um die Netzwerkdichte zu ermitteln, erfolgt in quantitativen Studien meist eine zufällige Auswahl von Alteri und deren Beziehungen. Rau kritisiert dieses Vorgehen dahingehend, dass es sich gerade bei der Dichte um ein Maß für die möglichen bzw. realisierten Beziehungen handelt, eine valide Zufallsstichprobe daher nicht auf den Alteri, sondern auf den Beziehungen basieren sollte. Er stellt ein Verfahren vor, das mittels einer Stichprobenformel die Dichte auf Basis der ungerichteten, nicht weiter differenzierten Beziehungen von bis zu 20 genannten Alteri berechnet. Das Ergebnis ist eine für die Überprüfung in der Interviewsituation gut zu handhabende Anzahl von Beziehungen. Sein
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Vorschlag richtet sich daher vor allem an egozentrierte Netzwerkanalysen, für die keine Vollerhebung möglich ist.
2. M EDIENFORSCHUNG Das zweite Kapitel versammelt Beiträge zu einer netzwerkanalytischen Ausrichtung der Medienforschung. Dabei beleuchten die Aufsätze die „großen Themen“ des Web 2.0: soziale Netzwerkseiten wie z.B. Facebook, kollektive Anstrengungen unter dem Vorzeichen der Wissensgesellschaft und der „Schwarmintelligenz“ wie Wikipedia sowie die „Blogosphäre“. Zunächst stellt Markus Gamper jedoch die Frage, was eigentlich das Soziale an Sozialen Netzwerkseiten darstellt. Der Überblicksartikel fasst die bisher vorliegenden Studien über die Nutzer(struktur) und deren Nutzungsverhalten dieser speziellen internetbasierten Dienste zusammen, die spätestens seit der Gründung von Facebook 2003 ihren Siegeszug durch das Web 2.0 angetreten haben. Nach der gängigen Definition von Boyd und Ellison bieten SNS Internetnutzern auf der technischen Basis von Portalen und Netzanwendungen die Möglichkeit, persönliche Informationen zu veröffentlichen, mit anderen Menschen (vornehmlich sog. „Freunden“) in Kontakt zu treten und Daten auszutauschen (vgl. Boyd/Ellison 2007), wobei bereits im Jahr 2010 an die 945 Millionen Mitglieder von diesem Angebot Gebrauch machten (ComScore 2010). Neben der auch in den Nutzerzahlen deutlich werdenden und stetig wachsenden Bedeutung von SNS für die alltägliche Kommunikation fast aller Altersklassen wird jedoch deutlich, dass die vorgestellten Studien kein umfassendes Bild des „second life“ im Internet bieten. So werden ausschließlich quantitative, attributsbezogene Analysen des Nutzungsverhaltens auf SNS durchgeführt, die darüber hinaus nur die am häufigsten vorliegenden Daten – nämlich Alter, Geschlecht und Nationalität – berücksichtigen. Die Untersuchung der Beziehungen selbst, die durch das Anklicken des „Freundschaft“-Buttons eingegangen werden, kommen dabei zu kurz, während die durchgeführten Gesamtnetzwerkanalysen in der Mehrzahl den Small-World-Effekt bekräftigen und die geographische Verdichtung der Beziehungen darstellen (z.B. Ugander et al. 2011). Demgegenüber liegen inzwischen Auswertungen des FacebookNetzwerkes mit 721 Millionen Nutzern und 69 Billionen Freundschaftsverlinkungen vor, die aufgrund der zunehmenden Netzwerkdichte von einer
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Senkung der Zahl der zwei Menschen durchschnittlich trennenden Bekanntschaften von sechs (Milgram 1967) auf vier ausgehen („four degrees of separation“; vgl. zuletzt Backstrom et al. 2011). Ebenso wird bereits die Auswirkung von räumlichen Strukturen auf die Netzwerkstruktur sowie die Wirkung von Großereignissen wie etwa Naturkatastrophen auf die Vernetzung von Akteuren im Internet diskutiert (vgl. Butts 2010 sowie Butts et al. 2012). Gamper kritisiert darüber hinaus die fehlende theoretische Unterfütterung dieser Ergebnisse und spricht als Desiderat die Betrachtung von SNS als Längsschnittstudie gerade hinsichtlich der Veränderung des Nutzungsund Nutzerverhaltens sowie die Veränderung der Beziehungsstrukturen an – dieselben Forschungsschwerpunkte, die Jäckel und Fröhlich theoretisch in den Blick genommen haben. Wie diese bereits andeuteten, kommt auch das Internet mit seinen Kontakt- und Interaktionsmöglichkeiten nicht ohne soziale Regeln und Hierarchien aus. Die Schwarmintelligenz verschlingt mitnichten den von allen umjubelten Star, sondern ist entweder vielfältig mit ihm verbunden oder maßregelt und boykottiert ihn, wenn er zum „falschen Lager“ gehört, wie die Beiträge des Forscherteams um Jürgen Lerner anhand der Online-Enzyklopädie Wikipedia und Darko Obradovic für die „Blogosphäre“ zeigen. Lerner und Kollegen definieren Wikipedia als ein bestimmtes Produkt eines seit Anfang des neuen Jahrhunderts auftretenden Phänomens: der Herstellung öffentlicher Güter durch die Arbeit von freiwilligen Internetnutzern, die ohne eine bürokratische Organisationsstruktur auskommen. In ihrem Beitrag wenden sie sich den durch die Interaktion der „Produtzer“ entstehenden Kollaborationsnetzwerken zu, deren Daten und Arbeitsschritte auf den Entwicklungsportalen meist automatisch archiviert und öffentlich gemacht werden. Sie entwickeln ein Modell, das netzwerkspezifische Fragestellungen für die Strukturanalyse speziell großer Kollaborationsnetzwerke ermöglicht. Am Beispiel der Nutzeraktivität auf Wikipedia gehen sie verschiedenen Fragen des Nutzerverhaltens nach: Welche Gründe haben Nutzer, zu partizipieren? Wonach richtet sich das Ausmaß der Beteiligung und was veranlasst Nutzer, wieder aus dem Projekt auszusteigen? Sie gelangen zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass es einerseits während der kontinuierlichen Arbeit an Wikipedia-Artikeln selten zu Kontroversen zwischen den Autoren kommt, und dass sich andererseits die Autoren gerade von populären und häufig editierten Wikipedia-Aufsätzen in einer globalen
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Netzwerkstruktur wiederfinden, die zwei Gruppen aufweist, welche die Artikeländerungen der jeweils anderen Gruppe verwirft und die eigenen Beiträge verteidigt. Lerner et al. können damit die Theorie der strukturellen Balance nach Heider (1946) untermauern, der zufolge „ein Freund eines Freundes ein Freund, der Feind eines Freundes ebenfalls ein Feind“ ist. Interessant ist dabei, dass dieser Fall jedoch nur für kontroverse WikipediaArtikel zutrifft, über deren Sujet verschiedene Meinungen und Auffassungen herrschen. Für Artikel, deren Inhalt objektiv editiert wird, tritt das Phänomen der strukturellen Balance nicht auf. Insgesamt werfen Lerner et al. die Frage nach dem Problem der Qualitätssicherung und fortgesetzten Arbeit auf Wikipedia oder ähnlichen Webbasierten Entwicklungsforen auf, besonders hinsichtlich der Motivation der Beiträger, am Projekt mitzuarbeiten. So führen gerade die Mitarbeit an den als kontrovers eingestuften Artikeln und das Löschen des produzierten Inhaltes zu Frustration und Motivationsverlust, die zum Dropout führen können. Bleiben einmal verfasste Textpassagen jedoch lange auf den Artikelseiten erhalten, fördert dies offenbar die Bereitschaft des Autors, weiter auf Wikipedia mitzuarbeiten. Hierbei identifizierten Lerner und Kollegen auch einen Typ von Wikipedia-Autor, dessen hoher Anteil an (kleineren, weniger zeitaufwändigen) Bearbeitungen auf ein Selbstverständnis als „Aufseher“ oder Lektor bzw. Korrektor für Wikipedia schließen lässt. Diese Nutzer scheinen ihre Motivation aus dieser Funktion heraus zu ziehen. Internetnutzer in Kollaborationsnetzwerken nehmen also auch bestimmte Rollen ein, verhalten sich entsprechend und bewerten bzw. behandeln andere Nutzer in diesem Sinne. Dabei ist das Stichwort „Meinung/Anschauung“ bereits gefallen: Im folgenden Beitrag untersucht Darko Obradovic die interne Vernetzung in der europäischen „Blogosphäre“ und identifiziert Nähe und Distanz einzelner Blogs und Blogrolls zueinander anhand eines Kern-Peripherie-Modells. Mit Hilfe seines Ansatzes lässt sich die existierende Vernetzungsstruktur innerhalb der Blogosphäre und hier speziell die kulturelle Abgeschlossenheit, die Meinungsführerschaft sowie die thematische Clusterung, d.h. Gruppenbildung der Blogs, herausfinden und über eine Gruppen-Adjazenzmatrix (GAM) visualisieren. Obradovic zeigt, dass das Medium Sprache offenbar einen hohen Einfluss auf die Netzwerkstruktur der Blogosphäre hat, da die Verlinkungen auf den Blogrolls und die gegenseitige Bezugnahme der Blogger hauptsächlich im eigenen Sprachraum getätigt werden. Dies führt zu einer relativ starken Abgeschlossenheit der
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europäischen Sprachräume, wobei es sich weltweit betrachtet bei dem englischen und spanischen Sprachraum – vermutlich aufgrund der weiten Verbreitung der beiden Sprachen – um die jeweils größten Netzwerke handelt. Des Weiteren macht Obradovic deutlich, dass in jedem Sprachraum wenige, klare Meinungsführer existieren, auf die sich ein Großteil der Verlinkungen bezieht, und weist Gruppenbildung augrund von Themenschwerpunkten nach, die sich ebenfalls in der Verweisstruktur der Blogrolls widerspiegelt. Angesichts dieser Ergebnisse wäre es wünschenswert, wenn Informatiker in Zukunft enger mit Sozial- oder auch Geisteswissenschaftlern zusammenarbeiten würden, um dem „Sozialen“ im Web 2.0 auf die Spur zu kommen. Die Literaturwissenschaftlerin Christiane Heibach schlägt beispielsweise für die Analyse künstlerischer Projekte im Internet die stärkere Betrachtung der Interkonnektivität von Nutzern und Internetinhalten vor und grenzt dazu die Vernetzung zwischen räumlich von einander getrennten Künstlern zum Zweck der gemeinsamen Kooperation von der Vernetzung zwischen Nutzern und Dokumenten bzw. Inhalten im Internet ab. Die dritte Perspektive bildet die Netzwerkstruktur des Mediums an sich, wo neue Darstellungs- und Rezeptionsformen erprobt werden. Hierunter fällt z.B. auch die Ästhetik in der Darstellung, d.h. die Verknüpfung medialer Produkte, wonach sich etwa Text und Bild aufeinander beziehen und wiederum mit Film und Ton vernetzt sind (Heibach 2005). Ein weiteres Beispiel ist Andreas Hepps Ansatz, Potenziale der Modelle von ‚Konnektivität‘ und ‚Netzwerk‘ in der Medien- und Kommunikationsforschung mit dem Aspekt des ständigen ‚Fließens‘ zu verbinden, um diese als zentrale Aspekte von Bedeutungsproduktion zu verankern. ‚Konnektivität‘ bedeutet dabei das „Herstellen einer spezifischen kommunikativen Beziehung, die einerseits eine konkrete Artikulation darstellt, andererseits auf übergreifende Diskurse und Formationen verweist“ (Hepp 2008: 158). Der Netzwerk-Begriff eignet sich nach Hepp dabei besonders, die strukturschaffenden Momente dieser Konnektivität zu fassen. Ebenso können Netzwerkanalysen helfen, die Beziehungen zwischen Kulturwandel, Medienwandel sowie der Veränderung in Machtverhältnissen zu untersuchen (Hepp 2011). Eine für beide Vorschläge beispielhafte Studie wird derzeit von Marc Ruppel mit dem Titel Visualizing transmedia networks. Links, paths and peripheries durchgeführt. Der Literatur- und Medienwissenschaftler wendet sich der zunehmend komplexeren gegenseitigen Durchdringung von Narrativen und Me-
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dien(typen) zu, durch die transmediale Geschichten erzeugt werden. Seine Studie „calls attention to the formally locatable network structures in disparate media like film, the print novel and video games that dominate the creation of transmedia fictions. Such elements […] can be used to visualize and graph these fictions for both quantitative and qualitative analysis“ (Ruppel 2012a). Für die NBC Universal-Serie Heroes werden auf diese Weise etwa die einzelnen Serienstaffeln mit Comic- und Romanveröffentlichungen, Web-Episoden und Webseiten, iStories und Smartphone-Angeboten mit einander verknüpft. Ruppel nutzt hierbei Zentralitätsmaße, um die für die transmediale Fiktion relevanten Verbindungen aufzudecken und ihre Anfälligkeit für äußere Einflüsse wie etwa den U.S.-amerikanischen Autorenstreik von 2007/2008 aufzuzeigen (Ruppel 2012b). Diese Analysevorschläge ermöglichen eine tiefgreifende Analyse und gehen weiter, als die von Gamper vorgestellten gängigen Studien über soziale Netzwerke im Internet dies bisher leisten. Auch Wilson und Kollegen stellten bereits die berechtigte Frage: „Are [web-based] social links valid indicators of real user interaction?“ (Wilson et al. 2009: 1). Als Antwort und Empfehlung für zukünftige Analysen von SNS-Daten schlagen sie die Verwendung eines Interaktionsgraphen vor, der die tatsächliche Pflege und Nutzung von Online-Bekanntschaften und -Kontakten akkurater widerspiegelt, als der bisher verwendete soziale Graph: „We show that interaction activity on Facebook is significantly skewed towards a small portion of each user’s social links. This finding casts doubt on the assumption that all social links imply equally meaningful friend relationships. […] Analysis of interaction graphs derived from our Facebook data reveal different characteristics than the corresponding social graph. Most notably, interaction graphs exhibit an absence of small-world clustering. We also observe much lower average node degrees in the interaction graph as compared to the Facebook social graph. This confirms the intuition that human interactions are limited by constraints such as time, and brings into question the practice of evaluating social networks in distributed systems directly using social connectivity graphs.“ (Ebd.: 13)
Die Beachtung der simplen Tatsache, dass die Pflege von Kontakten auch über SNS zeitaufwändig ist, persönliche Ressourcen in Anspruch nimmt und die Kontakte damit auch unterschiedlich bedient werden, wirft also ein differenzierteres Licht auf die binären „Freund/nicht Freund“-Beziehungen
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im Internet. Auch das Nutzerverständnis des Labels „Freund“ wäre in diesem Zusammenhang näher in den Blick zu nehmen. Es gilt zu verstehen, welche Konnotationen die Internetfreundschaften annehmen können. Dieser Frage gingen z.B. David Fono und Kate Raynes-Goldie in ihrer Studie über das Freundschaftsverständnis von Nutzern von LiveJournal, einem freien Blogservice nach (Fono/Raynes-Goldie 2006). Die Autoren unterscheiden zwischen dem rein funktionellen und systemimmanenten Deskriptor „Freund“ und den Auffassungen der Nutzer. Hierbei ergaben sich sieben verschiede Ansichten darüber, was ein LiveJournal-„Freund“ bzw. der Akt des „Befreundens“ darstellt: 1) als Leseliste und „befreunden“ von Verfassern lesenswerter Inhalte, 2) die Nutzung von LiveJournal zur Pflege von „Offline“-Kontakten, 3) als Mitglieder einer Gemeinschaft, die exklusiv online besteht, 4) als Kontrollmechanismus und besonderes Vertrauensverhältnis, 5) als Höflichkeit auf eingehende Freundschaftsanfragen, 6) als öffentliche Präsentation der (beiderseitigen) „Freundschaftsbeziehung“. Als siebte Möglichkeit kreierten Nutzer Freundschaftslisten sogar aus keinem bestimmten Anlass oder persönlicher Motivation heraus. Der Beitrag von Gerit Götzenbrucker und Margarita Köhl zu Internetverhalten und Nutzung von SNS durch österreichische und thailändische Studierende knüpft durch seine Fragestellungen und die verwendete Methoden-Triangulation an die hier nur kurz aufgeworfenen Forschungsfragen an. So erhoben die Autorinnen Daten zu konkreten Nutzungspraxen und befragten die Jugendlichen nach ihrem Freundschaftsverständnis sowie den persönlichen Egonetzwerken mit Hilfe eines adaptierten Fischer-Netzwerkgenerators (Fischer 1982). Besonders in den Blick genommen wurde hierbei die kulturelle Dimension der Nutzung von SNS. So konnte etwa untersucht werden, inwieweit die rigide Trennung zwischen Innen- und Außenbeziehungen im thailändischen sozialen Leben und die verschiedenen Dimensionen, die Beziehungen dort aufweisen können, in die Internetbeziehungen hineinspielen. So lag auch die Frage nahe, ob sich kulturbedingte Unterschiede in den sozialen Netzwerken der Jugendlichen ergeben, etwa in der Zusammensetzung der Beziehungen und Beschaffenheit der Netzwerke. Nach Götzenbrucker und Köhl liegen die Thailänder zwar mit im Durchschnitt 239 Freunden auf ihrer jeweils genutzten SNS vor den Österreichern mit „nur“ 172 Nennungen; die Bedeutung dieser Kontakte unterscheidet sich jedoch hinsichtlich ihrer Intensität beträchtlich: So kennen die Wiener 144 der 172 Freunde
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persönlich, während es bei den Thai-Freundschaften nur zu 94 Personen persönliche Beziehungen gibt. Dass die Pflege der Beziehungen im realen Leben, d.h. der physische Kontakt, wie von Wilson et al. angenommen, tatsächlich ressourcenintensiv und daher weniger stark ausgeprägt ist, legt die Angabe nahe, dass die Wiener wiederum nur 27, die Thailänder 30 Freunde regelmäßig sehen. Unterschiede ergeben sich auch im Freundschaftsverständnis: Während für die Thailänder das wechselseitige Verständnis bzw. die Gegenseitigkeit und Hilfestellung in einer Freundschaft wichtig sind, betonen die Österreicher die Werte „Vertrauen“ und „persönliche Bekanntheit“. Dies spiegelt sich auch in der Analyse der Egonetzwerke wider, in denen vor allem ein Unterschied hinsichtlich der Komplexität der Egonetzwerke, d.h. bezogen auf die eher von den Thais unterhaltenen duplexen und eher von den Österreichern unterhaltenen multiplexen Beziehungen, auszumachen ist. Für die Netzwerke auf den SNS gilt jedoch, dass thailändische Jugendliche hier „Freundschaften“ eher als informelle, entspannte Beziehungen wahrnehmen, in denen der Selbstausdruck oberflächlich und gleichzeitig enthemmt möglich ist. Die österreichischen Jugendlichen haben dagegen andere Erwartungen in die Ausgestaltung ihrer sozialen Netzwerke im Internet, wo neben den Spaß-Motiven zunehmend Aspekte des sozialen Nutzens (Sozialkapital) und soziale Integriertheit zum Tragen kommen. Mit ihrem Beitrag bilden Götzenbrucker und Köhl eine ideale Brücke zum dritten Kapitel dieses Bandes, das aktuelle Beiträge aus der kulturanthropologischen Netzwerkforschung versammelt.
3. K ULTURANTHROPOLOGIE Angesichts des sich konstituierenden Paradigmas einer „Relationalen Soziologie“ (Emirbayer 1997; Mische 2011) ist es naheliegend nachzufragen, was denn die Disziplin zum Thema zu sagen hat, die sich wie keine andere mit der kulturellen Dimension menschlicher Vergesellschaftung beschäftigt hat: die Kulturanthropologie. Immerhin stand neben der soziologischen Tradition um das grundlegende Werk von Jakob Moreno zur Soziometrie auch die (britische) Sozialanthropologie Pate bei der Begründung der empirischen Erforschung sozialer Netzwerke.
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Unzufrieden mit dem für die Beschreibung von städtischen Sozialbeziehungen ungeeigneten Instrumentarium damaliger Verwandtschaftsethnologie war der britische Sozialanthropologe Radcliffe-Brown einer der ersten, der die Sozialstruktur als ein komplexes Netzwerk empirisch feststellbarer sozialer Beziehungen für seine stadtethnologischen Forschungen im südlichen Afrika nutzbar machte (Radcliffe-Brown 1940). Christopher McCarty und José L. Molina spannen in ihrem Überblicksbeitrag den Bogen von diesen Ursprüngen der ethnologischen Netzwerkanalyse in der Ethnologie in den 1940ern bis zu ihrer Renaissance im Fach in den letzten zwanzig Jahren und ihren heutigen Verwendungsformen. Sie erläutern, wie die zunehmende „Quantifizierung“ und naturwissenschaftliche Ausrichtung der Netzwerkanalyse durch die Soziologie, die Computerwissenschaften sowie die Physik dazu führten, dass die Kulturanthropologie die Netzwerkanalyse in den 1970er Jahren aus dem Blick verlor. Erst die Aufwertung quantitativer Methoden und eine verstärkte Methodenausbildung im Fach seit Ende der 80er Jahre führten dazu, das Interesse an der Netzwerkanalyse wieder zu wecken. Hatten Mark Granovetter (1985) und Barry Wellman (1988) bereits den „cultural turn“ in der Netzwerkanalyse angedeutet, brachten die Ansätze von Mustafa Emirbayer und Jeff Goodwin zu Network analysis, culture, and the problem of agency (1994) sowie dem Manifesto (Emirbayer 1997) in den 1990er Jahren frischen Wind in die Forschungslandschaft. So kritisierten Emirbayer und Goodwin an der bis dato praktizierten Netzwerkanalyse, dass sie sowohl menschliches Handeln („human agency“) als auch Kultur zu wenig theoretisch beleuchte und durch die starke Fokussierung auf Strukturelemente keine Erklärung für sozialen Wandel liefere. Die soziale Netzwerkanalyse „often denies in practice the crucial notion that social structure, culture, and human agency presuppose one another; it either neglects or inadequately conceptualizes the crucial dimension of subjective meaning and motivation – including the normatice commitments of actors – and thereby fails to show exactly how it is that intentional, creative human action serves in part to constitute those very social networks that so powerfully constrain actors in turn“ (Emirbayer/Goodwin 1994: 1413).
Das somit gesteckte Ziel der Verbindung zwischen Strukturanalyse und einer kulturellen Perspektive auf soziales Handeln und die Rückbesinnung einer jungen Generation von Kulturanthropologen auf die Stärken der eige-
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nen methodischen Tradition (stationäre Feldforschung, teilnehmende Beobachtung, emischer Zugang) taten das ihre, um Netzwerkforschungen in der Ethnologie wieder hoffähig zu machen und läutete auch im deutschsprachigen Raum sowohl eine „kulturelle Wende“ in der sozialen Netzwerkforschung ein (Fuhse/Mützel 2010) als auch ein neues Interesse an ethnologischen Feldmethoden. Es waren vor allem der Kölner Ethnologe Thomas Schweizer und seine Schüler/innen, die den Zusammenhang zwischen sozialen Netzwerken und kulturellen Bedeutungssystemen empirisch untersuchten und damit der ethnologischen Netzwerkanalyse den Weg bahnten (Schweizer 1989; 1996). Es sind die eminente Bedeutung kultureller Rahmenbedingungen und die Wirksamkeit kultureller Skripts und kultureller Domänen in Netzwerkprozessen, die ethnologische Feldzugänge inzwischen auch für die Nachbarwissenschaften wieder attraktiv machen. Zu welchen innovativen Forschungsdesigns ein kulturanthropologischreflektierter Einsatz der Netzwerkanalyse in der Lage ist, zeigen McCarty und Molina anhand aktueller Beispielstudien und beleuchten hiermit vier Techniken, an denen sich nach ihrer Einschätzung zukünftige Untersuchungen orientieren sollten: 1) die Kombination anthropologischer und netzwerkanalytischer Methoden, 2) die Nutzung der sozialen Netzwerkanalyse zur Datenerhebung, 3) den Rückgriff auf die Netzwerkanalyse, um anthropologische Konzepte und Theorien zu operationalisieren sowie 4) die Empfehlung an Anthropologen, ihre Forschungsfelder auf für die Ethnologie atypische Themen auszuweiten. Insbesondere für die Erforschung der durch die regelmäßige Interaktion im Web 2.0 entstehenden kulturellen Räume sehen die Autoren großes Entwicklungspotenzial. Mit den strukturellen Veränderungen am Arbeitsplatz etwa durch die Einführung von Telearbeitsplätzen und den zunehmenden Online-Kooperationen innerhalb Web-basierter Gemeinschaften dürften Forschungen wie die von Johnson und Boster (2003) über die Dynamik von Kleingruppen in extrem abgeschlossenen Umgebungen an Bedeutung gewinnen. In ihrer Studie bewegten sich die Bewohner einer Südpolstation weitgehend isoliert von ihrer Umgebung und nahmen – genauso wie Lerner et al. für virtuelle Räume zeigen konnten – bestimmte Rollen gegenüber anderen Bewohnern ein. In beiden Beispielen bildeten sich „kulturelle“ Regeln des Vertrauens heraus und fanden bzw. finden Prozesse kultureller Schließung statt.
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Das Zusammenwirken von Netzwerkstruktur und kulturellen Schemata sowie die Bedeutung der ‚Geschichten hinter den Knoten und Kanten‘ für das Verständnis der Handlungsoptionen von Akteuren beleuchten die letzten drei Beiträge in diesem Band. Sie legen beredtes Zeugnis dafür ab, dass sich auf der empirischen Ebene der Streit zwischen Akteur-NetzwerkTheorie (Latour 2007) und Phänomenologischer Netzwerktheorie (White 1992) erledigt hat, und einer Mittelperspektive weicht, die sich das Beste aus beiden nimmt.3 Auf methodologischer Ebene demonstrieren alle drei die Verwendung eines Mixed-Method-Ansatzes, der qualitative und quantitative Forschungsinstrumente erfolgreich verknüpft.4 Im Beitrag von Jennifer Hauck und Eva Schiffer geht es um die Bedeutung formeller und informeller Machtstrukturen, den Fluss von Information und Geld sowie die Rolle des Vertrauens beim Ressourcenmanagement in einer institutionell komplexen Gemengelage in Nordghana. Während die Autorinnen die Bedeutung von Führerschaft und Vertrauen als kritische Voraussetzung für ein erfolgreiches Entwicklungs- und Ressourcenmanagement diskutieren, legen die gemeinsam mit den Akteuren erstellten Netzwerkkarten die eminente Bedeutung der informellen Netzwerke offen, in denen sich die Kooperationspartner und Adressaten solcher Projekte wiederfinden. Die Netzwerkstruktur bestimmt die Grenzen und Möglichkeiten des Akteurshandelns. Aber auch Umfeldbedingungen wie externe Institutionen oder kulturelle Aspekte haben entscheidende Auswirkungen auf die Transaktionsoptionen der Akteure. Dieses Geflecht zu erheben und kommunikativ zu validieren, gelingt Hauck und Schiffer mit Hilfe von Net-Map, einer innovativen Form der Netzwerkkarte zur Erhebung von egozentrierten Netzwerken. Net-Map wurde von Schiffer als „pen and paper“-Netzwerkkarte konzipiert, um quantitative und qualitative Analyse zu verbinden. Neben dem klassischen Papierbogen und Filzmarkern kommen hier auch stapelbare Spielsteine zum Einsatz, die die Analyseebene um eine dritte Dimension erweitern. Mit Hilfe von Net-Map können Befragte Situationen
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Zu Schwächen und Stärken sowie Überschneidungen beider Ansätze siehe Laux 2009.
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Zu den verschiedenen Möglichkeiten, Netzwerkkarten zu erstellen und dabei qualitative mit quantitativer Analyse zu verbinden siehe auch Gamper, Schönhuth und Kronenwett 2011.
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beschreiben und visualisieren, in denen ganz unterschiedliche Akteure Einfluss auf das Geschehen nehmen, oder prozessimmanente Konflikte nur latent vorhanden sind. Die Visualisierungen gewinnen zusätzliches Potential durch die „Netzwerkerzählungen“, die die Akteure während der Erstellung produzieren. Angelehnt an das in den 1980ern entwickelte Venndiagramm (vgl. z.B. Schönhuth/Kievelitz 1994) eignet sich dieses Instrument nicht nur zur partizipativen Erhebung und Analyse von Netzwerken, sondern auch zur strategischen Planung in oder zwischen Institutionen (Schönhuth 2011).5 Im vorliegenden Fall konnten so für die Gemeinde Binduri in Nordghana Konflikt-, Ratgeber-, Unterstützungs- und Hilfenetzwerke sowie Anweisungs- bzw. Belehrungsnetzwerke erstellt werden, die jeweils strukturelle und kulturelle Konflikte zwischen den beteiligten Fischern, Fischhändlern, Vertretern des Gemeinderats und der Verwaltung sowie des Projektmanagements offenlegen. Hauck und Schiffer verstehen ihren Beitrag insofern auch explizit als Anleitung in konflikt- und handlungsorientierten Kontexten. Ruth Haselmair wendet sich anschließend Wissensnetzwerken und der Weitergabe und Veränderung von Erfahrungswissen über Pflanzen und kulinarischen Traditionen bei den Nachfahren Tiroler Migranten in der österreichisch-deutschen Siedlung Pozuzo zu, die vor 150 Jahren am Osthang der Anden in Peru gegründet wurde. Sie untersucht dabei das Wissen als „traditional (ecological) knowledge“ (TEK), das von einer Gruppe über Generationen hinweg gewonnen und an die nachfolgenden Generationen mündlich überliefert wird. Dieses Wissen ist gleichzeitig in die Organisation und das Weltbild dieser Gruppe eingebettet und gewährleistet sowohl deren kulturelle als auch historische Kontinuität, während es gleichzeitig offen gegenüber sozialem Wandel und sich ändernden Umweltbedingungen ist. Konkret geht es Haselmair in ihrer Forschung um die Wissensquellen, die von den Tiroler Nachkommen im Bereich der Kulinarik genutzt werden, sowie die Art und Weise, in der sie dieses Wissen weitergegeben. Um diesen Fragen nachzugehen entwickelte sie ein dreiteiliges Erhebungsverfahren, das sich aus dem Namensgenerator, der Erstellung einer persönli-
5
Für einen Überblick unterschiedlichster Methoden zur partizipativen Erhebung, Visualisierung und Auswertung von Netzwerken vgl. Schönhuth et al 2012.
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chen Netzwerkkarte und einem soziodemografischen Fragebogen zusammensetzt. Neben den interessanten Einzelergebnissen, etwa das die Wissensweitergabe in Pozuzo hauptsächlich über persönliche, insbesondere verwandtschaftliche Kontakte und eher selten über (digitale) Medien erfolgt – so sind Eltern etwa die wichtigste Quelle für kulinarisches Wissen –, diskutiert Haselmair auch methodische Fragen in Hinblick auf den Einsatz von Netzwerkkarten als Erhebungsinstrument sowie praktische Probleme bei der Erhebung. Dass Beziehungen jedoch nicht a priori bestehen und erst in einem mühsamen und langwierigen Prozess des Sich-Einander-Annäherns ausgehandelt und kultiviert werden, zeigt der letzte Beitrag von Bettina Beer ausführlich am Beispiel der Wampar in Papua Neu Guinea. Anhand von Heiratsbeziehungen zwischen dieser Bevölkerungsgruppe und den Adzera, einer benachbarten Gruppe im angrenzenden Siedlungsgebiet, zeigt Beer anschaulich, welche kleinteiligen Schritte unternommen werden, bevor es überhaupt zwischen den Partnern unterschiedlicher ethnischer Herkunft zu einer Heirat kommen kann und wie die jeweiligen Partner in die Verwandtschaft aufgenommen werden. Kulturelle Unterschiede und Vorurteile gegenüber den „Anderen“ sowie ökonomische Aspekte spielen hierbei in die Bewertung der neuen Beziehungen mit hinein und führen dazu, dass – etwa nach der Trennung der beiden Partner – einmal akzeptierte Verwandtschaftsverhältnisse auch wieder gelöst werden können. Dabei stabilisieren symbolische Akte, wie etwa die Namensverwandtschaft zwischen Enkeln und Großeltern, die Beziehung der Eltern und führen zur Integration des Kindes. Ebenso führen einmal angebahnte Beziehungen zwischen Wampar und Adzera dazu, dass auch ledige Bekannte des Paares Beziehungspartner in der jeweils anderen Gruppe finden. Beer beleuchtet darüber hinaus, wie Verwandtschaftsnetzwerke durch alltägliche gemeinsame Arbeiten gepflegt und diese Kontakte als soziales und ökonomisches Kapital z.B. für die Arbeitssuche oder den Unterhalt eines Wohnortes genutzt werden. Für ihre Studie nutzte Beer dabei einen Methodenmix aus der klassisch ethnographischer teilnehmender Beobachtung und der Erstellung eines ethnographischen Zensus. Zusammenfassend lässt sich Latour zitieren: „Geschmeidiger als der Begriff des Systems, historischer als die Struktur und empirischer als die Komplexität, ist das Netz…“ (Latour 2008: 10). Auch dieser zweite Band in der Reihe Knoten und Kanten zeigt wie sich über die Netzwerkperspek-
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tive Wissenschaftstraditionen verknüpfen und für einen Dialog fruchtbar machen lassen.
L ITERATUR Backstrom, Lars/Boldi, Paolo/Rosa, Marco, Ugander, Johan/Vigna, Sebastiano (2011): „Four degrees of separation“. Online unter: http://arxiv .org/abs/1111.4570 (28.12.2011). Boyd, Danah M./Ellison, Nicole B. (2007): „Social network sites. Definition, history, and scholarship“. In: Journal of Computer-Mediated Communication 13, 1, S. 210-230. Online unter: http://jcmc.indiana.edu/vol 13/issue1/boyd.ellison.html [28.12.2011]. Bourdieu, Pierre (1983): „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“. In: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen: Schwartz, S. 183-198. Butts, Carter T. (2010): „Geographical variability as a determinant of largescale network structure“, Workshop-Paper für „Spatio-Temporal Constraints on Social Networks“, Santa Barbara, Kalifornien, 13.14.12.2010. Online unter: http://www.ncgia.ucsb.edu/projects/spatiotemporal/docs/Butts-position.pdf [28.12.2011]. Ders./Acton, Ryan M./Hipp, John, R./Nagle, Nicholas N. (2012): „Geographical variability and network structure“. In: Social Networks 34, 1, S. 82-100. Castells, Manuel (2001): Das Informationszeitalter, Bd. 1, Die Netzwerkgesellschaft, Opladen: Leske + Budrich. Comscore (2010): „Facebook captures top spot among social networking sites in India“, Pressemitteilung 08.2010. Online unter: http://www.com sco-re.com/Press_Events/Press_Releases/2010/8/Facebook_Captures_T op_Spot_among_Social_Networking_Sites_in_India [13.02.2011]. Emirbayer, Mustafa (1997): „Manifesto for a relational sociology“. In: American Journal of Sociology 103, S. 281-317. Ders./Goodwin, Jeff (1994): „Network analysis, culture, and the problem of agency“. In: American Journal of Sociology 99, S. 1411-1454. Fischer, Claude S. (1982): To dwell among friends. Personal networks in town and city, Chicago: University Press of Chicago.
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Theorie und Methode
Neue Netzwerke und alte Tragödien Über den Wandel von Normalität im Umgang mit Medien M ICHAEL J ÄCKEL UND G ERRIT F RÖHLICH „Nirgends, wo man ist, ist man allein. Ueberall ist man in Verbindung mit allem und jedem. Jeder kann jeden sehen, den er will, sich mit jedem unterhalten. [...] Die ganze Erde wird nur ein einziger Ort sein, in dem wir wohnen.“ ROBERT SLOSS – DAS DRAHTLOSE JAHRHUNDERT
Als Robert Sloss sich im Jahre 1910 in Arthur Brehmers Die Welt in 100 Jahren das Leben im Jahr 2010 ausmalte, spielte die Zukunft der Medien und die zunehmende Vernetzung in seinen Prognosen eine große Rolle. Während Sloss diese Veränderungen jedoch begrüßte und eine „Glückszeit der Liebe“ (Sloss 2010 [1910]: 47) erwartete, in der beispielsweise Paare nie wirklich getrennt sein werden, sich über alle geographischen Distanzen hinweg sehen, sprechen und einander ihre Gedanken mitteilen können, zeigt ein Blick auf manche der momentan geführten Debatten, dass erweiterte Netzwerke und ständige Erreichbarkeit auf verschiedensten Kanälen auch als Belastung wahrgenommen werden. Einer der neuesten – aber keinesfalls ersten – Beiträge zu dieser Diskussion stammt von Frank Schirrmacher, der in seinem Buch Payback (2009a) variantenreich ein Gefühl des Kontrollverlustes beschreibt, nicht mehr Schritt halten zu können mit den
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Anforderungen des Informationszeitalters. Vertreter der Gegenposition hingegen, beispielsweise die selbsternannte „digitale Bohème“, sehen darin eher die verzweifelten Äußerungen einer bedrohten Elite – insbesondere einer journalistischen. Die Wahrnehmung immer neuer Kanäle und Verbindungen – sei es die gestiegene Frequenz der Nachrichten auf Online-Portalen, seien es die Äußerungen der mittlerweile durchschnittlich 150 Kontakte innerhalb verschiedener sozialer Netzwerke, der unaufhörliche Bewusstseinsstrom des Twitterschwarms – führt also durchaus zu ambivalenten Reaktionen. Ein Bedürfnis, sich mitzuteilen und die Informationen anderer zu nutzen, kollidiert mit der sorgevollen und misstrauischen Beobachtung jener Dienste, die diese Daten sammeln und bereitstellen. Das Gefühl, eine Information zu verpassen, wechselt sich beinahe nahtlos ab mit dem Gefühl, zwischen zu vielen Informationen die Übersicht zu verlieren und entscheiden zu müssen. „Wissen erzwingt Entscheidungen, öffnet Handlungssituationen“ (Beck 1996: 290), und wo zwischen nahezu einer beliebig großen Vielfalt an Wissensvorräten und Informationskanälen wiederum Entscheidungen getroffen werden müssen, erreicht auch die „Tragödie der Kultur“, wie sie Georg Simmel beschrieb, offenbar ein ganz neues Maß. Daten und Informationen scheinen immer entweder in zu geringer oder zu großer Zahl verfügbar zu sein – niemals jedoch in der richtigen Dosis. All diese Diskussionen, die sich neuen Problemen häufig mit alten Argumenten nähern, erinnern in gewisser Weise an die Idee der „Schläferkurve“, mit der Steven Johnson (2006) bestimmte Phänomene in Anlehnung an Woody Allens Film Der Schläfer von 1973 betrachtet. In diesem Film wird der Besitzer eines vegetarischen Restaurants nach 200 Jahren Tiefschlaf aufgeweckt und findet sich in einer Welt wieder, in der fette und zuckerreiche Nahrung nach neuestem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nun in dem Ruf steht, gut für die Gesundheit zu sein. Ein Wissenschaftler, der sich über die Bitte des Protagonisten nach einem Frühstück mit Weizenkeimen und „biologisch dynamischem Honig“ wundert und fragt, ob es denn damals noch kein Frittierfett, keine Cremetörtchen und keine Schokoladensauce gab, erhält als Antwort eines anderen Wissenschaftlers: „Man glaubte damals tatsächlich, das alles sei ungesund ...“. Johnsons Buch vertritt in Anlehnung an die Beobachtung, dass positive Auswirkungen bestimmter Entwicklungen oftmals unterschätzt werden, eine Gegenposition zur eher kulturpessimistischen Vorstellung und stellt die Frage, warum im Moment der Blick für die positiven Auswirkungen verloren gegangen scheint, die
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sich durch die Tendenz zur zunehmenden Vernetzung – vielleicht sogar durch die daraus entstehenden Überforderungen – auf längere Sicht ergeben können. Ebenso ist es auch das Ziel des vorliegenden Beitrags, die positiven Seiten dieser Vernetzungen und zunehmenden Beziehungen herauszustellen und zu verdeutlichen, dass die vielfach beobachteten kulturellen Tragödien und kognitiven Dramen weder neu sind, noch so tragisch und dramatisch sein müssen, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Ohne in die Euphorie eines Robert Sloss zu verfallen, werden die Folgen betrachtet, welche sich aus den neuen Möglichkeiten ergeben, sich über das zu verständigen, was normal ist und was nicht, und gleichzeitig anderen dabei zuschauen zu können, wie sie sich darüber verständigen. Weiterhin folgen einige Beispiele dazu, wie sich das Individuum in einem digitalen, zunehmend von „access“ geprägten Austausch in den Verhandlungen zu dem Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit positioniert.
1. E XPERIMENTIERFELDER UND Ü BERFORDERUNGEN . N EUE V ORSTELLUNGEN VON N ORMALITÄT Der eingangs erwähnte Johnson ist mit seinen Überlegungen zur „Schläferkurve“ nicht der einzige Autor, der den Begriff der Medienkompetenz aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten versucht. Neil Postman hat sich zu dem Begriff der Medienkompetenz wie folgt geäußert: „By media literacy I do not mean, have never meant, and hope no one else means, just teaching kids how to use computers.“1 Mit Medienkompetenz ist bereits hier keineswegs das technische Vermögen gemeint, sondern ein differenzierter und zugleich geschulter Umgang mit neuen, vor allem den Inhalt der Medien betreffenden „Überforderungen“. Ebenso hat Umberto Eco in einem anderen Zusammenhang, der sich stärker mit den Fragen der Vielfalt unterschiedlicher Medienangebote befasst hat, die Aufforderung formuliert: „Wir müssen noch einmal ganz von vorne anfangen, uns zu fragen, was läuft“ (Eco 1987: 162). Derlei Äußerungen scheint implizit die Wahrnehmung zu Grunde zu liegen, dass Mediennutzer sich von der schlichten Tatsache der Vervielfältigung bestimmter Angebote beeindrucken lassen, und
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Neil Postman in der Radioserie „gutenbytes“ im Jahr 2000.
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zwar jenseits der Frage, welche inhaltlichen Differenzierungen sich dabei im Einzelnen beobachten lassen. Die Entwicklungen, die zu solchen Phänomenen führen und die im Moment am ehesten – aber keineswegs ausschließlich – im Internet ausgemacht werden, stoßen nicht immer auf positive Reaktionen, sondern finden eher Beachtung unter dem Gesichtspunkt einer erdrückenden „poverty of affluence“, oder – in Anlehnung an Barry Schwartz – eines „paradox of choice“ (vgl. Schwartz 2006). Dieses Paradox besteht darin, dass Vielfalt zwar einerseits beklagt wird, ebenso aber auch ihr Fehlen, wenn sie in irgendeiner Weise reduziert wird. Eine gestiegene Anzahl an Optionen wird nur bis zu einem bestimmten Punkt als Vorteil wahrgenommen, darüber hinaus steigt die Unzufriedenheit. Dieses Unbehagen, das im Rahmen der aktuell geführten Diskussionen (beispielsweise über eine große Menge an Fernsehkanälen, Büchern oder Blogs) häufig zum Ausdruck kommt, ist jedoch keineswegs neu. Vielmehr hat man es hier mit einer unter neuen Bedingungen formulierten Klage zu tun, die schon in Georg Simmels Beschreibungen der „Tragödie der Kultur“ anklingt. Diese Tragödie bestand für Simmel darin, dass sich mit fortschreitender Entwicklung der Gesellschaft der Widerspruch zwischen „objektiver Kultur“ – der Gesamtheit der durch Menschen geschaffenen materiellen und geistigen Dinge – und „subjektiver Kultur“ – dem Bedürfnis und der Bereitschaft des Menschen, diese Bestandteile der objektiven Kultur aufzunehmen – verschärft und die Individuen so immer weniger in der Lage sind, sich die Produkte der Kultur anzueignen und als Mittel der Selbstverwirklichung auszuschöpfen (vgl. Simmel 1983 [1919]). Während die ersten Jahrzehnte der Internetforschung noch sehr stark von einer defizitären Perspektive geprägt waren, in der es vor allem um die Frage nach den Konsequenzen einer digitalen Ungleichheit ging, wurde dieser Ansatz mittlerweile durch die Beobachtung unterschiedlicher Formen der Aneignung von Inhalten und damit eben auch der Medienkompetenz ersetzt. Daraus ergeben sich neue Anlässe zur Auseinandersetzung mit der altbekannten Tragödie der Kultur – sei es die bereits erwähnte Diskussion zwischen Frank Schirrmacher und seinen Widersprechern oder sei es die von Miriam Meckels Brief an mein Leben (2010) ausgelöste Debatte über die Belastungen, die sich im Alltag durch Emails und andere Formen elektronischer Kommunikation ergeben können. Eine Rezensentin dieses Buches merkte an, die Klage bezüglich der Überforderung scheine ein eher elitäres Problem zu sein und man könne sich kaum vorstellen, dass bei-
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spielsweise eine Friseurin davon betroffen sei, wenigstens nicht in dem von Meckel wahrgenommenen Maße. Das mag polemisch klingen, verweist aber auf die Gefahr, sich im akademischen Bereich mit selbsterzeugten Problemen, selbsterzeugten Diagnosen und Kontroversen zu befassen. Man hat es mit Phänomenen und Beschreibungen von Phänomenen zu tun, die nicht zuletzt abhängig zu sein scheinen von der jeweiligen Position und den als „normal“ verorteten Eigenschaften. Eine der Fragen, die sich somit stellen, ist die, was heute eigentlich unter dem Begriff „Normalität“ zu verstehen ist. Befasst man sich mit der Rolle, welche die Medien für die Orientierung in unterschiedlichen Lebenslagen spielen, so gelangt man zunächst zu zwei populären Sichtweisen, die sich nahezu diametral gegenüberstehen (vgl. Ellrich 2006: 156). Für Jürgen Habermas einerseits stellen Medien durch eine bestimmte Art der Vermittlung von Wissen öffentliche Arenen für eine Kontroverse über geltende Normen und Werte bereit, die dann vor allem durch den „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Habermas 1984: 161) bestimmt wird. Dabei ist es vor allem die Sprache, die als „Haus der Vernunft“ (Bolz 2010b: 38) fungiert. Diesem Ansatz liegt also die Vorstellung zu Grunde, Normen und Werte könnten eine Art verbindende Klammer für Gesellschaften darstellen, innerhalb derer dann Handlungen gesteuert und koordiniert werden können. Niklas Luhmann andererseits hat dieser Position immer wieder entgegengehalten, dass diese normativen Vorfestlegungen sich durch keine theoretischen Überlegungen rechtfertigen lassen. Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass in einer funktional differenzierten Gesellschaft der einzelne vor allem in die Lage versetzt werden muss, in irgendeiner Weise anschlussfähig zu bleiben. Der Fokus liegt also nicht darauf, dass man sich inhaltlich in einer bestimmten Art und Weise festlegt und Mediennutzung nur noch aus dieser Perspektive heraus praktiziert – vielmehr kommt es in einer derart gestalteten Welt vor allen Dingen auf die Entwicklung einer allgemeinen Kompetenz zur Herstellung kommunikativer Anschlüsse an. Man geht also beispielsweise nicht in das Internet, weil man sich für ein ganz bestimmtes Thema interessiert, sondern man nutzt dieses Medium und seine Möglichkeiten aus einer Vielzahl unterschiedlichster Motive und Interessen. In seiner Habilitationsschrift Kampf um Anerkennung hat Axel Honneth (1992) die These formuliert, dass wir so etwas wie eine radikale Öffnung des ethischen Werthorizonts beobachten können, sodass es in dieser Öffnung nicht mehr um end-
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gültige Festlegungen im Sinne Habermas‘ geht, sondern darum, die Chance auf eine Wertschätzung des Selbst zu steigern. Statt monothematischer Festlegungen steht eine größere Offenheit im Vordergrund gegenüber dem, was die Umwelt dem Nutzer an Möglichkeiten bereithält. Als Dirk Baecker in einem kürzlich im Schweizer Fernsehen ausgestrahlten Interview auf die Oberflächlichkeit der Computergesellschaft angesprochen wurde und ob man dies nicht schon am Begriff des „Surfens“ festmachen könne, antwortete er: „Surfen – gerade wenn Sie es wörtlich nehmen und sich die kalifornische Surfkultur anschauen – ist ein extrem geduldiges, extrem leistungsbewusstes Unterfangen, das einen auf außerordentlich intensive Art und Weise mit den unberechenbaren Strömungen des Meeres in Verbindung bringt. Surfen ist die Position einer scharfen Beobachtung des eigenen Untergrundes, von dem man weiß, dass man nicht weiß, was sich unter einem abspielt, welche Haie da gerade welche Chancen situieren.“2
Es sind also nicht zuletzt Offenheit und Kontingenz des Mediums, welche die darin vermittelte Kommunikation vor der Oberflächlichkeit bewahren. Wie die Einführung vorheriger Kommunikationsmedien – Sprache, Schrift, Buchdruck – bringt auch der Computer neue Überforderungen in Form eines Zuviel an Möglichkeiten mit sich, die zur Entstehung neuer Kulturformen führen (vgl. Baecker 2007: 14ff.). Interessant ist nun die mittlere Position zwischen Habermas und Luhmann, weil sie etwas vermittelt, das mehr und mehr die Grundlage unterschiedlichster alltäglicher Diskurse zu beschreiben scheint. Jürgen Link (1999) stellt im Rahmen seiner Normalismustheorie die These auf, dass starke inhaltliche Orientierungen zwar unabdingbar seien, jedoch nicht zwangsläufig in Form normativer Vorschriften. Vielmehr wird in den Medien einerseits ein breites Spektrum an Vorschlägen über „normales Verhalten“ bereitgestellt und wahrgenommen, zu denen andererseits zugleich entsprechende Experimentierfelder geboten werden – seien es die Diskurse der klassischen Art oder deren in Form von Talkshows oder Reality Soaps popularisierte Formen, sei es in zunehmendem Maße eine Vermischung von Unterhaltung und Realität oder nicht zuletzt auch Spielshows, die im
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Das Interview ist online verfügbar unter: http://www.videoportal.sf.tv (letzter Abruf am 15.12.2010).
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Sinne moderner Assessment-Center interpretiert werden könnten. Bei diesen Gelegenheiten kann beobachtet werden, was normal, was akzeptabel oder verwerflich ist – oder, um genauer zu sagen: was andere dafür zu halten scheinen. Diese Bühnen haben einen nicht zu unterschätzenden Ausstrahlungseffekt auf die Art und Weise, in der man sich innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Zusammenhänge orientiert. Was „normal“ ist, wird also weniger an einem bestimmten, unumstößlichen Wertehorizont festgemacht; vielmehr scheint es mehr und mehr normal zu sein, sich in unterschiedlichen Wertsphären mit unterschiedlichen Formen von Akzeptanz zu arrangieren. Dies stellt in vielen Fällen nicht zuletzt für ältere Generationen eine Herausforderung dar, weil unumstößliche Vorstellungen und Traditionen auf einen Marktwert reduziert werden. Auch die Medien selber sind Veränderungen in ihren Bedeutungs- und Funktionszuschreibungen unterworfen, vor allem hinsichtlich ihres normalen, akzeptablen oder möglicherweise taktlosen Gebrauchs. Betrachtet man beispielsweise den historischen Wandel bezüglich der Rolle des Briefes (vgl. Bohn 2006: 170), so nahm er in der höfischen Gesellschaft noch die Funktion eines Mediums der Intimität ein – selbst dann, wenn die entsprechenden Empfänger persönlich anwesend waren, sich also unter Umständen sogar zur selben Zeit im selben Raum wie die Absender befanden. Die lautlose und exklusivere Übermittlung einer Botschaft in Gestalt eines handgeschriebenen Briefes im Vergleich zum offen ausgesprochenen Wort gab auch der Beziehung eine persönliche Note. In der modernen Gesellschaft hingegen wurden weitere Methoden und Verhaltensweisen entwickelt, die es ihren Mitgliedern erlauben, Nähe herzustellen. So hat sich im Laufe seiner Verbreitung das Telefon als ein Zeichen sozialer Nähe etabliert, während der Brief in vielen Fällen eher schon den Charakter einer Distanzierungsgeste annahm – ausgenommen natürlich spezielle Formen wie Liebesbriefe oder Grußkarten. Doch auch das Telefon sah sich bei seiner Einführung einer gewissen Skepsis gegenüber. Man fühlt sich schnell an Woody Allens Schläfer erinnert, wenn man über Baron Rothschild erfährt, dass er sich der Installation eines Telefons in seinem Schloss verweigerte und dies als ein Einbruch in seine Privatsphäre empfand. Ein modernerer, wenngleich fiktiver Gegenpart zu Rothschild ist der Mafiaboss Pauli in Martin Scorseses Goodfellas (1990), welcher, anstatt ein Telefon im Haus zu installieren, lieber seine Untergebenen durch den strömenden Regen zur nächsten Telefonzelle hin- und zurücklaufen lässt, während er an der Haus-
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tür wartet. Doch abseits solcher mit einem gewissen Kulturpessimismus einhergehenden Formen des Zögerns beziehungsweise der Verweigerung hat das Telefon sich als ein Hilfsmittel zur Vermittlung von Intimität etabliert. Und es genügt ein Blick auf die Werbekampagnen bestimmter Telekommunikationsunternehmen, die mit eben jenen Möglichkeiten werben, Paaren, Familien oder Freunden mittels günstiger Tarife oder schnellerer Übertragungsraten zwischenmenschlichen und emotionalen Austausch zu erleichtern, um Robert Sloss‘ eingangs erwähnten Vorstellungen einer „Glückszeit der Liebe“ in gewisser Weise Recht geben zu müssen. Ebenso lässt sich jedoch beobachten, dass die Etablierung solcher Medien im öffentlichen Raum und die entsprechenden Normen im Umgang mit ihnen auch eine Art von neuer „Tyrannei der Intimität“ (Sennett 1983) ausgelöst haben, die nun also nicht mehr nur dem Fernsehen zugeschrieben werden kann. Diesen Effekt hat man ihm ursprünglich einmal nachgesagt, weil vor dem Gerät eine Art „elektronisch befestigtes Schweigen“ (Sennett 1983: 319) entsteht. Wie genau die Vorstellungen von Normalität zu verstehen sind, hat Cornelia Bohn in ihren Überlegungen zum „flexible[n] Normalismus der Moderne“ (Bohn 2006: 171) formuliert. Normalverteilung, Normalverlauf, Normalentwurf sind hier als Dispositive zu verstehen hinsichtlich dessen, was als normal oder anormal bezeichnet werden kann. Normalität sowie die Abweichung von ihr werden – wie es auch bei Jürgen Link der Fall ist – zum Thema gemacht. Der Begriff der Normalität wird hier aber vor allem zu einer Frage der jeweiligen Position, die in Bezug auf eine solche „Normalverteilung“ mal eher in der Mitte, mal eher am Rande zu finden ist. In diesen Vorstellungen klingt eine Rückkehr zum „homme moyen“ an, von dem Quételet im 19. Jahrhundert gesprochen hat. Nicht zuletzt deshalb wird es wichtiger, die eigene Position selbst festzulegen, zu beobachten und zu bewerten. Ein Beispiel für die Veränderung und Verbreitung neuer Normalitätsvorstellungen findet sich in einem in der New York Times erschienenen Artikel, der sich den jüngsten Ergebnissen einer der regelmäßig vom amerikanischen PEW Research Center herausgegebenen Studie widmet. In dem Artikel findet sich der Satz: „Technology is just the start of the oldyoung divide“ (Tugend 2009: 5). Dieser Graben zwischen Jung und Alt sowie die Vorstellung, dass eine bestimmte Art des Umgangs mit Medien eine ganz neue Gesellschaft repräsentiert, die mit derjenigen der Eltern und
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Großeltern weniger gemein hat als zuvor, werden als Ausdruck einer sich ausbreitenden neuen Normalität interpretiert. Der hier aufgestellte intergenerationale Vergleich zwischen den Älteren und den Jüngeren führt notwendigerweise zu solchen Differenzen, und diese Differenzen wiederum lassen sich nicht erst seit dem Aufkommen des Internets beobachten. Viel mehr Interesse verdient dagegen der Umstand, dass sich schon beim Vergleich innerhalb derselben Generation – also Geschwister untereinander oder auch ältere Studierendengenerationen mit jüngeren, Vorgesetzte mit ihren Mitarbeitern – deutliche Abstände zeigen. Unterschiede im Umgang mit neuen Technologien lassen sich also nicht mehr hinsichtlich unterschiedlicher Generationen diskutieren (wo sie notwendigerweise auftreten), sondern müssen auch in viel engeren, intragenerationalen Kohortengrößen betrachtet werden (vgl. ausführlich Jäckel 2010).
2. H ÜTER DER T RADITION UND W EISHEIT V IELEN . D AS E NTSTEHEN NEUER W ISSENSORDNUNGEN
DER
Was sich durch die Öffnung der Technologien und der damit einhergehenden Erweiterung des Spektrums an Informationsträgern vor allem verändert hat, ist die Art und Weise, in der Wissen organisiert wird. Parallel zur Etablierung bestimmter Medien entwickelten sich immer auch bestimmte Wissensordnungen. Beate Schneider stellt in ihrer Analyse der Entstehung und Metamorphose von Wissensordnungen fest: „Wissen und jene, die es innehaben, passen sich einander an, kommunizieren untereinander und werden zunehmend austauschbar“ (Schneider 2006: 89). Wikipedia mag bezüglich dieser neuen Formen von Wissensgenerierung, -organisation und distribution ein extremes Beispiel sein, liefert jedoch einen deutlichen Hinweis auf den Verlust von Exklusivität hinsichtlich des Angebots von Informationen. Das Bedürfnis nach „Geschichtenerzählern“ (Postman 1988) oder jenen weisen „Hütern der Tradition“ (Giddens 1996: 154ff.), die sich von anderen dadurch unterscheiden, dass sie über exklusives und insofern auch einmaliges Wissen verfügen, nimmt ab. Und auch die Chancen, Wissen unter den Bedingungen heutiger Informationsdistribution exklusiv zu halten, schwinden zunehmend. „Mediennutzung und Wissensordnung [...]
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bilden einen Zusammenhang, da Wissensordnungen sich mit der Etablierung neuer Medien und, damit verbunden, der Um-Organisation von Mediennutzung verändern“ (Schneider 2006: 90f.). Die Dispositive des Wissens verschieben sich und es kommt zu einer radikalen Zunahme der Formenvielfalt, in der uns Wissen gegenüber treten kann – wobei Wissen natürlich nach wie vor im Sinne von Daniel Bell (1976) als etwas verstanden werden muss, das in organisierter Form eine Menge von Aussagen, Fakten und Ideen präsentiert. Ein Variante der Wissensordnung, die mit den veränderten Formen der Mediennutzung und der zunehmenden Vernetzung zwischen Individuen einher zu gehen scheint, findet sich in dem unter anderem in Surowieckis Die Weisheit der Vielen dargelegten Phänomen der Schwarmintelligenz, die das Wissen der Experten in mancher Hinsicht mehr und mehr zu ergänzen scheint. Aus dem ungeplanten Zusammenspiel mehrerer Individuen entstehen neue kollektive und emergente Verhaltensweisen, Bewertungsformen und Problemlösungsstrategien. In einem Artikel zu dem Thema aus der Neuen Zürcher Zeitung ist zu lesen: „Dem Schwarm fehlen die evidente Hierarchie und die feste Ordnung. Aber er zeigt koordinierte Bewegung und passt insofern vielleicht ja recht gut zur Mischung aus Individualismus und Konformität, die modernen Zusammenrottungen eignet“ (Güntner 2009). Der Titel des Beitrags, Kein Jubel für Solisten, verweist auf das bereits erwähnte Verschwinden der Geschichtenerzähler, denen eine Masse ihre Aufmerksamkeit schenkt, und deren Deutung der sozialen Wirklichkeit und anderer Phänomene mit einer gewissen Ehrfurcht zur Kenntnis genommen wird. Neben einer Entwicklung dahingehend, dass Kompetenz durch Prominenz ersetzt werden kann, findet hier auch eine zunehmende „Diskursierung“ statt, die dazu führt, dass „Solisten“ und damit einhergehend auch der Geniekult des 19. Jahrhunderts heute kaum noch Platz finden oder sich zumindest schwerer durchzusetzen scheinen. Geistes- und Schöpferkraft der Menschen durchlaufen Prozesse der Demokratisierung und in jenen Fällen, in denen beispielsweise Unternehmen und deren Entwicklungen noch personalisiert und einem individuellen Schöpfer zugeschrieben werden, wirkt dies häufig konstruiert. Thomas Alva Edison konnte noch sagen: „There is no organization; I am the organization.“ (zitiert nach Bazerman 2002: 259); an seinen Erfindungen waren weder Schwarm noch Schwarmintelligenz beteiligt. Dahingegen stellt die NZZ die Frage: „Kann [das Internet] auch ein Medium für neue Solisten in Kunst und Wissen-
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schaft sein – oder ist es, was das große schöpferische Individuum betrifft, allenfalls ein Archiv für dessen glanzvolle Vergangenheit?“ (Güntner 2009) In den Produktionsweisen, die sich in einer vernetzten Umwelt im Allgemeinen und im Internet im Speziellen beobachten lassen, finden sich Tendenzen ähnlich der von Alvin Toffler erwarteten Verschmelzung von Produktion und Konsum. Axel Bruns spricht im Falle des Web 2.0 – beispielsweise bei der Entwicklung von Open-Source-Produkten (oder sonstigen Formen von „user generated content“) – von einer Vermischung von Produktion und Nutzung, die sich im Deutschen im Begriff der „Produtzung“ niederschlägt. Hersteller und Nutzer von Wissen befinden sich im vergleichsweise neutralen Internet auf Augenhöhe. Das führt zu einer Entwicklung von etablierten Wissensstrukturen hin zu neuen, veränderbaren Wissenssammlungen – „vom Leser zum Autor, vom Konsumenten zum Nutzer, von Nutzer zum Produtzer“ (Bruns 2010: 203). Die derartige gemeinsame Schöpfung von Inhalten ist nur in einem Umfeld möglich, in dem der Nutzer Informationen sowohl wahrnehmen als auch verändern, relativieren oder ergänzen kann. Unter dem Gesichtspunkt einer zunehmend vernetzten Gesellschaft lässt sich also in Bezug auf Normalität ein zweifacher Wandel ausmachen. Einerseits vollzieht sich eine Änderung in der Bedeutungszuschreibung bestimmter Medien, wodurch sich neue Vorstellungen von einem normalen (und: normgerechten) Umgang mit ihnen ergeben. Andererseits führt, geht man von der Normalismustheorie aus, dieser veränderte Umgang zu neuen Möglichkeiten, sich ein Bild davon zu machen, was „normal“ ist. Im folgenden Kapitel sollen nun einige Beispiele folgen, die den Stellenwert des Individuums in einer derart vernetzten Gesellschaft verdeutlichen sollen.
3. T ECHNIK
UND Z UGRIFF . DIGITALEN AUSTAUSCH
D AS I NDIVIDUUM
IM
Vor einigen Jahren entwarf Jeremy Rifkin in seinem Buch Access (2000) die These, dass das Konzept des Eigentums durch bestimmte Formen von Outsourcing ersetzt wird und sich so neue Verhältnisse entlang der Chance des „Zugriffs“ – auf Güter, Informationen oder Dienstleistungen – bilden:
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„Seit Jahrhunderten schon stiften persönlicher Besitz und Eigentum Identität und gelten als „Maß“ für den Wert eines Menschen. Eine gewandelte Vorstellung von Eigentum im Wirtschaftsleben wird den Blick zukünftiger Generationen auf sich selbst und das Leben als solches nachhaltig verändern. Sehr wahrscheinlich wird eine Welt, die durch „Access“-Beziehungen geprägt ist, eine andere Art Mensch hervorbringen. [...] Eigentum [...] ist eine zu langsame Institution in einer Welt, die immer schnelllebiger wird“ (Rifkin 2000: 13f.).
So wie Eigentum für Rifkin in einer beschleunigten Gesellschaft eine zu langsame Institution darstellt, könnte man auch für bestimmte Mediengattungen annehmen, dass sie zunehmend unter Druck geraten und, sofern sie sich nicht anpassen, Gefahr laufen, zu verschwinden. Der zunehmende Verzicht auf Eigentum zum Beispiel lässt sich mit dem Phänomen „CloudComputing“ in Verbindung bringen, das ursprünglich von Spezialisten in die Welt gerufen wurde, die einen ausgesprochen hohen Bedarf an Ressourcen zur Verarbeitung digitaler Daten hatten, beispielsweise bei der Erforschung neuer Primzahlen oder der Auswertung großer Datenmengen. Dennoch entwickelten sich allmählich auch Produkte, die vornehmlich von Endabnehmern genutzt werden, ohne dass Software auf dem lokalen Gerät installiert ist. So werden inzwischen bestimmte Anwendungen vom Handy aus gestartet, die nicht dort installiert sind und Daten und Rechenleistung nutzen, welche von Rechenzentren bereitgestellt werden. Auch Google Docs funktioniert auf ähnliche Weise, und das geplante Betriebssystem Chrome OS ist nichts anderes als ein erweiterter Internetbrowser, der den Zugriff auf Programme im Netz ermöglicht. Aus dem Bedarf des Spezialisten wird plötzlich der Bedarf einer kritischen Masse. Parallel dazu nimmt im Vergleich von Mediennutzung erster und zweiter Ordnung letztere zu. Dabei soll mit Mediennutzung erster Ordnung das Lesen, Hören oder Sehen bezeichnet werden. Die Mediennutzung zweiter Ordnung hingegen besteht hauptsächlich aus der Organisation der Daten – der Löschung oder dem Überprüfen von Links und Lesezeichen, der Wartung des Browsers oder der Strukturierung des Dateisystems. Im Zusammenhang mit diesen eher technischen Organisationstätigkeiten hat Frank Schirrmacher in einem anderen Artikel, der sich mit der Bedeutung der Techniker und „Nerds“ für die Gesellschaft befasste, geschrieben: „Das Netz stellt, gerade wegen seiner kontrollierten Strukturen, viele Freiheitsfragen auf ganz neue Weise. In seinem Maschinenraum arbeitet Software,
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die gleichsam über unendlich viele Aktenordner, Protokolle, Querverweise, Fußnoten, Eingaben das Verhalten steuert und prägt, ohne dass man es merkt“ (Schirrmacher 2009b). Es werde auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch zu sehr auf Manager geschaut, auf Finanzmakler und vermögende Menschen, die durch ihre Positionen innerhalb des Finanzsystems scheinbar in der Lage sind, die Welt zu verändern, wohingegen auf den Bildern meistens der „Nerd“ fehlt – jener unscheinbare Techniker also, auf dessen technischen Fähigkeiten die Veränderungen letztlich beruhen. „Wenn wir der modernen Welt ein Gesicht geben wollen, reden wir von Wall-Street-Haien und Managern, aber wir sollten anfangen, über Nerds zu reden“ (Schirrmacher 2009b). Diese Sorte Entwickler sei ihrem Wesen nach individualistisch, ihr Erfindungsgeist ermögliche es den Menschen jedoch, einerseits Subjekt zu bleiben und Individualität zu bewahren, sich andererseits jedoch in technisch realisierten Netzwerken zusammenzufinden und miteinander in Verbindung zu treten. Auf diese Vernetzung vormals eher isolierter Subjekte, die sich dank der Techniker im Maschinenraum des Internets ein Stück weit aus der Mediennutzung zweiter Ordnung zurückziehen und einen Anstieg der Chancen auf Zugriff genießen können, beziehen sich auch Norbert Bolz’ Ausführungen, dass Sozialkapital im 21. Jahrhundert vor allem aus Verknüpfungen, Beziehungen und Positionen besteht: „Um [die Dynamik des Internets] zu verstehen, muss man vor allem begreifen, dass es hier um die Bildung von Sozialkapital geht. Sozialkapital besteht aus Verknüpfungen, Beziehungen und Positionen. [...] Facebook, StudiVZ und Xing sind eindrucksvolle Beispiele dafür, wie sich heute „soziale Graphen“ bilden, und zwar durch die einfache Frage: Wen kennst du, und wer kennt dich?“ (Bolz 2010a: 5)
Auch Georg Simmel hat das Problem der Identität schon an der Kreuzung sozialer Kreise festgemacht und ebenso davon gesprochen, dass das wertvollste Objekt für den Menschen eben der Mensch ist (Simmel 2008 [1903]: 209). Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet erleichtern es die im Internet bereitgestellten Möglichkeiten durchaus, Individualität zu wahren und zugleich trotzdem miteinander vernetzt zu sein. Soziale Netzwerke können ihren Mitgliedern unter Umständen die Nutzung und Stärkung jener „weak ties“ ermöglichen, die Granovetter (1973) zufolge so hilfreiche Brücken bieten, wenn es um die Verbreitung relevanter Informationen geht.
