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German Pages [401] Year 2023
Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht Band 65
Frederic Stodt
Dynamische Verweisungen Eine Untersuchung am Maßstab des Grundgesetzes
Mohr Siebeck
Frederic Stodt, geboren 1998; Studium der Rechtswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht der Ruhr-Universität Bochum; Promotionsstudium an der Ruhr-Universität Bochum; Rechtsreferendariat am Landgericht Bochum. orcid.org/0009-0000-9216-7366
ISBN 978-3-16-162578-7 / eISBN 978-3-16-163272-3 DOI 10.1628/978-3-16-163272-3 ISSN 1867-8912 / eISSN 2568-745X (Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2022/2023 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Die Fertigstellung der Arbeit erfolgte im August 2022. Danach veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur konnte teilweise noch bis Juni 2023 berücksichtigt werden. Auch die seit dem 01.01.2023 erfolgende elektronische Verkündung der Bundesgesetze und -verordnungen konnte noch Berücksichtigung finden. Mein größter Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Wolfram Cremer, an dessen Lehrstuhl ich zunächst von 2017 bis 2019 als studentische Hilfskraft und von 2019 bis 2022 während der Erstellung dieser Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Er hat diese Arbeit nicht nur durch wertvolle Anmerkungen bereichert, sondern mir auch stets den nötigen Freiraum gegeben, um eine zügige Fertigstellung der Arbeit zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit mit ihm hat mich juristisch und persönlich im positivsten Sinne geprägt. Die Zeit an seinem Lehrstuhl werde ich stets in bester Erinnerung behalten. Auch meinen Lehrstuhlkolleginnen und -kollegen danke ich für die hervorragende Arbeitsatmosphäre und die vielen bereichernden Stunden, die wir in dieser Zeit gemeinsam verbracht haben. Ein herzlicher Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Jörg Ennuschat für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Weiterer Dank gebührt der Kanzlei SOH Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB (soh.de) aus Essen für die Aufnahme in ihr Promotionsstipendium und die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses, welcher die Veröffentlichung der Arbeit erheblich vereinfacht hat. Ich freue mich sehr, dass der Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e.V. meine Dissertation mit dessen Promotionspreis für das Jahr 2023 ausgezeichnet hat und möchte mich hiermit vielmals für die Ehrung mit diesem Preis bedanken. Schließlich möchte ich meiner Familie aus tiefstem Herzen für die bedingungsund grenzenlose Unterstützung danken, die ich während der Erstellung dieser Arbeit erhalten habe. Ohne sie wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. Ein ganz besonderer Dank gilt insoweit meiner Freundin Vivien und meinem Vater Friedrich, die sich nicht nur mit unerschöpflicher Geduld meine inhaltlichen Überlegungen angehört, sondern sich darüber hinaus bereit erklärt haben, diese Arbeit Korrektur zu lesen. Meiner Familie ist diese Arbeit gewidmet. Bochum, im Juli 2023
Frederic Stodt
Inhaltsverzeichnis Vorwort ......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis .............................................................................XXI
Kapitel 1: Einführung in die Gesetzgebungstechnik der dynamischen Verweisung ............................................................... 1 § 1 Einleitung ................................................................................................ 3 § 2 Grundlagen der Verweisungstechnik ....................................................... 5 A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten .................................... 5 I. Ausdrückliche und stillschweigende Verweisungen .......................... 6 II. Deklaratorische und konstitutive Verweisungen ................................ 7 III. Binnen- und Außenverweisungen ...................................................... 9 IV. Eigen- und Fremdverweisungen .......................................................10 V. Statische und dynamische Verweisungen .........................................11 1. Statische Verweisungen................................................................11 2. Dynamische Verweisungen ..........................................................12 3. Abgrenzung von statischer und dynamischer Verweisung ............13 a) Hinweise im Normtext .............................................................13 aa) Hinweise auf statische Verweisungen ...............................13 bb) Hinweise auf dynamische Verweisungen ..........................15 b) Ohne Hinweise im Normtext ....................................................16 B. Rechtswirkung von Verweisungen ...........................................................19 I. Rang des inkorporierten Inhalts ........................................................19 II. Auswirkungen auf Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den inkorporierten Inhalt ........................................................................21 III. Anpassungsautomatik dynamischer Verweisungen ..........................21 C. Besondere Formen (dynamischer) Verweisung ........................................22 I. Verweisungsanalogie .......................................................................22 II. Globalverweisungen.........................................................................23 III. Weiter- und Kettenverweisungen .....................................................23
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IV. Fiktion und gesetzliche Vermutung ..................................................24 V. Normergänzende und normkonkretisierende Verweisungen .............27 1. Normergänzende Verweisungen ...................................................27 2. Normkonkretisierende Verweisungen ...........................................27 VI. Legaldefinitionen .............................................................................29 VII. Blankettstrafgesetze .........................................................................30 VIII. Andere Verweisungsformen .............................................................31 D. Vor- und Nachteile der (dynamischen) Verweisungstechnik ....................31 I. Vorteile/Funktionen (dynamischer) Verweisungen...........................31 II. Nachteile (dynamischer) Verweisungen ...........................................33 E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung .........................................................................35 I. Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen .....................................35 II. Abgrenzung zur Delegation/Ermächtigung .......................................36 III. Dynamische Fremdverweisungen als „de facto-Delegation“ ............38 1. Unterschied zwischen statischer und dynamischer Verweisung ...38 2. Veränderung der Zuständigkeitsordnung ......................................39 3. Unterschied hinsichtlich der „Regelungsdichte“ und fehlende Übertragung von Rechtsmacht......................................................40 4. Fehlende Kenntnis des Verweisungsobjektgebers .........................41 5. Begrenzung qua spezieller Verfassungsnorm................................42 6. Rang der erlassenen bzw. in Bezug genommenen Normen ...........42 7. Zusammenfassung ........................................................................43 § 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands ..........................................45
Kapitel 2: Verfassungsmäßigkeit dynamischer Verweisungen in einfachgesetzlichen Regelungen ....................................................47 § 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ..............................................49 A. Verweisungsrelevante Gehalte des Demokratieprinzips ...........................49 I. Allgemeine Anforderungen ..............................................................49 1. Repräsentation des Volkes durch legitimierte Repräsentanten ......50 2. Verbot der (vollständigen) Entäußerung von Rechtsetzungsbefugnissen ..................................................................................52 3. Demokratische Homogenität in den Ländern ................................52 II. Parlamentsvorbehalte .......................................................................53 1. Wesentlichkeitstheorie .................................................................53 2. (Spezial-)Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte .............................54
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B. Vereinbarkeit dynamischer Eigenverweisungen mit dem Demokratieprinzip ......................................................................................................55 C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip ......................................................................................................56 I. (Spezial-)Konstellationsunabhängige Beurteilung/Verhältnis Bundes- und Landesrecht .................................................................57 1. Demokratiemaximierende Auffassung ..........................................57 a) Konstellationsunabhängige Aspekte .........................................57 b) Verweisungen im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht ....59 aa) Grundsätzliche Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ............................................................60 bb) Partielle Ausnahme für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht .................................................................61 c) Kritische Beurteilung ...............................................................61 aa) Fehlende parlamentarische Beratung von Änderungen der Verweisungsnorm .......................................................62 bb) Gesetzgebungsmonopol ....................................................62 cc) „Regierung“ durch anderes Volk .......................................63 dd) Auslegung als Vorbehalt/Freigabe zugunsten der Landesgesetzgebung .........................................................64 2. Rechtsrealistisch vermittelnde Auffassung ...................................64 a) Lösungsansatz der rechtsrealistisch vermittelnden Auffassung ...............................................................................65 aa) Spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Wesentlichkeitstheorie als Beurteilungsmaßstab ...............65 bb) Anforderungen an Verweisungen abseits spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte und der Wesentlichkeitstheorie ...............................................................................66 (1) Begrenzung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß..............67 (2) Sonstige Begrenzungskriterien ....................................68 (a) Allgemeine Begrenzungskriterien .........................68 (b) Verhältnis von Bundes- und Landesrecht ..............69 (3) Anforderungen hinsichtlich des Maßes der Begrenzung ...........................................................70 (4) Ausnahme: Verweisungen im Bereich von Verfahrensregeln .........................................................70 (5) Ausnahme: Verweisung im Bereich zulässiger Delegation ...................................................................71 (6) Beobachtungspflicht des verweisenden Gesetzgebers..71 (7) Sonderkonstellation: Verhältnis Bundes- und Landesrecht .................................................................72 b) Argumente der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht ............72
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aa) Begrenzung als ausreichende Anforderung .......................72 bb) Angemessener Ausgleich zwischen Demokratie und Entlastung des Gesetzgebers .............................................73 cc) Möglichkeit der nachträglichen Korrektur .........................73 dd) Praktikabilitätserwägungen ...............................................74 ee) Verweisung auf formelle Gesetze ......................................74 c) Kritische Beurteilung ...............................................................74 aa) Wesentlichkeitstheorie/spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte ...........................................................75 bb) „Begrenzung“ der Verweisung ..........................................76 (1) Möglichkeiten einer Begrenzung .................................76 (2) Auszuschließende Begrenzungskriterien .....................77 (3) Ausgestaltung als widerlegliche Vermutung................79 (4) Spezielle Begrenzungsmöglichkeiten im Bund-Länder-Verhältnis ..............................................79 cc) Maß der Begrenzung .........................................................80 dd) Ausnahmen .......................................................................80 (1) Ausnahme für Verfahrensregelungen ..........................80 (2) Ausnahme im Bereich zulässiger Delegation ...............81 (3) Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz von Verweisungsnormgeber und Verweisungsobjektgeber .................................................................81 (4) Ausschließliche Kompetenz des Verweisungsobjektgebers..........................................................................82 ee) Nachträgliche Korrektur/Beobachtungspflicht ..................82 ff) Ausgleich zwischen Demokratie und Entlastung des Gesetzgebers ...............................................................84 gg) Praktikabilitätserwägungen ...............................................85 3. Verweisungsmaximierende Ansicht..............................................85 a) Begründungsansatz ..................................................................86 b) Kritische Beurteilung ...............................................................86 4. Alfred Debus ................................................................................87 a) Inhalt der Ansicht.....................................................................87 b) Kritische Beurteilung ...............................................................88 5. Legitimationsanknüpfende Ansicht ..............................................89 a) Inhalt der Ansicht.....................................................................89 b) Kritische Beurteilung ...............................................................90 6. Sebastian Schröcker .....................................................................91 7. Rechtsprechung ............................................................................92 a) Bundesverfassungsgericht ........................................................92 aa) BVerfGE 26, 338 ..............................................................92 bb) BVerfGE 47, 285 ..............................................................93 cc) BVerfGE 60, 135 und BVerfGE 67, 348 ...........................94
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dd) BVerfGE 141, 143 ............................................................95 ee) BVerfGE 160, 336 ............................................................95 ff) 1 BvR 1619/17 ..................................................................96 b) Bundesverwaltungsgericht .......................................................97 c) VG Hamburg und OVG Hamburg ............................................98 aa) VG Hamburg, NJW 1979, 667 ..........................................98 bb) OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 .....................................99 d) Kritische Beurteilung ............................................................. 101 8. Stellungnahme zur Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip ................................. 102 a) Bisherige Erkenntnisse ........................................................... 103 b) Konsequenz/Lösungsansatz.................................................... 104 aa) Dynamische Verweisung als eigene Entscheidung .......... 104 bb) Inhaltliche „Absicherung“ der Verweisung gegen beliebige Regelung des Verweisungsobjektgebers .......... 105 (1) Notwendigkeit einer Übernahmelimitierung .............. 105 (2) Anforderungen an eine Übernahmelimitierung .......... 106 (a) Fehlende Übertragbarkeit des „Zwecks“ ............. 106 (b) Übertragbarkeit des „Inhalts“ .............................. 108 (c) Übertragbarkeit des „Ausmaßes“......................... 108 (d) Zusätzliche Möglichkeit „qualitativer Begrenzung“ ....................................................... 109 cc) Rückführbarkeit auf das jeweilige Staatsvolk .................. 110 (1) Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes sowie vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes ................................ 112 (2) Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht ...... 112 (a) Demokratische Legitimation ............................... 112 (b) Effektiver Einfluss .............................................. 113 (c) Hinreichendes Legitimationsniveau..................... 114 (3) Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht des jeweiligen Landes ............................................... 115 dd) Gesamtergebnis für Verweisungen im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht ................................................ 116 Spezialkonstellationsspezifische Beurteilung ................................. 117 1. Verweisungen auf Exekutivvorschriften ..................................... 117 a) Annahme einer Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip . 117 b) Differenzierung nach Verweisungsobjekten ........................... 118 c) Theorie der (weitgehenden) Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip/Zulässigkeit normkonkretisierender Verweisungen ........................................................................ 118 d) Rechtsprechung ...................................................................... 119 e) Stellungnahme ....................................................................... 119
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aa) Verwaltungsvorschriften ................................................. 120 bb) Rechtsverordnungen........................................................ 122 (1) Anwendungsbereichserhaltende Verweisungen ......... 123 (2) Anwendungsbereichserweiternde Verweisungen ....... 123 cc) Ergebnis .......................................................................... 124 2. Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften........................... 124 a) These der Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ......... 124 b) Normergänzende und normkonkretisierende Verweisungen ... 125 c) Differenzierung zwischen konstitutiven Verweisungen und widerleglichen Vermutungen ................................................. 127 d) Annahme einer Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip (bei hinreichender Begrenzung) ............................................. 128 e) Kombinationsansatz ............................................................... 130 f) Matthias Schwierz .................................................................. 132 g) Rechtsprechung ...................................................................... 132 aa) Bundesverfassungsgericht ............................................... 132 bb) Bundesverwaltungsgericht .............................................. 134 h) Stellungnahme zur Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften .............................................. 135 aa) Unerheblichkeit einer „Begrenzung“ oder eines feststehenden Regelungsbereichs .................................... 136 bb) Fehlende Übertragbarkeit der Kriterien des Art. 80 Abs. 1 GG ....................................................................... 137 cc) Benennung rechtsetzender Organe durch das Grundgesetz .................................................................... 137 dd) Normkonkretisierende Verweisungen ............................. 138 (1) Kritik an diesem Standpunkt ..................................... 139 (2) Praktische Konsequenzen .......................................... 140 ee) Verweisungen auf Tarifverträge ...................................... 140 ff) Zusammenfassung ........................................................... 141 3. Verweisungen auf Unionsrecht ................................................... 141 a) Theorie der Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ..... 141 b) Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen ........................................... 142 c) These der (grundsätzlichen) Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ................................................................. 142 aa) Verweisungen auf Verordnungen (anwendungsbereichserweiternd) ...................................................................... 143 (1) Hinreichende Begrenzung ......................................... 143 (2) Zulässige Delegation ................................................. 143 bb) Verweisungen auf Richtlinien (nicht anwendungsbereichserweiternd) ......................................................... 144 cc) Keine Unterscheidung nach Rechtsakten ......................... 145
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d) Rechtsprechung ...................................................................... 147 aa) Bundesverfassungsgericht ............................................... 147 bb) Bundesverwaltungsgericht .............................................. 151 e) Stellungnahme ....................................................................... 152 aa) Anwendungsbereichserhaltende Verweisungen ............... 154 (1) Dynamische Verweisungen auf Richtlinien ............... 154 (a) Fehlende Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen ......................................................... 154 (b) Zulässigkeit einer Verweisung trotz Umsetzungsspielräumen? ....................................................... 155 (2) Dynamische Verweisungen auf Verordnungen .......... 156 bb) Anwendungsbereichserweiternde Verweisungen ............. 157 (1) Übertragung der Grundanforderungen für dynamische Fremdverweisungen ............................... 157 (2) Demokratische Legitimation gegenüber dem Staatsvolk des Verweisungsnormgebers .................... 158 (3) Demokratische Legitimation außerhalb des Kompetenzbereichs? ................................................. 158 (4) Legitimationsdefizit der gesetzgebenden Unionsorgane? .......................................................... 160 (5) Verweisungen von Landesrecht auf Unionsrecht ....... 160 cc) Zusammenfassung ........................................................... 160 III. Ergebnis ......................................................................................... 161 § 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot ............................................. 163 A. These der (weitgehenden) Unvereinbarkeit mit dem Publikationsgebot.. 164 B. Theorie des Erfordernisses einer amtlichen Publikation ......................... 166 I. Veröffentlichungserfordernis für das Verweisungsobjekt ............... 166 II. In einem für amtliche Anordnungen geeigneten Publikationsorgan 167 C. Annahme einer (umfassenden) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme .............................................................................. 170 I. Anwendung der speziellen Verkündungsnormen ............................ 170 II. Publikation des Verweisungsobjekts nach Maßgabe des Rechtsstaatsprinzips ....................................................................... 172 1. Eigenverweisungen .................................................................... 172 2. Fremdverweisungen ................................................................... 173 a) Amtliche Publikationen .......................................................... 173 aa) Zugänglichkeit/zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit ... 173 bb) Verlässlichkeit ................................................................ 176 b) Nichtamtliche Publikationen .................................................. 177 aa) Verlässlichkeit ................................................................ 177
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bb) Zugänglichkeit ................................................................ 179 cc) Vergleichbarkeit mit amtlichen Publikationen ................. 180 dd) Abgeschwächte Problematik für normkonkretisierende Verweisungen ................................................................. 181 c) Angabe einer Fundstelle oder des Publikationsorgans ............ 182 d) Vereinbarkeit mit der Verkündungspraxis .............................. 183 e) Verfremdung und Überfrachtung der Gesetzblätter ................ 183 f) Urheberrechtliche Bedenken .................................................. 184 III. Ergebnis ......................................................................................... 185 § 3 Vereinbarkeit mit dem Bundesstaatsprinzip/der Kompetenzordnung des Grundgesetzes................................................................................ 187 A. Verweisungsrelevante Anforderungen des Bundesstaatsprinzips ............ 187 B. Verweisungsrelevante Anforderungen der Kompetenzordnung des Grundgesetzes .................................................................................. 189 C. Verfassungsrechtliche Bewertung .......................................................... 191 I. These der unzulässigen Kompetenzübertragung ............................. 191 II. Differenzierung nach Verweisungsnormgeber und Kompetenzbereich ......................................................................... 193 III. Übertragung der Anforderungen des Demokratieprinzips ............... 194 IV. These der Vereinbarkeit mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung/Stellungnahme ................................................ 195 1. Art. 71 GG und konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen der Länder .................................................................................. 196 2. Fehlende Kompetenzübertragung ............................................... 197 a) Fehlende inhaltliche Anforderungen durch Kompetenzzuweisungen .......................................................................... 199 b) Formaler Charakter der Kompetenznormen ............................ 199 3. Fehlende Beeinträchtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder .... 200 a) Drei-Elemente-Lehre ............................................................. 201 b) Kein Kooperationsverbot für Bund und Länder ...................... 202 4. Fehlende Aufgabe der Staatlichkeit des Bundes ......................... 203 5. Regional unterschiedliches Bundesrecht ..................................... 203 6. Ausnahme: Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes ............................................................................... 205 7. Zusammenfassung ...................................................................... 206
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§ 4 Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit .............................................................................. 207 A. Verweisungsrelevante Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit .................................................... 208 B. Verfassungsrechtliche Bewertung .......................................................... 211 I. Vorbemerkung ............................................................................... 211 II. Allgemeine Kritikpunkte ................................................................ 212 1. Generelle Unbestimmtheit der Verweisungstechnik ................... 212 2. Bedenken aufgrund der Dynamik der Verweisung ...................... 214 a) Keine (zwingend) gegenüber statischen Verweisungen erschwerte Auffindbarkeit ...................................................... 214 b) Keine generelle Unbestimmtheit durch Änderungsmöglichkeit des Verweisungsobjekts ......................................................... 215 c) Fehlender Anspruch auf unverändertes Fortbestehen der Rechtslage ........................................................................ 216 3. Möglichkeit des fehlerhaften Zusammenwirkens von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt ................................. 216 III. Allgemeine Anforderungen an dynamische Verweisungen............. 217 1. Grundvoraussetzung für die Verweisungsnorm .......................... 217 2. Verständlichkeitsmaßstab ........................................................... 218 3. Bezeichnung des Verweisungsobjekts ........................................ 219 a) Bedingte Verweisungen ......................................................... 220 b) Erhöhte Anforderungen im grundrechtsrelevanten Bereich ... 221 c) Erfordernis der „Begrenzung“ der Verweisung?..................... 221 4. Bestimmtheit und Klarheit des Verweisungsobjekts sowie der zusammengesetzten Regelung .............................................. 222 IV. Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen ........................................... 223 V. Bedenken gegen bestimmte Verweisungsformen ........................... 225 1. Kettenverweisungen ................................................................... 225 a) Keine generelle Unbestimmtheit oder Unklarheit ................... 225 b) Übermäßige Länge und/oder Komplexität der Verweisung ... 226 2. Globalverweisungen ................................................................... 228 3. Verweisungsanalogien ................................................................ 228 4. Verweisungen auf Unionsrecht ................................................... 230 VI. Zusammenfassung .......................................................................... 231 § 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip ................................... 233 A. Verweisungsrelevante Gehalte des Gewaltenteilungsprinzips................. 233 I. Keine strikte Gewaltentrennung ..................................................... 235
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Schutz der Gewichtsverteilung sowie der Kernbereiche der Gewalten .................................................................................. 235
B. Verfassungsrechtliche Bewertung .......................................................... 236 I. Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive ............................... 237 1. These der unzulässigen Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen ................................................................................ 237 2. Annahme der Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip .. 238 3. Stellungnahme ............................................................................ 239 a) Umgehung der Grundaussagen des Art. 80 Abs. 1 GG ........... 240 b) Unterschiedliche Kontrollmaßstäbe und -möglichkeiten ........ 241 c) Unerheblichkeit der eigenen Entscheidung des Verweisungsnormgebers ............................................................................ 242 d) Kein Verweis auf die entsprechende Ermächtigungsnorm ...... 243 e) Verweisungen auf Rechtsverordnungen im ursprünglichen Anwendungsbereich ............................................................... 243 f) Normkonkretisierende Verweisungen .................................... 244 II. Verweisungen zwischen formellen Gesetzen .................................. 244 III. Verweisungen von Vorschriften der Exekutive auf formelle Gesetze ......................................................................................... 245 IV. Verweisungen im Bund-Länder Verhältnis und auf Unionsrecht .... 246 V. Verweisungen auf Vorschriften nichtstaatlicher Institutionen ........ 247 1. These der Unvereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip ..... 247 2. Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen ........................................ 248 3. Stellungnahme ............................................................................ 249 VI. Zusammenfassung .......................................................................... 250 § 6 Vereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 GG ..................................................... 251 § 7 Gesamtergebnis zu Kapitel 2 ................................................................ 253
Kapitel 3: Verweisungen des Grundgesetzes ................................. 255 § 1 Überprüfbarkeit anhand des Art. 79 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GG ............ 257 § 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG .............................................. 259 A. Meinungsstand ....................................................................................... 259 I. Umfassende Zulässigkeit dynamischer Verweisungen ................... 259 II. Übertragung einfachgesetzlicher Ansätze ....................................... 261
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III. Differenzierung zwischen spezifizierten Einzelverweisungen und umfangreichen Globalverweisungen ........................................ 261 IV. Josef Isensee .................................................................................. 262 V. Unvereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG .......................................................................................... 263 VI. Bundesverfassungsgericht .............................................................. 265 VII. Kritik ............................................................................................. 265 B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ...................................................... 265 I. Änderung oder Ergänzung (des Wortlauts)..................................... 265 1. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG als Textänderungsgebot ......................... 265 2. Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes .............................. 267 3. Bedeutung für die Verweisungsproblematik ............................... 268 a) Änderung i.S.d. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG trotz Fortbestehens des Wortlauts der Verweisungsnorm ...................................... 268 b) Differenzierung zwischen Einzel- und Globalverweisungen . 269 c) Ausreichende Textänderung durch Einfügung der Verweisungsnorm? ................................................................ 270 II. Ausdrücklichkeit der Änderung...................................................... 270 1. Inhalt des Ausdrücklichkeitserfordernisses ................................. 270 2. Bedeutung für die Verweisungsproblematik ............................... 272 III. „Durch ein Gesetz“ ........................................................................ 273 1. Änderung durch die Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts ................................................................... 273 2. Umgehung des Gesetzeserfordernisses ....................................... 274 IV. Stellung der Wortlautänderung ....................................................... 275 V. Zusammenfassung .......................................................................... 276 C. Historische und teleologische Auslegung ............................................... 276 I. Vorgängernormen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ............................... 276 II. Praxis der „Verfassungsdurchbrechungen“ unter der WRV ............ 277 III. Entwicklung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ........................................ 279 IV. Zwecke des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ................................................ 280 V. Bedeutung für die Verweisungsproblematik ................................... 283 1. Unterschiede zwischen Verfassungsdurchbrechungen und dynamischen Verweisungen ....................................................... 283 2. Gemeinsamkeiten dynamischer Verweisungen mit Verfassungsdurchbrechungen ........................................................................ 284 a) Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde ............. 284 b) Besondere Bedeutung der Urkundlichkeit aus historischer Sicht ................................................................... 285 c) Stillschweigende Verfassungsänderungen und Intransparenz ......................................................................... 285
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d) Umgehung der Warn- und Reflektionsfunktion des Textänderungsgebots ....................................................... 286 e) Missbrauchsgefahr ................................................................. 287 f) Zwischenergebnis .................................................................. 288 D. Systematische Auslegung ....................................................................... 288 I. Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ................................................................... 288 1. Historischer Hintergrund des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ................. 289 2. Divergierende Auffassungen zur Rechtswirkung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ........................................................................... 289 a) Überflüssig und/oder verfassungswidrig ................................ 290 b) Ermöglichung eines Anwendungsvorrangs............................. 290 c) Verleihung von Verfassungsrang für die Vertragsnormen ...... 291 d) Gestattung unspezifizierter Globalverweisungen auf die Vertragsnormen ................................................................ 292 e) Stellungnahme ....................................................................... 292 aa) Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ............................... 292 bb) Entstehungsgeschichte des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ......... 294 cc) Zwischenergebnis mit Blick auf die Verweisungsproblematik ..................................................................... 295 II. Bestehende Verweisungen des Grundgesetzes................................ 295 1. Rückschlüsse aus der Existenz dynamischer Verweisungen in der Urfassung des Grundgesetzes ........................................... 296 a) Unterschiedliche Bindungen des Verfassungsgebers und des verfassungsändernden Gesetzgebers ................................ 296 b) Fehlende Erörterung der Gesetzgebungstechnik im Parlamentarischen Rat............................................................ 297 c) Sondersituation des Art. 25 GG.............................................. 299 d) Zwischenergebnis .................................................................. 302 2. Rückschlüsse aus der Einfügung neuer dynamischer Verweisungen in das Grundgesetz .............................................. 302 III. Zusammenfassung .......................................................................... 304 E. Vergleich mit dem sog. „Verfassungswandel“........................................ 305 I. Begriff und Bedeutung des Verfassungswandels ............................ 305 II. Vergleich mit dynamischen Verweisungen des Grundgesetzes....... 307 F. Gesamtbeurteilung ................................................................................. 309 I. Verweisungen als implizite Änderungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG? ....................................................................................... 310 II. Ausnahme für Verweisungen auf Unionsrecht ............................... 311 1. (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts .................................. 311 2. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ............................................................... 313
Inhaltsverzeichnis
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3. Ausnahme für Primär- und Sekundärrecht .................................. 315 4. Deklaratorische Verweisungen ................................................... 316 5. Ergebnis ..................................................................................... 317 III. Zusammenfassung .......................................................................... 318 IV. Konsequenzen für bestehende dynamische Verweisungen ............. 318 § 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG ..................................................... 321 A. Wortlaut des Art. 79 Abs. 2 GG ............................................................. 321 I. Anwendbarkeit der Vorschrift auf dynamische Verweisungen ....... 321 II. Bezugspunkt und Inhalt der Mehrheitsquoren ................................ 323 III. Bedeutung für die Verweisungsproblematik ................................... 324 1. Außenverweisungen auf Landesgesetze und Rechtsverordnungen ................................................................... 325 2. Außenverweisungen auf Bundesgesetze ..................................... 325 3. Binnenverweisungen .................................................................. 327 4. „Rechtfertigung“ durch Einfügung der Verweisungsnorm? ........ 327 IV. Zwischenergebnis .......................................................................... 328 B. Historische Auslegung ........................................................................... 328 I. Historische Vorbilder des Art. 79 Abs. 2 GG ................................. 328 1. Vergleich mit den Mehrheitsquoren des Art. 79 Abs. 2 GG ........ 329 2. Besondere Änderungsmöglichkeiten/-erfordernisse .................... 330 3. Zwischenergebnis ....................................................................... 331 II. Entwicklung der Vorschrift in den Beratungen zum Grundgesetz .. 331 1. Der Herrenchiemseer Entwurf .................................................... 331 2. Beratungen im Parlamentarischen Rat ........................................ 332 III. Bedeutung für die Verweisungsproblematik ................................... 335 C. Systematische Auslegung ....................................................................... 336 I. Verhältnis zu Art. 42 Abs. 2 S. 1 sowie Art. 52 Abs. 3 S. 1 und Art. 77 Abs. 3, 4 GG ...................................................................... 336 II. Bestehende Verweisungen des Grundgesetzes................................ 338 III. Zwischenergebnis .......................................................................... 338 D. Teleologische Auslegung ....................................................................... 339 I. Zweck des Art. 79 Abs. 2 GG ........................................................ 339 II. Bedeutung für die Verweisungsproblematik ................................... 341 E. Gesamtbewertung................................................................................... 343 I. Abänderung des Art. 79 Abs. 2 GG durch dynamische Verweisungen?............................................................................... 343 II. Ausnahme für Verweisungen auf Unionsrecht ............................... 345 III. Ergebnis ......................................................................................... 346
XX
Inhaltsverzeichnis
IV. Konsequenzen für bestehende dynamische Verweisungen ............. 346 § 4 Gesamtergebnis zu Kapitel 3 ................................................................ 349
Kapitel 4: Gesamtergebnis der Untersuchung ............................... 351 Literaturverzeichnis .................................................................................... 355 Sachregister ................................................................................................ 371
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABBergV abger. ABl. Abs. AcP AEUV AGB Allg. AmtsblG Saarland Anm. AO AöR ArbR Art. AT Ausschuss-Drs. BAföG BAG BayLTGeschO BayLVerf BayVBl. BayVerfGH BayVGH BayVSG BB BbgAusfVerkG
BBiG BeckOGK BeckOK Beschl. BFH BFHE BGB
anderer Ansicht am angegebenen Ort Bergverordnung für alle bergbaulichen Bereiche (Allgemeine Bundesbergverordnung) abgerufen Amtsblatt der Europäischen Union Absatz/Absätze Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeine Geschäftsbedingungen allgemein/allgemeiner/allgemeine/allgemeines Gesetz über das Amtsblatt des Saarlandes (Amtsblattgesetz) Anmerkung(en) Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrecht Artikel Allgemeiner Teil Ausschussdrucksache Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) Bundesarbeitsgericht Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag Verfassung des Freistaates Bayern Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerisches Verfassungsschutzgesetz Betriebs-Berater Gesetz über die elektronische Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Ausfertigungs- und Verkündungsgesetz) Berufsbildungsgesetz beck-online.GROSSKOMMENTAR Beck’scher Online-Kommentar Beschluss Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch
XXII BGBl. BGH BGHZ BKR BMJ BNatSchG BOKraft BSG BSGE BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGK BVerfG (K) BVerwG BVerwGE BWahlG bzw. CDU CSU DB DDR DGVZ d.h. DIN DNBG DÖV DP DS DStJG DStR DVBl. DVO EBKrG EG EGV Entsch. EU EuGH EU-GRCh EuR EUV EuZW EVG EWG
Abkürzungsverzeichnis Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Kammer des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswahlgesetz beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern e. V. Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung das heißt Deutsches Institut für Normung e.V. Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Partei Der Sachverständige Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz) Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Entscheidung Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Union Charta der Grundrechte der Europäischen Union Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
Abkürzungsverzeichnis EWGV EWR EWiR f. FDP ff. FG FGO FIHG Fn. FS G 10 GB/BHE GesR GG ggf. GmbH GmbHG GO BT GO BR GO NRW GS GVG HChE HG NRW h.M. Hrsg. Hs. HStR HTML i.d.R. i.E. insb. i.S.d. i.S.e. i.V.m. JA JMBl. NRW JöR JR JURA jurisPK-SGB V jurisPR-HaGesR JuS
XXIII
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Schriftenreihe zum Europäischen Weinrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende Freie Demokratische Partei e.V. fortfolgende Festgabe Finanzgerichtsordnung Fleischhygienegesetz Fußnote(n) Festschrift Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten GesundheitsRecht Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Geschäftsordnung des Bundesrates Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Entwurf eines Grundgesetzes des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz) herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts Hypertext Markup Language in der Regel im Ergebnis insbesondere im Sinne des/der im Sinne eines/einer in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Ausbildung juris PraxisKommentar SGB V juris PraxisReport Handels- und Gesellschaftsrecht Juristische Schulung
XXIV JW JZ Kap. KostO KStZ Lfg. LFGB LKV LMuR Ls. LSG LVerf BW LVerf ND LVerf NRW LVerf SH LVwVfG RP MAH m.a.W. m.E. MedR MOG MüKo m.w.N. NdsVBl. NJW Nr. NRW NStZ NuR NVwZ NWVBl. NZG NZI NZWiST o.Ä. o.g. OGH BrZ OVG OWiG PAG PDF Pflege-EföVO
Abkürzungsverzeichnis Juristische Wochenschrift Juristen Zeitung Kapitel Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung) Kommunale Steuer-Zeitschrift Lieferung Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch) Landes- und Kommunalverwaltung Lebensmittel & Recht Leitsatz Landessozialgericht Verfassung des Landes Baden-Württemberg Niedersächsische Verfassung Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Verfassung des Landes Schleswig-Holstein Landesverwaltungsverfahrensgesetz Rheinland-Pfalz Münchener Anwaltshandbuch mit anderen Worten meines Erachtens Medizinrecht Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen Münchener Kommentar mit weiterem Nachweis/mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht oder Ähnliches oben genannt/oben genannter/oben genannte/oben genannten Oberster Gerichtshof für die britische Zone Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Polizeiaufgabengesetz) Portable Document Format Verordnung zur Regelung des Verfahrens zur Förderung von Pflegeeinrichtungen und der gesonderten Berechnung betriebsnotwendiger Investitionsaufwendungen nach § 82 Abs. 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch für teilweise geförderte stationäre Pflegeeinrich-
Abkürzungsverzeichnis
r. RabelsZ RdA resp. RG RGBl. RiFlEtikettG
RiFlEtikettStrV RL Rn. RsDE RV 1871 S. SächsVBl. SGb SGB V SGG s.o. sog. Sp. StGB StPO ThürLVerf ThürVerfGH TKG TPG TVG u.a. UAbs. Urt. UTR v. v.a. Var. VBlBW VDE VersG VerwArch VerwR VG VGH
XXV
tungen nach dem Landespflegeeinrichtungsgesetz (Pflegeeinrichtungsförderungs-Verordnung) rechts/rechte(r) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit, Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts respektive Reichsgericht Reichsgesetzblatt Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen (Rindfleischetikettierungsgesetz) Verordnung zur Durchsetzung des Rindfleischetikettierungsrechts (Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung) Richtlinie Randnummer(n) Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 Seite(n) (bei Zitation einer Rechtsvorschrift: Satz/Sätze) Sächsische Verwaltungsblätter Die Sozialgerichtsbarkeit, Zeitschrift für das aktuelle Sozialrecht Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgerichtsgesetz siehe oben sogenannte(r) Spalte Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Verfassung des Freistaats Thüringen Thüringer Verfassungsgerichtshof Telekommunikationsgesetz Transplantationsgesetz Tarifvertragsgesetz unter anderem Unterabsatz/Unterabsätze Urteil Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts vom/von vor allem Variante(n) Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verband Deutscher Elektrotechniker Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Verwaltungsarchiv Verwaltungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof
XXVI vgl. VO VOB/B Vorb. VVDSTRL VwGO VwVfG WRV z.B. ZfBR ZfS ZG ZGR ZHR ZIP ZIS ZPO ZRP zul. ZUM ZVglRWiss
Abkürzungsverzeichnis vergleiche Verordnung Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B Vorbemerkung(en) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 zum Beispiel Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zuletzt Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
Kapitel 1
Einführung in die Gesetzgebungstechnik der dynamischen Verweisung
§ 1 Einleitung Verweisungen als Gesetzgebungstechnik und speziell dynamische Verweisungen beschäftigen die Rechtswissenschaft bereits seit über 100 Jahren. So hat Walter Jellinek diese schon 1913 in seinem Werk „Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung“ als Mittel der Gesetzgebung – damals noch unter dem Begriff der „wandelbaren“ Verweisung – dargestellt.1 Nachdem Fritz Ossenbühl im Jahr 1967 in seinem Aufsatz „Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik“2 nicht nur den Begriff der „dynamischen“ Verweisung prägte, sondern diesem gesetzgebungstechnischen Phänomen zugleich (größtenteils)3 die verfassungsrechtliche Legitimität absprach, erfuhr die Problematik und die verfassungsrechtliche Relevanz dynamischer Verweisungen eine breitere Beachtung. Der dynamischen Verweisungstechnik wurde vor allem anlässlich einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts4 aus dem Jahr 1978 eine hohe Aufmerksamkeit als Gegenstand juristischer Abhandlungen zu Teil, die allerdings um 1990 ohne ersichtlichen Grund wieder abflachte, ohne dass abschließend geklärt wurde, ob dynamische Verweisungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind.5 Dennoch finden sich in der heutigen Gesetzeswirklichkeit zahllose dynamische Verweisungen in den verschiedenen für die Bundesrepublik Deutschland gültigen Normen jedes Rangs – von untergesetzlichen Normen bis hin zum Grundgesetz und europäischen Primärrecht.6 Das gesetzgebungstechnische Phänomen der dynamischen Verweisung scheint vor allem auf eine breite tatsächliche Akzeptanz – begründet durch praktische Notwendigkeiten und Vorzüge – gestützt.7 Indes gilt es zu klären, ob sich diese Akzeptanz und dieser Umgang mit
1
W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S. 94 f. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401. 3 Nach der Bewertung Ossenbühls sind lediglich Verweisungen auf Vorschriften desselben Gesetzgebers verfassungskonform, vgl. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402 ff.). 4 Beschl. v. 1.3.1978 – 1 BvR 768/70. 5 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 34; Guckelberger, ZG 2004, 62 (63). 6 Z.B. Art. 52 Abs. 3 S. 1 EU-GRCh; Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG; § 173 S. 1 1. Hs. VwGO; Art. 43 Abs. 1 PAG Bayern; § 18 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ABBergV; § 21 Abs. 1 PflegeEföVO Berlin. Vgl. im Übrigen auch die Beispiele bei Debus, Verweisungen, S. 32 f. Fn. 29. 7 In diesem Sinne auch Debus, Verweisungen, S. 33 und Salzwedel, in: FS Isensee, 205 (206) (die Gesetzgebungslehre hat sich „inzwischen mit dem Phänomen der dynamischen Verweisung abgefunden“). 2
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§ 1 Einleitung
dynamischen Verweisungen auch auf ein solides rechtliches (namentlich verfassungsrechtliches) Fundament stützen lässt. Den Rechtsproblemen, die die Verwendung dynamischer Verweisungen hervorrufen, ist diese Arbeit gewidmet.
§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik Verweisungen finden in verschiedenen Arten und Formen im Gesetz Ausdruck und werden je nach Verweisungsart und -form1 unterschiedlich bezeichnet. Um die Problematiken im Zusammenhang mit Verweisungen sprachlich und inhaltlich richtig erfassen und beschreiben zu können, erscheint ein Blick – vor allem auf die terminologischen und rechtlichen – Grundlagen dieser Gesetzgebungstechnik sowie auf besondere Verweisungsformen angezeigt.
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten Eine Verweisung ist die Bezugnahme einer Norm auf einen anderen Inhalt.2 Hierbei handelt es sich zwar zumeist, aber nicht ausschließlich, um eine andere Rechtsnorm. Anstatt also eine Regelung (vollständig) selbst zu treffen, macht eine Verweisung sich den Inhalt eines anderen Objekts – z.B. einer anderen Rechtsnorm – zunutze und ordnet die Geltung dieses Inhalts an.3 1
Verweisungsarten sind hierbei Kategorien von Verweisungen, bei welchen selbige einer der Kategorien angehören müssen und daher gleichzeitig nicht der jeweils anderen Kategorie angehören können. So muss jede Verweisung entweder ausdrücklich oder stillschweigend, deklaratorisch oder konstitutiv, dynamisch oder statisch usw. sein und kann jeweils nur einer der beiden Alternativen angehören, da die jeweiligen Begriffspaare Gegensätzliches beschreiben. Als Verweisungsformen sollen hingegen solche Verweisungstypen bezeichnet werden, bei denen die Verweisungen in besonderer Form gesetzlich zum Ausdruck gebracht werden oder einen besonderen inhaltlichen Gehalt aufweisen. 2 Debus, Verweisungen, S. 35; D. Neumann, RdA 1976, 49 (49 f.) („Bezugnahme auf andere Bestimmungen“); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (113). Ähnlich W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S. 89. In diesem Sinne, aber als anderen Inhalt nur andere Rechtsvorschriften erfassend Budde, Jura 1984, 578 (578); Clemens, AöR 1986, 63 (65); Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort „Verweisung“; Guckelberger, ZG 2004, 62 (62); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 3; Schenke, NJW 1980, 743 (743); Triepel, Völkerrecht, S. 159 f. Ähnlicher Ansatz – auch beschränkt auf andere Normen – bei Karpen, Verweisung, S. 19; Klindt, DVBl. 1998, 373 (373). 3 Vgl. Bullinger, Selbstermächtigung, S. 21; Debus, Verweisungen, S. 100; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (723); Häberle, JZ 1992, 1033 (1034); Hommelhoff, in: FS Odersky, 779 (780); Klindt, DVBl. 1998, 373 (373); Krey, EWR 1981, 109 (127); G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 360 ff.; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (87); Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schwacke/Uhlig, Methoden des Verwaltungshandelns, S. 81; Strasser, in: FS Floretta, 627 (627); Wank, Methodenlehre, § 5 Rn. 299.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
Die Norm, die hierbei auf einen anderen Inhalt verweist, wird mit den Begriffen „Verweisungsgrundlage“4 oder „Verweisungsnorm“5 beschrieben.6 Die Vorschrift bzw. der Inhalt, auf den verwiesen wird, wird hingegen als „Verweisungsobjekt“ bezeichnet.7 Der Teil innerhalb einer Verweisungsnorm, der die Verweisung anordnet, also das Verweisungsobjekt in Bezug nimmt, wird „Verweisungsformel“ genannt.8 Neben diesen abstrakten Bezeichnungen, welche gleichsam für jede Verweisung anwendbar sind, werden außerdem die unterschiedlichen Verweisungsarten mit verschiedenen Begriffen umschrieben, die im Folgenden erläutert werden sollen:
I. Ausdrückliche und stillschweigende Verweisungen Verweisungen können sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend im Gesetz angeordnet werden. Ausdrückliche Verweisungen nehmen eindeutig – etwa durch eine exakte paragraphenmäßige Bezeichnung – auf eine andere Norm bzw. ein sonstiges Verweisungsobjekt Bezug.9 Ein Beispiel für eine (voll-explizite) aus-
4
Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (401). So z.B. Clemens, AöR 1986, 63 (84); Debus, Verweisungen, S. 35; Gerhold, in: BeckOK OWiG, Einleitung zum OWiG Rn. 59; Guckelberger, ZG 2004, 62 (62); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 3; Karpen, Verweisung, S. 19; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (197); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (224); M. Meyer, RdA 2020, 25 (28); Mohr, Technische Normen, S. 28 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 5; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (113); D. Schneider, Seeschiffe, S. 86; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 25. 6 Im Folgenden soll hierfür ausschließlich der Begriff „Verweisungsnorm“ verwendet werden. 7 So z.B. Debus, Verweisungen, S. 35; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 15; Guckelberger, ZG 2004, 62 (62); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 3; Karpen, Verweisung, S. 19; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (224); Hotz, in: FS Hangartner, 195 (197); Martens, ZGR 1999, 548 (549); Mohr, Technische Normen, S. 29; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (401); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 5; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (113); D. Schneider, Seeschiffe, 86 f.; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 25. Dürrschmidt, Verweisungen, S. 9 verwendet ferner die Bezeichnung „Bezugsnorm“. 8 Debus, Verweisungen, S. 38. Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 36 f.; Papier, in: HStR VIII, § 177 Rn. 82; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 25 f. 9 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 244; Debus, Verweisungen, S. 49 m.w.N.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 5; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (198). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 33 f.; Hohmann, ZIS 2007, 38 (38); Schwacke, Juristische Methodik, S. 36 (der diese Art der Verweisung allerdings als „offene“ Verweisungen bezeichnet); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 25. Dürrschmidt, Verweisungen, S. 23 verwendet hingegen die Bezeichnung „normgenaue Verweisung“. Innerhalb der ausdrücklichen Verweisungen kann noch weiter zwischen sog. voll-expliziten und halb-expliziten Verweisungen unterschieden werden. Voll-explizite Verweisungen enthalten eine Paragraphenangabe, während halb-explizite Verweisungen Bezug auf andere 5
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten
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drückliche Verweisung ist § 54 Abs. 2 FGO, welcher lautet: „Für die Fristen gelten die Vorschriften der §§ 222, 224 Abs. 2 und 3, §§ 225 und 226 der Zivilprozessordnung.“10 Stillschweigende Verweisungen enthalten dagegen keinen Hinweis auf ihren Verweisungscharakter, sondern dieser ergibt sich durch Auslegung (insbesondere aus der Systematik).11 So enthält z.B. § 154 Abs. 1 StGB – welcher lautet: „Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“ – eine stillschweigende Verweisung auf die Eidesvorschriften der § 59 ff. StPO und §§ 391 ff. ZPO.12
II. Deklaratorische und konstitutive Verweisungen Verweisungen, welche lediglich auf Bestimmungen aufmerksam machen, die für den Adressaten der Verweisungsnorm ohnehin bereits unmittelbar gelten, werden als deklaratorische Verweisungen bezeichnet.13 Sie ändern den rechtlichen
Vorschriften ohne die Angabe der entsprechenden Paragraphen nehmen, vgl. dazu Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 244 f.; Cornelius, NZWiSt 2014, 173 (175 Fn. 25) (für halb-explizite Verweisungen); Debus, Verweisungen, S. 49 m.w.N.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 44 f. (für voll-explizite Verweisungen); D. Neumann, RdA 1976, 49 (50); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 7; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 32 ff.; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 51. Bei halb-expliziten Verweisungen ist also erkennbar, dass eine Verweisung vorliegt, nicht aber, auf welche Vorschriften sich diese genau bezieht, vgl. Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 245; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 33; D. Neumann, RdA 1976, 49 (50). Teilweise wird sogar noch weitergehend zwischen vollkommen voll-expliziten Verweisungen und unvollkommen voll-expliziten Verweisungen differenziert, vgl. hierzu nur Cornelius, NZWiSt 2014, 173 (175, insb. Fn. 25). 10 Eine halb-explizite Verweisung enthält demgegenüber § 56 Abs. 2 VwGO: „Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung.“ 11 BSGE 127, 203 (208 Rn. 17); Debus, Verweisungen, S. 50 m.w.N; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 25; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 5 ff.; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (199); D. Neumann, RdA 1976, 49 (50); Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 52. Vgl. auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 7 f. 12 Karpen, Verweisung, S. 34 f. 13 Debus, Verweisungen, S. 39 m.w.N.; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 4 f.; Freudenberg, in: jurisPK-SGB V, § 87e Rn. 21 (Stand: 15.06.2020); Guckelberger, ZG 2004, 62 (63); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 26 f.; Herschel, BB 1963, 1220 (1220); Hiller, Verweisungen in den Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen, S. 61 f.; P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 31; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 361; H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 168 f.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (113); D. Schneider, Seeschiffe, S. 86. Teilweise werden diese auch als „unechte“ Verweisungen bezeichnet, vgl. Debus, Verweisungen, S. 39; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 4 f.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (63); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 26 f.; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (197); Meissner/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 173 Rn. 28 (27. Lfg. Oktober 2014); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 19 m.w.N.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (113).
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
Zustand also nicht, sondern fungieren vielmehr wie ein bloßer Hinweis.14 Eine solche deklaratorische Verweisung enthält z.B. § 71 Abs. 1 S. 1 VwVfG.15 Dieser lautet: „Findet das förmliche Verwaltungsverfahren vor einem Ausschuss (§ 88) statt, so hat jedes Mitglied das Recht, sachdienliche Fragen zu stellen.“
§ 88 VwVfG legaldefiniert bereits den Begriff des Ausschusses, sodass bereits die bloße Verwendung des Wortes „Ausschuss“ rechtlich bewirkt hätte, dass dieser i.S.d § 88 VwVfG zu verstehen wäre. Der Klammerzusatz in § 71 Abs. 1 S. 1 VwVfG, der auf § 88 VwVfG verweist, verändert demnach die Rechtslage nicht, sondern dient lediglich der einfacheren Auffindung der Definition des Ausschusses. Eine konstitutive Verweisung verändert demgegenüber die Rechtslage, indem durch die Verweisung eine bislang noch nicht bestehende normative Regelung geschaffen wird.16 Bei einer solchen Verweisung wäre die Verweisungsnorm bei Hinwegdenken des in Bezug genommenen Verweisungsobjekts unvollständig und erhält erst durch dessen Regelung einen (vollständigen) Sinn.17 Ferner wird der Anwendungsbereich des Verweisungsobjekts durch die Verweisung regel-
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Brugger, VerwArch 1987, 1 (2 f.); Clemens, AöR 1986, 63 (74); Debus, Verweisungen, S. 39; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 4 f.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (63); Hiller, Verweisungen in den Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen, S. 61 f.; Karpen, Verweisung, S. 20 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (223 f.); Meissner/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 173 Rn. 28 (27. Lfg. Oktober 2014); P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 31; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 38; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 361 ff.; H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 168 f.; Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 3; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114); Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 52. 15 So auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (63). 16 Debus, Verweisungen, S. 40; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 4 f.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Herschel, BB 1963, 1220 (1220); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 21 f. m.w.N.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114). Ähnlich Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 23; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (224); H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 169; Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 3; D. Schneider, Seeschiffe, S. 86. Teilweise werden diese auch als „echte“ Verweisungen bezeichnet, vgl. Denninger, Normsetzung, Rn. 137; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 4 f.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 23; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (224); Meissner/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/ Schneider, VwGO, § 173 Rn. 27 (27. Lfg. Oktober 2014); P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 33; Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 3; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 25. 17 Brugger, VerwArch 1987, 1 (3 f.); Budde, Jura 1984, 578 (578); Debus, Verweisungen, S. 41 f. m.w.N.; Denninger, Normsetzung, Rn. 137; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (723); Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 23; Karpen, Verweisung, S. 21 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (224); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 40; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (87); D. Schneider, Seeschiffe, S. 86 f.; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 25.
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten
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mäßig erweitert.18 Als Beispiel für eine konstitutive Verweisung lässt sich erneut § 54 Abs. 2 FGO anführen. Durch diesen wird die Geltung der in Bezug genommenen Vorschriften der ZPO für Finanzgerichtsverfahren angeordnet und der Anwendungsbereich der entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung insoweit erweitert. Ferner ergibt sich die vom Gesetzgeber beabsichtigte Regelung der Fristen nur bei Lektüre der in Bezug genommenen Vorschriften der ZPO, sodass die Verweisungsnorm des § 54 Abs. 2 FGO erst hierdurch einen Sinn erhält. Aufgrund der fehlenden Rechtswirkung von deklaratorischen Verweisungen sind lediglich konstitutive Verweisungen für die Bearbeitung relevant. Wenn im Folgenden der Terminus „Verweisung“ (ohne nähere Spezifikation) verwendet wird, sind daher mit diesem Begriff nur konstitutive Verweisungen gemeint.
III. Binnen- und Außenverweisungen Eine Verweisung auf Vorschriften innerhalb desselben Gesetzes, ist eine sog. „Binnenverweisung“.19 Ein Beispiel für eine Binnenverweisung ist § 28 BGB, welcher lautet: „Bei einem Vorstand, der aus mehreren Personen besteht, erfolgt die Beschlussfassung nach den für die Beschlüsse der Mitglieder des Vereins geltenden Vorschriften der §§ 32 und 34.“
Die §§ 32 und 34 BGB sind ebenfalls Vorschriften des BGB, sodass die Verweisung innerhalb desselben Gesetzes erfolgt. 18
Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Maties, JR 2007, 265 (265); P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 33; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 360; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 39 f.; H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 169; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 22. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt für Verweisungen auf Unionsrecht, da bei diesen mitunter zwar derselbe Anwendungsbereich betroffen ist wie derjenige der Unionsnorm; die nationale Verweisung beseitigt jedoch den Konflikt zwischen nationalem Recht und Unionsrecht, indem diese das nationale Recht an das Unionsrecht anpasst, sodass in diesem Fall trotz desselben Anwendungsbereichs der nationalen Verweisungsnorm konstitutive Wirkung zukommt. Dies gilt umso mehr für Verweisungen auf Richtlinien, da eine nationale Verweisungsnorm diese umsetzen kann und damit konstitutive Rechtswirkungen erzeugt, obwohl derselbe Anwendungsbereich betroffen ist. 19 BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 233; Debus, Verweisungen, S. 57 m.w.N.; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 10; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (724); Fuss, in: FS Paulick, 293 (295); Gerhold, in: BeckOK OWiG, Einleitung zum OWiG Rn. 59; Guckelberger, ZG 2004, 62 (65); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 42; Hadding, in: FS Mühl, 225 (251 f.); Hanten, BKR 2019, 157 (160); Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorb. vor § 1 Rn. 3; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 115; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (197); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (225); Karpen, Verweisung, S. 12; Krenberger/Krumm, in: Krenberger/ Krumm, OWiG, § 1 Rn. 30; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 29 f.; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 364; H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 384; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 53; Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (245).
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
Demgegenüber wird eine Verweisung auf Vorschriften außerhalb des Gesetzestextes der Verweisungsnorm als „Außenverweisung“ bezeichnet.20 Ein Beispiel für eine solche Außenverweisung enthält erneut § 54 Abs. 2 FGO.21 Die Begriffe der Binnen- und Außenverweisungen werden zum Teil dahingehend abweichend verwendet, dass als Binnenverweisungen solche auf Normen desselben Gesetzgebers und als Außenverweisungen solche auf Normen eines anderen Gesetzgebers bezeichnet werden.22 Dieses Verständnis soll hier jedoch nicht zugrunde gelegt werden, sondern die Bezeichnungen im oben beschriebenen Sinne verwendet werden.
IV. Eigen- und Fremdverweisungen Verweisungen auf Vorschriften, die von demselben Normgeber erlassen werden, also bei denen der Normgeber der Verweisungsnorm und derjenige des Verweisungsobjekts identisch sind, werden als Eigenverweisungen bezeichnet.23 Als Beispiel für eine Eigenverweisung kann erneut auf § 54 Abs. 2 FGO zurückgegriffen werden, denn sowohl bei der Finanzgerichtsordnung als auch bei der Zivilprozessordnung handelt es sich um Bundesgesetze, also Vorschriften des Bundesgesetzgebers. Verweisungen auf Vorschriften eines anderen Normgebers werden hingegen als Fremdverweisungen bezeichnet.24 Eine solche Verweisung enthält z.B. Art. 43 Abs. 1 PAG Bayern. Dieser lautet: 20 BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 235; Bowitz, DGVZ 1978, 177 (177); Debus, Verweisungen, S. 57 m.w.N.; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 10; Fuss, in: FS Paulick, 293 (295); Gerhold, in: BeckOK OWiG, Einleitung zum OWiG Rn. 59; Guckelberger, ZG 2004, 62 (65); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 42; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (197); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (225); Krenberger/Krumm, in: Krenberger/ Krumm, OWiG, § 1 Rn. 30; Martens, ZHR 1984, 183 (190); Martens, ZGR 1999, 548 (549); G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 365; Riedl, AöR 1994, 642 (648 Fn. 34); H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 384; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 54; Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (245). 21 Siehe zu dessen Inhalt bereits oben unter Kap. 1 § 2 A. I. 22 Krey, EWR 1981, 109 (127 f.); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 27; wohl auch Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 43 f. Für Binnenverweisungen BVerwG, Beschl. v. 15.03.1989 – 7 B 108/88, juris-Rn. 24; OVG Münster, Urt. v. 25.11.2004 – 14 A 2973/02, juris-Rn. 11; Brugger, VerwArch 1987, 1 (16, 21); Clemens, AöR 1986, 63 (92); Dahmen, KStZ 1990, 25 (27); Ebsen, DÖV 1984, 654 (654); Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 9 f. Papier, in: FS Lukes, 159 (164); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71). Für Außenverweisungen D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 30. 23 Guckelberger, ZG 2004, 62 (65); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 23; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114). Debus, Verweisungen, S. 58 verwendet insoweit den Begriff „autonome“ Verweisung. 24 BVerwG, Beschl. v. 03.03.2005 – 7 B 151/04, juris-Rn. 21; BVerwG, Beschl. v. 15.03.1989 – 7 B 108/88, juris-Rn. 24; OVG Münster, Urt. v. 25.11.2004 – 14 A 2973/02, juris-Rn. 11; Brugger, VerwArch 1987, 1 (21); Clemens, AöR 1986, 63 (101); Dahmen, KStZ 1990, 25 (27); Ebsen, DÖV 1984, 654 (654); Frenzen, in: BeckOK Kommunalrecht NRW, § 41 GO NRW Rn. 17; Guckelberger, ZG 2004, 62 (65); Manssen, Bauvorschriften, S. 250; Moritz, Verwei-
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten
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„Ist eine Datenerhebung nach […] angeordnet, hat jeder, der ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt (Diensteanbieter), nach Maßgabe der Regelungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) […] in der jeweils geltenden Fassung der Polizei die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu ermöglichen.“
Art. 43 Abs. 1 PAG Bayern verweist als bayerisches Landesgesetz auf das TKG, also ein vom Bundesgesetzgeber erlassenes Gesetz.
V. Statische und dynamische Verweisungen Ferner muss zwischen sog. statischen und dynamischen Verweisungen unterschieden werden.25 1. Statische Verweisungen Statische Verweisungen zeichnen sich dadurch aus, dass auf das Verweisungsobjekt in einer bestimmten Fassung – also eine feststehende Regelung – verwiesen wird.26 Künftige Änderungen des Verweisungsobjekts werden demnach von einer statischen Verweisung nicht erfasst.27 Ein Beispiel für eine statische Verweisung enthält § 688 Abs. 3 ZPO, welcher lautet:
sung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 9 f.; Papier, in: FS Lukes, 159 (164); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 23 f.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114). Debus, Verweisungen, S. 58 f. verwendet insoweit den Begriff „heteronome“ Verweisung. 25 Begriffe der „statischen“ und „dynamischen“ Verweisung nach Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (401). 26 BVerfGE 60, 135 (155); Backherms, ZRP 1978, 261 (261 Fn. 3); BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 239; Brugger, VerwArch 1987, 1 (7); Debus, Verweisungen, S. 59 m.w.N.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 47; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (723 f.); Fuss, in: FS Paulick, 293 (295); Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort „Verweisung“; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Hendler, ZG 1987, 210 (224); Jaeckel, SächsVBl. 2000, 205 (206); Karpen, Verweisung, S. 69; Krey, EWR 1981, 109 (128); Marburger, Regeln der Technik, S. 384; v. Maydell, ZfS 1973, 69 (70); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 44; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 4; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 367; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (401); Papier, in: FS Lukes, 159 (163 f.); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114); Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 43; Tünnesen-Harmes/Sroka, NVwZ 2023, 389 (390); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 28. 27 Vgl. z.B. Brugger, VerwArch 1987, 1 (7); Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 47 f.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64 f.) m.w.N.; Jaeckel, SächsVBl. 2000, 205 (206); Krey, EWR 1981, 109 (129); Löwisch/Rieble, in: Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 593; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 44; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 4; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, S. 367; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 12; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 27.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
„Müsste der Mahnbescheid im Ausland zugestellt werden, so findet das Mahnverfahren nur insoweit statt, als das Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. November 2015 (BGBl. I S. 2146) und das Auslandsunterhaltsgesetz vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2018) geändert worden ist28, dies vorsehen oder die Zustellung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erfolgen soll.“
Vereinzelt wird der Begriff der statischen Verweisung hingegen enger verstanden: Eine solche soll nur dann vorliegen, wenn die Verweisungsnorm auf ein Verweisungsobjekt in derjenigen Fassung Bezug nimmt, welche beim Inkrafttreten der Verweisungsnorm galt.29 Dieses Verständnis soll jedoch in dieser Arbeit nicht zugrunde gelegt werden, sondern der Terminus nachfolgend im oben genannten Sinne verstanden werden. 2. Dynamische Verweisungen Dynamische Verweisungen beziehen hingegen – im Unterschied zu statischen Verweisungen – künftige Änderungen des Verweisungsobjekts mit ein und nehmen die jeweils geltende Fassung des Verweisungsobjekts – vor allem Rechtsvorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung – in Bezug.30 Ein anschauliches Beispiel für eine dynamische Verweisung enthält § 40 Abs. 6 S. 3 BBiG. Dieser lautet: 28
Hervorhebung nicht im Original. Becker, Normsetzung, S. 539; Gamber, VBlBW 1983, 197 (197); Hömig, DVBl. 1979, 307 (307); H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 385. Wohl auch Dahmen, KStZ 1990, 25 (26); Löwisch/Rieble, in: Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 593; Papier/Olschewski, DVBl. 1976, 475 (477); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 12; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 54; Strasser, in: FS Floretta, 627 (627); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1198). 30 BVerfGE 60, 135 (155); BVerfGE 47, 285 (310, 313); BFHE 158, 185 (186 f.); Backherms, ZRP 1978, 261 (261); Becker, Normsetzung, S. 540; BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 243; Krenberger/Krumm, in: Krenberger/Krumm, OWiG, § 1 Rn. 30; Brugger, VerwArch 1987, 1 (7); Clemens, AöR 1986, 63 (80); Dahmen, KStZ 1990, 25 (26); Debus, Verweisungen, S. 61 m.w.N.; Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort „Verweisung“; Guckelberger, ZG 2004, 62 (65) m.w.N.; Fuss, in: FS Paulick, 293 (295); Gamber, VBlBW 1983, 197 (197); Hendler, ZG 1987, 210 (224); Hömig, DVBl. 1979, 307 (307); Jaeckel, SächsVBl. 2000, 205 (206); Karpen, Verweisung, S. 69; Löwisch/Rieble, in: Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 593; Marburger, Regeln der Technik, S. 384; v. Maydell, ZfS 1973, 69 (70); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 45; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 4 f.; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 368; Nicklisch, NJW 1983, 841 (843); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (401); Papier, in: FS Lukes, 159 (163 f.); Papier/Olschewski, DVBl. 1976, 475 (477); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 13; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114); H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 385; Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 43; Strasser, in: FS Floretta, 627 (627); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1198); Tünnesen-Harmes/Sroka, NVwZ 2023, 389 (389 f.); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 28 f. Vgl. auch Hufen, JuS 2022, 1178 (1181), der allerdings formuliert, dass sich die „Voraussetzungen“ der Verweisung ändern könnten. Teilweise wird diese Verweisungsart auch als „gleitende“ Verweisung bezeichnet, vgl. BFHE 158, 185 (186); Backherms, ZRP 1978, 261 (261); BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 243; Brugger, VerwArch 1987, 1 (7); Hömig, DVBl. 1979, 307 (307); Jaeckel, SächsVBl. 2000, 205 (206); Marburger, Regeln der Technik, S. 384; Nicklisch, NJW 1983, 841 29
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten
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„Die Entschädigung für Zeitversäumnis hat mindestens im Umfang von § 16 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung31 zu erfolgen.“
3. Abgrenzung von statischer und dynamischer Verweisung Für den Inhalt der verweisenden Norm ist es von entscheidender Bedeutung, ob eine statische oder dynamische Verweisung vorliegt. Dies gilt umso mehr, wenn sich das Verweisungsobjekt seit dem Erlass der Verweisungsnorm geändert hat, da diese Änderungen nur bei einer dynamischen Verweisung von der Verweisung umfasst wären, während bei einer statischen Verweisung weiterhin die ursprüngliche Form des Verweisungsobjekts maßgeblich wäre. Dementsprechend muss stets eine Abgrenzung der statischen von der dynamischen Verweisung anhand der Verweisungsformel vorgenommen werden, was mitunter erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen kann. Dementsprechend sollen nachfolgend Kriterien zur Abgrenzung dieser beiden Verweisungsarten erläutert werden. a) Hinweise im Normtext Teilweise ist im Gesetz durch einen Zusatz in der Verweisungsformel bereits ein Hinweis darauf enthalten, ob es sich um eine statische oder eine dynamische Verweisung handeln soll. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Verweisungsformel eine bestimmte Fassung des Verweisungsobjekts erwähnt oder die intendierte Wirkung durch andere Angaben offenbart, welche das Verweisungsobjekt bzw. dessen Fassung näher spezifizieren. aa) Hinweise auf statische Verweisungen Debus geht bei der Abgrenzung zwischen statischen und dynamischen Verweisungen davon aus, dass nur in der Formel „in der am … geltenden Fassung“ ein eindeutiger Hinweis auf eine statische Verweisung liegen soll und alle anderen ähnlichen Formulierungen, wie der Hinweis „in der Fassung vom“ oder eine Fundstellen- und/oder Datumsangabe der weiteren Auslegung zugänglich seien.32 Nur der Hinweis „in der am … geltenden Fassung“ trage eindeutig nicht lediglich zu Identifizierung bei, sondern sei ein unmissverständlicher Hinweis auf eine statische Verweisung.33 (843); Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 187; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (114); H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 385; Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 43. 31 Hervorhebung nicht im Original. 32 Debus, Verweisungen, S. 63 f. In diesem Sinne wohl auch OVG Sachsen, Beschl. v. 29.04.2020 – 3 B 138/20, Rn. 20 und Beschl. v. 30.04.2020 – 3 B 148/20, Rn. 19: Durch die Regelung „ist nicht eine bestimmte Fassung dieses Gesetzes – ,in der am … geltenden Fassung‘ – in Bezug genommen worden“. A.A. insoweit G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Fn. 937, die wiederum nur in der Formulierung „in der Fassung vom“ einen eindeutigen Hinweis auf eine statische Verweisung sehen. 33 Debus, Verweisungen, S. 63 f. So wohl auch OVG Sachsen, Urt. v. 04.08.2022 – 3 C 24/20, juris-Rn. 41.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht (vollends). Sofern der Gesetzgeber sich in der Verweisungsformel auf ein bestimmtes Datum des Erlasses des Gesetzes bzw. auf eine anderweitig (ohne eine Datumsangabe) bestimmte Fassung bezieht, bedeutet dies ausweislich des Wortlauts, dass allein diese Fassung des Verweisungsobjekts Gegenstand der Verweisung sein soll.34 Denn die Bezugnahme auf ein Gesetz unter Angabe eines bestimmten Datums bedeutet schon deswegen den Ausschluss nachträglicher Änderungen von der Verweisungsregelung, da diese naturgemäß an dem angegebenen Datum noch nicht bestanden und dementsprechend nicht von der Verweisung umfasst sind. Gleiches gilt für die Angabe einer Fundstelle. Soweit der Gesetzgeber auf eine bestimmte Fundstelle Bezug nimmt (z.B. im BGBl. oder anderen amtlichen Publikationsorganen), ist nur die Fassung des Gesetzes zugrunde zu legen, die an dieser Stelle niedergelegt ist.35 Denn auch in diesem Fall können nachfolgende Änderungen des Gesetzestextes naturgemäß nicht an dieser Stelle des BGBl. stehen, sondern sind (entsprechend der zeitlichen Distanz zur ursprünglichen Publikation des Gesetzes) an anderer Stelle – zumeist sogar in einem anderen Jahr – im BGBl. niedergelegt. Würde man diese Änderungen ohne die Anordnung der Anwendung der jeweils geltenden Fassung in der Verweisungsformel anwenden, wäre dies ein Widerspruch zum Gesetzeswortlaut, welcher ausdrücklich auf eine bestimmte Fassung des Gesetzes – nämlich die an der bezeichneten Fundstelle niedergelegte – Bezug nimmt. Zwar trifft zu, dass der Gesetzgeber – gerade bei unbekannteren Gesetzestexten – derartige Angaben zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes sowie der entsprechenden Fundstelle vornehmen kann, um das Auffinden und die Identifizierung des Verweisungsobjekts zu erleichtern. Allerdings bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, hierbei in der Verweisungsformel anzuordnen, dass das nach Datum und Fundstelle bezeichnete Gesetz „in der jeweils geltenden Fassung“ anzuwenden ist, um klarzustellen, dass die Verweisung dynamisch ist. Fehlt ein solcher Zusatz, muss der Hinweis auf Datum und Fundstelle oder eine Fassung des Gesetzes daher in Übereinstimmung mit dem dann bestehenden Wortlaut als Anordnung einer statischen Verweisung ausgelegt werden. Insoweit dient das von Debus zur Bekräftigung seiner These angeführte Beispiel gerade zur Entkräftung dieser These: Debus führt aus, dass die Datums- und Fundstellenangabe in § 1 Abs. 1 LVwVfG RP eindeutig nur einer bloßen Identifizierung dienten, weil „die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102) in der jeweils geltenden Fassung“ anzuwenden seien.36 Jedoch zeigt sich in diesem Beispiel anschaulich, dass der Gesetzgeber des Landes Rheinland-Pfalz – um den Rechtscharakter der dyna34 So im Ergebnis auch OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2023 – I-4 U 144/22, 4 U 144/22, juris-Rn. 71. 35 So im Ergebnis auch OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2023 – I-4 U 144/22, 4 U 144/22, juris-Rn. 71. 36 Debus, Verweisungen, S. 63 f.
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten
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mischen Verweisung auszudrücken – explizit den Zusatz „in der jeweils geltenden Fassung“ verwendet hat. Dies untermauert, dass auch der Landesgesetzgeber des Landes Rheinland-Pfalz sich insoweit der Notwendigkeit dieses Zusatzes bewusst war, da die bloße Angabe der Fassung und der Fundstelle eine statische Verweisung bewirkt hätte. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass bei der Angabe einer bestimmten Fassung und/oder einer Datums- und/oder Fundstellenangabe ohne einen abweichenden Zusatz37 eine statische Verweisung vorliegt.38 Soweit darüber hinaus teilweise39 auch die genaue (paragraphenmäßige) Zitierung eines Verweisungsobjekts als Hinweis auf eine statische Verweisung angesehen wird, überzeugt dies bereits insoweit nicht, als dass eine genaue Zitierung lediglich Ausdruck einer zu begrüßenden präzisen Gesetzgebung ist, nicht aber eine statische Verweisung nahelegt.40 bb) Hinweise auf dynamische Verweisungen Wie bei statischen Verweisungen kann auch bei dynamischen Verweisungen ein eindeutiger Hinweis auf die gewollte Art der Verweisung vorliegen. Bei dynamischen Verweisungen sind dies vor allem die Zusätze „in der jeweils geltenden“ oder in der „jeweiligen“ Fassung.41 Ist in einem Gesetz ein solcher Hinweis angefügt, ergibt sich zweifelsfrei, dass es sich um eine dynamische Verweisung handelt.42
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Wie „in der jeweils geltenden Fassung“ oder Vergleichbares. So auch Marburger, Regeln der Technik, S. 384; Krey, EWR 1981, 109 (153) (der allerdings eine Datums- und Fundstellenangabe verlangt); Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 43; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 32. In diesem Sinne auch Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 481, der die „genaue Angabe des (Änderungs-)Gesetzes und der Fundstelle“ für Außenverweisungen fordert, allerdings offenbar auch bei Binnenverweisungen in der Regel von einer statischen Verweisung ausgeht. 39 Vgl. OLG Köln, NJW 1988, 657 (658); Manssen, Bauvorschriften, S. 246. Wohl auch VG Hannover, NdsVBl. 2002, 51 (52). 40 So auch Debus, Verweisungen, S. 64. 41 Debus, Verweisungen, S. 65. Für „in der jeweils geltenden Fassung“ auch OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2023 – I-4 U 144/22, 4 U 144/22, juris-Rn. 71; Tünnesen-Harmes/Sroka, NVwZ 2023, 389 (389). Vergleichbare Zusätze, die ebenfalls ausdrücken, dass nicht eine bestimmte Fassung, sondern alle zukünftigen Fassungen gemeint sind, drücken ebenfalls eine dynamische Verweisung aus. Insoweit erfasst Debus z.B. die Formulierungen „maßgebend sind … in ihrer jeweils jüngsten im … veröffentlichten Fassung“ und „in der geltenden Fassung“. 42 OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2023 – I-4 U 144/22, 4 U 144/22, juris-Rn. 71; Clemens, AöR 1986, 63 (80); Marburger, Regeln der Technik, S. 384; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 32. 38
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
b) Ohne Hinweise im Normtext Wenn in der Verweisungsnorm selbst jedoch kein Hinweis darauf enthalten ist, welche Art von Verweisung diese anordnet, wird häufig angenommen, dass sich die Art der Verweisung nicht aus dem Wortlaut ergibt und es insoweit auf eine Auslegung ankomme und historisch, systematisch und teleologisch zu ermitteln sei, ob der Gesetzgeber eine statische oder eine dynamische Verweisung beabsichtigt hat.43 Hierbei sei insbesondere darauf abzustellen, ob die Verweisung der Rechtsangleichung dienen soll und ob das Verweisungsobjekt von vorneherein auf häufige Änderungen angelegt ist.44 Reinermann führt insoweit aus, dass der Wortlaut der Norm bei der Auslegung nur in seltenen Fällen weiterhelfe, da es ja gerade an einem Hinweis auf die „jeweilige“ oder „derzeitige“ Fassung fehle.45 Dieser Ansatz vermag jedoch für die Frage, ob eine statische oder dynamische Verweisung vorliegt, nicht zu überzeugen, da bereits die fehlende Begrenzung auf eine bestimmte Fassung bedeutet, dass gerade nicht lediglich eine bestimmte Fassung durch den Gesetzgeber in Bezug genommen wurde, sondern die entsprechenden Verweisungsobjekte in der jeweils zum Zeitpunkt der Anwendung dieser Verweisungsnorm geltenden Fassung. Insoweit ist unerheblich, ob der Gesetzgeber trotz des fehlenden Hinweises in der Verweisungsformel eher eine statische oder eher eine dynamische Verweisung bezweckte; maßgeblich für die Statik oder Dynamik ist, was der Gesetzgeber mit der sprachlichen Fassung der Norm angeordnet hat. Entscheidend ist nicht allein der Wille des Normgebers, sondern die tatsächlichen rechtlichen Wirkungen der gesetzlichen Anordnung.46 Da bei einer fehlenden Klarstellung durch die Verweisungsformel keine Beschränkung auf eine bestimmte Fassung des Verweisungsobjekts vorliegt, ist da43 Vgl. BVerfGE 60, 135 (155 ff.); BGHZ 15, 221 (222 ff.) (anhand des konkreten Falls); BVerwGE 27, 239 (243 f.) (mit Tendenz zu einer Vermutung im Zweifel für eine statische Verweisung); BVerwG, DVBl. 1964, 765 (765 f.); BayVGH, Urt. v. 1.7.1960 – Nr. 42 III 60, BayVbl. 1960, 321 (321 f.); VG Münster, Urt. v. 31.05.2022 – 6 K 2338/21, juris-Rn. 71 ff. (anhand des konkreten Falles); Clemens, AöR 1986, 63 (80 f.) m.w.N.; Debus, Verweisungen, S. 67 f.; Hotz, in: FS Hangartner, 195 (199); W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S. 95 f.; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 368 und Fn. 938; Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13 Rn. 85; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1034); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 15; Schröcker, NJW 1967, 2285 (2286). Wohl auch Hippeli, jurisPRHaGesR 3/2022, Anm. 3; Hippeli, jurisPR-HaGesR 8/2022, Anm. 2; Kessler/Behrendt, BB 2023, 1102 (1104); Krey, EWR 1981, 109 (152 f.). Ähnlich BVerfGE 76, 363 (385 f.), welches auch auf Sinn und Zweck der Verweisungsnorm zur Untermauerung des dynamischen Charakters einer Verweisung abstellt. Karpen, Verweisung, S. 136 f. m.w.N. geht sogar davon aus, dass wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken zur dynamischen Verweisung bei fehlender Identität der Gesetzgeber im Zweifel von einer statischen Verweisung auszugehen sei. 44 Vgl. erneut die vorstehend aufgeführten Nachweise. 45 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 15. 46 Diesen Gesichtspunkt ebenfalls (allerdings zu anderen Aspekten der Verweisungsproblematik) hervorhebend Debus, Verweisungen, S. 85 m.w.N.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (96). Siehe im Ansatz auch BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – II ZB 8/22, Rn. 14 f.
A. Terminologische Grundlagen – Verweisungsarten
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her grundsätzlich die jeweils aktuelle Fassung zum Zeitpunkt der Anwendung der Verweisungsnorm vom Normanwender zugrunde zu legen. Ginge man hingegen davon aus, dass ein fehlender Zusatz, der die Verweisungsart spezifiziert, kein Hinweis auf eine dynamische Verweisung ist, müsste der Normanwender erst erforschen, welche Art von Verweisung der Gesetzgeber statuieren wollte und ggf. rechtshistorische Erwägungen anstellen, welche Fassung des Verweisungsobjekts vom Gesetzgeber in Bezug genommen werden sollte.47 Das ist nicht nur unpraktisch,48 da es regelmäßig deutlich einfacher ist, die aktuell geltende Form eines Gesetzes zu ermitteln, als eine „historische“ Fassung,49 sondern angesichts des Wortlauts auch nicht geboten. Trotz einer fehlenden Begrenzung auf eine bestimmte Fassung eine statische Verweisung anzunehmen, erschiene im Übrigen bereits vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots bedenklich, da sich eine solche Annahme keineswegs aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt. Ferner erscheint es zur Verwirklichung der größtmöglichen Einheit der Rechtsordnung angezeigt, bei einem fehlenden Hinweis im Wortlaut grundsätzlich davon auszugehen, dass eine dynamische Verweisung angeordnet ist.50 Auf diese Weise bleibt die Verweisungsnorm an die jeweils aktuelle Regelung des Verweisungsobjekts angepasst.51 Sollte der Gesetzgeber diese Einheit ausnahmsweise durchbrechen wollen, bleibt es ihm unbenommen, hierauf im Wortlaut der Verweisungsnorm hinzuweisen.52 Folglich ist im Ergebnis bei fehlenden ausdrücklichen Hinweisen im Normtext auf eine statische oder dynamische Verweisung grundsätzlich von einer dynamischen Verweisung auszugehen.53
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So auch Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1198). Ähnlich (allerdings im Hinblick auf die Bestimmtheit des Gesetzes) Manssen, Bauvorschriften, S. 250. 48 Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1198). 49 So auch (allerdings im Hinblick auf die Bestimmtheit des Gesetzes) Manssen, Bauvorschriften, S. 250. 50 Ähnlich v. Maydell, ZfS 1973, 69 (70 f.). 51 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 33 (für technische Regeln). 52 Ähnlich BSGE 68, 47 (50). 53 So ausdrücklich OVG Sachsen, Beschl. v. 29.04.2020 – 3 B 138/20, Rn. 20 und Beschl. v. 30.04.2020 – 3 B 148/20, Rn. 19: Durch die Regelung „ist nicht eine bestimmte Fassung dieses Gesetzes – ,in der am … geltenden Fassung‘ – in Bezug genommen worden. Hieraus folgt, dass die Zuständigkeitsübertragung sich auf die jeweils geltende, mithin die aktuelle Fassung des Infektionsschutzgesetzes bezieht“. So im Ergebnis auch BVerwG, Urt. v. 22.09.1961 – IV C 149.61, Wolters-Kluwer-Rn. 22 zu § 230 Abs. 3 Nr. 3 LAG; BSGE 68, 47 (2. Ls. und 50); OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2023 – I-4 U 144/22, 4 U 144/22, juris-Rn. 71; Denninger, Normsetzung, Rn. 141 (für technische Regeln); Marburger, Regeln der Technik, S. 384; v. Maydell, ZfS 1973, 69 (70 f.); Milej, EuR 2009, 577 (578); H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 174 m.w.N.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403); D. Schneider, Seeschiffe, S. 88. Wohl im Ergebnis auch BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – II ZB 8/22, Rn. 10 ff.; Klingen/Krasenbrink, EWiR 2023, 103 (104). Vgl. auch BAG, Urt. v. 09.05.2023 – 3 AZR 226/22, Rn. 23, 30 zu einer Verweisung in einem Dienstvertrag und BGH, Urt. v. 17.03.2023 – V ZR 140/22, Rn. 17 zu einer schlichten Verweisung auf das Gesetz in einer Gemeinschaftsordnung. Ähn-
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
Dieses Verständnis gilt umso mehr für Binnenverweisungen.54 Diese enthalten regelmäßig keinen Hinweis auf die Fassung und stellen dennoch unzweifelhaft dynamische Verweisungen dar. Denn innerhalb desselben Gesetzestextes hat der Gesetzgeber ein unbestreitbares Interesse daran, dass die einzelnen Normen dieses Gesetzes aneinander angepasst sind.55 Dies zeigt auch das o.g. Beispiel des § 28 BGB. Auch wenn § 28 BGB keinen Zusatz enthält, dass die jeweils geltende Fassung der §§ 32 und 34 BGB maßgeblich sein sollen, handelt es sich um eine dynamische Verweisung. Nur auf diese Weise kann der Gleichlauf der gesetzlichen Regelungen zur Beschlussfassung von Mitgliedern und einem aus mehreren Personen bestehenden Vorstand gewährleistet werden. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Annahme einer dynamischen Verweisung bei fehlenden Hinweisen in der Verweisungsformel erscheint lediglich dann angezeigt, wenn gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme einer dynamischen Verweisung als abwegig erscheinen lassen. In Betracht käme dies etwa, wenn sich die Verweisung auf ein Objekt bezieht, das sich bereits aus sich heraus nicht (mehr) ändern kann. Denkbar wäre dies insbesondere für außer Kraft getretene Normen, wie etwa die Weimarer Reichsverfassung oder die Verfassung der DDR, welche sich wegen des fehlenden Fortbestandes der diese Normen erlassenden Institutionen nicht mehr ändern können. Insoweit verschwimmt jedoch ohnehin bereits die Grenze zwischen statischer und dynamischer Verweisung, da auch die Annahme einer dynamischen Verweisung auf ein nicht änderbares Objekt bei genauer Betrachtung im Ergebnis eine statische Verweisung bewirkt.
lich offenbar Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 482, der als charakteristisches Merkmal einer dynamischen Verweisung angibt, dass diese keine Fundestellenangabe enthält. In diesem Sinne auch Herschel, BB 1963, 1220 (1223) und Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 33 (für technische Regeln), die von einer Vermutung für eine dynamische Verweisung ausgehen. Wohl auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 173 Rn. 1, der für § 173 S. 1 VwGO ohne nähere Begründung von einer dynamischen Verweisung ausgeht. Differenzierend Reimer, Methodenlehre, S. 447, der bei Verweisungen auf Normen desselben Gesetzgebers im Zweifel von einer dynamischen Verweisung ausgeht, bei Verweisungen auf Vorschriften anderer Normgeber von einer statischen Verweisung. Häufig wird als Nachweis für die oben ausgeführte Ansicht das OVG Münster, NWVBl. 1996, 307 (308) zitiert, z.B. bei Milej, EuR 2009, 577 (578). Dies beruht allerdings auf einer Fehlinterpretation des Urteils, da dieses zwar ausführt, dass diese Ansicht vertreten wird, jedoch letztendlich selbst eine Auslegung durchführt (S. 307 f.) und anders als bei der sonstigen Wiedergabe eigener Ansicht nicht die Formulierung verwendet, dass der Senat diese Auffassung ebenfalls vertritt (vgl. S. 308). 54 Klindt, DVBl. 1998, 373 (374) m.w.N. 55 Debus, Verweisungen, S. 68; Reimer, Methodenlehre, Rn. 447.
B. Rechtswirkung von Verweisungen
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B. Rechtswirkung von Verweisungen (Konstitutive) Verweisungen haben verschiedene Rechtswirkungen. Durch die Bezugnahme der Verweisungsnorm auf eine andere Vorschrift wird der Inhalt des Verweisungsobjekts – nicht aber das Verweisungsobjekt selbst – in die Verweisungsnorm inkorporiert und auf diese Weise Teil derselben.56 Dies lässt sich anschaulich damit beschreiben, dass die Verweisungsnorm den Inhalt des Verweisungsobjekts „fotografiert“ und gedanklich in das verweisende Gesetz einfügt.57
I. Rang des inkorporierten Inhalts Durch die Inkorporation in die Verweisungsnorm erhält der Inhalt des Verweisungsobjekts im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm denselben Rang wie diese.58 Das Verweisungsobjekt selbst bleibt jedoch sowohl in seinem Rang, als
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Vgl. BVerfGE 47, 285 (309 f.); ThürVerfGH, Urt. v. 21.05.2014 – 13/11, juris-Rn. 174 f.; Arndt, JuS 1979, 784 (784 f.); Backherms, ZRP 1978, 261 (261); Brugger, VerwArch 1987, 1 (4); Clemens, AöR 1986, 63 (65 f.); Debus, Verweisungen, S. 83 ff. m.w.N.; Gellermann/Szczekalla, NuR 1993, 54 (57); Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Haratsch, EuR 2000, 42 (44); Karpen, Verweisung, S. 31 f.; Krey, EWR 1981, 109 (130 f.); Nicklisch, NJW 1983, 841 (843); Papier, in: FS Lukes, 159 (164); Schenke, NJW 1980, 743 (743); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (254, 256); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1198); TünnesenHarmes/Sroka, NVwZ 2023, 389 (390); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 33 f. Vgl. auch Cornelius, NZWiSt 2014, 173 (174). A.A. wohl Mann, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 24, welcher offenbar davon ausgeht, dass das Verweisungsobjekt selbst Teil der Verweisungsnorm wird; Schröcker, NJW 1967, 2285 (2288 f.), welcher bei einer Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht davon ausgeht, dass das Verweisungsobjekt auch im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm Landesrecht im materiellen Sinne, nicht aber im formellen Sinne werde, sodass er offenbar annimmt, dass das Verweisungsobjekt nicht zum vollständigen Inhalt der Verweisungsnorm wird; Staats, ZRP 1978, 59 (60 f., Fn. 15), der unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Ansicht davon ausgeht, dass der Inhalt des Verweisungsobjekts nicht Teil der Verweisungsnorm wird. Unklar Dürrschmidt, Verweisungen, S. 9. 57 Brugger, VerwArch 1987, 1 (4); Clemens, AöR 1986, 63 (66); Debus, Verweisungen, S. 84 m.w.N.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (63); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (254). 58 Vgl. BVerfGE 47, 285 (309 f.); Arndt, JuS 1979, 784 (785); Brugger, VerwArch 1987, 1 (4); Clemens, AöR 1986, 63 (65); Debus, Verweisungen, S. 90 f. m.w.N.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Haratsch, EuR 2000, 42 (45); Papier, in: FS Lukes, 159 (164); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1198); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 34; Wolff, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 15 Rn. 203. So auch Karpen, Verweisung, S. 32, der zwar unglücklich formuliert, dass „das Verweisungsobjekt“ mit dem Rechtscharakter der Verweisungsnorm ausgestattet wird. Aus dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen aus S. 31 f. ergibt sich jedoch, dass er insoweit auch den Inhalt des Verweisungsobjekts meint. Wie Karpen auch ThürVerfGH, Urt. v. 21.05.2014 – 13/11, juris-Rn. 174. Vgl. auch Cornelius, NZWiSt 2014, 173 (174). A. A. Schröcker, NJW 1967, 2285 (2288 f.). Unklar, ob angenommen wird, dass das Verweisungsobjekt den Rang der Verweisungsnorm nur im Anwendungsbereich derselben oder generell teilt: Mann, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 24.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
auch in seinem Inhalt durch die Verweisung unberührt, sodass die Verweisung auf das Verweisungsobjekt selbst (außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm) rechtlich keine Auswirkungen hat.59 Nähme man hingegen an, dass durch die Verweisung das Verweisungsobjekt selbst und auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm nunmehr den Rang derselben teilt,60 führte dies zu dem absurden Ergebnis, dass beispielsweise ein Landesgesetzgeber oder – noch anschaulicher – eine kommunale Satzung eine Bundesnorm auf deren jeweilige Normenhierarchieebene „herabziehen“ könnte. Dass dies keine rechtliche Wirkung einer Verweisung sein kann, bedarf wohl keiner weiteren Begründung.61 Dass die vorgenannten Wirkungen von Verweisungen zwingend sind – insbesondere hinsichtlich des fehlenden Einflusses auf das Verweisungsobjekt selbst – wird umso mehr deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Verweisungsnorm (zumindest im Fall einer statischen Verweisung) auch schlicht den Text des Verweisungsobjekts wiederholen könnte,62 anstatt den Inhalt des Verweisungsobjekts durch die Verweisung zu inkorporieren.63 Denn in diesem Fall 59 Vgl. Backherms, ZRP 1978, 261 (261); Brugger, VerwArch 1987, 1 (4, insb. Fn. 12); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 283; Debus, Verweisungen, S. 82 m.w.N.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 70; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64); Karpen, Verweisung, S. 31 f.; Quaas/Zuck, NJW 1988, 1873 (1875); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 22; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 33 m.w.N. A.A. wohl OGH BrZ, NJW 1950, 261: „Die VDE-Vorschriften sind seit dem Inkrafttreten des § 1 der 2. DVO zum EnergiewirtschaftsG […] SchutzG im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB“. Das Gericht ging demnach offenbar davon aus, dass durch die Verweisung des § 1 Abs. 1, Abs. 2 der 2. DVO zum Energiewirtschaftsgesetz, die VDE-Vorschriften selbst (auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm) den Charakter einer Rechtsverordnung haben und nicht lediglich § 1 der 2. DVO zum Energiewirtschaftsgesetz, der durch die VDE-Vorschriften ausgefüllt wird. So auch OLG Hamm, JMBl. NRW 1962, 246 (247), welches in seinem Urteil offenbar davon ausgeht, dass Unfallverhütungsvorschriften von Berufsgenossenschaften infolge einer Bezugnahme auf diese in einer Rechtsverordnung den Charakter einer objektiv geltenden Rechtsverordnung haben und nicht lediglich als Inhalt der Verweisungsnorm gelten. Demzufolge sah das Gericht offenbar auch die Unfallverhütungsvorschiften selbst (auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm) und nicht lediglich die Verweisungsnorm, die durch diese Vorschriften ausgefüllt wird, als Normen mit Rechtsverordnungscharakter an. Unklar, ob angenommen wird, dass das Verweisungsobjekt den Rang der Verweisungsnorm nur im Anwendungsbereich derselben oder generell teilt: Mann, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 24. 60 In diesem Sinne aber OGH BrZ, NJW 1950, 261 und OLG Hamm, JMBl. NRW 1962, 246 (247). 61 Zu einer ähnlichen Überlegung Karpen, Verweisung, S. 31 m.w.N.: „[D]as würde die ganze Normenhierarchie umstoßen“. 62 Mit gleichem Ergebnis zur Austauschbarkeit der Wiederholung und Verweisung Brugger, VerwArch 1987, 1 (4); Debus, Verweisungen, S. 83 f. m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 30: Die Verweisung ist „ein der Wiederholung gleichwertiges und gegen sie jederzeit austauschbares gesetzgebungstechnisches Hilfsmittel“; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 22; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (96). 63 Im Fall einer dynamischen Verweisung müsste die „Verweisungsnorm“ hingegen stets
B. Rechtswirkung von Verweisungen
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bestünde keinerlei Zweifel daran, dass der entsprechende Inhalt den Rang der Verweisungsnorm teilt und auf den gleichlautenden Text einer anderen Vorschrift keinerlei Auswirkungen hat.
II. Auswirkungen auf Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den inkorporierten Inhalt In prozessualer Hinsicht kann dementsprechend im Rahmen des Rechtsschutzes gegen die Verweisungsnorm der Inhalt des Verweisungsobjekts als untrennbarer Teil derselben angegriffen werden.64 Der Rechtsschutz gegen die in Bezug genommenen Vorschriften selbst außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm bleibt hierdurch jedoch unberührt.65 Die Rechtsschutzmöglichkeiten richten sich also danach, ob gegen die Verweisungsnorm (inklusive des inkorporierten Inhalts) oder das Verweisungsobjekt (außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm) vorgegangen werden soll und stehen voneinander unbeeinträchtigt nebeneinander.
III. Anpassungsautomatik dynamischer Verweisungen Dynamische Verweisungen bewirken durch die (ausdrückliche oder implizite) Bezugnahme auf die jeweils geltende Fassung des Verweisungsobjekts, dass stets der aktuelle Inhalt desselben in die Verweisungsnorm inkorporiert wird. Derartige Verweisungen rezipieren also automatisch erfolgte Änderungen des Verweisungsobjekts, sodass sich durch eine Änderung des Verweisungsobjekts stets auch der Inhalt der Verweisungsnorm ändert.66 Dynamische Verweisungen bewirken also eine „Anpassungsautomatik“67 der Verweisungsnorm an das Ver-
geändert werden, um mittels einer bloßen Wiederholung des externen Normtextes den gleichen Effekt wie eine dynamische Verweisung zu erreichen, sodass für dynamische Verweisungen die Austauschbarkeit von Verweisung und Wiederholung nicht uneingeschränkt besteht. Nichtsdestotrotz trifft es auch für dynamische Verweisungen zu, dass die Verweisung keine Auswirkungen auf das Verweisungsobjekt selbst hat, sondern lediglich dessen Inhalt rezipiert, wenngleich sich daraus für dynamische Verweisungen einige Folgewirkungen ergeben. Zu diesen besonderen Wirkungen dynamischer Verweisungen siehe sogleich unter Kap. 1 § 2 B. III., Kap. 1 § 2 D. und Kap. 1 § 2 E. I. 64 Brugger, VerwArch 1987, 1 (5); Clemens, AöR 1986, 63 (65 f.); Debus, Verweisungen, S. 91; Guckelberger, ZG 2004, 62 (64). 65 Brugger, VerwArch 1987, 1 (5). 66 Vgl. Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (724); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 60; Guckelberger, ZG 2004, 62 (65); Klindt, DVBl. 1998, 373 (374); Krey, EWR 1981, 109 (130); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 13; Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schröcker, NJW 1967, 2285 (2286); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 28 f. 67 Schenke, NJW 1980, 743 (743). Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403) spricht insoweit von einer „Verweisungsautomatik“.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
weisungsobjekt. In Fortführung des obigen Bildes kann die Rechtswirkung der dynamischen Verweisung demnach dadurch umschrieben werden, dass die Verweisungsnorm das Verweisungsobjekt „filmt“.68
C. Besondere Formen (dynamischer) Verweisung Der Gesetzgeber bedient sich teilweise besonderer Formen der (dynamischen) Verweisung, welche nachfolgend dargestellt werden sollen. Vorausgeschickt sei hierbei, dass all diesen gemein ist, dass sie zwar in anderer Form als „normale“ dynamische Verweisungen69 ausdrücklich oder stillschweigend auf andere Vorschriften Bezug nehmen, jedoch ebenfalls durch eine Bezugnahme den Inhalt externer Vorschriften in die entsprechende Verweisungsnorm inkorporieren und auf diese Weise gleichsam die Rechtsfolgen dynamischer Verweisungen hervorrufen.
I. Verweisungsanalogie Als Verweisungsanalogie70 wird eine Verweisung bezeichnet, die in der Verweisungsformel den Zusatz „entsprechend“ oder „sinngemäß“ enthält.71 Die Verweisung erfolgt also nicht „ungefiltert“, sondern unter Anordnung der entsprechenden Anpassung mit Blick auf die Unterschiede von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt.72 Ein prominentes Beispiel für eine Verweisungsanalogie ist § 480 BGB, welcher lautet: „Auf den Tausch finden die Vorschriften über den Kauf entsprechende Anwendung.“ Dort wird umfassend auf den Kauf verwiesen – durch den Zusatz „entsprechend“ allerdings vorbehaltlich der Anpassung an die Unterschiede von Kauf und Tausch.
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Debus, Verweisungen, S. 85 m.w.N. Siehe zu diesen bereits oben unter Kap. 1 § 2 A. V. 2. 70 Der Begriff geht zurück auf Canaris, Lücken im Gesetz, S. 24. 71 Brugger, VerwArch 1987, 1 (3 Fn. 6); Clemens, AöR 1986, 63 (78 f.); Debus, Verweisungen, S. 55 m.w.N.; Fleischer, NZG 2011, 521 (524); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 56 f.; Heinz, SGb 2007, 145 (151); Karpen, Verweisung, S. 78; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 37. Ähnlich Maties, JR 2007, 265 (266 f.) Für „entsprechend“ BSG, Urt. v. 19.06.2018 – B 2 U 1/17 R, Rn. 15; Canaris, Lücken im Gesetz, S. 24; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 15 f.; Fleischer, in: MüKo GmbHG, Einleitung Rn. 147; Mössner, in: BeckOGK BGB, § 90a Rn. 13; Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 3; J. Sauer, RsDE Heft 28 (1995), 31 (33). Für „sinngemäß“ Erdbrügger, DStR 2001, 99 (103). 72 BFHE 158, 185 (187); BSG, Urt. v. 19.06.2018 – B 2 U 1/17 R, Rn. 15; Brugger, VerwArch 1987, 1 (3 Fn. 6); Clemens, AöR 1986, 63 (79); Debus, Verweisungen, S. 55 f. m.w.N.; Heinz, SGb 2007, 145 (150 f.); Karpen, Verweisung, S. 78 f.; Maties, JR 2007, 265 (266 ff.); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 37; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 18; J. Sauer, RsDE Heft 28 (1995), 31 (33 f.). Ähnlich Fleischer, NZG 2011, 521 (524 Fn. 48); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 56 f. 69
C. Besondere Formen (dynamischer) Verweisung
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II. Globalverweisungen Als „Global-“, „General-“ oder „Pauschalverweisung“ werden solche Verweisungen bezeichnet, die umfassend auf einen ganzen Normenkomplex verweisen.73 Als Beispiel kann hier auf § 173 Abs. 1 S. 1 VwGO zurückgegriffen werden, welcher auf das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung in ihrer Gesamtheit74 verweist und die entsprechende Anwendung auch für das Verwaltungsverfahren anordnet. Als Gegensatz zur Generalverweisung wird eine Verweisung für konkret bestimmte Rechtsfragen bzw. auf bestimmte Vorschriften als „Spezial-“ oder „Einzelverweisung“ bezeichnet.75 Als Beispiel für eine derartige Verweisung kann insoweit erneut § 40 Abs. 6 S. 3 BBiG genannt werden.