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Eben diese vereinfachten Möglichkeiten zur Weitergabe von Informationen sind es jedoch auch, die den Kritikern Anlass zur Besorgnis geben.
4. „T HE AGE OF PRIVACY IS OVER “. D AS DIGITALE P ANOPTICON UND DER Z WANG ZUR R EZIPROZITÄT Es stellt sich die Frage, aus welchen Gründen eine wachsende Zahl von Menschen mehr und mehr dazu bereit ist, private Informationen von sich preiszugeben, von denen nie ganz klar sein kann, in welchem Zusammenhang sie von Dritten verstanden, genutzt oder missbraucht werden. Dabei geht es nicht notwendigerweise um hoch Intimes, sondern beispielsweise schon um die Wahl des Urlaubsortes, um die Lieblingsmusik, den letzten Kinobesuch oder das zuletzt gekaufte Buch. Anstatt die Privatsphäre, wie von der klassischen Perspektive nahegelegt, als sozialen Raum zu verstehen, in dem sich die eigene Identität entwickeln kann und der ihr zugleich als Refugium dient, scheint hier eher der Anreiz im Vordergrund zu stehen, sogar noch auf dieser Hinterbühne Anschlussmöglichkeiten im Sinne Luhmanns zu generieren. Diese erlauben – nicht zuletzt durch technische Entwicklungen im „Maschinenraum“ des Internets wie beispielsweise leistungsfähigeren Algorithmen – im Ergebnis erstaunliche Profilbildungen, ohne dabei auf persönlichen Namen oder „wahre“ Identität angewiesen zu sein. Durch die niedrige Publikationsschwelle im Internet eröffnen sich so zusätzliche „Spielräume zum Ausprobieren und zur Grenzauslotung bei der Präsentation von Privatheit“ (Konert/Hermanns 2002: 418). Diese Spielräume lassen sich im Rahmen der Normalismustheorie als Experimentierfelder normalen Verhaltens verstehen. Auch in dieser subtilen Variante eines „Kampfes um Anerkennung“ werden letztendlich Diskurse bezüglich Normalentwürfen geführt und die eigene Position thematisiert. Gleichzeitig entsteht hier eine Situation, die schon von Foucault (1977: 256ff.) bekannt ist: Die Unsicherheit darüber, ob man beobachtet wird oder nicht, führt dazu, dass man die Spielregeln der anderen Seite in zunehmendem Maße akzeptiert. In der schwedischen Komödie Kitchen Stories (2003) wurden die Wissenschaftler dementsprechend angewiesen, mit den männlichen Singles, die sie im Rahmen einer nicht-reaktiven Beobachtung auf ihr Verhalten in der Küche hin untersuchen sollten, in keinerlei Interaktion zu treten. Die
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Beobachter müssen kommen und gehen dürfen, wie es ihnen gefällt. Und: „They must not be spoken to. And must never be included in daily chores and routines. No matter how tempting that may be.“ Ähnlich wie auch im Falle der in Baudrillards Agonie des Realen beschriebenen Fernsehserie über die Familie Loud, nach deren Dreh der Aufnahmeleiter triumphiert aussprach: „Sie haben so gelebt, als ob wir nicht dabei gewesen wären“ (in den Augen Baudrillards „eine absurde Formulierung, weder wahr noch falsch, aber paradox und utopisch“ [Baudrillard 1978: 45]), soll also im Grunde genommen gar nicht erkennbar sein, wann und ob eine Beobachtung stattfindet. Dieser Gedanke wird in Kitchen Stories in amüsanter Weise auf die Spitze getrieben, wenn das Untersuchungsobjekt, der männliche Single Isaak, die Küche verlässt, eine Etage höher ein Loch in den Boden seines Schlafzimmers bohrt und den ahnungslosen Wissenschaftler beim Beobachten einer leeren Küche beobachtet. Durch die zunehmende Vernetzung entsteht also eine Art Panopticon, in dem die Beteiligten sich selbst kontrollieren, und das vor Beobachtern, die (auf die eigene Profilseite) kommen und gehen, wie es ihnen gefällt. Diese internalisierte Selbstkontrolle kann so extreme Formen annehmen wie im Falle von Ashton Kutcher, hinter dessen Veröffentlichung privater Details sich die Pointe verbirgt, dass „gerade die Publikation des Privaten zum Versuch wird, die Souveränität über das Private zurückzuerlangen“ (Münker 2009: 118). Das Privatsphäreparadoxon, das sich hier manifestiert und in abgeschwächter Form auch bei vielen alltäglichen Aktivitäten weniger prominenter Mitglieder von sozialen Netzwerken eine Rolle spielt, ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Teilnehmer einerseits um ihre Privatsphäre sorgen, andererseits jedoch sehr viele private Informationen auf ihren Seiten preisgeben. Auch hier zeigt sich wieder, dass Informationen nie in der richtigen Dosis vorhanden zu sein scheinen. Die Bereitschaft, private Dinge preiszugeben, beruht nicht zuletzt auf einem „Zwang zur Reziprozität“ (Blumberg et al. 2009): Durch die Gegenseitigkeit, die in sozialen Netzwerken praktiziert wird, wird der Nutzer mehr und mehr dazu getrieben, bestimmte Dinge über sich preiszugeben, um diese auch von anderen zu bekommen. „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass primär der Druck zur Reziprozität und nutzenerhöhende Faktoren die Preisgabe von Informationen in sozialen Netzwerken bestimmt und nicht [...] die Besorgnis um die Privatsphäre den größten Einfluss hat“ (Blumberg et al. 2009: 20f.). Zu diesem Befund passt auch das Ergebnis der Jugend- und Multi-
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mediastudie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, wonach weniger als die Hälfte der 12- bis 19jährigen von den in den sozialen Netzwerken vorhandenen Privacy-Optionen, die den Zugriff auf bestimmte private Informationen ausschließen, überhaupt Gebrauch machen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2009: 47). Portale wie beispielsweise Yasni gehen so weit, die Kontrolle über die dort gesammelten und verlinkten Informationen nur durch eine Anmeldung bei dem Dienst zurückzugewinnen – durch Opt-Out-Möglichkeiten muss der Nutzer also aktiv die Verbreitung von Informationen unterbinden, die er unter Umständen nie in dieser Form und diesem Kontext veröffentlichen wollte. Die Zunahme solcher Mechanismen erinnert an die Kurzgeschichte Das Chronoskop des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov von 1956, in der die Verbreitung eines fernsehähnlichen Gerätes, mit dem sich ein Blick in die Vergangenheit werfen lässt, unerwartete Konsequenzen hat. Denn anstatt es bei der Beobachtung von Attila dem Hunnen zu belassen oder einen Ausflug in das Griechenland zu Zeiten Aristoteles’ zu unternehmen, interessieren sich die Menschen mehr und mehr für das, was der Nachbar vor zwei Tagen in seiner Wohnung oder der Ehepartner vor zwei Sekunden auf seiner Dienstreise getan hat. Diese Geschichte liest sich aus heutiger Sicht wie eine Metapher auf das Echtzeitinternet, in dem Informationen gleichsam zum Zeitpunkt ihrer Generierung allen verfügbar sind. Das Netz hält nicht länger nur Wissensansammlungen und Archive für längst Vergangenes bereit, sondern erlaubt zunehmend den Blick auf die Gegenwart anderer, möglicherweise weit entfernter Nutzer. Gegen Ende der Kurzgeschichte sagt einer der Protagonisten: „Die tote Vergangenheit ist nur eine andere Bezeichnung für die lebendige Gegenwart. Und wenn Sie das Chronoskop auf die Vergangenheit richten, die ein Hundertstel einer Sekunde zurückliegt, beobachten Sie dann nicht die Gegenwart? [...] Der Geschäftsmann wird seinen Konkurrenten, der Arbeitgeber seinen Angestellten überwachen. Es wird keine Privatsphäre mehr geben. Der Gemeinschaftstelefonanschluß, der Neugierige hinter dem Vorhang werden nichts dagegen sein. Die Fernsehstars werden unaufhörlich von jedermann genau beobachtet werden. Jeder sein Fenstergucker, und vor den Beobachtern gibt es kein Entrinnen. [...] Bis jetzt konnte man bei jeder Gewohnheit, jeder kleinsten Lebensäußerung mit einer gewissen Menge privater Ungestörtheit rechnen, aber das ist jetzt alles vorüber“ (Asimov 1983 [1956]: 266ff.).
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Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, wird gerne mit der Äußerung zitiert: „The age of privacy is over.“ Darin bestätigt sich Joshua Meyrowitz’ These einer „neuen Situationsgeografie“. Es gibt mehr und mehr Situationen, in denen wir andere beobachten können, die ihrerseits wiederum wissen, dass sie beobachtet werden können. Dies führt zu einer Art „Haus ohne Wände“, in dem ehemals getrennte Bereiche allen Bewohnern zugänglich sind. Konnten beispielsweise Kinder früher von den Gesprächen der Erwachsenen systematisch ferngehalten werden, fallen frühere Informationsbarrieren heute schlicht und ergreifend weg, weil „access“ gewährleistet ist. Dadurch ist es auch schwieriger geworden, sich im Sinne Goffmans an einer bestimmten Situation auszurichten. Man könnte im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken, in denen Verbindungen über jegliche private und berufliche Grenzen hinaus zusammenfallen, beinahe schon von einer Art „totaler Institution“ sprechen (wenn auch von einer, in deren Arme sich die meisten noch immer freiwillig begeben). Insofern steht diese Situationsgeografie in allgemeiner Form für ein Verschwinden der Möglichkeit, klar zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereichen trennen zu können. Zugleich ist mit dem Phänomen der Dauerbeobachtung und –information auch eine zunehmende Desillusionierung und eine Demontage von Idealbildern verbunden. Auch Eliten, seien es beispielsweise US-Präsidenten oder andere Politiker, werden in mehr und mehr Situationen begutachtet und bewertet, ihre Schwächen und Fehltritte für die Nachwelt konserviert (Meyrowitz 1990: 143ff.). Vorbilder hatten es in der Vergangenheit leichter.
5. N ACHAHMUNG UND D ISTINKTION Nachahmungseffekte sind aus der Beschäftigung mit modernen Formen der Selbstorganisation bekannt. Markl (siehe N.N. 1998: 37) hat den Begriff des „Medien-Clonings“ im Zusammenhang mit der Beobachtung verwandt, dass bestimmte Modephänomene sich nach einem bestimmten Modell verbreiten. Man könnte dies durchaus auch mit der Entstehung moderner Warenfetische oder -kulte in Verbindung bringen. Euphorisch erwartete technische Produkte oder andere, im Bekleidungsbereich angesiedelte Modemarken sind dabei nur einige Beispiele. Das verstärkte globale Kopieren weltweiter Initiativen, beispielsweise der Buy Nothing Day oder der Chris-
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topher Street Day, weist auf eine Zunahme dieser Effekte hin, ebenso die Übernahme medialer Posen, mit denen vor dem Bildschirm kopiert wird, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Adorno – und mit ihm viele Vertreter der kritischen Kulturtheorie – machten derartiges noch verstärkt am Fernsehen fest, so dass beispielsweise angemerkt wurde, wie sehr sich die Sekretärin im Büro im Einklang mit der im Film gesehenen bewegt. Es kommt nun aber auch über das Fernsehen hinaus zu einer zunehmenden Verbreitung typischer medialer Posen wie beispielsweise dem „one arm length shot“, den man in unterschiedlichen Variationen auf nahezu jeder Facebook- oder Myspace-Seite finden kann. „Mediale Posen sind für die junge Generation selbstverständlich und alltäglich. Ihr Verhalten vor der Kamera ist professionell und antrainiert. Sie orientieren sich an Starimages, und ihre Bilder entwickeln sich auf der Grundlage medienstruktureller Vorgaben (z.B. auf Partyportalen die typischen Pärchen- oder Friendsshots und One Arm Length Shots) [...]“ (Richard 2010: 55). Mit dem Abriss der Wände zwischen ehemals getrennten Bereichen und dem Verschwimmen traditionaler Grenzen zwischen den Sphären Privatheit und Öffentlichkeit kommt eine besondere Brisanz der Frage zu, welche Auswirkungen diese Transparenz auf das Wechselspiel von Nachahmung und Distinktion hat. Es existiert mittlerweile eine Vielzahl von Untersuchungen, die derartige Nachahmungsphänomene in Bezug auf das Internet analysiert haben. Im Rahmen einer Studie von Salganik, Dodds und Watts (2006) beispielsweise wurden auf einer konstruierten Internetseite neuere Musiktitel zum Download angeboten, wobei den Nutzern angezeigt wurde, wie oft ein Titel bereits von anderen heruntergeladen wurde. Im Ergebnis war einerseits eine Art von selbsterfüllender Prophezeiung zu beobachten: Die populäreren Stücke mit den höheren Downloadzahlen wurden in der Folge häufiger heruntergeladen und gewannen noch an Popularität. Andererseits war jedoch ebenso auch der entgegengesetzte Fall zu beobachten. Die als besonders unpopulär ausgewiesenen Titel erfuhren ebenfalls eine verstärkte Aufmerksamkeit. Man findet hier also eine ähnliche Mischung aus Nachahmung und Differenzierung, wie es auch von Georg Simmel schon für den Bereich der Mode im Allgemeinen beschrieben wurde. Hinzu kommt nun allerdings ein weiterer, aufschlussreicher Aspekt: „Je mehr sozialer Kontakt, desto größer sind später die Unterschiede zwischen Hits und Nieten, wie das Experiment gezeigt hat, desto weniger Prognosen sind also möglich“ (Schrader 2006: 10). Selbstverstärkende oder selbstzerstörende
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Prozesse entwickeln sich also paradoxerweise vor allem dann, wenn man es mit isolierten Nutzern zu tun hat, denen als einziger Indikator Downloadzahlen zur Verfügung stehen und die darüber hinaus in keinerlei Kontakt zueinander stehen. Je stärker aber die Teilnehmer einer solchen Untersuchung bereits im Vorfeld vernetzt sind, um so geringer ist die Chance, dass ein als populär bezeichneter Titel auch alleine schon aufgrund dieser Popularität die Aufmerksamkeit eines Netzwerkes erfährt. Vernetzung kann also durchaus dazu führen, dass Nachahmungseffekte reduziert werden. Hierin zeigt sich, dass Inhalte, die über Medien vorgegeben wurden, mit Begeisterung – und natürlich auch mit einem gewissen Nutzen – in vielfacher Weise als Orientierungspunkt für individuelles Verhalten dienen können. Auch hier ist es in einem vernetzten Umfeld vor allem der Zugriff auf Informationen über das Verhalten anderer, aufgrund dessen Individuen versuchen, Vorstellungen über Normalität und Normalentwürfe abzuleiten und trotzdem ihre Individualität zu bewahren. Diese Individuen befinden sich als „Produtzer“ dieser Informationen in einem doppelten Spannungsfeld: Als Produzenten der Informationen wägen sie ab zwischen der Darstellung in der Öffentlichkeit und der Wahrung von Privatsphäre – als Nutzer der Informationen versuchen sie, die Waage zu halten zwischen Nachahmung und Distinktion.
6. P ARTIZIPATIONSILLUSIONEN UND E NTSCHEIDUNGSGRUNDLAGEN Aus einer klassischen Perspektive heraus (und besonders nach der Lektüre von Frank Schirrmachers Payback) ist man geneigt, all diese Beispiele als Ausdruck dessen zu sehen, was Georg Simmel als Belastung und Überforderung durch eine Vielzahl an Kulturangeboten beschrieben hat. Einige seiner Ausführungen lassen sich ohne Schwierigkeiten auf das Internet übertragen: „Unzählige Objektivationen des Geistes stehen uns gegenüber, Kunstwerke und Sozialformen, Institutionen und Erkenntnisse, wie nach eigenen Gesetzen verwaltete Reiche, die Inhalt und Norm unseres individuellen Daseins zu werden beanspruchen, das doch mit ihnen nichts Rechtes anzufangen weiß, ja, sie oft genug als Belastungen und Gegenkräfte empfindet. [...] So entsteht die typische problematische Lage
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des modernen Menschen: das Gefühl, von dieser Unzahl von Kulturelementen wie erdrückt zu sein, weil er sie weder innerlich assimilieren, noch sie, die potentiell zu seiner Kultursphäre gehören, einfach ablehnen kann“ (Simmel 2000 [1916]: 191).
Eine ähnliche, ebenfalls kritische Perspektive vertritt der amerikanische Sozialwissenschaftler Daniel Bell, indem er die Zunahme der Möglichkeiten von Beteiligung als eine Fortsetzung der aus anderen Bereichen bekannten Knappheitsphänomene beschreibt. Wenn jeder versucht, sich in Prozesse einzubringen, dann wird aus der Partizipation sehr schnell eine Partizipationsillusion: Aus zunehmender Vernetzung können so neue Formen von Knappheit entstehen. Mit dem steigenden Bedürfnis nach Partizipation steigt auch der Zwang zur Interaktion und aus dem vermeintlich erhöhten Mitspracherecht wird eine Mitsprachepflicht, die für einen Anstieg von Frustration sorgt. „Entweder man begnügt sich mit oberflächlichen Beziehungen oder man stößt an eine ‚obere Grenze‘ des zu bewältigenden Ausmaßes von Kommunikation“ (Bell 1976: 355). Diese Feststellung wurde noch nicht einmal vor dem Hintergrund der Möglichkeit formuliert, sich an Foren, Blogs und ähnlichem zu beteiligen, sondern stammt aus den Anfängen der Analysen der Informationsgesellschaft Mitte der 1970er Jahre. Die Flaschenhals-Probleme, die bei der Umsetzung solcher Partizipationsmöglichkeiten in der Praxis auftreten (beispielsweise wenn in einer politischen Talkshow im Verlauf einer Sendung mehrere hundert Emails die Redaktion erreichen, von denen am Ende der Sendung schließlich zwei oder drei auszugsweise vorgetragen werden), sind bislang ungelöst und werden es wohl auch weiterhin bleiben. Bells Empfehlung lautet, sich mit oberflächlichen Beziehungen zu begnügen oder zu akzeptieren, dass man an eine obere Grenze des zu bewältigenden Ausmaßes von Kommunikation stößt. Vor diesem Hintergrund sind die 150 „Freunde“, die man im Durchschnitt in verschiedenen sozialen Netzwerken hat, unmöglich mit der Beziehungsform vereinbar, die früher mit diesem Begriff assoziiert wurden (vgl. hierzu auch Rau in diesem Band sowie Götzenbrucker und Köhl). Zu den modernen Partizipationsillusionen zählt auch die Vorstellung, den eigenen Einfluss durch kollektives Engagement steigern zu können. Ein „Volk von Testern“ (Drösser 2008) versucht mehr und mehr, sich bereitwillig an der bereits erwähnten Schwarmintelligenz zu beteiligen – beispielsweise durch die Bewertung des Urlaubshotels oder durch das Teilen der Erfahrungen im Umgang mit dem neuen Mobiltelefon. Auch hier ist das ent-
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scheidende Kriterium für die Entstehung emergenter Verhaltensweisen jene kritische Masse, die dafür sorgt, dass Schwarmintelligenz gegenüber dem individuellen Urteil an Bedeutung gewinnt. „Erst wenn viele Nutzer von ihren Erfahrungen erzählen, ergibt sich ein rundes Bild, fallen Gefälligkeitsrezensionen ebenso wenig ins Gewicht wie die gewohnheitsmäßigen Nörgler und Störer, die das Internet anzieht wie das Licht die Motten“ (Drösser 2008). Erstaunlich ist, dass die Kunden zwar einerseits in der Summe das Gefühl vermittelt bekommen, sie könnten an Einfluss oder Bedeutung gewinnen. Andererseits wird aber der einzelne Konsument durch diese vielen Beurteilungen nicht notwendigerweise klüger, sondern vielfach sogar verunsichert, weil er angesichts der Masse an potentiell wichtigen Informationen gar nicht mehr weiß, auf welcher Grundlage er seine Entscheidungen treffen soll. Man könnte in diesem weiteren Anzeichen für das misslungene Einpendeln auf die richtige Informationsdosis in Anlehnung an Alain Ehrenberg auch von einer „Last des Möglichen“ sprechen (Ehrenberg 2008: 302). Die Paradoxie besteht also darin, dass Bewertungsportale für viele, die heutzutage in Urlaub fahren oder eine größere Anschaffung planen, eine selbstverständliche Instanz geworden sind, durch die daraus entstehende Vernetzung die Entscheidungsfindung jedoch nicht notwendigerweise leichter von der Hand geht, sondern mit höheren Anforderungen verbunden ist, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Ein Volk von Testern wird mächtiger und verwirrter zugleich.
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KOGNITIVE
H ERAUSFORDERUNGEN
Viele der Klagen bezüglich der Überforderungen angesichts des Internets scheinen sich auf die beschriebenen Übersichts- und Flaschenhalsprobleme zurückführen zu lassen. Partizipationsmöglichkeiten und -illusionen sowie auch ein gewisser Zwang zur Reziprozität im Austausch mit Informationen tragen unbestreitbar eine Fülle neuer Ansprüche an den Nutzer heran. Was neu ist, wird aber häufig vor allem deshalb als Überforderung eingestuft, weil es nur im Sinne einer Passung zum Vorhandenen interpretiert wird. Steven Johnson wagt das Gedankenspiel, wie eine entsprechende Argumentation ausgesehen hätte, wäre beispielsweise das Videospiel vor dem Buch erfunden worden, und konfrontiert den Leser mit einem ungewöhnlichen Szenario: „Das Lesen von Büchern unterfordert auf Dauer alle Sinne. Die
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lange Tradition des Computerspielens bindet das Kind in eine lebendige, dreidimensionale Welt ein, die mit bewegten Bildern und musikalischen Klanglandschaften gefüllt ist“ (Johnson 2006: 33). Auch die Tendenz zur zunehmenden Vernetzung, die gestiegene Zahl der Schnittstellen und der Überschuss an Informationen, deren Filterung und Ordnung dem Nutzer neue Kompetenzen im Umgang mit ihnen abfordern, lassen sich unter dem Gesichtspunkt einer Einbindung in eine neue, gewissermaßen „lebendigere“ Welt sehen. In Anbetracht dieser neuen Fülle von sozialen Tatsachen bedeutet Medienkompetenz jedoch mehr als zuvor, das richtige Maß zwischen Teilnahme und Zwang, Nachahmung und Distinktion, Information und Ignoranz (im Sinne eines Ausblendens von Informationen) zu halten. Johnson sieht die Konsequenzen solcher zunehmender Vernetzungstendenzen positiv: „Mit seinem rasanten Aufstieg hat das Internet unseren kognitiven Apparat gleich dreifach auf Touren gebracht. Erstens, weil es uns zur Anteilnahme auffordert. Zweitens, weil es uns gezwungen hat, neue Schnittstellen zu meistern, und drittens, weil es uns neue Möglichkeiten bietet, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten“ (Johnson 2006: 125f.). Innerhalb dieser neuen, vom Internet erzeugten Wissensordnungen gewinnen Normalverläufe und -kurven an Bedeutung – sowohl bezüglich der eigenen Position, als auch im Hinblick auf das, was als das normale Verhalten der anderen erscheint. Manche haben – oder hatten – die Begabung, solche Veränderungen bereits früh zu sehen. Der eingangs bereits erwähnte Robert Sloss äußert sich in Arthur Brehmers Buch Die Welt in 100 Jahren über die Innovationen seiner Zeit wie folgt: „Noch vor dreißig Jahren gab es kein elektrisches Licht, kein Telephon, kein Grammophon und keinen Photographen. Die großen Wunder haben wir jetzt geschaffen, und was ich geschildert habe, ist nichts als die allgemeine Nutzanwendung desselben; das ist nur das, was bestimmt kommen wird und zum Teil schon da ist“ (Sloss 2010 [1909]: 48). Für Sloss waren die positiven Entwicklungen, die er für die kommenden hundert Jahre erwartete, bereits vollständig in gegenwärtigen Technologien angelegt, die es eine Generation zuvor noch nicht gegeben hatte. Mit der Einführung des Internets hat sich das Tempo weiter beschleunigt – der Umgang mit der neuen Technologie und mit den neuen Formen, in denen diese Normalitäten vermitteln, haben zu einer weiteren Differenzierung von Mediengenerationen geführt. In einigen der aktuell geführten Debatten scheint ein Gespür für zweierlei Aspekte dieses Themas abhanden gekom-
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men zu sein: zum einen der Blick für die positiven Seiten von Vernetzung und kognitiven Überforderungen, für das, was – wie im Falle von Woody Allens Der Schläfer – „bestimmt kommen wird und zum Teil schon da ist“. Zum anderen zeigen Analysen der Vergangenheit, beispielsweise diejenigen Georg Simmels, dass sich hinter der aktuell diagnostizierten Krisis der Kultur vielleicht nichts anderes verbirgt als alte Tragödien, aufgeführt auf neuen Bühnen.
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Möglichkeiten und Grenzen der Erhebung egozentrierter Netzwerke im Online-Fragebogen und über digitale Netzwerkkarten A NDREAS H ERZ UND M ARKUS G AMPER
Seit Ende der 1970er Jahre erhält die egozentrierte Netzwerkanalyse immer mehr Bedeutung für die sozialwissenschaftliche Forschung (Wellmann 1979, Fischer 1982, Burt 1984, zur Geschichte vgl. auch Gamper/Reschke 2010). Ihr Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung und Untersuchung der interpersonalen Umgebung eines Akteurs. Der Forschungsfokus liegt somit auf dem „[...] um eine fokale Person, das Ego, herum verankerte soziale Netzwerk“ (Jansen 2006, S. 80). Hierbei sind zwei Formen der Erhebung und Analyse von egozentrierten Netzwerken zu unterscheiden. Einerseits handelt es sich hierbei um rein standardisierte Befragungsarten, in welchen anhand bestimmter Kriterien sowohl jene Beziehungen erfasst und untersucht werden, die eine bestimmte Referenzperson (Ego) mit anderen Netzwerkpersonen (Alteri) unterhält, als auch die Verbindungen der Alteri untereinander (Alter-Alter-Relationen). Andererseits werden verschiedene Arten von Netzwerkkarten zur Anwendung gebracht, die Interviewer und Interviewte gemeinsam im Befragungsablauf erstellen (Gamper/Schönhuth/ Kronenwett 2011; Kahn/Antonucci 1980; Straus 2002). Diese werden sowohl in unstandardisierten wie auch in standardisierten Forschungsdesigns verwendet (Hogan/Carrasco/Wellman 2007; Hollstein/Pfeffer 2010). Auch wenn sich beide Vorgehensweisen unterscheiden, so ist ihnen gemein, dass
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die einzelnen Beziehungen als auch die Struktur des Netzwerks jeweils aus der Sicht einzelner Akteure erhoben werden. Auch der Ablauf der Datengewinnung gestaltet sich bei beiden Vorgehensweisen gleich: Im ersten Schritt wird der Befragte über einen oder mehrere sogenannte Namensgeneratoren gebeten, Alteri aufzulisten, mit denen Ego nach einem oder mehreren Kriterien definierte Beziehungen unterhält. Nachdem der Befragte die Angabe von Namen oder Initialen der Referenzpersonen abgeschlossen hat, werden diese Personen als Mitglieder des persönlichen Netzwerks des Befragten betrachtet. Im zweiten Schritt werden Informationen zu den Beziehungen zwischen Ego und den Alteri sowie zu Eigenschaften der Alteri über sogenannte Namensinterpretatoren eruiert. Ego wird beispielsweise zu Beziehungsdauer, Beziehungsintensität oder Kontakthäufigkeit sowie zum Alter, Geschlecht oder Wohnort zuvor genannter Alteri befragt. Um Aussagen über die Struktur der Netzwerke treffen zu können, werden im dritten Schritt über eine sogenannte Inter-Alter-Matrix Daten über die Beziehungen zwischen den Alteri im egozentrierten Netzwerk erhoben. Hierzu wird der Befragte gebeten, die Beziehung zwischen jeweils zwei Alteri zu qualifizieren (Matzat 2007; Wolf 2006).
1. C OMPUTEREINSATZ IN DER E RHEBUNG EGOZENTRIERTER N ETZWERKE – EIN N OVUM ? Bislang wurden Computer überwiegend zur Analyse und Visualisierung von Netzwerkdaten (z.B. über Programme wie UCINET, PAJEK, E-NET) eingesetzt. Zwischenzeitlich ist jedoch ein immer stärker werdender Trend zu beobachten, dass Computer auch für die Erhebung egozentrierter Netzwerke eingesetzt werden. So wurden für beide Erhebungsvarianten (standardisierte Befragungen und Netzwerkkarten) in den vergangenen Jahren sowohl computerunterstützte wie auch computergestützte Verfahren entwickelt, welche die digitale Erfassung von Netzwerkdaten erlauben (Gamper et al. 2011; Gerich/Lehner 2006; Lozar et al. 2004; Matzat 2007). Hierunter fallen zum einen Erhebungsprozeduren – offline wie online – für eine standardisierte schriftliche Erhebung von egozentrierten Netzwerken anhand von digitalen Fragebogen (z.B. EgoNet, Online-Befragung) und zum anderen unterschiedliche Programme zur visuellen Datengewinnung von Netz-
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werkkarten (z.B. EgoNet QF, VennMaker).1 Allerdings liegen über die einzelnen digitalen Verfahren für die Erhebung von egozentrierten Netzwerkdaten sowie über die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen wissenschaftlichen Vorgehens bisher kaum Studien vor. Wenig ist über die Datenqualität bei der Verwendung von Computern im Erhebungsprozess bekannt; allgemein anerkannte Standards für die Erhebung von egozentrierten Netzwerken unter Computereinsatz fehlen. In diesem Beitrag werden daher sowohl standardisierte Fragebogendesigns als auch Verfahren der Erhebung von egozentrierten Netzwerken über Netzwerkkarten hinsichtlich deren Chancen und Grenzen im digitalen Format diskutiert. Hierfür werden zwei verschiedene Verfahrensvarianten mit Computereinsatz anhand konkreter Projekte vorgestellt. Die im vorliegenden Beitrag verwendeten empirischen Daten entstammen zwei unterschiedlichen Projekten: Im ersten Projekt wird die standardisierte Erhebung von egozentrierten Netzwerkdaten im Online-Fragebogen diskutiert. Im zweiten Projekt wird die digitale Erhebung egozentrierter Netzwerkkarten in einem Methodenexperiment mit einer standardisierten Netzwerkbefragung verglichen. Sowohl die Eigenheiten der unterschiedlichen Zugangsweisen werden im Allgemein wie auch im Besonderen für die digitale Erhebungsweise im Beitrag erörtert. Der Fokus liegt vor allem auf den Möglichkeiten und Grenzen der computerunterstützten bzw. internetgestützten Erhebung von egozentrierten Netzwerken. In einem ersten Schritt werden hierfür allgemeine Vorüberlegungen zum Einsatz von Computer und Internet in Befragungen getroffen. Im Anschluss werden Besonderheiten der Erhebung egozentrierter Netzwerke in Online-Befragungen diskutiert, bevor Umsetzungsmöglichkeiten anhand des im ersten Projekt verwendeten Fragebogen-Instruments vorgestellt werden. Zur Einschätzung der Erhebungsqualität der online erhobenen Netzwerkdaten wird einerseits die Dropout-Quote diskutiert und zentrale Netzwerkmerkmale mit den Ergebnissen anderer
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Über EgoNet können computergestützte und computerunterstützte Fragebogen zu ego-zentrierten Netzwerken entworfen, beantwortet und ausgewertet werden (http://sourceforge.net/projects/egonet/). EGONET QF (http://www.pfeffer.at/ egonet/) und VennMaker (http://www.vennmaker.com/) ermöglichen die digitale Erhebung von Netzwerkkarten. E-NET (http://www.analytictech.com/e-net/enet.htm) ist ein eigens für die Analyse ego-zentrierter Netzwerke entworfenes Programm.
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Netzwerkstudien verglichen. Das zweite Projekt fokussiert die computerunterstützte Erstellung von Netzwerkkarten. Hierzu werden im ersten Schritt gängige Erhebungsformate der visuellen Datenerhebung unterschieden. Anschließend wird in einem Methodenexperiment die digitale Erstellung von Netzwerkkarten mit einer standardisierten Fragebogenerhebung verglichen. Den Abschluss des Beitrags bildet eine Zusammenfassung der Möglichkeiten und Grenzen digitaler Erhebungsformate für egozentrierte Netzwerke.
2. C OMPUTEREINSATZ IN B EFRAGUNGEN – V ORÜBERLEGUNGEN Befragungen gehören allgemein der Gruppe von Instrumenten der Datenerhebung an, die eingesetzt werden, um „[...] Fakten, Wissen, Meinungen, Einstellungen oder Bewertungen“ (Schnell/Hill/Esser 2008: 321) zu ermitteln. Umfragen, die mithilfe von Computern durchgeführt werden, werden unter dem Begriff der Computer Assisted Survey Information Collection (CASIC) zusammengefasst (Vehovar/Lozar Manfreda 2008). Diese lassen sich, je nach Art des Computereinsatzes, in „computerunterstützte“ und „computergestützte“ Verfahren unterscheiden (Luzar 2004). Sie sind als computerunterstützt anzusehen, wenn Fragen vom Interviewer in der Befragung mündlich gestellt werden (Computer Assisted Personal Interview, CAPI) und Antworten simultan im Befragungsprozess (vom Interviewer) am Computer eingegeben werden. Von computergestützt spricht man, wenn die Befragung ohne die Hilfe eines Befragungsleiters am PC durchgeführt wird. Die Fragen werden hierbei in schriftlicher Form ohne Unterstützung des Interviewers am Computer präsentiert (Computer Assisted Self Interview, CASI). Eine besondere Form der CASI-Erhebung stellen OnlineBefragungen dar. 2
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Wenn hier von Online-Befragungen die Rede ist, so sind damit lediglich Internet-Befragungen über das World Wide Web (WWW) gemeint, bei denen die Befragten den vorwiegend in schriftlicher Form präsentierten Surveyfragebogen unter Verwendung eines Web-Browsers abrufen und manuell unter Verwendung von Maus, Tastatur oder Touchscreen beantworten (Web-Survey). Online-Befragungen umfassen allgemein auch Befragungsformen, die über andere Informations- und Kommunikationsmedien und andere Netzwerkdienste umgesetzt
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Die Verwendung von Computern in der Erhebung von Befragungsdaten geht sowohl mit Verbesserungen als auch mit Restriktionen gegenüber klassischen Paper-and-Pencil-Erhebungsvarianten einher. Einer der wichtigsten Vorzüge sind wohl die geringen Erhebungskosten. Im Gegensatz zu Telefoninterviews oder postalischen Erhebungen entfallen die Kosten für den Fragebogenversand bzw. telefonische Verbindungsgebühren. So ist vor allem im selbstadministrierten Online-Format die Befragung größerer Personenzahlen mit geringem Kostenaufwand möglich. CASIC-Befragungsformate erlauben darüber hinaus multimediale Elemente (Text, Video, Bilder, Geräusche), die zur Verbesserung der Fragenpräsentation herangezogen werden können. Positiv ist auch die Steuerungsmöglichkeit der Interviewsituation zu bewerten. Beispielsweise ist es möglich Befragungen über automatisierte Filterführungen so zu gestalten, dass fehlerhafte Eingaben verringert werden. Ein weiterer Vorzug des Computereinsatzes liegt in der unmittelbaren Verfügbarkeit der Daten. Antworten der Befragten können während der Erhebung direkt auf einem Computer oder Server abgespeichert werden und stehen danach unmittelbar zur weiteren Analyse bereit. Dies führt in den meisten Fällen zur Reduktion des Zeitaufwands, der Kosten und der Eingabefehler, die bei der Erstellung einer Datenmatrix von „nicht-digital“ erhobenen Daten auftreten können (Luzar 2004; Pötschke 2009). Neben diesen Vorteilen ist der Computereinsatz in der Erhebung jedoch auch mit spezifischen Nachteilen verbunden. Selbst wenn die Durchführung im Allgemeinen kostengünstiger sein kann, so ist die Implementierung von computergestützten Methoden zum Teil noch zeit- und kostenaufwändiger als herkömmliche Befragungen. Hierzu zählt vor allem die Entwicklung des Instrumentes, wofür unter Umständen eigens Programmierungen vorgenommen werden müssen. Dieser Fall tritt vor allem dann ein, wenn standardisierte Befragungstools für die angedachte Befragungsprozedur nicht angemessen sind. Weiterhin sind mit Kosten für Computer für die Feldarbeit (im Falle von CAPI oder CASI offline) zu rechnen, wenn die benötige Infrastruktur nicht vorhanden ist. Ein weiterer Nachteil basiert auf
werden (beispielsweise über Local Area Networks (LAN) in einer Organisation oder Befragungen per E-Mail). Auch fallen Video-Befragungen, bei denen Fragen über Videos präsentiert und Antworten als Video aufgezeichnet werden, in den Bereich der Online-Befragungen.
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der Erreichbarkeit der Zielgruppe. Auch wenn für immer größere Teile der Bevölkerung ein steigendes Maß an Kompetenz im Umgang mit Computer und Internet angenommen werden kann, so bleibt diese Erhebungsvariante auf Personen mit mindestens basalen Fähigkeiten im Umgang mit Computern beschränkt (Luzar 2004; Pötschke 2009).
3. C OMPUTERGESTÜTZTE E RHEBUNG EGOZENTRIERTEN N ETZWERKEN IM O NLINE -F RAGEBOGEN
VON
Die Weiterentwicklung moderner Kommunikationstechnologien, deren weite Verfügbarkeit sowie die Entwicklung bedienerfreundliche Software für unterschiedlichste Surveydesigns3 (Teilnehmerrekrutierung, Erhebungsadministration, Datenanalyse) erlauben es, in Forschungsprojekten zunehmend Internet-Befragungen zur Datenerhebung einzusetzen. Der Einsatz von Online-Befragungen für die Erhebung von egozentrierten Netzwerken ist hingegen noch vergleichsweise neu, weshalb Standards für deren Umsetzung bislang fehlen. Die wenigen und sehr heterogenen Studien geben jedoch wertvolle Hinweise darauf, was bei der Erhebung über das Internet beachtet werden sollte. Lozar Manfreda et al. (2004) sowie Vehovar et al. (2008) untersuchen in experimentellen Studien den Einfluss unterschiedlicher Formate für Namensgeneratoren und Namensinterpretatoren. Sie zeigen, dass das vorgegebene Layout bei Namensgeneratoren einen Effekt auf die Anzahl der in Web-Befragungen genannten Alteri nimmt. Wird eine höhere Anzahl an Namenseingabefelder präsentiert, so erhöht sich die An-
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Laut dem Informationsportal Web Survey Methodology (WebSM) bestehen über 400 verschiedene englischsprachige Online-Befragungssoftwares auf dem Markt (http://www.websm.org/). Viele von diesen sind dabei kostenlos oder Open Source. Einen Überblick über bestehende Online-Befragungstools gibt Kaczmirek (2008). Eine Übersicht zur Software für Online-Befragungen findet sich weiterhin bei GESIS (http://www.gesis.org/dienstleistungen/methoden/ beratungen/datenerhebung/online-umfragen/software-fuer-online-befragungen/). Speziell für die Online-Erhebung von Netzwerkdaten bestehen kommerzielle Angebote wie Network Genie (https://secure.networkgenie.com/) oder Onasurveys (http://www.onasurveys.com/).
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zahl an genannten Namen und damit die Netzwerkgröße. Auch wenn kompositionale Merkmale von Netzwerken (z.B. Anteil an Verwandten, durchschnittliche Beziehungsenge) dadurch nicht beeinflusst werden, sprechen sich die Autoren für die Verwendung eines einzigen Eingabefeldes für die Nennung von Alteri aus (Vehovar et al. 2008: 221). Darüber hinaus stellen sie fest, dass die Befragten das Online-Interview eher fortführen, wenn die Namensinterpretatoren merkmalsbezogen (question-wise) aufgelistet sind (Vehovar et al. 2008). In der question-wise-Variante wird jedes Merkmal, also beispielsweise das Geschlecht der Referenzperson, für alle Alteri erfragt, bevor zum nächsten Merkmal übergegangen wird. Auch wenn diese Erhebungsvariante mehr Zeit in Anspruch nimmt, so erzielte dieser Modus bessere Ergebnisse als die Auflistung der Namensinterpretatoren im personenbezogenen Format (alter-wise), bei welchem zunächst alle Fragen für die erste Referenzperson und dann für die zweite Referenzperson usw. präsentiert werden. Die Anzahl der verwendeten Namensinterpretatoren hatte dabei nur geringe Effekte auf die Dropout-Quote. Auch Coromina und Coenders (2006) erzielen in einer Online-Befragung durch das questionwise-Format sowie für die Angabe aller Labels in ordinalen Skalen in den Namensinterpretatoren höhere Reliabilitäts- und Validitätswerte. Darüber hinaus zeigen die Autoren, dass der Einsatz eines verfeinerten graphischen Layouts des Fragebogens im Vergleich zu einem einfachen Fragebogenformat die Datenqualität verbessern kann. Matzat und Snijders (2010) kommen auf der Grundlage von zwei Studien, in denen sie die Erhebung von egozentrierten Netzwerken online und offline vergleichen, zu dem Ergebnis, dass die Erhebung via Internet die Datenqualität reduziert. Ihre Untersuchungen zeigen, dass die Anzahl an Personen, welche die Befragung innerhalb der Netzwerkfragen abbrechen, für den Online-Fragebogen höher lag als bei telefonischen Interviews. Auch ist beim Online-Fragebogen die Anzahl der genannten Alteri für die Befragten, welche die Namensgeneratoren nicht auslassen, geringer als offline, d.h. online werden kleinere Netzwerke berichtet. Zudem beobachten Matzat und Snijders ein höheres Ausmaß an fehlenden Werten in der Alter-Alter-Matrix in der Online-Befragung sowie einen höheren Anteil an Befragten, die in der Inter-Alter-Matrix immer die erste Antwortalternative im Drop-Down-Menü auswählen. Diesen Befund führen sie darauf zurück, dass Befragte vor allem in Matrixfragen zu einem zeitsparenden und „mechanischen“ Antwortverhalten neigen. Dies deckt sich mit Beobachtungen zur Beantwortung von „klassi-
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schen“ Web-Befragungen, bei welchen die Befragten (ähnlich wie beim Surfen über Web-Seiten allgemein) die Inhalte der dargebotenen Seiten häufig nur überfliegen. Dies lässt den Schluss zu, dass sich die Befragten in hohem Maß von der graphischen Aufbereitung einzelner Fragen und weniger von textuellen Anweisungen, die ein genaues Lesen erfordern, beeinflussen lassen (Couper/Conrad/Tourangeau 2007). Matzat und Snijders zufolge können Fragebogendesigns von Face-to-face-Netzwerkbefragungen nicht einfach für Online-Befragungen übernommen werden. Sie sprechen sich dafür aus, dass „[...] researchers should put additional efforts in motivating the respondents to spend time on filling out the network questions properly“ (Matzat/Snijders 2010: 110). So schlagen sie vor, der Gestaltung von Elementen der Online-Befragungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen (z.B. interaktive Elemente, kurze Videosequenzen o.ä.). 3.1 Erhebung egozentrierter Netzwerke im Online-Fragebogen – ein Beispiel Folgend wird ein Erhebungsinstrument vorgestellt, welches als Online-Befragung im Rahmen einer Studie zu transnationalen Unterstützungsstrukturen von deutschen MigrantInnen in Großbritannien entwickelt wurde. Da herkömmliche Online-Befragungsplattformen zum Zeitpunkt der Erstellung der Befragung, vor allem bezüglich dynamischer Elemente, nicht für die Erhebung von egozentrierten Netzwerken angemessen waren, wurde nicht auf standardisierte Befragungstools zurückgegriffen. Der Fragebogen wurde hierzu zunächst als Papierversion erstellt, anschließend im HTML-Formular angelegt und jeweils einer Reihe von Pretests unterzogen. Folgend werden der Ablauf der Befragung und die Erhebung der egozentrierten Netzwerke geschildert.4 Der Fragebogen enthielt vier Fragenblöcke: A: Migrationszeitpunkt, Migrationsmotivation, geographische Mobilität (11 Fragen), B: egozen-
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Der Fragebogen war als HTML-Formular auf einem Server der Universität Hildesheim bereitgestellt und konnte online abgerufen werden. Die Befragten wurden per E-Mail oder über Posts in unterschiedlichen Online-Foren zur Befragung aufgefordert. Sowohl im Anschreiben als auch im Aufruf war der URLLink zur Seite der Befragung angegeben. Der Befragungszeitraum begann Mitte März und lief bis Anfang Mai 2010.
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trierte Netzwerkanalyse des Unterstützungsnetzwerkes (Namensgeneratoren, Namensinterpretatoren, Netzwerkmatrix; zwischen 17 und 81 Fragen), C: Zufriedenheit mit sozialer Unterstützung, Orientierung, Verortung (6 Fragen) und D: sozialstatistische Angaben (20 Fragen). Im Frageblock B wurden über ein Set aus sechs Namensgeneratoritems Beziehungen zu drei Dimensionen sozialer Unterstützung (emotional, instrumentell und Geselligkeitsunterstützung; vgl. McCallister/Fischer 1978, Petermann 2005 sowie van der Poel 1993) und über ein Item belastende Beziehungen (Lettner/Sölva/Baumann 1996) erfasst.5 Da im Projekt auch die Multiplexität der Beziehungen, d.h. die Frage, ob Ego und Alter mehrere Beziehungen unterhalten, von Interesse war, wurde ein mehrdimensionaler Namensgenerator eingesetzt. Der Einleitungstext zu den Namensgeneratoritems, der separat auf einer Seite vor dem ersten Namensgenerator präsentiert wurde, lautete: „Mit den folgenden Fragen möchten wir erfahren, welche Personen derzeit in Ihrem Leben eine wichtige Rolle einnehmen. Das können FreundInnen, ArbeitskollegInnen, Bekannte und Verwandte sein, die in ihrem Ort, in Großbritannien allgemein,
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Die einzelnen Namensgeneratoritems lauteten: „Um sich im Leben besser zurechtzufinden, verlässt man sich manchmal auf Ratschläge und Meinungen von anderen Menschen. Von welchen Personen nahmen Sie in den letzten 12 Monaten Ratschläge an, wenn es um wichtige Entscheidungen zum Beispiel über die Familie oder die Arbeit ging?“ (emotional), „Welche Personen haben Ihnen in den letzten 12 Monaten kleinere Erledigungen und Besorgungen abgenommen oder Ihnen bei Arbeiten wie dem Ausfüllen von Formularen oder einem Umzug geholfen?“ (instrumentell), „Welchen Personen haben Sie sich im vergangenen Jahr zugewandt, wenn Sie sich niedergeschlagen fühlten und mit jemandem darüber reden wollten?“ (emotional), „Von welchen Personen haben Sie sich in den letzten 12 Monaten Geld geliehen?“ (instrumentell), „Mit welchen Personen haben Sie im letzten Jahr gemeinsam Ihre Freizeit verbracht oder sind einem gemeinsamen Hobby nachgegangen?“ (Geselligkeit), „Mit welchen Personen hatten Sie im vergangenen Jahr Auseinandersetzungen oder Streitereien (z.B. über alltägliche Angelegenheiten, über Geld oder Besitz)?“ (Konflikt) und „Welche Personen haben Ihnen vermittelt, dass Sie sich auf sie/ihn verlassen können (z.B. dass sie/er immer für Sie da sein wird, wann immer Sie Hilfe brauchen)?“ (emotional).
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Deutschland oder woanders wohnen. Es sind folgend Situationen oder Aktivitäten beschrieben, für welche Sie Personen aus Ihrem sozialen Netzwerk benennen sollen. Falls eine Situation nicht für Sie zutrifft, dann gelangen Sie über „Weiter“ zur nächsten Frage.“
Das erste Namensgeneratoritem, welches auf der darauffolgenden Seite präsentiert wurde, forderte die Befragten auf, Namen von Referenzpersonen (Alteri) über ein Eingabefeld einzutragen. Nach Eintragung der Namen oder Kürzel der Referenzpersonen wurden diese in einer Liste unterhalb des Eingabefeldes angezeigt. Pretests zeigten, dass der Hinweis, immer nur einzelne Personen zu nennen, sehr wichtig für das Verständnis des Befragungsablaufs war. Für die folgenden sechs Namensgeneratoritems auf den nächsten sechs Seiten konnten einerseits „neue“ Alteri über das Eingabefeld zur schon bestehenden Liste der genannten Personen hinzugefügt werden. Gleichzeitig waren bereits genannte Alteri automatisch in der Liste aufgeführt, welche dann durch das Anklicken einer Checkbox dem jeweiligen Item zugeordnet werden konnten. Dieses Vorgehen erlaubte es, die Multiplexität von Beziehungen zu erfassen. Die Anzahl möglicher Alteri war für alle sieben Namensgeneratoritems unbegrenzt, wobei fälschlich eingegebene Personen wieder gelöscht werden konnten. In den darauffolgenden Namensinterpretatoren wurden Eigenschaften der Alteri (z.B. Alter, Geschlecht, Beziehungskontext, Wohnort) und den zugehörigen Ego-Alter-Beziehungen (Beziehungsintensität, Kontakthäufigkeit) vom Ego erfragt. Die Fragen wurden dabei je Alter auf einer neuen Seite präsentiert (Alter-wise-Format). Die personenbezogene Darstellung wurde aufgrund der geringeren Zeitintensivität präferiert. Einzelne Items waren als Radiobuttons für Fragen mit einer Antwortmöglichkeit (z.B. Geschlecht), Check-Boxes für Fragen mit mehreren Antwortmöglichkeiten (z.B. Beziehungsart) oder Drop-Down-Menüs (z.B. Beziehungsintensität) dargeboten. Antworten im Namensinter-pretator waren obligatorisch, sodass das Weitergehen zur nächsten Fragebogenseite nur möglich war, wenn die Items der aufgeführten Seite beantwortet waren. Da dieser Prozess für Befragte umso zeitaufwändiger ist, je mehr Alteri sie nennen, wurden nur für maximal acht Alteri Informationen per Namensinterpretatoren erhoben, selbst wenn der Befragte mehr als acht Referenzpersonen genannt hatte. Das Sample wurde zufällig je Ego gezogen Die Anzahl der Alteri, welche für das Sample ausgewählt wurden, basierte dabei auf Erfahrungen aus den
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Pretests. Am Ende der Netzwerkerhebung wurden die Beziehungen zwischen den genannten Referenzpersonen in der Inter-Alter-Matrix erfragt. Für jede Beziehung zwischen zwei Alteri stand hierfür ein Drop-Down-Menü zur Einschätzung der Beziehungsintensität zur Verfügung. Die Matrix enthielt maximal 28 (8*7/2) Drop-Down-Menüs, da die Inter-Alter-Relationen ebenfalls für maximal acht Alteri, die zuvor zufällig aus der Menge der genannten Alteri ausgewählt wurden, bestimmt werden sollten. Hatten Befragte weniger als acht Alteri genannt wurde die Matrix in der Größe entsprechend angepasst.6 Im Vergleich zu klassischen Befragungsvarianten (z.B. Papierfragebogen) erleichtert die dynamische Struktur der Online-Befragung die Erhebung egozentrierter Netzwerke deutlich, da einmal eingegebene Kürzel oder Namen der genannten Alteri nicht mehrfach per Hand im Fragebogen übertragen werden müssen, sondern im Befragungsablauf automatisch in darauffolgenden Namensgeneratoren, Namensinterpretatoren sowie in der Inter-Alter-Matrix wieder aufgeführt werden können. Weiterhin reduziert eine Zufallsauswahl der Alteri einerseits die Befragungszeit und ermöglicht dennoch, dass „[...] Aussagen über das gesamte mit den entsprechenden Namensgeneratoren erhobene Netzwerk gemacht werden [...]“ (Wolf 2006: 256) können. Auf die Bedeutung des zufälligen Samplings der Alteri weisen auch Marin und Hampton (2007) hin, die hohe Validitätswerte in Netzwerkdaten anhand der Simulation einer Zufallsauswahl von bis zu sechs Alteri je Ego bei der Verwendung eines mehrdimensionalen Namensgenerators feststellen (multiple generator random interpreter, MGRI). Eine Zufallsauswahl der Alteri ist in Online-Befragungen technisch leicht umsetzbar und ist anderen nichtzufallsgesteuerten Vorgehensweisen zur Auswahl eines Subsamples7 durch den Forscher oder die Befragten (Fischer 1982;
6
Wolf (2006) weist darauf hin, dass diese Vorgehensweise bezogen auf die InterAlter-Relationen eine Klumpenauswahl darstellt. Die Zufallsstichprobe müsste sich auf die Beziehungen zwischen den Alteri beziehen, und nicht auf die Alteri selbst, „[...] da die angestrebte Erhebungseinheit die Beziehungen zwischen Alteri und nicht die Alteri selbst sind“ (Wolf 2006, S.257).
7
Beispielsweise wählen McCallister und Fischer diejenigen Alteri aus, die bei vorher festgelegten Namensgeneratoren an erster Stelle genannt werden (Fischer 1982, S. 332). Pfennig und Pfennig (1987, S. 65) überlassen das Sampling den Befragten. Dabei werden Befragungsteilnehmer dazu aufgefordert, eine Aus-
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Gerich/Lehner 2006; Pfennig/Pfennig 1987) vorzuziehen, da dies jeweils eine selektive Auswahl der Alteri zum Ergebnis hat. So wird verhindert, dass entweder ganz bestimmten oder engen Beziehungen der Vorzug gegeben wird. 3.2 Erhebungsqualität online erhobener egozentrierter Netzwerkdaten Wie kann nun die Güte der online erhobenen Netzwerkdaten eingeschätzt werden? Im Folgenden wird hierzu erstens die Dropout-Quote der vorgestellten Befragung betrachtet und im zweiten Schritt die erhobenen Netzwerke anhand zentraler Merkmale mit Ergebnissen anderer Netzwerkstudien verglichen. Von Dropout ist dann die Rede, wenn Befragte mit dem Ausfüllen des Fragebogens beginnen, die Befragung aber nicht zu Ende führen. Dieses Verhalten tritt bei Online-Befragungen häufiger auf als bei persönlichen Befragungen (Vehovar/Lozar Manfreda 2008). Eine wesentliche Stärke von Online-Befragungen (und computergestützten Befragungen allgemein) liegt darin, dass während der Befragung zusätzliche Merkmale des Antwortverhaltens erhoben werden können. Neben Informationen über den Zeitaufwand für unterschiedliche Fragen oder Fragebogenabschnitte erlaubt die Methode auch eine differenzierte Analyse des Dropouts (Weber/ Brake 2005), da die Angaben der Befragten Seite für Seite serverseitig abgespeichert werden. Somit können die Zeitpunkte des Ausscheidens aus der Befragung sehr detailliert angegeben und analysiert werden. So zeigt Abbildung 1 für die oben genannten Abschnitte der Befragung (A-D) die Anzahl an Befragten, die in der Befragung verblieben. Wie aus anderen (Online-)Befragungen bekannt, bricht ein Großteil der Befragten die Erhebung am Anfang bzw. im vorderen Teil der Befragung ab (Matzat 2007). Der Frageblock B umfasst alle Netzwerkfragen (Namensgeneratoren=NG, Namensinterpretatoren=NI, Inter-Alter-Matrix=Matrix), die etwa nach
wahl von fünf Personen zu treffen, welche die größte Bedeutung für die Befragten haben. Ähnlich lassen auch Gerich und Lehner (2006, S. 12) ihre Befragten acht Personen auswählen.
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Abbildung 1: Anzahl an Non-Dropout-Befragten je Befragungsabschnitt
Quelle: Eigene Darstellung
einem Fünftel der Fragen platziert waren. Für die Anordnung der Netzwerkfragen im mittleren Teil des Fragebogenablaufs sprachen folgende Gründe: Die Netzwerkfragen wurden nicht direkt am Anfang der Befragung platziert, um die Befragten über „einfachere“ Fragen langsam auf die Netzwerkfragenprozedur vorzubereiten. Eine Anordnung der Netzwerkfragen am Ende des Fragebogens wurde ebenfalls ausgeschlossen, weil davon auszugehen ist, dass Befragte, die bereits viel Zeit mit der Beantwortung verbracht haben, nur noch wenig Konzentration für die aufwändige Erhebungsprozedur der Netzwerkdaten aufweisen und die Befragung schnell zu Ende bringen wollen. So wurde angenommen, dass der Wunsch nach rascher Beendigung der Befragung die Bereitschaft mindert, Referenzpersonen anzugeben, oder dazu führt, die Fragen zu den einzelnen Alteri in den Namensinterpretatoren sehr schnell zu überfliegen. Hierdurch wäre mit einer Beeinflussung der Datenqualität zu rechnen gewesen. Aus Abbildung 1 wird deutlich, dass insgesamt rund 62 Prozent (233 von 376) der Personen, welche die Befragung aufriefen, diese bis zum Ende beantwortet haben. Befragte brachen die Erhebung vor allem im vorderen Drittel ab. Ein Vergleich der Dropout-Raten je Fragebogenabschnitt verdeutlicht die Komplexität der Netzwerkerhebung. Für die Netzwerkfragen (zwischen NG und Matrix) zeigt sich eine höhere Ausstiegsquote als für den Frageblock A. So sind es 83 Prozent (312 von 376) der Befragungsteilnehmer, welche den Frageblock A beantworten. Von den Befragten, die am
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Tabelle 1: Vergleich der mittleren Netzwerkgröße nach Dropout Dropout ja nein
n
Netzwerkgröße
SD
38
3.84
4.44
233
5.98
2.27
T
p-Wert 4,548
.000
Quelle: Eigene Darstellung
Beginn der Namensgeneratoren noch in der Befragung sind, beantworten lediglich 75 Prozent (234 von 312) die Netzwerkfragen vollständig. Einerseits spiegelt dieses Ergebnis wider, dass es sich bei „Namensgeneratoren um offene, relativ schwierige und für eine Reihe von Befragten eventuell auch um heikle Fragen“ (Wolf 2006: 267) handelt. Gleichzeitig kann vermutet werden, dass manchen Befragten die Ausfüllanweisungen zur Eingabe von Namen und Kürzeln nicht ausführlich formuliert bzw. ausreichend graphisch unterstützt waren. Interessanterweise gab es nur zwei Personen, die innerhalb der Beantwortung der Inter-Alter-Matrix abbrachen. Weiterhin wird deutlich, dass bis auf drei Ausnahmen alle Befragungsteilnehmer, welche die Inter-Alter-Matrix beantwortet hatten, die Befragung bis zum Ende vollzogen. Wie unterscheiden sich nun Befragte, welche die Befragung frühzeitig abgebrochen haben, von denen, welche die Erhebung bis zum Ende durchführen? Auffallend sind Unterschiede in der Netzwerkgröße zwischen beiden Gruppen: Von den 271 Personen, die alle sieben Namensgeneratoren beantworteten, haben diejenigen, welche die Befragung vorzeitig abbrachen, im Mittel kleinere Netzwerke (3,84 Alteri) als Befragte, welche die Befragung zu Ende führten (5,98 Alteri, vgl. Tabelle 1). Demnach sind es Personen mit kleineren Netzwerken, die dazu neigen, die Befragung nach Angabe der Alteri abzubrechen. Dieser Befund spricht gegen die Annahme, dass gerade diejenigen, die innerhalb der Namensgeneratoren viele Alteri nennen, die Befragung abbrechen, um das Beantworten der umfangreichen Namensinterpretatoren zu vermeiden (Lozar Manfreda, et al. 2004; Vehovar, et al. 2008). Das Dropout-Verhalten scheint vielmehr ein Indiz dafür zu sein, dass Befragte, welche allgemein Schwierigkeiten mit der Befragungsprozedur der Netzwerkerhebung haben, und somit weniger Alteri nennen, die Befragung aufgrund der prinzipiellen Schwierigkeiten eher abbrechen.
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Abbildung 2: Netzwerkinstrumente im Vergleich
Erhebungsmethode
Anzahl NG Größe Dichte n
Deutsche in GB OnlineBefragung 7 5.91 0.49 234
RIS 2001
RIS 2003
OnlineBefragung 4 7.5 1009
OnlineBefragung 1 3.9 327
Studierende in Linz CASI/ offline
ZUMA
NCCS
PAPI/ Faceto-face
PAPI/ Faceto-face
5 6.93 0.52 298
8 7.8 239
10 18.48 0.44 1050
Quelle: „Deutsche in GB“ (eigene Erhebung, Herz 2010), Research on Internet in Slovenia 2001 (Lozar Manfreda, et al. 2004), „Studierende in Linz“ (Gerich/Lehner 2006), ZUMA (Pfennig/Pfennig 1987) und NCCS/North California Community Study (Fischer 1982).
In einem zweiten Schritt werden die über das vorgestellte Verfahren erhobenen Netzwerke mit Ergebnissen anderer Netzwerkstudien verglichen, denen ähnliche Erhebungsformate und Befragungsformen zugrunde liegen (vgl. Abbildung 2). Bezüglich der Netzwerkgröße zeigt sich folgendes Bild: Die 234 befragten Deutschen in Großbritannien nannten insgesamt 1383 Alteri. Das entspricht einer durchschnittlichen Netzwerkgröße von 5,9 Personen pro Befragten. Andere Online-Befragungen weisen ähnliche Ergebnisse auf. Lozar Manfred et al. (2004) erhalten in der RIS 2001-Studie (Research on Internet in Slovenia) mit vier Namensgeneratoren eine durchschnittliche Netzwerkgröße von 7,5. In der RIS 2003-Befragung von Vehovar et al. (2008) werden über die Verwendung eines Namensgeneratoritems durchschnittlich 3,9 Alteri genannt, wobei in der Experimentalgruppe mit nur einem Eingabefeld für Namen von Referenzpersonen die Netzwerkgröße auf durchschnittlich 3,1 Personen sinkt. Über das von Gerich und Lehner (2006) bei Studierenden der Universität Linz eingesetzte Instrument mit fünf Namensgeneratoren werden im Mittel 6,93 Alteri in der CASIErhebung genannt. Das vorgestellte Instrument erzeugt also eine ähnliche Netzwerkgröße wie andere selbstadministrierte (Online-)Befragungen. Die Netzwerkgröße ist jedoch geringer als bei persönlich durchgeführten Befragungen. So erzeugt das ZUMA-Instrument unter Verwendung von acht Namensgeneratoren eine durchschnittliche Netzwerkgröße von 7,8 Alteri (Pfennig/Pfennig 1987); die Befragten von Fischer (1982) berichten sogar
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eine durchschnittliche Netzwerkgröße von 18,48 Alteri. Letzteres ist zum Teil auf die Verwendung von zehn Namensgeneratoren zurückzuführen, wohl aber auch auf die Anwesenheit eines Interviewers. Trotz dieser Unterschiede in der Netzwerkgröße weist die durchschnittliche Dichte ähnliche Werte zu anderen Erhebungs- und Befragungsformen auf. Zusammenfassend ist für die Verwendung von Online-Befragungen in der Erhebung von egozentrierten Netzwerken also festzuhalten, dass Netzwerkfragen im selbstadministrierten Online-Design im Vergleich zur Befragung allgemein mit einer höheren Dropout-Quote einhergehen. Dabei zeigen die vorgestellten Ergebnisse, dass gerade die Personen innerhalb der Netzwerkfragen abbrechen, die weniger Referenzpersonen nennen. Dies steht im Gegensatz zu bisherigen Studien und mag als Indiz dafür gewertet werden, dass gerade diejenigen Befragten vorzeitig abbrechen, welche allgemein Schwierigkeiten in der Beantwortung der Netzfragen haben, also beispielsweise mit dem Verständnis wie weitere Alteri über mehrere Namensgeneratoren hinweg eingetragen werden können. Ausführlichere oder graphisch aufbereitete Ausfüllanweisungen mögen den Befragungsteilnehmer dazu anregen, die Befragung zu Ende zu führen. Neben der Erhebung von egozentrierten Netzwerkdaten mit Hilfe computergestützter Verfahren, die am Beispiel einer Internetbefragung nachgezeichnet wurde, existiert weiterhin die Möglichkeit, Netzwerkdaten mit Hilfe digitaler Netzwerkkarten zu gewinnen. Die Spezifika dieser Methode werden im Folgenden genauer erörtert. Hierzu werden zunächst unterschiedliche Möglichkeiten von Netzwerkkarten bzw. Netzwerkzeichnungen vorgestellt, bevor anschließend die Erhebung digitaler Netzwerkkarten mit Hilfe des Programms VennMaker erläutert wird. Dies geschieht anhand eines Methodenexperiments, in welchem die digitale Variante der visuellen Datengewinnung egozentrierter Netzwerke mit der traditionellen Erhebung über einen schriftlichen Fragebogen verglichen wird. Zentral sind dabei Fragen nach dem Einfluss unterschiedlicher Erhebungsvarianten auf die Erhebungsqualität.
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4. C OMPUTERUNTERSTÜTZTE E RHEBUNG VON N ETZWERKARTEN Seit der wissenschaftlichen Darstellung von Akteuren (Knoten) und deren Relationen (Kanten) in Soziogrammen (Moreno 1934), werden vor allem seit den 1980er Jahren unterschiedliche Formate der visuellen Datenerhebung zur Erfassung von egozentrierten Netzwerken eingesetzt (Kahn/Antonucci 1980). Diese Netzwerkbilder und Netzwerkkarten können als „Landkarten sozialer Strukturen“ (Socialmap) verstanden werden, über welche Befragte ihre sozialen Beziehungen visualisieren und beschreiben. Der Erhebungsfokus liegt neben der Darstellung der persönlichen Beziehungen über gezeichnete Linien sowohl auf der subjektiven Deutung der Netzwerkkarte durch die Befragten8 als auch auf der quantitativen Beschreibung der Beziehungen und der Netzwerkstruktur (Gamper et al. 2011). Bei der visuellen Erhebung von egozentrierten Netzwerken wird der Befragte, ähnlich wie im selbstadministrierten Befragungsformat, über einen Namensgenerator gebeten, Personen, Organisationen oder andere soziale Einheiten zu nennen, die der Befragte – und darin liegt der Unterschied zur oben genannten Befragungsform – anschließend auf einer Netzwerkkarte positioniert (vgl. Abbildung 3). Danach werden mit Hilfe von Namensinterpretatoren Informationen zu den genannten Referenzakteuren erfragt (z.B. Wichtigkeit oder Rolle der Alteri) und in der Karte visualisiert. Während es bei der Erhebungsform der Netzwerkbilder dem Befragten freigestellt ist, wie er seine Beziehungen visualisiert, ist die Erhebungsform der Netzwerkkarten mal mehr, mal weniger vorstrukturiert. Auf einer Skala von geschlossener/quantitativer zu offener/qualitativer Strukturierung der Netzwerkkarten sind Netzwerkbilder eher am offenen/qualitativen Ende einzuordnen, da den Befragten hier kaum Vorgaben hinsichtlich der Visualisierung der Netzwerke gemacht werden. Netzwerkkarten sind dagegen eher standardisiert und strukturiert, wenn spezifische Vorgaben zur Eintragung der Beziehungen, der zugrundeliegenden Karte usw. gemacht werden (Hollstein/Pfeffer 2010). So kann Ego z.B. im Zentrum der Karte stehen, mit konzentrischen Kreisen um Ego herum gearbeitet werden oder Sektoren
8
Hierbei wird meist auf problemzentrierte Interviews (Witzel 1982) zurückgegriffen, da aufgrund der Netzwerkkarte meist die Struktur als abhängiges bzw. unabhängiges Merkmal im Fokus der Analyse steht.
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vorgegeben werden (Hollstein/Straus 2006; Kolip 1993; Krumbein 1995, vgl. auch Haselmair in diesem Band). Neben der Art der Strukturierung und Standardisierung von Socialmaps, können diese auch in ihrer Erhebungsart unterschieden werden. Hierbei wird zwischen folgenden Formen differenziert: 1) „Papier und Stift“, 2) „Papier, Stifte und Bauklötze/Spielfiguren“ sowie 3) „digitale Netzwerkkarten“ (Gamper et al. 2011). 1.
2.
3.
Bei der der Erhebung mit Hilfe von Papier und Stift (Schönhuth/Kievelitz 1995) können die Akteure und Relationen in einem zweidimensionalen Raum eingezeichnet werden. Die Knoten und Kanten werden durch das Zeichnen fixiert, sodass die Visualisierung nach der Erstellung keine Veränderung mehr erlaubt. Auch können in dieser Erhebungsform nur eine beschränkte Anzahl von Ausprägungen von Relationen oder auch Knoten visualisiert werden, da z.B. die Farbgebungsmöglichkeiten begrenzt sind. Papier, Stifte und Bauklötze bzw. Spielfiguren (paper and toolkit) (Schiffer 2007; dies. 2010) besitzen den Vorteil, dass sie durch die Verwendung der stapelbaren Klötze eine weitere Raumdimension (Dreidimensionalität) aufweisen. Damit besteht die Möglichkeit, eine weitere Merkmalsausprägung der Beziehung zu visualisieren. Da Bauklötze bzw. Spielfiguren im Befragungsablauf nicht fest eingezeichnet werden (vgl. „Papier und Stift“), können die genannten Alteri und Beziehungen durch den Interviewten im Interview in ihrer Position auf der Socialmap verschoben und dadurch wieder verändert werden. Aber auch in dieser Variante wird die Socialmap am Ende des Interviews fast immer fixiert. Wie auch bei der ersten Möglichkeit besteht ein weiterer der Vorteil darin, dass die Größe der Zeichenfläche von klein (DIN A4) bis sehr groß (DIN A0) – etwa für Gruppeninterviews – sehr einfach variiert werden kann. Die dritte Möglichkeit sind digitale Netzwerkkarten, also über den Computer erhobene Socialmaps. Darunter werden Netzwerkkarten bzw. -bilder verstanden, die mit Hilfe von Rechnern, Laptops oder Tablets erhoben werden. Wie bei der „Papier und Stift“-Methode stehen auch hier bislang nur zwei Dimensionen zur Verfügung. Diese Art der Datenerfassung besitzt gegenüber den bereits erwähnten jedoch deutliche Vorteile: Erstens ist die Datenerfassung als Prozess möglich (z.B. wird festgehalten, wann welche Personen gesetzt werden und bei
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welchen Personen es häufig zu Positionsveränderungen kommt). Dies macht zweitens den Erstellungsprozess und die Darstellung der Netzwerkkarte reversibel. Dies hat zur Folge, dass eine Befragung zu einem späteren Zeitpunkt ohne weiteres fortgesetzt oder vertieft werden kann. In anderen Worten: Die erhobene Socialmap ist immer wieder veränderbar. Drittens sind auch die Ausprägungen von Beziehungen und Alteri (z.B. Rollen, Arten der Beziehungen) sowohl visuell als auch digital (z.B. in Matrizen) erfassbar. Somit können viele unterschiedliche Informationen nacheinander eingetragen werden, ohne die Karte zu überfrachten. Viertens stehen die erhobenen Daten digital zur Verfügung und können ohne weitere Kodierarbeiten in andere Analyseprogramme wie etwa SPSS, STATA, UCINET, VISONE usw. übertragen und verarbeitet werden (zu den Vor- und Nachteilen vgl. Gamper et al. 2011). Welche Vorteile bietet nun die visuelle Datenerhebung? Mit der Netzwerkkarte wird eine gemeinsame und objektivierte Kommunikationsbasis geschaffen, auf deren Grundlage sich Befragte und Interviewer über die dargestellten Beziehungen austauschen und diskutieren können. Die Möglichkeit, komplexe Sachverhalte bildlich darzustellen und während der Dauer eines qualitativen Interviews immer präsent zu halten, hilft beiden Parteien in der Interviewsituation. Auch wird so das Phänomen umgangen, dass einmal genannte Akteure und Beziehungen im Fortgang eines reinen, nicht auf einer Grafik basierten Interviews gegenüber neu hinzukommenden Referenzpersonen in den Hintergrund treten oder Alteri im Interviewprozess sogar vergessen werden. Durch die Netzwerkkarte ist ein Bezug auf jede abgebildete Person zu jeder Zeit möglich. Damit können diachrone Schilderungen an Hand von navigierbaren Zeichnungen synchron interpretiert werden.9 Die allgemeinen Vorteile einer Datenerhebung mit Hilfe von Netzwerkkarten beschreiben Hogan, Carrasco und Wellman wie folgt: „It is more dependable, pleases respondents, looks visually compelling, and can
9
Aufgrund dieser Eigenheit werden Netzwerkarten auch gerne dort eingesetzt, wo Entstehungszusammenhänge sowie Veränderungspotentiale des Netzwerks von großer Wichtigkeit sind wie beispielweise in der Psychologie und der Pädagogik (vgl. Straus 2002: 196f.) oder auch in der Entwicklungszusammenarbeit (Chambers 1985):
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be seen at once (making it a useful prop in addition to a data-gathering technique)“ (Hogan et al. 2007: 140).10 Netzwerkkarten werden neben qualitativ-interpretierenden Vorgehensweisen in ihrer standardisierten und strukturierten Form als Grundlage für quantitative Analysen egozentrierter Netzwerke herangezogen (Hogan, et al. 2007; Von der Lippe/Gaede 2011). Wie bereits erwähnt, wird dabei in den letzten Jahren verstärkt auf sogenannte digitale Netzwerkkarten zurückgegriffen (Schönhuth/Gamper/Kronenwett 2011). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Erhebung von egozentrierten Netzwerken über digitale Netzwerkkarten im Vergleich zum klassischen Fragebogenformat unterschiedliche Ergebnisse erzeugt. Um dies zu untersuchen, wurde die Befragung anhand eines Papierfragebogens und die Erhebung anhand einer Netzwerkkarte, die mit Hilfe von VennMaker erstellt wurde, im Rahmen eines Methodenexperiments miteinander verglichen. 4.1 Ein Programm für die Erhebung digitaler Netzwerkkarten – VennMaker Um die Unterschiede beider Erhebungsverfahren aufzuzeigen, wird zunächst das Programm VennMaker kurz vorgestellt, bevor auf die Unterschiede der beiden Datenerhebungsverfahren eingegangen wird. Wie lassen sich die Funktionen von VennMaker beschreiben? VennMaker erlaubt, Netzwerkkarten am Computer zu erstellen. Erstens wird der gesamte Entstehungsprozess, beispielsweise das Positionieren der Alteri, das Zeichnen von Relationen, das Verändern von Beziehungen und Attributen der Akteure digital gespeichert. Zweitens hält die synchrone Audioaufnahme von Interviews Aussagen des Befragten über die gesetzten Akteure und die Bedeutung seiner sozialen Beziehungen fest. So ermöglicht das Programm durch die Kombination von akustischer Aufzeichnung und Visualisierung von Akteuren und deren Relationen eine qualitative Analyse von Netzwerkbeziehungen. Daneben ist es drittens bei einem strukturierten bzw. standardisierten Vorgehen ebenso möglich, quantitative Daten zu eruieren (zur rein quantitativen Nutzung vgl. Von der Lippe et al. 2011): Hierzu kann – neben der visuellen Erhebung – auch mit sogenannten Wizards ge-
10 Bezüglich der Unterschiede bei der Datenerhebung zwischen offenen Netzwerkkarten und einen Fragebogen vergleiche McCarty et al. (2007).
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arbeitet werden, in denen wie im Online-Fragebogen Fragen mit Antwortoptionen dargeboten werden. Viertens ist der VennMaker auch ein Zeicheninstrument, um bereits erhobene Netzwerkarten sowie Netzwerkdaten visualisierend zu analysieren. Hierbei können weitere Informationen, die auf andere Weise (wie z.B. durch den Wizard) erhoben wurden, später in die Visualisierung einbezogen werden. VennMaker ist damit ein Programm, das eine zeitgleiche Erhebung von sowohl qualitativen als auch quantitativen Daten mit Hilfe von Netzwerkkarten ermöglicht (vgl. Schönhuth et al. 2011). 4.2 Digitale Erhebung von standardisierten Netzwerkkarten – VennMaker vs. standardisierter Papierfragebogen Zur Verdeutlichung der Erhebungsmöglichkeiten digitaler Netzwerkkarten wird im Folgenden eine Vorstudie vorgestellt, welche in Zusammenarbeit mit Michael Schönhuth und Michael Kronenwett als Studienprojekt im Sommersemester 2010 an der Universität Trier durchgeführt wurde.11 Hierbei wurde ein Methodenexperiment zum Vergleich unterschiedlicher Datenerhebungsinstrumente für egozentrierte Netzwerke durchgeführt: Beide Befragungen waren persönliche Befragungen (Face-to-face), d.h. bei beiden Verfahren waren die Interviewer kopräsent und begleiteten die Befragten. Einerseits handelte es sich um eine standardisierte Befragung anhand eines Papierfragebogens und andererseits um eine Befragung anhand einer digitalen Netzwerkkarte mit VennMaker. Ziel war es, herauszufinden, inwieweit beide Verfahren unterschiedliche Ergebnisse in Angaben zu egozentrierten Netzwerken produzieren und wie die Verfahren von den Interviewten evaluiert werden. Um Unterschiede der Ergebnisse möglichst auf die Variation der Erhebungsmethoden zurückführen zu können, wurden die Merkmale der Untersuchungsteilnehmer kontrolliert. So wurden männliche, deutsche Studenten zwischen 19 und 26 Jahren als Befragungsteilnehmer rekrutiert. Alle Befragten lebten zum Zeitpunkt der Befragung in Trier und waren nicht in
11 Die Daten stammen aus dem Seminar „Ethnologische Forschungsmethoden – Soziale Netzwerkanalyse“. In diesem Seminar wurden Studierende in der Erhebung und Auswertung von Netzwerkdaten mit Hilfe von VennMaker und Fragebogen geschult.
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Trier geboren. Die Befragten wurden per Zufallsauswahl der Art der Befragung (VennMaker oder Papierfragebogen) zugewiesen (Randomisierung). Für beide Erhebungsformen wurde der gleiche Namensgenerator verwendet: „Als erstes interessieren wir uns für Personen, mit denen sie die letzten 14 Tage aktiv Beziehungen unterhalten haben. Bitte nennen Sie Personen, die Ihnen einfallen, der Reihe nach. Nennen Sie mir nur die Vornamen und bei Doppelung den ersten Buchstaben des Nachnamens.“ Als Namensinterpretatoren dienten die Rolle der Alteri (Familie/Verwandte/Partner, Freunde/Bekannte, Berufskollegen/Kommilitonen, Sonstige) und die räumliche Entfernung (gleicher Haushalt, gleicher Ort, anderer Ort in BRD, Ausland). Ferner wurden die Alter-Alter-Beziehungen erfragt. Weiterhin sollten die Befragten Angaben zu unterschiedlichen Formen sozialer Unterstützung machen, welche sie von den genannten Referenzpersonen erhalten (Diewald 1991; Gottlieb 1985; Wolf 2009). Diese umfassten Freizeitaktivitäten, emotionale Unterstützung und Geldleihen.12 Beide Verfahren zielen darauf ab, dass zunächst als Antwort auf den Namensgenerator Alteri genannt werden. Beim Papierfragebogen werden die Alteri in einer schriftlichen Liste aufgeführt, wohingegen die Referenzpersonen beim VennMaker durch das Einzeichnen in die digitale Karte erfasst und visualisiert werden. Dabei wurden die Namen der Alteri nacheinander in ein Eingabefeld, welches VennMaker erzeugt, eingetragen. Danach wurde jedem Alteri das Geschlecht zugewiesen (question-wise-Variante). Im Anschluss wurden die Alteri auf die Netzwerkkarte gesetzt (vgl. Abbildung 3).
12 Die drei Items lauteten: „Mit welchen der von Dir genannten Personen verabredest Du Dich regelmäßig, um mit ihnen die Freizeit zu verbringen oder eine kulturelle Veranstaltung zu besuchen (z.B. Kino, Theater, Konzert, etc.)?“, „Nehmen wir an, Du fühlst Dich niedergeschlagen und Du möchtest mit jemandem darüber reden. Mit welchen der von Dir genannten Personen würdest Du über diese Probleme sprechen?“ und „Nehmen wir an, Du benötigst einen hohen Geldbetrag (z.B. für die Mietkaution einer neuen Wohnung): Welche der von Dir genannten Personen würdest Du bitten, Dir das Geld zu leihen?“
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Abbildung 3: Erhebung einer digitalen Netzwerkkarte mit Hilfe von VennMaker – standardisierte und strukturierte Netzwerkkarte
Quelle: Eigene Darstellung
Nach dem Setzen wurde der Befragte gebeten, die Netzwerkkarte anzuschauen und weitere Personen einzufügen, die er gegebenenfalls vergessen hatte. Nachdem alle Personen gesetzt wurden, wurden die Alter-Alter-Beziehungen eingezeichnet. Hierbei wurde im Uhrzeigersinn und von Außen nach Innen vorgegangen, so dass sichergestellt werden konnte, dass keine Relation zwischen den Alteri vergessen wurde. War dieser Prozess beendet,
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Abbildung 4: Erhebung der Alterinformationen anhand eines Fragebogens Name
1: Peter
Geschlecht Welches Geschlecht hat die Person? w m
Rolle In welcher Beziehung stehen Sie zu dieser Person? Familie/ Verwandte/ Partner Freunde/Bekannte Berufskollegen/Kommilito nen Sonstige
Wohnort Wo wohnt die Person? Wohnt Sie … Gleicher Haushalt Gleicher Ort Anderer Ort in BRD Ausland
Quelle: Eigene Darstellung
wurden die Befragten gebeten anzugeben, welche Formen der sozialen Unterstützung sie von den einzelnen Alteri erhalten, wurde ebenfalls in der Netzwerkkarte festgehalten. Bei der Erhebung anhand des schriftlichen Fragebogens wurden die Daten durch das Beantworten von standardisierten Fragen gewonnen, indem der Interviewer den Fragekatalog zusammen mit dem Befragten Schritt für Schritt durchging. Wie auch bei der VennMaker-Erhebung wurden über die Namensgeneratoren eine Liste von Alteri erfragt. Nach der Nennung der Alteri wurde den Probanden diese Liste mit der Bitte, fehlende Personen noch in diese Liste einzutragen, nochmals vorgelegt. Im Anschluss wurden ebenfalls Fragen über Namensinterpretatoren (siehe oben) erfragt. Anhand eines fiktiven Egos, das ein Alter (Peter) nennt, wird der Unterschied der beiden Erhebungsverfahren nochmals verdeutlich (vgl. Abbildung 3 und 4). Nach der Erhebung der Netzwerke wurde den Probanden eine Frage zur subjektiven Evaluation der Erhebung („Freude an der Beantwortung“) gestellt. Auch stehen Informationen zur Befragungsdauer zur Verfügung. Betrachtet man die Ergebnisse im Hinblick auf zentrale Charakteristika von egozentrierten Netzwerken, so zeigen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Befragungsvarianten: Kein Unterschied zeigt sich hinsichtlich der Multiplexität (m (FB) = 0,25; m (VM) = 0,25). Der durchschnittliche Anteil an Personen, die mehr als eine Form sozialer Unterstützung vermitteln, ist für beide Erhebungsformen identisch. Kleine Unterschiede werden bei der Anzahl der genannten Alteri deutlich (g (FB) =
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17,42; g (VM) = 18,91). Im Durchschnitt nennen Personen, die mit Hilfe von digitalen Netzwerkkarten befragt werden, etwa 1,5 mehr Referenzpersonen als Befragte, die über den Papierfragebogen befragt werden. Signifikante Unterschiede zeigen sich jedoch hinsichtlich der Dichte (d (FB) = 0,25; d (VM) = 0,15). Bei der Erhebung mit VennMaker werden weniger Alter-Alter-Relationen angegeben als in der klassischen Variante. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Beispielweise sinkt die Übersichtlichkeit der Netzwerkkarten, wenn sehr viele Alteri genannt werden. Dieser Umstand mag dazu führen, dass Interviewer im Befragungsverlauf vergessen, das Vorhandensein einzelner Alter-Alter-Relationen abzufragen. Weiterhin ist im Vergleich zum Ausfüllen einer Inter-Alter-Matrix bei der Erhebung der Inter-Alter-Relationen über eine Netzwerkkarte ein hoher zeitlicher Aufwand nötig, da jeweils ein Paar der Alteri visuell verbunden werden muss. Tabelle 2: Vergleich der Mittelwerte hinsichtlich Multiplexität, Anzahl der Alteri, Dichte, Dauer und Bewertung des Interviews
Multiplexität (m) Anzahl der Alteri (g) Dichte (d)
Dauer des Interviews in Minuten (di) Bewertung der Methode (b)
Methode FB
n
Mittelwert
SD
T
p-Wert
31
0,25
0,14
-2.79
0,90
VM
11
0,25
0,12
FB
31
17,42
6,65
-0.11
0,57
VM
11
18,91
7,55
FB
28
0,25
1,27
0.57
0,01
VM
8
0,15
0,70
FB
31
~15min.
-2.59
0,01
VM
11
~20min.
FB
31
2,3
~7min . ~7min . 0,55
2.32
0,02
VM
11
1,8
0,71
Quelle: Eigene Darstellung (FB = Fragebogen, VM = VennMaker; Signifikanz bei Į = 0,05)
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Auch beim Vergleich der beiden Erhebungsverfahren hinsichtlich Befragungsdauer und subjektiver Evaluation zeigen sich signifikante Unterschiede: Erstens wird deutlich, dass das Interview mit VennMaker mehr Zeit in Anspruch nimmt als dasjenige mit einem herkömmlichen Papierfragebogen. Im Durchschnitt dauerte die Erhebung der egozentrierten Netzwerke via VennMaker fünf Minuten länger (di (FB = 15); di (VM) = 20). Da sich die Anzahl der Alteri bei beiden Befragungsvarianten kaum unterscheidet, kann davon ausgegangen werden, dass bei gleichen Fragen die Erhebung mit visuellen Instrumenten länger dauert. Weiterhin wurden die Befragten um eine subjektive Evaluation der Erhebungsform gebeten. Hierzu wurde nach jedem Interview folgende Frage gestellt: „Wie fandest Du die Methode, mit der wir Deine sozialen Beziehungen erhoben haben?“. Die Bewertung richtete sich dabei nach Schulnoten (1=sehr gut; 2=gut; 3=befriedigend, 4=ausreichend; 5=mangelhaft). Während der Fragebogen im Durchschnitt die Note 2,3 bekam, wurde die Erhebung über die Netzwerkkarte mit einer 1,8 benotet. Es zeigt sich also, dass die Erhebung über digitale Netzwerkkarte im Mittel zwar länger dauert, der Prozess der Datengewinnung von den Interviewten aber besser bewertet wird. Zusammenfassend wird deutlich, dass beide Erhebungsarten (standardisierter Papierfragebogen vs. digitale Netzwerkkarten) einerseits gleiche Maßzahlen (Anzahl der genannten Alteri und Multiplexität) erzeugen, andererseits Unterschiede hinsichtlich der Netzwerkdichte hervorbringen. Hieraus kann geschlossen werden, dass deutliche Differenzen in der Erfassung der Alter-Alter-Relationen bestehen, die sich auch allgemein im Erhebungsprozess zeigen. So benötigt die Erhebung über die digitalen Netzwerkkarten weitaus mehr Zeit als die Befragung über den standardisierten Fragebogen. Dennoch wird die erstgenannte Erhebungsmethode von den Befragten positiver wahrgenommen und besser benotet.
5. R ESÜMEE
UND
AUSBLICK
Computer sind inzwischen häufig Teil des gesamten Forschungsablaufs – von der Erstellung einer Befragung über die Erhebung und der Auswertung der Daten bis hin zur Präsentation der Ergebnisse. Wurden Computer bislang überwiegend zur Analyse von Netzwerkdaten herangezogen, so wird deutlich, dass auch die Erhebung von egozentrierten Netzwerken einer zu-
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nehmenden Digitalisierung unterliegt. PCs und entsprechende Programme werden dabei nicht nur für standardisierte Netzwerkbefragungen, sondern auch für die Erhebung von Netzwerkkarten verwendet. Dabei ermöglichen die digitalen Formate einerseits, die Komplexität einer egozentrierten Netzwerkbefragung zu reduzieren. So konnte in der Online-Befragung die Befragungsprozedur über die Zufallsauswahl der Alteri und eine automatisierte Übertragung von Namen von Referenzpersonen erleichtert werden (vgl. auch Rau in diesem Band). Auch für die digitale Erhebung von Netzwerkkarten ergeben sich Vorteile, da sie reversibel sind und noch während der Befragung verändert werden können. Andererseits weisen die digitalen Formate jedoch auch Grenzen auf. So zeigen die Ergebnisse der Online-Befragung, dass gerade der Befragungsabschnitt zu den egozentrierten Netzwerken mit der vergleichsweise höchsten Dropout-Quote verbunden ist. Gerade in selbstadministrierten Erhebungsformaten scheint die Beantwortung der Fragen zu egozentrierten Netzwerken sehr davon abzuhängen, wie ausführlich diese Befragungsprozedur den Befragten verständlich gemacht wird. Auch für die Erhebung von digitalen Netzwerkkarten lässt sich ein Trend feststellen: So werden über die digitalen Netzwerkkarten deutlich weniger Alter-Alter-Relationen berichtet. Auch dauert das Zeichnen der digitalen Karten länger als die Beantwortung eines vergleichbaren standardisierten Fragebogens. Jedoch zeigt sich, dass die Erhebung des egozentrierten Netzwerkes über Karten trotz längerer Dauer von den Befragten besser bewertet wird. Gerade vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse plädieren wir dafür, die hier vorgestellten Verfahren in der Erhebung egozentrierter Netzwerke stärker als bisher zu kombinieren. Zum einen motiviert die visuelle Erhebung von Referenzpersonen und deren Attribute die Befragungsteilnehmer zur Beantwortung (aller) Fragen, was die Dropout-Quote in standardisierten Befragungen verringern mag. Zum anderen kann der Einsatz einer Zufallsauswahl der Alteri Zeit sparen und die Verwendung von standardisierten Abfragen (Wizards) bei der Erhebung von Alter-Alter-Relationen verhindern, dass einzelne Beziehungen zwischen den Alteri in der Befragung übersehen werden. Dabei bestehen gegenwärtig noch keine allgemein anerkannten Standards für die Erhebung von Netzwerken mit Hilfe von OnlineLösungen oder speziellen Programmen wie VennMaker; auch ist wenig über die Datenqualität bei der Verwendung von computerunterstützten oder computergestützten Befragungen bekannt. Hier besteht also das For-
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schungsdesiderat, methodische Zugangsweisen und Erhebungsvarianten für das „digitale Zeitalter“ (vergleichend und in Kombination) zu finden und zu erforschen.
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Eine Einführung zur Bestimmung der Dichte in egozentrierten Netzwerken unter Berücksichtigung eines alternativen Erhebungsvorschlags M ATTHIAS R AU
Zur Charakterisierung und Analyse egozentrierter sozialer Netzwerke bietet es sich an, neben der grafischen Darstellung und deren Besprechung, die erhobenen Informationen mit Hilfe computergestützter Verfahren auszuwerten. Neben den Eigenschaften der befragten Person (Ego) kann hierzu auf drei Ebenen der Netzwerkdaten angesetzt werden und zwar: 1. 2. 3.
an den Eigenschaften der benannten Kontakte, den sogenannten Alteri, an den relationalen Eigenschaften der Beziehungen und an den (Struktur-)Eigenschaften des Netzwerks selbst.
Auf der ersten Ebene ließe sich etwa untersuchen, in welchem Ausmaß die Alteri in ihrem sozioökonomischen Status ähnliche Merkmale aufweisen oder welche Altersspanne vertreten ist. Die zweite Ebene ermöglicht es, über die Beziehungen beispielsweise wichtige Schlüsselakteure zu identifizieren. Relevante Informationen könnten hierzu sein, wie lange die Beziehung zwischen Ego und Alter bereits dauert oder in welchem Ausmaß sie Unterstützungsleistungen ermöglicht. Schließlich kann ein Netzwerk auf der dritten Ebene anhand seiner Eigenschaften beschrieben und mit Hilfe
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bestimmter Kennzahlen eingeordnet sowie unter bestimmten Voraussetzungen mit anderen Netzwerken verglichen werden. Exemplarisch seien hier die Netzwerkgröße und die Multiplexität genannt. Während sich hinter der Multiplexität eine Zahl verbirgt, die Aussagen über den Anteil an Kontakten ermöglicht, mit denen Ego mehr als einen Beziehungstyp (etwa materielle und immaterielle Unterstützung) unterhält, beschreibt die Netzwerkgröße zunächst schlicht die Anzahl der erhobenen Personen. Eine weitere Struktureigenschaft, bei der die Netzwerkgröße eine maßgebliche Rolle spielt, ist die Dichte. Sie erlaubt Aussagen über die Verbundenheit der Akteure untereinander. In dichten (Ego)Netzwerken sind viele oder alle Akteure miteinander bekannt. In lockeren Egonetzwerken würde beispielsweise ein Arbeitskollege zwar Ego kennen, aber nicht zwingend Egos Kontakte aus dem Freizeitbereich. Jansen beschreibt die Dichte in ihrer Einführung zur Netzwerkanalyse als eine maßgebliche Größe „zur Charakterisierung eines Ego-Netzwerkes“ (Jansen 2006: 108). In jedem Fall ist die Dichte eine aufschlussreiche Option der Analyse. Nachfolgend stellt der Beitrag theoretische Überlegungen zur Dichte vor, zeigt die praktische Umsetzung in der empirischen Forschung und führt in einen alternativen Erhebungsvorschlag ein. Ein Ausblick schließt die Darstellungen ab.
1. T HEORETISCHE Ü BERLEGUNGEN Im Jahr 1957 veröffentlicht die Psychologin Elizabeth Bott unter dem Titel Family and Social Network ihre Studie über Londoner Familien. Gegenstand ihrer Untersuchung ist die Organisation des Familienalltags und die Rollenverteilung zwischen den Ehepartnern. Zur Beschreibung der sozialen Netzwerke, welche die Familien umgeben, führt sie das Maß „connectedness“ (Verbundenheit) und mit ihm einen Vorgänger zur Dichtebestimmung in die egozentrierte Netzwerkanalyse ein. Botts Verbundenheitsmaß erlaubt es, in Form einer dichotomen Variable zwischen „close-knit“ und „loose-knit“ Netzwerken zu unterscheiden (Bott 1957: 59). Während sich in „close-knit“-Netzwerken viele Beziehungen zwischen den Beteiligten finden und ein hoher Anteil der Kontakte zu Verwandten, Freunden und zur Nachbarschaft besteht, sind für ein „loose-knit“-Netzwerk weniger Bezie-
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 91
hungen zwischen den Beteiligten und ein geringerer Anteil von Kontakten zu den genannten Gruppen kennzeichnend. Barnes (1969: 63) greift die dichotome Unterscheidung von Bott später auf und führt sie einer stetigen Ausdrucksweise zu. Die Dichte wird demnach aus der Anzahl der existierenden Beziehungen im Verhältnis zu den möglichen Beziehungen ermittelt. Ihr Kennwert bewegt sich zwischen null und eins. Im ersten Fall – mit einem Dichtewert von null – würde keiner der benannten Alteri auch nur einen anderen kennen, im zweiten Fall – mit einem Wert von eins – jeder jeden. Aufgrund der Tatsache, dass Ego als Fokalperson zu allen Alteri eine Beziehung unterhält, findet jedoch eine Verzerrung in Richtung eines hohen Dichtewertes statt, die gerade bei sehr wenigen Alteri stark ins Gewicht fällt. Zur Behebung dieser Verzerrung werden die Ego-Alter-Beziehungen deshalb vielfach aus der Berechnung ausgeschlossen (vgl. dazu auch Scott 1991: 75f.; Granovetter 1973: 1370 Fn. 14). Folgt man dieser Ansicht, lässt sich die Definition der Dichte nochmals präzisieren: Die Dichte wird aus der Anzahl der existierenden Beziehungen zwischen den von Ego benannten Alteri im Verhältnis zu den möglichen Beziehungen zwischen den von Ego benannten Alteri ermittelt. Zur Bestimmung der Beziehungsintensität einer Dyade differenziert Granovetter in seinem bekannten Artikel The Strength of Weak Ties 1973 zwischen starken und schwachen Beziehungen (strength/weak ties). Die Intensität der Beziehung definiert er über eine Kombination aus den Dimensionen von aufgewendeter Zeit, emotionaler Intensität, gegenseitigem Vertrauen und wechselseitiger Unterstützung (Granovetter 1973: 1361). Ein Netzwerk aus starken Beziehungen wird in den meisten Fällen auch ein dichtes und eines aus schwachen Beziehungen ein weniger dichtes Netzwerk sein (Granovetter 1973: 1370; Pfeffer 2010: 37). Auf den Umstand, dass je nach Teilclique des Egonetzes unterschiedliche Dichtewerte erwartbar sind, weist bereits Epstein (1969: 111) hin. Pfenning und Pfenning greifen die Auswirkung verschiedener Teilcliquen bezüglich der Gesamtdichte des Egonetzwerks auf: „Je größer die Variabilität der Kontexte (Verwandte, Freunde, Nachbarn, Kollegen), desto geringer die Dichte der Netze“ (Pfenning/Pfenning 1987: 73).
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Anhand der Struktureigenschaft der Dichte lässt sich die Ambivalenz von sozialen Netzwerken besonders plastisch nachvollziehen. Zur Verdeutlichung seien beispielhaft je ein besonders loses und ein besonders enges soziales Netzwerk gedanklich gegenübergestellt. In besonders losen und weiten Netzwerken mit geringer Dichte kann Ego relativ anonym agieren und hat gute Chancen, aus sehr unterschiedlichen Kontexten Informationen zu erhalten. Sofern Ego sich in einer Netzwerkposition befindet, in der es zwei Gruppen miteinander verbindet, die ohne Ego keinen Kontakt hätten, überbrückt es ein so von Burt (1992) beschriebenes „strukturelles Loch“. Aus dieser Position heraus erhält Ego gegebenenfalls exklusive Informationen und hat als Mittler erweiterte strategische Handlungsoptionen. Burt betont gegenüber Granovetters Stärke der Beziehung gerade die Position innerhalb eines Netzwerks als strategisch bedeutsam(er). Naheliegend ist jedoch auch, dass sich diese Art von vorteilhaften Positionen eher in einem Netzwerk mit schwachen Beziehungen finden lassen. Weiterhin ist annehmbar, dass lose und weite Netzwerke typischerweise nicht örtlich gebunden sind, sondern Egos Kontakte sich gerade durch ihre lokale Verschiedenheit auszeichnen. Egos physischer Aufenthaltsort tritt in den Hintergrund. Dem erfolgreichen Management vieler Kontakte steht neben einem organisatorischen Konzept auch ein hoher Aufwand an Ressourcen gegenüber. Wesentliche Stützen zur Pflege der Netzwerke sind moderne Kommunikationsmittel. Die informelle Sozialkontrolle, sprich, das Wissen der Alteri oder Dritter über Egos Aktivitäten und seine Ansichten, ist in dieser Art von Netzwerk eher gering und kann in ihrem Ausmaß von Ego gut beeinflusst werden. In Situationen, in denen Hilfe auf der Ebene face-to-face notwendig wird, offenbart sich aufgrund der geringeren Intensität der Beziehungen sowie der lokalen Dezentralität ein Nachteil der lockeren Vernetzung. Im Falle besonders dichter (und kleiner) Netzwerke agiert Ego hingegen unter einer besonders hohen informellen Sozialkontrolle. Sein Verhalten und geäußerte Ansichten sind für das soziale Umfeld einfacher zu kontrollieren und für Ego steigt der Aufwand, wenn es sich der Kontrolle entziehen möchte. Gleichzeitig sind Informationen, die es über das Netzwerk erhält, oft redundant und gewähren keinen Handlungsvorteil, da sie ohnehin (fast) allen Alteri seines Netzwerks bekannt sind. In psychologischer Hinsicht trägt ein dichtes Netzwerk inklusive vertrauten Bezugspersonen zum Erhalt einer stabilen Identität bei und hält ganz praktisch zusätzlich Unter-
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 93
stützung in Alltagssituationen bereit (Haß 2002: 57). Egos Netzwerk ist häufig lokal in der Nähe verankert und absorbiert mit regelmäßigen face-toface-Interaktionen Egos Ressourcen, die somit nicht zur Erschließung neuer Kontakte verwendet werden können. Je nach inhaltlichem Bezugspunkt kann das dichte Netzwerk eine Chance oder biographische Sackgasse sein, wobei sich auch hier, je nach Fall, zahlreiche Zwischentöne ausmachen lassen dürften. Positiv kann sich ein dichtes Netzwerk beispielsweise im Falle einer chronischen Erkrankung Egos auswirken, bei der über lange Zeit intensive Hilfsleistungen notwendig werden und die in dieser Intensität häufig nur von der Familie und weiteren Verwandten erbracht werden können (Haß 2002: 63). Aber auch für wirtschaftliches Handeln kann ein enges Netzwerk hilfreich sein, so etwa für die ethnisch homogenen Einwanderer in den USA, die auf der Grundlage dichter Netze private Kredite zur Gründung von Geschäften oder von Gewerbe vergeben (Jansen 2001). Die nötige Sicherheit zur Einzahlung der beteiligten Kreditgeber basiert ebenso auf der sozialen Schließung wie die Rückzahlungsmoral inklusive der Kehrseite mit vorhandenem sozialen Druck und der Gefahr des Nicht-AussteigenKönnens einzelner Beteiligter (ebd.). Problematisch ist ein dichtes Netzwerk in Kontexten krimineller Subkulturen oder auch extremer politischer Gruppierungen oder religiöser Sondergruppen. Die hohe Dichte ermöglicht hier Mechanismen der Überwachung und Sanktion des Einzelnen wie sie etwa bei Hechter (1987) beschrieben worden sind. Hierunter fallen u.a. Maßnahmen der Gruppe zur Teilung des Überwachungsaufwands, der Belohnung oder Bestrafung abweichenden Verhaltens oder zur Erhöhung der Austrittskosten (Hechter 1987: 163). Eine wichtige Einflussgröße der Dichte ist die Netzwerkgröße. Der sogenannten „Social Brain Hypothesis“ von Dunbar (1998) folgend, kann ein Mensch aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten des Gehirns maximal ca. 150 Kontakte unterhalten, zu denen er Informationen über Namen, ihre Eigenschaften und Beziehungen bereitzuhalten vermag. Der maximal möglichen Netzwerkgröße sind demnach Grenzen gesetzt, die sich auch unter Einbeziehung von Hilfsmitteln wie virtuellen sozialen Netzwerken, die das Gedächtnis entlasten, nicht wesentlich zu verändern scheinen. Die Netzwerkgröße definiert, wie viele Beziehungen im Egonetz insgesamt möglich sind. Je größer das Netzwerk von Ego ausfällt, desto mehr Beziehungen können theoretisch existieren. Der Zuwachs neuer möglicher Beziehungen erfolgt mit jedem hinzutretenden Alter stetig (vgl. Abbildung 1).
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Abbildung 1: Hierarchisches Schichtenmodell persönlicher Netzwerke nach Zhou et al. (2005)
Quelle: Idee übernommen von Pfeffer (2010: 75), eigene Bearbeitung unter Hinzufügung der Dichte mit VennMaker1
Je mehr potenzielle Beziehungen in einem Egonetzwerk möglich sind, desto kleiner wird nun wiederum tendenziell die Wahrscheinlichkeit, einen hohen Dichtewert vorzufinden. Wendet man sich nochmals der Dunbar-Zahl von ca. 150 möglichen Kontakten zu, ist unmittelbar nachvollziehbar, dass Ego nicht zu allen seinen Kontakten eine ähnlich intensive Beziehung haben wird oder alle denkbaren Beziehungsdimensionen mit jedem Alter realisieren kann. Zhou et al. (2005) haben diese Überlegung in ein hierarchisches Schichtmodell über-
1
Die Software VennMaker wurde innerhalb des Exzellenzclusters der Universitäten Trier und Mainz entwickelt und dient der Erhebung, Darstellung und Analyse egozentrierter Netzwerke (vgl. Schönhuth et al. 2009 sowie Herz/Gamper in diesem Band).
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 95
führt und getestet (vgl. Abbildung 1).2 Nach außen dürften die von Ego über Alter abrufbaren Informationen tendenziell abnehmen. Ebenso wird die Dichte des Egonetzwerks umso geringer ausfallen, je weiter man sich im Modell nach außen bewegt. Diesen Aspekt gilt es, bei der Erhebung egozentrierter Netzwerke und den Überlegungen zu einem Vergleich ermittelter Dichtewerte zu berücksichtigen.
2. P RAKTIZIERTE U MSETZUNGEN EMPIRISCHEN F ORSCHUNG
IN DER
2.1 Eingesetzte Varianten der Erhebung Zur Ermittlung der Netzwerkdichte ist es unerlässlich, die Beziehung zwischen den benannten Alteri zu erkunden. Dies kann gerichtet und ungerichtet erfolgen. Von einer gerichteten Erhebung wird gesprochen, wenn die Abfrage jeweils lediglich eine Richtung der Beziehung zwischen den Alteri thematisiert. Es würde beispielsweise gefragt, ob Alter A Alter B erkennt. Für diese Art der Erhebung wären Ergebnisse denkbar, nach denen Alter A zwar Alter B erkennt, umgekehrt B jedoch A nicht einordnen könnte. Der Umfang der möglichen Beziehungskombinationen errechnet sich bei der gerichteten Erhebung mit einer dichotomen Ausprägung (kennen/nicht kennen) anhand der Formel N*(N-1). Dabei steht N für die Zahl der benannten Alteri.3 Im Zuge einer ungerichteten Erhebung werden beide Beziehungsrichtungen für die Beurteilung relevant. Die Ausprägung „kennen“
2
Die Autoren unterscheiden mehrere Gruppen, darunter als engsten Kern die sogenannte „support clique“ bestehend aus 3-5 vertrauten Personen, von denen Ego Ratschläge bezieht und die ihm helfend zur Seite stehen. Auf der zweiten Ebene finden sich unter der Bezeichnung „sympathy group“ ca. 12-20 Alteri, zu denen Ego spezielle Beziehungen unterhält und die es mindestens einmal im Monat kontaktiert. Auf den beiden äußeren Stufen finden sich schließlich die weitläufigeren Gruppen der „band“ mit 30-50 Personen sowie der „clan“ mit bis zu 150 Kontakten. Alle einbezogenen Alteri (active network) zeichnen sich dadurch aus, dass Ego den Kontakt weiterhin aufrechterhalten möchte (Roberts et al. 2009: 138).
3
Die Ego-Alter-Dyaden werden, wie oben begründet, nicht berücksichtigt.
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ist hier erfüllt, wenn sowohl Alter A Alter B kennt als auch B umgekehrt Alter A. Für die ungerichtete Erhebung bestimmt sich die Anzahl der möglichen Kombinationen somit nach der Formel N*(N-1)/2. Als weitere Variante der Erhebung kann die Beziehung schließlich abgestuft, das heißt mit mehr als zwei Ausprägungen erhoben werden. Denkbare Abstufungen wären beispielsweise A und B kennen sich „gut“, „etwas“ oder „nicht“. Beispiele für diese Umsetzung finden sich, beschrieben bei Pfenning und Pfenning in der ZUMA-Methodenstudie (1987: 71) oder auch in neueren Forschungsprojekten. Gerich und Lehner (2005: 54) beschreiben das Verfahren etwa im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken und Substanzmittelkonsum, während es bei Kropp und Bartsch (2003: 117) für die Frage der sozialen Einbettung von Konsumentscheidungen Anwendung findet. Je komplexer die Abfrage erfolgt, desto mehr muss sich der Forscher jedoch vergegenwärtigen, ob er die nötige Validität der Ergebnisse gewährleisten kann. In der Erhebung von Egonetzwerken, bei denen Ego häufig der einzige Auskunftsgeber ist, bietet es sich an, auf Komplexität zu verzichten und eine ungerichtete Erhebung mit der Ausprägung „kennen/nicht kennen“ zu wählen. Die Erhebung der Netzwerkdichte erfolgt zumeist anhand einer kleinen Stichprobe der benannten Alteri, da selbst in übersichtlichen Egonetzwerken die Anzahl der möglichen Beziehungen schnell zu hoch für eine Vollerhebung ausfällt.4 Aus diesem Grund beschränken sich insbesondere quantitative Studien, in denen die Erhebung des Netzwerks im Setting eines Fragebogens erfolgt, zumeist auf die (zufällige) Auswahl von drei bis fünf Alteri.5 Auch lassen die vorhandenen Restriktionen (Budget, Zeit, gegebe-
4
Schon im Bereich der von Zhou et al. (2005) beschriebenen zweiten Schicht persönlicher Netzwerke, der „sympathy group“ (12-20 Personen), wären selbst bei einer ungerichteten Vollerhebung 66-190 Kombinationen zu eruieren. Eine hierarchische Ebene weiter von Ego weg hin zur „band“ wären es bei 30 Kontakten sogar 435 mögliche Beziehungen.
5
Beispiele für Studien in denen drei bis fünf Alteri zur Schätzung der Dichte herangezogen wurden sind etwa: Wolf 2003; Friedrichs et al. 2002; Beer et al.
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 97
nes Forschungsdesign) oft keine Alternativen zu. Für die ermittelten Kontakte werden im Folgenden alle potenziell möglichen Beziehungskombinationen – bei drei bis fünf Alteri sind dies ungerichtet erhoben drei bis zehn – zusammengestellt und abgefragt. Mittels Division der realisierten Beziehungen durch den Anteil der maximal möglichen Kombinationen wird der Dichtewert für das erhobene Egonetzwerk geschätzt. Die Formel zur Berechnung der Dichte, bei der die Beziehungen ungerichtet erhoben wurden, lautet entsprechend:
D=
n N * (N-1) / 2
n = Zahl der realisierten Kontakte N = Zahl der benannten Alteri, entspricht Netzwerkgröße ohne Ego Um die erhaltenen Werte inhaltlich besser beurteilen zu können, bietet es sich an, vorhandene Informationen zu Drittvariablen, wie etwa den Anteil Verwandter, der eher auf eine hohe Dichte hinwirkt, oder die Anzahl der verschiedenen Herkunftskontexte der Alteri zu berücksichtigen (Haß 2002: 168). 2.2 Einwurf zu der gewählten Erhebungseinheit Die praktizierte Erhebung von wenigen Alteri und aller Beziehungen untereinander ist eine pragmatische Variante. Bedenkenswert ist jedoch die Wahl der Erhebungseinheit in Form der Alteri. Wolf weist in einem Beitrag zu Recht darauf hin, dass es sich in diesem Fall um eine Klumpenstichprobe handelt (Wolf 2006: 257 Fn. 15). Die Erhebungseinheit der Dichte sind laut Definition die Beziehungen zwischen den Alteri, womit die Auswahl von wenigen Alteri und allen ihren Beziehungen, sofern sie keine Voller-
2002; ALLBUS 2000 & 1980; Kesckes & Wolf 1996; Davis & Smith 1987; Pfenning & Pfenning 1987; ZA 1987; Fischer, 1982.
98 | MATTHIAS RAU
hebung des Egonetzwerks sind, eine maßgebliche Verzerrung der Stichprobe darstellt. Eine echte Zufallsauswahl muss sich somit auf die Beziehungen konzentrieren (ebd.). Im Folgenden wird deshalb ein Vorschlag unterbreitet, der den Hinweis aufgreift und der die Dichte auf Basis der Beziehungen zu bestimmen versucht.
3. V ORSTELLUNG EINES UMGESETZTEN ALTERNATIVEN E RHEBUNGSVORSCHLAGS 3.1 Projektkontext Das hier vorgestellte alternative Erhebungsverfahren wurde im Teilprojekt III.04 „Der Einfluss von Netzwerken auf Prozesse der Exklusion und Inklusion bei Strafgefangenen mit Migrationshintergrund“ des Landesexzellenzclusters der Universitäten Trier und Mainz „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ erprobt. Zum besseren Verständnis der nachfolgend beschriebenen Umsetzung wird das Forschungsdesign kurz skizziert. Es handelt sich um ein kriminologisches Projekt, dessen zentrale Forschungsfrage den Einfluss von sozialen Netzwerken auf die biographischen Verläufe nach der Entlassung aus einer Erstinhaftierung untersucht (vgl. Abbildung 2). Die Teilnehmer sind Menschen mit mindestens einer Inhaftierung und Migrationshintergrund. Das Projekt ist qualitativ ausgerichtet und untersucht die Fragestellung anhand von Vergleichsgruppen mit jeweils 15 Teilnehmern. Während die eine Gruppe nach der Entlassung aus der Erstinhaftierung nicht wieder ins Gefängnis musste, ist die andere Gruppe wegen erneuter Straftaten mindestens zum zweiten Mal inhaftiert.
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 99
Abbildung 2: Übersicht zum Forschungsdesign des kriminologischen Projekts Zeitfenster für Tat, die zur erneuten Inhaftierung führt 5 Prob. Aussiedler 5 Prob. mit türk./kurd. 5 Prob. mit nordafrik. Migrationshintergrund
5 Prob. Aussiedler 5 Prob. mit türk./kurd. 5 Prob. mit nordafrik. Migrationshintergrund
15 Rückkehrer ~ Exklusion
3 Jahre – in diesem Zeitfenster wirken u.a. die Netzwerke
15 Erfolgreiche ~ Inklusion
Zeitpunkt der Entlassung aus der Erstinhaftierung
Quelle: Eigene Darstellung
Die Teilnehmer der Studie werden einzeln zu drei Terminen interviewt. Im ersten Gespräch werden die Daten, die für eine kriminologische Fallanalyse benötigt werden, erhoben. Das zweite Interview erhebt in einem standardisierten Verfahren egozentrierte Netzwerkdaten und ermöglicht es, eine Liste mit den von Ego genannten Kontakten zu erstellen. Im Anschluss an das zweite Interview findet unter anderem die Zusammenstellung der Unterlagen statt, die zur Erhebung der Dichtedaten dienen. Schließlich wird die Interviewreihe von einem Abschlussgespräch abgerundet, welches die Erhebung der Dichtedaten und die Klärung von Erhebungslücken umfasst.
100 | MATTHIAS RAU
Tabelle 1: Beispiel zur Ablage der Netzwerkdaten AlteriNr.
Vorname aus der Erhebung
kategoriale Abkürzung
Akteurstyp
1 2
Mutter Vater
Mu-1 Va-2
Egos leibliche Mutter Egos leiblicher Vater
3
Franziska
Part-3
4
Tom
So-4-Part-3
Egos Partnerin Egos Sohn zus. mit Part-3
Quelle: Eigene Darstellung
3.2 Realisierte Umsetzung Zur Erhebung der Dichte auf Basis der bestehenden Beziehungen wird auf die vorhandenen Daten aus dem Netzwerkinterview zurückgegriffen. Diese werden direkt nach dem Interview aufbereitet und sowohl in eine Datenbank6 als auch in die Statistiksoftware SPSS eingepflegt. Hierbei erhalten die von Ego benannten Alteri eine fortlaufende Nummer, die eine Zuordnung ermöglicht (vgl. Tabelle 1). Unter der Randbedingung, dass die Beziehungen ungerichtet und nicht abgestuft erhoben werden, errechnet sich der Umfang der möglichen Beziehungen – wie oben besprochen – anhand der Gleichung N*(N-1)/2. Dabei steht N für die Gesamtanzahl der genannten Alteri. Die Ego-Alter-Dyade wird im erprobten Vorschlag ausgeschlossen, das Verfahren erlaubt jedoch auch den Einschluss. Aufgrund der Vorüberlegungen zum Netzwerkumfang sowie der durchgeführten Pretests wurde entschieden, maximal 20 aller genannten Alteri in die Dichteberechnung einzubeziehen. Diese Variante berücksichtigt mit 20 Kontakten bereits deutlich mehr als die sonst üblichen drei bis fünf einbezogenen Alteri. Aus der gewählten Begrenzung ergeben sich, berechnet anhand der Gleichung 20*(20-1)/2, maximal 190 Beziehungskombinationen. Hiervon ausgehend wurde mit Hilfe der Stichprobenformel ermittelt, wie viele Beziehungen für eine belastbare Aussage über 190 Beziehungen getestet werden müssen. Bei einem üblichen Stich-
6
Hintergrund der zweifachen Ablage sind zusätzliche Informationen, welche in der Datenbank als Anmerkungen zum jeweiligen Netzwerk abgelegt werden können.
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 101
probenfehler von 5 Prozent ergeben sich 128 zu prüfende Kombinationen. Diese Zahl kann nach allen Tests und bisherigen Erfahrungen in ca. 10 Minuten gut bewältigt werden. Für Netzwerke mit mehr als 20 Alteri wird der nötige Stichprobenumfang infolge der gewählten Begrenzung zwar nicht erreicht, dennoch dürfte auf diesem Wege aufgrund der adäquateren Erhebungseinheit und im Gegensatz zur Klumpenstichprobe eine bessere Annäherung an den wahren Wert der Dichte möglich sein. Innerhalb des Projekts wird bei bis zu 16 Alteri (ergeben max. 120 Beziehungskombinationen) eine Vollerhebung und bei mehr als 16 Alteri eine Stichprobe mit 128 Kombinationen realisiert. Um dem Interviewteilnehmer eine Liste zur Erhebung vorlegen zu können, bedarf es zunächst der Ermittlung einer entsprechenden Auswahl von Beziehungen. Hier erleichtert ein für die Statistiksoftware SPSS vorbereiteter Datensatz die Zufallsauswahl (vgl. Tabelle 2). Er entspricht einer Soziomatrix der Alteri, in der jede denkbare Beziehung vermerkt ist. Der Datensatz besteht aus zwei Variablen, von denen die erste als fortlaufend nummerierte Zahl eine Beziehung eindeutig kodiert, während die zweite als Beziehungskombination (2-1, 3-1, 3-2, …) jeweils zwei Alteri miteinander verbindet. Jede Kombination kommt in dieser Aufzählung dementsprechend nur einmal vor. Die Stichprobe wird nun über die Funktion Zufallsstichprobe in SPSS (ohne Zurücklegen) über die erste Variable „Nummer der Beziehung“ ermittelt. In einem Beispielfall mit 20 Alteri ermittelt SPSS 128 aus 190 Beziehungen. Die Stichprobe wird als neuer Datensatz ausgegeben und lässt sich mit Hilfe der Funktion Häufigkeiten übersichtlich als Tabelle ausgeben (vgl. Abbildung 3). Die Tabelle enthält alle benötigten und eindeutig kodierten Kombinationen. Im nächsten Schritt werden die Kombinationen anhand der Datenbank rekodiert und die Vornamenpaare in eine Liste zum Ankreuzen übertragen (vgl. Abbildung 4). Der Teilnehmer erhält zum nächsten Interview die Liste und setzt ein Kreuz, wenn sich die beiden Personen kennen beziehungsweise ein Minus, wenn dies nicht der Fall ist (vgl. Tabelle 3). Nach der Erhebung kann die Anzahl der bestehenden Beziehungskombinationen wie gehabt durch die Anzahl der möglichen Beziehungskombinationen dividiert und so der Dichtewert des Netzwerks ermittelt werden. Innerhalb des Projekts werden die Listen abschließend in der digitalen Fassung anonymisiert und die identifizierbaren Vornamen gelöscht.
102 | MATTHIAS RAU
Tabelle 2: Beispiel für Datensatz mit Beziehungskombinationen Nummer der Beziehung
Beziehungskombination
1 2 3 4 5 6 …
2-1 3-1 3-2 4-1 4-2 4-3 …
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 3: Beispielansicht entsprechend der SPSS-Ausgabe nach Ziehung einer Zufallsstichprobe
Beziehungskombination N Gültig Fehlend
128 0
Beziehungskombination Häufigkeit Gültig 2-1 3-1 4-2 …
Quelle: Eigene Darstellung
1 1 1 …
Prozent ,8 ,8 ,8 …
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
,8 ,8 ,8 …
,8 1,6 2,3 …
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 103
Abbildung 4: Beispiel zur Rekodierung einer Beziehungskombination aus einer Zufallsstichprobe von SPSS
Beziehungskombination Häufigkeit Gültig
2-1 3-1 4-2 …
Prozent Gültige Prozente
1 1 1 …
,8 ,8 ,8 …
,8 ,8 ,8 …
Vorname aus der Erhebung
kategoriale Abkürzung
1
Mutter
Mu-1
2
Vater
Va-2
3
Franziska
Part-3
4
Tom
So-4-Part-3
Alteri-Nr.
Quelle: Eigene Darstellung
Tabelle 3: Beispiel für Datensatz mit Beziehungskombinationen Bitte sagen Sie uns, ob sich die benannten Personen kennen oder nicht. Wenn sich die Personen kennen, setzen Sie bitte ein Plus (+), wenn sich die Personen NICHT kennen bitte einen Strich (-). Vater
+
Mutter
Franziska
-
Mutter
Tom
+
Vater
Tom
+
Franziska
…
…
…
Quelle: Eigene Darstellung
104 | MATTHIAS RAU
3.3 Erste Ergebnisse Innerhalb des Forschungsprojekts konnten bisher sechzehn Netzwerke und mit ihnen Daten zur Dichte auf Grundlage des alternativen Vorschlags erhoben werden. Für fünfzehn Fälle7 liegen darüber hinaus Vergleichswerte vor, die anhand der beschriebenen Variante mit fünf Alteri erhoben wurden. Hierzu wurde den Teilnehmern eine weitere Liste mit fünf zufällig gewählten Alteri vorgelegt und von diesen alle zehn Beziehungskombinationen erhoben. Die Ergebnisse sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Zur Einschätzung der Abweichung wurde zusätzlich die Differenz als Betrag ermittelt. Der Vergleich zwischen den beiden Verfahren zeigt, dass es bei den Ergebnissen sowohl nahezu keine Abweichung (etwa innerhalb der Netzwerke J und N) als auch recht deutliche Unterschiede (etwa bei den Netzwerken B und C) gab. Die durchschnittliche Abweichung über alle fünfzehn Vergleichskombinationen hinweg beträgt 0,20 mit einer Standardabweichung von 0,1 – vor dem Hintergrund, dass die Maßzahl sich zwischen 0 und 1 bewegt, ist dies relativ viel. Aufschluss über die Qualität des alternativen Vorschlags könnte ein Vergleich der Variante mit fünf Alteri bei einer Vollerhebung geben. Dieser Fall ist bisher dreimal aufgetreten (grau unterlegte Netzwerke G, J, M) und zeigt in zwei Fällen eine deutliche Abweichung; in einem Fall ist die Abweichung völlig akzeptabel. Mit Hilfe dieses Testdesigns dürften weitere Aufschlüsse möglich sein.
7
Die Vergleichserhebungen begannen fortlaufend ab Teilnehmer Nummer Vier. Infolge der Haftsituation eines Teilnehmers konnte die Vergleichsliste in einem Fall nachträglich nicht mehr ausgefüllt werden.
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 105
Tabelle 4: Erste Ergebnisse zur Dichteermittlung auf Basis des alternativen Erhebungsvorschlags im Vergleich zur Erhebung mit fünf Alteri Übersicht I/III Egonetzwerk
A
B
C
D
E
F
5 Alteri
1,0
1,0
1,0
0,8
0,7
0,7
max. 128 Beziehungen
0,73
0,63
0,6
0,59
0,56
0,54
Differenz als Betrag
0,27
0,37
0,4
0,21
0,14
0,16
Übersicht II/III Egonetzwerk
G
H
I
J
K
L
5 Alteri
0,7
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
max. 128 Beziehungen
0,53
0,51
0,44
0,53
0,53
0,52
Differenz als Betrag
0,17
0,19
0,16
0,03
0,13
0,22
Übersicht III/III Egonetzwerk
M
N
O
P
Q
R
5 Alteri
0,3
0,3
0,2
---
---
---
max. 128 Beziehungen
0,49
0,32
0,46
0,43
---
---
Differenz als Betrag
0,19
0,02
0,26
---
---
---
Quelle: Eigene Darstellung
106 | MATTHIAS RAU
4. AUSBLICK
UND
D ESIDERATA
Allgemein lässt sich der präsentierte Vorschlag gerade in qualitativ forschenden Projekten als alternative Erhebungsvariante zur Bestimmung der Dichte hervorheben. Gerade für Egonetzwerke bei denen keine Vollerhebung möglich ist, berücksichtigt der Vorschlag die adäquatere Erhebungseinheit. Eine computergestützte Variante, bei der die Liste mit den Beziehungspaaren schnell erstellt werden kann, würde den Einsatzbereich verbreitern (so auch bereits Wolf 2006: 257 Fn. 15). Denkbar wäre hierzu die Entwicklung eines Softwaretools, in welches die Liste mit den Namen eingepflegt oder importiert werden kann und das die zufälligen Paare daraufhin bildet. Eine weitere Variante wäre die Einbindung in bestehende Softwaretools der Egozentrierten Netzwerkanalyse wie beispielsweise den VennMaker. Zum Abschluss der theoretischen Überlegungen wurde bereits auf die Einschränkungen für den Vergleich von Dichtewerten hingewiesen, hinter denen unterschiedliche Netzwerkgrößen stehen. Gelänge es, dieses Problem einer Lösung zuzuführen, bekämen die ermittelten Werte eine höhere Aussagekraft. Aussichtsreich könnte die Gewichtung der Dichte sein, um auf diesem Wege die Abhängigkeit von der Netzwerkgröße zu berücksichtigen.
L ITERATUR ALLBUS (2000): Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2000 (CAPI-Version), online unter: http://info1.gesi s.org/dbksearch/file.asp?file=ZA3451_fb.pdf. ALLBUS (1980): Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften 1980 (ZA-Nr. 1000), online unter: http://info1.gesis.org/dbk search/file.asp?file=ZA1000_fb.pdf. Barnes, John A. (1969): „Networks and political process“. In: James Clyde Mitchell (Hg.), Social networks in urban situations, Manchester: Manchester University Press, S. 51-76. Beer, Manuela/Liebe, Ulf/Haug, Sonja/Kropp, Per (2002): Ego-zentrierte soziale Netzwerke beim Berufseinstieg. Eine Analyse der Homophilie, Homogenität und Netzwerkdichte ehemaliger Studierender an der Fa-
BESTIMMUNG DER DICHTE IN EGOZENTRIERTEN NETZWERKEN | 107
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108 | MATTHIAS RAU
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Medienforschung
Das Soziale an „sozialen Netzwerkseiten“ Eine relational-soziologische Analyse M ARKUS G AMPER
Mit Volksaufständen in Teilen der arabischen Welt rückten Anfang des Jahres 2011 die digitalen „sozialen Medienangebote“ und ihre sozialen Dienlichkeiten in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Eine wichtige Rolle bei dem Aufstand gegen die Diktatoren in Tunesien, Syrien, Lybien und Ägypten spielten vor allem die sozialen Netzwerkseiten (SNS) wie Facebook, Twitter und Co. 1 Sie dienten den Demonstranten als Informationsquelle, als Kommunikationsmedium und zur Koordination ihre Massenkundgebungen. Der Politikwissenschaftler Volker Perthes spricht vor diesem Hintergrund sogar vom Aufstand der arabischen Facebook-Jugend (Perthes 2011). Aber nicht nur in Nordafrika, sondern auf der ganzen Welt verändern diese immer populärer werdenden Internetangebote unsere Form der sozialen Vernetzung (Licoppe und Smoreda 2005). Eine repräsen-
1
Hier wir eine Abgrenzung zwischen den Begriffen „soziale Netzwerke“ und „Soziale Netzwerkseiten“ vorgenommen. Bei ersteren handelt es sich um Beziehungen zwischen sozialen Einheiten, die aufgrund unterschiedlicher Vernetzungsopportunitäten soziale Strukturen ausbilden. Bei den sozialen Einheiten kann es sich beispielweise um Personen, Organisationen oder auch Länder handeln. Die Relationen können sich aus Austausch-, Liebes- oder auch Familienbeziehungen zusammensetzen. Soziale Netzwerkseiten beschreiben hingegen spezifische Internetdienste, welches es Personen erlauben, sich untereinander zu vernetzen und zu kommunizieren.
112 | M ARKUS G AMPER
tative Umfrage unter 10.545 Internetnutzern in Großbritannien, USA, Frankreich, Ungarn, Südkorea sowie Deutschland unterstreicht die Beliebtheit dieser Webseiten. In dem Ländervergleich sind es vor allem die Briten, die zu 61 Prozent angeben, Mitglied einer SNS zu sein. An zweiter Stelle folgen die USA mit knapp 54 Prozent, dann Deutschland und Frankreich mit jeweils 50 Prozent. Eine geringere Akzeptanz haben die SNS bei Koreanern und Ungaren mit jeweils 40 Prozent. Auffallend ist die Mehrfachmitgliedschaft der Nutzer. Hinter Korea mit im Durchschnitt 4,4 Mitgliedschaften belegen deutsche SNS-Besucher mit 2,7 Mitgliedschaften den zweiten Platz. Sie liegen damit vor Frankreich (2,4), Großbritannien (2,2) und den USA (2,1) (Deutsche Telekom 2009). Global besitzen die Webseiten mehr als 945 Millionen Mitglieder (ComScore 2010) – die Tendenz ist steigend. Für Donath sind SNS sogar schon die Antwort auf die Globalisierung, da sie die Kommunikation, Kooperation und den Wissensaustausch über nationale Grenzen hinaus vertiefen und stärken. Sie behauptet: „[S]ocial network [sites] aid […] the establishment of trust, identity, and cooperation – the essential foundations for an expanded social world“ (Donath 2008: 231). Auch wenn die Popularität dieser Seiten weltweit rapide wächst, ist die soziologische Forschung zu diesem Thema in Deutschland eher ein Randphänomen. Auch wenn zum Teil Einstellungsstudien existieren, ist ein relational-wissenschaftlicher Blick auf das Phänomen sehr selten. Der Hauptgrund ist wohl, dass die soziale Netzwerkanalyse in Deutschland im Allgemeinen eine eher untergeordnete Rolle spielt (vgl. Gamper/Reschke 2010). Global nimmt das Interesse an den SNS aber stetig zu; speziell im angloamerikanischen Raum. Vor diesem Hintergrund soll ein ein Gesamtüberblick über die Forschung zu sozialen Netzwerkseiten und ihre Geschichte gegeben und gezeigt werden, wie sich die Netzwerkforschung diesem Thema widmet. Hierfür wird zuerst eine Definition von SNS gegeben, um anschließend die (Erfolgs-)Geschichte dieser typischen Erscheinung des Web 2.0 nachzuzeichnen. Daran anknüpfend werden aktuelle Nutzungsstudien präsentiert. Zuletzt soll gezeigt werden, wie sich die relationale Soziologie diesem Phänomen widmet.