III. Weiter- und Kettenverweisungen Verweist eine Norm auf eine Rechtsvorschrift, die ihrerseits auf eine andere Vorschrift verweist, nennt man dies „Weiterverweisung“.76 Wird mehrfach weiterverwiesen, bezeichnet man dieses gesetzliche Phänomen als „Kettenverweisung“.77 Bei diesen wird dem Gesetzesanwender also durch weitere Verweisungen eine regelrechte Suche nach der (vollständigen) inhaltlichen Regelung am Ende der Verweisungskette aufgegeben. 73
Debus, Verweisungen, S. 50. Für Generalverweisung Karpen, Verweisung, S. 41; Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 3; J. Wagner, NZG 2002, 985 (986). Für Globalverweisung H. Ehlers, BB 1971, 429 (429); Fischinger, in: Münchener Handbuch ArbR, § 8 Rn. 14 (zu Tarifverträgen); Hamacher/van Laak, in: MAH ArbR, § 68 Rn. 80 (zu Tarifverträgen); Preis, in: Erfurter Kommentar ArbR, § 310 BGB Rn. 13 (zu Tarifverträgen); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 9. Für Pauschalverweisung Backherms, JuS 1980, 9 (11); Budde, Jura 1984, 578 (578); Marburger, Regeln der Technik, S. 384 („pauschale“ Verweisung); Maulbetsch, in: Maulbetsch/Klumpp/Rose, Umwandlungsgesetz, § 36 Rn. 5; Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 43 („pauschale“ Verweisung). 74 Mit Ausnahme des Buches 6 der Zivilprozessordnung, vgl. § 173 Abs. 1 S. 1 2. Hs. VwGO. 75 Vgl. z.B. für Spezialverweisung Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 19 f.; J. Wagner, NZG 2002, 985 (986). Für Einzelverweisung z.B. Fischinger, in: Münchener Handbuch ArbR, § 8 Rn. 14 (zu Tarifverträgen); Hamacher/van Laak, in: MAH ArbR, § 68 Rn. 80 (zu Tarifverträgen); Maulbetsch, in: Maulbetsch/Klumpp/Rose, Umwandlungsgesetz, § 36 Rn. 5; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 9. 76 Debus, Verweisungen, S. 50 f.; Hassold, JR 1989, 358 (359); Karpen, Verweisung, S. 40; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (227); H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 175; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 6; H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 384; Strasser, in: FS Floretta, 627 (627). 77 Debus, Verweisungen, S. 51; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (227) (Bezeichnung als „Verweisungsketten“); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 181. Vgl. auch Ahrens, NZI 2019, 885 (887); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 13 f. (Bezeichnung als „Verweisungsketten“); Karpen, Verweisung, S. 40 (Bezeichnung als Verweisungsketten); S. Klumpp, in: Clemenz/Kreft/Krause, AGB-Arbeitsrecht, § 307 BGB Rn. 85; H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 384 (Bezeichnung als „Verweisungsketten“).
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
Ein Beispiel für eine Weiterverweisung enthalten die §§ 684 S. 2, 683 S. 1 BGB. § 684 S. 2 BGB lautet: „Genehmigt der Geschäftsherr die Geschäftsführung, so steht dem Geschäftsführer der in § 683 BGB bestimmte Anspruch zu.“ § 683 S. 1 BGB bestimmt sodann: „Entspricht die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn, so kann der Geschäftsführer wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen verlangen.“
und verweist hierdurch seinerseits auf § 670 BGB, der den Aufwendungsersatz eines Beauftragten regelt. Beispielhaft für eine Kettenverweisung können die Vorschriften der §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 2, 994 Abs. 2, 683 S. 1, 670 BGB zum Ersatz notwendiger Verwendungen angeführt werden.78 § 819 Abs. 1 BGB lautet: „Kennt der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang oder erfährt er ihn später, so ist er von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre.“
§ 818 Abs. 4 BGB bestimmt wiederum: „Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.“ § 292 Abs. 2 BGB legt (im Zusammenspiel mit Abs. 1) fest, dass sich der Ersatz von Verwendungen bei der Herausgabepflicht einer bestimmten Sache ab der Rechtshängigkeit nach den Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses richtet. § 994 Abs. 2 BGB legt fest: „Macht der Besitzer nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit oder nach dem Beginn der in § 990 bestimmten Haftung notwendige Verwendungen, so bestimmt sich die Ersatzpflicht des Eigentümers nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag.“
Auf diese Weise erfolgt ein Verweis auf § 683 S. 1 BGB, der seinerseits weiter auf § 670 BGB verweist (s.o.). Dieses Beispiel zeigt anschaulich die Problematik der Kettenverweisung, bei welcher die inhaltliche Regelung nur nach einer aufwendigen Verfolgung der Verweisungskette durch verschiedene Bereiche der entsprechenden Gesetze (hier des BGB) auffindbar ist.
IV. Fiktion und gesetzliche Vermutung Die Fiktion ist ebenfalls eine besondere Form der Verweisung.79 Bei dieser Verweisungsform werden zwei Tatbestände gleichgesetzt, also fingiert, dass ein Tat78
Dieses Beispiel auch bei H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 384 Fn. 36. Bangemann, Bilder und Fiktionen, S. 68 f.; Bullinger, Selbstermächtigung, S. 23; Debus, Verweisungen, S. 53 m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 25; Larenz, Methodenlehre, S. 262; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (89) („getarnte gesetzliche Verweisungen“); Schwacke/Uhlig, Methoden des Verwaltungshandelns, S. 82 („abgekürzte Verweisung“); Mann, Juristische Arbeitstechnik, Rn. 285; Wank, Methodenlehre, § 5 Rn. 287. Ähnlich Hill, Gesetzgebungs79
C. Besondere Formen (dynamischer) Verweisung
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bestand ein Fall eines anderen Tatbestands ist, um dessen Rechtsfolgen eintreten zu lassen.80 Dabei wird eine inhaltliche Annahme als zutreffend unterstellt, die mindestens mit einem Merkmal des betreffenden Tatbestandes nicht zu vereinbaren ist.81 Ein anschauliches Beispiel für eine Fiktion ist § 1923 Abs. 2 BGB82, welcher lautet: „Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren.“ Durch die Anordnung, dass der Nasciturus als geboren gilt, tritt die Erbfähigkeit desselben nach § 1923 Abs. 1 BGB ein, welcher grundsätzlich nur die Erbfähigkeit zum Zeitpunkt des Erbfalls lebender Personen vorsieht. Es erfolgt also ein stillschweigender dynamischer Verweis auf die Rechtsfolgen für bereits lebende Personen im Hinblick auf die Erbfähigkeit. Diese Art der Formulierung ist üblich für Fiktionen; häufig werden Wendungen wie „gilt als“ oder „gelten als“ genutzt, um diese anzuordnen.83 Abzugrenzen ist die Fiktion von der gesetzlichen Vermutung. Eine solche ist gegeben, wenn eine Norm die Subsumtion unter einen Tatbestand dadurch bestimmt, dass sie beschreibt, unter welchen Voraussetzungen der Tatbestand als erfüllt anzusehen ist bzw. die Erfüllung des Tatbestandes vermutet wird.84 Zu unterscheiden ist insoweit wiederum zwischen der widerleglichen und der unwi-
lehre, S. 117 („abgekürzte oder ähnliche Technik wie die Verweisung“); Meurer, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 281 (287); Somlo´, Juristische Grundlehre, S. 526 („die juristische Fiktion unterscheidet sich also nur dem Ausdrucke, nur der Form, nicht aber dem Wesen nach von […] einer Verweisung“). A. A. Ent, in: Öhlinger (Hrsg.), Methodik der Gesetzgebung, 50 (S. 70 f.); Kindermann, Ministerielle Richtlinien, S. 79; Kindermann, in: GS Rödig, 99 (103). 80 Budde, Jura 1984, 578 (579 f.); Bülow, AcP 1879, 1 (4 f.); Debus, Verweisungen, S. 54 m.w.N.; Gottwald, Jura 1980, 225 (236); Jachmann, Fiktion, S. 113; Karpen, Verweisung, S. 25; Kaufmann, Analogie, S. 25; Larenz, Methodenlehre, S. 262; Pfeifer, Fiktionen, S. 43 m.w.N.; Prütting, in: MüKo ZPO, § 292 Rn. 8; Real, RabelsZ 1985, 52 (82 f.); Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 132a; Schwacke, Juristische Methodik, S. 39. Ähnlich Bangemann, Bilder und Fiktionen, S. 68. Vgl. auch Zippelius/Würtenberger, Juristische Methodenlehre, S. 29. 81 Debus, Verweisungen, S. 54; Jachmann, Fiktion, S. 113 f.; Kalbfleisch, JuS 2020, 722 (724); Kindermann, Ministerielle Richtlinien, S. 79; Larenz, Methodenlehre, S. 262; T. M. J. Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 54; Munzer, Gesetzesfiktionen, S. 6; Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13 Rn. 87; Prütting, in: MüKo ZPO, § 292 Rn. 8; Real, ZVglRWiss 1990, 407 (419); Real, RabelsZ 1985, 52 (82); Schwacke, Juristische Methodik, S. 39; Schwacke/Uhlig, Methoden des Verwaltungshandelns, S. 82; Mann, Juristische Arbeitstechnik, Rn. 285. Ähnlich H. A. Fischer, AcP 1919, 143 (153); Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort „Fiktion“. Vgl. auch Zippelius/Würtenberger, Juristische Methodenlehre, S. 29 f. 82 Dieses Beispiel auch bei Bangemann, Bilder und Fiktionen, S. 69. 83 Vgl. Bangemann, Bilder und Fiktionen, S. 68; T. M. J. Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 54; Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 132a; Schwacke/Uhlig, Methoden des Verwaltungshandelns, S. 82. 84 Debus, Verweisungen, S. 54; Jachmann, Fiktion, S. 142 f. Vgl. auch Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13 Rn. 87. Ähnlich Dawin, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 108 Rn. 108 (25. Lfg. April 2013) zu widerleglichen gesetzlichen Vermutungen.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
derleglichen gesetzlichen Vermutung.85 Der Unterschied besteht – wenig überraschend – darin, dass nur bei Ersterer der Gegenbeweis geführt werden kann; dieser Grundsatz findet auch in § 292 S. 1 ZPO Ausdruck.86 Eine unwiderlegliche Vermutung ist in § 1566 Abs. 2 BGB statuiert, welcher lautet: „Es wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.“ Eine widerlegliche Vermutung findet sich in § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB: „Zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei.“ Durch eine gesetzliche Vermutung wird also der entsprechende Tatbestand als erfüllt angesehen und auf diese Weise die Rechtsfolge desselben ausgelöst. Ähnlich zum Fall der Fiktion findet also eine Verweisung auf die Rechtsfolgen des entsprechenden Tatbestandes für den in der Vermutung beschriebenen Fall statt. Dies zeigt sich besonders am Beispiel des § 1566 Abs. 2 BGB. Die Vermutung für das Scheitern der Ehe löst die Rechtsfolge des § 1565 Abs. 1 S. 1 BGB, nämlich die Scheidbarkeit der Ehe, aus. Stattdessen hätte der Gesetzgeber mit gleicher rechtlicher Konsequenz auch normieren können: „Die Ehe kann geschieden werden, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.“ Durch die Vermutung für das Tatbestandsmerkmal des Scheiterns wird also stillschweigend auf diese Rechtsfolge des § 1565 Abs. 1 S. 1 BGB verwiesen. Auch wenn das Rechtsinstitut der unwiderleglichen gesetzlichen Vermutung auf den ersten Blick der Fiktion sehr ähnlich erscheint,87 unterscheiden sich diese beiden Formen der Bezugnahme dadurch, dass die unwiderlegliche Vermutung möglicherweise stimmt,88 während es ein Wesensmerkmal der Fiktion ist, dass die inhaltliche Annahme, die für einen Tatbestand als passend fingiert wird, nicht mit diesem Tatbestand übereinstimmt.
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Zur noch weitergehenden Untergliederung zwischen Tatsachen- und Rechtsvermutungen vgl. Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 292 Rn. 2 f.; Kalbfleisch, JuS 2020, 722 (723 f.). 86 Vgl. Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort „Vermutung“; Kalbfleisch, JuS 2020, 722 (723); Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13 Rn. 87; Prütting, in: MüKo ZPO, § 292 Rn. 4 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 796 f. 87 Debus, Verweisungen, S. 54; noch weitergehend Jachmann, Fiktion, S. 151, welche die unwiderlegliche Vermutung und die Fiktion als austauschbar ansieht. Vgl. auch Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 133; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 796; Schwacke, Juristische Methodik, S. 40; Zippelius/Würtenberger, Juristische Methodenlehre, S. 29 f., der in diesem Sinne „Fiktionen im engeren Sinn“ von unwiderleglichen Vermutungen abgrenzt. 88 Debus, Verweisungen, S. 54; Gottwald, Jura 1980, 225 (236) m.w.N.; T. M. J. Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 54; Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13 Rn. 87; Prütting, in: MüKo ZPO, § 292 Rn. 4; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 796; Mann, Juristische Arbeitstechnik, Rn. 285; Zippelius/Würtenberger, Juristische Methodenlehre, S. 30.
C. Besondere Formen (dynamischer) Verweisung
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V. Normergänzende und normkonkretisierende Verweisungen Insbesondere89 im Bereich technischer Regeln wird zwischen sog. normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen unterschieden.90 1. Normergänzende Verweisungen Eine normergänzende Verweisung zeichnet sich dadurch aus, dass die Verweisungsnorm unvollständig ist und durch das Verweisungsobjekt (bzw. dessen Regelungsgehalt) ergänzt wird, welches durch die Inbezugnahme Teil der Verweisungsnorm wird.91 Die inhaltliche Anordnung für die Normadressaten wird nicht bereits durch die Verweisungsnorm selbst, sondern erst durch das (bzw. im Zusammenspiel mit dem) Verweisungsobjekt getroffen.92 Freilich lässt die unter dem Begriff der normergänzenden Verweisung verstandene Verweisungsform erhebliche Parallelen zu dem Phänomen der konstitutiven Verweisung erkennen. 2. Normkonkretisierende Verweisungen Im Falle einer normkonkretisierenden Verweisung ist die Verweisungsnorm bereits vollständig und legt die inhaltliche Regelung selbst fest.93 Dies geschieht jedoch durch eine generalklauselartige bzw. mit unbestimmten Rechtsbegriffen erfolgende inhaltliche Ausgestaltung (z.B. der verpflichtenden Einhaltung des „Standes der Technik“) unter Verzicht auf Detailregelungen.94 Diese allgemein 89
Teilweise auch bei Verweisungen auf Unionsrecht, vgl. Krey, EWR 1981, 109 (156 ff.). Diese Differenzierung geht (soweit ersichtlich) zurück auf Marburger, Regeln der Technik, S. 385 ff. Eine ähnliche Unterscheidung nimmt Heintzen, BB 1999, 1050 (1052 f.) unter den Begriffen der Auslegungs- und Geltungsverweisung vor. 91 Marburger, Regeln der Technik, S. 385; J. Thiele, DS 2020, 308 (309). Vgl. auch Schmitz/ Erdbrügger, EU-UStB 2008, 91 (94). Dem Verständnis der normergänzenden Verweisung von Marburger „aufgrund des höheren Verbreitungsgrads“ zustimmend Debus, Verweisungen, S. 81; ähnlich Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 31. Ein etwas abweichendes Verständnis der normergänzenden Verweisung hat Krey, EWR 1981, 109 (157), welcher darauf abstellt, dass sich die wesentlichen inhaltlichen Regelungen nicht schon aus der Verweisungsnorm, sondern erst aus dem Zusammenspiel mit dem Verweisungsobjekt ergeben 92 Marburger, Regeln der Technik, S. 385. 93 Denninger, Normsetzung, Rn. 145; Marburger, Regeln der Technik, S. 385; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1147 f.); J. Thiele, DS 2020, 308 (309). Zustimmend Debus, Verweisungen, S. 81; ähnlich Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 31. Ein etwas abweichendes Verständnis der normkonkretisierenden Verweisung hat Krey, EWR 1981, 109 (157), welcher darauf abstellt, dass sich die wesentlichen inhaltlichen Regelungen (die „Verhaltenspflichten für den Normadressaten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß“) bereits aus der Verweisungsnorm ergeben, in unwesentlichen Fragen („die nähere Spezifizierung des Tatbestands im Detail“) jedoch auch unvollständig sein können und erst durch die Regelung des Verweisungsobjekts vervollständigt werden. Ähnlich wie Krey auch D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 42. Zur Bedeutung und den Auswirkungen dieses unterschiedlichen Verständnisses Debus, Verweisungen, S. 81 f.; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 31. 94 Marburger, Regeln der Technik, S. 385; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1147 f.). Vgl. auch Denninger, Normsetzung, Rn. 145; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). 90
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
gehaltenen Standards werden dann durch die Bezugnahme auf externe (technische) Regeln konkretisiert, welche entsprechende Detailregelungen enthalten.95 Allerdings ist eine normkonkretisierende Verweisung nicht als abschließende Konkretisierung des gesetzlichen Standards (z.B. „Stand der Technik“) zu verstehen, sondern stellt vielmehr eine widerlegliche gesetzliche Vermutung dafür dar, dass diesem Standard (also dem Tatbestand der Verweisungsnorm hinsichtlich dieses Merkmals) bei Einhaltung der (technischen) Regel des Verweisungsobjekts genügt wird.96 Allein verbindlich für die Normadressaten bleibt also lediglich der in der Verweisungsnorm generalklauselartig formulierte Standard selbst.97 Die normkonkretisierende Verweisung bietet lediglich eine Möglichkeit, diesen zu erfüllen; die Normadressaten können jedoch auch auf andere Weise dem gesetzlichen Standard gerecht werden.98 Bei Nichteinhaltung der (technischen) Regel des Verweisungsobjekts wird hingegen nicht negativ vermutet, dass dem gesetzlichen Standard nicht entsprochen wurde, sondern greift lediglich nicht die positive Vermutung der Einhaltung der gesetzlichen Standards zugunsten des Normadressaten.99 Die normkonkretisierende Verweisung ist für den Normadressaten also im Unterschied zur normergänzenden Verweisung – welche eine Pflicht zur Einhaltung der Anforderungen des Verweisungsobjekts abschließend begründet – nicht belastend, sondern begünstigend.100 Allerdings kann im Einzelfall die Vermutung der Erfüllung des gesetzlichen Standards trotz Einhaltung der (technischen) Regel des Verweisungsobjekts durch die zuständige Behörde oder das zuständige Gericht widerlegt werden, wenn dem gesetzlichen Standard trotz Einhaltung der Anforderungen des Verweisungsobjekts nicht genügt wird.101 Trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit führt die normkonkretisierende Verweisung in tatsächlicher Hinsicht häufig zu einer Befolgung der (technischen) Regel des Verweisungsobjekts, da zugunsten der Normadressaten sodann die Vermutung der Einhaltung des gesetzlichen Standards streitet.102
95 Marburger, Regeln der Technik, S. 385; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1147 f.). Ähnlich J. Thiele, DS 2020, 308 (309). Vgl. auch Denninger, Normsetzung, Rn. 145. 96 Marburger, Regeln der Technik, S. 397 ff.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). Vgl. auch Denninger, Normsetzung, Rn. 145 (zu ersterem); Terbille/Feifel, in: MAH MedR, § 1 Rn. 576; J. Thiele, DS 2020, 308 (311 f.). Ähnlich ferner Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (911 f.) m.w.N.; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1148). 97 Marburger, Regeln der Technik, S. 397 ff. Vgl. auch J. Thiele, DS 2020, 308 (311 f.) m.w.N. 98 Marburger, Regeln der Technik, S. 397 ff. Vgl. auch J. Thiele, DS 2020, 308 (312). 99 Marburger, Regeln der Technik, S. 401. 100 Marburger, Regeln der Technik, S. 400. 101 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 400 f.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). Ähnlich Taupitz, NJW 2003, 1145 (1148). 102 Marburger, Regeln der Technik, S. 404 f. Ähnlich Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912) („Quasi-Gesetzesqualität“); Taupitz, NJW 2003, 1145 (1148).
C. Besondere Formen (dynamischer) Verweisung
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Die normkonkretisierende Verweisung kann als ein Spezialfall bzw. eine Unterkategorie widerleglicher gesetzlicher Vermutungen verstanden werden. Zu Recht weist Debus allerdings darauf hin, dass bei einer normkonkretisierenden Verweisung im obigen Sinne keine konstitutive Verweisung vorliegt, da die Verweisung nicht zur Vervollständigung einer an sich unvollständigen Norm erfolgt.103 Als Beispiel für eine normkonkretisierende Verweisung lässt sich § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG i.V.m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 TPG heranziehen.104 § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG regelt: „Die Entnahme von Organen oder Geweben ist […] nur zulässig, wenn der Tod des Organoder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist […].“
Daran anknüpfend bestimmt § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, dass die Bundesärztekammer den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 feststellt. § 16 Abs. 1 S. 2 TPG bestimmt schließlich: „Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.“
Auf diese Weise wird die an sich vollständige Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG durch § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 TPG und die in Bezug genommenen Richtlinien der Bundesärztekammer konkretisiert.105
VI. Legaldefinitionen Eine Legaldefinition legt die Bedeutung eines Terminus im Gesetzeskontext rechtsverbindlich fest.106 Soweit im Gesetz dieser Terminus gebraucht wird, bedeutet dies immer eine stillschweigende Verweisung auf die festgelegte Definition dieses Begriffs.107 Die Legaldefinition enthält also nicht selbst eine Verweisung auf andere Normen, sondern ermöglicht durch die Festlegung der Bedeutung eines Begriffs die implizite Verweisung auf die Legaldefinition in Form der Verwendung des entsprechenden Begriffs an einer anderen Stelle im jeweiligen Gesetz. Sie dient also vielmehr als besonderes Verweisungsobjekt, statt als Verweisungsnorm. Ein prominentes Beispiel für eine Legaldefinition enthält § 121 Abs. 1 S. 1 BGB: 103
Debus, Verweisungen, S. 81 m.w.N. Dieses Beispiel auch bei Taupitz, NJW 2003, 1145 (1148). 105 Taupitz, NJW 2003, 1145 (1148). 106 Debus, Verweisungen, S. 55; T. M. J. Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 49; Real, RabelsZ 1985, 52 (78); Schwacke, Juristische Methodik, S. 31. Vgl. auch Wank, Methodenlehre, § 5 Rn. 273, 277. Ähnlich Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 5 Rn. 41. 107 Debus, Verweisungen, S. 55; Real, RabelsZ 1985, 52 (78); Wank, Methodenlehre, § 5 Rn. 279. 104
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
„Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat.“
Der Terminus „unverzüglich“ wird dort rechtsverbindlich bestimmt, sodass die Verwendung des Begriffs an anderen Stellen im Gesetz (z.B. in §§ 111 S. 2, 149 S. 1 oder 174 S. 1 BGB) stets eine konkludente Verweisung auf die in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB festgelegte Definition bedeutet.
VII. Blankettstrafgesetze Blankettstrafgesetze108 sind eine Sonderform der Verweisung.109 Ein Blankettgesetz im Allgemeinen ist eine Rechtsvorschrift, die eine Rechtsfolge anordnet, die Bestimmung der dafür geltenden Voraussetzungen jedoch anderen Vorschriften überlässt.110 Ein Blankettstrafgesetz liegt demnach vor, wenn das Strafgesetz die Beschreibung des Straftatbestands ganz oder teilweise durch eine Verweisung auf andere Vorschriften ersetzt.111 Für den Verstoß gegen das ausfüllende Gesetz, auf das verwiesen wird, ordnet das Blankettstrafgesetz regelmäßig lediglich die Strafbarkeit an.112 Ein Beispiel113 für ein Blankettstrafgesetz ist § 28 VersG, welcher lautet: „Wer der Vorschrift des § 3 zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Erst der Verweis auf die außerhalb der Blankettnorm des § 28 VersG befindliche Regelung des § 3 VersG vervollständigt erstere also. 108
Der Begriff des Blankettstrafgesetzes geht zurück auf Binding, Normen und ihre Übertretung, S. 161 f., vgl. Debus, Verweisungen, S. 77 m.w.N.; O. Neumann, Blankostrafgesetz, S. 13; Warda, Blankettstrafgesetze, S. 5 Fn. 1. Zur Kritik an diesem Ausdruck O. Neumann, Blankostrafgesetz, S. 13 ff. 109 Debus, Verweisungen, S. 77; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 27; Rossi, ZIP 2016, 2437 (2437). 110 Weber/R. Werner, in: Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort „Blankettgesetz“. So auch Schwacke, Juristische Methodik, S. 38. 111 BVerfGE 153, 310 (343 Rn. 80); BVerfGE 143, 38 (56 Rn. 44); BVerfGE 14, 245 (252); RGSt 46, 393 (395); Bülte, JuS 2015, 769 (770); Hoven, NStZ 2016, 377 (379); Jäger, in: Klein, AO, § 369 Rn. 13; Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 93; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 26 m.w.N.; Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 16 Rn. 18; Rossi, ZIP 2016, 2437 (2437); Roxin/Greco, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 40; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 44, 49; Schwacke, Juristische Methodik, S. 38; Warda, Blankettstrafgesetze, S. 5. Ähnlich Weidenbach, Problematik der Blankettstrafgesetze, S. 5 ff. Im oben genannten Sinne auch Binding, Normen und ihre Übertretung, S. 161 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 111; O. Neumann, Blankostrafgesetz, S. 20. Zu weiteren Unterscheidungen vgl. Bülte, JuS 2015, 769 (770 ff.); Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 41 ff.; Weidenbach, Problematik der Blankettstrafgesetze, S. 7. 112 Glock, LMuR 2017, 157 (158); Kloepfer/Heger, Umweltstrafrecht, Rn. 93 (mit Bezug zum Umweltstrafrecht); Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 16 Rn. 18; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 49. 113 Dieses und weitere Beispiele bei Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 16 Rn. 18.
D. Vor- und Nachteile der (dynamischen) Verweisungstechnik
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VIII. Andere Verweisungsformen Soweit andere als die genannten Verweisungsformen114 nachfolgend im Rahmen der Untersuchung relevant werden sollten, werden diese an der jeweiligen Stelle erörtert.
D. Vor- und Nachteile der (dynamischen) Verweisungstechnik Die dargestellte Wirkungsweise der Verweisungstechnik bietet für den Normsetzer mitunter weitreichende Vorzüge, welche die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik für den Gesetzgeber angenehm erscheinen lassen. Gleichsam birgt die Verweisungstechnik jedoch nicht zu vernachlässigende Risiken und Nachteile. Sowohl die Vorteile als auch die Nachteile dieser Gesetzgebungstechnik sollen daher nachfolgend erläutert werden.
I. Vorteile/Funktionen (dynamischer) Verweisungen Verweisungen erfüllen mehrere Funktionen. Zuvörderst vermeiden sie Wiederholungen, indem auf andere Regelungen verwiesen – und so auf bereits bestehende Inhalte zurückgegriffen – wird, statt den Inhalt des Verweisungsobjekts textlich erneut in die verweisende Vorschrift einzubetten.115 Durch eine solche Bezugnahme (anstelle von textlicher Wiederholung) können Rechtsvorschriften kürzer als bei einer vollständigen Textwiedergabe gehalten werden.116 So werden auch die Gesetzesmaterialen davor bewahrt, durch eine erneute Veröffentlichung des vollständigen Wortlauts einen erheblich größeren Umfang zu erlangen.117 Zudem ist die vollständige Aufnahme in den Normtext teilweise – insbesondere bei der Regulierung von Detail- und Einzelfragen oder der Bezugnahme auf
114
Zu weiteren Verweisungsformen vgl. Debus, Verweisungen, S. 49 ff. Dürrschmidt, Verweisungen, S. 12 f.; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (724); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 9 f.; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 114; Larenz, Methodenlehre, S. 261; T. M. J. Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 104; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 32 m.w.N.; Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 132; Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (89); D. Schneider, Seeschiffe, S. 84; Schwacke, Juristische Methodik, S. 36. Vgl. auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (66); H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 167; Wank, Methodenlehre, § 5 Rn. 299. 116 Becker, Normsetzung, S. 538; Debus, Verweisungen, S. 99 m.w.N.; Fuss, in: FS Paulick, 293 (294); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 9; Guckelberger, ZG 2004, 62 (66); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 114; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (224); Krey, EWR 1981, 109 (131). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 11. 117 Clemens, AöR 1986, 63 (66); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (724); Guckelberger, ZG 2004, 62 (66); Jansen, DÖV 1979, 332 (332); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 32 m.w.N.; Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (89). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 17; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 362. 115
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
umfangreiche Materialien – nur schwer (oder un)möglich, was durch eine Verweisung umgangen werden kann.118 Die Verweisung auf andere Vorschriften führt auch zu einer Entlastung des Gesetzgebers, da dieser von ihm angestrebte Regelungen nicht (vollständig) selbst (oder erneut) treffen und beschließen muss, sodass er vor zusätzlicher (oder ggf. doppelter) Arbeit bewahrt wird.119 Durch die „Anpassungsautomatik“ dynamischer Verweisungen können Gesetzestexte ferner stets aktuell gehalten werden und bleiben an Änderungen der Regelung des Verweisungsobjekts angepasst, ohne dass der Gesetzgeber wiederholt normativ tätig werden muss, was ebenfalls zur Entlastung des Gesetzgebers beiträgt.120 Diese automatische Anpassung durch dynamische Verweisungen bietet zudem eine höhere Flexibilität des jeweiligen Rechtsbereichs der Verweisungsnorm auf entstehende Veränderungen.121 Überdies dienen Verweisungen auch der Rechtsvereinheitlichung und der Herstellung eines in sich geschlossenen Normengefüges, indem Bezüge zwischen den einzelnen Normen und Gesetzestexten hergestellt und vorhandene Regelungen an anderer Stelle aufgegriffen werden.122 Ferner sind (vor allem dynamische) Verweisungen auch angesichts des Bedarfs an stetig aktualisierten Detailregelungen notwendig, da sich das Gesetz darauf beschränken kann, andernorts bereits ausdifferenzierte Regelungen
118 Debus, Verweisungen, S. 98, der beispielhaft Tabellen, Pläne und Muster anführt; Fuss, in: FS Paulick, 293 (295), der die Globalverweisungen der § 173 VwGO, § 155 FGO und § 202 SGG auf das GVG und die ZPO als Beispiele anführt; Karpen, Verweisung, S. 15, der als Beispiel geographische Angaben bzw. die Bezugnahme auf Karten anführt; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (225) (ebenfalls beispielhaft Karten und Pläne anführend); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 31. 119 Debus, Verweisungen, S. 100 m.w.N.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 10; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 114; Jansen, DÖV 1979, 332 (332 f.); Karpen, Verweisung, S. 14; Marburger, Regeln der Technik, S. 379 (zu technischen Regelungen); G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 362; Reimer, Methodenlehre, Rn. 443; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 32. Vgl. auch Becker, Normsetzung, S. 538; Fuss, in: FS Paulick, 293 (294); Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (60). 120 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (724); Guckelberger, ZG 2004, 62 (66) m.w.N.: Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 59 f.; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1034); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 13, 32; Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (90); Schulze, LKV 2009, 547 (549). Vgl. für technische Regelungen Becker, Normsetzung, S. 539; Krey, EWR 1981, 109 (131 f.). 121 Vgl. Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (90). 122 Vgl. Becker, Normsetzung, S. 538; Debus, Verweisungen, S. 99 f. m.w.N.; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 12; Fuss, in: FS Paulick, 293 (294 f.); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 11; Guckelberger, ZG 2004, 62 (66); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 114 f.; Karpen, Verweisung, S. 12 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (225); G. Müller/ Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 362 (zur Rechtsvereinheitlichung); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 31, 33 m.w.N.; Schenke, NJW 1980, 743 (743); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (89 f.).
D. Vor- und Nachteile der (dynamischen) Verweisungstechnik
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durch eine Verweisung zu inkorporieren.123 Insoweit kann mithilfe der Verweisungstechnik unter anderem auf bereits bewährte Regelungen zu Einzelfragen verwiesen werden, die sich in der Vergangenheit als zweckmäßig erwiesen haben.124 Vor allem in technischen oder wissenschaftlichen Sachbereichen bieten Verweisungen des Weiteren den Vorteil, dass auf externen Sachverstand Bezug genommen und diese Erkenntnisse in das Normengefüge inkorporiert werden können.125 Dies trägt auch dazu bei, Gesetzestexte von technischen Detailregelungen freihalten zu können.126 Dynamische Verweisungen gewähren (insbesondere) im technischen Bereich (v.a. durch Verweisungen auf nichtstaatliche Regelungen) eine hohe Aktualität der entsprechenden Rechtsnormen, da auf diese Weise technische Fortschritte und Entwicklungen flexibel in die staatlichen Vorschriften übernommen werden können und diese so stets an den Stand der Forschung angepasst sind.127
II. Nachteile (dynamischer) Verweisungen Ein Nachteil der Verweisungstechnik ist hingegen, dass die Verwendung – insbesondere einer Vielzahl von Verweisungen – zur Unübersichtlichkeit und Unverständlichkeit des Gesetzestextes führen kann.128 Dies gilt insbesondere aufgrund der Tatsache, dass bei Verweisungen nicht mehr allein durch die Zurkennt-
123
Vgl. R. Breuer, AöR 1976, 46 (49 ff.) (zum Bedarf an aktualisierten Detailregelungen im technischen Bereich); Debus, Verweisungen, 34, 99 ff.; Marburger, Regeln der Technik, S. 379; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 30 f., 33; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 34. 124 Zu Tarifverträgen: Herschel, BB 1963, 1220 (1222); Iffland, DB 1964, 1737 (1737) (zu Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 31 (zu Tarifverträgen). 125 Vgl. Becker, Normsetzung, S. 538; Debus, Verweisungen, 100 f. m.w.N.; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (724); Karpen, Verweisung, S. 15; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (225); Kohte, in: Münchener Handbuch ArbR, § 174 Rn. 16; Marburger, Regeln der Technik, S. 379; Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (59 f.); G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 362; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 34 f. Ähnlich Schenke, NJW 1980, 743 (743). 126 Debus, Verweisungen, S. 99 m.w.N.; Denninger, Normsetzung, Rn. 138; Karpen, Verweisung, S. 14 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (225); Kohte, in: Münchener Handbuch ArbR, § 174 Rn. 16; Krey, EWR 1981, 109 (131); Marburger, Regeln der Technik, S. 379; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 34 m.w.N. 127 Vgl. Becker, Normsetzung, S. 538 f.; Debus, Verweisungen, S. 101 m.w.N.; Marburger, Regeln der Technik, S. 379; Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 187; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 34. 128 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 102 f.; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 13 f.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 11 f.; Karpen, Verweisung, S. 11; T. M. J. Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 104; G. Müller/Uhlmann, Rechtssetzungslehre, Rn. 362; Schwacke, Juristische Methodik, S. 38.
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nisnahme der Verweisungsnorm – sondern nur durch zusätzliche Lektüre des Verweisungsobjekts – ersichtlich ist, welche rechtliche Regelung inhaltlich getroffen werden soll.129 Dies beeinträchtigt auch die praktische Handhabung der entsprechenden Vorschriften bei der Rechtsanwendung.130 Bedenken hinsichtlich der Verständlichkeit der Normen bestehen insbesondere für Weiter- und Kettenverweisungen.131 Ferner birgt die dynamische Verweisung für den Gesetzgeber ein gewisses Risiko, da er den künftigen Inhalt des Verweisungsobjekts nicht vollumfänglich absehen kann und diese Änderungen ohne sein Zutun (automatisch) in die Verweisungsnorm inkorporiert und damit Gesetzesinhalt werden.132 Dadurch besteht auch die Gefahr, dass die Verweisungsnorm nach erfolgten Änderungen des Verweisungsobjekts einen unklaren, mangelhaften oder unpassenden Inhalt erhält und die Verweisungsnorm nicht mehr mit den übrigen Regelungen harmoniert.133 Insbesondere wenn das Gesetz nur „sinngemäß“ oder „entsprechend“ auf andere Vorschriften Bezug nimmt, beeinträchtigen Verweisungen ferner durch den hierdurch eröffneten Interpretations- bzw. Anwendungsspielraum die sichere bzw. einheitliche Gesetzesauslegung.134
129
BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 227; Debus, Verweisungen, 102 f. m.w.N.; Denninger, Normsetzung, S. 227; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 12 f.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (66); Karpen, Verweisung, S. 11; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 35. Vgl. auch Krey, EWR 1981, 109 (132), welcher ausführt, dass verschiedene Gesetzblätter, Amtsblätter o. Ä. herangezogen werden müssen. Mehrdeutig insoweit Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 32, 34, der auf S. 32 ausführt, dass durch Verweisungen die Übersichtlichkeit und das Verständnis der Norm erleichtert wird und auf S. 34 hingegen ausführt, dass Verweisungen die Geschlossenheit und Anschaulichkeit beeinträchtigen können und die Verweisungsnorm hierdurch unklar werden könne. 130 Vgl. Grauer, Verweisung im Bundesrecht, 12 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 34; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 35. 131 Vgl. BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 229; Debus, Verweisungen, S. 103; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 13 f.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 13 f.; Hassold, JR 1989, 358 (359 Fn. 5); Krey, EWR 1981, 109 (133); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 6; H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 384; Schwacke, Juristische Methodik, S. 38. Zum Begriff der Kettenverweisung siehe bereits oben unter Kap. 1 § 2 C. III. 132 Guckelberger, ZG 2004, 62 (66); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 13. 133 Debus, Verweisungen, S. 104 m.w.N.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 14 f., 36; Guckelberger, ZG 2004, 62 (66). 134 Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 14; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 35. Die Gefährdung der sicheren Auslegung ebenfalls erwähnend Karpen, Verweisung, S. 222; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 35.
E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung
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E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung Durch den oben135 beschrieben Wirkmechanismus dynamischer Verweisungen, die zu einer „automatischen“ Anpassung der Verweisungsnorm an das Verweisungsobjekt führen, kommt also dem Verweisungsobjekt durch dessen eigene Änderung ein mittelbarer Einfluss auf den Inhalt der Verweisungsnorm zu. Da die Normsetzer von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt ja nach Art der Verweisung verschieden sein können, bedeutet dies, dass derjenige Normsetzer, der das Verweisungsobjekt ändert, bei effektiver Betrachtung auch Einfluss auf den Inhalt der Verweisungsnorm erhält. Dementsprechend soll nachfolgend das Verhältnis dynamischer Verweisungen zu Ermächtigungen136 untersucht werden.
I. Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen Dieser Einfluss des Normsetzers des Verweisungsobjekts auf die Verweisungsnorm im Fall dynamischer Fremdverweisungen führt damit bedingt durch die diesen innewohnende „Anpassungsautomatik“ an das Verweisungsobjekt im Ergebnis zu einer Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen.137 Denn dem Gesetzgeber des Verweisungsobjekts wird infolge der automatischen Rezeption erfolgter Änderungen durch die Verweisungsnorm mittelbar eine Dispositionsbefugnis über diese eingeräumt. Durch eine Änderung des Verweisungsobjekts kann er auch die Verweisungsnorm ausgestalten und erhält auf diese Weise Einfluss auf deren Inhalt, sodass nicht mehr (allein) der Gesetzgeber der Verweisungsnorm, sondern (auch) der Gesetzgeber des Verweisungsobjekts die gesetzgeberische Befugnis der inhaltlichen Ausgestaltung der Verweisungsnorm wahrnimmt.138 Eine
135
Siehe oben unter Kap. 1 § 2 B. Z.B. im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG oder entsprechender Landesvorschriften. 137 BVerfGE 47, 285 (312); VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668); Arndt, JuS 1979, 784 (785); Backherms, JuS 1980, 9 (12); Baumann, RdA 1987, 270 (273); Becker, Normsetzung, S. 545; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 118; Gamber, VBlBW 1983, 197 (197); Hendler, ZG 1987, 210 (224); Hertwig, RdA 1985, 282 (283) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 101, 136, 224 f.; Krey, EWR 1981, 109 (129 f.); Mager, Staatsrecht I, Rn. 401; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403 f.); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 83 f.; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 724 f. (137. Lfg. Dezember 2008); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 123a m.w.N.; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 44. Vgl. auch Brugger, VerwArch 1987, 1 (21 f.); D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694); Fuss, in: FS Paulick, 293 (295); Nickusch, NJW 1967, 811 (812); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); Wolff, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 15 Rn. 203. A.A. Debus, Verweisungen, S. 86 ff., insb. S. 89 (der allerdings auf S. 90 wiederum die ähnliche Wirkung von Verweisung und Ermächtigung herausstellt, sodass seine Position nicht gänzlich klar wird); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 34 ff.; Herschel, BB 1963, 1220 (1222 f.); Herschel, NJW 1968, 617 (619 f.); Iffland, DB 1964, 1737 (1739); Manssen, Bauvorschriften, S. 253 ff.; Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289). 138 Vgl. Backherms, JuS 1980, 9 (12); D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694); Fuss, in: FS Paulick, 136
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solche Änderung des Verweisungsobjekts ist zudem möglich, ohne dass der Gesetzgeber der Verweisungsnorm davon Kenntnis hat oder Einfluss darauf nehmen kann.139 Einer dynamischen Fremdverweisung kommt also insoweit eine Art „delegierende Wirkung“ zu.140 Zwar kann der Gesetzgeber der Verweisungsnorm die Verweisung jederzeit aufheben141 und auf diese Weise die Rechtsetzungsmöglichkeit des Verweisungsobjektgebers wieder beseitigen und (vollständig) an sich ziehen. Jedoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass für den Zeitraum des Bestands der dynamischen Verweisung die delegierende Wirkung besteht.142 Selbst bei einer Abänderung der Verweisungsnorm infolge einer unerwünschten Änderung des Verweisungsobjekts rezipiert diese das Verweisungsobjekt also in seiner jeweils geltenden Fassung bis zu der – naturgemäß durch das Gesetzgebungsverfahren Zeit in Anspruch nehmenden – Aufhebung der Verweisung.143
II. Abgrenzung zur Delegation/Ermächtigung Richtigerweise wird dennoch in der Literatur überwiegend144 trennscharf zwischen Delegationen bzw. Ermächtigungen145 und dynamischen Fremdverweisungen unterschieden.146 293 (295); Hendler, ZG 1987, 210 (224); Hertwig, RdA 1985, 282 (283) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 101; Mager, Staatsrecht I, Rn. 401; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403 f.); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 83. 139 Vgl. nur Mager, Staatsrecht I, Rn. 401. 140 Arndt, JuS 1979, 784 (785), der diese Wirkung als „de facto-Delegation“ und „BlankoVollmacht“ beschreibt. Becker, Normsetzung, S. 545 spricht ebenfalls von einer „Blankovollmacht“. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403 f.) bezeichnet diese auch als „Blanko-Vollmacht“ und „apokryphe Legislativ-Delegation“. Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 84 führt aus: „Das wesentliche Merkmal der Delegation – die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf einen anderen Normgeber – ist somit […] faktisch gegeben“. 141 Klindt, DVBl. 1998, 373 (376) („aus der Dynamik wieder [aussteigen]“); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403); Schröcker, NJW 1967, 2285 (2290). Vgl. auch Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035) 142 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403). Vgl. auch D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694); Fuss, in: FS Paulick, 293 (297); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 83 f. 143 Arndt, JuS 1979, 784 (785). In diesem Sinne auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (297); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 84. 144 Teilweise werden dynamische Fremdverweisungen jedoch mit Ermächtigungen gleichgesetzt, vgl. Jansen, DÖV 1979, 332 (333); Sachs, NJW 1981, 1651 (1652); Sachs, VerwArch 1983, 25 (41). Wohl auch Denninger, Normsetzung, Rn. 138 und W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S. 188. Dies ist jedoch aus den nachfolgenden Gründen abzulehnen. 145 Die Begriffe der „Delegation“ und „Ermächtigung“ werden häufig synonym verwendet. So auch die Einschätzung von Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 37 m.w.N. Vgl. auch Debus, Verweisungen, S. 87 m.w.N. Ob und inwieweit zwischen diesen Begrifflichkeiten und den dahinter verborgenen Instituten Unterschiede bestehen, ist für die weitere Arbeit unerheblich, sodass die Begriffe auch hier nachfolgend synonym verwendet werden 146 Besonders anschaulich bei Guckelberger, ZG 2004, 62 (66 f.).
E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung
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Eine Ermächtigung ist die Übertragung von Rechtsmacht unter Veränderung der Zuständigkeitsordnung, während eine Verweisung die Zuständigkeitsordnung unberührt lässt.147 Der Ermächtigte nimmt diese ihm übertragene Zuständigkeit als eigene wahr.148 Bei einer dynamischen Fremdverweisung hingegen ist es dem Verweisungsobjektgeber lediglich möglich, den Inhalt einer fremden Vorschrift auszugestalten. Ferner gelten die vom Ermächtigten erlassenen Normen aus sich heraus149 und werden auch durch den späteren Wegfall der Ermächtigungsnorm grundsätzlich nicht in ihrer Wirksamkeit berührt.150 Demgegenüber hat das Verweisungsobjekt im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm nach Aufhebung der Verweisung keine Wirkung mehr.151 Zudem richtet sich der Rang des Inhalts des Verweisungsobjekts ebenso wie die gegen dieses einzulegenden Rechtsbehelfe im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm nach selbiger152, während infolge einer Ermächtigung erlassene Normen nicht den Rang der Ermächtigungsnorm teilen und mit Rechtsbehelfen gegen die erlassenen Normen selbst anzugreifen sind.153 Auch hinsichtlich der rechtstechnischen Wirkungsweise ist ein Unterschied festzustellen. So nehmen Verweisungen andere Objekte in Bezug, während Ermächtigungen zukünftig durch andere Stellen zu erlassende Vorschriften mit Rechtswirkungen ausstatten.154 Bei Verweisungen besteht zudem regelmäßig bereits das Verweisungsobjekt, wenn die Verweisungsnorm dieses in Bezug nimmt, während Ermächtigungen darauf gerichtet sind, dass der Ermächtigte in der Zukunft Normen erlässt.155 Dementsprechend wird durch eine Verweisung regelmäßig sofort eine Regelung gegenüber dem Bürger getroffen, während eine solche infolge einer Ermächtigung erst geschaffen wird, wenn der Ermächtigte von der Ermächtigung Gebrauch macht.156 Auch darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Ermächtigungen und Verweisungen: Die Verweisungsnorm rich-
147 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 87 m.w.N.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (67) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 109; P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 75 ff. (für Kollektivverträge); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 37. 148 Debus, Verweisungen, S. 88; Starkowski, Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 106. Vgl. auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (67). 149 Debus, Verweisungen, S. 88; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (91); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 44. 150 BVerfGE 78, 179 (198); BVerfGE 31, 357 (362 f.) m.w.N.; BVerfGE 9, 3 (12); Debus, Verweisungen, S. 88 f. m.w.N.; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rn. 21. 151 Debus, Verweisungen, S. 89. 152 Siehe bereits oben unter Kap. 1 § 2 B. I. und II. 153 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (67). 154 Debus, Verweisungen, S. 88; Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3; Nickusch, NJW 1967, 811 (812). Vgl. auch Bullinger, Selbstermächtigung, S. 21. 155 Debus, Verweisungen, S. 88; Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3; Nickusch, NJW 1967, 811 (812). 156 Debus, Verweisungen, S. 88; Guckelberger, ZG 2004, 62 (67).
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
tet sich unmittelbar an den Bürger, während sich die Ermächtigungsnorm an den Ermächtigten richtet.157 Bei formaler Betrachtung ergibt sich also, dass Ermächtigungen und dynamische Fremdverweisungen hinsichtlich ihrer rechtstechnischen Ausgestaltung und Wirkungsweise keinesfalls deckungsgleich sind.158
III. Dynamische Fremdverweisungen als „de facto-Delegation“ Zu betonen ist jedoch, dass dynamische Fremdverweisungen eben nur bei formaler Betrachtung keine Delegation bzw. Ermächtigung darstellen.159 Bei Betrachtung der rechtlichen Auswirkungen dynamischer Fremdverweisungen ergibt sich hingegen, dass zwischen diesen einerseits und Ermächtigungen/Delegationen andererseits kaum bestreitbare – und erhebliche – Parallelen bestehen.160 Seitens der Autoren161, die bereits eine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen bestreiten – jedoch auch von einigen Autoren, die diese Wirkung letztlich bejahen – werden im Rahmen der Abgrenzung zur Delegation bzw. Ermächtigung einige Argumente vorgetragen, die im Kern nicht überzeugen können und geeignet sind, die Nähe von dynamischen Fremdverweisungen zu Delegationen bzw. Ermächtigungen zu vertuschen. Daher bedarf es der folgenden Klarstellung zur Verdeutlichung dieser besonderen Nähe dynamischer Fremdverweisungen zu Delegationen bzw. Ermächtigungen. 1. Unterschied zwischen statischer und dynamischer Verweisung Teilweise wird vorgetragen, dass bereits nicht verständlich sei, wieso statische und dynamische Verweisungen insoweit unterschiedlich seien und nur dynamische Verweisungen einer Ermächtigung gleich kämen.162 Dem lässt sich jedoch
157
Guckelberger, ZG 2004, 62 (67). Blum/Ebeling, in: Bepler (Hrsg.), Sportler, Arbeit und Statuten, 85 (94 f.); Debus, Verweisungen, S. 90. 159 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 82 f.; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (91 f.) 160 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (785) („de facto-Delegation“); Blum/Ebeling, in: Bepler (Hrsg.), Sportler, Arbeit und Statuten, 85 (94) („ähnliche Wirkung“); Bullinger, Selbstermächtigung, S. 21 (bei dynamischen Fremdverweisungen „gerät die Verweisung in die Nähe der Ermächtigung“); Debus, Verweisungen, S. 90 („ähnliche Wirkung“); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403 f.) („apokryphe Legislativ-Delegation“); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 83 f. („materiell eine verdeckte Delegation“). 161 Debus, Verweisungen, S. 86 ff., insb. S. 89 (der allerdings auf S. 90 wiederum die ähnliche Wirkung von Verweisung und Ermächtigung herausstellt, sodass seine Position nicht gänzlich klar wird); Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 34 ff.; Herschel, BB 1963, 1220 (1222 f.); Herschel, NJW 1968, 617 (619 f.); Iffland, DB 1964, 1737 (1739); Manssen, Bauvorschriften, S. 253 ff.; Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289). 162 Debus, Verweisungen, S. 87 f. So auch Baumann, RdA 1987, 270 (273), der allerdings ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass dynamische Verweisungen eine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen beinhalten. 158
E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung
39
entgegnen, dass sich die unterschiedliche Einordnung hinsichtlich einer delegierenden Wirkung bereits aus der unterschiedlichen Funktionsweise statischer und dynamischer Verweisungen ergibt. Nur die dynamische – nicht aber die statische – Verweisung rezipiert erfolgte Änderungen des Verweisungsobjekts163, sodass dem Gesetzgeber desselben bei der statischen Verweisung über eine Änderung des Verweisungsobjekts keine Einflussmöglichkeit auf die Verweisungsnorm zukommt. Zudem nimmt der Gesetzgeber der Verweisungsnorm bei der statischen Verweisung ein ihm bekanntes Verweisungsobjekt in seinen Willen auf und kann zuvor prüfen, ob er sich die dort geschaffenen Inhalte und Regelungen zu eigen machen will,164 während dem Gesetzgeber der Verweisungsnorm bei einer dynamischen Verweisung zukünftige Fassungen des Verweisungsobjekts naturgemäß noch unbekannt sind, sodass dort keine derartige Prüfung im Vorhinein möglich ist. Bei der statischen Verweisung disponiert also allein der Verweisungsnormgeber über den Norminhalt, indem er auf eine ihm auch inhaltlich vollständig bekannte – und durch die statische Verweisungstechnik so bestehende – Regelung verweist. Dementsprechend kann der Verweisungsobjektgeber bei der statischen Verweisung keinen Einfluss auf die Verweisungsnorm nehmen, woraus sich die unterschiedliche Einordnung in Bezug auf eine delegierende Wirkung ergibt. 2. Veränderung der Zuständigkeitsordnung Soweit die Tatsache, dass eine Ermächtigung die Übertragung einer Befugnis zur Normsetzung durch Veränderung der Zuständigkeitsordnung ist, während die Verweisung die Zuständigkeitsordnung unberührt lässt, als Argument dafür verwendet wird, dass bereits keine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen vorliege,165 kann dies nicht überzeugen. Diesem Argument ist zwar insoweit zuzustimmen, als dass die Zuständigkeitsordnung durch dynamische Fremdverweisungen unberührt bleibt. Die faktische Wahrnehmung der Zuständigkeit infolge der durch die dynamische Verweisung eingeräumten Möglichkeit der Einflussnahme liegt jedoch – zumindest solange die Verweisung besteht – nunmehr beim Verweisungsobjektgeber. Auch das Argument, dass nur eine Ermächtigung, nicht aber eine Verweisung, den Auftrag beinhalte, Recht zu setzen166, kann nicht überzeugen, da ein solcher „Auftrag“ im Sinne einer Intention des Gesetzgebers für die Einordnung der rechtlichen Wirkung irrelevant ist. Der Unterschied von Ermächtigung und Verweisung besteht lediglich darin, dass die Verlagerung der Rechtsetzungsbefugnisse nicht offen
163 164
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 1 § 2 A. V. BVerfGE 47, 285 (312); Becker, Normsetzung, S. 540 f.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401
(402). 165
Vgl. Debus, Verweisungen, S. 87 m.w.N.; Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 35; Herschel, NJW 1968, 617 (619 f.) m.w.N.; P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 78 f. (für Kollektivverträge). 166 So Grauer, Verweisung im Bundesrecht, S. 35.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
i.S.e. Verlagerung der Zuständigkeit unter ausdrücklicher Ermächtigung, sondern verdeckt167 durch rechtstechnisch geschaffene Einflussmöglichkeit geschieht. Umgangssprachlich formuliert spricht die Verweisungsnorm also im Ergebnis das aus, was das Verweisungsobjekt vorgibt, sodass dieses bildlich gesprochen als Souffleur168 für die Verweisungsnorm fungiert und auf diese Weise Einfluss auf den Inhalt selbiger nimmt. 3. Unterschied hinsichtlich der „Regelungsdichte“ und fehlende Übertragung von Rechtsmacht Teilweise wird ausgeführt, dass der Verweisungsnormgeber mit der Verweisung eine eigene Regelung schaffe,169 während sich der Ermächtigende abseits der Ermächtigung selbst jeder Rechtsetzung enthalte.170 Der Ermächtigende gebe die genaue Festlegung des Regelungsinhalts einer bestimmten Materie aus der Hand.171 Mit einer Verweisung schließe sich der Verweisungsnormgeber „nur kraft eigenen Willensentschlusses gewissermaßen antizipierend auch der zukünftigen Regelung des Verweisungsobjektgebers an“.172 Es werde hingegen keine Rechtsmacht übertragen, die Rechtsstellung der Beteiligten ändere sich nicht.173 Eine Verweisung sei „damit keine Übertragung von Rechtsetzungshoheit, sondern ein Akt der Übernahme“.174 Dem ist entgegenzuhalten, dass Verweisungen unterschiedlich ausgestaltet sein können. So kann bei besonders umfassenden Verweisungen auf gesamte Normenkomplexe175 ebenso eine Enthaltung jeglicher Rechtsetzungstätigkeit für einen bestimmten Bereich vorliegen. Zudem ist zu betonen, dass auch die antizipierte Akzeptanz ungewisser zukünftiger Regelungen gleichzeitig eine Entäußerung von Rechtsetzungsbefugnissen zur Folge hat. Es kann nicht ernsthaft davon ausgegangen werden, dass sich einer zukünftigen Regelung eines anderen Normsetzers (ohne Kenntnis von dieser) anzuschließen eine grundlegend andere
167 Vgl. nur BVerfGE 47, 285 (312) („[versteckte] Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen“); Arndt, JuS 1979, 784 (785). 168 Ein Souffleur ist ein Mitarbeiter eines Theaters, der dem Schauspieler den Rollentext flüsternd vorspricht, aber nicht offen gegenüber dem Publikum auftritt, vgl. Kunkel, Duden. Bedeutung, Stichworte „Souffleur“ und „soufflieren“. 169 Debus, Verweisungen, S. 89; Iffland, DB 1964, 1737 (1739). 170 Blum/Ebeling, in: Bepler (Hrsg.), Sportler, Arbeit und Statuten, 85 (94) (zu Tarifverträgen; die Autoren stellen jedoch letztlich ebenfalls die „ähnliche Wirkung“ von Verweisung und Delegation heraus); Debus, Verweisungen, S. 89. 171 Brugger, VerwArch 1987, 1 (5); Guckelberger, ZG 2004, 62 (67). 172 Debus, Verweisungen, S. 89; Herschel, BB 1963, 1220 (1222 f.); Iffland, DB 1964, 1737 (1739); P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 79 (für Kollektivverträge). 173 Debus, Verweisungen, S. 89; Herschel, BB 1963, 1220 (1222 f.); Iffland, DB 1964, 1737 (1739); P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 79 (für Kollektivverträge) 174 Debus, Verweisungen, S. 89; P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 79 (für Kollektivverträge). 175 Zu solchen Globalverweisungen siehe bereits oben unter Kap. 1 § 2 C. II.
E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung
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Wirkung hat, als eine andere Rechtsetzungsinstanz für die Zukunft zum Erlass von Vorschriften zu befugen. Gleichsam könnte man bei Ermächtigen davon sprechen, dass Vorschriften eines anderen Normgebers lediglich antizipierend für Recht erklärt werden. Nichtsdestotrotz würde niemand die dadurch geschehene Entäußerung von Rechtsetzungsbefugnissen bestreiten. 4. Fehlende Kenntnis des Verweisungsobjektgebers Zudem wird teilweise vorgebracht, dass der Verweisungsobjektgeber bei einer dynamischen Verweisung im Gegensatz zur Ermächtigung regelmäßig nichts von seiner ihm übertragenen Kompetenz erfahre.176 Insofern nehme der Verweisungsobjektgeber häufig unbewusst bzw. ungewollt eine Zuständigkeit wahr.177 Für den Verweisungsobjektgeber sei ferner unerheblich, welche Konsequenzen die Änderung seiner Vorschrift auf die Verweisungsregelung hat.178 Dagegen lässt sich anführen, dass – selbst wenn man annähme, dass der Verweisungsobjektgeber häufig keine Kenntnis von der Verweisung habe – allein die fehlende Kenntnis nichts an der trotz dessen bestehenden Möglichkeit der Einwirkung auf den Inhalt der Verweisungsnorm ändert. Auch ein zur Rechtsetzung ausdrücklich ermächtigter Normsetzer ist infolge einer Ermächtigung i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verpflichtet, Normen zu erlassen, sondern ihm wird lediglich die Möglichkeit dazu eingeräumt.179 Nichtsdestotrotz ließe sich in diesem Fall nicht bestreiten, dass eine Ermächtigung und damit die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen erfolgt ist. Dies zeigt, dass es nicht auf die (bewusste) Ausübung der Rechtsetzungskompetenz ankommen kann, sondern vielmehr auf die eingeräumte Möglichkeit der Rechtsetzung. Auch die Behauptung, dass es für den Verweisungsobjektgeber unerheblich sei, welche Konsequenzen die Änderung seiner Vorschrift auf die Verweisungsregelung hat, ändert nichts an der Einflussnahmemöglichkeit und kann daher eine delegierende Wirkung nicht widerlegen.
176 Vgl. Blum/Ebeling, in: Bepler (Hrsg.), Sportler, Arbeit und Statuten, 85 (94); Debus, Verweisungen, S. 89; P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 75 f. (für Kollektivverträge). In diesem Sinne auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 82, der allerdings zu dem Ergebnis kommt, dass zwar nicht bei formeller, jedoch bei materieller Betrachtung eine verdeckte Delegation vorliege. 177 Debus, Verweisungen, S. 89. Ähnlich P. Meyer, Blankettverweisungen, S. 76 f. (für Kollektivverträge). In diesem Sinne auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 82, der allerdings zu dem Ergebnis der delegierenden Wirkung kommt. 178 Debus, Verweisungen, S. 89 f. In diesem Sinne auch VG Hannover, NdsVbl. 2002, 51 (52) zu einer Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht. 179 Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rn. 32.
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§ 2 Grundlagen der Verweisungstechnik
5. Begrenzung qua spezieller Verfassungsnorm Ferner ist abseits der Argumente zur Abgrenzung von dynamischen Fremdverweisungen und Ermächtigungen hervorzuheben, dass eine Ermächtigung (i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG) dem Ermächtigten nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Vorgaben hinsichtlich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung machen muss, während für dynamische Fremdverweisungen ein solches Erfordernis nicht – zumindest nicht infolge einer speziell für diese konzipierten Verfassungsnorm (wie Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für Ermächtigungen)180 – vorgesehen ist. Dies zeigt, dass dynamischen Fremdverweisungen im Einzelfall eine noch weitergehende Ermächtigungswirkung (in Form einer unbegrenzten Möglichkeit der Wahrnehmung von Rechtsetzungsbefugnissen) zukommen kann als Ermächtigungen i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG. 6. Rang der erlassenen bzw. in Bezug genommenen Normen Schließlich unterscheidet sich die Geltungsstufe des Inhalts der in Bezug genommenen Normen im Fall einer dynamischen Fremdverweisung deutlich von derjenigen der infolge einer Ermächtigung (i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG) erlassenen Normen. Während infolge einer Ermächtigung i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG nur untergesetzliche Normen in Form von Rechtsverordnungen geschaffen werden können, bewirkt eine dynamische Verweisung, dass der Verweisungsobjektgeber mittelbar inhaltliche Regelungen desselben Rangs wie die Verweisungsnorm schaffen kann.181 Sofern eine Verweisung in der Normenhierarchie „nach unten“ erfolgt (z.B. von Bundesrecht auf Landesrecht), hat dies zur Folge, dass der Verweisungsobjektgeber Recht auf einer höheren Stufe in der Normenhierarchie schaffen kann, als es ihm „aus eigener Kraft“ möglich wäre.182 Dies zeigt anschaulich, wie umfassend die angesprochene Wirkung im Einzelfall sein kann und hinsichtlich der Geltungsstufe der in Bezug genommen Normen sogar zu einer weitergehenden Übertragung von Rechtsmacht führen kann, als eine Ermächtigung i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG.183
180
Trotz des Fehlens einer speziell für dynamische Verweisungen konzipierten Verfassungsnorm wird teilweise vertreten, dass dynamische Verweisungen hinsichtlich des späteren Inhalts der Verweisungsnorm nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzt sein müssen. So z.B. Guckelberger, ZG 2004, 62 (77) m.w.N.; Schenke, NJW 1980, 743 (748) (für Verweisungen zwischen Bundesrecht und Landesrecht). Zu diesem Erfordernis und der Anwendbarkeit des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für dynamische Fremdverweisungen siehe unten Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) bb) und Kap. 2 § 6. 181 Siehe dazu bereits Kap. 1 § 2 B. I. 182 Vgl. Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102). 183 Ähnlich Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102).
E. Verhältnis dynamischer Fremdverweisungen zur Delegation/Ermächtigung
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7. Zusammenfassung Zusammenfassend ist herauszustellen, dass eine dynamische Fremdverweisung zwar nicht gleich einer Ermächtigung fungiert und formal von dieser zu unterscheiden ist. Jedenfalls weisen derartige Verweisungen aber eine delegierende Wirkung auf, sodass von einer „de facto-Delegation“184 gesprochen werden kann. Hierbei gilt: Je umfangreicher die Verweisung ist, desto mehr rückt sie in die Nähe einer Delegation.185
184 Begriff nach Arndt, JuS 1979, 784 (785). Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403 f.) bezeichnet diese „apokryphe Legislativ-Delegation“. Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 84 führt aus: „Das wesentliche Merkmal der Delegation – die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf einen anderen Normgeber – ist somit […] faktisch gegeben“. 185 Nickusch, NJW 1967, 811 (812). Vgl. auch Bullinger, Selbstermächtigung, S. 21 ff.
§ 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Die Arbeit konzentriert sich im Folgenden auf die Rechtsprobleme dynamischer Verweisungen – insbesondere auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Gesetzgebungstechnik. Außer Betracht gelassen werden statische Verweisungen sowie andere Formen der Bezugnahme. Ferner sollen nur Verweisungen in staatlichen Rechtsnormen betrachtet werden. Verweisungen in nichtstaatlichen Regelungen1 sind hingegen nicht Teil des Untersuchungsgegenstands. Des Weiteren behandelt die Arbeit im Folgenden ausschließlich konstitutive Verweisungen, während deklaratorische Verweisungen außer Betracht gelassen werden.2 Letztere vermögen aufgrund ihrer fehlenden Rechtswirkung3 (außer der Abgrenzung zur konstitutiven Verweisung) ersichtlich keine Rechtsprobleme – insbesondere verfassungsrechtlicher Art – hervorzurufen, sodass sie für die weitere Bearbeitung nicht von Interesse sind.4 Außer Betracht bleiben sollen ferner Verweisungen auf das Völkerrecht. Ebenfalls nicht von der Untersuchung umfasst sind die besonderen sich für Blankettstrafgesetze (als Sonderform der dynamischen Verweisung) stellenden verfassungsrechtlichen Probleme5, insbesondere im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 sowie Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG.
1
Z.B. in privatrechtlichen Verträgen oder Vereinssatzungen. Siehe zu diesen Verweisungsarten bereits Kap. 1 § 2 A. II. 3 Siehe bereits oben unter Kap. 1 § 2 A. II. 4 In diesem Sinne auch Clemens, AöR 1986, 63 (74); Debus, Verweisungen, S. 40 m.w.N.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (63); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 21. 5 Siehe dazu etwa Hoven, NStZ 2016, 377 (377 ff.). Vgl. auch Schwacke, Juristische Methodik, S. 38 bzgl. der Bedenklichkeit im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG. 2
Kapitel 2
Verfassungsmäßigkeit dynamischer Verweisungen in einfachgesetzlichen Regelungen Zunächst sollen dynamische Verweisungen in einfachgesetzlichen Regelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Nachdem Ossenbühl sich in seinem grundlegenden Aufsatz aus dem Jahr 1967 mit dieser Frage beschäftigte,1 hat sich die Rechtswissenschaft mit der Verfassungsmäßigkeit und den Problemen von Verweisungen intensiver auseinandergesetzt. Daher soll auch die hierzu publizierte Literatur sowie die ergangene Rechtsprechung ausgewertet und kritisch hinterfragt werden. Als wesentliche verfassungsrechtliche Probleme der dynamischen Verweisung stellen sich die Vereinbarkeit mit dem Demokratie- (und Rechtsstaats-), Bundesstaats- und Gewaltenteilungsprinzip sowie mit dem Bestimmtheitsgebot, dem Publikationserfordernis und der Kompetenzordnung des Grundgesetzes.2
1
Ossenbühl, DVBl. 1967, 401. Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (83); Debus, Verweisungen, S. 32; Denninger, Normsetzung, Rn. 139; Karpen, Verweisung, 224 f.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402 ff.). 2
§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip „Zentraler Prüfstein“1 im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit dynamischer Verweisungen ist das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG.2 Aus diesem ergeben sich einige Anforderungen, die im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Legitimität von Verweisungen bedeutsam sind.
A. Verweisungsrelevante Gehalte des Demokratieprinzips I. Allgemeine Anforderungen Gem. Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Das Volk ist also Träger der Staatsgewalt.3 Die Regelung des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG schreibt „die Herrschaft des Volkes über sich selbst“4, den sog. Grundsatz der Volkssouveränität, fest.5 Aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG folgt, dass jegliche staatliche Gewalt auf den Willen des Volkes rückführbar sein muss.6 Daher müssen sich auch alle Akte staatlicher Gewalt als Ausübung derselben auf 1
Becker, Normsetzung, S. 545. Teilweise wird die Prüfung der dynamischen Verweisungstechnik am Maßstab des Demokratieprinzips gemeinsam mit einer Prüfung am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips vorgenommen, so z.B. bei Brugger, VerwArch 1987, 1 (20 ff.) und Clemens, AöR 1986, 63 (100 ff.). Andere diskutieren die entsprechenden Aspekte wiederum ausschließlich im Hinblick auf das Demokratieprinzip, so z.B. Arndt, JuS 1979, 784 (785 ff.) und Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402 ff.). Nachfolgend sollen diese Gesichtspunkte ebenfalls allein am Maßstab des Demokratieprinzips geprüft und die ggf. bestehenden Bezüge zum grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip an relevanter Stelle punktuell herausgestellt werden. 3 BVerfGE 147, 50 (127 Rn. 197); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 10; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 201; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 623; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 4 Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 249. In diesem Sinne auch Karpen, Verweisung, S. 168; Morlok/ Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 129. 5 BVerfGE 151, 202 (285 Rn. 115); BVerfGE 93, 37 (66); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 1 f.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 82; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 73; Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 287 f. Vgl. auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (296); Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 201. 6 Vgl. BVerfGE 107, 59 (86 f.) m.w.N.; BVerfGE 83, 60 (71 ff.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 1, 11; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 83 m.w.N. 2
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
den Willen des Volkes zurückführen lassen.7 Hierbei besteht keine Bagatellschwelle in dem Sinne, dass vermeintlich „unwichtigere“ Aufgaben keiner demokratischen Legitimation bedürften, sondern jegliches staatliches Handeln erfordert eine demokratische Legitimation.8 Aus dem Demokratieprinzip, namentlich der in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Volkssouveränität, ergibt sich insoweit ein Anspruch des Bürgers, „nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt zu sein, die er auch legitimieren und beeinflussen kann“.9 Der Grundsatz der Volkssouveränität verbietet es demnach, Bürger einer öffentlichen Gewalt zu unterwerfen, „die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen.“10 Erforderlich ist dazu ein effektiver Einfluss des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt.11 1. Repräsentation des Volkes durch legitimierte Repräsentanten Freilich bedeutet dies nicht, dass das Volk in seiner Gesamtheit jede hoheitliche Handlung selbst vornehmen muss, wie bereits Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zeigt, welcher den Grundsatz der Volkssouveränität ausgestaltet.12 Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Abseits von Wahlen und Abstimmungen wird der Volkswille also durch Repräsentanten desselben ausgeübt.13 Diese handeln anstelle des Volkes. Zwingende Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die handelnden Organe durch das Volk hinreichend legitimiert sind.14 Erforderlich ist insoweit eine un7 Vgl. BVerfGE 147, 50 (127 Rn. 197) m.w.N.; BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerfGE 83, 60 (71 f.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 1, 11 f.; Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 262; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 7; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 622; Trute, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 6, 27. 8 Vgl. BVerfGE 107, 59 (86 f.) m.w.N.; BVerfGE 93, 37 (68); BVerfGE 83, 60 (73); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 12; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 88 m.w.N.; Trute, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 6, 27. 9 BVerfGE 151, 202 (285 Rn. 115); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 2. 10 BVerfGE 151, 202 (285 f. Rn. 117). 11 BVerfGE 147, 50 (127 Rn. 197); BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerfGE 83, 60 (71 f.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 14; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 84 m.w.N. Vgl. auch Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 277 f. 12 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 83, 93. Zu letzterem auch BVerfGE 147, 50 (127 Rn. 197); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 8. 13 Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 258; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 143. Vgl. auch Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 1. 14 BVerfGE 147, 50 (127 f. Rn. 198); Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 258, der zudem in Rn. 262 anschaulich ausführt, dass diese Legitimation das „notwendige Bindeglied zwischen Staatsvolk und Staatsgewalt“ ist; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 135. Diese Legitimation kann insbesondere organisatorisch-personell durch eine ununterbrochene, auf das Volk rückführbare Legitimationskette für den handelnden Hoheitsträger erfolgen, BVerfGE 147, 50 (136 Rn. 222); Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 268 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 8; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 135. Eine Legitimation kann zum an-
A. Verweisungsrelevante Gehalte des Demokratieprinzips
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unterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den handelnden Amtsträgern.15 Eine unmittelbare Legitimation liegt vor, wenn ein Staatsorgan per Wahl ohne Zwischenakt vom Volk bestimmt wird, wie etwa beim Bundestag oder den Landesparlamenten.16 Eine mittelbare Legitimation liegt vor, wenn ein Zurechnungszusammenhang, der sich zwischen der Willensäußerung seitens des Volkes und der Ausübung der Staatsgewalt – wenn auch mit Zwischenschritten – begründen lässt, besteht.17 Regelmäßig genügt eine solche mittelbare Legitimation.18 Durch die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als unmittelbare Handlungsmöglichkeit des Volkes angesprochenen Wahlen, bestimmt das Volk die Zusammensetzung des Parlaments, welches das jeweilige Wahlvolk repräsentiert und an seiner Stelle grundlegende Entscheidungen trifft und Regelungen erlässt.19 Wesensmerkmal des Demokratieprinzips ist demnach die Identität von Regierenden und Regierten20, da die Parlamente und die sich von diesen im Wege einer Legitimationskette legitimierenden Staatsorgane nur durch dasjenige Volk legitimiert sind, welches seinen dahingehenden Willen per Wahlakt bekundet hat. Für das Demokratieprinzip ist also nicht entscheidend, ob das handelnde Staatsorgan durch irgendein Volk legitimiert ist, sondern ob sich die Staatsgewalt auf das eigene Staatsvolk stützen kann.21
deren „sachlich-inhaltlich über eine strikte Bindung an die von der Volksvertretung erlassenen Gesetze oder durch eine sanktionierte demokratische Verantwortlichkeit, einschließlich der dazugehörigen Kontrolle, für die Wahrnehmung der zugewiesenen Aufgaben hergestellt werden“, BVerfGE 147, 50 (136 Rn. 222); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 10; vgl. auch Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 271 ff. Daneben besteht als weitere Art der Legitimation die „institutionell-funktionelle“ Legitimation durch verfassungsmäßige Einrichtung und Aufgabenbeschreibung für die obersten Staatorgane und elementaren Institutionen des Staates, vgl. Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 265 ff. Zu den unterschiedlichen Arten demokratischer Legitimation siehe auch Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 14 ff.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 109 ff.; Trute, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 7 ff. 15 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 73 m.w.N.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). Vgl. auch BVerfGE 107, 59 (87) (für die unmittelbare Staatsverwaltung und kommunale Selbstverwaltung) m.w.N.; BVerfGE 47, 253 (275) (generell für mit staatlichen Aufgaben betraute Amtswalter und Organe); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 309. A.A. offenbar Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 277 f. 16 Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 263. 17 Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 264. 18 BVerfGE 83, 60 (72 f.); BVerfGE 47, 253 (275). 19 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 309; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 20 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Debus, Verweisungen, S. 198 m.w.N.; Fuss, in: FS Paulick, 293 (296); Guckelberger, ZG 2004, 62 (75); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 182 f. Mit einem anderen Verständnis, nämlich bezogen auf die „qualitative“ Gleichheit von Regierenden und Regierten Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 49. A.A. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 63 m.w.N. 21 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Karpen, Verweisung, S. 181. Vgl. BVerfGE 107, 59 (86 f.); BVerfGE 83, 60 (74 f., 81); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 26 ff.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Nicht erforderlich ist, dass die hoheitlichen Einzelentscheidungen und -maßnahmen im konkreten Fall (nur) auf den jeweils Betroffenen rückführbar sind.22 Vielmehr muss die Staatsgewalt auf das jeweilige Staatsvolk als zur Einheit verbundene Gruppe zurückgeführt werden können.23 2. Verbot der (vollständigen) Entäußerung von Rechtsetzungsbefugnissen Das Demokratieprinzip gebietet ferner, dass sich der originär zuständige Gesetzgeber seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen Einfluss auf den Inhalt von ihm zu erlassender Normen nicht gänzlich preisgeben darf.24 Insbesondere muss jede Ordnung eines Lebensbereichs auf eine Entscheidung der vom jeweiligen Volk gewählten Gesetzgebungsorgane rückführbar sein.25 „Der Gesetzgeber darf seine vornehmste Aufgabe nicht anderen Stellen innerhalb oder außerhalb der Staatsorganisation zu freier Verfügung überlassen.“26 Dies gilt umso mehr bei Eingriffen in Grundrechte.27 Auch inhaltlich muss das Gesetz vom Willen des zuständigen Gesetzgebers umfasst sein.28 3. Demokratische Homogenität in den Ländern Die Maßstäbe des Demokratieprinzips gelten nicht nur auf Bundesebene, sondern nach dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG auch in den Ländern. Denn Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG legt fest, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss. Hiervon umfasst ist die Grundentscheidung des Art. 20 Abs. 2 GG für die Volkssouveränität sowie die sich daraus ergebenden Grundsätze demokratischer Organisation und Legitimation.29
22 BVerfGE 83, 37 (50 f.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 27; Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 253; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 2. 23 Vgl. BVerfGE 107, 59 (86 f.) m.w.N.; BVerfGE 83, 37 (50 f.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 26 ff.; Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 253. 24 Vgl. BVerfGE 33, 125 (158 f.); BVerfGE 47, 285 (315); Arndt, JuS 1979, 784 (785 f.); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 117; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). Vgl. auch BVerfGK 11, 373 (378); BVerfGE 97, 332 (343); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 25 BVerfGE 64, 208 (214 f.); BVerfGE 33, 125 (158 f.); Brugger, VerwArch 1987, 1 (20); Klindt, DVBl. 1998, 373 (375); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035). 26 BVerfGE 33, 125 (158). So auch L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). 27 BVerfGE 33, 125 (158 f.). 28 Arndt, JuS 1979, 784 (786); Guckelberger, ZG 2004, 62 (75) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 174, 177; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402); Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 40 f.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). 29 BVerfGE 93, 37 (66); BVerfGE 83, 60 (71).
A. Verweisungsrelevante Gehalte des Demokratieprinzips
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II. Parlamentsvorbehalte Je intensiver eine Maßnahme Grundrechte berührt oder je bedeutender sie für die Allgemeinheit ist, desto stärker muss die Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk sein.30 Als unmittelbar demokratisch legitimierte Organe kommt den Parlamenten insoweit eine besondere Bedeutung zu,31 da sie als „[Zentralorgane] der Demokratie“32 eine höhere Legitimation und Transparenz gewähren als andere Staatsorgane.33 1. Wesentlichkeitstheorie Produkt dieser Erkenntnis ist der Parlamentsvorbehalt34, der durch die Wesentlichkeitstheorie konkretisiert wird.35 Nach dieser muss der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen36 und darf diese Entscheidungen nicht anderen Normgebern überlassen.37 Der Parlamentsvorbehalt weist insoweit die „zentrale Entscheidungsgewalt auch inhaltlich allein dem Parlament“ zu.38 Aus der Wesentlichkeitstheorie folgt also insoweit ein Delegationsverbot für das jeweilige Parlament.39 Je wesentlicher eine Entscheidung ist, desto höher muss die
30 BVerfGE 135, 317 (429 Rn. 235); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 7. Vgl. auch Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 579 (137. Lfg. Dezember 2008) und Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 186, die auf die Bedeutung und Reichweite der Entscheidung abstellen. 31 Vgl. Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 286; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 624. 32 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 190, 624. 33 Vgl. BVerfGE 33, 125 (158 f.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 186. 34 Begriff nach Häberle, DVBl. 1972, 909 (912 Fn. 49), vgl. Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 631. Der Parlamentsvorbehalt wurzelt im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und im Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG, vgl. nur BVerfGE 150, 1 (96 Rn. 191) m.w.N und Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 186. Wegen des Abstellens der Wesentlichkeitstheorie auf die unmittelbare demokratische Legitimation des Parlaments, welches ein Grund für die Pflicht zur Befassung mit den wesentlichen Angelegenheiten darstellt, sowie der ähnlichen Problematik der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen, die sich auch beim Demokratieprinzip stellt, soll der Parlamentsvorbehalt zusammen mit dem Demokratieprinzip behandelt werden. Ebenfalls die Wesentlichkeitstheorie als Ausfluss des Demokratieprinzips einordnend wohl Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 267 ff. 35 Vgl. Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 286 ff. 36 BVerfGE 150, 1 (96 Rn. 191) m.w.N.; BVerfGE 98, 218 (251); BVerwGE 151, 386 (391 Rn. 18); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 117; Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 286; Morlok/ Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 159, 631; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Rn. 186, 273 f. 37 BVerfGK 16, 370 (378 f.); BVerfG (K), Beschl. v. 16.04.2002 – 1 BvR 279/02, Rn. 25; BVerfGE 98, 218 (251); BVerwGE 151, 386 (391 Rn. 18). 38 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 631. 39 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 631. Vgl. auch D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 109 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rn. 273.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Regelungsdichte sein, also desto detaillierter und präziser muss das Parlament eine eigene Regelung treffen.40 Wann eine solche Wesentlichkeit vorliegt, die eine Entscheidung des Parlaments erfordert, lässt sich abschließend nur mit Blick auf den Einzelfall beurteilen.41 Maßgeblich sind hierbei die „tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere [die] darin verbürgten [Grundrechte]“.42 Wesentlich sind also insbesondere Regelungen, die eine erhebliche Grundrechtsrelevanz aufweisen.43 Der Parlamentsvorbehalt verlangt jedoch nicht, dass das Parlament jede Entscheidung selbst treffen muss.44 Ein derartiger „Gewaltenmonismus“ ist nicht durch das Demokratieprinzip geboten.45 Der Parlamentsvorbehalt endet mithin dort, wo andere demokratisch legitimierte Staatsorgane eigene Zuständigkeiten besitzen.46 Außerdem ist die Regelung der „wesentlichen“ Angelegenheiten nicht mit der Regelung von Inhalt, Zweck und Ausmaß i.S.d. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gleichzusetzen, sondern es kann nötig sein, im Einzelfall weitergehende bzw. detaillierte Regelungen zu treffen.47 2. (Spezial-)Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte (Spezial-)Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte verpflichten den zuständigen Gesetzgeber, die Voraussetzungen für die Einschränkung des betreffenden Grundrechts in einem formellen Gesetz festzulegen.48 Da ein formelles Gesetz naturgemäß nur durch ein Parlament erlassen werden kann, handelt es sich insoweit um einen speziellen Parlamentsvorbehalt, der nicht nur eine Parlamentsentscheidung, sondern eine Parlamentsentscheidung in Form eines formellen Gesetzes verlangt. Freilich bestehen angesichts der offensichtlicherweise bestehenden Grundrechtsrelevanz deutliche Schnittmengen mit dem durch die Wesentlichkeitstheorie induzierten Parlamentsvorbehalt. So muss bei einem spezialgrundrechtlichen Gesetzesvorbehalt der Gesetzgeber alle wesentlichen Aspekte
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Debus, Verweisungen, S. 240 m.w.N. Vgl. BVerfGE 98, 218 (251); BVerwGE 151, 386 (391 f. Rn. 18) m.w.N. 42 BVerfGE 98, 218 (251). 43 BVerfGE 139, 19 (45); BVerfGE 95, 267 (308). Vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 113 m.w.N.; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, Rn. 630. 44 Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 289; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). 45 BVerfGE 98, 218 (252); BVerfGE 68, 1 (86 f.); BVerfGE 49, 89 (124 f.); Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 289. 46 Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 289; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 187 f., 274. Vgl. auch BVerfGE 49, 89 (124 f.). 47 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 278. In diesem Sinne auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 120 m.w.N. 48 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 40 ff. So enthalten z.B. Art. 2 Abs. 2 S. 3 und Art. 8 Abs. 2 GG ein formelles Parlamentsgesetz. Denn selbst Rechtsverordnungen, die Beschränkungen dieser Rechte gestatten, bedürfen einer formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. 41
B. Vereinbarkeit dynamischer Eigenverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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hinsichtlich der Einschränkung des betreffenden Grundrechts in einem formellen Gesetz regeln.49 Das Demokratie- (und Rechtsstaatsprinzip) verpflichten den zuständigen Gesetzgeber dazu, die für „die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen“.50 Insbesondere die Eingriffsvoraussetzungen und den Umfang der möglichen Grundrechtseingriffe muss der zuständige Gesetzgeber eigenverantwortlich prüfen und beschließen.51 Dieser Entscheidungspflicht darf sich der zuständige Gesetzgeber nicht durch eine Übertragung der Entscheidung auf andere Stellen entziehen.52 Die spezialgrundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sollen gewährleisten, dass die maßgeblichen Aspekte zur Grundrechteinschränkung im öffentlichen parlamentarischen Verfahren diskutiert werden.53 Speziellen Gesetzesvorbehalten wird daher teilweise sowohl eine demokratische als auch eine rechtsstaatliche Funktion zugeschrieben.54
B. Vereinbarkeit dynamischer Eigenverweisungen mit dem Demokratieprinzip Anhand dieser Maßstäbe des Demokratieprinzips sind zunächst dynamische Eigenverweisungen zu überprüfen: Dynamische Eigenverweisungen55 sind nach zutreffender nahezu56 allgemeiner Ansicht mit dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG vereinbar.57 Bei diesen kann sich bereits sinnlogisch keine
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Vgl. BVerfGE 133, 277 (336 f. Rn. 140); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 43. 50 BVerfGE 141, 143 (170 Rn. 59) m.w.N. 51 Vgl. BVerfGE 47, 285 (313); Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); Clemens, AöR 1986, 63 (103); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Vgl. ferner auch BVerfGE 33, 125 (158 f.); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 52 BVerfGE 33, 125 (158 f.). 53 BVerfGE 133, 277 (336 Rn. 140). Vgl. auch BVerfGE 33, 125 (158 f.). 54 BVerfGE 133, 277 (336 Rn. 140); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 40. 55 Siehe zum Begriff der Eigenverweisung bereits Kap. 1 § 2 IV. 56 A.A. offenbar Stern, Staatsrecht II, S. 635, der von einer generellen Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ausgeht. Unklar Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 187. 57 BVerfGE 26, 338 (366) („verfassungsrechtlich unbedenklich“); Clemens, AöR 1986, 63 (101); Debus, Verweisungen, S. 202 f. (allerdings nur, soweit kein Parlamentsvorbehalt besteht); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 118; Guckelberger, ZG 2004, 62 (74 f.); Hertwig, RdA 1985, 282 (284); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 115; Karpen, Verweisung, S. 180, 183; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (222, 238); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404, 408); Schenke, NJW 1980, 743 (744); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). In diesem Sinne auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 317 f. m.w.N., der seine Ausführungen jedoch unter dem Prüfungspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG macht; er spricht allerdings in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Aussage zu Eigenverweisungen das Demokratieprinzip an und betont die fehlende Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen, sodass davon auszugehen ist, dass er diese vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips des Art. 103 Abs. 2 GG für unproblematisch hält. Vgl. auch Bülte,
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
gegen die Anforderungen des Demokratieprinzips verstoßende Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen auf nicht (hinreichend) demokratisch legitimierte Organe ergeben, da der Gesetzgeber der Verweisungsnorm und derjenige des Verweisungsobjekts identisch sind.58 Dementsprechend wird gegenüber dem Bürger keine Regelung getroffen, die nicht vom jeweils zuständigen und demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen wurde.59 Denn trotz der Verweisung nimmt der verfassungsrechtlich zuständige (und durch das jeweilige Staatsvolk legitimierte) Gesetzgeber seine Gesetzgebungsbefugnisse selbst wahr – eben nur an anderer Stelle.60 Dies lässt sich mit dem Begriff einer „Gesetzestextblindheit“ des Demokratieprinzips umschreiben, denn für dieses ist unerheblich, wo – insbesondere in welchem Gesetzestext – der demokratisch legitimierte Gesetzgeber seine jeweiligen Rechtsetzungsbefugnisse wahrnimmt und ob er eigene Regelungen anderer Stelle näher ausgestaltet, sondern ist lediglich maßgeblich, dass er seine Rechtsetzungsbefugnisse selbst wahrnimmt.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip Hinsichtlich dynamischer Fremdverweisungen besteht hingegen Uneinigkeit in der Rechtsprechung und Literatur, ob – und ggf. unter welchen Voraussetzungen – derartige Verweisungen mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip verein-
JuS 2015, 769 (770) (zu Eigenverweisungen bei Blankettstrafgesetzen), welcher diese für „verfassungsrechtlich unproblematisch“ hält, sodass er wohl auch von einer Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ausgeht; Ebsen, DÖV 1984, 654 (654) bezeichnet Verweisungen auf Normen desselben Gesetzgebers ebenfalls insgesamt als „verfassungsrechtlich kaum problematisch“; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (725) bezeichnen diese im Hinblick auf die Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen als „unbedenklich“; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 116 (unter Bezugnahme auf Karpen): „keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“. 58 In diesem Sinne auch Clemens, AöR 1986, 63 (101); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 317 f.; Debus, Verweisungen, S. 202 f. m.w.N.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (74 f.) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 121; Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 59 In diesem Sinne auch Debus, Verweisungen, S. 202 f. m.w.N. und Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404), der ausführt, dass derartige Verweisungen angesichts der Identität der Gesetzgeber das Demokratieprinzip unberührt lassen. 60 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 202 f. m.w.N.; Schenke, NJW 1980, 743 (744), welcher ausführt, dass sich der Gesetzgeber bei einer Eigenverweisung „noch ganz im gesetzestechnischen Bereich“ befinde. In eine ähnliche Richtung deutend führt Bülte, JuS 2015, 769 (770) für Eigenverweisungen (bei Blankettstrafgesetzen) aus, dass der Gesetzgeber seine (ihm nach der Wesentlichkeitstheorie obliegende) Aufgabe erfülle, Regelungen auch dem Inhalt nach selbst zu treffen und spricht von einer lediglich „[redaktionellen] Aufspaltung“. Obgleich diese Ausführungen indizieren, dass er sich hierbei auf das Demokratieprinzip bezieht, bleibt unklar, ob letztendlich an dieses angeknüpft wird.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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bar sind. Die jeweiligen Ergebnisse und Argumente unterscheiden sich häufig je nach Verweisungsobjekt (z.B. für Verweisungen auf Normen nichtstaatlicher Institutionen oder auf Unionsrecht). Es werden jedoch auch einige verallgemeinerungsfähige Ansätze vorgetragen, die ohne einen konstellationsspezifischen Anknüpfungspunkt gelten. Zunächst sollen daher insbesondere61 diese verallgemeinerungsfähigen – auf alle Verweisungskonstellationen bzw. -objekte übertragbaren – Ansätze dargestellt und sodann etwaige Spezialkonstellationen in den Blick genommen werden. In einem zweiten Schritt soll danach auf die Ansätze für die Spezialkonstellationen der Verweisungen auf nicht (national-) gesetzliche Regelungen eingegangen werden, namentlich auf Verweisungen auf Normen der Exekutive, nichtstaatlicher Organisationen sowie der Europäischen Union.