DAS SOZIALE AN „SOZIALEN NETZWERKSEITEN“ | 113
1. W AS SIND SOZIALE N ETZWERKSEITEN – D EFINITION UND E NTSTEHUNG Das Web 2.0 bietet eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten, mit anderen Personen in Kontakt zu treten. Ein sehr beliebter Weg sind die so genannten „social network sites“, die eine rasante Entwicklung und eine riesige globale Verbreitung gefunden haben. Was darunter zu verstehen ist, ist aufgrund unterschiedlicher Funktionen und fehlender Bewertungskriterien sehr uneinheitlich. Boyd und Ellison definieren SNS als „[...] web-based services that allow individuals to construct a public or semi-public profile within a bounded system, articulate a list of other users with whom they share a connection, and view and traverse their list of connections and those made by others within the system“ (Boyd/Ellison 2007). SNS sind demnach globale Internetdienstleister, über die Nutzer persönliche Informationen darbieten, sich im Rahmen dieses Dienstes mit anderen Menschen (z.B. Freunden, Arbeitskollegen) über bestimmte Themen (z.B. Alltag, Politik, Soziales, Tratsch) austauschen und sich über geographische Grenzen miteinander vernetzen. Sie können Bilder oder Filme zur Verfügung stellen, über das Netz telefonieren und sich für gemeinsame Veranstaltungen verabreden. Das Neue daran ist, dass traditionelle Formen der individuellen und Massenkommunikation aufgebrochen und miteinander verbunden werden (Ebersbach et al. 2008). Der Weg von der Idee und der Adaption dieser neuen Art der Kommunikation durch eine große Anzahl von Internetnutzern hin zu einer wahren Erfolgsgeschichte war lange und für viele Anbieter eine Sackgasse. Auch wenn schon seit Ende der 1980er Jahre mit Mailinglisten bzw. Anfang der 1990er Jahre Kommunikationsplattformen wie Mailboxnetze sowie digitale Schwarze Bretter wie z.B. Usenet bestanden, ist der Ausgangspunkt der SNS, wie wir sie heute kennen, erst Mitte bzw. Ende der 1990er Jahre zu verorten. Die allgemeine Idee war es, Menschen einen Raum im Internet zur Verfügung zu stellen, in dem sie kommunizieren und sich austauschen können. Die wohl ersten Schritte machten Classmates.com (1995), welche eine Plattform für die Vernetzung mit früheren Schulkameraden zum Ziel hatte (Stibel et al. 2009), und die für alle Internetuser offene SNS Sixdegrees.com (1997) (Schilliger 2010: 13). Während Classmates.com weiterhin online ist, musste Sixdegrees.com im Jahre 2000 vom Netz gehen. Ausschlaggebend dafür war wohl, dass die „early adaptor“ kaum „fremde“
114 | M ARKUS G AMPER
Personen und Freunde fanden, mit denen sie sich hätten vernetzen können und die Möglichkeiten der Webseite für einen allgemeinen sozialen Austausch – ohne bestimmten Fokus wie z.B. das Ausfindigmachen alter Schulkameraden – noch sehr begrenzt waren (Boyd/Ellison 2007). Ende der 1990er Jahre wurden weitere SNS wie beispielsweise BlackPlanet (1999) und AsianAve (1997) ins Leben gerufen. Dieses Angebot sollte die ethnischen Minderheiten der schwarzen Bevölkerung und der Asiaten in den USA stärker vernetzen und gleichzeitig die Akzeptanz des Internets erhöhen (Banks 2006). Auch wenn diese Webseiten hinsichtlich ihrer Funktionen nicht so viele Möglichkeiten boten, wie wir das heute kennen, war es möglich, unterschiedliche Profile (beispielsweise ein persönliches und ein berufliches) anzeigen zu lassen sowie Freunde zu suchen ohne eine Zustimmung von diesen erfragen zu müssen. Die wohl erste erfolgreiche (weltweite) Webseite, die nicht auf eine bestimmte Gruppe abzielte, sondern für alle offen war, war die koreanische Cyworld (2000), die aber mit der Zeit an Popularität verlor (Thelwall 2009). Nach diesen ersten einzelnen Versuchen der Implementierung Mitte der 1990er Jahren kam es Anfang des neuen Jahrtausends zu einer ersten größeren Welle von Gründungen. Zu nennen wären hier vor allem die Wirtschaftsplattformen Ryze (2001) und LinkedIn (2003) und die mehr freundschaftsbasierte Friendster (2002). Besonders letztere konnte in kurzer Zeit mehr als 300.000 Mitglieder verzeichnen (O‘Shea 2003) und setzte sich vor allem aus Bloggern, Besucher des „Burning Man“ Kunstfestivals sowie Personen aus der homosexuellen Szene zusammen (Boyd 2004). Durch das schnelle Wachstum an Mitgliedern kam es jedoch zu technischen Engpässen und Problemen. Aufgrund des von vielen Usern empfundenen „anstrengenden“ Vernetzungsbooms innerhalb der Gemeinschaft und dem Anstieg von falschen Profilen wurden die Aktivitäten beschränkt. So blockierte Friendster das Abrufen der Profile, die mehr als vier Grade von dem eigenen entfernt waren (Boyd 2006). Zeichnete sich hier bereits der Weg in die Zukunft ab kam es, auch durch die immer stärkere Verbreitung des Internets in der Gesamtbevölkerung, zu einem richtigen Gründungsboom von SNS, wobei die Angebote in ihrer Themenvielfalt heterogener wurden. Zu nennen wären hier beispielsweise die Musikplattform Last.FM (2003), das Reiseportal Couchsurfing (2003), die Foto- und Videoplattformen Flickr (2004) und Myspace (2003) sowie die thematisch breiter aufgestellten Vernetzungsportale Hi5 (2003)
DAS SOZIALE AN „SOZIALEN NETZWERKSEITEN“ | 115
und Orkut2 (2004). In diesen Zeitraum fällt auch die Gründung der Anfang der 2010er Jahre wohl bekanntesten SNS: Facebook. Facemash (2003) aus der später die Seite thefacebook (2004) und 2006 schließlich Facebook entstand, war die Idee des Harvard-Studenten Mark Zuckerberg und seinen Kommilitonen (Kirkpatrick 2010: 25ff.). Am Anfang richtete sich die Seite ausschließlich an Personen mit einem Emailaccount der Universität Harvard. Zunächst konnten sie Bilder, persönliche wie auch akademische Informationen auf die neue Webseite stellen. Zuckerberg orientierte sich dabei an der Webseite Friendster und wollte eine Plattform schaffen, auf der man nach Menschen mit gleichen Interessen suchen und sich mit Freunden austauschen konnte (Tabak 2004). Vier Tage nach der Freischaltung hatten sich bereits mehr als 650 Studenten angemeldet (Kirkpatrick 2010: 31). Nach eignen Angaben besitzt Facebook im Januar 2011 mehr als 600 Millionen Nutzer. 14 Millionen alleine in Deutschland (Roth 2011). Die wohl meist beachtete Neugründung der letzten Jahre ist diejenige des Internetkonzerns Google: Google Plus (G+). Die Betaversion ging im Juni 2011 online und war am Anfang nur für ausgewählte Personen zugänglich, die wiederum weitere User einladen konnten. Seit September 2011 ist die SNS für jeden frei zugänglich, der sich mit seinem Klarnamen anmeldet. Offizielle Statistiken zu Mitgliederzahlen gibt es noch nicht. Der globale Durchbruch der SNS lässt sich nicht zuletzt durch die ungefähr seit dem Jahr 2005 wachsende Adaption dieser sozialen Angebote durch die Internetnutzer erklären. In dieser Zeit sind auch die ersten Gründungen von deutschen Netzwerkseiten zu verzeichnen. Die Erfinder und Initiatoren orientierten sich dabei stark an den bereits bestehenden Ideen und Angeboten aus den USA. Hervorzuheben sind hier vor allem die Angebote der VZ-Gruppe – StudiVZ (2005), SchülerVZ (2007) und MeinVZ (2008). Daneben existieren Wer-Kennt-Wen (2006) und die etwas älteren Stayfriends (2002) und Xing (2003). Die VZ-Gruppe besitzt nach eigenen Angaben ca. 17 Millionen und Wer-kennt-Wen 9 Millionen Mitglieder (VZGruppe 2011). Festzuhalten ist, dass die Zahl der Angebote und deren Ausdifferenzierung (z.B. Musiknetzwerke, Businessnetzwerke, Künstlernetzwerke usw.) wie auch die Mitgliederzahl seit Ende der 1990er Jahre stetig ansteigt und
2
Orkut ist ein Teil des Unternehmens Google.
116 | M ARKUS G AMPER
ein Ende noch nicht erreicht sein wird. Wer sind nun die User dieser Webseiten und wie werden die SNS von den Mitgliedern überhaupt genutzt?
2. W ER , WIE , WAS , WARUM ? N UTZUNGS - UND S TRUKTURMERKMALE Repräsentative Daten über die internationale Verbreitung von internetbasierten sozialen Netzwerken liegen – sieht man von den offiziellen Daten der Anbieter ab – nicht vor. Die wohl zuverlässigsten Daten findet man bei comScore (www.comScore.com), ein Marktforschungsunternehmen, welches sich auf die Generierung von Online-Informationen (z.B. Internetnutzung) spezialisiert hat und einen großen Umfragepool besitzt, auf den es weltweit zurückgreifen kann.3 Demnach stieg die Zahl der SNS-Nutzer von 770 Millionen im Juli 2009 auf 945 Millionen im Juli 2010 an (Comscore 2010). ComScore differenziert hierbei fünf globale Zonen: der asiatischpazifische Raum, Europa, Nordamerika, Lateinamerika, Afrika und der Mittlere Osten. Die meisten Nutzer kamen im Jahre 2007 aus dem asiatisch-pazifischen Gebiet (169 Millionen), gefolgt von Europa mit 127 Millionen, Nordamerika mit 124 Millionen, Lateinamerika mit 42 Millionen sowie Afrika und dem Mittleren Osten mit zusammen 21 Millionen Usern (Fulgoni 2007). Bezogen auf die jeweilige Einwohnerzahl in diesen Zonen zeigt sich, dass Nordamerika gemessen an der Bevölkerung den höchsten Anteil an Nutzern besitzt (37 Prozent), gefolgt von Europa (16 Prozent); an dritter Stelle steht Lateinamerika mit 7 Prozent. An vierter Stelle befindet sich der asiatisch-pazifische Raum mit 4 Prozent, gefolgt von Afrika und dem Mittleren Osten mit 2 Prozent (Thelwall 2009).4
3
Dieses Panel umfasst rund zwei Millionen Freiwillige auf der ganzen Welt und wird von comScore für repräsentative Stichproben genutzt. Auch wenn der Datensatz nicht ideal ist, erlaubt er doch einen ersten internationalen Vergleich.
4
Es muss darauf hingewiesen werden, dass der Anteil der User an der Gesamtbevölkerung in den unterschiedlichen Ländern der einzelnen globalen Zonen stark variiert. So sind es im asiatischen Raum besonders die hochentwickelten Länder wie Japan, Südkorea und Australien, bei denen der Anteil besonders hoch ist.
DAS SOZIALE AN „SOZIALEN NETZWERKSEITEN“ | 117
Abbildung 1: Beliebtheit unterschiedlicher Netzwerkseiten basierend auf den Daten von Alexa-Ranking und Google Trends (Dezember 2010)
5
Quelle: Cosenza 2011
Ein Blick auf Abbildung 1 zeigt, dass die SNS in den verschiedenen Staaten unterschiedlich populär sind. Basierend auf der Bewertung der wichtigsten Webseiten durch das Alexa-Ranking6 und Google-Trends7 vom Dezember 2010 wird erkennbar, dass die Webseite Facebook in vielen Teilen der Welt am meisten genutzt wird. Darunter fallen Staaten wie beispielsweise die USA, Kanada, Argentinien, Sudan, Algerien und Indien. Aber es gibt auch nationale Anbieter, die Facebook in ihrer Akzeptanz übertreffen. Dazu gehören beispielsweise Cloob im Iran, Orkut in Brasilien, QZone in China und VKontakte in Russland. Auf der Basis dieser Analyse besitzt Facebook auch in großen Teilen Europas eine Vormachtstellung. Ausnahmen bilden aber auch hier Länder wie Ungarn (Iwiw) und Polen 5
Für die hellgrauen Bereiche liegen keine Informationen vor.
6
Alexa ist ein Tochterunternehmen von Amazon und ein Anbieter, der Daten über Webseitenzugriffe durch Internetnutzer sammelt und von dessen Ausgangspunkt das sog. Alexa-Ranking erstellt. Die Bewertung basiert hauptsächlich auf dem Webseitenbesuch der Alexa-Anwender. Auch wenn die Daten nicht repräsentativ sind, zeigen sie doch den Grad der Beliebtheit der 100.000 wichtigsten Webseiten.
7
Google-Trends greift auf Google Analytics zurück, um die Besucherzahl von Webseiten zu berechnen.
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(Klasa). Bezogen auf den Webseitenbesuch ist Facebook in Deutschland die führende SNS (Cosenza 2011). Hinsichtlich der Mitgliedschaft zeigt sich ein anderes Bild: Für Deutschland stoßen bei den deutschen Usern laut den statistischen Angaben der Anbieter vor allem die Angebote der VZ-Netzwerke mit ca. 17 Millionen Mitgliedern (VZ-Gruppe 2011), Facebook mit 14,2 Millionen (Cosenza 2011), Wer-kennt-Wen mit mehr als 9 Millionen Mitgliedern (RTL interactive 2011), Stayfriends (2002) mit mehr als 12 Millionen (StayFriends 2011), Xing (2003) mit ca. 9 Millionen (Xing 2011) und die von fünf Münchnern entwickelte Webseite Lokalisten (2005) mit 3,6 Millionen Mitgliedern im Juli 2010 auf große Akzeptanz (Lokalisten).8 Es ist jedoch anzunehmen, dass die Zahl der aktiven Mitglieder – also diejenigen, welche die Angebote tatsächlich nutzen – auf den rein deutschen SNS zurückgehen wird, da viele dieser Mitglieder zu international ausgerichteten Seiten wie Facebook oder Google Plus wechseln werden oder schon gewechselt sind. Wer sind nun diese Millionen Menschen, die sich über diese Webseiten miteinander verbinden? Im nächsten Abschnitt wird ein Bild über die Nutzer der Musik-, professionellen/Berufs-, Sofa-Austausch- und KünstlerNetzwerke und deren Netzwerke gezeichnet.9 Hierbei wird auf Informationen ausgewählter internationaler Studien zurückgegriffen, die hinsichtlich ihres methodischen Vorgehens kategoriesiert werden: zum einen in „klassische“ soziologische Studien, die sich mit den Mitgliedern und ihren Attributen (z.B. Alter, Geschlecht, Nationalität) auseinandersetzen, zum anderen in relationale soziologische Forschungen, welche die Wechselwirkung zwischen Beziehungen, Strukturen und Attributen der Individuen analysiert. Im Anschluss werden die Ergebnisse der unterschiedlichen Ansätze zusammengebracht und der Frage nachgegangen, wie sich Strukturen auf die Personen auswirken oder welche Attribute zu welchen Netzwerken führen.
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Hier könnten weitere Webseiten wie beispielsweise Friendscout24 oder Clipfish angeführt werden. Im Rahmen dieses Artikels habe ich mich auf Studien über die medienwirksamsten SNS konzentriert.
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Eine Übersicht über die Nutzer von unterschiedlichen SNS für den Zeitraum von 2008 bis 2010 findet sich bei Chapell (2011). Der Blogger greift bei seiner populärwissenschaftlichen Analyse auf Daten von Google Ad Planner und Google Insights for Search zurück (Chappell 2011).
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2.1 Persönlichkeitsattribute Eine repräsentative Studie, die im Auftrag der deutschen Telekom durchgeführt wurde, untersuchte das Nutzerverhalten von SNS-Usern in Großbritannien, USA, Frankreich, Ungarn, Südkorea und Deutschland.10 Hinsichtlich der Nutzungsart der befragten Deutschen zeigt sich folgendes Bild: Das Internetangebot wird hauptsächlich für Kommunikation und sozialen Austausch verwendet. 47 Prozent der Nutzer chatten, 34 Prozent schreiben an die Pinnwand bzw. hinterlassen Nachrichten und 32 Prozent kommentieren Beiträge. An zweiter Stelle folgen Aspekte der Selbstdarstellung wie Selbstrepräsentation (ca. 29 Prozent) und Beiträge beziehungsweise Blogs schreiben (ca. 27 Prozent). Am dritt häufigsten werden digitale Informationen wie zum Beispiel Fotos (ca. 25 Prozent), Videos (ca. 10 Prozent) sowie andere Inhalte (ca. 13 Prozent) dargeboten. Nationale Unterschiede zeigen sich vor allem hinsichtlich der visuellen Nutzung. Die Befragten aus anderen Ländern nutzen häufiger die Möglichkeit, Bilder im Netz zu veröffentlichen (Südkorea ca. 48 Prozent, Großbritannien ca. 43 Prozent, USA ca. 45 Prozent und Frankreich knapp 39 Prozent und Ungarn knapp 30 Prozent) (Deutsche Telekom 2009: 20). Hinsichtlich der Nutzung stellen Busemann und Gscheidle heraus, dass die SNS hauptsächlich zur Kommunikation genutzt werden. 79 Prozent der Nutzer geben an, mindestens einmal wöchentlich Beiträge zu schreiben, persönliche Nachrichten zu verschicken oder zu chatten. Der persönliche Kontakt nimmt hierbei den größten Bereich ein. Knapp 66 Prozent verschicken mindestens wöchentlich eine persönliche Nachricht. Zwei Drittel der Nutzer geben an, sich über ihr privates Netzwerk zu informieren. Über 50 Prozent der Nutzer machen von den verschiedenen Möglichkeiten zum Chatten Gebrauch. Wiederum knapp 42 Prozent schreiben eigene Beiträge oder kommentieren Beiträge ihrer Freunde. 37 Prozent gehen mindestens einmal die Woche auf die Suche nach Bekannten und Freunden. 28 Prozent
10 In diesem Kapitel wird nicht auf die Nutzungsmotive, die beispielsweise auf Nutzen-Belohnungs-Ansätzen beruhen, eingegangen. Eine sehr detaillierte Zusammenfassung zu Studien mit diesem Schwerpunkt – d.h. Einflussfaktoren auf die Nutzung, Nutzungsmotivation, Sozialkapital, Selbstdarstellung, Profilwahrnehmung und Privatsphäre – findet sich bei Weissensteiner und Leiner (2011). Vgl. hierzu auch Götzenbrucker/Köhl in diesem Band.
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teilen der Community mit, was sie gerade machen und circa ein Viertel sucht nach Informationen und postet Links bzw. Informationen (Busemann/ Gscheidle 2010: 365f.). Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass die SNS-Nutzer – mehr oder weniger – aus allen Bildungsschichten kommen. Es wird jedoch deutlich, dass sich die Mitglieder der einzelnen Angebote hinsichtlich ihres Bildungsstandes deutlich voneinander unterscheiden (Hargittai 2008). Ein Vergleich der Mitglieder von Facebook und MySpace zeigte, dass Facebook eher Personen aus höheren Bildungsschichten anzieht (Boyd 2007). Ein Grund dafür ist wohl, dass Facebook von Studenten für Studenten entwickelt wurde und erst später für alle Internetnutzer offen stand. Damit waren die ersten Nutzer Studierende, was in der Zeit zu einer starken Homophilie11 innerhalb der Netzwerkcommunity geführt hat. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich auch in Deutschland. Während bei dem Studierendenportal StudiVZ 38,4 Prozent ein Abitur besitzen, sind es bei SchülerVZ 13,1 Prozent, bei Wer-kennt-Wen 20 Prozent und bei Lokalisten 22 Prozent (Hüsing 2009). Eine Differenz zeigt sich auch zwischen den Geschlechtern. Hargittai betont dass Frauen häufiger Mitglied einer SNS sind und im Durchschnitt auch mehr Zeit auf diesen Seiten verbringen als Männer (Hargittai 2008: 283). Dies wird durch die Ergebnisse von Radwanick in ihrer internationalen Studie nochmals unterstrichen. Sie stellte fest, dass Männer 4 Stunden und Frauen 5,5 Stunden pro Monat auf diesen Seiten verbringen (Radwanick 2010). Die Marketingstudie von Abraham, Mörn und Vollman mit dem Titel „Women on the Web: How Women are Shaping the Internet“ fasst die Unterschiede in der Nutzung wie folgt zusammen: „Regardless of how much you believe that women are primarily communicators, networkers and facilitators, it’s clear they are embracing social networking in a way that men are not. Furthermore, the rise of social networking has prompted women of all ages to engage in a host of associated online activities, such as photo-sharing, gaming, video viewing and instant messaging. All of these activities have benefited from their linkage with Social Networking sites in terms of their ability to attract
11 Nach McPherson kann Homophilie wie folgt beschrieben werden: „Homophily is the principle that a contact between similar people occurs at a higher rate than among dissimilar people“ (McPherson et al. 2001: 416).
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new female users. [...] Social networking is also emerging as a key driver for women in the mobile sphere“ (Abraham et al. 2010: 3).
Differenzen bei der Nutzung zeigen sich auch hinsichtlich der unterschiedlichen Alterskohorten (Thelwall 2008). Umfragen in den USA (Madden et al. 2007) und Großbritannien (Dutton et al. 2009) zeigen, dass es besonders junge Internetuser sind, die sich über die SNS vernetzen. Pfeil et al. stellen in ihrer Studie, in der sie die Nutzung durch ältere Personen (über 60 Jahren) mit Teenagern (zwischen 13 und 19 Jahren) bei MySpace vergleichen, die Unterschiede wie folgt heraus: „Teenagers have larger networks of friends compared to older users of MySpace. On the other hand, we found that the majority of teenage users’ friends are in their own age range (age ± 2 years), whilst older people’s networks of friends tend to have a more diverse age distribution. In addition, our results show that teenagers tend to make more use of different media (e.g. video, music) within MySpace and use more self-references and negative emotions when describing themselves on their profile compared to older people.“ (Pfeil et al. 2009: 643)
Unterschiede in der Nutzung ergeben sich also nicht nur hinsichtlich des technischen Potenzials des Internets, sondern auch in Bezug auf die Selbstdarstellung über persönliche Profile. In Deutschland ist eine ähnliche Tendenz zu erkennen, wie die marktwissenschaftliche Studie des Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers bei einer Befragung von mehr als 1.000 Internetnutzern feststellte. Die Autoren machen deutlich, dass speziell Personen zwischen 16 und 24 Jahren (knapp 95 Prozent) und knapp 73 Prozent der Internetnutzer über 55 Jahren als Mitglied in mindestens einem Netzwerk registriert sind. Weiter kann man erkennen, dass sich auch die Vorlieben für bestimmte Angebote zwischen den Kohorten unterscheiden. Beispielsweise werden die Angebote YouTube12 und StayFriends in allen Alterskategorien häufig angenommen, während StudiVZ und SchülerVZ in den Altersgruppen über 35 Jahren kaum noch eine Rolle spielen (PricewaterhouseCoopers 2008) – ein Be-
12 Über die Frage, inwieweit YouTube eine soziale Netzwerkseite darstellt, kann gestritten werden. Aufgrund der vorliegenden Daten wurde sie hier in das Ergebnis mit einbezogen.
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fund, der aufgrund der Ausrichtung dieser Webseiten nicht verwunderlich ist. Auffallend ist weiter, dass der Zeitanteil der Nutzung bei den jüngeren höher ist als bei den älteren Nutzern (Kneidinger 2010). Ein ähnliches Bild zeigt die Online-Umfrage von ARD und ZDF im Jahr 2010. Während bei den „Teens und Tweens“ (71 Prozent) die privaten SNS sehr beliebt sind, nimmt der Wert mit dem Alter stetig ab. Während 44 Prozent der 30- bis 39-Jährigen Mitglied einer solchen Community sind, sind es gerade 9 Prozent bei den über 60-Jährigen. Den stärksten Anstieg zeigt sich dabei den 30- bis 39-Jährigen. Hier stieg die Mitgliederzahl im Jahr 2008 um ca. 15 Prozent im Jahr 2010 an. Bei den berufsbezogenen Angeboten (z.B. Xing) zeigt sich ein anderes Bild: Hier ist die Zahl der Mitglieder zum Jahr 2008 von 9 Prozent auf 7 Prozent zurückgegangen. Die Kernklientel besteht hauptsächlich aus Männern zwischen 30 und 39 Jahren (vgl. Busemann/Gscheidle 2010: 364). 2.2 Beziehungen und soziale Struktur Während die vorangegangenen Studien eher die Attribute der Nutzer untersuchen, widmet sich die relationale Soziologie neben den Attributen vor allem den Beziehungen der Mitglieder untereinander und den daraus entstehenden Strukturen. Hierbei geht es insbesondere um das Zustandekommen von sozialen Netzwerken durch Personen mit unterschiedlichen Attributen (z.B. Alter, Geschlecht, geographischer Standort) oder die Analyse von Handlungsmöglichkeiten des Individuums durch die Einbindung in soziale Strukturen und deren visuelle Darstellung mit Hilfe der Netzwerkanalyse (Hogan 2008). Leskovec und Horvitz analysierten die Beziehungen der Mitglieder eines sogenannten Instant-Messaging-Service. Es wurde untersucht, wie die Beziehungen mit den Attributen der Nutzer und strukturellen Eigenschaften in Beziehung stehen. Der Datensatz enthält Eigenschaften von 30 Milliarden (instant-messaging) Gesprächen, die unter 240 Millionen Menschen geführt wurden. Hierfür wurden drei unterschiedliche Datenquellen herangezogen: (1) demographische Informationen der Nutzer (Alter, Geschlecht, Land, Sprache, IP-Adresse), (2) Anwesenheit, Aktivitäten und Ereignisse, unter denen sog. „presence events“, d.h. Login, Logout, die erste Anmeldung, das Hinzufügen oder Entfernen von Freunden usw. verstanden werden, und (3) Kommunikationsdaten wie beispielweise die Anzahl der aus-
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getauschten Nachrichten oder Zeitaufnahme vom Beginn bis zum Beenden des Gespräches. Im Fokus der Forschung stand das Small-World-Theorem von Milgram (1967), das besagt, dass zwei beliebige Personen im Durchschnitt über eine Kette von knapp sechs anderen Personen miteinander verbunden sind.13 Die Ergebnisse von Leskovec und Horvitz zeigen, dass im Durchschnitt die kürzeste Weglänge im Messenger-Netzwerk 6,6 Kontakte (Median 6) beträgt. Das ist wenig länger als die Pfaddistanz in der klassischen Studie. Des Weiteren zeigen die Daten eine starke Homophilie zwischen den Nutzern: Personen haben längere und mehr Gespräche mit Personen, die ihnen ähnlich sind. Die stärkste Homophilie fanden sie in der verwendeten Sprache, gefolgt vom geographischen Standort der Konversation, gefolgt vom Alter. Hingegen ist der Wert der Homophilie zwischen den Geschlechtern eher gering: Personen neigen dazu, häufiger und länger mit dem anderen Geschlecht zu kommunizieren. „We found strong influences of homophily in activities, where people with similar characteristics tend to communicate more, with the exception of gender, where we found that crossgender conversations are both more frequent and of longer duration than conversations with users of the same reported gender“ (Leskovec/Horvitz 2008: 924).
Jüngere Personen tauschen in einem schnellen Tempo Dialoge aus, wobei die älteren Menschen, deren Gespräche länger dauern, ein langsameres Tempo aufweisen. Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Kommunikation und Distanz stellten die Autoren fest, dass die Anzahl der Gespräche mit zunehmender geographischer Entfernung zwischen den Gesprächspartnern abnimmt. „The number of links rapidly decreases with distance. This finding suggests that users may use Messenger mainly for communications with others within a local context and environment“ (Leskovec/Horvitz 2008: 920).
13 Der Psychologe Milgram geht in seiner Theorie davon aus, dass in modernen Gesellschaften jeder soziale Akteur mit jeder beliebigen an Person auf der Welt verbunden ist. In seinem Forschungsprojekt wählte er zufällig Personen an der Westküste der USA aus und beauftragte diese, ein Paket einer unbekannten Person in Boston über bekannte Kontaktpersonen zukommen zu lassen.
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Eine Studie, die ebenfalls mit einer großen Anzahl von Untersuchungseinheiten arbeitet, ist die von Mislow et al. aus dem Jahr 2007. Hier untersuchte die Forschergruppe Mitglieder der sozialen Netzwerkseiten von Flickr, LiveJournal, Orkut und YouTube. Dabei wurden jeweils mehrere Tausend User und ihre Relationen erhoben. Die Autoren konnten zeigen, dass die Beziehungen, wie bei den meisten großen Netzwerken, dem Potenzgesetz folgen (Barabasi 1999). Mit anderen Worten: Wenige Personen sind mit einer sehr großen Anzahl von anderen Personen verbunden, während viele Personen ein eher kleines Netzwerk besitzen. Dies gilt sowohl für die eingehenden wie auch für die ausgehenden Beziehungen. Die Autoren gehen daher davon aus, dass User, die sehr aktiv sind, auch im Netzwerk sehr populär sind (Mislow et al. 2007: 37).Weiterhin ist auffällig, dass die Netzwerke aus einer großen Anzahl von Clustern zusammengesetzt sind, die aus Knoten mit einem relativ geringen degree bestehen. Diese wiederum sind untereinander durch wenige Knoten verbunden, die einen hohen degree besitzen. Ferner stellen sie fest, dass sich die untersuchten Netzwerke um einen großen und dicht verbundenen Kern konstituieren. Insgesamt wird das Netzwerk von etwa 10 Prozent der Knoten mit dem höchsten degree zusammengehalten. „As a result, path lengths are short, but almost all shortest paths of sufficient length traverse the highly connected core“ (Mislow et al. 2007: 37). Die eher deskriptiv ausgelegte Studie von Golder, Wilkinson und Huberman analysiert 362 Millionen Nachrichten, die von 4,2 Millionen Nutzern von Facebook während eines 26-Monats-Intervalls ausgetauscht wurden. Bei den Teilnehmern der Stichprobe handelt es sich um Schüler und Studierende von 496 Universitäten und Colleges. Auch hier zeigt sich, dass sich die Beziehungen nach dem Prinzip des Potenzgesetzes verteilen (Barabasi/Albert 1999). Weitere zentrale Ergebnisse waren beispielsweise, dass die Nutzer im Durchschnitt 179 Internet-Freunde besitzen und bei Schülern diese Freunde meist in die gleiche Schule gingen und die „Nicht Freunde“Schüler an einer anderen Schule waren. Damit konnten die Autoren zeigen, dass virtuelle Netzwerke große Parallelen zu „Alltags“-Netzwerken aufweisen und beide nicht als separate Größen nebeneinander stehen. Dennoch stellen die Autoren fest, dass der aktive soziale Austausch eher gering ausfällt: „On the contrary, of 378 million friend links, only 57.0 million (15.1%) of those friend pairs exchanged messages“ (Golder et al. 2007).
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Die Studie von Ellison, Steinfield und Lampe untersuchte den Zusammenhang zwischen der Nutzung von Facebook und die Bildung bzw. die Erhaltung von sozialem Kapital. Hierbei befragten sie 286 Studierende. Die Forschergruppe stellt fest: „Regression analyses […] suggest a strong association between use of Facebook and the three types of social capital, with the strongest relationship being to bridging social capital. In addition, Facebook usage was found to interact with measures of psychological well-being, suggesting that it might provide greater benefits for users experiencing low self-esteem and low life satisfaction“ (Ellison et al. 2007: 1143).
Dabei merken sie an: „Internet use alone did not predict social capital accumulation, but intensive use of Facebook did“ (Ellison et al. 2007: 1164). Die Beziehungen, die auf Facebook geknüpft werden, könnten also in Bezug auf Arbeitsplatzsuche, Praktika und andere Hilfeleistungen eine sehr gute Quelle darstellen. Eine weitere deskriptive Studie zu Facebook von Lewis, Kaufman, Gonzalez, Wimmer und Christakis (2008) untersuchte ebenfalls die Vernetzung von Studierenden. Hinsichtlich der Netzwerkgröße zeigt sich, dass Frauen ein größeres Netzwerk besitzen als Männer. Weiterhin fällt auf, dass die Netzwerke von Afroamerikanern größer sind als das von asiatischen und von „weißen“ Amerikanern. Ein Zusammenhang zeigt sich auch zwischen Netzwerkgröße und der Dauer der Mitgliedschaft. Umso länger eine Person Mitglied bei Facebook ist, desto größer ist auch das Netzwerk (Lewis et al. 2008: 336). Zusammenfassend stellen die Autoren fest: „In fact, they suggest that [....] women are more socially active and have a greater diversity of „network resources“ at their disposal. Strikingly, all other ethno-racial groups have Facebook friend networks that are significantly more heterogeneous than those of white students [...]. [...] These findings indicate that white students may receive comparatively fewer of the cultural, attitudinal, and informational benefits that diverse networks entail“ (Lewis et al. 2008: 338).
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Eine ähnliche Netzwerkstudie über Facebook stellt die soziale Unterstützung, kulturelle Unterschiede und die gesammelte Erfahrung von Nutzern in den Mittelpunkt. Hierfür befragten Vasalou et al. insgesamt 423 Facebook-Nutzer aus fünf Ländern (USA, Großbritannien, Frankreich, Griechenland und Italien). Sie fanden heraus, dass es bei den Nutzern über die Zeit hinweg zu einem sozialen Lernprozess kommt, in dem Aktionen von Freunden, wie beispielsweise das Veröffentlichen von Fotos, nachgeahmt werden. Die Autoren konnten auch zeigen, dass „kulturelle“ Unterschiede bei der Verwendung der Angebote existieren. Während für alle Personen – unabhängig von der Nationalität – das „social searching“, also die Suche von Alteri (z.B. Freunde, alte Schulkameraden), eine bedeutende Rolle einnimmt, zeigen sich beispielsweise kulturelle Differenzen beim durchschnittlichen Aufrufen der Webseite, bei der durchschnittlichen Verweildauer und in den Kategorien Fotografie (z.B. Fotos veröffentlichen), „Games and applications“ (z.B. Computerspiele spielen) und auch bei der Mitgliedschaft in Gruppen (Vasalou, Joinson und Courvoisier 2010: 725). Eine weitere Studie, die sich mit Vernetzungen von Facebook-Mitgliedern beschäftigt, untersuchte 721 Millionen aktive Facebook-Nutzer, darunter 149 Millionen aus den USA.14 Sie stellt damit die bis dato größte strukturelle Analyse eines sozialen Netzwerkes weltweit dar. Die Forschungsfrage beschreiben die Autoren wie folgt: „First, we aim to advance the collective knowledge of social networks and satisfy widespread curiosity about social relationships as embodied in Facebook. Second, we hope to focus the development of graph algorithms and network analysis tools towards a realistic representation of these relationships“ (Ugander et al. 2011: 2).
Als erstes stellen sie heraus, dass das untersuchte Netzwerk nahezu vollständig „verwoben“ ist. Fast alle Individuen gehören einer einzigen großen, vernetzten Komponente an. Weiterhin bestätigen sie das Kleine-Welt-Phänomen der „six degrees of separation“:
14 Als „aktiv“ gilt jeder Nutzer, der sich in den letzten 28 Tagen ab Zeitpunkt der Messung im Mai 2011 in Facebook eingeloggt hat und mindestens einen „Freund“ hat.
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„The small-world effect and six degrees of separation were then confirmed on a truly global scale. The average distance between vertices of the giant component was found to be 4.7
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, and we interpret this result as indicating that individuals on Face-
book have potentially tremendous reach. Shared content only needs to advance a few steps across Facebook’s social network to reach a substantial fraction of the world’s population“ (ebd.: 13).
Auch zeigt sich, wie bei den anderen Studien auch, eine Power-Law-Verteilung der Beziehungen (Median = 99 Freunde pro Untersuchungseinheit), wobei die Netzwerke von Frauen größer sind als die der Männer. Auffallend ist, dass der Clustering-Koeffizienten sehr groß ist. Beispielsweise haben Nutzer mit 100 Freunden einen lokalen Clustering-Koeffizient von 0,14. Dies bedeutet, dass 14 Prozent der Paare im Netzwerk eines „MedianNutzers“ selbst Freunde sind (ebd.: 6). Damit liegt diese Maßzahl über derjenigen des hier bereits vorgestellten MSN-Messenger-KorrespondenzenNetzwerks (Leskovec/Horvitz 2008). Bei der Frage, wer mit wem in Facebook-Beziehung steht, zeigt sich eine Homophilie hinsichtlich des Alters. Hierbei gilt, dass die Altersspanne bei den Jugendlichen weitaus geringer ist als bei den älteren Nutzern. Die Gender-Homophily ist hingegen nur schwach ausgeprägt. Hinsichtlich der Länderverteilung der Knoten zeigt sich, dass 84,2 Prozent der „Freunde“ aus dem gleichen Land kommen. Die Beziehungen zwischen den Staaten basiert hauptsächlich auf geographischer Nähe mit folgenden Großregionen: Südpazifik, Nord- und Mittelamerika, Südamerika, Nordafrika und der Nahen Osten, Osteuropa und dem Mittelmeerraum und die nordischen Länder wie Dänemark, Schweden und Norwegen (Ugander et al. 2011: 12). Daneben zeigen sich aber auch andere geographische Vernetzungen, beispielsweise zwischen Ländern wie Großbritannien, Ghana und Südafrika. Dies ist unter Umständen auf die Migranten in Großbritannien zurückzuführen, welche Beziehungen in ihr Heimatland unterhalten. Die Gruppe um Caci ging bei der Analyse von Facebook-Usern der Universität Palermo folgender Hypothese nach:
15 Bei den Nutzern in den USA betrug der Wert 4,3. Im Allgemeinen zeigen die Ergebnisse der beiden Gruppen starke Parallelen auf (Anm. d. Verf.).
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„Facebook and its sub-networks possess some salient characteristics typical of a Small World topology: the network of connections is not created at once by careful planning, but through a continuous procedure of creation, deletion and reconfiguration of connections. Furthermore, assimilating Facebook to a scale-free Small World network would be a sensible explanation for its resilience: many nodes of the network can be temporarily or definitively deleted without significantly compromising the integrity of the network“ (Caci et al. 2011: 2).
Als Datenbasis diente eine Stichprobe von 100.954 Studierenden der Universität Palermo (38 Prozent weiblich, 62 Prozent männlich) bis zum dritten Grad der Freundschaften (von den Freunden und deren Freunde Freunde).16 Auf Basis ihres Datensatzes stellen sie fest, dass sich Facebook mindestens in zwei Punkten von einem skalenfreien Small-World-Netzwerk, nämlich hinsichtlich der Verbreitungsgeschwindigkeit („growth speed“) und den Kosten für den Aufbau von Relationen („connection cost“), unterscheiden: „Typical scale-free networks are born from evolution or planning, and their growth is bounded by resource-imposed constraints. Their growth speed is rarely if ever exponential“ (Caci et al. 2011: 3). So kam es in Italien zwar erst spät zur Adaption der SNS; diese verlief im Anschluss allerdings sehr schnell. Dies liegt unter anderem an dem geringen Aufwand, Freunde zu generieren („connection cost“). Eine große Anzahl an Freunden ist ein Zeichen von Popularität und eine Ablehnung wird, speziell bei Jugendlichen, als unhöflich betrachtet. Dieser soziale Druck, neue Links zu generieren und alte zu erhalten, reduziert einen Skaleneffekt. Vor diesem Hintergrund behaupten die Autoren: „On Facebook the cost associated to link creation in terms of time and resources is close to zero, while in a traditional scale-free context it induces a more careful selection of links and has a direct influence on hubs’ emergence“ (Caci et al. 2011: 3). Diese Argumente werden anschließend nochmals mit einer sogenannten „Monte Carlo Simulation“ untermauert.17
16 Dabei wurden jedoch nur Personen miteinbezogen, die dem Landescode IT (Italien) zuzurechnen waren. 17 Hierbei werden mit Hilfe algorithmischer Simulationen per Computer Zufallsvariablen konstruiert. Im Fokus stand hier vor allem die zeitlichen Entwicklung der SNS.
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Bei einer in deutscher Sprache durchgeführten Internetstudie zu Facebook wurden 295 Personen aus Deutschland, Schweiz und Österreich zu ihren egozentrierten Netzwerken befragt.18 Auffallend ist, dass die Größe der Netzwerke im Vergleich zu den hier vorgestellten Studien eher gering ausfällt. Mehr als 30 Prozent der Befragten besitzen ein Netzwerk, das bis zu 50 Personen umfasst; 22 Prozent haben zwischen 50 und 100, 25,8 Prozent zwischen 101 und 200 und nur 20 Prozent mehr als 200 Facebook-Bekanntschaften (Kneidinger 2010: 84). Weiterhin stellt die Autorin fest, dass die Webseiten eher für die Kontakterhaltung und Kontaktpflege von Beziehungen genutzt werden, die bereits im Alltag geknüpft wurden. Kontakte zu Personen, die durch Facebook kennengelernt wurden, sind hingegen eher selten. Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Sozialkapital und der Unterstützungsleistung (Allgemeine Hilfeleistung, finanzielle Unterstützung, Ratgeberfunktion, Informationsweitergabe sowie Arbeitssuche) von FacebookBeziehungen. Hier zeigen die Ergebnisse, dass alle Unterstützungsleistungen fast ausschließlich von Personen geleistet werden, die nicht im Internet kennengelernt wurden. Daneben wird deutlich, dass auch die Kommunikation mit diesen Alteri hauptsächlich auf die klassische Weise (z.B. Face-toFace, Telefon) von statten geht (Kneidinger 2010: 98ff.). Die Forschergruppe um Goh untersuchte das „Bulletin Board System“ (BBS) von über 7.000 Studenten an einer nicht genannten Universität. Hierbei stellten die Autoren fest, dass sich die untersuchte Netzwerkstruktur des BBS von einem durchschnittlichen sozialen Netzwerk unterscheidet. Sie stellen heraus: „In contrast to a typical community network, where intracommunities (intercommunities) are strongly (weakly) tied, the BBS network contains hub members who participate in many boards simultaneously but are strongly tied, that is, they have a large degree and betweenness centrality and provide communication channels between communities. On the other hand, intracommunities are rather homogeneously and weakly connected“ (Goh et al. 2006: 1).
Eine weitere Studie befasst sich mit dem Thema Vertrauen und SNS. Dabei untersuchen Lauterbach und Kollegen (2008) das Bewertungssystem der
18 Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Götzenbrucker und Köhl in diesem Band.
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SNS CouchSurfing und dessen Anwendung.19 Der Datensatz umfasste 666.541 Nutzer (Stadt, Land, Anmeldung, Profilaufrufe) sowie die 1.541.398 zwischen ihnen bestehenden Verbindungen/Kanten. Dabei stellten sie fest, dass die CouchSurfing-Community eine starke generalisierte Reziprozität aufweist. In anderen Worten: Aktive Teilnehmer nehmen in fast gleichem Verhältnis die Rolle des Gastgebers und des Surfers ein. Etwa ein Drittel derjenigen, die ihre Couch anbieten oder surfen, befinden sich in einem großen und stark vernetzten Teil des Netzwerkes, sodass man über vorangegangene Surfs von einer Couch zur nächsten durch die ganze Welt gelangen kann. „Finally, we looked at the „surfing“ network of the 150,000 users who either surfed or hosted, with 500,000 edges between them. Fully 55,185 or roughly a third of the users who surfed are in the giant strongly connected component. This means that one could hop from couch to couch and eventually reach any of these users from any other by following previous surfs. Such a broad, global, and active network must be supported by an underlying network of trust“ (Lauterbach et al. 2009, S 349).
Der hohe Grad an Aktivität und Reziprozität steht im Zusammenhang mit dem Bewertungssystem, in welchem Nutzer füreinander bürgen. Über den Grad der Freundschaft lässt sich bei Online-Communities deuten, wie viel Vertrauen einem Nutzer entgegengebracht wird. Im Allgemeinen zeigt sich, dass eine hohe Zahl an Verbürgungen getätigt wird. Für rund ein Viertel aller Verbindungen, für die gebürgt werden kann, wurden diese getätigt. Dabei fällt auf, dass viele dieser Verbürgungen zu freizügig vergeben wurden, wie bspw. zwischen Nutzern, die sich nur von CS-Meetings kennen und lediglich CS-Friends sind. Es fällt auf, dass die Zahlen an Bürgschaften zwischen weak ties, also schwachen, losen Verbindungen, die Zahl der Bürgschaften zwischen Close-Friends übersteigen: „Of the 666,541 users, 45,543 (6.8%) are vouched at least once. Although this number may seem low, it is in part a reflection of the skew in activity on the part of the users. The more active the user, the more likely he or she is to be vouched: 82% of
19 Bei CouchSurfing handelt es sich um eine soziale Netzwerkseite, auf der Personen eine kostenlose Unterkunft (eine „freie Couch“) suchen oder Reisenden eine solche anbieten können.
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‚active‘ members (those with 5 or more friends) have been vouched; this number increases to 95% for those with 10 friends or more. A further 11,961 (1.8% of all users) are vouched at least three times, meaning that they can now vouch for others. A majority (9,133) of these members have exercised their ability to vouch“ (Lauterbach et al. 2009: 350).
3. F AZIT
UND
F ORSCHUNGSAUSBLICK
Die vorgestellten Artikel zeigen, dass die sozialen Netzwerkseiten eine immer größere Rolle in der Kommunikation einnehmen. Die Mitgliederzahl beträgt um die 950 Millionen. Aber sie werden nicht nur für den Alltag wichtig, sondern auch für die politische Mobilisierung und Demonstrationen, wie der Fall des arabischen Frühlings verdeutlicht hat. Hier wurden die Seiten genutzt, um den Aufstand gegen das politische System publik zu machen und zu koordinieren. Darüber hinaus wird der Gegenstand der SNS auch für die Wissenschaft oder die Marktforschung immer wichtiger. Ein Grund ist, dass erste Ergebnisse die Beobachtung bestätigen, dass die SNS von fast allen Altersklassen zur Kommunikation verwendet werden, auch wenn die „Teens und Tweens“ noch immer die größte Nutzergruppe darstellen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Nutzungsart und die Beliebtheit der verschiedenen Seiten mit der Alterskohorte korreliert: Jüngere Personen neigen beispielweise eher zu homophileren Netzwerken als ältere. Auch wenn alle Bildungsschichten unter den Nutzern zu finden sind, unterscheidet sich der Bildungsstand doch hinsichtlich der individuell gewählten SNS. So weisen die Mitglieder von Facebook beispielsweise ein höheres Bildungsniveau auf als die Nutzer von MySpace. Dies wird sich jedoch zunehmend durch die immer stärkere Konzentration auf Facebook und der Mehrfachmitgliedschaften auf verschiedenen SNS wohl bald relativieren. Erste Ergebnisse legen auch nahe, dass Frauen die SNS anders nutzen als Männer, wobei hier durchaus unterschiedliche Ergebnisse vorliegen. Auch hinsichtlich der Nationalitäten werden Unterschiede in der Verwendung der Angebote deutlich. Dies spiegelt sich beispielsweise in den Bereichen Selbstdarstellung oder auch in der Nutzung der unterschiedlichen Möglichkeiten wie beispielsweise der Einbindung von Videos oder Fotos wider. Bezogen auf die Netzwerkstruktur können die Studien offenbaren,
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dass die Beziehungen in diesen Netzwerken nicht normalverteilt sind, wie es z.B. beim Intelligenzquotienten in der Bevölkerung der Fall ist. Die Netzwerke sind power-law ausgerichtet und folgen damit dem MatthäusTheorem (Merton 1968), welches wie folgt beschrieben werden kann: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, […]“ (Mt 25, 29). Damit ist gemeint, dass es wenige Personen gibt, die viele Personen zu ihrem Netzwerk zählen, und viele Nutzer existieren, die mit weniger Alteri verbunden sind. Meist sind es bekannte Personen wie Zuckerberg20 oder andere, die ein sehr großes Netzwerk besitzen, welches sie aber nicht ganz kennen. Auch wenn viele der Alteri, die angegeben werden, meist auch einen Bezug zum Alltagsleben in der „realen Welt“ besitzen (vgl. z.B. Wolf 2006), wird dennoch deutlich, dass die meisten Nutzer mehr Bekanntschaften haben als sie in allgemeinen Netzwerkstudien angeben. Dies hängt wohl damit zusammen, dass die SNS wohl eine Art Archiv von sozialen Beziehungen darstellt, die häufig einfach brach liegen und damit in vielen Fällen die weak unter den weak ties darstellen, die kaum gepflegt werden. Eine Herausforderung für die Forschung wird sein, mit diesen Arten von Beziehungen bei der Analyse adäquat umzugehen, da nicht alle Beziehungen den gleichen Wert für die Personen besitzen. Andererseits, verändern diese Angebote ggf. auch die Art wie Beziehungen in der breiten Masse neu definiert, strukturiert und neu gestaltet werden. Neben den hier präsentierten Ergebnissen gibt es auf der Ebene der wissenschaftlichen Analyse noch Forschungsbedarf. Es zeigt sich, dass viele Studien ein ähnliches Design und häufig Studierende als Probanden aufweisen. Speziell die Gesamtnetzwerkanalysen fokussieren überwiegend auf den Small-World-Effekt und die Verteilung der Beziehungen auf der jeweils unter die Lupe genommenen SNS. Auf Grund häufig fehlender unabhängiger Variablen (meist liegen nur Daten zum Alter, dem Geschlecht und manchmal zur der Nationalität vor) sind weitreichende Analysen über den Zusammenhang von relationalen und attributionalen Merkmalen bisher nur begrenzt. Auch wenn das Konzept von Freundschaft aufgrund der Relationsbezeichnung auf den SNS fast zwangsläufig im Mittelpunkt der Untersuchungen steht, fehlt fast immer die Einbindung von Theorien zum Konzept Freundschaft. Zu nennen wären hier beispielsweise Austauschtheorien (z.B. Homans 1961), systemtheoretische Ansätze (z.B. Luhmann 1994)
20 Zuckerberg ist mit mehr als 9 Millionen Menschen auf Facebook verbunden.
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oder auch Modernisierungsansätze (z.B. Simmel 1908; Tenbruck 1989). Vereinzelte Studien arbeiten zwar mit dem Sozialkapital-Ansatz, sind jedoch eher allgemein gehalten, auf ein Querschnittdesign ausgelegt und im Grundtenor eher positiv. Auf einer weiteren theoretischen Ebene wäre es wichtig, die Verwendung von SNS unter der Perspektive von „sozialen Bewegungen“ zu betrachten und mit dem methodischen Vorgehen der Netzwerkanalyse zu kombinieren. Wie die Beispiele des arabischen Frühlings zeigen, kann es sehr fruchtbar sein, zu untersuchen, wie sich Netzwerke ausbreiten, sich beispielsweise auch nationale oder religiöse Gruppen miteinander verweben und wie sie sich zeitlich verändern. So existieren ferner noch keine Längsschnittuntersuchungen, welche die Veränderung des Nutzerverhaltens oder die Veränderung der Beziehungsstruktur über die Zeit hinweg untersuchen. Auch qualitative Forschungen über die Auswirkung und den Nutzen der Beziehungen über einen längeren Zeitraum sind hier noch eine Ausnahme. Einen weiteren Aspekt bilden negative Beziehungen. Welche Auswirkungen haben Ablehnungen, Cyber-Mobbing oder auch die Bedingungen von sogenannten Internet„freundschaften“?21 Der Einbezug dieser theoretischen wie auch methodischen Konzepte könnte helfen, die neue Form von Internetkommunikation und -handeln in ihren jeweiligen Auswirkungen besser zu verstehen. Dies würde die bisher durchgeführten Studien, die sich häufig sehr ähnlich sind, um weiterführende Aspekte erweitern.
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21 Zu weiteren Überlegungen, z.B. hinsichtlich adaptiven Verhaltens oder Kontrollmechanismen in Neuen Medien, vgl. Jäckel/Fröhlich oder – für das Phänomen von Meinungsführerschaften – Obradovic in diesem Band.
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Modeling Open, Web-Based Collaboration Networks The Case of Wikipedia J ÜRGEN L ERNER , U LRIK B RANDES , P ATRICK K ENIS , AND D ENISE VAN R AAIJ
The last decade has witnessed the emergence of open mass-collaboration in an unprecedented scale. Millions of voluntary users contribute to create public goods such as bookmarking or tagging systems, open source software, or encyclopedic articles. Typically, these work systems are not based on rigid bureaucratic structures but are mostly governed and organized by emergent collaboration and communication networks among contributors. Another characteristic of these systems, which is a great opportunity for research, is that dynamic user interaction is automatically logged and publically available in a rather complete and fine-grained way. This provides access to a rich source of observational network data. In this chapter we propose data structures, models, and analysis methods that can be applied to data stemming from open, Web-based collaboration networks. For clarity of exposition, we restrict ourselves to Wikipedia (www.wikipedia.org), currently the largest user-generated encyclopedia. Previous work gets extended, combined, and presented in a unified manner. Descriptions of models and algorithms are kept on an intuitive level; for technical details readers should refer to the cited original articles. After introducing the Wikipedia system we define the derived Wikipedia collaboration network and a general statistical model for it in Sections 2
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and 3. The later sections present case studies applying this general model to tackle specific research questions. In Section 4 we show connections between network structure and the presence or absence of controversy in Wikipedia and in Section 5 we seek determinants of user dropout.
1. W IKIPEDIA
AND RESEARCH QUESTIONS
Wikipedia is an open, Web-based project to create a multilingual encyclopedia (see http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia) based on the wiki software (Leuf/Cunningham 2001). The Wikipedia website offers a huge set of interlinked Webpages, each representing an encyclopedic entry. Unless they are protected, such pages can be changed or extended at any time by any user, whether logged-in or not. To start a new revision, a user merely has to click on the edit link on top of the page to open a text box in which the page content is shown and can be edited. The text in this box is written in so-called Wiki markup (see http://en.wikipedia.org/wiki/ Help:Wiki_markup) including formatting information such as section headings, or font style, as well as internal and external hyperlinks. The most frequently used formatting commands can be inserted by clicking on buttons in the toolbar above the text area; thus, editing Wikipedia pages does not require knowledge about complex markup languages but, indeed, is manageable for everyone with access to a Web browser. Once a user has prepared a new revision, he/she can upload it into the Wikipedia database by clicking on the save button below the text area. The new version is immediately visible to any user calling this page. Logged-in users can put pages into their watch list and configure their account to get an email notification whenever such a page is edited. Using the history link on top of the page, users can compare selected versions, review them, and potentially revert undesired edits such as vandalism or other violations of Wikipedia policies. External tools – like Toolserver for example – provide more comfortably summary statistics, such as number of edits and contributors, most active users and time periods, and much more. Thus, while Wikipedia has no institutionalized review process comparable to scientific journals, it actually facilitates self-organized peer-review in a very efficient way. Due to its popularity and the public availability of its complete database, Wikipedia is also a popular topic in academic research. Relevant re-
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search questions vary a lot between disciplines and range from analyzing design aspects of the wiki software and exploitation of the emergent knowledge base, over to studies of the structure and dynamics of its social, selforganizing collaboration process; references to Wikipedia research include Giles (2005), Adler and De Alfaro (2007), Kittur et al (2007), Priedhorsky et al (2007), Suh et al (2007), Viegas et al (2007), Brandes and Lerner (2008), Brandes et al (2009a), Stegbauer (2009). In this chapter we treat only the latter aspect; i.e., a delineation of the topics covered here is that we model collaboration networks among users, rather than the structure of the emergent encyclopedia. For instance, we do not model or analyze the hyperlink network or category membership of Wikipedia pages. We are interested in a posing the same critical questions to these collaboration networks as we would do to any other system of production (March and Simon, 1958): why does the production process generate attention by users to contribute and when does do these cumulated efforts produce effective results? •
•
•
User activity. Given the absence of any financial rewards, one of the most relevant questions is what motivates users to donate their time and effort in editing Wikipedia. This question can be split into three parts: (1) what are the reasons to start participation, (2) what determines the level of commitment, i.e., the frequency and magnitude of contribution, and (3) what causes active users to abandon the project. Technically, studies of user activity have to model and/or analyze the outgoing ties (associated with users) in the Wikipedia collaboration network. Page popularity. Even with a large number of motivated and active Wikipedians, there might be encyclopedic topics that never get enough attention to be covered sufficiently. Therefore, it is important to understand the mechanisms that draw user contributions to specific pages. Effectiveness, efficiency, and outcome quality. Wikipedia is not successful by definition. Contributors could potentially waste their time by doing, undoing, and redoing edits or by engaging in fruitless discussions. It is important to understand under what conditions users‘ efforts really result in growth and improvement of the emergent encyclopedia (effectiveness) and under what conditions are these improve-
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ments achieved with efficient use of resources. A related task is to identify properties of collaboration networks that explain outcome quality, such as featured article status.
2. T HE W IKIPEDIA C OLLABORATION N ETWORK Users contribute to Wikipedia by editing pages (see Figure 1). Thus, on a first glance the Wikipedia collaboration network seems to be similar to publication networks that connect authors to the articles they have written. However, the information provided by the Wikipedia database is much more comprehensive and fine-grained. In traditional author-article networks it is only known whether a user is an author of a scientific article or not – potentially with a distinction of the first or principal author(s). In contrast, Wikipedia provides access to the whole edit history revealing who edits when which part of the text; who extends the article by adding new text; who deletes text; who checks form, language, or spelling; who reverts edits of others; who has written most of the current text; how old is this text; and so on. It is thus possible to retrace the authorship of individual parts of the text; to detect user roles such as topic expert, spell-checker, or vandalismfighter; to see the dynamics of how the page grows or changes; as well as to detect ongoing or past controversies. In addition to the edit history of content pages (i.e., the encyclopedic articles), Wikipedia provides the history of talk pages (where users can discuss content and form of an article), usertalk pages (where users can talk to each other more directly), as well as logged information on page protects or user blocks. As mentioned above, users can access the page history directly in their Web browser by following the View history link on top of an article. More conveniently for research, Wikipedia provides an API at http://www.media wiki.org/wiki/API:Main_page that enables software applications to access data. In addition, complete database dumps are available for download (http://dumps.wikimedia.org/).
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Figure 1: Wikipedia collaboration network connecting users (bottom row) to the articles (top row) they edit. Each tie encodes the edit events in which the user edited the page including time, comment, and submitted text.
Source: Own figure
To make the notion of the Wikipedia collaboration network precise, we define as one unit of contribution an edit event formalized as a 5-tuple (user, page, time, comment, text) whose components are explained in the following. The user that performs the edit is identified by its user name (a pseudonym that is chosen when a new Wikipedia user account is created) if the user has been logged in or by its IP address (a numerical label identifying a computer in the Internet) if the edit has been done anonymously (i.e., without prior log-in). Note that edits of the same anonymous user might be associated with different IPs and, conversely, edits of different anonymous users might accidentally be associated with the same IP. User names stand in many cases (but not in all cases) in a one-to-one correspondence with users; exceptions include so-called sock puppetry, i.e., the creation of more than one account by one user.1 The edited page is identified by its title. A well-defined naming scheme encodes whether the page is an encyclopedic article, a talk page, or yet another type of page. To provide some background on this distinction, we recall that the set of Wikipedia pages is partitioned into various namespaces 1
Note that, while sock puppetry is in general a violation of Wikipedia policies, there are some legitimate uses, see http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Sock _puppetry) or the creation of so-called bot-accounts (bots are software applications that, in the case of Wikipedia, perform routine tasks such as vandalism fighting, spell-checking, or insertion of hyperlinks, see http://en.wikipedia.org/wiki/ Wikipedia:Bot_policy).
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for different types of pages (see http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Na mespace). The main namespace comprises the set of encyclopedic articles. Besides these articles pages, whose creation is the main purpose of Wikipedia, there are pages that are concerned with various kinds of organizational work. These include pages in the namespaces Wikipedia, Portal, User, File, MediaWiki, Template, Category, Help, Media, and Special. Finally, pages of all namespaces except Media and Special, but including the main namespace, have associated talk pages providing space for discussion. The exact time of the edit event is given by the second. It corresponds to the time point in which the user uploaded the revised article text by pushing the save button. Comments enable the editing user to explain what has been edited or why this edit was necessary (the latter is especially important for reverts in which previous edits are made undone). Finally, the text associated with an edit event is the complete content of the page after the edit (not just the parts that have changed). This text is not identical with the page layout that users can see in their Web browsers but is rater given in so-called Wiki markup, as explained above. The Wikipedia collaboration network is aggregated from all such edit events that happened since the launch of Wikipedia in 2001. It is a two mode network connecting users with the pages they edited at least once. A single tie connecting user A with page B in the Wikipedia collaboration network is associated with the sequence of those edit events in which A edited B; thus, even single ties can carry quite complex information (see Figure 3). On March 14, 2011 the collaboration network of the English Wikipedia consists of 23 million pages (including more than 3.5 million content pages) edited by 14 million users in more than 450 million edit events (see http://en.wikipedia.org/wiki/Special:Statistics for the latest numbers). In many cases, analysts extract sub-networks from this huge and highly dynamic collaboration network by restriction (e.g., considering a subset of pages or users or a specific shorter time interval) and/or aggregation (e.g., aggregating all events in certain time intervals or analyzing edit patterns of users without distinguishing between the different target pages). Specific types of such sub-networks are the following. The edit network associated with a single page is derived from all edits of that page and has as nodes all users that edited this page at least once. It encodes who adds which part of the text, who deletes text written by whom,
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and who restores text added/deleted by whom; see Brandes et al. (2009a) and Section 4. Users in the edit network are, thus, connected by negative ties resulting from events in which one user reverts the edits of another user and positive ties in which one user restores the (previously deleted) content of another user. The edit network reveals, e.g., authorship on a very finegrained level, different user roles, as well as disputes among users. In Section 4, we review analyses of the edit networks associated with specifically chosen pages. Besides editing article pages, users can discuss about issues related to the creation of a page. The article-talk pages have the structure of a threaded discussion where users can start new discussion topics and/or reply to the posts of others. The discussion network associated with a page has as nodes all users that made at least one contribution to the talk page. Directed ties in the discussion network connect replying users to the users that started the thread and/or those that replied before. The discussion network is, thus, very similar to networks derived from Usenet groups (Fisher et al 2006). Users can talk to each other more directly via the user-talk pages. Wikipedians use these pages, for instance, to ask for advice, request specific actions, or express (dis-)approval. The user-talk network is composed of users that write/receive comments on user-talk pages connected by directed ties from the commenting user to the owner of the page.
3. S TATISTICAL M ODELS FOR THE W IKIPEDIA C OLLABORATION N ETWORK As mentioned above, the Wikipedia collaboration network is an event network in which users interact with pages or other users, often repeatedly, at specific moments in time. Thus, traditional statistical models for social networks such as the exponential random graph models for timeindependent networks (Robins et al. 2007) or stochastic actor oriented models for network panel data (Snijders 2005) are inappropriate for the general Wikipedia collaboration network.2 Statistical models for event networks
2
Aggregating over time intervals does actually waste and ignore valuable information about the ordering and timing of edit events.
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have only recently been proposed. A generally applicable model framework for event networks is proposed in the pioneering work of Butts (2008). In this model the frequency of events is specified via the hazard-function; also called intensity function. The intensity associated with an individual tie can intuitively be thought of as the expected number of events per time unit that happen on that tie. This intensity is parametrically modeled as a function of specific statistics that characterize the network around the focal tie. Thereby, the analyst can model typical network effects such as activity effects (users that contributed a lot in the past are likely to be active in the future), popularity effects (pages that received a lot of edits are likely to draw others attention), or indirect effects (e.g. users that are connected in the discussion network can be drawn towards editing the same pages or vice versa). By estimating model parameters, researchers can test hypotheses about the determinants of user participation, page popularity, and other effects. The estimation of parameters can be done using established methods for the analysis of time-to-event data (Lawless 2003) and is actually much simpler and computationally more efficient for event network models than for, say, exponential random graph models. However, to deal with the enormous size of the complete Wikipedia collaboration network, analysts have to further develop approximation techniques such as the ones that have been proposed already in Butts (2008). Another feasible approach is to reduce the network by aggregation or restriction prior to analysis; this approach is taken in the two application examples in Sections 4 and 5. Since single edit events already carry a lot of information about which text has been added, moved, deleted, or restored, researchers have to apply extensions of the general event-network model that can deal with typed events. The model of Butts achieves this by using different intensity functions for each event type. This approach is, thus, restricted to multinomial types. To deal with continuous distributions, we apply in Section 4 the conditional event-type model proposed by Brandes et al. (2009c). This model separates the distribution of typed events into a rate component that models the occurrence of dyadic events and a type component that models the conditional type of events, for instance, a preference for negative over positive events. By modeling the tendency of users to revert rather than endorse the edits of specific others, the conditional type component is used in Section 4 to analyze the dynamics of controversial editing behavior.
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Node-level outcomes in the Wikipedia collaboration network can be modeled in nearly the same way. An example for user-level outcome are events in which formerly active Wikipedians decide to abandon the project, i.e., not to contribute anymore. In Section 5 we model such dropouts as a function of how users contributed to Wikipedia and whether other users accepted their edits or rather rejected their contribution by making edits undone. Another example for user-level outcome (which is, however, not treated in this chapter) is election to administrator status which is likely to depend on previous involvement and performance of the candidate. Examples for outcome events on the page level include featured article nominations which are indicators for high quality and might depend on the collaborative editing process.
4. C ASE S TUDY : S TRUCTURAL B ALANCE AND C ONTROVERSY As mentioned before, users in edit networks are connected by negative ties if they undo each others’ edits and connected by positive ties if they defend each others’ contributions against deletion. In this section we establish a relation between the structure of the deletion network and the presence of opinionated controversial editing on the page. On a first glance, deletions per se seem to be indicators of controversy. However, on frequently edited pages, deletions are usual and, assuming that the page does not grow indefinitely, even necessary. Indeed, deleting previous edits does not necessarily imply disagreement, since users might as well just extend and improve the contributions of others by reformulating them. Reviewing work of Brandes et al (2009a), we show in Section 4.1 that, rather than the number or amount of deletions, the fact whether undo-operations are targeted against an opponent group is correlated with controversy. As it turns out, controversial pages tend to admit a global network structure consisting of two user groups that mutually undo edits from the other group and defend contributions from their own group. The analysis presented in Section 4.1 aggregates edit networks over the whole lifetime of the page and, therefore, ignores succession in time. This analysis is improved in Section 4.2 where we model the sign of individual edit events (i.e., whether they are disagreements or agreements) as a function of previous edits connecting the
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users directly or indirectly. We give a theoretical derivation and empirical support for the hypothesis that adherence to the rules implied by structural balance theory (such as „the enemy of an enemy is a friend“ or „the friend of an enemy is an enemy“; see Heider 1946; Cartwright/Harary 1956) is an indicator of opinionated controversial editing. 4.1 Aggregated Global Structure In our previous work we demonstrated that the global network structure of the edit network is correlated with certain dimensions of quality. This section reviews part of the analysis that has been published in Brandes et al. (2009a). We start by defining the edit network associated with a single Wikipedia page. This network has as actors all users who edited the page at least once. A directed and time-stamped tie connects user A with user B if A modified edits of B in one of the following three ways. •
•
•
User A deleted text that has been previously written by B. The tie is then associated with a negative weight that is equal to the number of words deleted. User A restored text that has been written by B and previously been deleted by a third user. The tie is then associated with a positive weight that is equal to the number of words restored. User A undeleted text that has been written by a third user and previously been deleted by a B. The tie is then associated with a negative weight that is equal to the number of undeleted words.
The analysis in this section ignores the time stamps by separately summing all negative weights and all positive weights for each tie in the network. Furthermore, to deal with the extremely skewed distribution of tie weights, we applied a logarithmic transformation prior to the analysis (for details see Brandes et al. 2009a). For these signed and weighted networks we define an indicator, called bipolarity, measuring how well the network can be partitioned into groups favoring opposite opinions. Although this measure is based on a continuous projection of users into groups, it is more intuitively understood in the notion of discrete groups in which each user is member of one and only one group. Assume the set of users in an edit network is somehow partitioned
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into two disjoint groups. This gives rise to two numbers: w defined as the sum over all negative weights of ties connecting users in different groups and c defined as the sum over all negative weights of ties connecting users in the same group. The ratio (w-c)/(w+c) is interpreted as an indicator measuring to what degree the two groups correspond to adversarial opinion camps. Indeed, if the opposition is very strong and users delete only contributions of members of the other group, then c is zero and the ratio is equal to one (being the maximal bipolarity value). Conversely, if the partitioning has nothing to do with contradicting opinion and users are as likely to undo edits of members of their own group as edits of members of the other group, then w and c are roughly equal and the ratio is approximately zero. The division by w+c normalizes the measure to lie between minus one and plus one. Defining the bipolarity of the edit network as the maximum of (wc)/(w+c) over all partitions into two user groups is intuitively appealing but computationally intractable and suffers from the fact that it cannot deal with undecided users that stand between the two groups. The bipolarity measure used in this analysis is build on the idea sketched above but is based on the concept of structural similarity (Brandes/Lerner 2010) that can deal with varying degrees of membership of actors to groups (for details see Brandes et al 2009a). To test whether the so-defined measure of bipolarity is indeed associated with controversy we compute the average level of bipolarity on a set of 60 controversial pages randomly selected from the list http://en.wikipedia. org/wiki/Wikipedia:List_of_controversial_issues, and compare it with the average bipolarity of 60 randomly selected featured articles (http://en.wiki pedia.org/wiki/Wikipedia:Featured_articles). Indeed, it turns out that the average bipolarity of controversial pages is 0.72 (standard error 0.02) and thus significantly higher than the average bipolarity of featured articles being equal to 0.60 (standard error 0.02). Thus, the newly defined bipolarity index indeed correlates with controversy. This result emphasizes the importance of the structure of the collaborative editing process.3
3
Note that the bipolarity index is independent of the number and magnitude of deletions but rather measures the global structure of the resulting disagreement network.
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4.2 Dynamics of the Edit Network The previous section has shown that the global network structure of the edit network is correlated with quality labels (featured versus controversial) of the associated articles; it has not treated the micro-level dynamics of deletions, nor the question how the individual edits give rise to the resulting global structure. In this section we refine and complement this study by modeling the sign of individual edit events as a function of the structure of previous edits surrounding the focal tie. Our main hypothesis is that, on articles that are characterized by opinionated controversial editing, the signs of user-user ties adhere to the rules predicted by structural balance theory (Heider 1946; Cartwright/Harary 1956). We give first a theoretical derivation of this hypothesis and then design and conduct an empirical test. Assume that the contributing users of a particular page decompose into two groups having mutually contradicting opinions. If two users A and B are both positively connected to a third actor C, then A and B are likely in the same opinion cluster as C and, by transitivity, A and B stand on the same side and are likely to interact positively; see Figure 4 (top-left). If, however, user A is negatively connected to C and B is positively connected to C, then A is likely in the opposite opinion cluster as C who is in the same cluster as B and, thus, A and B stand on different sides and are likely to interact negatively; see Figure 2 (top-right). The two other rules implied by structural balance theory („the enemy of a friend is an enemy“ and „the enemy of an enemy is a friend“) are derived by a similar reasoning and are illustrated in the bottom row of Figure 4. Note, for instance, that the positive evaluation of B by C in the top row of Figure 4 leads to a different reaction of user A. In the left image A agrees with C and also interacts positively with B, while in the right-hand side A disagrees with C, therefore, reverses C‘s assessment of B, and deletes B‘s edits.
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Figure 2: Four different local configurations that indirectly connect the tie from A to B (dependent variable) via a third actor C. Straight lines stand for positive ties and dotted lines for negative ties. Structural balance theory predicts, e.g., that the friend of an enemy is an enemy (upper-right image).
Source: Own figure Our claim is that adherence to structural balance theory is not universal to the editing process in Wikipedia but rather points to opinionated editing where user contributions are not evaluated by their quality but just by their compatibility with the focal user’s opinion. On pages on which the collaborative editing process is objective, rather than driven by opinion, structural balance patterns should not emerge. Indeed, on such pages the positive evaluation of B by C (both images in the upper row of Figure 4) indicates that B‘s edits are of high quality which, in turn, implies that A is also likely to positively interact with B. Thus, on pages characterized by an objective editing process, the two situations in the top row of Figure 4 should have the identical effect on the tie from A to B and, in conclusion, structural balance patterns should not emerge. Summarizing this we hypothesize that the predictions of structural balance theory are more often validated on controversial pages than on featured articles. In the following paragraphs we design an empirical test for this hypothesis.
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To test the occurrence of structural balance patterns on a single page we apply the conditional event-type model proposed in Brandes et al. (2009c) to the signed and time-stamped edit-event network introduced above. This model allows to test the tendency to interact positively versus negatively dependent on how the focal tie is embedded into the network of previous events, for instance, dependent on whether A and B are friends of friends, enemies of friends, friends of enemies, or enemies of enemies. To control for differences in users’ roles and positions we include out-degree and indegree effects in the model in the same way as it has been done in the analysis of Brandes et al. (2009c). These degree effects model, for instance, that users whose edits get frequently deleted in the past are likely targets of deletions in the future, and so on. Indicators of the occurrence of structural balance patterns on a given page are the signs and significance levels of the estimated parameters associated with the statistics friend-of-friend, enemyof-friend, friend-of-enemy, and enemy-of-enemy. Finally, to test our hypothesis that structural balance patterns are indicators for opinionated controversial editing, we randomly select 100 controversial pages and 100 featured articles, separately estimate the model parameters for each of the 200 pages, and compare the number of controversial pages (out of 100) on which structural balance parameters are significant with the number of significant structural balance parameters on featured articles. Results for a significance level of 5% are shown in the table below. It turns out that the number of controversial pages on which parameter signs are correctly predicted by structural balance theory (SBT) is indeed higher than the respective number of featured articles, supporting our hypothesis. On the other hand, the support for SBT on controversial pages is not without exceptions (but still stronger than on featured articles). Discussing the results in more detail, the friend-of-friend parameter is predicted to be positive by SBT. This prediction is supported on 67 controversial pages (out of 100) but only on 30 percent of the selected featured articles. A negative sign of this parameter (contradicting SBT) has been estimated on zero
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Table 1: Number of pages (out of 100) on which the respective parameters are significantly positive or negative on the 5% level. Contr.
Contr.
Contr.
Feat.
Feat.
Feat.
Pos.
Neg.
Predicted
Pos.
Neg.
Predicted
Structural balance Friend of friend Enemy of friend
70
5
pos.
29
6
-
67
0
pos.
30
2
-
38
19
neg.
24
7
-
Friend of enemy
5
62
neg.
2
34
-
Enemy of enemy
55
10
pos.
23
6
-
Source: Own data
controversial and two featured pages.4 Thus, the friend of a friend is a friend on the majority of controversial pages but on a minority of featured articles, consistent with our hypothesis. A different picture arises for the enemy-of-friend parameter which should be negative according to SBT. This prediction is supported on 19 controversial and 7 featured pages; thus, this aspect of SBT is again more often validated on controversial articles, supporting our hypothesis. However, the enemy-of-friend parameter is significantly positive (contradicting SBT) on 38 controversial and 24 featured articles, implying that the enemy of a friend is quite often not an enemy and sometimes (although only in a minority of cases) even a friend. Both our hypothesis and the predictions of SBT are more consistently supported for the remaining parameters. The friend of an enemy is an enemy (as predicted by SBT) on 62 controversial but only on 34 featured pages; the opposite sign has been found on 5 (2) controversial (featured) articles, so that the numbers of exceptions to this rule are comparatively low. The enemy of an enemy is a friend holds on 55 controversial versus 23 featured pages and is
4
The numbers missing to 100 are the networks on which this parameter was not significant on the 5% level.
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contradicted by the findings on 10 respectively 6 articles. The last parameter to be discussed (referred to as the Structural Balance parameter in the table above) aggregates the predictions of the four rules implied by SBT; it is positive if the signs of ties are consistent with the combined predictions of these rules. The results show that this holds on 70 controversial pages but only on 29 featured articles, supporting our hypothesis. The combined predictions of SBT are reversed on 5 (6) controversial (featured) pages, so that the numbers of exceptions are again small.
5. C ASE S TUDY : D ROPPING
OUT FROM
W IKIPEDIA
In Section 4 we modeled and analyzed the structure and dynamics of the Wikipedia collaboration network. In this section we are interested in how the network structure and dynamics influence decisions on the user level. Since this network encodes the emergent and self-organizing collaboration structure among contributors, it is likely that certain structural aspects turn out to be indicators of good functioning while others point to deficiencies of the collaborative process. More specifically we analyze which aspects of the Wikipedia collaboration network act as sources of motivation that help to sustain contributors and, as the other side of the coin, which aspects are sources of frustration that cause formerly active users to abandon the project. Understanding the reasons to contribute is of utmost importance since a large community of active users is essential for Wikipedia to grow and improve. This section reviews and combines our recent work on the study of dropout mechanisms in Wikipedia. The outcome variable that we consider here is the dropout hazard which is defined as the conditional probability that a user stops contributing on a particular point in time, given that the user was active up to this time. The hazard function is a standard tool in the analysis of time-to-event data (for a comprehensive reference see Lawless 2003). The hazard is potentially varying in time since reasons for dropout are not necessarily constant but might become more or less serious over time. The dropout hazard of a user is modeled as a parameterized function of certain statistics that encode the hypothetical reasons to contribute/dropout. An example for such a statistic would be the percentage of text contributed by the user that gets deleted af-
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terwards (which might, of course, be frustrating since it implies wasted time and work). If the estimated parameter associated with this example statistic were significantly positive, then „being deleted“ would have been empirically identified as a source of frustration. Some difficulty arises from the fact that the dropout time (and even the decision of whether a user did drop out or not) is not part of the data but rather has to be inferred. In this section we apply two different strategies for identifying dropouts. In both cases we restrict our analysis to active users defined as those who did at least 1000 edits. The reason for this decision is that for inactive users with only a tiny number of edits it is more questionable to decide whether a user that did not contribute anymore is a dropout or was just never really involved. In the first strategy (see Section 5.1) we use the page http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Missing_Wikipedians to identify dropouts. The Missing Wikipedians page serves as a list to put the names of users that were formerly active (i.e., have done at least 1000 edits) but that stopped contribution at some time. Although this gives some confidence that these users are indeed dropouts it might also bias the analysis to users that are well-known to others (while the ‚silent dropouts‘ get ignored). The other strategy (see Section 5.2) is to classify users as dropouts, if they do not contribute for a sufficiently long period of time. In our case, we decided that a formerly active user is a dropout if he/she did not make any edit in a three-month interval prior to data collection. 5.1 Dropouts by Domain of Activity This section reviews work from Brandes et al. (2009b). In this case, a dropout is defined as a formerly active user (having done at least 1000 edits) that is listed on the Missing Wikipedian page. The hypothetical predictors in this study are indicators about the different role of the user, more precisely indicators whether the user is most involved in editing, discussion, or organizing work. Second indicators on the amount of feedback received via the user talk page and how often the focal user replied to this feedback and finally, an indicator measuring the number of edits on pages that are labeled as controversial issues (compare Section 4). The precise definition of the various indicators and estimation techniques are detailed in Brandes et al. (2009b). Results obtained in this study are presented in the following table.
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Table 2: Estimated parameters and standard errors. A negative/positive parameter points to decreased/increased dropout-hazard. statistic edit discuss organize getFeedback replyFeedback editControversial constant
parameter
std. error
t-ratio
-0.410 0.137
0.061 0.068
6.78 2.01
0.220 0.365
0.060 0.078
3.69 4.66
-0.140 0.177
0.057 0.036
2.44 4.98
-10.604
0.405
26.18
Source: Own data
A significantly positive parameter indicates that the higher the values of the associated statistic, the higher the dropout rate (pointing to potential sources of frustration); a significantly negative parameter implies a lower dropout rate (pointing to potential sources of motivation). Note that all parameters are significant at the 5% level. The findings can be summarized as follows. The parameter associated with the edit statistic (measuring the amount of contributions to content pages) is negative, implying that users get more robust against dropout with growing number of edits to the main namespace. This is different for contribution to talk pages and to other (organizational) pages. Indeed, the positive parameters associated with the discuss statistic (measuring the amount of contributions to talk pages) and the organize statistic (measuring the amount of contributions to pages different from content and discussion pages) indicates that users with more contributions to discussion pages and other namespaces have a higher dropout rate. While this seems to indicate that discussion in Wikipedia is a source of frustration, it might also be a result of the selection strategy for dropouts: users with more participation to talk pages are likely to be more visible to others and, thus, have a higher probability to be recognized as missing and end up on the Missing Wikipedian page. Similarly, getting comments on user talk pages increases the dropout rate (positive parameter associated with the getFeedback statistic) but this effect is attenuated as long as the user replies to these comments (negative effect of replyFeedback). Finally, contributions to pages labeled as controversial also seem to be sources of dropout. The constant of the model normalizes the timescale such that one unit of time corresponds to
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the average time-to-dropout of a (hypothetical) user for which all other effects cancel out. 5.2 Dropouts by Edit-network Structure The above analysis has been extended and improved in Lerner et al. (2011), where we defined dropout instances as formerly active users that did not perform a single edit in the three-month period prior to data analysis. Furthermore, we used more involved predictors for dropout that do not only measure the pure number of edits to different namespaces but also whether other users accept or rather delete these contributions. More specifically, we estimated the effect of a reputation index which is – similar to the work of Adler and De Alfaro (2007) – defined as the percentage of text added by the user that still is on the page, i.e. that has not been deleted or, if deleted, has been undeleted afterwards (for details see Lerner et al. 2011). This statistic is time-varying since the percentage of persistent text might change with every new revision of the page. Indeed, the reputation index was found to have a highly significant effect on the dropout rate in the sense that users with higher reputation tend to sustain contribution rather than leave Wikipedia (a further statistic measuring the increase of reputation has no significant effect). While the motivating effect of reputation confirmed our expectations, it is interesting that the same analysis restricted to users that performed more than 10,000 edits (‚highly active users‘) lead to no significant relation between reputation and dropout rate. This latter result emphasizes that the percentage of persistent text is only one aspect of reputation. Indeed, users with more than 10,000 edits are likely not the providers of large parts of the pages‘ text (since this would imply an incredible amount of work) but rather they are users that watch pages, revert vandalism, check form and spelling of articles. Such users probably get their motivation from the fact that they supervise editing on Wikipedia, rather than contribute their knowledge as domain experts. Interestingly and in contrast to the findings presented in Section 5.1, these highly active users become less likely to drop out when their level of involvement to controversial articles (here measured by the bipolarity index defined in Section 4) increases, while bipolarity and dropout hazard are not significantly related when conducting the analysis with all users with at le-
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ast 1000 edits. Together it becomes obvious that users playing different roles also have different sources of motivation and frustration.
6. C ONCLUSION Wikipedia gives rise not only to a large collection of encyclopedic knowledge but also to a large and highly dynamic collaboration network connecting its contributors. It provides, thus, a possibility to study massive online collaboration of voluntary users without a rigid bureaucratic organization structure and thereby can also contribute to an empirically grounded study of new forms of organizing collective work (Sinha/Van de Ven 2005). The most important research questions include to determine sources of motivation of users and to analyze effectiveness and efficiency of the selforganized editing and reviewing process, as well as growth, coverage, and quality of the resulting encyclopedia. This chapter presented and extended previous work on the modeling and analysis of the Wikipedia collaboration network in a unified manner. Problems that are still largely unsolved include dealing with user and page heterogeneity, jointly analyzing edit and discussion networks, and, last but not least, algorithmic improvements to enable comprehensive analysis of large empirical event networks. Although some preliminary results have been obtained, tackling the research questions of interest remains an interdisciplinary challenge.
L ITERATURE Adler, Thomas B./De Alfaro, Luca (2007): „A content-driven reputation system for the Wikipedia“. In: Proc. 16th Intl. Conf. WWW, p. 261270. Brandes, Ulrik/Kenis, Patrick/Lerner, Jürgen/Van Raaij, Denise (2009a): „Network analysis of collaboration structure in Wikipedia“. In: Proc. 18th Intl. World Wide Web Conference (WWW 2009). Dies. (2009b): „Is editing more rewarding than discussion? A statistical framework to estimate causes of dropout from Wikipedia“. In: Proc. 1st Intl. Workshop Motivation and Incentives on the Web (Webcentives'09) at the 18th Intl. World Wide Web Conference (WWW 2009).
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Brandes, Ulrik/Lerner, Jürgen (2010): „Structural similarity. Spectral methods for relaxed blockmodeling“. Journal of Classification 27 (3), p. 279-306. Dies. (2008): „Visual analysis of controversy in user-generated encyclopedias“. In: Information Visualization 7, p. 34-48. Brandes, Ulrik/Lerner, Jürgen/Snijders, Tom A.B. (2009c): „Networks evolving step by step. Statistical analysis of dyadic event data“. In: Proc. 2009 Intl. Conf. Advances in Social Network Analysis and Mining (ASONAM 2009), p. 200-205. IEEE Computer Society. Butts, Carter T. (2008): „A relational event framework for social action“. In: Sociological Methodology 38, p. 155-200. Cartwright, Dorwin/Harary, Frank (1956): „Structural balance. A generalization of Heider's theory“. In: Psychological Review 63, p. 277-293. Fisher, Danyel/Smith, Marc/Welser, Howard T. (2006): „You are who you talk to. Detecting roles in usenet newsgroups“. In: Proc. Hawaii Intl. Conf. System Sciences. IEEE Computer Society. Giles, Jim (2005): „Internet encyclopaedias go head to head“. In: Nature 438, p. 900-901. Heider, Fritz (1946): „Attitudes and cognitiveorganization“. In: Journal of Psychology 21, p. 107-112. Kittur, Aniket/Suh, Bongwon/Pendleton, Bryan A./Chi, Ed H. (2007): „He says, she says. Conflict and coordination in Wikipedia“. In: Proc. SIGCHI Conf. Human Factors in Computing Systems, p. 453-462. Lawless, Jerald F. (2003): Statistical models and methods for lifetime data, 2nd edition, New York: John Wiley & Sons. Lerner, Jürgen/Kenis, Patrick/Van Raaij, Denise/Brandes, Ulrik (2011): „Will they stay or will they go? How network properties of WebICs predict dropout rates of valuable Wikipedians“. In: European Management Journal, to appear. Leuf, Bo/Cunningham, Ward (2001): The Wiki way. Quick collaboration on the web, Boston : Addison-Wesley. March, James G./Simon, Herbert A. (1958): Organizations, New York: John Wiley & Sons. Priedhorsky, Reid/Chen, Jilin/Lam, Shyong (Tony) K./Panciera, Katherine/Terveen, Loren/Riedl, John (2007): „Creating, destroying, and restoring value in Wikipedia“. In: Proc. Intl. ACM Conf. Supporting Group Work, p. 259-268.
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Weblogs im internationalen Vergleich Meinungsführer und Gruppenbildung D ARKO O BRADOVIC
Weblogs, auch als Blogs abgekürzt, sind spezielle Internetseiten, auf denen jede Art von Informationen in Artikelformat in umgekehrter chronologischer Reihenfolge präsentiert werden. Diese neue Form von Medium gewann mit Beginn des „Web 2.0“ Anfang des 21. Jahrhunderts eine sehr große Popularität. Ein Hauptgrund dafür ist wohl, dass auch unerfahrene Internetnutzer ohne große technische Kenntnisse und finanzielle Investitionen Meinungen und Informationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und somit als Produzenten von Inhalten auftreten können (vgl. Jäckel/ Fröhlich in diesem Band). Dies stellt einen gewaltigen Unterschied zu traditionellen Printmedien dar, zumal die Anwendungsfelder der Weblogs vielfältig sind. Beispielsweise nutzen es private Leute als eine Art Tagebuch, Journalisten, professionell oder semi-professionell, tätigen ihre Berichterstattung, Organisationen und Unternehmen betreiben Öffentlichkeitsarbeit, und Universitäten veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse. Eine Vielzahl von Blogs widmet sich wiederum redaktionellen Tätigkeiten mit Berichten über Nachrichten und Neuheiten spezieller Fachgebiete, z.B. dem Mobiltelefonmarkt. Schlussendlich sind auch Blogs von Hobby-Enthusiasten weit verbreitet, die ihre Erfahrungen mit der Internetgemeinde teilen, sei es zu Musik, Sport oder Kochen. Allen Blogs ist dabei gemein, dass sie auf andere Webseiten bzw. andere Internetangebote verweisen. Somit ist der Weblog, wie jede andere Webseite auch, in der Hyperlinkvernetzung des World Wide Web (WWW) integriert. Besonders Blog-
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ger nutzen diese Möglichkeiten auf ihre ganz eigene Art und Weise. Zum Einen werden Artikel aus anderen Blogs zitiert, zum Anderen hat sich auch die Kultur der sogenannten Blogrolls etabliert. Auf einer Blogroll listet ein Blogger Links zu anderen Blogs auf, welche ihn interessieren bzw. die er für wichtig hält. Die genaue Motivation eines Blogrolleintrags lässt sich nicht generell ermitteln, die Hypothese, dass dies einer Art Empfehlung gleich kommt ist aber durchaus plausibel und wird seit dem Erfolg von Googles PageRank generell akzeptiert.1 Die einzelnen Verweise aus den Blogrolls spannen insgesamt ein Netzwerk von Knoten und Kanten zwischen allen Blogs im Internet auf, welches die „Blogosphäre“ genannt wird. Im folgenden Artikel soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern diese Struktur in der Blogosphäre die Effekte der Meinungsführerschaft und der Gruppenbildung widerspiegelt bzw. wie man diese Strukturen effizient erkennen kann, um Meinungsführer und Gruppen zu identifizieren. Hierfür wird zuerst ein Forschungsüberblick gegeben, aus dem sich die Forschungsfrage ableitet. Im Fokus steht die tatsächlich existierende Vernetzungsstruktur innerhalb der Blogosphäre und hier speziell die kulturelle Abgeschlossenheit, die Meinungsführerschaft sowie die thematische Clusterung der hier untersuchten Blogs. Anschließend werden der Datensatz und das methodische Vorgehen näher vorgestellt, bevor die Ergebnisse eruiert werden. Am Schluss wird ein Fazit gezogen.
1. F ORSCHUNGSSTAND , D ATENSÄTZE UND V ISUALISIERUNGEN Die Forschung über Blogs ist sehr aktiv, und beleuchtet sowohl ihre kulturellen Effekte als auch die Strukturen, welche sich in der Blogosphäre bil-
1
Google startete 1998 in einem Suchmaschinenmarkt, den die meisten schon für aufgeteilt erachteten, u.a. durch Lycos, Yahoo, MSN, Altavista etc. Jedoch schafften sie es mit dem damals neuen und patentierten Konzept des PageRank, also der Einbeziehung von sozialen Links zur Sortierung der Suchergebnisse, die Mehrzahl der Nutzer zu überzeugen. Heute hält die Suchmaschine einen weltweiten Marktanteil von über 80 Prozent, Tendenz weiter steigend. Weitere Informationen zum Unternehmen finden sich z.B. auf dessen Wikipedia-Seite (http://de.wikipedia.org/wiki/Google).
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den. Bezüglich der Rolle von Blogs zeigen Farrell und Drezner (2008), dass Blogs einen sehr großen Einfluss auf die Meinungsbildung im Internet und darüber hinaus haben und somit der kleine Teil der Blogs, welcher sich über eine große Zahl von Lesern erfreut, mittlerweile eine gewisse Machtposition im Bezug auf Reichweite und Einflussnahme inne hat. Diese sogenannten Meinungsführer werden intensiv beachtet, und waren auch in weiteren Studien Objekt der näheren Betrachtung (Park 2004, Delwiche 2005). Dieses Phänomen ist theoretisch bereits gut verstanden. Ebenfalls große Beachtung in Studien fand die Gruppenbildung vieler Blogs, welche sich mit den gleichen Themen beschäftigen. Sie bilden eine Form der Gemeinschaft, in welcher man sich gegenseitig kennt und beeinflusst. Entsprechende Modelle wurden in der Literatur bereits aufgestellt (vergleiche Chin/Chignell 2006). Betrachtet man die strukturellen Eigenschaften der Blogosphäre, also die Netzwerkbildung über Verweise, kristallisieren sich hierbei konsequenterweise ebenfalls diese zwei Effekte heraus. Zum Einen das Phänomen der Meinungsführerschaft (siehe Schenk 1993, Burt 1999), bei welchem auf herausragende Blogs, auch aus anderen Themengebieten als dem des Blogrollinhabers, verwiesen wird (vergleiche Park 2004, Delwiche 2005). Dies führt zu einigen wenigen Blogs mit besonders viel Beachtung, also einer insgesamt sehr heterogenen Verteilung der Verweise (vergleiche Shirky 2003). Zum Anderen lässt sich das Phänomen der Gruppenbildung ebenfalls in der Verweisstruktur der Blogosphäre beobachten. Diese Tendenz besteht dadurch, dass Blogs mit gemeinsamem Themenschwerpunkt oder aufgrund andersartiger Gemeinsamkeiten überdurchschnittlich häufig aufeinander verweisen. Diese Blogs formen dann auch in der Linkstruktur eine kohesive Gruppe (vergleiche Chin/Chignell 2006, Zhou/Davis 2006). In diesem Kapitel betrachten wir die tatsächlich existierende Vernetzungsstruktur innerhalb der Blogosphäre hinsichtlich dieser beiden Aspekte. Nach Meinung der Literatur sollten beide strukturellen Effekte in der Blogosphäre vorhanden sein. Diese wurden bisher jedoch nur separat betrachtet, obwohl sie sich, wenn sie beide zugleich präsent sind, gegenseitig überlagern, und die Detektion der jeweils anderen Struktur erschweren. Wir werden zuerst jedes strukturelle Phänomen in der Blogosphäre für sich betrachten, und anschließend etwaige gegenseitige Einflüsse aufeinander untersuchen.
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Als Vergleich dienen hierbei Datensätze unterschiedlicher Sprachräume, welche für sich, wie wir zeigen werden, wiederum eine relativ abgeschlossene Gruppe bilden. Dies folgt der Theorie der aktiven Konversation und inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen Blogs, wie Herring et al. (2005) zeigen. Hiermit lassen sich dann auch eventuelle Unterschiede zwischen den Sprachräumen hinsichtlich dieser Abgeschlossenheit erkennen. Wir gelangen also zu den folgenden drei Hypothesen: 1)
2) 3)
Die verschiedenen Sprachräume sind relativ abgeschlossen, da sich die Konversation, welche Blogs verbindet, meist auf die gleiche Sprache beschränkt. Es gibt einige wenige, klare Meinungsführer in jedem Sprachraum, welche einen Großteil der Verweise erhalten. Es existiert eine Gruppenbildung nach Themenschwerpunkten, welche sich in der Verweisstruktur widerspiegelt.
Herkömmliche Analyseverfahren versuchen, genau eine Struktur im Netzwerk zu identifizieren, und haben hierbei oftmals Probleme. Wir vermuten, dass die genannten Phänomene – Meinungsführerschaft und Gruppenbildung – sich gegenseitig überlagern, und eine gute Detektion nur dann gelingen kann, wenn man beide Strukturen gemeinsam betrachtet und ein entsprechend abgestimmtes Verfahren benutzt. Unser Ziel ist es, mit dem Wissen um die Struktur der Gruppenbildung die globalen Meinungsführer zuverlässiger als mit bisherigen Verfahren zu identifizieren, und möglicherweise auch umgekehrt. 1.1 Zu Datensatz und Visualisierung Zur Untersuchung der hier vorgestellten Phänomene greife ich auf populäre Blogs in verschiedenen Sprachen und den Verweisen aus ihren Blogrolls zurück. Die Auswahl fiel auf die Sprachkreise: Deutsch (de), Englisch (en), Französisch (fr), Spanisch (es), Portugiesisch (pt) und Italienisch (it). Auf Basis von Technorati.com oder Alianzo.com wurde für jeden Sprachraum eine Liste der Top 100 Blogs dieser Sprache als Startdatensatz ausgewählt. Nach der Auswertung deren Blogrolls wurden weitere Kandidaten nach dem Schneeballprinzip zum jeweiligen Datensatz hinzugefügt, und zwar
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Tabelle 1: Datensätze nach Sprachraum
Blogs Links t
en
es
pt
fr
it
de
8.401
5.373
3.776
3.402
2.773
1.837
452.234 104.241
93.770
90.546
75.421
24.065
9
8
7
5
12
8
Quelle: Eigene Darstellung
nur solche mit einer Mindestanzahl von t Verweisen aus dem bisherigen Datensatz. Der Prozess endete, sobald keine neuen Blogs mit mindestens t Verweisen mehr vorhanden waren. Tabelle 1 listet die so erstellten Datensätze für die einzelnen Sprachen mit Anzahl Blogs, Anzahl Links und dem zugrundeliegenden Wert t auf. Erwartungsgemäß stellt der englische Sprachraum mit 8.401 Knoten und 452.234 Kanten den größten Anteil, insbesondere da englischsprachige Blogs auch von Nicht-Muttersprachlern gerne betrieben werden, um eine internationale Reichweite zu erzielen. Danach folgt der spanische Sprachraum, zu dem auch die mittel- und südamerikanischen Länder zählen, gefolgt vom portugiesischen, zu dem ebenfalls Brasilien gehört. Die drei restlichen europäischen Sprachen finden keine größere weltweite Verbreitung. Um in großen Datenmengen Strukturen zwischen verschiedenen Teilen des Netzwerks zu visualisieren, z.B. zwischen den Meinungsführern und dem Rest oder zwischen verschiedenen Interessengruppen, bedarf es abstrahierender Visualisierungskonzepte. In diesem Kapitel verwende ich eine Abstraktion der einfachen Adjazenzmatrix, bei welcher die vorher identifizierten Gruppen zusammengefasst werden. Als illustrierendes Beispiel sei hier das Netzwerk aus Abbildung 1a gegeben, in welchem schon drei Gruppen A, B und C identifiziert wurden. Die dazugehörige Adjazenzmatrix, in welcher die Knoten bereits nach Gruppenzugehörigkeit sortiert sind, ist in Abbildung 1b gegeben. In Abbildung 1c zeigen sich die Bereiche der Adjazenzmatrix nach Gruppen zusammen mit der Anzahl darin existierender Kanten und maximal möglicher Kanten. Dies entspricht genau der lokalen Dichte. In Abbildung 1d wird schlussendlich der Wert dieser lokalen Dichte, welcher zwischen 0 und 1 liegt, für jedes Feld mittels eines Grauwerts dargestellt, wobei 0 der Farbe Weiß und 1 der Farbe Schwarz entspricht.
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Abbildung 1: Das Konzept der Gruppen-Adjazenzmatrix (GAM)
Quelle: Eigene Darstellung
Mittels dieser Darstellung lässt sich die Intensität der Verbindungen inner und unterhalb von gegebenen Gruppen visualisieren, und zwar übersichtlich nach Anzahl der identifizierten Gruppen und nicht nach Anzahl der vorhandenen Knoten. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Darstellung eine gegebene Gruppeneinteilung gut visualisieren kann, und somit deren Bewertung vereinfacht, jedoch nicht bei der Identifizierung dieser Gruppen hilft. Hierfür sind vorangehend andere Algorithmen notwendig, die z.B. in der Lage sind, Cliquen zu berechnen. In großen realen Netzwerken, in welchen die Knoten bekanntlich nur sehr dünn mit Kanten verbunden sind, ergeben sich meist nur sehr niedrige Dichten, oftmals von unter einem Prozent. Auch können verschiedene Netzwerke lokale Dichten in jeweils sehr verschiedenen Bereichen haben, weshalb eine Parametrisierung der Gruppenadjazenzmatrix notwendig ist. Zuallererst kann der Bereich der Farbskala nach oben hin auf den maximal vorkommenden Wert der lokalen Dichte normiert werden. Danach kann die Funktion, welche dem Dichtewerten den Farbwert zuweist, durch einen Exponenten geändert werden, um eine bessere Unterscheidbarkeit im Bereich der kleineren Dichten zu erreichen. Dies ist in der Praxis oftmals sehr hilfreich.
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Abbildung 2: Farbfunktion für die Sättigung anhand der lokalen Dichte
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 2 zeigt die Farbfunktion, mit einem linearen Verlauf in der gestrichelten Linie und einem mittels Exponent 0,5 modifizierten Verlauf in der durchgehenden Linie.
2. ABGESCHLOSSENHEIT
DER
S PRACHRÄUME
Um die Hypothese der Abgeschlossenheit der Sprachräume zu überprüfen, wurden alle Blogrolleinträge, welche auf den Blog eines anderen Sprachraumes verweisen, ebenfalls ausgewertet. Tabelle 2 zeigt das Ergebnis dieser Analyse.
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Tabelle 2: Verweise zwischen den Sprachräumen, wobei die gerichteten Verweise von einer Zeile als Ursprungssprachraum zu einer Spalte als Zielsprachraum zu lesen sind en en
452.234
es
pt
fr
it
de
184
100
73
657
190
es
2.195 104.241
582
771
65
40
pt
2.449
787
93.770
285
49
43
fr
550
158
56
90.546
24
74
it
1.142
71
221
50
75.421
14
de
1.228
41
1
75
20
24.065
Quelle: Eigene Darstellung
In dieser Tabelle zeigt sich deutlich, dass der Großteil der Verweise aus den Blogrolls in den eigenen Sprachraum führt. Den höchsten Prozentsatz an sprachraumübergreifenden Links weist der deutsche Sprachraum mit 5,4 Prozent auf, wobei dieser jedoch im Verhältnis auch der kleinste Sprachraum ist. So wird beim Versuch der Interpretation von Tabelle 2 schnell deutlich, dass eine Zahleninterpretation ohne Berücksichtigung der Größe der einzelnen Sprachräume nur bedingt Sinn macht. Hier ist eine relative Betrachtung der Intensitäten notwendig. Visualisiert man nun mittels der im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Gruppenadjazenzmatrix das Gesamtnetzwerk aller Sprachräume mit den einzelnen Sprachräumen als vorgegebene Gruppen, so erhält man die GAM aus Abbildung 3, für welche die maximale Dichte auf 1 Prozent (Dichte innerhalb des italienischen Sprachraums) normiert und eine gute Unterscheidbarkeit der Dichten zwischen den Sprachräumen mit einem Exponenten von 0,2 erreicht wurde. Die Festlegung dieser Parameter erfolgt interaktiv und wird für folgende GAMs in diesem Kapitel nicht weiter explizit angegeben.
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Abbildung 3: GAM der Sprachräume en
es
pt
fr
it
de
en
es
pt
fr it de
Quelle: eigene Darstellung
Betrachtet man die Farbsättigungen zwischen den Sprachräumen, so fällt nun sofort auf, dass der englische Sprachraum auch relativ die meisten Verweise erhält. Dies war zu erwarten, da die meisten international bekannten und geschätzten Blogs logischerweise in der Quasi-Weltsprache des WWW geführt werden. Auffällig ist hierbei lediglich, dass der französische Sprachraum deutlich weniger auf den englischen verweist als der Durchschnitt.2 Weitere Beobachtungen, welche mittels dieser Visualisierung ermöglicht werden, sind, dass der englische Sprachraum deutlich weniger intensiv zu den anderen Sprachräumen verweist, lediglich der italienische und deutsche Sprachraum finden hier etwas mehr Beachtung. Die geringste Intensi-
2
Dies könnte an der französischen Haltung zur eigenen Sprache liegen, welcher eine ablehnende Haltung gegenüber Anglizismen zu eigen ist. Frankreich ist bekannt dafür, sich sehr aktiv für die eigene Sprache einzusetzen, bspw. auch über eine gesetzliche Quotierung von französischsprachigen Liedern in Radiosendungen.
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tät der Verweise findet sich vom deutschen zum portugiesischen Sprachraum.
3. M EINUNGSFÜHRERSCHAFT In sehr großen Netzwerken suchen Knoten naturgemäß stets nach Bezugspunkten, deren Position oder Meinung sie besonders vertrauen, schätzen oder ganz allgemein für wichtig oder nützlich befinden. Hier werden also aus der schier unüberblickbaren Masse Verbindungen zu solchen Knoten hergestellt. Dies führte in der Theorie zum Modell der skalenfreien Netzwerke (Barabasi/Albert 1999) und folglich zum strukturellen Konzept der Meinungsführer in Netzwerken. Auch im WWW ist das Phänomen anzutreffen. Unter den Millionen von Webseiten kristallisieren sich einige wenige Angebote heraus, welche einen Großteil der Aufmerksamkeit genießen und damit auch einen Großteil der Links vereinen. Dies zeigt sich auch bei den Weblogs (Park 2004, Delwiche 2005). Der Effekt wird besonders bei Meinungsumfragen deutlich, die herausfinden wollen, was ein Großteil des Publikums liest und wie die vermeintlichen Meinungsführer das Gesamtmeinungsbild repräsentieren oder auch beeinflussen. Die Beobachtungsund Ansatzmöglichkeiten sind hierbei sehr vielfältig, und reichen von rein deskriptiven Untersuchungen der Marktforschungs bis hin zur gezielten aktiven Einflussnahme auf diesen Prozess, etwa durch virales Marketing. Es gibt verschiedene Beispiele dafür, wie sich eine solche Meinungsführerschaft in der Realität auswirkt. Beispielsweise wurde im Februar 2011 das US-Blog Huffington Post von AOL für 315 Millionen Dollar übernommen, da es mittlerweile eine enorme Reichweite aufweist. Ebenfalls Schlagzeilen machte im Februar 2007 eine Aktion von Microsoft, bei welcher Top-Bloggern aus den USA Notebooks mit Windows Vista geschenkt wurden – verbunden mit der Bitte, einen Test dazu in ihrem Blog zu veröffentlichen. Das Notebook durften sie auf Wunsch behalten. Auf diesem Wege wollte sich der Konzern die Meinungsführerschaft dieser Blogs für eine sehr spezielle Werbekampagne zu Nutze machen. In Deutschland sind die Meinungsführer im Allgemeinen Journalisten und politisch oder kulturell interessierte Persönlichkeiten, welche sich beispielsweise auch alljährlich auf der deutschen Blogger-Konferenz re:publica treffen und austauschen.
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Abbildung 4: Schematische Darstellung des Kern-Peripherie-Modells mittels GAMs für eine (a) binäre, (b) kontinuierliche und (c) diskrete Aufteilung in Kern und Peripherie
Quelle: Eigene Darstellung
In diesem Abschnitt wird versucht, die Meinungsführer anhand struktureller Charakteristika der Links in der Blogosphäre herauszuarbeiten. Diese wurden bereits in vorangegangenen Arbeiten klar definiert (siehe Herring et al. 2005). So handelt es sich bei Meinungsführern um die Gruppe derer, die durch Blogs oder auch andere Medien am häufigsten gelesen und zitiert werden. Bezogen auf die Eigenschaften im Netzwerk folgt dies dem Modell von Kern und Peripherie (Borgatti/Everett 1999). Hiernach befinden sich die Meinungsführer im Kern eines solchen Netzwerks, auf welchen aus der Peripherie her häufig verwiesen wird. Ebenso zeichnen sich Meinungsführer dadurch aus, dass sie zwar oft aufeinander verweisen, auf Knoten in der Peripherie hingegen jedoch sehr selten aufmerksam machen. Visualisiert mittels GAMs sieht die daraus resultierende Struktur aus wie in Abbildung 4 schematisch dargestellt. Unterschieden werden kann hierbei in eine binäre, kontinuierliche oder diskrete Aufteilung in Kern und Peripherie. In früheren Veröffentlichungen wurde zur Erkennung solcher Strukturen bereits eine Variante des sogenannten Core-Modells (Seidman 1983) vorgeschlagen, welche die hier interessierenden Strukturen des Kern-Peripherie-Modells im Normalfall sehr effizient erkennt (Obradovic/Baumann 2010): Ein k-Core ist nach Seidman definiert als der maximale Subgraph im Netzwerk, in welchem alle Knoten einen minimalen Knotengrad k haben. Ein Netzwerk zerfällt also nach diesem Modell in immer kleinere k-Cores bis hin zu einem Hauptkern. Abbildung 4c zeigt eine solche Aufteilung schematisch, mit einem Hauptkern bei einem minimalen Knotengrad von 5.
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Es lässt sich weiterhin zeigen, dass in zufälligen Netzwerken mit heterogener Knotengradverteilung der Hauptkern den Kriterien der MeinungsführerGruppe ideal entspricht, wenn für das Core-Modell nur eingehende Kanten berücksichtigt werden,. In den realen Datensätzen gilt dies auch für den französischen und den portugiesischen Datensatz, jedoch nicht für die restlichen vier Sprachräume. Abbildung 5 zeigt die Auswertung jeweils für jeden Sprachraum. Im französischen Datensatz findet sich im Vergleich zum Zufallsnetzwerk ein sehr viel kleinerer, aber auch sehr viel intensiverer Hauptkern und zwar mit k = 17 und 274 Blogs. Diese Gruppe erfüllt in besonderer Weise die strukturellen Eigenschaften, wie sie von der zugrundeliegenden Hypothese gefordert sind. In allen anderen Datensätzen zeigt sich der gleiche Verlauf. Es existieren kleinere und intensivere Kerne als nach Beobachtung der Zufallsnetzwerke zu erwarten gewesen wäre, weshalb eine gezielte derartige Strukturbildung um die Meinungsführer herum, weit über zufällige Muster hinaus, angenommen werden kann. So kommen die strukturellen Eigenschaften des Modells in den zufälligen Netzwerken jeweils sehr gut zum Vorschein. Sie sind ebenfalls in den realen Netzwerken zu beobachten, und zwar in einem kleineren, dafür aber intensiveren Kern. In manchen Fällen bilden jedoch auch große Cliquen den Hauptkern, welche als Gruppe zusammengehören, jedoch nicht viele Verweise aus der Peripherie erhalten, sondern relativ isoliert sind. Beispielsweise gibt es in Italien die Firma blogosfere.it, welche kommerziell 190 Blogs zu verschiedenen Themen betreibt. Diese sind innerhalb des italienischen Sprachraums nicht übermäßig populär, jedoch als Clique fast vollständig vernetzt. Dies führt zu einer Überschneidung mit dem CoreModell, da diese Gruppe einen Subgraphen darstellt, in welchem jeder Knoten mindestens den Knoteneingangsgrad 177 aufweist. Dieser Kern erfüllt aber nicht die Anforderungen des Kern-Peripherie-Modells. Dies ist grafisch vor allem daran zu erkennen, dass die Spalte dieser Gruppe im Vergleich zum Rest der GAM einen sehr hellen Grauton aufweist. Es fällt ebenso sofort auf, dass der Kern nach dem Modell von Borgatti und Everett nicht der Hauptkern mit k = 177 ist, sondern eher beim 9-Core zu finden ist.
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Abbildung 5: GAMs aller Core-Modelle
Quelle: Eigene Darstellung
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Ebenso sind im englischen Datensatz die geforderten Kriterien um den 38Core herum gegeben, nicht aber beim Hauptkern mit k = 108. Dies wiederum ist eine stark vernetzte Gruppe von ca. 700 weiblichen Bloggerinnen, den sogenannten „blogging chicks“, welche eine Linkliste betreiben. Diese nennen sie selbst „kollaborative Blogroll“, und jede Teilnehmerin wird von mindestens 108 andere Teilnehmerinnen verlinkt. Ein weiterer Teil dieser Gruppe ist offensichtlich im 72-Core zu finden. Der deutsche Datensatz hat nur eine geringe Auffälligkeit oberhalb des 9-Cores, wo sich eine kleine Gruppe mit leicht weniger eingehenden Verweisen befindet. Dies ist eine Gruppe von Blogs zum Thema Kochen, welche sehr gut vernetzt ist und eine große Beliebtheit innerhalb der deutschen Blogosphäre genießt, auch wenn diese etwas geringer ausfällt als die der Blogs im 9-Core, den tatsächlichen Meinungsführern. Im spanischen Datensatz zeigt sich ein sehr ähnliches Bild wie im englischen Datensatz. Es existieren zahlreiche dicht vernetzte Gruppen mit nur geringer Popularität. Die Erklärung hierfür ist sehr ähnlich zum italienischen Sprachraum, da einige Cliquen von kommerziell betriebenen Blogs existieren. An dieser Stelle wird schnell klar, dass lokale Gruppeneffekte und die Popularität von Meinungsführern parallel in der Netzwerkstruktur vorhanden sind und sich gegenseitig überlagern. Für eine fundierte Analyse müssen also beide strukturellen Phänomene analysiert werden, woraufhin eine differenzierte Zuordnung erfolgt. Tatsächlich lässt sich nach Bereinigung dieser Links innerhalb lokaler Gruppen in jedem Datensatz mit dem In-Core-Algorithmus diejenige Gruppe der Meinungsführer bestimmen, die auch dem Kern-Peripherie-Modell entspricht. Dies soll in den folgenden Abschnitten gezeigt werden.
4. G RUPPENBILDUNG UND S UBGRUPPENANALYSE Das Prinzip der Gruppenbildung ist ein zweites strukturelles Phänomen, welches in der Blogosphäre allgemein angenommen wird und ebenfalls in vorangegangenen Studien (Zhou/Davis 2006) bereits aufgezeigt wurde. Algorithmen zur Aufteilung von Netzwerken in verschiedene, lokal zusammengehörige Gruppen werden schon seit langer Zeit in der Wissenschaft erforscht. Eine gute aktuelle Übersicht über dieses Thema gibt beispielsweise Fortunato (2010). Dort ist eine Gruppe aus Netzwerksicht als ein
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Teilgraph definiert, der innerhalb seiner Konten im Vergleich zum Rest des Netzwerkes eine deutlich höhere Dichte aufweist. Diese relative Definition ist deutlich anspruchsvoller als die einfachen und eindeutigen klassischen Definitionen von Cliquen. Aufgrund der komplexen Strukturen in großen Netzwerken ist eine Erkennung von Gruppen und eine entsprechende Netzwerkaufteilung nicht immer einfach. Darüber hinaus sind die resultierenden Gruppen nicht immer auch sinnvoll. Bei ausführlichen Experimenten mit unseren Datensätzen (Rueger 2011) haben wir mit dem Algorithmus von Blondel (Blondel et al. 2008) sehr gute Ergebnisse erzielt und werden diese hier kurz vorstellen: Als erster Test für die Leistungsfähigkeit des Algorithmus diente hierbei unser Gesamtnetzwerk, in welchem der Algorithmus die gut voneinander abgegrenzten Sprachräume erkennen sollte. Bei fast einer Million Kanten sollte dies zudem möglichst schnell geschehen. Der Blondel-Algorithmus hat diese Aufgabe recht gut gelöst, wie man in der GAM in Abbildung 6 sehen kann. Es wurden zwar mehr als sechs Gruppen erkannt, jedoch enthalten die einzelnen Gruppen immer nur Blogs jeweils einer Sprache. Ordnet man die Gruppen passend nebeneinander an, so sieht man die Übereinstimmung dieser GAM mit der GAM aus Abbildung 3. Darüber hinaus ist erkennbar, dass die jeweiligen Sprachräume wiederum kohesive Gruppen enthalten. Wir werden deshalb exemplarisch einen Blick auf die ClusteringErgebnisse der einzelnen Sprachräume werfen und die Resultate diskutieren. In allen sechs Datensätzen finden sich viele gut abgrenzbare Gruppen. Nach genauerer Untersuchung lassen sich grundsätzlich zwei Arten von Gruppen unterscheiden, nämlich thematische und organisierte. Thematische Gruppen bilden sich auf Basis von ähnlichen thematischen Inhalten und durch gemeinsame Interessen, wie zum Beispiel Sport, Musik oder Politik. Die analytische Isolierung dieser thematischen Gruppen ist sehr kompliziert, da jedes Blogger-Mitglied auf verschiedene Blogs der Gruppe verweist. Hierdurch entsteht auch innerhalb dieser Gruppen eine gewisse Struktur von Kern und Peripherie, mit den populärsten Meinungsführern im Kern. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl von Blogs mit heterogenen Inhalten gefüllt sind, da ihre Autoren vielfältige Interessen vereinen und somit
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Abbildung 6: Clustering des Gesamtnetzwerks
Quelle: eigene Darstellung
durchaus mit mehreren thematischen Gruppen überdurchschnittlich gut vernetzt sein können. Dies lässt sowohl eine klare Zuordnung des betreffenden Blogs selbst als auch eine klare interne Abgrenzung der Gruppen nicht mehr zu. Weitaus einfacher liegt der Fall bei den Gruppen, die nicht wegen eines gemeinsamen Themas, sondern wegen anderer formaler Gemeinsamkeiten vernetzt sind, bspw. durch die gleiche Betreiberfirma. Hier existiert eine Verbindung zwischen allen Blogs der Gruppe, welche zu einer sehr homogen verteilten Gruppenstruktur führt. Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits die italienische Firma blogosfere.it erwähnt. Ähnliche redaktionell arbeitende Medienfirmen finden sich in Spanien. Eine Besonderheit im englischen Datensatz bildet die sogenannte „kollaborative Blogroll“ der bereits erwähnten„blogging chicks“. Im folgenden lege ich den Fokus auf die erste der hier vorgestellten Gruppen. Bei den thematischen Gruppen kristallisieren sich in allen Datensätzen große und starke Gruppen zu den Themen Politik heraus. Diese besitzen jeweils einen starken thematisch-nationalen Bezug. Ebenso populär sind
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Gruppen zum Thema Kultur im Allgemeinen sowie zu den Themen Musik und Kultur im weitesten Sinne. Eine komplexe thematische Gruppe bilden die Blogs zum Thema Internet und Technik. Diese sehr große, aber insgesamt heterogene Gruppe zerfällt in sehr viele, teilweise einander überlappende Splittergruppen. Die großen Blöcke beschäftigen sich mit Mobiltelefonen, Web-Programmierung, speziellen Betriebssystemen oder der Blogosphäre an sich. Eine Ausnahme bildete hier die thematische Gruppe „Kochen“. Im französischen, portugiesischen und deutschen Datensatz finden sich kleine, aber relativ gut definierte homogene Gruppen, welche sich mit dem Austausch von Rezepten sowie Erfahrungen mit Nahrungsmitteln und dem Prozess des Kochens beschäftigen. Klare Meinungsführer sind in diesen speziellen thematischen Gruppen nicht auszumachen. Abbildung 7 zeigt beispielhaft das Clustering des portugiesischen Datensatzes auf seiner gröbten Ebene. Tabelle 3 listet hierzu Kennwerte zur Kohesion und ein eventuelles gemeinAbbildung 7: Clustering des portugiesischen Netzwerks 1
2
1
2
3
4 5 6
Quelle: eigene Darstellung
3
4
5
6
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Tabelle 3: Eigenschaften der portugiesischen Cluster Cluster Blogs
Conductance
1
1181
2
189
3
1339
4
281
0,75 Persönliches
5
276
1,46 unspezifisch
6
415
1,63 unspezifisch
7
24
8
41
Thema
0,08 Blogging, Technology, Internet 0,12 Kulinarisches 0,25 Politik, Kultur, Persönliches
1,75 Politik 2,4 linke Politik
Quelle: eigene Darstellung
sames Thema der Blogs aus der jeweiligen Gruppe auf. Als Maß für die Kohäsion einer Gruppe wird hier die Conductance (Leskovec et al. 2009) benutzt, welche sehr simpel die Anzahl der eingehenden und ausgehenden Kanten durch die Anzahl der Kanten innerhalb der Gruppe dividiert. Ein Wert kleiner 1 deutet also auf eine sehr abgeschlossene Gruppe hin, ein Wert größer 1 auf eine Gruppe mit mehr Verbindungen nach außen. In unserem Ansatz haben wir mit statistischen Methoden der Textklassifikation charakteristische Stichwörter der einzelnen Gruppen extrahiert und dem menschlichen Analysten in Form einer Tag-Wolke, also einer Schlüsselwörterliste, zugänglich gemacht. Dies erleichtert oftmals das Einordnen bei thematischen Gruppen, ersetzt aber keine Prüfung. Außerdem erschwerte die Vielzahl an persönlichen Internet-Tagebüchern, welche sich oftmals mit vielen verschiedenen Themen beschäftigen und gerne auf Freunde und Bekannte verweisen, die Arbeit des Algorithmus und führte in der Konsequenz zu erkannten Gruppen, bei denen jedoch keine gemeinsame thematische oder organisatorische Grundlage erkennbar war.
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5. V ERBESSERTE E RKENNUNG DER K ERN -P ERIPHERIE -S TRUKTUR In Abschnitt 3 konnte gezeigt werden, dass der In-Core-Algorithmus oftmals eine gute Erkennung der Kern-Peripherie-Struktur leistet, aber im Falle von sehr kohäsiven Gruppen der resultierende Haupt-Core nicht den Kern des Netzwerks nach dem Kern-Peripherie-Modell darstellt. Darüber hinaus haben wir in Abschnitt 4 gesehen, dass sich strukturelle Gruppen in Netzwerken algorithmisch sehr gut und sehr effizient erkennen lassen. Nun liegt die Idee nahe, dieses Wissen um die vorhandenen Gruppen, welche beim Kern-Peripherie-Modell keine Rolle spielen sollten, zu nutzen, um den globalen Kern auch in solchen schwierigen Fällen von der Peripherie trennen zu können. Dies würde ein neues Verfahren liefern, mit welchem die Gruppe der Meinungsführer aus Netzwerksicht erstmals direkt und effizient detektiert werden kann. Hierzu gehen wir wie folgt vor: In einem ersten Schritt wird mit dem In-Core-Algorithmus versucht, den Kern zu erkennen. Offenbart das Maß der Core-Independency nach Obradovic und Baumann (2010), dass der Haupt-Core nicht der eigentliche Kern des Netzwerks ist, also eine Störung durch sehr kohäsive Gruppen vorliegt, erfolgt eine Bereinigung der Netzwerkstruktur. Hierfür werden mittels des Blondel-Algorithmus zuerst Gruppen identifiziert. Im Falle besonders kohäsiver Gruppen wird deren Gruppenstruktur herausgerechnet. Als guter Parameter für unsere Datensätze hat sich hier ein Conductance-Wert von unter 0,2 herausgestellt. In solchen Gruppen erfolgt nun eine Sparsification, also eine Ausdünnung der Links. Es werden zufällig Kanten entfernt, bis die lokale Dichte innerhalb der Gruppe der durchschnittlichen lokalen Dichte zum Rest des Netzwerkes entspricht. Veranschaulicht an einer GAM bedeutet dies eine Ausdünnung, bis der Farbwert im Diagonalfeld der Gruppe mit dem durchschnittlichen Farbwert der Zeile und Spalte der Gruppe übereinstimmt. Anders ausgedrückt entspricht dieser Vorgang einer Bereinigung, nach der alle Gruppenmitglieder genauso intensiv zu Knoten außerhalb der Gruppe verweisen wie zu Knoten innerhalb der Gruppe, d.h. die Gruppenstruktur ist komplett aufgehoben bzw. herausgefiltert.
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Abbildung 8: Erkannte Kern-Peripherie-Struktur im bereinigten italienischen Datensatz 9
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Quelle: eigene Darstellung
Danach wird auf dem bereinigten Netzwerk erneut der In-Core-Algorithmus benutzt, um den Kern von der Peripherie zu trennen. Dieses Vorgehen funktioniert sehr gut mit allen vier unserer problematischen Datensätze (es, fr, it, de). Abbildung 8 zeigt beispielhaft die erkannte Kern-PeripherieStruktur des italienischen Datensatzes nach einer solchen Bereinigung.
6. F AZIT Wir haben die beiden strukturellen Phänomene der Meinungsführerschaft und der Gruppenbildung exemplarisch anhand von Blog-Netzwerken in sechs verschiedenen Sprachen untersucht. Insgesamt ist festzustellen, dass
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die beiden Phänomene, deren Erkennung in der Literatur bisher immer als zwei getrennte Probleme betrachtet und bearbeitet wurden, sich in realen Daten sehr stark überlappen, die Identifizierung der jeweils anderen Struktur dementsprechend erschweren können und folglich eine kombinierte und differenzierte Analyse erfordern. Mit dem Werkzeug der Gruppen-Adjazenzmatrix haben wir eine Visualisierung vorgestellt, welche die Interpretation von gegebenen Gruppenaufteilungen in einem Netzwerk sehr intuitiv ermöglicht. Am Beispiel der Meinungsführerschaft konnten wir in Abschnitt 5 zeigen, wie das Wissen um die Gruppenbildung genutzt werden kann, um die Meinungsführer, also den Kern des Netzwerks nach dem Core-Peripherie-Modell, zuverlässig und effizient zu erkennen, selbst wenn sehr kohäsive Gruppen diese Erkennung ursprünglich massiv stören. Die Frage, inwieweit sich das Wissen um die globalen Meinungsführer, auf welche intensiv aus dem gesamten Netzwerk verwiesen wird, nunmehr nutzen lässt, um einzelne Gruppen zuverlässiger zu identifizieren, wird Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
L ITERATUR Barabasi, Albert/Albert Reka (1999): „Emergence of scaling in random networks“. In: Science286, S. 509-512. Blondel, Vincent/Guillaume Jean-Loup/Lambiotte Renaud/Lefebvre Etienne (2008): „Fast unfolding of communities in large networks“. In: Journal of Statistical Mechanics. Theory and Experiment 2008, 10, S. 7595. Borgatti, Stephen/Everett Martin (1999): „Models of core/periphery structures“. In: Social Networks 21, S. 375-395. Burt, Ronald (1999): „The social capital of opinion leaders“. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 566, S. 37-54. Chin, Alvin/Chignell Mark (2006): „A social hypertext model for finding community in blogs“. In: Proceedings of the seventeenth conference on hypertext and hypermedia, ACM. Delwiche, Aaron (2005): „Agenda-setting, opinion leadership, and the world of web logs“. In: First Monday 10, 12, S. 39-58.
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Jugendliche im Bann von Freundschaftsnetzwerken im Internet Eine kulturvergleichende Analyse von Freundschaftsstrukturen und Netzwerkpraktiken in Wien und Bangkok G ERIT G ÖTZENBRUCKER UND M ARGARITA K ÖHL
In einem seit Ende 2008 laufenden kulturübergreifenden ASEA Forschungsprojekt der Universität Wien in Kooperation mit der Silpakorn Universität Bangkok werden in unterschiedlichen Erhebungsschritten und mittels diverser Methodendesigns kulturübergreifende Effekte von Freundschaftsanbahnung und Beziehungsgestaltung in sozialen Netzwerken des Internet untersucht. Dabei stehen insbesondere Fragestellungen im Zentrum, die auf mögliche Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung sozialer Netzwerke und sozialen Kapitals von Jugendlichen abzielen und auf Zusammenhänge von Medien- und Technologienutzung sowie Lebensstile fokussieren. Debatten rund um die Globalisierung von Lebensstilen und Medienangeboten lassen sich an zwei Enden eines Kontinuums festmachen. Auf der einen Seite steht die dem Kultur-Imperialismus-Ansatz folgende Annahme, dass sich „westlich“ geprägte Medien und Neue Technologien (ebenso wie Essgewohnheiten, Musik- oder Kleidungsstile) in nicht-westliche Kulturen insofern einschreiben, als sie traditionelle Praktiken absorbieren und zu einer Homogenisierung der Konsum- und Lebenspraktiken führen (vgl. u.a. Ford/Philips 1999; Bernard/Schlaffer 2005) Andererseits lässt sich aber
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auch die These einer Erstarkung lokaler kultureller Ökonomien vertreten, die auf Neues mit Skepsis reagieren und versuchen, ihre religiös bestimmten Ursprungstraditionen und Werte aufrecht zu erhalten (Appadurai 1990: 160). Eine Synthese der beiden angeführten Thesen stellt das Konzept der Glokalisierung (Robertson, 1998) dar, das von einer Verschmelzung und Interpenetration von lokalen und globalen kulturellen Elementen ausgeht. Diesem Mittelweg, der im Sinne sogenannter „third culture(s)“ (Featherstone 1990: 2) in einer paradoxen Verschmelzung scheinbar unvereinbarer Aspekte zum Ausdruck kommt, folgt auch vorliegendes Projekt: Einerseits pflegt die thailändische Kultur generell einen Widerstandsgeist gegen äußere Einflüsse. So wurde das Land in seiner Geschichte beispielsweise nie von einer Kolonialmacht besetzt. Andererseits war es aufgrund seiner strategischen Bedeutung als Stützpunkt US-amerikanischer Soldaten (Patthaya) während des Vietnamkrieges westlichen Einflüssen ausgesetzt. So sehen auch thailändische Wissenschafter die Kultur-verschmelzenden Prozesse weder homogenisierend noch segregierend im Sinne eines „clash of cultures“ (Hongladarom 2000), sondern eher im Sinne einer „weak globalization“ (Friedman 1994: 202ff.) als wechselseitig, wobei vor allem die Identität und Lebensweise der Thais im Zentrum stehen. „Thainess“ im Sinne unverrückbarer Werte (Reynolds 1998) zeichnet sich beispielsweise in der Königsverehrung ab1, die sogar darin gipfelt, dass Majestätsbeleidigung strafrechtlich geahndet wird. Thainess wird gleichermaßen mit Unabhängigkeit – auch von globalen Einflüssen – assoziiert. Andererseits machen sich inzwischen v.a. im Fernsehsektor Einflüsse von westlich geprägten Castingshows und Wettbewerben breit, die eigentlich gegen das buddhistische Prinzip der Gleichheit und Bescheidenheit antreten. In jüngster Zeit verändert das Internet die Informationsflüsse und Kommunikationsgewohnheiten der thailändischen Bevölkerung. Obwohl im Jahr 2000 erst 2,1 Prozent der Bevölkerung online waren, sind es 2009 bereits 26,3 Prozent (Miniwatts Marketing Group 2010). Vor allem in städtischen Ballungsräumen wie Bangkok – unserem Untersuchungsfeld – ist die Internetpenetration sehr hoch, was dem Status der Stadt als „global media city“ zuzurechnen ist (Appadurai 1990). Als „Global City“ (vgl. Sassen 1996: 13) ist Bangkok nicht nur Zentrum und Steuerzentrale des Landes,
1
Hierunter fällt z.B. auch die Verehrung des „historischen Königs“ Chulalogkorn (vgl. Stengs 2005: 318).
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sondern auch Sitz von transnational operierenden Konzernen.2 Die Stadt fungiert somit als Sinnbild der Hybridisierung von Tradition und Moderne – eine ideologische Konstruktion, die als Referenzpunkt für die Konstruktion nationaler Identität herangezogen wird (Evers & Korff 2000: 89). Hongladaroms Analyse der thailändischen Internetpraxis hebt den Prozess der Kooptation des Internets durch die vorwiegend jugendlichen Nutzer hervor: „The Internet will perhaps serve the dual function of fostering global communication and global ties on the one hand, and strengthening local preferences and agenda on the other. [...] The Internet does not just globalize, but it does not just localize either“ (Hongladarom 2000: 6). Social Networking Services à la Facebook sind auch in Bangkok und anderen thailändischen Universitätsstädten sehr populär. Allerdings hat Thailand keine eigenen nationalen Angebote hervorgebracht (wie z.B. mixi in Japan oder StudiVZ in Deutschland), sondern Netzwerkseiten ausländischer Betreiber adoptiert, die in thailändischer Sprache vorliegen wie z.B. das amerikanische Hi5 (vgl. Swartz 2008). Im Jahr 2009 kamen noch 15,3 Prozent aller Hi5-User aus Thailand, welches in der Zugriffstatistik nach Mexiko auf Rang zwei aller nicht-englischsprachigen Hi5 Angebote rangierte (nach www.alexa.com vom 12.01.2010). Im Frühjahr 2010 wurde der thailändische Hi5-Dienst von Facebook überholt, was sich auch in der Befragtenstatistik unserer Studie abbildet: 68 Prozent benutzen Facebook, nur 32 Prozent Hi5. Noch immer legt Facebook ein atemberaubendes Wachstum vor; mittlerweise ist die Benutzerzahl auf ca. 620 Millionen im Februar 2011 angewachsen (Social Media Schweiz 2011). Der Dienst ist mittlerweile in 74 Sprachen verfügbar. Thailand war nach dem Start des FacebookDienstes im Frühjahr 2010 einer der am stärksten wachsenden Märkte für Facebook (www.checkfacebook.com). Mehr als 8,4 Millionen Thai nutzen nun Facebook, wobei mehr als die Hälfte jünger als 25 Jahre alt ist. Laut TRICAP (The Nation, 22.01.2009) sind junge Thais hauptsächlich an Sozialen Netzwerk-Diensten interessiert, um Kontakt mit Freunden zu halten, Informationen über Freunde zu bekommen und neue Freunde mit ähnlichen Interessen zu gewinnen. Zudem tauschen sie sehr gerne Erfahrungen und Fotos aus. Das Internet war vormals schon ein Ort, an dem Thai-Jugendliche gerne „abhängen“, um sanuk/Spaß zu haben, Gesprächs-
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Im Ranking des Global City Index 2010 nimmt es aktuell Platz 36 ein. Online unter: http://www.foreignpolicy.com/node/373401 (20.4.2011).
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partner3, Freunde oder auch eine/n Partner/in zu finden (Hongladarom 2000; Wattanasukchai 2007; Jaruhirunsakul 2010). So vereinfachen Soziale Netzwerk-Seiten das Prozedere des Kontaktaufbaus und -erhalts und ersetzen ältere Medien wie den Brief, aber auch die Email sowie Diskussionsoder Chat-Foren (Panmyametheekul/Herring 2003). Romantik und Partnersuche sind jedenfalls sehr starke Nutzungsmotive für die jugendlichen Thais, da sie hier der elterlichen Kontrolle entkommen und die von ihrer Familie arrangierte Partnerwahl abwenden können. Zudem unterstützen sie den durch das Karmaprinzip begründeten Glauben, dass wahre Liebe dem Zufall zu schulden ist. Vor diesem Hintergrund werden wir in diesem Kapitel folgenden Fragen nachgehen: •
• •
•
Welche kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Zuge der Nutzung sozialer Netzwerk-Dienste im Internet lassen sich zwischen den Jugendlichen in Wien und Bangkok beobachten? Was bedeuten Freundschaft, Glück und Zufriedenheit für Jugendliche in den beiden Kulturen? Zeigen sich (kulturbedingte) Unterschiede in den sozialen Netzwerken der Jugendlichen, etwa in der Zusammensetzung der Beziehungen und Beschaffenheit der Netzwerke? Lassen sich diese Phänomene valide mit den zur Verfügung stehenden, eher westlich geprägten Forschungsmethoden und Erhebungsinstrumenten erforschen?
1. K ULTUR UND S TRUKTUR IN S OZIALEN N ETZWERKEN 1.1 Kultur Soziale Netzwerk-Dienste werden von österreichischen Jugendlichen vorwiegend als Spielraum für die eigene Identität genutzt „um sich eine Art Selbstausdruck zu verschaffen“ und soziale Beziehungen zu erhalten (Knei-
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Im folgenden wird aus Gründen der Lesbarkeit die neutrale Schreibweise gewählt, wenn nicht dezidiert von den weiblichen Befragten die Rede ist.
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dinger 2010). Die Äußerungen in den Netzwerkprofilen von Jugendlichen haben jedoch nicht ausschließlich positive Konnotationen, sondern stellen u.a. problematische Formen der Selbstentblößung (Götzenbrucker 2011) bis hin zu Diskriminierungen und Mobbing dar. Diese prekären Ausdrucksformen können als jugendliche Distinktionspraxis im Sinne der freien Meinungsäußerung in westlichen, demokratischen Gesellschaften interpretiert werden und kommen in dieser Form in Thailand nicht vor. Die Jugendlichen dort pflegen ihre Netzwerkprofile ernsthaft und halten sie von jeglicher „Verunstaltung“ fern. Vielmehr zieren farbgewaltige Dekorationen sowie Selbstgestaltetes (Bilder, grafische Verzierungen, Gedichte etc.) die Profile und unterstützen das Prinzip der „Beautification“ (vgl. CornwelSmith/Goss 2006); schöne, geschmackvolle Dekoration soll eine Ehrerbietung an die Kommunikationspartner sein.4 Das vorliegende Projekt thematisiert ebensolche Fragen kultureller Identität, wobei Kultur die Gesamtheit von Lebensstilen und Lebensbedingungen meint, durch die Menschen ihrem Leben Sinn geben und die Ausdruck dessen sind, was sie sich von der Zukunft erhoffen (Hall 2002: 96). Kultur stellt somit einen Ort der Symbolproduktion und des Austauschs von Bedeutungen dar. Als Kulturen (im Plural) können aber auch Deutungsund Orientierungssysteme begriffen werden, die sich aus unterschiedlichen religiösen und traditionalen Quellen speisen. In diesem Sinne stehen Kulturen in Beziehung zu ihren religiös bestimmten Ursprungstraditionen, sind aber in sich so stark differenziert, dass sie weder Solidarität stiften, noch einheitliche Lebensformen hervorbringen. Im Falle Thailands ist der Buddhismus jene Ursprungstradition, die sich als ein Element in die gegenwärtigen Interpretationsmatrizen der Lebensrealitäten und soziokulturellen Milieus einfügt. Werden nun soziale Netzwerke in dieser Gesellschaft in den Blick genommen, so ist zu beachten, dass Beziehungen im traditionellen Thailand streng reglementiert sind und kaum Standes- oder Familiengrenzen überspringen. Den Kern der Ideologie des Thai way of life stellen in der MutterKind-Beziehung erworbene Muster und Grundhaltungen dar, die folgende
4
Die aufwendige Dekorationspraxis spiegelt zudem auch den Stellenwert von Anmut, Eleganz und Schönheit im buddhistischen Kanon wider: Strahlende Schönheit wird hier als Zeichen von legitimierter Macht interpretiert, eine Anschauung, die bis in die Gegenwart nachhallt (Van Esterik 2000: 156).