I. (Spezial-)Konstellationsunabhängige Beurteilung/Verhältnis Bundes- und Landesrecht Verallgemeinerungsfähige Ausführungen finden sich häufig bei der verfassungsrechtlichen Bewertung von Verweisungen im Verhältnis von Bund und Ländern. Daher bietet es sich an, verallgemeinerungsfähige, für alle Verweisungskonstellationen übertragbare, Ansätze gemeinsam mit den Verweisungen im BundLänder-Verhältnis darzustellen, da in diesem Bereich hinsichtlich der vertretenen Lösungsansätze und Argumente die größten Parallelen bestehen. Hierbei soll bereits im Rahmen der Darstellung der verschiedenen Ansichten eine kritische Auseinandersetzung mit diesen erfolgen. 1. Demokratiemaximierende Auffassung a) Konstellationsunabhängige Aspekte Nach der sog. (strikt) demokratiemaximierenden Auffassung62 sind Verweisungen auf Vorschriften eines fremden Gesetzgebers mit dem Demokratieprinzip unvereinbar und daher verfassungswidrig.63 Das Parlament sei nicht nur das primäre, sondern aufgrund seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation 61
Gemeinsam mit Verweisungen im Bund-Länder-Verhältnis. So bezeichnet bei Brugger, VerwArch 1987, 1 (22); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 321; Debus, Verweisungen, S. 203; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). 63 Generell für dynamische Fremdverweisungen: Arndt, JuS 1979, 784 (789); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 118; Fuss, in: FS Paulick, 293 (298 f.); Karpen, Verweisung, S. 180; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (222, 238); Krey, EWR 1981, 109 (142 ff.); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404); Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.). In diese Richtung generell wohl auch Hill, Gesetzgebungslehre, S. 115; Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71 f.), der die Auffassung einer bedingten Zulässigkeit dynamischer Fremdverweisungen als „höchst fragwürdig“ bezeichnet. Für Verweisungen im Verhältnis Bundes- und Landesrecht: Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 62
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
grundsätzlich das einzige Gesetzgebungsorgan.64 Dem Parlament komme ein „Gesetzgebungsmonopol“ zu,65 welches es verpflichte, seine Gesetzgebungskompetenzen formell und materiell selbst auszuüben.66 Zudem regele die Verfassung die Möglichkeit einer Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen in Form des Art. 80 Abs. 1 GG abschließend.67 Eine freiwillige Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen über die grundgesetzlich vorgesehenen Ausnahmen hinaus verstoße gegen das Demokratieprinzip.68 Die durch Fremdverweisungen hervorgerufene Entäußerung von Normierungsbefugnissen stelle eine „Selbstentmachtung“ des Parlaments dar69 und verstoße gegen das Prinzip der Volkssouveränität, wenn das Volk auf die beteiligten außerparlamentarischen Stellen keinen oder nur einen geringeren Einfluss habe.70 Ferner dürfe das Parlament Gesetze nicht nur formell selbst erlassen, sondern diese müssten auch inhaltlich Ausdruck des Willens des Parlaments sein.71 Hierzu sei eine eigenverantwortliche Kenntnisnahme, Beratung und Prüfung des Gesetzesinhalts erforderlich.72 Ohne eine inhaltliche Kenntnisnahme drücke der Gesetzgeber ansonsten dem Verweisungsobjekt „als ,blindtätiger Sanktionsautomat‘ den Prägestempel ,Gesetz‘“ auf.73 Der Beschluss eines Gesetzes, dessen Inhalte und Bedeutung für den Gesetzgeber nicht vollständig überschaubar und von seinem eigenen Gesetzgebungswillen umfasst sind, verstoße gegen das Demokratieprinzip.74 Der Inhalt der Verweisungsnorm werde jedoch infolge einer dynamischen Verweisung zukünftig nicht vom Verweisungsnormgeber, sondern vom Verweisungsobjektgeber festgelegt,75 ohne dass der Verweisungsnormgeber die Ände-
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Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). So auch Karpen, Verweisung, S. 173 m.w.N.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237). A.A. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 117. 65 Karpen, Verweisung, S. 173 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237). A.A. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 117. 66 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237). 67 Arndt, JuS 1979, 784 (786); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). Vgl. auch Krey, EWR 1981, 109 (146). 68 Arndt, JuS 1979, 784 (786) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 174; Krey, EWR 1981, 109 (146); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 69 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 70 Karpen, Verweisung, S. 174 m.w.N. 71 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (786); Karpen, Verweisung, S. 174, 177; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 72 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237); Karpen, Verweisung, S. 175; Krey, EWR 1981, 109 (146). 73 Karpen, Verweisung, S. 177. So auch Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238). 74 Arndt, JuS 1979, 784 (786) m.w.N.; Fuss, in: FS Paulick, 293 (299); Karpen, Verweisung, S. 175. 75 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403). Vgl. auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (298); Krey, EWR 1981, 109 (129 f., 146).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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rungen inhaltlich kenne oder Einfluss darauf nehmen76 könne.77 Eine eigenständige inhaltliche Prüfung und ein darauffolgender Beschluss des Gesetzesentwurfs durch den zuständigen Gesetzgeber sei bei einer dynamischen Fremdverweisung unmöglich, da die künftigen Änderungen für ihn noch nicht absehbar seien.78 Jedoch bestehe eine aus dem Demokratieprinzip begründete Pflicht zur Beratung der Gesetze,79 welcher die Beratung der Verweisungsnorm als „[inhaltslose] ,Gesetzeshülse‘“80 nicht genüge. Eine solche Beratung sei vielmehr Ausdruck „eines Normsetzungswillens ohne inhaltliche Vorstellung“81, sodass eine Verweisungsnorm ein „parlamentsloses Parlamentsgesetz“ darstelle.82 Im Ergebnis bedeute die dynamische Fremdverweisung daher eine „BlankoVollmacht“ an den Verweisungsobjektgeber und sei materiell eine „apokryphe Legislativ-Delegation“.83 Es handele sich demnach bei einer dynamischen Fremdverweisung um eine von der Verfassung verbotene, freiwillige Entäußerung von Gesetzgebungsbefugnissen,84 sodass diese Gesetzgebungstechnik mit dem Demokratieprinzip unvereinbar sei.85 b) Verweisungen im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht Daneben werden speziell für das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht folgende Aspekte vorgetragen: Das Demokratieprinzip gebiete, dass sich die Staatsgewalt nicht von einem beliebigen, sondern vom eigenen Staatsvolk ableite.86 Das Bundes- und (ein einzelnes) Landesvolk seien jedoch keine identischen demokratischen Größen (wenn auch das Landesvolk Teil des Bundesvolks sei) und die jeweiligen Parlamente und Staatsgewalten sowie die diese legitimierenden Staats-
76 Abgesehen von der Möglichkeit, die Verweisung selbst in der Verweisungsnorm zu ändern bzw. aufzuheben, vgl. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403). 77 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403). 78 Arndt, JuS 1979, 784 (786); Fuss, in: FS Paulick, 293 (299). 79 Karpen, Verweisung, S. 180. In diesem Sinne auch Arndt, JuS 1979, 784 (786). 80 Vgl. Karpen, Verweisung, S. 180. 81 Arndt, JuS 1979, 784 (786). So auch Karpen, Verweisung, S. 175. Vgl. ferner Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238). 82 Arndt, JuS 1979, 784 (785 f.); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238). Dieser Begriff geht zurück auf Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 41. 83 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403 f.). Ähnlich Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 118. 84 Arndt, JuS 1979, 784 (786); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 118 m.w.N.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). Ähnlich Krey, EWR 1981, 109 (146). Dem Verweisungsnormgeber verbleibe lediglich die Möglichkeit die Verweisung aufzuheben, was allerdings keine andere Bewertung rechtfertige, vgl. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403). 85 Arndt, JuS 1979, 784 (786); Karpen, Verweisung, S. 180, 183; Krey, EWR 1981, 109 (146); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). 86 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Karpen, Verweisung, S. 181 f.; Krey, EWR 1981, 109 (146). Vgl. auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (298).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
völker seien nicht gegeneinander austauschbar.87 Das Bundesvolk sei Träger der Bundesstaatsgewalt, das Landesvolk hingegen Träger der Landesstaatsgewalt.88 aa) Grundsätzliche Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Eine dynamische Verweisung von Landesgesetzen auf Bundesgesetze habe daher zur Folge, dass „das Bundesvolk das Landesvolk ,regiert‘“.89 Dasselbe gelte bei einer Verweisung von Bundesrecht auf das Recht eines Landes oder einer Verweisung vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes, da dies dazu führen würde, dass das Bundesvolk (bzw. das Landesvolk) durch das Volk eines (anderen) Landes regiert wird.90 Damit sei die für das Demokratieprinzip charakteristische Identität von Regierenden und Regierten durchbrochen,91 da die Gesetze zwar formell vom zuständigen (durch das eigene Staatsvolk legitimierten) Parlament erlassen, inhaltlich aber zukünftig von einem Träger fremder Staatsgewalt ausgestaltet werden.92 Dem Verweisungsobjektgeber würde trotz seiner gegenüber diesem Volk fehlenden demokratischen Legitimation in verfassungswidriger Weise ein Einfluss auf die Gesetzgebung dieses Staates eingeräumt.93 Daher seien in diesem Verhältnis – auch geringfügige – dynamische Fremdverweisungen unzulässig.94
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Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (785); Fuss, in: FS Paulick, 293 (298) (zu letzterem); Karpen, Verweisung, S. 182 f.; Krey, EWR 1981, 109 (146) (zu ersterem); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). 88 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Krey, EWR 1981, 109 (146); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402). 89 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). So auch Arndt, JuS 1979, 784 (785); Karpen, Verweisung, S. 183. Vgl. allgemeiner auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (298). 90 Karpen, Verweisung, S. 183. 91 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Fuss, in: FS Paulick, 293 (298); Karpen, Verweisung, S. 182 f.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). 92 Arndt, JuS 1979, 784 (785); Fuss, in: FS Paulick, 293 (298). 93 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 94 In dieser Deutlichkeit – auch für geringfügige Verweisungen – soweit ersichtlich nur Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). Inhaltlich laufen jedoch auch die Ausführungen von Arndt, JuS 1979, 784 (785 ff.), Karpen, Verweisung, S. 180 ff. und Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402 ff.), welche dynamische Fremdverweisungen ebenfalls als unvereinbar mit dem Demokratieprinzip beurteilen, ohne hierbei eine Ausnahme im Sinne einer Geringfügigkeitsschwelle anzuerkennen, auf dasselbe Ergebnis hinaus, obgleich dies nicht noch einmal für geringfügige Verweisungen spezifiziert wird. Die sogleich unter Kap. 2 § 1 C. I. 1. b) bb) dargestellten Ausnahmen von der Annahme der Unvereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip betreffen jedenfalls nicht den Umfang der Verweisung im Sinne einer Geringfügigkeitsschwelle, sondern das Verhältnis zwischen den Normgebern und den (Gesetzgebungs-)Kompetenzbereich, in welchem die Verweisung erfolgt.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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bb) Partielle Ausnahme für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht Für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht wird teilweise angenommen, dass derartige Verweisungen sich im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung als Freigabe des Bundes zugunsten der Länder in dem Sinne darstellen, dass der Bundesgesetzgeber dort von seinem Normsetzungsrecht zugunsten des Landesgesetzgebers keinen Gebrauch macht.95 In diesem Fall seien dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht verfassungsgemäß.96 Denn dann handele es sich bereits nicht um eine konstitutive, sondern lediglich eine deklaratorische Verweisung auf die sich ergänzenden Regeln der Gesetzgebungsorgane mit konkurrierender Zuständigkeit.97 Im Einzelfall könne sich eine Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht auch als Ermächtigung i.S.d. Art. 71 GG zugunsten der Länder darstellen.98 Auch diese Norm könne zwar keine Änderungsmöglichkeit von Bundesrecht durch Landesrecht infolge einer dynamischen Inkorporation der Landesnormen rechtfertigen.99 Es sei jedoch eine Auslegung als Ermächtigung i.S.d. Art. 71 GG möglich, bei der die Landesnormen nicht inkorporiert werden, sondern sich die Wirkung in der Ermächtigung des Landesgesetzgebers erschöpft.100 Im umgekehrten Fall der Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht sei dies jedoch nicht möglich, da Vorbehalte bzw. Ermächtigungen der Landesgesetzgebung zugunsten der Bundesgesetzgebung im Grundgesetz nicht vorgesehen seien.101 c) Kritische Beurteilung Die demokratiemaximierende Ansicht kann im Ergebnis nicht überzeugen, da sich bei kritischer Betrachtung der verschiedenen Argumentationsstränge aus folgenden Gründen erhebliche Schwächen dieser Ansicht offenbaren:
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Karpen, Verweisung, 183 Fn. 102; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404); Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.). 96 Vgl. Baden, NJW 1979, 623 (625 f.). Für eine Auslegung als Vorbehalt zugunsten der Landesgesetzgebung im Einzelfall auch Jaeckel, SächsVBl. 2000, 205 (206 ff.). Nach Jaeckel soll bei Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht statt einer Inkorporierung des jeweiligen Landesrechts in das Bundesrecht sogar eine Vermutung für einen Vorbehalt zugunsten der Landesgesetzgebung bestehen, da dies sonst „das merkwürdig [anmutende] Ergebnis regional unterschiedlichen Bundesrechts“ zur Folge hätte. Unklar bleibt allerdings, welcher Ansicht Baden und Jaeckel zuzuordnen sind. 97 Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.). 98 Vgl. Sachs, NJW 1981, 1651 (1652). 99 Sachs, NJW 1981, 1651 (1652). 100 Sachs, NJW 1981, 1651 (1652). 101 Baden, NJW 1979, 623 (626); Sachs, NJW 1981, 1651 (1652).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
aa) Fehlende parlamentarische Beratung von Änderungen der Verweisungsnorm Soweit Vertreter der demokratiemaximierenden Ansicht argumentieren, dass durch die automatische Änderung der Verweisungsnorm infolge der Änderung des Verweisungsobjekts keine parlamentarische Auseinandersetzung mit den erfolgenden Änderungen stattfinde(n könne), lässt dies außer Betracht, dass zumindest die Tatsache, dass die künftigen Änderungen nicht (gänzlich) absehbar sind, einer Beratung zugänglich ist, sodass zumindest dieser Umstand in den parlamentarischen Willen aufgenommen werden kann. Außerdem beziehen sich die Art. 76 ff. GG und § 78 GO BT (sowie die entsprechenden Landesvorschriften)102 allein auf Gesetzesentwürfe, die durch den Bundestag (bzw. durch die Landtage) zu beschließen sind, sodass Änderungen der entsprechenden Bundesnorm (bzw. Landesnorm), die mittelbar über eine Änderung des Verweisungsobjekts erfolgen, zumindest nach dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften von dem Beratungserfordernis nicht erfasst sind. Da diese Vorschriften das Demokratieprinzip für das Gesetzgebungsverfahren konkretisieren,103 indiziert dies daher, dass durch eine fehlende Beratung von Änderungen der Verweisungsnorm durch die Inkorporation des Verweisungsobjekts kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vorliegt. Ob das Demokratieprinzip auch für derartige Änderungen stets eine Beratung erfordert, lässt sich diesem selbst zumindest nicht eindeutig entnehmen. Da auch umfangreiche tatsächliche Änderungen – wie etwa das gewandelte Verständnis eines unbestimmten Rechtsbegriffs – nicht stets eine Beratung des Gesetzgebers darüber bedürfen, ob die Vorschrift trotz dessen aufrechterhalten werden soll, erscheint für den Fall dynamischer Verweisungen auch aus diesem Blickwinkel eine neue Beratung nicht zwingend geboten. Zugegebenermaßen sind jedoch diese Fälle nicht uneingeschränkt vergleichbar, da die Änderung des Verweisungsobjekts zu einer tatsächlichen rechtlichen Änderung des Inhalts der Verweisungsnorm führt, während bei unbestimmten Rechtsbegriffen lediglich eine geänderte Interpretation der unverändert gebliebenen Vorschrift vorliegt, die durch ein Gericht jederzeit abweichend vorgenommen werden kann. bb) Gesetzgebungsmonopol Entschieden zurückzuweisen ist zudem die Annahme, dass dem Parlament ein Gesetzgebungsmonopol zukommt.104 Zwar ist der Gesetzgeber das einzig unmittelbar demokratisch legitimierte Organ. Jedoch zeigt bereits Art. 80 GG, dass auch andere Organe an der Rechtsetzung beteiligt werden dürfen. Obgleich das Parlament das einzige Organ ist, welchem originär Gesetzgebungsbefugnisse zu102
Vgl. z.B. Art. 71 f. BayLVerf, § 49 ff. BayLTGeschO. Auch wenn man insbesondere hinsichtlich des § 78 GO BT sowie der entsprechenden Landesvorschriften wohl davon ausgehen muss, dass es sich um eine nicht abschließende Konkretisierung handelt. 104 Vgl. auch Brugger, VerwArch 1987, 1 (22); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035). 103
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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kommen, während andere Organe einer Ermächtigung des Parlaments bedürfen, also nur eine abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis besitzen, kann jedoch insoweit nicht von einem Gesetzgebungsmonopol, sondern vielmehr lediglich von einem Gesetzgebungsprimat des Parlaments gesprochen werden. Es ist also nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass der zuständige Gesetzgeber andere Organe an der Rechtsetzung beteiligt. cc) „Regierung“ durch anderes Volk Soweit Vertreter der demokratiemaximierenden Ansicht besonders plakativ formulieren, dass infolge einer dynamischen Fremdverweisung das eigene Volk des Verweisungsnormgebers durch das Volk des Verweisungsobjektgebers „regiert“ werde, ist dem zuzugestehen, dass ein Einfluss einer anderen Staatsgewalt, welche durch ein anderes Staatsvolk legitimiert wird, in der Tat geeignet ist, verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Demokratieprinzips hervorzurufen. Zutreffend wird auch herausgestellt, dass das Bundes- und Landesvolk nicht deckungsgleich sind, sodass eine dynamische Fremdverweisung zwangsläufig dazu führen würde, dass ein zumindest teilweise anderes Staatsvolk (bzw. dessen Repräsentanten) Einfluss auf den Inhalt der Verweisungsnorm nehmen könnte(n). Dies erscheint auf den ersten Blick geeignet, die vom Demokratieprinzip geforderte Identität zwischen Regierenden und Regierten aufzuheben. Abmildernd muss hierbei jedoch beachtet werden, dass der Erlass der Verweisungsnorm durch den zuständigen demokratisch legitimierten Gesetzgeber erfolgt. Der Verweisungsobjektgeber erlangt also nicht etwa aufgrund seiner eigenen Befugnisse einen Einfluss auf das Recht des Verweisungsnormgebers, sondern nur aufgrund einer eigenen Willensentschließung des Verweisungsnormgebers.105 Auch hierbei handelt es sich also um eine abgeleitete Befugnis. Ferner besteht stets die Möglichkeit der Aufhebung der Verweisung, also die Möglichkeit, die Gesetzgebungsbefugnisse wieder an sich zu ziehen.106 Durch die Tatsache, dass der Verweisungsnormgeber selbst die Verweisungsnorm erlässt und die Möglichkeit der Aufhebung derselben hat, kann nicht die Rede davon sein, dass der fremde Hoheitsträger das Volk des Verweisungsnormgebers „regiert“. Zu betonen ist allerdings, dass trotz dieser Abmilderung ein Einfluss eines durch ein anderes Volk legitimierten Hoheitsträgers auf die Rechtsetzung des Verweisungsnormgebers verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft und trotz der Aufhebungsmöglichkeit der Verweisungsnorm zumindest bis zur Umsetzung dieses Vorhabens die Verweisung fortbesteht.107
105
Ähnlich BVerwG, DVBl. 1964, 765 (766), welches hervorhebt, dass das Verweisungsobjekt nur aufgrund der Verweisungsnorm im Zuständigkeitsbereich des Verweisungsnormgebers gilt. 106 Auch wenn dies für sich genommen nicht ausreicht, um die Bedenken gegen dynamische Fremdverweisungen auszuräumen, siehe hierzu unten Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) ee). 107 Siehe dazu unten Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) ee).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
dd) Auslegung als Vorbehalt/Freigabe zugunsten der Landesgesetzgebung Soweit angenommen wird, dass es sich bei Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht um Vorbehalte oder Freilassungen zugunsten des Landesgesetzgebers handeln könne,108 mag zwar eine Auslegung im Einzelfall ergeben, dass der Verweisungsnormgeber dies gewollt hat. Jedoch bedeutet dies nicht, dass er einen solchen Vorbehalt insoweit unproblematisch als Verweisung formulieren darf, da maßgeblich ist, was der Gesetzgeber rechtstechnisch angeordnet hat und nicht, was er anordnen wollte. Mit der Formulierung als Verweisung bedeutete dies nämlich (für den Fall, dass es sich um eine konstitutive Verweisung handelt), dass die Verweisungsnorm die in Bezug genommenen Regelungen des Verweisungsobjekts inkorporiert, sodass sich die Verweisungsproblematik auch dann stellt, wenn der Verweisungsnormgeber in Wahrheit diesen Bereich dem Landesgesetzgeber vorbehalten wollte.109 Ein Vorbehalt bzw. eine Freigabe zugunsten der Landesgesetzgebung ist zwar zweifelsohne zulässig, nur sollte – um die Verweisungsproblematik zu umgehen, die sich bei einer Formulierung als Verweisung mitunter stellt – der Bundesgesetzgeber präzise Formulierungen verwenden, um einen solchen Vorbehalt zu normieren. Hierzu böten sich bspw. die folgenden Formulierungen an: „Die im Übrigen bestehenden landesrechtlichen Regelungen bleiben unberührt“ oder „Die Länder können den Bereich des/der … durch Landesrecht regeln“. Durch diese Formulierungen wäre klargestellt, dass keine konstitutive Verweisung und damit keine Inkorporation in die Bundesnorm erfolgen soll. 2. Rechtsrealistisch vermittelnde Auffassung Inhaltlich konträr zur demokratiemaximierenden Ansicht steht die sog. rechtsrealistisch vermittelnde Auffassung,110 dessen Vertreter dynamische Fremdverweisungen weitgehend für zulässig halten.111 Nach dieser Ansicht kommt es für 108 So Karpen, Verweisung, 183 Fn. 102; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404); Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 48. 109 A.A. wohl Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 48. 110 So bezeichnet bei Brugger, VerwArch 1987, 1 (22); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Ähnlich Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 322; Debus, Verweisungen, S. 219. 111 Brugger, VerwArch 1987, 1 (22 ff.); Clemens, AöR 1986, 63 (100 ff.); Debus, Verweisungen, 232 ff.; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (725 f.); Guckelberger, ZG 2004, 62 (74 ff.) (ablehnend jedoch wohl für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht, vgl. S. 81); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 92; Manssen, Bauvorschriften, 251 ff.; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035 f.); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 f.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 290; Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199) m.w.N. Vgl. auch Nickusch, NJW 1967, 811 (811), der offenbar Verweisungen auf staatliche Normen für gänzlich zulässig hält. Wohl auch Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Schulze, LKV 2009, 547 (549); Wolff, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 15 Rn. 203. Diese Position vertritt auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 322 ff., der seine Ausführungen freilich unter dem Oberpunkt der Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG (allerdings offenbar mit einem vorangestellten, auf
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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die Verfassungsmäßigkeit einer dynamischen Fremdverweisung maßgeblich auf die Wesentlichkeit der betroffenen Materie sowie auf eine etwaige Begrenzung des Entscheidungsspielraums des Verweisungsobjektgebers (bzw. die Strukturiertheit des durch die Verweisung betroffenen Gebiets) an.112 a) Lösungsansatz der rechtsrealistisch vermittelnden Auffassung aa) Spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Wesentlichkeitstheorie als Beurteilungsmaßstab Inwieweit der parlamentarische Gesetzgeber selbst tätig werden müsse, sei insbesondere am Maßstab (spezial)grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte und der Wesentlichkeitstheorie113 zu beurteilen.114 (Spezial)Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte verpflichteten den zuständigen Gesetzgeber, Eingriffe (und deren Ausmaß) in diese Bereiche selbst zu prüfen und zu beschließen.115 Ferner dürfe sich eine dynamische Verweisung nicht auf wesentliche Entscheidungen beziehen.116 Zwar müsse der Gesetzgeber nicht jede Entscheidung selbst treffen;117 er dürfe „aber im Bereich grundrechtlicher Schrankenvorbehalte und sonstiger wesentlicher Entscheidungen keine dynamischen Verweisungen vornehmen, da hierdurch der notwendige enge parlamentarische Verantwortungszusammenhang aufgebrochen“ werde.118 Dies dürfe auch nicht durch eine Verweisung auf einen anderen parlamentarischen Normgeber umgangen werden.119 In diesen Bereidas Demokratieprinzip bezogenen Teil) macht. Für das Verhältnis Bundes- und Landesrecht: Schenke, in: FS Fröhler, 87 (119 ff., 123); Schenke, NJW 1980, 743 (748). 112 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (24 f.); Clemens, AöR 1986, 63 (102 ff.); Guckelberger, ZG 2004, 62 (76 ff.); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 f.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. Brugger verwendet die Strukturiertheit im Sinne eines Oberbegriffs für eine Begrenzung des Entscheidungsspielraums des Verweisungsobjektgebers und sieht andere Begrenzungsaspekte als Kriterien zur Herstellung einer solchen Struktur an. Clemens berücksichtigt die Strukturiertheit hingegen lediglich als ein Kriterium zur Begrenzung des Spielraums des Verweisungsobjektgebers, das neben anderen Begrenzungskriterien steht, vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (109 f.). Generell unterscheiden sich die Ansichten von Vertretern der rechtsrealistischen Ansicht häufig im Detail. Nichtsdestotrotz soll im Folgenden der Versuch einer möglichst einheitlichen Darstellung unternommen werden. 113 Dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 A. II. 1. 114 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); Clemens, AöR 1986, 63 (102 ff.). In diesem Sinne auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (78). 115 Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); Clemens, AöR 1986, 63 (103); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Vgl. auch Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 116 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. Vgl. auch Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 117 Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). 118 Brugger, VerwArch 1987, 1 (24). So auch L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (78). 119 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
chen seien dynamische Verweisungen also grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig.120 Teilweise wird hingegen angenommen, dass auch im Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte und der Wesentlichkeitstheorie dynamische Fremdverweisungen zulässig seien, wenn diese nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sind und der Verweisungsobjektgeber nur eng begrenzte Regulierungsmöglichkeiten hat.121 Vertreter dieses Ansatzes gehen offenbar davon aus, dass durch die Festlegung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verweisung bereits zwangsläufig die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden. bb) Anforderungen an Verweisungen abseits spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte und der Wesentlichkeitstheorie Abseits der Anwendungsbereiche spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte oder der Wesentlichkeitstheorie wird von einer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dynamischer Fremdverweisungen ausgegangen, sofern eine Begrenzung der Entscheidungsfreiheit des Verweisungsobjektgebers besteht.122 Der Verweisungsnormgeber müsse schon beim Beschluss derselben „ausreichend Klarheit auch im Hinblick auf künftige Änderungen des Verweisungsobjekts haben“.123 Maßgeblich sei, dass der Inhalt des Verweisungsobjekts trotz möglicher künftiger Änderungen „im Wesentlichen feststeht“.124 Lediglich „inhaltliche Entscheidungen von zweitrangiger Bedeutung“ dürften dem Verweisungsobjektgeber überlassen werden.125 Mit ähnlichem Inhalt, aber anderer Terminologie wird teilweise formuliert, dass es darauf ankomme, ob dem Verweisungsobjektgeber ein strukturierter oder
120
Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Guckelberger, ZG 2004, 62 (78); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290 f. relativiert dies jedoch offenbar wieder und führt in Rn. 291 wiederum aus, dass aus dem Parlamentsvorbehalt folge, dass „der Gesetzgeber ,Gegenstand, Inhalt, Zweck und Ausmaß‘ der Eingriffe weitgehend selbst definieren“ müsse, sodass er an dieser Stelle wohl davon ausgeht, dass eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzte Verweisung ausreicht. 121 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (103 ff.); Gamber, VBlBW 1983, 197 (198). 122 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (20 ff.); Clemens, AöR 1986, 63 (107); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 f.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. A.A. wohl Manssen, Bauvorschriften, S. 257, welcher zwar inhaltlich eine Begrenzung fordert, auf S. 257 jedoch ausführt, dass eine Begrenzung nicht möglich sei, da der für das Verweisungsobjekt zuständige Gesetzgeber keinen Schranken unterliege. 123 L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Ähnlich Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. Vgl. auch Wolff, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 15 Rn. 203. 124 Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035). Vgl. auch Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). 125 Clemens, AöR 1986, 63 (107).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
67
unstrukturierter Entscheidungsspielraum überlassen werde.126 Maßgeblich sei insoweit, ob der Verweisungsobjektgeber unbegrenzt Regelungen erlassen könne oder der Regelungsbereich so beschaffen sei, dass die Verweisung sich materiell als gebunden darstelle und eine vorhersehbare und angemessene Regelung des Verweisungsobjektgebers erwarten lasse.127 Folgende Kriterien seien hierbei geeignet, eine „beliebige“ Regelung des Verweisungsobjektgebers auszuschließen oder zu begrenzen: (1) Begrenzung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß Zumeist wird seitens der Vertreter der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht gefordert, dass die Verweisung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und auf diese Weise begrenzt sein müsse.128 Es wird also (stillschweigend129 oder ausdrücklich130) an die Kriterien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG angeknüpft. Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass eine über die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG hinausgehende Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen gegen das Demokratieprinzip verstoße, sodass dessen Kriterien auch auf dynamische Verweisungen zu übertragen seien.131 Art. 80 GG regele dem Wortlaut nach zwar nur die Ermächtigung, jedoch ließen sich daraus auch Rückschlüsse für dynamische Verweisungen ziehen, denn trotz formaler Unterschiede werde in beiden Fällen einem anderen Organ die Befugnis eingeräumt, Recht zu setzen bzw. auszugestalten.132 Es könne nicht das, was für eine Ermächtigung unzulässig ist, im Falle einer dynamischen Verweisung erlaubt sein.133 Da der Verweisungsobjektgeber unter Umständen mittelbar Recht höheren Ranges als desjenigen des Verweisungsobjekts selbst schaffen könne,134 erscheine die Verweisung ohnehin noch bedenklicher als eine Ermächtigung zum Erlass einer 126
Brugger, VerwArch 1987, 1 (24 f.); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Brugger, VerwArch 1987, 1 (25); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 128 Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77) m.w.N.; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (119); Schenke, NJW 1980, 743 (748); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Ähnlich Manssen, Bauvorschriften, 256 f. 129 So z.B. Gamber, VBlBW 1983, 197 (198). 130 So z.B. L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). 131 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (77); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102 f., 119); Schenke, NJW 1980, 743 (745); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). 132 Schenke, NJW 1980, 743 (745) (welcher sogar von einer Austauschbarkeit von dynamischer Verweisung und Ermächtigung ausgeht); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102). 133 Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102). 134 Dies ist etwa der Fall, wenn eine dynamische Verweisung „nach unten“ (z.B. von Bundesrecht auf Landesrecht) erfolgt und der Verweisungsobjektgeber infolge der Verweisung mittelbar Recht ausgestalten kann, das in der Normenhierarchie über demjenigen Recht steht, welches er originär, d.h. abseits einer Verweisung, setzen kann. Im Falle einer Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht könnte der Landesgesetzgeber also mittelbar Bundesrecht ausgestalten. Siehe ferner bereits oben unter Kap. 1 § 2 E. III. 6. sowie die dortigen Nachweise. 127
68
§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Rechtsverordnung, was ebenfalls für eine Übertragung der Kriterien des Art. 80 GG spreche.135 (2) Sonstige Begrenzungskriterien (a) Allgemeine Begrenzungskriterien Teilweise werden (stattdessen136 oder zusätzlich137) auch andere Kriterien zur Begrenzung einer dynamischen Fremdverweisung herangezogen. Ein Kriterium sei ein eingeführter rechtlicher oder rechtlich inkorporierter Sprachgebrauch.138 Bei derartiger Begrenzung entspreche eine Verweisung im Wesentlichen der Ausgestaltung eines unbestimmten Rechtsbegriffs.139 Eine Begrenzung könne außerdem ein „[enger] Sachzusammenhang“ von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt bieten.140 Auch durch praktisch-politische und insbesondere finanzielle Erwägungen könne eine Begrenzung gegeben und so die mögliche Regelung abschätzbar sein.141 Eine „beliebige“ Regelung sei ferner ausgeschlossen, wenn ein Regelungsbereich betroffen ist, „der gewohnheits- und richterrechtlich im Kernbereich feste, eventuell sogar verfassungsfeste Strukturen“ aufweise.142 Dies sei insbesondere bei Verweisungen auf Verfahrensordnungen eines fremden Gesetzgebers gegeben.143
135
Vgl. Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102). So etwa Brugger, VerwArch 1987, 1 (28 ff.). 137 So etwa L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 f.). Vgl. auch Clemens, AöR 1986, 63 (102 ff.), welcher in Anwendungsbereichen spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte oder der Wesentlichkeitstheorie eine Begrenzung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß fordert, für andere Regelungsbereiche jedoch auch andere Begrenzungskriterien genügen lassen will. 138 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (28); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324 (unter Berufung auf Brugger); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035 f.); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Ähnlich Clemens, AöR 1986, 63 (108) für die Ausgestaltung eines einzelnen Begriffs. Eine Begrenzung im obigen Sinne sei gegeben, wenn der Begriff in anderen Rechtsbereichen oder gewohnheitsrechtlich hinreichend bestimmt sei, sodass eine mögliche Regelung durch den Verweisungsobjektgeber trotz „formal-offener Rechtsetzungskompetenz“ zumindest „im Kern absehbar“ sei, Brugger, VerwArch 1987, 1 (28). 139 Brugger, VerwArch 1987, 1 (30 f.). 140 Brugger, VerwArch 1987, 1 (32). So auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Denn dann lasse sich abschätzen, ob diese Vorschriften auch für den Geltungsbereich der Verweisungsnorm (sach)angemessene Regelungen beinhalten bzw. weiterhin beinhalten werden, vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (32). 141 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (33); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). In diesem Sinne auch Clemens, AöR 1986, 63 (109 f.). 142 Brugger, VerwArch 1987, 1 (34); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324 (unter Berufung auf Brugger); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). 143 Brugger, VerwArch 1987, 1 (34). 136
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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Allgemeiner wird teilweise ausgeführt, dass eine beliebige Regelung ausgeschlossen sei, wenn das Verweisungsobjekt „einem eng begrenzten und überschaubaren Regelungsbereich oder einem scharf umrissenen Rechtsinstitut mit im Wesentlichen feststehenden Regelungsinhalt [angehört]“.144 Zudem könne sich aus dem „Zusammenhang, in dem das Verweisungsobjekt steht, bzw. aus dessen Regelungsfunktion“ eine hinreichende Begrenzung der Verweisung ergeben.145 Dies sei „insbesondere bei Verweisungen auf paragraphenmäßig bezeichnete Vorschriften einer gesetzlichen Regelung“ gegeben.146 Ein mögliches Kriterium für die Zulässigkeit einer dynamischen Fremdverweisung sei ferner die Normierung der Verweisung als widerlegliche Vermutung, sodass bei Erfüllung der Anforderungen des Verweisungsobjekts widerleglich vermutet wird, dass dem Tatbestand der Verweisungsnorm genügt wurde, dem Rechtsunterworfenen jedoch auch die Erfüllung des Tatbestands der Verweisungsnorm auf andere Weise möglich bleibt.147 Auf diese Weise sei der gesamte Norminhalt der Verweisungsnorm vom Willen des Gesetzgebers umfasst und es erfolge keine Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen.148 (b) Verhältnis von Bundes- und Landesrecht Eine Begrenzung könne sich für eine Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht auch daraus ergeben, dass „das landesrechtliche Verweisungsobjekt der Ausfüllung eines bundesrechtlich vorgezeichneten Rahmens dient, dem Verweisungsobjekt ein inhaltlich bereits ausgeformtes, überkommenes Institut zugrunde liegt, oder aber sich die erforderliche Bestimmtheit in sonstiger Weise aus den einschränkenden Voraussetzungen und thematischen Eingrenzungen ergibt, an welche die Verweisung im Verweisungsgesetz gebunden wird.“149
Teilweise wird auch darauf abgestellt, dass bei Verweisungen im Verhältnis von Bund und Ländern der Inhalt der Verweisungsnorm z.B. im Wesentlichen feststehen könne, wenn sich die Verweisung „auf ein fest umrissenes Rechtsinstitut“ beziehe, „das von Bund und Ländern wesentlich gleich ausgestaltet worden ist“150 oder „der Landesgesetzgeber die weitere Entwicklung des betreffenden Bundesrechts hinreichend abschätzen kann“.151
144 L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Vgl. zu ersterem auch Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 145 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (120). 146 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (120). 147 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 148 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 149 Schenke, NJW 1980, 743 (748 f.); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (120). 150 Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035). 151 Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035) m.w.N.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
(3) Anforderungen hinsichtlich des Maßes der Begrenzung Wenn keine Begrenzung der Verweisung vorliege, sei die Verweisungsnorm grundsätzlich verfassungswidrig.152 Der notwendige Grad an Begrenzung bzw. Bestimmtheit (im Sinne von Inhalt, Zweck und Ausmaß) der Verweisung sei jedoch einzelfallbezogen zu prüfen.153 Eine vollständige Ausschaltung „unvorhersehbarer“ Regelungen sei verfassungsrechtlich nicht geboten.154 Entscheidend sei die Wesentlichkeitstheorie und die Strukturiertheit der betroffenen Sachbereiche.155 Mit geringerer Strukturiertheit des Verweisungsobjekts würden detailliertere Regelungen des Verweisungsnormgebers notwendig.156 Je wesentlicher die von der Verweisung betroffene Entscheidung sei, desto höher müsse auch das Maß an Bestimmtheit (im Sinne von Inhalt, Zweck und Ausmaß) der Verweisung sein.157 Generell nehme jedoch die verfassungsrechtliche Problematik ab, je mehr der Kriterien zur Begrenzung der Entscheidungsfreiheit des Verweisungsobjektgebers erfüllt sind.158 Bei fehlender Wesentlichkeit oder Einschlägigkeit (spezial)grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte seien weniger starke Begrenzungen erforderlich.159 Allgemein dürfe der Spielraum für den Verweisungsobjektgeber für weniger bedeutende Regelungsbereiche weiter sein.160 (4) Ausnahme: Verweisungen im Bereich von Verfahrensregeln Teilweise wird als Ausnahme für Verweisungen im Bereich des Verfahrensrechts angenommen, dass diese keiner der obigen Begrenzungen bedürften.161 Denn das Grundgesetz sehe für das Verfahrensrecht mit Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 101 Abs. 1 S. 2 und 103 Abs. 1 GG bereits „besonders [intensive] verfassungsrechtliche Eingrenzungen“ vor, sodass eine über diese verfassungsrechtlichen Eingrenzungen hinausgehende Begrenzung für Verweisungen in diesem Bereich nicht erforderlich sei.162
152 Clemens, AöR 1986, 63 (110); Schenke, NJW 1980, 743 (749); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (122); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. 153 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (35); Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Schenke, NJW 1980, 743 (748). In diesem Sinne auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (120). 154 Brugger, VerwArch 1987, 1 (35). 155 Brugger, VerwArch 1987, 1 (35). 156 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 157 Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Schenke, NJW 1980, 743 (748); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (120). 158 Brugger, VerwArch 1987, 1 (36). 159 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (35). In diesem Sinne auch Clemens, AöR 1986, 63 (105 ff.). 160 Clemens, AöR 1986, 63 (107 f.). 161 Clemens, AöR 1986, 63 (110). 162 Clemens, AöR 1986, 63 (110 f.).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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(5) Ausnahme: Verweisung im Bereich zulässiger Delegation Ohne eine Begrenzung könnten Verweisungen im Bereich zulässiger Delegation vorgenommen werden, denn soweit das Grundgesetz Delegationen zulasse, brauchten „die allgemeinen Erfordernisse rechtstaatlich-demokratischer Legitimation nicht erfüllt zu sein“ und seien Verweisungen erst recht verfassungsgemäß.163 Der Aspekt zulässiger Delegation legitimiere auch dynamische Verweisungen, da Delegationen, welche naturgemäß erst nachträglich durch den Ermächtigten ausgefüllt und geändert werden, insoweit selbst dynamisch seien.164 Aus der Tatsache, dass das Grundgesetz mit Art. 24 Abs. 1, 71 und 80 GG Delegationen erlaube, könne gefolgert werden, dass insoweit auch Verweisungen verfassungsmäßig seien.165 Soweit sich also eine Verweisung im Rahmen der Art. 24 Abs. 1, Art. 71 oder Art. 80 GG halte und dessen Anforderungen erfülle, sei sie im Hinblick auf eine hinreichende rechtsstaatlich-demokratische Legitimation nicht zu beanstanden.166 (6) Beobachtungspflicht des verweisenden Gesetzgebers Teilweise wird ausgeführt, dass den dynamisch verweisenden Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht für die erlassene Verweisung treffe.167 Denn nur, wenn der Gesetzgeber bemerke, dass eine unerwünschte Regelung durch den Verweisungsobjektgeber geschaffen wurde, könne er auch von seiner Möglichkeit Gebrauch machen, die Verweisung aufzuheben.168
163
Clemens, AöR 1986, 63 (82, 112). Ähnlich Fuss, in: FS Paulick, 293 (299 f.); Hertwig, RdA 1985, 282 (284). Lediglich in wesentlichen Angelegenheiten müssten auch derartige Verweisungen begrenzt sein; abseits dieser Bereiche könne auf die Kriterien zur Begrenzung dynamischer Fremdverweisungen jedoch verzichtet werden, vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (112). 164 Clemens, AöR 1986, 63 (113). 165 Clemens, AöR 1986, 63 (82). 166 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (113 f.), der dies im Hinblick auf Art. 71 GG allerdings nicht abschließend formuliert, sondern mehr als Frage aufwirft, die eine Tendenz in diese Richtung suggeriert. 167 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1036); Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 70 Rn. 16. Vgl. auch Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. Wohl auch Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). Während Cornelius und Ehricke/Blask offenbar davon ausgehen, dass ohnehin eine Beobachtungspflicht des Gesetzgebers für von ihm geschaffene Normen besteht und ihm daher nicht speziell für Verweisungen auferlegt werden müsse, will insbesondere Pabst (und wohl auch Rozek) dem Verweisungsnormgeber speziell vor dem Hintergrund der geschaffenen Verweisung eine Beobachtungspflicht auferlegen. 168 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
(7) Sonderkonstellation: Verhältnis Bundes- und Landesrecht Im Einzelfall könnten Verweisungen zwischen Bundes- und Landesrecht als verfassungskonforme „Kollisionsnorm[en]“ auszulegen sein.169 So könne sich eine Verweisung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung als Freilassung zugunsten des jeweils anderen Gesetzgebers bzw. Hinweis auf dessen Regelungen darstellen.170 Ebenso könnten Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes als verfassungskonforme Ermächtigung der Länder zur Rechtsetzung auszulegen sein.171 b) Argumente der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht Der soeben dargestellte Lösungsansatz der rechtsrealistisch-vermittelnden Ansicht wird von Vertretern derselben mit folgenden Argumenten untermauert: aa) Begrenzung als ausreichende Anforderung Das Erfordernis einer Begrenzung sei für die Vereinbarkeit einer dynamischen Verweisung mit dem Demokratieprinzip notwendig, aber auch ausreichend.172 Bei einer Begrenzung der Verweisung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß sei für den Verweisungsnormgeber der mögliche Inhalt der Verweisungsnorm absehbar und von seinem Willen umfasst, sodass keine Bedenken hinsichtlich des Demokratieprinzips bestünden.173 In diesem Fall lasse sich die gesamte Vorschrift auf den Willen des Volkes zurückführen.174 Der Gesetzgeber nehme bei einer hinreichenden Begrenzung die essentiellen Anordnungen selbst vor und erfülle somit seine gesetzgeberische Verantwortung.175 Folglich könne nicht behauptet werden, dass der Gesetzgeber ein parlamentsloses Parlamentsgesetz beschlossen oder sich seiner Gesetzgebungsbefugnisse entäußert habe.176 Derartige inhaltliche Begrenzungen könnten ferner „demokratisch-[legitimatorische] Defizite“ kompensieren.177 169
Schenke, in: FS Fröhler, 87 (124). Schenke, in: FS Fröhler, 87 (124 f.). 171 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (125). Hiermit spielt Schenke wohl implizit auf die Regelung des Art. 71 GG an. 172 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (76 ff.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. 173 Vgl. Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77); Manssen, Bauvorschriften, 256 f.; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (119); Schenke, NJW 1980, 743 (748); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 f.). 174 Vgl. Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 175 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74. 176 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (76 f.) m.w.N.; Schenke, NJW 1980, 743 (748); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Vgl. auch Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 55. 177 Vgl. L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Ähnlich Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 170
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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Die demokratiemaximierende Ansicht sei hingegen „rechtsformal“ und Vertreter derselben neigten dazu, stets eine beliebige Regulierungsmöglichkeit und eine fehlende demokratische Legitimation des Verweisungsobjektgebers anzunehmen.178 Sie übersähen dagegen, dass es mit einer Begrenzung möglich sei, eine beliebige Regelung durch den Verweisungsobjektgeber auszuschließen, sodass im Einzelfall auch eine schwächere demokratische Legitimation ausreiche.179 bb) Angemessener Ausgleich zwischen Demokratie und Entlastung des Gesetzgebers Die rechtsrealistisch vermittelnde Ansicht achte „die Anforderungen an die parlamentarische Letztentscheidung“, aber überspanne diese nicht.180 Sie maximiere den Demokratiegedanken nicht, sondern stelle ein optimales Verhältnis von Demokratie (und Rechtsstaat), Gesetzesökonomie, Entlastung des Gesetzgebers und Einbeziehung externen Sachverstands her.181 Die Wesentlichkeitstheorie beinhalte nicht nur einen Maßstab zur Beurteilung, wann eine parlamentarische Entscheidungspflicht bestehe, sondern diene auch zur Entlastung des Gesetzgebers.182 Dementsprechend müsse das Parlament die gesetzlichen Regelungen nur konturieren und nicht stets detailliert selbst ausgestalten, soweit keine wesentliche Regelung vorliege.183 Den Anforderungen an die Rechtsetzung sei materiell genügt, wenn der Gesetzgeber in einem strukturierten Bereich die wesentlichen Regelungen selbst festgelegt hat.184 Trotz des formalen Vorliegens einer dynamischen Fremdverweisung sei dann materiell nur eine „programmierte Rechtsanwendung“185 bzw. „Umsetzung“186 durch den Verweisungsobjektgeber gegeben. Durch die rechtsrealistische Ansicht lasse sich zudem prüfen, inwieweit Regelungen fremder Rechtsetzungsorgane bereits sachangemessene Regelungen bereithalten und werde ggf. deren Einbeziehung ermöglicht.187 cc) Möglichkeit der nachträglichen Korrektur Ferner habe der Gesetzgeber stets die Möglichkeit zur Aufhebung der Verweisung und Schaffung einer eigenen Regelung, sollte es doch einmal zu einer unerwünschten Regelung des bezogenen Normgebers kommen.188 Durch diese Kor178 Brugger, VerwArch 1987, 1 (22 Fn. 101, 27). Vgl. auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 322. 179 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (22 Fn. 101). 180 Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1036); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). 181 Brugger, VerwArch 1987, 1 (26); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 182 Brugger, VerwArch 1987, 1 (26); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 183 Brugger, VerwArch 1987, 1 (26). 184 Brugger, VerwArch 1987, 1 (27); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 185 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 323. 186 Brugger, VerwArch 1987, 1 (27). 187 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (28). 188 Brugger, VerwArch 1987, 1 (37) m.w.N.; Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324 m.w.N.; Debus, Verweisungen, S. 227 m.w.N.; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
rekturmöglichkeit sei das „legitimatorische Manko“ dynamischer Fremdverweisungen erheblich abgeschwächt.189 dd) Praktikabilitätserwägungen Die Verwendung dynamischer Verweisungen sei auch „den Erfordernissen der Praktikabilität“ geschuldet; diese Gesetzgebungstechnik sei jedoch grundsätzlich mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip vereinbar, da durch die Verweisung lediglich eine Abkürzung der Verweisungsnorm stattfinde und ein „Verbot der Zitierung anderer Normen“ aus dem Demokratieprinzip nicht folge.190 Zudem müsste infolge einer Verfassungswidrigkeit dynamischer Fremdverweisungen eine über viele Jahre geübte Gesetzgebungspraxis aufgegeben und die betroffenen Bereiche sämtlich neu reguliert werden.191 Der Gesetzgeber müsste seine Gesetzgebungspraxis erheblich umstellen, wenn man dynamische Fremdverweisungen als verfassungswidrig beurteilte,192 was den Umfang von Gesetzen und Gesetzgebungsmaterialien deutlich erhöhen würde.193 Außerdem bedürfte es einer weitreichenden Parallelgesetzgebung, wenn man den Einklang von Regelungen verschiedener Gesetzgeber weiterhin aufrechterhalten wollte.194 Dies bewirke eine unnötige Belastung des Gesetzgebers.195 ee) Verweisung auf formelle Gesetze Für die Zulässigkeit einer Verweisung spreche es auch, wenn die Verweisung zusätzlich zu einer Begrenzung auf ein Verweisungsobjekt erfolgt, bei dem es sich um ein formelles Gesetz handelt und welches „damit als solches zusätzlich eine unmittelbare demokratische Legitimation besitzt.“196 c) Kritische Beurteilung Auch die rechtsrealistisch vermittelnde Ansicht enthält einige (zumindest teilweise) zutreffende Argumente und Gesichtspunkte, kann jedoch letztendlich nicht vollständig überzeugen.
189
Debus, Verweisungen, S. 227 m.w.N. Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 191 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 228 f. m.w.N. Debus räumt allerdings ein, dass sich aus der Üblichkeit oder Zweckmäßigkeit der Verweisungstechnik allein nicht deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit ergebe. 192 Baden, NJW 1979, 623 (625); Clemens, AöR 1986, 63 (125). 193 Baden, NJW 1979, 623 (625) m.w.N. 194 Vgl. Baden, NJW 1979, 623 (625); Debus, Verweisungen, S. 228 m.w.N.; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (121). 195 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (121). 196 Vgl. Schenke, in: FS Fröhler, 87 (119 f.). 190
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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aa) Wesentlichkeitstheorie/spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte Zutreffend geht die rechtsrealistisch vermittelnde Ansicht zunächst davon aus, dass dynamische Fremdverweisungen in wesentlichen Angelegenheiten und im Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte unzulässig sind. Denn in diesen Bereichen verlangt das (Rechtsstaats- und) Demokratieprinzip eine eigene inhaltliche Entscheidung des zuständigen Gesetzgebers.197 Insoweit darf dieser sich seiner Entscheidungsgewalt nicht dadurch entäußern, dass er per dynamischer Verweisung einem anderen Normgeber Rechtsetzungsmacht in Form der Möglichkeit der Ausgestaltung der entsprechenden Verweisungsnorm überträgt und damit einen Teil der zu treffenden inhaltlichen Entscheidung anderen Normsetzern überlässt. Der infolge der Wesentlichkeit der Angelegenheit bestehende bzw. durch spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte angeordnete Parlamentsvorbehalt bezieht sich zudem auf das für die Regelung der Rechtsmaterie originär zuständige Parlament, sodass die Entscheidungsbefugnis auch nicht auf andere parlamentarische Organe übertragen werden kann, sondern der bestehende Parlamentsvorbehalt den Gesetzgeber zur (vollständig) selbstständigen Normierung verpflichtet.198 Dieses Übertragungsverbot gilt nicht nur für die Normierung von Inhalt, Zweck und Ausmaß, also einer konturierten Vorgabe der zu treffenden Regelung, sondern muss für den vollständigen Inhalt der jeweiligen Regelung gelten.199 Denn soweit sich detaillierte Regelungen angesichts ihrer Bedeutung als wesentlich erweisen, muss der zuständige Gesetzgeber auch diese ausgestalten und genügt es nicht, lediglich die Umrisse der zu treffenden Regelungen festzulegen. Gleiches gilt im Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte, soweit sich die zu treffenden Regelungen noch als maßgeblich für die Grundrechtsausübung erweisen. Zutreffend führen die Vertreter der rechtsrealistischen Ansicht daher aus, dass spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte den zuständigen Gesetzgeber verpflichten, Eingriffe in diese Bereiche und deren Ausmaß selbst zu prüfen und zu beschließen.200 Im Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte und für wesentliche Angelegenheiten (auch wenn diese in der Regel eine deutliche Schnittmenge aufweisen) verbietet das Demokratieprinzip folglich dynamische Fremdverweisungen vollständig und der Gesetzgeber darf sich unabhängig davon, wer Normsetzer der externen Regelungen des Verweisungsobjekts ist, nicht seiner Rechtsetzungsmacht durch eine solche Verweisung entäußern.
197
Siehe oben unter Kap. 2 § 1 A. II. In diesem Sinne auch BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385. 199 Vgl. auch Debus, Verweisungen, S. 284; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 278. In diesem Sinne auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 120 m.w.N. 200 Brugger, VerwArch 1987, 1 (24); Clemens, AöR 1986, 63 (103); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Vgl. auch Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 198
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
bb) „Begrenzung“ der Verweisung (1) Möglichkeiten einer Begrenzung Soweit abseits spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte und der Wesentlichkeitstheorie seitens der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht angenommen wird, dass eine Begrenzung der Verweisung erfolgen müsse, um eine „beliebige“ Regelung des Verweisungsobjektgebers zu verhindern, ist zunächst herauszustellen, dass eine „Begrenzung“ der Entscheidungsfreiheit des Verweisungsobjektgebers häufig nicht möglich ist. Denn regelmäßig erfolgen dynamische Verweisungen auf Regelungen, für welche der Verweisungsobjektgeber eine eigene (ausschließliche) Kompetenz besitzt. Dies liegt bereits in der Natur der Sache, da der Verweisungsobjektgeber ohne eine eigene Kompetenz seine Regelung nicht hätte erlassen dürfen. Steht dem Verweisungsobjektgeber aber eine eigene Kompetenz zu und ist er nicht erst zur Rechtsetzung ermächtigt worden, unterliegt er nicht den Weisungen des Verweisungsnormgebers und ist daher auch nicht verpflichtet, sich an etwaige „Begrenzungen“ zu halten.201 So steht den Ländern gegenüber dem Bund kein Weisungsrecht zu und auch der Bund besitzt gegenüber den Ländern in deren ausschließlichen Kompetenzbereichen keine Weisungsbefugnis oder vorrangige Rechtsetzungskompetenz, sodass der Verweisungsnormgeber dem Verweisungsobjektgeber insoweit keine Vorgaben zu seiner Rechtsetzung machen kann.202 Dementsprechend kann von einer „Begrenzung“ der Entscheidungsfreiheit des Verweisungsobjektgebers nicht die Rede sein.203 Allenfalls möglich erscheint es, die Verweisung selbst insoweit zu limitieren, dass eine Übernahme nicht mehr erfolgt, wenn der Verweisungsrahmen überschritten wird.204 Wenn bspw. ein fiktives bayerisches Landesgesetz lauten würde: „Der Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer für Erwerbsvorgänge, die sich auf im Land Bayern gelegene Grundstücke beziehen, richtet sich nach § 1 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer, beträgt jedoch höchstens 7,0 vom Hundert.“205, würde sich der Steuersatz nur so lange nach den in Bezug genommenen Vorschriften richten, wie der nordrhein-westfälische Steuersatz sieben Prozent nicht übersteigt und würde im Falle des Überschreitens dieser Schwelle genau sieben Prozent betragen. Damit wäre nicht etwa die Entscheidungsfreiheit des Verweisungsobjekt-
201
Ähnlich Manssen, Bauvorschriften, S. 257. Vgl. im Ansatz auch BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385. 202 Ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (78, 81); Manssen, Bauvorschriften, S. 257. 203 Ähnlich Manssen, Bauvorschriften, S. 257. 204 Der Unterschied zwischen Begrenzung durch die Verweisungsnorm selbst (wenn auch in unterschiedlichen Formen) und durch anderweitige vermeintliche Bindungen des Verweisungsobjektgebers wird herausgearbeitet bei Clemens, AöR 1986, 63 (108 ff.). 205 Die Regelung ist in Teilen des Wortlauts an § 1 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer angelegt, welcher jedoch keine Verweisung vorsieht, sondern einen Steuersatz von 6,5 % festlegt.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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gebers (also des Landesgesetzgebers Nordrhein-Westfalens) begrenzt, denn dieser könnte nach wie vor nach seinem Belieben auch einen höheren Steuersatz festlegen, sondern die Verweisung selbst limitiert. Zutreffender als mit dem Wort „Begrenzung“ ließe sich dies mit dem Begriff „Übernahmelimitierung“ beschreiben. Denn kraft der Verweisungsnorm würde die Rezeption des Verweisungsobjekts automatisch stoppen, wenn der Verweisungsrahmen überschritten ist. Sofern man also davon ausgeht, dass eine Begrenzung der Verweisung möglich ist, kann diese nur in der Verweisungsnorm selbst im Hinblick auf eine nur eingeschränkte Übernahme der (häufig nicht begrenzbaren) Regelungen des Verweisungsobjektgebers erfolgen. (2) Auszuschließende Begrenzungskriterien Die im Übrigen von Vertretern der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht vorgetragenen Kriterien zur Begrenzung einer Verweisung weisen hingegen erhebliche Schwächen auf. Soweit vorgebracht wird, dass ein mögliches Begrenzungskriterium ein eingeführter rechtlicher oder rechtlich inkorporierter Sprachgebrauch sei, ist dem entgegenzuhalten, dass eine derzeit übliche Begrifflichkeit, die einem einheitlichen (Rechts-)Verständnis unterliegt, keine Garantie enthält, dass zukünftig ein ebensolches Verständnis zugrunde gelegt werden wird. Keinesfalls kann insoweit davon ausgegangen werden, dass der Inhalt des Verweisungsobjekts (und damit der Inhalt der Verweisungsnorm) im Wesentlichen feststeht. Ein anschauliches Beispiel ist insoweit der Begriff der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG. Lag diesem Begriff über Jahrzehnte – oder gar schon vor dem Bestehen des Grundgesetzes über Jahrhunderte – ein dahingehendes Verständnis zugrunde, dass es sich dabei um eine Partnerschaft zwischen einem Mann und einer Frau handelt, besteht mittlerweile in der Rechtswissenschaft ein Streit darüber, ob nicht auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften unter den Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG fallen können.206 Hinsichtlich der Kriterien eines engen Sachzusammenhangs von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt sowie praktisch-politischer und finanzieller Erwägungen, die die möglichen Regelungen abschätzbar machen sollen, ist festzuhalten, dass diese Kriterien zwar für den Regelfall einer allenfalls geringfügigen Änderung des Verweisungsobjekts zutreffen mögen. Jedoch ist auch insoweit nicht auszuschließen, dass sich die Einstellung des Verweisungsobjektgeber zu einer Thematik grundlegend ändert, sodass das Verweisungsobjekt deutlich von der Vorstellung des Verweisungsnormgebers abweicht und dementsprechend keine Regelung mit im Wesentlichen feststehenden Inhalt mehr vorliegt.207 Es handelt sich bei diesen Kriterien sämtlich um Mutmaßungen einer fortbestehen206 Bejahend z.B. Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 252; verneinend z.B. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 824. 207 Vgl. auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (79).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
den Einschätzung des Verweisungsobjektgebers. Sie enthalten mit dem im wesentlichen unveränderten Fortbestehen der Regelungen des Verweisungsobjektgebers eine Annahme, die zwar für den Regelfall zutreffen mag, aber gerade für den Fall, den sie verhindern sollen – nämlich eine beliebige Regelung des Verweisungsobjektgebers – keinerlei Sicherungen parat hält, sodass diese Kriterien zur „Begrenzung“ von Verweisungen gänzlich ungeeignet sind. Ein anschauliches Beispiel, dass praktisch-politische und finanzielle Erwägungen keine Begrenzung bzw. hinreichende Abschätzbarkeit der betreffenden Regelungen gewährleisten können, ist der beschleunigte Atomausstieg im Jahr 2011, welcher aufgrund einer veränderten politischen Einstellung infolge der Reaktorkatastrophe von Fukushima zu vorzeitigen Abschaltungen von Atomkraftwerken und infolgedessen zu erheblichen Entschädigungszahlungen zugunsten der Betreiber führte.208 Ebenso unzutreffend ist auch die Annahme, dass eine beliebige Regelung ausgeschlossen ist, wenn das Verweisungsobjekt „einem eng begrenzten und überschaubaren Regelungsbereich oder einem scharf umrissenen Rechtsinstitut mit im Wesentlichen feststehenden Regelungsinhalt [angehört]“.209 Denn selbst wenn ein Rechtsbereich über eine bedeutende Zeit einen im Kern feststehenden Inhalt hatte, bedeutet dies nicht, dass dieser Bereich nicht zukünftig erhebliche Änderungen erfahren kann.210 Als Beispiel sei hier die Schuldrechtsreform aus dem Jahr 2002 genannt211, die zu massiven Änderungen dieses Rechtsbereichs führte. Gleiches gilt auch für die speziell für das Bund-Länder-Verhältnis vertretenen Kriterien, dass eine Verweisung begrenzt sei, wenn sie sich auf ein fest umrissenes Rechtsinstitut beziehe, das von Bund und Ländern im Wesentlichen gleich ausgestaltet sei oder wenn der Landesgesetzgeber die Entwicklung des Bundesrechts hinreichend abschätzen kann. Denn auch bei letzterem Gesichtspunkt handelt es sich lediglich um eine Prognose, die – wie die oben angeführten Beispiele belegen – fehlgehen kann. Bei einem gleich ausgestalteten Rechtsinstitut handelt es sich zudem um eine Momentaufnahme, die keine Aussage darüber enthält, ob dieser Zustand in der Zukunft fortbesteht. Insoweit kann also keine Rede davon sein, dass derartige Prognosen oder Momentaufnahmen eine Begrenzung verbürgen können.
208
Die Entschädigungszahlungen des Bundes an die Energiekonzerne belaufen sich auf ca. 2,428 Milliarden Euro. Zuvor hatte das BVerfG bereits eine Pflicht zur Leistung von Ausgleichszahlungen festgestellt. Siehe zum Ganzen www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteil ungen/2021/03/20210305-bundesregierung-und-energieversorger-verstaendigen-sich-auf-fin anziellen-ausgleich-und-beilegung-aller-rechtsstreitigkeiten-zum-atomausstieg.html (zul. abger. am 02.07.2023). 209 Diese Annahme vertretend L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Vgl. zu ersterem auch Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199) (anhand einer Verweisung von Landesrecht auf das BGB). 210 Guckelberger, ZG 2004, 62 (79). 211 Dieses Beispiel auch bei Guckelberger, ZG 2004, 62 (79) und Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1034 ff.), welcher hieraus allerdings nicht folgert, dass ein Rechtsbereich nicht im Wesentlichen feststehen könne.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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Schließlich weist insbesondere eine paragraphenmäßige Bezeichnung für sich genommen keinerlei inhaltliche Begrenzungsfunktion auf. Zwar verhindert eine solche Bezeichnung, dass andere Regelungen als die ausdrücklich in Bezug genommenen Paragraphen Teil der Verweisungsnorm werden. Jedoch sichert dies in keiner Form gegen inhaltliche Änderungen innerhalb dieser Paragraphen ab und auch diese können schon allein durch die Einfügung oder Streichung von Absätzen erheblichen Veränderungen unterliegen. (3) Ausgestaltung als widerlegliche Vermutung Die überdies angeführte Möglichkeit, eine Verweisung als widerlegliche Vermutung auszugestalten, kann zwar insoweit überzeugen, als dass bei einer unerwünschten Regelung des Verweisungsobjektgebers die Möglichkeit verbliebe, den Anforderungen der Verweisungsnorm auf andere Weise zu genügen, sodass denen durch den Verweisungsobjektgeber getroffenen Regelungen kein abschließender Einfluss zukommen würde.212 Jedoch handelte es sich hierbei nicht mehr um eine Verweisung im eigentlichen (konstitutiven) Sinne, da das Verweisungsobjekt nicht abschließender Teil der Verweisungsnorm wird, sondern lediglich über eine widerlegliche Vermutung einbezogen wird.213 Ungeachtet der Frage, ob die Ausgestaltung einer Verweisung als widerlegliche Vermutung eine Alternative zu einer abschließenden (konstitutiven) dynamischen Fremdverweisung sein kann, kann diese Konstruktion jedoch die eigentliche Verweisungsproblematik nicht lösen, sondern nur umgehen. (4) Spezielle Begrenzungsmöglichkeiten im Bund-Länder-Verhältnis Nur im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung i.S.d. Art. 72 Abs. 1 GG oder im Falle einer Ermächtigung der Länder durch den Bund im Bereich seiner ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz i.S.d. Art. 71 GG erschiene es möglich, dass der Bund die Gesetzgebung der Länder begrenzen kann.214 Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung nur, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Dementsprechend könnte der Bund durch eine gezielte Freilassung bestimmter Bereiche zumindest eingrenzen, welche Regelungen die Länder überhaupt treffen können. Im Falle einer Ermächtigung nach Art. 71 GG könnte der Bund dem Land jedoch Vorgaben zur Gesetzgebung machen. Denn Art. 71 GG sieht vor, dass den Ländern in diesem Fall eine Gesetzgebungsbefugnis nur zukommt, „wenn und soweit“ sie durch ein Bundesgesetz hierzu ermächtigt werden. Dies zeigt deutlich, 212
Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). Vgl. auch Debus, Verweisungen, S. 81 m.w.N. zur normkonkretisierenden Verweisung. 214 So im Ergebnis wohl auch BVerwGE 102, 39 (41), freilich ohne explizite Nennung dieser Vorschriften; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.09.1999 – 2 S 1558/99, jurisRn. 7. 213
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dass der Bund auch inhaltliche Einschränkungen aussprechen kann, was auch der Interessenlage entspricht, da es sich hierbei um eine eigentlich ausschließliche Kompetenz des Bundes handelt, sodass Vorgaben zur Rechtsetzung aus dem Blickwinkel der Länder günstiger sind als die vollständige Gesetzgebung durch den Bund. Nur für diese Fälle kann also der Bund die Ausgestaltung des Verweisungsobjekts durch die Länder begrenzen. Im umgekehrten Verhältnis existiert eine solche Möglichkeit allerdings nicht, da die einzelnen Länder dem Bund keineswegs Vorgaben zur Bundesgesetzgebung über eine Verweisungsnorm machen können und eine Ermächtigung des Bundes durch die Länder im Grundgesetz nicht vorgesehen ist.215 cc) Maß der Begrenzung Der Annahme, dass eine Verweisung je nach Wesentlichkeit der Materie und der Einschlägigkeit spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte ein höheres Maß an Begrenzungen erfordere, kann insoweit nicht zugestimmt werden, als dass (wie bereits festgestellt) dynamische Fremdverweisungen für wesentliche Angelegenheiten oder im Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte gänzlich unzulässig sind. Soweit allerdings kein solcher Parlamentsvorbehalt für durch den Gesetzgeber vorzunehmende Regelungen besteht, lässt sich der grundsätzliche Gedanke jedoch durchaus übertragen: Wenn man annähme, dass eine dynamische Fremdverweisung nicht prinzipiell unzulässig ist, würde eine solche jedenfalls weniger strengen Bindungen unterliegen, je unwesentlicher die Materie ist und je weniger sie Grundrechte tangiert. dd) Ausnahmen Nicht überzeugen können ferner die teilweise vertretenen Ausnahmen, bei denen keine Begrenzung der Verweisung erforderlich sei. (1) Ausnahme für Verfahrensregelungen Soweit für Verfahrensregelungen vertreten wird, dass das Grundgesetz selbst in diesem Bereich Eingrenzungen vorhält, die eine mögliche Regelung abschätzbar machen, bleibt bereits unklar, wie diese Erwägungen das zugrunde liegende Problem lösen sollen, dass ein fremder Normgeber Einfluss auf die Rechtsetzung des Verweisungsnormgebers erhält und diese ohne eine Begrenzung in der Verweisungsnorm nahezu beliebig ausgestalten könnte. Ferner enthält der angeführte grundgesetzliche Rahmen der Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 101 Abs. 1 S. 2 und 103 Abs. 1 GG nur grobe Konturierungen innerhalb dessen vielfältige Regelungen denkbar sind, sodass die Annahme, der Verweisungsobjektgeber dürfe innerhalb 215
Siehe zu Ersterem bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) bb) (1) und vgl. zu Letzterem Baden, NJW 1979, 623 (626); Sachs, NJW 1981, 1651 (1652).
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dieser Grenzen nahezu beliebig auf die Rechtsetzung des Verweisungsnormgebers im Bereich des Verfahrensrechts Einfluss nehmen, verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft. (2) Ausnahme im Bereich zulässiger Delegation Plausibler erscheint es hingegen auf den ersten Blick, einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip im Bereich zulässiger Delegation (z.B. gem. Art. 71 oder 80 GG) mit der Begründung abzulehnen, dass das Grundgesetz in diesem Bereich selbst eine Übertragung von Rechtsetzungsmacht zulasse, sodass auch dynamische Verweisungen auf diese Regelungen zulässig sein müssten.216 Hinsichtlich der grundsätzlichen Übertragung von Rechtsetzungsmacht besticht diese Argumentation, denn es ist in der Tat kein Grund erkennbar, warum es einerseits zulässig sein sollte, die eigene Rechtsetzungbefugnis zu delegieren, aber eine dynamische Verweisung auf diese Regelungen eine unzulässige Übertragung von Rechtsetzungsmacht darstellen soll. Allerdings lässt eine solche Argumentation einen entscheidenden Gesichtspunkt unberücksichtigt: Die Frage, ob der Gesetzgeber seine Rechtsetzungsbefugnis übertragen darf, ist nicht identisch mit der Frage, in welcher Form er diese Übertragung vollziehen darf. Denn bei Ermächtigungen nach Art. 71 und 80 GG schafft der Bundesgesetzgeber nur die Befugnis, Recht im Rang unterhalb des Bundesrechts zu schaffen, nämlich im Fall des Art. 71 GG Landesrecht und im Fall des Art. 80 GG eine Rechtsverordnung, die im Rang unter formellen Bundesgesetzen steht. Im Falle einer dynamischen Fremdverweisung würden hingegen die in Bezug genommenen Inhalte des Verweisungsobjekts in das Bundesrecht inkorporiert und stellten im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm Bundesrecht dar. Durch eine dynamische Verweisung würde dem Verweisungsobjektgeber also ermöglicht, Recht in einem höheren Rang zu schaffen als die von ihm originär erlassenen Regelungen. Damit würde dem Verweisungsobjektgeber eine weitergehende Rechtsetzungsbefugnis übertragen als im Falle „bloßer“ Delegation. Der Annahme, dass Verweisungen im Bereich zulässiger Delegation erst recht zulässig seien, kann also nicht zugestimmt werden. (3) Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz von Verweisungsnormgeber und Verweisungsobjektgeber Hertwig trägt ferner vor, dass eine dynamische Fremdverweisung verfassungsrechtlich zulässig sei, wenn der Verweisungsobjektgeber in diesem Bereich ohnehin eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz besitzt.217 Zwar erscheint dies auf den ersten Blick plausibel, da der Verweisungsobjektgeber bei einer feh-
216 In diesem Sinne Clemens, AöR 1986, 63 (82, 112). Ähnlich Fuss, in: FS Paulick, 293 (299 f.); Hertwig, RdA 1985, 282 (284). 217 Hertwig, RdA 1985, 282 (284).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
lenden Regelung des Verweisungsnormgebers sogar selbst (d.h. ohne eine Verweisung oder Ermächtigung durch den Verweisungsnormgeber) normativ tätig werden dürfte. Wenn der Bund als Verweisungsnormgeber allerdings seine eigene Rechtsetzungsbefugnis durch eine Verweisung wahrnehmen – also nicht etwa den Ländern überlassen – will, stellt sich erneut das obige Problem der Inkorporation des Verweisungsobjekts, welches dazu führen könnte, dass der Verweisungsobjektgeber Recht in einem höheren Rang schaffen könnte, als ihm originär zusteht. Ferner beantwortet ein solcher Ansatz auch nicht die Frage, ob eine hinreichende demokratische Legitimation des Verweisungsobjektgebers auch gegenüber dem Volk des Verweisungsnormgebers besteht. Dies bleibt vielmehr gänzlich außer Betracht. (4) Ausschließliche Kompetenz des Verweisungsobjektgebers Soweit ferner argumentiert wird, dass eine dynamische Verweisung stets verfassungsrechtlich zulässig sei, wenn nur dem Verweisungsobjektgeber in diesem Bereich eine Gesetzgebungskompetenz zusteht,218 überzeugt dies ebenfalls nicht. Denn eine solche Sichtweise würde übersehen, dass es zum einen anwendungsbereichserweiternde dynamische Fremdverweisungen geben kann,219 die Regelungen aus dem ausschließlichen Kompetenzbereich des Verweisungsobjektgebers auch auf andere Sachverhalte für anwendbar erklären, sodass das Argument der ausschließlichen Kompetenz insoweit nicht durchgreift. Zum anderen dürfte der Verweisungsnormgeber bereits gar keine Regelung – und damit auch keine dynamische Verweisung – auf diesem Gebiet erlassen, wenn der Verweisungsobjektgeber in diesem Bereich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz besitzt, sodass sich dort die Verweisungsproblematik naturgemäß nicht stellen kann bzw. muss, da diese Verweisungsnorm ohnehin mangels Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig wäre.220 Allenfalls könnte es sich hierbei um eine deklaratorische Verweisung handeln, die keine eigene Regelung trifft, sondern lediglich auf die andernorts bestehenden Regelungen hinweist. Allerdings sagt auch dies nichts über die Zulässigkeit der hier allein interessanten konstitutiven dynamischen Fremdverweisungen aus. ee) Nachträgliche Korrektur/Beobachtungspflicht Auch die nachträgliche Korrekturmöglichkeit des Verweisungsnormgebers durch die Aufhebung der Verweisung kann die verfassungsrechtlichen Bedenken (allein) nicht ausräumen. Zwar könnte dadurch im Einzelfall eine unerwünschte Regelung korrigiert werden. Zumindest für die Zeit, in welcher die Verweisung besteht, ist diese jedoch infolge der automatischen Übernahme von Änderungen
218
So Hertwig, RdA 1985, 282 (284). Dies erkennt auch Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 48 Fn. 183. 220 Ähnlich Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 48 Fn. 183. 219
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des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm geeignet, unerwünschten Regelungen sofort Geltung zu verleihen und durch diese Rechtswirkung zu Folgen zu führen, die im Nachhinein nicht stets ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könnten.221 Zumindest für diese Übergangszeit wäre die Verweisungsnorm also den inhaltlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten des Verweisungsobjektgebers anheimgegeben.222 Eine Aufhebung der Verweisung könnte demgegenüber – selbst wenn der Verweisungsnormgeber die anstehenden Änderungen des Verweisungsobjekts rechtzeitig erkennt – regelmäßig erst erfolgen, wenn die Änderung des Verweisungsobjekts bereits geschehen ist und durch mitunter langwierige parlamentarische Prozesse eine erhebliche Übergangszeit mit fortbestehenden unerwünschten Änderungen zur Folge haben.223 Zudem besteht bei der Korrektur in Form der Aufhebung der Verweisung gegenüber „normalen“ Gesetzesänderungen die Besonderheit, dass sich eine Mehrheit dafür finden müsste, mit der Aufhebung der Verweisung die fortlaufende Änderung der Verweisungsnorm zu verhindern, während sich abseits von Verweisungen stets eine Mehrheit dafür finden muss, Änderungen der Norm erst eintreten zu lassen.224 Dies ergibt sich daraus, dass eine dynamische Verweisung einen Änderungsautomatismus infolge der Übernahme der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts generiert, welcher nach dem Inkrafttreten der Verweisungsnorm keines weiteren Mehrheitsbeschlusses des Parlaments bedarf.225 Im Unterschied zu statischen Verweisungen oder verweisungsfreien Gesetzen muss also eine Mehrheit des Parlaments einem Gesetz zustimmen, diesen Änderungsautomatismus durch die Änderung oder Aufhebung der Verweisungsnorm zu stoppen, während abeits dynamischer Verweisungen stets eine Mehrheit dafür erforderlich ist, Veränderungen erst eintreten zu lassen und sogar bei Stimmengleichheit keine Änderung der Gesetzeslage erfolgt.226 Gerade im Fall kontroverser Regelungen, bei welchen das Erreichen einer Mehrheit nicht unproblematisch ist, bergen dynamische Verweisungen also die Gefahr, dass der Änderungsautomatismus dem Parlament entgleitet.227 Dies erschwert zusätzlich eine mögliche Korrektur von ungewollten Änderungen der Verweisungsnorm. Folglich entfallen die Bedenken hinsichtlich des Demokratieprinzips nicht bereits durch eine spätere Korrekturmöglichkeit.228 221
Vgl. Fuss, in: FS Paulick, 293 (297) (so für den Gewaltenteilungsgrundsatz); Guckelberger, ZG 2004, 62 (76) m.w.N.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). 222 Ähnlich Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 45; Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, 187 Fn. 78; Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102, 123 f.). 223 Vgl. auch Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 45 f. 224 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668 f.). 225 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 1 § 2 B. III. und Kap. 1 § 2 D. I. 226 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668 f.). 227 Vgl. auch VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668 f.). 228 So auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, 324 f.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Vgl. auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (76) m.w.N.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Auch die Auferlegung einer Beobachtungspflicht für den Verweisungsnormgeber ändert hieran nichts. So mag zwar die Argumentation, dass der Verweisungsnormgeber auf unerwünschte Veränderungen des Verweisungsobjekts nur reagieren kann, wenn er diese bemerkt,229 insoweit schlüssig sein, dass seine Korrekturmöglichkeit in Form der Aufhebung der Verweisung ansonsten leerliefe. Jedoch ist bereits unklar, wie eine solche Beobachtungspflicht praktisch umgesetzt werden soll.230 Denn es fehlt in der diesbezüglichen Literatur bereits an einer Klarstellung, wie eine derartige Pflicht im Einzelnen ausgestaltet sein soll, wie dieser Pflicht nachgekommen werden soll und wen genau diese Pflicht treffen soll. Denn weder ein einzelner Abgeordneter noch die jeweiligen Ausschüsse, noch das Parlament in Gänze könnten einer solchen Beobachtungspflicht nachkommen. Selbst die über ihre Fachbereiche informierten Ausschüsse könnten unmöglich jede Verweisungsnorm und jedes Verweisungsobjekt derart häufig und regelmäßig überprüfen, dass sie stets über erfolgende Änderungen von Verweisungsobjekten informiert sind, bevor sich diese Änderungen auf die Verweisungen auswirken. Würde man dennoch davon ausgehen, dass die Ausschüsse des jeweiligen Parlaments Adressaten einer solchen Beobachtungspflicht sind, könnte sich die Arbeit der Ausschüsse angesichts der Anzahl der in der deutschen Gesetzgebungspraxis verwendeten Verweisungen nur noch darauf beschränken, derartige Verweisungen wahrzunehmen. Eine Lösung der verfassungsrechtlichen Problematik ist daher vielmehr in präventiven Sicherungsmechanismen zu suchen, die bereits vorab eine dauerhafte Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip gewährleisten können.231 ff) Ausgleich zwischen Demokratie und Entlastung des Gesetzgebers Soweit Vertreter der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht ausführen, dass diese Ansicht einen angemessenen Ausgleich zwischen Demokratie und Entlastung des Gesetzgebers schaffe, da der Gesetzgeber dann abseits wesentlicher Entscheidungen dynamische Fremdverweisungen vornehmen dürfe und zur Begründung darauf abstellt, dass die Wesentlichkeitstheorie auch zur Entlastung des Gesetzgebers diene, zeigt dies, dass insoweit ein Missverständnis der Wesentlichkeitstheorie vorliegt. Denn die Wesentlichkeitstheorie enthält zwar zutreffenderweise eine Aussage darüber, welche Regelungen der Parlamentsgesetzgeber selbst vornehmen muss und naturgemäß im Umkehrschluss auch eine Aussage dazu, welche Entscheidungen er nicht selbst vornehmen muss. Keine Aussage enthält die Wesentlichkeitstheorie jedoch darüber, an wen und in welcher Form der Gesetzgeber seine Gesetzgebungsbefugnisse übertragen darf.232 Die Wesent229
Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722
(726). 230
Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 324 schlägt „review-clauses“ nach englischem Vorbild vor. 231 Dazu sogleich unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) bb). 232 Siehe zur Wesentlichkeitstheorie bereits oben unter Kap. 2 § 1 A. II. 1.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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lichkeitstheorie darf daher nicht in dem Sinne fehlinterpretiert werden, dass der zuständige Gesetzgeber abseits wesentlicher Entscheidungen hinsichtlich der Form und des Begünstigten frei über sein Normierungsrecht disponieren könne, sondern ist darauf zu reduzieren, dass sie im Einzelfall eine Normierungspflicht für den zuständigen Gesetzgeber begründet. Aus der Wesentlichkeitstheorie kann also nicht im Wege eines solchen Umkehrschlusses zur Lösung der Verweisungsproblematik gefolgert werden, dass dynamische Fremdverweisungen für unwesentliche Fragen ausnahmslos zulässig sind. gg) Praktikabilitätserwägungen Soweit argumentiert wird, dass für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dynamischer Fremdverweisungen auch spreche, dass es sich hierbei um eine übliche Gesetzgebungstechnik handele, die praktischen Bedürfnissen entspreche und ansonsten eine umfassende Parallelgesetzgebung zur Herstellung des Gleichlaufs verschiedener Gesetze notwendig wäre,233 ist diesem Argument entschieden entgegenzutreten. Dass aus der Praxis begründete Bequemlichkeitserwägungen nicht die Zulässigkeit einer verfassungsrechtlich problematischen Gesetzgebungstechnik legitimieren können, bedarf wohl keiner weiteren Begründung.234 Denn nicht das Recht hat sich nach der Praxis zu richten, sondern die Praxis nach dem Recht.235 Erst recht muss dies für die Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes – also auch das Demokratieprinzip – gelten, mag die konsequente Einhaltung für den Gesetzgeber auch mitunter mit erheblichem Aufwand verbunden sein. 3. Verweisungsmaximierende Ansicht Noch weitergehend als die rechtsrealistisch vermittelnde Ansicht hält Thomas Klindt dynamische Fremdverweisungen umfassend für mit dem Demokratieprinzip vereinbar.236 Diese Ansicht soll daher als inhaltlicher Gegensatz zur sog. demokratiemaximierenden Ansicht als „verweisungsmaximierende Ansicht“ bezeichnet werden.
233 Vgl. Baden, NJW 1979, 623 (625); Clemens, AöR 1986, 63 (125); Debus, Verweisungen, S. 228 f.; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (121); Stumpf, NVwZ 2003, 1198 (1199). 234 Ähnlich VG Hamburg, NJW 1979, 667 (669); Debus, Verweisungen, S. 229; Denninger, Normsetzung, Rn. 139 (in Bezug auf die „Machbarkeitsüberlegungen“ Bruggers). 235 Ähnlich Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (408). Vgl. auch Denninger, Normsetzung, Rn. 139 (in Bezug auf die „Machbarkeitsüberlegungen“ Bruggers). 236 Vgl. Klindt, DVBl. 1998, 373 (375 f.). Unklar bleibt, ob er für wesentliche Entscheidungen von einer Einschränkung der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen ausgeht. Zwar wird dies auf S. 375 angedeutet, jedoch im Folgenden nicht ausgeführt.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
a) Begründungsansatz Zur Begründung führt Klindt aus, dass „auch die Parlamentsentscheidung, den Regelungsinhalt einer anderen Norm zu übernehmen, eine Parlamentsentscheidung“ sei.237 Denn auch der Entschluss, „es ,so zu machen wie‘“ beruhe auf einer Willensbildung des Parlaments.238 Dies widerspreche nicht den Anforderungen des Demokratieprinzips über die Willensbildung des Parlaments, sondern es könne gerade Inhalt des Parlamentswillens sein, sich den Regelungen eines fremden Normgebers zu unterwerfen, auf welche der Verweisungsnormgeber keinen Einfluss hat.239 Dies belege das Grundgesetz selbst durch Art. 25 GG.240 Ferner könne der Verweisungsnormgeber die Änderungen des Verweisungsobjekts verfolgen und bei einer unerwünschten Entwicklung die Verweisung aufheben.241 b) Kritische Beurteilung Die verweisungsmaximierende Ansicht weist eine deutliche Übergewichtung formaler Aspekte auf. Indem rein formal darauf abgestellt wird, dass der Beschluss der Verweisungsnorm durch den zuständigen Gesetzgeber erfolgt, wird ein inhaltlicher Einfluss anderer Normgeber vollständig außer Betracht gelassen. Dass diese Betrachtungsweise nicht mit dem Demokratieprinzip vereinbar sein kann, ergibt sich, wenn man diesen Gedanken konsequent fortführt. Konsequenterweise müsste es nämlich danach zulässig sein, wenn bspw. ein Landesgesetzgeber eine einzige Norm erlässt, die lautet: „Es gelten die Gesetze des Bundes in ihrer jeweils geltenden Fassung.“242 Denn auch in diesem Fall würde der verweisende Landesgesetzgeber formal betrachtet selbst seiner Gesetzgebungsaufgabe nachkommen, indem er die Verweisungsnorm erlässt, obgleich er die inhaltliche Ausgestaltung aller rechtlichen Regelungen dem Bundesgesetzgeber überantworten würde. Dass dies dem Demokratieprinzip nicht genügen kann, welches verlangt, dass sich der zuständige Gesetzgeber seiner Gesetzgebungsaufgabe nicht völlig entäußern darf, die Ausübung der Staatsgewalt (und damit auch die Gesetzgebung) auf das eigene Staatsvolk rückführbar sein und auch der Inhalt der Gesetze vom Willen des Gesetzgebers umfasst sein muss,243 ist offensichtlich. Denn eine solche Gesetzgebung bedeutete, sich der eigenen Gesetzgebungsaufgabe weitgehend zu entledigen sowie dem eigenen Parlament – und damit der Vertretung des Volkes – seine ureigenste Aufgabe zu entziehen. Allerdings darf diese Erkenntnis nicht den Blick darauf verschließen, dass die verweisungsmaximierende Ansicht zutreffend feststellt, dass bei rein formaler Betrachtungsweise dem Gesetzgebungsauftrag genüge getan ist, indem der zu237
Vgl. Klindt, DVBl. 1998, 373 (375 f.). Klindt, DVBl. 1998, 373 (376). 239 Klindt, DVBl. 1998, 373 (376). 240 Klindt, DVBl. 1998, 373 (376). 241 Klindt, DVBl. 1998, 373 (376) m.w.N. 242 Im Ansatz ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (80). 243 Siehe zu den Anforderungen des Demokratieprinzips oben unter Kap. 2 § 1 A. I. 238
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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ständige Gesetzgeber in Form der Verweisungsnorm eine eigene Regelung getroffen hat. Wie gezeigt, kann diese lediglich formale Betrachtungsweise jedoch nicht allein eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip begründen, sondern müssen zusätzlich materielle Aspekte in die verfassungsrechtliche Bewertung einbezogen werden. Festzuhalten ist daher, dass die verweisungsmaximierende Ansicht zwar mit der formalen Betrachtung einen zutreffenden Gesichtspunkt hervorhebt, aber diesen gänzlich übergewichtet, sodass dynamische Fremdverweisungen spätestens bei konsequenter Umsetzung dieser Doktrin keinesfalls mehr den Anforderungen des Demokratieprinzips genügen würden. 4. Alfred Debus Einen weiteren – von den vorherigen Ansichten divergierenden Standpunkt – vertritt Alfred Debus, welcher inhaltlich zwischen verschiedenen Zeitpunkten, nämlich vor und nach Änderung des in Bezug genommenen Verweisungsobjekts, differenziert: a) Inhalt der Ansicht Nach Debus seien dynamische Fremdverweisungen im Bereich eines Parlamentsvorbehalts, also insbesondere in wesentlichen Angelegenheiten, ausgeschlossen.244 Abseits von Gesetzes- oder Parlamentsvorbehalten seien jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen.245 Vor einer Änderung des in Bezug genommenen Verweisungsobjekts seien dynamische Verweisungen unproblematisch, da der Verweisungsnormgeber diese Form des Verweisungsobjekts noch in seinen Willen aufgenommen habe.246 Die potenzielle Änderungsmöglichkeit ändere hieran zunächst nichts und eine dynamische Verweisung dürfe nicht als „Wille zur ,Übertragung von Regelungsmacht‘“ ausgelegt werden, da dies nur im Rahmen der verfassungsrechtlich vorgesehenen Möglichkeiten zulässig sei, welchen die Verweisung nicht genüge.247 Nach Änderung des Verweisungsobjekts seien dynamische Verweisungen mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sich die Änderung des Verweisungsobjekts „noch als Realisierung des Willens des Verweisungsnormgebers ansehen lässt“.248 Denn dann habe der Verweisungsnormgeber selbst die wesentlichen Entscheidungen getroffen und durch die Fassung des Verweisungsobjekts beim Beschluss der Verweisungsnorm eine Vorstellung vom möglichen Inhalt desselben.249 Dynamische Verweisungen dürften daher „nur diejenigen Veränderungen 244
Debus, Verweisungen, S. 284. Debus, Verweisungen, S. 232. 246 Debus, Verweisungen, S. 232. 247 Debus, Verweisungen, S. 232 f. („insb. Art. 23 f., 71, 80 GG“) m.w.N. 248 Debus, Verweisungen, S. 233 m.w.N. 249 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 233. 245
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der in Bezug genommenen Regelungen übernehmen, die sich im Rahmen dieses Vorstellungsbildes halten“.250 Unzulässig sei die Übernahme einer Änderung dann, wenn „an die Stelle des ursprünglichen Verweisungsobjektes ein Aliud treten würde.“251 Auch Verweisungen zwischen Bundes- und Landesrecht seien zulässig, da das Demokratieprinzip unter Berücksichtigung des Bundesstaatsprinzips ausgelegt werden müsse, welches eine „stimmige Gesamtrechtsordnung“ verlange.252 Soweit „vernünftige Erwägungen“ dafür sprächen Bundes- oder Landesrecht in das jeweils andere Recht zu inkorporieren, müsse zugunsten des Bundesstaatsprinzips auch von einer Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ausgegangen werden.253 b) Kritische Beurteilung Der von Debus vertretene Ansatz, dass bei dynamischen Verweisungen jeweils geprüft werden müsse, ob die Änderung des Verweisungsobjekts noch dem Willen des Verweisungsnormgebers entspricht und nur dann eine Übernahme erfolgen dürfe, kann nicht überzeugen. Es bleibt bereits unklar, wie dieser Wille abschließend ermittelt werden soll. Hierzu böte sich lediglich die Gesetzesbegründung an, die jedoch naturgemäß keine Aussage zu jedem denkbaren Fall parat halten kann. Noch zweifelhafter erscheint diese Ansicht, wenn man bedenkt, dass sich mitunter der Wille des Gesetzgebers zu einer bestimmten Frage – auch unter Zuhilfenahme der Gesetzesbegründung – nicht ermitteln lässt. Dann bliebe nur die Möglichkeit, diesen potenziellen Willen eigenständig durch den Rechtsanwender zu mutmaßen oder die erfolgte Änderung des Verweisungsobjekts nicht in die Verweisungsnorm zu übernehmen. Allerdings geht bereits die Annahme fehl, dass eine „Übernahme“ der Änderungen des Verweisungsobjekts durch den Rechtsanwender auf solche Änderungen des Verweisungsobjekts begrenzt werden kann, die dem Willen des Verweisungsnormgebers entsprechen. Denn die Übernahme von Änderungen des Verweisungsobjekts erfolgt infolge der dynamischen Verweisung automatisch und bedarf keines zusätzlichen Willensakts des Rechtsanwenders oder des Verweisungsnormgebers. Zudem bleibt fraglich, wie diese begrenzte Übernahme praktisch umgesetzt werden soll. Eine solche ergäbe sich nicht (zwingend) aus der Norm, sodass es bereits aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit fraglich erscheint, ob eine solche ungeschriebene Einschränkung der Übernahme Bestand haben kann. Ferner könnte ein durch die unterschiedlichen Rechtsanwender uneinheitlich festgestellter Wille des Verweisungsnormgebers dazu führen, dass je nach Rechtsanwender die Norm mal als statisch, mal als dynamisch und unter Umständen sogar
250
Debus, Verweisungen, S. 233. Debus, Verweisungen, S. 234. 252 Debus, Verweisungen, S. 235. 253 Debus, Verweisungen, S. 235. 251
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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als partiell dynamische Verweisung ausgelegt wird, die nur gewisse Änderungen berücksichtigt. Träfe diese Ansicht zu, bedeutete dies die Aufgabe einer realisierbaren und für die Normadressaten erkennbaren Gesetzgebung und Rechtsanwendung. Auch die speziell auf das Bund-Länder-Verhältnis bezogenen Ausführungen können nicht überzeugen. Zwar erscheint der Ansatz, Verfassungsprinzipien wie das Demokratieprinzip auch unter Berücksichtigung der sonstigen Verfassungsprinzipien auszulegen, nicht gänzlich unplausibel. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass das Demokratieprinzip derart durch das Bundesstaatsprinzip überlagert wird, dass sich alle durch das Demokratieprinzip hervorgerufenen verfassungsrechtlichen Bedenken von vornherein erübrigen. Andere Verfassungsprinzipien dürfen bei der Beurteilung eines Verstoßes gegen das Demokratieprinzip nicht Ausgangspunkt der Argumentation sein, sondern können diese allenfalls komplementieren. Ansonsten müsste zwangsläufig aus einem fehlenden Verstoß gegen ein Verfassungsprinzip gleichsam die gänzliche Verfassungskonformität einer Regelung folgen. Dass dies nicht dem Anspruch an unterschiedliche Verfassungsprinzipien und damit verbundener unterschiedlicher Anforderungen genügen kann, bedarf wohl keiner weiteren Begründung. 5. Legitimationsanknüpfende Ansicht Auch die von Bernhard Jansen vertretene Ansicht unterscheidet sich deutlich von den bereits dargestellten Standpunkten in der Literatur, indem sich diese maßgeblich auf eine ggf. bestehende (eigene) demokratische Legitimation der Normen des Verweisungsobjektgebers stützt. Dementsprechend soll diese Ansicht nachfolgend als „legitimationsanknüpfende Ansicht“ bezeichnet werden. a) Inhalt der Ansicht Jansen lehnt einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip für Verweisungen im Verhältnis von Bundesrecht und Landesrecht ab, wenn das Verweisungsobjekt eine gesetzliche Regelung (also formelles Bundes- oder Landesrecht) ist.254 Schließlich sehe Art. 71 GG sogar bei einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes die Möglichkeit der Ermächtigung der Länder vor.255 Es sei nicht notwendig, dem Landesgesetzgeber „ein ,Korsett‘ anzulegen“, sodass auch keine Begrenzung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß erforderlich sei.256 Im Fall einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes könnten die Länder nach Art. 72 GG ohnehin tätig werden, sofern der Bund keine abschließende Regelung getroffen habe.257 Ferner dürfe der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips zwar nicht auf außergesetzliche Regelungen verwei254
Jansen, DÖV 1979, 332 (333). Jansen, DÖV 1979, 332 (333). 256 Jansen, DÖV 1979, 332 (333). 257 Jansen, DÖV 1979, 332 (333). 255
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sen.258 Diese Einschränkung der Zulässigkeit von Verweisungen gelte jedoch nicht, wenn auf „eine gesetzliche Vorschrift – sei es auch diejenige eines anderen Gesetzgebers innerhalb der Verfassungsordnung des Grundgesetzes – verwiesen wird“, da dieser Vorschrift selbst eine „hinreichende demokratische Legitimation zukommt“, sodass eine Verweisung auf gesetzliche Vorschriften hinsichtlich der notwendigen demokratischen Legitimation unbedenklich sei.259 b) Kritische Beurteilung Die legitimationsanknüpfende Ansicht bietet einen interessanten Ansatz, der zwar zunächst insoweit plausibel erscheint, als dass die Lösung des Problems der Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip in der Anknüpfung an eine demokratische Legitimation gelöst wird. Dieser Ansatz enthält jedoch eine entscheidende Schwäche: Die demokratische Legitimation des Verweisungsobjekts und diejenige der Verweisungsnorm sind bei einer Fremdverweisung nicht identisch, sodass eine demokratische Legitimation des Verweisungsobjekts nicht – zumindest nicht allein – eine fehlende demokratische Legitimation der Verweisungsnorm kompensieren kann.260 Denn die demokratische Legitimation der Verweisungsnorm und diejenige des Verweisungsobjekts haben unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Bei der demokratischen Legitimation der Verweisungsnorm geht es darum, ob diese hinreichend auf das Volk desjenigen Hoheitsträgers zurückgeht, der diese erlassen hat und auf diese Weise legitimiert wird. Bei der demokratischen Legitimation des Verweisungsobjekts geht es hingegen darum, ob dieses hinreichend auf das Volk desjenigen Hoheitsträgers zurückgeht, der dieses erlassen hat und auf diese Weise legitimiert wird. Bei einer Verweisung von bayerischem Landesrecht auf niedersächsisches Landesrecht wäre für die bayerische Verweisungsnorm also zu fragen, ob diese hinreichend auf das bayerische Landesvolk rückführbar ist, während dem niedersächsischen Verweisungsobjekt allein eine demokratische Legitimation gegenüber dem niedersächsischen Volk zukommt. Die demokratischen Legitimationsorgane – im hiesigen Beispiel die jeweiligen Landesvölker – würden 258
Jansen, DÖV 1979, 332 (333). Jansen, DÖV 1979, 332 (333). Vor dem Hintergrund dieses Arguments soll Jansens Ansicht daher hier als „legitimationsanknüpfende Ansicht“ bezeichnet werden. Mit Tendenz in eine ähnliche Richtung Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 340 ff., dessen Ausführungen sich allerdings auf den speziellen Parlamentsvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG für Strafnormen beziehen und an die „demokratisch legitimierten Kompetenzen“ des Verweisungsobjektgebers anknüpen, sodass nur eine bedingte Vergleichbarkeit besteht. Einen ähnlichen Begründungsansatz verfolgt auch v. Maydell, ZfS 1973, 69 (71 f.), der zwar nicht auf die demokratische Legitimation des Verweisungsobjektgebers abstellt, sondern hinsichtlich der notwendigen Beratung im Parlament hervorhebt, dass zwar keine Beratung über die erfolgenden Änderungen im Parlament des Verweisungsnormgebers, dafür aber im Parlament des Verweisungsobjektgebers erfolge. 260 So auch Schenke, NJW 1980, 743 (749); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (122); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 47. 259
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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sich also deutlich unterscheiden. Würde man nun (unter Übertragung des Ansatzes Jansens) argumentieren, dass die bayerische Verweisungsnorm mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist, weil das niedersächsische Verweisungsobjekt seinerseits demokratisch legitimiert ist, würde man eine demokratische Legitimation gegenüber dem bayerischen Landesvolk damit begründen, dass sich die Regelung des Verweisungsobjekts auf das niedersächsische Volk zurückführen lässt. Diese Argumentation geht jedoch erkennbar an dem Grundsatz des Demokratieprinzips vorbei, dass sich ein Gesetz auf das eigene Volk zurückführen lassen muss. Für die verfassungsrechtliche Problematik der Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip ist entscheidend, ob die zusammengesetzte Regelung eine hinreichende Legitimation gegenüber dem Volk des Verweisungsnormgebers aufweist. Die demokratische Legitimation des Verweisungsobjekts für sich genommen ist demgegenüber ein Aliud. Die Argumentation mit der Tatsache, dass es sich bei dem Verweisungsobjektgeber um ein grundsätzlich demokratisch legitimiertes Organ handelt, verkennt demnach, dass eine irgendwie geartete demokratische Legitimation nicht ausreicht und insbesondere die demokratische Legitimation des Verweisungsobjektgebers und des Verweisungsnormgebers nicht beliebig austauschbar sind.261 Es fehlt insoweit an einer (vollständigen) Identität zwischen den verschiedenen Landesvölkern sowie zwischen dem Bundesvolk und einzelnen Landesvölkern.262 6. Sebastian Schröcker Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Sebastian Schröcker. Ausgangspunkt seiner Überlegung zur Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Demokratieprinzip ist, dass eine Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht nicht dazu führe, dass die in Bezug genommenen Vorschriften des Bundes „[Landesgesetze] im formellen Sinne“ werden.263 Ein „Landesgesetz im formellen Sinne“ sei nur die Verweisungsnorm selbst; die Verweisungsobjekte würden lediglich Landesrecht „im materiellen Sinne“.264 Schröcker geht also offenbar nicht von einer Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm mit der Wirkung aus, dass das Verweisungsobjekt Teil der Verweisungsnorm wird sowie in deren Anwendungsbereich deren Rang teilt und verneint bereits eine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen.265 Aufgrund dieser Annahme konsequenterweise266 lehnt er sodann einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip ab.267 261
Ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (75); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 47. Schenke, NJW 1980, 743 (749); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (122 f.). 263 Schröcker, NJW 1967, 2285 (2288). 264 Schröcker, NJW 1967, 2285 (2288 f.). 265 Vgl. Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289). 266 So auch Karpen, Verweisung, S. 180. 267 Vgl. Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289).