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Aspekte umfassen: „kreng-chai (combining inhibition and consideration), krengklua (awe, respectful fear), khraorop and napthu (to esteem and to respect), politness and obedience, recognition of khun (goodness that results in obligation) and katanyu (gratefulness)“ (Mulder 2000: 59). In dieser Beziehung manifestieren sich dominante Themen des thailändischen Wertekanons wie etwa Respekt und Folgsamkeit gegenüber Älteren, Vertrauen in ihre Weisheit und ihren Schutz sowie die Verpflichtung, erhaltene Gefälligkeiten zu erwidern. Das Prinzip von Verpflichtung und Reziprozität – bhun khun – regelt nicht nur persönlich-hierarchische bzw. familiäre, sondern vor allem auch formelle Beziehungen und stellt somit die Basis der Interaktion in Gruppen, Gemeinschaften und persönlichen Beziehungen dar.5 Die Grenze zwischen Innen- und Außenbeziehungen ist für die Organisation des thailändischen sozialen Lebens von größter Wichtigkeit: Innengerichtete Beziehungen sind durch vertrauensvolle Solidarität gekennzeichnet; Außenbeziehungen fußen auf Selbstorientierung und weisen keinen Verpflichtungscharakter auf. Von bhun khun-Erwartungen ausgenommen sind oberflächliche, freundschaftliche Beziehungen, die einen Gegenpol zu hierarchischen, ungleichen Beziehungen mit Verpflichtungscharakter darstellen: „Informality (khwam pen kann-eng) is perhaps the best word to describe these relationships that are free and without inhibition, and therefore direct and relaxed“ (Mulder 2000: 64). Die Rolle der Frauen in Beziehungen ist zudem sehr konservativ angelegt und widerspricht den Gleichstellungsgrundsätzen westlicher Gesellschaften (vgl. u.a. Barmé 2002 sowie Fangkaew 2002). Es erhebt sich nun die Frage, welche der angesprochenen traditionellen Werte (noch) maßgeblich für die heutige Jugend in Thailand und insbesondere in der Hauptstadt Bangkok sind, und welche Anknüpfungspunkte sich
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Diese Beziehungen können jedoch unterschiedliche Dimensionen aufweisen: Während die khuna-Dimension Beziehungen familiär-hierarchische und moralische bhun khun-Beziehungen umfasst, ist die decha-Dimension durch machtvolle Hierarchie, pragmatische bhun khun-Beziehungen gekennzeichnet. KhunaBeziehungen, in denen Solidarität und Vertrauen herrscht, gelten als ausschlaggebend für die Persönlichkeitsentwicklung, das Selbstwertgefühl und die Identitätskonstruktion. Typisch für die decha-Dimension sind machtvolle Hierarchie, pragmatische bhun khun-Beziehungen, Misstrauen und Unsicherheit, wodurch diese eher oberflächlich sind.
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in den Social Services des Internet finden, diese traditionelle Kultur zu pflegen oder sie weiter zu entwickeln. Werden „ausländische“ Internetangebote, -dienste sowie -inhalte eher mit Skepsis betrachtet, überformt oder einfach adoptiert und unhinterfragt in die aktuelle Lebensführung einbezogen? 1.2 Struktur Soziale Netzwerke sind im Gegensatz zu Gruppen keine stabilen Agglomerationen, sondern durch relationale Beziehungen geprägt, die sich flexibel in unterschiedlichen Dimensionen und sozialen Kontexten ausgestalten. Social Media des Internet unterstützen dabei weniger die engen Solidarbeziehungen, die noch immer vorzugsweise in face-to-face-Situationen gepflegt werden, sondern vordringlich lose Bindungen, die sich hauptsächlich aus ehemaligen Schul- und Studienkollegen, ehemaligen Nachbarn sowie aus losen Arbeits- und Freizeitkontakten zusammensetzen (maintaining social capital, vgl. Ellison et al. 2007). So kommt es in der westlichen Hemisphäre eher selten vor, dass gänzlich unbekannte Personen langfristig in diese privaten Netzwerke von Jugendlichen aufgenommen werden. Eher bilden Soziale Netzwerk-Dienste die bestehenden Freundschaften im Internet ab und stellen eine Möglichkeit dar, mit Menschen zu kommunizieren, die man bereits aus dem Alltag kennt (Leiner/Hohlfeld/Quiering 2010, vgl. auch Boase/Wellman 2004; Ellison et al. 2007; Leiner et al. 2010).6 Was sich Jugendliche von ihrem sozialen Netzwerk erwarten, wurde an westlichen Universitäten in den letzten Jahren eifrig untersucht: Studien belegen, dass es im Zuge der Ausgestaltung des eigenen Netzwerks gleichermaßen um Reputation wie Selbstwirksamkeit geht und die Beziehungen den sozialen Vergleich mit anderen Jugendlichen ermöglichen (sog. Praktiken von Zuschreibung und Deutung, vgl. Hollstein 2007: 54). Zudem erhoffen sich westliche Jugendliche Vorteile sowohl in Studium und Beruf sowie am Arbeitsmarkt und fühlen sich in ein „soziales Rauschen“ einge-
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Dieser Befund widerspricht dem gängigen Technikpessimismus, der eine Störung des „natürlichen Lebenswandels“ durch die neuen Interaktionsmöglichkeiten des Internets vorhersagt und vor Wertezerfall oder dem Verlust der Privatsphäre warnt (Christakis/Fowler 2010: 338, vgl. auch Jäckel/Fröhlich in diesem Band).
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bettet, das sie vor Einsamkeit schützt (vgl. u.a. Donath/Boyd 2004; Boyd 2006, 2008; Donath 2007; Ellison et al. 2009; Valenzuela 2009; Wächter 2009; Kneidinger 2010; Götzenbrucker 2011). Soziale Netzwerk-Dienste à la Facebook folgen einer speziellen Logik des Kontaktausbaus im Sinne des Homophilieprinzips (Lazarsfeld/Merton 1954; Wellman/Gulia 1999; McPhearson et al. 2001) und bilden sich v.a. in deren technischen Vorschlagsystemen ab: Die Nutzerinnen werden vom System gefragt, ob sie neue Kontakte knüpfen möchten, wobei ihnen bereits einige Kandidaten vorgeschlagen werden. Diese sind nach dem Ähnlichkeitsprinzip gewählt (z.B. selbe Schule, selber Ort, selbe Klasse oder selber Sportverein) und suggerieren: „Wenn du x kennst, solltest du y und z auch kennen“. So summieren sich hunderte sogenannter „Freundschaften“ rund um ein jugendliches Ego. Nach Aussagen von Jugendlichen wird es jedoch immer schwieriger, die Fülle von Anfragen in den Netzwerk-Diensten zu überblicken, und es wird als durchaus problematisch wahrgenommen, dass eine Freundschaftsanfrage nur angenommen oder abgelehnt werden kann – ohne Zwischentöne. Online-Bekanntschaften sind demnach kumulativ (Christakis/Fowler 2010: 349), zumal sie zur bestehenden Freundesliste hinzugefügt, aber nur selten wieder entfernt werden. Diese Hundertschaften an digitalen Freunden müssen jedoch nicht unbedingt soziale Beziehungen im Sinne von gewinnbringenden „weak ties“ (Granovetter 1982) sein. Nach dem Motto „more of the same“ summieren sich nämlich Akteure mit ähnlichen Profilen und Interessen und bringen kaum Mehrwert in das persönliche Netzwerk eines Jugendlichen ein. Als Mehrwert wären diverse Beziehungen einzustufen, die alternative Meinungen repräsentieren und so zu einer Erweiterung des Horizontes eines Akteurs beitragen. So kann mit Hilfe neuer Bekanntschaften – die nicht den „Kompatibilitätsanforderungen“ von Facebook entspringen – die Toleranz eines Akteurs gefördert oder die Fähigkeit entwickelt werden, andere Standpunkte einzunehmen und neue Perspektiven zu antizipieren. Auf der anderen Seite existieren enge Solidarbeziehungen mit hohen Unterstützungsleistungen („echte Freunde“), die für die Integration von Individuen in Gruppen, Gemeinschaften und in die Gesellschaft maßgeblich sind. Sie haben ihre Wurzeln großteils in der physischen Welt und müssen regelmäßig mittels persönlicher Kontakte gepflegt werden. Insofern haftet ihnen ein gewisser Verpflichtungscharakter an. Enge, homogene Solidarnetzwerke können demnach auch eine „dunkle Seite“ haben (Portes 1998),
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wenn sie nämlich die persönliche Freiheit und Lebensweise der Individuen einschränken und Solidaritäten für eine (z.B. ethnische) Gemeinschaft einfordern, deren Ertrag im Missverhältnis zu den eingesetzten sozialen Kosten steht. Die Basis enger Solidarbeziehungen bilden zumeist Verwandtschaft, enge Vertraute und Freunde. Befragte in Österreich und auch in Deutschland haben üblicherweise nicht mehr als drei bis sieben Personen in ihren engen Solidarnetzwerken und bis zu zehn Personen, die als gute Bekannte eher für „einfachere“ Beziehungsaktivitäten wie Ausgehen, einen Kinobesuch oder Hobbies herangezogen werden. Kontakte in Online-Netzwerken erfüllen eher die Funktion schwacher sozialer Bindungen (Leiner et al. 2010: 56). Westlichen Studienergebnissen zufolge haben Facebook-Freunde möglicherweise weder Unterstützungscharakter noch Erweiterungs- und Innovationspotenzial und lassen Jugendliche nicht über ihren eigenen Tellerrand hinausblicken. Zufällige Bekanntschaften oder die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden werden, je mehr Zeit Jugendliche für die Pflege sozialer Beziehungen in Freundschaftsnetzwerken des Internets aufwenden, zunehmend seltener.7
2. M ETHODEN -T RIANGULATION . A NALYSE DER N UTZUNGSPRAXEN , F REUNDSCHAFTSVERSTÄNDNISSE UND E GONETZWERKE Im Rahmen unserer Untersuchung wurden neben unterschiedlichen Selbstdarstellungspraktiken der Jugendlichen in Sozialen Netzwerk-Diensten des Internet, die qualitativ vor Ort in Bangkok und Wien erfragt wurden, auch deren persönliche soziale Beziehungen mittels Online-Befragung erhoben, da diese als Indikator für gesellschaftliche Integration und soziales Kapital gelten. Wellman (2001) zufolge können die Quellen sozialen Kapitals prinzipiell vielfältig sein und sowohl aus der Anzahl der Kontakte, der Art der Verbindung, der Beschaffenheit des Gesamtnetzwerks, Charakteristika der 7
Zu der Frage der potentiellen Größe und „Überschaubarkeit“ eines Ego-Netzwerkes vgl. auch Rau in diesem Band.
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individuellen Akteure oder der Ähnlichkeit der Akteure untereinander bestimmt werden. Dabei sind auch sehr komplexe Erhebungsverfahren wie z.B. Schneeballverfahren im Spiel, die nicht nur die direkten Kontakte von Ego erfassen, sondern auch alle Kontakte der zweiten Ebene – diejenigen der Alteri – mit einbeziehen (siehe Lazarsfeld/Menzel 1964 in der „Decatur“-Studie). Diese Analyseform ist erhebungstechnisch sehr aufwändig und wird vorrangig für die Erfassung relational-attributiver Informationen verwendet (z.B. Größe, Zusammensetzung oder Komplexität eines persönlichen Unterstützungsnetzwerkes, vgl. Trezzini 1998: 380). Die unmittelbaren sozialen Kontakte von Ego und deren Qualitäten hingegen lassen sich probat mit Hilfe von sog. Netzwerkgeneratoren erheben (vgl. etwa Schenk 1995: 96f.). So lassen sich z.B. die Qualität der Netzwerke von Internet-Spielern (Götzenbrucker 2001), Mitgliedern von Arbeitsteams (Götzenbrucker 2005) oder von Migranten analysieren (vgl. Gamper/Reschke 2010, Fuhse 2008). Ursprünglich im Zuge der sozialanthropologischen Urbanisierungsforschung entwickelt, erweist sich dieser auf der Ebene des einzelnen Akteurs angesiedelte Ansatz vor allem im Zuge der Erklärung von Diffusionsprozessen (z.B. technologischer Innovationen) oder dem Aufbau von Freundschaftsstrukturen als praktikabel. Ein egozentriertes Netzwerk umfasst den eingegrenzten Ausschnitt von Beziehungen einer zentralen Person im sozialen Umfeld, was bedeutet, dass Ego immer im Zentrum dieses persönlichen Beziehungsnetzes steht. Die Alteri/Beziehungspartner werden dabei mithilfe spezieller Fragetechniken in unterschiedlichen Dimensionen einzeln erfasst. Claude S. Fischer (1982) erarbeitete für eine Netzwerkstudie in Chicago einen ebensolchen sehr umfassenden Netzwerkgenerator, der bereits in zahlreichen Studien eingesetzt und mehreren Validierungen unterzogen wurde (vgl. Pfenning 1996; Schenk et al. 1992). So sind Vergleichsdaten aus mehreren Untersuchungen verfügbar. Kritisiert wird das Erhebungsinstrument aufgrund der zu hohen Ansprüche an Unterstützungsleistungen der freundschaftlichen Beziehungen und des Fehlens von engen, partnerschaftlichen Beziehungsdimensionen (Stegbauer 2008). Im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojektes wurden die Studienteilnehmer mittels eines modifizierten Fischer-Namensgenerators aufgefordert, auf jede der 15 gestellten Fragen alle zutreffenden Personen namentlich zu nennen resp. in ein Formular eines Internetfragebogens einzutippen. Jede Person wird namentlich zwar nur einmal, jedoch in drei unterschiedli-
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chen Dimensionen von sozialen Beziehungen erfasst: erstens der Dimension „Hilfestellung“, zweitens jener der „Vertrautheit“ und drittens in der Dimension „Geselligkeit“.8 Abb. 1: Adaption des Namensgenerators nach Fischer für die Online Befragung 2010 1. 2. 3. 4.
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Wer würde sich bei längerer Abwesenheit um deine persönlichen Sachen kümmern? (Hilfe) Mit wem besprichst du Studien- oder Arbeitsangelebenheiten, die dich persönlich betreffen? (Vertrauen) Wer pflegt dich, wenn du krank bist? (Hilfe) Mit wem bist du in den letzten zwei Monaten ausgegangen oder wurdest von ihm/ihr eingeladen (Kino, Essen, Ausgehen, Ausflüge etc.)? (Geselligkeit) Mit wem besprichst du persönliche Dinge und Sorgen? (Vertrauen) Mit wem sprichst du gewöhnlich über gemeinsame Hobbys oder Freizeitaktivitäten (Kino, Shopping, Sport etc.)? (Geselligkeit) Wen fragst du in wichtigen Dingen um Rat? (Vertrauen) Von wem würdest du dir eine größere Summe Geld leihen? (Hilfe) Mit welchen dieser Personen bist du regelmäßig via Internet in Kontakt (mind. drei mal pro Woche)? Wer ist ein Facebook- oder Hi5-Mitglied? Wer lebt im selben Haushalt? Wer ist ein engeres Familienmitglied (Mutter, Vater, Bruder, Schwester)? Welche Personen sind mit dir verwandt (Tante, Onkel, Cousin, Cousine)? Wer ist an derselben Universität, Fachhochschule, Kolleg etc.? Wer ist zwischen 18 und 25 Jahre alt?
Quelle: Eigene Darstellung
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In der Analyse werden die Nennungen aller Studienteilnehmer/Egos (mittels Faktorlösung) in diese drei Dimensionen aufgespalten, wobei der höchste Anteil neuer Nennungen (Primärnennungen) bei den Fragen zu Geselligkeit zu verzeichnen ist.
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Eine der möglichen Auswertungsoptionen des Namensgenerators ist die Feststellung von Netzwerkzusammensetzungen, sogenannte Multiplexitäten. Findet sich eine genannte Beziehung in nur einer der drei Dimensionen (Hilfe, Vertrautheit, Geselligkeit) wieder, so gilt sie als uniplex, d.h. eher schwach. Scheint sie in zwei Dimension auf, ist sie duplex, und wenn sie alle drei Dimensionen abdeckt, gilt sie als multiplex und sehr stark. Je höher die Multiplexität einer Beziehung, desto wichtiger (im Sinne von Unterstützungsleistungen) ist die betreffende Netzperson für Ego und desto stärker ist die Beziehung. Der Faktor „Vertrautheit“ hat die höchsten Assoziationsmaße und umfasst zumeist multiplexe Beziehungen; der Faktor „Geselligkeit“ hingegen erfasst den größten Teil der schwachen, uniplexen Beziehungen. Hinsichtlich der Anwendung des adaptierten Fischer-Netzwerkgenerators im Rahmen dieser kulturübergreifenden Forschungsarbeit ergaben sich weniger methodische Problemlagen als mit den anderen, in der Explorationsphase eingesetzten qualitativen Erhebungsinstrumenten. Die Ausfüllraten sind sowohl bei den befragten 380 Wienern als auch den 377 Studierenden aus Bangkok ähnlich hoch: Insgesamt nahmen 203 Wiener (53,4%) und 209 Thai Studierende (55,4%) an der Netzwerkbefragung teil. Der Netzwerk-Fragebogen knüpfte als zweiter, optionaler Fragebogenteil an den ersten Online-Befragungsteil an. Unter den Teilnehmern des NetzwerkFragebogens wurden drei iPod Shuffles verlost, was die Teilnahmebereitschaft eher erhöht hat. Für den Netzwerkgenerator waren im Durchschnitt ca. 15 Minuten Zeitaufwand zu kalkulieren. Adaptierungen waren im Vorfeld bei jenen Erhebungsinstrumenten nötig, die auf individualistisch ausgerichtete Kulturkreise zugeschnitten sind, insbesondere Gruppendiskussionen und qualitative Befragungen. Zum Einsatz kamen Gruppeninterviews, wobei sich hier die Erhebung von Einzelmeinungen bei den thailändischen Studierenden schwierig gestaltete. Als Grund dafür können „kultur-sensitive Kontexteffekte“ (Schwarz 2003: 99) angeführt werden: Kulturen in Ost-Asien räumen sozialer Empfindsamkeit, Harmonie in Beziehungen und Anpassung („fitting in“) eine hohe Priorität ein, wodurch dem eigenen Verhalten in der Öffentlichkeit sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Damit korrespondierend herrscht in traditionell kollektivistisch orientierten Gesellschaften wie der thailändischen (vgl. Mulder 2000) eine Kommunikationskultur, die hervorstechende oder gar oppositionelle Meinung einer Einzelperson als unpassend klassifiziert.
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Zudem erwies sich – trotz der Projekt-Arbeitssprache Englisch – laut Pretest die exakte sprachliche Übersetzung in Thai als wichtig für die Teilnahmebereitschaft an der Online-Befragung. Dies deckt sich mit Ergebnissen anderer Studien (vgl. Smith 2003: 70), die zeigen, dass der Vergleichbarkeit des Frage-Wordings bezogen auf den Fragenkorpus und die Antwort-Skalen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Aus diesem Grund wurden sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Erhebungsschritte von Muttersprachlern aus dem Englischen in die thailändische Sprache übersetzt. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass kulturbedingten Unterschieden im Antwortverhalten nicht nur durch eine adäquate sprachliche Übersetzung der Fragen und kulturell adaptierte Fragestellungen entsprochen werden muss, sondern weiterführend auch kognitive und kommunikative Modelle miteinbezogen werden müssen (Schwarz 2003: 100). Insgesamt wurde bei der Gestaltung der Befragung versucht, sowohl soziale als auch kognitive Prozesse zu beachten (Smith 2003: 91).9 2.1 Sample In der Explorationsphase der Studie wurden 25 persönliche Interviews mit Jugendlichen in Wien (n=8, je 4 weiblich und männlich) und Bangkok (n=17, davon 12 weiblich, 4 männlich, 1 Kathoey) durchgeführt. Ebenso wurde im Dezember/Januar 2009 an jeder der beteiligten Universitäten je eine Gruppendiskussion zum Thema „Selbstdarstellung, Soziale Netzwerke und Freundschaften im Internet“ veranstaltet. In Bangkok nahmen an diesem „Gruppeninterview“ zehn Studierende teil, in Wien waren es sieben Personen. Die Ergebnisse dieser ersten qualitativen Erhebungen flossen maßgeblich in die Konzeption der Online-Befragung ein, welche im Rahmen eines dreitägigen Workshops an der Universität Wien in Zusammenarbeit mit den beiden thailändischen Professorinnen Thapanee Thammatar und Wisa Chattiwat entwickelt wurde. Prinzipiell sind Thai-Studierende ebenso wie die Wiener an Online-Befragungen resp. quantitative Erhebungsinstrumente gewöhnt; sie geben insbesondere auch im Rahmen ihres Studiums regelmäßig in Online-Erhebungen Auskunft und legen die Prüfungen häufig in Form von Multiple Choice-Tests ab.
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Zur Problematik und Methodik etwa von Gruppenbefragungen in einem bestimmten kulturellen Kontext siehe z.B. auch Hauck/Schiffer in diesem Band.
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Der zweiteilige Online-Fragebogen fokussierte auf die bereits in den Interviews erhobenen möglichen Unterschiede und die Themenblöcke Freizeit- und Medieninteressen, Bedeutung von Freundschaft, Selbstdarstellungspraxis und Selbstwirksamkeit in Sozialen Netzwerken des Internet. Als Online-Befragungstool wurde Unipark (www.globalpark.at) gewählt, da sich mit diesem Instrument einerseits eine Befragung in thailändischer Sprache (Schrift) umsetzen ließ und andererseits die Software der Komplexität der Fragestellungen v.a. im Netzwerkgenerator gewachsen war. 10 Der Link zur Befragung wurde an der Universität Wien sowie der Silpakorn Universität Bangkok an die Studierenden ausgeschickt, wobei in Thailand auch ein Link auf die Homepage der TCU (Thailand Cyber University) gestellt wurde, um die Befragtenzahl zu erhöhen. Die Befragung wurde im März 2010 gestartet und nach drei Monaten beendet. Insgesamt beteiligten sich n=757 Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren an der Online-Befragung (Wien n=380; Bangkok n=377), wobei n=412 auch den Namensgenerator ausfüllten (Wien n=203 und Bangkok n=209). Diese Befragung sprach wesentlich mehr junge Frauen als Männer an. Insgesamt sind 76 Prozent der Befragten weiblich (in Wien 88%, in Bangkok 64%). Rund 72 Prozent der Thais wohnen bei den Eltern, jedoch nur 21 Prozent der Wiener, die am häufigsten in einer Wohngemeinschaft leben (60%). Die Jugendlichen in Bangkok bevorzugen Facebook vor Hi5 (68% zu 32%); die Wiener kannten Hi5 nicht, woraus eine 100prozentige Facebook-Mitgliedschaft des Wiener Samples resultiert. Die folgende Darstellung von (ausgewählten) Ergebnissen fokussiert auf das Verständnis von Freundschaft und die Ego-Netzwerke der Jugendlichen. 2.2 Zur Praxis des „Friending“ In der Online-Befragung wurde nicht nur die aktuelle Zahl der Freunde auf Facebook oder Hi5 abgefragt, sondern auch die Qualität dieser Freundschaften, also zum einen die persönliche, physische Bekanntheit der genannten Freunde, zum anderen die Kontaktfrequenz. Die thailändischen Jugendlichen nennen im Durchschnitt eine vergleichsweise sehr große Zahl
10 Dank an Mag. Nora Sells, Unipark Consultant, für die Umsetzung, das Datenhandling und die Auswertungshilfe.
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von 239 Freunden auf ihrer bevorzugten Social Network Site11, die Wiener „nur“ 172 (Eta-Quadrat ,045).12 Nach dem persönlichen Kontakt mit diesen Freunden gefragt, kehrt sich die Reihenfolge um: Die Wiener kennen 144 ihrer 172 genannten Freunde persönlich, von den 239 durchschnittlichen Thai-Freundschaften besteht jedoch nur zu 94 Personen eine persönliche Bekanntheit. Diese Unterschiede sind signifikant (Eta-Quadtrat ,100)13, ebnen sich jedoch wieder ein, wenn die Frage lautet: „Wie viele dieser genannten Freunde triffst du regelmäßig persönlich (mindestens einmal im Monat)?“ So nennen die Wiener 27 und die Thai-Jugendlichen 30 Freunde, mit denen sie regelmäßig auch physisch in Kontakt stehen. Hier gibt es keinen signifikanten Unterschied (s. Abb. 2). Diese Freundeszahlen sind – zumal sie Selbsteinschätzungen repräsentieren – als zu hoch einzustufen und gründen möglicherweise auf der Tatsache, dass sich auch viele Studienkollegen in diesen Netzwerken befinden, die v.a. im Freizeitkontext eine Rolle spielen und die bei genauerem Nachfragen (mit dem Namensgenerator) gar nicht benannt werden. Eine weitere Erklärung für die höheren Freundschaftszahlen bei den thailändischen Jugendlichen ist der Umstand, dass sie Freundschaftsanfragen seltener ablehnen (26%) als die Wiener (41%) und auch eher Freundschaftsanfragen von fremden Personen akzeptieren. Das deckt sich mit dem in den qualitativen Befragungen geschilderten „Miscalls Phänomen“: Mehrere Befragte beschrieben, dass sie sich schon auf Gespräche mit Unbekannten eingelassen haben, die durch häufige Nummerngleichheit bei Mobiltelefonen in Thailand zustande kommen. 23 Prozent der Thais stimmen zu, dass es nicht notwendig ist, einander vorher persönlich zu kennen, um als Kontakt aufgenommen zu werden.
11 Eine Befragung von Leiner et al. (2010) ergab einen Median von 90 Kontakten (zwischen 7 und 350 genannten Online-Freundschaften) in Deutschland. 12 Hierbei handelt es sich um ein getrimmtes Mittel: 5 Prozent der Fälle, die unwahrscheinlich hohe Freundeszahlen angaben, wurden ausgeschlossen. 13 Fast die Hälfte der Thais kennen bis zu 74 Freunde persönlich, aber 44 Prozent der Wiener kennen eine Zahl von 75 bis 149 Freunden persönlich.
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Abb. 2: Anzahl der genannten Freunde auf die Fragen nach 1. Kennen, 2. persönlicher Bekanntheit und 3. persönlichem, regelmäßigen Treffen.
Quelle: Eigene Darstellung
Wenn es noch dazu ein Freund eines Freundes ist, nähmen jedenfalls 63 Prozent die Freundschaftsanfrage an. Hingegen würden nur 32 Prozent der Wiener positiv auf eine solche Anfrage reagieren. Es genügt vielen Thais auch, dieselben Interessen zu haben (37%) oder von derselben Schule/Universität zu stammen (66%), um unbekannterweise in einen Online-Freundeskreis aufgenommen zu werden. Die Wiener sehen dies strenger und würden bei Interessensgleichheit nur zu 4 Prozent und Zugehörigkeit zur selben Universität nur zu 11 Prozent eine Freundschaftsanfrage auf Facebook annehmen. Die Frage nach der Bedeutung von Freundschaft verweist ebenfalls auf grundlegende Unterschiede zwischen den Befragtengruppen in den beiden Ländern (siehe Tabelle 1): Während den Jugendlichen aus Bangkok im Mittel vor allem das wechselseitige Verständnis („Gegenseitigkeit“) und „Hilfestellung“ in einer Freundschaft wichtig sind, so betonen die Österreicher die Werte „Vertrauen“ und „persönliche Bekanntheit“. Einig sind sich
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Tabelle 1: Ranking von acht Items zur Beschreibung der Bedeutung von Freundschaft (1= am Wichtigsten bis 8= am Unwichtigsten) Wien Vertrauen persönliche, realweltliche Beziehung Gegenseitigkeit Austausch intimer Gedanken und Gefühle einander helfen in alltäglichen Situationen unbegrenzte Dauer
Mittel 2,1 2,8
Ähnlichkeit des/r Freundes/in mit mir den selben Freundeskreis zu haben
5,8
3,7 4,1 4.3 5,4
7,7
Bangkok Gegenseitigkeit einander helfen in alltäglichen Situationen Vertrauen persönliche, realweltliche Beziehung unbegrenzte Dauer Austausch intimer Gedanken und Gefühle Ähnlichkeit des/r Freundes/in mit mir den selben Freundeskreis zu haben
Mittel 2,7 3,3 3,4 4,3 4,8 5,1 5,7 6,6
Quelle: Eigene Darstellung
die beiden Befragtengruppen jedoch, dass es im Mittel weniger wichtig ist, einander ähnlich zu sein und denselben Freundeskreis zu haben.14 2.3 Egonetzwerke im Vergleich Neben den sozialen Beziehungen im World Wide Web wurde im Rahmen der Online-Befragung auch eine allgemeine egozentrierte Netzwerkanalyse durchgeführt, die als zweiter, ca. 15minütiger Fragebogen-Teil von n=203 Wienern und n=209 Jugendlichen aus Bangkok ausgefüllt wurde. Die 203 Wiener benannten insgesamt 1979 Beziehungen, die 209 Thais mit 1464 etwas weniger soziale Beziehungen insgesamt. Dies ergibt eine durchschnittliche Netzwerkgröße der Wiener von 9,7 sozialen Beziehungen, und die Jugendlichen aus Bangkok kommen auf durchschnittlich 7 soziale Beziehungen in ihren Ego-Netzwerken. Dies ist insofern interessant, als in den offenen Fragen des Erhebungsinstrumentes (1. Befragungsteil) ungestützt nach der Zahl der Freunde aus ihren Facebook- und Hi5-Diensten gefragt wurde. Hier wurden wesentlich 14 Ranking von acht Items (1= am Wichtigsten bis 8= am Unwichtigsten) Alle Mittelwertunterschiede sind hochsignifikant (ANOVA), außer „Ähnlichkeit des/r Freude/s mit mir“.
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höhere Freundeszahlen genannt, nämlich 27 Freunde auf Wiener und 30 auf Thai-Seite. Es ist zu vermuten, dass die geringe Netzwerkgröße der OnlineErhebungsmethode zu schulden ist, zumal auch in vorhergehenden Studien mit persönlichen Befragungssituationen wesentlich größere Ego-Netzwerke in Österreich erhoben wurden – z.B. durchschnittlich 17,5 Kontakte von jugendlichen Online-Spielern (Götzenbrucker 2001) oder 17 in einem Mobilfunkunternehmen (Götzenbrucker 2005). Die Befragten nehmen sich online höchstwahrscheinlich weniger Zeit als in der Interviewsituation, in denen die Zeitstruktur von der Interviewerin vorgegeben wird, und klicken die Boxen zügig durch.15 Eine weitere Erklärungsvariante ist, dass diese Jugendlichen erst am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen und noch kein großes Bedürfnis nach dem Aufbau von Sozialkapital besteht (siehe auch Leiner et al. 2010: 57). Die Komplexität der Ego-Netzwerke gestaltet sich ebenfalls unterschiedlich: Die Wiener haben signifikant mehr Freunde in den Kategorien „duplex“ und „multiplex“ (s. Tabelle 2). Als multiplex gelten Kontakte, die sowohl die Dimension Hilfe als auch Vertrauen und Geselligkeit umfassen und somit als enge Freundschaften zu werten sind. 3,6 Freunde der Wiener sind als duplex zu bezeichnen, und 4,3 Freunde fallen in die Kategorie multiplex. Durchschnittlich nur 1,8 Freunde sind nur einer der drei Dimensionen zuzuordnen und somit uniplex. Bei den Jugendlichen in Bangkok ist dieser uniplexe Anteil mit 2,4 Freunden im Durchschnitt wesentlich höher. Ebenso sind die duplexen Beziehungen mit 2,4 und die multiplexen Beziehungen mit 2,2 wesentlich geringer als bei den Wienern. Die erste Frage des Namensgenerators („Wer würde sich bei längerer Abwesenheit um deine persönlichen Sachen kümmern?“) wird von den Wienern mit 4,96 Namensnennungen beantwortet, von den Thais mit nur durchschnittlich 2,11 Namen. Dies ist auch insofern interessant, als ein Großteil der Thais noch zu Hause bei der Familie wohnt, die Wiener hingegen mehrheitlich in Wohngemeinschaften leben. Den höchsten Wert bei den Wienern generieren die Fragen 4 und 6 (Geselligkeits-Items) mit je 6,12 genannten Namen. Bei den Jugendlichen aus Bangkok führen diese beiden Fragen interessanter Weise nicht zu besonders hohen Nennungen (3,33 und 3,59; siehe Tabelle 3 und Abbildungen 3). Im Mittelwertver-
15 Zu den Unterschieden zwischen digitalen und nicht-digtialen Erhebungsverfahren siehe auch Herz/Gamper in diesen Band.
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gleich Bangkok-Wien sind alle Fragen bis auf Nr. 3 „Wer pflegt dich, wenn du krank bis?“ hoch signifikant. Die Gruppe zwischen 18-22 Jahren hat mehr multiplexe Kontakte. In Wien sind es 42,1 Prozent multiplexe Kontakte gegenüber 40,6 Prozent bei den älteren Jugendlichen (23-25 Jahre). In Bangkok haben die Jüngeren 23,4 Prozent multiplexe Kontakte gegenüber 19,5 Prozent bei den 2325Jährigen (siehe Tabelle 4). Tabelle 2: Anzahl der genannten Freunde, die in nur einer (uniplex), in zwei (duplex) oder in allen drei Dimensionen (Hilfe, Vertrauen und Geselligkeit) vorkommen Anzahl der Freunde Wien Bangkok
Summe UNIPLEX 546 725
Summe DUPLEX 618 412
Summe MULTIPLEX 815 327
GESAMT 1979 1464
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 3: Freundschaften und deren Multiplexitäten im Vergleich WienBangkok (in %)
Quelle: Eigene Darstellung
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Tabelle 3: Mittelwertvergleich der Freundschaftsdimensionen Anzahl NW 1 (hilfe1) Sprache Deutsch Mittelwert N Thai Mittelwert N Gesamt Mittelwert N
Anzahl NW 2 (vertrauen1)
Anzahl NW 3 (hilfe2)
4,96 203
5,43 203
2,72 203
2,11 209
3,18 209
3,51 412
4,29 412
Anzahl NW 4 (geselligkeit1)
Anzahl NW 5 (vertrauen2)
Anzahl NW 6 (geselligkeit2)
Anzahl NW 7 (vertrauen3)
Anzahl NW 8 (hilfe3)
6,12 203
5,03 203
6,12 203
3,97 203
3,05 203
2,33 209
3,33 209
2,15 209
2,59 209
2,56 209
1,62 209
2,52 412
4,70 412
3,57 412
4,33 412
3,25 412
2,33 412
Für die Namensgeneratoren vgl. Abb.1, Fragen 1-8 Quelle: Eigene Darstellung
Tabelle 4: Beziehungskomplexitäten nach Alter im Städtevergleich (in %) Jugendliche
Summe UNIPLEX
Summe DUPLEX
Summe MULTIPLEX
Wien 18-22 Jahre
27,20%
30,71%
42,09%
Wien 23-25 Jahre
26,52%
32,93%
40,55%
Bangkok 18-22 Jahre
48,68%
27,99%
23,34%
Bangkok 23-25 Jahre
51,78%
28,77%
19,45%
Quelle: Eigene Darstellung
Tabelle 5: Beziehungskomplexitäten von Facebook/H5-Mitgliedschaften im Städtevergleich Anzahl der Freunde Wien Bangkok
318
426
585
1329
Anteil von Gesamtanzahl 67,16%
320
228
174
722
49,32%
Summe Summe Summe UNIPLEX DUPLEX MULTIPLEX
GESAMT
Quelle: Eigene Darstellung
Ein weiterer signifikanter Unterschied zwischen den österreichischen und thailändischen Jugendlichen zeigt sich hinsichtlich der Anzahl der Freunde, die auch auf Facebook oder Hi5 zu ihren Freunden gehören (siehe Tabelle 5). Zum einen sind 67 Prozent der von den Wienern genannten Kontakte auch in deren Facebook-Freundesliste vertreten; bei den Jugendlichen aus Bangkok sind dies nur 49 Prozent. Zum zweiten ergeben sich signifikante
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Unterschiede, wenn deren Beziehungsqualität duplex oder multiplex ist: Hier haben die Wiener signifikant mehr Freunde im Durchschnitt in beiden Sektoren.
3. I NTERPRETATION DER E RGEBNISSE . S AME SAME BUT DIFFERENT ... Erklären lassen sich die Unterschiede bezüglich der Abweichungen in der Komplexität der Ego-Netzwerke auf verschiedenen Ebenen, wobei als gemeinsame Klammer die Kulturabhängigkeit von sozialen Beziehungen, Netzwerken und sozialem Kapital fungiert. Dass der Anteil der duplexen und multiplexen Beziehungen in den EgoNetzwerken der thailändischen Jugendlichen geringer ist, verweist auf die generell striktere Trennung zwischen innengerichteten und außengerichteten Beziehungen. Die durchschnittlich geringere Netzwerkgröße kann auch dadurch begründet sein, dass die thailändischen Jugendlichen weniger Personen zu ihren innengerichteten Beziehungen zählen, während die Repräsentanten der außengerichteten Beziehungen, die auch als Geselligkeitsbeziehungen beschrieben werden können, nicht immer namentlich bekannt sind. Oft sind dies ganze Seminarklassen oder diverse Studierende vom Campus. Dementsprechend nannten die thailändischen Befragten bei den Fragen zur Dimension „Geselligkeit“ möglicherweise weniger Personen namentlich. Hier hätte eine Erweiterung des Netzwerkgenerators bezüglich der Erfassung von „Gruppen“ (als eine kognitiven Stelle) geholfen, diese speziellen – sehr locker geknüpften – Konstellationen zu erfassen und in die Auswertung einzubeziehen. Für die thailändischen Jugendlichen scheint sich das bhun khun-Prinzip von Verpflichtung und Reziprozität in engen, freundschaftlichen Beziehungen fortzuschreiben, denn „Gegenseitigkeit“ und „Hilfestellung“ rangiert für sie an erster Stelle, wenn sie nach der Bedeutung von Freundschaft gefragt werden. Im Unterschied zu diesem eher von traditionellen Normen und Werten geprägten Verständnis von Freundschaft, repräsentieren „Freundschaften“ auf sozialen Netzwerkseiten eher „khwam pen kann-eng“ (Mulder 2000: 64), also informelle, entspannte Beziehungen, in denen Selbstausdruck oberflächlich und gleichzeitig enthemmt möglich ist. Das Verhalten in Online-Umgebungen wie Facebook folgt in diesem Sinne den
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Regeln der Informalität, repräsentiert durch sanuk – das thailändische Wort für Spaß –, der als Gegenpol zur sozialen Interaktion in stark hierarchischen Strukturen für Thais von besonderer Bedeutung ist. Räume, in denen sanuk erlebt werden kann, sind also auch als „third places“ im Sinne Oldenburgs (1999) zu verstehen: Plätze (wie Kaffeehäuser oder Clubs etc.), an denen sich Menschen an der Gesellschaft anderer erfreuen können. Nach Soukup (2006: 13) gilt eine Online-Umgebung erst dann als „viable virtual third place“, wenn die Faktoren Zugänglichkeit, lokaler Bezug und Präsenz gegeben sind. Obwohl Social Networking Sites prinzipiell Kommunikation über geographische Grenzen hinaus ermöglichen, ist dennoch an den Befragungsergebnissen erkennbar, dass ein starker lokaler Bezug gegeben ist. Viele der genannten Freundschaftsbeziehungen sind auch persönlich bekannt. Die Zugänglichkeit verbessert sich zunehmend durch den Einsatz von mobilem Internet, und Präsenz im Sinne eines Gefühls von Anwesenheit wird durch die aufwendigen Lebensdokumentationen in Form von Bildern, Tagebüchern, Wall-Einträgen sowie das „soziale Rauschen“ durch Statusmeldungen und Updates hergestellt. Die österreichischen Jugendlichen haben, wie auch Jugendliche in Deutschland (vgl. u.a. Götzenbrucker 2011, Leiner et al. 2010), teilweise andere Erwartungen in die Ausgestaltung ihrer sozialen Netzwerke im Internet. Neben den Spaß-Motiven sind es auch zunehmend sozialer Nutzen und soziale Integriertheit, die sie zum „Netzwerken“ treiben: Vorteile in Studium und Beruf, insbesondere bei der Jobsuche (vgl. Quan Haase/Wellman 2002), liegen auf der Hand und werden eher im Sinne von (jederzeit aktivierbarem) sozialem Kapital wahrgenommen. So sehen westliche Jugendliche es als selbstverständlich an, dass reziproke Investitionen in Beziehungen notwendig sind und zumindest kleine Gefälligkeiten ausgetauscht werden. Das macht die sozialen Netzwerke auch weniger beliebig: Die befragten Wiener kennen signifikant mehr Online-Freunde auch in einem persönlichen Zusammenhang. Auch Leiner et al. (2010) wiesen nach, dass sich auch die Online-Netzwerke von deutschen Jugendlichen sehr stark mit ihren persönlichen, physischen Bekanntschaften decken. Die offenbar größere Aufgeschlossenheit der thailändischen Jugendlichen, online mit Fremden Kontakt aufzunehmen, lässt sich einerseits dahingehend interpretieren, dass hier – dem Karmaprinzip folgend – die Hoffnung vorherrscht, den Seelenpartner schicksalhaft zu treffen (Jaruhirunsakul 2010). Andererseits kann diese Bereitschaft auch im Sinne der Disinhi-
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bitionsthese (Döring 2003: 155) als Resultat von Enthemmungseffekten in Online-Umgebungen gedeutet werden. Letzteres würde darauf hinweisen, dass sich diese Freiheitsgrade resp. Neuigkeitseffekte der Technologie (Enthemmung und Entkonventionalisierung durch Pseudonymität, ständige Erreichbarkeit, Transparenz des eigenen Lebens mittels life logging etc.) ebenso wie in westlichen Industrienationen nach einigen Jahren des sozialen Gebrauchs und mit steigender Media Literacy abnutzen und zu einem emanzipierten Gebrauch führen.
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JUGENDLICHE IM BANN VON FREUNDSCHAFTSNETZWERKEN IM INTERNET | 213
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Kulturanthropologie
Innovative Use of Social Network Analysis in Cultural Anthropology C HRISTOPHER M C C ARTY AND J OSÉ L UIS M OLINA
1. A B RIEF H ISTORY OF S OCIAL N ETWORKS IN ANTHROPOLOGY Over the past ten years the application of social network analysis to a variety of fields has mushroomed. While most of those who study this field would typically associate its origins with sociology, those who study the history of this approach know that it has been used in cultural anthropology for nearly the same amount of time (Freeman 2004). Indeed, one can view the development of modern day social network analysis as the merging of two independent traditions (see Figure 1). The sociological tradition can be traced back to the groundbreaking work of Jacob Moreno who analyzed the interactions among school children, communities and other groups (Moreno, 1934) with the aid of graphs. Moreno described this approach as „Sociometry“ and in the years since that groundbreaking work he set out many of the fundamental concepts of social network analysis. The work by Moreno influenced both the anthropologist of the Manchester School and, later, American sociologists from the University of Harvard unsatisfied with the functionalist theory. These sociologists were interested in the study of empirical social interactions and emergent social structures. The seminal articles by Harrison C. White and his students (Social Structure from Multiple Networks I–II, 1976) represented the take-off of the social network analysis as we know it today.
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Figure 1: Two branches in the development of social network analysis
$QWKURSRORJ\ 0RUHQR
5HGFOLIIH%URZQ1DGHO *OXFNPDQ0LWFKHOO%RWW%DUQHV .DSIHUHU(SVWHLQ%RLVVHYDLQ :DUQHU&KDSSHO
&ROHPDQ+:KLWH+DUDU\ )UHHPDQURJHUV'DYLV /RUUDLQH
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,161$ Source: Own visualization
Among these two periods the network perspective was present in different contributions ranging from the sociology of organizations (Roethlisberger/Dickerson 1939), anthropological studies on social stratification (Warner 1963, Davis et al. 1941), cognitive balance (Heider 1958), and mathematical applications of graph theory to social research problems (Harary and Norman, 1963), among others. Social network analysis in sociology continued to grow until the present day particularly with the application of survey research and social theoretical models (see for instance Granovetter 1973; Burt 1982, 1992; Wellman/Berkowitz 1988; Wellman 1979, 1999; Watts 1999). Eventually, the field has experienced a great development thanks to the collaboration with Computer scientists and Physics and the availability of huge amounts of data coming from the Social Network Sites. Social network analysis in anthropology is typically traced back to A.R Radcliffe Brown‘s (1940) presidential address to the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland where he described social structure as a complex network of social relations. Disillusioned with the concept of culture as inflexible, Radcliffe Brown wanted to put emphasis on social relations themselves which unlike culture could be observed and measured directly. One of the early innovators in the application of social network
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analysis in anthropology was Max Gluckman who was influenced by Radcliffe Brown and focused on observing social relations in his work as director of the Rhodes-Livingstone Institute in Northern Rhodesia from 1939 to 1947. Gluckman worked with several students in the field sending them to all corners of Rhodesia with a focus on the extended case method approach. In 1949 Gluckman founded the Manchester School which was widely recognized as the crucible from which anthropological social network analysis rose.Anthropologists of the Manchester School made enormous contributions in developing some of the fundamental metrics of social network analysis (e.g. reachability, density). Among the most influential scholars were J. Clyde Mitchell (social structure in Central Africa, 1969), John Barnes (decision-making in Norway, 1954), Elizabeth Bott (marriage and kinship in London, 1957), Bruce Kapferer (conflict in Zambian factories, 1972), Arnold L. Epstein (norms and social situations in Zambia, 1969), and Jeremy Boissevain (kinship and personal networks in Malta, 1974). While social network analysis flourished in British anthropology through the 1960s, this thread never made its way to American anthropology. By 1970 the Manchester School had stagnated. In his brief article Network Analysis: A Reappraisal (1979), Boissevain points out some of the reasons why social network analysis failed to take off among American anthropologists. Among others the methods were becoming extremely complex, and often required a fundamental knowledge of math and computer programming skills. These skills were not common among American anthropologists. The field of social network analysis increasingly became a community of experts who could only talk to each other. Most of those studying social networks were much more affiliated with their professional identity as social network analysts than their traditional disciplines. This was particularly true for those few anthropologists involved in the field. Social network analysis was dominated by sociologists in the 1970s and 1980s. In 1971 Lin Freeman started the journal Social Networks, and in 1977 Barry Wellman organized the International Network for Social Network Analysis (INSNA). In 1981 two anthropologists active in the field, H. Russell Bernard and Al Wolfe, organized the first INSNA conference, the Sunbelt Social Network Conference. This first meeting brought together in one venue the two traditions depicted in Figure 1. In 1987 Steve Borgatti, who had studied social networks and anthropology at the University of California at Irvine created Anthropac, a set of data collection and analysis
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routines useful to quantitatively oriented cognitive anthropologists. In 1988 Borgatti, Freeman and their colleague Martin Everett created the first version of UCINET, the first social network analysis package and the most widely used package today. During the 1980s and 1990s there were significant methodological and theoretical advancements in the field of social network analysis. All of these were quantitative and required a certain level of statistical and mathematical expertise to be accessible. Some quantitatively inclined anthropologists such as Bernard, Wolfe, Jeff Johnson, James Boster, John Boyd, Thomas Schweizer and Doug White made major contributions to the field. But anthropology as a field, and particularly American anthropology, turned decidedly anti-science. Due to the influence of post-modernist philosophers most anthropologists rebelled against attempts to turn people into numbers. According to them, this is precisely what social network analysis does, but the combination of this aversion to quantification with the lack of methodological training in the field of anthropology resulted in very little influence in the field – that is, until the late 1990s and 2000s. Those anthropologists who used social network analysis tended to publish their results in non-anthropology journals. A turning point for the use of social networks in anthropology began in 1987 when H. Russell Bernard and Bert Pelto started a methods camp to give anthropologists training in quantitative methods and research design that they lacked in their graduate training. This methods camp, sponsored by the National Science Foundation, included modules in social network analysis. This was followed by the creation of the journal Cultural Anthropology Method by Bernard in 1989 which later became the journal Field Methods. Today, the journal ranks 22nd in impact factor among anthropology journals (the journal Social Networks ranks 10th). In 1996 Jeff Johnson expanded the teaching program to include graduate students. In 2006 the program expanded to conduct workshops at the American Anthropological Association and the Society for Applied Anthropology annual meetings. In 2005 a group of scientifically oriented anthropologists formed the Society for the Anthropological Sciences (SASci). As of this writing these programs have led to a renewed interest in quantification and increasingly the application of social network analysis to anthropological research. Anthropologists now use social network approaches to operationalize existing theories or as variables to test theories.
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Some have argued that social network analysis is now its own discipline and no longer just a set of methods (Borgatti et al. 2009). Like many disciplines, anthropology is attempting to maintain its identity as other disciplines address many of the substantive areas of anthropology and even use its most fundamental methods, such as ethnography. This has led to some innovative approaches to the study of anthropology that rely on new methods.
2. I NNOVATIVE
METHODS
We see four broad categories of innovative techniques that use social networks in anthropology today.1 These are: 1. 2. 3. 4.
combining anthropological methods with social network methods, using social network analysis to collect data, using social network analysis to operationalize anthropological concepts, and anthropologists studying non-traditional topics.
In the remainder of this article we will provide examples from each. 2.1 Combining anthropological methods with social network methods In any field one of the most obvious ways to create a new method is by combining two existing methods. An excellent example of this is the combination of social network analysis with cultural consensus analysis. While social network analysis focuses on the patterns of interactions between a set of actors, cultural consensus analysis (CSA) tests whether members of a culture share a consistent domain of knowledge about a topic (Romney et al. 1986, Weller 2007). If there is a consistent consensus of beliefs surrounding a particular topic, then the assumption is there is an answer key to a set of questions surrounding the topic.
1
See also Schnegg (2010) in the first Volume of Nodes and Edges.
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Hopkins (2011) examined whether there was a consistent domain of knowledge concerning plant remedies in a Mexican community. She asked a subset of community members to freelist common ailments and combinations of plants and the procedures for preparing them that would cure or alleviate the ailment. She picked the most common responses and turned those into a set of questions that every adult member of the village answered. For example, villagers were asked whether yerba buena is a cure for an upset stomach. CSA suggests that if there is a culture of agreement then there is a right answer to this question. CSA provides a measure of the extent to which there is agreement about the answers and who the experts are. Each respondent to the CSA study would get a score measuring their level of competence, essentially the extent to which they agree with the group as a whole. Hopkins also conducted a whole network analysis of the village asking each adult about their interaction with all other adults regarding remedies. Her hypothesis was that competency about medicinal plants would be related to social position within the village; those more central would tend to have higher competence because they would be exposed to a wider diversity of knowledge and therefore have a better opportunity to agree. This turned out to be true, although social position and competence were also strongly associated with age. Older people tended to be very central and highly competent. By combining social network analysis with cultural consensus analysis Hopkins utilized a new method that allowed her to study the relationship between social position and cultural knowledge. This approach is useful when the research question has anything to do with social influence. When using whole networks the research question is how knowledge is related to social position. When using personal networks one might examine how knowledge is related to attributes of the social context of an individual. 2 2.2 Using social network analysis to collect data Social networks can be used to generate data that would otherwise be difficult to collect. McCarty et al (2007) describe the use of network visualiza-
2
For similar approaches and research questions see also the contributions of Ruth Haselmair and Jennifer Hauck and Eva Schiffer in this volume.
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tions during a qualitative interview. These visualizations create a common platform for talking to respondents about their social context; that is the composition and structure of relationships they live in. There are a variety of software tools that make it easier to collect such data. VennMaker is a software package that allows respondents to enter data about their personal network dynamically and can record interviews as the data are entered. Researchers can play the interview back and use this to ask respondents detailed questions about their relationships. EgoNet is a program for collecting personal network data across many interviews. EgoNet data can be exported to other software packages such as NetDraw. Figure 2 provides an example of the network visualizations of two second generation Gambian migrants in Spain. The sister on the left has a network consisting of mostly migrants from Gambia and Senegal with the exception of a small set of Spanish alters in the upper right of the graph. The Spanish alters who are all white and smokers have the potential to affect the respondent’s health attitudes and behaviors. Her sister on the right has a very different network structure with many network isolates. She reports using these isolates as outlets for behaviors that would be unacceptable to alters in the main component. In both cases we learned something from the visualization that suggests questions we can ask respondents that would otherwise be virtually impossible to conceive of without the visualization.
Figure 2, next page: Upper drawing: Mercedes is a 19-years-old second generation Gambian woman in Barcelona. She is Muslim and lives with her parents and 8 brothers and sisters. She goes to school, works and stays at home caring for her siblings. She does not smoke or drink. Down drawing: Laura is a 22-years-old second generation Gambian woman in Barcelona. She is Muslim and lives with her parents and 8 brothers and sisters. She works but does not like stay at home. She smokes and drinks and goes to parties on weekends.
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Figure 2: Personal network visualizations of Gambian migrants.
Label = Country of origin. Size = Closeness. Color = Skin. Shape = Smoking status. Source: Own data
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This approach is particularly useful in studies that use a mixed methods approach, combing both quantitative and qualitative data. Researchers who conduct this type of study recognize that systematic collection of quantitative data may result in unique forms of qualitative data. Bellotti (2008) used this approach in an analysis of the friendship network of singles. Another method is to use social networks to discover underlying cognitive categories related to social interaction, such as how people know each other. The terms for the way people know each other are certainly linguistically dependent and may vary from one culture to another. While we know there are broad categories, such as family and relationships from work, there are almost certainly cultural differences in sub-categories. For example, Americans use the concept of the nuclear family that may have little or no meaning among people in rural New Guinea. Even within a single culture the terms for categories of knowing may overlap, reflecting a broad set of constructs that are difficult to ask about directly. 3 A two-mode network approach is an innovative way to discover how these categories overlap. Figure 3 represents a pilot study using this approach. Thirty respondents from Thailand free-listed the Thai terms for how people know each other. The twenty six most frequently occurring categories were selected. The same people each listed the names of thirty people they knew. For each of the thirty people the respondents evaluated whether each of the twenty six terms applied. For example, if an alter were both a co-worker and a colleague that alter would get coded as a one for each category. This is in effect a two-mode personal network where one mode is alters and the other mode is categories of knowing. For each respondent we produced a one-mode matrix of categories by categories, indicating the extent to which the use of the categories overlapped between alters. These were then aggregated across all thirty respondents to yield a matrix indicating the pattern of overlap across all respondents.
3
For examples see also the contributions of Gerit Götzenbrucker and Margarita Köhl on young Thais and Bettina Beer on the culture of the Wampar of Papua New Guinea in this volume.
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Figure 3: Network visualization of overlap between categories of knowing
Source: Own data
One can see from Figure 3 that some categories are isolates, meaning they are never used together, such as barber and temple/church. Others are strongly connected, such as work colleague and work network. By applying the two-mode network approach we learned something about how categories are applied and how they aggregate across respondents into broader categories. 2.3 Using social network analysis to operationalize anthropological concepts Anthropologists often use concepts that are difficult to measure. In some cases these concepts have a foundation in social networks that can provide a set of existing measures to operationalize them. Acculturation is broadly defined as the result of two cultures coming into contact. It is typically measured using a scale that is specific to the language and geography of the groups. For example, ARSMAII is a scale used to measure acculturation among Mexican migrants in the US. A common thread among these scales is a social component. Social networks can be used to operationalize the social components of acculturation. Lubbers, Molina and McCarty (2007) interviewed 271 migrants in Spain. Using personal network compositional and structural characteristics,
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in combination with personal characteristics they identified types of ethnic identification which differ from categories of acculturation that typically result from acculturation scales. These types, such as ethnic-plural/transnational focus specifically on the way migrants interact with the host culture. This differs from acculturation which also focuses on attitudes about food and language use. 2.4 Anthropologists studying non-traditional topics Some anthropologists have used social network analysis as a method to investigate topics that have not been the substantive focus of anthropology. Johnson and Boster (2003) conducted a series of studies in South Pole research stations to understand the social dynamics of groups in an isolated environment. Johnson and Boster measured the interactions among member of the scientific teams over the course of several months and identified the variables that contributed to group cohesion and isolation. Their results are relevant to applied circumstances where previously unrelated individuals are put in a position to work together as a group. Over time they are challenged with the formation of shared cultural values. Jordan (2009) is among a new set of anthropologists who study cyberspace, a set of electronic social network connections. Anthropologists such as Jordan attempt to apply anthropological concepts such as ethnography, field sites and participant observation to a social space that is not the typical focus of anthropology. Their assumption is that cultural spaces will emerge from regular interactions in cyberspace.
3. C ONCLUSION These examples demonstrate some of the ways in which anthropologists have used social network analysis in an innovative way. As an increasing number of anthropologists adopt social network methods, these four approaches to innovation will yield new approaches. In particular we can expect social networks to be used as a way to measure and study existing theories and concepts. Much of this will depend on a new generation of anthropologists who embrace both qualitative and quantitative approaches.
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Between Intuition and Indicators Using Net-Map for Visual and Qualitative Social Network Analysis J ENNIFER H AUCK AND E VA S CHIFFER
Failing management of natural resources is a very common problem. The problem is well researched and frequently new paradigms are developed to solve it (e.g. Mollinga et al. 2007). Yet, even carefully designed management approaches often fail, as they do not develop an understanding of the complex social realities in which they are being implemented, including massive time constraints. Social networks are seen as essential for successful management (Hahn et al. 2006; Lubell and Fulton 2007; Armitage 2008; Tompkins et al. 2002) and are increasingly analysed to understand why management works in some cases and not in others (e.g. Bodin/Crona 2008; Bodin et al. 2006). Social Network Analysis (SNA) helps to understand the structure of the management system as a whole (instead of isolated actors) because it analyses the ties between actors, e.g. personal relations or flows of resources like money and information. There is a growing recognition amongst network analysts as well as other scientists that structure alone cannot explain everything. It is rather the structures that provides the environment (e.g. constraints and opportunities) within which the actors act (Lukes 2005). Additionally, external, institutional, and cultural factors may shape an actor’s behavior and reasoning (Long 1989). To understand the interplay between structure and other factors (e.g. actor specific backgrounds), we propose a new social network mapping method (Net-Map) which integrates the collection of social network data
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with an independent assessment of actor influence, goals of actors and the collection of qualitative network narratives. Net-Map is especially suitable for collecting data in complex networks with open boundaries and diverse actors. It supports the analysis of structure as well as individual actors and bridges the divide between structure-oriented and more narrative, qualitative, and participatory approaches. This paper examines two of the most important factors for the successful management of natural resources – trust and leadership (e.g. Bodin/Crona 2008) – and discusses how SNA can be used to analyse them. We also explain the „pen & paper“ method of Net-Map, which was used to generate network data and additional information about the network content in the case study. We then introduce the case study of small water reservoir management in Ghana and present some of the most interesting results to illustrate the kinds of findings Net-Map generates. Finally, we discuss the advantages and disadvantages of the method including lessons learned and recommendations.
1. L EADERSHIP AND TRUST AS CRUCIAL PRE - REQUISITES FOR SUCCESSFUL NATURAL RESOURCE MANAGEMENT Successful natural resource management has many factors. In the following good leadership and trust will serve as examples to show how SNA approaches can inform improved management of natural resources. 1.1 Leadership Good leadership is often identified as an essential pre-condition for successful management (Folke et al. 2005; Walker et al. 2006; Gunderson et al. 2006). Having a person who can motivate people, encourage the acceptance of sometimes unconventional innovations, or provide a sense of direction is essential for natural resources management (Scheffer et al. 2003; Olsson et al. 2004; Brunner et al. 2005; Folke et al. 2005). As the field of natural resource management evolves, it has become apparent that a more traditional leadership style emphasizing clear orders and strictly enforced compliance has often not yielded expected and desired results. For exam-
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| 233
ple, disproportionately powerful stakeholders who benefit from the status quo can delay or block regulation (Scheffer et al. 2003). As a consequence more participatory and inclusive leadership models have emerged. Thus, the need for shared or distributed leadership and multiple leadership roles of different actors for the joint development of solutions has been formulated (Walker et al. 2006; Pahl-Wostl 2007). SNA provides a number of concepts to analyze and explain leadership. In the following, we introduce the concepts of brokerage and centrality as means to identify and interpret leadership structures: Leaders often exhibit the ability to bring diverse groups together as well as the ability to tap into knowledge and resources from different groups. In SNA, these actors, who bridge structural holes between otherwise unconnected parts of the network, are called brokers (Burt 1982). Brokers are typically in central positions in the network. SNA measures of centrality and betweenness centrality can identify brokers (Wasserman and Faust 1994). Degree centrality is the number of direct ties a node/actor has with other nodes. Network analysts assume that actors who posess more ties have greater opportunities and depend less on others because they have more choices (Hanneman and Riddle 2005). Another structurally advantaged position is being in between other actors. This betweenness centrality is expressed by the extent to which an actor sits on the shortest path between any other two nodes. Actors with a high betweenness centrality are able to control interactions between those network members that they connect and derive power through their position as necessary point of passage. 1.2 Trust Burt and Knez define trust as „committing to an exchange before you know how the other person will reciprocate“ (1996: 69). In natural resource management this includes the commitment to rules, irrespective of whether other groups comply. In order to engender trust, modest sanctions are often imposed on first offenders with the severity of sanctions gradually increasing for those who do not learn from their first or second encounter (Ostrom et al. 1994; Weinstein 2000; Dietz et al. 2003). Another form of trust is identified by Longstaff and Yang (2008) as trust in information flows. Forums for exchanging and critically discussing information such as citizens’
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committees and public hearings have the potential to create or increase accountability and hence trust (Moench et al. 1999; Bruns et al. 2005). Reciprocity, density, and strong ties are generally seen as supporting the development and maintenance of trust in networks. One way of examining the linkages in networks is to look at the ratio of the number of actual reciprocal ties between two nodes to the number of possible reciprocal ties in the network (Jansen 2006). This measure expresses how balanced the network is in terms of giving and taking. A high level of reciprocity as well as a high density in networks is a sign for trust (Granovetter 1985; Coleman 1990; Pretty/Ward 2001). Networks with strong social ties (bonding ties) can often be found in groups that share the same attributes such as social class, kinship, education, and common norms. These groups also tend to share information, personnel, managerial procedures, and resources. The interpretation of the consequences of strong ties is, like most other network measures, case dependent. For example, while bonding ties can increase flexibility by providing a safety net for actors when they try something new, Bohle (2005) and Newman and Dale (2005) found bonding ties to impose constraining social norms. While quantitative SNA can show us who has a central position in the structure, SNA alone does not inform about the character of the person, their innovative nature (Rogers 1983), or charisma (Hatfield et al. 1994). It thus becomes necessary to look at the actors themselves, how they operate as active agents, rather than simply following normative scripts (Bierschenk et al. 2002). A combination of quantitative network data, network narratives (stories explaining how and why the network functions; e.g. Schnegg 2010 and Holzer 2010, see also Beer in this volume) and information about individuals provides rich data. The totality of this data is needed to understand the role of those actors who bridge structural gaps and can shed light on important issues such as accountability, legitimacy, transparency, and fairness (Pero/Smith 2008).
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2. C ASE , MATERIAL ,
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AND METHODS
During the past sixty years hundreds of small multi-purpose reservoirs were built in the Upper East Region of Ghana to help the rural population deal with the difficult environmental conditions and enable diversification of income sources. Many local households gain considerable additional income by fishing in these reservoirs and are able to add extra protein to their diets (Hauck 2010). The growing popularity of fishing results in massive fishing pressure and attempts to manage the resource are failing (Hauck/Youkhana 2010). Binduri was one of four research communities in northern Ghana, where fisheries management was investigated more closely, using SNA to indentify actors and structures that lead to failing management attempts. Binduri, located in the Bawku municipality, has access to a multi-purpose small reservoir. There are competing water uses including livestock watering, gardening, fisheries, and, to a lesser extent, household uses. There is a long history of management arrangements in which traditional institutions, governmental extension service, and community-based management in form of Water User Associations (WUA) overlap (Hauck 2010). The WUA was meant to comprise all water users, including fishermen, but to-date it only organises irrigation water users. At the time of the investigation Binduri had a total number of 52 fishermen and 35 fish mongers (Hauck 2010). 2.1 Net-Map: Participatory influence network mapping The Net-Map tool was developed by Schiffer to examine and understand the complex governance situation of a regional, multi-stakeholder water governance body in northern Ghana (Schiffer/Hauck 2010; see also http:// netmap.wordpress.com). In order to adapt the tool for use at the community level, where many local languages are spoken and foreigners are regarded with suspicion, extensive pre-testing was arranged. It helped finding the right phrasing of questions and corresponding terms of the different kinds of influence in the different languages. 2.1.1 Preparation and selection of interview partners In situations where the boundaries of a network are unclear, membership is large, and time constraints make a census approach impossible, it is a useful approach to interview key informants about their network perceptions.
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However, in order to avoid strong biases in the data it is of the utmost importance to include respondents with divergent perspectives, i.e. who connect to different areas of the network. Such a purposive sampling approach was chosen for the Binduri community. Before the interviews took place, a list of potentially influential groups (Table 1) was created and key informants selected to represent the views of the groups based on the experience and observations that were gathered during previous community stays. To complement the views of the key informants, fishermen and fish mongers were selected that did not belong to the group of representatives but were more marginal and thus not considered to be influential. Interviews were conducted until a saturation point was reached where new interviews did not yield more new information (Flick 2000). Interviews were conducted either with one individual or in small groups of two to three individuals with the same attributes (same sex, age, education, social status). The small groups proved to be very helpful since the interview partners could discuss their views and felt more confident in the company of equals. Since the exchange of information about power and influence is highly sensitive, interviews were conducted at the homes of the interview partners to avoid onlookers who might observe, comment, and spread information (Hübner-Schmid et al. 2003). Materials used included large sheets of paper for drawing the influence network maps, small multi-coloured actor cards (Post-itsTM) to note down the actor names and tape to fix the cards on the map. Different-coloured pens to draw different ties and bicycle bearings which are flat round disks that can be stacked to build influence towers were also used (other suitable materials for influence towers include checkers pieces or LEGO® pieces). 2.1.2 The method of Net-Mapping After the selection process of interview partners was concluded, the interviews that were held in Binduri comprised of the following steps: 1.
Introduction and definition of concepts (ties, influence) To allow for the interview partner’s definition of influence, the guiding research question was kept rather open: „Who influenced the fisheries activities in Binduri reservoir in the last 5 years and how?“ At the beginning of every interview discussion was facilitated about
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Table 1: Groups, sub-groups and individuals influencing fisheries activities Group
Subgroup or individual
Fishermen
Chief fisherman Other influential fishermen 1 Disturbing fishermen
Fish mongers
Normal fish mongers Lead fish monger(s)
Traditional authorities
Tindana
Elected authorities
Assembly woman
Government
Extension staff
Non-governmental Organisations
Research programs
Other water users
Gardeners Livestock owners
Source: Own data
the different ways that individuals could influence each other. The actual process of influencing defined the ties drawn during NetMapping. Name generator question: „Who has influence?“ After the first discussion, the interview partners were asked to think of all individuals, groups, or organisations that influenced fisheries activities. These names were then written on the actor cards and affixed to the large sheet of paper in front of the interview partner. The cards had different colours according to the group (e.g. fisher-
2.
1
The term „disturbance“ was explicitly chosen by the interview partners in order to avoid the term „conflict“. In Binduri, „conflict“ is associated with political issues and armed clash based on ethnic rivalries. All interview partners made sure that it was understood that in the context of fishing no such conflict occurred and that the „disturbance“ had nothing to do with ethnic conflict and associated violence. In the following, however, the word is used with „conflict“ interchangeably.
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men, government, fish-mongers) the actor belonged to. Each colour was grouped together.2 If one or more groups were not mentioned during this process, the interview partners were asked whether they had forgotten them or whether they had no influence. If the actors were identified as influential they were also included. Ties: Arrows are drawn between actor cards. In the next step, data were collected on how the groups and subgroups or individuals are linked, i.e. how influence is exerted. This was done by drawing arrows of different colours between the actor cards. The colours represented different kinds of links. The arrows indicated that „something“ (such as advice, support, etc.) flowed from one actor (group) to the other. In case there was a mutual exchange, the arrows reflected this. Influence: Influence towers are set up next to each actor according to their influence on fisheries activities. The interviewees were asked to assess who or which sub-group had influence and to also quantify the amount of influence on fisheries activities. According to the responses, influence towers were placed next to the individual actor cards or groups according to the following rules: (a) The higher the influence, the higher the tower. (b) The towers can be as high as the interviewees want. (c) Two actors can have towers of the same size, and (d) if a group or individual has no influence at all, no tower needs to be added. Goals/Direction: Symbols or abbreviations are written next to each actor card according to their goals or the direction in which they use their influence It was asked in which direction the different actor groups or individuals influenced the fishing activities. The question was based on the assumption that some actors would encourage fisheries activities while others, e.g. other water users, would rather try to stop them. The + or – symbols were noted down next to each actor card accordingly.
3.
4.
5.
2
Through pre-testing it was determined that individual actors needed to be on the map to make them relevant and concrete for the interview partners. Nevertheless they had to be grouped to allow for well structured, easy to understand maps.
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Figure 1: Net-Map.
Source: Hauck, 2007
6.
Summing it up: Discussion of open questions In a last step the interview partner was given the opportunity to ask questions of his or her interest, e.g. what will happen with the results of the interviews or any other question the interview partner had, even unrelated to the interview.
2.1.3 Data processing and analysis The data processing as well as the analysis was a combination of quantitative network analysis and the interpretation of qualitative results. In order to be able to compare the maps, the language and actor names were harmonised. Categories of ties were developed based on their function with respect to the interactions between actors. The deriving typology were: a) advice and teaching, b) instructions (telling people what to do – with more or less authority to enforce), c) help and support, and d) disturbance and conflict. Each type of tie was treated as a separate network, thus every individual map consisted of up to four networks. The heights of the influence towers of each interview were normalized to obtain a scale of influence between 0 and 1. Furthermore, an average relative influence tower was calculated in order to determine which actor group had the greatest influence. Categories
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were also developed for the directions in which the actors used their influence (e.g. to encourage or discourage fisheries). Networks of each type were aggregated to create a single network map. For example, of the eight interviews in Binduri, all „support“ networks were stacked into one master network which was used to understand who supported whom in this community. When combining the networks, the ties were transformed into weighted links according to how often they were mentioned in different interviews. Categories built were: 1) ties mentioned 8-6 times, 2) ties mentioned 4-5, and 3) ties mentioned 1-3 times. To visualize the influence of different actor groups according to the influence towers, the networks were not organised in a spring-embedding format: Other than to concentrate the most connected actors in the middle of the network, they were displayed in concentric circles. The most influential actors were placed in the middle and less influential ones at the margins, borrowing an idea from the VennMaker software.3 The structures evolving from this visualisation were then described and interpreted with the help of the detailed field notes taken during the interviews. Additionally, the positions of the actors in the network, the degree centrality, and betweenness centrality were calculated using the VisuaLyzer™ software, following equations provided by Wasserman and Faust (1994). Indices were calculated for each tie. For example, of the eight interviews in Binduri degree centrality and betweenness centrality were calculated for all eight „support“ networks and than added up. The average of the eight indices was taken for analysis. In order to increase validity of the network data, group discussions with fishermen and other villagers were organised and preliminary results and open questions (from anonymized data) were discussed in focus groups. This served as a validation for the results of the process of stacking the networks and allowed for more focused recommendations. The next section deals with the results of the case study.
3
For further information on VennMaker and the use of computer assisted interviews see also Herz/Gamper in this volume.
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3. C ASE
STUDY RESULTS : FISHERIES IN SMALL RESERVOIRS IN THE U PPER E AST R EGION OF G HANA
Eight network maps were drawn for Binduri; one with the chief fisherman, three with other groups of fishermen, two with fish monger groups, one with the chairman of the Water User Association (WUA), one with gardeners, and one with the extension officer of the Ghanaian Ministry of Fisheries (MoFI). 3.1 Influence towers The extension officer was assigned the highest average influence, closely followed by the chief fisherman and the fish mongers (see figure 2). There is a large gap between these three and the next influential actor, the chairman of the WUA. The tindana (traditional earth priest) also received a medium influence score. A particular fisherman and sometimes his brother were frequently mentioned during the interviews as „disturbing“ others. They were accused particularly of breaking the fishing rules and encouraging others to do so. While these two fishermen, who were one of the three fishermen groups interviewed, were seen as problematic by many other interview partners, they only got low influence towers, similar to the other fishermen and the assembly woman. The international research project „Challenge Program on Water and Food Project No. 6“ (CP6) which tested innovative management methods at the reservoir was mentioned by the chief fisherman and the extension officer. Both assigned it high influence scores. However, they were the only ones who knew the project, resulting in an overall low average influence score for CP6. Only the livestock owners had less influence. 3.2 Direction of influence There were no actors who tried to stop or discourage fishing in general. Most actors, even those not involved in fishing directly were aware of fishing rules and stated that they encourage fishing only when the fishing rules are obeyed. Livestock owners encouraged fishing, although only when
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Figure 2: Average influence tower
Number in brackets = number of times the actor was mentioned. Colour of bar: light grey: encourage fishing when water is high, dark grey: encourage fishing when rules are followed, black: always encourage fishing. Source: Own data
there was enough water in the reservoir. Only the disturbing fishermen and the mongers encouraged indiscriminant fishing. 3.3 Networks The influence through advice and the influence through helping and supporting each other were mentioned by all of the interview partners. The influence through disturbance was mentioned seven out of eight times. Only the extension officer stated that he was not aware of any quarrels amongst the fishermen. The „instruction“ tie was also mentioned only 7 times and the examples given for this tie varied so considerably that no common definition for the tie could be determined.
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3.3.1 Network of conflicts Figure 3 shows a conflict network based on „disturbance“ ties. The interview partners described the disturbance as breaking fishing rules and encouraging others to do so. Once the rules were broken and the infraction not punished, others ignored the rules. One young fisherman said: „The disturbing fisherman does not stick to any bans and fishes at all times.“ Another fisherman explained: „Trying to stop him from breaking the rules would mean to beat him up and take his fishing gear away.“ Few interview partners found that the rule-breakers not only disturbed other fishermen, but were also annoying everyone, explaining the arrows to the other actors in the network. In the case of the fish mongers the disturbing fisherman and his brother had cheated the mongers. The disturbing fishermen admitted that they disturbed the mongers, because they often felt cheated upon. They expressed that – in their opinion – they did not receive fair prices for their catch. Furthermore, the two men gave the following reasons why they did not obey the rules and even less the men who set them: „The chief fisherman and other informal lead fishermen are going to workshops and get free nets and other things. When those fishermen come back they never tell us what happened, but only tell us to stop fishing because the fishes are too small. Then they are using nets with small mesh size themselves. […] The extension officer only talks to the chief fisherman and we never get to know what he has to say. […] Some fishermen from outside came to pay their water levy before they enter the water. That money was chopped by the chief fisherman. […] Some years ago every fisherman paid 5000 Cedis so that they could start a bank account. The money was meant to get a loan and repair the dam. Again the chief fisherman chopped the money.“
These accusations were repeated by other interview partners. In contrast, the extension officer, who established the savings group, explained that the finally deposited money was used up for banking fees. If influence was measured purely by taking the centrality values of actors in the disturbance network, the measures (table 2) would suggest that the disturbing fishermen did have quite a lot of influence. However, this was not reflected by the height of the influence tower, where they rank in the middle.
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Figure 3: Network of conflicts. Low influence
CP6 Medium influence
High influence
Extension officer WUA Chairman
Assembly woman
Chief fisherman
Mongers
Tindana
Cattle owners
Flow of disturbance (mentioned 8-6 times) Flow of disturbance (mentioned 4-5 times) Flow of disturbance (mentioned 1-3 times)
Source: Own data
Fishermen
Disturbing fishermen
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Table 2: Average, rounded centrality measures of the eight „conflict“ networks. Actors Disturbing fishermen Chief fishermen Fishermen Mongers Extension officer WUA Livestock owners Tindana Assembly woman CP6
Indegree
Outdegree
Betweenness
1
5
13
2 2 2 0 1 0 0 0 0
1 1 1 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0
Source: Own data
3.3.2 Network of advice The ties in the „advice“ networks were almost always reciprocal in interviews in order to ease comprehension of the network figure. Arrowheads were therefore not added to the figure. The same approach applies to the „help and support“ network further down. Binduri has a dense network of information exchange amongst fishermen, mongers, the extension officer, and the tindana. When analysing the advice network with respect to leadership and trust, it is interesting to check which ties are missing. The only source of new technical knowledge in this network was the research project CP6. However, the knowledge provided by the project did not enter the community. In his interview, the chief fisherman, who was involved in the project, explained that he did not transfer the new knowledge from project meetings and trainings, because none of the fishermen – who elected him as their leader – attended when he tried to convene a meeting. The lack of attendance was confirmed by the extension officer. He explained that in many past and present interventions it was quite common to provide drinks and snacks for the participants. Interventions and projects such as CP6 that do not provide funds for incentives are not able to meet the expectations of most of the people. As a result they refused to attend meetings. Other interviewed fishermen stated that the chief fisherman never tried to call a meeting, because he was afraid that the other fishermen would ask what happened with the contributed money. The extension officer also mentioned a connection between the WUA chairman
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and CP6 in his interview. The WUA chairman himself, however, was not aware of the CP6 and thus also no entry point for new information. The in- and outdegrees shown in table 3 support the assumption that there is a high reciprocity in the network. The betweenness degree does not provide any further information.
Figure 4: Network of advice. Low influence
CP6
Medium influence
Cattle owners High influence
Extension officer
WUA Chair man
Fishermen Chief fisherman
Assembly woman
Mongers Tindana Disturbing fishermen
Flow of advice (mentioned 6-8 times) Flow of advice (mentioned 4-5 times) Flow of advice (mentioned 1-3 times) Exchange of advice within the group
Source: Own data
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Table 3: Average, rounded centrality measures of the „advice“ networks in Binduri. Actors Chief fishermen Extension officer Fishermen Disturbing fishermen Mongers Tindana Assembly woman WUA Livestock owners CP6
Indegree 7 6 6
Outdegree 6 7 6
Betweenness 0 0 0
6
6
0
6 6 5 5 3 1
6 6 5 5 3 1
0 0 0 0 0 0
Source: Own data
Theoretically, the extension officer could have been another entry point for new knowledge. But the extension officer stated that he did not speak the local language and usually only talked to the chief fisherman who spoke English. Despite the language barrier all but the disturbing fishermen insisted on drawing a direct link between the extension officer and the fishermen. It is not clear whether this meant that there was communication despite the language barrier or whether the interview partners were referring to the retired extension officer from their community. This particular outcome might also be a socially expected answer to please the researchers. 3.3.3 Network of help and support Review of the „help and support“ networks (Figure 5) reveals a strong network within the fishing community with almost all ties being reciprocal, despite the conflicts. One fisherman explained: „Everybody is included in the help and support network, because we are all one family. Even if some misbehave, in times of trouble we stick together.“ When the issue was investigated in further interviews another fisherman explained: „He [n.b. the disturbing fisherman] is a close relative. If I bring him to jail I am also the one to bail him out.“ Further, fishermen lent gear to each other and pooled to buy gear in order to reduce individual purchasing costs. Help and support between fishermen and mongers was described as a reciprocal credit system.
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The flow of help and support between the extension officer and the community was controversial. Most of the interview partners stated that it was primarily the chief fisherman who profited from the visits of the extension officer. As primary contact he received gear including rubber boots and nets and was sent to workshops and trainings where he received food and a daily allowance. The disturbing fishermen even accused the extension officer of stealing their fish when he came with the big dragnet.
Figure 5: Network of help and support. Low influence
CP6
Medium influence
Cattle owners High influence
WUA Chairman
Extension officer Fishermen
Assembly woman
Chief fisherman Monger s Tindana Disturbing fishermen
Flow of help and support (mentioned 6-8 times) Flow of help and support (mentioned 4-5 times) Flow of help and support (mentioned 1-3 times) Exchange of help and support within the group
Source: Own data
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Table 3: Centrality measures of the „help and support“ networks in Binduri. Actors Chief fishermen Fishermen Disturbing fishermen Mongers Extension officer Tindana Assembly woman WUA Livestock owners CP6
Indegree 5 5
Outdegree 5 4
Betweenness 0 0
5
4
0
4 3 3 3 2 1 1
4 4 3 3 2 1 1
0 1 0 0 0 0 0
Source: Own data
The extension officer explained that he came to Binduri once in a while to catch fingerlings that he stocked in other reservoirs. When he realized that stocks in Binduri were low he also went to other reservoirs to catch fingerlings which he stocked in Binduri. Further, the extension officer stated that he helped the community by suggesting them for the CP6, and explained that being a research site would help the community as, at least in theory, the new technology would have helped them to increase their fish stock and thus their income. 3.3.4 Network of instructions The „instruction“ tie was the only relation where the definitions, provided in the next paragraph, differed considerably from each other. Therefore, merging the eight networks and calculating network indices did not make sense. Most interview partners described instructions as rather strong suggestions or recommendations based on customs that are not legally binding, i.e. having legitimate ground for sanctions (either in the modern or traditional system). Some interview partners in turn stated that the extension officer could issue instructions that are legally binding, which was also reflected in the height of his influence tower. He himself, however, explained that this was a wrong assumption. He has no legal back-up, for example to arrest fishermen when they break the rules. He told the following story:
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„Once I was beaten up by a fisherman in another village when I tried to stop him from fishing in banning season by taking away his fishing net and keeping it until fishing is opened again. I was terrible beaten up, but the judge decided that since I had no right to take the fisherman’s net, it was my own fault. Since that time I do not try to stop people from fishing anymore.“
As pointed out above, the mongers shared the catch of the fishermen. If a monger tried to get more fish or sold the fish at dumping prices, the older mongers instructed her to get in line with the others again. However, instructions had no effect on the disturbing fishermen, who broke the rules unimpressed by logical reasoning, notes, or threats of sanctions.
4. D ISCUSSION The structures found in the different networks reveal several actors to be central in one way or the other, although the indices don not strongly confirm this finding. Thus, the qualitative network narratives are essential to interpret the visualized structures. With regards to brokerage, lead fishermen, extension workers, and (to a lesser extent) fish mongers had network positions which allowed them to access different knowledge and resource domains. These positions predestined them for leadership or at least facilitating roles. This also goes along with the perception that, according to the influence towers, these three are the most influential actors concerning the fisheries management. However, while the network structure alone could indicate distributed leadership, the qualitative discussions actually revealed that none of these actors felt that they could make and enforce binding rules, the most crucial management task (e.g. protecting the resource against overuse). This sentiment was shared by other water reservoir users. Other actors did not qualify either. The chief fisherman was mainly elected because of his capability to communicate with the extension officer in English. Having no other personal resources to his disposal there were several factors that decreased his credibility to an extent where he can no longer be regarded as an effective leader: his disobedience of fishing rules, his inability to provide new knowledge for the community, and the lack of transparency concerning his handling of currency. The extension officer
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was also in the position to connect the fishermen group and other actors, but he also failed to engage in trusted leadership. In addition to the language barrier, lack of training (e.g. to facilitate group processes), and other resource constraints hindered a proper facilitation of a democratic management approach. The influence of the disturbing fisherman is very contradictory. As he is responsible for the disobedience of fishing rules, he has a profound influence on fisheries, which is also reflected in the centrality measures. On the other hand the interview partners assigned him only a medium influence, indicating that the disturbance was just one factor among others influencing the fisheries management. The problematic leadership situation is closely interwoven with the issue of trust and again, an integrated approach – meaning a combined analysis of the structures as well as of the network narratives – is crucial. The networks of „advice“ and of „help and support“ suggest a strong network within the fishing community, while strong ties and close interaction suggest high group cohesion and trust. This perception is also supported by the finding that these flows even crossed ethnic borders and that mixed groups of fishermen and fish mongers were common. These networks also included the troublemakers who are at the same time family members of many fishermen. The community treats the troublemakers like the unruly little brothers rather than thieves or rule-breakers. As the community members explain, in these remote cohesive communities, no one can afford to live outside of society for long and many social norms and traditional rules are designed to keep the community intact. However, mutual support is a strong positive value, thus it might be that some of the answers concerning the support network were given to please the interviewer rather than reflecting the reality at hand. Another reason for the failure of implementation of fishing rules might be the fact that these rules are new and did not emanate and evolve within the community. They were introduced from outside and judged not worthy of jeopardizing social peace in order to enforce them. The fact that the chief fisherman, who introduced the rules, lost his credibility might have undermined rule compliance further. A lack of checks and balances and the fact that many community members are not literate enough to check on the bookkeeping of their leaders aggravated the situation.
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On the side of the extension staff a lack of capacity has also complicated the situation. They do not have the means to moderate and facilitate the negotiation of common mental models or visions regarding management, to seek solutions for leadership that find everybody‘s agreement, or establish transparent financial structures. Other approaches to establish leadership have also been neglected: Albeit fish mongers are a group of actors who – as retailers – have some power and whose livelihoods usually depend on the fish yields from the reservoirs their vital interest in the resource did not receive attention. Although they might be able to contribute to its sustainable management, they were almost completely ignored when the fishermen group was established. Assembly men were another overlooked group despite their nominal involvement in fishing activities. They usually have some moderating skills and might be able to better connect the fisheries communities to the outside world. Further, their authority is legitimized by elections and they have a higher influence on those who turn away from the traditional institutions such as the earth priest.
5. C ONCLUSIONS
AND RECOMMENDATIONS
The case study reveals a complex situation with a multitude of factors that hinder sustainable fisheries management. We found the Net-Map tool very helpful in visualizing this complexity and helping to interpret not only structures but actors and their roles. It did not only increase the understanding of obstacles but also pointed to possible intervention points for sustainable management through mongers and assembly people. The case also showed that without qualitative data the interpretation of centrality measures could be misleading and the network narratives are the heart of the results. Gathering those, it was incredibly important to have the narratives told from different perspective, as strategic answering, i.e. deliberately designed information to manipulate the researcher, was an issue. It proved right to address it with the inclusion of opposing views. However, it is agreed with Schnegg and Lang (2001) that pre-knowledge of the research area is essential and some trust between the interviewer and interview partner must be established in order to be able to address sensitive issues. This does not alter the finding that, due to language barriers and cultural differ-
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ences, the common understanding of different terms (such as „influence“ or „instruction“ for example) remains ambiguous. It is also important to note that the Net-Map as a tool might be less suitable for the collection of network data for purely quantitative SNA In fact, when it comes to standardization and investigations with a census format, it might not be an ideal tool because of its interview style being very explorative and thus taking a large amount of time. This case study exemplifies the use of Net-Map to take a snapshot of governance issues in one particular community, around one specific natural resource management issue, that reflects one moment in time. It shows a situation, where the problems were not based on problems with the physical infrastructure but hidden within social networks. Unclear leadership and resource abuse of a few led the whole fisheries management on a downward spiral. Failure of common property management on the community level is a wide-spread problem that leads to resource depletion and negatively impacts the poorest of the poor. To improve this situation, it is crucial to start understanding the structural and network issues behind it. Therefore, we recommend undertaking a broader range of Net-Map studies, including successful, difficult, and failed management approaches in order to develop a better understanding of crucial breakpoints and potential solutions.
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Quellen und Weitergabe von Wissen Eine Untersuchung anhand persönlicher Netzwerkkarten R UTH H ASELMAIR
Wissen ist für das Meistern des Lebens unentbehrlich und bildet ein grundlegendes Element der Gesellschaft. Es ist die Basis für den Umgang zwischen Menschen und wird im Rahmen unterschiedlicher Sozialisierungsphasen erworben. Individuen lernen, sich in einem konkreten sozialen Raum zu positionieren und adäquat zu handeln. Im Zuge der Sozialisierung spielen nicht nur explizite Wissensinhalte, sondern auch implizites Wissen, das in nicht-sprachlicher und zum Teil unbewusster Form gegenwärtig ist, eine Rolle. Dieses implizite Wissen wird ständig im Alltagsleben eingesetzt und ist dem Körper gleichsam eingeschrieben. Das im Gedächtnis jedes einzelnen Menschen gespeicherte Wissen steht in Verbindung mit der jeweiligen sozialen und kulturellen Erfahrungswelt. Nur ein Teil des erlernten Wissens, das in einem Individuum vorhanden ist, kommt auch tatsächlich zur Anwendung. Das Abrufen von Wissen, das „Sich erinnern“, hängt vom aktuellen sozialen Umfeld ab. Menschen erweitern ihr Wissen ständig: Es wird den jeweiligen Lebensumständen angepasst und so bewusst oder unbewusst verändert. Bei der zwischenmenschlichen Weitergabe von Wissen werden sprachliche und/oder nicht-sprachliche Inhalte vermittelt. Dabei wird sowohl implizites Wissen wie etwa Handfertigkeiten, aber auch explizites, bewusstes Wissen weitergegeben. Bestimmte Wissensinhalte können sprachlich leichter vermittelt werden als etwa Handfertigkeiten, die nur durch praktische Anwendung begriffen werden können.
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Von diesen Prämissen ausgehend, wurde die Weitergabe von Wissen in der österreichisch-deutschen Siedlung Pozuzo, die vor 150 Jahren am Osthang der Anden in Peru gegründet wurde, erforscht.1 Im folgenden Beitrag wird die Verwendung von persönlichen Netzwerkkarten als Erhebungsinstrument im Rahmen der sozialanthropologischen Forschung beschrieben und evaluiert. In Anlehnung an die unterschiedlichen Methoden zur Erstellung persönlicher Netzwerkarten wurde für das vorliegende Forschungsvorhaben ein eigenes Instrument entwickelt. Die im Zuge der Untersuchungen erhobenen persönlichen Netzwerkkarten geben Aufschluss über die Herkunft des Wissens einzelner Individuen sowie über die unterschiedlichen Formen seiner Weitergabe. Die angewandte Methode und deren Vorund Nachteile werden in diesem Beitrag ausführlich dargestellt.
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Wissen ist alles, was eine Person zur Interpretation der Welt und zum Handeln in ihr verwendet. Es weist stets drei Aspekte auf: (i) einen „corpus“ von substantiellen Aussagen, (ii) verschiedene Arten von Repräsentationsträgern wie z.B. Handlungen, Worte oder Schrift, und (iii) soziale Organisation (Barth, 2002). Der „corpus“ von Aussagen kann variieren und hängt von der Art der Repräsentation und dem sozialen Kontext ab. Borofsky (1994) unterscheidet daher zwischen Wissen, das definiert und stabil, also kontextunabhängig ist („knowledge“) und Wissen, das je nach Person und Kontext variabel ist („knowing“). Der „corpus“ (i) ist stets mit einem Träger des Wissens (ii) verbunden und wird durch soziale Organisation (iii) determiniert. Menschen als Wissensträgern ist dieses Wissen, das stets mit dem jeweiligen sozialen Kontext in dynamischer Verbindung steht, im
1
Die Forschung im peruanischen Pozuzo und die Entwicklung des Erhebungsinstrumentes fand im Zuge des Projektes „Weitergabe und Veränderung von Erfahrungswissen Tiroler Auswanderer“ (Projektleiter: Christian Vogl) statt, das vom Wissenschaftsfond Österreich (FWF) gefördert wurde. Neben der Siedlung Pozuzo in Peru wurden das Tiroler Dorf Dreizehnlinden in Brasilien von Elisabeth Kuhn und Tiroler Auswanderer in Australien von Heidemarie Pirker beforscht. Näheres unter: http://www.nas.boku.ac.at/dynamics_of_local_knowled ge.html.
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bourdieuschen Sinn als Habitus im Körper eingeschrieben (Bourdieu, 1998). Menschen speichern Wissen im Gedächtnis, das sich auf individueller Ebene aus einem impliziten und expliziten Gedächtnis zusammensetzt (Borofsky 1994; Siegel 2006). Das implizite Gedächtnis beinhaltet zahlreiche Informationen, die für die täglichen Handlungen und Verhaltensanforderungen notwendig sind, wie beispielsweise verschiedene Handfertigkeiten oder alltägliche soziale Umgangsweisen. Das explizite Gedächtnis dient als Basis für das Sammeln von Informationen, Fakten und Daten, also von Wissensinhalten, die in bewusster Form vorliegen. Implizites Wissen kann nur teilweise und bis zu einem gewissen Grad in explizites Wissen übersetzt und so bewusst gemacht werden (Bloch 1994; Borofsky 1994). Vor allem Fertigkeiten lassen sich nur schwer oder gar nicht verbalisieren und werden durch Mimesis, also „embodied action“, weitergegeben (Dilley, 1999). Wissen über die Lebensumwelt und die Fähigkeit, in ihr zu handeln, wird als „traditional ecological knowledge“ (TEK) oder einfach „traditional knowledge“ bezeichnet.2 Laut Berkes et al. (2000) ist TEK das Wissen einer bestimmten Gruppe über ihre lokale Umgebung, das in ihrer sozialen Organisation und in ihr Weltbild eingebettet ist. Es wird durch „trial-anderror“-Mechanismen über Generationen hinweg gewonnen, an die nachfolgenden Generationen mündlich überliefert und stellt ein durch praktische Erfahrungen geteiltes Wissen dar (Berkes/Colding/Folke 2000). Vielfach wird der Nutzen von TEK für das lokale Ressourcenmanagement geprüft oder einfach nur dokumentiert.3 Das Adjektiv „traditional“ vor dem Begriff „knowledge“ steht für die historische und kulturelle Kontinuität einer
2
Die Begriffe „traditional knowledge“ und „TEK“ werden oft synonym verwendet. „TEK“ enthält bereits im Begriff den direkten Bezug zur ökologischen Umwelt, während der Begriff „traditional knowledge“ weiter gefasst wird.
3
Siehe zum Beispiel: Donovan, D.G./Puri, Rajindra K. (2004): „Learning from Traditional Knowledge of Non-timber Forest Products: Penan Benalui and the Autecology of Aquilaria in Indonesian Borneo“. In: Ecology and Society 9, 3, Artikel 3, online unter: http://www.ecologyandsociety.org/vol9/iss3/art3/, sowie Vogl-Lukasser, Brigitte/Vogl, Christian/Reiner, Helmut (2007): „The Turnip (Brassica rapa L. subsp. rapa) in Eastern Tyrol (Lienz district; Austria)“. In: Ethnobotany Research & Applications 5, S. 305-317.
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Gruppe, die aber durchaus einem sozialem Wandel unterworfen ist und ihr Wissen an die sich ändernden Umweltbedingungen anpasst (Berkes 2009). „Traditional knowledge“ wird von lokalen Gemeinschaften über Erfahrung akkumuliert und vor allem mündlich überliefert. Bereits bestehende schriftliche Dokumentationen solchen Wissens wurden bisher von Forschenden kaum beachtet (Becker/Ghimire 2003). Überwiegend werden nur Personen als Wissensquellen wahrgenommen. Auf „externen“ Datenträgern (z.B. Bücher, Audio- oder Filmmaterial) gespeichertes Wissen wird im Vergleich dazu eher vernachlässigt. In Zeiten, in denen der Gebrauch von neuen Medien in vielen Teilen der Welt alltäglich geworden ist und Wissensinhalte nicht nur schriftlich, sondern schnell und einfach als Audiomaterial, Fotos oder Film aufgezeichnet werden können, müssen jedoch auch diese „neuen“ Wissensträger in der Forschung über „traditional knowledge“ und TEK Berücksichtigung finden. Wissensinhalte werden nicht nur von Forschenden dokumentiert, sondern oftmals auch von den lokalen Wissenstragenden selbst auf andere Repräsentationsformate übertragen und somit zu potentiellen Wissensquellen nicht-mündlicher Art.4 Anhand der Erhebung von persönlichen Netzwerkkarten von Wissensquellen soll nun die in der Literatur übliche Annahme hinterfragt werden, dass „traditional knowledge“ oder TEK nur zwischen Personen weitergegeben wird. Die zu diesem Zweck erarbeitete Methode ist geeignet, alle möglichen Wissensquellen in die Forschung über Wissen mit einzubeziehen. 1.1 Forschungsfeld Pozuzo Die Siedlung Pozuzo, die 1858 am Ostrand der Anden im tropischen Regenwald Perus von 170 österreichischen und deutschen Siedlern5 errichtet wurde, geriet bald nach ihrer Gründung wieder in Vergessenheit. Die politischen und ökonomischen Interessen Perus hatten sich verlagert, und das
4
In Pozuzo finden sich beispielsweise verschriftlichte Rezepte vereinzelt in der Bezirkszeitung und gesammelt als Rezeptsammlung im Tourismusverein wieder. Es existieren bereits Blogeinträge junger Pozuziner zu dem Thema.
5
Sofern nicht explizit die weibliche Form verwendet wird, sind mit der männlichen Form immer auch die weiblichen Mitglieder der jeweiligen Gruppe gemeint. Die maskuline Form wurde lediglich der Lesbarkeit halber gewählt.
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Gebiet war lange nur durch einen dreitägigen Fußmarsch zu erreichen. Die Siedler lebten hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft und etwas Handel mit Tabak, Schweinefett und Coca. Aufgrund der Isolation blieb die Tiroler Sprache und Kultur über lange Zeit hinweg erhalten (Ilg 1982; Schabus 1990; Schütz-Holzhausen 1895). In den letzten 50 Jahren änderte sich das Leben der Pozuziner allerdings grundlegend. Vor allem der Anschluss an das Straßen- und Stromnetz, die Errichtung von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie die starke Zuwanderung von Peruanern brachten zahlreiche Neuerungen und veränderten die Rahmenbedingungen des Lebens in der Region erheblich. Seit 1970 wurde auch der Kontakt zu Deutschland, Österreich und vor allem Tirol intensiviert. Heute leben 7760 Personen im Bezirk Pozuzo, 1038 davon im urbanen Raum (INEI 2007). Nur noch ein Drittel der Einwohner sind Nachkommen österreichischdeutscher Siedler, und von diesen beherrscht lediglich 1 Prozent den „Tiroles“ genannten Tiroler Dialekt (Steinicke/Neuburger 2009). In Pozuzo ist vor allem die Kulinarik durch das Erbe der Siedler aus Tirol und Deutschland stark geprägt. Gerichte wie Strudel oder Knödel stellen „typische“ Pozuziner Speisen dar und sind eng verbunden mit der Identität der Pozuziner als Nachkommen österreichisch-deutscher Einwanderer. Die Pozuziner Küche weist zahlreiche an die lokalen Ressourcen angepasste Tiroler Speisen auf, aber auch typische peruanische Gerichte wie etwa das in einer Erdgrube gegarte Schweinefleisch „Pachamanca“. Zu den adaptierten Tiroler Speisen gehören beispielsweise der Bananenstrudel und die Reisknödel. Ersterer wird mit Kochbananen gefüllt, da im tropischen Regenwald keine Äpfel gedeihen. Weizen wächst ebenfalls nicht im tropischen Klima und musste bis in die 1970er Jahre mühsam mit Mauleseln nach Pozuzo transportiert werden, sodass der Strudel lange Zeit nur zu besonderen Anlässen zubereitet wurde. Brot wurde damals hauptsächlich aus Mais gebacken. Die Knödel, die in Tirol aus Knödelbrot (Weizenbrot) hergestellt werden, sind in Pozuzo aus Bergreis gemacht und werden in einer Hühnersuppe mit Schnittlauch serviert. Zwei Fragen standen im Zentrum der hier präsentierte Studie zur Pozuziner Küche mit ihrer ganz besonderen Zusammensetzung aus traditionellen tirolerischen Elementen und neuen peruanischen Einflüssen: (1) Welche Wissensquellen werden von Personen im Bereich der Kulinarik genutzt? (2) Auf welche Art und Weise wird dieses Wissen weitergegeben? Um diese Fragen beantworten zu können, wurde ein spezielles Instrument zur Er-
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hebung persönlicher Netzwerkkarten entwickelt, das im Folgenden näher erläutert wird.
2. E RSTELLUNG PERSÖNLICHER N ETZWERKKARTEN Das Erhebungsverfahren setzt sich aus drei Teilen zusammen: (1) dem Namensgenerator, der gleichzeitig als Erzählgenerator dient und den Namensinterpreten beinhaltet, (2) die Erstellung der persönlichen Netzwerkkarte und (3) der soziodemografische Fragebogen.6 Die gesamte Erhebung wurde mittels digitalem Audioaufnahmegerät aufgezeichnet. 2.1 Der Namensgenerator Im ersten Teil der Erhebung wurde die eindeutige, einfache Frage gestellt (Namensgenerator): „Woher haben sie Ihr Wissen zu Speisen, Getränken und Haltbargemachten?“ und somit der „Wellman approach“ angewandt. Namen wurden i) in dem abgegrenzten Themenbereich der Kulinarik sowie ii) mit der vordefinierten Beziehungsbedingung, dass Wissen weitergegeben wurde, frei generiert (Hogan et al. 2007). Dieser Namensgenerator wurde angewandt, da es sich bei Wissen/Wissensquellen um kein multidimensionales Konzept handelt wie etwa das Konzept des „social support“. Den Befragten bleibt durch das vordefinierte Thema und die Art der Beziehung (Bezug von Wissen) wenig Spielraum für Interpretation, wodurch die Zuverlässigkeit der Daten gewährleistet wird (Marin/Hampton 2007). Die Frage wurde so lange wiederholt, bis der oder die Befragte keine Wissensquellen mehr nannte oder erinnerte. Alle genannten Akteure (Alteri) wurden in einer Liste erfasst, welche die Grundlage für die Visualisierung, d.h. die Erstellung der Netzwerkkarte, darstellte.7 Während des Generierens der Namen wurde den Befragten bewusst sehr viel narrativer Spielraum gelassen. Der Erzählfluss, der im Zuge der
6
Beim soziodemografischen Fragebogen wurden Name, Adresse, Alter, Geschlecht, Bildung, Herkunft, Sprachbeherrschung etc. erhoben.
7
Zu verschiedenen Methoden der Namensgenerierung in der egozentrierten Netzwerkanalyse und den Einsatz von Netzwerkkartensiehe auch Herz und Gamper sowie Rau in diesem Band.
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Erinnerung an die einzelnen Wissensquellen entstand, wurde begrüßt und unterstützt, solange die Erzählung nicht in völlig andere Themenbereiche abglitt. Durch den breiten Spielraum für Erzählungen fanden die Befragten einen ganz persönlichen Zugang zu ihren Erinnerungen. Diese reichen meist bis in die Kindheit der Befragten zurück und beinhalten Alteris aus unterschiedlichen Lebensphasen. Die erhobenen Wissensquellen umfassen häufig das gesamte Leben der Befragten, wodurch die persönlichen Wissensnetzwerke gleichzeitig Erinnerungsnetzwerke darstellen. Während des Erzählflusses wurden an passender Stelle die Fragen des Namensinterpreten eingeflochten. Dabei wurden Merkmale der einzelnen genannten Alteri (Alter, Geschlecht und Rolle) erhoben. Bei der Zuschreibung der Rolle wurde den Befragten bewusst Spielraum gelassen und keine vorgefertigten Kategorisierung wie etwa Verwandtschaft, Freundschaft, Arbeitskollegen/Arbeitskollegin, Bekanntschaft oder Nachbarschaft verwendet (Jansen 1999). Die Verwendung der Kategorie „Freund“ etwa, die in unterschiedlichen sozialen Kontexten jeweils anders konstruiert wird, ist im Zusammenhang mit dem Namensgenerator ohnehin problematisch (Marin/Hampton 2007).8 2.2 Visualisierung der persönlichen Netzwerkkarten Bei der Visualisierung von persönlichen Netzwerkkarten wird im Zentrum der Visualisierung meist ein stellvertretendes Symbol für den Befragten oder die Befragten (Ego) verwendet, das anschließend in Beziehung zu den ebenfalls visualisierten Alteri gesetzt wird. Ein gängiges Modell für die Erstellung von persönlichen Netzwerkkarten, das in vielen Studien, die mit persönlichen Netzwerkkarten arbeiten, angewandt wird, ist jenes von Kahn
8
Für den Vergleich von Daten aus unterschiedlichen Regionen oder Kulturen ist das Konzept der Freundschaft mit großer Vorsicht zu genießen, da in jeder Kultur/sozialen Gruppe Freundschaft anders verstanden wird und somit die Vergleichbarkeit nicht gegeben ist. In Lateinamerika wird schnell jemand als Freund bezeichnet, während dies in Zentraleuropa nicht der Fall ist. Um solche Konzepte für verschiedene Kulturen vergleichen zu können, muss also mittels Befragungen über die Bedeutung der Konzepte nachgeprüft werden, ob sie in den einzelnen Kulturen (oder sozialen Gruppen) auch tatsächlich ähnlich und vergleichbar sind.
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und Antonucci (1980).9 In diesem Verfahren werden den Befragten bereits Sinn-Vorgaben für die um Ego angeordneten Sektoren und Kreise gemacht (Kahn/Antonucci 1980). Scheibelhofer (2006) hingegen verwendet in ihrer Studie über die Mobilität von österreichischen Migranten in den USA einfache egozentrierte Papiernetzwerkkarten, die von den Informanten mit wenigen Vorgaben selber gezeichnet wurden. Sie wurden unterstützend zu einem Leitfadeninterview angefertigt, um durch die Visualisierung die Komplexität der Beziehungen des Interviewten zu seinen Interaktionspartnern und deren Verortung darzustellen (Scheibelhofer 2006). Bei der hier präsentierten Methode wurden ebenfalls wenige fixe Bedeutungsgrößen festgelegt, in deren Rahmen die Befragten eigene Gestaltungsmöglichkeiten hatten. Der Sinn der unstrukturierten Zugangweise liegt darin, die Befragten nicht bereits von vorneherein das Weltbild des Interviewers oder der Interviewerin nahe zu legen und damit Antworten zu generieren, die diesem entsprechen, sondern stattdessen der Wahrnehmung der Befragten Raum zu geben.10 Dennoch bedeutet auch diese Erhebungsmethode für die Interviewpartner bereits eine gewisse Reglementierung, da die Darstellungsformen im Netzwerk vorgegeben werden. Die geringe Anzahl der Vorgaben, die vor allem dazu dienen, Unsicherheiten des Interviewpartners zu minimieren und die Aufgabe (Erstellung der Netzwerkkarte) leichter zu gestalten, soll daher die Starre durchstrukturierter Interviews aufheben. Gleichzeitig wird den Befragten hierdurch eine ausreichende Mitgestaltungsmöglichkeit eingeräumt. Trotzdem werden durch diese Methode Daten generiert, die zumindest teilweise quantitativ auswertbar sind.
9
Zu diesen Studien gehören u.a. Bernardi, Laura/Keim, Sylvia/Von der Lippe, Holger (2006): „Freunde, Familie und das eigene Leben. Zum Einfluss sozialer Netzwerke auf die Lebens- und Familienplanung junger Erwachsener in Lübeck und Rostock“. In: Betina Hollstein/Florian Straus (Hg.), Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 360-390; Kahn, Robert L./Antonucci, Toni C. (1980): „Convoys over the life course. Attachment, roles, and social support“. In: Paul B. Baltes/Orville G. Brim (Hg.), Life span development and behavior. Vol. 3, New York: Academic Press, S. 253-286 sowie McCarty, Christopher/Molina, José Luis/Aguilar, Claudia/Rota, Laura (2007): „A comparison of social network mapping and personal network visualization“. In: Field Methods 19, S. 145-162.
10 Vgl. hierzu auch Hollstein und Pfeffer (2010).
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Der zweite Teil des Interviews diente der Erstellung der persönlichen Netzwerkkarten auf Papierbögen, um die erhobenen Wissensquellen zu visualisieren und miteinander in Beziehung zu setzen. Der Inhalt des Interviews wurde so für alle Beteiligten visuell zugänglich (Hogan/Carrasco/ Wellman 2007; Scheibelhofer 2006). Die Visualisierungen dienten auch als Gedächtnisstütze während des Interviews und bilden neben der Audioaufzeichnung und den Fotos die eigentliche Datengrundlage. Papier als Material für die Netzwerkkarten wurde gewählt, da es in Pozuzo günstig und leicht erhältlich ist, sich ebenso einfach transportieren wie bearbeiten lässt und die Menschen eher an den Umgang mit Papier gewöhnt sind als an den mit Computern, was die Interviewsituation erleichterte (Hogan/Carrasco/ Wellman 2007). Nach dem Sammeln aller genannten Namen wurden die persönlichen Netzwerkkarten aus folgenden Elementen erstellt (vgl. Tabelle 2): Zunächst wurde Ego als kleines rundes Kärtchen in die Mitte des Papierbogen geklebt. Dann teilte der oder die Befragte jedem genannten Alteri ein Kärtchen zu. Für Personen wurden Kreise aus gelbem Farbpapier und für Institutionen/Organisationen, Audiovisuelles oder Printmedien unterschiedlich gefärbte Quadrate verwendet. Die Größe der Kärtchen entsprach der Wissensmenge, die den Befragten vom jeweiligen Alteri vermittelt wurde. Die Kärtchen wurden mit den erfragten Informationen zu Alteri (Name, Alter, Rolle) beschriftet. Anschließend positionierten die Befragten rund um das Ego-Kärtchen alle Personenkärtchen entsprechend ihrer emotionalen Nähe – je näher bei Ego, desto größer die emotionale Nähe zu dieser Person. Dann wurden Linien zwischen jenen Alteri gezogen, die sich untereinander kennen. Schließlich wurde erhoben, ob und wie oft die Befragten gegenwärtig mit den jeweiligen Personen in Kontakt standen. Dies wurde mit Strichsymbolen vermerkt (kein Kontakt mehr: rot; selten: 1 Strich; gelegentlich: 2; oft: 3 Striche).11
11 Die Visualisierung entstand stets in Gemeinschaftsarbeit. Manche der Befragten waren sehr aktiv, andere wiederum überließen es der Interviewerin, die nicht Sinn gebenden Arbeiten der Visualisierung auszuführen (Beschriftung der Kärtchen, Zeichnen der Linien etc.).
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Tabelle 2: Elemente der Netzwerke und ihre Visualisierung Element Ego
Visualisierung rundes gelbes Kärtchen in der Mitte des A2 Bogens
Art des Akteurs
rundes gelbes Kärtchen: Person eckiges farbiges Kärtchen: anderer Akteur
Wissensmenge
Persönliche Nähe
Größe des Alteri-Kärtchens (Ø 4, Ø 5, Ø 6, Ø 7cm) entspricht der Menge des weitergegebenen Wissens Distanz zu Ego am Papierbogen
Kontakthäufigkeit (Ego zu Alteri)
Ł häufig, = gelegentlich, - selten, - (rot) kein Kontakt
Kennen (Alteri zu Alteri)
einfache Linien zwischen Alteris
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 1: Beispiel einer Netzwerkkarte (Nr. P6) (links: originale Papiernetzwerkkarte (für die Darstellung anonymisiert); rechts: digitalisierte Netzwerkkarte
Quelle: Eigene Darstellung
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Das fertige Personennetzwerk wurde fotografisch dokumentiert. Danach wurden die Kärtchen für nicht-menschliche Alteri rund um das EgoKärtchen auf der Netzwerkkarte nach Wichtigkeit für den Befragten gruppiert. Wieder wurden Linien zwischen jenen Alteri gezogen, die sich kennen, und die Häufigkeit des gegenwärtigen Kontaktes von Ego zu den verschiedenen Alteri markiert. Schließlich wurde die gesamte Netzwerkkarte fotografisch festgehalten und das Ego sowie alle Alteri-Kärtchen auf den Papierbogen geklebt. 2.3 Dateneingabe und -speicherung Die erhobenen Daten (Merkmale von Ego und Alteri sowie Beziehungsdaten) wurden nach der Befragung anhand der Netzwerkkarten in eine MS Excel-Datei eingegeben. Die Fotos der Netzwerkkarten und die Audiodateien wurden benannt und gespeichert. Die Netzwerkkarten wurden gesammelt und als Datenblatt und Beleg aus dem Forschungsgebiet mitgenommen. Der erste Teil der Interviews, in dem die Wissensquellen genannt und ausgiebige Erzählungen stattfanden, wurde transkribiert. Auch alle weiteren Passagen der Interviews, die narrative Information über Wissensweitergabe, Wissensinhalt oder Wissensquellen enthielten, wurden transkribiert. Die Netzwerke wurden während der Erhebung und auch bei der Dateneingabe nicht anonymisiert, da dies Nachteile für die Analyse mit sich gebracht hätte.12 Zu Präsentationszwecken wurden einige Netzwerkkarten mit Hilfe der Software EgoNetQF13 digitalisiert und für die Visualisierung anonymisiert (siehe Abbildung 1).
12 Da die Feldforschung insgesamt neun Monate dauerte, war es möglich, ein umfassendes Bild des Beziehungsgeflechtes zu erhalten sowie sehr viele Personen kennenzulernen, die für das Verständnis der Netzwerkkarten von Vorteil waren. Die Anonymisierung erfolgte erst nach der Analyse für die Publikation. 13 Der Softwareentwickler Jürgen Pfeffer hat die Software dankenswerterweise an die speziellen Erfordernisse der Studie angepasst.
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2.4 Datenanalyse Die Analyse der persönlichen Netzwerke erfolgte (a) quantitativ durch den Vergleich der erhobenen standardisierten Größen (z.B. Häufigkeiten von Nennungen) und (b) durch qualitative Inhaltsanalyse der Narrative. Für die Auswertung und Berechnungen der unterschiedlichen Größen wurden die Softwarepakete MS Excel, Pajek und SPSS verwendet. Für die qualitative Analyse wurden die Transkripte der narrativen Texte mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Folgende Fragen standen dabei im Vordergrund: • • •
Wie wird Wissen weitergegeben (Art des Wissenstransfers)? Warum wird Wissen angenommen (Grund für Wissensaneignung)? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Wissensquelle und Art des Wissenstransfers?
Für die Fragestellungen wurden passende Kategorien entwickelt, auf die Texte angewandt (probecodiert), die Grundstruktur des Kategoriesystems (Codebuch) erstellt, erneut probecodiert, das Codebuch überarbeitet, alle Interviews durchcodiert, das Codebuch reflektiert und gegebenenfalls nachcodiert. Dazu wurde die Software Atlas.ti verwendet. Die codierten Aussagen zu den Themen wurden anschließend paraphrasiert und auf allgemeine Aussagen reduziert (Mayring 2002).
3. E RGEBNISSE Ein wesentlicher Teil der hier dargestellten Untersuchung befasst sich mit der Wissensweitergabe auf individueller Ebene. Dieser Prozess lässt sich in folgende Komponenten untergliedern, die sich auch wechselseitig beeinflussen: Wissensinhalt, Wissensempfänger und Wissensquellen. 3.1 Wissensinhalt Der Wissensinhalt umfasst das gesamte Wissen zum Thema Kulinarik. Dazu zählt das Wissen um die Herstellung, Zubereitung und den Verzehr von Speisen, Getränken und Haltbargemachtem, das Wissen um die dazu nöti-
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gen Ressourcen wie pflanzliche oder tierische Rohstoffe sowie das Wissen um die regionale oder ethnische Herkunft der Speisen etc. Wissensinhalte können prinzipiell in impliziter (nicht-sprachlicher) oder expliziter (sprachlicher) Form vorliegen. Beim kulinarischen Wissen handelt es sich nicht nur um sprachliches Wissen, sondern vielfach um praktisches Wissen, da die Zubereitung von Rezepten sehr viel mit Handfertigkeiten, also nichtsprachlichem Wissen, zu tun hat.14 Diese Art des Wissens bedingt auch eine bestimmte Art der Wissensweitergabe. 3.2 Wissensempfänger In der vorliegenden Studie ist der Wissensempfänger identisch mit der befragten Person (Ego). Während der mehrmonatigen Feldforschung in Pozuzo wurden insgesamt neun persönliche Netzwerkkarten zum Thema Kulinarik erstellt. Vier Männer und fünf Frauen, ausgewählt aufgrund von Empfehlungen, Familien-, Dorfzugehörigkeit und Verfügbarkeit, wurden befragt. Das mittlere Alter der Befragten lag zwischen 45 und 70 Jahren. Alle Befragten sind österreichisch-deutschstämmig oder wurden von einer solchen Familie als Adoptivkind aufgezogen und beherrschen den deutschen Dialekt „Tiroles“ mehr oder weniger gut. 3.2.1 Gründe für Wissensaneignung Bei der Erzählung über die Wissensquellen wurden Gründe für das Erlernen und Nicht-Erlernen von Wissen über Kulinarik genannt. Drei Personen erwähnen, dass ihnen das Kochen generell Spaß macht und sie gerne besonders gute Rezepte erlernen. Zwei Personen haben im Zuge ihrer Arbeit
14 Wissen über Kulinarik beinhaltet ebenso Geschmacksbewertungen, Verzehrsitten, Identitätszuschreibungen etc. Siehe dazu: Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main: Suhrkamp; Brednich, Rolf Wilhelm (1994): Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der europäischen Ethnologie, Berlin: Reimer; MacClancy, Jeremy (2004): „Food, identity, identification“. In: Ders./Helen Macbeth (Hg.), Researching food habits. Methods and problems, New York: Berghahn Books, S. 63-74; Mintz, Sidney W./DuBois, Christine M. (2002): „The anthropology of food and eating“. In: Annual Review of Anthropology 31, S. 99-119.
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Kurse besucht, um Rezepte zu erlernen, die sie für ihre Arbeit im Gastgewerbe brauchen. Neben einem allgemeinen Interesse an Kulinarik wurden darüber hinaus folgende Faktoren für eine erfolgreiche Wissensaneignung in einer konkreten Situation der Wissensweitergabe identifiziert: das Vorhandensein von Vorwissen, um neue kulinarische Information entsprechend aufnehmen zu können, persönliche Geschmacksvorlieben und eine gute Anwendbarkeit des neu erworbenen kulinarischen Wissens. Nur ein Befragter gab an, dass er überhaupt nicht gerne koche und daher auch nicht daran interessiert sei, sich Wissen zu dem Thema anzueignen. Das überlasse er lieber seiner Frau. Sein Desinteresse an Wissen über Kulinarik spiegelt sich auch in der Anzahl der genannten Wissensquellen wieder. Sein Netzwerk umfasst lediglich vier Alteri im Vergleich zu durchschnittlich 15 bei den anderen Befragten. Es lässt sich somit die Hypothese herleiten, dass Personen, die sich nicht für Kulinarik interessieren oder für ihre Arbeit und alltägliches Leben nicht benötigen, tendenziell kleinere Wissensnetzwerke haben. Bei ihnen spielen vor allem die Eltern oder Zieheltern eine große Rolle beim Erlernen von Wissen über Kulinarik. 3.3 Wissensquellen Wissensquellen enthalten Wissen in schriftlicher, mündlicher, bildlicher, taktiler (passives Fühlen) oder haptischer Form (aktive Körpertechnik). Bei der Befragung wurde darauf Wert gelegt, nicht nur Personen, sondern auch anderer Arten von Wissensquellen zu eruieren. Beispiele, die auch von den Befragten genannt wurden, sind etwa Fernseh- und Radiosendungen oder Kochbücher. Die Anzahl der genannten Wissensquellen (Degree Ego) liegt zwischen vier und 28 Nennungen, wobei die beiden Netzwerke mit der geringsten Anzahl von Nennungen von kulinarisch wenig interessierten Personen stammen. Im Mittel wurden zwischen 15 und 20 Alteri genannt. 3.3.1 Andere Akteure Die Diversität der Alteri (Personen/andere Akteure) wurde mittels IQVIndex berechnet (Hennig 2006). Sie ist sehr niedrig (Mittelwert 0,23), da es sich um homogene Personennetzwerke handelt, die selten Nennungen ande-
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rer Akteure aufweisen.15 Sechs Netzwerke weisen gar keine anderen Akteure auf (0,00) und bestehen nur aus Personen. Die drei Netzwerke mit höherer Diversitätskennzahl weisen als andere Akteure Kochbücher (zwei Nennungen), audiovisuelle Medien (vier Nennungen) oder Organisationen (eine Nennung) auf: Eine Frau verwendet gegenwärtig regelmäßig ihre zwei Kochbücher, hat aber in früherer Zeit auch eine Fernseh- und eine Radiosendung als Wissensquellen genutzt. Die durch diese Akteure übertragene Wissensmenge schätzt sie als hoch ein (viel und sehr viel). Ein Mann konsumiert regelmäßig zwei Fernsehprogramme zum Thema Kulinarik, von denen er viel und sehr viel lernt; ein anderer informiert sich bei den Ständen der jährlich stattfindenden Schulausstellungen über kulinarische Neuigkeiten. Insgesamt 130 Nennungen von Personen stehen somit nur sieben Nennungen von anderen Akteuren gegenüber, was darauf schließen lässt, dass bei der Aneignung von kulinarischem Wissen in Pozuzo nur selten auf externe Medien zurückgegriffen wird. Personen als Wissensquellen spielen eine weitaus wichtigere Rolle. 3.3.2 Personen Im folgenden Analyseschritt werden nur die Personennetzwerke (ohne andere Akteure) und ihre Merkmale näher betrachtet. Insgesamt wurden 130 Personen genannt, wobei jedes Ego im Mittel 14 bzw. laut Median 17 Personen genannt hat (mind. drei/max. 25). 3.3.2.1 Geschlechterdiversität Die Geschlechterdiversität unter den genannten Alteri, ebenfalls mittels IQV-Index berechnet, ist relativ hoch (Mittelwert 0,73), da es sich um heterogene Personennetzwerke handelt, in denen Frauen wie Männer vorkommen. Es werden allerdings insgesamt mehr Frauen (65,1%) als Wissensquellen genannt, wobei Frauen auffallend mehr Frauen (77,4%) als Männer (22,6%), und Männer mehr Männer (59,5%), als Frauen (40,5%) nennen. Es besteht demnach ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ge-
15 Liegt der Wert bei 0, drückt er das Vorkommen eines einzigen Merkmales aus, in diesem Fall das Vorkommen nur einer Art von Alteri (Personen). Ein hoher Wert hingegen bedeutet eine hohe Diversität (gleich häufiges Vorkommen) der Merkmale.
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schlecht von Ego und dem Geschlecht der Alteri (pChi-Quadrat < 0,001). Wissen über Kulinarik fließt vermehrt über gleichgeschlechtliche Quellen. 3.3.2.2 Rollen Verwandtschaft16 spielt bei der Weitergabe kulinarischen Wissens eine wichtige Rolle und ist jener Faktor, der am häufigsten genannt wird (vgl. Tabelle 3). Kurse, Freundschaften, Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zu Ego oder dessen Haushalt stehen, und schließlich auch Besucher17 stellen weitere wichtige Wissensquellen dar. Alle Befragten nennen ihre Eltern als Wissensquelle. Acht Personen nennen ihre Mutter18 und sechs Personen ihren Vater. Sieben Befragte nennen auch Tanten und Onkel als Wissensquelle, sechs Befragte ihre Großeltern. Die Eltern sind somit in Pozuzo die wichtigste Quelle für kulinarisches Wissen. Die Menge an Wissen, die von ihnen empfangen wird, bewerten die Befragten als sehr groß (mit Ausnahme jenes Mannes, der sich nicht für dieses Wissen interessierte). Die Beziehung zu den Eltern ist mit Abstand die engste Bindung, da deren Kärtchen auf der physischen Netzwerkkarte meist am nächsten zu den Egos gelegt wurden.
16 Bei der Analyse wurde für jeden Alteri nur eine Rolle berücksichtigt. Falls mehrere Rollen genannt wurden, wurde stets die Verwandtschaft bevorzugt. 17 Mit „Besucher“ sind meist Menschen gemeint, die das Dorf oder die Befragten ohne explizite touristische Absichten besuchen, teilweise Bekannte von Bekannten oder Verwandten. 18 Dabei handelt es sich keineswegs bei allen um leibliche Eltern. Zieh- oder Adoptiveltern werden ebenfalls als Eltern gezählt, da sie die entsprechende Rolle in der Erziehung übernommen haben. Eine Befragte beispielsweise wuchs mit ihrem Onkel auf, da ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben war. Sie nannte als einzige keine Mutter oder Ziehmutter als Quelle für kulinarisches Wissen.
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Tabelle 3: Rollen und Verwandtschaft (n=130) in allen Netzwerken
Rollen
Verwandtschaft
Anzahl
in (%)
Verwandtschaft
63
48,5
Freundschaft
15
11,5
Bekanntschaft
11
8,5
Peones*/Hausmädchen/Chefs
14
10,8
Lehrer/Kochkurse
19
14,6
Besuch/Tourist
8
6,2
Gesamt
130
100,0
Nicht verwandt
67
51,5
verwandt
63
48,5
Gesamt
130
100
* Hilfsarbeiter Quelle: Eigene Darstellung
3.3.3 Wissensmenge Die Befragten ordneten jeder Wissensquelle die entsprechende Menge an Wissen zu, die sie von dieser erhalten hatten. Von den vier Möglichkeiten (unterschiedliche Größen der Kärtchen) wurde das kleinste Kärtchen („wenig“) am häufigsten verwendet (42%). Die größten Kärtchen wurden hauptsächlich an Verwandte und an ein paar Lehrer von Kochkursen vergeben, aber kaum an andere Rollen. Kleine Wissensmengen wurden hingegen auf alle Rollen gleichmäßig verteilt. Eine Ausnahme bildet hier die Rolle der Besucher bzw. Touristen, denen ausnahmslos das kleinste Kärtchen zugeordnet wurde. Viele Wissensquellen geben nur kleine Mengen von Wissen weiter, vor allem temporäre Besucher oder Touristen, während Verwandte (besonders die Eltern, s.o.) viel Wissen weitergeben. 3.3.4 Persönliche Nähe Die Befragten legten je nach dem persönlichen Nahverhältnis zur betreffenden Wissensquelle deren Kärtchen näher oder weiter weg von Ego. Große Kärtchen („sehr viel“ und „viel“ Wissen) wurden signifikant näher (pspearman < 0,001; r = 0,510) an Ego gelegt. Solche Kärtchen finden sich in keiner Netzwerkkarte weit von Ego entfernt, während kleine Kärtchen („wenig“ Wissen) tendenziell ihren Platz in größerem Abstand von Ego
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fanden. Da die meisten großen Kärtchen Verwandte repräsentieren, besonders solche mit einem Nahverhältnis, stellt dieser Befund keine Überraschung dar. Nahestehende Personen geben größere Wissensmengen weiter. 3.3.5 Kontakthäufigkeit Die Kontakthäufigkeit ist in den erhobenen Netzwerken speziell zu behandeln, da es sich bei den persönlichen Netzwerken gleichzeitig um Erinnerungsnetzwerke handelt, die das gesamte Leben der Befragten umspannen. Das Kontaktnetzwerk hingegen ist ein „gegenwärtiges“ Netzwerk; es repräsentiert die aktuelle Situation der Befragten. Bereits Verstorbene müssen daher in der Analyse gesondert behandelt werden. Fast ein Drittel all jener Menschen, die als Wissensquellen genannt wurden, waren bereits verstorben (29,7%).19 Die meisten Toten entfallen auf die Verwandtschaft (68,3%). Leben die Verwandten noch, so wird der Kontakt sehr gut gepflegt; das Abreißen eines Verwandtschaftskontaktes wurde kein einziges Mal erwähnt. Alle anderen Rollen sind durch eine signifikant geringe Kontakthäufigkeit charakterisiert (pChi-Quadrat < 0,001). Ebenso unterscheidet sich die Rolle der Lehrenden von Kochkursen von anderen Rollen, da der Kontakt in diesem Fall sehr oft nach dem Kurs versiegt. Der Zusammenhang zwischen Kontakthäufigkeit und Menge des weitergegebenen Wissens lässt sich ebenfalls nur unter Berücksichtigung der Toten herstellen. Größere Wissensmengen werden im gegenwärtigen Kontaktnetzwerk (ohne Tote) vermehrt von Personen weitergegeben, mit denen die Befragten häufig in Kontakt stehen, während geringe Wissensmengen von Personen weitergegeben werden, mit denen kein Kontakt mehr besteht (n = 97, p = 0,001 rSpearman = 0,324). 3.4 Wissensweitergabe Die Ausprägung der oben bereits beschriebenen Komponenten, Wissensempfänger, Wissensquelle und Wissensinhalt, ist ausschlaggebend für die Art der Wissensweitergabe. Die Aussagen der Befragten deuten darauf hin, dass viel Wissen während der Sozialisierung weitergegeben wird. Die Kinder werden in die im
19 Es wurden viele Personen fortgeschrittenen Alters befragt, womit auch die Anzahl an verstorbenen Verwandten und Bekannten in deren Netzwerken stieg.
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Haushalt stattfindenden Kochprozesse eingebunden, übernehmen bestimmte Tätigkeiten oder werden sogar dazu verpflichtet mitzuhelfen, teilzunehmen oder sogar selber bestimmte Speisen zuzubereiten. Die Wissensweitergabe im Zuge der Sozialisierung geschieht vor allem über das Zusehen, über eigene praktische Erfahrungen und sprachliche Anweisungen oder Fragen. Das in der Sozialisierung erworbene Wissen bildet den Grundstock für die Assimilierung weiteren Wissens. Dazu gehört auch die Beherrschung grundlegender Techniken, beispielsweise den Umgang mit einem Ofen oder die Verarbeitung der wichtigsten lokalen Ressourcen wie Maniok und Reis, die in Pozuzo bei keiner Mahlzeit fehlen. Der Grundstock an Wissen wird dann nach Aussagen der Befragten durch Beobachtungen oder Konversationen erweitert. Diese können einerseits absichtlich darauf abzielen, etwas zu lernen, indem etwa bei Wissenskundigen bestimmte Details oder Rezepte nachgefragt werden oder indem gezielt jemand beim Kochen oder beim Anwenden einer bestimmten Technik beobachtet wird. Andererseits kann Wissen auch in Situationen, die sich zufällig ergeben, aufgenommen werden, etwa durch zufällige Anwesenheit bei der Zubereitung einer bestimmten Speise oder bei Gesprächen, in denen interessante kulinarische Details zur Sprache kommen. Hat der Wissensempfänger das Wissen aufgenommen, so ist es zumindest theoretisch verfügbar. Jedoch erst die erfolgreiche Anwendung und praktische Umsetzung dieses Wissens führt zu dessen vollständigen Aneignung. Dabei wird der Wissensinhalt oft verändert und an die Anforderungen des Wissensempfängers angepasst, weshalb viele Befragte auch von eigenen Erfindungen und Experimenten sprechen, die sie in der Küche durchführen. Eine weitere Form gezielter Wissensaneignung sind Kochkurse. Diese sozial organisierten Zusammenkünfte haben einen bestimmten Ablauf. Die Wissensquelle, meist ein Koch oder eine Köchin, gibt aktiv Wissen an interessierte Teilnehmer weiter. Dabei werden mehrere Rezepte zu einem bestimmten Themenbereich zubereitet und von Erklärungen begleitet. Oftmals werden die Teilnehmer dazu angehalten, selber Hand anzulegen. Ein Kochkurs beinhaltet somit eine bewährte Kombination theoretischer und praktischer Wissensvermittlung. Oft werden die Rezepte während des Kurses niedergeschrieben oder als Texte bereitgestellt, um dem Gedächtnis beim Nachkochen auf die Sprünge zu helfen. In Pozuzo fanden in den letzten Jahren einige Kochkurse über Peruanische, Italienische, Deutsche und
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Österreichische Küche statt, die von einigen der Befragten auch besucht wurden. Angewandt wird das erlernte Wissen von der Hälfte der befragten Kochkursteilnehmer allerdings nur selten. Gründe dafür sind etwa das Fehlen der nötigen Zutaten, die in Pozuzo nicht leicht erhältlich sind. Ein weiterer Grund ist die Bevorzugung der eigenen Küche gegenüber neuen und fremden Speisen. Relativ häufig werden Rezepte aus Kochkursen dagegen im Tourismusbereich angewandt.20 Wissensweitergabe zum Thema Kulinarik erfolgt in Pozuzo somit durch Sprache (Wort und Schrift), Beobachtung (in situ, Film, Bild), praktische Handlungen (hands-on) oder durch eine Kombinationen der genannten Möglichkeiten. Im Zuge der Wissensweitergabe wird der Wissensinhalt stets transformiert, da das weitergegebene Wissen in einem neuen Gedächtnis und Körper gespeichert wird. Das Wissen des Wissensempfängers oder der Wissensempfängerin kann dem Wissen der Wissensquelle mehr oder weniger gleichen. Zunächst wird das Wissen nur aufgenommen und steht für eine mögliche Anwendung zur Verfügung. Das Wissen wird jedoch erst dann vollständig verinnerlicht, wenn es praktisch umgesetzt und an die eigene Erfahrungswelt und den eigenen Geschmack angepasst wird. In Pozuzo sind zwar mehrheitlich Personen für die Weitergabe von Wissen über Kulinarik wichtig, es wurden aber auch andere Wissensquellen genannt. Da die befragten Personen zum Großteil der älteren Generation angehörten, wäre es sinnvoll, auch Personen der jüngeren Generation zu interviewen, um den Einfluss besserer Bildung21, höherer Mobilität, stärkerer Kommunikation und neuer Medien22 mitberücksichtigen zu können. Nur von mündlich überliefertem Wissen auszugehen, wie es bei Studien zu TEK überwiegend der Fall ist, lässt diese wichtigen Faktoren außer Acht. Selbst wenn mündliche Überlieferung einen großen Stellenwert in einer Gruppe hat, sollten die Wissensinhalte und Funktionen anderer Quellen nicht vernachlässigt werden. Die Erhebung anderer Akteure als Wissensquellen und ihre Beziehung zum Wissensempfänger sollte jedenfalls in zu-
20 So ist in Pozuzo eine Pizzeria entstanden, und das Wiener Schnitzel hat Eingang in die Restaurantmenüs gefunden. 21 Erst seit 1973 gibt es in Pozuzo zusätzlich zur „Primaria“ (4-6 Jahre) auch eine „Secundaria“ (4 Jahre). Weitere Bildungswege gibt es in Pozuzo nach wie vor keine. 22 Seit 2000 gibt es eine Internetanbindung.
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künftige Forschungen über Wissensweitergabe/TEK miteinbezogen werden. Dafür wurde das hier beschriebene Instrument entwickelt. Bei der Erhebung von „traditional knowledge“ könnte diese Methode dazu beitragen, den Prozess der Wissensweitergabe besser zu verstehen, indem nicht nur die weitergegebenen Wissensinhalte berücksichtigt, sondern auch die dahinter stehenden Strukturen aufgedeckt werden.