262
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Zur weiteren Begründung seiner Ansicht zieht Schröcker einen Vergleich zu den Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts und Art. 25 S. 1 GG, welche dazu führten, dass ausländisches Recht im Inland angewendet wird, das sich unabhängig vom nationalen Gesetzgeber ändern kann.268 Auch für diese ähnlichen Fälle habe der Gesetzgeber keine Bedenken, fremdes Recht, das sich ohne sein Zutun ändern könne, anzuwenden.269 Die Ansicht Schröckers kann bereits infolge der Erkenntnis, dass durch eine dynamische Verweisung eine Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm erfolgt,270 nicht überzeugen und ist daher für die hiesige Problematik im Ergebnis nicht anwendbar. 7. Rechtsprechung Auch die Rechtsprechung hat sich in zahlreichen Verfahren mit der Problematik der dynamischen Fremdverweisung beschäftigt. Trotz der häufig einzelfallbezogenen Äußerungen soll im Folgenden versucht werden, die verallgemeinerungsfähigen Aussagen der Rechtsprechung (insbesondere des BVerfG und BVerwG) sowie die Entwicklung der Linie der Rechtsprechung zur Verweisungsproblematik darzustellen. a) Bundesverfassungsgericht aa) BVerfGE 26, 338 Erstmals äußerte sich das BVerfG zur Problematik der dynamischen (Fremd-) Verweisung im Jahr 1969 anlässlich einer dynamischen Verweisung von Bundesrecht auf (Bundes- sowie) Landesrecht271 und stellte fest, dass Verweisungen grundsätzlich zulässig seien272 und gegen die zu beurteilende dynamische Verweisung auf Landesrecht keine „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ bestünden.273 Denn die Verweisung erfolge auf ein „scharf umrissene[s] Rechtsinstitut“, das von „Bundes- und Landesgesetzgeber im wesentlichen gleich ausgestaltet worden“ sei und „dessen Regelungen sich nur in minder wichtigen Einzelheiten“ unterschieden.274 Der Inhalt des Verweisungsobjekts stehe „also im wesentlichen fest.“275 Daher habe der zuständige Gesetzgeber nicht auf seine 268
Schröcker, NJW 1967, 2285 (2290). Schröcker, NJW 1967, 2285 (2290). 270 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 1 § 2 B. 271 Die Entscheidung erging zum damaligen § 9 Abs. 1, Abs. 3 EBKrG, welcher dynamisch auf (Bundes- und) Landesrecht verwies (mit der Besonderheit, dass die zuständige Planfeststellungsbehörde bestimmen konnte, ob Bundesrecht oder Landesrecht einschlägig ist, vgl. BVerfGE 26, 338 [367 f.]). 272 BVerfGE 26, 338 (365 f.). 273 BVerfGE 26, 338 (366) freilich noch ohne ausdrückliche Erwähnung des Demokratieprinzips. 274 BVerfGE 26, 338 (366 f.). 275 BVerfGE 26, 338 (367). 269
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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Rechtsetzungsbefugnisse verzichtet, sondern „die wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen und sie nicht ,außenstehenden‘ Stellen […] überlassen.“276 bb) BVerfGE 47, 285 In nachfolgenden Entscheidungen entwickelte das BVerfG eine höhere Sensibilität für die Verweisungsproblematik und stellte im Fall einer Verweisung von Bundesrecht auf (Bundes- und) Landesrecht277 fest, dass Fremdverweisungen nach der bisherigen Rechtsprechung278 nicht schlechthin ausgeschlossen seien, ließ jedoch im Ergebnis ausdrücklich offen, ob es dynamische Fremdverweisungen generell als verfassungsgemäß beurteilt und legte die in Rede stehende dynamische Verweisung auf Landesrecht „verfassungskonform“ als statische Verweisung aus, da eine Auslegung als dynamische Verweisung zu dessen Verfassungswidrigkeit geführt hätte.279 Zur Begründung führte das Gericht aus, dass eine dynamische Verweisung eine „[versteckte] Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen“ zur Folge habe.280 Die zu beurteilende Verweisung wirkte sich zudem auf die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG aus,281 woraufhin das BVerfG feststellte, dass der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisten solle, dass der zuständige Gesetzgeber selbst die Einschränkung der Berufsfreiheit prüft und über diese entscheidet.282 Dies sei jedoch bei einer Auslegung als dynamische Verweisung nicht gewährleistet.283 Der Gesetzgeber müsse den Inhalt seiner Gesetze und deren Änderungen eigenverantwortlich „und im Wege der parlamentarischen Willensbildung“ bestimmen und deren Verfassungsmäßigkeit selbst prüfen.284 Auch wenn die Verfassung die Möglichkeit der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen vorsehe, dürfe der zuständige Gesetzgeber sich seiner Rechtsetzungsbefugnisse auch inhaltlich nicht völlig entäußern.285 Diese vorgenannten Anforderungen seien nicht erfüllt, wenn die betreffende Norm als dynamische Verweisung auf Landesrecht auszulegen wäre.286 Denn dadurch könne der Landesgesetzgeber die Verweisungsnorm inhaltlich ändern, „ohne daß der Bundesgesetzgeber dessen Willensbildung in irgendeiner Weise determiniert.“287
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BVerfGE 26, 338 (367). Die Entscheidung erging zum damaligen § 144 Abs. 3 KostO, welcher für eine Gebührenbefreiung auf einschlägiges Recht des betroffenen Landes sowie des Bundes verwies. 278 Unter Verweis auf BVerfGE 26, 338 (365 ff.). 279 BVerfGE 47, 285 (311 ff., insb. 317). 280 BVerfGE 47, 285 (312). 281 Die Regelung betraf Notargebühren und wirkte sich daher auf die Berufsfreiheit der betroffenen Notare aus. 282 BVerfGE 47, 285 (313). 283 BVerfGE 47, 285 (313). 284 BVerfGE 47, 285 (315). 285 BVerfGE 47, 285 (315). 286 BVerfGE 47, 285 (315). 287 BVerfGE 47, 285 (315 f.). 277
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Ferner spreche gegen eine Auslegung als dynamische Verweisung, dass die Verweisungsnorm und das Verweisungsobjekt unterschiedlichen Rechtsmaterien entstammten „und nach verschiedenen Maßstäben zu beurteilen“ seien.288 Dies könne zur Folge haben, dass eine Änderung der Verweisungsnorm erfolgt und infolge der automatischen Anpassung der Verweisungsnorm ein „parlamentsloses Parlamentsgesetz“ entstünde, da der Verweisungsnormgeber die Änderungen des Verweisungsobjekts weder absehen noch (deren grundrechtliche Auswirkungen) prüfen könne und der Verweisungsobjektgeber lediglich Erwägungen anstelle(n müsse), die den von ihm originär zu regelnden Sachbereich betreffen.289 Diese Wirkungen dynamischer Verweisungen seien „zumindest bei grundrechtsrelevanten Regelungen, bei denen der Gesetzesvorbehalt eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Gesetzgeber erfordert, verfassungsrechtlich nicht tragbar.“290
cc) BVerfGE 60, 135 und BVerfGE 67, 348 In einer späteren Entscheidung führte das BVerfG aus, dass eine dynamische Verweisung „nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich möglich“ sei.291 Diese – insbesondere angesichts der zuvor deutlich geäußerten Kritik an dieser Gesetzgebungstechnik – großzügige Auslegung der eigenen Rechtsprechung milderte das BVerfG nachfolgend ab und ging in BVerfGE 67, 348 anlässlich einer Entscheidung zu einer Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht wieder zu der Formulierung über, dass dynamische Verweisungen selbst bei fehlender Identität der Gesetzgeber „nicht schlechthin ausgeschlossen“ seien.292 Das Gericht legte die in Rede stehende Verweisung als statisch aus293 und führte zur Begründung aus, dass eine Auslegung als dynamische Verweisung zur Folge hätte, dass die landesrechtlichen Regelungen automatisch vom Bundesrecht übernommen würden, ohne dass der Bundesgesetzgeber im Rahmen einer parlamentarischen Prüfung sicherstelle, dass die Auswirkungen auf die bundesrechtlichen Regelungen sachgerecht seien.294 Die Verweisung auf Landesrecht erscheine daher nur dann tragbar, wenn diese als statische Verweisung ausgelegt werde, da der zuständige Gesetzgeber bei derartigen Verweisungen wisse, welchen Inhalt das Verweisungsobjekt habe und prüfen könne, ob er diesen Inhalt übernehmen will.295 In dieser Entscheidung äußerte 288
BVerfGE 47, 285 (316). Vgl. BVerfGE 47, 285 (316 f.). 290 BVerfGE 47, 285 (317). 291 BVerfGE 60, 135 (155) unter Verweis auf BVerfGE 47, 285 (312) und BVerfGE 26, 338 (365 f.). 292 BVerfGE 67, 348 (363). 293 BVerfGE 67, 348 (363 ff.). 294 BVerfGE 67, 348 (363 f.) anhand des dortigen Falles. 295 BVerfGE 67, 348 (364). Freilich nennt das BVerfG zuvor einige fallspezifische Argumente, die diese Annahme unterstützen. 289
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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sich das Bundesverfassungsgericht also erneut kritisch zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen und zeigte durch die verfassungskonforme Auslegung als statische Verweisung erneut, dass es zumindest die dort in Rede stehenden Verweisungen ansonsten als verfassungswidrig beurteilt hätte. dd) BVerfGE 141, 143 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 äußerte das Bundesverfassungsgericht, dass das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip den Gesetzgeber verpflichten, die für die „Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen“.296 Inwieweit eine eigene Regelung hinsichtlich der Regelungsdichte erfolgen müsse, lasse sich jedoch nur für den Einzelfall bestimmen.297 Der Gesetzgeber müsse auch (grundrechts-)wesentliche Regelungen nicht vollständig in einem Gesetz treffen, sondern auch ein „Zusammenspiel“ mehrerer Gesetze sei vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips zulässig.298 Hierbei dürfe sich der Gesetzgeber bei hinreichender Klarheit, welche Vorschriften in Bezug genommen werden, auch der (Fremd-)Verweisungstechnik bedienen.299 Dynamische Verweisungen seien allerdings nur in dem Rahmen zulässig, „den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit setzen“.300 Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der im dortigen Fall zu beurteilenden Verweisung um eine Eigenverweisung handelte, ist die Aussagekraft dieser Entscheidung für die hiesige Problematik jedoch begrenzt. Insbesondere spezifiziert das Gericht nicht deutlich, welchen „Rahmen“ das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip setzen. Allerdings zeigt diese Entscheidung, dass das BVerfG dynamische Fremdverweisungen auch im Bereich grundrechtsrelevanter Regelungen nicht für generell ausgeschlossen hält. ee) BVerfGE 160, 336 Mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2022 äußerte sich das Bundesverfassungsgericht zu dynamischen Verweisungen im grundrechtsrelevanten Bereich anlässlich der Coronaimpfpflicht. Das Gericht bekundete insoweit Zweifel daran, ob eine doppelte dynamische Verweisung, die von § 20a IfSG auf die COVID19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verwies, welche ihrerseits weiter auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verwies und damit die dort niedergelegten Regelungen für verbindlich erklärte, noch eine hinreichende Grundlage im Gesetz finde.301
296
BVerfGE 141, 143 (170 Rn. 59). Vgl. BVerfGE 141, 143 (170 Rn. 59). 298 BVerfGE 141, 143 (176 Rn. 75). 299 BVerfGE 141, 143 (176 Rn. 75). 300 BVerfGE 141, 143 (176 f. Rn. 75). 301 BVerfGE 160, 336, (341 f. Rn. 14). Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20, Rn. 96, wobei das Bundesverfassungsgericht annahm, dass § 20 Abs. 8 S. 3 IfSG „ähn297
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ff) 1 BvR 1619/17 In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2022 äußerte sich das Bundesverfassungsgericht jüngst deutlich kritischer zur Verfassungskonformität dynamischer Verweisungen im grundrechtsrelevanten Bereich anlässlich einer dynamischen Verweisung des § 8b BayVSG für die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten auf § 110 Abs. 2 StPO und § 4 G 10. Zunächst führte das Gericht erneut aus, dass dynamische Fremdverweisungen nur in dem Rahmen zulässig seien, den „insbesondere die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie setzen“ und, dass insbesondere grundrechtliche Gesetzesvorbehalte die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen begrenzen könnten.302 Zwar seien dynamische Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht dann zulässig, „wenn die in Bezug genommenen Regelungen ein eng umrissenes Feld betreffen und deren Inhalt im Wesentlichen bereits feststeht“.303 Jedoch verlangten Regelungen, die zu einem Grundrechtseingriff ermächtigen, „eine Abwägung des betroffenen Grundrechts mit entgegenstehenden Grundrechten, anderen Verfassungsbelangen oder sonstigen schützenswerten Interessen. Die grundlegende Grundrechtsabwägung [müsse] der zum Grundrechtseingriff ermächtigende Gesetzgeber treffen, um so die Verantwortung für die Abwägungsentscheidung zu übernehmen. Dies [sei] aber nicht ohne Weiteres realisierbar, wenn der Landesgesetzgeber dynamisch auf Bundesrecht verweist. Dann [bestehe] die Gefahr, dass letztlich gar kein Gesetzgeber die erforderliche Abwägungsentscheidung in voller Verantwortung trifft“.304
Denn der Bundesgesetzgeber habe weder Anlass, noch sei er dazu verpflichtet, Rückwirkungen auf verweisendes Landesrecht oder dort bestehende Abwägungserfordernisse zu berücksichtigen.305 Der Landesgesetzgeber könne wiederum aufgrund der Dynamik des Verweisungsobjekts die Entwicklung des in Bezug genommenen Bundesrechts nicht abschließend überblicken, sodass auch er keine hinreichende Abwägung vornehmen könne.306 Nach der Feststellung, dass es sich bei dem Sicherheitsrecht bzw. strafprozessrechlicher Ermittlungsermächtigungen wie § 100 Abs. 2 StPO nicht um ein eng umrissenes Feld handelt,
lich“ einer dynamischen Verweisung wirke sowie ebenfalls eine fehlende Grundlage im Gesetz beklagte und die entsprechende Vorschrift verfassungskonform auslegte. Unklar bleibt jedoch, worin genau das BVerfG (abseits der Binnenverweisung auf § 20 Abs. 8 S. 1 IfSG) eine dynamische (Fremd-)Verweisung sehen will, da eine solche nach hiesigem Verständnis nicht vorliegt. 302 BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385. So auch BayVGH, Beschl. v. 22.12.2022 – 3 B 21.2793, juris-Rn. 24. 303 BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385. So auch BayVGH, Beschl. v. 22.12.2022 – 3 B 21.2793, juris-Rn. 25. 304 BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385. So auch BayVGH, Beschl. v. 22.12.2022 – 3 B 21.2793, juris-Rn. 24. 305 BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385. So auch BayVGH, Beschl. v. 22.12.2022 – 3 B 21.2793, juris-Rn. 24. 306 BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 385.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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dessen Inhalt im Wesentlichen feststeht, erklärte das Gericht § 8b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BayVSG für verfassungswidrig.307 b) Bundesverwaltungsgericht Deutlich weniger skeptisch hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dynamischer Verweisungen äußert sich das BVerwG. Zu einer Verweisung einer Landesrechtsverordnung auf ein Bundesgesetz, welches seinerseits weiter auf Vorschriften des Gemeinsamen Bundesausschusses308 verwies,309 stellte das BVerwG fest, dass diese den Vorgaben des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips an dynamische Verweisungen genüge.310 Zwar könne es „verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen“, wenn die Verweisungsnorm und das Verweisungsobjekt anderen Rechtsmaterien angehörten, welche die Berücksichtigung jeweils unterschiedlicher Belange bei der Gesetzgebung erforderten.311 Dynamische Verweisungen seien jedoch nicht schlechthin unzulässig, sondern es sei in „der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts […] geklärt, dass ein Normgeber nicht nur auf eigene, sondern auch auf Regelungen anderer Normgeber verweisen darf.“312 „Grundsätzlich zulässig“ seien dynamische Verweisungen, „wenn der Verweisungsumfang ,eng bemessen‘ ist.“313 Denn dann könne davon ausgegangen werden, dass der Verweisungsnormgeber das Verweisungsobjekt „im Blick behält, so dass er auf den vorgegebenen Rahmen sprengende oder von ihm nicht gewünschte Änderungen umgehend reagieren kann“.314 Der nach dem Rechtsstaatsund Demokratieprinzip erforderlichen „Beschränkung des Umfangs der Verweisung“ könne „durch eine Begrenzung der in Bezug genommenen Normen, also quantitativ, aber auch qualitativ in der Weise Rechnung getragen werden, dass der Normgeber die Bindung an die in Bezug genommene Norm begrenzt und der Verwaltung für deren Anwendung eigene Regeln und Handlungsspielräume vorgibt bzw. einräumt.“315
307
BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 382, 386. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist ein Selbstverwaltungsgremium in der Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, welche der Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums untersteht und sich aus der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zusammensetzt, vgl. www.g-ba.de/ sys/impressum/ und www.g-ba.de/ueber-den-gba/wer-wir-sind/ sowie www.g-ba.de/ueber-d en-gba/wer-wir-sind/mitglieder/ (zul. abger. am 02.07.2023). 309 Gegenstand der Regelung war die Beihilfefähigkeit von Medizinprodukten. 310 BVerwGE 151, 386 (392 ff. Rn. 20 ff.). 311 Vgl. BVerwGE 151, 386 (394 Rn. 24) anhand des konkreten Falles. 312 Vgl. BVerwGE 151, 386 (394 Rn. 25). So nachfolgend auch BVerwGE 161, 105 (115 Rn. 37). 313 BVerwGE 151, 386 (395 Rn. 25). So nachfolgend auch BVerwGE 161, 105 (116 Rn. 37). 314 BVerwGE 151, 386 (395 Rn. 25). So nachfolgend auch BVerwGE 161, 105 (116 Rn. 37). 315 BVerwGE 151, 386 (395 Rn. 27). Vgl. auch BVerwGE 161, 105 (117 Rn. 39). 308
98
§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Durch eine solche qualitative Begrenzung infolge eigener Vorgaben oder Modifikationen bei der Übernahme der Regelungen des Verweisungsobjekts könne „die Dynamik der Verweisungen insoweit zumindest partiell durchbrochen“ werden.316 Insbesondere eine solche qualitative Begrenzung beurteilte das BVerwG im zugrunde liegenden Fall als einen gewichtigen Indikator für die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen.317 c) VG Hamburg und OVG Hamburg Besondere Aufmerksamkeit in der Literatur erlangte eine Entscheidung des VG Hamburg sowie die nachgehende Entscheidung der Berufungsinstanz des OVG Hamburg. aa) VG Hamburg, NJW 1979, 667 Das VG Hamburg legte eine Verweisung von einem hamburgischen Landesgesetz auf Bundesrecht318 „verfassungskonform“ als statische Verweisung aus319 und konstatierte, dass die Regelung anderenfalls verfassungswidrig wäre.320 Denn nach der Ansicht des Gerichts seien dynamische Verweisungen von Landesgesetzen auf Bundesgesetze mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.321 Als Repräsentant des Volkes habe das Parlament ein Gesetzgebungsmonopol; es sei nicht nur das primäre, sondern prinzipiell das einzige verfassungsmäßig berufene Gesetzgebungsorgan.“322 Das Parlament könne sich dieser Aufgabe „nicht unwiederbringlich begeben […], weder vorübergehend noch auf Dauer, auch nicht durch Delegation der Gesetzgebungskompetenz an einen anderen Gesetzgeber, […] denn dieser repräsentiert zwar seinerseits ein Volk, aber ein anderes.“323
Auch eine Beteiligung des Bundesrats an der Gesetzgebung des Bundes könne Verweisungen auf Bundesrecht nicht rechtfertigen, da das Demokratieprinzip mehr als eine mittelbare Beteiligung des Landesvolkes verlange, nämlich eine Gesetzgebung durch das Landesparlament selbst.324 Eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen sei grundgesetzlich nur durch Art. 80 GG vorgesehen.325
316
Vgl. BVerwGE 151, 386 (396 Rn. 28) (anhand des konkreten Falls). Vgl. BVerwGE 151, 386 (396 f. Rn. 28 ff.) und nachfolgend BVerwGE 161, 105 (117 f. Rn. 39 f.), jeweils anhand der konkreten Fälle. 318 Das hamburgische Landesgesetz verwies hinsichtlich der Höhe der Ausbildungsbeihilfe während der Juristenausbildung auf das BAföG. 319 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (667 ff.). 320 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 321 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668) unter Verweis auf Ossenbühl, DVBl 1967, 404 und Karpen, Verweisung, 1970, S. 174 ff. 322 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 323 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 324 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 325 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 317
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip
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Zwar treffe der Gesetzgeber mit einer dynamischen Verweisung für die Zeit des unveränderten Fortbestehens des Verweisungsobjekts eine eigene inhaltliche Regelung, da er den Inhalt des Verweisungsobjekts in dieser Zeit bereits kennt.326 Allerdings bedeute die dynamische Verweisung für spätere Änderungen des Verweisungsobjekts gleichzeitig die Anordnung, dass „sein Gesetz künftig den Inhalt haben solle, der sich aus der Willensbildung des Bundesgesetzgebers ergibt.“327 Dadurch bestimme künftig der Bundesgesetzgeber den Inhalt der landesrechtlichen Verweisungsnorm.328 Eine dynamische Verweisung sei demnach eine „versteckte Verlagerung von Gesetzgebungsfunktionen“ sowie „apokryphe Legislativ-Delegation“ und bedeute „die verbotene freiwillige Preisgabe von Gesetzgebungsbefugnissen“.329 Insbesondere könne nicht angenommen werden, dass der zuständige Gesetzgeber die Änderungen des Verweisungsobjekts verfolge und sie durch „sein Untätigbleiben gewissermaßen mittelbar und stillschweigend in seinen Willen“ aufnimmt.330 Es sei schon zweifelhaft, ob die Abgeordneten stets alle Änderungen der Bundesgesetze verfolgten; erst recht fragwürdig sei es jedoch, ob in diesen Fällen ein „stillschweigender Willensbildungsprozeß“ erfolge.331 Das Demokratieprinzip gebiete eine Gesetzgebung aufgrund einer parlamentarischen Willensbildung, welche ohne inhaltliche Vorstellung und Debatte „undenkbar“ sei.332 Bei einer dynamischen Verweisung beziehe sich die Willensbildung jedoch nur auf den formalen Akt des Erlasses der Verweisungsnorm, während die inhaltliche Ausgestaltung einem anderen Normgeber überantwortet werde.333 Dass „eine solche Gesetzgebungstechnik prinzipiell von der Verfassung nicht gewollt ist“, ergebe sich auch aus Art. 80 GG, welcher für eine Delegation einschränkende Voraussetzungen normiert und damit zum Ausdruck bringe, dass eine Delegation abseits der in dieser Vorschrift vorgesehenen Möglichkeit unzulässig sein soll.334 bb) OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 In der Berufungsinstanz nahm das OVG Hamburg hingegen die gegensätzliche Position ein und beurteilte die in Rede stehende Verweisung als verfassungsrechtlich zulässige dynamische Verweisung.335 Ein Verbot dynamischer Verweisungen 326
VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 328 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 329 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668) unter Zitation von Karpen, Verweisung, S. 174 und Ossenbühl, DVBl 1967, 404. 330 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 331 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 332 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668) unter Verweis auf Ossenbühl, DVBl 1967, 402 und Karpen, Verweisung, S. 176. 333 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 334 VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668). 335 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2830 ff.). 327
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
von Landesgesetzen auf Bundesgesetze ergäbe sich nicht aus der Verfassung.336 Eine dynamische Verweisung könne „nur aus besonderen Gründen“ gegen das Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip verstoßen.337 Nach Skizzierung der Rechtsprechung des BVerfG befand das OVG Hamburg, dass derartige besondere Gründe im zu entscheidenden Fall der Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht nicht vorlägen.338 Insbesondere sei infolge fehlender Grundrechtsberührung kein spezieller Gesetzesvorbehalt einschlägig, sodass die Grundsätze aus BVerfGE 47, 285339, welche dort eine verfassungskonforme Auslegung als statische Verweisung notwendig machten, nicht übertragbar seien.340 Auch aus Art. 80 GG ergebe sich kein Verbot dynamischer Verweisungen, denn allein die Möglichkeit einer Ermächtigung der Exekutive zum Erlass einer Rechtsverordnung schließe es nicht aus, sich der dynamischen Verweisungstechnik zu bedienen.341 Vielmehr sei der Anwendungsbereich des Art. 80 GG „nicht berührt“.342 Im Fall der zu beurteilenden Verweisung sei auch keine „Abdankung des Parlaments“343 zu befürchten, da der hamburgische Landesgesetzgeber sich den Inhalt der Bundesnorm und deren künftige Änderungen zu eigen gemacht habe; dies sei auch im Vorhinein möglich, da „das Ausmaß künftiger Änderungen […] abschätzbar war“.344 Ferner bestehe stets die Möglichkeit, die Verweisung aufzuheben.345 Es liege kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vor, da der Landesgesetzgeber sich nicht seiner Rechtsetzungsbefugnisse entäußert habe.346 Die These, dass dynamische Verweisungen verfassungsrechtlich unzulässig seien, da jedes Gesetz zwingend inhaltlich vollständig in den Willen des jeweiligen Parlaments aufgenommen werden müsse,347 sei „punktuell“ und „vereinfacht“, da zahlreiche Gesetze zulässig seien, bei denen der Gesetzgeber einer unklare Vorstellung vom Gesetzesinhalt habe(n könne).348 Dies sei z.B. bei Generalklauseln der Fall, die häufig erst durch langjährige Praxis eine gefestigte Bedeutung erhalten.349 Es sei daher nicht einzusehen, aus welchem Grund derartige inhaltliche Ausgestaltungen bei Generalklauseln zwar der Rechtsprechung (und damit auch Bundesgerichten) überlassen werden dürften, bei einer dynamischen Verweisung nicht aber dem Bundestag, der u.a. auch durch das Landesvolk des verweisenden Gesetz-
336
OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2830). OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2830). 338 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2830 f.). 339 Siehe dazu oben Kap. 2 § 1 C. I. 7. a) bb). 340 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 341 Vgl. OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 342 Vgl. OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 343 Unter Verweis auf „Schenke, NJW 1980, 745 r. Sp.“ 344 Vgl. OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 345 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 346 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 347 Unter Verweis auf Ossenbühl, DVBl. 1967, 402 ff. 348 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 349 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 337
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 101
gebers demokratisch legitimiert werde.350 Dementsprechend sei die dynamische Verweisungstechnik – vorbehaltlich besonderer Gründe – mit dem Demokratieprinzip vereinbar.351 Derartige besondere Gründe lagen nach Ansicht des OVG Hamburg in dem zu beurteilenden Fall jedoch nicht vor; der vom Landesvolk legitimierte Landesgesetzgeber habe die Verweisungsnorm „vollen Umfangs als eigene gesetzgeberische Entscheidung getroffen“.352 Ferner werde das Land von den Änderungen des Bundesgesetzes nicht „überrascht“, da es im Bundesrat vertreten sei, welchem Gesetzesvorlagen gem. Art. 76 Abs. 2 GG frühzeitig zugeleitet würden.353 d) Kritische Beurteilung Aus den Ausführungen der Rechtsprechung ergeben sich kaum neue Gesichtspunkte, die nicht bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Literaturmeinungen behandelt wurden, sodass an dieser Stelle auf diese Ausführungen verwiesen sei. Insbesondere entspricht die Ansicht des VG Hamburg354 im Wesentlichen der demokratiemaximierenden Ansicht. Die Ansicht des OVG Hamburg entspricht zum Teil der Rechtsprechung des BVerfG und der rechtrealistisch vermittelnden Ansicht. Im Übrigen ist hinsichtlich des Vergleichs mit Generalklauseln, welchen das OVG Hamburg als Argument für die Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip vorbringt, anzumerken, dass dort die Interessenlage eine andere ist. Denn bei Generalklauseln wird nicht etwa einer Instanz eine abschließende Konkretisierung der Norm unter Ausgestaltung des Inhalts überlassen, sondern handelt es sich insoweit um wertungsoffene Normen, die einem Wandel unterliegen und von verschiedenen Instanzen (unterschiedlichen Gerichten und Rechtsanwendern) ausgelegt355 und nicht von einem fremden Rechtsetzer allein konkretisiert werden. Zudem handelt es sich bei der Konkretisierung von Generalklauseln durch die Gerichte um Rechtsanwendung und nicht um Rechtsetzung.356 Der rechtliche Gehalt einer Generalklausel verändert sich auch durch eine Rechtsanwendung durch die Gerichte nicht, sondern betrifft lediglich das Verständnis und die Auslegung der Norm, während sich bei einer dynamischen Fremdverweisung bei Änderung des Verweisungsobjekts auch das Recht selbst, also die Verweisungsnorm, ändert. Daher kann der seitens des OVG Hamburg bemühte Vergleich zu Generalklauseln die verfassungsrechtliche Problematik im Hinblick auf das Demokratieprinzip nicht entschärfen. 350
OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 352 Vgl. OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 353 OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 354 VG Hamburg, NJW 1979, 667 ff. 355 Siehe weiterführend zum damit angesprochenen Problem der Rechtsanwendungsgleichheit und den insoweit nur geringfügigen Bindungen durch Art. 3 Abs. 1 GG ausführlich Cremer, VVDSTRL 78 (2018), 117 (129 ff.). 356 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 229 zu unbestimmten Rechtsbegriffen. 351
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Soweit in der Rechtsprechung (und Teilen der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht) angenommen wird, dass eine dynamische Fremdverweisung zulässig sei, wenn der Inhalt des Verweisungsobjekts im Wesentlichen feststeht, kann dies nicht überzeugen.357 Auch wenn es Bereiche geben mag, die seit längerer Zeit keine erheblichen Änderungen erfahren haben und beständig wirken, ist dies keine Garantie dafür, dass diese Bereiche zukünftig ebenso änderungsfest sind. Denn der zuständige Normgeber kann sich jederzeit entscheiden, einen Bereich umfassenden Änderungen zu unterwerfen. Als Beispiel lässt sich die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB, dessen Bestand als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau in den vergangenen Jahrzenten beständig erschien, anführen. Da der zuständige Verweisungsobjektgeber in der Regel frei über seinen Normenbestand disponieren kann, kann allein die politische Wahrscheinlichkeit eines im Wesentlichen unveränderten Fortbestands seiner Regelungen die verfassungsrechtliche Problematik dynamischer Verweisungen nicht entschärfen.358 Lediglich die vom BVerwG eingeführte sogenannte „qualitative Begrenzung“ der Verweisung erscheint einen plausiblen Ansatz zu bieten, der bei der Beurteilung der Verweisungsproblematik Berücksichtigung finden sollte. Zwar betrifft dies auch die bereits oben angesprochene „Begrenzung“ der Verweisungsnorm selbst und stellt im Kern eine Übernahmelimitierung dar, die eine solche durch eigene Vorgaben zur Modifikation und Anwendung der Verweisungsnorm erreicht. Dennoch wurde diese Möglichkeit der „Begrenzung“ der Verweisung in der Literatur noch nicht hinreichend berücksichtigt. Diese Art der Übernahmelimitierung erscheint jedoch geeignet, eine beliebige Regelung des Verweisungsobjektgebers zumindest einzuschränken, da durch derartige Vorgaben und Modifikationen das Verweisungsobjekt nicht „ungefiltert“ übernommen, sondern anhand konkreter Vorgaben im Bereich der Verweisungsnorm angewendet wird. Begrüßenswerterweise lässt jedoch insbesondere die jüngste Rechtsprechung des BVerfG erkennen, dass es dynamische Verweisungen in (grundrechts)wesentlichen Bereichen bzw. im Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte (zumindest abseits im Wesentlichen feststehender Inhalte des Verweisungsobjekts) ebenfalls für unzulässig erachtet. 8. Stellungnahme zur Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip Die in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten zur Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen in einfachgesetzlichen Regelungen ver357
Vgl. bereits die ähnlich gelagerte Argumentation zu Begrenzungskriterien oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) bb) (2). 358 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (79); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). A.A. Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1036), welcher betont, dass Reformen wie die Schuldrechtsreform einen derartigen Ausnahmecharakter besäßen, dass daraus nicht die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit dynamischer Fremdverweisungen folge, sondern eine Beobachtungspflicht genüge.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 103
mögen nicht gänzlich zu überzeugen, wenn auch einige – isoliert betrachtet – schlüssige Argumente vorgetragen werden. Allerdings fällt auf, dass zumeist keine ausgewogene und kombinierte Betrachtung formeller und materieller Gesichtspunkte erfolgt. a) Bisherige Erkenntnisse Für die abschließende Beurteilung der Frage der Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen (insbesondere solcher zwischen Bund und Ländern) mit dem Demokratieprinzip sollen zunächst die bereits oben herausgearbeiteten Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst werden: 1. Bei rein formaler Betrachtung ist den Anforderungen des Demokratieprinzips dadurch genügt, dass der Gesetzgeber eine eigene Entscheidung in Form der Verweisungsnorm getroffen hat – mag diese Entscheidung auch nur darin liegen, überhaupt eine Verweisung auszusprechen. Allerdings genügt eine solche rein formale Betrachtung allein noch nicht für eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip, sondern es müssen zusätzlich materielle Aspekte miteinbezogen werden. 2. Die Möglichkeit einer reaktiven Korrektur in Form der Aufhebung der Verweisung mildert die verfassungsrechtliche Problematik zwar teilweise ab, genügt jedoch für sich genommen nicht, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. 3. Die parlamentarische Beratung muss sich nur auf Gesetzesentwürfe, jedoch nicht (unzweifelhaft) auch auf Änderungen, die durch die Inkorporation des Verweisungsobjekts eintreten, beziehen, sodass sich aus einer fehlenden Beratung der erfolgenden Änderungen des Verweisungsobjekts (allein) keine Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ergibt. 4. Dem Parlament kommt kein Gesetzgebungsmonopol in dem Sinne zu, dass keine anderen Organe als das originär zuständige Parlament beteiligt werden dürfen. 5. Der Einfluss des Verweisungsobjektgebers beruht auf dem aufhebbaren Entschluss des Verweisungsnormgebers, die dynamische Fremdverweisung anzuordnen. 6. Dynamische Fremdverweisungen verstoßen gegen das Demokratieprinzip, wenn sie sich auf wesentliche Entscheidungen beziehen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen. 7. Die Wesentlichkeitstheorie beinhaltet zwar eine negative Aussage darüber, wann dynamische Fremdverweisungen unzulässig sind, jedoch keine positive Aussage dahingehend, dass in allen anderen Bereichen dynamische Verweisungen zwangsläufig zulässig sind. 8. Eine „Begrenzung“ – oder vielmehr eine Übernahmelimitierung – kann sich nur aus der Verweisungsnorm selbst ergeben. Dies kann auch durch eine Art „qualitative Begrenzung“ erfolgen, welche Vorgaben und Modifikationen für die Übernahme des Verweisungsobjekts enthält.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
9. Die eigene demokratische Legitimation des Verweisungsobjekts ist nicht identisch mit derjenigen der Verweisungsnorm, insbesondere, wenn die entsprechenden Normgeber ihre demokratische Legitimation von unterschiedlichen Staatsvölkern ableiten. b) Konsequenz/Lösungsansatz Die Analyse und Bewertung dieser Erkenntnisse führt schließlich zu folgendem Ergebnis: Eine dynamische Fremdverweisung ist nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn diese ein Verweisungsobjekt in Bezug nimmt, welches zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch die Verweisungsnorm (bzw. deren Normgeber) legitimiert und zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthält. Für das Bund-Länder-Verhältnis bedeutet dies, dass eine dynamische Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist, nicht aber eine dynamische Verweisung von Bundesrecht auf das Recht eines Landes oder vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes. Unzulässig sind dynamische Verweisungen jedoch stets, wenn sie wesentliche Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen. Dieses Ergebnis lässt sich im Einzelnen auf folgende Erwägungen stützen: aa) Dynamische Verweisung als eigene Entscheidung Der Ausgangspunkt dieser Überlegung ist, dass der Verweisungsnormgeber bei formaler Betrachtung eine eigene Entscheidung in Form des Erlasses der Verweisungsnorm trifft und sich seiner gesetzgeberischen Aufgabe insoweit – unabhängig davon, ob die Verweisungsnorm sich darin erschöpft, andere Regelungen für anwendbar zu erklären – zumindest formal betrachtet nicht vollständig entäußert. Dies gilt zudem nicht nur formal, sondern auch inhaltlich zumindest hinsichtlich der Anordnung der Verweisung. Denn auch die Entscheidung, sich andere Regelungen zunutze zu machen, ist eine eigenständige Entscheidung des Parlaments,359 die einen Auswahlprozess beinhaltet, bei welchem evaluiert wird, welche Regelungen sachgemäß erscheinen und ob bei dem in Bezug genommenen Verweisungsobjektgeber bzw. dessen Vorschriften davon ausgegangen werden kann, dass diese auch in Zukunft sachgemäße Regelungen beinhalten. Es findet also die Verweisungsentscheidung selbst und die Entscheidung über das Ziel der Verweisung unter Einschätzung der Sachkompetenz des Verweisungsobjektgebers statt, bei welchen es sich um inhaltliche Entscheidungen handelt. Zwar reicht diese formale Betrachtung allein – wie bereits oben festgestellt360 – nicht aus, um 359 Debus, Verweisungen, S. 228 und Klindt, DVBl. 1998, 373 (375 f.): Auch die Entscheidung, es „so zu machen, wie“, ist eine eigene Parlamentsentscheidung. Wohl auch OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). A.A. Guckelberger, ZG 2004, 62 (75). Kritisch auch Schenke, NJW 1980, 743 (744). 360 Siehe hierzu bereits unter Kap. 2 § 1 C. I. 3. b).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 105
eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip zu begründen. Jedoch darf dieser Umstand bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung nicht außer Betracht gelassen werden. Zudem kann der Verweisungsnormgeber die Verweisung jederzeit aufheben, was die verfassungsrechtliche Problematik zwar nicht löst, aber zumindest abmildert. bb) Inhaltliche „Absicherung“ der Verweisung gegen beliebige Regelung des Verweisungsobjektgebers (1) Notwendigkeit einer Übernahmelimitierung Es geht also nach diesen Erkenntnissen weitergehend „lediglich“ darum, abzusichern, dass erstens der Verweisungsobjektgeber keine beliebige inhaltliche Entscheidung treffen kann und der zukünftige mögliche Inhalt der Verweisungsnorm vom Willen des Verweisungsnormgebers umfasst ist, sowie zweitens, dass die infolge der Verweisung geltende zusammengesetzte inhaltliche Regelung, die maßgeblich durch das Verweisungsobjekt bestimmt wird, auf das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers rückführbar ist. Dass der Verweisungsobjektgeber keine beliebige Regelung treffen kann und zudem der mögliche Inhalt des Verweisungsobjekts vom Willen des Verweisungsnormgebers umfasst und damit zumindest in seiner inhaltlichen Kontur auf das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers bzw. dessen parlamentarischen Repräsentanten rückführbar ist, lässt sich durch eine Übernahmelimitierung in der Verweisungsnorm erreichen.361 Die Verweisungsnorm muss mit der Übernahmelimitierung den möglichen Inhalt konturieren, der von der Verweisungsnorm übernommen wird, sodass bei einem davon abweichenden Verweisungsobjekt die Rezeption durch die Verweisungsnorm automatisch gestoppt würde, da der Anwendungsbefehl die dann im Verweisungsobjekt getroffenen Regelungen nicht mehr umfassen würde. In diesem Fall wäre dem Verweisungsnormgeber daher zumindest der äußerste Rahmen seiner Norm bekannt, sodass die inhaltliche Kontur der jeweiligen Verweisungsnorm – innerhalb welcher sich die Sachregelung bewegen kann – stets von seinem Willen umfasst ist. Ein Beispiel für eine solche Ausgestaltung stellt § 31 Abs. 1 VwVfG NRW dar, welcher bestimmt: „Für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen gelten die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit nicht durch die Absätze 2 bis 5 etwas anderes bestimmt ist“.
Durch die inhaltliche Vorgabe, dass die in Bezug genommenen Vorschriften „für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen“ gelten, wird inhaltlich konturiert, in welchem Rahmen die bezeichneten Vorschriften rezipiert werden. Sollten sich die §§ 187 bis 193 BGB dergestalt ändern, dass sie keine 361
Ähnlich für den Fall der hinreichenden Bestimmbarkeit des möglichen späteren Inhalts der Verweisungsnorm L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Regelungen über Fristen mehr enthalten, wird durch diese thematische Übernahmelimitierung die automatische Rezeption durch die Verweisungsnorm gestoppt und der Anwendungsbefehl für diese Vorschrift entfällt. Damit wird verhindert, dass der Verweisungsobjektgeber eine beliebige Regelung treffen kann. Freilich sehen die allermeisten dynamischen Fremdverweisungen – erfreulicherweise – eine solche ausdrückliche (thematische) Übernahmelimitierung vor. (2) Anforderungen an eine Übernahmelimitierung Fraglich ist allerdings, welche Anforderungen in concreto an eine solche Übernahmelimitierung zu stellen sind. In Betracht käme die in der Literatur vielfach bemühte Übertragung der Kriterien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, also die Forderung einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmten dynamischen Fremdverweisung.362 Eine solche Übertragung erscheint auf den ersten Blick insoweit sinnvoll, als dass das Grundgesetz in dieser selbst Anforderungen für eine Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen aufstellt, obgleich diese dem Wortlaut nach nur für eine Übertragung per Verordnungsermächtigung an die Exekutive gelten. Für einen ähnlich gelagerten Fall, bei dem ebenfalls Rechtsetzungsbefugnisse an ein Organ außerhalb des originär zuständigen Gesetzgebers übertragen werden, erscheint diese Übertragung daher prima facie sachgerecht. Eine solche Übertragung ist jedoch – zumindest wenn man zwischen den Einzelelementen „Inhalt“, „Zweck“ und „Ausmaß“ unterscheidet363 – nicht vollständig möglich bzw. sinnvoll, sodass diese Anforderungen modifiziert resp. einem anderen Verständnis unterworfen werden müssen. (a) Fehlende Übertragbarkeit des „Zwecks“ So lässt sich insbesondere die Anforderung nach einer nach dem „Zweck“ bestimmten dynamischen Verweisung nicht übertragen. Im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bedeutet eine nach dem „Zweck“ bestimmte Ermächtigung, dass das von der Exekutive bei der Rechtsetzung zu verfolgende Ziel durch die Ermächtigung bestimmt wird.364 Dem Ermächtigten soll ein „zielorientiertes Regelungsprogramm“ vorgegeben werden.365 Es soll sich aus dem Zweck der Ermächtigung auch bestimmen lassen, ob es sich um eine Ermächtigung handelt,
362
Gamber, VBlBW 1983, 197 (198); Guckelberger, ZG 2004, 62 (77) m.w.N.; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (119); Schenke, NJW 1980, 743 (748); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117). Ähnlich Manssen, Bauvorschriften, 256 f. 363 So z.B. H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 33; Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 19 ff. Anders hingegen das BVerfG, welches annimmt, die Anforderungen des Art. 80 GG ließen sich „nicht strikt voneinander abgrenzen“ und seien „nicht als isoliert nachprüfbare Anforderungen zu verstehen, sondern in ihrer Gesamtheit als Gebot hinreichender Bestimmtheit“, BVerfGE 150, 1 (100 Rn. 201) m.w.N. 364 H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 33 m.w.N. 365 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 22 m.w.N.
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bei der der Verordnungsgeber tätig werden kann oder ob es sich um eine Ermächtigung handelt, bei der er tätig werden muss.366 Bei einer dynamischen Verweisung, bspw. einer solchen von Landesrecht auf Bundesrecht, liefen diese Festlegungen allerdings leer. Denn die Vorgabe eines zielorientierten Regelungsprogramms des Verweisungsnormgebers an den Verweisungsobjektgeber ist zum einen nicht möglich, da der Verweisungsobjektgeber sich – wie bereits oben festgestellt367 – regelmäßig nicht an die Vorgaben des Verweisungsnormgebers halten muss und die Normen des Verweisungsobjektgebers auch bei einem „Verstoß“ gegen die Vorgaben der Verweisungsnorm in ihrem üblichen Geltungsbereich Bestand hätten. Zum anderen werden häufig Normen als Verweisungsobjekte in Bezug genommen, die einem anderen Sachbereich angehören als die Verweisungsnorm selbst, sodass die Vorgabe eines „Regelungsprogramms“ unter Berücksichtigung der Erwägungen aus dem Sachbereich der Verweisungsnorm auch sinnentleert wäre. Dies lässt sich anschaulich am Beispiel des § 52 Abs. 2 Nr. 8 AO illustrieren, welcher festlegt, dass als Förderung der Allgemeinheit „die Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes und der Naturschutzgesetze der Länder“ unter den Voraussetzungen des (hier irrelevanten) Abs. 1 anzuerkennen sind. Als Verweisungsobjekte werden das Bundesnaturschutzgesetz und die Naturschutzgesetze der Länder genannt. Eine nach dem Zweck bestimmte Verweisung erforderte nun, dass der Verweisungsnormgeber dem Verweisungsobjektgeber ein Regelungsprogramm vorgibt. Dies würde im hiesigen Beispiel bedeuten, dass der verweisende Bundesgesetzgeber in der Abgabenordnung den Ländern ein Regelungsprogramm unter Berücksichtigung steuerlicher bzw. abgabenrechtlicher Aspekte zur Regulierung des Naturschutzes vorgeben müsste. Dies wäre ersichtlich sinnfrei. Denn die Verweisung wirkt im Unterschied zur Ermächtigung „andersherum“: Der Verweisungsnormgeber will durch die Verweisung vielmehr einen Einklang der AO mit den bereits bestehenden naturschutzrechtlichen Regelungen herstellen, nicht aber eine Anpassung der naturschutzrechtlichen Regelungen an die AO. Dieses Beispiel hebt auch die unterschiedliche Funktion(sweise) von Rechtsverordnung und dynamischer Verweisung hervor: Eine Rechtsverordnung dient häufig zur Spezifikation der gesetzlichen Regelung und kommt damit speziell dieser zugute, während das Verweisungsobjekt unabhängig von der Verweisungsnorm gilt und seine Funktion nicht originär darin besteht, die Verweisungsnorm zu spezifizieren, sondern sich die Verweisungsnorm die für einen anderen Sachbereich bestehenden Regelungen zunutze machen will. Es zeigt sich also, dass die Vorgabe eines Regelungsprogramms für den Verweisungsobjektgeber nicht nur (wegen fehlender Weisungsbefugnis bzw. einer fehlenden Rechtsverbindlichkeit für den Verweisungsobjektgeber angesichts des
366 367
Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 22. Siehe oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) bb) (1).
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Fortbestehens seiner Regelungen auch bei einem „Verstoß“ gegen die Verweisungsnorm) häufig nicht nur nicht möglich, sondern auch wenig sinnvoll ist.368 Ferner muss auch die Frage, ob der Ermächtigte tätig werden kann oder tätig werden muss bei einer dynamischen Verweisung nicht bestimmt werden, da das Verweisungsobjekt unabhängig von der Verweisungsnorm gilt und der Verweisungsobjektgeber in dem ihm originär zustehenden Regelungsbereich auch ohne Bezugnahme auf seine Normen tätig werden darf. (b) Übertragbarkeit des „Inhalts“ Übertragbar ist hingegen ohne Weiteres das Erfordernis, dass die Verweisung dem Inhalt nach bestimmt sein muss. Für Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wird dies dahingehend verstanden, dass vorgegeben werden muss, welche Sachgebiete und Gegenstände per Rechtsverordnung geregelt werden können.369 Eine Verweisung muss dementsprechend vorgeben, für welches Sachgebiet und welche Gegenstände die Verweisung erfolgt, also für welche Sachgebiete und Gegenstände die in Bezug genommenen Vorschriften des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm inkorporiert werden sollen. (c) Übertragbarkeit des „Ausmaßes“ Auch das Erfordernis des Ausmaßes der Verweisung ist übertragbar, muss allerdings einem leicht angepassten Verständnis unterworfen werden. Im Bereich des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bedeutet eine Bestimmtheit des Ausmaßes der Ermächtigung, dass der Verordnungsgeber „Direktiven und Grenzen“ der Ermächtigung vorgibt.370 Es muss also der Umfang der Ermächtigung fixiert werden.371 Wie bereits zuvor festgestellt, kann der Verweisungsobjektgeber hingegen keinen Direktiven unterworfen, sondern lediglich die Inkorporation seiner Regelungen in die Verweisungsnorm limitiert werden. Dementsprechend kann auch eine Fixierung des Umfangs seiner Regelungen nicht erfolgen, sondern lediglich eine Fixierung des Umfangs der Inkorporation in die Verweisungsnorm. Hierzu muss der Verweisungsnormgeber in der Verweisungsnorm festlegen, für welche konkreten zu regelnden Fragen oder Entscheidungen die Regelungen des Verweisungsobjekts inkorporiert werden sollen. Dies kann bspw. die Ausgestaltung eines bestimmten Begriffs oder die Normierung im Detail innerhalb bestimmter Grenzwerte sein. Derartige Grenzwerte sind allerdings keine zwingende Voraus-
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Siehe im Ansatz auch Dürrschmidt, Verweisungen, S. 76 (allerdings ohne Bezug zum Demokratieprinzip): „Eine im materiellen Recht vorhandene Verweisung kann an der Zuständigkeitsordnung nichts ändern, zumal für die Anwendung der Ausgangsnorm ohnehin nur ihr eigenes Regelungsziel maßgeblich ist, nicht dagegen das der Bezugsnorm.“ 369 H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 33 m.w.N. Ähnlich Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 21. 370 H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 33 m.w.N. 371 Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 23.
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setzung, zumal sich naturgemäß nicht jede zu regelnde Entscheidung anhand eines Grenzwerts bestimmen lässt. Die Verweisungsnorm muss jedoch klar erkennen lassen, innerhalb welchen Rahmens die Regelung des Verweisungsobjektgebers übernommen wird. Eine Übernahmelimitierung hinsichtlich des Ausmaßes der Verweisung meint jedoch nicht eine Art „quantitative Begrenzung“, wie sie vom BVerwG vorgeschlagen wird,372 welche beinhaltet, dass die Anzahl der in Bezug genommenen Normen begrenzt wird. Zwar mag auch dies dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit einer beliebigen Regelung des Verweisungsobjektgebers verringert wird, indem die tatsächliche Anzahl der Vorschriften für derartige Regelungen begrenzt wird und mag es aus Sicht des Bestimmtheitsgebots373 sinnvoll erscheinen, durch die zahlenmäßige Begrenzung der Vorschriften eine Erkennbarkeit der in Bezug genommenen Regelungen zu gewährleisten. Jedoch sagt die Anzahl der in Bezug genommenen Vorschriften nichts darüber aus, ob eine beliebige Regelung möglich ist. Denn auch bei Inbezugnahme einer einzigen Vorschrift könnte der Verweisungsnormgeber diese durch eine unbegrenzte Anfügung von Absätzen ergänzen, während bei einer dem Ausmaß nach hinreichend sachlich-inhaltlich limitierten Verweisung auch bei einer Inbezugnahme vieler Vorschriften oder ganzer Regelungskomplexe kein beliebiger Inhalt der Verweisungsnorm möglich ist, da eine Übernahme durch die Konturierung von Inhalt und Ausmaß limitiert ist. Entscheidend ist also nicht das quantitative Ausmaß an Vorschriften, sondern das sachlich-inhaltliche Ausmaß der möglichen Regelung. Für eine Limitierung einer dynamischen Verweisung nach Inhalt und Ausmaß bietet erneut § 52 Abs. 2 Nr. 8 AO ein passendes Beispiel. Denn die Verweisung bezieht sich inhaltlich auf Regelungen der Länder über „die Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ und limitiert das Ausmaß der Übernahme der in Bezug genommenen Regelungen auf die Bestimmung des Begriffs der „Förderung der Allgemeinheit“ (unter den zusätzlichen einschränkenden Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 AO). (d) Zusätzliche Möglichkeit „qualitativer Begrenzung“ Des Weiteren kann eine Übernahmelimitierung in Form einer „qualitativen Begrenzung“ erfolgen, welche Vorgaben oder Modifikationen hinsichtlich der Anwendung der in Bezug genommenen Vorschriften enthält.374 Auch hierfür ist die Vorschrift des § 31 Abs. 1 VwVfG NRW ein passendes Beispiel. Indem die Norm die §§ 187 bis 193 BGB für anwendbar erklärt und hinzufügt „soweit nicht durch die Absätze 2 bis 5 etwas anderes bestimmt ist“, behält sich die Norm Modifi-
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BVerwGE 151, 386 (395 Rn. 27). Vgl. auch BVerwGE 161, 105 (117 Rn. 39). Siehe dazu unten Kap. 2 § 4. 374 Dieses Begrenzungskriterium geht terminologisch und inhaltlich auf BVerwGE 151, 386 (396 f. Rn. 28 ff.) und BVerwGE 161, 105 (117 f. Rn. 39 f.) zurück. Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 7. b) und d). 373
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
kationen dieser Übernahme vor, welche sodann auch wahrgenommen werden. So regelt § 31 Abs. 3 VwVfG NRW: „Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages. Dies gilt nicht, wenn dem Betroffenen unter Hinweis auf diese Vorschrift ein bestimmter Tag als Ende der Frist mitgeteilt worden ist.“
Damit wird eine Abweichung von § 193 BGB festgelegt und somit die Übernahme der §§ 187 bis 193 BGB modifiziert, sodass das Fristende auch bei Änderungen des § 193 BGB jedenfalls unter Berücksichtigung des § 31 Abs. 3 VwVfG zu berechnen ist. Ferner wird durch die „entsprechend[e]“ Anwendung eine Anpassung an die Rechtsmaterie der Verweisungsnorm gewährleistet. Auf diese Weise kann der Verweisungsnormgeber sicherstellen, dass die inhaltliche Regelung trotz der dynamischen Fremdverweisung auch künftig seinen inhaltlichen Vorstellungen entspricht. Allerdings kann eine solche qualitative Begrenzung eine Übernahmelimitierung nach Inhalt und Ausmaß nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Denn ohne eine Vorgabe, auf welchen Gegenstand sich die Verweisung bezieht und innerhalb welchen Rahmens eine Übernahme erfolgen soll, können naturgemäß keine Vorgaben oder Modifikationen der Übernahme normiert werden, da es dann bereits an einer Bestimmung fehlte, was genau in die Verweisungsnorm inkorporiert wird. Ferner kann bei einer unlimitierten Verweisung auch durch derartige Vorgaben und Modifikationen zur Anwendung bei einer fehlenden thematischen Eingrenzung der Verweisung nicht gewährleistet werden, dass diese noch den inhaltlichen Vorstellungen des Verweisungsnormgebers entspricht. Demnach kann eine qualitative Begrenzung allenfalls zusätzlich, jedoch nicht statt einer Limitierung der Verweisung nach Inhalt und Ausmaß angewendet werden. Insbesondere zur zusätzlichen inhaltlichen „Absicherung“ von besonders weitgehenden Verweisungen (wie Globalverweisungen) kann eine solche zusätzliche qualitative Begrenzung geboten sein, um zu gewährleisten, dass die zusammengesetzte Regelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt noch den Vorstellungen des Verweisungsnormgebers entspricht. cc) Rückführbarkeit auf das jeweilige Staatsvolk Letztlich muss „nur“ noch abgesichert werden, dass die infolge der Verweisung geltende inhaltliche Regelung, die maßgeblich durch das Verweisungsobjekt bestimmt wird, auf das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers rückführbar ist. Zwar ist durch die geforderte Übernahmelimitierung sowie die der Verweisung vorgehende Entscheidung des Verweisungsnormgebers, eine Verweisung zu erlassen und auf welche Regelung welchen Normgebers zu verweisen, die zusammengesetzte Regelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt zumindest in ihrer inhaltlichen Kontur vom Willen des Verweisungsnormgebers umfasst und insoweit bereits auf das Staatsvolk des Verweisungsnormgeber zurückzuführen. Jedoch erhält der Verweisungsobjektgeber einen deutlichen inhaltlichen Ein-
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fluss auf die Rechtsetzung, obgleich dieser Einfluss angesichts der geforderten Übernahmelimitierung abgemildert ist. Ferner kann der Verweisungsnormgeber die im Detail getroffenen Regelungen über eine inhaltliche Kontur hinaus nicht absehen. Damit bestünde die Gefahr, dass ein in keiner Weise durch das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers legitimierter Normgeber verbindliches Recht gegenüber diesen Normadressaten schaffen könnte.375 Jede Rechtsetzung seitens des Staates rechtfertigt sich jedoch nur dadurch, dass das Volk die rechtsetzenden Organe legitimiert. Das Demokratieprinzip verlangt, dass die Ausübung staatlicher Gewalt und damit auch die Rechtsetzung auf das jeweilige Staatsvolk rückführbar und dieses nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt ist, welche es legitimieren und effektiv beeinflussen kann.376 Dementsprechend darf keine Rechtsetzung – auch nicht innerhalb einer vorgezeichneten Kontur – durch ein Organ erfolgen, welches gegenüber den Normadressaten in keiner Weise demokratisch legitimiert ist.377 Diesen Aspekt übersieht insbesondere die rechtsrealistisch vermittelnde Ansicht, die bei hinreichender „Begrenzung“ praktisch jedem – und damit auch einem fremden, in keiner Weise durch das betroffene Staatsvolk legitimierten – Verweisungsobjektgeber einen maßgeblichen Einfluss auf die Rechtsetzung gegenüber dem betroffenen Staatsvolk des Verweisungsnormgebers gestatten würde. Denkt man diesen Ansatz der rechtsrealistisch vermittelnden Ansicht, dass es keiner personellen Einschränkung hinsichtlich möglicher Verweisungsobjektgeber bedarf, sondern stets eine hinreichende Begrenzung der Verweisungsnorm ausreiche, konsequent zu Ende, so ergäbe sich, dass bei einer hinreichenden Begrenzung selbst einzelnen Privatpersonen, z.B. einem beliebigen Bürger, umfassende Gesetzgebungsaufgaben durch eine dynamische Fremdverweisung übertragen werden könnten. Dieses Ergebnis kann jedoch vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips ersichtlich keinen Bestand haben. Wenn ein fremder Normgeber ohne eine personelle Einschränkung auf Organe, die durch das jeweilige Volk legitimiert und beeinflusst werden, einen maßgeblichen Einfluss auf den Inhalt der Gesetze des Verweisungsnormgebers erhält, würden die o.g. Vorgaben des Demokratieprinzips nicht erfüllt, sodass derartige dynamische Verweisungen gegen das Demokratieprinzip verstießen.
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Ein vergleichbares Problem stellt sich für die Beteiligung von nicht demokratisch legitimierten Personen an Entscheidungen demokratisch legitimierter Organe. Vgl. hierzu ausführlich, Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 17 ff., welcher es für ausreichend erachtet, wenn das demokratisch legitimierte Organ im Konfliktfalle selbst entscheidungsfähig ist. 376 Vgl. BVerfGE 151, 202 (285 f. Rn. 117, 119); BVerfGE 147, 50 (127 Rn. 197); BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerfGE 83, 60 (71 f.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 14; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 84 m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 2. 377 Damit soll ausdrücklich keine Unvereinbarkeit exekutiver Rechtsetzung i.S.d. Art. 80 GG mit dem Demokratieprinzip erklärt werden, da insoweit eine ununterbrochene Legitimationskette besteht.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
(1) Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes sowie vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes Daraus ergibt sich, dass dynamische Verweisungen von Bundesgesetzen auf das Recht eines einzelnen Landes sowie Verweisungen vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes mit dem Demokratieprinzip unvereinbar sind. Denn der dann in Bezug genommene Verweisungsobjektgeber – das Landesparlament – ist demokratisch nur durch das eigene Landesvolk legitimiert, besitzt jedoch keine demokratische Legitimation gegenüber dem Bundesvolk bzw. der anderen 15 im Bundesvolk enthaltenen Landesvölker sowie gegenüber einem einzelnen anderen Landesvolk. Wenn also bspw. ein Bundesgesetz auf eine bayerische Landesnorm verweisen würde und die so zusammengesetzte Regelung dann als Bundesrecht im gesamten Bundesgebiet gilt, würde dem bayerischen Landesgesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, Bundesrecht, welches dann auch in den anderen 15 Ländern gilt, verbindlich auszugestalten. Demokratisch legitimiert wird der bayerische Landesgesetzgeber nur durch das bayerische Landesvolk, welches die Zusammensetzung des Parlaments mittels des Wahlakts effektiv beeinflussen kann. Dem Volk der anderen 15 Länder käme jedoch kein solcher Einfluss auf den bayerischen Landesgesetzgeber zu und diese legitimieren den bayerischen Landesgesetzgeber auch nicht per Wahlakt. Dies führte dazu, dass das in Bezug genommene Landesparlament – ohne jegliche demokratische Legitimation gegenüber diesen Normadressaten oder einen effektiven Einfluss derselben auf den Verweisungsobjektgeber – verbindliches (Bundes-)Recht setzen könnte. Dies ist jedoch wie gezeigt mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, sodass dynamische Verweisungen von Bundesgesetzen auf das Recht eines einzelnen Landes sowie Verweisungen vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes verfassungswidrig sind. (2) Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht Anders ist es hinsichtlich des Demokratieprinzips jedoch zu bewerten, wenn eine Landesnorm auf Bundesrecht verweist. (a) Demokratische Legitimation Denn das Bundesrecht und der Bundesgesetzgeber besitzt für sich genommen auch gegenüber dem Landesvolk eine demokratische Legitimation, die insbesondere durch die Wahl zum deutschen Bundestag vermittelt wird, bei welcher auch das jeweilige Landesvolk beteiligt ist.378 Zwischen dem Bundesvolk und dem Landesvolk besteht zwar keine ganzheitliche Identität, jedenfalls aber eine Teilidentität.379 Wenn also bspw. der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber (wie im Fall des § 31 Abs. 1 VwVfG NRW) auf eine Bundesnorm verweist, genießt diese 378 379
Im Ansatz wohl auch OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). So auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 91.
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insoweit auch eine eigene demokratische Legitimation gegenüber dem nordrhein-westfälischen Landesvolk, als dass dieses den Bundesgesetzgeber über die Bundestagswahl zumindest teilweise (neben den anderen 15 Landesvölkern) legitimiert. Zudem sind die Abgeordneten des Bundestags nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Vertreter des ganzen (Bundes-)Volkes, dessen Teil das Volk eines einzelnen Landes ist, sodass die Mitglieder des Bundestags zumindest zum Teil auch das Volk des einzelnen Landes repräsentieren. Ferner wird mit dem Bundesrecht ein Recht für anwendbar erklärt, welches in seinem originären Anwendungsbereich bereits unabhängig von der verweisenden Landesnorm gegenüber dem Landesvolk gilt, sodass nicht etwa ein gänzlich fremdes Recht gegenüber dem Landesvolk Geltung erlangt. So gelten bspw. die §§ 187 bis 193 BGB gegenüber dem nordrhein-westfälischen Landesvolk im Bereich des Zivilrechts auch ohne die Verweisungsnorm des § 31 Abs. 1 VwVfG NRW. Zwar ließe sich hiergegen argumentieren, dass die Bundesnormen eben nur in ihrem Kompetenzbereich eine Legitimation gegenüber dem Landesvolk besitzen und in allen anderen Bereichen grundsätzlich nur der Landesgesetzgeber tätig werden darf.380 Jedoch kann dies nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass der Bundestag zumindest teilweise auch durch das betroffene Landesvolk (neben den anderen 15 Landesvölkern) legitimiert wird, sodass die Frage, wann der Bundesgesetzgeber tätig werden darf nur eine Frage der grundgesetzlichen Kompetenzausübung, nicht aber der demokratischen Legitimation ist, die für das Demokratieprinzip allein entscheidend ist. Gegen die Annahme, die demokratische Legitimation bestehe nur für die ursprünglichen Kompetenzen, spricht schon, dass auch eine Änderung der Gesetzgebungskompetenzen im BundLänder-Verhältnis nach der grundgesetzlichen Konzeption381 nicht dazu führt, dass das Volk das Organ, welchem künftig neue Kompetenzen zukommen, erneut per Wahl legitimieren muss. Dies zeigt bereits, dass die demokratische Legitimation nicht auf die zum Zeitpunkt des Wahlakts bestehenden Kompetenzen versteinert ist. (b) Effektiver Einfluss Durch die Wahl zum deutschen Bundestag, an der auch das betreffende Landesvolk (neben den anderen 15 Landesvölkern) partizipiert, wählt das Landesvolk Abgeordnete des Bundestags über die Direktmandate der in diesem Land gele380
In diese Richtung wohl Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 340 f., welcher an die „demokratisch legitimierten Kompetenzen“ des Verweisungsobjektgebers und deren Reichweite anknüpft, dessen Ausführungen sich allerdings auf den speziellen Parlamentsvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG für Strafnormen beziehen, sodass kaum eine Vergleichbarkeit besteht. 381 Denn nach Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG erfolgt eine Wahl zum Deutschen Bundestag alle vier Jahre oder im Fall einer der in den Art. 39 ff. GG vorgesehenen Ausnahmefällen, zu denen eine Kompetenzänderung im Bund-Länder-Verhältnis nicht zählt.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
genen Wahlkreise sowie über die Landesliste. Auf diese Weise kann das betroffene Landesvolk die Gesetzgebung des Bundes – und damit das Verweisungsobjekt – bzw. das gesetzgebende Organ des Bundes zumindest teilweise beeinflussen.382 Hinzu kommt, dass auch durch die Beteiligung der Länder im Bundesrat ein Einfluss des jeweiligen Landesvolkes (über seine Repräsentanten) auf die Gesetzgebung des Bundes und damit auf das Verweisungsobjekt besteht. Zwar sind im Bundesrat nach Art. 51 Abs. 1 GG nur Mitglieder der Landesregierungen und damit nicht (zwingend)383 Mitglieder der Legislative der Länder vertreten.384 Jedoch werden die Landesregierungen über die Wahl des Ministerpräsidenten,385 welcher dann die übrigen Mitglieder der Landesregierungen ernennt,386 mittelbar durch die Landesparlamente bestimmt, sodass die Landesregierungen durch eine ununterbrochene Legitimationskette demokratisch legitimiert sind. Durch die Wahl zum deutschen Bundestag sowie über seine per Legitimationskette legitimierten Repräsentanten im Bundesrat hat das betreffende Landesvolk dementsprechend einen zumindest teilweisen Einfluss auf die Gesetzgebung(sorgane) des Bundes.387 (c) Hinreichendes Legitimationsniveau Diese Erkenntnisse bestärken das oben gefundene Ergebnis: Wenn zusätzlich zur formal bestehenden eigenen inhaltlichen Entscheidung und einer Übernahmelimitierung auch eine demokratische Legitimation und ein effektiver Einfluss infolge einer Teilidentität von dem Volk des Verweisungsnormgebers und dem Volk des Verweisungsobjektgebers besteht, ist eine dynamische Fremdverweisung mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Dies gilt allerdings nur, soweit die Verweisung keine wesentlichen Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betrifft, da der insoweit bestehende Parlamentsvorbehalt eine vollständige eigene Entscheidung des originär zuständigen Gesetzgebers erfordert. 382 Zwar sind die Abgeordneten des Bundestags nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Vertreter des ganzen (Bundes)Volkes, sodass die jeweiligen Abgeordneten nicht nur das Volk des Landes repräsentieren, in welchem sie gewählt wurden. Jedoch können die wahlberechtigten Personen nach § 14 Abs. 2 BWahlG nur in ihrem Wahlbezirk wählen, sodass nur dem Landesvolk zugehörige Personen beeinflussen können, wer als Vertreter des ganzen Volkes über ein Direktmandat oder die jeweilige Landesliste Teil des Bundestags wird und an der Gesetzgebung des Bundes mitwirkt. Ferner sind auch nicht aus dem betreffenden Land stammende Abgeordnete Vertreter des ganzen (Bundes-)Volkes, welches auch das Volk des betreffenden Landes umfasst. 383 Mitglieder der Landesregierungen können als Landtagsabgeordnete regelmäßig auch Teil der Legislative in den Ländern sein. 384 Dies betont Gamber, VBlBW 1983, 197 (198) und folgert daraus, dass eine Vertretung der Länder im Bundesrat nicht für die Zulässigkeit einer Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht spreche. 385 Siehe etwa Art. 52 Abs. 1 LVerf NRW; Art. 44 Abs. 1 BayLVerf. 386 Siehe etwa Art. 52 Abs. 3 S. 1 LVerf NRW; Art. 45 BayLVerf. 387 A.A. wohl Gamber, VBlBW 1983, 197 (198).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 115
Durch das Zusammenwirken dieser Gesichtspunkte und Erfordernisse, kann ein hinreichendes Legitimationsniveau388 hergestellt werden. Ein solches Zusammenwirken bzw. die gegenseitige Ergänzung und Kompensation verschiedener Legitimationsgrundlagen ist für das Verhältnis zwischen funktionell-institutioneller, personell-organisatorischer und sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation anerkannt.389 So führt das BVerfG aus, dass „nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität“ entscheidend sei.390 Es findet insoweit eine „Saldierung“ der verschiedenen Legitimationsgrundlagen statt.391 Dieser Gedanke scheint für das hiesige Problem übertragbar, indem sich ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau aus dem Zusammenwirken der eigenen und nach Inhalt und Ausmaß übernahmelimitierten Entscheidung des unmittelbar vom betroffenen Staatsvolk legitimierten Gesetzgebers sowie einer zumindest teilweisen demokratischen Legitimation und Beeinflussbarkeit des Verweisungsobjektgebers durch das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers ergibt. (3) Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht des jeweiligen Landes Problematisch bleibt lediglich der Fall, dass eine bundesrechtliche dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Vorschriften aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes verweist. Denn insoweit kann hinsichtlich des Erfordernisses einer zumindest teilweisen demokratischen Legitimation des Verweisungsobjektgebers durch das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers auf den ersten Blick 388 Zum Erfordernis eines bestimmten Legitimationsniveaus siehe BVerfGE 151, 202 (291 Rn. 129); BVerfGE 147, 50 (127 f. Rn. 198); BVerfGE 107, 59 (87) m.w.N.; BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerfGE 83, 60 (71 f.); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 113 m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 7. Vgl. auch Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 14, 24 m.w.N.; Trute, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 14. 389 Vgl. BVerfGE 136, 194 (261 f. Rn. 168); BVerfGE 107, 59 (87); BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerfGE 83, 60 (72); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 14, 24; Dreier, Art. 20 D Rn. 113 m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 7; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 20 Rn. 127 ff. (57. Lfg. Januar 2010). Nicht nur für die o.g. Legitimationsarten, sondern wohl auch generell BVerfGE 151, 202 (291 Rn. 129) m.w.N. Zutreffend weist Trute, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 57 darauf hin, dass die unterschiedlichen Legitimationsarten sich zwar teilweise ausgleichen können, jedoch nicht vollständig austauschbar sind. 390 BVerfGE 151, 202 (291 Rn. 129) m.w.N.; BVerfGE 107, 59 (87); BVerfGE 93, 37 (67); BVerfGE 83, 60 (72). Zustimmend Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 128 ff. (57. Lfg. Januar 2010), welcher sogar eine vollständige gegenseitige Ersetzung der verschiedenen Legitimationsarten für möglich hält. 391 So auch Trute, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 14: „Das Legitimationsniveau ist der dogmatische Ort der Saldierung der unterschiedlichen Legitimationsmodi und ihrer Instrumente, um zu prüfen, ob der Zurechnungszusammenhang zwischen der Ausübung der Staatsgewalt und dem Volk hinreichend wirksam und effektiv ist.“ Siehe auch Trute, a.a.O, § 9 Rn. 57: „Das Legitimationsniveau ist der Ort der Saldierung der unterschiedlichen Formen und Mittel der Legitimation […]“.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
nicht geltend gemacht werden, dass der Landesgesetzgeber keine demokratische Legitimation gegenüber den Normadressaten besitzt, da nur die Regelung des jeweiligen Landes gelten würde und nicht etwa bundesweit die Vorschriften eines einzelnen Landes, welche in den anderen 15 Bundesländern jedenfalls keine demokratische Legitimation besäßen. Eine solche Verweisung enthält bspw. § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, welcher lautet: „Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte von Grundstücken haben Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf Grund von Vorschriften dieses Gesetzes […] oder Naturschutzrecht der Länder zu dulden, soweit dadurch die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt wird.“
Es erfolgt also eine dynamische Fremdverweisung auf die Regelungen aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes, bei welcher die Regelung desjenigen Landes anzuwenden ist, in dem das betroffene Grundstück liegt. Hierbei lässt sich in der Tat nicht behaupten, dass es an einer (Teil-)Identität der Staatsvölker und demzufolge an einer hinreichenden demokratischen Legitimation mangelt, da infolge der Anwendung der jeweiligen Landesregelung am Belegenheitsort des Grundstücks nur eine Staatsgewalt gegenüber dem Normadressaten handelt, die ohnehin durch das und gegenüber dem Landesvolk legitimiert ist. Denn das Landesvolk legitimiert den Landesgesetzgeber durch die Landtagswahlen und kann diesen auf diese Weise effektiv beeinflussen. Soweit der Landesgesetzgeber als Verweisungsobjektgeber infolge einer bundesrechtlichen dynamischen Verweisung auf die Regelungen aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes gegenüber dem Landesvolk tätig wird, handelt sogar ein Gesetzgeber gegenüber dem Landesvolk, der nicht nur teilweise, sondern ausschließlich durch dieses legitimiert wird. Folglich sind derartige Verweisungen hinsichtlich des Demokratieprinzips nicht zu beanstanden.392 dd) Gesamtergebnis für Verweisungen im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht Damit lässt sich für Verweisungen im Verhältnis von Bundesrecht und Landesrecht folgendes Ergebnis festhalten: Abseits wesentlicher Entscheidungen und der Bereiche spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte sind Verweisungen bei einer hinreichenden Übernahmelimitierung nach Inhalt und Ausmaß von Landesrecht auf Bundesrecht und von Bundesrecht auf das Recht aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Mit dem
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Unklar ist, ob Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 342 einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Allerdings stellt er offenbar auf die eigene, dem Landesgesetzgeber originär für seine eigenen Regelungen zustehende demokratische Legitimation des Landesgesetzgebers und dessen eigene Gesetzgebungskompetenzen (insbesondere die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Strafnormen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) ab, sodass wohl nicht anzunehmen ist, dass er einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Ferner erfolgen seine Ausführungen zum speziellen Parlamentsvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG für Strafnormen, sodass ohnehin kaum eine Vergleichbarkeit besteht.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 117
Demokratieprinzip unvereinbar sind jedoch dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines einzelnen Landes und dynamische Verweisungen vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes.
II. Spezialkonstellationsspezifische Beurteilung Aus dem oben gefundenen Ergebnis lassen sich für verschiedene Verweisungskonstellationen unterschiedliche Schlüsse hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ziehen. Hierbei sollen zunächst die zu diesen Konstellationen vertretenen Ansichten und die hierzu vorgebrachten Argumente berücksichtigt werden. 1. Verweisungen auf Exekutivvorschriften a) Annahme einer Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Teilweise wird vertreten, dass eine dynamische Fremdverweisung auf Vorschriften der Exekutive, also namentlich Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften393 und auf Rechtsverordnungen394 gegen das Demokratieprinzip verstoßen. Derartige Verweisungen führten zu einer verfassungswidrigen Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen,395 da der jeweilige Minister künftig über den Inhalt des betreffenden Gesetzes entscheiden würde.396 Eine Ermächtigung außerparlamentarischer Organe sei jedoch nur in den Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG möglich.397 Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften verlagerten hingegen Normsetzungsbefugnisse über die in Art. 80 Abs. 1 GG vorgesehenen Ausnahmen hinaus auf die Exekutive.398 Eine Verweisung auf Rechtsverordnungen könne jedoch auch als Vorbehalt zugunsten des ermächtigten Verordungsgebers für den Regelungsbereich der erteilten Ermächtigung auszulegen sein.399 In diesem Fall inkorporiere die Verwei-
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Arndt, JuS 1979, 784 (787) m.w.N.; Karpen, Verweisung, S. 183 (generell für außerparlamentarische Organe); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238) (generell für Vorschriften der Exekutive); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404) (verweist auf allgemeine Argumente bei Fremdverweisungen); Papier, in: FS Lukes, 159 (164 f.); Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.). Wohl auch Jansen, DÖV 1979, 332 (333), der betont, dass der Gesetzgeber bei Grundentscheidungen nicht auf außergesetzliche Regelungen verweisen dürfe. 394 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238) (generell für Vorschriften der Exekutive); Sachs, NJW 1981, 1651 (1652). 395 Karpen, Verweisung, S. 183. 396 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (403) (zu Verwaltungsvorschriften). 397 Arndt, JuS 1979, 784 (787). 398 Arndt, JuS 1979, 784 (787). In diesem Sinne Baden, NJW 1979, 623 (626), welcher andeutet, dass eine Umgehung von Art. 80 GG vorliege, wenn „Nichtnormen“ in Bezug genommen werden, wobei allerdings unklar bleibt, ob er diese Andeutungen auf das Demokratieprinzip beziehen will oder direkt an Art. 80 GG selbst anknüpft. 399 Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.).
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sung die in Bezug genommene Rechtsverordnung nicht, sondern weise deklaratorisch auf die konkurrierende Rechtsetzungsbefugnis hin, die der Verordnungsgeber kraft der Ermächtigung habe.400 Ferner könne eine Verweisung auch als Ermächtigung i.S.d. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auszulegen sein.401 b) Differenzierung nach Verweisungsobjekten Nach einer differenzierenden Sichtweise seien dynamische Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive „innerhalb des Bundes oder eines Landes“ mit dem Demokratieprinzip vereinbar, da „innerhalb eines Gemeinwesens […] nicht nur das Parlament, sondern auch die Exekutive demokratisch legitimiert“ sei.402 Im Übrigen seien dynamische Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive jedoch mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.403 c) Theorie der (weitgehenden) Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip/ Zulässigkeit normkonkretisierender Verweisungen Teilweise wird hingegen vertreten, dass Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften zulässig sein können.404 Zwar dürfe der Gesetzgeber nicht in wesentlichen Angelegenheiten verweisen; abseits davon sei eine dynamische Verweisung auf Verwaltungsvorschriften jedoch zulässig, wenn die Verweisung einen strukturierten Bereich betrifft, „der mehr oder weniger feststeht und durch die Verwaltungsvorschrift nur verdeutlicht wird oder marginal modifizierbar ist“.405 In diesem Falle handele es sich nicht „schwerpunktmäßig“ um Rechtsetzung.406 Wenn der mögliche Inhalt der Verweisungsnorm hinreichend absehbar sei, sei „der gesamte Norminhalt von der Parlamentsentscheidung umfasst“ und „lasse sich auf den Volkswillen zurückführen“.407 Daneben seien normkonkretisierende Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften verfassungsrechtlich zulässig.408 Wenn zur Konkretisierung eines allge-
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Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.). Vgl. Sachs, NJW 1981, 1651 (1652). 402 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 234 m.w.N. allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur abseits von Gesetzes- und Parlamentsvorbehalten gelte. 403 Vgl. Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 404 Brugger, VerwArch 1987, 1 (37 ff.); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 326 hält auch Rechtsverordnungen für taugliche Verweisungsobjekte, soweit „die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden, beachtet werden.“ 405 Brugger, VerwArch 1987, 1 (38). 406 Brugger, VerwArch 1987, 1 (38). 407 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 408 Brugger, VerwArch 1987, 1 (39 f.) unter Bezugnahme auf Marburgers Verständnis der normkonkretisierenden Verweisung. Wohl auch Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726), freilich ohne diese als normkonkretisierende Verweisungen zu bezeichnen. 401
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 119
mein formulierten Standards (z.B. „allgemein anerkannte Regeln der Technik“) auf Verwaltungsvorschriften verwiesen wird, die technischen Sachverstand beinhalten, liege keine konstitutive Verweisung vor, sondern bleibe „der im materiellen Gesetz formulierte Standard selbst leitend“.409 Bei einer derartigen Ausgestaltung als widerlegliche Vermutung erfolge keine Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen.410 Die Normadressaten hätten in diesem Fall auch die Möglichkeit, dem Tatbestand der Verweisungsnorm auch auf andere Weise als durch Erfüllung der Anforderungen des Verweisungsobjekts zu genügen.411 Durch normkonkretisierende Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften würde zum einen dem Demokratieprinzip Rechnung getragen, indem „die Priorität der parlamentarischen Entscheidung gewahrt“ werde; zum anderen würden auf diese Weise auch Bestimmtheits- sowie Effizienzgesichtspunkte berücksichtigt.412 Besonders in technischen Bereichen sei eine (vollständige) formell gesetzliche Regelung unpraktisch und häufig sogar unmöglich.413 d) Rechtsprechung Äußerungen zu dynamischen Verweisungen auf Rechtsverordnungen oder ministerielle Verwaltungsvorschriften finden sich soweit ersichtlich nicht in der Rechtsprechung des BVerfG oder BVerwG. Lediglich das BVerwG beanstandete im Jahr 1963 eine solche dynamische Verweisung eines bayerischen Landesgesetzes auf eine Verwaltungsvorschrift des Bundes nicht und hob hervor, dass der Geltungsgrund der Verwaltungsvorschrift im Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers die landesrechtliche Verweisungsnorm und nicht etwa die Verwaltungsvorschrift selbst sei, sodass keine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen vorliege.414 e) Stellungnahme Erneut ist hier das oben bereits abstrakt gefundene Ergebnis zugrunde zu legen: Dynamische Fremdverweisungen sind nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, welches zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch die Verweisungsnorm legitimiert und zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthalten. Unzulässig sind dynamische Verweisungen jedoch stets, wenn sie wesentliche Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen.
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Brugger, VerwArch 1987, 1 (39). Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 411 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 412 Brugger, VerwArch 1987, 1 (40). 413 Brugger, VerwArch 1987, 1 (39 f.). 414 BVerwG, DVBl. 1964, 765 (765 f.). Im Ergebnis beanstandete auch der BFH (E 171, 84 [88 f.]) eine Verweisung auf eine Rechtsverordnung nicht. 410
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Als unzulässig müssen daher zunächst dynamische Verweisungen von Bundesgesetzen auf Exekutivvorschriften eines Landes und von Landesrecht auf Exekutivvorschriften eines anderen Landes als unvereinbar mit dem Demokratieprinzip angesehen werden, da insoweit der Verweisungsobjektgeber nicht einmal teilweise durch das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers legitimiert oder beeinflusst wird.415 Als vereinbar mit dem Demokratieprinzip kommen daher nur Verweisungen von Landesrecht auf Bundesexekutivvorschriften, von Bundesrecht auf die Exekutivvorschriften aller Länder und von Bundesgesetzen auf Vorschriften der Bundesexekutive sowie von Landesgesetzen auf Vorschriften der jeweiligen Landesexekutive in Betracht.416 Hierbei ist zwischen Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen zu differenzieren. aa) Verwaltungsvorschriften Festzuhalten ist zunächst, dass grundsätzlich alle oben für die Zulässigkeit einer dynamischen Fremdverweisung gefundenen Kriterien erfüllt werden können. So ist auch in diesem Fall die Entscheidung, eine Verweisung auszusprechen und welche Vorschriften in Bezug zu nehmen sind, eine eigene Entscheidung des zuständigen Verweisungsnormgebers. Ferner kann der Verweisungsnormgeber ohne Weiteres eine nach Inhalt und Ausmaß bestimmte Übernahmelimitierung in der Verweisung vorsehen, sodass eine hinreichende Gewähr dafür besteht, dass sich die Verweisungsnorm in ihrem Kern nicht von den Vorstellungen des Verweisungsnormgebers entfernt. Zudem ist bei derartigen Verweisungen auch das Erfordernis einer zumindest teilweisen demokratischen Legitimation des Verweisungsobjektgebers durch das Staatsvolk der Verweisungsnorm erfüllt. Z.B. bei Verweisungen von Bundesgesetzen auf Verwaltungsvorschriften des Bundes besitzt auch die Bundesexekutive eine mittelbare demokratische Legitimation durch das Bundesvolk im Wege einer ununterbrochenen Legitimationskette. Allerdings besteht im Fall von Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive eine Sondersituation, die dazu führt, dass trotz der Erfüllung der oben entwickelten Kriterien keine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip vorliegt: Aus Art. 80 Abs. 1 GG ergibt sich, dass außerparlamentarische Organe nur in bestimmter Form und eingeschränkt an der Rechtsetzung teilhaben sollen. Während Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG festlegt, welche Exekutivorgane Rechtsverordnungen 415 Vgl. insoweit die obige Argumentation unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) cc) zu Verweisungen zwischen Landes- und Bundesrecht. 416 Auch bei Verweisungen von Bundesgesetzen auf Vorschriften der Bundesexekutive sowie von Landesgesetzen auf Vorschriften der jeweiligen Landesexekutive besteht keine Identität von Verweisungsnormgeber und Verweisungsobjektgeber, da die Vorschriften zwar innerhalb derselben Körperschaft (Bund bzw. Land) erfolgen, jedoch der Verweisungsnormgeber der parlamentarische Gesetzgeber (Bundestag und Bundesrat bzw. Landtag) ist, während der Verweisungsobjektgeber ein Mitglied der Exekutive ist (z.B. ein Bundes- oder Landesminister).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 121
erlassen können, legt Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG fest, dass es hierzu einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Würde nun eine dynamische Verweisung eine Verwaltungsvorschrift in Bezug nehmen, bedeutete dies, dass der Exekutive Rechtsetzungsbefugnisse zukommen würden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG beachtet würden. Zwar wäre es möglich, eine Verweisung nach Inhalt, Zweck417 und Ausmaß zu bestimmen. Allerdings würde die dynamische Verweisung eines Gesetzes auf eine Verwaltungsvorschrift dazu führen, dass der Inhalt einer Verwaltungsvorschrift zum Inhalt der Verweisungsnorm würde, sodass dem die Verwaltungsvorschrift erlassenden Exekutivorgan die Möglichkeit zukäme, ein formelles Gesetz auszugestalten. Dies widerspräche jedoch der Vorgabe des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG, welcher ausdrücklich vorsieht, dass die Exekutive lediglich Rechtsverordnungen – also in der Normenhierarchie unterhalb formell-gesetzlicher Regelungen stehende Normen – gegenüber dem Bürger schaffen darf.418 Durch eine Verweisung würde dieses Dogma umgangen, indem die Möglichkeit der Exekutive bestünde, formell-gesetzliche Regelungen auszugestalten.419 Eine dynamische Verweisung auf Exekutivvorschriften führte also zu einer Umgehung des Art. 80 Abs. 1 GG.420 Dieser konkretisiert jedoch das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip für die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf außerparlamentarische Organe.421 Zwar gilt Art. 80 Abs. 1 GG nicht unmittelbar für die Landesgesetzge417 Wenn auch eine Bestimmung des Zwecks i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG nur schwer möglich und sinnfrei wäre, vgl. oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) bb) (2) (a). 418 Vgl. Schenke, NJW 1980, 743 (745 f.); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102 f.). Ohne speziellen Verweisungsbezug Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 13: „Art. 80 GG gestattet den Erlass v. ,Rechtsverordnungen‘, nicht aber v. and. Rechtsnormen.“ Dass Rechtsakte der Exekutive nach der Konzeption des Grundgesetzes nicht den gleichen Rang wie formelle Gesetze haben sollen, verdeutlichen auch die Ausnahmevorschriften der Art. 115k Abs. 1 und 119 GG, welche ausnahmsweise Rechtsverordnungen mit Gesetzeskraft bzw. die Vorrangigkeit von Rechtsverordnungen vorsehen und damit verdeutlichen, dass Rechtsakte der Exekutive abseits derartiger Ausnahmefälle rangmäßig unterhalb von Gesetzen stehen sollen. 419 So auch Karpen, Verweisung, S. 122; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233) (allerdings zum Gewaltenteilungsgrundsatz); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102 f.). 420 Vgl. auch Arndt, JuS 1979, 784 (787); Baden, NJW 1979, 623 (626), welcher andeutet, dass eine Umgehung von Art. 80 GG vorliege, wenn „Nichtnormen“ in Bezug genommen werden, wobei allerdings unklar bleibt, ob er diese Andeutungen auf das Demokratieprinzip beziehen will oder direkt an Art. 80 GG selbst anknüpft. 421 H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 70; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rn. 1; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 111 (jeweils ohne Beschränkung auf außerparlamentarische Organe). Schenke, NJW 1980, 743 (745): Die Regelung des Art. 80 GG stehe „im Zentrum von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip“. Wohl auch VG Hamburg, NJW 1979, 667 (668); Arndt, JuS 1979, 784 (786 f.); Marburger, Regeln der Technik, S. 391 f.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 43 f., welche einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip (auch für andere Konstellationen) damit begründen, dass dies zu einer über die Ausnahme des Art. 80 GG hinausgehenden Verlagerung von Gesetzge-
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
bung; die darin enthaltenen rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze sind jedoch auch für die Landesgesetzgebung verbindlich.422 Ferner handelt es sich bei Art. 80 Abs. 1 GG um eine nicht analogie- bzw. übertragungsfähige Ausnahmevorschrift,423 sodass es nicht genügt, die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auf dynamische Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften zu übertragen, da dies die Möglichkeit der Ausgestaltung von formellen Gesetzen per Verwaltungsvorschrift für die Exekutive eröffnet.424 Dementsprechend verstoßen dynamische Verweisungen von formellen Gesetzen auf Verwaltungsvorschriften gegen das Demokratieprinzip unabhängig davon, wer Normgeber der in Bezug genommenen Verwaltungsvorschriften ist. Besonders bedenklich wäre die Erhebung des Inhalts von Verwaltungsvorschriften in den Rang der Verweisungsnorm auch deshalb, da diese grundsätzlich nur Innenwirkung haben425 und dementsprechend nicht derart konzipiert sind, verbindliche Regelungen gegenüber dem Bürger darzustellen. Es besteht die Gefahr, dass neben den verwaltungsinternen Belangen die Belange der betroffenen Normadressaten nicht hinreichend beim Erlass von Verwaltungsvorschriften berücksichtigt werden. bb) Rechtsverordnungen Während Verwaltungsvorschriften grundsätzlich keine Außenwirkung gegenüber dem Bürger zukommt, sodass jede Übernahme in ein formelles Gesetz, welche diese Außenwirkung erzeugt, zu einer erweiterten Geltung der Verwaltungsvorschrift führt, muss bei Rechtsverordnungen zwischen anwendungsbereichserhaltenden und anwendungsbereichserweiternden Verweisungen differenziert werden.
bungsbefugnissen führe, welcher allerdings für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen abschließend sei. Die in Art. 80 GG enthaltenen rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze anerkennend auch BVerfGE 139, 19 (48 Rn. 56) m.w.N.; BVerfGE 73, 388 (400); BVerfGE 58, 257 (277 f.); BVerfGE 55, 207 (207 1. Ls., 225 f.); BVerwGE 116, 347 (349 f.); Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 2 Fn. 3. Kritisch zu einer Konkretisierung des Demokratieprinzips außerhalb des Art. 20 GG: Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 243 ff. 422 Vgl. auch BVerfGE 139, 19 (48 Rn. 56) m.w.N.; BVerfGE 73, 388 (400); BVerfGE 58, 257 (277) m.w.N.; BVerfGE 55, 207 (207 1. Ls., 225 f.); H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 19 m.w.N.; Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 3. So finden sich mit Art. 80 GG vergleichbare Vorschriften auch in den Landesverfassungen, vgl. z.B. Art. 61 LVerf BW; Art. 43 LVerf ND; Art. 70 LVerf NRW. 423 Vgl. Karpen, Verweisung, S. 174. Auch Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 3, 13 m.w.N. lehnt bspw. eine Übertragung auf Satzungen oder Verwaltungsvorschriften ab. 424 Vgl. Schenke, NJW 1980, 743 (746). 425 Sie können allenfalls eine mittelbare Außenwirkung erlangen. Siehe zum Ganzen H. Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 24 Rn. 22 ff. Die verwaltungsinterne Funktion hervorhebend auch Karpen, Verweisung, S. 122.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 123
(1) Anwendungsbereichserhaltende Verweisungen Soweit von der Verweisung der ursprüngliche Anwendungsbereich der Rechtsverordnung betroffen ist, handelt es sich lediglich um eine deklaratorische Verweisung, da der Anwendungsbereich der Rechtsverordnung nicht erweitert wird und die Rechtsverordnung in ihrem originären Anwendungsbereich ohnehin gegenüber dem Bürger gilt. Eine solche Verweisung dient dann lediglich einem hinweisenden Zweck. Um allerdings zu vermeiden, dass bei der Verwendung des Rechtsinstituts einer Verweisung eine Inkorporation erfolgt, die den Inhalt der Rechtsverordnung unzulässigerweise in den Rang eines formellen Gesetzes erhebt, sollte nicht das Instrument einer deklaratorischen Verweisung benutzt werden, sondern eine Formulierung wie: „Die Regelungen der Verordnung […] bleiben unberührt.“ Auf diese Weise würde auch dem Hinweiszweck genügt und klargestellt, dass nicht etwa eine Inkorporation erfolgen, sondern der Inhalt der Rechtsverordnung in seinem ursprünglichen Rang fortbestehen soll. (2) Anwendungsbereichserweiternde Verweisungen Bei einer dynamischen Verweisung, die nicht lediglich den originären Anwendungsbereich der Rechtsverordnung betrifft, sondern die Regelungen der Rechtsverordnung auch für weitere Bereiche für anwendbar erklärt, ist ebenso wie für Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften zu konstatieren, dass wegen einer Umgehung des Art. 80 Abs. 1 GG, der insoweit das Demokratieprinzip konkretisiert, ein Verstoß gegen selbiges vorliegt.426 Dies mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, da eine bestehende Rechtsverordnung grundsätzlich auf einer Ermächtigung i.S.d. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG beruht, sodass prima facie der Eindruck entstehen könnte, dass den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG Genüge getan sei. Zudem könnte argumentiert werden, dass sich der Verweisungsnormgeber angesichts der Ermächtigung stets im Klaren darüber sei, welchen Inhalt die Verweisung äußerstenfalls annehme und für welche Bereich die Ermächtigung gelten soll.427 Jedoch würde eine solche Argumentation übersehen, dass die Ermächtigung eben nur für den ursprünglichen Anwendungsbereich der Verordnung gilt, sodass nur in diesem den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Genüge getan ist. Ferner bewirkte eine anwendungsbereichserweiternde dynamische Verweisung auf eine Rechtsverordnung, dass deren Inhalt in die Verweisungsnorm inkorporiert und damit in den Rang der Verweisungsnorm erhoben würde. Damit würde Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG umgangen, welcher nur den Erlass von Rechtsverordnungen, also untergesetzlichen Normen, nicht aber die Ausgestaltung formell-gesetzlicher Regelungen gestattet.428 426
Vgl. Karpen, Verweisung, S. 122. Vgl. ferner bereits die Argumentation und die Nachweise oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 1. e) aa). 427 So offenbar Schenke, NJW 1980, 743 (747); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (110). 428 Vgl. auch Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233) (allerdings
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Anwendungsbereichserweiterende Verweisungen auf Rechtsverordnungen sind demnach im Ergebnis wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip verfassungswidrig. Überdies bestünde ohnehin kein praktisches Bedürfnis für eine anwendungsbereichserweiternde dynamische Verweisung auf Rechtsverordnungen, da der Gesetzgeber die Exekutive mittels einer Ermächtigung i.S.d. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zum Erlass einer Rechtsverordnung befähigen könnte, wenn er sich deren Expertise für den betreffenden Bereich zunutze machen will. cc) Ergebnis Konstitutive dynamische Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive sind demnach im Ergebnis unvereinbar mit dem Demokratieprinzip. Nicht zu beanstanden sind lediglich deklaratorische Verweisungen auf Rechtsverordnungen in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich. 2. Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften Besonders dynamischen Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften wurde in der Literatur eine breite Aufmerksamkeit geschenkt. Wenig überraschend existieren zur Frage der Vereinbarkeit derartiger dynamischer Verweisungen erneut unterschiedliche Ansichten: a) These der Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Teilweise wird vertreten, dass eine dynamische Fremdverweisung auf Vorschriften Privater gegen das Demokratieprinzip verstoße.429 Denn über den Inhalt der Verweisungsnorm bestimme künftig nicht der Verweisungsnormgeber, sondern nichtstaatliche Institutionen.430 Derartige Verweisungen verlagerten also Normsetzungsbefugnisse der Legislative in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise auf private Institutionen, die nicht zur Rechtsetzung befugt und nicht demokratisch
zum Gewaltenteilungsgrundsatz); Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102). Vgl. ferner bereits die Argumentation und die Nachweise oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 1. e) aa). 429 Arndt, JuS 1979, 784 (787) m.w.N.; Backherms, ZRP 1978, 261 (261 Fn. 3) m.w.N. (ohne nähere Begründung); Hertwig, RdA 1985, 282 (283); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 116; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 92; Karpen, Verweisung, S. 183 (generell für außerparlamentarische Organe und Organisationen); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238); Krey, EWR 1981, 109 (146); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404) (verweist auf allgemeine Argumente bei Fremdverweisungen); Papier, in: FS Lukes, 159 (164 f.); Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). Wohl auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 118 f.; Jansen, DÖV 1979, 332 (333); Klindt, DVBl. 1998, 373 (373 f.). 430 Arndt, JuS 1979, 784 (787).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 125
legitimiert seien,431 in der Regel keiner staatlichen Aufsicht unterstünden432 und deren Normierungstätigkeit sich nicht (zwingend) am Gemeinwohl orientiere.433 Nichtstaatliche Institutionen würden damit „de facto zum Inhaber staatlicher Gesetzgebungsgewalt.“434 Eine derartige Übertragung hoheitlicher Befugnisse müsse jedoch „als Ausnahme vom Rechtsstaats- und Demokratieprinzip […] in der Verfassung vorgesehen sein“, sofern diese zulässig sein soll.435 Eine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen auf außerparlamentarische Organe sei jedoch nur in den Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG möglich und demnach für nichtstaatliche Institutionen ausgeschlossen.436 Die verfassungsrechtlichen Schranken der Ermächtigung würden ansonsten in unzulässiger Weise umgangen.437 Eine derartige Verweisung stelle demnach insgesamt eine Entäußerung des Gesetzgebers von seiner Normierungspflicht dar und verstoße gegen das Demokratieprinzip.438 Dies gelte umfassend – auch für minimale Verweisungen auf Regeln Privater.439 b) Normergänzende und normkonkretisierende Verweisungen Teilweise wird hingegen vertreten, dass nur die Verwendung normergänzender Verweisungen auf private Regelungen gegen das Demokratieprinzip verstoße.440 Mit ähnlichen Argumenten wie die zuvor dargestellte ablehnende Ansicht wird zur Begründung darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber sich in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise seiner Rechtsetzungsbefugnisse zugunsten nichtstaatlicher Institutionen entäußere,441 bei welchen es an einer demokratischen Legiti431
Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (787); Hertwig, RdA 1985, 282 (283); Karpen, Verweisung, S. 129 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238); Klindt, DVBl. 1998, 373 (373 f.) m.w.N.; Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 432 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (238). 433 Klindt, DVBl. 1998, 373 (373 f.) m.w.N. 434 Hertwig, RdA 1985, 282 (284). 435 Hertwig, RdA 1985, 282 (284). 436 Arndt, JuS 1979, 784 (787). In diesem Sinne auch Baden, NJW 1979, 623 (626), welcher andeutet, dass eine Umgehung von Art. 80 GG vorliege, wenn „Nichtnormen“ in Bezug genommen werden, wobei allerdings unklar bleibt, ob er diese Andeutungen auf das Demokratieprinzip beziehen will oder direkt an Art. 80 GG selbst anknüpft. Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 129 f.; Krey, EWR 1981, 109 (146). 437 Arndt, JuS 1979, 784 (787). 438 Hill, Gesetzgebungslehre, S. 116. Vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 9 ff., 92, welcher ebenfalls darauf verweist, dass das Demokratieprinzip der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf außerstaatliche Stellen Grenzen setze. 439 Vgl. Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 440 Denninger, Normsetzung, Rn. 144; Marburger, Regeln der Technik, S. 390. Vgl. auch Marburger/Enders, UTR 1994, 333 (353) m.w.N. und J. Thiele, DS 2020, 308 (309), welche ausführen, dass normergänzende Verweisungen „aus verfassungsrechtlichen Gründen“ unzulässig seien. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Demokratieprinzips äußernd auch Taupitz, NJW 2003, 1145 (1147). 441 Denninger, Normsetzung, Rn. 144; Marburger, Regeln der Technik, S. 390 f.; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1147). Vgl. auch J. Thiele, DS 2020, 308 (309).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
mation sowie einer Ausrichtung am Gemeinwohl fehle.442 Die normergänzende Verweisung komme einer Ermächtigung nahe, da der zuständige Gesetzgeber nur noch bei formaler Betrachtung gesetzgebend tätig werde, inhaltlich aber private Normgeber die Regelungen ausgestalteten.443 Ferner wisse der Gesetzgeber nicht, welchen Inhalt die Verweisungsnorm annehme, da er auf die Änderung des Verweisungsobjekts keinen Einfluss habe444 und inkorporiere „blind“ den jeweils geltenden Inhalt desselben.445 Eine normergänzende Verweisung räume demnach dem privaten Normgeber faktisch „gesetzgeberisches Ermessen“ ein und führe dazu, dass „Staat in der Sache vollständig zugunsten der privaten Regelgeber ,abdankte‘.“446 Als Ermächtigung würde dies gegen Art. 80 GG verstoßen; dieses Ergebnis dürfe nicht über eine dynamische Verweisung umgangen werden, sodass diese ebenfalls verfassungsrechtlich unzulässig sei.447 Denn eine über die Grenzen des Art. 80 GG hinausgehende Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen sei verfassungsrechtlich unzulässig.448 Vereinbar mit dem Demokratieprinzip seien hingegen normkonkretisierende Verweisungen auf Regelungen Privater.449 Bei diesen sei die staatliche Regelung inhaltlich vollständig und die private Regel gelte nicht mit Rechtsnormqualität als abschließende Auslegung des gesetzlichen Standards (z.B. „Stand von Wissenschaft und Technik“),450 sondern angesichts der „begrifflichen Offenheit“ genügten in der Regel mehrere Verhaltensweisen dem gesetzlich normierten Standard.451 Trotz der normkonkretisierenden Verweisung sei also lediglich der generalklauselartig formulierte Standard verbindlich.452 In diesem Fall reiche „die ununterbrochene demokratische Legitimationskette […] genauso weit wie der Bereich staatlicher Rechtsnormsetzung“.453 Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber bereits selbst eine vollständige Regelung getroffen habe.454
442
Denninger, Normsetzung, Rn. 144. Vgl. Denninger, Normsetzung, Rn. 144; Marburger, Regeln der Technik, S. 391; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1147). 444 Vgl. Denninger, Normsetzung, Rn. 145; J. Thiele, DS 2020, 308 (309). 445 Denninger, Normsetzung, Rn. 144. 446 Marburger, Regeln der Technik, S. 390, 392 f. 447 Marburger, Regeln der Technik, S. 392 m.w.N. 448 Marburger, Regeln der Technik, S. 391. 449 Denninger, Normsetzung, Rn. 145; Marburger, Regeln der Technik, S. 399 ff., 407. Wohl auch Koch, in: jurisPK-SGB V, § 65c Rn. 41 (Stand: 02.08.2022), welcher eine normkonkretisierende Verweisung als „zulässig“ beschreibt; Taupitz, NJW 2003, 1145 (1148 ff.), welcher diese Verweisungsform als „verfassungskonform und auch sachlich adäquat“ bezeichnet, jedoch im Einzelfall strengere Anforderungen an die inhaltliche und personelle Legitimation stellen will, sofern die in Bezug genommenen Vorschriften „faktisch wie [Rechtsnormen] wirken“. 450 Denninger, Normsetzung, Rn. 145; Marburger, Regeln der Technik, S. 399, 406. 451 Marburger, Regeln der Technik, S. 399. 452 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 399 m.w.N. 453 Denninger, Normsetzung, Rn. 145. 454 Vgl. Denninger, Normsetzung, Rn. 145. 443
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Daran ändere die normkonkretisierende Verweisung nichts, sondern zeige dem Normadressaten lediglich eine Möglichkeit auf, den gesetzlichen Anforderungen zu genügen.455 Da der gesetzliche Standard auch auf andere Weise als durch die Befolgung der Anforderungen des Verweisungsobjekts erfüllt werden könne, sei die normkonkretisierende Verweisung „ausschließlich begünstigend“.456 Denn bei Befolgung der in Bezug genommenen Regeln werde widerleglich vermutet, dass der Normadressat dem gesetzlichen Standard genügt habe, aber umgekehrt nicht zu seinen Ungunsten vermutet, dass der gesetzliche Standard nicht erfüllt sei, wenn der Normadressat „einen abweichenden Lösungsweg wählt.“457 Durch die normkonkretisierende Verweisung werde also keine Pflicht begründet, die in Bezug genommenen Regeln zu befolgen.458 Die Frage, ob dem gesetzlichen Standard entsprochen wurde, unterliege zudem vollständig der richterlichen Überprüfung.459 Insgesamt unterscheide sich die Rechtslage daher kaum von der bloßen Normierung des gesetzlichen Standards ohne zusätzliche Verweisung, sodass die dynamische normkonkretisierende Verweisung im Ergebnis verfassungsgemäß sei.460 c) Differenzierung zwischen konstitutiven Verweisungen und widerleglichen Vermutungen Ein ganz ähnlicher Ansatz wird – allerdings ohne die Begriffe der normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisung zu verwenden – von Brugger, Ehricke/Blask und Nolte vertreten.461 Danach bestünden gegen eine konstitutive Verweisung auf nichtstaatliche Vorschriften Bedenken hinsichtlich des Demokratieprinzips, da private Normgeber weder demokratisch legitimiert noch kontrolliert seien und die Gefahr bestehe, dass private Gremien staatliches Recht ausgestalten, „ohne dass eine ausreichende Bestimmtheit, Vorhersehbarkeit und Angemessenheit“ der Regelungen gewährleistet sei.462 Daher dürften diese Regelungen „nicht direkt und abschließend“ als staatliches Recht inkorporiert wer-
455
Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 399 f. Marburger, Regeln der Technik, S. 400 f. 457 Marburger, Regeln der Technik, S. 401. 458 Marburger, Regeln der Technik, S. 406. 459 Marburger, Regeln der Technik, S. 406. 460 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 83, 407. 461 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (41 ff.); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). Die Begriffe der normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen werden lediglich bei Brugger, VerwArch 1987, 1 (40) für den Bereich der Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften angesprochen. 462 Brugger, VerwArch 1987, 1 (41). Vgl. auch Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 187 f. m.w.N., der insbesondere hervorhebt, dass eine solche (konstitutive) Verweisung eine Delegation von Normsetzungsbefugnissen auf nicht demokratisch legitimierte Organe bedeute und die Voraussetzungen des Art. 80 GG nicht vorliegen. 456
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den,463 sondern es müsse für die Normadressaten möglich sein, die gesetzlichen Anforderungen auch auf andere Weise als durch die Befolgung der privaten Regel zu erfüllen und die staatlichen Organe müssten die Möglichkeit haben, im Zweifel von der nichtstaatlichen Norm abzuweichen.464 Dementsprechend sei eine Einbeziehung der Regeln privater Normungsverbände über eine widerlegliche Vermutung verfassungskonform.465 So komme den privaten Normen eine „faktisch erhebliche“, aber „rechtlich beschränkte Indikationswirkung“ zu,466 da die Normadressaten den Tatbestand der Verweisungsnorm dann auch auf andere Weise erfüllen könnten.467 Es erfolge also keine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen.468 Die Anforderungen an eine indirekte Rezeption können nach Brugger dann gelockert werden, wenn die technische Regelung für den Inhalt einer Verpflichtung nicht entscheidend ist, sondern diese nur verdeutlicht.469 Denn in diesem Fall sei die gesetzliche Regelung weder unvollständig, noch führe die Verweisung zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung; die bereits vollständige Regelung werde nur spezifiziert, was auch durch einen privaten Normgeber vorgenommen werden könne.470 In hochkomplexen technischen Materien sei es allerdings „faktisch unausweichlich“ und daher auch „verfassungsrechtlich hinzunehmen“, privaten Gremien einen freieren Normierungsspielraum zu überlassen und keine inhaltlich vollständige staatliche Regulierung dieser Materien zu fordern.471 Nichtsdestotrotz müsse der demokratisch legitimierte Gesetzgeber auch hierbei die leitenden Standards selbst festlegen.472 d) Annahme einer Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip (bei hinreichender Begrenzung) Teilweise wird vertreten, dass bei hinreichender Begrenzung auch konstitutive Verweisungen auf private Regelungen mit dem Demokratieprinzip vereinbar seien.473 Hierzu wird zum Teil auch für diese Konstellation ausgeführt, dass der463
Brugger, VerwArch 1987, 1 (42). Brugger, VerwArch 1987, 1 (42); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). Vgl. auch Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 189 ff., der dies allerdings auf „Tatsachenvermutungen“ beschränken will. 465 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (41 ff., Fn. 199). 466 Brugger, VerwArch 1987, 1 (42). 467 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). Vgl. auch Brugger, VerwArch 1987, 1 (42 f.). 468 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726). 469 Brugger, VerwArch 1987, 1 (43). 470 Brugger, VerwArch 1987, 1 (43 f.). Beispielhaft nennt Brugger § 26 Abs. 1 Nr. 1 BOKraft, welcher festlegt, dass Taxen durch einen hell-elfenbein-farbigen Anstrich kenntlich gemacht werden müssen und für den genauen Farbton auf ein Farbtonregister des Ausschusses für Lieferbedingungen und Gütesicherung (RAL) beim Deutschen Normenausschuss verweist. 471 Vgl. Brugger, VerwArch 1987, 1 (42 f.). 472 Brugger, VerwArch 1987, 1 (43). 473 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (82 f.); Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, 464
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 129
artige Verweisungen dem Demokratieprinzip genügten, soweit sie nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt seien.474 Ähnlich konstatiert auch Clemens, dass eine Verweisung auf private Regelungen zulässig sei, „wenn das Verweisungsausmaß deutlich begrenzt wäre und dem ausfüllenden Normgeber (den normsetzenden Verbänden) nur ein eng begrenzter Spielraum bliebe“.475 Sofern dies jedoch nicht gegeben sei, liege eine hinreichende rechtsstaatlich-demokratische Legitimation nur vor, wenn nur auf einen „kleinen begrenzten und im Gesamtbild nebensächlichen Regelungsbereich“ verwiesen wird.476 Letzteren Aspekt berücksichtigt etwas abweichend auch Moritz und führt aus, dass der zuständige Gesetzgeber wesentliche Entscheidungen nicht dem privaten Normgeber übertragen dürfe.477 Soweit jedoch der Inhalt des Verweisungsobjekts im Wesentlichen feststeht und die Ausgestaltungsmöglichkeiten auf diese Weise begrenzt seien, könne „von einem Verzicht auf Gesetzgebungsbefugnisse nicht die Rede sein.“478 Verfassungsrechtlich zulässig sei es daher, „wenn lediglich zur Komplettierung eines gesetzlich vorgegebenen Tatbestands“ auf Regelungen privater Normgeber verwiesen wird bzw. diesem lediglich „inhaltliche Entscheidungen von zweitrangiger Bedeutung“ übertragen werden.479 Wenn der Inhalt des Verweisungsobjekts im Wesentlichen feststeht, verstoße eine Verweisung auf Regeln nichtstaatlicher Organe nicht gegen das Demokratieprinzip.480 Ein „Totalvorbehalt“ in dem Sinne, dass der Gesetzgeber jede Entscheidung selbst treffen müsse, würde zudem dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip widersprechen.481 Der Gesetzgeber könne in bestimmten Rechtsbereichen kein „umfassendes und lückenloses Normwerk aufstellen“ und sei „insoweit auf tatbestandskomplettierende Drittregelungen angewiesen“.482 Nach Schmidt könne bei einem repräsentativen und sachverständigen privaten Gremium außerdem davon ausgegangen werden, dass stets eine angemessene
S. 55 (für Verweisungen auf Tarifverträge); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 ff.) (zweifelnd allerdings bei fehlender mitgliedschaftlicher Legitimation); Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290 („in engen Grenzen“ zulässig). Vgl. auch Clemens, AöR 1986, 63 (103 f., 116). 474 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (82 f.). Vgl. auch Clemens, AöR 1986, 63 (103 f.). 475 Clemens, AöR 1986, 63 (116). 476 Clemens, AöR 1986, 63 (104). 477 Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 55 (für Verweisungen auf Tarifverträge). 478 Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 55 (für Verweisungen auf Tarifverträge). 479 Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 55 (für Verweisungen auf Tarifverträge). 480 Vgl. L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118) anhand einer Verweisung auf die VOB/B; zweifelnd allerdings bei fehlender mitgliedschaftlicher Legitimation. 481 Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 46. 482 Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 46.
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Regelung getroffen werde, sodass nicht behauptet werden könne, Regelungen Privater hätten niemals einen im Wesentlichen feststehenden Inhalt.483 Teilweise wird für Verweisungen auf tarifvertragliche Regelungen weitergehend vertreten, dass der Verweisungsnormgeber ohne Begrenzung dynamisch auf Vorschriften verweisen dürfe, „die dem Sonderbereich des Art. 9 III GG zuzurechnen sind“.484 Dort habe „der Staat seine Rechtsetzungszuständigkeit weit zurückgenommen, und die Ausgestaltung der Rechtsordnung ist in weitem Maße den autonomen Verbänden überlassen“.485 Da die Normgebungsbefugnisse dort ohnehin nicht beim staatlichen Gesetzgeber lägen, erfolge keine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen, sodass diese Verweisungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien.486 Vielmehr habe eine solche Verweisung lediglich deklaratorischen Charakter und weise auf die Vorschriften der Tarifvertragsparteien hin.487 Diese Privilegierung gelte allerdings nur, soweit durch die Verweisung lediglich Tarifvertragsparteien betroffen seien, nicht jedoch gegenüber Nichtmitgliedern, für welche nicht bereits der Tarifvertrag gilt.488 e) Kombinationsansatz Einen Kombinationsansatz vertritt Veit, welche zunächst konstatiert, dass eine normergänzende Verweisung auf technische Regeln privater Institutionen, bei denen „das Verweisungsobjekt vollständig zur Inhaltsausfüllung herangezogen wird“489, gegen das Demokratieprinzip verstößt.490 Denn bei derartigen Verweisungen sei eine „eigenverantwortliche Prüfung und Entscheidung […] durch den zuständigen Gesetzgeber“ nicht möglich und gestalte zukünftig der private Normgeber den Inhalt der Verweisungsnorm aus.491 Ferner stelle dies einen Verstoß gegen das Gebot des Demokratieprinzips dar, eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen nur in den Grenzen des Art. 80 GG vorzunehmen.492 Was dem Gesetzgeber als Ermächtigung versagt sei, könne nicht „auf dem Umweg“ einer derartigen Verweisung erreicht werden, da ansonsten eine „Umgehung des 483
L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (118). Clemens, AöR 1986, 63 (114). In diesem Sinne auch Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 43 f. 485 Clemens, AöR 1986, 63 (114). So auch Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 44. 486 Clemens, AöR 1986, 63 (114). 487 Clemens, AöR 1986, 63 (114). Ähnlich Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (248), welcher ausführt, dass gegen Vorbehalte zugunsten einer Regelung durch Tarifvertragspartner keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden. 488 Clemens, AöR 1986, 63 (114 f.). So auch Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 44 f. 489 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 52. Hervorhebung nicht im Original. 490 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 42 ff. 491 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 43. 492 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 43 f. 484
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Art. 80 GG“ bzw. eine „Abdankung des Parlaments zugunsten einer Rechtsetzung durch außerparlamentarische Organe“ vorläge.493 Anders als andere Autoren, die zwischen normergänzender und normkonkretisierender Verweisung differenzieren, geht Veit jedoch nicht von der gänzlichen Unzulässigkeit normergänzender Verweisungen aus, sondern hält diese – unter Übertragung der Kriterien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG494 – für zulässig, wenn die Verweisung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzt ist.495 Zwar müsse der zuständige Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen; dies sei jedoch gegeben, wenn der Gesetzgeber die grundlegenden Entscheidungen in Form von Inhalt, Zweck und Ausmaß regelt, sodass bei Erfüllung dieser Anforderungen auch eine dynamische Verweisung zulässig sei.496 Unschädlich sei es, dass der Kreis der Ermächtigungsadressaten des Art. 80 GG beschränkt sei, da der Adressatenkreis „völlig unabhängig“ von der Frage sei, „ob eine unzulässige Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen vorliegt“.497 Diese könne nur durch inhaltliche Anforderungen an die Verweisungsnorm vermieden werden.498 „Für diese Frage eines Eingriffs in die Kompetenzen des parlamentarischen Gesetzgebers“ sei es jedoch „gleichgültig, wer eingreift.“499 Neben derartig begrenzten normergänzenden Verweisungen seien ferner auch normkonkretisierende Verweisungen eine verfassungsrechtlich zulässige Form der Bezugnahme auf technische Normen Privater.500 Durch die Beschränkungen auf nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzte normergänzende oder normkonkretisierende Verweisungen könne gesichert werden, dass der Gesetzgeber die grundsätzlichen Regelungen selbst trifft und „vermieden werden, daß durch Änderung des Verweisungsobjekts“ die Verweisungsnorm einen völlig anderen Inhalt erhält.501 Auf diese Weise könne ein „Übergriff des privaten Regelgebers in die Kompetenz und die Pflichten des Gesetzgebers der Verweisungsnorm“ verhindert werden.502 Dem privaten Normgeber verbleibe lediglich die Regelung von Einzelheiten.503
493
Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 44. Ausdrücklich Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 65 f. 495 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 65 f., 70. 496 Vgl. Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 65 ff. 497 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 72. 498 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 72 f. 499 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 73. 500 Vgl. Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 73 f. 501 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 73. 502 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 73. 503 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 76. 494
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f) Matthias Schwierz Einen außergewöhnlichen Ansatz verfolgt auch Matthias Schwierz, der dynamische Verweisungen auf Regelungen Privater als Rechtsetzungsermächtigungen zum Erlass von Normen eigener Art zugunsten dieser versteht und als verfassungsrechtlich zulässig ansieht.504 Seine Ausführungen liegen gänzlich abseits jeglicher sonst vorzufindender Argumentationsstrukturen, indem er etwa mit der Subsidiarität des Staates argumentiert sowie eine Verhältnismäßigkeitsabwägung für die Übertragung von Normsetzungsbefugnissen auf Private vornimmt,505 und haben in der Literatur zu Recht keinen Anklang gefunden. Dieser Ansatz sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. g) Rechtsprechung Auch in den Entscheidungen des BVerfG sowie des BVerwG finden sich Aussagen zu der hier relevanten Problematik der dynamischen Verweisung auf Regelungen nichtstaatlicher Organe. aa) Bundesverfassungsgericht Zu einer Verweisung eines Landesgesetzes auf eine tarifvertragliche Regelung stellte das BVerfG fest, dass eine Auslegung als dynamische Verweisung gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verstoße.506 Der Gesetzgeber dürfe „seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen, soll der Bürger nicht schrankenlos einer normsetzenden Gewalt nichtstaatlicher Einrichtungen ausgeliefert werden“.507
Eine Verweisung auf tarifvertragliche Regelungen dürfe nicht zur Folge haben, „daß der Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt der Tarifvertragsparteien ausgeliefert wird, die ihm gegenüber weder staatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind“.508
Denn dies bedeute einen Verstoß gegen das „Rechtsstaatsprinzip, wonach Einschränkungen der Freiheit des Bürgers, […] nur durch oder aufgrund staatlicher Gesetze erfolgen dürfen“ sowie gegen das Demokratieprinzip, nach welchem jede Ordnung eines Lebensbereichs „auf eine Willensentschließung der vom Volke bestellten Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden muß“.509 Nur soweit der Inhalt der nichtstaatlichen Tarifnormen „im wesentlichen feststeht,“ könne „von
504
Vgl. Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 63–93. Vgl. insb. Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 81 f., 84 ff. 506 BVerfGE 64, 208 (213 ff.). 507 BVerfGE 64, 208 (214). 508 BVerfGE 64, 208 (214). 509 BVerfGE 64, 208 (214 f.). 505
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 133
einem unzulässigen Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnisse nicht die Rede sein“.510 Zwar habe der Staat „im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG […] seine Rechtsetzungszuständigkeit zurückgenommen und die Ausgestaltung der Rechtsordnung in weitem Maße den Tarifvertragsparteien überlassen“.511
Jedoch lasse Art. 9 Abs. 3 GG „Rechtsetzung durch die Tarifvertragsparteien […] grundsätzlich nur gegenüber ihren Verbandsmitgliedern zu“.512 Soweit eine Auslegung der im konkreten Fall maßgeblichen Verweisung als dynamisch dazu geführt hätte, dass infolge der tarifvertraglichen Regelungen ein Anspruch gegen ein Nichtmitglied einen gänzlich anderen Charakter erhielte, sei „eine Begrenzung der Verweisung, wie sie unter rechtsstaatlich-demokratischem Aspekt notwendig wäre, […] nicht mehr erkennbar“.513 Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden „Befugnis der Tarifvertragsparteien zu autonomer Rechtsetzung“, da es gegenüber Nichtmitgliedern insoweit an der mitgliedschaftlichen Legitimation fehle und eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht erfolgt sei.514 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1986 formulierte das BVerfG noch deutlicher, dass dynamische Verweisungen in staatlichen Gesetzen auf Tarifnormen unzulässig seien, „weil eine im Blick auf das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip hinreichende Begrenzung der Verweisung nicht mehr erkennbar wäre“.515 Zu einer Verweisung eines Landesgesetzes auf tarifvertragliche Regelungen führte das BVerfG aus, dass sich der Gesetzgeber zwar der Fremdverweisungstechnik bedienen dürfe, dies bei dynamischen Verweisungen aber zur Folge haben könne, dass „er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und damit der Entscheidung Dritter überläßt.“516 Daraus folge zwar nicht, dass dynamische Verweisungen „schlechthin ausgeschlossen“ seien; jedoch seien sie „nur in dem Rahmen zulässig“, den das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip vorgeben, welcher zusätzlich durch grundrechtliche Gesetzesvorbehalte eingeschränkt werden könne.517 Eine Verweisung auf Tarifnormen dürfe nicht dazu führen,
510
BVerfGE 64, 208 (215). BVerfGE 64, 208 (215). 512 BVerfGE 64, 208 (215). 513 BVerfGE 64, 208 (215). 514 BVerfGE 64, 208 (215 f.). 515 BVerfGE 73, 261 (272). Allerdings betraf der konkret zu beurteilende Fall keine Verweisung eines staatlichen Gesetzes, sondern lediglich diejenige eines zwischen Unternehmer und Betriebsrat vereinbarten Sozialplans, sodass die Aussagekraft der obigen Äußerungen des Gerichts beschränkt sein dürfte. 516 BVerfGE 78, 32 (36). 517 BVerfGE 78, 32 (36). 511
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„daß der Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt der Tarifvertragsparteien ausgeliefert wird, die ihm gegenüber weder staatlich demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind“.518
Vielmehr müsse der Inhalt der Tarifnormen „im wesentlichen feststehen“.519 Erst dann liege kein unzulässiger Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnisse vor und genüge die Verweisungsnorm den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip.520 Eine dynamische Verweisung staatlicher Gesetze auf tarifvertragliche Regelungen sei also nur zulässig, wenn die in Bezug genommenen Regelungen im Wesentlichen feststehen und die Verweisung lediglich die Ausgestaltung von „Einzelheiten“ betrifft.521 bb) Bundesverwaltungsgericht Zu einer dynamischen Verweisung auf tarifvertragliche Regelungen522 führte das BVerwG aus, dass der Verweisung auf nichtstaatliche Vorschriften „verfassungsrechtlich enge Grenzen gezogen“ seien und der Gesetzgeber „seine Normsetzungsbefugnis nicht schrankenlos außerstaatlichen Stellen überlassen“ dürfe, da er ansonsten „unzulässig auf seine Rechtsetzungsbefugnis verzichten“ würde.523 In Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Aussagen des BVerfG führte das BVerwG aus, dass eine Verweisung nicht dazu führen dürfe, dass die inhaltliche Ausgestaltung einem Verweisungsobjektsgeber obliegt, welcher gegenüber den Normadressaten der Verweisungsnorm „weder staatlich-demokratisch, noch mitgliedschaftlich legitimiert“ ist.524 Nur wenn der Inhalt des tarifvertraglichen Verweisungsobjekts „im Wesentlichen feststeht“, sei „der Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnis zulässig“ und genüge die Verweisungsnorm den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip.525 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 stellte das BVerwG für eine dynamische Verweisung einer Bundesrechtsverordnung auf eine Richtlinie des Unionsrechts, welche ihrerseits dynamisch auf Regelungen eines nichtstaatlichen Normgebers verwies, fest, dass diese nicht gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verstoße.526 In der Rechtsprechung sei geklärt, dass ein Normgeber
518
BVerfGE 78, 32 (36). BVerfGE 78, 32 (36). 520 BVerfGE 78, 32 (36). 521 Vgl. BVerfGE 78, 32 (36 ff.) anhand des konkreten Falls. 522 Die zu beurteilende Verweisungsnorm befand sich im Einigungsvertrag, also nicht in einer staatlichen Rechtsnorm, sondern einem völkerrechtlichen Vertrag, sodass die Aussagekraft der Ausführungen des BVerwG insoweit beschränkt ist. 523 BVerwG, Urt. v. 21.12.2000 – 2 C 42/99, juris-Rn. 16. 524 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.12.2000 – 2 C 42/99, juris-Rn. 17 anhand des konkreten Falls. 525 BVerwG, Urt. v. 21.12.2000 – 2 C 42/99, juris-Rn. 16 unter Verweis auf BVerfGE 26, 338 (366 f.); BVerfGE 44, 322 (348); BVerfGE 64, 208 (214 f.); BVerfGE 78, 32 (36). 526 BVerwGE 147, 100 (113 ff. Rn. 37 ff.). 519
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 135
auch auf fremde Vorschriften verweisen dürfe.527 Auch eine Verweisung auf nichtstaatliche Vorschriften sei nicht ausgeschlossen,528 sondern es handele sich um eine übliche Regelungstechnik zur Ausstattung nichtstaatlicher technischer Standards mit Rechtskraft.529 Erneut führte das Gericht aus, dass eine Verweisung auf nichtstaatliche Regelungen jedoch nicht zur Folge haben dürfe, dass „der Bürger schrankenlos einer Normsetzungsgewalt ausgeliefert ist, die ihm gegenüber weder staatlich noch mitgliedschaftlich legitimiert ist.“530 Denn dies verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip, „wonach Einschränkungen der Freiheit des Bürgers […] nur durch oder aufgrund staatlicher Gesetze erfolgen dürfen“ sowie gegen das Demokratieprinzip, welches gebiete, dass jede Ordnung eines Lebensbereichs „auf eine Willensentschließung der vom Volke bestellten Gesetzgebungsorgane“ rückführbar sein müsse.531 Wie bereits zuvor führte das Gericht aus, dass die Verweisungsnorm den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nur genüge, soweit der Inhalt des nichtstaatlichen Verweisungsobjekts „im Wesentlichen feststeht“.532 Für die Beurteilung der Verfassungskonformität einer dynamischen Verweisung sei neben der betroffenen Regelungsmaterie sowie der Grundrechtsrelevanz auch der Umfang der Verweisung maßgeblich.533 Sofern der Umfang der Verweisung gering sei, spreche dies für deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit.534 Bei einem geringen Umfang der Verweisung könne davon ausgegangen werden, dass der Verweisungsnormgeber das Verweisungsobjekt inhaltlich verfolge und auf unerwünschte Änderungen „umgehend reagieren“ könne.535 h) Stellungnahme zur Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften In Übertragung des bereits oben abstrakt gefundenen Ergebnisses, dass dynamische Fremdverweisungen nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar sind, wenn sie ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, welches zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch die Verweisungsnorm legitimiert und zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthalten, ergibt sich zunächst, dass konstitutive/normergänzende dynamische Verweisungen von staatlichen Rechtsnormen auf nichtstaatliche Vorschriften wegen Verstoßes gegen das
527
BVerwGE 147, 100 (114 Rn. 39). BVerwGE 147, 100 (114 Rn. 39). 529 BVerwGE 147, 100 (114 f. Rn. 39). Dies gelte insbesondere im Bereich des Umweltrechts für DIN-Normen und vergleichbare technische Regelungen. 530 BVerwGE 147, 100 (115 Rn. 42). 531 BVerwGE 147, 100 (115 f. Rn. 42). 532 BVerwGE 147, 100 (116 Rn. 42) unter Bezeichnung dieser Position als ständige Rechtsprechung und m.w.N. 533 BVerwGE 147, 100 (116 Rn. 43). 534 Vgl. BVerwGE 147, 100 (116 Rn. 43). 535 BVerwGE 147, 100 (116 f. Rn. 44). 528
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Demokratieprinzip verfassungswidrig sind. Denn nichtstaatlichen Normgebern fehlt es an jeglicher demokratischen Legitimation, sodass die Normadressaten der Verweisungsnorm letztlich dem abschließenden Einfluss eines Organs ausgesetzt wären, welches ihnen gegenüber keine demokratische Legitimation besitzt.536 Dies widerspräche den Vorgaben des Demokratieprinzips, dass jede Ausübung von Hoheitsgewalt – was die Ausgestaltung von Gesetzen unzweifelhaft ist – auf das Volk rückführbar sein muss und die Normadressaten einen effektiven Einfluss auf die Gesetzgebung haben müssen. aa) Unerheblichkeit einer „Begrenzung“ oder eines feststehenden Regelungsbereichs Die Annahme, die seitens der befürwortenden Ansicht und der Rechtsprechung geäußert wird, dass bei hinreichender Begrenzung der Verweisung oder wenn das Verweisungsobjekt „im Wesentlichen feststeht“ trotz fehlender demokratischer Legitimation kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vorliegt, kann daher nicht überzeugen. Dechiffriert man diese Ansicht, so lautet sie, dass jedes beliebige Organ verbindlich staatliches Recht ausgestalten dürfte, sofern eine Begrenzung besteht oder das Verweisungsobjekt „im Wesentlichen feststeht“. Denkt man diesen Ansatz, der keine personellen Einschränkungen hinsichtlich des Verweisungsobjektgebers enthält, konsequent zu Ende, müsste es danach auch zulässig sein einer einzelnen beliebig durch den Verweisungsnormgeber auswählbaren Privatperson die Setzung staatlichen Rechts per dynamischer Verweisung zu übertragen, solange nur eine Begrenzung besteht oder die Verweisungsnorm „im Wesentlichen feststeht“.537 Dass dies mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar sein kann, nach welchem sich das Volk Recht durch seine demokratisch legitimierten Repräsentanten gibt und welches verlangt, dass die Ausübung staatlicher Gewalt (also auch die Rechtsetzung) auf das jeweilige Staatsvolk rückführbar sein muss und dass dieses nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt sein darf, welche es effektiv beeinflussen kann,538 bedarf wohl keiner weiteren Begründung. Auch eine noch so geringe Möglichkeit nichtstaatlicher (und insbesondere nicht demokratisch legitimierter) Organe, staatliches Recht auszugestalten, kann daher vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips nicht geduldet werden.539
536 Ähnlich ist insoweit die Rechtsprechung, welche fordert, dass die Normadressaten nicht schrankenlos einer normsetzenden Gewalt ausgeliefert sein dürfen, die ihnen gegenüber nicht legitimiert ist, vgl. z.B. BVerfGE 78, 32 (36); BVerfGE 64, 208 (214); BVerwGE 161, 105 (115 f. Rn. 37); BVerwGE 151, 386 (394 Rn. 25); BVerwGE 147, 100 (115 f. Rn. 42). 537 Siehe hierzu schon oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) cc). 538 Vgl. BVerfGE 151, 202 (285 f. Rn. 117, 119); BVerfGE 147, 50 (127 Rn. 197); BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerfGE 83, 60 (71 f.); Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 14; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 84 m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 2. 539 So im Ergebnis auch Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 137
Zudem kann schon die Annahme, dass es nichtstaatliche Verweisungsobjekte gebe, die „im Wesentlichen feststehen“, nicht überzeugen. Bereits für staatliche Normen trifft diese Annahme – wie gezeigt – nicht zu.540 Umso mehr muss dies allerdings für nichtstaatliche Normen gelten, bei denen die Normgeber nicht den verfassungsrechtlichen Bindungen eines staatlichen Gesetzgebers unterliegen.541 So bestehen keine allgemeingültigen Verfahrens-, Beschluss- oder Mehrheitsquorenvorgaben, die für alle nichtstaatlichen Normgeber gelten, sondern sind auch diese Umstände deren freier Disposition unterworfen. Außerdem sind nichtstaatliche Normgeber nicht grundgesetzlich verpflichtet, die Auswirkungen auf die Normadressaten abzuwägen und die Normen unter strikter Beachtung der Grundrechte auszugestalten.542 Folglich können nichtstaatliche Normen deutlich schneller und ungebundener erheblichen Änderungen unterworfen werden als staatliche Normen.543 Noch weniger als bei staatlichen Normen kann daher behauptet werden, dass es Bereiche gibt, in denen die Regelungen auch für die Zukunft im Wesentlichen feststehen.544 Dementsprechend kann auf diese Weise keine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip für dynamische Verweisungen auf nichtstaatliche Normen begründet werden. bb) Fehlende Übertragbarkeit der Kriterien des Art. 80 Abs. 1 GG Soweit Vertreter der befürwortenden Ansicht in Übertragung der Kriterien des Art. 80 Abs. 1 GG auch nichtstaatliche Normgeber an der Rechtsetzung beteiligen wollen, spricht hiergegen auch dessen Charakter als nicht übertragungsfähige Ausnahmevorschrift,545 welche sogar die Übertragung von Rechtsetzungsmacht auf die Exekutive engen Grenzen unterwirft, sodass die Übertragung auf Private, die nicht über eine Legitimationskette legitimiert sind, sondern denen überhaupt keine demokratische Legitimation zukommt, umso mehr ausgeschlossen erscheint. cc) Benennung rechtsetzender Organe durch das Grundgesetz Dieses Ergebnis wird dadurch untermauert, dass das Grundgesetz nichtstaatliche Organe nicht als mögliche rechtsetzende Organe benennt, während solche Benennungen für alle anderen Organe erfolgen, deren Recht verbindliche Wirkungen in der Bundesrepublik Deutschland entfalten soll.546 So nennt es bspw. in 540
Vgl. dazu bereits die obigen Ausführungen unter Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) bb) (2) und Kap. 2 § 1 C. I. 7. d). 541 Guckelberger, ZG 2004, 62 (82) m.w.N. 542 Ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (82). 543 Ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (82). 544 Guckelberger, ZG 2004, 62 (82) m.w.N. Ähnlich kritisiert Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 47, dass es bei privaten technischen Normen häufig an der Strukturiertheit des Verweisungsobjekts fehle. 545 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 1. e) aa). 546 Ähnlich Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 337, welcher betont, dass
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Art. 23 GG die Europäische Union, in Art. 24 GG zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen, in Art. 25 GG das Völkerrecht (auch wenn dies freilich kein eigenes Organ ist), in Art. 80 GG die Bundesregierung, einen Bundesminister und die Landesregierungen, in Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG das BVerfG sowie in Art. 115a Abs. 5 S. 2 GG und Art. 115e Abs. 1 GG den Gemeinsamen Ausschuss, nicht aber nichtstaatliche Organe. Die akribische Aufführung der möglichen rechtsetzenden Organe und die Nichtberücksichtigung Privater hierbei indiziert deutlich, dass ein gesetzgeberischer Einfluss nichtstaatlicher Institutionen durch das Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Dies bringt ferner Art. 122 Abs. 1 GG zum Ausdruck: „Vom Zusammentritt des Bundestages an werden die Gesetze ausschließlich von den in diesem Grundgesetze anerkannten gesetzgebenden Gewalten beschlossen.“ Mag diese Vorschrift auch primär dazu gedient haben, die rechtsetzende Gewalt der Besatzungsmächte aufzuheben,547 lässt sich hieraus der Rückschluss ziehen, dass vom Grundgesetz nicht bezeichnete Organe keinen Einfluss auf die Gesetzgebung haben dürfen.548 Zwar stellt Art. 122 Abs. 1 GG ausdrücklich nur auf den Beschluss eines Gesetzes ab, welcher bei dynamischen Fremdverweisungen in Form des Erlasses der Verweisungsnorm durch den zuständigen parlamentarischen Gesetzgeber erfolgt. Jedoch bringt Art. 122 Abs. 1 GG deutlich zum Ausdruck, dass nur die vom Grundgesetz bezeichneten Organe über den Inhalt der Gesetze disponieren können sollen. dd) Normkonkretisierende Verweisungen Mit dem Demokratieprinzip vereinbar sind jedoch normkonkretisierende Verweisungen. Denn hierbei handelt es sich angesichts der Vollständigkeit der Verweisungsnorm schon nicht um eine konstitutive Verweisung, welche die Verweisungsnorm verbindlich vervollständigt oder konkretisiert,549 sodass dem Verweisungsobjektgeber keine Möglichkeit zukommt, die Verweisungsnorm abschließend auszugestalten. Wie die Vertreter der Lehre von den normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen zutreffend herausstellen, gewinnt der Verweisungsobjektgeber damit keine Rechtsetzungsmacht über die Normadressaten der Verweisungsnorm, da bei einer normkonkretisierenden Verweisung die Verweisungsnorm selbst vollständig ist und die Normadressaten den Anforderungen der Verweisungsnorm auch auf andere Weise als durch Erfüllung des Verweinichtstaatliche Normgeber nicht als Adressat der Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen vorgesehen seien; Hertwig, RdA 1985, 282 (284), welcher ausführt, dass die infolge dynamischer Fremdverweisungen bestehende faktische Gesetzgebungsgewalt nichtstaatlicher Organe „als Ausnahme vom Rechtsstaats- und Demokratieprinzip“ im Grundgesetz vorgesehen sein müsste. 547 Vgl. Giegerich, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 122 Rn. 10 (66. Lfg. August 2012). 548 A.A. wohl Giegerich, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 122 Rn. 32 (66. Lfg. August 2012), der diese Vorschrift als „obsolet“ gewordene Grundgesetzbestimmung bezeichnet. 549 Debus, Verweisungen, S. 81 f. m.w.N.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 139
sungsobjekts genügen können, sodass die fehlende demokratische Legitimation des Verweisungsobjektgebers unschädlich ist. Die normkonkretisierende Verweisung räumt den Normadressaten lediglich eine Möglichkeit ein, die Verweisungsnorm zu erfüllen, beraubt sie aber nicht anderer Möglichkeiten und wirkt damit begünstigend. Zudem unterliegt die Verweisungsnorm angesichts ihrer Vollständigkeit und der Verwendung von Generalklauseln und unbestimmter Rechtsbegriffe der vollständigen richterlichen Kontrolle, sodass im Streitfalle eine vollständige Überprüfung erfolgen kann, ob die durch das Verweisungsobjekt aufgestellten Anforderungen noch sachgemäß sind.550 (1) Kritik an diesem Standpunkt Kritisch merkt Debus dazu an, dass die Behörden und Gerichte bei der normkonkretisierenden Verweisung (infolge der dann bestehenden Vermutung) die Anforderungen des nichtstaatlichen Verweisungsobjekts sogar in seiner jeweils geltenden Fassung ihrer Entscheidung zugrunde legen müssten.551 Ferner treffe auch die Argumentation nicht zu, dass die normkonkretisierende Verweisung nicht zu einer Inkorporation führe, da eine normkonkretisierende Verweisung infolge des offen formulierten Standards ohne eine Inkorporation keinen Sinn ergebe.552 Die von Debus geäußerte Kritik beruht jedoch auf einer Fehlannahme hinsichtlich der Technik der normkonkretisierenden Verweisung. Hierbei handelt es sich nämlich gerade nicht um eine Fiktion oder eine unwiderlegliche Vermutung, sondern um eine widerlegliche Vermutung. Das heißt, dass die Gerichte die in Bezug genommenen nichtstaatlichen Normen zwar berücksichtigen müssen, wenn ein Normadressat diese erfüllt hat, die Vermutung jedoch auch widerlegt werden kann, wenn sich ergibt, dass die in Bezug genommenen Normen nicht mehr sachgemäß sind. Auch die Annahme, dass eine Inkorporation dieser Normen in die Verweisungsnorm erfolgt, ist unzutreffend. Denn es ist gerade der Charakter der normkonkretisierenden Verweisung, dass bei dieser auch andere Möglichkeiten zur Erfüllung der aufgestellten Anforderungen bestehen als durch die Befolgung der in Bezug genommenen Normen. Würde eine verbindliche Inkorporation bestehen, würde diese Wirkung entfallen, da dann eine abschließende Konkretisierung der Norm erfolgte. Bei einer verbindlichen Konkretisierung läge jedoch nicht mehr eine normkonkretisierende, sondern eine normergänzende/konstitutive Verweisung vor, die – wie gezeigt – bei einer Verweisung auf nichtstaatliche Vorschriften verfassungswidrig ist.
550 Vgl. zum Vorstehenden die Nachweise zur Lehre von den normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 2. b) sowie der differenzierenden Ansicht unter Kap. 2 § 1 C. II. 2. c). 551 Debus, Verweisungen, S. 231. 552 Debus, Verweisungen, S. 231 f.
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(2) Praktische Konsequenzen Die Verwendung normkonkretisierender Verweisungen dient auch praktischen Gesichtspunkten, da sie die unkomplizierte Einbeziehung externen Sachverstands ermöglicht ohne hierbei demokratische Einbußen hervorzurufen.553 Freilich kann eine normkonkretisierende Verweisung aufgrund ihrer rechtstechnischen Wirkungsweise nur dort eingesetzt werden, wo eine Generalklausel bzw. die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und eine externe Konkretisierung derselben möglich ist, sodass z.B. Globalverweisungen oder Regelungen, die eine abschließende und verbindliche Anordnung im Gesetz erfordern und nicht nur generalklauselartig ausgestaltet werden können, kaum unter Zuhilfenahme einer normkonkretisierenden Verweisung erlassen werden könnten. Sofern sich eine normkonkretisierende Verweisung rechtstechnisch nicht anbietet, führt die hier vertretene Ansicht, dass konstitutive/normergänzende Verweisungen mit dem Demokratieprinzip unvereinbar sind, zwar dazu, dass externer Sachverstand nicht über eine dynamische Verweisung in die staatlichen Regelungen aufgenommen werden kann. Jedoch bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, externen Sachverstand bei der Beratung und dem Entwurf der Gesetze einzubeziehen, sodass auf diesem Wege auch einem etwaigen Bedürfnis nach externem Sachverstand entsprochen werden kann. Es erfolgt lediglich keine automatische Anpassung der Normen in der Folgezeit. Dies ist für den Gesetzgeber zwar eine weniger bequeme und mit erhöhtem Aufwand verbundene – aber vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips hinzunehmende – Konsequenz. ee) Verweisungen auf Tarifverträge Soweit Moritz und offenbar auch die Rechtsprechung vertreten, dass dynamische Verweisungen auf tarifvertragliche Vorschriften zulässig seien, soweit sie deren Anwendungsbereich nicht auf Nichtmitglieder erweitern, sondern diese nur in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich – also gegenüber Mitgliedern der Tarifvertragsparteien – in Bezug nehmen, kann dieser Annahme größtenteils zugestimmt werden. Denn in diesem Bereich kommt den Tarifvertragsparteien gegenüber ihren Mitgliedern ein Normsetzungsrecht zu, sodass diese ohnehin bereits gegenüber den Mitgliedern gelten und eine mitgliedschaftliche Legitimation dieser Vorschriften besteht.554 Die Mitglieder haben sich ferner freiwillig der Rechtsetzung der Tarifvertragsparteien unterworfen, sodass eine derartige Verweisung die Rechtsstellung der Mitglieder der Tarifvertragsparteien nicht verändert und damit auch nicht in den Konflikt mit den Anforderungen des Demokratieprinzips gerät. Dies gilt jedoch nicht gegenüber Nichtmitgliedern der Tarifvertrags553 Hierbei handelt es sich jedoch freilich mehr um eine begrüßenswerte Begleiterscheinung dieser Ansicht als ein rechtliches Argument, da sich die Praxis ohnehin daran auszurichten hat, was das Recht vorgibt. 554 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (114); Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 44; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (117 ff.). In diesem Sinne auch BVerfGE 64, 208 (214 ff.).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 141
parteien, da es für diese an einer mitgliedschaftlichen Legitimation fehlt,555 sodass sich das obige Problem stellt, dass ein gegenüber den Normadressaten nicht legitimiertes Organ Recht setzen kann und demnach gleichsam mit der Unvereinbarkeit hinsichtlich des Demokratieprinzips beantwortet werden muss. Zudem handelt es sich bei anwendungsbereichserhaltenden Verweisungen auf das Recht gegenüber Mitgliedern der Tarifvertragsparteien der Tarifautonomie aus Art. 9 III GG, der mitgliedschaftlichen Legitimation und der ohnehin bereits bestehenden Geltung gegenüber den Mitgliedern lediglich um deklaratorische Verweisungen, die auf die entsprechenden Vorschriften hinweisen sollen.556 Jedoch sollte – in Entsprechung der obigen Annahme bei anwendungsbereichserhaltenden Verweisungen auf Vorschriften der Länder in deren Kompetenzbereich – um eine Inkorporation zu verhindern, die die Erhebung des Inhalts in staatliches Recht zur Folge hätte, nicht das Instrument einer deklaratorischen Verweisung gewählt werden, sondern vielmehr eine gleichsam hinweisende Formulierung verwendet werden, wie: „Die gegenüber den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien geltenden tarifvertraglichen Vorschriften […] bleiben unberührt.“ ff) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Konstitutive/normergänzende Verweisungen auf nichtstaatliches Recht sind mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Normkonkretisierende Verweisungen auf nichtstaatliches Recht sind mit dem Demokratieprinzip vereinbar. 3. Verweisungen auf Unionsrecht Unterschiedlich wird auch die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Unionsrecht mit dem Demokratieprinzip beurteilt. Insbesondere aufgrund der Verflechtung der nationalen Rechtsordnung mit dem Unionsrecht sowie der unterschiedlichen Gesetzgebungsakte der Union sind hierbei im Vergleich zur rein nationalen Problematik besondere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. a) Theorie der Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Nach einer Ansicht verstoßen dynamische Verweisungen auf Unionsrecht stets gegen das Demokratieprinzip.557 Denn dann entäußere sich der (Bundes-)Gesetzgeber seiner Rechtsetzungsbefugnisse und die durch das Demokratieprinzip geforderte Identität zwischen Regierenden und Regierten werde durchbro555 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (114 f.); Marburger, Regeln der Technik, S. 391; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 44 f. Vgl. ferner BVerfGE 64, 208 (214 ff.). 556 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (114). 557 Fuss, in: FS Paulick, 293 (320) (Beitrag aus dem Jahr 1973 noch zur EG); Sachs, NJW 1981, 1651 (1652) (hält dynamische Fremdverweisungen „ausnahmslos“ für unzulässig). Vgl. auch Jansen, DÖV 1979, 332 (334), der offenbar von einer generellen Unzulässigkeit einer dynamischen Verweisung auf außerdeutsches Recht ausgeht.
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
chen.558 Die Bundesstaatsgewalt und die Unionsgewalt seien zu unterscheiden; erstere werde durch das Bundesvolk und letztere durch die Völker der Mitgliedstaaten getragen.559 Die Inkorporation unionsrechtlicher Regelungen (unabhängig davon ob diese ohnehin bereits in der Bundesrepublik Deutschland gelten) führe dazu, dass das Bundesvolk durch das Unionsvolk regiert werde.560 Ferner sei die mangelhafte demokratische Legitimation des Rates zu berücksichtigen, welcher allenfalls an der demokratischen Legitimation der durch die Mitgliedstaaten entsandten Regierungen teilhabe.561 Bereits deswegen müsse eine Verweisung auf Unionsrecht unterbleiben.562 Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden auch unter dem Gesichtspunkt, dass bei Verweisungen auf außerdeutsches Recht hinsichtlich einer hinreichenden demokratischen Legitimation „nicht einmal die Garantie der Homogenität (Art. 28 Abs. 1 GG)“ gegeben sei.563 Zudem sei das Demokratieprinzip dadurch verletzt, dass der Bundesgesetzgeber spätere Änderungen nicht in seinen Gesetzgebungswillen bzw. seine Beratungen aufnehmen könne.564 Dies wiege besonders schwer, da der Gesetzgebungswille der gesetzgebenden Unionsorgane erheblich von dem des Bundestags differieren könne.565 b) Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen Nach einer differenzierenden Sichtweise dürfe der nationale Gesetzgeber Unionsrecht nur in Form von normkonkretisierenden Verweisungen, nicht aber mittels normergänzender Verweisungen in Bezug nehmen.566 c) These der (grundsätzlichen) Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Teilweise wird hingegen vertreten, dass Verweisungen auf das Unionsrecht grundsätzlich mit dem Demokratieprinzip vereinbar seien.567 Hinsichtlich der Kriterien ob und inwiefern dynamische Fremdverweisungen auf Unionsrecht zulässig sind, finden sich jedoch verschiedene Argumente und Ergebnisse. Bei der Überprüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Verweisungen auf Unionsrecht wird in der Literatur häufig entweder nur die Zulässigkeit einer 558
Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). 560 Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). 561 Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). 562 Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). 563 Vgl. Jansen, DÖV 1979, 332 (334). 564 Vgl. Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). 565 Vgl. Fuss, in: FS Paulick, 293 (320) (bezieht sich hierbei auf Rat und Kommission). 566 Vgl. Marburger/Enders, UTR 1994, 333 (353). 567 Vgl. Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (728 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 91; Klindt, DVBl. 1998, 373 (378); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290 (ausdrücklich für das Sekundärrecht). Wohl auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (84 f.). 559
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 143
Verweisung auf Richtlinien oder von Verweisungen auf Verordnungen dargestellt, teilweise jedoch überhaupt nicht zwischen den verschiedenen Rechtsakten differenziert. Nichtsdestotrotz soll im Folgenden der Versuch einer möglichst genauen Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte zu den verschiedenen Verweisungen bzw. Verweisungsobjekten unternommen werden. aa) Verweisungen auf Verordnungen (anwendungsbereichserweiternd) Zu Verweisungen auf Verordnungen der Union, die den Anwendungsbereich der in Bezug genommenen Verordnung erweitern, wird zunächst festgestellt, dass der nationale Gesetzgeber Anwendungsbereiche, in denen die Union keine Normierungskompetenzen besitzt, grundsätzlich selbst regulieren müsse.568 (1) Hinreichende Begrenzung „Vom demokratischen Willen“ des nationalen Gesetzgebers umfasst seien allerdings „Regelungen, wenn der Inhalt der Verweisungsregelung für den Gesetzgeber überschaubar“ bleibe.569 Eine hinreichende Begrenzung der Ausgestaltungsmöglichkeiten des Verweisungsobjektgebers sei hierbei gegeben, wenn der Verweisungsnormgeber „den inhaltlichen Rahmen der Regelung selbst konkretisiert, sodass der mögliche spätere Inhalt des Verweisungsgesetzes nach Zweck, Inhalt und Ausmaß hinreichend bestimmt ist.“570 Zwar müsse der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen; diesen Anforderungen genüge er trotz einer Verweisung auf Unionsrecht jedoch, wenn er Inhalt, Zweck und Ausmaß in der Verweisungsnorm selbst regelt, da das Demokratieprinzip nur die eigene Entscheidung über wesentliche Fragen verlange, nicht jedoch über jegliche Details.571 Diese Sichtweise vermeide es, eine flexible Arbeitsteilung mithilfe von Verweisungsnormen zu blockieren, was auch verfassungsrechtlich nicht geboten sei.572 (2) Zulässige Delegation Ferner wird teilweise vertreten, dass dynamische Fremdverweisungen unter dem Aspekt zulässiger Delegation gem. Art. 24 Abs. 1 GG verfassungsgemäß sein könnten.573 Sofern sich Verweisungen von Bundesgesetzen auf EU-Verordnun568
Guckelberger, ZG 2004, 62 (84). Ähnlich Krey, EWR 1981, 109 (151). Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (728). 570 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (728 f.). So auch Krey, EWR 1981, 109 (158 f.), welcher zwar die Begriffe der normkonkretisierenden und normergänzenden dynamischen Verweisungen verwendet sowie erstere für zulässig und letztere für unzulässig hält. Aufgrund eines abweichenden Verständnisses dieser Terminologie vertritt er jedoch inhaltlich die gleiche Ansicht wie Ehricke/Blask. 571 Krey, EWR 1981, 109 (158 f.). 572 Krey, EWR 1981, 109 (159). 573 Clemens, AöR 1986, 63 (113). Ähnlich Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetz569
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
gen „im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 GG halten und auch dessen Anforderungen erfüllen“, seien sie hinsichtlich einer fehlenden hinreichenden demokratischen Legitimation nicht zu beanstanden.574 Denn wenn sogar eine Übertragung von Hoheitsrechten zulässig sei, müsse auch eine dynamische Verweisung verfassungsrechtlich zulässig sein.575 Allerdings seien grundsätzlich nur Verordnungen, nicht aber Richtlinien, taugliche Verweisungsobjekte, da nur Verordnungen unmittelbar verbindlich seien und Richtlinien erst der nationalen Umsetzung bedürften.576 Etwas anders begründet Staats das letztere Ergebnis, indem er ausführt, dass nur Verordnungen, nicht aber Richtlinien auf einer Übertragung von Hoheitsrechten beruhten.577 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Rossi, der Verweisungen von Blankettstrafgesetzen auf Verordnungen der EU für zulässig hält, soweit die Union in diesem Bereich die „Sachkompetenz“ besitze.578 Diese trügen im Bereich der Blankettstrafgesetze dem Auseinanderfallen von „Straf- und Sachkompetenz“ Rechnung.579 Da Verordnungen unmittelbar in den Mitgliedstaaten gälten und weder umgesetzt werden müssten noch dürften, sei eine derartige Verweisung im Bereich der Blankettstrafgesetzgebung „verfassungsrechtlich vom Anwendungsbefehl des Art. 23 Abs. 1 GG umfasst“.580 bb) Verweisungen auf Richtlinien (nicht anwendungsbereichserweiternd) Hinsichtlich dynamischer Verweisungen auf Richtlinien der Union findet insbesondere der Gesichtspunkt der Umsetzung dieser Richtlinien Berücksichtigung in der Literatur. Denn durch eine dynamische Verweisung auf Richtlinien würden diese und ggf. erfolgende Änderungen stets rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt.581 Eine derartige Verweisung müsse jedoch den Vorgaben des natio-
gebung, 244 (251). Zum Verständnis sei erwähnt, dass die Beiträge aus den Jahren 1976 und 1986 stammen, Art. 23 GG in seiner heutigen Form also noch nicht bestand, sodass Art. 24 GG der einzige verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt für die Übertragung von Hoheitsrechten auf außerstaatliche Einrichtungen war. 574 Clemens, AöR 1986, 63 (113). Vgl. auch Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 575 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 576 Clemens, AöR 1986, 63 (113 Fn. 226). 577 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). 578 Rossi, ZIP 2016, 2437 (2437). Freilich bezieht sich sein Beitrag auf eine Blankettstrafnorm und nennt er nicht explizit das Demokratieprinzip. Da er Verweisungen auf Unionsrecht jedoch für zulässig hält, muss sich daraus zwangsläufig eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip folgern lassen. 579 Rossi, ZIP 2016, 2437 (2437). Dies ist dahingehend zu verstehen, dass die EU zwar für einige Bereiche die Kompetenz in der Sache hat, jedoch keine Kompetenz zur Normierung von diesbezüglichen Strafvorschriften besitzt. 580 Rossi, ZIP 2016, 2437 (2437). 581 Guckelberger, ZG 2004, 62 (84).
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nalen Rechts entsprechen, da ansonsten keine ordnungsgemäße Umsetzung gegeben sei.582 Zwar habe der nationale Gesetzgeber regelmäßig nur einen geringen Spielraum bei der Umsetzung von Richtlinien; jedoch enthielten Richtlinien nicht stets Vollregelungen, sodass im Einzelfall ein weitergehender Umsetzungsspielraum als nur hinsichtlich der Form und Mittel gegeben sein könne, der bei einer bloßen Verweisung auf die umzusetzende Richtlinie nicht wahrgenommen würde.583 Dementsprechend sei eine Verweisung nur zulässig, wenn sichergestellt ist, dass auch zukünftig kein Gestaltungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber bestehe.584 Soweit dies nicht der Fall sei, müsse der verbleibende Spielraum durch nationale Regelungen ausgefüllt werden.585 Von einer noch weitergehenden verfassungsrechtlichen Zulässigkeit für Umsetzungsakte586 geht Milej aus, welcher ausführt, dass keine verfassungsrechtlich unzulässige Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen vorliege.587 Durch Art. 23 Abs. 1 GG seien Normierungsbefugnisse auf die EU übertragen und der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts anerkannt worden.588 Wenn eine „derart weitgehende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers auf verfassungsmäßige Art akzeptiert“ wurde, müsse erst recht eine dynamische Verweisung auf Unionsrecht zulässig sein, da diese „die Entscheidungsfreiheit des nationalen Gesetzgeber[s] weitaus weniger intensiv beeinträchtigt als die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen.“589 cc) Keine Unterscheidung nach Rechtsakten Teilweise wird hingegen nicht zwischen den verschiedenen Rechtsakten der Union differenziert, sondern eine Gesamtbetrachtung für Verweisungen auf Unionsrecht vorgenommen. Problematisch sei hierbei nach Moll zunächst, dass die Gesetzgebung der EU durch die starke Stellung des Rates (welcher der Exekutive zuzurechnen sei) als maßgebliches Gesetzgebungsorgan und die schwache Stellung des Europäischen Parlaments, einem Defizit an unmittelbarer demokratischer Legitimation unterliege.590 Auch das Handeln der nationalen Regie582
Guckelberger, ZG 2004, 62 (84). Guckelberger, ZG 2004, 62 (85 f.). 584 Guckelberger, ZG 2004, 62 (86). 585 Guckelberger, ZG 2004, 62 (86). 586 Milej bezieht seine Ausführungen insbesondere auf die Umsetzung von Richtlinien. Ausnahmsweise seien jedoch auch Verordnungen umzusetzen, wenn diese „aufgrund einer expliziten oder impliziten Delegation durch Mitgliedstaaten vervollständigt werden müssen“. Ferner bestehe teilweise ausnahmsweise ein „Umsetzungsrecht“, wenn dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet werde, in gewissen Fragen von der Verordnung abzuweichen. Vgl. zum Ganzen Milej, EuR 2009, 577 (577 ff.). 587 Vgl. Milej, EuR 2009, 577 (579). 588 Milej, EuR 2009, 577 (579). 589 Milej, EuR 2009, 577 (579). 590 Vgl. D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 83 ff., 102 ff. Der Beitrag stammt aus dem 583
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rungen, die ihrerseits (mittelbar) demokratisch legitimiert seien, könne dies nicht kompensieren.591 Besonders berücksichtigt werden müsse zudem, dass der nationale (unmittelbar demokratisch legitimierte) Gesetzgeber wesentliche Angelegenheiten selbst regeln müsse.592 Im Ergebnis seien allerdings die Anforderungen an die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Exekutive gleichsam für die Übertragung auf supranationale Organisationen anzuwenden.593 Art. 80 GG konkretisiere das Demokratieprinzip und gebiete, eine über diese Vorschrift hinausgehende Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Exekutive zu verhindern, sodass (durch die Verweisungstechnik erfolgende) „faktische“ Übertragungen von Rechtsetzungsbefugnissen ebenfalls den Voraussetzungen des Art. 80 GG genügen müssten.594 Der Gesetzgeber dürfe sich unabhängig von der Handlungsform nicht „unkontrolliert seiner gesetzgeberischen Verantwortung entäußern.“595 Dass das Parlament alle wesentlichen Entscheidungen selbst regeln müsse, bedeute jedoch nicht, dass es jegliche Detailregelungen vornehmen müsse.596 Es müssten aus seiner Entscheidung lediglich bereits der (wesentliche) Inhalt, Zweck und das Ausmaß der Regelung erkennbar sein.597 Wenn allerdings die Wesentlichkeitstheorie oder spezialgrundrechtliche Gesetzesvorbehalte den Gesetzgeber zu einer eigenen Regelung verpflichten und eine Übertragung auf die Exekutive ausgeschlossen sei, könne er sich auch nicht durch eine Verweisung auf „supranationale Exekutivorgane aus der Verantwortung stehlen.“598 In diesem Fall dürfte nur noch für „nebensächliche Spezifizierungen in Einzelfragen“ – und bei besonderer Bedeutung der Entscheidung überhaupt nicht – verwiesen werden.599 Diese einschränkenden Anforderungen an eine dynamische Fremdverweisung gälten jedoch nicht im Bereich zulässiger Delegation, also dort, wo die EU bereits eine Kompetenz zur Rechtsetzung habe (und dies mit Art. 23 GG vereinbar sei), da „die allgemeinen Erfordernisse demokratischer Legitimation im Bereich zulässiger Delegation als deren legitime Einschränkungen nicht erfüllt sein“ müssten.600 Denn dann bestehe „naturgemäß nicht die Gefahr einer unzulässigen Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen“.601
Jahr 1998 und bezog sich also noch auf die Europäische Gemeinschaft in ihrer Form vor dem Vertrag von Lissabon. 591 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 107. 592 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 105 f. 593 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 108 ff. 594 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 111. 595 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 111. 596 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 112. 597 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 112. 598 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 83 f. 599 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 117. 600 D. Moll, Europäisches Strafrecht, 111 ff. 601 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 113.
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Ähnlich führt Debus aus, dass die Übernahme einer Änderung des unionsrechtlichen602 Verweisungsobjekts zu dessen Durchführung immer dem Willen des Verweisungsnormgebers entspreche, da dieser Wille immer auf die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts gerichtet sei, sodass insoweit eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip gegeben sei.603 Bei Verweisungen, die nicht der Umsetzung von Unionsrecht dienten, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Übernahme der Änderungen des Verweisungsobjekts noch dem Willen des Verweisungsnormgebers entspreche.604 Noch weitergehend vertritt Klindt, dass bei Verweisungen auf Unionsrecht unabhängig von der Art des bezogenen Rechtsakts kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip (auch ohne eine Begrenzung) vorliege,605 da „normative Entscheidungen des Rates […] auch demokratisch legitimierte Entscheidungen“ seien.606 Zwar setze sich dieser aus Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene zusammen und sei daher nicht unmittelbar (durch eine Wahl) demokratisch legitimiert.607 Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten seien jedoch „ihrerseits durch demokratisch gewählte und legitimierte Volksvertreter bestimmt“, sodass der Rat im Wege einer ununterbrochenen Legitimationskette demokratisch legitimiert sei.608 Dadurch sei die Identität von Regierenden und Regierten – „wenn […] auch nicht unmittelbar durch Wahlen“ – gewahrt und der Rat werde „durch eine Rückkoppelung an die Parlamente der Mitgliedstaaten demokratisch legitimiert“.609 d) Rechtsprechung Auch das Bundesverfassungsgericht sowie das Bundesverwaltungsgericht haben sich bereits mehrfach zur Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Unionsrecht mit dem Demokratieprinzip geäußert: aa) Bundesverfassungsgericht Zu einer dynamischen Verweisung eines Bundesgesetzes (nationale Verordnungsermächtigung) auf eine Verordnung des Unionsrechts610 stellte das BVerfG im Jahr 1970 fest, dass der Gesetzgeber „zur näheren Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß“ einer Rechtsverordnungsermächtigung auch auf das Unionsrecht611 verweisen dürfe.612 Inhaltlich ging es hierbei um eine Ermächtigung 602
Damals noch zum EG-Recht. Debus, Verweisungen, S. 236. 604 Debus, Verweisungen, S. 236. 605 Vgl. Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 606 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 607 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 608 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 609 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 610 Damals noch Recht der Europäischen Gemeinschaften. 611 Damals noch Recht der Europäischen Gemeinschaften. 612 BVerfGE 29, 198 (198 Ls.). 603
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des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Festlegung von Schwellenpreisen für Getreide sowie Getreideerzeugnisse durch § 5 des „Gesetz[es] zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“613. Die nationale Ermächtigung verwies hierbei zur Konkretisierung, für welche Produkte Schwellenpreise per Verordnung durch den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten festgelegt werden können, auf Art. 1 lit. a) – c) der „Verordnung Nr. 19 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation“614 des Rates. Daneben nahm das BVerfG eine Verweisung des nationalen Gesetzes für den Begriff des „Schwellenpreises“ auf die in der Verordnung des Rates dazu festgelegten Grundsätze an.615 Art. 23 Abs. 1 der Verordnung des Rates sah allerdings vor, dass die Mitgliedstaaten ihr nationales Recht im Sinne der Verordnung anpassen müssen. Bei der erlassenen nationalen Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unter Verweisung auf die Verordnung des Rates handelte es sich um eine solche Anpassungsmaßnahme, die das BVerfG ausdrücklich als solche identifizierte,616 sodass die Verweisung keine rein anwendungsbereichserweiternde Verweisung darstellte, sondern vielmehr eine Maßnahme, die zumindest teilweise unionsrechtlich determiniert war. Des Weiteren führte das BVerfG aus, dass das nationale Recht und das Unionsrecht617 zwar „zwei verschiedene Rechtsordnungen“ seien, jedoch „nicht unverbunden nebeneinander“ stünden, sondern „auf mannigfaltige Weise ineinander“ griffen.618 „Diese vielfältige Verschränkung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht“ verbiete es, „Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht anders zu beurteilen als Verweisungen auf nationales Recht“.619 Das BVerfG nahm sodann ausdrücklich Bezug auf einen Beschluss, in welchem es eine dynamische Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht für grundsätzlich zulässig befand,620 was indiziert, dass es auch eine dynamische Verweisung von Bundesrecht auf Unionsrecht ebenfalls als grundsätzlich zulässig ansehen will. In einer Kammerentscheidung aus dem Jahr 2010 setzte das BVerfG diese Rechtsprechungslinie fort, indem es eine dynamische Verweisung eines Bundesgesetzes auf das Unionsrecht für verfassungsrechtlich zulässig erklärte.621 Streitgegenständlich waren insoweit die bundesgesetzlichen Verordnungsermächtigungen der § 8 Abs. 1 S. 1 und 12 Abs. 2 S. 1 des „Gesetz[es] zur Durchführung der
613
BGBl. I 1962, S. 455 ff. ABl. v. 20.04.1962, S. 933 ff. 615 Vgl. BVerfGE 29, 198 (210). 616 BVerfGE 29, 198 (210). 617 Damals noch Recht der Europäischen Gemeinschaften. 618 BVerfGE 29, 198 (210). 619 BVerfGE 29, 198 (210). 620 Siehe BVerfGE 26, 338 (365 ff.). 621 BVerfGK 17, 273 (280 ff.). 614
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Gemeinsamen Marktorganisationen (MOG)“622 i.V.m. § 1 Abs. 2 MOG, welche (u.a.) auf die „Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor“623 verwiesen.624 In der Sache betonte das BVerfG, dass der Gesetzgeber in einer Verordnungsermächtigung auch auf das Unionsrecht verweisen dürfe.625 Wie in der zuvor dargestellten Entscheidung führte das Gericht aus, dass das nationale Recht und das Unionsrecht zwar verschiedene Rechtsordnungen seien, aber nicht „unverbunden nebeneinander“ stünden, sondern „auf mannigfache Weise ineinander“ griffen.626 Dies verbiete es, „Verweisungen auf Unionsrecht anders zu beurteilen als Verweisungen auf nationales Recht“.627 Allerdings könnten sich aus dem Rechtsstaatsprinzip Grenzen für Verweisungen ergeben.628 Zwar seien Verweisungen als „vielfach übliche und notwendige“ Gesetzgebungstechnik anerkannt und auch dynamische Verweisungen „nicht schlechthin ausgeschlossen, wenngleich ein besonders strenger Prüfungsmaßstab im Einzelfall geboten sein“ könne.629 Eine dynamische Fremdverweisung bedeute „mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung“, sondern führe zu einer „versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen“ und könne daher rechtsstaatliche und demokratische Bedenken hervorrufen.630 Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken fand die Kammer für die zu beurteilende Verweisung jedoch nicht.631 Allerdings diente die Verordnungsermächtigung, welche auf das Unionrecht Bezug nahm, dazu, die Vorgaben des Unionsrechts umzusetzen und das nationale
622
BGBl. I 1995, S. 1147 ff. ABl. Nr. L 405 v. 31.12.1992, S. 1 ff. 624 § 8 Abs. 1 S. 1 MOG und § 12 Abs. 2 S. 1 MOG ermächtigten das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten u.a. dazu, Mengenregelungen für „Marktordnungswaren“ und Regelungen „über das Verfahren zu Marktordnungszwecken“ zu erlassen, soweit dies zur Durchführung der entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen „erforderlich ist“ sowie die Voraussetzungen und Höhe dieser Mengenregelungen und Abgaben festzulegen, soweit sie nach den entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen „bestimmt, bestimmbar oder begrenzt sind“. Die dynamische Verweisung auf das Unionsrecht erfolgte über eine Binnenverweisung auf § 1 Abs. 2 MOG, welcher seinerseits unspezifisch auf das Unionsrecht verwies. In diesem Verfahren einschlägig war die o.g. „Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor“, vgl. BVerfGK 17, 273 (280 ff.). 625 BVerfGK 17, 273 (285). So auch BVerfGE 143, 38 (61 f. Rn. 58). 626 BVerfGK 17, 273 (285). So auch BVerfGE 143, 38 (55 f. Rn. 42); BVerfGE 153, 310 (342 Rn. 78). 627 BVerfGK 17, 273 (285) unter Verweis auf BVerfGE 29, 198 (210). So auch BVerfGE 143, 38 (56 Rn. 42); BVerfGE 153, 310 (342 Rn. 78). 628 BVerfGK 17, 273 (285). So auch BVerfGE 143, 38 (62 Rn. 59); BVerfGE 153, 310 (355 Rn. 105). 629 BVerfGK 17, 273 (285 f.). Ähnlich BVerfGE 143, 38 (55 Rn. 42, 62 Rn. 59); BVerfGE 153, 310 (355 Rn. 105). 630 BVerfGK 17, 273 (286). 631 Vgl. BVerfGK 17, 273 (286 ff.). 623
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Recht entsprechend anzupassen,632 sodass es sich erneut nicht um eine rein anwendungsbereichserweiternde Verweisung handelte, sondern vielmehr um eine Maßnahme, die zumindest teilweise unionsrechtlich determiniert war. Weiter fortgeführt wurde diese Rechtsprechungslinie in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2016 und 2020.633 Das Gericht stellte wiederum fest, dass der Gesetzgeber auf Vorschriften des Unionsrechts verweisen dürfe und auch dynamische Verweisungen nicht schlechthin ausgeschlossen seien.634 Dynamische Verweisungen könnten allerdings dazu führen, dass der Verweisungsnormgeber „den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und 632
Vgl. BVerfGK 17, 273 (273 ff.). BVerfGE 143, 38 (55 ff. Rn. 42 ff.); BVerfGE 153, 310 (342 ff. Rn. 78 ff.). Freilich betrafen diese Entscheidungen Blankettstrafgesetze; die allgemeinen Aussagen zu Verweisungen auf Unionsrecht lassen sich jedoch übertragen. In BVerfGE 143, 38 war die Verweisung des § 10 Abs. 1, Abs. 3 des „Gesetz[es] zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen (Rindfleischetikettierungsgesetz – RiFlEtikettG)“ i.V.m. § 1 Abs. 1 der „Verordnung zur Durchsetzung des Rindfleischetikettierungsrechts (Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung – RiFlEtikettStrV)« auf die „Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates“ (Abl. Nr. L 204 v. 11.08.2000, S. 1 ff.) streitgegenständlich. Mittels der Verweisung wurde eine Strafbarkeit für Etikettierungen von Rindfleisch angeordnet, die entgegen der Vorgaben der unionsrechtlichen Verordnung erfolgten. Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 der unionsrechtlichen Verordnung sah zudem vor, dass die Mitgliedstaaten „alle erforderlichen Maßnahmen“ treffen, „um die Einhaltung dieser Verordnung zu gewährleisten.“ Folglich war zwar die prinzipielle Existenz von Sanktionsmaßnahmen, jedoch weder die Anordnung einer Verweisung noch die Anordnung einer Strafbarkeit unionsrechtlich determiniert. BVerfGE 153, 310 betraf einen verweisungstechnisch und thematisch ähnlich gelagerten Fall, bei welchem verschiedene Verweisungsketten und Rückverweisungen zwischen dem „Lebensmittel-, Bedarfsgegenständeund Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB)“ sowie der „Verordnung zur Durchsetzung lebensmittelrechtlicher Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft (Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung)“ in mehreren Verweisungen auf unionsrechtliche Verordnungen mündeten. Diese Verweisungsketten dienten u.a. der Anordnung einer Strafbarkeit für das Verwenden von Knorpelfleisch des Kehlkopfes und der Luftröhre bei Fleischerzeugnissen. Als eine der einschlägigen unionsrechtlichen Verordnungen sah Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 der „Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit“ (ABl. Nr. L 31 v. 01.02.2002, S. 1 ff.) vor, dass die Mitgliedstaaten „Maßnahmen und Sanktionen“ für Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht zu erlassen haben, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. Auch in diesem Fall war also zwar die prinzipielle Existenz von Sanktionsmaßnahmen, jedoch weder die Anordnung einer Verweisung noch die Anordnung einer Strafbarkeit unionsrechtlich determiniert; diesen Umstand stellte das BVerfG in Rn. 67 f. der Entscheidung ebenfalls heraus. Vgl. zum Ganzen BVerfGE 153, 310 (311 ff. Rn. 1 ff.). 634 BVerfGE 143, 38 (55 f. Rn. 42 f.); BVerfGE 153, 310 (342 f. Rn. 78 f.). 633
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damit der Entscheidung Dritter überlässt.“635 Demnach sei ein besonders strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.636 Als Fremdverweisungen führten sie zu einer versteckten Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen und seien daher „nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit ziehen; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen“.637
Wie in den zuvor dargestellten Verfahren führte das Gericht aus, dass an Verweisungen auf Unionsrecht „keine strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen“ gestellt werden dürften, als an Verweisungen auf innerstaatliches Recht.638 Es fügte allerdings in der Entscheidung aus dem Jahr 2016 zur Beurteilung der Zulässigkeit von Verweisungen hinzu, dass der nationale Gesetzgeber grundsätzlich unmittelbar anwendbares Unionsrecht nicht durch gleichlautende Vorschriften wiederholen dürfe, „da die Normadressaten über den Unionscharakter einer Rechtsnorm nicht im Unklaren gelassen werden“ dürften.639 In BVerfGE 153, 310 griff das Gericht diesen Aspekt erneut auf und äußerte sich zurückhaltender: „Inwieweit es dem nationalen Gesetzgeber auch verwehrt ist, unmittelbar anwendbares Unionsrecht im nationalen Recht durch gleichlautende Strafnormen zu wiederholen, weil die Normadressaten nach einer älteren, zum Binnenmarkt ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den Unionscharakter einer Rechtsnorm nicht im Unklaren gelassen werden dürfen […] bedarf keiner Entscheidung.“640
Insbesondere die Bezeichnung als „[ältere]“ Rechtsprechung zeigt eine gewisse Skepsis des Gerichts am Fortbestand dieser Einschränkung. Da jedoch keine Äußerungen des Gerichts vorliegen, die eine Aufgabe dieses Aspekts aus der Entscheidung aus dem Jahr 2016 verlautbaren, ist davon auszugehen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG das Verbot der Wiederholung von unmittelbarem Unionsrecht eine weitere (freilich unionsrechtliche) Einschränkung an Verweisungen von nationalem Recht auf Unionsrecht darstellt. bb) Bundesverwaltungsgericht In der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf Unionsrecht folgt das BVerwG der Rechtsprechung des BVerfG. So führte jenes im Jahr 1996 aus, dass der Bundesgesetzgeber auf das Unionsrechts verweisen dürfe, da das Unionsrecht und das nationale Recht zwar zwei verschiedene Rechtsordnungen seien, aber nicht „unverbunden nebeneinander“ stehen,
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BVerfGE 143, 38 (56 Rn. 43); BVerfGE 153, 310 (343 Rn. 79). BVerfGE 143, 38 (56 Rn. 43, 62 Rn. 59); BVerfGE 153, 310 (355 Rn. 105). 637 BVerfGE 143, 38 (56 Rn. 43, 62 Rn. 59). Ähnlich BVerfGE 153, 310 (343 Rn. 79). 638 BVerfGE 143, 38 (57 Rn. 45); BVerfGE 153, 310 (343 Rn. 81). 639 BVerfGE 143, 38 (57 Rn. 45). 640 BVerfGE 153, 310 (343 f. Rn. 81). 636
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sondern auf „mannigfache Weise“ ineinandergreifen, sodass Verweisungen auf Unionsrecht nicht anders behandelt werden dürfen als Verweisungen auf innerstaatliches Recht.641 Zu einer dynamischen Verweisung auf Verordnungen der Union in einer Verordnungsermächtigung des Bundes zugunsten der Exekutive führte das BVerwG im Jahr 2004 aus, dass „keine prinzipiellen Bedenken“ gegen dynamische Verweisungen auf Unionsrecht in einer Verordnungsermächtigungen bestünden, denn der Gesetzgeber entäußere „sich damit nicht seiner eigenen Gesetzgebungsmacht, sondern bezeichnet nur näher, worauf sich die erteilte Verordnungsermächtigung bezieht“.642 Im Jahr 2013 bestätigte das BVerwG seine Rechtsprechungslinie zu einer dynamischen Verweisung einer Bundesrechtsverordnung auf eine Richtlinie des Unionsrechts, indem es ausführte, dass ein Normgeber auf fremde Vorschriften verweisen dürfe und dies auch für Verweisungen auf Unionsrecht gelte, da die „vielfältige Verschränkung von Unionsrecht und nationalem Recht“ es verbiete, „Verweisungen auf das Unionsrecht anders zu beurteilen, als Verweisungen auf nationales Recht“.643 e) Stellungnahme Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Verweisung auf Unionsrecht anhand des Grundgesetzes überprüfbar ist, da nicht etwa das Unionsrecht – welches keinen nationalverfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt – als solches einer 641 Vgl. BVerwGE 102, 39 (41) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG. Im zugrunde liegenden Fall ging es um eine Überlassung der Kompetenzausübung durch den Bundesgesetzgeber an die Landesgesetzgeber unter Verweisung auf eine Richtlinie des Unionsrechts. Das Bundesgesetz (§ 24 Abs. 2 Fleischhygienegesetz [FIHG]) übertrug den Ländern die Festlegung der Gebühren für amtliche Untersuchungen im Bereich der Fleischproduktion nach Maßgabe der „Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch“ (ABl. Nr. L 32 v. 05.02.1985, S. 14 f.). Die bundesgesetzliche Verweisung erfolgte auf das Unionsrecht in seinem originären Anwendungsbereich. 642 BVerwGE 121, 382 (387). Die Äußerungen des Gerichts zu Verweisungen auf Unionsrecht beziehen sich hierbei ebenfalls auf die bundesgesetzliche Verordnungsermächtigung des § 8 Abs. 1 S. 1 MOG. 643 BVerwGE 147, 100 (114 Rn. 39). Die verweisungsbezogenen Äußerungen des Gerichts erfolgten anlässlich einer Verweisung des § 1 S. 1 i.V.m. § 4 der „Verordnung über das Verbot des Befahrens der Neustädter Bucht mit bestimmten Fahrzeugen“ auf die unionsrechtliche „Richtlinie 94/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Juni 1994 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Sportboote“ (ABl. Nr. L 164 v. 30.06.1994, S. 15 ff.) in der jeweils geltenden Fassung hinsichtlich der Berechnung des Schalldruckpegels von Wasserfahrzeugen, welche diesbezüglich ihrerseits auf eine private Norm weiterverwies. Die Verweisung erfolgte auf das Unionsrecht in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich. Siehe zu den verweisungsbezogenen Äußerungen des Gerichts in Bezug auf die Weiterverweisung auf eine private Norm bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 2. g) bb).
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grundgesetzlichen Prüfung unterzogen wird, sondern dieses infolge der Inkorporation im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm nationales Recht (also Teil der deutschen Verweisungsnorm) wird, sodass gegen eine Prüfung der Verweisungsnorm anhand des Grundgesetzes keine Bedenken bestehen.644 Ferner ist es eine nationale Norm, die den Geltungsbefehl des Unionsrechts per Verweisung ausspricht, sodass diese Geltungsanordnung – unabhängig vom Inhalt der in Bezug genommenen Vorschriften – ohnehin Prüfungsgegenstand des nationalen Verfassungsrechts sein können muss. Dies gilt insbesondere für anwendungsbereichserweiternde Verweisungen auf Unionsrecht, bei welchen Regelungsbereiche betroffen sind, in welchen Unionsrecht ohne die Verweisung nicht anwendbar wäre und auch keine Pflicht zu einer Behandlung dieser Sachverhalte nach Unionsrecht für den nationalen Gesetzgeber besteht.645 Außerdem ist das Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Recht bei der Betrachtung der Bewertung der Zulässigkeit von dynamischen Verweisungen auf Unionsrecht zu berücksichtigen: Verordnungen der EU gelten nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in den Mitgliedstaaten, während Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV in den Mitgliedstaaten umzusetzen sind. Verweisungen auf Richtlinien können daher zweierlei Funktion haben: Im Anwendungsbereich der Richtlinie, also in solchen Sachbereichen, die von der Richtlinie betroffen sind und bei denen die EU die Normierungskompetenz besitzt, kann eine Richtlinie durch eine dynamische Verweisung umgesetzt werden.646 Außerhalb des ursprünglichen Anwendungsbereichs kommt einer dynamischen Verweisung auf eine Richtlinie insoweit konstitutive Wirkung zu, als dass ihr ein neuer Anwendungsbereich eröffnet wird, der ohne die nationale Verweisungsnorm nicht bestünde.647 Letzteres gilt auch für dynamische Verweisungen auf Verordnungen der EU: Diese haben jedenfalls dann konstitutive Wirkung, wenn der Verordnung infolge der Verweisung ein neuer Anwendungsbereich erschlossen wird, also ein Regelungsbereich betroffen ist, der nicht ohnehin bereits der Verordnung unterfällt.648 Soweit allerdings der ursprüngliche Anwendungsbereich der Verordnung betroffen ist, hat eine dynamische Verweisung auf eine EU-Verordnung, da diese nach Art. 288 AEUV ohnehin in den Mitgliedstaaten unmittelbar gilt (also keiner Geltungsanordnung durch eine Verweisung bedarf), lediglich deklaratorische Wirkung.649 In diesem Fall können deklaratorische Verweisungen dazu dienen, 644
Krey, EWR 1981, 109 (152); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 75 f. Guckelberger, ZG 2004, 62 (84). 646 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (84 ff.); Milej, EuR 2009, 577 (579); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 113. 647 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 113. 648 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (725); Klindt, DVBl. 1998, 373 (377); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 113. 649 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (725). So auch Klindt, DVBl. 1998, 373 (377). Ähnlich D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 113, der diese sogar als „überflüssig“ bezeichnet. Die Beiträge ergingen zu den Vorgängernormen (Art. 249 Abs. 2 EGV und Art. 189 Abs. 2 EWGV). 645
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
den Zusammenhang der nationalen Rechtsordnung mit dem Unionsrecht offenzulegen und die unionsrechtliche Überlagerung dieses Rechtsbereichs aufzuzeigen. Zwar ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, Maßnahmen zu treffen, durch welche die Normadressaten über den Unionscharakter einer Regelung im Unklaren gelassen werden.650 Allerdings zeigt die Bezugnahme auf eine Verordnung des Unionsrechts bereits auf, dass dieser Rechtsbereich durch eine unionsrechtliche Norm determiniert wird; anders als eine nationalgesetzliche Wiederholung der einzelnen Vorschriften der Verordnung wird also gerade der Unionscharakter der entsprechenden Regelung durch eine (deklaratorische) dynamische Verweisung nicht verschleiert, sondern offengelegt. aa) Anwendungsbereichserhaltende Verweisungen (1) Dynamische Verweisungen auf Richtlinien Anwendungsbereichserhaltende dynamische Verweisungen auf Richtlinien können dazu dienen, diese umzusetzen. Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip infolge einer Verweisung auf Richtlinien der Union in deren ursprünglichem Anwendungsbereich lässt sich jedoch nicht feststellen. (a) Fehlende Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen Denn im Anwendungsbereich der Richtlinie beruht die Rechtsetzung der Union bereits auf der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG. Die Europäische Union kann daher in diesen Bereich sogar unabhängig vom Bestehen einer dynamischen Verweisung Recht setzen. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV sind die Mitgliedstaaten ferner ohnehin zur Umsetzung der Richtlinien verpflichtet; überlassen ist ihnen lediglich die Wahl der Form und Mittel. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist kommt Richtlinien sogar (zumindest zugunsten des Bürgers gegenüber dem Staat) unmittelbare Wirkung zu, sofern diese inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind.651 Es liegt dementsprechend auch bei einer dynamischen Fremdverweisung keine unzulässige Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen vor, da die Europäische Union in diesen Bereichen ohnehin Rechtsetzungsbefugnisse besitzt.652 Dynamische Verweisungen im Anwendungsbereich der Richtlinie sind damit lediglich eine rechtstechnische Möglichkeit, der Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Zu behaupten, dass derartige dynamische Ver-
Diese ordneten jedoch ebenso die unmittelbare Geltung von Verordnungen in den Mitgliedstaaten an. 650 EuGH, Urt. v. 10.10.1973 – 34/73, Rn. 11. 651 EuGH, Urt. v. 19.01.1982 – 8/81, 1. Ls. und Rn. 25; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 63 ff. 652 Vgl. auch OVG Münster, NWVBl. 1996, 307 (309); Milej, EuR 2009, 577 (579); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 112 f.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 155
weisungen gegen das Demokratieprinzip verstoßen, bedeutete demnach zugleich die Rechtsetzung per Richtlinie durch die Europäische Union bzw. eine derartige Übertragung von Hoheitsrechten für unvereinbar mit dem Demokratieprinzip zu erklären. Denn es kann keinen Unterschied machen, ob der nationale Gesetzgeber dynamisch auf die Richtlinie verweist und diese so infolge der Inkorporation in nationales Recht umsetzt oder ob der nationale Gesetzgeber eigene Vorschriften ausgestaltet, die den Inhalt der Richtlinie wiedergeben. Auch nachfolgende Änderungen der Richtlinie müsste der nationale Gesetzgeber unabhängig vom Bestehen einer dynamischen Verweisung umsetzen, sodass die automatische Inkorporation dieser Änderungen insoweit keine weitergehende Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Union beinhaltet. Das Ergebnis – nämlich die Umsetzung der Vorgaben des Unionsrechts – bleibt unverändert. Wenn die Richtlinie inhaltlich eine vollständig bestimmte Regelung enthält und den Mitgliedstaaten keinerlei Umsetzungsspielräume einräumt, bedeutet eine dynamische Verweisung auf diese Richtlinie ohnehin im Ergebnis nur eine wortgenaue Umsetzung der Richtlinie. Obgleich sich die eigene inhaltliche Transformation der Richtlinie in nationale Normen gegenüber der Umsetzung mittels einer dynamischen Verweisung eher anbietet, um eine bessere Einfügung der Bestimmungen der Richtlinie in das nationale Recht zu erreichen, ist dies keine Frage des Demokratieprinzips, sondern eine rechtspolitische Frage, die zur Disposition des Gesetzgebers steht. Denn eine Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen, die die Frage der demokratischen Legitimation des begünstigten Organs aufwürfe, erfolgt – wie gezeigt – nicht. (b) Zulässigkeit einer Verweisung trotz Umsetzungsspielräumen? Die einschränkende Annahme Guckelbergers, dass eine dynamische Verweisung zur Umsetzung von Richtlinien nur erfolgen dürfe, wenn dem Gesetzgeber keinerlei Umsetzungsspielräume verbleiben und sichergestellt sei, dass sich dies auch zukünftig nicht ändere,653 trifft nur teilweise zu. Denn selbst wenn die Europäische Union im Einzelfall den Mitgliedstaaten Spielräume zur Regelung der Sachmaterie einräumt, erfolgt durch eine dynamische Verweisung auf die Richtlinie keine Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Union, sondern besitzt die Union in diesem Bereich trotzdem die Rechtsetzungskompetenz, welche sie durch die Einräumung von Spielräumen zugunsten der Mitgliedstaaten vielmehr partiell auf diese (zurück)überträgt. Es kann also nicht behauptet werden, dass in diesem Fall eine unzulässige Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen vorliege. Freilich ist Guckelberger insoweit zuzustimmen, dass der nationale Gesetzgeber seiner Gesetzgebungsaufgabe nachkommen und etwaige Umsetzungsspielräume ausfüllen muss. Allerdings schließt auch das Bestehen solcher Umset653
Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (85 f.).
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
zungsspielräume eine dynamische Verweisung nicht schlechthin aus. Denn innerhalb einer dynamischen Verweisung können zum einen zusätzliche Vorgaben zur Übernahme des Verweisungsobjekts oder anderweitige Modifikationen vorgesehen werden, die einen etwaigen Spielraum ausfüllen können.654 Zum anderen bedeutet eine Verweisung nicht, dass daneben nicht noch ergänzende Regelungen geschaffen werden können, die die Verweisung ergänzen. Ferner muss eine dynamische Verweisung auf eine Richtlinie diese nicht in Gänze in Bezug nehmen, sondern kann sich auf Teile dieser Richtlinie beziehen und auf diese Weise Raum für nationale Regelungen lassen, die etwaige Spielräume ausfüllen oder bereits durch die Bezugnahme auf einen bestimmten Teil der Richtlinie etwaige Wahlmöglichkeiten wahrnehmen. Insbesondere nicht zugestimmt werden kann jedoch der Annahme, dass eine dynamische Verweisung nur erfolgen dürfe, wenn auch für die Zukunft sichergestellt sei, dass kein Umsetzungsspielraum bestehe.655 Denn angesichts der Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 288 Abs. 3 AEUV müssen die Mitgliedstaaten Änderungen der Richtlinien ohnehin nachverfolgen und auf diese in Form einer Umsetzung reagieren. Da ihnen hierbei eine Umsetzungsfrist verbleibt, ist auch nicht zu fordern, dass die nationale Regelung sofort an die Richtlinie angepasst ist. Sollte die geänderte Richtlinie also den Mitgliedstaaten nunmehr Umsetzungsspielräume einräumen, genügt es, wenn die dynamische Verweisung innerhalb der Umsetzungsfrist abgeändert und die Umsetzungsspielräume wahrgenommen werden. (2) Dynamische Verweisungen auf Verordnungen Dynamische Verweisungen auf Verordnungen des Unionsrechts in deren originärem Anwendungsbereich haben (wie bereits festgestellt) allenfalls deklaratorische Wirkung,656 da Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV ohnehin unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten und somit keiner Umsetzung bedürfen. Der Rechtszustand ändert sich demnach durch eine dynamische Verweisung auf die Verordnung nicht. Zudem ließe sich parallel zur obigen Argumentation für Richtlinien argumentieren, dass die Union im originären Anwendungsbereich der Verordnung ohnehin die Rechtsetzungsbefugnis besitzt, sodass keine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen infolge der Verweisung vorliegt. Dementsprechend ergeben sich insoweit hinsichtlich des Demokratieprinzips keinerlei Bedenken.
654
Für statische Verweisungen nimmt Guckelberger, ZG 2004, 62 (85) dies selbst an. So aber Guckelberger, ZG 2004, 62 (86). 656 Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (725); Klindt, DVBl. 1998, 373 (377). Ähnlich D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 113, der diese sogar als „überflüssig“ bezeichnet. 655
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 157
bb) Anwendungsbereichserweiternde Verweisungen Im Gegensatz zu anwendungsbereichserhaltenden dynamischen Verweisungen auf Unionsrecht kann sich eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip für anwendungsbereichserweiternde dynamische Verweisungen nicht bereits aus der erfolgten und zulässigen Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ergeben. Denn durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der unionsrechtlichen Vorschriften findet das in Bezug genommene Unionsrecht infolge der Verweisung Anwendung auf Sachverhalte, die ansonsten nicht dem Unionsrecht unterfielen und für welche der Union nicht bereits Rechtsetzungsbefugnisse übertragen wurden. Eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ist also ebenso zu überprüfen, wie im Bereich von Verweisungen auf nationales Recht, da dem Unionsgesetzgeber durch die Verweisung ein Einfluss auf nationale Rechtsvorschriften eingeräumt wird, welcher diesem ansonsten nicht zukäme. Aus diesem Grund erübrigt sich für anwendungsbereichserweiternde dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht auch die Differenzierung zwischen Verordnungen und Richtlinien der Union, da zum einen Verordnungen außerhalb ihres originären Anwendungsbereichs keine unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten zukommt und zum anderen Richtlinien durch die Mitgliedstaaten außerhalb ihres originären Anwendungsbereichs nicht umgesetzt werden müssen. Stets wird also eine fremde Regelung in Bezug genommen, die in diesem Anwendungsbereich bisher keine Rechtswirkung hat, sodass die Art des Rechtsaktes für die Bewertung der Vereinbarkeit derartiger Verweisungen mit dem Demokratieprinzip unerheblich ist. (1) Übertragung der Grundanforderungen für dynamische Fremdverweisungen Dementsprechend ist auch hier das bereits oben abstrakt gefundene Ergebnis für die Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip zu übertragen: Dynamische Fremdverweisungen sind nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, dessen Normgeber zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch die Verweisungsnorm legitimiert und zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthalten. Unzulässig sind dynamische Verweisungen jedoch stets, wenn sie wesentliche Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen. Daraus ergibt sich für Verweisungen auf das Unionsrecht, dass diese abseits wesentlicher Entscheidungen oder spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte zulässig sind, wenn sie eine hinreichende Übernahmelimitierung enthalten. Ansatzpunkt dieses Ergebnisses ist erneut, dass die Verweisungsnorm durch den zuständigen Gesetzgeber erlassen wird und durch die Verweisungs- und Auswahlentscheidung hinsichtlich des Verweisungsziels eine eigene Entscheidung getroffen hat, sodass den Anforderungen an eine eigene Rechtsetzung zumindest formal genügt ist. Zudem lässt sich durch eine hinreichende Übernahmelimitierung – nämlich eine Limitierung der Verweisung nach Inhalt und Ausmaß – sicherstellen, dass die Regelung innerhalb des Vorstellungsbereichs und des be-
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
absichtigten Rahmens des Verweisungsnormgebers bleibt, da die Übernahme der Regelungen des Verweisungsobjekts abseits des durch die Limitierungen gesetzten Rahmens automatisch gestoppt wird. Für diese Erwägungen kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.657 (2) Demokratische Legitimation gegenüber dem Staatsvolk des Verweisungsnormgebers Dem zusätzlichen Erfordernis für dynamische Fremdverweisungen, dass die Verweisung ein Verweisungsobjekt in Bezug nimmt, welches zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch die Verweisungsnorm legitimiert, ist bei Verweisungen auf das Unionsrecht ebenfalls genügt. Denn Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind gleichzeitig Bürger der Europäischen Union.658 Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament legitimieren sie – neben den Bürgern der anderen Mitgliedstaaten – das Europäische Parlament und haben dadurch Einfluss auf die Europäische Gesetzgebung durch die von ihnen gewählten Repräsentanten. Auch der Rat, welcher nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 EUV gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig wird, besteht nach Art. 16 Abs. 2 EUV aus Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene, also aus Regierungsmitgliedern, die eine demokratische Legitimation im Wege einer ununterbrochenen Legitimationskette besitzen. Sowohl der Rat als auch das Europäische Parlament, die bei der Gesetzgebung zusammenwirken, werden also unmittelbar oder mittelbar durch das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland – neben den Staatsvölkern der anderen Mitgliedstaaten – demokratisch legitimiert. Infolge der Verweisung erlangt also kein Organ eine Rechtsetzungsmacht, welches keinerlei Legitimation gegenüber dem Staatsvolk des Verweisungsnormgebers besitzt, sondern dem Verweisungsobjektgeber kommt im Fall dynamischer Verweisungen auf das Unionsrecht auch gegenüber dem Staatsvolk des Verweisungsnormgebers eine demokratische Legitimation zu und dieses hat einen effektiven Einfluss auf die Zusammensetzung des Verweisungsobjektgebers. (3) Demokratische Legitimation außerhalb des Kompetenzbereichs? Zwar könnte argumentiert werden, dass die den Organen der Union zu Teil werdende demokratische Legitimation nur für die ihnen originär zustehenden Kompetenzbereiche, nicht aber für Ausgestaltungen anderer nationaler Regelungen außerhalb dieser Bereiche, besteht. Jedoch bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, der Europäischen Union weitere Kompetenzen – auch innerhalb derselben Wahlperiode – zu übertragen, ohne dass die Unionsbürger erneut per Wahl das Europäische Parlament legitimieren müssen oder eine Auf-
657 658
Siehe oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. Vgl. Art. 9 S. 2 und 3 EUV sowie Art. 20 Abs. 1 S. 2 und 3 AEUV.
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 159
lösung des Rates erfolgt, sodass die demokratische Legitimation der Unionsorgane nicht abhängig von der ihnen durch die Mitgliedstaaten im Einzelnen bei der Wahl des Europäischen Parlaments zugewiesenen Kompetenzen ist. Im Vergleich zu einer Übertragung von Hoheitsrechten i.S.d. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG stellt sich eine dynamische Fremdverweisung angesichts der eigenen Entscheidung des nationalen Gesetzgebers und der enthaltenen Übernahmelimitierungen im Übrigen als ein Weniger hinsichtlich der der Europäischen Union eingeräumten Befugnisse im Vergleich zu „klassischen“ Hoheitsrechtsübertragungen dar, sodass diese Erwägungen daher umso mehr für dynamische Verweisungen gelten müssen. Hinzu kommt die zumindest teilweise demokratische Legitimation des Verweisungsobjekts durch das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers neben den zu berücksichtigenden Faktoren der eigenen Entscheidung des Verweisungsnormgebers sowie der zu fordernden Übernahmelimitierung. Durch das kumulative Vorliegen dieser drei Kriterien kann abgesichert werden, dass die Verweisungsnorm sich auf das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers zurückführen lässt und dieses einen effektiven Einfluss auf den ihm (zumindest mittelbar) gegenüber handelnden Verweisungsobjektgeber hat. Dass der Verweisungsobjektgeber zumindest teilweise auch durch das Staatsvolk der Verweisungsnorm legitimiert wird, stellt hierbei jedoch lediglich einen der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte dar und trägt durch die so mittelbar bestehende Einflussmöglichkeit des Staatsvolks des Verweisungsnormgebers auf die Rechtsetzung des Verweisungsobjektgebers dazu bei, dass im Ergebnis eine Rückführbarkeit auf das Staatsvolk des Verweisungsnormgebers hinreichend gewährleistet wird. Die unterschiedlichen Kriterien ergänzen sich demnach gegenseitig und gleichen etwaige legitimatorische Defizite aus, sodass insgesamt ein hinreichendes Legitimationsniveau besteht.659 Zudem lässt sich dem gesamten Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union entnehmen, dass die teilweise Beeinflussbarkeit der Unionsgesetzgebung für eine Geltung von Akten der Unionsorgane in der Bundesrepublik Deutschland ausreichen muss. Denn auch auf unionsrechtliche Normen, die in der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von einer dynamischen Verweisung Geltung erlangen, hat das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland nur zum Teil – nämlich neben den anderen Mitgliedstaaten – über seine Repräsentanten im Rat und im Europäischen Parlament Einfluss. Trotzdem wird die europäische Gesetzgebung gemeinhin als vereinbar mit dem Demokratieprinzip akzeptiert. Dementsprechend kann es nicht einleuchten, dynamische Verweisungen auf Unionsrecht, die im Vergleich zur „direkten“ europäischen Gesetzgebung ein Weniger darstellen,660 demgegenüber als unvereinbar mit dem
659
Siehe schon oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) cc) (2) (c). Da bei Verweisungen neben der eigenen Entscheidung des Verweisungsnormgebers noch eine Übernahmelimitierung besteht bzw. bestehen muss. 660
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§ 1 Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
Demokratieprinzip zu klassifizieren. Vielmehr muss a maiore ad minus auch hier von einer Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ausgegangen werden. (4) Legitimationsdefizit der gesetzgebenden Unionsorgane? Im Übrigen kann gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Unionsrecht nicht (mehr) vorgebracht werden, dass es den gesetzgebenden Organen an demokratischer Legitimation mangele, da der allein gesetzgebende Rat lediglich aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten bestehe.661 Diese von Fuss im Jahr 1973 vorgetragene Kritik trifft auf die heutige Europäische Union nicht mehr zu. Denn durch den Vertrag von Lissabon wurde die Rolle des Europäischen Parlaments, welches per Wahlakt unmittelbar legitimiert ist, erheblich gestärkt, sodass das Europäische Parlament nunmehr als ein (nahezu) gleichwertiges Gesetzgebungsorgan neben dem Rat betrachtet werden kann.662 Zudem ist auch der deutschen Bundesgesetzgebung das Zusammenwirken von Regierungsvertretern in einem Gesetzgebungsorgan mit einem anderen – unmittelbar demokratisch legitimierten – Gesetzgebungsorgan nicht fremd. So findet die Bundesgesetzgebung durch den (unmittelbar demokratisch legitimierten) Bundestag sowie den Bundesrat statt, welcher nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG aus Mitgliedern der Landesregierungen besteht. Die Zusammensetzung der europäischen Gesetzgebungsorgane weist also erhebliche Parallelen zu den deutschen Gesetzgebungsorganen auf, sodass der Vorwurf einer mangelnden demokratischen Legitimation der Unionsgesetzgebung nicht (mehr) erhoben werden kann. (5) Verweisungen von Landesrecht auf Unionsrecht Die obigen Erwägungen lassen sich auch für Verweisungen von Landesrecht auf Unionsrecht übertragen, denn das Landesvolk ist im Bundesvolk enthalten, welches wiederum im Unionsvolk enthalten ist, sodass auch dem Volk eines Landes eine mittelbare – zugegebenermaßen weniger starke – Einflussmöglichkeit auf die gesetzgebenden Organe der Europäischen Union zukommt. Dementsprechend ist auch für Verweisungen vom Recht eines Landes auf Unionsrecht die Anforderung, dass nur ein Verweisungsobjekt in Bezug genommen werden darf, welches zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch den Verweisungsnormgeber legitimiert, erfüllt, sodass bei einer hinreichenden Übernahmelimitierung nach Inhalt und Ausmaß auch eine dynamische Verweisung von Landesrecht auf das Unionsrecht erfolgen darf. cc) Zusammenfassung Im Ergebnis handelt es sich daher bei dynamischen Verweisungen auf Verordnungen in deren ursprünglichem Anwendungsbereich um nicht zu beanstan661 662
So aber Fuss, in: FS Paulick, 293 (320). Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473 (475); Richter, EuZW 2007, 631 (632).
C. Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip 161
dende deklaratorische Verweisungen. Konstiutive dynamische Verweisungen auf Richtlinien der Union in deren ursprünglichem Anwendungsbereich sowie auf Verordnungen und Richtlinien außerhalb deren ursprünglichem Anwendungsbereich sind jedoch ebenfalls mit dem Demokratieprinzip vereinbar.
III. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich für die Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit dem Demokratieprinzip damit folgendes Ergebnis: Dynamische Fremdverweisungen sind nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, dessen Normgeber zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch den Verweisungsnormgeber legitimiert und die Verweisung zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthält. Unzulässig sind dynamische Verweisungen jedoch stets, wenn sie wesentliche Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen. Daraus folgt, dass abseits wesentlicher Entscheidungen oder des Bereichs spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte konstitutive dynamische Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht sowie von Bundesrecht auf das Recht aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes und von Bundes- oder Landesrecht auf das Recht der Europäischen Union mit dem Demokratieprinzip vereinbar sind. Unvereinbar mit dem Demokratieprinzip sind hingegen konstitutive dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines einzelnen Landes sowie vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes, Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive und Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften. Allerdings können nichtstaatliche Vorschriften über eine normkonkretisierende Verweisung in Bezug genommen werden. Diese Möglichkeit lässt sich im Übrigen auf alle Konstellationen übertragen, in welchen eine solche Verweisung rechtstechnisch sinnvoll möglich ist.663 Dies dürfte freilich nur dort der Fall sein, wo die Möglichkeit besteht, einen unbestimmten Rechtsbegriff oder eine Generalklausel, die für sich genommen bereits bestimmt genug ist, um eine selbstständige Regelung zu beinhalten, näher zu konkretisieren. Aus der Perspektive des Demokratieprinzips ergeben sich hierbei jedoch (wie gezeigt)664 keine Bedenken, sodass diese Regelungstechnik auch für Vorschriften angewendet werden kann, auf welche eine konstitutive dynamische Verweisung unzulässig wäre.
663
Auch Krey, EWR 1981, 109 (156 ff.) überträgt den Ansatz normkonkretisierender Verweisungen auf eine andere Konstellation (Verweisungen auf europäisches Recht), obgleich er ein abweichendes Verständnis der normkonkretisierenden Verweisung aufweist. Im Ansatz auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (109 f.) zur Übertragung des Ansatzes der gesetzlichen Vermutung auf Verwaltungsvorschriften. A.A. Debus, Verweisungen, S. 231. 664 Vgl. bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 2. h) dd).
§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot Fraglich ist sodann die Vereinbarkeit der dynamischen Verweisungstechnik mit dem Publikationsgebot. Dieses ist neben speziellen (bundes- und landesrechtlichen) Verkündungsvorschriften bereits im Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verankert.1 Als elementarer Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens ist die Verkündung jedoch nicht nur ein Formerfordernis, sondern vielmehr eine Geltungsbedingung für Rechtsnormen.2 Das Rechtsstaatsprinzip gebietet hinsichtlich der Publikation von Rechtsvorschriften, dass diese derart verkündet werden, dass die Normadressaten „sich verlässlich und ohne erhebliche Schwierigkeiten Kenntnis vom Inhalt der Regelungen verschaffen können“ und die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht „in unzumutbarer Weise erschwert“ ist.3 Diese Grundsätze gelten über die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch für die Landesgesetzgebung.4 Im Übrigen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip keine konkreten Anforderungen an die Verkündung, sondern vielmehr aus den jeweils einschlägigen speziellen Verkündungsvorschriften.5 Spezialgesetzlich ist das Verkündungserfordernis auf Bundesebene für formelle Gesetze in Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG und auf Länderebene in den entsprechenden Landesvorschriften festgelegt. Nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG sind die zustande gekommenen und vom Bundespräsident ausgefertigten Gesetze im Bun-
1
Vgl. nur BVerwG Urt. v. 27.06.2013 – 3 C 21/12, Rn. 20; Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (421); Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 14; Clemens, AöR 1986, 63 (91); Karpen, Verweisung, S. 137; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405) m.w.N.; Pieper, in: BeckOK GG, Art. 82 vor Rn. 1. 2 BVerfGE 65, 283 (291); BVerwG, Beschl. v. 29.07.2010 – 4 BN 21/10, juris-Rn. 9; Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (421) m.w.N.; Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 236 (73. Lfg. Dezember 2014); Debus, Verweisungen, S. 113 m.w.N.; Marburger, Regeln der Technik, S. 408; Pieper, in: BeckOK GG, Art. 82 Rn. 21 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 302; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 78. Vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 22.11.2022 – 21 K 21/22, juris Rn. 22. 3 BVerwG Urt. v. 27.06.2013 – 3 C 21/12, Rn. 20. So auch BVerfGE 65, 283 (291); BVerwG, Beschl. v. 29.07.2010 – 4 BN 21/10, juris-Rn. 9; Clemens, AöR 1986, 63 (91); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 93; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 203 m.w.N. Vgl. auch BVerwG, NJW 1962, 506 (506); VG Berlin, Urt. v. 22.11.2022 – 21 K 21/22, juris Rn. 22; Karpen, Verweisung, S. 137. 4 Vgl. auch Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405). 5 BVerwG Urt. v. 27.06.2013 – 3 C 21/12, Rn. 20. Vgl. auch BVerfGE 65, 283 (291); BVerwG, Beschl. v. 29.07.2010 – 4 BN 21/10, juris-Rn. 9.