4. P ERSÖNLICHE N ETZWERKKARTEN ALS E RHEBUNGSINSTRUMENT UND PRAKTISCHE P ROBLEME DER E RHEBUNG Bei der Erhebung der Daten ergaben sich unterschiedliche Herausforderungen praktischer wie theoretischer Art. Im Fall des Namensgenerators bestand eine Schwierigkeit darin, den ersten großen Redeschwall vollständig zu erfassen und zu notieren, um so alle Wissensquellen erfassen und weitere Details erfragen zu können. Bei der Befragung älterer Menschen führten manchmal Einschränkungen von deren Seh-, Bewegungs-, Erinnerungsoder Verständnisvermögen zu Situationen, in denen vermehrt Hilfestellungen oder Erklärungen von Seiten der Interviewerin nötig wurden. Dies beeinflusste die Gespräche mehr oder weniger stark und gab u.U. Richtungen vor, die nicht von den Befragten selbst eingeschlagen wurden. Das Erinnerungsvermögen an Namen von Personen mit geringer emotionaler Bindung zu Ego oder Personen, die schon lange verstorben waren, wie auch an die vollständigen Namen anderer Akteure (besonders Bücher) war bei allen Befragten begrenzt. Die Namen konnten meist nicht vollständig genannt werden und wurden durch Rollenbezeichnungen oder Zuschreibungen wie beispielsweise „Tiroler Tourist“ ersetzt. Das Papierformat zeigte seine Grenzen bei der Visualisierung der gegenwärtigen Kontakte zwischen den Alteri und bei der Kontakthäufigkeit zwischen Ego und den Alteri. Zumeist wurden sehr viele Familienmitglieder oder Personen aus der Dorfgemeinschaft genannt, die sich untereinander kennen. In diesem Fall wurde es unmöglich, alle Kontaktinformationen als Linien darzustellen und gleichzeitig die Lesbarkeit der Netzwerkkarte zu gewährleisten. Die Verwendung von Papier hatte allerdings den Vorteil, dass eine Improvisation durch die Verwendung anderer gezeichneter Symbole möglich war. Diese Möglichkeit wurde immer wieder genutzt. Dar-
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über hinaus wurden Zusatzinformationen an den Rand des Papierbogens gezeichnet oder geschrieben, was bei einer vorprogrammierten Software mit fixem Fragebogen nicht möglich wäre und für wenig strukturierte Interviews eine größere Flexibilität bietet. Die persönliche Nähe wurde von den Befragten je nach Wissensmenge des Akteurs (Größe des Kärtchens) so gelegt, dass das visuelle Erscheinungsbild des Netzwerkes stimmig und harmonisch blieb. Dies führte dazu, dass große Kärtchen zwar relativ nahe zum Ego gelegt wurden, metrisch gesehen aber trotzdem stets weiter entfernt lagen als kleinere Akteure. Die dadurch leicht verzerrte Aussagekraft der metrischen Entfernung wurde in der Analyse berücksichtigt, indem die Größe der Kärtchen in den Distanzparameter miteinbezogen wurde. Insgesamt verliefen die Interviews sehr erfolgreich. Der Namensgenerator und die Namensinterpreten reichten zusammen mit Anregungen, die Erzählungen weiterzuspinnen, aus, um Narrative zu generieren, die vor allem durch die Erzählenden bestimmt wurden. Dieser Teil beinhaltete stets viele Zusatzinformationen, die sich für die Auswertung als sehr wertvoll erwiesen. Einige Inhalte kamen dabei zum Vorschein, die bei einer stärker strukturierten Herangehensweise untergegangen wären, gleichzeitig jedoch sehr wichtig für das Verständnis der quantitativen Daten waren. Die Visualisierung der Netzwerke durch Netzwerkkarten förderte hingegen die Aufmerksamkeit der Befragten, wodurch sie weniger ermüdeten als etwa beim Durcharbeiten von langen Listen von Namen. Da sie selber an der Erstellung der Netzwerkkarten teilnahmen und am Papier bereits die „Ergebnisse“ ihrer Erzählungen sahen, blieb das Interview bis zum Schluss spannend. Einige Befragte bekundeten ihre Freude darüber, sich durch das Interview wieder Menschen in Erinnerung gerufen zu haben, an die sie schon lange nicht mehr gedacht hatten. Die Verwendung quantitativer wie qualitativer Analysemethoden erwies sich ebenfalls als sehr fruchtbar. Die quantitative Analyse ermöglicht es, durch einfache statistische Beschreibungen und Analysen Zusammenhänge herauszuarbeiten, die qualitativ kaum sichtbar oder erfassbar sind. Die qualitativen Analysen liefern Möglichkeiten zur Gegenkontrolle quantitativer Befunde und zu deren Vertiefung und Diskussion. Die Methode ist daher gut geeignet, um eine Thematik möglichst umfassend zu beleuchten. Für zukünftige Studien können damit je nach Fragestellung und Arbeitsweise entweder breit angelegte quantitative Erhebungen zur Stützung quali-
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tativer Befunde oder eine qualitative Fundierung angestrebt werden, wie dies bei der vorliegenden Untersuchung der Fall war.23
L ITERATUR Becker, C. Dustin/Ghimire, Kabita (2003): „Synergy between traditional ecological knowledge and conservation science supports forest preservation in Ecuador“. In: Conservation Ecology 8, 1, Artikel 1, online unter: http://www.ecologyandsociety.org/vol8/iss1/art1/. Berkes, Fikret (2009): „Indigenous ways of knowing and the study of environmental change“. In: Journal of the Royal Society of New Zealand 39, S. 151-156. Berkes, Fikret/Colding, Johan/Folke, Carl (2000): „Rediscovery of traditional ecological knowledge as adaptive management“. In: Ecological Applications 10, S. 1251-1262. Bernardi, Laura/Keim, Sylvia/Von der Lippe, Holger (2006): „Freunde, Familie und das eigene Leben. Zum Einfluss sozialer Netzwerke auf die Lebens- und Familienplanung junger Erwachsener in Lübeck und Rostock.“. In: Betina Hollstein/Florian Straus (Hg.), Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 360-390. Bloch, Maurice (1994): „Language, anthropology, and dognitive science“. In: Robert Borofsky (Hg.), Assessing cultural anthropology, New York [u.a.]: McGraw-Hill, S. 276-283. Borofsky, Robert (1994): „On the knowledge and knowing of cultural activities“. In: ders. (Hg.), Assessing cultural anthropology, New York [u.a.]: McGraw-Hill, S. 331-348. Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Brednich, Rolf Wilhelm (1994): Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der europäischen Ethnologie, Berlin: Reimer.
23 Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden ebenfalls qualitative Interviews über das Thema Kulinarik geführt sowie „full participation“ und teilnehmende Beobachtung als weitere Methoden angewandt.
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„Afaro – ich verbinde“ Zur Herstellung transethnischer verwandtschaftlicher Netzwerke am Beispiel der Wampar (Papua New Guinea) B ETTINA B EER
Verwandtschaftliche Beziehungen sind wesentlicher Bestandteil persönlicher Netzwerke von Menschen in allen Gesellschaften. Verwandtschaftsethnologische Fragestellungen – etwa zu ehelichen Beziehungen, Heiratstransaktionen, Tausch oder gegenseitiger Unterstützung – haben deshalb auch seit den Anfängen der ethnologischen Netzwerkanalyse eine wichtige Rolle gespielt (z.B. Bott 1971 [1957]; Foster/Seidmann 1981; Houseman/White 1998, Schweizer 1996, Schweizer/White 1998). Die Verwandtschaftsethnologie betont heute, dass verwandtschaftliche Beziehungen beispielsweise dadurch hergestellt bzw. erhalten werden, dass man für jemanden sorgt, gemeinsam Probleme bewältigt, sich gegenseitig unterstützt und/oder zusammen lebt. Verwandtschaft ist also nicht selbstverständlich durch Heirat oder Abstammung gegeben, sondern wird auch „gemacht“. Das bedeutet außerdem, dass von den „gegebenen“ – auf Abstammung und Heirat beruhenden – Beziehungen nicht alle gleichermaßen eng und von Bedeutung sind (Alber et. al. 2010); nur einige von ihnen spielen eine wichtige Rolle in persönlichen Netzwerken (etwa zu Geschwisterbeziehungen: Schnegg/Pauli 2010). In diesem Beitrag geht es um die Analyse verwandtschaftlicher Beziehungen, die ethnische Grenzen überschreiten. Bei solchen transethnischen verwandtschaftlichen Netzwerken entscheiden die Akteure, welche Beziehungen von ihnen anerkannt, genutzt, gepflegt, aufrechterhalten oder aus-
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gebaut werden. Voraussetzung solcher Beziehungen zwischen Affinalverwandten sind zunächst interethnische Ehen, die Ausgangspunkt für weitere – nicht nur verwandtschaftliche – Beziehungen, aber auch für weitere Heiraten sein können.
1. E INLEITUNG Anstoß für Theorien ethnischer Grenzen und viele spätere empirische Studien war der klassische Beitrag des Ethnologen Frederik Barth (1969) über Prozesse der Abgrenzung und Grenzüberschreitung, mit dem er das Ende essentialistischer Konzepte von „Stämmen“ oder Volksgruppen einläutete. Sein Grundgedanke, wonach ethnische Gruppen das Ergebnis von Praktiken wechselseitiger Grenzziehung sind, wird seit einigen Jahren aufgegriffen und auf andere soziale Entitäten wie Nationen oder soziale Schichten übertragen. Grenzen werden dabei relational verstanden: Eine stabile Grenze existiert erst, wenn sie auf beiden Seiten als solche wahrgenommen wird. Diese basiert sowohl auf Interaktionsblockaden zwischen sozialen Einheiten, die beispielsweise durch räumliche Segregation oder organisatorische Mitgliedschaft entstehen, als auch auf Grenzüberschreitungen, die als solche wahrgenommen und diskutiert werden. Die Untersuchung interethnischer Netzwerke stellt somit einen wichtigen Beitrag zur Analyse der Verfestigung bzw. Auflösung ethnischer Grenzen dar. Melanesien und insbesondere das heutige Papua New Guinea (PNG) mit seiner großen Anzahl von Sprachen und durch hohe Berge getrennte Täler schien für frühe Ethnografen zunächst dem Ideal des Mosaiks abgegrenzter „Stämme“ oder „Ethnien“ zu entsprechen. Es zeigte sich jedoch, dass auch hier schon früh Kontakte und interethnische Beziehungen durch Tausch, Heirat und Krieg, später auch durch Mission, (Kolonial-)Verwaltung, Plantagenwirtschaft und Verstädterung bestanden. Viele der in Melanesien arbeitenden Ethnologen gehen inzwischen statt von ethnonymisch abgrenzbaren lokalen Bevölkerungen eher von sozialen und historischen Interaktionsprozessen sowie von Kontaktzonen statt von klaren Grenzen aus. Das Markhamtal war und ist eine solche Kontaktzone, in der Verwaltung, Mission und indigene Gruppen, Küsten- und Hochlandbevölkerungen, ländliche und städtische Lebensweisen aufeinandertreffen. Die Bevölke-
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rung des Tals, die sich selbst als „Wampar“1 bezeichnet, ist auf vielfältige Weise mit Nachbargruppen, der Stadt und Personen aus und in weit entfernten Siedlungsgebieten in PNG vernetzt. Sechs der acht größeren Dörfer befinden sich in der Nähe des Highlands Highway, der die nahe gelegene Stadt Lae mit dem Hochland Neuguineas verbindet. Statt von ethnischen „Grenzen“ der Wampar könnte man auch von einer border zone sprechen, innerhalb derer Beziehungen und damit verbundene Rechte, Pflichten und Regeln andauernd neu ausgehandelt werden. Wie ich in diesem Beitrag zeigen werde, spielen interethnische Ehen hier eine entscheidende Rolle. Im Folgenden werden die Fragestellungen und methodischen Möglichkeiten, sich den Verwandtschaftermini und Anredeformen zu nähern, vorgestellt.
2. Z UR K OMBINATION EMPIRISCHER M ETHODEN IN DER F ELDFORSCHUNG ‚Teilnehmende Beobachtung‘ ist eines von mehreren Verfahren, die – sich gegenseitig ergänzend und kontrollierend – in der Feldforschung eingesetzt werden (s.a. Beer 2008). Durch das Mitleben des Ethnologen/der Ethnologin in einem Haushalt wird beispielsweise das Verwandtschaftssystem aus der „Ego-Perspektive“ erlebt und erlernt, ähnlich wie etwa Kinder dies in ihrer Sozialisationsphase tun. Diese Erfahrung der Einbindung in eine Verwandtschaftsgruppe ist zwar kein systematisierbares Instrument der Datenerhebung, kann aber Mechanismen der Kategorisierung von Verwandtschaft und des Verhaltens in alltäglichen Situationen sozusagen „am eigenen Leib“ erleb- und nachvollziehbar machen. Einen Ethnologen im Haushalt zu haben, ist allerdings kein Normalzustand. Die teilnehmende Beobachtung ist deshalb auch nicht immer eine Beobachtung von „üblichem“ Verhalten.
1
Ich beziehe mich auf eine Bevölkerung und Sprache in der Morobe Province des heutigen Papua New Guinea, die während der Kolonialzeit und von anderen Gruppen häufig als „Laewomba“ bezeichnet wurde. Der Einfachheit und Lesbarkeit halber verwende ich die von dieser Gruppe geteilte Selbstbezeichnung „Wampar“.
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Die Einbindung des Ethnologen könnte in manchen Situationen sogar als „natürliches Experiment“ bezeichnet werden, bei dem Beziehungen und Regeln erst durch Regelverstöße deutlich werden. Die tatsächliche Gestaltung verwandtschaftlicher Beziehungen – gegenseitige Hilfe, die Regelung von Konflikten oder auch verwendete Anrede- und Bezugsformen – werden so in ihrer Praxis erlebt und für den Ethnologen versteh- und nachvollziehbar. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass „Kultur“ ein Prozess ist und im Alltag immer wieder neu verhandelt wird: Es kann ganz unterschiedliche Meinungen darüber geben, was richtig ist (vgl. Beer 2011). Das Mithören alltäglicher Konversationen – die Art und Weise, wie etwa eine Person eine andere anspricht oder über sie spricht – trägt deshalb zum Verständnis sich wandelnder Termini, Modelle, Kategorien und Bedeutungen von Verwandtschaft bei. Die systematische und teilnehmende Beobachtung „natürlicher“ Situationen spielt also neben der Befragung eine zentrale Rolle, da auch nicht-sprachliche Möglichkeiten der Repräsentation verwandtschaftlicher Kategorien, Beziehungen und Netzwerke – etwa Zeichnungen oder Gesten (Conklin 1969 [1964]; Enfield 2005) – berücksichtigt werden können. Zensusdaten, Lebensgeschichten, Netzwerkdaten, schriftlichen Dokumenten und Archivmaterial ermöglicht die Einbindung weiterer Informationen, um die Praxis des Aushandelns, die Dynamiken und Grenzen verwandtschaftlicher Beziehungen besser zu verstehen (Beispiele in Alber et. al. 2010). So erleichterte in meiner Forschung etwa die Verwendung von Zeichnungen die Befragung von Kindern. Zudem bot dies den Befragten die Möglichkeit, eigene Ausdrucksformen zu finden.2 Für die Analyse von Netzwerken ist insbesondere die Kombination der Aufnahme genealogischer Daten mit der Erhebung eines ethnographischen Zensus von Bedeutung (Pauli 2008): Die genealogische Methode stellt ein systematisches Verfahren dar, mit dessen Hilfe zunächst Kenntnisse der Verwandtschaft einer einzelnen Person, deren Beziehungen und Bezeichnungen für Verwandte erhoben werden (Fischer 1996). In der Untersuchung transkultureller Netzwerke bei den Wampar stand deshalb nicht im Vordergrund, den kleinsten gemeinsamen Nenner e i n e s „korrekten“ bzw. widerspruchslos geltenden abstrakten Systems herauszufinden, sondern vielmehr den Wandel konkreter verwandtschaftlicher Kategorien und Be-
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Zur Erstellung und Auswertung von etwa Netzwerkkarten vgl. etwa Herz/Gamper, Haselmair sowie Hauck/Schiffer in diesem Band
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ziehungen zu untersuchen. So wurden beispielsweise Unterschiede im Gebrauch von Terminologien und Anredeformen je nach Geschlecht, Alter, Ausbildung und Status deutlich, die heutzutage aus der Verwandtschaftsethnologie nicht mehr wegzudenken sind. Für die vorliegende Studie standen Erhebungen der Wampar-Terminologie bezogen auf die 1960er und 70er Jahre (Fischer 1975) zur Verfügung. Darauf aufbauend konnte ich untersuchen, inwieweit diese Terminologie im Alltag benutzt wird, Sprachen gemischt oder statt Bezugs- und Anredeformen Namen oder Herkunftsorte verwendet werden. Dafür habe ich etwa Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren in den drei klassischen Schritten befragt: 1. „Wer hat Dich geboren?“, 2. „Wie nennst Du diese Person?“, 3. „Wie sprichst Du sie an?“.3 Aufbauend auf den seit den 1950er Jahren von Fischer erhobenen Zensusdaten4 wiederholte ich den ethnographischen Zensus in den Jahren 1999/ 2000, 2004 und 2009 auf dem Gebiet des Dorfes Gabsongkeg. Bei der Zensuserhebung wurden Standardfragen jeweils entsprechend der Forschungsfrage ergänzt, etwa nach Ausbildung, Arbeit/Beruf, Dauer des Aufenthaltes und Rolle im Haushalt (adoptiertes Kind, Arbeiter, Besucher). Durch die Kombination der genealogischen Methode und des ethnographischen Zensus eruierte ich z.B. Haushaltsmitglieder, die erst im Verlauf des langen „Mitlebens“ im Haushalt zu Verwandten wurden. So geschieht das „Verwandt-Machen“ (in der englischsprachigen Literatur kinning oder doing kinship) bei den Wampar vor allem im Zusammenleben und im Haushalt. Der Haushalt ist damit die zentrale soziale Einheit, in welcher der Vollzug eines großen Teils des Alltagslebens geschieht. Dies verdeutlicht ein nicht sehr häufiger, aber für das Verständnis dessen, was Wampar-Sein und Verwandt-Sein bedeutet, wichtiger Fall: Ein junger Mann, den ein Missionsgehilfe der Wampar als Kind vom Watut mitgebracht hatte und der aufgrund seines Geburtsortes als Fremder (auf Wampar ngaeng yaner) hätte eingestuft werden können und keine durch Abstammung oder Geburt hergestellten Beziehungen zum Haushalt hatte, wurde beispielsweise durch das Aufziehen in einem Wampar-Haushalt zu einem „Wampar“. Bei der Aufnahme einer klassischen Genealogie mit einem der Haushaltsmitglieder
3
Die Ergebnisse der Analyse dieser Fallbeispiele können hier aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt werden.
4
Hierunter fallen historische Quellen, Genealogien und Zensus-Daten (Fischer 1975a, 1975b; 1978; 1992, 2000, 2002).
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wäre er nicht erfasst worden. Seine spätere Ehe mit einer Wampar-Frau ist aus Sicht der meisten Wampar somit keine „interethnische Ehe“. Der Fall dieses yaner bzw. Wampar-Mannes führte jedoch weiter: Nach Scheidung von seiner Wampar-Frau verließ er das Siedlungsgebiet und ging ins Hochland. Die Beurteilung seiner „Wamparness“ wandelte sich. Dies geschah vor allem, nachdem ein Sohn aus zweiter Ehe, die er im Hochland geschlossen hatte, im Dorf zu Besuch war und im Anschluss an eine Sauferei einen jungen Wampar erstach. Viele Wampar – unter anderem auch solche, die seine „Verwandten“ waren – distanzierten sich. Das Lösen verwandtschaftlicher Beziehungen (de-kinning) spielt also in diesem Fall ebenfalls eine Rolle. Parallel zur wiederholten Befragung aller erreichbaren Personen wurden alle vorhanden Quellen und Dokumente (auch Bilder, Schriftstücke, Tonaufnahmen) ausgewertet. Von Anfang Mai bis Ende Juli 2009 nahm ich darüber hinaus in 84 Fällen sämtliche bei village, full bzw. district courtSitzungen verhandelten Konflikte auf.5 Bei einigen waren interethnische Ehepaare sowie deren Verwandte beteiligt. Vom magistrate, der eine solche Sitzung leitet, wurden alle beteiligten Personen befragt. So erhielt ich Schilderungen derselben Situationen, zu denen ich bereits Interviews geführt hatte, aus einer anderen Perspektive und in einem anderen Kontext. Weitere Situationen, die für die Analyse verwandtschaftlicher Netzwerke von Bedeutung sind, waren kirchliche Mediationen bei Konflikten, die Übergabe von Brautpreisen, die Ausrichtung von Totenfeiern und fund raising parties für Schulgeld, bei denen verwandtschaftliche Beziehungen mobilisiert wurden.
5
Die Verfassung von Papua New Guinea sieht seit 1975 sogenannte Village Courts vor. Dies sind „courts intended to deal with matters primarily by reference to custom or in accordance with customary procedure, or both“ (Independent State of Papua New Guinea 1975: Constitution, section 172). Zu Village Courts in Port Moresby siehe Goddard 2004.
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3. T RANSETHNISCHE N ETZWERKE E IN B EISPIEL
DER
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W AMPAR –
Ethnische Grenzen überschreitende, transkulturelle verwandtschaftliche Netzwerke entstehen vor allem durch Heiraten zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen PNGs (Beer 2006), aber auch durch Freundschaften, Arbeits- und Handelsbeziehungen (Beer 2008, 2010) sowie durch Adoptionen und Pflegschaften. Vorkolonial spielten bereits Tauschbeziehungen und Kriege zwischen benachbarten Gruppen eine wichtige Rolle. Während der Kolonialzeit waren es in erster Linie Mission und Plantagenarbeit, die (fast ausschließlich männliche) Angehörige verschiedener – auch nicht-benachbarter – Ethnien miteinander in Kontakt brachten. Heute sind die Städte und dort vor allem Märkte Orte des Kennenlernens. Aber auch die Ausbildung (high schools, meist boarding schools, colleges, Universitäten und vocational courses), Freizeitangebote für Jugendliche von Schulen oder Kirchen, Sportveranstaltungen, größere Konzerte, Show- oder MesseVeranstaltungen (z.B. die Morobe Show in Lae) sind wichtige Institutionen und Gelegenheiten, bei denen sich junge Leute aus verschiedenen Landesteilen kennenlernen. 3.1 Beziehungen zwischen Wampar und Adzera Im Zeitraum zwischen einem ersten Regierungszensus von 1954 und eigenen Zensusaufnahmen bei der letzten Feldforschung 2009 konnten Informationen über 538 Ehen6 erhoben werden, an denen Wampar aus dem Dorf Gabsongkeg beteiligt waren.7 Im Folgenden stelle ich ein Fallbeispiel für
6
In 295 interethnischen Ehen wird der Ehemann als Wampar klassifiziert in 243 die Frau. Ehen zwischen Wampar-Frauen und Nicht-Wampar-Männern haben erst seit den 1970er Jahren stark zugenommen. In der Zeit zwischen 1915 und 1970 sind von 32 Ehen 14 Ehen mit Nicht-Wampar-Männern dokumentiert. Diese Ehepaare verließen allerdings das Gebiet des Dorfes Gabsongkeg, da die Frauen dort keine Landrechte hatten und die patrilineare Ideologie bei der Weitergabe von Land zu dieser Zeit noch sehr viel stärker zum Ausdruck kam.
7
Eingeschlossen sind Informationen über Ehepaare, die das Dorf verlassen haben – auch wenn diese unvollständiger sind als Daten über verbliebene Paare –, und
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Abbildung 1: Wampar und benachbarte Sprachgruppen (fett: austronesische, kursiv: papuanische Sprachen)
Quelle: nach Fischer 2000: 312
interethnische Heiraten zwischen Wampar und Adzera über mehrere Generationen und die daraus entstandenen Netzwerke ausführlicher dar. Im Zentrum stehen die Fragen: Wie wurden die Netzwerke geknüpft und was ist Gegenstand der Beziehungen? Dabei bette ich die Darstellung des Gesamtnetzwerkes in die Ergebnisse der Erhebungen zu weiteren interethnischen Ehen ein. Adzera, die direkten Nachbarn der Wampar flussauf, sind die ethnische Gruppe, mit der zwischen 1910 und 2009 die meisten interethnischen Ehen geschlossen wurden. Die Verteilung ist genderabhängig: Von den 100 Ehen wurden 70 mit Adzera-Frauen, 30 mit Adzera-Männern geschlossen. Von
nicht mehr existierende Ehen. Der Zeitraum umfasst 94 Jahre: Die erste dokumentierte Ehe wurde 1915 zwischen einer Yalu-Frau und einem Wampar geschlossen; die letzten 20 aufgenommenen Heiraten sind aus der ersten Hälfte des Jahres 2009, mit zum Teil noch recht unklarem Status.
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letzteren 30 Adzera-Wampar-Paaren leb(t)en allerdings nur 15 auf dem Gebiet von Gabsongkeg, während von Wampar-Adzera-Paaren nur eines nicht in Gabsongkeg lebte. Dies hängt mit jeweiligen Landrechten zusammen, die in beiden Gesellschaften patrilinear weitergegeben werden. Der Grund, warum überhaupt 15 von 30 Adzera-Wampar-Paaren auf dem Land Gabsongkegs blieben, liegt daher zum Einen an der Trockenheit im Adzera-Gebiet, zum Anderen an der besseren Anbindung der Wampar-Dörfer an die Stadt und damit dem Zugang zu medizinischer Versorgung, Schulen, Märkten und Konsummöglichkeiten. Allerdings haben viele dieser Paare eher einen „doppelten Wohnsitz“. Der Ehemann bearbeitet mit seiner Frau und Verwandten vor Ort weiterhin Gärten auf dem Siedlungsgebiet der Adzera und die Eheleute pendeln zwischen beiden Siedlungsgebieten. Transkulturelle verwandtschaftliche Netzwerke zwischen Adzera und Wampar zeigen das von Barth beschriebene Prinzip, wonach ethnische Gruppen als Ergebnis von Praktiken wechselseitiger Grenzziehung verstanden werden können. Die Grenze zwischen ihnen ist relational: Sie existiert dadurch, dass sie auf beiden Seiten als solche wahrgenommen wird, und basiert sowohl auf Unterschieden und Interaktionsblockaden zwischen den beteiligten sozialen Einheiten als auch auf Grenzüberschreitungen, in diesem Fall mehrheitlich hypergamer interethnischer Ehen, also Heiraten, in denen die Frauen in eine sozioökonomisch besser positionierte soziale Gruppen „hinauf heiraten“. Die interethnischen Beziehungen zwischen Adzera und Wampar sind durch die unterschiedliche ökonomische Situation der beiden Gruppen charakterisiert: So siedeln Adzera weiter entfernt von der Küste als die Wampar, bekamen später Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten und verfügen über einen weniger leichten Zugang zur Stadt. Auch einige neue wirtschaftliche Möglichkeiten – etwa die Hühneraufzucht für eine große Firma – bleiben ihnen verschlossen, zumal in ihrem Siedlungsgebiet eher Wassermangel herrscht. Wampar und Adzera haben daher seit jeher Tauschbeziehungen untereinander gehalten. So wurde etwa die bei den Wampar besser wachsenden Betelnüssse gegen Tontöpfe der Adzera getauscht, die auf bessere Tonvorkommen in ihrem Gebiet zurückgreifen können. Beide Gruppen haben patrilinear organisierte Verwandtschaftssysteme und das Ideal klanexogamer Ehen sowie die Regel, dass Frauen mit der Heirat bei der Verwandtschaftsgruppe des Ehemannes leben. Zusammen mit der wirtschaftlichen Überlegenheit der Wampar sind dies gute Bedingungen für hyperga-
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me Ehen, bei denen die Adzera-Familien von den Wampar jeweils höhere Brautpreise fordern konnten als innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe. Wampar-Männer konnten junge Adzera-Frauen in manchen Fällen als Zweit-Frauen in ihren Haushalt aufnehmen. Dies geschah trotz der frühen Christianisierung beider Gruppen.8 Das häufige Vorkommen von Zauberei ist neben der angeblichen „Rückständigkeit“ ein weiteres Merkmal der Adzera, das von den Wampar betont wird. Adzera werden also einerseits als den Wampar wirtschaftlich unterlegen und weniger gebildet beschrieben, gleichzeitig hat man aber auch ein wenig Angst vor ihnen. In der Vergangenheit sind mehrere Wampar-Männer (u.a. Pupuafin-Marieki aus dem hier beschriebenen Netzwerk) zu Heilern geworden. Viele Wampar nehmen an, dass Adzera-Frauen ihren Wampar-Ehemännern Kenntnisse und Fähigkeiten über sangguma (einen in PNG üblichen Schadenszauber) vermittelt haben und sie dadurch in der Lage sind, die Auswirkungen dieses Zaubers – also sonst unerklärliche psychische und physische Erkrankungen – zu heilen. Somit ist die Institution des Heilers bei den Wampar in mehreren Fällen an die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Adzera geknüpft.
8
Laut Hartmut Holzknecht, der Adzera- mit Wampar-Gruppen (Dzifasing, Tararan) am mittleren Markham vergleicht, sollen Adzera – anders als Wampar – Klanendogamie, kombiniert mit Dorfexogamie praktiziert haben (Holzknecht 1974: 27). Die patrilineare Ideologie sei strikter als bei den Wampar und schränke Landnutzungsrechte stärker ein. Die Böden seien fruchtbarer, dafür der Wasserstand deutlich niedriger als im Wampar-Gebiet. Die höhere Bevölkerungsdichte nennt Holzknecht als Grund für striktere Zugangsrechte zu Land. Die wenigen bei den Wampar eingeheirateten Adzera-Männer, die auf dem Land ihrer Abstammungsgruppe Gärten bekommen, pendeln deshalb zwischen beiden Siedlungsgebieten, um durch regelmäßige Besuche ihre Verwandtschaftsbeziehungen bei den Adzera und daraus entstehende Nutzungsansprüche zu bewahren. Die von Holzknecht beschriebene höhere Fruchtbarkeit der Böden leuchtet jedoch nicht ganz ein; auch die Quelle zu Aussagen über die Bodenqualität ist unklar. Im Wampar-Gebiet gibt es mehr Galeriewälder, während den Adzera vor allem große Grasflächen zur Verfügung stehen.
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3.2 Fallbeispiel: Netzwerke transkultureller Verwandtschaft Im Folgenden geht es um interethnische Ehen zwischen Adzera und Wampar, wobei die Mehrheit der Ehen zwischen Adzera-Frauen und WamparMännern geschlossen wird. In Zentrum steht einNetzwerk9, das auf eine frühe Ehe zwischen Tate-Boasa10, einem Wampar-Mann, und Gimingo, einer Adzera-Frau, zurückgeht. Diese Ehe ist typisch für frühe Ehen von Wampar-Männern mit Frauen aus benachbarten Gruppen, die bei den Wampar lebten. Wampar waren bereits Ende des 19. Jahrhunderts kontaktiert und Anfang des 20. Jahrhunderts missioniert worden. Sie arbeiteten deshalb im Vergleich zu Bevölkerungen, die weiter von der Küste und kolonialen Zentren entfernt siedelten, relativ früh für die Kolonialverwaltung, Mission und ausländische Firmen. Tate-Boasa beispielsweise war Straßenarbeiter, angestellt bei einer australischen Firma und beteiligt an der Asphaltierung des highways, der ins Hochland PNGs führt. In erster Ehe war er mit einer Wampar-Frau verheiratet gewesen, von der er sich 1961 trennte. Bei den Bauarbeiten auf dem Gebiet der Adzera (s. Abbildung 1) entstanden Kontakte zur lokalen Bevölkerung. So lernte er 1963 bei den Adzera Gimingo, seine zweite Frau, kennen. Ihre Familie drängte sie zur Ehe mit Tate-Boasa und trotz des großen Altersunterschiedes von zwölf Jahren war sie mit der Heirat einverstanden.
9
Die für das Fallbeispiel relevanten Personen sind mit der weiteren Verwandtschaft des Haushaltes verbunden, in dem ich seit 1997 bei meinen Feldforschungen lebte. Wichtig zur Einschätzung und Einordnung dieser Informationen ist, dass ich mit vielen der an diesen Netzwerken beteiligten Personen einen großen Teil des Alltags verbracht habe, zu dem etwa folgende Tätigkeiten gehörten: Gemeinsame Vorbereitungen für Feiern (Bananenschälen, Kochen, Diskussionen wer eingeladen ist, werden soll und kommt), Gespräche und BetelKauen in vielen Situationen des Wartens auf etwas, Fahrten in die Stadt und gemeinsame Einkäufe, Marktbesuche, Wäsche-Waschen und Baden mit den Frauen, Aufräumen und Saubermachen des Haushaltes, Zeitvertreib an regnerischen Tagen oder Freizeitvergnügen.
10 Alle Personen-Namen sind anonymisiert, die anonymisierten Formen entsprechen jeweils üblichen vorchristlichen, christlichen und modernen „Schulnamen“ sowie selbst gewählten Spitznamen.
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Im darauf folgenden Jahr organisierte Tate-Boasa eine Party bei seinen Schwiegerverwandten und nahm dazu die string band seines Dorfes mit. Bei dieser Gelegenheit lernten die beiden jungen Männer Pupuafin-Marieki und Poatra-Eneadz ihre Frauen kennen. Beide Männer gehören derselben Sagaseg (Klan) an und sind über ihre Groß- bzw. Urgroßväter miteinander verwandt. Marieki war zum Zeitpunkt der Heirat achtzehn und PoatraEneadz fünfzehn Jahre alt. Ihre Adzera-Partnerinnen waren entsprechend der Wampar-Norm zwei bzw. ein Jahr jünger. Die beiden Frauen sind ebenfalls miteinander verwandte Kusinen. Nach der Party kamen die beiden jungen Adzera-Frauen nach Gabsongkeg und ein Treffen zwischen ihren Verwandten und den wichtigsten Männern des Dorfes (den Kirchen-Ältesten und einflussreichen Mitgliedern der jeweiligen patrilinearen Verwandtschaftsgruppen der jungen Männer) wurde vereinbart. Bei diesem Treffen wurde der Brautpreis auf jeweils 150 Kina festgelegt und die Modalitäten der Übergabe besprochen. Weitere Ehen zwischen Verwandten von Gimingo und Kindern von Tate-Boasa, Pupuafin-Marieki und Tsafar folgten. Yaeng, ältester Sohn von Tate-Boasa und Gimingo (benannt nach ihrem Vater), heiratete 1988 Erangarang-Christin. Esadeya-Kipi – ein Sohn von Marieki und Yaung – heiratete 1995 Fafiang, ebenfalls eine Adzera-Frau. Nampudz, ein Wampar aus einer anderen patrilinearen Abstammungsgruppe, heiratete eine weitere Verwandte von Gimingo. Seine Tochter Wantsa-Dio ist heute eine der wenigen Frauen, die mit einem Adzera-Mann verheiratet ist. Sie lebt seit 2005 mit ihrem Mann Bruce entsprechend der patrivirilokalen postnuptialen Residenz bei den Adzera. Wie Zensusaufnahmen zeigen, hielten sich immer wieder auch jüngere unverheiratete Verwandte der eingeheirateten Frauen für mehrere Monate in den Wampar-Adzera-Haushalten auf und gingen später wieder in ihre Herkunftsdörfer zurück. Besuche im Herkunftsgebiet, die mehrere Wochen oder sogar Monate dauern können, sind aufgrund der geographischen Nähe unaufwändig und wichtig zur Festigung des sozialen Netzwerkes. Bei großen sozialen Anlässen, bei denen viele Menschen zusammenkommen und mehrere Tage zusammen verbringen, sind sie wichtige Gelegenheiten für das Kennenlernen neuer Paare. Auch Besuche von mit Wampar verheirateten Adzera-Frauen zusammen mit den Kindern bei ihren Herkunftsfamilien gehören zur Normalität: Sie finden sowohl bei besonderen Gelegenheiten
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Tabelle 1: Heiraten zwischen Wampar und Adzera innerhalb eines verwandtschaftlichen Netzwerkes Name, Geburtsjahr Tate-Boasa *1933 Gimingo *1945 PupuafinMarieki *1946 Yaung *1948 PoatraEneadz *1949 Yaorasi *1950 Nampudz *1955 Gimingo
Yaeng *1965 †1998 ErangarangChristin
Esadeya-Kipi *1968 Fafiang Bruce Wantsa-Dio *1987
Heirat
Brautpreis in Kina
1963
100
1964
150
Verwandte von Gimingo
Gabsongkeg
1964
150
Verwandte von Gimingo
Gabsongkeg
1982
350
Gimingo verwandt mit Erangarang
Gabsongkeg Gabsongkeg, nach Tod des Mannes zunächst mit drei Söhnen zurück zu Adzera, Konflikte um Landrechte
Beziehung
Ort
Gabsongkeg
1988
400
Sohn von Tate-Boasa, Namengeber ist Gimingos Vater
1995
2000
Sohn von PupuafinMarieki
Gabsongkeg
2005
?
Tochter von Nampudz
> leben bei Adzera
Quelle: Eigene Darstellung
wie längeren gemeinsamen Festen (Totenfeiern, Brautpreisübergaben, nach der Geburt eines Kindes, Weihnachten) als auch ohne besondere soziale Anlässe statt. Bei den Adzera wurde und wird möglichst kurz nach der Heirat ein Brautpreis gezahlt; Tate-Boasas Familie etwa soll für Gimingo Anfang der 60er Jahre 100 Kina gegeben haben. Für heutige Verhältnisse ist das wenig. Bezogen auf den Brautpreis bei Heiraten zwischen Adzera und Wampar zeigt sich in den letzten fünfzig Jahren eine deutliche Veränderung, die mit der Verfügbarkeit von Lohnarbeit einherging. Die Spanne reicht von 100
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bzw. 150 Kina, die zusammen mit einem großen Brautpreis-Schwein und Bananen übergeben wurden, bis hin zu Brautpreisen, die 2009 zwischen 2.000 und 3.000 Kina lagen. Die Diskussion der Zahlungsmodalitäten dieser großen Summen erfordert heute in vielen Fällen eine Reihe von Verhandlungen bei den village court-Sitzungen. Das gemeinsame Essen anlässlich der Übergabe des Brautpreises gerät dabei zunehmend in den Hintergrund. Vor allem von Seiten der Wampar wird betont, dass bei den Adzera die reine Geldgier hinter den Heiraten und Brautpreisforderungen stehe. Dennoch sind Heiraten und die Übergabe von Brautpreisen in den Beziehungen zwischen Adzera und Wampar weiterhin fester Bestandteil eines Tauschsystems, ähnlich wie in anderen Gebieten PNGs (Dan Jorgensen 1993: 59). Sie gelten als wichtige Transaktionen innerhalb eines stabilen, ethnische Grenzen überschreitenden Systems mit eigenen Regeln für Heiratstransaktionen und der Verkettung von Heiraten, Transaktionen und Generationen. Dass Brautpreise Aspekte von Gabe und Geldwert vereinen, vermindert nicht ihre Bedeutung für die Festigung von Beziehungen auf verschiedenen Ebenen. So spielt auch die Namensvergabe an Kinder eine bedeutende Rolle bei der Netzwerkknüpfung. Die Namengebung der Adzera ähnelt derjenigen der Wampar: Konträr zur patrilinearen Ideologie werden hier Namen von der mütterlichen Seite weitergegeben: „All people now have at least two names – a village name and a Christian name. The village name is given just after birth by a relative, usually mother’s brother or mother’s brohter’s wife. The name given is often that of an ancestor, or a relative, and all names have meanings in the language. If the person whose name is given is still living, then a namesake relationship is thus set up. This is a quasi-kinship relationship, and entails frequent gift-giving from older to younger. This village name can never be spoken by anyone in the category of in-law“ (S. Holzknecht 1995: 937).
Das verdeutlicht, dass die Weitergabe von Namen in interethnischen Ehen, auch wenn Adzera-Frauen bei Wampar leben, durch Namenspatenschaften unterstützende Beziehungen („strong ties“) herstellen und/oder betonen
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können.11 Im Beispiel der verwandtschaftlichen Netzwerke zwischen Wampar und Adzera hat etwa Gimingo ihren Sohn Yaeng nach ihrem eigenen Vater benannt und damit eine Nemsek-Beziehung zu ihrer Herkunftsfamilie hergestellt (vgl. hierzu Unterkap. 4.1). Auch wenn Yaeng nach Vorstellungen der Adzera, in ihrem Gebiet keine Landrechte hat, sondern diese durch seinen Wampar-Vater erhält, kann er dennoch eher mit Unterstützung durch den Vater seiner Mutter rechnen. Heiratsbeziehungen innerhalb interethnischer Netzwerke gibt es bei den Wampar bereits seit rund hundert Jahren. Heute bestehen solche etablierten Heiratssysteme neben Ehen, die nicht in bereits bestehende Netzwerke eingebunden sind und um die es im folgenden Abschnitt geht.
4. S OZIALE B EZIEHUNGEN
IN TRANSETHNISCHEN VERWANDTSCHAFTLICHEN N ETZWERKEN
An dem dargestellten Fallbeispiel wie an weiteren interethnischen Heiraten bei den Wampar wurde deutlich, welche vielfältigen Handlungsoptionen hinsichtlich Partnerwahl, Wahl des Wohnortes und Umgang mit der jeweiligen Verwandtschaft allen beteiligten Personen heutzutage zur Verfügung stehen. Am Anfang trans- und multiethnischer Netzwerke stehen individuelle Beziehungsentscheidungen in Schule und Ausbildung, am Arbeitsplatz, bei Aktivitäten der Kirche oder Freizeitaktivitäten. Migrationsentscheidungen, vor allem aber auch Heiraten (die teilweise aus ersteren resultieren), sind sowohl individuelle Entscheidungen als auch Entscheidungen, die durch Werte und Normen sowie andere frühere Entscheidungen eingeschränkt oder erleichtert werden und damit in ihrer Wahrscheinlichkeit vorhersagbar sind. Paare siedeln meist zeitweise neolokal oder patriuxorilokal, was der postnuptialen Wohnfolgeregelung in den meisten Gebieten widerspricht. Aber auch hier entstehen Netzwerke, über deren Beziehungen wichtige Ressourcen ausgetauscht werden: Es handelt sich etwa um den Zugang zu Arbeit in der Stadt, finanzielle Unterstützung, Hilfe bei der Pflege von Kindern, Alten oder Kranken sowie mögliche Unterkünfte in der
11 Zur Namengebung, der agency von Kindern bei der Verwendung von Namen sowie zu Namen und Identitäten in transkulturellen Familien siehe vor allem die Ergebnisse der Forschungen von Doris Bacalzo Schwörer (2011).
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Stadt, also Leistungen, die vom Verhalten anderer Personen und damit auch von der Struktur des Netzwerkes abhängig sind. In Ehe-Entscheidungen ist in PNG der Trend zu christlichen und durch Medien geprägten Vorstellungen von romantischer Liebe (vgl. Wardlow 2006, Rosi und Zimmer-Tamakoshi 1993) und individuellen Entscheidungen zu beobachten. Wie Marksbury (1993: 9) schon Anfang der 90er Jahre zusammenfasste: „[M]arriage in transition in Oceania shows a decreasing significance placed upon who a potential mate is (kin-oriented considerations) and an increasing significance placed upon what a potential mate does or can do within the context of a cash economy“ (Hervorhebung i. Orig.). Das heißt jedoch nicht, dass sich die Bedeutung der durch Ehen hergestellten verwandtschaftlichen Netzwerke grundsätzlich verändert oder verringert. Auch im städtischen Kontext spielen verwandtschaftliche Beziehungen eine wichtige Rolle, da die Beziehungen in die Dörfer nicht abreißen: Häufige Besuche und die Erwartung meist finanzieller Unterstützung tragen dazu bei, dass Verwandtschaftsnetzwerke von großer Bedeutung bleiben (Hermkens 2008: 156). Neue Beziehungsnetzwerke, Freundschaften, Kirchengruppen oder andere Zugehörigkeiten machen diese nicht überflüssig. Ferner werden, um steigende Brautpreise sowie Schulgelder begleichen zu können, soziale Beziehungen mobilisiert. Trotz ähnlicher werdenden Vorstellungen von romantischer Liebe und neuen Kriterien bei der Partnerwahl, gibt es jedoch nach wie vor ältere geschlechtsspezifsche Erwartungen an ideale Heiratspartner bei Eltern und Schwiegereltern. Durch diese Mischung bestehen auch Geschlechterunterschiede in den Vorstellungen von partnerschaftlichem Verhalten, Ausbildung, Einkommen und Beruf fort (vgl. Rosi und Zimmer-Tamakoshi 1993). Daneben versuchen inzwischen auch christliche Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und Vereinigungen Frauen zu unterstützen. Eine Reihe von Veränderungen in Wertvorstellungen und Normen könnten daher eher Frauen zugute kommen. Dies bedeutet neue Spannungen und Konflikte in Geschlechterbeziehungen. 4.1 Zur Herstellungspraxis von transethnischen Verwandtschaftsbeziehungen Im Folgenden fasse ich die wichtigsten Aspekte der Herstellung von transethnischen verwandtschaftlichen Beziehungen durch interethnische Heira-
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ten sowie die Inhalte der Beziehung, durch die solche Netzwerke entstehen bzw. gefestigt werden, zusammen. Dazu gehören der Prozess der Heirat, die Übergabe von Brautpreisen, nemsek-Beziehungen (Namenspatenschaften) für Kinder des Paares, die Beziehungen betonen, Verwandten-„Besuche“, das zeitweilige Zusammenleben in einem Haushalt, gemeinsame Feiern sowie die Pflege von Kindern, Kranken und Alten. Lernen sich Partner kennen und wünschen eine längere Beziehung, besteht der erste Schritt darin, dass die Beziehung zu einer Angelegenheit des persönlichen Netzwerkes, der Freunde, Verwandten und Nachbarn wird. Die Eltern eines oder beider Partner erfahren (gewollt oder ungewollt) davon: Sie sind damit einverstanden oder auch nicht. Nun beginnen informelle Gespräche über Vor- und Nachteile des potenziellen (Ehe-)Partners, das bis dahin Geschehene und mögliche weitere Entwicklungen. Solche Gespräche können sich über mehrere Monate hinziehen. Ist die Frau bereits schwanger oder gibt es andere Anlässe zu Konflikten und einer ablehnenden Haltung der Eltern, gibt es verschiedene Wege, Lösungen zu finden. Die Kirchenältesten können vermitteln, die Beziehung kann auf einer Dorfversammlung12 diskutiert oder wird beim Village Court verhandelt werden. Ein anderer häufiger Aufschub bzw. sogar die Lösung eines Problems durch zeitlichen Abstand besteht darin, dass die Partner für begrenzte Zeit im Siedlungsgebiet des Nicht-Wampar-Partners oder bei Verwandten an einem dritten Ort (etwa in der Stadt) leben, bis sich die Wogen geglättet haben. Auch in diesem Fall erweitert sich das transethnische Netzwerk des Paares durch Zusammenleben und Unterstützung an einem der Herkunftsorte oder bei Verwandten in der Stadt. Der nächste Schritt zur Anerkennung einer Beziehung ist ein Treffen zwischen den Schwiegerverwandten. Ist ohnehin eine positive Haltung vorhanden oder eine Einigung bereits fortgeschritten, findet ein solches Treffen bei einem gemeinsamen Essen statt. Dabei kann, aber muss noch nicht, über einen Brautpreis gesprochen werden. Auch eine spätere kirchliche
12 Dorfversammlungen bzw. -aussprachen wurden von der Mission eingeführt und fanden in den 70er Jahren bis 2005 regelmäßig an Freitagabenden statt (daher der Wampar-Name dzob a gom renan, „Freitagsgespräch“). Heute finden sie seltener statt, und viele Personen ziehen die Village Courts vor, weil dort eventuell mit einer Kompensationszahlung in Form von Geld gerechnet werden kann.
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Trauung kann, aber muss nicht Thema sein. Diese weiteren Schritte können im Abstand von Monaten oder Jahren erfolgen. Ein genauer Zeitpunkt der Heirat nach westlichem Verständnis war und ist bei den Wampar nicht festzulegen. Es handelt sich vielmehr um einen Prozess der Festigung und sozialen Anerkennung einer Beziehung mit entsprechenden Schritten. Traditionell wurde bei den Wampar ein „Brautpreis“ übergeben, wenn schon ein bis zwei Kinder geboren waren. Die Verwandtschaft des Mannes sammelte für den Brautpreis und es fand eine Übergabe von Kokosnüssen, Bananen, einem möglichst großen Schwein und Geld in einer öffentlichen Zeremonie statt. Diese Übergabe wird ram faroran, übersetzt etwa „die Verbindung“ (afaro, „ich verbinde, verknüpfe“), genannt. Die überreichten Dinge werden boantob, „Wertsachen“, genannt, in neuerer Zeit ist auch von raberan moanton, „Frau kaufen“, die Rede, vermutlich weil in PNG Geld als Bestandteil des Brautpreises eine immer wichtigere Rolle spielt. Bei der Zeremonie schütteln Verwandte des Mannes und der Frau sich jeweils die Hände und die Frau „verabschiedet“ sich weinend von den eigenen Verwandten. Jetzt erst wird die Ehe als „richtig“ verstanden. In neuerer Zeit gibt es aber auch Gegengaben: Verwandte der Frau übergeben ebenfalls Nahrungsmittel, außerdem Töpfe, Netztaschen und Messer als eine Art Aussteuer. Marilyn Strathern (1988) kritisierte in ihren frühen Arbeiten, dass Frauen als „Gegenstand“ von Heiratstransaktionen dargestellt wurden. Sie machte auch deutlich, dass Frauen mit der Heirat nicht völlig „die Seite wechseln“, sondern sogar starke Beziehungen zu ihren Herkunftsfamilien bewahren können. Dass Frauen deshalb trotz bestehender gender inequality Handlungsoptionen haben und damit nicht nur Gegenstand sind, trifft heute mehr noch als vor fünfzig Jahren zu. Das drückt sich etwa auch darin aus, dass mehr Frauen sehr viel später heiraten oder (vor allem in den Städten oder semiurbanen Gebieten) die meiste Zeit ihres Lebens als single verbringen (vgl. Rosi und Zimmer-Tamakoshi 1993). Meine Analyse von Heiratstransaktionen zeigt, dass Entscheidungen über Brautpreise alle Beteiligten auch bezüglich dessen positionieren, was heute als „modern“ gilt.13 So sind Entscheidungen hinsichtlich Zeitpunkt, Zahlung bzw. Nicht-Zahlung oder Höhe von Heiratstransaktionen heutzutage individueller und schwieriger als früher, wobei auch die starke Au-
13 Zum Wunsch „modern“ zu sein und den damit verbundenen Konsumwünschen, Sehnsüchten und Bedürfnissen siehe vor allem Holly Wardlow (2002, 2006).
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ßenwirkung bei Brautpreisen eine wichtige Rolle spielt. Der Gegenstand hat sich von der Gabe von Schweinen, Speeren und Schmuck aus Schnecken (1910 bis 1940er Jahre) über Brautpreise, die seit den 1940er Jahren Bargeld enthalten, hin zu hohen Summen verändert, die im 21sten Jahrhundert bei den Wampar bis zu 3.000 Kina betragen können. Dabei muss das Ausbleiben einer Brautpreiszahlung keine negative Beziehung bedeuten, sondern kann im Gegenteil heißen, dass ein beständiger und in die Zukunft gerichteter Austausch höher bewertet wird als eine einmalige Zahlung. In interethnischen Netzwerken kann das Ausbleiben jedoch auch bedeuten, dass Verhandlungen sich entweder sehr lange hinziehen oder dass tatsächlich zwischen den Affinalverwandten Beziehungen gar nicht erst aufgenommen oder aufgrund von Konflikten abgebrochen wurden. Mit der Geburt von Kindern können durch die Weitergabe von Namen bestimmte Beziehungen in transethnischen verwandtschaftlichen Netzwerken betont und gefestigt werden. Durch die Namengebung werden Beziehungen hergestellt. Dazu gehören sogenannte nemsek-Beziehungen. Nemsek ist Pidgin, abgeleitet aus dem Englischen namesake oder „Namensvetter“, und bezeichnet die Namengebung nach einer befreundeten und/oder sozial höher stehenden Person. In einer nemsek-Beziehung liegt es an beiden Partnern, ob diese zu einer Art „Patenschaft“ wird oder nicht: Manche Namenspaten nehmen die nach ihnen benannten Kinder zeitweilig in ihren Haushalt auf, geben ihnen Geschenke oder tragen später zum Schulgeld bei. Im ersten Fallbeispiel hat etwa Gimingo ihren ersten Sohn nach ihrem Vater Yaeng benannt. Eine solche Namensverbindung kann die Basis für häufigere Besuche, Unterstützung und die Herstellung von sozialer Nähe sein. Gimingos eigener Name wurde an eine Adzera-Verwandte weitergegeben, die später Nampudz geheiratet hat und ebenfalls nach Gabsongkeg kam. Selbst wenn kaum Interaktion stattfindet, besteht die Vorstellung, zwischen nemsek bestehe eine Verbindung, was auch darin begründet ist, dass Namen eine eigene Eigenschaft oder Kraft innewohnt. Daher rührt auch die (heute nicht mehr übliche) Nutzung von Tabunamen in bestimmten verwandtschaftlichen Beziehungen,14 die frühere Übernahme von Namen getöteter Feinde in kriegerischen Auseinandersetzungen oder die Verwendung von Schutznamen gegen Geister und Zauberei (vgl. Fischer 2000: 44). Aber
14 Affinalverwandte bei den Adzera dürfen etwa die traditionellen Namen ihrer Verwandten nicht nennen (s.o. S. Holzknecht 1995: 937).
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auch Freundschaft, Nachbarschaft und Verwandtschaft sind die Basis von Namenweitergabe. Namengebung stellt also ähnlich wie Verwandtschaft eine Möglichkeit sozialer Beziehungen dar, die je nach Lebenssituation und Bedürfnissen genutzt oder vergessen werden kann. Interethnische Verwandtschaftsnetzwerke werden durch die zunehmende Mobilität der Bevölkerung und die Kommunikationsmöglichkeiten (etwa mit Mobiltelefonen) deutlich geographisch ausgeweitet, bis hin zu nationalen Beziehungsnetzwerken zwischen Angehörigen mehrerer ethnischer Gruppen innerhalb PNGs. Vor allem die Ausbildung an der elementary school in vielen Dörfern sowie die weiterführenden highschools haben Kontaktmöglichkeiten erweitert. Sie haben aber auch zur Notwendigkeit der Mobilisierung bestehender Unterstützungsnetzwerke geführt: Eine Kleinfamilie allein kann normalerweise nicht das Schulgeld für eines oder mehrere ihrer Kinder aufbringen. Analog zur Nutzung verwandtschaftlicher Beziehungen zur Zahlung von Brautpreisen werden diese heute zur Sammlung von Schulgeldern verwendet. Nach dem Abschluss der Ausbildung sind diese Netzwerke unbedingte Voraussetzung, um entweder Lohnarbeit zu finden (Beziehungen in der Stadt, in bestimmten Firmen) oder um Land zu erhalten, das bearbeitet werden kann – je nach Verwandtschafssystem nach Herkunft vom Vater, von der Mutter oder lokal etablierten Gewohnheitsrechten. „A manager must appoint on merit but also find jobs for wantoks. As Waiko further remarks, ‚Many people find it difficult to continue to identify with village society and at the same time become members of modern institutions‘ (Waiko 1993, 246)“ (Luker/Monsell-Davis 2010: 91). Lebenskrisen wie Krankheit, Unfälle, schwierige Geburten oder Todesfälle sind ebenso wichtige Gelegenheiten, anlässlich derer die Netzwerke mobilisiert werden. Verwandte, die in einem Health Post, einer Apotheke oder einem Krankenhaus arbeiten bzw. in dessen Nähe wohnen, sind unschätzbare Ressourcen der gegenseitigen Hilfe. Meist werden sie ihrerseits mit Lebensmitteln aus dem Dorf versorgt. Bei Todesfällen werden Tote heute häufig zu ihrem Herkunftsort geflogen, so dass die Verwandten des Ehepartners bzw. der -partnerin, Kollegen und Freunde am Wohnort sowie Eltern und/oder Geschwister am Herkunftsort Abschied nehmen und jeweils Feiern ausrichten können. Bei diesen Feiern sind häufig weitere Verwandte anwesend, sodass transethnische Netzwerke gefestigt und teilweise neue Beziehungen geknüpft werden. So lernten sich einige der von mir befragten interethnischen Ehepaare bei Totenfeiern für Verwandte kennen.
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5. F AZIT In ethnologischen Feldforschungen kann die Erhebung von Beziehungsdaten mit dem Ziel, eine Netzwerkanalyse durchzuführen, im Vordergrund stehen. Dazu gibt es Fragebögen und Vorgehensweisen, die gewährleisten, dass die notwendigen Informationen systematisch erhoben werden und damit später für quantitative Analysen zur Verfügung stehen (s. dazu Schnegg 2008, Schnegg und Lang 2006). In diesem Beitrag wurden verschiedene weitere ethnologische Verfahren dargestellt, mit denen Daten erhoben wurden, die zu einer qualitativen Analyse sozialer Netzwerke herangezogen werden und quantitativ ausgerichtete Analysen ergänzen können. Besonders die Kombination des so erhobenen Datenmaterials macht es möglich, soziale Netzwerke sowie Art und „Inhalte“ der Beziehungen darzustellen. Auf dieser in der Ethnologie üblichen Verschränkung von Verfahren und Daten basiert auch Schneggs Plädoyer (2010), ein Gesamtbild des Netzwerkes zu zeichnen, das einerseits auf individuellen Beziehungsentscheidungen und andererseits auf sozialen Strukturen beruht. Er bezeichnet dieses Vorgehen als „ethnographische Netzwerkanalyse“. Am Beispiel der Wampar konnte gezeigt werden, dass Beziehungen in verwandtschaftlichen Netzwerken nicht an ethnische oder andere soziale Grenzen gebunden sind, sondern diese vielmehr überschreiten. Einzelne Akteure in solchen grenzüberschreitenden Netzwerken handeln die Beziehungen jeweils neu aus und sind damit maßgeblich an Abgrenzungsprozessen beteiligt. Sich daraus ergebende Veränderungen kollektiver Identitäten spielen vor allem in einem noch jungen Nationalstaat wie PNG eine wichtige Rolle. Am Beispiel interethnischer Ehen konnte, insbesondere an Heiratstransaktionen („Brautpreisen“) und Beziehungen zwischen Affinalverwandten, gezeigt werden, wie transethnische soziale Beziehungen geknüpft werden und daraus Netzwerke entstehen, die wiederum Gelegenheiten (Feiern, Besuche etc.) für das Knüpfen weiterer Beziehungen schaffen. Individuelle Entscheidungen, wie im Fallbeispiel Partnerwahl, Heirat und Ehe zwischen Tate und Gimingo, können Voraussetzungen für weitere Beziehungen und verwandtschaftliche Netzwerke schaffen, die Generationen überspannen. Diese müssen jedoch nicht zur Veränderung von Gruppengrenzen und Identitäten führen. So sind ethnische Hierarchien und die Struktur von Frauengeber- und Frauennehmer-Gruppen im Beispiel der Wampar-Adzera-Beziehungen über ca. hundert Jahre konstant geblieben,
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auch wenn die Zahl der interethnischen Heiraten zugenommen hat. In anderen Fällen können neue gesellschaftliche Strukturen und „Schichten“ entstehen: Bei Ehen zwischen Angehörigen wirtschaftlich besser gestellter Ethnien mit Zugang zu Bildungschancen und politischen Ämtern können verwandtschaftliche Netzwerke entstehen, die neue nationale Eliten bilden. Verwandtschaftlich organisierte Netzwerke werden, wie Hermkens (2008) zeigt, in städtischen Kontexten durch andere Formen der Sozialität – in ihrem Beispiel religiöse Frauengruppen – und darauf basierende Netzwerke ergänzt. Verwandtschaftlich basierte Netzwerke – sie müssen keineswegs ethnisch homogen sein – sind jedoch nach wie vor die entscheidenden Beziehungssysteme sowohl in städtischen als auch in semiurbanen Gebieten, in denen Individuen ihre Entscheidungen treffen, Hilfe und Unterstützung erfahren, Konflikte austragen und ihr Alltagsleben organisieren.
L ITERATUR Alber, Erdmute et al. (Hg.) (2010): Verwandtschaft Heute. Positionen, Ergebnisse und Perspektiven, Berlin: Reimer. Bacalzo Schwörer, Doris (2011): „Negotiating identity and relatedness: Transcultural socialization and childhood among the Wampar“. Tsantsa 16, S. 28-32. Barth, Fredrik (1969): „Introduction“. In: ders. (Hg.), Ethnic groups and boundaries. The social organisation of culture difference, London: George Allen and Unwin, S. 9-38. Beer, Bettina (2006): „Interethnic marriages. Changing rules and shifting boundaries among the Wampar of Papua New Guinea“. In: Barbara Waldis/Reginald Byron (Hg.), Migration and marriage. Heterogamy and homogamy in a changing world, Münster: Lit Verlag, S. 20-39. Dies. (2008): „Buying betel and selling sex. Contested boundaries, risk milieus, and discourses about HIV/AIDS in the Markham Valley, Papua New Guinea“. In: Leslie Butt/Richard Eves (Hg.), Making sense of AIDS. Culture, sexuality, and power in Melanesia, Honolulu: University of Hawaii Press, S. 97-115. Dies. (2010): „Interethnische Beziehungen und transkulturelle Verwandtschaft an einem Beispiel aus Papua-Neuguinea“. In: Alber, Erdmute, et al. (Hg.), Verwandtschaft Heute, Berlin: Reimer, S. 145-171.
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Autorinnen und Autoren
Bettina Beer ist Professorin für Ethnologie an der Universität Luzern. Ihre regionalen Forschungsgebiete sind Papua-Neuguinea und die Philippinen. Sie hat zu transkulturellen Beziehungen und Migration, zu Sozialität, den Sinnen und Kognition geforscht. Außerdem ist sie Herausgeberin von „Ethnologie. Eine Einführung“ sowie eines Lehrbuchs der Methoden ethnologischer Feldforschung. Ulrik Brandes ist seit 2003 Ordinarius im Fachbereich Informatik & Informationswissenschaft der Universität Konstanz und seit 2008 Mitglied im Direktorium des International Network of Social Network Analysis (INSNA). Sein Themenschwerpunkt ist die Algorithmik, insbesondere in Bezug auf die Analyse und Visualisierung von Netzwerken. Gerrit Fröhlich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Soziologie an der Universität Trier. Er lehrt und forscht zu den Gebieten Medien- und Konsumsoziologie. Markus Gamper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vorstandsmitglied des Forschungsclusters „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ an der Universität Trier. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Religions- und Migrationssoziologie, empirischen Sozialforschung sowie in der Netzwerkforschung. Gerit Götzenbrucker ist habilitierte Kommunikationswissenschafterin und Assistenz-Professorin am Institut für Publizistik der Universität Wien und forscht derzeit kulturübergreifend zu ICT‘s und dem Web 2.0, Sozialen
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Netzwerken, Online-Spielen und Migration. Ein aktuelles Projekt lautet: „Serious Beats: Integrationspotenziale von Sozialen Online Spielen für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund in Wien.“ Ruth Haselmair ist Sozialanthropologin und forscht in der Arbeitsgruppe Wissenssysteme und Innovation an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie veröffentlichte bereits Arbeiten zum Thema Entwicklungsforschung und Soziale Netzwerkanalyse. Jennifer Hauck ist promovierte Geographin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung im Department Umweltpolitik. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind neben der Analyse sozialer Netzwerke partizipative Szenarienentwicklung und Forschung zu Ökosystemdienstleistungen. Andreas Herz ist Pädagoge und forscht derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der sozialen Unterstützungsforschung, den Transnational Studies und insbesondere in der Erhebung und Analyse egozentrierter Netzwerke. Michael Jäckel ist Präsident der Universität Trier und Professor für Soziologie. Er lehrt und forscht zu den Gebieten Medien- und Konsumsoziologie und ist Verfasser von Grundlagenwerken zu diesen Forschungsfeldern. Patrick Kenis, ist Vize-Dekan der Management School der Universität Antwerpen und Professor an der Universität Tilburg. Er promovierte in Sozial- und Politikwissenschaften an der Europäischen Universität Florenz. Seine Forschungsgebiete sind Organisationstheorie sowie Aufbau und Funktionsweise von Organisationsnetzwerken. Margarita Köhl ist Kommunikationswissenschaftlerin und derzeit als Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der National Kaohsiung First University of Science and Technology in Taiwan beschäftigt. Ihre Forschungsarbeiten sind im Bereich der Science and Technology Studies, transkulturellen Forschung und Sozialen Netzwerkanalyse angesiedelt.
A UTORINNEN
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Jürgen Lerner arbeitet als Postdoc im Fachbereich Informatik der Universität Konstanz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Modellierung und Analyse von dynamischen sozialen Netzwerken, insbesondere in Anwendung auf Kollaborations- und Kommunikationsnetzwerke im Web 2.0. Christopher McCarty is an Associate Professor in the University of Florida Department of Anthropology and director of the UF Bureau of Economic and Business Research. His research focus is the analysis of personal networks for which he developed EgoNet – available at www.sourcefor ge.net. He is involved in several projects using this approach, including a study of stress and hypertension among African-Americans and a study of social support among recovering drug users. He is also involved in the development of a social network method for estimating the size of populations at risk of contracting HIV. José Luis Molina is associate professor of the Department on Social and Cultural Anthropology at the Universitat Autonoma de Barcelona. He is the principal investigator of the research group egolab-GRAFO (www.egolab. cat), specialized in the study of personal networks in a transcultural context. Currently he is conducting research projects on ethnic entrepreneurship and transnationalism. He is the founder of the journal REDES (http://revistaredes.rediris.es). Other areas of interest are Economic Anthropology and Migration studies. Darko Obradovic ist Informatiker und forscht in der Arbeitsgruppe Wissensmanagement am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern. Schwerpunkt seiner bisherigen Arbeiten und Veröffentlichungen sind die Analyse Sozialer Netzwerke und Sozialer Medien im Web 2.0. Matthias Rau ist Diplom-Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Strafrecht an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz. Er arbeitet derzeit in einem Forschungsprojekt, welches den Einfluss persönlicher sozialer Netzwerke auf die Biographie von jungen Migranten untersucht, die in Deutschland eine Jugendstrafe verbüßt haben. Er veröffentlichte bereits Arbeiten zu den
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Themen Kriminologie, Verschuldung junger Menschen und egozentrierter soziale Netzwerkanalyse. Linda Reschke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungscluster „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ an der Universität Trier. Neben ihrer Arbeit als Herausgeberin und Lektorin ist sie als Wissenschaftskoordinatorin tätig. Eva Schiffer ist promovierte Geographin und arbeitet als selbständige Beraterin, Evaluatorin und Sozialwissenschaftlerin in Washington, DC. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind die Kombination qualitativer und quantitativer Netzwerkanalyse und internationale Entwicklungsforschung. Die von ihr entwickelte Net-Map Methode wird inzwischen von Forschern, Entwicklungsprojekten und Unternehmen auf vier Kontinenten in verschiedenen Themengebieten angewendet, von Organisationsentwicklung über Politikforschung bis hin zu Monitoring und Evaulierung (http://netmap.wordpress. com). Michael Schönhuth ist Professor für Ethnologie an der Universität Trier und Vizesprecher des Forschungsclusters „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“. Er leitet mehrere Teilprojekte zur Netzwerkforschung bzw. zur Remigrationsforschung. Unter seiner Leitung entstand das Netzwerktool VennMaker (www.vennmaker.com). Seit den 1990er Jahren berät er staatliche und nichtstaatliche Kultur- und Entwicklungsinstitutionen in den Bereichen partizipative Verfahren, Kultur und Entwicklung, Interkulturelle Kompetenz und Diversity Management. Denise van Raaij promovierte in Organisationsforschung an der Universität Tilburg, wo sie zur Zeit als Postdoc arbeitet. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Produktionsverhältnissen und der Leistungsfähigkeit von offenen Innovationsnetzwerken.
Sozialtheorie Ullrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer, Carsten Keller, Franz Schultheis (Hg.) Bourdieu und die Frankfurter Schule Kritische Gesellschaftstheorie im Zeitalter des Neoliberalismus August 2012, ca. 350 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1717-7
Wolfgang Bonss, Ludwig Nieder, Helga Pelizäus-Hoffmeister Handlungstheorie Eine Einführung Mai 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1708-5
Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat April 2012, 512 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2036-8
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Sozialtheorie Nadine Marquardt, Verena Schreiber (Hg.) Ortsregister Ein Glossar zu Räumen der Gegenwart September 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1968-3
Max Miller Sozialtheorie Eine Kritik aktueller Theorieparadigmen. Gesammelte Aufsätze September 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-89942-703-5
Stephan Moebius, Sophia Prinz (Hg.) Das Design der Gesellschaft Zur Kultursoziologie des Designs Februar 2012, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1483-1
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Bernd Dollinger, Fabian Kessl, Sascha Neumann, Philipp Sandermann (Hg.) Gesellschaftsbilder Sozialer Arbeit Eine Bestandsaufnahme
Konstantin Ingenkamp Depression und Gesellschaft Zur Erfindung einer Volkskrankheit Februar 2012, 370 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1930-0
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Juli 2012, ca. 230 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1928-7
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Leon Hempel, Marie Bartels (Hg.) Aufbruch ins Unversicherbare Zum Katastrophendiskurs der Gegenwart
Mai 2012, ca. 460 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2056-6
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Juni 2012, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1772-6
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