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
desgesetzblatt zu verkünden. Nach den entsprechenden Vorschriften der Länder sind die Landesgesetze im jeweiligen Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes zu verkünden.6 Die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit soeben beschriebenen Anforderungen des Publikationsgebots wird unterschiedlich beurteilt:
A. These der (weitgehenden) Unvereinbarkeit mit dem Publikationsgebot Teilweise wird von einer weitgehenden Unvereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Publikationsgebot ausgegangen, wenn das Verweisungsobjekt nur in seinem originären Publikationsorgan veröffentlicht wird.7 Für eine ordnungsgemäße Publikation genüge es nicht, wenn lediglich die Verweisungsnorm im dafür vorgesehenen Gesetzblatt verkündet wird, selbst wenn dort ein Hinweis auf die Fundstelle des Verweisungsobjekts aufgeführt ist.8 Denn dadurch würden die Publikationsvorschriften im Ergebnis umgangen.9 Die jeweils für die Verweisungsnorm vorgesehenen Gesetzblätter dürften kein bloßes „Fundstellenverzeichnis“ sein, sondern müssten vielmehr selbst als Fundstelle fungieren, in welchem sich der Normadressat umfassend über den Inhalt der Gesetze informieren kann.10 Das Verkündungsgebot gelte also nicht nur für die Verweisungsnorm, sondern auch für das inkorporierte Verweisungsobjekt, da der gesamte Gesetzestext ordnungsgemäß publiziert werden müsse.11 Der Grundsatz der Formenstrenge gebiete zudem, dass die Verkündung nur in dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Publikationsorgan erfolgt.12 Ferner dürften Verweisungen nicht dazu führen, dass die Normen für den Bürger „vollends unauffindbar“ seien, sodass die maßgeblichen Vorschriften in wenigen Fundstellen zu bündeln seien.13
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Z.B. Art. 71 Abs. 1 LVerf NRW; Art. 76 Abs. 1 BayLVerf; Art. 45 Abs. 1 S. 1 LVerf ND. Vgl. Karpen, Verweisung, 141 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405 ff.); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256 f.). Wohl auch BVerfGE 47, 285 (315); Baden, NJW 1979, 623 (626). Ähnlich Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236), welcher jedoch offenbar nunmehr Verweisungen auf Gesetze und Rechtsverordnungen umfänglich zulassen will, auch wenn sie nur in deren originärem Publikationsorgan veröffentlicht werden. 8 Karpen, Verweisung, S. 142; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256). Wohl auch Baden, NJW 1979, 623 (626). 9 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406). Ähnlich Baden, NJW 1979, 623 (626). 10 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 142. 11 Vgl. Karpen, Verweisung, S. 142; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (408); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256). 12 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (408). So auch Karpen, Verweisung, S. 141 m.w.N.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236). 13 Vgl. Karpen, Verweisung, S. 142. 7
A. These der (weitgehenden) Unvereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
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Vereinbar mit dem Publikationsgebot seien hingegen Eigenverweisungen, da die Normen desselben Gesetzgebers auch im selben Gesetzblatt aufzufinden sind, welches als Einheit zu betrachten sei.14 Mit dem Publikationsgebot vereinbar sei es ferner, wenn die Publikation in einem Publikationsorgan erfolgt, welches sich auch an den Normadressaten der Verweisungsnorm richtet, wie dies für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht der Fall sei.15 Denn das Bundesgesetzblatt richte sich auch an die einzelnen Landesbürger, sodass die Gesetzblätter insoweit ebenfalls als Einheit zu betrachten seien.16 Dies gelte jedoch nicht für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht oder von Landesrecht auf das Recht eines anderen Landes, da sich die Gesetzblätter der Länder nicht an (alle) Bundesbürger bzw. die Bürger eines anderen Landes richten.17 Demnach seien auch Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften und nichtstaatliche Normen mit dem Publikationsgebot unvereinbar, sofern sie nicht auch in einem verfassungsrechtlich für Gesetze vorgesehenen Publikationsorgan verkündet sind, das sich an die Normadressaten der Verweisungsnorm richtet.18 Eine Ausnahme vom strikten Verkündungserfordernis bestehe jedoch, wenn eine Publikation des Verweisungsobjekts unmöglich ist, wie dies z.B. bei Karten oder Plänen der Fall sei.19 In diesem Fall genüge ein Publikationssurrogat, das auf das entsprechende Verweisungsobjekt hinweist.20 Erforderlich für die Vereinbarkeit der Verweisung mit dem Publikationsgebot sei vorbehaltlich der Unmöglichkeit der Verkündung im Ergebnis also stets, dass auch das Verweisungsobjekt in einem amtlichen Publikationsorgan veröffent-
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Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406). So auch Karpen, Verweisung, S. 143. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406). So auch Karpen, Verweisung, S. 143 f. Ähnlich Fuss, in: FS Paulick, 293 (298). Im Ergebnis auch Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (257). 16 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406 f.). So auch Karpen, Verweisung, S. 143 f. A.A. offenbar Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (257). 17 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (407). So auch Karpen, Verweisung, S. 143. Wohl auch BVerfGE 47, 285 (315) (eine fehlende Verkündung der in Bezug genommenen Landesvorschriften im Bundesgesetzblatt hervorhebend); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256 f.). A.A. offenbar Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236), welcher nunmehr Verweisungen auf Gesetze und Rechtsverordnungen umfänglich zulassen will, auch wenn sie nur in deren originärem Publikationsorgan veröffentlicht werden. 18 Eine Verkündung im Ministerialblatt reiche demgegenüber nicht aus, vgl. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (407). Wohl auch Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256 f.). Ähnlich Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236); Karpen, Verweisung, S. 154 ff. 19 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406). So auch Karpen, Verweisung, S. 142, 149. In diesem Sinne auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (298 Fn. 21); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236). Ähnlich Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256). 20 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (406). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 142, 149 ff.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236). Ähnlich Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (256). 15
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
licht wird, das sich (zumindest auch) an den Normadressaten der Verweisungsnorm richtet.21 Noch weitergehend konstatiert demgegenüber Arndt, dass dynamische Verweisungen generell unvereinbar mit dem Publikationsgebot seien.22 Dies ergebe sich daraus, dass bei einer dynamischen Verweisung naturgemäß die „Mindestanforderungen“ dieses Gebots, dass auch das Verweisungsobjekt hinreichend bestimmt bezeichnet sowie in einem für die Normadressaten zugänglichen und für amtliche Anordnungen geeigneten Publikationsorgan verkündet ist, nicht erfüllt sein könnten.23
B. Theorie des Erfordernisses einer amtlichen Publikation Nach einer differenzierenden Ansicht erfasst Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG hingegen nur die Verweisungsnorm selbst, nicht jedoch das Verweisungsobjekt.24 Hierfür spreche bereits, dass dem Verfassungsgeber die Publikationsproblematik bei Verweisungen nicht bewusst gewesen sei sowie die Gesetzesökonomie, da Verweisungen ansonsten weitgehend ausgeschlossen wären.25
I. Veröffentlichungserfordernis für das Verweisungsobjekt Trotz des nach dieser Ansicht nicht unmittelbar auf das Verweisungsobjekt anwendbaren Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG wird davon ausgegangen, dass eine zugängliche und erkennbare Verkündung jedoch für eine Rechtsnorm „in allen ihren Teilen“ bestehen müsse.26 Da sich aus dem Verweisungsobjekt und der Verwei21
Vgl. Karpen, Verweisung, 141 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405 ff.). Ähnlich Fuss, in: FS Paulick, 293 (298), welcher offenbar nur Verweisungen auf Rechtsnormen sowie Verwaltungsvorschriften zulassen will und fordert, dass die Publikation in einem Publikationsorgan erfolgt, das für den Normadressaten der Verweisungsnorm „nach seinem Lebenskreis einschlägig ist“ sowie hinreichend zugänglich – insbesondere die Kenntnisnahme nicht mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden – ist. Für unzureichend hält er jedoch offenbar eine Publikation im Amtsblatt der Europäischen Union (damals noch der Europäischen Gemeinschaften), vgl. a.a.O., S. 318. 22 Arndt, JuS 1979, 784 (788). So auch Backherms, ZRP 1978, 261 (261 Fn. 3) (zu Verweisungen auf technische Normen) m.w.N. 23 Arndt, JuS 1979, 784 (788). Diese nicht näher begründete Annahme lässt vermuten, dass Arndt darauf abstellt, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verweisungsnorm nicht bereits jede zukünftige Fassung des Verweisungsobjekts verkündet und inklusive der (zukünftigen) Fundstelle bezeichnet werden kann. 24 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (89 f.); Guckelberger, ZG 2004, 62 (71). Ähnlich nimmt D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 71 f. eine „einschränkende Auslegung“ des Art. 82 Abs. 1 GG vor; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (97 f.) plädiert für eine teleologische Reduktion des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG; so auch Schenke, NJW 1980, 743 (744). 25 Clemens, AöR 1986, 63 (90 f.). Vgl. auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (71). 26 Vgl. BVerwG, NJW 1962, 506 (506).
B. Theorie des Erfordernisses einer amtlichen Publikation
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sungsnorm eine zusammengesetzte Regelung ergibt, müsse die Regelung – also auch das Verweisungsobjekt – daher vollständig publiziert sein.27 Das Verkündungsgebot sei jedoch kein „Selbstzweck“, sodass es genüge, wenn die damit verfolgten „rechtsstaatlichen Ziele auch hinsichtlich des Verweisungsobjekts gewährleistet sind“.28 Wenn der Inhalt des Verweisungsobjekts nicht im Text der Verweisungsnorm wiedergegeben oder als Anlage zum Gesetz publiziert wird, müsse eine hinreichende Publikation also anderweitig gewahrt sein.29 Es reiche hierbei aus, wenn das Verweisungsobjekt derart zugänglich ist, dass die Normadressaten sich ohne unzumutbare Schwierigkeiten verlässlich Kenntnis vom Inhalt des Verweisungsobjekts verschaffen können.30 Ferner komme es nicht darauf an, dass das Publikationsorgan für den betreffenden Normadressaten bestimmt ist.31 Dies wäre eine Überspannung des Publikationsgebots.32 Der zu fordernde Gehalt des Publikationsgebots – nämlich die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme für den Normadressaten – könne unabhängig davon erfüllt sein, an wen sich das Publikationsorgan originär richtet.33
II. In einem für amtliche Anordnungen geeigneten Publikationsorgan Zu fordern sei allerdings, dass die Publikation in einem Publikationsorgan erfolgt, welches zugänglich und seiner Art nach für amtliche Anordnungen geeignet ist.34 Dementsprechend wird weithin gefordert, dass auch das Verweisungsobjekt amtlich publiziert werden muss, obgleich dies nicht zwingend im selben Publikationsorgan wie die Verweisungsnorm zu erfolgen habe.35 Mit dem Pu-
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Ähnlich Fuss, in: FS Paulick, 293 (298). Zum Vollständigkeitsprinzip s. H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 82 Rn. 19; Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 237 (73. Lfg. Dezember 2014); Mann, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 24. 28 Clemens, AöR 1986, 63 (91); Guckelberger, ZG 2004, 62 (71) m.w.N. Ähnlich Hömig, DVBl. 1979, 307 (309). 29 Vgl. BVerwG, NJW 1962, 506 (506). 30 Guckelberger, ZG 2004, 62 (71); Haratsch, EuR 2000, 42 (47) m.w.N. 31 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (71); Krey, EWR 1981, 109 (138 f.). 32 Krey, EWR 1981, 109 (138 f.) m.w.N. 33 In diesem Sinne Guckelberger, ZG 2004, 62 (71). 34 Vgl. BVerwG, NJW 1962, 506 (506). So auch Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35; Clemens, AöR 1986, 63 (91); Guckelberger, ZG 2004, 62 (71); Haratsch, EuR 2000, 42 (47); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 116; Klindt, DVBl. 1998, 373 (375); Mann, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 24 (zu statischen Verweisungen; Mann fordert zusätzlich, dass „das fremde Regelwerk hinreichend bezeichnet wird“); Schenke, NJW 1980, 743 (744); D. Schneider, Seeschiffe, S. 93. In diesem Sinne auch Nickusch, NJW 1967, 811 (812 f.); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71); Papier, in: FS Lukes, 159 (164). 35 Vgl. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35; Clemens, AöR 1986, 63 (89 ff.); Haratsch, EuR 2000, 42 (47 f.); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 71 f.; Nickusch, NJW 1967, 811 (813); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71); Papier, in: FS Lukes, 159 (164). In diese Richtung wohl auch BVerfGE 22, 330 (346 f.); BVerfGK 17, 273 (287); Klindt, DVBl. 1998, 373 (375); Stern, Staatsrecht II, 635 f.
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
blikationsgebot vereinbar seien daher alle Verweisungen, die ein ohnehin bereits amtlich publiziertes Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, wie z.B. Verweisungen auf innerstaatliche Gesetze und Rechtsverordnungen sowie auf Normen der Europäischen Union.36 Neben den Gesetzblättern des Bundes, der Länder und der Europäischen Union sei also etwa auch der Bundesanzeiger ein taugliches Publikationsorgan.37 Auch Verwaltungsvorschriften könnten demnach taugliche Verweisungsobjekte darstellen, sofern sie amtlich publiziert sind.38 Für Verweisungen auf nichtstaatliche Regelungen folge hingegen aus dem Erfordernis einer amtlichen Publikation, dass deren originäre, nichtstaatliche Publikation nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verkündung genügt, sondern die nichtstaatlichen Regelungen – wenn sie als Verweisungsobjekt dienen sollen – amtlich publiziert werden müssen.39 Denn bei einer lediglich nichtstaatlichen Publikation des Verweisungsobjekts seien die rechtsstaatlichen Erfordernisse einer allgemein zugänglichen Publikation sowie einer zumutbaren und verlässlichen Kenntnisnahmemöglichkeit nicht hinreichend gewahrt.40 Denn der uneingeschränkte Zugang zu nichtstaatlichen Normen bestehe für die Normadressaten nur gegen Bezahlung.41 Für eine amtliche Publikation spreche hingegen, dass durch diese der zumutbare und dauerhafte Zugang zu den Regelungen des Verweisungsobjekts für die Normadressaten sichergestellt werden könne.42 Zudem werde durch eine amtliche Veröffentlichung der nichtstaatlichen Regelungen die Authentizität der Regelungen des Verweisungsobjekts gewähr-
36 Clemens, AöR 1986, 63 (92 f.); Guckelberger, ZG 2004, 62 (71); Klindt, DVBl. 1998, 373 (375); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71); Papier, in: FS Lukes, 159 (164). Vgl. auch Haratsch, EuR 2000, 42 (47 f.); Krey, EWR 1981, 109 (145, 148 f.), welcher dies zumindest für Verweisungen auf Gesetze annimmt; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 71 f.; Schenke, in: FS Fröhler, 87 (S. 97 ff.). Wohl auch BVerfGK 17, 273 (287); D. Schneider, Seeschiffe, S. 93. 37 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35. Für den Bundesanzeiger ausdrücklich BVerfGE 22, 330 (346 f.); BVerfGK 17, 273 (287). 38 Guckelberger, ZG 2004, 62 (71); Schenke, NJW 1980, 743 (744). 39 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35; Guckelberger, ZG 2004, 62 (72 f.). So auch Clemens, AöR 1986, 63 (94 f.), der jedoch offenbar nicht die Möglichkeit anerkennt, nichtstaatliche Normen auch amtlich zu publizieren, sondern derartige Verweisungen von formellen Gesetzen generell wegen Verstoßes gegen das Publikationsgebot als verfassungswidrig beurteilt. Vgl. auch Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (59 ff.); Stern, Staatsrecht II, 635 f. Im obigen Sinne auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (99) und Schenke, NJW 1980, 743 (744), welcher zwar nur fordert, dass die nichtstaatlichen Regelungen archiviert werden, aber gleichzeitig konstatiert, dass nichtstaatliche Publikationen nicht ausreichend seien. 40 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35. Ähnlich Schenke, in: FS Fröhler, 87 (99). 41 Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (60). 42 Guckelberger, ZG 2004, 62 (72 f.).
B. Theorie des Erfordernisses einer amtlichen Publikation
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leistet.43 Hierdurch würden die Normadressaten vor etwaigen Manipulationen oder Fälschungen der nichtstaatlichen Regeln geschützt.44 Clemens begründet das Erfordernis einer amtlichen Publikation hingegen anders als die sonstigen Vertreter dieser Ansicht: Bei Verweisungen von förmlichen Gesetzen auf ein Verweisungsobjekt, das nicht in einem amtlichen Publikationsorgan bekanntgemacht ist, sei die Diskrepanz zwischen dem (durch die Verweisung erhaltenen) Rang des Verweisungsobjekts und der Veröffentlichungsform desselben zu groß.45 Zusätzlich zu einer amtlichen Publikation wird teilweise gefordert, dass das Verweisungsobjekt klar bezeichnet werden muss.46 Darüber hinausgehend fordern manche Autoren die Angabe einer Fundstelle für das Verweisungsobjekt.47 Moll beschränkt dies jedoch bei dynamischen Verweisungen auf die erstmalige Publikation der Verweisungsnorm; für künftige Änderungen des Verweisungsobjekts sei keine erneute Publikation der Verweisungsnorm unter Änderung der Fundstelle erforderlich.48 Speziell für Verweisungen auf technische Regeln schlägt Nikusch vor, in Bezug genommene nichtstaatliche technische Regelungen in einem Teil IV des Bundesgesetzblattes zu publizieren, um zum einen eine amtliche Publikation zu gewährleisten und zum anderen in den übrigen Teilen des Bundesgesetzblattes die Übersichtlichkeit zu bewahren.49
43
Guckelberger, ZG 2004, 62 (72). Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (422) sehen die Authentizität der Publikation als rechtsstaatliches Erfordernis an. 44 Vgl. Guckelberger, ZG 2004, 62 (72). In diesem Sinne auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (99), allerdings für eine Archivierung. 45 Clemens, AöR 1986, 63 (91). Hieraus leitet er ferner ab, dass es genüge, wenn das Verweisungsobjekt allgemein zugänglich ist, wenn es sich bei der Verweisungsnorm um eine Rechtsverordnung handelt, da diese im Rang unterhalb eines formellen Gesetzes stünde. Dazu reiche es aus, wenn die Vorschriften des Verweisungsobjekts im allgemeinen Buchhandel erhältlich und die Kosten dafür „nicht unzumutbar hoch“ seien. Wenn die Verweisungsnorm im Rang unterhalb einer Rechtsverordnung stehe, seien u.U. noch geringere Anforderungen an die Publikation des Verweisungsobjekts zu stellen (vgl. a.a.O, S. 97 ff.). 46 BVerfGE 44, 322 (350); BVerfGE 22, 330 (346 f.); Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35. In diesem Sinne ursprünglich BVerfGE 5, 25 (31) und BVerfGE 26, 338 (367), allerdings ohne direkten Bezug zur Publikationsproblematik. 47 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 82 Rn. 35; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 70 ff. 48 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 70 ff. 49 Nickusch, NJW 1967, 811 (813).
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
C. Annahme einer (umfassenden) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme Die wohl (mittlerweile) herrschende Meinung hält jedoch zutreffenderweise dynamische Verweisungen umfassend für mit dem Publikationsgebot vereinbar, sofern sich die Normadressaten ohne unzumutbare Schwierigkeiten Kenntnis vom Inhalt des Verweisungsobjekts durch eine allgemein zugängliche und verlässliche Publikation verschaffen können, unabhängig davon, ob diese in einem amtlichen oder nichtamtlichen Publikationsorgan erfolgt.50
I. Anwendung der speziellen Verkündungsnormen Der Ausgangspunkt der Begründung dieses Ergebnisses ist, dass Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG derart zu interpretieren ist, dass nur die Verweisungsnorm im Bundesgesetzblatt publiziert werden muss.51 Die Verwendung des Begriffs „Gesetze“ in Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG lässt sich als Gesetzestext oder als Gesetzesinhalt auslegen.52 Beide Auslegungsvarianten wären ohne Weiteres mit dem Wortlaut der Norm vereinbar. Der Inhalt einer Norm ergibt sich jedoch häufig erst durch dessen Auslegung, sodass ein derartiges Verständnis unpraktikabel wäre, da dies mitunter zunächst die Auslegung der Norm durch die verkündende Instanz – auf Bundesebene also durch den Bundespräsidenten – erforderte, um sicherzustellen, dass der gesamte Gesetzesinhalt korrekt publiziert würde.53 Eine solche Ausle50
Vgl. mit unterschiedlichen Ausprägungen im Detail BVerwGE 147, 100 (104 ff. Rn. 15 ff.); VG Berlin, Urt. v. 22.11.2022 – 21 K 21/22, juris-Rn. 22; Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (423); Brugger, VerwArch 1987, 1 (12 f.); Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 238 f. (73. Lfg. Dezember 2014); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 364; Debus, Verweisungen, S. 118 ff.; Ebsen, DÖV 1984, 654 (655 ff.); Grzeszick, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 54 f. (48. Lfg. November 2006); Hömig, DVBl. 1979, 307 (311); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 93; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 49 f. (für Tarifverträge); Wolff, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 15 Rn. 208 m.w.N. In diesem Sinne auch Marburger, Regeln der Technik, S. 408 ff. (zu Verweisungen auf nichtstaatliche technische Regeln); Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912 f.); Schwierz, Privatisierung des Staates, S. 92; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 78 ff. Wohl auch BVerwG, Beschl. v. 29.07.2010 – 4 BN 21/10, juris-Rn. 5 ff.; Pieper, in: BeckOK GG, Art. 82 Rn. 21a; Staats, ZRP 1978, 59 (60 f.), unter Abkehr von seiner früheren Ansicht. 51 Vgl. BVerwGE 147, 100 (105 ff. Rn. 18 ff.); Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 238 (73. Lfg. Dezember 2014); Debus, Verweisungen, S. 120; Ebsen, DÖV 1984, 654 (657 f.); Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (61); Staats, ZRP 1978, 59 (60 f.); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 84. In diesem Sinne auch Marburger, Regeln der Technik, S. 411 f.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (412 f.). A.A. Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (423) m.w.N.; wohl auch Mann, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 24, welcher ausführt, dass auch das Verweisungsobjekt grundsätzlich von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG erfasst wird, jedoch für statische Verweisungen im Ergebnis eine einschränkende Auslegung dieser Norm annimmt. 52 Debus, Verweisungen, S. 120; Ebsen, DÖV 1984, 654 (657 f.) (zusätzlich sei auch noch eine Kombination aus diesen Alternativen möglich). 53 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 120.
C. (Umfassende) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme
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gung des Gesetzesinhalts ließe sich zudem nicht stets zweifelsfrei vornehmen, was dem formalen Charakter des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG zuwiderliefe.54 Für ein Verständnis als Gesetzestext spricht ferner, dass der Bundespräsident nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG die „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze“ auszufertigen hat und im Bundesgesetzblatt verkündet.55 Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG knüpft damit inhaltlich an die Verfahrensvorschriften der Art. 76 ff. GG für Gesetze an und kann sich daher nur auf die vom Bundestag nach Art. 77 Abs. 1 GG beschlossenen Gesetze beziehen. Gegenstand dieses Beschlusses ist jedoch allein der Text der Verweisungsnorm, da das Verweisungsobjekt selbst – zumindest bei Fremdverweisungen – bereits nicht vom Bundestag (und ggf. Bundesrat) verabschiedet wird. Ferner muss Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG allein auf den genauen Gesetzestext abstellen, den der Bundestag beschlossen hat, soll nicht dem Bundespräsidenten eine Dispositionsmacht über die textliche Fassung der vom Parlament beschlossenen Gesetze eingeräumt werden. Denn es läge offensichtlicherweise ein Verstoß gegen Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG vor, wenn der Bundespräsident ein textlich anderes Gesetz ausfertigt, auch wenn dieses den beschlossenen Gesetzesentwurf inhaltlich zutreffend wiedergeben würde.56 Auch dies spricht also dafür, im Rahmen des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG rein formal auf den beschlossenen Gesetzestext abzustellen, ohne dass dem Bundespräsidenten hierbei eine weitergehende inhaltliche Aufgabe zuteil wird. Eine andere Sichtweise würde auch der primär repräsentativen Rolle des Bundespräsidenten im Gegensatz zum Bundestag als Hauptorgan der Gesetzgebung widersprechen. Außerdem spricht die Struktur des Art. 82 GG, welcher neben der Verkündung weitere formale Anforderungen wie die Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler, das genaue Publikationsorgan oder den Tag des Inkrafttretens aufstellt, für ein rein formales Verständnis des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG und damit ein Abstellen auf den vom Bundestag (und ggf. Bundesrat) beschlossenen Gesetzestext. Maßgeblich ist für Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG im Ergebnis also allein der beschlossene Gesetzestext.57 Der Gesetzestext einer Verweisung umfasst naturgemäß jedoch lediglich die Verweisungsnorm, nicht auch das Verweisungsobjekt. Einer Verkündung auch des Verweisungsobjekts nach Maßgabe des Art. 82 Abs. 1 GG bedarf es also nicht.58 Gleiches gilt insoweit für die speziellen landesrechtlichen Verkündungsnormen. Die Verweisungsnorm selbst – also deren textliche Fassung – muss freilich den Publikationsanforderungen des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG genügen. 54
Debus, Verweisungen, S. 120. Ähnlich Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (61). Ebsen, DÖV 1984, 654 (658). In diesem Sinne auch Staats, ZRP 1978, 59 (60 f.). 56 Ebsen, DÖV 1984, 654 (658). In diesem Sinne auch Staats, ZRP 1978, 59 (60 f.). 57 Debus, Verweisungen, S. 120; Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (61); Staats, ZRP 1978, 59 (60 f.). Ähnlich Marburger, Regeln der Technik, S. 411 f. 58 BVerwGE 147, 100 (105 ff. Rn. 18 ff.); Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (60). 55
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
II. Publikation des Verweisungsobjekts nach Maßgabe des Rechtsstaatsprinzips Für das Verweisungsobjekt ergeben sich die Publikationsanforderungen hingegen allein aus dem Rechtsstaatsprinzip.59 Dass das Verweisungsobjekt publiziert werden muss, gebietet neben dem Rechtstaatsprinzip gleichermaßen bereits die Logik: Denn nur eine Norm, die dem Bürger vollständig – also inklusive des Verweisungsobjekts, welches mit der Verweisungsnorm eine zusammengesetzte Regelung ergibt – bekannt ist, kann der Normadressat befolgen.60 Unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, dass sich die Normadressaten in zumutbarer Weise verlässlich Kenntnis vom Inhalt des ihnen gegenüber geltenden Rechts verschaffen können müssen.61 Neben einer allgemeinen Zugänglichkeit des Publikationsorgans ist daher zu fordern, dass dieses für amtliche Anordnungen geeignet ist, was allerdings nicht bedeutet, dass ein amtliches Publikationsorgan erforderlich ist, sondern die amtliche oder private Publikation muss nur die durch das Rechtsstaatsprinzip verlangte hinreichende Zugänglichkeit und Verlässlichkeit gewährleisten.62 Eine Eignung für amtliche Anordnungen meint also nicht, dass es sich um eine amtliche Publikation handeln muss, die auch für Anordnungen geeignet ist, sondern dass es sich um ein Publikationsorgan handeln muss, das seiner Konstitution, Zugänglichkeit und Verlässlichkeit nach mit einer amtlichen Publikation vergleichbar ist, sodass die rechtsstaatlichen Bekanntmachungsanforderungen erfüllt werden. 1. Eigenverweisungen Im Fall dynamischer Eigenverweisungen stellt sich das Problem der hinreichenden Publikation des Verweisungsobjekts bereits nicht, da Normen desselben Gesetzgebers stets im selben Publikationsorgan verkündet werden, sodass sowohl die Verweisungsnorm als auch das Verweisungsobjekt – und damit alle Teile der zusammengesetzten Regelung – in dem verfassungsrechtlich für die Verweisungsnorm vorgesehenen Publikationsorgan enthalten sind.
59 BVerwGE 147, 100 (104 ff. Rn. 16 ff.); Debus, Verweisungen, S. 120. Vgl. auch Ebsen, DÖV 1984, 654 (559 ff.); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 84. 60 Vgl. für ein spezifisches Abstellen auf die Logik auch Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 82 Rn. 14; Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 237 (73. Lfg. Dezember 2014) (zur Ableitung dieses Erfordernisses aus dem Rechtsstaatsprinzip); Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (421) m.w.N.; Fuss, in: FS Paulick, 293 (298); Haratsch, EuR 2000, 42 (47 f.); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (235); Krey, EWR 1981, 109 (138) m.w.N.; Marburger, Regeln der Technik, S. 408 m.w.N. 61 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 2. 62 Brugger, VerwArch 1987, 1 (13). Vgl. auch BVerwGE 147, 100 (106 ff. Rn. 20 ff.); Debus, Verweisungen, S. 118 f.; Ebsen, DÖV 1984, 654 (662); Hömig, DVBl. 1979, 307 (311).
C. (Umfassende) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme
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2. Fremdverweisungen Für die Untersuchung der Vereinbarkeit dynamischer Fremdverweisungen mit den soeben dargestellten Anforderungen an die Publikation des Verweisungsobjekts ist hingegen zunächst zwischen amtlichen und nichtamtlichen Publikationen des Verweisungsobjekts zu differenzieren. a) Amtliche Publikationen Jedenfalls alle amtlichen Publikationen in Gesetzes- und Verordnungsblättern sowie andere amtliche Publikationsorgane wie der Bundesanzeiger verfügen über ein hinreichendes Maß an Verlässlichkeit und Zugänglichkeit und gewährleisten auf diese Weise eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit, sodass eine Publikation des Verweisungsobjekts in diesen Publikationsorganen jedenfalls den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips genügt. aa) Zugänglichkeit/zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit Die amtlichen Publikationsblätter sind als Papierversion nicht nur als Abonnement – wenn auch gegen Entgelt63 – beziehbar, sondern können regelmäßig auch kostenfrei in (Universitäts-)Bibliotheken eingesehen werden.64 Zudem ist hervorzuheben, dass die Publikationsproblematik – insbesondere hinsichtlich der Zugänglichkeit und zumutbaren Kenntnisnahmemöglichkeit – durch die mittlerweile bestehenden Zugangsmöglichkeiten über das Internet deutlich entschärft ist.65 So kann jederzeit kostenfrei über das Internet auf eine PDF-Version des Bundesgesetzblattes zugegriffen werden,66 sodass es den Normadressaten sogar ohne Aufwand oder Kosten möglich ist, sich Kenntnis vom geltenden Recht zu verschaffen. Ebenso können die Gesetzes- und Verordnungsblätter der Länder67 sowie das Amtsblatt der Europäischen Union68 über das 63
Z.B. kostet ein halbjährliches Abonnement des Gesetz- und Verordnungsblattes des Landes NRW derzeit 33,50 † (vgl. www.recht.nrw.de/lmi/owa/br aktuell gv, zul. abger. am 02.07.2023). 64 Jedenfalls in der (derzeit kostenfrei benutzbaren) Deutsche Nationalbibliothek sind die entsprechenden Exemplare des Bundesgesetzblattes einsehbar. Zur derzeitigen Kostenfreiheit der Deutschen Nationalbibliothek vgl. www.dnb.de/DE/Benutzung/benutzung node.h tml (zul. abger. am 02.07.2023). 65 In diesem Sinne auch Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 239 (73. Lfg. Dezember 2014); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 364. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 93 geht sogar davon aus, dass das Rechtsstaatsprinzip heutzutage einen „freien Internetzugang“ zu den entsprechenden Normen für eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit erfordert. 66 Einsehbar für die Jahre 1949 bis 2022 unter www.bgbl.de und ab dem Jahr 2023 unter www.recht.bund.de (jeweils zul. abger. am 02.07.2023). 67 Siehe zum Beispiel für Bayern und Berlin: www.verkuendung-bayern.de/gesetz-und-ver ordnungsblatt/alle-ausgaben-des-gvbl-ab-1945/ bzw. www.berlin.de/sen/justiz/service/geset ze-und-verordnungen/artikel.261829.php (jeweils zul. abger. am 02.07.2023). 68 https://eur-lex.europa.eu/oj/direct-access.html (zul. abger. am 02.07.2023). Das Amts-
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
Internet kostenfrei abgerufen werden. Auf jegliche amtliche Gesetzblätter kann der betreffende Normadressat also innerhalb weniger Minuten von jedem beliebigen Ort und zu jeder Zeit kostenfrei zugreifen.69 Hinzu kommt, dass mittlerweile nahezu alle Bundes- und Landesgesetze auch außerhalb des Bundesgesetzblattes oder der Gesetzes- und Verordnungsblätter der Länder im Internet als eine Art konsolidierte Online-Gesetzessammlung über Web-Services des Bundes und der Länder verfügbar sind.70 Durch diese können die betreffenden Normadressaten sich innerhalb weniger Sekunden Einblick in die gewünschten Normen verschaffen. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften sind regelmäßig unschwer durch eine bloße Eingabe des Gesetzestitels oder der gewünschten Norm in Suchmaschinen auffindbar. Über die entsprechenden Web-Services des Bundes und der Länder können sogar ganze Gesetzestexte kostenfrei als PDF-Datei heruntergeladen und ausgedruckt werden. Diese Anwendungen bieten den Vorteil, dass sie regelmäßig deutlich einfacher handhabbar, übersichtlicher und verständlicher sind als das Bundesgesetzblatt und die Gesetzblätter der Länder. Auf diese Weise können sich sogar juristisch nicht vorgebildete Normadressaten in wenigen Minuten Einblick in das für sie geltende Recht verschaffen. Zusätzlich zu diesen kostenfreien Möglichkeiten existiert das Angebot der juris GmbH, an welcher die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist.71 Auf der Website dieses Unternehmens werden gegen Entgelt das gesamte Bundes-, Landes- und Europarecht sowie Amts- und Verkündungsblätter von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt, welche jederzeit ortsunabhängig über das Internet erreichbar sind und über eine Suchfunktion zielgerichtet gesichtet werden können.72 Regelmäßig verfügen Hochschulen über einen Zugang, der es ermöglicht, innerhalb der Bibliothek das Angebot der juris GmbH zu nutzen, ohne dass für den einzelnen Nutzern hierfür Kosten anfallen. Hierdurch besteht sogar für die Normadressaten die Möglichkeit, sich innerhalb einer solchen Bibliothek kostenfrei Kenntnis vom einschlägigen Recht über das Angebot der juris GmbH zu verschaffen. blatt der Europäischen Union ist seit dem 01.07.2013 ohnehin lediglich als elektronische Version und nicht mehr als Papierversion verbindlich, vgl. Art. 1, 2 und 5 der VO (EU) Nr. 216/2013. 69 Die deutlich einfachere Kenntnisnahmemöglichkeit über das Internet für das Amtsblatt der EU hervorhebend Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 401. 70 Für den Bund: www.gesetze-im-internet.de. Auf die Web-Services der Länder gelangt man über das Justizportal des Bundes und der Länder: www.justiz.de/onlinedienste/bundesu ndlandesrecht/index.php (jeweils zul. abger. am 02.07.2023). Erstere Webseite ebenfalls hervorhebend Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 366. 71 Vgl. www.juris.de/jportal/nav/unternehmen/index.jsp (zul. abger. am. 02.07.2023). Die mehrheitliche staatliche Beteilung (und zusätzlich die hierdurch bestehenden Einflussmöglichkeiten) hervorhebend auch Debus, Verweisungen, S. 127. 72 Das derzeit (soweit ersichtlich) günstigste Abonnement für einen solchen Zugriff kostet 41,30 † pro Monat. Vgl. zum Ganzen www.juris.de/jportal/nav/produkte/index.jsp#/ und www.juris.de/jportal/nav/produkte/juris-prelex.jsp (jeweils zul. abger. am 02.07.2023).
C. (Umfassende) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme
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Diese vielfältigen kostenfreien und kostenpflichtigen Zugriffsmöglichkeiten auf das geltende Recht über das Internet lassen es aus heutiger Sicht ungerechtfertigt erscheinen, eine zusätzliche Verkündung in einem Publikationsorgan zu fordern, das sich auch an den Normadressaten der Verweisungsnorm richtet. Vielmehr sind die heutigen amtlichen Publikationsorgane unabhängig von deren Adressaten oder dem Aufenthalt des Normanwenders gleich einfach einsehbar. Zwar handelt es sich bei den Online-Angeboten teilweise73 nicht um die rechtsverbindliche Version der Normen, sondern allein die Papierversion der Gesetzblätter ist verbindlich. Jedoch erhalten die Normadressaten durch die OnlineAngebote die Möglichkeit, sich umfassend über das Recht zu informieren74 und können die dort gefundenen Normen nötigenfalls – wobei eine solches Erfordernis kaum denkbar ist – mit der Papierversion des entsprechenden Gesetzblattes abgleichen. Auch wenn also teilweise allein die Papierversion der einschlägigen Gesetzblätter verbindlich ist, muss die Einsehbarkeit der maßgeblichen Normen über das Internet realitätsnah und unter Berücksichtigung der voranschreitenden Digitalisierung – welche eine vollständige Umstellung auf eine rein elektronische Verkündung ohnehin als längst überfällig erscheinen lässt – hinsichtlich einer hinreichenden Zugänglichkeit und Kenntnisnahmemöglichkeit als ausreichend betrachtet werden. Ohnehin dürften sich heutzutage die Druckversionen der Verkündungsblätter nur noch durch deren Ausdruck von den online abrufbaren PDF-Dateien der Verkündungsblätter unterscheiden, sodass es als übersteigerter Formalismus erschiene, für eine hinreichende Kenntnisnahmemöglichkeit allein auf die Papierversion abzustellen. Insbesondere durch die zum 01.01.2023 erfolgte Umstellung des Bundesgesetzblattes auf eine amtliche elektronische Publikation,75 die alle seit diesem Zeitpunkt erlassenen Gesetze und Verordnungen des Bundes umfasst und über www.recht.bund.de kostenfrei abrufbar ist, dürfte sich das Problem der Zugänglichkeit des Bundesrechts im Hinblick auf die kostenfreie76 Einsehbarkeit der 73 Bei dem elektronischen Amtsblatt der EU, dem Bundesgesetzblatt (seit dem 01.01.2023) sowie bei den elektronischen Gesetzblättern der Länder Bremen und Brandenburg handelt es sich bei den online verfügbaren Versionen um die rechtsverbindliche Veröffentlichung. Vgl. für Bremen § 5 Bremisches Verkündungsgesetz und für Brandenburg § 1 ff. BbgAusfVerkG. Für das Saarland wird Teil I des Amtsblatts des Saarlands ausschließlich elektronisch veröffentlicht, während Teil II als Papierversion veröffentlicht wird, vgl. § 3 AmtsblG Saarland. In Schleswig-Holstein ist eine elektronische Veröffentlichung neben der Verkündung in Papierform vorgesehen, vgl. Art. 46 Abs. 3 S. 2 LVerf SH. Art. 120 S. 2 LVerf Hessen sieht die Möglichkeit vor, das Gesetz- und Verordnungsblatt elektronisch zu führen. In allen anderen Ländern ist allein die Druckversion der Gesetz- und Verordnungsblätter verbindlich. 74 Für eine Berücksichtigung des Service www.gesetze-im-internet.de (zul. abger. am 02.07.2023) für die Ermittlung der zumutbaren Kenntnisnahmemöglichkeit auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 402. 75 Durch das „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 82)“ vom 19.12.2022 (BGBl. I 2022, S. 2478) und daran anschließend § 2 Abs. 1 des „Gesetz[es] zur Modernisierung des Verkündungs- und Bekanntmachungswesens“ vom 20.12.2022 (BGBl. I 2022, S. 2752). 76 Nach § 4 Abs. 1 des „Gesetz[es] zur Modernisierung des Verkündungs- und Bekannt-
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
amtlichen Version des Bundesgesetzblattes für die Zukunft erheblich entschärft haben.77 Da nunmehr also für das gesamte Unionsrecht, das seit dem 01.01.2023 erlassene Bundesrecht sowie das Recht einiger Länder auch die amtliche Fassung der Normen auf Webseiten der entsprechenden Normgeber kostenlos einsehbar ist, dürfte sich dieses Problem für die Zukunft ohnehin mehr und mehr erledigen, da überdies zu erwarten ist, dass auch die übrigen Länder ihre Verkündung auf eine rein elektronische Publikation umstellen werden. In diesem Fall wäre dann (zumindest nahezu) das gesamte für die Normadressaten verbindliche Recht in der amtlichen Fassung kostenfrei und unkompliziert abrufbar. Die obigen Erwägungen gelten auch für andere amtliche Publikationsorgane, wie z.B. den Bundesanzeiger.78 bb) Verlässlichkeit Eine hinreichende Verlässlichkeit der amtlichen Publikationsblätter begründet sich bereits daraus, dass es sich um eine hoheitliche Veröffentlichung des staatlichen Rechts handelt, bei welcher der Staat dafür Sorge zu tragen hat, dass das Recht dem Bürger korrekt und unverfälscht zugänglich gemacht wird. Zudem sind zumindest die amtlichen Gesetzblätter als verfassungsrechtliche Publikationsorgane vorgesehen, sodass bereits die Wertung der Verfassung selbst für eine hinreichende Verlässlichkeit spricht. Durch die Tatsache, dass diese teilweise79 als Papierversion herausgegeben und archiviert werden, besteht dort auch eine dauerhafte Zugangsmöglichkeit zu diesen Normen. Etwa bei der seit dem 01.01.2023 amtlichen elektronischen Version des Bundesgesetzblattes ist zudem bereits gesetzlich durch § 2 Abs. 1 des „Gesetz[es] zur Modernisierung des Verkündungsund Bekanntmachungswesens“ vom 20.12.2022 (BGBl. I 2022, S. 2752) abgesichert, dass das Bundesgesetzblatt „vom Bundesamt für Justiz auf der Internet-
machungswesens“ vom 20.12.2022 (BGBl. I 2022, S. 2752) ist das Bundesgesetzblatt jederzeit frei zugänglich und kann unentgeltlich gelesen, ausgedruckt, gespeichert und verwertet werden. 77 Für alle Bundesnormen, die im Zeitraum von 1949 bis 2022 erlassen wurden, gelten demgegenüber die vorgenannten Erwägungen, da für diese Normen die amtliche Publikation noch in der Papierversion des Bundesgesetzblattes erfolgte. 78 Dieser ist unter www.bundesanzeiger.de (zul. abger. am 02.07.2023) kostenfrei einsehbar. 79 Bei dem elektronischen Amtsblatt der EU, dem Bundesgesetzblatt (seit dem 01.01.2023) sowie bei den elektronischen Gesetzblättern der Länder Bremen und Brandenburg handelt es sich bei den online verfügbaren Versionen um die rechtsverbindliche Veröffentlichung. Vgl. für Bremen § 5 Bremisches Verkündungsgesetz und für Brandenburg § 1 ff. BbgAusfVerkG. Für das Saarland wird Teil I des Amtsblatts des Saarlands ausschließlich elektronisch veröffentlicht, während Teil II als Papierversion veröffentlicht wird, vgl. § 3 AmtsblG Saarland. In Schleswig-Holstein ist eine elektronische Veröffentlichung neben der Verkündung in Papierform vorgesehen, vgl. Art. 46 Abs. 3 S. 2 LVerf SH. Art. 120 S. 2 LVerf Hessen sieht die Möglichkeit vor, das Gesetz- und Verordnungsblatt elektronisch zu führen. In allen anderen Ländern ist allein die Druckversion der Gesetz- und Verordnungsblätter verbindlich.
C. (Umfassende) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme
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seite www.recht.bund.de […] vollständig und dauerhaft bereitgehalten“ wird. Eine solche Zugangsmöglichkeit ist erforderlich, da eine zweifelsfreie Feststellbarkeit vergangener Rechtslagen bspw. in einem Gerichtsprozess, bei dem eine frühere Rechtslage maßgeblich ist, notwendig werden kann.80 Sofern bei amtlichen Publikationen von Vorschriften oder Anordnungen eine solche Archivierung ausnahmsweise nicht ohnehin bereits erfolgt,81 ist eine solche Archivierung der herausgebenden Stelle jedoch zur Gewährleistung einer hinreichenden Verlässlichkeit der Publikation zu fordern.82 b) Nichtamtliche Publikationen Auch die Publikation des Verweisungsobjekts in einem nichtamtlichen Publikationsorgan genügt jedoch im Ergebnis den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips. Dies ergibt sich im Einzelnen aus den folgenden Erwägungen: aa) Verlässlichkeit Insbesondere dem Aspekt der Verlässlichkeit ist bei nichtamtlichen Publikationen eine besondere Bedeutung beizumessen. So muss sichergestellt werden, dass die Regelungen in nichtamtlichen Publikationen korrekt wiedergegeben und vor etwaigen nachträglichen Verfälschungen geschützt sind. Zudem muss gewährleistet werden, dass die Regelungen des Verweisungsobjekts auch dauerhaft einsehbar sind, damit keine Unklarheiten über die gegenwärtige oder vergangene Rechtslage entstehen können. Notwendig – aber auch ausreichend – zur Gewährleistung einer hinreichenden Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit der Publikation sowie des Schutzes vor Verfälschungen ist daher eine amtliche Hinterlegung nicht bereits amtlich publizierter Normen, sofern diese als Verweisungsobjekt dienen.83 Auf diese Weise wäre sichergestellt, dass bei der amtlichen Verwahrungsstelle stets auch frühere Versionen des Verweisungsobjekts einsehbar wären, sodass auch für bereits nicht mehr geltendes Recht keine nachträglichen Rechtsunsicherheiten entstünden. Ferner könnte durch eine amtliche Hinterlegung gewährleistet werden, dass die korrekte textliche Form des Verweisungsobjekts jederzeit verfügbar wäre und auch ein Abgleich mit im Umlauf befindlichen Versionen erfolgen könnte, sodass bei etwaigen Unklarheiten über die geltenden Regelun-
80
Vgl. ohne Verweisungsbezug auch Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (422). Denkbar ist dies etwa bei reinen Internet-Publikationen im HTML-Format oder auf offiziellen Social-Media Accounts staatlicher Institutionen. 82 Ausreichend erscheint jedoch eine elektronische Archivierung. Eine Archivierung in Papierform ist nicht (zwingend) erforderlich, solange die dauerhafte Verfügbarkeit sichergestellt ist. 83 Brugger, VerwArch 1987, 1 (16); Hömig, DVBl. 1979, 307 (311). Vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 29.07.2010 – 4 BN 21/10, Rn. 13 (welches eine Hinterlegung zur Einsicht der Normadressaten fordert); Bals/F. Bleckmann, GesR 2017, 420 (423). A.A. Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 83. 81
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gen des Verweisungsobjekts stets die korrekte, unverfälschte und derzeit geltende Version des Verweisungsobjekts zur Verfügung stünde. Durch eine amtliche Hinterlegung wäre also auch dem Schutz vor Verfälschungen erheblich gedient. Gegen eine amtliche Archivierung der Regelungen des Verweisungsobjekts wird teilweise vorgebracht, dass diese nicht erforderlich sei, da insbesondere technische Regeln häufig in großer Auflage gedruckt würden und bei den Verlagen vorrätig seien.84 Zudem würden Belegstücke von Vorausgaben auch beim Erscheinen einer neuen Ausgabe aufbewahrt, sodass eine Feststellbarkeit früherer Regelungen gewährleistet sei.85 Zwar wird dieses Argument für den Regelfall zutreffen. Jedoch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Ausgaben im Laufe der Zeit vollständig vergriffen sind, sodass ein solcher Vorrat nicht stets bestünde. Zudem entfielen zwei wesentliche Gesichtspunkte bei einer allein nichtstaatlichen Aufbewahrung der Normen: Eine jederzeitige Einsehbarkeit läge allein in Hand der nichtstaatlichen Institution, welche diese Möglichkeit nach Belieben einschränken oder gar verweigern könnte. Ferner wäre durch eine allein nichtstaatliche Aufbewahrung im Gegensatz zu einer staatlichen Archivierung nicht gesichert, dass im Streitfalle feststeht, dass die archivierten Normen tatsächlich die authentische und unverfälschte Version der Normen darstellen, denen der Staat per Verweisung Geltung verleihen wollte. Für eine hinreichende amtliche Archivierung genügt zudem bereits das an die Deutsche Nationalbibliothek abzugebende Pflichtexemplar.86 Denn bereits durch dieses Pflichtexemplar werden die angestrebten Zwecke der Dauerhaftigkeit, Einsehbarkeit und der Schutz vor Verfälschungen erreicht. Das Archivierungserfordernis wird demnach nahezu immer erfüllt sein, da eine Ablieferungspflicht (mindestens) eines Pflichtexemplars an die Deutsche Nationalbibliothek nach den §§ 2, 3, 14, 15 und 16 DNBG für körperliche und unkörperliche (!) Medienwerke gilt, dessen Berechtigter den Sitz, eine Betriebsstätte oder den Hauptwohnsitz in Deutschland hat. In der Deutschen Nationalbibliothek werden also nicht nur im Buchhandel erschienene, sondern alle körperlich und/oder unkörperlich (und damit auch allein im Internet) veröffentlichte Medienwerke archiviert.87 Im Ergebnis bereitet damit eine amtliche Archivierung auch keine praktischen Schwierigkeiten.
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Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 412 f.; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 83. Marburger, Regeln der Technik, S. 412 f. 86 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 125 m.w.N.; Marburger, Regeln der Technik, S. 413; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 83. Nach den §§ 2, 3, 14, 15 und 16 DNBG ist von körperlichen und unkörperlichen Medienwerken, dessen Berechtigter den Sitz, eine Betriebsstätte oder den Hauptwohnsitz in Deutschland hat, (mindestens) ein Exemplar an die Deutsche Nationalbibliothek abzuliefern. 87 Vgl. zur Ablieferungspflicht und Archivierungspraxis bei unkörperlichen Werken www. dnb.de/DE/Professionell/Sammeln/Unkoerperliche Medienwerke/unkoerperliche medie nwerke node.html#doc210120bodyText1 (zul. abger. am 02.07.2023). 85
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bb) Zugänglichkeit Hinsichtlich der notwendigen allgemeinen und zumutbaren Zugänglichkeit von nichtamtlichen Publikationen ist erforderlich, dass sich jeder Normadressat ohne unzumutbare Hindernisse Kenntnis von den in Bezug genommenen Normen des Verweisungsobjekts verschaffen kann. Eine allgemeine Zugänglichkeit erfordert also, dass die Kenntnisnahmemöglichkeit nicht bestimmten Personengruppen vorbehalten bleibt, sondern grundsätzlich unterschiedslos für alle Normadressaten besteht. Dass Normen von einer nichtstaatlichen Institution nur käuflich zu erwerben sind, spricht jedoch nicht per se gegen die Zulässigkeit einer solchen Publikation.88 Denn auch in diesem Fall würde die zu fordernde amtliche Hinterlegung abhelfen, indem die Normadressaten bei der amtlichen Stelle Einsicht in die Regelungen des Verweisungsobjekts nehmen könnten, ohne diese käuflich zu erwerben.89 Zudem sind geläufige nichtstaatliche Normen, die Gegenstand von staatlichen Regelungen sind, vielfach in (Universitäts-)Bibliotheken einsehbar.90 Ferner ist auch der Bezug der amtlichen Druckversion eines Gesetz- und Verordnungsblattes91 oder der Erwerb einer Gesetzessammlung mit Kosten verbunden. Zudem war bis zum 31.12.2022 auch für das Bundesgesetzblatt allein die Druckversion verbindlich, deren Bezug mit nicht unerheblichen Kosten verbunden war.92 Die heutzutage bestehende kostenlose Einsichtnahmemöglichkeit des Bundesgesetzblattes sowie der Gesetz- und Verordnungsblätter der Länder über das Internet vereinfacht die Kenntnisnahme von Gesetzesinhalten zwar erheblich; diese Möglichkeit besteht jedoch erst seit wenigen Jahren und doch wurde die Verfassungsmäßigkeit der Normenpublikation in der Bundesrepublik Deutschland auch vor dem Bestehen dieser Möglichkeit zu Recht 88 So auch BVerwGE 147, 100 (107 Rn. 25): Eine Kostenpflichtigkeit bedeute „nicht per se eine unzumutbare Erschwernis des Zugangs“. Das BVerwG geht sogar davon aus, dass der Bezugspreis höher sein dürfe, je spezifischer die Vorschriften seien und je kleiner der Adressatenkreis sei (Rn. 26 ff.). In der Entscheidung hatte das BVerwG bei einem Preis von 218,30 † für die vollständigen Regelwerke keine Unzumutbarkeit angenommen. Vgl. auch Brugger, VerwArch 1987, 1 (15); Debus, Verweisungen, S. 125; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 82 f. 89 Dies wäre zumindest in der Deutschen Nationalbibliothek kostenfrei möglich (zur derzeitigen Kostenfreiheit der Deutschen Nationalbibliothek vgl. www.dnb.de/DE/Benutzung/b enutzung node.html [zul. abger. am 02.07.2023]). Das BVerwG sieht eine solche Einsehbarkeit (zumindest beim Verweisungsnormgeber) noch nicht einmal als zwingendes Erfordernis an, sofern das Verweisungsobjekt anderweitig vollständig publiziert und einsehbar ist, vgl. BVerwGE 147, 100 (110 f. Rn. 30 f.). 90 Ähnlich für DIN-Normen BVerwGE 147, 100 (107 Rn. 22). 91 Z.B. kostet ein halbjährliches Abonnement des Gesetz- und Verordnungsblattes des Landes NRW derzeit 33,50 † (vgl. www.recht.nrw.de/lmi/owa/br aktuell gv, zul. abger. am 02.07.2023). 92 So kostete ein halbjährliches Abonnement der Druckversion Bundegesetzblattes (Teil I oder II) im Jahr 2022 85 † (www.bgbl.de/produkte.html, abger. am 04.08.2022). Die Kostenpflichtigkeit der damals amtlichen Papierversion des Bundesgesetzblattes hervorhebend auch BVerwGE 147, 100 (107 f. Rn. 25); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 82 f.
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nicht angezweifelt. Denn, dass die Normadressaten sich kostenlos und von jedem beliebigen Ort jederzeit über das geltende Recht informieren können müssen, lässt sich dem Rechtsstaatsprinzip nicht entnehmen. Die Kenntnisnahme des geltenden Rechts darf mit Aufwand verbunden sein – dieser darf lediglich nicht unzumutbar sein. Eine solche Unzumutbarkeit wird man jedoch ablehnen müssen, wenn für die Normadressaten sowohl die Möglichkeit besteht, die Normen des Verweisungsobjekts käuflich zu erwerben als auch bei der amtlichen Verwahrungsstelle oder in Bibliotheken kostenfrei oder kostengünstig Kenntnis von diesen zu nehmen. Alle darüber hinausgehenden Kenntnisnahmemöglichkeiten – etwa die kostenfreie Einsehbarkeit der entsprechenden nichtstaatlichen Normen über das Internet – sind zwar zu begrüßen, aber verfassungsrechtlich nicht zwingend.93 cc) Vergleichbarkeit mit amtlichen Publikationen Die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Publikationsanforderungen sind kein „Selbstzweck“, sondern dienen dazu, den Normadressaten die Kenntnis der Rechtsnormen zu ermöglichen.94 Private Publikationen (wie z.B. die vom Deutschen Institut für Normung herausgegebenen DIN-Normen) sind amtlichen Publikationen häufig hinsichtlich der Zugänglichkeit – obgleich diese häufig nur gegen Entgelt beziehbar sind – sowie der Verlässlichkeit gleichwertig, sodass sie ebenfalls eine hinreichende Kenntnisnahmemöglichkeit bieten.95 Daher kann es nicht einleuchten, weshalb Normen, die bereits mit hinreichender Zugänglichkeit und Verlässlichkeit (wenn auch nichtamtlich) publiziert wurden, noch einmal in einem Gesetzblatt abgedruckt werden sollen. Dieser erhebliche Aufwand, die privaten Normen noch einmal in den Gesetzblättern – etwa als Anlage zum Gesetz, in welchem sich die Verweisungsnorm befindet – abzudrucken, ist weder aus rechtsstaatlicher Sicht geboten, noch wäre hiermit eine signifikant verbesserte Kenntnisnahmemöglichkeit für die Normadressaten verbunden.96 Eine amtliche Archivierung ist demgegenüber zur definitiven Sicherung der dauerhaften Zugänglichkeit und Einsehbarkeit der entsprechenden nichtstaatlichen
93 A.A. Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (66 f.), welche annehmen, dass die Bereitstellung kostenloser konsolidierter Fassungen aller Normen gewohnheitsrechtlich in das Rechtsstaatsprinzip übernommen wurde und daher auch für private Normen gelten müsse. Wohl auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 93, welcher einen „freien Internetzugang“ zu den in Bezug genommenen Normen für eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit fordert. Unklar bleibt jedoch, ob hiermit „frei“ i.S.v. „kostenfrei“ oder i.S.v. „allgmein zugänglich“ gemeint ist, obgleich Ersteres näher liegend erscheint. 94 Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 50. 95 Vgl. auch Brugger, VerwArch 1987, 1 (14). Ähnlich Ebsen, DÖV 1984, 654 (662) hinsichtlich der Zugänglichkeit und Kenntnisnahmemöglichkeit für die Normadressaten. 96 Eine nicht oder nur unwesentlich verbesserte Kenntnisnahmemöglichkeit annehmend auch Brugger, VerwArch 1987, 1 (13 f.); Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 50.
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Vorschriften ausreichend. Das für die Publikation des Verweisungsobjekts allein maßgebliche Rechtsstaatsprinzip schreibt im Gegensatz zu den speziellen Publikationsvorschriften des Art. 82 GG sowie den landesrechtlichen Verkündungsnormen kein bestimmtes Publikationsorgan vor, sondern erfordert allein eine verlässliche und zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit für die Normadressaten.97 Zudem entspricht es auch einem natürlichen Impuls, sich über Normen bei der Stelle zu informieren, die diese herausgibt, sodass zu erwarten ist, dass Normadressaten ohnehin auf die Publikation des privaten Regelgebers zurückgreifen würden, wenn dessen Normen als Verweisungsobjekt in Bezug genommen werden. Ferner müsste durch die Rechtsnatur der dynamischen Verweisung – insbesondere der automatischen Übernahme von Änderungen des Verweisungsobjekts – häufig ein Neuabdruck der in Bezug genommenen Normen im Gesetzblatt erfolgen, um die veröffentlichten Normen aktuell zu halten,98 was nicht nur erneut einen erheblichen Aufwand verursachen würde, sondern auch dazu führte, dass der räumliche Bezug im Gesetzblatt, welcher bei der ursprünglichen Publikation von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt bestünde, aufgehoben würde, da die neue Version des Verweisungsobjekts naturgemäß an einer späteren Stelle – mitunter einer Jahre späteren Ausgabe – erfolgen müsste. Damit wäre der vermeintliche Vorteil der besseren Kenntnisnahmemöglichkeit für die Normadressaten endgültig aufgehoben, da diese dann ohne räumlichen Bezug des Verweisungsobjekts zur Verweisungsnorm ohnehin die Gesetzblätter nach der aktuellen Version des Verweisungsobjekts durchsuchen müssten, ohne dass die Verweisungsnorm einen Hinweis auf diese Stelle enthalten kann. Demnach erscheint es für eine bessere Kenntnisnahmemöglichkeit auch aus praktischer Sicht sogar sachdienlicher, wenn sich die Normadressaten über die aktuelle Version des Verweisungsobjekts bei der herausgebenden Stelle dieser Normen informieren. dd) Abgeschwächte Problematik für normkonkretisierende Verweisungen Die Problematik der nichtamtlichen Publikation ist zudem infolge der hier vertretenen Ansicht zur Vereinbarkeit von dynamischen Verweisungen auf Normen nichtstaatlicher Institutionen mit dem Demokratieprinzip noch einmal abgeschwächt. Denn nur normkonkretisierende, nicht aber normergänzende Verweisungen auf derartige Vorschriften sind mit dem Demokratieprinzip vereinbar.99 Das bedeutet, dass sich das Publikationsproblem für normergänzende dynamische Verweisungen, bei denen der Inhalt der nichtstaatlichen Norm verbindlich und abschließend in die Verweisungsnorm inkorporiert wird, wegen einer Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip bereits nicht stellt.
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Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 2. Ähnlich Marburger, Regeln der Technik, S. 409 f.; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 80. 99 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 2. h). 98
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
Bei normkonkretisierenden Verweisungen findet hingegen keine abschließende Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm statt, sondern handelt es sich lediglich um eine widerlegliche Vermutung der Erfüllung der Anforderungen der Verweisungsnorm bei Beachtung der Anforderungen des Verweisungsobjekts. Die Normadressaten können die Anforderungen der Verweisungsnorm in diesem Fall jedoch auch auf andere Weise als durch Beachtung der Anforderungen des Verweisungsobjekts erfüllen. Folglich wäre die Kenntnis vom Inhalt des Verweisungsobjekts zur Erfüllung der Anforderungen der Verweisungsnorm nicht (zwingend) notwendig. Nichtsdestotrotz ist aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu fordern, dass eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit im Sinne einer Verlässlichkeit und Zugänglichkeit der Publikation des Verweisungsobjekts besteht. Die Grenzen der Zumutbarkeit sind hierbei jedoch weiter, als dies bei normergänzenden Verweisungen der Fall wäre, die nichtstaatliche Normen abschließend in die Verweisungsnorm inkorporieren. c) Angabe einer Fundstelle oder des Publikationsorgans Nicht erforderlich ist zudem die Angabe einer Fundstelle oder des maßgeblichen Publikationsorgans, da zum einen eine hinreichende Kenntnisnahmemöglichkeit auch ohne eine solche Angabe besteht und zum anderen die Angabe einer Fundstelle bei dynamischen Verweisungen ohnehin unmöglich ist.100 Denn die Verweisungsnorm kann nicht bei ihrer Verkündung bereits eine Angabe darüber enthalten, an welchen konkreten Stellen eines bestimmten Publikationsorgans alle künftigen Versionen des Verweisungsobjekts auffindbar sein werden, da dies bei der Verkündung der Verweisungsnorm weder bereits feststeht, noch ersichtlich ist.101 Die abstrakte Angabe des Publikationsorgans des Verweisungsobjekts (ohne konkrete Angabe einer Seitenzahl o.ä.) wäre zwar prinzipiell möglich, trüge jedoch kaum zur besseren Zugänglichkeit der Normen des Verweisungsobjekts bei, da die Bezugsquelle i.d.R. leicht auffindbar ist und vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme der konkreten Fundstelle des Verweisungsobjekts die eigentliche Schwierigkeit darstellt. Mit der bloßen Angabe einer Bezugsquelle, die durch die Normadressaten komplett durchsucht werden müsste, ist damit für die Normadressaten keine (beachtenswerte) Erleichterung der Zugänglichkeit oder Auffindbarkeit der Normen verbunden. Zudem könnte sich gerade bei nichtamtlichen Publikationen das Publikationsorgan des Verweisungsobjekts im Laufe der Dauer der Geltung der Verweisungsnorm ändern, sodass dann eine Neuver100 Vgl. BVerfGK 17, 273 (287) (zu letzterem); BVerfGE 26, 338 (367) (zu ersterem); BVerwGE 147, 100 (111 f. Rn. 32) (zu ersterem); Debus, Verweisungen, S. 127 m.w.N.; Guckelberger, ZG 2004, 62 (74) (zu letzterem). A. A. Hömig, DVBl. 1979, 307 (311) (zu statischen Verweisungen), welcher die Angabe der Bezugsquelle fordert, z.B. des Verlags, „bei dem das Verweisungsobjekt angefordert werden kann“. Auch Hill, NJW 1982, 2104 (2107) fordert „zumindest“ die Angabe des Publikationsorgans. 101 In diesem Sinne wohl auch BVerfGK 17, 273 (287); Guckelberger, ZG 2004, 62 (74).
C. (Umfassende) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme
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kündung der Verweisungsnorm nötig wäre, um die Richtigkeit der Angabe zu gewährleisten und zu verhindern, dass die Kenntnisnahmemöglichkeit durch die nunmehr fälschliche Angabe der Bezugsquelle in der Verweisungsnorm sogar erschwert wird. Somit ist weder die Angabe einer Fundstelle noch des maßgeblichen Publikationsorgans zu fordern. Ausreichend ist es, wenn anhand der Verweisungsnorm klar erkennbar ist, welche Regelungen in Bezug genommen werden und gelten sollen.102 d) Vereinbarkeit mit der Verkündungspraxis Teilweise wird angeführt, dass durch den Ansatz, dass sowohl amtliche als auch nichtamtliche Publikationen für eine hinreichende Bekanntmachung des Verweisungsobjekts ausreichen (können), die geübte Verkündungspraxis mit der Verfassung vereinbar sei, ohne dass „elementare verfassungsrechtliche Positionen aufgegeben würden“.103 Zwar ist dieser Ansatz zur erforderlichen Publikation des Verweisungsobjekts wie gezeigt in der Tat mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar; jedoch spricht für diese Ansicht nicht etwa, dass sie besonders gut mit der Praxis vereinbar ist. Obgleich eine Vereinbarkeit des Rechts mit der Praxis rechtspolitisch erfreulich ist, ist erneut zu betonen, dass sich die Praxis nach dem Recht zu richten hat und nicht das Recht nach der Praxis.104 Die Vereinbarkeit mit der geübten Praxis kann allenfalls eine begrüßenswerte Nebenfolge sein, nicht aber ein Argument im Rechtssinne. e) Verfremdung und Überfrachtung der Gesetzblätter Ferner wird teilweise als Argument für die (auch hier vertretene Ansicht) angeführt, dass (insbesondere bei technischen Regeln) die Verkündung des Verweisungsobjekts in den Gesetzblättern diese verfremden und überfrachten würde.105 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass auch fachspezifische gesetzliche Normen
102 Vgl. BVerwGE 147, 100 (106 Rn. 20, 111 f. Rn. 32); Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 238 (73. Lfg. Dezember 2014); Pieper, in: BeckOK GG, Art. 82 Rn. 21a. Ähnlich Guckelberger, ZG 2004, 62 (74). Noch strenger fordert Hömig, DVBl. 1979, 307 (311) – für statische Verweisungen –, dass das Verweisungsobjekt „nach Titel, Datum und Fundstelle genau bezeichnet“ wird. Schröcker geht hingegen offenbar davon aus, dass nur die Vorschriften über die Verkündung des Verweisungsobjekts selbst beachtet sein müssen und stellt im Übrigen keine Anforderungen an die Verkündung, vgl. Schröcker, NJW 1967, 2285 (2288 f.). 103 Brugger, VerwArch 1987, 1 (13). 104 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) gg). 105 Brugger, VerwArch 1987, 1 (13 f.); Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 50. Ähnlich Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 238 (73. Lfg. Dezember 2014); Marburger, Regeln der Technik, S. 410; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (97) (zum Anschwellen der Gesetzblätter); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 80.
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§ 2 Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot
existieren, die keineswegs zu einer Verfremdung der Gesetzblätter führen. Zudem werden Normadressaten wohl kaum das vollständige Gesetzblatt studieren, sondern allenfalls die Normen zur Kenntnis nehmen, die für ihr konkretes Anliegen relevant sind. Damit ist auch dem Argument der Überfrachtung der Gesetzblätter entgegenzutreten, da Normadressaten regelmäßig ohnehin nur einzelne Passagen des Gesetzblattes zur Kenntnis nehmen, sodass es unerheblich ist, wie viele Seiten das Gesamtwerk umfasst. f) Urheberrechtliche Bedenken Ferner wird als Argument für die Ansicht, dass sowohl amtliche als auch nichtamtliche Publikationen für eine hinreichende Bekanntmachung des Verweisungsobjekts ausreichen (können) und gegen eine amtliche Veröffentlichung nichtstaatlicher Normen angeführt, dass fraglich sei, ob der staatliche Gesetzgeber mit einer amtlichen Veröffentlichung der in Bezug genommenen nichtstaatlichen Normen nicht das Urheberrecht der herausgebenden Institutionen verletze.106 Zudem seien die Normungsverbände auf die Erlöse durch den Verkauf ihrer Normungswerke angewiesen, sodass ihnen im Fall einer amtlichen Publikation ihre wichtigste Einnahmequelle entzogen und so ihre wirtschaftliche Existenz bedroht würde.107 Um dies zu verhindern, müsste der Staat die privaten Normungsverbände im Fall einer amtlichen Publikation finanzieren, was zu einer nicht wünschenswerten finanziellen Abhängigkeit führte.108 Diese Argumente können jedoch nicht überzeugen. Zwar ist die allein nichtstaatliche Publikation der Normen des Verweisungsobjekts vorbehaltlich hinreichender Zugänglichkeit und Verlässlichkeit (unter der Bedingung einer amtlichen Archivierung) wie gezeigt mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Jedoch kann dies keinesfalls damit begründet werden, dass eine amtliche Veröffentlichung der Normen zu urheberrechtlichen Problemen führt. Denn schon allein die Normenhierarchie des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG im Verhältnis zum einfachgesetzlichen Urheberrecht verbietet es, rechtsstaatliche Verkündungserfordernisse mit dem Argument einfachrechtlicher Probleme auszuhebeln.109 Selbst wenn man annähme, dass ein unauflösbarer urheberrechtlicher Konflikt entstünde, dürfte die Konsequenz nicht sein, dass die rechtsstaatlichen Verkündungsanforderungen abgeschwächt werden, sondern müsste der Staat nötigenfalls von der Inbezugnahme derartiger nichtstaatlicher Regelungen absehen.110 Im Übrigen ist der Staat ebensowenig verpflichtet private Normungsverbände zu finanzieren, wie überhaupt deren Normen in Bezug zu nehmen. 106 Vgl. Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 80. Urheberrechtliche Aspekte ansprechend auch BVerwGE 147, 100 (107 ff. Rn. 25). 107 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 80 ff. Ähnlich BVerwGE 147, 100 (107 ff. Rn. 25). 108 Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 80 f. Ähnlich BVerwGE 147, 100 (107 ff. Rn. 25). 109 Ähnlich Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (61, 65). 110 So auch Meurers/Beye, DÖV 2018, 59 (65).
C. (Umfassende) Vereinbarkeit mit dem Publikationsgebot/Stellungnahme
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III. Ergebnis Im Ergebnis besteht eine Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Publikationsgebot, wenn das Verweisungsobjekt derart publiziert ist, dass eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit vom Inhalt des Verweisungsobjekts im Sinne einer hinreichenden Zugänglichkeit und Verlässlichkeit der Publikation besteht, ohne dass es darauf ankommt, ob die Publikation amtlich oder nichtamtlich erfolgt. Erforderlich ist zudem eine amtliche Archivierung der publizierten Normen.111 Daraus folgt, dass alle Verweisungen auf amtlich publizierte Normen mit dem Publikationsgebot vereinbar sind,112 sowie Verweisungen auf nichtamtlich publizierte Normen, die derart veröffentlicht sind, dass diese Publikationen amtlichen Verkündungen hinsichtlich ihrer Zugänglichkeit und Verlässlichkeit vergleichbar – also m.a.W. für amtliche Anordnungen geeignet – sind113 und amtlich archiviert werden.
111 Hierfür ist allerdings keine Archivierung in Papierform erforderlich, sondern es genügt auch eine Archivierung auf einem anderen dauerhaften Datenträger. Dem Archivierungserfordernis wird regelmäßig bereits durch die Ablieferung eines Pflichtexemplars an die deutsche Nationalbibliothek genügt sein, vgl. hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 2 C. II. 2. b) aa). 112 Vgl. BVerwGE 151, 386 (395 Rn. 26) und BVerwGE 161, 105 (117 Rn. 38) für den Bundesanzeiger, welche daneben sogar die Veröffentlichung im Internet hervorheben. Für das Amtsblatt der EU: BVerwGE 147, 100 (105 Rn. 18) m.w.N. Für Ministerialblätter: Brugger, VerwArch 1987, 1 (15). 113 In diesem Sinne auch Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 82. Siehe hierzu bereits ausführlich unter Kap. 2 § 2 C. II. 2. b). Das BVerfG beschränkt sich in neueren Entscheidungen darauf festzustellen, dass das Verweisungsobjekt „durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich“ sein müsse, vgl. BVerfGE 153, 310 (342 Rn. 78, 355 Rn. 105); BVerfGE 143, 38 (55 Rn. 42, 62 Rn. 59). Wie genau diese Publikation ausgestaltet sein muss und ob es sich um eine amtliche oder private Publikation handeln muss, bleibt jedoch unklar.
§ 3 Vereinbarkeit mit dem Bundesstaatsprinzip/ der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Die Bewertung der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes wird häufig gemeinsam dargestellt.1 Demnach soll zur Vermeidung von Wiederholungen auch hier eine einheitliche Darstellung erfolgen. Das Problem der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Bundesstaatsprinzip stellt sich naturgemäß nur für Fremdverweisungen, nicht aber für Eigenverweisungen, da eine Verweisung, die auf ein Verweisungsobjekt desselben Gesetzgebers verweist, die bundesstaatliche Kompetenzordnung nicht tangieren kann.2 Zudem kann sich das Problem einer Vereinbarkeit mit dem Bundestaatsprinzip sowie der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nur für Verweisungen zwischen Bund und Ländern ergeben, da nur diese das Bundesstaatsverhältnis betreffen.3 Verweisungen auf Unionsrecht oder nichtstaatliche Normen berühren das Bundesstaatsprinzip sowie die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hingegen nicht.4
A. Verweisungsrelevante Anforderungen des Bundesstaatsprinzips Das Bundesstaatsprinzip ist einer der „elementaren [Grundsätze] des Grundgesetzes“.5 Diesem Prinzip lassen sich einige für die Verweisungsproblematik relevante Gehalte entnehmen. Wesensmerkmal eines Bundesstaates ist es, dass sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten Staatsqualität besitzen.6 Kennzeichnend für den Bundesstaat des Grundgesetzes ist demnach insbesondere die 1
So z.B. bei Clemens, AöR 1986, 63 (119 ff.); Debus, Verweisungen, S. 168 ff. So auch Debus, Verweisungen, S. 170. 3 Clemens, AöR 1986, 63 (119); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116 Fn. 27). In diesem Sinne auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (296). 4 Clemens, AöR 1986, 63 (119 f.); Debus, Verweisungen, S. 188. In diesem Sinne für Verweisungen auf europäisches Recht auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (296); Krey, EWR 1981, 109 (146). In diesem Sinne für Verweisungen auf nichtstaatliche Normen L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). 5 BVerfGE 1, 14 (18, 28. Ls.). 6 Vgl. BVerfGE 36, 342 (360 f.); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 15 (46. Lfg. März 2006) m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 22a; Jestaedt, 2
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§ 3 Vereinbarkeit mit Bundesstaatsprinzip/Kompetenzordnung
Eigenstaatlichkeit der Länder.7 Die Preisgabe dieser Eigenstaatlichkeit ist demnach durch das Bundesstaatsprinzip untersagt.8 Dazu gehört auch, dass die Länder nicht auf die wesentlichen Befugnisse verzichten dürfen, die deren Staatsqualität ausmachen.9 Den Ländern muss zum Fortbestand ihrer Eigenstaatlichkeit „ein Kern eigener Aufgaben als ,Hausgut‘“ verbleiben.10 Insbesondere müssen die Länder ein Mindestmaß an Gesetzgebungskompetenzen „mit substanziellem Gewicht“ innehaben.11 Denn nur mit einer hinreichenden Legislativgewalt kommt den Ländern Staatsqualität zu, da die wesentlichen hoheitlichen Entscheidungen im Verfassungsstaat des Grundgesetzes der Legislative vorbehalten sind.12 Ohne substanzielle legislatorische Befugnisse wären die Länder nicht imstande, bedeutsame Gemeinschaftsentscheidungen selbstständig zu treffen und würden damit zu Unterverwaltungseinheiten des Bundes ohne eigene Staatsqualität degradiert.13 Derartige legislatorische Befugnisse dürfen den Ländern weder durch den Bund entzogen, noch von diesen selbst preisgegeben werden.14 in: HStR II, § 29 Rn. 9; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 21 m.w.N. Vgl. auch H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 37, 41 m.w.N. 7 Vgl. Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 7; Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65. 8 BVerfGE 87, 181 (196); Ewer/Thienel, NJW 2016, 376 (377); Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 100. Ähnlich Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 160 (46. Lfg. März 2006), der dies zusätzlich auch für den Bund annimmt. Vgl. auch Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65. 9 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 160 (46. Lfg. März 2006) m.w.N. 10 BVerfGE 34, 9 (19 f.). Eine abschließende Enumeration dieses „Hausguts“ legt das BVerfG allerdings nicht fest. Jedenfalls müsse „dem Land die freie Bestimmung über seine Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Steueraufkommen im Bundesstaat verbleiben“. Nachfolgend auch BVerfGE 87, 181 (196); BVerfGE 137, 108 (144 Rn. 83). In der letztgenannten Entscheidung stellt das BVerfG nochmals heraus, dass dies keine Zuweisung bestimmter Aufgaben bedeute. Vgl. auch Barley, Kommunalwahlrecht für Ausländer, S. 107; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 42; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 95 (46. Lfg. März 2006); Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 100; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 65 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 33. 11 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 33. Ähnlich BVerfGE 137, 108 (144 Rn. 83); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 47. In diesem Sinne auch BVerfGE 34, 9 (19 f.): Es reicht nicht aus, wenn die Länder „irgendeinen Rest von Gesetzgebungszuständigkeit […] ihr eigen nennen.“. Vgl. auch Barley, Kommunalwahlrecht für Ausländer, S. 107; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 42; Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 65, der dies für alle Staatsfunktionen fordert. 12 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 42 (46. Lfg. März 2006). Vgl. auch Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65. Siehe zur Wesentlichkeitstheorie Kap. 2 § 1 A. II. 1. 13 Vgl. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 48, 95 (46. Lfg. März 2006) m.w.N. (zu ersterem); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 33 (zu letzterem). 14 Vgl. H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 42.
B. Verweisungsrelevante Anforderungen der Kompetenzordnung
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Ferner ist der Bund infolge des Bundesstaatsprinzips verpflichtet, die einzelnen Länder gleich zu behandeln (sog. föderatives Gleichbehandlungsgebot).15 Zwar muss es sich hierbei nicht stets um eine formale Gleichbehandlung handeln, sondern kann im Einzelfall auch eine materielle Gleichbehandlung erfolgen, bei welcher zwischen den Ländern differenziert werden darf.16 Eine unterschiedliche Behandlung der Länder darf jedoch nur dann erfolgen, „wenn sie durch Sachgründe gerechtfertigt ist“.17 Hierbei handelt es sich inhaltlich um ein Willkürverbot.18 Teilweise wird einschränkend angenommen, dass eine Pflicht zur formalen Gleichbehandlung nur dann bestehe, wenn der „staatsrechtliche Status als Gliedstaat“ der Länder betroffen ist.19 Lediglich ein Verhalten des Bundes, das den (vollwertigen) gliedstaatlichen Status einzelner Länder in Frage stellt, verletze die durch das Bundesstaatsprinzip induzierte Pflicht zur formalen Gleichbehandlung der Länder.20
B. Verweisungsrelevante Anforderungen der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Für das Bundestaatsprinzip wird häufig betont, dass sich konkrete Regelungsgehalte nicht aus diesem selbst, sondern vielmehr aus den das Bundesstaatsprinzip konkretisierenden Normen ergäben.21 Eine solche Konkretisierung des Bundesstaatsprinzips findet sich in der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern.22 Die grundgesetzliche Kompetenzaufteilung ist für die 15 BVerfGE 122, 1 (38); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 30 m.w.N.; Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 100; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 71, 73 m.w.N. Vgl. auch BVerfGE 150, 1 (103 f. Rn. 211 f.); BVerfGE 12, 205 (255 f.); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 115 (46. Lfg. März 2006). So auch Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 253 f., der dieses Gebot jedoch insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ableitet. Kritisch H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 43 f.; Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65, der ein Gleichbehandlungsgebot (abgesehen von einem Willkürverbot) nur für statusbezogene Ungleichbehandlungen annehmen will. 16 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 115 (46. Lfg. März 2006); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 30. Grzeszick nennt das Beispiel des unterschiedlichen Stimmengewichts der Länder im Bundesrat. Vgl. auch Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 254 ff. 17 BVerfGE 150, 1 (104 Rn. 212) m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 30. Vgl. auch Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 305 ff. 18 BVerfGE 150, 1 (104 Rn. 212) m.w.N. 19 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 116 (46. Lfg. März 2006). Ähnlich Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65. 20 Vgl. Jestaedt, in: HStR II, § 29 Rn. 65. 21 Siehe exemplarisch H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 23; Grzeszick, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 13 (46. Lfg. März 2006). 22 Vgl. H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 B Rn. 22; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz,
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§ 3 Vereinbarkeit mit Bundesstaatsprinzip/Kompetenzordnung
Adressaten derselben zwingend, sodass weder Bund noch Länder – trotz ggf. vorliegender Zustimmung der Beteiligten – nicht über ihre verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenzen verfügen dürfen.23 Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern – und auch der Länder untereinander – sind daher (vorbehaltlich in der Verfassung selbst normierter Ausnahmen) unzulässig.24 Demnach müssen die verfassungsrechtlich zuständigen Organe die ihnen zugewiesenen Befugnisse „selbstständig und eigenverantwortlich“ wahrnehmen.25 Ferner dürfen die Kompetenzen der Länder weder faktisch aufgehoben noch ausgehöhlt werden.26 Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Kooperation zwischen Bund und Ländern schlechthin ausgeschlossen ist.27 Eine Kooperation ist lediglich dann unzulässig, wenn sie so umfassend ist, dass sie zu einer Kompetenzverschiebung führt.28 Dies lässt sich jedoch nur für die konkrete Kooperationsform, insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs und der Bindungen der Kooperationspartner an diese beurteilen.29
GG, Art. 20 IV. Rn. 66 f., 70 (46. Lfg. März 2006); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 6; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 23; Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 30 Rn. 33. 23 BVerfGE 145, 171 (191 Rn. 59) m.w.N.; BVerfGE 32, 145 (156); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 4 m.w.N.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 162 (46. Lfg. März 2006); Gubelt/Hanschel, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 30 Rn. 60; Hellermann, in: BeckOK GG, Art. 30 Rn. 23 m.w.N.; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 30 Rn. 8 m.w.N.; Korioth, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 30 Rn. 8 (46. Lfg. März 2006); Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 70 Rn. 15. Ähnlich BVerfGE 1, 14 (35) (für die Länder); Schubert, in: Sachs, GG, Art. 30 Rn. 11 m.w.N.; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 26 f.; Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 70 Rn. 154 (53. Lfg. Oktober 2008) m.w.N.; Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 30 Rn. 28 m.w.N. 24 Vgl. BVerfGE 145, 171 (191 Rn. 59) m.w.N.; BVerfGE 32, 145 (156); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 162 (46. Lfg. März 2006); Gubelt/Hanschel, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 30 Rn. 60; Hellermann, in: BeckOK GG, Art. 30 Rn. 23 m.w.N.; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 30 Rn. 8; Korioth, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 30 Rn. 8 (46. Lfg. März 2006); März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 26 f.; Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 30 Rn. 29 m.w.N. 25 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 27. 26 Gubelt/Hanschel, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 30 Rn. 41 (welche dies aus Art. 30 GG und aus Art. 79 Abs. 3 GG herleiten) m.w.N.; Hellermann, in: BeckOK GG, Art. 30 Rn. 17 (welcher dies ebenfalls aus Art. 30 GG herleitet) m.w.N.; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 30 Rn. 6. 27 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 162 (46. Lfg. März 2006). 28 Vgl. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 162 (46. Lfg. März 2006). 29 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 165 (46. Lfg. März 2006).
C. Verfassungsrechtliche Bewertung
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C. Verfassungsrechtliche Bewertung Die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes wird unterschiedlich beurteilt.
I. These der unzulässigen Kompetenzübertragung Nach einer Ansicht verstoßen dynamische Verweisungen zwischen Bund und Ländern gegen das Bundesstaatsprinzip30 sowie die Kompetenzordnung des Grundgesetzes.31 Dies sei der Fall, da die grundgesetzliche Kompetenzverteilung für Bund und Länder nicht disponibel sei,32 sodass sowohl ein Verzicht als auch eine Verfügung über die eigenen Kompetenzen unzulässig sei.33 Bund und Länder 30
Arndt, JuS 1979, 784 (789); Karpen, Verweisung, S. 198; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (251). Vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 07.09.2010 – 6 A 3164/08, Rn. 84 („im Grundsatz unzulässig, wenn auch nicht schlechthin ausgeschlossen“). Bedenken äußernd auch VGH Mannheim, Urt. v. 17.06.1999 – 2 S 256/99, juris-Rn. 20 (versteckte Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen und engere Grenzen für dynamische Verweisungen hervorhebend); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (71 f.); Papier, in: FS Lukes, 159 (164 f.); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). Im Grunde auch Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.), der jedoch im Einzelfall Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung als Vorbehalte zugunsten des jeweils anderen Gesetzgebers und Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes als Ermächtigungen i.S.d. Art. 71 GG umdeuten will. Für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht: Gall, ZUM 2008, 484 (485 f.); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405). Für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht: D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74. 31 Arndt, JuS 1979, 784 (789); März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 29 (allerdings nicht für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht). Vgl. auch BVerfGE 60, 135 (161); D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694 f.); Karpen, Verweisung, S. 198. Bedenken äußernd auch BVerfGE 47, 285 (313 ff.); BayVGH, Beschl. v. 16.03.2000 – 7 B 99.243, juris-Rn. 43 f.; Mager, Staatsrecht I, Rn. 402 (zumindest sofern diese „das Ausmaß einer Kompetenzverlagerung“ haben); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). Im Grunde auch Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.), der jedoch im Einzelfall Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung als Vorbehalte zugunsten des jeweils anderen Gesetzgebers und Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes als Ermächtigungen i.S.d. Art. 71 GG umdeuten will. Für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht: Gubelt/Hanschel, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 30 Rn. 61; Hellermann, in: BeckOK GG, Art. 30 Rn. 23.2; Hendler, ZG 1987, 210 (225); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 30 Rn. 9; Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 30 Rn. 28 (zusätzlich für Verweisungen auf das Recht eines anderen Landes) m.w.N. Vgl. auch Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405). Bedenken äußernd auch Schubert, in: Sachs, GG, Art. 30 Rn. 12; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 70 Rn. 16 m.w.N. Für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht: LSG NRW, Beschl. v. 03.09.2008 – L 10 VG 20/03, Rn. 129. 32 Arndt, JuS 1979, 784 (789); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (116). Für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht auch Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405). Vgl. auch Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239); Mager, Staatsrecht I, Rn. 402. 33 Mager, Staatsrecht I, Rn. 402 m.w.N.
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dürften also ihre grundgesetzlich zugewiesenen Kompetenzen selbst mit Zustimmung der Beteiligten nicht „übertragen und damit neue Zuständigkeiten begründen“34, sondern müssten die grundgesetzliche Kompetenzordnung einhalten.35 Vor allem die Länder seien zur Erhaltung ihrer Eigenständigkeit und Staatsgewalt, insbesondere der Gesetzgebungsbefugnisse, nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet.36 Die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern diene gerade der Wahrung der Eigenstaatlichkeit der Länder.37 Die bundesstaatliche Ordnung dürfe weder geändert noch aufgehoben werden.38 Durch eine Verweisung eines Landes auf Bundesrecht oder das Recht eines anderen Landes sowie von Bundes- auf Landesrecht erfolge jedoch eine unzulässige teilweise Übertragung der eigenen Kompetenz zugunsten des Verweisungsobjektgebers, sodass derartige Verweisungen gegen das Bundesstaatsprinzip verstießen.39 Denn auch das Bundesstaatsprinzip verbiete die freiwillige Preisgabe von Gesetzgebungsbefugnissen.40 Die verfassungsrechtlich zugewiesenen Rechtsetzungskompetenzen müsse der jeweils berechtigte Normgeber – soweit die Verfassung anderes nicht explizit erlaube – selbstverantwortlich wahrnehmen.41 Zwar werde durch eine Verweisung nicht die Kompetenz selbst übertragen; jedoch erhalte der Verweisungsobjektgeber eine Rechtsetzungsmacht, indem alle künftigen Änderungen des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm übernommen werden.42 Auch wenn die so geschaffene Regelung bei formaler Betrachtung im Rang der Verweisungsnorm bestehe, beruhe diese nicht mehr auf einem aktuellen Beschluss des Verweisungsnormgebers, sondern einer antizipierten Übernahme aller Änderungen des Verweisungsobjekts.43 Daran ändere auch die Aufhebungsmöglichkeit der Verweisung nichts, da die automatische Rezeption des Verweisungsobjekts jedenfalls so lange bestehe, bis die Verweisung aufgeho34 Arndt, JuS 1979, 784 (789). Ähnlich D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694). Für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht vgl. auch Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405). 35 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (789). 36 Vgl. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405). 37 D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694). 38 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239). 39 Karpen, Verweisung, S. 198; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239). So auch Arndt, JuS 1979, 784 (789) (zusätzlich die Kompetenzordnung hervorhebend). Ähnlich März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 29 zur Kompetenzordnung des Grundgesetzes; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405) (für Verweisungen von Landerecht auf Bundesrecht). 40 Arndt, JuS 1979, 784 (789). In diesem Sinne auch Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239). Ähnlich März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 29 zur Kompetenzordnung. 41 Sachs, NJW 1981, 1651 (1651). In diesem Sinne auch BayVGH, Beschl. v. 16.03.2000 – 7 B 99.243, juris-Rn. 44 (für eine Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht). 42 Vgl. D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694) zu Verweisungen von Landes- auf Bundesrecht. 43 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 70 Rn. 16 m.w.N. (für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht).
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ben wird.44 In verfassungspolitischer Hinsicht verstärke eine Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht zudem einheitsstaatliche Tendenzen.45 Da die Eigenstaatlichkeit der Länder nicht nur gegenüber dem Bund, sondern auch gegenüber anderen Ländern gewahrt werden müsse, seien auch Verweisungen eines Landes auf das Recht eines anderen Landes mit dem Bundesstaatsprinzip unvereinbar.46 Für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht bestehe zwar der wünschenswerte Effekt, dass den Ländern mehr Kompetenzen zukämen; nichtsdestotrotz sei eine solche Kompetenzübertragung auch vom Bund auf die Länder verfassungswidrig.47 Wenn den Ländern keine Kompetenz zum Erlass einer eigenen Regelung zukomme, dürften diese zudem erst recht keine Kompetenz zur Änderung derselben Sachmaterie auf der Ebene des Bundesrechts durch eine dynamische Verweisung haben.48 Einige Autoren nehmen hingegen eine Ausnahme von dem Verdikt der Bundestaats- bzw. Kompetenzordnungswidrigkeit für dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht an.49 In diesem Fall liege keine unzulässige Kompetenzverlagerung vor, da entweder ohnehin eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG bestehe oder der Bundesgesetzgeber nach Art. 71 GG seine ausschließliche Kompetenz übertragen dürfe.50
II. Differenzierung nach Verweisungsnormgeber und Kompetenzbereich Teilweise wird hingegen differenzierend davon ausgegangen, dass nur dynamische Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht im ausschließlichen Kompetenzbereich der Länder mit dem Bundesstaatsprinzip bzw. der Kompetenzordnung des Grundgesetzes unvereinbar seien.51 Denn im Gegensatz zum Bund seien die Länder nicht berechtigt, ihre ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen
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Vgl. D. Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694) zu Verweisungen von Landes- auf Bundesrecht. Karpen, Verweisung, S. 199; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239). 46 Karpen, Verweisung, S. 199; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239). 47 Karpen, Verweisung, S. 199; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (239). A.A. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405 Fn. 40). 48 Vgl. BVerfGE 47, 285 (313 ff.). 49 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 29. Im Ergebnis auch Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (405 Fn. 40). 50 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 30 Rn. 29. Ähnlich Sachs, NJW 1981, 1651 (1651 f.), der Verweisungen in derartige Vorbehalte bzw. Ermächtigungen umdeuten will. 51 Vgl. Gamber, VBlBW 1983, 197 (197); Hertwig, RdA 1985, 282 (283 f.); Schenke, NJW 1980, 743 (747 f.); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (113 f.). 45
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zu übertragen.52 Diese Entscheidung der Verfassung dürfe nicht durch dynamische Verweisungen umgangen werden,53 welche dazu führten, dass der Verweisungsobjektgeber eine Rechtsetzungsmacht für eine Materie erhielte, die ihm nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung nicht zustünde.54 Das Bundesstaatsprinzip weise den Ländern nicht nur ein Recht auf Eigenständigkeit zu, sondern verpflichte die Länder auch dazu, diese zu wahren.55 Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung bestünden hingegen keine Bedenken, da eine Kompetenzübertragung schon deshalb nicht erfolgen könne, weil die Verfassung sowohl dem Bund als auch den Ländern in diesen Bereichen eine (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz zuweise.56 Zudem könne die Verweisungsnorm jederzeit geändert werden, sodass das eigene Gesetzgebungsrecht nicht vollständig verdrängt werde.57 Gegen Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes bestünden ferner schon deshalb keine Bedenken, weil der Bundesgesetzgeber den Landesgesetzgeber nach Art. 71 GG sogar zur Rechtsetzung ermächtigen dürfe, sodass erst recht auch eine Verweisung zulässig sein müsse.58 Schenke befindet hingegen dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht dann für verfassungswidrig, wenn dem betreffenden Land faktisch Rechtsetzungsbefugnisse außerhalb seines Hoheitsgebiets (z.B. für das gesamte Bundesgebiet) zukämen.59 Denn eine solche Verweisung erweiterte die Rechtsetzungsmacht des einzelnen Landes auf andere Länder, welches ein „eklatanter Verstoß gegen das Bundesstaatsprinzip“ sei.60 Gleiches gelte demnach für eine Verweisung eines Landes auf das Recht eines anderen Landes.61
III. Übertragung der Anforderungen des Demokratieprinzips Teilweise wird davon ausgegangen, dass sich die Antwort auf die Frage der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Bundesstaatsprinzip bzw. der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zugleich aus der Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ergebe.62 Denn wenn der Verweisungsnormgeber eine hinrei52 Gamber, VBlBW 1983, 197 (197); Schenke, NJW 1980, 743 (748). Vgl. Schenke, in: FS Fröhler, 87 (113 f.). 53 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (113 f.). 54 Gamber, VBlBW 1983, 197 (197). Vgl. auch Schenke, NJW 1980, 743 (747). 55 Gamber, VBlBW 1983, 197 (197). 56 Hertwig, RdA 1985, 282 (284); Schenke, NJW 1980, 743 (747 f.); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (116 f.). Vgl. auch Gamber, VBlBW 1983, 197 (197). 57 Vgl. Schenke, in: FS Fröhler, 87 (117). 58 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (115); ferner Schenke, NJW 1980, 743 (748). 59 Schenke, NJW 1980, 743 (748). 60 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (116). 61 Schenke, in: FS Fröhler, 87 (116); ferner Schenke, NJW 1980, 743 (748). 62 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (120 ff.); Guckelberger, ZG 2004, 62 (81), diese jedoch
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chende rechtsstaatlich-demokratische Legitimation aufweise, habe er auch seine Kompetenz gewahrt sowie das Bundesstaatsprinzip nicht verletzt.63 Dies gelte auch für „regional differenziertes Bundesrecht“ infolge einer Verweisung von Bundesrecht auf das Recht aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes.64 Zwar ergebe sich aus der grundgesetzlichen Kompetenzordnung nicht, in welchem Umfang der zuständige Normgeber seine Kompetenz wahrnehmen müsse; wenn er sich jedoch dafür entscheide, seine Kompetenz wahrzunehmen, müsse er eine Regelung treffen, die ihm inhaltlich zuzurechnen ist.65 Soweit die Verweisung also hinreichend begrenzt und der mögliche Inhalt des Verweisungsobjekts bestimmbar sei, verstoße eine dynamische Verweisung nicht gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes.66
IV. These der Vereinbarkeit mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung/Stellungnahme Richtigerweise wird jedoch teilweise angenommen, dass dynamische Verweisungen zwischen Bund und Ländern nicht gegen das Bundesstaatsprinzip bzw. die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstoßen.67
offenbar einschränkend für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht; Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36. 63 Clemens, AöR 1986, 63 (120 ff.). 64 Clemens, AöR 1986, 63 (122 f.). 65 Guckelberger, ZG 2004, 62 (81). 66 Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36. Dies nehmen wohl auch Clemens, AöR 1986, 63 (120 ff.) und Guckelberger, ZG 2004, 62 (81) an, da sie die Anforderungen an Verweisungen zur Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip übertragen wollen und für das Demokratieprinzip ähnliche Anforderungen wie hier Pietzecker aufstellen. Vgl. hierzu erneut Kap. 2 § 3 C. III. 67 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.03.2005 – 7 B 151/04, juris-Rn. 20 ff. (zumindest für eine Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht); BSGE 93, 290 (293 ff. Rn. 17 ff.) (zumindest für eine Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht); OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832); Debus, Verweisungen, S. 179 ff.; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); Jansen, DÖV 1979, 332 (333 f.); v. Maydell, ZfS 1973, 69 (72) (zumindest für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht); Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289 f.) (zumindest für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht); Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050); Uhle, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 70 Rn. 155 (53. Lfg. Oktober 2008) (zumindest für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht); Uhle, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 42 Rn. 60 (zumindest für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht). Im Ergebnis wohl auch BVerwG, Urt. v. 03.03.1989 – 8 C 98/85, juris-Rn. 25 (wenn auch die generelle Möglichkeit der Unzulässigkeit vor dem Hintergrund des Bundesstaatsprinzips ansprechend); BayVerfGH, Entsch. v. 31.01.1989 – Vf. 1-VII-88, juris-Rn. 17 (allerdings zu Art. 70 Abs. 3 BayLVerf); Clemens, AöR 1986, 63 (120 ff.); Guckelberger, ZG 2004, 62 (79 ff.); Manssen, Bauvorschriften, 252 ff. Implizit auch BVerfG (K), Beschl. v. 13.09.1993 – 2 BvR 1666/93, juris-Rn. 11 ff. (Verweisung einer Landesverfassung auf die StPO nicht beanstandet); BVerfGE 26, 246 (257 f.) (hielte bundesrechtliches Blankettstrafgesetz mit ausfüllendem Landesrecht offenbar für zulässig); BVerfGE 26, 338 (364 ff.); BVerwG, DVBl. 1964, 765 (765 f.) (wenn auch zur Verweisung auf
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1. Art. 71 GG und konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen der Länder Zur Begründung wird teilweise für Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht darauf abgestellt, dass ohnehin entweder eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der Länder bestehe oder der Bund die Länder im Bereich der ausschließlichen Bundeskompetenz nach Art. 71 GG zur Gesetzgebung ermächtigen dürfe, sodass insbesondere in diesem Verhältnis keine Bedenken gegen eine Überlassung von Regelungsmacht an die Länder bestünden.68 Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht vollends. Denn Art. 71 GG ermöglicht zwar eine Ermächtigung der Länder zur Gesetzgebung im Bereich der ausschließlichen Bundeskompetenz. Jedoch führt eine Ermächtigung nach Art. 71 GG dazu, dass die Länder eigenes Landesrecht setzen können, welches sodann in dem durch die Ermächtigung eröffneten Anwendungsbereich als Landesrecht gilt.69 Eine dynamische Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht führte jedoch dazu, dass die in Bezug genommenen landesrechtlichen Regelungen in die bundesrechtliche Verweisungsnorm inkorporiert würden und damit im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm zu Bundesrecht würden, sodass die Länder durch Änderung des Verweisungsobjekts eine bundesrechtliche Norm ausgestalten könnten. Ungeachtet der Tatsache, dass im Ergebnis zutreffender Weise davon ausgegangen wird, dass dynamische Verweisungen zwischen Bund und Ländern mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar sind, lässt sich eine solche Zulässigkeit daher nicht mit Art. 71 GG begründen, da das Ergebnis, das durch eine dynamische Verweisung erzielt wird, nicht durch Art. 71 GG gestattet wird. Gleiches gilt für den Begründungsansatz einer ohnehin bestehenden Kompetenz im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Auch dort könnten die Länder lediglich eigenes Landesrecht setzen, was im Vergleich zur Ausgestaltung von Bundesrecht durch den Landesgesetzgeber ein Aliud ist und daher nicht auf eine solche konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gestützt werden kann.70
eine Verwaltungsvorschrift des Bundes); OVG Berlin, Urt. v. 04.03.1997 – 4 B 10.95, jurisRn. 21 (wenn auch zur Verweisung auf eine Verwaltungsvorschrift des Bundes). Vgl. ausdrücklich auch BVerfGK 20, 275 (291) (und BSGE 102, 149 [154 Rn. 30]), wobei es allerdings um die Behördenzuständigkeit/-organisation ging und die dortige Vereinbarkeit mit der bundesstaatlichen Kompetenzordnung damit begründet wurde, dass den Ländern die Verwaltungskompetenz und damit die Behördeneinrichtung zukam, sodass diese Entscheidung kaum verallgemeinerungsfähig ist. Unklar insoweit Wolff, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, § 15 Rn. 203, welcher ausführt, dass dynamische Verweisungen zulässig sind, wenn sie nicht einer „Kompetenzaufgabe“ gleichkommen, jedoch nicht ausführt, wann dies der Fall ist. 68 Vgl. Jansen, DÖV 1979, 332 (333). Derartige Aspekte ebenfalls hervorhebend Ehricke/ Blask, JZ 2003, 722 (726). 69 BVerfGE 18, 407 (417 f.); Seiler, in: BeckOK GG, Art. 71 Rn. 5; Kment, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 71 Rn. 6. 70 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 181.
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Auch der von Schenke vertretene Erst-Recht-Schluss, dass eine Verweisung erst recht zulässig sein müsse, wenn eine Ermächtigung der Länder nach Art. 71 GG zulässig ist,71 überzeugt nicht. Denn für ein solches argumentum a maiore ad minus bedürfte es eines tatsächlichen Minus. Die Rechtswirkungen, die durch eine dynamische Verweisung erzeugt werden, stellen sich jedoch im Vergleich zur Ermächtigung nach Art. 71 GG aufgrund der soeben dargestellten Ausgestaltungsmöglichkeit von Bundesrecht durch die Länder nicht als Minus, sondern vielmehr als Maius dar. Denn den Ländern käme die (mittelbare) Möglichkeit der Setzung von Recht in einem höheren Rang zu als im Bereich ihrer originären Gesetzgebung. Auch die Möglichkeit der Aufhebung der Verweisungsnorm ändert hieran nichts, da diese Möglichkeit ebenso für eine Ermächtigung nach Art. 71 GG besteht72 und daher die Wirkungsweise der dynamischen Verweisung im Vergleich zur Ermächtigung nach Art. 71 GG nicht milder erscheinen lässt. Gleiches gilt für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, da auch hier nur die Setzung von Landesrecht durch die Länder möglich wäre, sodass eine Ausgestaltungsmöglichkeit von Bundesrecht kein Minus wäre und auch hier eine vergleichbare Aufhebungsmöglichkeit durch den Bundesgesetzgeber besteht, da die Rechtsetzungsbefugnis der Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG nur besteht, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht hat.73 Die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes lässt sich daher weder unmittelbar noch im Wege eines Erst-RechtSchlusses auf Art. 71 GG oder konkurrierende Gesetzgebungsbefugnisse der Länder stützen. 2. Fehlende Kompetenzübertragung Vielmehr lässt sich die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen zwischen Bund und Ländern mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes – unabhängig davon, ob der Bund oder die Länder Verweisungsnormgeber oder Verweisungsobjektgeber sind – dadurch begründen, dass keine Übertragung einer Gesetzgebungskompetenz erfolgt. Zwar erhält der Verweisungsobjektgeber eine (mittelbare) Einflussmöglichkeit auf die Verweisungsnorm; die formale Kompetenz im Sinne einer Zuständigkeit für die betroffene Rechtsmaterie verbleibt jedoch beim Verweisungsnormgeber.74 Denn das Verweisungsobjekt gilt im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm nur aufgrund der Entscheidung des Verweisungsnormgebers und nur so lange, wie der Verwei-
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Vgl. Schenke, in: FS Fröhler, 87 (115); Schenke, NJW 1980, 743 (748). Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 71 Rn. 45. 73 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 181. 74 Vgl. v. Maydell, ZfS 1973, 69 (72); Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 70 Rn. 155 (53. Lfg. Oktober 2008). 72
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sungsnormgeber diese nicht aufhebt.75 Indem der Verweisungsnormgeber eine dynamische Verweisung erlässt, liegt also keine Übertragung der Kompetenz des Verweisungsnormgebers, sondern vielmehr eine Ausübung der eigenen Kompetenz vor.76 Dies wird auch dadurch belegt, dass das Verweisungsobjekt in die vom verweisenden Gesetzgeber erlassene Norm inkorporiert wird und infolgedessen den Rang der Verweisungsnorm teilt.77 Hierdurch wird bereits deutlich, dass die zusammengesetzte Regelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt weiterhin in seiner Gesamtheit dem Verweisungsnormgeber zuzurechnen ist.78 Denn hierfür ist einzig entscheidend, welche Institution die Norm erlassen hat, die gegenüber dem Bürger gilt.79 Hinzu kommt, dass der Verweisungsobjektgeber nur einen Einfluss auf die Verweisungsnorm durch die Änderung seines eigenen Rechts nehmen kann.80 Dies zeigt bereits, dass der Verweisungsobjektgeber keine neue Gesetzgebungskompetenz erwirbt, sondern lediglich seine bestehende Kompetenz ausübt und hierdurch im Bereich der Verweisungsnorm Rechtswirkungen erzeugt.81 Im Ergebnis erfolgt also keine Übertragung der eigenen Kompetenz vom Verweisungsnormgeber auf den Verweisungsobjektgeber.82 Mithin erübrigt sich auch eine Differenzierung zwischen ausschließlichen und konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen.83
75 Jansen, DÖV 1979, 332 (333 f.). Vgl. auch Schröcker, NJW 1967, 2285 (2290). Zu ersterem auch Klindt, DVBl. 1998, 373 (376). Die Möglichkeit der Aufhebung hervorhebend auch Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); v. Maydell, ZfS 1973, 69 (72); Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050). Ähnlich BayVerfGH, Entsch. v. 31.01.1989 – Vf. 1-VII-88, juris-Rn. 17 (allerdings zu Art. 70 Abs. 3 BayLVerf); OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832). 76 Debus, Verweisungen, S. 179; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); Klindt, DVBl. 1998, 373 (376); Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36; Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050); Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 70 Rn. 155 (53. Lfg. Oktober 2008); Uhle, in: Stern/Sodan/ Möstl, Staatsrecht, § 42 Rn. 60. In diesem Sinne auch BayVerfGH, Entsch. v. 31.01.1989 – Vf. 1-VII-88, juris-Rn. 17 (allerdings zu Art. 70 Abs. 3 BayLVerf). 77 Vgl. Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 155 (53. Lfg. Oktober 2008) (für Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht). 78 In diesem Sinne auch BayVerfGH, Entsch. v. 31.01.1989 – Vf. 1-VII-88, juris-Rn. 17 (allerdings zu Art. 70 Abs. 3 BayLVerf). 79 Vgl. ohne Verweisungsbezug BVerfGE 18, 407 (417 f.). 80 Vgl. Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289) zu Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht. 81 Vgl. Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289) zu Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht. 82 So im Ergebnis auch BayVerfGH, Entsch. v. 31.01.1989 – Vf. 1-VII-88, juris-Rn. 17 (allerdings zu Art. 70 Abs. 3 BayLVerf); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (726); Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050). 83 Debus, Verweisungen, S. 186.
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a) Fehlende inhaltliche Anforderungen durch Kompetenzzuweisungen Die Annahme einer fehlenden Kompetenzübertragung wird ferner dadurch untermauert, dass die Kompetenzordnung lediglich Zuweisungen von Zuständigkeiten enthält, jedoch keine Aussage darüber trifft, wie und in welchem Umfang die eigene Kompetenz inhaltlich wahrgenommen werden muss.84 Entscheidend ist allein, dass die Kompetenzordnung rein formal eingehalten wird.85 Darüber hinausgehende inhaltliche Erfordernisse, die den bloßen Erlass einer dynamischen Verweisung verfassungsrechtlich problematisch erscheinen lassen, folgen zwar aus dem Demokratieprinzip,86 nicht aber aus der Kompetenzordnung des Grundgesetzes.87 Im Übrigen trifft der zuständige Gesetzgeber mit dem Erlass einer Verweisungsnorm in formaler Hinsicht – und zumindest auch bzgl. der Auswahl des Verweisungsobjektgebers sowie der in Bezug genommenen Vorschriften – eine eigene Regelung.88 Aus der Perspektive der Kompetenzordnung des Grundgesetzes genügt also der Erlass einer Verweisungsnorm zur Wahrung der eigenen Kompetenz.89 b) Formaler Charakter der Kompetenznormen Für ein solches formales Verständnis streitet auch der formale Charakter der Gesetzgebungskompetenznormen. Denn diese sollen eine klare Abgrenzung ermöglichen, welches Organ innerhalb des Bundesstaats eine Regelung zu der entsprechenden Sachmaterie erlassen darf, ohne dass es hierbei auf materielle Kriterien ankommt. Tatsächlich können die Gesetzgebungskompetenznormen der Art. 70 ff. GG noch keine Aussage zu konkreten Inhalten der erlassenen Normen enthalten, sondern müssen rein formal interpretiert werden, da die Zuständigkeitsnormen naturgemäß bestehen müssen, bevor eine Regelung durch den begünstigten Normgeber überhaupt getroffen werden kann. Ein anderes als ein formales Verständnis der Zuständigkeitsnormen wäre also bereits konzeptionell wenig sinnvoll. Diesem Verständnis entspricht auch die katalogartige Formulierung der Art. 72 ff. GG, in welchen im Wesentlichen eine bloße Aufzählung der Zuständigkeiten erfolgt. Als Ausnahme ist insoweit Art. 72 Abs. 2 GG zu nennen, welcher durch die Anknüpfung an die Erforderlichkeit einer bundeseinheit84
Debus, Verweisungen, S. 179, 186; Klindt, DVBl. 1998, 373 (376); Korioth, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 30 Rn. 24 (46. Lfg. März 2006) (ohne Verweisungsbezug); Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 70 Rn. 155 (53. Lfg. Oktober 2008). Vgl. auch Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36. Siehe im Übrigen zu den Anforderungen der Kompetenzordnung bereits oben unter Kap. 2 § 3 B. 85 Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 70 Rn. 155 (53. Lfg. Oktober 2008). 86 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 1. Vgl. auch Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36. 87 Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36; Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 70 Rn. 155 (53. Lfg. Oktober 2008) m.w.N. 88 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 3. b) und Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) aa). Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 179, 186. 89 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 179; Klindt, DVBl. 1998, 373 (376).
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lichen Regelung darauf ausgerichtet ist, für den Einzelfall ausgelegt zu werden und einer stetigen Überprüfung des Fortbestands dieser Situation zu unterliegen. Freilich kann nach dem Erlass einer Regelung der Sachmaterie überprüft werden, ob die Kompetenznormen auch tatsächlich eingehalten wurden. Die bereits dargelegten Argumente sprechen jedoch dafür, insoweit einen formalen Maßstab anzunehmen. Zudem folgen inhaltliche Anforderungen abseits des Verbots der Kompetenzübertragung und -aushöhlung ohnehin nicht aus der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, sondern vielmehr aus dem Demokratieprinzip, sodass lediglich ein formales Verständnis der Kompetenzordnung überzeugt.90 Ferner drängt sich auch in systematischer Hinsicht ein formales Verständnis der Kompetenzordnung dadurch auf, dass die Gesetzgebungskompetenzen der Art. 70 ff. GG im Abschnitt über die Gesetzgebung des Bundes stehen, in welcher insbesondere die formellen Anforderungen für das Zustandekommen der Bundesgesetze geregelt sind. 3. Fehlende Beeinträchtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder Auch die infolge des Bundesstaatsprinzips notwendige Eigenstaatlichkeit der Länder wird durch eine dynamische Verweisung nicht beeinträchtigt.91 Dies folgt erneut bereits daraus, dass die Länder ihre eigene Kompetenz nicht übertragen, sondern sich lediglich eine fremde Regelung zunutze machen. Den Ländern ist jedoch nach wie vor die zusammengesetzte Regelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt zuzurechnen. Insbesondere haben die Länder nach wie vor die Möglichkeit der Modifizierung oder Aufhebung der Verweisung.92 Dass die Länder mit der Verweisungsnorm den Geltungsbefehl für die Anwendung des Verweisungsobjekts aussprechen und diesen nach Belieben modifizieren oder aufheben und durch eine eigene Regelung ersetzen können, ist also vielmehr Ausdruck als Aufgabe der eigenen Staatlichkeit. Denn der Verweisungsobjektgeber – unabhängig davon, ob dies der Bund oder ein anderes Land ist – kann nur so lange Einfluss auf die Verweisungsnorm nehmen, wie der Landesgesetzgeber die Verweisung fortbestehen lässt. Dem Erfordernis des Bundesstaatsprinzips, dass dem Landesgesetzgeber substanzielle eigene Rechtsetzungsbefugnisse verbleiben müssen, welche ihm weder durch den Bund entzogen noch durch das Land selbst aufgegeben werden dürfen, wird also bei einer dynamischen Verweisung genügt – oder vielmehr wird dieses Erfordernis noch nicht einmal beeinträchtigt, da das Land nach wie vor seine eigenständige Rechtsetzungsmöglichkeit behält.
90 Siehe zu den Anforderungen des Demokatieprinzips an Verweisungen bereits oben unter Kap. 2 § 1. Vgl. auch Pietzcker, in: HStR VI, § 134 Rn. 36. 91 So auch OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2832) zu einer Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht. Im Ergebnis wohl auch Debus, Verweisungen, S. 186 ff. 92 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 1. c) cc) und Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) ee).
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Zwar kann es aus der Perspektive des Demokratieprinzips bedenklich sein, dass ein fremder Normgeber Einfluss auf den Inhalt des Rechts des Verweisungsnormgebers nehmen kann.93 Dass der Verweisungsnormgeber sich hierdurch seiner Staatlichkeit begibt, kann jedoch nicht behauptet werden. Vielmehr behält der Verweisungsnormgeber die Entscheidungsgewalt darüber, ob er dem Verweisungsobjektgeber weiterhin diese Einflussmöglichkeit eröffnen möchte und kann nach wie vor eine eigene Regelung treffen. Im Übrigen kann der Verweisungsobjektgeber auch nicht aus eigener Kraft die ihm zugewiesene Einflussmöglichkeit erweitern, sondern ist stets auf die durch die Verweisungsnorm eröffneten Einflussmöglichkeiten beschränkt. a) Drei-Elemente-Lehre Die These, dass die Länder durch eine dynamische Verweisung auf Bundesrecht oder das Recht eines anderen Landes ihre Staatlichkeit aufgeben, erscheint noch fernliegender, wenn man sich die wesentlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit noch einmal vor Augen führt. Nach der von Georg Jellinek entwickelten sog. Drei-Elemente-Lehre94 sind die Voraussetzungen für eine eigene Staatlichkeit ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eigene Staatsgewalt.95 Obgleich die Länder wegen fehlender Souveränität keine eigenständigen Völkerrechtssubjekte sind96 und die verschiedenen Elemente der Staatlichkeit durch die Eingliederung der Länder in den Bundesstaat (bspw. durch das Homogenitätsgebot aus Art. 28 Abs. 1 GG) beeinträchtigt werden,97 erfüllen die Länder jedoch den Staatsbegriff i.S.d. DreiElemente-Lehre, da ihnen ein eigenes Staatsgebiet (die territoriale Zuordnung für ein Land innerhalb des Bundes), ein Staatsvolk (das Landesvolk) sowie eigene Staatsgewalt (in Form von eigener Legislative, Exekutive und Judikative98) zukommt.99 Bereits bei dieser Betrachtung zeigt sich, dass Verweisungen allenfalls die eigene Staatsgewalt beeinträchtigen können – also von drei Elementen lediglich eines überhaupt zu tangieren im Stande sind. Freilich müssen die drei Elemente
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Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) cc). So bezeichnet z.B. bei Ewer/Thienel, NJW 2016, 376 (377); Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 85. 95 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff. 96 Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 94; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 26. 97 Vgl. hierzu Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 7 ff. 98 Auch wenn innerhalb der Judikative keine strikte Trennung zwischen Gerichten erfolgt, die nur auf Grundlage des Bundes- oder Landesrechts urteilen, bestehen jedoch in den Ländern zumindest Landesverfassungsgerichte/Verfassungsgerichtshöfe, die die Vereinbarkeit von Hoheitsakten mit der Landesverfassung beurteilen. 99 Vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 89 ff. (46. Lfg. März 2006); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 26. Wohl auch Ewer/ Thienel, NJW 2016, 376 (377). 94
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der Staatlichkeit kumulativ vorliegen; doch setzt sich auch die Staatsgewalt (zumindest in Bund und Ländern) wiederum aus mehreren Untergliederungen – nämlich Judikative, Exekutive und Legislative zusammen. Erneut zeigt sich, dass Verweisungen in formellen Gesetzen allenfalls Auswirkungen auf die Legislativgewalt – also lediglich eine der drei Untergliederungen der Untergliederung der Staatlichkeit – haben.100 Sodann ist herauszustellen, dass eine einzelne Verweisung nicht die Legislativgewalt des Landes in ihrer Gesamtheit aufhebt,101 sondern diese infolge der fehlenden Kompetenzübertragung und der nach wie vor bestehenden Möglichkeit zum Erlass einer eigenen Regelung noch nicht einmal beeinträchtigt, sondern allenfalls infolge der Einflussmöglichkeit des Verweisungsobjektgebers berührt. Selbst wenn man allerdings annähme, dass eine dynamische Verweisung von Landesrecht auf Bundesrecht oder das Recht eines anderen Landes die eigene Legislativgewalt für die entsprechende Sachmaterie beeinträchtigt, wäre bereits unklar, wie eine Beeinträchtigung der Legislativgewalt in einem einzelnen Sachbereich die gesamte Legislativgewalt eines Landes – und noch fernliegender die gesamte Staatsgewalt des Landes – aufheben soll, mit der Folge, dass es an einer Staatlichkeit des verweisenden Landes fehlte. Von der Aufgabe der Eigenstaatlichkeit infolge einer dynamischen Verweisung auf Bundesrecht oder das Recht eines anderen Landes kann also keinesfalls die Rede sein. Hinzu kommt, dass dynamische Verweisungen zumeist nur auf einzelne Vorschriften verweisen und häufig Einzelfragen regeln. Sofern ausnahmsweise umfangreiche Pauschalverweisungen erfolgen – wie dies etwa im Bereich des Verwaltungsverfahrens erfolgt ist –102 kann dieses Argument zwar nicht angeführt werden. Jedoch ist auch bei diesen Verweisungen aus den vorgenannten Gründen die Annahme der Aufgabe der eigenen Staatlichkeit abzulehnen.103 b) Kein Kooperationsverbot für Bund und Länder Ferner wird eine Kooperation von Bund und Ländern durch das Bundesstaatsprinzip nicht prinzipiell ausgeschlossen.104 Zwar stellt eine dynamische Verweisung eine besonders intensive Form der Kooperation dar. Eine Kooperation ist jedoch stets damit verbunden, dass die jeweiligen Kooperationspartner für die betreffende Sachmaterie keine vollends eigenständige Regelung treffen, sondern diese mit dem Kooperationspartner abstimmen. Die Grenze der Kooperation ist 100 Dynamische Verweisungen in Exekutivnormen können dementsprechend allenfalls die Exekutive betreffen, obgleich das Setzen von abstrakt-generellen Normen ohnehin nicht dem Kernbereich der Exekutive entspringt, siehe dazu sogleich unter Kap. 2 § 5 B. III. 101 Die geringe Wirkkraft einer einzelnen Verweisung herausstellend auch Debus, Verweisungen, S. 187; Guckelberger, ZG 2004, 62 (80). 102 Z.B. § 1 Abs. 1 LVwVfG RP. 103 A.A. offenbar Debus, Verweisungen, S. 187. 104 Debus, Verweisungen, 186, 188. Vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 162 (46. Lfg. März 2006).
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erst dann erreicht, wenn sie dazu führt, dass die Länder in ihren Kompetenzbereichen nicht mehr selbstständig handlungsfähig sind.105 Dies ist jedoch wie gezeigt aufgrund der Aufhebungs- und Modifikationsmöglichkeit sowie des regelmäßig geringen Umfangs der Verweisungen, die nur selten ein ganzes Sachgebiet betreffen, bei dynamischen Verweisungen nicht der Fall. Auch dies spricht also dafür, keine Aufgabe der eigenen Staatlichkeit infolge einer dynamischen Verweisung anzunehmen.106 Auch die Tatsache, dass sich die Kompetenzen von Bund und Ländern innerhalb der bundestaatlichen Kompetenzordnung gegenseitig tangieren,107 lässt es notwendig erscheinen, eine Verweisung zwischen Bund und Ländern nicht kategorisch zu untersagen, um eine Kooperation gerade für Schnittstellen der Kompetenzbereiche zu ermöglichen. 4. Fehlende Aufgabe der Staatlichkeit des Bundes Das gleiche Ergebnis – nämlich die fehlende Aufgabe der eigenen Staatlichkeit – gilt aus analogen Gründen auch für den Bund. Bei diesem scheint die Aufgabe der eigenen Staatlichkeit noch fernliegender als bei den Ländern, da der Bund deutlich umfassendere Gesetzgebungsbefugnisse und zudem auch eine KompetenzKompetenz besitzt, sodass unabhängig davon, dass durch eine Verweisung die eigene Kompetenz nicht aufgegeben wird, die Beeinträchtigung der eigenen Staatlichkeit durch einzelne Verweisungen abwegig ist. Vielmehr dienen Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht sogar mitunter dem Bundesstaatsprinzip, da hierdurch die Einflussmöglichkeiten der Länder erweitert werden.108 5. Regional unterschiedliches Bundesrecht Schließlich verstoßen dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht auch nicht deswegen gegen das Bundesstaatsprinzip oder die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, weil eine solche Verweisung auf das Recht aller Länder dazu führen würde, dass regional – nämlich länderspezifisch – unterschiedliches Bundesrecht bestünde.109 Freilich mag dies auf den ersten Blick be-
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Vgl. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV. Rn. 160 (46. Lfg. März 2006). I. E. auch Debus, Verweisungen, S. 186. 107 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 45. 108 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 180. 109 So auch Clemens, AöR 1986, 63 (122 f.). Implizit wohl auch BVerfGE 110, 141 (175 ff.) (welches allerdings fordert, dass die landesrechtlichen Verweisungsobjekte „im Wesentlichen übereinstimmen“); BVerfGE 47, 285 (Auslegung als statische Verweisung auf Landesrecht); BVerfGE 26, 338 (364 ff.) (indem die zu beurteilende Verweisung für verfassungsgemäß erklärt wurde); BVerfGE 26, 246 (257 f.) (hielte bundesrechtliches Blankettstrafgesetz mit ausfüllendem Landesrecht offenbar für zulässig). In einer Entscheidung aus dem Jahr 1965 ging das BVerfG – freilich ohne Bezug zur Verweisungsproblematik – hingegen noch davon aus, dass regional unterschiedliches Bundesrecht dem „bundesstaatlichen Aufbau“ wiederspreche, da die „Setzung regional verschiedenen Rechts Sache der Länder sei“, vgl. BVerfGE 18, 407 (416). Vgl. auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (117) und Schenke, NJW 1980, 743 (748), 106
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fremdlich erscheinen, wenn dieselbe bundesrechtliche Regelung je nach Land einen anderen Inhalt hat, da sie durch das entsprechende Landesrecht vervollständigt wird. Ein Verstoß gegen die Vorgaben des Bundesstaatsprinzip – insbesondere die notwendige Staatlichkeit des Bundes und der Länder sowie das föderative Gleichbehandlungsgebot – oder die Kompetenzordnung des Grundgesetzes liegt (aufgrund fehlender Kompetenzübertragung) jedoch nicht vor.110 Ferner besteht auch im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder (sowie ggf. der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes im Fall des Art. 71 GG) häufig regional verschiedenes Recht, welches gerade Ausdruck des Bundesstaatsprinzips ist. Gleiches gilt im Fall einer Ermächtigung der jeweiligen Landesregierungen nach Art. 80 Abs. 1 GG. Auch dort werden für eine Rechtsmaterie, für die der Bund die Gesetzgebungskompetenz besitzt, unterschiedliche landesrechtliche Regelungen in den einzelnen Ländern ermöglicht. Debus geht hingegen zur Frage des regional unterschiedlichen Bundesrechts speziell für den Fall des Art. 72 Abs. 2 GG davon aus, dass dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht „häufig unzulässig“ seien, wenn sich die Bundeskompetenz auf Art. 72 Abs. 2 GG stütze.111 Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar regelt Art. 72 Abs. 2 GG, dass der Bund die Gesetzgebungskompetenz für die aufgezählten Sachgebiete hat, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“, sodass es auf den ersten Blick sinnvoll erschiene, eine Verweisung, die zu regional unterschiedlichem Bundesrecht führte, als unvereinbar mit Art. 72 Abs. 2 GG anzusehen. Jedoch übersähe eine solche Ansicht, dass auch im Bereich des Art. 72 Abs. 2 GG regional unterschiedliche Regelungen nicht ausgeschlossen sind, da Art. 72 Abs. 2 GG keine bundeseinheitliche, sondern lediglich eine bundesgesetzliche Regelung erfordert.112 Zudem begründet Art. 72 Abs. 2 GG ohnehin lediglich eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes,113 die den Bund nicht zur Gesetzgebung verpflichtet, sondern lediglich berechtigt, sodass auch der Fortbestand uneinheitlicher Regelungen ohne eine bundesgesetzliche Regelung nicht gegen Art. 72 Abs. 2 GG verstieße. Demnach kann nicht behauptet werden, dass aus
welcher seine Ausführungen allerdings noch zur Urfassung des Art. 72 GG (BGBl. I 1949, S. 9) machte, der sich deutlich von der heutigen Fassung unterscheidet. Unklar Debus, Verweisungen, S. 180 ff. 110 Im Ergebnis einen Verstoß ablehnend auch Clemens, AöR 1986, 63 (122 f.). 111 Debus, Verweisungen, S. 180 f. 112 Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 72 Rn. 19 (ohne Verweisungsbezug); Seiler, in: BeckOK GG, Art. 72 Rn. 10 (ohne Verweisungsbezug); Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 72 Rn. 20 m.w.N. (ohne Verweisungsbezug). 113 Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 72 Rn. 17. Vgl. auch Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 72 Rn. 122 (76. Lfg. Dezember 2015).
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Art. 72 Abs. 2 GG folgt, dass in jedem Fall eine bundeseinheitliche Regelung erfolgen müsse. Dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht sind daher auch im Bereich des Art. 72 Abs. 2 GG nicht schlechthin unzulässig, sondern können allenfalls Zweifel an der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung i.S.d. Art. 72 Abs. 2 GG begründen.114 6. Ausnahme: Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes Eine Ausnahme von der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen im BundLänder-Verhältnis besteht allerdings für Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes. Derartige Verweisungen sind aus folgenden Gründen mit dem Bundesstaatsprinzip unvereinbar: Wie bereits dargestellt, ist der Bund durch das aus dem Bundesstaatsprinzip folgende sog. föderative Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, die Länder gleich zu behandeln. Obgleich es sich insoweit nicht stets um eine formale Gleichbehandlung handeln muss, müssen jedenfalls für eine differenzierende Behandlung Sachgründe vorliegen, die für den Einzelfall eine lediglich materielle Gleichbehandlung rechtfertigen.115 Würde der Bund allerdings im Wege einer dynamischen Verweisung auf das Recht eines einzelnen Landes Bezug nehmen, würde diese landesrechtliche Regelung in die bundesrechtliche Verweisungsnorm inkorporiert, sodass der Inhalt der Landesnorm im Anwendungsbereich der bundesrechtlichen Verweisungsnorm im gesamten Bundesgebiet – und damit auch in allen anderen Ländern – als Bundesrecht gälte. Hierdurch würde der Bund den anderen Ländern die Regelung eines Landes „vorsetzen“ und damit im Wege der Verweisung das Recht dieses Landes auch in allen anderen Ländern für verbindlich erklären. Dies würde den Status der anderen Länder als gleichberechtigte Gliedstaaten in Frage stellen, indem sie der Regelung eines anderen – eigentlich gleichberechtigten Landes – unterworfen würden und damit im Vergleich in eine untergeordnete Stellung gerückt würden. Dies wäre jedoch ein deutlicher Verstoß gegen das aus dem Bundesstaatsprinzip folgende föderative Gleichbehandlungsgebot.116 Umso mehr überrascht es, dass die Vereinbarkeit derartiger Verweisungen mit dem föderativen Gleichbehandlungsgebot – soweit ersichtlich – bisher nicht diskutiert wird.
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Seiler, in: BeckOK GG, Art. 72 Rn. 10 f. Vgl. auch BVerfGE 110, 141 (175 ff.), welches allerdings fordert, dass die landesrechtlichen Verweisungsobjekte „im Wesentlichen übereinstimmen“. 115 Siehe zu den Anforderungen des föderativen Gleichbehandlungsgebots bereits oben unter Kap. 2 § 3 A. 116 Vgl. auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (116) und Schenke, NJW 1980, 743 (748) allerdings ohne Bezug zum föderativen Gleichbehandlungsgebot. Ohne Bezug zur Verweisungsproblematik gehen bspw. auch das BVerfG (E 12, 205 [255 ff.]) und Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 329 f. davon aus, dass der Bund bei einer Angelegenheit, die alle Länder betrifft, auch mit allen Ländern zusammenarbeiten muss.
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Das Problem erscheint umso schwerwiegender, wenn man in diese Bewertung miteinbezieht, dass mit einer dynamischen Verweisung nicht nur die Geltung der zur Zeit der Verweisung in Bezug genommenen Regelung einhergeht, sondern die Verweisungsnorm auch alle künftigen Versionen des Verweisungsobjekts automatisch rezipiert. Dadurch käme dem betreffenden Land die Möglichkeit zu, durch die Änderung des Verweisungsobjekts mittelbar Bundesrecht in allen anderen Ländern zu setzen und damit (mittelbar) gesetzgeberische Funktionen in den anderen Ländern wahrzunehmen. Wenn ein einzelnes Land nach Belieben Recht in allen anderen Ländern setzen kann, wäre eine föderative Gleichheit der Länder als vollwertige und gleichberechtigte Gliedstaaten jedoch nicht mehr gewährleistet. Dagegen spricht auch nicht, dass nach hier vertretener Ansicht eine dynamische Verweisung vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes nicht gegen das Bundesstaatsprinzip sowie die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstößt. Denn eine solche Verweisung stellt eine eigenstaatliche Entscheidung dar, die eigene Kompetenz dahingehend auszuüben, das Recht eines anderen Landes dynamisch in Bezug zu nehmen, sich so in widerrufbarer Weise dessen Regelungen zunutze zu machen und diesem einen (mittelbaren) Einfluss auf das eigene Recht zu gewähren. Dagegen würde eine bundesrechtliche dynamische Verweisung auf das Recht eines einzelnen Landes allen anderen Ländern die Regelung(smacht) des entsprechenden Landes ohne deren Zustimmung oder eigenständige Aufhebungsmöglichkeit oktroyieren. Hierbei handelt es sich um einen gravierenden qualitativen Unterschied.117 7. Zusammenfassung Im Ergebnis sind also dynamische Verweisungen zwischen Bund und Ländern mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar. Lediglich Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes verstoßen wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem föderativen Gleichbehandlungsgebot gegen das Bundesstaatsprinzip.
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A.A. offenbar Schenke, in: FS Fröhler, 87 (116); Schenke, NJW 1980, 743 (748).
§ 4 Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit Das Bestimmtheitsgebot ist neben dem Demokratieprinzip die wohl am häufigsten diskutierte Hürde für dynamische Verweisungen. Oftmals werden das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Normenklarheit gemeinsam geprüft1 bzw. ähnliche Aspekte unter dem jeweils anderen Prüfungspunkt behandelt.2 Dies mag daher rühren, dass das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Normenklarheit sich nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen.3 Teilweise wird das Gebot der Normenklarheit als Ausdruck bzw. Teil des Bestimmtheitsgebots angesehen,4 teilweise werden hingegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit als Unterprinzipien des Rechtssicherheitsgebots5 oder als unverbundene Prinzipien innerhalb des Rechtsstaatsprinzips angesehen.6 Auch das BVerfG wendet diese beiden Prinzipien nebeneinander an, ohne diese inhaltlich klar voneinander abzugrenzen.7 Trotz dieser unterschiedlichen Herleitungen und Einordnungen unterliegen die grundlegenden inhaltlichen Gehalte jedoch einem 1 Etwa Debus, Verweisungen, S. 133 ff.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236 f.); Marburger, Regeln der Technik, S. 390 f.; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 94 ff.; Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (253 f.). Vgl. auch Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). 2 Vgl. hierzu die Nachweise unter Kap. 2 § 4 B., innerhalb welcher zwar häufig die gleichen oder jedenfalls ähnliche Aspekte behandelt, diese jedoch teilweise dem Gebot der Normenklarheit, teilweise dem Bestimmtheitsgebot zugeordnet werden. 3 So auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 50, 58 (48. Lfg. November 2006); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 89; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 126. Vgl. auch Debus, Verweisungen, S. 135 ff. m.w.N. In neuester Rechtsprechung spricht das BVerfG sogar teilweise von einem „Grundsatz der Bestimmtheit und Normenklarheit“ bzw. „Grundsatz der Normenklarheit und Bestimmtheit“, was ebenfalls eine Zusammenfassung dieser Prinzipien und einen einheitlichen Prüfungsmaßstab nahelegt, vgl. BVerfGE 156, 11 (44 Rn. 85); BVerfGE 155, 119 (177 Rn. 123); BVerfGE 141, 220 (265 Rn. 94). A.A. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 141 m.w.N. 4 Vgl. etwa Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 368; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 289. 5 Vgl. etwa Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 50 ff. (48. Lfg. November 2006); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 122 ff. 6 Vgl. etwa Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 128 ff. 7 Nebeneinander z.B.: BVerfGE 131, 88 (123). Gemeinsam z.B.: vgl. BVerfGE 156, 11 (44 Rn. 85); BVerfGE 155, 119 (177 Rn. 123); BVerfGE 141, 220 (265 Rn. 94); BVerfGE 113, 348 (375 ff.).
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
weitgehenden Konsens, wenn auch verschiedene Aspekte mal dem Bestimmtheitsgebot, mal dem Gebot der Normenklarheit zugeordnet werden.8 Daher sollen das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Normenklarheit nachfolgend ebenfalls gemeinsam geprüft werden. Die Problematik der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot stellt sich für statische Verweisungen ebenso wie für dynamische Verweisungen. Obgleich sich diese Arbeit auf die Rechtsproblematik der dynamischen Verweisung fokussiert, sind viele der in der Rechtsprechung und Literatur für bzw. gegen die Vereinbarkeit der statischen Verweisung mit dem Bestimmtheitsgebot vorgebrachten Argumente auf die dynamische Verweisung übertragbar und werden daher nachfolgend in die Untersuchung einbezogen.
A. Verweisungsrelevante Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit Das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Normenklarheit sind verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankert.9 Inhaltlich gebieten diese Prinzipien, dass Rechtsnormen derart klar, verständlich und präzise formuliert sind, dass deren Rechtsfolgen für die Normadressaten hinreichend erkennbar und auf diese Weise darauf gestützte Entscheidungen des Staates voraussehbar sind.10 Rechtsnormen müssen also inhaltlich so klar und bestimmt gefasst sein, dass die Normadressaten die Rechtslage einschätzen und ihr Verhalten danach ausrichten können.11 Die Normadressaten sollen sich auf 8
Vgl. die nachfolgenden Nachweise. A.A. Debus, Verweisungen, S. 137 ff. Vgl. BVerfGE 113, 348 (375); BVerfGE 86, 288 (311) (für das Bestimmtheitsgebot); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (727); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 50 ff. (48. Lfg. November 2006); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 106; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 82 ff.; Klindt, DVBl. 1998, 373 (376); Marburger, Regeln der Technik, S. 390; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 40; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 122 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 129 ff., 141 ff. Towfigh, JA 2015, 81 (82 f.) will das Gebot der Normenklarheit hingegen aus dem Gewaltenteilungsprinzip ableiten. Die speziellen Bestimmtheitsgebote für das Strafrecht aus Art. 103 Abs. 2 GG sowie für Ermächtigungen aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sollen hierbei außer Betracht bleiben. 10 Vgl. BVerfGE 141, 220 (265 Rn. 94) zu letzterem; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 53 (48. Lfg. November 2006); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 83; Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 148; Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 182; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 129 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 288 f. m.w.N. 11 Vgl. BVerfGE 131, 88 (123) m.w.N.; BVerfGE 114, 1 (53); BVerfGE 113, 348 (375 f.); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 53, 58 (48. Lfg. November 2006) m.w.N.; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 106; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 84 m.w.N.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 126; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 129 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 288 f. In diesem Sinne auch Klindt, DVBl. 1998, 373 (376), der allerdings noch weitergehend fordert, 9
A. Verweisungsrelevante Anforderungen
209
etwaige belastende Maßnahmen einstellen können.12 Die erlassenen Normen dürfen zudem weder irreführend noch widersprüchlich sein,13 sondern müssen auch „in ihrem Zusammenwirken“ verständlich sein.14 Ferner sollen durch eine derart präzise inhaltliche Fassung der Rechtsnormen die Handlungsspielräume der Verwaltung begrenzt und eine effektive gerichtliche Kontrolle ermöglicht werden.15 Da nahezu jede Rechtsnorm der Auslegung zugänglich und bedürftig ist, führt eine Auslegungsbedürftigkeit jedoch nicht ohne Weiteres zu deren Unbestimmtheit.16 Rechtsnormen und Rechtsbegriffe zu schaffen, die derart bestimmt sind, dass sie keinen Zweifel an deren Interpretation zulassen, ist ohnehin nahezu unmöglich.17 Auch die Verwendung von Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen ist vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots nicht unzulässig.18 Allerdings muss die entsprechende Norm hierbei jedoch so bestimmt sein, dass sie einen rechtlichen Rahmen absteckt, der richterlich überprüfbar ist und keine grenzenlose Auslegung zulässt.19 Ausreichend ist es also im Ergebnis für eine Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit, dass sich die Norm unter Zuhilfenahme juristischer Auslegungsmethoden hinreichend klar anwenden lässt.20
dass „der Normunterworfene mit einem Blick in die fragliche Regelung unzweideutig erkennen kann, welche rechtlichen Vorgaben für einen Lebenssachverhalt getroffen sind“. 12 Vgl. BVerfGE 156, 11 (45 Rn. 87); BVerfGE 145, 20 (69 f. Rn. 125) m.w.N.; BVerfGE 133, 277 (336 Rn. 140) m.w.N. 13 BVerfGE 128, 282 (317 f.); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 106. 14 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 125. 15 Vgl. BVerfGE 155, 119 (177 Rn. 123); BVerfGE 141, 220 (265 Rn. 94) m.w.N. (stRspr); BVerfGE 133, 277 (336 Rn. 140); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 58 (48. Lfg. November 2006); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 83 m.w.N. Ähnlich Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 182; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 141. 16 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.06.2021 – 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, Rn. 84 (stRspr); BVerfGE 134, 141 (184 f. Rn. 127) m.w.N.; BVerfGE 128, 282 (317 f.); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 349 f.; Debus, Verweisungen, S. 138 ff.; Kotzur, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 20 Rn. 148. In diesem Sinne auch Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 289 m.w.N. 17 Vgl. Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 349 f.; Debus, Verweisungen, S. 138 m.w.N.; Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 148. Denkbar sind allein zahlenmäßige Festlegungen, vgl. Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 349 f. 18 BVerfG, Beschl. v. 08.06.2021 – 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, Rn. 84 m.w.N.; BVerfGE 149, 393 (324 Rn. 78); BVerfGE 110, 33 (56 f.); BVerfGE 8, 274 (326); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 83 m.w.N.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 62 (48. Lfg. November 2006) m.w.N.; Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 182; Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 148 m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 133 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 289. 19 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 83; Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 148 m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 133. 20 BVerfG, Beschl. v. 08.06.2021 – 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, Rn. 84 m.w.N.;
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
Das Maß der erforderlichen Bestimmtheit richtet sich abseits der oben dargestellten grundlegenden Bestimmtheitsanforderungen nach der Eingriffsintensität und dem betroffenen Regelungsgegenstand sowie dem Regelungszweck der jeweiligen Norm.21 Naturgemäß kann daher die hinreichende Bestimmtheit einer Norm nur für den jeweiligen Einzelfall bestimmt werden. Hierbei gilt: Je grundrechtsrelevanter und belastender eine Norm für die Normadressaten ist, desto bestimmter muss eine Regelung konzipiert sein;22 je geringer die Bedeutung hingegen ist, desto weniger bestimmt muss die entsprechende Vorschrift ausgestaltet sein.23 Hinsichtlich des Regelungsgegenstands ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass die Bestimmtheitsanforderungen umso höher sind, je klarer, übersichtlicher und vorhersehbarer der jeweilige Regelungsgegenstand ist; je vielschichtiger, unübersichtlicher und änderungsintensiver der Regelungsgegenstand jedoch ist, desto geringer ist das erforderliche Maß an Bestimmtheit der Norm.24 Uneinheitlich wird allerdings hinsichtlich des erforderlichen Maßes an Bestimmtheit beurteilt, ob Gesetze derart verständlich formuliert sein müssen, dass Normadressaten (ohne juristische Ausbildung und) ohne Inanspruchnahme juristischer Beratung die Norm verstehen und daraus die Rechtslage ableiten können müssen.25
BVerfGE 149, 393 (324 Rn. 78); BVerfGE 134, 141 (184 f. Rn. 127); Debus, Verweisungen, S. 140 m.w.N.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 61 (48. Lfg. November 2006). Vgl. auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 349 f.; OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 21 Vgl. BVerfGE 156, 11 (44 ff. Rn. 85 ff.); BVerfGE 145, 20 (69 Rn. 125) m.w.N.; BVerfGE 133, 277 (336 f. Rn. 140, 355 f. Rn. 181) m.w.N.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 60 (48. Lfg. November 2006) m.w.N. Vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 83 f. m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 135 m.w.N. 22 BVerfGE 149, 393 (323 f. Rn. 77) m.w.N.; BVerfGE 131, 88 (123) m.w.N.; BVerfGE 86, 288 (311); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 84 m.w.N. Vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 60 (48. Lfg. November 2006); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 182; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 128 f. m.w.N.; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 135 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 289, 291 m.w.N. 23 BVerfGE 131, 88 (123); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 60 (48. Lfg. November 2006). 24 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 60 (48. Lfg. November 2006). Für eine Berücksichtigung der Eigenarten des Regelungsgegenstandes auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 135 m.w.N. 25 Für eine solche Allgemeinverständlichkeit etwa BVerfGE 99, 216 (243) (allerdings für den Sonderfall des Steuerstrafrechts); P. Kirchhof, NJW 2002, 2760 (2760 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 141 m.w.N. Wohl auch Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 151 f. (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). Dagegen etwa BVerfGE 131, 88 (123); BVerfGE 110, 33 (64); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 129; Towfigh, JA 2015, 81 (86).
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
211
B. Verfassungsrechtliche Bewertung Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit besteht ein weitgehender26 Konsens dahingehend, dass dynamische Verweisungen weder schlechthin mit diesen Geboten unvereinbar noch stets mit diesen vereinbar sind.27 Vielmehr komme es auf die Ausgestaltung der Verweisung im konkreten Einzelfall an.28 Unterschiede bestehen in Rechtsprechung und Literatur lediglich hinsichtlich der verschiedenen Kritikpunkte, der aufgestellten Anforderungen für eine Vereinbarkeit mit diesen Geboten sowie der Intensität der geäußerten Bedenken.
I. Vorbemerkung Zunächst ist herauszustellen, dass das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit kein „Recht auf Bequemlichkeit“ in dem Sinne beinhalten, dass der Regelungsgehalt einer Norm bereits mit einem Blick in die entsprechende Norm für die Normadressaten zweifelsfrei erkennbar sein muss. Erforderlich ist lediglich, dass die Rechtslage für die Normadressaten überhaupt erkennbar und die Norm unter Zuhilfenahme juristischer Auslegungsmethoden anwendungs26
Eine Vereinbarkeit gänzlich ablehnend soweit ersichtlich wohl nur Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (70 ff.); Papier, in: FS Lukes, 159 (164 f.). Für normergänzende Verweisungen Marburger, Regeln der Technik, S. 390 f.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912); Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 188; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 49. 27 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (83 ff.); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 343 ff.; Debus, Verweisungen, S. 141 ff.; Dürrschmidt, Verweisungen, S. 14; Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (727); Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36 ff.; Grzeszick, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 54 f. (48. Lfg. November 2006); Guckelberger, ZG 2004, 62 (69 f.); Hill, NJW 1982, 2104 (2107); Hömig, DVBl. 1979, 307 (308) (zu statischen Verweisungen); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 183; Jansen, DÖV 1979, 332 (334); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 91 f.; Karpen, Verweisung, 160 ff.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236 f.); Klindt, DVBl. 1998, 373 (376 f.); Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 149; Krey, EWR 1981, 109 (143 ff.); Manssen, Bauvorschriften, S. 250 f.; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 68 ff.; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 40 f.; Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 4; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 69 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 123a; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289); Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 143 f.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290; Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (253 f.). Besonders unkritisch v. Maydell, ZfS 1973, 69 (71). Siehe auch BVerfGE 153, 310 (342 f. Rn. 78 f.); BVerfGE 143, 38 (55 f. Rn. 42 f.); BVerfGE 141, 143 (176 f. Rn. 75); BVerfGK 17, 273 (287); BVerfGE 47, 285 (311); BVerfGE 26, 338 (367); BVerwG, Urt. v. 21.11.2017 – 5 C 2/16, juris-Rn. 29; BVerwG, NJW 1962, 506 (506). 28 Vgl. nur Debus, Verweisungen, S. 142; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236); Karpen, Verweisung, S. 160.
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
fähig ist.29 Gleichzeitig beinhaltet dieses Grundverständnis des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit allerdings keinen dahingehenden Freibrief für den Normgeber, dass um jeden Preis anderenorts getroffene Regelungen per Verweisung(sanalogie) nutzbar gemacht werden dürfen. Korrekt ist daher zunächst der weithin bestehende Konsens, dass dynamische Verweisungen weder stets mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar noch unvereinbar sind und die Frage der Vereinbarkeit mit diesen Geboten nur für den Einzelfall, d.h. für spezifische Verweisungen, abschließend beantwortet werden kann. Hervorzuheben ist allerdings – und dies wird sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur häufig übersehen –, dass die (dynamische) Verweisungstechnik bei abstrakter Betrachtung mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar ist, da allein die Tatsache, dass überhaupt der Inhalt einer externen Vorschrift in eine andere Regelung inkorporiert wird, nicht per se zu einer unverständlichen oder unbestimmten Regelung führt. Die Vereinbarkeit einer konkreten dynamischen Verweisung mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit hängt also lediglich davon ab, ob diese an sich mit diesen Geboten vereinbare Regelungstechnik auch in verfassungskonformer Weise umgesetzt wurde. Trotz der erforderlichen Einzelfallbetrachtung zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit spezifischer Verweisungen lassen sich einige abstrakte Leitlinien für eine mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbare Umsetzung der dynamischen Verweisungstechnik finden. Hierbei sollen im Folgenden auch die zu dynamischen Verweisungen in der Rechtsprechung und Literatur geäußerten Kritikpunkte und Anforderungen einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
II. Allgemeine Kritikpunkte Sinnvoll erscheint daher zunächst eine Darstellung und Bewertung der in der Literatur vorgebrachten allgemeinen Kritikpunkte an der dynamischen Verweisungstechnik, die unabhängig von einer bestimmten Verweisungsform oder einem speziellen Verweisungsobjekt geäußert werden. 1. Generelle Unbestimmtheit der Verweisungstechnik Kritisiert wird zunächst, dass jede Verweisung die Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der getroffenen Regelung beeinträchtige.30 Denn der Inhalt des Ge-
29
Vgl. hierzu die Nachweise oben unter Kap. 2 § 4 A. Vgl. Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36; Guckelberger, ZG 2004, 62 (69); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (236); Karpen, Verweisung, S. 160 m.w.N.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 69; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 92. In diesem Sinne auch Hömig, DVBl. 1979, 307 (308). 30
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
213
setzes ergebe sich nicht allein aus der Verweisungsnorm, sondern erst aus dem Zusammenwirken von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt.31 Bereits dieser Grundannahme der generellen Beeinträchtigung der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit ist indes zu widersprechen. Zwar mag dies für viele Verweisungen zutreffen. Jedoch lässt sich diese Aussage nicht für die Verweisungstechnik insgesamt generalisieren, da das Zusammenwirken zweier Vorschriften nicht stets unverständlicher ist als die textliche Zusammenfassung einer komplexen Regelung in einer Vorschrift. Erneut ist also festzustellen, dass die Verweisungstechnik nicht stets zu einer Unklarheit der Regelung führt, sondern vielmehr lediglich infolge der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall zu einer solchen Unklarheit oder Unverständlichkeit führen kann. Im Übrigen kann eine Verweisung sogar die Verständlichkeit und Übersichtlichkeit einer Regelung erhöhen.32 Dies gilt gerade für solche Regelungen, bei denen die Zusammenfassung einer Regelung in einer Norm nur mit umfangreichem textlichem Aufwand möglich wäre oder rechtssystematische Zusammenhänge weniger zur Geltung kommen würden. Beispielhaft ist hier die Verweisung des § 28 BGB zu nennen: „Bei einem Vorstand, der aus mehreren Personen besteht, erfolgt die Beschlussfassung nach den für die Beschlüsse der Mitglieder geltenden Vorschriften der §§ 32 und 34.“ Durch diese Verweisung wird im Gegenteil zur textlichen Wiederholung der Vorschriften über die Mitgliederbeschlussfassungen erreicht, dass Mitglieder- und Vorstandsbeschlussfassungen parallelen Regularien unterliegen und dieser rechtssystematische Gleichlauf auch in der Vorschrift über die Beschlussfassung des Vorstands ausgedrückt wird. Gegenüber der textlichen Wiederholung bietet die Verweisungsnorm des § 28 BGB zudem den Vorteil, dass diese deutlich knapper gestaltet werden kann, ohne hierdurch an Klarheit einzubüßen. Die Kenntnisnahme zweier Normen, die vier bzw. sechs Vorschriften später im gleichen Gesetz stehen sowie die Übertragung der Abstimmungsregelungen auf Vorstandsmitglieder, erscheint selbst für Personen ohne juristische Ausbildung ohne Weiteres leistbar. Dieses Beispiel zeigt also anschaulich, dass Verweisungen sogar die Klarheit und Verständlichkeit einer Regelung erhöhen können. Selbst wenn man allerdings davon ausginge, dass Verweisungen stets die Verständlichkeit und Übersichtlichkeit einer Regelung beeinträchtigten, führte dies nicht ohne Weiteres zur Unvereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit,33 da eine solche erst dann vorliegt, wenn die getroffene Regelung im konkreten Einzelfall so unverständlich, fehlerhaft oder un31
Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (727); Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36; Guckelberger, ZG 2004, 62 (69); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 69; L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 92. 32 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 141. Vgl. ansatzweise (für Kettenverweisungen) auch BVerfGE 110, 33 (63); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (253). 33 In diesem Sinne auch OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831); Debus, Verweisungen, S. 141; Hömig, DVBl. 1979, 307 (308); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 92.
214
§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
präzise ausgestaltet ist, dass die Rechtslage nicht mehr erkennbar ist34 – nicht bereits, wenn diese nicht mit einem Blick in die Vorschrift zweifelsfrei ersichtlich ist. Bloße Unbequemlichkeiten für den Normadressaten können allein keinesfalls einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit begründen.35 Ein genereller Verstoß dynamischer Verweisungen gegen diese Prinzipien kann daher jedenfalls nicht angenommen werden. 2. Bedenken aufgrund der Dynamik der Verweisung Teilweise wird vertreten, dass die Bedenken gegen die Verweisungstechnik hinsichtlich einer hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit für dynamische Verweisungen dadurch verstärkt würden, dass diese durch die Inbezugnahme der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts stets das Ermitteln der derzeit geltenden Form erforderlich mache.36 Dies sei Personen ohne juristische Ausbildung unzumutbar.37 Infolge der dynamischen Verweisungstechnik sei die Verweisungsnorm ferner aus dem Grund nicht ausreichend bestimmt, dass der Inhalt der Verweisungsnorm durch die jederzeitige Änderungsmöglichkeit der Verweisungsnorm nicht feststehe, sondern nur einen inhaltlich unbestimmten „abstrakten Geltungsbefehl“ beinhalte.38 Diese Thesen können jedoch aus folgenden Gründen nicht überzeugen: a) Keine (zwingend) gegenüber statischen Verweisungen erschwerte Auffindbarkeit Bereits der Annahme, dass dynamische Verweisungen vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit aus dem Grund noch bedenklicher seien als statische Verweisungen, da stets das Ermitteln der jeweils geltenden Form des Verweisungsobjekts erforderlich sei, kann nicht zugestimmt werden. Denn das Ermitteln der zum Zeitpunkt der Rechtsanwendung geltenden Form des Verweisungsobjekts – im Fall einer dynamischen Verweisung – ist mitunter einfacher als die Ermittlung einer früheren Fassung der entsprechenden Rechtsvorschrift.39 Schließlich ist erfahrungsgemäß nahezu jede (aktuell) in 34
Ähnlich Hömig, DVBl. 1979, 307 (308); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115). L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 92. Vgl. auch OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831); Klindt, DVBl. 1998, 373 (376). 36 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237); Karpen, Verweisung, S. 161; Marburger, Regeln der Technik, S. 391 (zu normergänzenden Verweisungen). 37 Karpen, Verweisung, S. 161. 38 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237). Vgl. auch Karpen, Verweisung, S. 161 f.; Marburger, Regeln der Technik, S. 391 m.w.N. (zu normergänzenden Verweisungen); Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912) (zu normergänzenden Verweisungen); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 49 (zu normergänzenden Verweisungen auf technische Normen). 39 So auch Manssen, Bauvorschriften, S. 250. Ähnlich D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 69. 35
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
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Deutschland geltende Rechtsvorschrift innerhalb weniger Minuten im Wege einer Internetrecherche durch die Eingabe der Bezeichnung des Verweisungsobjekts in eine Suchmaschine auffindbar.40 Auf diese Weise ist also sowohl die Frage, welche Fassung derzeit gilt (und damit maßgeblich ist) sowie, welchen Inhalt die Norm in dieser Fassung hat, einfach aufzuklären. Im Fall einer statischen Verweisung ist zwar genau – in der Regel unter Angabe eines Datums und/oder einer Fundstelle – bezeichnet, welche Fassung des Verweisungsobjekts maßgeblich ist. Ohne die Kenntnisnahme des Inhalts der entsprechenden Fassung ist für den Rechtsanwender hierdurch jedoch nur wenig gewonnen. Die Kenntnisnahme einer früheren Fassung des Verweisungsobjekts – im Fall einer statischen Verweisung – erforderte allerdings, einen nicht mehr geltenden Normtext aufzufinden, was bei einer ggf. fehlenden Fundstellenangabe mitunter ein eingehendes Studium des entsprechenden Verkündungsblattes – welches dann im Übrigen zunächst ermittelt werden müsste – für den Zeitpunkt des Inkrafttretens der früheren Fassung notwendig werden ließe. Folglich ist die Ermittlung der jeweils geltenden Fassung – im Fall einer dynamischen Verweisung – nicht (zwingend) mit größeren Schwierigkeiten verbunden als die Ermittlung (und Kenntnisnahme) einer früheren Fassung der maßgeblichen Rechtsvorschrift(en) im Fall einer statischen Verweisung. b) Keine generelle Unbestimmtheit durch Änderungsmöglichkeit des Verweisungsobjekts Zudem kann trotz der Inbezugnahme der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts nicht behauptet werden, dass eine dynamische Verweisungsnorm dadurch unbestimmt sei und nur einen „abstrakten Geltungsbefehl“ enthalte. Vielmehr ergibt sich bei genauer Betrachtung, dass die durch die Verweisungsnorm getroffene Regelung genauso bestimmt ist, wie diejenige einer statischen Verweisung. Bei beiden Verweisungen wird festgelegt, dass bestimmte Normen in einer bestimmten Fassung angewendet werden sollen. Bei statischen Verweisungen ist dies eine zu einem bestimmten Zeitpunkt inkraftgetretene Fassung; bei dynamischen Verweisungen die zum Zeitpunkt der Anwendung der Norm aktuell geltende Fassung. Beide Verweisungsarten geben jedoch zur Vervollständigung der Regelung der Verweisungsnorm sowohl das Verweisungsobjekt als auch die anzuwendende Fassung desselben vor. Aus diesem Grund kann der dynamischen Verweisungstechnik nicht per se eine unzureichende Bestimmtheit oder Unklarheit vorgeworfen werden.41 Auch aus der Änderungsmöglichkeit des Inhalts des Verweisungsobjekts ergibt sich keine generelle Unbestimmtheit oder Unklarheit der dynamischen Verweisungstechnik.42 Denn zum einen ist die Verweisungsnorm seit ihrem Inkraft40
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 2 C. II. 2. a) aa). Ähnlich Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (727); Klindt, DVBl. 1998, 373 (376); Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 143 f. 42 Krey, EWR 1981, 109 (144). 41
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
treten (wie vorstehend beschrieben) dadurch bestimmt, dass sie die Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts – im obigen Beispiel der §§ 32 und 34 BGB – anordnet und diese Geltungsanordnung unabhängig von etwaigen Änderungen des Verweisungsobjekts unverändert fortbesteht. Lediglich die inhaltliche Ausfüllung der anzuwendenden Vorschriften des Verweisungsobjekts – im obigen Beispiel der §§ 32 und 34 BGB – kann sich ggf. ändern. Auch Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe können jedoch einem inhaltlichen Wandel unterliegen, ohne dass sich daraus stets die Unbestimmtheit dieser Gesetzgebungstechniken ergibt. Gleiches muss dann konsequenterweise auch für den inhaltlichen Wandel des Verweisungsobjekts gelten,43 auch wenn im Fall der dynamischen Verweisung eine tatsächliche Rechtsänderung eintritt und im Fall von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen lediglich eine veränderte Auslegung erfolgt. c) Fehlender Anspruch auf unverändertes Fortbestehen der Rechtslage Zum anderen besteht ohnehin kein Anspruch der Normadressaten auf ein unverändertes Fortbestehen der Rechtslage, sondern sind auch verweisungsfreie Gesetze stetigen Änderungen ausgesetzt.44 Auch abseits der Gesetzgebungstechnik der dynamischen Verweisungen sind die Normadressaten dazu gehalten, sich über gesetzliche Änderungen zu informieren und ihr Verhalten danach auszurichten.45 Nichts anderes kann daher für die Änderung des Verweisungsobjekts gelten, welche mittelbar zu einer Änderung der Verweisungsnorm führt. Ohnehin bleibt schleierhaft, aus welchem Grund die Änderung einer statischen Verweisungsnorm durch ein Änderungsgesetz unter Austausch oder Abänderung des Verweisungsobjekts nicht gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen soll, während dynamische Verweisungen hingegen durch die Änderungsmöglichkeit des Verweisungsobjekts unbestimmt sein sollen. In beiden Fällen wird das Ergebnis der Änderung der Verweisungsnorm durch eine Änderung des Verweisungsobjekts – lediglich rechtstechnisch unterschiedlich – erzielt. 3. Möglichkeit des fehlerhaften Zusammenwirkens von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt Zudem wird teilweise kritisiert, dass es möglich sei, dass die zusammengesetzte Regelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt durch eine Änderung des Verweisungsobjekts inhaltlich nicht mehr aufeinander abgestimmt ist.46
43
Vgl. auch Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (253). Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 147 f.; v. Maydell, ZfS 1973, 69 (71). 45 Vgl. auch Debus, Verweisungen, S. 147; Manssen, Bauvorschriften, S. 251; v. Maydell, ZfS 1973, 69 (71); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 69. 46 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237); Karpen, Verweisung, S. 162. Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 147. 44
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Zwar besteht diese Gefahr durchaus, insbesondere, wenn das Verweisungsobjekt paragraphenmäßig bezeichnet ist und sich die Reihenfolge der Paragraphen innerhalb des Gesetzestexts des Verweisungsobjekts ändert. Allerdings besteht die Gefahr einer fehlenden Abstimmung oder gar Widersprüchlichkeit verschiedener Gesetze auch bei nicht verweisenden Vorschriften. Insbesondere kann die abstrakte Gefahr einer fehlenden Abstimmung von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt jedoch nicht zu einer Unbestimmtheit der dynamischen Verweisungstechnik generell führen,47 sondern allenfalls eine besondere gesetzgeberische Sorgfalt bei der Veränderung des Normenbestands erfordern.
III. Allgemeine Anforderungen an dynamische Verweisungen Für eine Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit lassen sich einige abstrakte (d.h. konstellations- und verweisungsformunabhängige) Anforderungen aufstellen, die auf jede dynamische Verweisung übertragbar sind. Hierbei sollen ebenfalls Ansätze, die bereits in der Rechtsprechung und/oder Literatur formuliert wurden, einbezogen und einer kritischen Prüfung unterzogen werden. 1. Grundvoraussetzung für die Verweisungsnorm Die Grundvoraussetzung jeder dynamischen Verweisung ist, dass die Verweisungsnorm klar erkennen lässt, welche Vorschriften in welchem Umfang in Bezug genommen werden.48 Dies beinhaltet naturgemäß, dass aus der Verweisungsnorm zunächst hinreichend klar hervorgehen muss, dass überhaupt eine Verweisung vorliegt, also der Inhalt externer Vorschriften in die Verweisungsnorm inkorporiert werden soll.49 Bei Missachtung dieser Grundanforderungen ist die Verweisungsnorm bereits nicht anwendungsfähig und verstößt damit gegen das Be47
So auch Debus, Verweisungen, S. 147. Vgl. BVerfGE 153, 310 (342 f. Rn. 78, 80); BVerfGE 143, 38 (55 f. Rn. 42, 44); BVerfGE 141, 143 (176 Rn. 75); BVerfGE 47, 285 (311); BVerfGE 26, 338 (367); BVerfGE 22, 330 (346); BVerwG, Urt. v. 21.11.2017 – 5 C 2/16, juris-Rn. 29; Clemens, AöR 1986, 63 (83 f.); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 362; Debus, Verweisungen, S. 142 m.w.N.; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 55 (48. Lfg. November 2006); Guckelberger, ZG 2004, 62 (69); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 2107; Krey, EWR 1981, 109 (144); Manssen, Bauvorschriften, S. 250; D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 65 f.; Moritz, Verweisung im Gesetz auf Tarifverträge, S. 40; Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035); Papier, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG 12 (1989), 61 (70 f.); Papier, in: FS Lukes, 159 (164); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 92. Ähnlich BVerfGE 8, 274 (302); BVerfGE 5, 25 (31, 33); BVerwG, NJW 1962, 506 (506). Vgl. hierzu auch die anschaulichen Ausführungen des BVerfG zu einer pauschalen Verweisung auf Art. 10 GG einer Landesvorschrift zu Online-Durchsuchungen BVerfGE 120, 274 (315 ff.). 49 BVerwG, Urt. v. 21.11.2017 – 5 C 2/16, juris-Rn. 29; BVerwG, NJW 1962, 506 (506); D. Schneider, Seeschiffe, S. 94. 48
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stimmtheitsgebot. Denn ohne die deutliche Offenbarung im Normtext, dass eine Verweisung vorliegt oder bei fehlender Angabe, auf welche Vorschriften in welchem Umfang Bezug genommen wird – unabhängig davon wie groß dieser Umfang ist –, kann die Verweisungsnorm nicht durch ein Verweisungsobjekt ergänzt werden und bleibt damit inhaltlich unvollständig. 2. Verständlichkeitsmaßstab Teilweise wird weitergehend gefordert, dass die Verweisung so genau und verständlich konzipiert ist, dass die Normadressaten die Verweisungsobjekte und deren Inhalt „ohne besondere Schwierigkeiten“50 bzw. „ohne Zuhilfenahme spezieller Kenntnisse“51 feststellen können. In ähnlicher Weise geht Debus von einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus, wenn „Verweisungen die durchschnittliche Verständnisfähigkeit bei der Normermittlung übersteigen und der Adressat deshalb seine Rechte und Pflichten nicht mehr mit vertretbarem Aufwand ermitteln kann.“52
Dies würde für die Bestimmtheits- und Normenklarheitsanforderungen an Verweisungsnormen das Abstellen auf einen durchschnittlichen Bürger ohne juristische Vorkenntnisse bedeuten. Dieser Maßstab kann jedoch nicht überzeugen. Denn zum einen ginge eine solche Allgemeinverständlichkeit von Rechtsvorschriften zwar nicht zwingend, aber häufig zu Lasten der inhaltlichen Präzision, da von der Verwendung spezifischer Rechtssprache,53 der Schaffung von normübergreifenden Systematiken und detaillierten inhaltlichen Regelungen weitgehend abgesehen werden müsste. Mit einer Vorschrift, die zwar leicht verständlich, aber hinsichtlich des Regelungsgehalts und der inhaltlichen Präzision deutlich reduziert ist, wäre jedoch für das Bestimmtheitsgebot nichts gewonnen. Im Gegenteil: Rechtsvorschriften würden ihrer wichtigsten Aufgabe enthoben, klare und inhaltlich präzise Leitlinien für das Verhalten der Normadressaten vorzugeben. Zum anderen wäre die Forderung, dass jede Person ohne juristische Ausbildung jede Rechtsvorschrift verstehen können muss, nicht nur utopisch, sondern auch inkonsequent. Denn konsequenterweise müsste dieser Gedanke dann auch auf andere Arten der Vorbildung übertragen werden, d.h. bspw. technische Vorschriften müssten ohne technische Expertise oder Vorschriften des Aktien- und Kapitalmarktrechts müssten ohne wirtschaftliche Vorkenntnisse verständlich sein, wenn der Maßstab eine hinreichende Allgemeinverständlichkeit sein soll. Dass dies weder sinnvoll noch umsetzbar ist, bedarf wohl keiner weiteren Begründung. 50
Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36. Ähnlich Hill, NJW 1982, 2104 (2107). Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 149; Krey, EWR 1981, 109 (164). Vgl. auch BVerfGE 110, 33 (64); BVerfGE 5, 25 (33). 52 Debus, Verweisungen, S. 154 f. 53 Vgl. auch Towfigh, JA 2015, 81 (86). 51
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Ferner ist eine Norm nach der zutreffenden und ganz überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit so lange im Einklang, wie sich diese Norm unter Zuhilfenahme juristischer Auslegungsmethoden auslegen lässt.54 Bereits diese zutreffende Interpretation des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit könnte konsequenterweise keinen Bestand mehr haben, wenn auf die Sicht eines juristisch nicht vorgebildeten Normadressaten für eine Vereinbarkeit mit diesen Geboten abgestellt würde. Denn juristische Auslegungsmethoden sind Normadressaten ohne juristische Vorbildung regelmäßig unbekannt und werden noch weniger sicher beherrscht.55 Eine dahingehende Allgemeinverständlichkeit, dass auch Personen ohne juristische Ausbildung jede Vorschrift vollumfänglich erfassen und durchdringen können müssen, ist somit im Ergebnis nicht erforderlich.56 Ausreichend ist es daher, wenn die Normadressaten die Verweisungsobjekte und deren Inhalt zumindest nach Einholung von Rechtsrat feststellen können. 3. Bezeichnung des Verweisungsobjekts Das Verweisungsobjekt muss in der Verweisungsnorm so präzise bezeichnet werden, dass eindeutig erkennbar ist, auf welche Vorschriften verwiesen wird.57 Die Angabe einer Fundstelle für das Verweisungsobjekt ist jedoch nicht erforderlich.58 Dies ergibt sich schon daraus, dass für dynamische Verweisungen die Angabe einer feststehenden Fundstelle naturgemäß nicht möglich ist.59 Allerdings sind die in Bezug genommenen Vorschriften möglichst paragraphenmäßig zu bezeichnen, sodass sich eindeutig ergibt, welche Vorschriften in die Verweisungsnorm inkorporiert werden sollen. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein ganzer Normenkomplex in Bezug genommen werden soll,60 denn dann wäre mit der Auflis-
54
BVerfG, Beschl. v. 08.06.2021 – 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, Rn. 84 m.w.N.; BVerfGE 149, 393 (324 Rn. 78); BVerfGE 134, 141 (184 f. Rn. 127); Debus, Verweisungen, S. 140 m.w.N.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 61 (48. Lfg. November 2006). Vgl. auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 349 f.; OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831). 55 Towfigh, JA 2015, 81 (85). 56 BVerfGE 131, 88 (123); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 129; Towfigh, JA 2015, 81 (86). 57 BVerfGE 153, 310 (343 Rn. 80); BVerfGE 143, 38 (56 Rn. 44); Clemens, AöR 1986, 63 (83 f.); Pabst, NVwZ 2005, 1034 (1035). Ähnlich Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen, S. 70 f.; D. Schneider, Seeschiffe, S. 95. Vgl. auch Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050). 58 Clemens, AöR 1986, 63 (84); Debus, Verweisungen, S. 143; Guckelberger, ZG 2004, 62 (70). In diese Richtung wohl auch BVerfGE 26, 338 (367). A.A. Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 132 für „schwer auffindbare Normen“ und „Verweisungen auf das supranationale Recht“ (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 59 Vgl. nur BVerfGK 17, 273 (287); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115). Siehe im Übrigen bereits oben unter Kap. 2 § 2 C. II. 2. c). 60 Vgl. auch Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (728); Klindt, DVBl. 1998, 373 (376 f.).
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
tung jedes Paragraphen dieses Gesetzestextes für die Bestimmtheit und Klarheit der Verweisungsnorm ohnehin nichts gewonnen. Freilich ist weder die paragrafenmäßige Bezeichnung noch die Angabe des Gesetzes ein zwingendes Erfordernis des Bestimmtheitsgebots, solange sich die in Bezug genommenen Verweisungsobjekte eindeutig ermitteln lassen. Zur erhöhten Bestimmtheit und Normenklarheit sind derartige Bezeichnungen jedoch wünschenswert. Bloß thematische Bezeichnungen der Verweisungsobjekte oder z.B. Verweisungen auf „entgegenstehendes Recht“ oder die „geltenden Regelungen“61 genügen hingegen regelmäßig nicht den Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit der Verweisungsnorm. Denn derartige Verweisungen geben dem Normadressaten auf, gesamte Rechtsbereiche oder gar das gesamte Recht nach passenden Regelungen zu durchforsten, die geeignet sind, die Verweisungsnorm zu vervollständigen.62 Dies hat im Unterschied zu Verweisungen, bei denen zumindest die maßgeblichen Gesetze bezeichnet sind, zur Folge, dass zahlenmäßig nahezu unbegrenzt viele Vorschriften durch die Normadressaten auf eine Anwendbarkeit im Zusammenwirken mit der Verweisungsnorm überprüft werden müssten. Dies erscheint nicht nur praktisch unmöglich, sondern stellte – selbst wenn die entsprechenden Normen unter hohem Aufwand auffindbar wären – nur eine abstrakte Normenhülse ohne eine durch den Gesetzgeber klar festgelegte Regelung dar, sodass derartige Verweisungen regelmäßig gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit verstoßen. Dass das entsprechende Verweisungsobjekt trotz einer derart unspezifischen Bezeichnung in der Verweisungsnorm eindeutig ermittelbar ist und die Verweisungsnorm damit den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sowie dem Gebot der Normenklarheit genügt, erscheint zwar unwahrscheinlich, jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen.63 a) Bedingte Verweisungen Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot liegt auch dann vor, wenn die Verweisungsnorm nur eine bedingte Verweisung, d.h. nicht für alle, sondern nur für bestimmte Fälle, anordnet und die Frage, ob ein solcher Fall vorliegt, komplexe inhaltliche Bewertungen erfordert, sodass aus der Verweisungsnorm nicht hinreichend klar hervorgeht, ob und unter welchen Voraussetzungen das Verweisungsobjekt anzuwenden ist.64 Auch in diesem Fall legt die Verweisungsnorm
61
So die Verweisungen der §§ 7 Abs. 1 S. 1, 72 Abs. 2 S. 6 HG NRW 2006 und § 7 Abs. 1 S. 1 HG NRW 2014 im Fall BVerfGE 141, 143 (149 f. Rn. 12, 174 Rn. 69). 62 A.A. offenbar Debus, Verweisungen, S. 150, der davon ausgeht, dass derart pauschale Verweisungen sogar die Verständlichkeit erhöhen können. 63 Denkbar wäre etwa, dass die Verweisung auf Regelungen eines bestimmten Rechtsbereichs erfolgt, der jedoch lediglich durch wenige Gesetze ausgestaltet wird, sodass nur eine geringe Anzahl an Vorschriften überhaupt als Verweisungsobjekt in Betracht kommt. 64 Vgl. BVerfGE 120, 274 (315 ff.) zu einer pauschalen Verweisung auf Art. 10 GG einer Landesvorschrift zu Online-Durchsuchungen, nach welcher bestimmte Maßnahmen „nur unter den Voraussetzungen des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz zulässig“ waren, wenn „sol-
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nämlich keine inhaltlich konkreten Anforderungen für das Verhalten der Normadressaten mehr fest und macht nicht nur die Rechtsanwendung, sondern vielmehr bereits die Rechtsermittlung, d.h. die Frage, welche Regelung überhaupt gilt, von komplexen inhaltlichen Wertungen abhängig. Im Übrigen bestünde dadurch das Risiko, dass zwischen den verschiedenen Rechtsanwendern erhebliche Divergenzen darüber entstünden, welche Normen überhaupt gelten, was erneut verdeutlicht, dass in einem solchen Fall keine Rede mehr von einer inhaltlich klaren und bestimmten Regelung des Gesetzgebers sein kann. b) Erhöhte Anforderungen im grundrechtsrelevanten Bereich Mit steigender Grundrechtsrelevanz erhöhen sich zudem die Bestimmtheitsanforderungen an die Verweisungsnorm.65 Nicht nur die getroffene inhaltliche Regelung in der Verweisungsnorm, sondern auch die Präzision hinsichtlich der Bezeichnung des Verweisungsobjekts unterliegt dann gesteigerten Bestimmtheitsanforderungen, um die Auswirkungen der getroffenen Gesamtregelung auf die Grundrechte möglichst zweifelsfrei erkennbar zu machen. Insbesondere bei einer solchen Grundrechtsrelevanz darf eine Verweisung oder das Zusammenwirken mehrerer Verweisungen auch nicht derart unklar sein, dass ein erhebliches Fehlerrisiko bei der Rechtsanwendung durch die Verwaltung besteht.66 Denn gerade im grundrechtsrelevanten Bereich müssen der Verwaltung klare und inhaltlich präzise gesetzliche Leitlinien vorgegeben werden. c) Erfordernis der „Begrenzung“ der Verweisung? Teilweise wird angenommen, dass eine Verweisungsnorm generell nur dann hinreichend bestimmt sei, wenn diese „Inhalt und Reichweite der Verweisung klar begrenzt“.67 In ähnlicher Weise konstatiert Krey, dass eine Verweisung jedenfalls dann vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot ist, wenn diese
che Maßnahmen einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis darstellen bzw. in Art und Schwere diesem gleichkommen“. 65 Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 149. Dieses Problem stellt sich freilich nur dann, wenn keine wesentliche Angelegenheit vorliegt und kein spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalt besteht, da in diesem Fall dynamische Verweisungen bereits wegen eines Verstoßes gegen das Demokratieprinzip unzulässig sind, siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 2. c) aa) und Kap. 2 § 1 C. I. 8. 66 Vgl. BVerfGE 110, 33 (57, 61 ff.). Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 153 (ohne grundrechtlichen Bezug); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 54 (48. Lfg. November 2006); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 143. Ähnlich BVerfGE 131, 88 (123). 67 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290. Ähnlich Ehricke/ Blask, JZ 2003, 722 (727); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (253) (für dynamische Fremdverweisungen unter Übertragung der Anforderungen für Verordnungsermächtigungen).
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
„die wesentlichen Entscheidungen über die Regelungsmaterie selbst trifft und einer mit zumutbarem Aufwand auffindbaren bezogenen Norm der Sache nach lediglich die Konkretisierung im Detail überläßt“.68
Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Eine derartige Begrenzung ist allenfalls vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips angezeigt.69 Für das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit genügt es jedoch, wenn sich aus der Verweisungsnorm und dem Verweisungsobjekt eine hinreichend bestimmte und klare Regelung ergibt, die unter Zuhilfenahme der juristischen Auslegungsmethoden anwendbar ist, unabhängig davon, welchen inhaltlichen Regelungsgehalt die Verweisungsnorm selbst aufweist. Zwar kann eine Begrenzung der Verweisung auch dazu dienen, das Ausmaß der getroffenen Regelung erkennbarer zu machen und damit zur Normenklarheit und -bestimmtheit beitragen. Eine solche Begrenzung der Verweisungsnorm ist allerdings keine notwendige Bedingung für eine hinreichend klare und bestimmte Regelung. Solange die getroffene Regelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt unter Wahrung der oben dargestellten Anforderungen anwendungsfähig ist, kann eine Verweisungsnorm auch ohne eine solche Begrenzung hinreichend klar und bestimmt sein. Obgleich eine Übernahmelimitierung vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips notwendig ist,70 ergibt sich dieses Erfordernis jedenfalls nicht aus dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit. 4. Bestimmtheit und Klarheit des Verweisungsobjekts sowie der zusammengesetzten Regelung Neben der Verweisungsnorm muss auch das Verweisungsobjekt selbst inhaltlich hinreichend klar und bestimmt sein, da dieses in die Verweisungsnorm inkorporiert und damit Teil der getroffenen Regelung der Verweisungsnorm wird.71 Eine Unbestimmtheit des Verweisungsobjekts schlüge dementsprechend auf die Verweisungsnorm durch und würde auf diese Weise die Gesamtregelung unbestimmt werden lassen.72 Für die Bestimmtheit des Verweisungsobjekts selbst gelten die verweisungsunspezifischen „allgemeinen“ Bestimmtheitsanforderungen für 68
Krey, EWR 1981, 109 (144) zu Fremdverweisungen. Ähnlich D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 69 f. 69 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) bb). 70 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. I. 8. b) bb). 71 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 366 f.; Debus, Verweisungen, S. 151; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 VII. Rn. 55 (48. Lfg. November 2006) m.w.N.; Krey, EWR 1981, 109 (163); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 65. Vgl. auch BVerfGE 153, 310 (342 Rn. 78) (zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG); BVerfGE 143, 38 (57 Rn. 46) (zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG); Guckelberger, ZG 2004, 62 (70); Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 107 (zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 72 Guckelberger, ZG 2004, 62 (70); Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 107 (zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). In diesem Sinne auch BVerwGE 121, 382 (387); Debus, Verweisungen, S. 142 m.w.N.
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Rechtsnormen.73 Dies ergibt sich schon daraus, dass das Verweisungsobjekt regelmäßig nicht originär als solches geschaffen wird und neben seiner Funktion als Verweisungsobjekt eine von der Verweisung losgelöste, eigenständige Regelung außerhalb des Anwendungsbereichs der Verweisungsnorm enthält. Ferner wird das Verweisungsobjekt häufig von einem anderen Normgeber stammen als die Verweisungsnorm, sodass die nachträgliche Inbezugnahme der Vorschriften des Verweisungsobjekts dem Normgeber desselben keine spezifischen Bestimmtheitsoder Klarheitsanforderungen aufbürden kann. Lediglich wenn das Verweisungsobjekt seinerseits weiterverweist, muss dieses die vorstehend beschriebenen74 Anforderungen an eine Verweisungsnorm erfüllen, da das Verweisungsobjekt dann ebenfalls zu einer Verweisungsnorm wird. Neben der Verweisungsnorm und dem Verweisungsobjekt an sich muss allerdings auch die zusammengesetzte Norm aus Verweisungsnorm und inkorporiertem Verweisungsobjekt eine hinreichend bestimmte und inhaltlich klare Regelung ergeben.75 Wenn zwar die Verweisungsnorm und das Verweisungsobjekt für sich genommen bestimmt und klar sind, das Verweisungsobjekt die Verweisungsnorm inhaltlich aber offensichtlich nicht oder nicht sinnvoll ergänzen kann, ergibt das Zusammenwirken von Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt keine anwendungsfähige Regelung, sodass ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vorliegt.76 Dies gilt im Übrigen für die gesamte infolge der Verweisungsnorm getroffene Regelung, d.h. auch etwaige Weiterverweisungen des Verweisungsobjekts müssen für die zusammengesetzte Regelung berücksichtigt werden, den vorstehend dargestellten Anforderungen für Verweisungsnormen und Verweisungsobjekte genügen und sich zu einer inhaltlich bestimmten und klaren Gesamtregelung zusammensetzen lassen.
IV. Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen Teilweise wird zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen differenziert und normergänzende Verweisungen (unter Berufung auf die zuvor dargestellten Kritikpunkte)77 als mit dem Bestimmtheitsgebot bzw. dem Gebot der Normenklarheit unvereinbar,78 normkonkretisierende Verweisungen 73
Vgl. oben unter Kap. 2 § 4 A. Siehe oben unter Kap. 2 § 4 B. III. 75 Debus, Verweisungen, S. 151, 153; Guckelberger, ZG 2004, 62 (70); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (115); D. Schneider, Seeschiffe, S. 92; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 107 f. (zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 76 Debus, Verweisungen, S. 151; Guckelberger, ZG 2004, 62 (70). Vgl. auch Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 107 f. (zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 77 Vgl. die Argumente und Nachweise unter Kap. 2 § 4 B. II. 78 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 390 f.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912); Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 49. 74
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
hingegen als mit diesen Geboten vereinbar angesehen.79 Denn durch die Bezugnahme auf den „Stand der Technik“ (o.Ä.) sei der Inhalt bei normkonkretisierenden Verweisungen „abschließend festgelegt“.80 Die zusätzliche Inbezugnahme von Normen, bei deren Einhaltung die Erfüllung der abstrakt formulierten Anforderungen (etwa des Standes der Technik) vermutet wird, ändere hieran nichts.81 Wenn Generalklauseln dem Bestimmtheitsgebot genügten, müsse dies auch für normkonkretisierende Verweisungen gelten.82 Eine Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen erscheint jedoch für die Problematik der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit wenig sinnvoll. Insbesondere kann nicht behauptet werden, dass normergänzende Verweisungen stets mit diesen Geboten unvereinbar und normkonkretisierende Verweisungen stets mit diesen Geboten vereinbar sind. Solange normergänzende Verweisungen – die sich von „normalen“ konstitutiven Verweisungen ohnehin nur terminologisch unterscheiden – den zuvor beschriebenen Anforderungen genügen, sind diese wie gezeigt mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar. Auch der Annahme, dass normkonkretisierende Verweisungen stets mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar seien, ist in dieser Pauschalität zu widersprechen. Zwar ist zutreffend, dass die normkonkretisierende Verweisung angesichts ihrer Regelungstechnik der Inbezugnahme von Rechtsnormen per widerleglicher Vermutung hinsichtlich anderer Verfassungsgebote (insbesondere des Demokratieprinzips) weniger bedenklich sind als normergänzende Verweisungen. Aus welchem Grund dies allerdings für das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit gelten soll, erscheint schleierhaft. Obgleich die normkonkretisierende Verweisung lediglich einen Vorteil für die Normadressaten schafft, indem sie diesen die Möglichkeit eröffnet, die abstrakt formulierten Anforderungen – etwa den „Stand der Technik“ – durch die Befolgung der Regelung des Verweisungsobjekts (widerleglich vermutet) zu erfüllen,83 entfaltet die Norm eine Rechtswirkung – nämlich die Vermutungswirkung. Auch wenn den abstrakt formulierten Anforderungen wie dem „Stand der Technik“ auch ohne Befolgung der Regelung des Verweisungsobjekts genügt werden kann, stellt die Norm also eine eigene rechtlich relevante Regelung auf und muss daher ebenfalls den Anforderungen an eine Verweisungsnorm genügen. Dementsprechend sind auch normkonkretisierende Verweisungen an den zuvor aufgestellten Anforderungen an Verweisungsnormen zu messen und bei einem Verstoß gegen diese verfassungswidrig.
79
Marburger, Regeln der Technik, S. 405; Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). Marburger, Regeln der Technik, S. 405. Ähnlich Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). 81 Marburger, Regeln der Technik, S. 405. Ähnlich Müggenborg, NVwZ 1990, 909 (912). 82 Marburger, Regeln der Technik, S. 405 f. 83 Zur Technik der normkonkretisierenden Verweisung vgl. oben unter Kap. 1 § 2 C. V. 2.
80
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
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V. Bedenken gegen bestimmte Verweisungsformen Insbesondere gegen bestimmte Formen dynamischer Verweisungen werden vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. 1. Kettenverweisungen Vor allem Kettenverweisungen werden häufig hinsichtlich dieser Gebote kritisiert.84 Bei derartigen Verweisungen sei bereits fraglich, ob der Aufwand, die getroffene Regelung aufzufinden, für den Normadressaten noch zumutbar sei.85 Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, wie zugänglich das Verweisungsobjekt ist und wie weit dieses hinsichtlich des Rechtsgebiets, der Art der Norm und des Normgebers „rechtssystematisch entfernt ist“.86 Kettenverweisungen beinhalteten zudem die Gefahr logischer und inhaltlicher Fehler sowie der Unverständlichkeit der durch die Kettenverweisung zusammengesetzten Norm.87 Bei einer Kettenverweisung hänge es daher mitunter vom Zufall ab, ob die geschaffene Regelung richtig zusammengesetzt werde.88 Verweisungsketten mit mehr als fünf Gliedern (bzw. mehr als drei Gliedern „bei komplexen Bezugnahmen“) seien daher zugunsten der Verständlichkeit zu unterlassen.89 a) Keine generelle Unbestimmtheit oder Unklarheit Hinsichtlich der Kritik, dass der Aufwand der Zurkenntnisnahme einer Verweisungskette für die Normadressaten unzumutbar sei, ist jedoch erneut anzumerken, dass bloße Bequemlichkeitsargumente keine Unbestimmtheit oder Unklarheit einer Norm begründen können,90 sondern vielmehr maßgeblich ist, ob die Rechtslage noch erkennbar und die Norm unter Zuhilfenahme juristischer Auslegungsmethoden anwendungsfähig ist. Dies kann jedenfalls auch für Kettenverweisungen nicht pauschal verneint werden,91 mag diese Verweisungstechnik auch aus dem Grund bedenklicher sein und größerer gesetzgeberischer Sorgfalt
84
Vgl. Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 368; Debus, Verweisungen, S. 133 ff.; Fuss, in: FS Paulick, 293 (297 f.); Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237); Karpen, Verweisung, S. 163; Krey, EWR 1981, 109 (161 ff.) (am Beispiel eines Regierungsentwurfs zum Weinrecht); Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 134 f. (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 85 Vgl. Fuss, in: FS Paulick, 293 (297 f.). 86 Fuss, in: FS Paulick, 293 (297 f.). 87 Debus, Verweisungen, S. 154. 88 Debus, Verweisungen, S. 154; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 134 f. (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 89 Debus, Verweisungen, S. 154; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 134 (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 90 Vgl. bereits oben unter Kap. 2 § 4 B. I. 91 So im Ergebnis auch Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 366.
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
bedürfen, dass nicht lediglich zwei, sondern mehrere Normen für die Ermittlung der Gesamtregelung zur Kenntnis zu nehmen und zusammenzufügen sind. Auch, dass es mitunter vom Zufall abhänge, ob die Verweisungskette richtig zusammengesetzt werde, trifft in dieser Pauschalität nicht zu. Zwar ist das Risiko im Vergleich zu einer „normalen“ Verweisung mit zwei Gliedern in der Tat erhöht, da mehrere Vorschriften zusammenwirken. Allerdings sind bei der Wahrung der zuvor dargestellten Anforderungen an Verweisungsnormen und Verweisungsobjekte, insbesondere der präzisen Bezeichnung der Verweisungsobjekte und des Umfangs der Inbezugnahme, auch Verweisungsketten denkbar, die zweifelsfrei zusammengefügt werden können. Gleiches gilt im Übrigen für die Begrenzung auf drei bzw. fünf Glieder in einer Verweisungskette. Eine solche zahlenmäßige Begrenzung lässt sich dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit nicht entnehmen; vielmehr kommt es lediglich auf die Erkennbarkeit der Rechtslage und die Anwendungsfähigkeit der geschaffenen Regelung an. Dies erscheint jedoch auch bei längeren Verweisungen nicht ausgeschlossen, wenn die einzelnen Verweisungen der Verweisungskette hinreichend präzise ausgestaltet sind. Allerdings erhöhen sich die Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit der Verweisungsnorm(en) mit zunehmender Länge der Verweisungskette.92 Gegen eine generelle Ablehnung von Kettenverweisungen spricht zudem, dass Rechtsnormen durch die heute bestehenden Möglichkeiten des Internets deutlich einfacher auffindbar und einsehbar sind, sodass auch längere Verweisungsketten bei einer hinreichend klaren Bezeichnung der Verweisungsobjekte innerhalb weniger Minuten aufgeschlüsselt werden können.93 b) Übermäßige Länge und/oder Komplexität der Verweisung Allerdings kann die geschaffene Regelung einer Kettenverweisung – und damit die Ausgangsverweisungsnorm –, auch wenn alle Normen einer Kettenverweisung für sich genommen bestimmt sind, dann gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit verstoßen, wenn eine so umfangreiche und/oder komplexe Verweisungskette geschaffen wird, dass die Gesamtregelung undurchsichtig und nicht mehr eindeutig ermittelbar ist.94 Sowohl eine übermäßige Länge der Verweisungskette, als auch eine übermäßige Komplexität95 und insbesondere die Kombination dieser beiden Aspekte kann zu einer unzureichenden Bestimmtheit und Klarheit der Verweisungskette führen.96 Zahlenmäßige Beschränkungen oder andere quantifizierbare Kriterien bestehen insoweit
92
Vgl. Debus, Verweisungen, S. 156. Ähnlich Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 366. 94 Debus, Verweisungen, S. 153; Guckelberger, ZG 2004, 62 (70). In diese Richtung auch BVerfGE 110, 33 (61 ff.). 95 Etwa durch zahlreiche bedingte Weiter- und Rückverweisungen. 96 Debus, Verweisungen, S. 153 f. 93
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
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allerdings nicht, sondern die hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der geschaffenen Regelung ist für den Einzelfall zu beurteilen. Auch das BVerfG geht davon aus, dass weitreichende und komplexe Kettenverweisungen, die „den Charakter von Kaskaden annehmen“, zu einer mangelhaften Bestimmtheit und Klarheit der Verweisungsnorm führen.97 Der Inhalt der Regelung sei für die Normadressaten in diesem Fall kaum erkennbar.98 Jüngst konkretisierte das BVerfG diese Rechtsprechung, indem es feststellte: Sechsgliedrige „Verweisungen überschreiten das verfassungsrechtlich zulässige Maß.“99 Offenbar sieht das Gericht die aus dem Prinzip der Normenklarheit folgende verfassungsrechtlich zulässige Obergrenze für Verweisungsketten bei maximal fünf Verweisungsgliedern. Eine solche starre Betrachtungsweise ist jedoch bereits aus dem Grund abzulehnen, dass sich die Komplexität einer Verweisungskette je nach Verweisungsobjekten erheblich unterscheiden kann. Etwa wenn eine Verweisungskette nur innerhalb eines Gesetzes erfolgt, dürften aus der Perspektive der Normenklarheit auch gegen umfangreiche Verweisungsketten mit mehr als fünf Gliedern keine Bedenken bestehen. Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung des bereits zuvor dargelegten Verständlichkeitsmaßstabs, der keine Allgemeinverständlichkeit erfordert. Nach hiesiger Auffassung kann eine zahlenmäßige Grenze also nicht festgelegt werden, sondern ist sich die verfassungsrechtliche Bewertung anhand des Bestimmtheitsgebots sowie des Gebots der Normenklarheit anhand der Komplexität der Verweisungskette im Einzelfall vorzunehmen. Bedenken gegen Kettenverweisungen bestehen insbesondere dann, wenn diese mit anderen besonderen Verweisungstechniken (bspw. Verweisungsanalogien) kombiniert werden,100 da dann nicht nur die Verweisungskette selbst nachzuvollziehen und zusammenzufügen ist, sondern auch die entsprechenden Anpassungen (etwa die sinngemäße Anwendung) bei der Ermittlung der Gesamtregelung durchzuführen sind, was zu einer erheblichen Steigerung der Komplexität der Verweisungskette führen kann.
97
Vgl. BVerfGE 110, 33 (62 ff.) anhand einer Verweisung im Außenwirtschaftsgesetz, bei welcher diese Schwelle erreicht war. Vgl. auch BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 391; BVerfG, Beschl. v. 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, Rn. 148 m.w.N. Zustimmend wohl auch Ogorek, NJW 2022, 1570 (1572). 98 Vgl. BVerfGE 110, 33 (64). Debus, Verweisungen, S. 153 f. spricht für derartige Verweisungen sogar davon, dass ein Verständnis in einem solchen Fall aus „psycho-biologischen Gründen“ unmöglich und eine „absolute Verständnisgrenze“ erreicht sei. 99 BVerfG, Urt. v. 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 391. 100 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 155 f. m.w.N. unter Auflistung verschiedener Verweisungstechniken und -fehler.
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
2. Globalverweisungen Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit werden auch für Globalverweisungen vorgebracht.101 Diese Bedenken werden selbst dann geäußert, wenn zwar der in Bezug genommene Normenkomplex klar bezeichnet ist, aber die konkret anzuwendenden Vorschriften nicht eindeutig ermittelbar sind.102 Diesen Bedenken kann jedoch nicht (generell) zugestimmt werden.103 Zwar sind Globalverweisungen ihrer Natur nach insoweit unbestimmter, als dass nicht die spezifisch anzuwendenden Paragraphen bezeichnet werden. Eine hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der Verweisung ergibt sich jedoch in der Regel daraus, dass die möglicherweise einschlägigen Normen durch die Bezeichnung des Normenkomplexes zahlenmäßig begrenzt sind, sodass die konkret einschlägigen Normen regelmäßig unschwer aufzufinden sind. Lediglich rein thematische Bezeichnungen, abstrakte Verweisungen auf das geltende Recht oder ganze Rechtsbereiche genügen häufig nicht dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit.104 Ferner übersieht die geäußerte Kritik, dass eine Globalverweisung insoweit häufig alternativlos ist, als dass unmöglich in einer einzigen Norm ein ganzer Normenkomplex textlich repliziert werden kann und daher nur durch die Verwendung der Globalverweisungstechnik die angestrebte Regelung abgebildet werden kann. Dementsprechend sind auch Globalverweisungen nicht generell unvereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit. 3. Verweisungsanalogien Bedenken werden auch gegen Verweisungsanalogien geäußert, insbesondere, wenn diese nicht spezifizieren, wie die entsprechende Anwendung des Verweisungsobjekts erfolgen soll.105 Denn derartige Regelungen seien für den Bürger „orakelhaft“ und verstießen daher gegen das Bestimmtheitsgebot.106 In diesen 101 Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (85); Debus, Verweisungen, S. 150; Guckelberger, ZG 2004, 62 (70); Orth, in: Gärditz, VwGO, § 173 Rn. 4; Schulz/Tischer, NVwZ 2014, 1049 (1050). Vgl. auch BVerfGE 5, 25 (31 ff.) zu einer (statischen) Globalverweisung von Bundesrecht auf Landesrecht und BVerfGE 141, 143 (174 Rn. 69 f.) zu einer pauschalen Verweisung auf die „geltenden Regelungen“ zur Akkreditierung von Studiengängen. 102 Clemens, AöR 1986, 63 (85). 103 Im Ergebnis auch für die Zulässigkeit von Globalverweisungen Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (728). 104 Hierzu bereits oben unter Kap. 2 § 4 B. III. 3. 105 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237); Karpen, Verweisung, S. 164 ff. Kritisch gegenüber der Verweisungsanalogie auch Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 133 (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). Vgl. auch Debus, Verweisungen, S. 143, 152. 106 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (237); Karpen, Verweisung,
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Fällen könne nur ein Jurist feststellen, welche Regelung gegenüber dem Bürger gelten solle.107 Noch weitergehend geht Falk davon aus, dass eine genaue Textfeststellung bei einer Verweisungsanalogie „im Grunde nicht mehr möglich“ sei, da der Text des Verweisungsobjekts nicht unverändert übernommen werde.108 Vielmehr müsse stets erst geprüft werden, in welcher Form das Verweisungsobjekt abgeändert werden muss.109 Dazu müsse der Rechtsanwender erst „den gesamten Normenkomplex in seiner direkten, nicht veränderten Form erfassen“, um das Verweisungsobjekt entsprechend modifizieren zu können.110 Verweisungsanalogien seien nur dann hinreichend bestimmt möglich, wenn zwischen der Verweisungsnorm und dem „entsprechend“ anzuwendenden Verweisungsobjekt tatsächlich eine hinreichende Ähnlichkeit besteht.111 Auch Verweisungsanalogien können jedoch nicht als stets unbestimmt bzw. unklar abgetan werden,112 obgleich der Verweis auf die „entsprechende“ oder „sinngemäße“ Anwendung des Verweisungsobjekts eine gewisse Transferleistung des Normadressaten erfordert. Dass hieraus eine generelle Unzulässigkeit folgt, kann jedoch schon aus dem Grund nicht behauptet werden, dass auch die „entsprechende“ oder „sinngemäße“ Anwendung regelmäßig unter Zuhilfenahme juristischer Auslegungsmethoden ermittelbar ist. Häufig ergibt sich die vorzunehmende Anpassung schon aus dem Kontext bzw. den zwischen Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt bestehenden Unterschieden. Sofern die Rechtslage jedoch zumindest im Wege der Auslegung erkennbar und die Verweisungsnorm anwendbar ist, verstößt diese nicht gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit. Dass derartige Rechtsanwendungskenntnisse regelmäßig nur von Juristen erwartet werden können, ist unschädlich; ausreichend ist es, wenn die Normadressaten den Inhalt der getroffenen Regelungen ggf. nach Einholung von Rechtsrat erkennen können.113 Höhere gesetzgeberische Präzision bei der Normierung einer Verweisungsanalogie – z.B. durch eine Angabe, wie die „entsprechende“ Anwendung erfolgen soll – ist allerdings regelmäßig dann geboten, wenn Verweisungsanalogien mit anderen besonderen Verweisungstechniken (etwa Globalverweisungen) kombiniert werden,114 da in diesem Fall insbesondere die Verständlichkeit der Verweisung durch die Kombination zweier besonderer Verweisungstechniken deutlich vermindert sein kann. S. 166. Vgl. auch H. Müller, Gesetzgebungstechnik, S. 179 f. (allerdings ohne direkten Bezug zum Bestimmtheitsgebot). 107 Karpen, Verweisung, S. 166. 108 Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36. 109 Debus, Verweisungen, S. 152 m.w.N.; Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 36. 110 Debus, Verweisungen, S. 152; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 133 m.w.N. (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 111 Karpen, Verweisung, S. 166. 112 So auch Debus, Verweisungen, S. 152; Karpen, Verweisung, S. 166. 113 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 4 B. III. 2. 114 Vgl. auch Falk, Anwendung der ZPO und des GVG, S. 37. Vgl. im Übrigen schon die Ausführungen unter Kap. 2 § 4 B. V. 1. b).
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§ 4 Vereinbarkeit mit Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit
Dass eine Verweisungsanalogie jedoch – selbst bei der Kombination mit einer Globalverweisung – hinreichend klar und bestimmt ausgestaltet sein kann, zeigt das Beispiel des § 173 VwGO, welcher anordnet: „Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.“
Durch diese Verweisung wird per Globalverweisung und Verweisungsanalogie auf die ZPO sowie das GVG verweisen. Jedoch werden hierbei zusätzliche Maßgaben zur „entsprechend[en]“ Anwendung der ZPO und des GVG vorgegeben und einige Vorschriften von der Globalverweisung ausgenommen. Daneben ergibt sich die notwendige Anpassung für die „entsprechende[e]“ Anwendung der in Bezug genommenen Vorschriften schon aus dem Kontext, nämlich der Anpassung originär zivilprozessrechtlicher Vorschriften an das Verwaltungsprozessrecht und dessen Besonderheiten. Durch die angeordnete Verweisung und den bestehenden Kontext lassen sich die in Bezug genommenen Vorschriften daher nahezu zweifelsfrei anwenden. Nicht zuletzt durch dieses Beispiel wird daher deutlich, dass auch die Verweisungsanalogie nicht generell gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit verstößt. 4. Verweisungen auf Unionsrecht Als verfassungsrechtlich problematisch werden teilweise auch Verweisungen auf das Unionsrecht wegen der Verbindung zweier Rechtsordnungen klassifiziert.115 Infolge dieses Zusammenwirkens von nationalem Recht und Unionsrecht dürften derartige Verweisungen „nicht zu lang sein und zu einem unzumutbaren Aufwand zum Erkennen der Gesetzeslage beim Normadressaten führen“.116 Zwar bedeute eine dynamische Verweisung auf Unionsrecht nicht per se eine Unbestimmtheit der Verweisung; allerdings sei das europäische Recht in weiten Teilen
115
Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 401 Vgl. auch Krey, EWR 1981, 109 (149) (noch zum EWG-Recht). Kritisch zu einer Verweisung auf Verordnungen des EGRechts BVerfGE 110, 33 (62 f.). Bedenken äußernd auch Dürrschmidt, Verweisungen, S. 51; Schnell, Verweisungsbedingte Normkomplexität, S. 151 (allerdings zum speziellen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG). 116 Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 401.
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„selbst für Rechtskundige kaum noch übersichtlich“, sodass regelmäßig ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vorliege.117 Das Unionsrecht ist jedoch mittlerweile in weiten Teilen mit dem nationalen Recht verwoben und fester Bestandteil der in Deutschland geltenden Rechtsordnung geworden.118 Spätestens seit der amtlichen elektronischen Publikation des Unionsrechts bei EUR-Lex119 ist das Unionsrecht auch unkompliziert einsehbar und transparent.120 Dementsprechend bestehen hinsichtlich der Beurteilung dynamischer Verweisungen auf das Unionsrecht gegenüber der Verweisung auf nationales Recht keine Besonderheiten.121 Sofern die Verweisung die vorstehend beschriebenen Anforderungen an dynamische Verweisungen beachtet, kann ohne Weiteres auch auf das Unionsrecht verwiesen werden, ohne dass sich hieraus ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit ergibt.122
VI. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass dynamische Verweisungen nicht per se gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit verstoßen. Vielmehr ist die dynamische Verweisungstechnik an sich mit diesen Geboten vereinbar, kann jedoch für einzelne Verweisungen unbestimmt oder unklar umgesetzt worden sein. Die Grundvoraussetzung für eine mit diesen Geboten vereinbare Ausgestaltung dynamischer Verweisungen ist, dass die Verweisungsnorm klar erkennen lässt, welche Vorschriften in welchem Umfang in Bezug genommen werden. Das Verweisungsobjekt muss in der Verweisungsnorm so präzise bezeichnet werden, dass eindeutig erkennbar ist, auf welche Vorschriften verwiesen wird. Die Angabe einer Fundstelle ist hierbei nicht erforderlich. Neben der Verweisungsnorm müssen auch das Verweisungsobjekt sowie die zusammengesetzte Gesamtregelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt(en) hinreichend klar und bestimmt sein. Ausreichend ist es allerdings, wenn die Normadressaten die Verweisungsobjekte und deren Inhalt zumindest nach Einholung von Rechtsrat feststellen können. Bei einer diesen Anforderungen entsprechenden Ausgestaltung sind auch Kettenverweisungen, Globalverweisungen, Verweisungsanalogien und Verweisungen auf das Unionsrecht mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar. 117
Krey, EWR 1981, 109 (148) (noch zum EWG-Recht). Vgl. BVerfGE 153, 310 (342 Rn. 78); BVerfGE 143, 38 (55 f. Rn. 42); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 401. 119 www.eur-lex.europa.eu (zul. abger. am 02.07.2023). 120 Vgl. Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 401 f. 121 BVerfGE 153, 310 (342 f. Rn. 78, 81); BVerfGE 143, 38 (55 ff. Rn. 42, 45). 122 Für die Zulässigkeit von Verweisungen auf Unionsrecht auch BVerfGE 153, 310 (342 Rn. 78); BVerfGE 143, 38 (55 f. Rn. 42); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 402; Klindt, DVBl. 1998, 373 (379) (noch zum EG-Recht). 118
§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip Als weitere zu überprüfende Hürde hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dynamischer Verweisungen stellt sich schließlich das Gewaltenteilungsprinzip. Die Problematik der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Gewaltenteilungsprinzip weist insoweit eine gewisse Verwandtschaft zur Frage der Vereinbarkeit dieser Gesetzgebungstechnik mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auf, als dass der Ausgangspunkt dieser Diskussion erneut die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen vom parlamentarischen Gesetzgeber auf andere Organe ist. Dementsprechend wird teilweise davon ausgegangen, dass die Erwägungen zum Demokratieprinzip auf die Vereinbarkeitsprüfung von dynamischen Verweisungen mit dem Gewaltenteilungsprinzip zu übertragen seien.1 Ferner wird das Gewaltenteilungsprinzip teilweise nicht nur im Hinblick auf eine unzulässige Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen der Legislative auf die Exekutive diskutiert, sondern auch hinsichtlich einer unzulässigen Übertragung auf nichtstaatliche Institutionen2 oder die Europäische Union3 für einschlägig befunden. Die Berechtigung dieser Thesen sowie die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Gewaltenteilungsprinzip soll nachfolgend geprüft werden.
A. Verweisungsrelevante Gehalte des Gewaltenteilungsprinzips Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist ein „tragendes Organisations- und Funktionsprinzip des Grundgesetzes“4 und normativ in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankert.5 Dieser legt fest, dass die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstim-
1 Dies gilt sowohl für Autoren, die eine Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Gewaltenteilungsprinzip bejahen, als auch für Autoren, die eine solche Vereinbarkeit ablehnen, vgl. z.B. einerseits Arndt, JuS 1979, 784 (787); andererseits L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (119). 2 Siehe hierzu nachfolgend unter Kap. 2 § 5 B. V. 3 Siehe hierzu nachfolgend unter Kap. 2 § 5 B. IV. 4 Siehe nur BVerfGE 139, 121 (361 Rn. 125); BVerfGE 95, 1 (15). Starck, Verfassungsstaat, S. 12 bezeichnet dieses Prinzip sogar als „das organisatorische Rückgrat der Menschenrechtsidee“, welchem für den Freiheitsschutz sogar größere Bedeutung zukomme als dem Grundrechtskatalog. 5 BVerfG, Beschl. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20, Rn. 22; Grzeszick, in: Dürig/Her-
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§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip
mungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird. Damit sind die drei Gewalten der Legislative, Judikative und Exekutive angesprochen, zwischen denen die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland geteilt wird.6 Andere als diese drei Gewalten sind im Grundgesetz nicht vorgesehen.7 Durch die derartige Aufteilung der Staatsgewalt soll die gegenseitige Kontrolle von Legislative, Judikative und Exekutive ermöglicht werden8 und auf diese Weise eine „Mäßigung der Staatsherrschaft“9 bewirkt werden. Mittels dieser gegenseitigen Kontrolle und Mäßigung soll auch ein Machtmissbrauch der einzelnen Gewalten verhindert10 und die Freiheit der Bürger geschützt werden.11 Zweck der Gewaltenteilung ist es zudem, eine sinnvolle und funktionale Staatsorganisation zu schaffen.12 Entscheidungen sollen von dem Organ getroffen werden, welches nach seiner „Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise“ am besten für diese geeignet ist.13 zog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 1 (70. Lfg. Dezember 2013); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 155; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 32; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 47; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 197. Daneben geht das Gewaltenteilungsprinzip auch aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 1 Abs. 3 GG hervor, vgl. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 1 (70. Lfg. Dezember 2013); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 155 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 67. 6 Vgl. auch Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 82. 7 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 69. Vgl. auch Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 135. Differenzierend Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 83 f. 8 BVerfGE 139, 121 (361 f. Rn. 125) m.w.N.; BVerfGE 95, 1 (15); Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 32; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 68 m.w.N. Vgl. auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 228 ff. Ausführlich zur Kontrollfunktion Grzeszick, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 35 ff. (70. Lfg. Dezember 2013). 9 BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 34, 52 (59); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 32 m.w.N.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 81 m.w.N. Ähnlich BVerfG, Beschl. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20, Rn. 22; BVerfGE 139, 121 (361 f. Rn. 125) m.w.N.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 29 (70. Lfg. Dezember 2013); Huster/ Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 156; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 68 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 198. 10 Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 29 ff. (70. Lfg. Dezember 2013); Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 228 f.; Starck, Verfassungsstaat, S. 11 f. Vgl. schon Heller, Staatslehre, S. 273. 11 Vgl. BVerfG, Beschl. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20, Rn. 22 m.w.N.; Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 1 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 68 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 200 (Bezeichnung als der „zentrale Zweck der Gewaltenteilung“); Starck, Verfassungsstaat, S. 11. Vgl. schon Heller, Staatslehre, S. 273. 12 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 32 m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 68 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 198. 13 BVerfGE 139, 121 (362 Rn. 125); BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 68, 1 (86); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 156; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 32 m.w.N.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 81 m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 71 m.w.N. Vgl. auch Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 207.
A. Verweisungsrelevante Gehalte des Gewaltenteilungsprinzips
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I. Keine strikte Gewaltentrennung Das Gewaltenteilungsprinzip ist jedoch im Grundgesetz nicht „rein verwirklicht“.14 Vielfach finden sich Verschränkungen der Aufgaben und Befugnisse der verschiedenen Gewalten, z.B. die Rechtsetzungsmöglichkeit der Exekutive nach Art. 80 Abs. 1 GG oder das Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 1 1. Var. GG.15 Auch organisatorisch und personell ist die Gewaltenteilung nicht im Sinne einer strikten Gewaltentrennung ausgestaltet, indem bspw. der Bundeskanzler nach Art. 63 GG durch den Bundestag gewählt wird und eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der Bundesregierung und im Bundestag durch das Grundgesetz nicht ausgeschlossen wird.16 Die spezifische Aufteilung und die Einwirkungsmöglichkeiten in die Tätigkeitsbereiche der jeweils anderen Gewalten werden insbesondere durch die spezielleren Normen des Grundgesetzes festlegt.17 Daneben kommt dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nur eine eingeschränkte eigenständige Bedeutung zu.18
II. Schutz der Gewichtsverteilung sowie der Kernbereiche der Gewalten Zwar fordert der Grundsatz der Gewaltenteilung keine absolute Gewaltentrennung, sondern lediglich die gegenseitige Kontrolle und Mäßigung der Teilgewalten.19 Allerdings muss die grundgesetzlich vorgesehene Gewichtsverteilung zwi-
14
Vgl. BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 34, 52 (59); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 75. Ähnlich BVerfG, Beschl. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20, Rn. 22 („nicht streng durchgeführt“); Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 31 ff. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 229 f. führt ferner aus, dass die Gewaltenteilung in der Geschichte nie strikt verwirklicht wurde, sondern stets Zuständigkeitsüberschneidungen der einzelnen Gewalten bestanden, welche notwendig aus der gegenseitigen Kontrolle resultieren. 15 Vgl. BVerfG, Beschl. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20, Rn. 22; BVerfGE 34, 52 (59); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 160 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 85 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 75 m.w.N. Ähnlich Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 31 ff. 16 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 90 f. m.w.N. Vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 80 (70. Lfg. Dezember 2013); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 160.1. 17 Vgl. Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 158 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 32a f.; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 54; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 70. 18 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 70 m.w.N. Vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 74 ff. (70. Lfg. Dezember 2013); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 159; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 214. 19 BVerfG, Beschl. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20, Rn. 22; BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 34, 52 (59); Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 28 Rn. 28 m.w.N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 212 m.w.N. Vgl. auch BVerfGE 139, 121 (362 f. Rn. 125); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 71.
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§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip
schen den verschiedenen Gewalten erhalten bleiben.20 Keine der Gewalten darf ein verfassungsrechtlich nicht vorgesehenes Übergewicht über eine der anderen Gewalten erhalten.21 Jeder der drei Gewalten steht zudem ein Kernbereich eigener Aufgaben und Kompetenzen zu, welcher durch das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verfassungsrechtlich abgesichert wird.22 Weder die Legislative, noch die Judikative, noch die Exekutive darf ihre grundgesetzlich zugewiesenen typischen Aufgaben und die dazu notwendigen Kompetenzen verlieren.23 Auch eine selbstständige Preisgabe dieser typischen Aufgaben und Kompetenzen einer Gewalt wird durch das Gewaltenteilungsprinzip ausgeschlossen.24 Ein Verstoß gegen dieses Prinzip liegt jedoch nicht bereits dann vor, wenn der Aufgabenbereich einer anderen Gewalt tangiert wird.25 Vielmehr muss das durch die Gewaltenteilung angestrebte System der Machtverteilung und gegenseitigen Kontrolle mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden.26
B. Verfassungsrechtliche Bewertung Hervorzuheben ist zunächst, dass sich die Problematik der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz naturgemäß nur für Fremdverweisungen, nicht aber für Eigenverweisungen stellt.27 Denn verweist der Verweisungsnormgeber auf ein Verweisungsobjekt, welches von ihm selbst geschaffen wurde, gestaltet er mittels des Verweisungsobjekts seine eigene Vorschrift – die Verweisungsnorm – aus, sodass im Ergebnis trotz der Verweisung jegliche Rechtsetzungsbefugnisse bei ihm verbleiben.28 Dadurch kann jedoch offensichtlicherweise die grundgesetzlich vorgesehene Gewaltenteilungsbalance nicht tangiert werden.
20 BVerfGE 139, 121 (362 Rn. 125) m.w.N.; BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 34, 52 (59); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 163 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 216. 21 BVerfGE 139, 121 (362 Rn. 125) m.w.N.; BVerfGE 95, 1 (15). 22 Vgl. BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 34, 52 (59); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33 f.; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 54 ff. m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 71 m.w.N.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 216. S. auch Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 93 m.w.N. Kritisch Grzeszick, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 56, 89 (70. Lfg. Dezember 2013); Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 161 f. 23 BVerfGE 147, 50 (138 Rn. 228); BVerfGE 139, 121 (362 Rn. 125); BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 34, 52 (59); Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 56. 24 BVerfGE 34, 52 (59). Vgl. auch Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 163 m.w.N. 25 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 214. 26 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 214. 27 So auch Debus, Verweisungen, S. 137. 28 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 190.
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
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I. Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive Die Frage der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen von formellen Gesetzen auf Vorschriften der Exekutive mit dem Gewaltenteilungsprinzip wird unterschiedlich beurteilt. Obgleich die unterschiedlichen Autoren teilweise gegensätzliche Standpunkte vertreten, weisen die Ausführungen häufig die Gemeinsamkeit auf, dass die vorgebrachten Argumente denjenigen zur Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive mit dem Demokratieprinzip ähneln. Die Ausführungen zur Problematik der Vereinbarkeit von Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive mit dem Gewaltenteilungsprinzip bewegen sich daher zumeist in bereits bekannten Argumentationsstrukturen: 1. These der unzulässigen Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen Teilweise wird eine Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz verneint.29 Denn derartige Verweisungen verlagerten Rechtsetzungsbefugnisse des Gesetzgebers über das grundgesetzlich vorgesehene Maß des Art. 80 Abs. 1 GG hinaus auf die Exekutive.30 Der Verweisungsnormgeber übertrage auf diese Weise die Kontrolle über die Norm auf den Verweisungsobjektgeber, sodass die Verweisung eine Ermächtigung der Exekutive zur Rechtsetzung unter Umgehung des Art. 80 Abs. 1 GG bewirke.31 Dem Gesetzgeber sei es jedoch untersagt, ihm zugewiesene Gesetzgebungsbefugnisse über das grundgesetzlich vorgesehene Maß hinaus zu delegieren.32 Da eine dynamische Verweisung dem Verweisungsobjektgeber jedoch de facto eine Gesetzgebungsbefugnis einräume, seien dynamische Fremdverweisungen verfassungsrechtlich ausgeschlossen.33 Dies gelte insbesondere für Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften, weil dadurch Vorschriften, die ansonsten nur Innenwirkungen haben, „inhaltlich in Gesetzesrang erhoben“ würden.34 Diese Bedenken könnten nicht dadurch entkräftet werden, dass der Verweisungsnormgeber die Verweisung aufheben kann, da die dynamische Verweisung
29
Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (787 f.); Fuss, in: FS Paulick, 293 (296 f.); Karpen, Verweisung, S. 122; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404 f.); Sachs, NJW 1981, 1651 (1651). In diese Richtung wohl auch Hertwig, RdA 1985, 282 (283); Hill, Gesetzgebungslehre, S. 116; Papier, in: FS Lukes, 159 (165) (für Verwaltungsvorschriften). Ähnlich Rütz/Gorontzi, DB 2022, 1070 (1070), welche eine dynamische Verweisung auf die Internetseiten „nicht legitimierte[r] Bundesinstitute“ als „mit Blick auf die Gewaltenteilung nicht verfassungsgemäß“ einordnen. Bedenken äußernd auch v. Maydell, ZfS 1973, 69 (71) für den Fall, dass durch die Verweisung eine „Kompetenz der Exekutive zur Rechtsetzung begründet“ wird. 30 Arndt, JuS 1979, 784 (787); Karpen, Verweisung, S. 122. 31 Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233). 32 Hertwig, RdA 1985, 282 (283); Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). Vgl. auch Fuss, in: FS Paulick, 293 (295 f.). 33 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). Vgl. auch Papier, in: FS Lukes, 159 (165). 34 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). So auch Karpen, Verweisung, S. 122.
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§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip
zumindest eine vorübergehende Wirkung für die Zeit ihres Bestehens entfalte, die nicht immer gänzlich reversibel sei.35 2. Annahme der Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip Teilweise wird hingegen vertreten, dass Verweisungen von formellen Gesetzen auf Vorschriften der Exekutive nicht (generell) gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen.36 Sofern das Verweisungsausmaß hinreichend begrenzt ist und dadurch eine ausreichende demokratische Legitimation besteht, sei die Verweisung nicht nur mit dem Demokratieprinzip, sondern auch mit dem Gewaltenteilungsprinzip vereinbar.37 Denn das Grundgesetz gebiete keine absolute Gewaltentrennung, sodass eine Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen „in begrenztem Umfang“ vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsprinzips nicht zu beanstanden sei.38 Sofern eine solche Begrenzung allerdings fehlt, verlagere die Verweisungsnorm Rechtsetzungsbefugnisse über das Maß des Art. 80 Abs. 1 GG hinaus auf die Exekutive, sodass ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip vorliege.39 Noch weitergehend vertritt Debus die Ansicht, dass Verweisungen von formellen Gesetzen auf Vorschriften der Exekutive abseits eines Gesetzes- oder Parlamentsvorbehalts unabhängig von einer Begrenzung nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstießen.40 Hinsichtlich des Begründungsansatzes abweichend geht Klindt davon aus, dass jedenfalls dann keine Bedenken hinsichtlich des Gewaltenteilungsprinzips bestünden, wenn formelle Gesetze „auf Normen originär zuständiger Normgeber“ verweisen.41 Wiederum anders konstatiert Schröcker, dass Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften nicht das Gewaltenteilungsprinzip verletzten, da der Erlass von Verwaltungsvorschriften dem originären Zuständigkeitsbereich der Exekutive angehöre.42 Infolge der Verweisung würden der Exekutive weder Regelungsbefugnisse 35
Fuss, in: FS Paulick, 293 (296). Vgl. Clemens, AöR 1986, 63 (110); Debus, Verweisungen, S. 196 ff.; Klindt, DVBl. 1998, 373 (375); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (119); Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250 f.). Wohl auch BVerwG, DVBl. 1964, 764 (764 f.), welches die dynamische Verweisung eines bayerischen Landesgesetzes auf eine Verwaltungsvorschrift des Bundes für verfassungsgemäß erklärte und der BFH (E 171, 84 [88 f.]) zu einer Verweisung auf eine Rechtsverordnung. Differenzierend Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (727); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74. 37 Clemens, AöR 1986, 63 (110); L. P. Schmidt, ZfBR 2009, 113 (119). Ähnlich D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74, der eine Begrenzung nach „Gegenstand, Inhalt, Zweck und Ausmaß“. 38 Clemens, AöR 1986, 63 (110). 39 D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 74. Ähnlich Clemens, AöR 1986, 63 (110). 40 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 197 f. 41 Klindt, DVBl. 1998, 373 (375). 42 Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289). 36
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
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für Rechtsmaterien überlassen, die per Gesetz zu regeln seien, noch bestimme die Exekutive den Inhalt der formellen Gesetze.43 Die in Bezug genommenen Verwaltungsvorschriften würden durch die Verweisung nicht in Gesetzesrang erhoben.44 Staats nimmt hingegen an, dass dynamische Verweisungen auf Rechtsverordnungen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen, da es sich in Wahrheit nicht um eine Verweisung auf die spezifische Vorschrift der Verordnung, sondern auf die Ermächtigungsnorm handele.45 Diese sei jedoch ein formelles Gesetz und gegen Verweisungen auf formelle Gesetze bestünden vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsprinzips keine Bedenken.46 Ferner beträfen Rechtsverordnungen häufig Rechtsmaterien, die sich nicht zur Regulierung durch den Gesetzgeber eigneten.47 Eine Unzulässigkeit von Verweisungen auf Rechtsverordnungen hätte daher zur Folge, dass der Gesetzgeber trotzdem eine eigene Regelung treffen oder eine neue Verordnungsermächtigung erlassen müsse, was allerdings eine „sinnwidrige Rechtsetzung“ sei, die der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht verlange.48 3. Stellungnahme Die Problematik der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive basiert erneut auf der Frage der Zulässigkeit der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen vom parlamentarischen Gesetzgeber auf die Verwaltung. Hierbei ist abermals auch die Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG von besonderer Relevanz für die vorliegende Problematik, da durch diese Regelung bereits die Beteiligung der Exekutive an der abstrakt-generellen Normsetzung gegenüber dem Bürger und die hierfür bestehenden Anforderungen geregelt werden. Die Ausgangslage der für das Gewaltenteilungsprinzip zugrunde liegenden Problematik ist also mit der Frage der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive mit dem Demokratieprinzip vergleichbar, sodass sich in der Tat einige Aspekte für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip übertragen lassen.49 Allerdings sind diese Aspekte um speziell gewaltenteilungsbezogene Erwägungen zu ergänzen.
43
Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289). Schröcker, NJW 1967, 2285 (2289). 45 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250). 46 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250). 47 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250). 48 Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250). 49 Siehe ausführlich zur Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive mit dem Demokratieprinzip oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 1. 44
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§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip
a) Umgehung der Grundaussagen des Art. 80 Abs. 1 GG Ausgangspunkt der Überlegungen ist daher erneut, dass Art. 80 Abs. 1 GG festlegt, welche Organe der Exekutive Rechtsverordnungen erlassen können und hierfür spezifische Anforderungen – nämlich eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte gesetzliche Ermächtigung – aufstellt. Eine dynamische Verweisung auf Vorschriften der Exekutive hätte hingegen zur Folge, dass der Inhalt dieser Vorschrift inhaltlich in die formell-gesetzliche Verweisungsnorm inkorporiert würde, sodass dem der Exekutive angehörigen Verweisungsobjektgeber die Möglichkeit zukäme, ein formelles Gesetz auszugestalten. Dadurch würde jedoch die inhaltliche Vorgabe des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG, dass die Exekutive lediglich Rechtsverordnungen (also in der Normenhierarchie unterhalb formellgesetzlicher Regelungen stehende Normen) gegenüber dem Bürger schaffen darf, umgangen.50 Art. 80 Abs. 1 GG stellt jedoch eine Konkretisierung des Gewaltenteilungsgrundsatzes für die Gesetzgebung dar,51 welche zeigt, dass eine Rechtsetzung der Exekutive gegenüber dem Bürger jedenfalls nicht auf der Ebene eines formellen Gesetzes erfolgen soll.52 Vielmehr ist die Normsetzung (zumindest auf formell-gesetzlicher Ebene) der Legislative vorbehalten und darf der Exekutive allenfalls eine gesetzlich vorgezeichnete, abgeleitete Normsetzungsbefugnis nach Art. 80 Abs. 1 GG zukommen.53 Auch wenn Art. 80 Abs. 1 GG unmittelbar lediglich den Erlass einer bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm betrifft, sind die in Art. 80 Abs. 1 GG enthaltenen Grundsätze auch für die Landesgesetzgebung verbindlich.54 Dementsprechend darf auch auf Landesebene der Exekutive nicht die Befugnis übertragen werden, formelles Gesetzesrecht auszugestalten. Diese Umgehung (der Grundsätze) des Art. 80 Abs. 1 GG führt also dazu, dass die 50 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (787); Karpen, Verweisung, S. 122; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233); Schenke, NJW 1980, 743 (745 f.); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102 f.). Siehe im Ansatz auch Baden, NJW 1979, 623 (626). Ohne speziellen Verweisungsbezug Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 13: „Art. 80 GG gestattet den Erlass v. ,Rechtsverordnungen‘, nicht aber v. and. Rechtsnormen.“ 51 BVerfGE 34, 52 (59); H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 14; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rn. 1. 52 Schenke, NJW 1980, 743 (745); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (102 f.). Siehe nochmals Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 13: „Art. 80 GG gestattet den Erlass v. ,Rechtsverordnungen‘, nicht aber v. and. Rechtsnormen.“ Dass Rechtsakte der Exekutive nach der Konzeption des Grundgesetzes nicht den gleichen Rang wie formelle Gesetze haben sollen, verdeutlichen auch die Ausnahmevorschriften der Art. 115k Abs. 1 und 119 GG, welche ausnahmsweise Rechtsverordnungen mit Gesetzeskraft bzw. die Vorrangigkeit von Rechtsverordnungen vorsehen und damit verdeutlichen, dass Rechtsakte der Exekutive abseits derartiger Ausnahmefälle rangmäßig unterhalb von Gesetzen stehen sollen. 53 BVerfGE 34, 52 (59 f.). 54 Vgl. BVerfGE 139, 19 (48 Rn. 56) m.w.N.; BVerfGE 73, 388 (400); BVerfGE 58, 257 (277) m.w.N.; BVerfGE 55, 207 (207 1. Ls., 225 f.); H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 19 m.w.N.; Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 3. So finden sich mit Art. 80 GG vergleichbare Vorschriften auch in den Landesverfassungen, vgl. z.B. Art. 61 LVerf BW; Art. 43 LVerf ND; Art. 70 LVerf NRW.
B. Verfassungsrechtliche Bewertung
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grundgesetzlich vorgesehene Gewaltenteilungsbalance zwischen Legislative und Exekutive gestört wird, indem der Exekutive die Befugnis zukäme, formelles Gesetzesrecht auszugestalten. b) Unterschiedliche Kontrollmaßstäbe und -möglichkeiten Dieses Ergebnis wird auch durch die verfassungsrechtlich festgelegten Kontrollmöglichkeiten von Akten der Legislative verstärkt. Aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich, dass die Gesetzgebung lediglich „an die verfassungsmäßige Ordnung“, die vollziehende Gewalt hingegen an „Gesetz und Recht“ gebunden ist. Formelle Gesetze sind also lediglich anhand der Verfassung überprüfbar, während Rechtsverordnungen mit dem gesamten formellen Gesetzesrecht (einschließlich des Grundgesetzes) vereinbar sein müssen.55 Generell gehen nach der Konzeption des Art. 20 Abs. 3 GG formelle Gesetze allen Maßnahmen der Exekutive vor.56 Dem widerspräche es, wenn die Exekutive mittelbar selbst formelles Recht schaffen bzw. ausgestalten könnte. Bedingt durch diesen Kontrollmaßstab können formelle Gesetze zudem lediglich durch das BVerfG für nichtig erklärt werden, sodass bei diesen Rechtsnormen auch in personeller Hinsicht nur eine eingeschränkte Kontrolle der Judikative besteht.57 Diese eingeschränkte Kontrollmöglichkeit rechtfertigt sich auch dadurch, dass der Parlamentsgesetzgeber das einzig unmittelbar demokratisch legitimierte Organ ist, sodass die Entscheidung der wesentlichen Fragen der Legislative vorbehalten bleiben soll.58 Eine solche unmittelbare demokratische Legitimation fehlt der Exekutive allerdings, was ebenfalls dagegen spricht, durch die Ausgestaltung eines formellen Gesetzes eine nur eingeschränkte Kontrolle dieser Exekutivakte (im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm) hinzunehmen. Rechtsverordnungen unterliegen hingegen nicht dem Verwerfungsmonopol des BVerfG, sondern können von jedem Gericht hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft werden,59 sodass Normen der 55 Vgl. Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 80 Rn. 132 (70. Lfg. Dezember 2013); Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 37. Lediglich für Rechtsverordnungen des Bundes im Verhältnis zu formellen Landesgesetzen ist dies zu relativieren. Rechtsverordnungen des Bundes gehen formellen Landesgesetzen vor und sind daher nicht an diesen zu messen, vgl. Art. 31, 93 Abs. 1 Nr. 2. 56 Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 62. 57 Neben den Kontrollmöglichkeiten des BVerfG besteht lediglich für formelle Landesgesetze zusätzlich die Möglichkeit einer konkreten (Art. 100 Abs. 1 1. Var. GG) und abstrakten Normenkontrolle vor den Landesverfassungsgerichten sowie einer Landesverfassungsbeschwerde hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Landesverfassung, vgl. z.B. Art. 75 Nr. 2, 5a, 5b LVerf NRW, Art. 80 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5 ThürLVerf. 58 Ähnlich Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 100 Rn. 2; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 100 Rn. 1 f.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 100 Rn. 11 m.w.N. Vgl. zu letzterem auch BVerfGE 95, 1 (15 f.); BVerfGE 34, 52 (59 f.); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 97 (70. Lfg. Dezember 2013); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 217. 59 BVerfGE 68, 319 (325 f.); BVerfGE 1, 184 (189 ff.); Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz,
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§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip
Exekutive bereits konzeptionell einer größeren (oder zumindest einfacheren und flächendeckenderen) Kontrolle durch die Judikative unterliegen als formelle Gesetze. Auch insoweit existiert also eine Privilegierung formeller Gesetzgebungsakte der Legislative innerhalb der Gewaltenteilungsbalance gegenüber Vorschriften der Exekutive. Diese Unterscheidung zwischen Legislative und Exekutive hinsichtlich der Kontrollmöglichkeiten durch die Judikative würde jedoch aufgegeben werden, wenn der Exekutive über eine dynamische Verweisung die Möglichkeit eingeräumt würde, formelles Recht auszugestalten, sodass der von der Exekutive geschaffene Inhalt des formellen Gesetzes trotz dieses Ursprungs lediglich anhand des Grundgesetzes durch das BVerfG überprüfbar wäre. Dies widerspräche in erheblichem Maße der vorgesehenen Gewaltenbalance des Grundgesetzes, sodass hierbei ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip vorläge. c) Unerheblichkeit der eigenen Entscheidung des Verweisungsnormgebers Dass die Verweisung auf einer eigenen Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers beruht, ändert an diesem Ergebnis nichts, da die Gewaltenteilungsbalance für die einzelnen Gewalten nicht disponibel ist und daher unabhängig von einem etwaigen Einverständnis einer der drei Gewalten aufrechterhalten werden muss.60 Ferner gehört der Erlass von abstrakt-generellen Rechtsnormen auf der Ebene eines formellen Gesetzes zum Kernbereich der Aufgaben der Legislative. Die Übertragung einer Rechtsetzungsmöglichkeit auf die Exekutive ist also in diesem Bereich durch das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ausgeschlossen. Dementsprechend verstoßen dynamische Verweisungen von formellen Gesetzen auf Vorschriften der Exekutive gegen das Gewaltenteilungsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und sind daher verfassungswidrig. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verweisung innerhalb des Bundes – also von Bundesgesetzen auf Vorschriften der Bundesexekutive – oder zwischen Bund und Ländern (also bspw. von Landesgesetzen auf Vorschriften der Bundesexekutive) erfolgt. Denn die horizontale Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive ist unabhängig davon betroffen, ob die Verweisung innerhalb desselben Gemeinwesens erfolgt oder darüber hinausgeht. Auch die Ausgestaltung von formellen Bundesgesetzen durch eine Landesregierung würde die Gewaltenteilungsbalance zwischen den drei Staatsgewalten aus den oben genannten Gründen beeinträchtigen. GG, Art. 80 Rn. 139 (70. Lfg. Dezember 2013). So kommt den Oberverwaltungsgerichten die Möglichkeit der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1, Abs. 2 VwGO zu. Daneben können sämtliche Gerichte jede Rechtsverordnung inzident hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüfen, wenn die Rechtsverordnung im entsprechenden Verfahren entscheidungsrelevant ist, obgleich bei derartigen Überprüfungen eine etwaige Unwirksamkeitsentscheidung nicht allgemeinverbindlich ist, vgl. Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 80 Rn. 139 ff. (70. Lfg. Dezember 2013). 60 Siehe zu dieser fehlenden Disponibilität bereits oben unter Kap. 2 § 5 A. II.
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d) Kein Verweis auf die entsprechende Ermächtigungsnorm Nicht gefolgt werden kann damit im Ergebnis der Ansicht von Staats61, welcher annimmt, dass eine dynamische Verweisung auf Rechtsverordnungen stets nur eine Verweisung auf die Ermächtigungsnorm – und damit auf ein formelles Gesetz – sei. Dies wäre bereits insoweit sinnfrei, als eine Verweisung ein bestimmtes Verweisungsobjekt in Bezug nimmt (in diesem Fall regelmäßig eine spezifische Norm einer Rechtsverordnung) und dieses Verweisungsobjekt nach Staats dann entgegen dem Wortlaut in eine Verweisung auf die entsprechende Ermächtigungsnorm umgedeutet werden müsste. Selbst wenn diese Ansicht zuträfe und man auf diesem Wege zu einer Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip käme, müsste man dann jedenfalls infolge einer solchen Umdeutung einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot annehmen, da für den Bürger nicht mehr erkennbar wäre, welches Verweisungsobjekt in Bezug genommen würde. Ferner wäre das Problem der Bezugnahme auf bestimmte Einzelanordnungen der Rechtsverordnung nicht gelöst, da die Ermächtigungsnorm naturgemäß nicht bereits selbst die einzelnen inhaltlichen Regelungen enthalten kann, die die Rechtsverordnung festlegt und durch die Verweisungsanordnung in die Verweisungsnorm inkorporiert werden sollen. Auch der Annahme, dass sich bestimmte Rechtsmaterien nicht zur Normsetzung durch den Parlamentsgesetzgeber eigneten und daher eine Verweisung zulässig sein müsse, da der Erlass neuer Ermächtigungsnormen eine „sinnwidrige Rechtsetzung“ sei, die der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht verlange,62 ist entschieden zu widersprechen. Vielmehr sieht Art. 80 Abs. 1 GG für Regelungsmaterien, die sinnvoll durch die Exekutive geregelt werden können, die Möglichkeit vor, diese ausnahmsweise in den Erlass abstrakt-genereller Rechtsnormen einzubinden und stellt hierfür Anforderungen an eine Ermächtigung auf. Der Erlass von inhaltlich bestimmten Ermächtigungsnormen ist damit keine sinnwidrige, sondern vielmehr eine grundgesetzkonforme Rechtsetzung und kann keinesfalls die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen durch eine Art „Unbequemlichkeit“ dieser verfassungsrechtlichen Anforderungen begründen. e) Verweisungen auf Rechtsverordnungen im ursprünglichen Anwendungsbereich Eine Ausnahme vom Verdikt der Verfassungswidrigkeit für Verweisungen von formellen Gesetzen auf Vorschriften der Exekutive besteht lediglich für Verweisungen, die eine Rechtsverordnung in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich in Bezug nehmen und lediglich auf die Existenz und Einschlägigkeit dieser spezifischen Norm einer Rechtsverordnung hinweisen sollen.63 Insoweit handelt es 61
Siehe zum Inhalt dieser Ansicht bereits oben unter Kap. 2 § 5 B. I. 2. Siehe oben unter Kap. 2 § 5 B. I. 2. 63 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 1. e) bb) (1). Vgl. auch Schenke, in: FS Fröhler, 87 (106 f.) (allerdings zu Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften hinsichtlich des Art. 80 Abs. 1 GG). 62
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sich nämlich lediglich um eine deklaratorische Verweisung, die nicht zu einer weitergehenden Rechtswirkung (insbesondere nicht zu einer Inkorporation der in Bezug genommenen Rechtsvorschrift) führt.64 Dementsprechend wird durch eine solche Verweisung keine Rechtsetzungsbefugnis auf die Exekutive übertragen und das Gewaltenteilungsprinzip nicht berührt. Nichtsdestotrotz wäre es – auch hinsichtlich einer hinreichenden Rechtsklarheit – für den Gesetzgeber ratsam statt einer deklaratorischen Verweisung eine Formulierung wie „Die Regelungen der Verordnung […] bleiben unberührt.“ zu verwenden. Dadurch wäre dem Hinweiszweck genügt und daneben deutlich gemacht, dass keine Inkorporation in das formelle Gesetz erfolgt, sondern der Inhalt der Rechtsverordnung in seinem ursprünglichen Rang fortbestehen soll. f) Normkonkretisierende Verweisungen Auch normkonkretisierende Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive verstoßen aus ähnlichen Gründen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip, da die Erfüllung des abstrakt formulierten Standards widerleglich vermutet wird, diesem jedoch auf andere Weise genügt werden kann und die Einhaltung der Anforderungen des abstrakt formulierten Standards vollständig richterlich überprüfbar ist.65 Dadurch kann die in Bezug genommene Exekutivvorschrift die Verweisungsnorm nicht abschließend ausgestalten, sodass der Exekutive keine allgemeinverbindliche legislative Tätigkeit auf der Ebene eines formellen Gesetzes ermöglicht wird, sondern das in Bezug genommene Exekutivrecht lediglich eine widerlegliche Vermutungswirkung erzeugen kann. Dementsprechend bleibt insoweit die vollständige Kontrolle der Judikative erhalten und der Kernbereich der Legislative wäre durch die fehlende abschließende Ausgestaltungsmöglichkeit formellen Gesetzesrechts nicht beeinträchtigt.
II. Verweisungen zwischen formellen Gesetzen Bei dynamischen Verweisungen zwischen formellen Gesetzen ist das Gewaltenteilungsprinzip hingegen nicht verletzt.66 Im Gegenteil: Der Gewaltenteilungsgrundsatz wird durch derartige Verweisungen nicht einmal berührt.67 Handelt es sich nämlich sowohl bei der Verweisungsnorm als auch dem Verweisungsobjekt um formelle Gesetze, die von dem jeweils zuständigen parlamentarischen Gesetz64
Siehe zur deklaratorischen Verweisung bereits Kap. 1 § 2 II. Vgl. auch Marburger, Regeln der Technik, S. 406 f. (allerdings zu Verweisungen auf Vorschriften privater Normgeber); Schenke, NJW 1980, 743 (747); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (104 ff.) (allerdings hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 GG zu Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften). 66 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (787 f.); Ehricke/Blask, JZ 2003, 722 (727); Karpen, Verweisung, S. 121 f.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250). 67 Ähnlich Arndt, JuS 1979, 784 (787 f.). 65
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geber erlassen werden, entstammen beide Normen der Legislative. Dementsprechend kann sich eine Veränderung der grundgesetzlich vorgesehenen Gewaltenbalance oder eine Entäußerung von Kernbereichsaufgaben der Legislative bei derartigen Verweisungen nicht ergeben. Zwar kann der Verweisungsobjektgeber die Verweisungsnorm mittelbar ausgestalten; da auch dieser der Legislative zuzurechnen ist, bleibt die Machtverteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive jedoch unverändert. Begünstigt wird also lediglich ein anderes Organ derselben Gewalt.
III. Verweisungen von Vorschriften der Exekutive auf formelle Gesetze Auch bei Verweisungen von Vorschriften der Exekutive auf formelle Gesetze liegt kein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip vor.68 Zwar könnte der der Legislative zuzurechnende Parlamentsgesetzgeber infolge einer solchen dynamischen Verweisung mittelbar eine Exekutivvorschrift ausgestalten. Allerdings wird dadurch weder die Gewaltenbalance beeinträchtigt noch der Legislative eine Aufgabe übertragen, die dem Kernbereich der Exekutive entstammt. Denn der Kernbereich der Exekutive ist der Vollzug von Gesetzen, nicht aber das Setzen von abstrakt-generellen Normen.69 Dies zeigt sich bereits dadurch, dass Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG die Bezeichnung „vollziehende Gewalt“ verwenden.70 Die Schaffung von allgemeinverbindlichem Recht gehört vielmehr dem Kernbereich der Legislative an.71 Mit einer Verweisung von einer Exekutivvorschrift auf ein formelles Gesetz würde also nicht die Gewaltenbalance nachhaltig beeinträchtigt, sondern vielmehr im eigentlich grundgesetzlich vorgesehenen Sinne ausgestaltet, indem der Legislative die Ausgestaltung abstraktgenereller Normen zukäme. Auch die Existenz des Art. 80 Abs. 1 GG ändert daran nichts. Zwar ermöglicht diese Vorschrift den Erlass von abstrakt-generellen Vorschriften der Exekutive. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Schaffung von Rechtsnormen durch die Legislative erfolgen soll und kann daher keinesfalls bedeuten, dass durch Art. 80 Abs. 1 GG der Exekutive die Normsetzung als Kernbereich ihrer Aufgaben zufallen soll. Die Existenz dieser Vorschrift belegt vielmehr, dass die Normsetzung keine typische Aufgabe der Exekutive ist, da es ansonsten einer solchen Ausnahmevorschrift mit strikten Anforderungen an die Ermächtigungsnorm nicht bedurft hätte. Ferner sieht auch Art. 80 Abs. 1 GG nur eine von der Legislative abgeleitete Ermächtigung der Exekutive zur Rechtsetzung vor, sodass erneut 68
Debus, Verweisungen, S. 197. Vgl. BVerfGE 95, 1 (15 f.) m.w.N.; BVerfGE 52, 1 (41). Vgl. zu den Kernbereichsgehalten der Exekutive auch Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 219 m.w.N. A.A. offenbar Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 56 Rn. 57. 70 BVerfGE 95, 1 (16). 71 Vgl. auch BVerfGE 95, 1 (15 f.) m.w.N.; Debus, Verweisungen, S. 197; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 52. Siehe auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 504. 69
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deutlich wird, dass die Normsetzung jedenfalls keine typische Aufgabe der Exekutive ist.
IV. Verweisungen im Bund-Länder Verhältnis und auf Unionsrecht Ossenbühl beurteilt auch Verweisungen zwischen Bund und Ländern hinsichtlich des Gewaltenteilungsprinzips als bedenklich. Denn das Gewaltenteilungssystem sei so „ausbalanciert“, dass auch eine derartige Verschiebung von Rechtsetzungsbefugnissen gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoße.72 In ähnlicher Weise äußert Fuss Bedenken gegen dynamische Verweisungen auf Unionsrecht, da der Union bei derartigen Verweisungen Befugnisse übertragen würden, die „ihr in dem fein ausbalancierten Gefüge von mitgliedstaatlichen und Gemeinschaftskompetenzen ursprünglich nicht zugedacht“ waren.73 Dass der hierdurch eintretende Machtzuwachs der Union gering ist und auf dem Willen das nationalen Gesetzgebers beruht sei unerheblich, da die nationalen Gesetzgeber nicht über die Gewaltenbalance zwischen der Union und den Mitgliedstaaten disponieren dürften.74 Klindt beurteilt dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht hingegen als zulässig,75 da die Normen der Union vom Rat als zuständigem Rechtsetzungsorgan derselben erlassen würden.76 Unabhängig davon, ob sich der Einfluss des Europäischen Parlaments steigern lasse, sei die Tätigkeit des Rates eine Wahrnehmung, nicht aber eine Umgehung von Rechtsetzungsbefugnissen.77 Tatsächlich wird das Gewaltenteilungsprinzip jedoch durch dynamische Verweisungen im Bund-Länder-Verhältnis sowie Verweisungen auf Unionsrecht weder verletzt noch berührt.78 Denn derartige Verweisungen betreffen lediglich eine vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern bzw. der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG regelt jedoch lediglich die horizontale, nicht aber die vertikale Gewaltenteilung.79 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 20
72
Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404). Fuss, in: FS Paulick, 293 (299 f.) noch zur EWG. 74 Fuss, in: FS Paulick, 293 (299). 75 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378) noch zum EG-Recht. Im Ergebnis wohl auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (85 f.) unter zusammenfassender Darstellung von Aspekten zum Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip. 76 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 77 Klindt, DVBl. 1998, 373 (378). 78 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (787 f.) (für das Bund-Länder-Verhältnis); Debus, Verweisungen, S. 197 f. (noch zur EG); Krey, EWR 1981, 109 (147) (noch zur EWG); Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250 f.) (generell für Verweisungen auf internationales Recht). 79 Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 51; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 198. Vgl. auch Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 11; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 R Rn. 80. 73
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Abs. 2 S. 2, welcher sich ausdrücklich auf die „Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ – also auf Legislative, Exekutive und Judikative – bezieht. Ferner ist die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, d.h. die vertikale Gewaltenteilung zwischen diesen Ebenen, vielmehr Bestandteil des Bundesstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 GG,80 sodass auch die Systematik dagegen spricht, die vertikale Gewaltenteilung als Bestandteil des Gewaltenteilungsgrundsatzes aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG anzusehen. Gleiches gilt für die vertikale Gewaltenteilung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union: Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG lässt keine Bezüge zu einer Machtverteilung zwischen Deutschland und der Europäischen Union erkennen, sodass auch in diesem Fall in systematischer Hinsicht die Erfassung einer vertikalen Gewaltenteilung zwischen diesen Institutionen durch das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG fernliegend erscheint. Zudem kann sich der Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG seinem Ursprung nach schon nicht auf das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union beziehen, da die Union bei Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 weder bestand noch denkbar war.81 Auch Bedenken aufgrund der Tatsache, dass sich der Rat als (mit dem Europäischen Parlament gemeinsamer) Gesetzgeber der Europäischen Union aus Vertretern der Exekutive der Mitgliedstaaten zusammensetzt,82 bestehen nicht, da der Rat im Bereich der Union als Gesetzgebungsorgan fungiert und damit trotz seiner Zusammensetzung der Legislative zuzurechnen ist. Im Ergebnis wird das Gewaltenteilungsprinzip also weder durch Verweisungen zwischen Bund und Ländern noch durch Verweisungen auf Unionsrecht berührt, sodass derartige Verweisungen nicht gegen diesen Grundsatz verstoßen.
V. Verweisungen auf Vorschriften nichtstaatlicher Institutionen Die Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz wird in der Literatur stellenweise auch für dynamische Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften diskutiert: 1. These der Unvereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip Teilweise werden auch dynamische Verweisungen auf Vorschriften nichtstaatlicher Organe als unvereinbar mit dem Gewaltenteilungsprinzip angesehen.83 80
Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 11; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 V. Rn. 109 (70. Lfg. Dezember 2013); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 198. 81 Debus, Verweisungen, S. 197. 82 Vgl. zur Zusammensetzung und Funktion des Rates als Gesetzgeber Art. 16 Abs. 1 und 2 EUV. 83 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 (787); Karpen, Verweisung, S. 129 ff.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233); Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 188.
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§ 5 Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip
Denn dadurch würden Rechtsetzungsbefugnisse auf nichtstaatliche Institutionen übertragen, „die überhaupt nicht zur Rechtsetzung befugt“ seien.84 Auch hierbei liege also eine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen der Legislative über die Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG hinaus vor.85 Zwar betreffe Art. 80 Abs. 1 GG dem Wortlaut nach nur eine Ermächtigung der Exekutive zur Rechtsetzung; jedoch bedeute dies, dass die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf andere – insbesondere nichtstaatliche Institutionen – ausgeschlossen ist.86 Das Gewaltenteilungsprinzip regele nicht nur die Balance zwischen Legislative, Judikative und Exekutive, sondern stelle „ein geschlossenes System staatlicher Machtausübung dar.“87 Lediglich, wenn nichtstaatliche Regelungen per widerleglicher Vermutung in Bezug genommen werden, sei dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.88 2. Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen Teilweise wird hingegen erneut zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen unterschieden. Die normergänzende Verweisung auf Vorschriften nichtstaatlicher Institutionen verstoße gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, da sie in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise unter Umgehung des Art. 80 Abs. 1 GG Legislativbefugnisse auf nichtstaatliche Organe übertrage.89 Zwar greife „die Legislative damit nicht in den Kernbereich einer der beiden anderen Staatsgewalten ein“; dennoch dürfe sie abseits der grundgesetzlich vorgesehenen Ausnahmen keine Rechtsetzungsbefugnisse auf die anderen Staatsgewalten übertragen, was damit umso mehr für die Übertragung derartiger Befugnisse auf nichtstaatliche Institutionen gelten müsse.90 Die normkonkretisierende dynamische Verweisung auf (technische) Regelungen nichtstaatlicher Institutionen sei hingegen mit dem Gewaltenteilungsprinzip
Eine Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften ohne nähere Begründung ablehnend auch Backherms, ZRP 1978, 261 (261 Fn. 3). 84 Arndt, JuS 1979, 784 (787). Ähnlich Karpen, Verweisung, S. 129 ff.; Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233). Eine Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften ohne nähere Begründung ablehnend auch Backherms, ZRP 1978, 261 (261 Fn. 3). 85 Vgl. Karpen, Verweisung, S. 129, 136. 86 Karpen, Verweisung, S. 129. Vgl. auch Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 188. 87 Karpen, Verweisung, S. 129. So auch Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233). 88 Karpen, Verweisung, S. 133 f. Vgl. auch Karpen, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 221 (233) (als „Beweislastregeln“); Nolte, Sicherheit von Kernanlagen, S. 189 ff. Diese Annahme weist freilich erhebliche Parallelen zur nachfolgenden Differenzierung zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisungen auf. 89 Marburger, Regeln der Technik, S. 392. Vgl. auch Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 49. 90 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 392; Veit, Rezeption technischer Regeln, S. 49.
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vereinbar.91 Denn diese verpflichte den Bürger nicht, die Anforderungen der nichtstaatlichen Norm einzuhalten, sondern begünstige den Normadressaten lediglich dadurch, dass in diesem Fall widerleglich vermutet wird, dass dem abstrakt formulierten Standard (etwa dem „Stand der Technik“) genügt wird.92 Es handele sich insoweit lediglich um eine Beweislastregel, bei welcher die Einhaltung des gesetzlich formulierten Standards nichtsdestotrotz der umfassenden richterlichen Kontrolle unterliege.93 3. Stellungnahme Tatsächlich wird jedoch das Gewaltenteilungsprinzip durch dynamische Verweisungen auf Vorschriften nichtstaatlicher Institutionen nicht berührt.94 Denn das Gewaltenteilungsprinzip betrifft nur die Gewaltenteilung und die Balance zwischen den verschiedenen Gewalten innerhalb der Staatsorganisation,95 nicht aber das Verhältnis zu außenstehenden Organen. Es dient dazu, die gegenseitige Kontrolle und Mäßigung der Gewalten sicherzustellen und zu verhindern, dass eine Gewalt ein Übergewicht über eine andere Gewalt erhält.96 Das Verhältnis zu nichtstaatlichen Institutionen und der (weitgehende)97 Ausschluss von nichtstaatlichen Organen bei der Ausübung von Hoheitsgewalt betrifft hingegen vielmehr das Demokratieprinzip. Das Kernproblem bei der Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf nichtstaatliche Organe ist nämlich nicht die Beeinträchtigung der innerstaatlichen Gewaltenbalance, sondern vielmehr die Ausübung von Hoheitsgewalt durch nicht demokratisch legitimierte Organe. Ferner spricht auch die Entstehungsgeschichte des Prinzips der Gewaltenteilung in freiheitlichen Staaten dafür, dass dieses lediglich die Verteilung der Hoheitsgewalt auf mehrere Staatsorgane betrifft, nicht aber die Übertragung von Hoheitsgewalt auf nichtstaatliche Institutionen: Die Gewaltenteilung sollte in historischer Perspektive dazu dienen, die häufig bei einem Monarchen liegende gesamte Staatsgewalt zwischen verschiedenen Staatsorganen aufzuteilen und dadurch staatliche Willkür und Tyrannei zu verhindern sowie die Freiheit der Bürger zu sichern.98 Die Idee der Gewaltenteilung ist es also, dass die Staatsgewalt nicht bei einem omnipotenten Staatsorgan liegt, welches sowohl gesetzgebende
91
Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 406 f. Marburger, Regeln der Technik, S. 406 f. 93 Marburger, Regeln der Technik, S. 406 f. 94 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 196. Eine Verletzung ebenfalls ablehnend Staats, in: Rödig (Hrsg.), Theorie der Gesetzgebung, 244 (250 f.). 95 Ähnlich Debus, Verweisungen, S. 196. 96 Siehe bereits oben unter Kap. 2 § 5 A. II. 97 Als Ausnahmen lassen sich hier etwa das Rechtsinstitut der Beleihung sowie Schöffen nennen. 98 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 197 ff. Siehe auch Heller, Staatslehre, S. 273; Starck, Verfassungsstaat, S. 11 ff. 92
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als auch vollziehende sowie rechtsprechende Aufgaben ausübt, sondern auf mehrere Organe verteilt wird, die sich gegenseitig kontrollieren und mäßigen.99 Im Ergebnis wird das Gewaltenteilungsprinzip durch Verweisungen auf Vorschriften nichtstaatlicher Institutionen also nicht einmal berührt, geschweige denn verletzt.
VI. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Verweisungen zwischen formellen Gesetzen (auch im Bund-Länder-Verhältnis), auf Unionsrecht, auf nichtstaatliche Normen sowie von Exekutivvorschriften auf formelle Gesetze nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen. Dynamische Verweisungen von formellen Gesetzen auf Rechtsvorschriften der Exekutive sind hingegen mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. Lediglich deklaratorische und normkonkretisierende Verweisungen von formellen Gesetzen auf Exekutivvorschriften verstoßen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip, da diese keine (abschließend inkorporierende) Rechtswirkung erzeugen und daher die Gewaltenbalance nicht beeinträchtigen.
99
Vgl. im Übrigen schon oben unter Kap. 2 § 5 A.
§ 6 Vereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 GG Obgleich einige Autoren dynamische Verweisungen (auf Vorschriften der Exekutive und teilweise auf Vorschriften Privater) direkt an Art. 80 Abs. 1 GG messen,1 scheidet dieser als eigenständiger Prüfungsmaßstab für derartige Verweisungen nach hier vertretener Ansicht aus. Zwar konkretisiert Art. 80 Abs. 1 GG das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip für die Ermächtigung der Exekutive zur Rechtsetzung, sodass sich aus dessen Regelungsgehalt Rückschlüsse für diese beiden Prinzipien hinsichtlich der Verweisungsproblematik ziehen lassen.2 Vorrangig zu prüfende eigene Regelungen enthält Art. 80 Abs. 1 GG jedoch nur für Rechtsverordnungen, nicht aber für andere Formen der Beteiligung außerparlamentarischer Organe an der Rechtsetzung.3 Zudem ist Art. 80 Abs. 1 GG nicht die einzige Regelung, die das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip konkretisiert,4 sodass Art. 80 Abs. 1 GG nicht als abschließende Ausgestaltung dieser Prinzipien angesehen werden kann.5 Eine etwaige Umgehung des Art. 80 Abs. 1 GG durch andere Formen außerparlamentarischer Normsetzung ist also nicht an Art. 80 Abs. 1 GG selbst, sondern vielmehr an den Grundprinzipien der Demokratie und Gewaltenteilung zu messen.6 Dynamische Verweisungen verstoßen daher nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG selbst. 1
Etwa Backherms, JuS 1980, 9 (11); Schenke, NJW 1980, 743 (745 ff.); Schenke, in: FS Fröhler, 87 (100 ff.). Vgl. auch Hertwig, RdA 1985, 282 (283); Veit, Rezeption technischer Regeln, 70 ff. 2 Siehe bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 1. e) und Kap. 2 § 5 B. I. 3. a). 3 In diesem Sinne auch H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 16 f.; Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 13; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 80 Rn. 48 (70. Lfg. Dezember 2013) m.w.N.; Uhle, in: BeckOK GG, Art. 80 Rn. 1. 4 Das Demokratieprinzip wird bspw. auch durch Art. 38 GG konkretisiert, vgl. auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 D Rn. 152. Das Gewaltenteilungsprinzip wird bspw. auch durch Art. 92 und 97 GG konkretisiert, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33 f., 36. 5 Vgl. Debus, Verweisungen, S. 166 f. 6 Vgl. auch BFHE 171, 84 (88) (zu ersterem); OVG Hamburg, NJW 1980, 2830 (2831); Debus, Verweisungen, S. 166 f. In diesem Sinne wohl auch Guckelberger, ZG 2004, 62 (82 f.). Direkt an Art. 80 Abs. 1 GG sind Verweisungen nur dann zu messen, wenn diese innerhalb einer Verordnungsermächtigung erfolgen. Dies ergibt sich in diesem Fall daraus, dass die verweisende Verordnungsermächtigung an Art. 80 Abs. 1 GG zu messen ist, nicht aber aufgrund der Verweisung selbst. Als nicht verweisungsspezifische Besonderheit soll dieser Fall daher für die Bearbeitung außer Betracht bleiben. Vgl. zu derartigen Verordnungsermächtigungen z.B. BVerfGE 153, 310 (353 ff. Rn. 99 ff.); BVerfGK 17, 273 (284 ff.); Fuss, in: FS Paulick, 293 (300).
§ 7 Gesamtergebnis zu Kapitel 2 Insgesamt ergibt sich bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dynamischer Verweisungen in einfachgesetzlichen Regelungen, dass diese Gesetzgebungstechnik zwar für verschiedene Verweisungskonstellationen verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft, jedoch nicht gänzlich unzulässig ist. Im Einzelnen lassen sich insoweit folgende Ergebnisse festhalten: 1. Dynamische Eigenverweisungen (insbesondere Binnenverweisungen) sind verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar müssen auch diese – wie jede Rechtsnorm – den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sowie dem Gebot der Normenklarheit genügen. Bedenken aufgrund anderer Grundprinzipien bzw. Vorschriften des Grundgesetzes ergeben sich jedoch nicht. 2. Dynamische Fremdverweisungen sind nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, dessen Normgeber zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch den Verweisungsnormgeber legitimiert und die Verweisung zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthält. Unzulässig sind dynamische Verweisungen jedoch stets, wenn sie wesentliche Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen. Dementsprechend sind abseits wesentlicher Entscheidungen oder des Bereichs spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte konstitutive dynamische Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht sowie von Bundesrecht auf das Recht aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes und von Bundes- oder Landesrecht auf das Recht der Europäischen Union mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Unvereinbar mit dem Demokratieprinzip sind hingegen konstitutive dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines einzelnen Landes sowie vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes, Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive und Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften. Nichtstaatliche Vorschriften und andere Normen, auf welche grundsätzlich aufgrund des Demokratieprinzips nicht in gesetzlichen Verweisungsnormen verwiesen werden dürfte, können jedoch im Wege einer normkonkretisierenden Verweisung in Bezug genommen werden. 3. Dynamische Fremdverweisungen sind mit dem Publikationsgebot vereinbar, wenn das Verweisungsobjekt derart publiziert ist, dass eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit vom Inhalt des Verweisungsobjekts im Sinne einer hinreichenden Zugänglichkeit und Verlässlichkeit der Publikation besteht. Unerheblich ist dabei, ob die Publikation amtlich oder nichtamtlich erfolgt. Erforderlich ist allerdings eine amtliche Archivierung der publizierten Normen.
254
§ 7 Gesamtergebnis zu Kapitel 2
4. Dynamische Verweisungen zwischen Bund und Ländern sind mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar. Lediglich Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes verstoßen wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem föderativen Gleichbehandlungsgebot gegen das Bundesstaatsprinzip. 5. Dynamische Verweisungen verstoßen nicht per se gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit. Die dynamische Verweisungstechnik an sich ist mit diesen Geboten vereinbar, kann jedoch für einzelne Verweisungen unbestimmt oder unklar umgesetzt worden sein. Die Grundvoraussetzung für eine mit diesen Geboten vereinbare Ausgestaltung dynamischer Verweisungen ist, dass die Verweisungsnorm klar erkennen lässt, welche Vorschriften in welchem Umfang in Bezug genommen werden. Das Verweisungsobjekt muss in der Verweisungsnorm so präzise bezeichnet werden, dass eindeutig erkennbar ist, auf welche Vorschriften verwiesen wird. Die Angabe einer Fundstelle ist hierbei nicht erforderlich. Neben der Verweisungsnorm müssen auch das Verweisungsobjekt sowie die zusammengesetzte Gesamtregelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt(en) hinreichend klar und bestimmt sein. Ausreichend ist es allerdings, wenn die Normadressaten die Verweisungsobjekte und deren Inhalt zumindest nach Einholung von Rechtsrat feststellen können. Bei einer derartigen Ausgestaltung sind auch Kettenverweisungen, Globalverweisungen, Verweisungsanalogien und Verweisungen auf das Unionsrecht mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar. 6. Dynamische Fremdverweisungen zwischen formellen Gesetzen (auch im Bund-Länder-Verhältnis), auf Unionsrecht, auf nichtstaatliche Normen sowie von Exekutivvorschriften auf formelle Gesetze verstoßen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Dynamische Verweisungen von formellen Gesetzen auf Normen der Exekutive sind hingegen mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. Lediglich deklaratorische und normkonkretisierende Verweisungen von formellen Gesetzen auf Exekutivvorschriften verstoßen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip, da diese keine (abschließend inkorporierende) Rechtswirkung erzeugen und daher die Gewaltenbalance nicht beeinträchtigen. 7. Die dynamische Fremdverweisungstechnik verstößt nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG selbst.
Kapitel 3
Verweisungen des Grundgesetzes Diesem Ergebnis entsprechend sind Verweisungen in einfachgesetzlichen Verweisungen zwar teilweise, aber nicht generell verfassungsrechtlich unzulässig. Nicht beantwortet ist damit indes die Frage, ob Verweisungen im Grundgesetz – also der Verfassung selbst – verfassungskonform sind. Zweifelhaft erscheint insbesondere, ob die dynamische Verweisungstechnik mit den Revisionsregeln der Art. 79 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GG vereinbar ist, welche besondere Anforderungen für Verfassungsänderungen statuieren. Bemerkenswerterweise wird eine solche Verfassungskonformität dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes in der Rechtsprechung und Literatur bisher nur unzureichend – insbesondere mit fehlender inhaltlicher Tiefe – geprüft,1 obwohl das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland den „Geltungsgrund allen sonstigen staatlichen Rechts“ bildet und „den höchsten Platz im Stufenbau der staatlichen Rechtsordnung“ einnimmt,2 sodass gerade dort die Verweisungsproblematik eine besondere Beachtung erfahren sollte. Nachfolgend soll daher untersucht werden, ob die Verwendung dynamischer Verweisungen im Grundgesetz selbst verfassungsrechtlich zulässig ist.
1 Vgl. die Nachweise unter Kap. 3 § 2 A. Ausführlicher lediglich Isensee, AöR 2013, 325 (332–361). 2 Beide Zitate bei A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 2
§ 1 Überprüfbarkeit anhand des Art. 79 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GG Die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes mit den Revisionsregeln der Art. 79 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GG kann naturgemäß nicht für solche Verfassungsvorschriften geprüft werden, die bereits in der Urfassung des Grundgesetzes bestanden. Denn nicht nur unterliegt die Urfassung des Grundgesetzes durch den pouvoir constituant nicht den Bindungen des Grundgesetzes,1 da diese erst durch den verfassungsgebenden Gesetzgeber geschaffen werden,2 sondern wird der Akt der Verfassungsgebung auch inhaltlich nicht von Art. 79 Abs. 1 und 2 GG erfasst, da es sich nicht um eine Änderung des Grundgesetzes, sondern um den Erlass desselben handelt. Neben verfassungsändernden Gesetzen bzw. Gesetzesentwürfen, die sich noch im Gesetzgebungsverfahren befinden, d.h. noch nicht ausgefertigt und verkündet wurden, sind jedenfalls alle nachträglich in das Grundgesetz eingefügten Normen – auch solche, die schon seit geraumer Zeit im Grundgesetz bestehen – anhand des Art. 79 GG überprüfbar und müssen dessen Anforderungen genügen. Denn führte allein der erfolgreich durchlaufene Gesetzgebungsprozess sowie die darauffolgende Einfügung einer Norm in das Grundgesetz dazu, dass diese nicht mehr anhand des Art. 79 GG überprüfbar – und etwaige Mängel damit „geheilt“ – wären, könnten die Anforderungen des Art. 79 GG beliebig umgangen werden, solange die Norm im Ergebnis als Änderung des Grundgesetzes ausgefertigt sowie verkündet wird und in Kraft tritt. Eine solche Ansicht ließe die durch Art. 79 GG verbürgten besonderen Schutzmechanismen für Verfassungsänderungen jedoch leerlaufen. Dementsprechend sind alle nach Inkrafttreten der Urfassung in das Grundgesetz eingefügten Normen unabhängig davon überprüfbar, wie lange diese bereits im Grundgesetz bestehen.3 1
Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 3; Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 35; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 1; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9 Fn. 54; Isensee, AöR 2013, 325 (336); Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 20; H. Krüger, Staatslehre, S. 922; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 46 (45. Lfg. V/15); Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 80 ff. m.w.N.; Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 200; Winterhoff, Verfassunggebung – Verfassungsänderung, S. 150 m.w.N. 2 So auch Winterhoff, Verfassunggebung – Verfassungsänderung, S. 150 m.w.N. Vgl. auch Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 200. 3 Eine Ausnahme stellt insoweit der nachträglich eingefügte Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG (BGBl.
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§ 1 Überprüfbarkeit anhand des Art. 79 GG
Ein etwaiger Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 79 GG führte dazu, dass die entsprechenden Normen verfassungswidrig und nichtig sind, da sie bereits nicht die Geltungsvoraussetzungen für Verfassungsrecht erfüllen und damit im Ergebnis kein solches darstellen können.4
I 1954, S. 45) dar, der naturgemäß vor dessen Einfügung erfolgte Änderungen nicht erfassen kann und somit für derartige Änderungen nicht als Prüfungsmaßstab gelten kann. 4 Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 8; Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 35 (der allerdings einschränkend ausführt, dass sich eine verfassungswidrige Praxis im Einzelfall auch als ein Akt der Verfassungsgebung darstellen könne; dies erscheint jedoch für Änderungen einzelner Bestimmungen fernliegend); Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 36; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Rn. 21 m.w.N.; E. Klein, in: FS Isensee, 169 (177), welcher jedoch davon ausgeht, dass bis zur Nichtigerklärung durch das BVerfG nichtsdestotrotz ein „Befolgungsanspruch des Gesetzes“ besteht; Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Abs. 1 und 2 Rn. 173 (183. Lfg. März 2017); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 6, 83; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 57 (45. Lfg. V/15).
§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Eine erste Hürde im Rahmen der Überprüfung der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen im Grundgesetz ist das Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG. Nach diesem kann das Grundgesetz „nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt“. Angesichts der Tatsache, dass dynamische Verweisungen schon aufgrund ihrer rechtstechnischen Wirkungsweise darauf angelegt sind, dass der Regelungsgehalt der Verweisungsnorm sich infolge der Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts ändert, ohne dass die erfolgten Änderungen textlich aus der Verweisungsnorm hervorgehen,1 erscheint die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG alles andere als selbstverständlich und bedarf daher einer eingehenden Untersuchung.
A. Meinungsstand Die in der Literatur vorzufindenden Äußerungen zu der hiesigen Problematik differieren, obgleich die Tendenz überwiegt, dynamische Verweisungen des Grundgesetzes (vollständig oder weitgehend) als mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar zu deklarieren.
I. Umfassende Zulässigkeit dynamischer Verweisungen So wird teilweise bereits darauf abgestellt, dass das Grundgesetz keine speziellen Grenzen für Verweisungen vorsehe.2 Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG sei schon aus dem Grund nicht einschlägig, dass dieser sich lediglich gegen das Phänomen der Verfassungsdurchbrechungen3 richte, welches in der Weimarer Republik vorzufinden war und daher die Zulässigkeit von Verweisungen nicht erfasse oder begrenze.4 In ähnlicher Weise betonen Bauer/Jestaedt, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG lediglich die Entstehung von Nebenverfassungen verhindern solle und ein In-
1 Siehe zur Wirkungsweise dynamischer Verweisungen bereits oben unter Kap. 1 § 2 B. und Kap. 1 § 2 D. 2 Debus, Verweisungen, S. 108. 3 Zum Phänomen der Verfassungsdurchbrechungen sogleich unter Kap. 3 § 2 C. II. 4 Debus, Verweisungen, S. 108.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
korporationsgebot statuiere, sodass weder statische noch dynamische Verweisungen durch diese Vorschrift ausgeschlossen würden.5 Auch Meyer-Arndt hält Verweisungen vollumfänglich für vereinbar mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.6 Der Wortlaut der Vorschrift enthalte kein Verweisungsverbot und auch der Verfassungsgeber habe sich bereits der Verweisungstechnik bedient,7 sodass davon auszugehen sei, dass dies auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber gestattet sein solle.8 Auch Hufeld geht offenbar von der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen im Grundgesetz aus. Zwar entstehe „ausnahmsweise Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde“.9 Allerdings werde das Verweisungsobjekt durch die Verweisungsnorm von der Inkorporation in die Verfassungsurkunde „frei[ge]zeichnet“.10 Die eingefügte Verweisungsnorm selbst genüge zudem dem Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.11 Dementsprechend seien die Verfassungsinhalte außerhalb der Verfassungsurkunde auf die „Schleusenbestimmung“ im Verfassungstext zurückzuführen, welche „das Untermaßverbot des Art. 79 Abs. 1 GG – das Verbot der spurlosen Verfassungsrechtserzeugung, das die qualifizierten Mehrheiten anhält, das Änderungsgesetz nicht nur als Neuerung, sondern auch als Veränderung zu begreifen und den Änderungszusammenhang im Kontinuum der einen Urkunde zu dokumentieren“ – beachte.12 Zwar werde das Inkorporationsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG durch eine Verweisung „durchkreuzt“.13 Die im Text des Grundgesetzes eingefügte Verweisung beuge sich jedoch „dem Prinzip der konstitutiven Urkundlichkeit“.14 Der Gesetzgeber setze „die Verfassungsänderung nicht mit der Kraft der großen Mehrheit, nicht mit qualifizierten und nicht mit überwältigenden Mehrheiten ins Werk, auch nicht einstimmig, sondern konstitutiv ,nur durch ein Gesetz‘, ,das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt‘.“15
5 A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 11. Auch Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 57 ff. geht offenbar von der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen im Verfassungstext aus, ohne dies explizit zu äußern. 6 Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (280 ff.). So auch Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 13 f. In diese Richtung wohl auch H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 79 ff. 7 Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (281) und Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 13 führen insoweit u.a. die Art. 44 Abs. 2 und 140 GG an. 8 Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (280 f.). Ähnlich Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 13. Vgl. auch H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 80. 9 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15. 10 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15. 11 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15. 12 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15. 13 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 16. 14 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 16. 15 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 16.
A. Meinungsstand
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In seiner Dissertation beurteilte Hufeld jedenfalls einen „pauschale[n] Verweis“ bei einer „gesetzgebungstechnische[n] Unmöglichkeit einer Verlautbarung“ für zulässig, wozu „aus Gründen der Verfassungsklarheit“ auch eine „verunklarende Überfrachtung des Textes mit speziellen Zusätzen“ zähle.16
II. Übertragung einfachgesetzlicher Ansätze In Anknüpfung an die einfachgesetzliche Verweisungsproblematik geht Herdegen davon aus, dass dynamische Verweisungen dann unzulässig seien, „wenn sie die Tragweite einer Verfassungsänderung und das Ausmaß hierauf gestützter Ermächtigungen oder Verhaltensoptionen nicht einmal in wesentlichen Umrissen verlässlich erkennen lassen.“17 Verweisungen auf unterverfassungsrechtliche Normen, die nur „unwesentliche Konkretisierungen eines im Übrigen feststehenden Normengefüges“ beinhalteten, seien jedoch zulässig.18
III. Differenzierung zwischen spezifizierten Einzelverweisungen und umfangreichen Globalverweisungen Teilweise wird hingegen zwischen verschiedenen Verweisungstypen differenziert: Das Gebot der „ausdrücklich[en]“ Textänderung bestärke den „Grundsatz der Verfassungsklarheit“, an welchem Außenverweisungen des Grundgesetzes zu messen seien.19 Dementsprechend seien spezifizierte dynamische Verweisungen auf einzelne Vorschriften zulässig, sofern die in Bezug genommenen Vorschriften klar bestimmbar sind, da in diesem Fall hinreichend klar erkennbar sei, welche Normen Verfassungsrang haben sollen.20 Derartige spezifizierte Einzelverweisungen könnten sogar der Verfassungsklarheit dienen, da infolge der Inkorporation die Wiederholung von „langen und komplizierten Texten“ in der Ver-
16
Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 240. Ob hiermit nur statische oder auch dynamische Verweisungen erfasst sein sollen, bleibt jedoch offen. 17 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 25 (72. Lfg. Juli 2014). 18 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 25 (72. Lfg. Juli 2014). Unbedenklich seien auch Verweisungen auf „universell geltendes Völkergewohnheitsrecht“, da dieses ohnehin nicht durch die Bundesrepublik Deutschland allein determinierbar ist, sodass nicht die Gefahr bestehe, dass deutsche Staatorgane allein die Verweisungsnorm über eine Änderung des Verweisungsobjekts beeinflussen können. 19 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 20. Vgl. auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 357; Degenhart, Ausschuss-Drs. 19(4)214 A, S. 5; Vosgerau, Auschuss-Drs. 19(4)214 C, S. 5. 20 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 20; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 25, 37 und Fn. 72; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 4. In diese Richtung wohl auch Degenhart, Ausschuss-Drs. 19(4)214 A, S. 7 ff.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
fassungsurkunde vermieden werde.21 Zudem habe bereits der Verfassungsgeber selbst z.B. mit Art. 140 GG von der Verweisungstechnik Gebrauch gemacht.22 Unzulässig seien hingegen unspezifizierte Globalverweisungen, da diese infolge ihrer Unklarheit für den Bürger unzumutbar seien und nicht deutlich würde, welche Normen Verfassungsrang haben sollen, sodass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG im Ergebnis unterlaufen würde.23 In diesem Fall bliebe nämlich die Rechtsqualität der in Bezug genommenen Normen unklar, was insbesondere Probleme hinsichtlich ihrer Bindungswirkung und späteren Änderungsmöglichkeiten der entsprechenden Normen aufwürfe.24 Lediglich in Fällen des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG25 seien auch unspezifizierte Globalverweisungen verfassungskonform.26
IV. Josef Isensee Auch nach Isensee seien Verweisungen nicht prinzipiell vor dem Hintergrund des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unzulässig.27 Denn die „vollständige Einsehbarkeit“ des Verfassungsrechts aus der Verfassungsurkunde sei „zwar ein ideales Ziel des Beurkundungsgebots nach Art. 79 Abs. 1 GG“, aber nicht dessen Inhalt.28 Die notwendige Klarheit der Verfassung könne auch bei Verweisungen auf externe Normen vorliegen.29 „Die verfassungsrechtliche Gefahrenzone“ sei allerdings erreicht, „wenn die Verweisung ihrerseits unbestimmt ist oder sich auf unbestimmte Inhalte bezieht, wenn durch (dynamische) Verweisung der Inhalt der Verfassung ins Fließen kommt und die Disposition über den Inhalt an externe Normgeber übergeht.“30
21
Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 25. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 25. Ähnlich Bushart, Verfassungsänderung, S. 53. 23 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 20; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 25, 37. Siehe auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 357; Bushart, Verfassungsänderung, S. 52 f.; Degenhart, Ausschuss-Drs. 19(4)214 A, S. 7 ff. Im Ergebnis zumindest für diese Art der Verweisung wohl auch Vosgerau, Auschuss-Drs. 19(4)214 C. 24 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 37. Vgl. auch Bushart, Verfassungsänderung, S. 53. Im Ansatz auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 357. 25 Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG: „Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.“ 26 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 23; Bushart, Verfassungsänderung, S. 51 ff.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 33. 27 Isensee, AöR 2013, 325 (333). 28 Isensee, AöR 2013, 325 (333). 29 Isensee, AöR 2013, 325 (333). 30 Isensee, AöR 2013, 325 (333). 22
A. Meinungsstand
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Verfassungswidrig würden Verweisungen dann, „wenn das Grundgesetz nicht mehr die identische Geltungsgrundlage des Verfassungsrechts bildet und wenn sich Nebenverfassungen etablieren, zu deren Vermeidung die Beurkundungspflicht gerade geschaffen wurde.“31
Insoweit bestehe allerdings die Barriere der rechtsstaatlichen Bestimmtheit, die auch der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht überwinden könne.32 Jedenfalls begebe sich das Grundgesetz nicht schon deshalb seines Vorrangs, weil es „durch Verweisung zu arbeitsteiliger Rechtserzeugung übergeht“.33 Selbststand und Vorrang der Verfassung würden „nicht berührt durch die ausdrücklichen und stillschweigenden Verweisungen des Grundgesetzes auf nachrangige Normen.“34 Vielmehr bilde das Grundgesetz nur eine „Rahmenordnung“, sodass Verweisungen „strukturnotwendig“ seien.35
V. Unvereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Teilweise werden hingegen (zumindest dynamische Außen-)Verweisungen mit unterschiedlichen Begründungen als unvereinbar mit der Revisionsregel des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG beurteilt.36 Sachs geht insoweit davon aus, dass diese Vorschrift stets die textliche Wiederholung von Regelungen, die in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen, verlange, sodass bloße Verweisungen nicht genügen.37 Nicht berührt werde Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG jedoch durch Bezugnahmen auf externe Regelungen, die ihre originäre Normqualität behalten.38
31
Isensee, AöR 2013, 325 (333). Isensee, AöR 2013, 325 (333). 33 Isensee, AöR 2013, 325 (335). 34 Isensee, AöR 2013, 325 (339). Isensee fasst darunter jedoch auch Regelungsaufträge und Ermächtigungen an den Gesetzgeber, bestimmte Materien auf einfachrechtlicher Ebene (also ohne eine Inkorporation in die Verfassung) auszugestalten und entfernt sich damit deutlich von der hiesigen Definition der Verweisung. 35 Isensee, AöR 2013, 325 (340). Schließlich betont Isensee (a.a.O., 361) hingegen (vor dem Hintergrund von Verweisungen auf Unionsrecht), dass eine Verfassung, die ausschließlich verweise, selbst „nichts mehr zu sagen“ habe und setzt sich damit gewissermaßen in einen Widerspruch zu seinen obigen Aussagen. 36 Vgl. Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 4; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9; Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Abs. 1 und 2 Rn. 167, 180 (183. Lfg. März 2017) (auch wenn dessen Aussagen in Rn. 168 einen gewissen Widerspruch dem vorher geäußerten Verdikt der Unzulässigkeit erzeugen); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 16; Wegge, Demokratieprinzip, S. 45 f. 37 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 16. Ähnlich Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 33, der daneben hervorhebt, dass der Text des Grundgesetzes ansonsten „nicht mehr die alleinige Informationsquelle über den Verfassungsinhalt bildete.“ 38 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 16. So auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 13, 33, der allerdings auch für derartige dynamische „Verweisungen“ je nach ihrem Umfang und der Bestimmtheit des Verweisungsobjekts begrenzen will. 32
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Nach Hain ergebe sich eine Unvereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG für unspezifizierte Globalverweisungen, welche nicht erkennen lassen, auf welche Normen im Einzelnen verwiesen wird, bereits aus dem Vorrang der Verfassung, welcher es notwendig mache, die Inhalte derselben aus der Verfassungsurkunde ablesen zu können, was bei derartigen Verweisungen nicht gegeben sei.39 Auch spezifizierte dynamische Verweisungen auf unterverfassungsmäßige Normen seien jedoch aus dem Grund verfassungswidrig, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber selbst über Änderungen der Verfassung zu entscheiden habe und nicht rangniederen Normautoren Änderungsbefugnisse hinsichtlich der Verfassungsnormen einräumen dürfe.40 In ähnlicher Weise geht Dietlein davon aus, dass dynamische Verweisungen des Grundgesetzes auf „änderbare Rechtsquellen“, die eine „außerverfassungsrechtliche Änderung des Grundgesetzes“ ermöglichten, unzulässig seien, da Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG eine Änderung des Grundgesetzes durch ein formelles Parlamentsgesetz verlange.41 Wegge führt zur Begründung der Unvereinbarkeit von Außenverweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG an, dass diese lediglich für bestimmte völkerrechtliche Verträge nach Maßgabe des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG zulässig seien, was nahelege, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG solche Verweisungen nicht gestatte, da die Einfügung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ansonsten überflüssig gewesen wäre.42 Zudem spreche auch der Charakter des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG als Verbot von Verfassungsdurchbrechungen sowie das Gebot der Verfassungsklarheit gegen die Zulässigkeit von Verweisungen.43 Eine Differenzierung nach dem Umfang der Verweisung überzeuge demgegenüber nicht, da diese sich kaum begründen lasse und praktisch kaum durchführbar sei.44 Nach Reimer ergebe sich die Unvereinbarkeit von Verweisungen des Grundgesetzes mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG aus dem Ausdrücklichkeitserfordernis der Norm, welches eine Sachregelung erfordere; eine Verweisung sei hingegen nur ein „Platzhalter“, welcher der durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG geforderten Transparenz nicht genügen würde.45 Lediglich Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG erteile einen „Dispens vom Verweisungsverbot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG“, sodass in dessen Grenzen Verweisungen im Verfassungstext zulässig seien.46
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Vgl. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9. 41 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 4. 42 Wegge, Demokratieprinzip, S. 45 f. 43 Wegge, Demokratieprinzip, S. 46. 44 Wegge, Demokratieprinzip, S. 46. 45 Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Abs. 1 und 2 Rn. 167 (183. Lfg. März 2017). 46 Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Abs. 1 und 2 Rn. 180 f. (183. Lfg. März 2017). 40
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
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VI. Bundesverfassungsgericht Das BVerfG beanstandete die bisher durch das Gericht als solche qualifizierten dynamischen Verweisungen des Grundgesetzes nicht, was darauf schließen lässt, dass das Gericht die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik auch innerhalb des Grundgesetzes für verfassungsrechtlich zulässig hält.47 Freilich fehlt es insoweit jedoch an verallgemeinerungsfähigen Aussagen.
VII. Kritik Die vorgenannten Stellungnahmen zur Problematik dynamischer Verweisungen im Grundgesetz vermögen insbesondere hinsichtlich ihrer inhaltlichen Tiefe nicht (vollständig) zu überzeugen. Dementsprechend ist die Gesetzgebungstechnik der dynamischen Verweisung einer Untersuchung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu unterziehen, wobei dieser auszulegen ist und insbesondere die Historie und der Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in den Blick genommen werden sollen, um die sich stellende Problematik adäquat beurteilen zu können.
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Als Ausgangspunkt jeder Auslegung ist zunächst der Wortlaut der maßgeblichen Norm zu untersuchen.48 Wie bereits zuvor dargelegt, schreibt Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Folgendes fest: „Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.“
I. Änderung oder Ergänzung (des Wortlauts) 1. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG als Textänderungsgebot Hierbei fällt zunächst auf, dass im Rahmen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG gleich zweimal auf eine „Änderung“ abgestellt wird, die jedoch textlich jeweils unterschiedliche Bezugspunkte aufweist.49 Einmal bezieht sich die Änderung auf „Das 47
Vgl. etwa BVerfG (K), Beschl. v. 31.03.2016 – 2 BvR 1576/13, Rn. 59 (zu Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG). Zu Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auch BayVerfGH, Entsch. v. 12.06.2013 – Vf. 11-VII-11, juris-Rn. 116. Für eine Verfassungskonformität des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG – freilich ohne Bezug zur Verweisungsproblematik hinsichtlich des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG – auch Barley, Kommunalwahlrecht für Ausländer, S. 107. Vgl. ferner BVerfGE 11, 77 (85 ff.), wobei allerdings eine (als solche qualifizierte) dynamische Verweisung der Urfassung nicht beanstandet wurde, was angesichts des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabs für Verweisungen der Urfassung jedoch keinerlei Aussagekraft besitzt. 48 Reimer, Methodenlehre, Rn. 281. 49 So auch Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 49 (45. Lfg. V/15). Etwas anders
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Grundgesetz“ und das zweite Mal bezieht sich die durch die Vorschrift geforderte Änderung auf „den Wortlaut des Grundgesetzes“, welcher „[ge]ändert oder ergänzt“ werden muss. Dadurch wird deutlich, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG im ersten Halbsatz zunächst die inhaltliche – materielle – Änderung des Grundgesetzes meint und für diese im zweiten Halbsatz eine textliche – formelle – Änderung (oder Ergänzung) des Verfassungstextes verlangt.50 Erforderlich für eine Verfassungsänderung ist also stets eine Verfassungstextänderung.51 Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG verbürgt damit den sog. Grundsatz der Urkundlichkeit der Verfassung52 und zeigt durch das Wortlautänderungserfordernis, dass die Vorschrift einen vollständigen Gleichlauf der inhaltlichen Gehalte des Grundgesetzes mit dem Wortlaut desselben anstrebt.53 „Innere Bedeutung“ und „äußere Erscheinung“ des Grundgesetzes sollen also möglichst übereinstimmen. Demnach werden stillschweigende Verfassungsänderungen durch das Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ausgeschlossen.54 Das Erfordernis der Wortlautänderung des Grundgesetzes zeigt zudem, dass das Grundgesetz nicht nur davon ausgeht, dass die Verfassung aus dem Grund-
Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 9, welcher davon ausgeht, dass der Terminus „Änderung“ in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Dies trifft jedoch nicht zu: Für eine Änderung ist jeweils erforderlich, dass der vorhergehende Gehalt nicht mit dem späteren Gehalt des zu beurteilenden Gesichtspunktes übereinstimmt. Es variiert bei Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG jedoch lediglich der Bezugspunkt, auf welchen sich eine solche „Änderung“ beziehen muss. 50 So auch Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 9; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 49 (45. Lfg. V/15). Scharfsinnig Bushart, Verfassungsänderung, S. 55: „Art. 79 Abs. 1 S. 1 spricht davon, daß durch das Änderungsgesetz das GG ,geändert‘ werden kann […]. Diese Änderung ist nicht lediglich die Änderung des Textes – sonst läge die ,großartige‘ Erkenntnis des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG darin, daß eine Textänderung nur im Wege der Textänderung erfolgen kann. ,Die Änderung‘ i.S.d. Abs. 1 muß mehr sein; sie muß auch die hinter dem Text stehende Regelung, die Bedeutung, verändern.“ A.A. Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 10, der diese unterschiedlichen Bezugspunkte der „Änderung“ offenbar übersieht und in beiden Fällen auf eine Textänderung bezieht: „Verfassungsänderung im Sinne von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG meint die inhaltliche Änderung der Verfassungsurkunde im formellen Sinne, das heißt die Änderung des Textes der Verfassungsurkunde.“ 51 Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 12; Bryde, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 79 Rn. 9, 11; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 21 m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 6; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 14 (45. Lfg. V/15); Stern, Staatsrecht I, S. 159. Vgl. auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3. Wipfelder, BayVBl. 1983, 289 (290) versteht dies offenbar sogar als ein allgemeines Prinzip zur Änderung einer jeden Verfassung. 52 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5; Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 9; Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 98; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 17; Stern, Staatsrecht I, S. 159. 53 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5. Vgl. auch Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 20 (72. Lfg. Juli 2014); Isensee, AöR 2013, 325 (328); H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 79; Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 188 f. 54 Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 30.
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
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gesetztext erkennbar sein soll, sondern dass jenes eine „kodifikatorische Geschlossenheit“ anstrebt, d.h. keinerlei (formelles) Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes bestehen darf.55 Die Verfassungsurkunde soll abschließend und vollständig das formelle Verfassungsrecht wiedergeben.56 Vom Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht erfasst wird indes die Änderung von anderen staatsrechtlichen Normen abseits des Grundgesetzes, unabhängig davon, ob diesen für den Staatsaufbau eine herausgehobene Bedeutung zukommt (wie etwa der Geschäftsordnung des Bundestages oder dem Bundeswahlgesetz).57 2. Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes Neben einer Änderung sieht Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG die Möglichkeit einer „Ergänzung“ des Wortlauts des Grundgesetzes für eine inhaltliche Änderung desselben vor. Dem Zusatz der „Ergänzung“ neben einer Änderung des Wortlauts hätte es jedoch in Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG aus dem Grund nicht bedurft, dass auch eine Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes bei genauer Betrachtung eine Änderung desselben ist.58 Denn der Text der Gesamturkunde stimmt nach einer Ergänzung von Vorschriften nicht mehr mit der vorherigen Fassung überein, sodass auch die Ergänzung von Vorschriften den Verfassungstext ändert. Allerdings bringt die festgeschriebene Möglichkeit der Ergänzung zum Ausdruck, dass jegliche Abwandlung der Verfassung – unabhängig davon auf welche Weise diese erfolgt – durch den Verfassungstext ausgewiesen werden soll und unterstreicht ebenfalls die angestrebte Deckungsgleichheit von Verfassungstext und Verfassungsinhalt.
55
A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 7; Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 98, 105; Isensee, AöR 2013, 325 (328); Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 14 (45. Lfg. V/15); Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 188 ff. 56 A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 7; Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (417); Isensee, AöR 2013, 325 (328); Unger, Verfassungsprinzip Demokratie, S. 188 f. Vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 697. A.A. offenbar Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (282). 57 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 13 (72. Lfg. Juli 2014); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 12; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 10; Schöbener, in: Friauf/ Höfling, GG, Art. 79 Rn. 48 (45. Lfg. V/15). Ähnlich Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 13. Derartige Normen werden teilweise als „materielles Verfassungsrecht“ (in Abgrenzung zum „formellen Verfassungsrecht“ des Grundgesetzes) bezeichnet, vgl. etwa Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 25 ff.; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 59 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 3, 10; Isensee, AöR 2013, 325 (330); Sachs, in: Sachs, GG, Einf. Rn. 7 ff.; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 52 f. (45. Lfg. V/15). Ein abweichendes Verständnis dieser Begrifflichkeiten findet sich hingegen bei Natus, Zweidrittelmehrheit, S. 128 ff. Sofern nachfolgend von „Verfassungsrecht“ die Rede ist, ist damit nur das formelle Verfassungsrecht gemeint (sofern man dieser begrifflichen Differenzierung überhaupt folgen möchte). 58 Ähnlich Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 60 (45. Lfg. V/15).
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
3. Bedeutung für die Verweisungsproblematik Vergegenwärtigt man sich diese durch den Wortlaut verbürgten Gehalte des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG – insbesondere den Grundsatz, dass jede (inhaltliche) Änderung des Grundgesetzes einer Verfassungstextänderung bedarf und den dadurch angestrebten Gleichlauf von Verfassungstext und Verfassungsinhalt – so wird deutlich, dass dynamische Verweisungen diesen Grundsätzen bereits konzeptionell zuwiderlaufen. Denn dynamische Verweisungen sind darauf ausgelegt, dass sich deren inhaltliche Gehalte durch die Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts ändern (können), ohne dass sich auch der Text der Verweisungsnorm selbst ändert. Hierdurch wird also gerade diejenige Situation ermöglicht, die Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu verhindern sucht: Inhaltliche Verfassungsänderungen, ohne dass diese im Wortlaut des Grundgesetzes erkennbar werden. Diese Annahme lässt sich anhand des Beispiels des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG illustrieren, welcher festlegt, dass auf die Beweiserhebungen in Untersuchungsausschüssen „die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung“ finden. Mit jeder Änderung der StPO hinsichtlich der Beweiserhebungsvorschriften im Strafprozess wird deren Inhalt automatisch in die Verweisungsnorm des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG inkorporiert und damit im Anwendungsbereich desselben – also für Untersuchungsausschüsse – zu Verfassungsrecht. Geänderte Beweiserhebungsbefugnisse in der StPO führen daher automatisch zur Änderung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Beweiserhebungsbefugnisse im Untersuchungsausschuss.59 Derartige Änderungen werden allerdings durch Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG nicht ausgewiesen, sodass der durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG festgelegte Grundsatz, dass jede (inhaltliche) Verfassungsänderung einer Verfassungstextänderung bedarf, beeinträchtigt wird.60 a) Änderung i.S.d. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG trotz Fortbestehens des Wortlauts der Verweisungsnorm Gegen diese Argumentation spricht auch nicht, dass die jeweilige Verweisungsnorm – in diesem Fall Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG – sich nicht ändert, sondern vielmehr lediglich stets das Verweisungsobjekt in seiner jeweils geltenden Fassung für anwendbar erklärt, sodass man zunächst annehmen könnte, dass der Änderungsmechanismus dynamischer Verweisungen von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht erfasst wird. 59
Vgl. auch H. Klein/K.-A. Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 44 Rn. 30 (96. Lfg. November 2021). Diese bemängeln im Übrigen, dass die bestehende Verweisung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht aufgehoben wurde. 60 Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG war jedoch bereits Teil der Urfassung des Grundgesetzes und unterliegt als Teil des ursprünglichen verfassungsgebenden Akts des pouvoir constituant daher nicht den Bindungen des Grundgesetzes, sodass eine Verletzung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ausscheidet.
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
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Zwar ändert sich weder der Wortlaut der Verweisungsnorm noch der Anwendungsbefehl des Inhalts des Verweisungsobjekts. Allerdings übersähe eine solche Ansicht, dass der Inhalt des Verweisungsobjekts infolge der Verweisung im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm in diese inkorporiert und damit Teil derselben wird. Entsprechend dieser Inkorporationswirkung ändert sich durch eine Änderung des Verweisungsobjekts nicht nur dieses selbst, sondern auch die Verweisungsnorm inhaltlich, obgleich sie lediglich stets das Verweisungsobjekt in seiner jeweils geltenden Fassung für anwendbar erklärt. Ausweislich des Wortlauts des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, der sich im ersten Halbsatz eindeutig auf inhaltliche Änderungen des Grundgesetzes bezieht und diese einer Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes unterwirft, müssen gerade auch solche inhaltlichen Änderungen von Vorschriften des Grundgesetzes durch die Revisionsregel des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erfasst werden. Denn der Wortlaut dieser Vorschrift zielt gerade darauf ab, inhaltliche Änderungen des Grundgesetzes von einer textlichen Änderung desselben abhängig zu machen und damit einen Gleichlauf von Verfassungsinhalt und Verfassungstext zu erzeugen. Insbesondere eine solches „textliches Schweigen“ trotz inhaltlicher Änderung einer Verfassungsnorm läuft also der Konzeption des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zuwider. b) Differenzierung zwischen Einzel- und Globalverweisungen Auch die in der Literatur vielfach anzutreffende Differenzierung zwischen spezifizierten Einzelverweisungen und unspezifizierten Globalverweisungen kann daher nicht überzeugen.61 Denn diese (teilweise auf den Grundsatz der „Verfassungsklarheit“ gestützte) Differenzierung verfehlt bereits den Kern der Problematik: Unabhängig davon, ob die etwaigen Verweisungsobjekte hinreichend klar bestimmbar und leicht ermittelbar sind oder deutlich wird, welche externen Normen Verfassungsrang haben sollen, gebietet Art. 79 Abs. 1 S. 1, dass (inhaltliche) Änderungen des Grundgesetzes durch eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes ausgewiesen werden. Eine etwaige Erheblichkeitsschwelle oder eine Rechtfertigungsmöglichkeit bei hinreichender Klarheit ist dieser Vorschrift jedoch fremd, sodass es für Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG gänzlich irrelevant ist, ob die externen Verweisungsobjekte hinreichend klar bestimmbar sind und sich aus der Verweisungsnorm eindeutig ergeben. Vielmehr bedarf jede (inhaltliche) Änderung des Grundgesetzes auch einer Verfassungstextänderung. Eine solche lassen dynamische Verweisungen – unabhängig davon, ob es sich um spezifizierte Einzelverweisungen oder unspezifizierte Globalverweisungen handelt – jedoch vermissen und stehen daher im Widerspruch zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG. Ebenfalls nicht überzeugen kann daher auch die von Herdegen vorgenommene Differenzierung zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ Konkretisierungen der Verweisungsnorm.62 61 62
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 A. III. Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 A. II.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
c) Ausreichende Textänderung durch Einfügung der Verweisungsnorm? Ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG scheidet auch nicht schon aus dem Grund aus, dass das Grundgesetz bei der Einfügung einer nachträglichen, d.h. nicht bereits in der Urfassung des Grundgesetzes enthaltenen, Verweisungsnorm dem Wortlaut nach geändert wird, indem die Verweisungsnorm in den Text des Grundgesetzes aufgenommen wird oder eine bestehende Norm des Grundgesetzes dahingehend abgeändert wird, dass sie nunmehr eine dynamische Verweisung enthält.63 Denn zwar läge dann für diese (inhaltliche) Änderung des Verfassungsinhalts – nämlich der Aufnahme der Verweisung und die Inkorporation des Verweisungsobjekts in der Fassung zum Zeitpunkt der Aufnahme der Verweisungsnorm – eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes vor, die Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich genügen würde. Dies hilft jedoch nicht über den Umstand hinweg, dass für alle nachfolgenden inhaltlichen Änderungen der Verweisungsnorm infolge der Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes fehlen würde und diese inhaltlichen Änderungen der verweisenden Verfassungsnorm daher im Widerspruch zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG stehen würden. Ferner sind dynamische Verweisungen darauf ausgelegt, sich inhaltlich zu ändern, ohne dass dies im Wortlaut der Verweisungsnorm ausgewiesen wird, sodass dies auch bei der ursprünglichen Einfügung der Verweisungsnorm Berücksichtigung finden muss, soll nicht der inhaltliche Gehalt des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG im Ergebnis leer laufen.64 Die rein formalistische Reduzierung auf die Wortlautänderung der Verweisungsnorm kann daher angesichts der Wirkungsweise dynamischer Verweisungen – insbesondere mit Blick auf konzeptionell angelegte zukünftige Änderungen des Inhalts der Verweisungsnorm – für eine Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht genügen.
II. Ausdrücklichkeit der Änderung 1. Inhalt des Ausdrücklichkeitserfordernisses Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG fordert überdies eine ausdrückliche Änderung oder Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes. Diesem Tatbestandsmerkmal wird in der Literatur unter Verweis auf die Historie der Norm teilweise jegliche Bedeutung abgesprochen.65 Denn bereits in den Beratungen des Hauptausschusses im Parlamentarischen Rat machte der Abgeordnete Strauß deutlich, dass das Wort 63
So aber Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9. Die über den in das Grundgesetz einzufügenden Text hinausgehende materielle Bedeutung einer Verweisung – allerdings ohne Bezugnahme auf die dadurch ermöglichten zukünftigen Änderungen – ebenfalls hervorhebend Degenhart, Ausschuss-Drs. 19(4)214 A, S. 5 f. 65 Vgl. Meyer-Goßner, Verfassungsmäßigkeit Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG, S. 22; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 14; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 60 (45. Lfg. V/15). In diese Richtung auch A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 10; Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (277 f.). 64
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
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„ausdrücklich“ gestrichen werden könne, da der Wortlaut ohnehin nur geändert oder ergänzt werden könne, wenn der Text des Grundgesetzes verändert wird.66 Diesen Äußerungen begegnete der Abgeordnete Schmid jedoch mit dem Einwand, dass ansonsten Zweifel entstehen und man der Meinung sein könne, „daß es genügen könnte, wenn der Wortlaut des Grundgesetzes auch implizite geändert wird“.67 Da gerade dies verhindert werden solle, sprach er sich dafür aus, das Wort im Entwurf des Grundgesetzes zu belassen, welches nachfolgend keinen Einwänden mehr begegnete.68 Freilich ist eine nicht-ausdrückliche – also implizite – Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes kaum vorstellbar, sodass der selbstständige Anwendungsbereich des Ausdrücklichkeitserfordernisses neben dem Gebot der Wortlautänderung nahezu nicht existent erscheint. Jedoch darf nicht vernachlässigt werden, dass dieses Merkmal letztendlich Teil der Vorschrift geblieben und daher als solcher anzuerkennen sowie in die Auslegung einzubeziehen ist. Zudem kann „ausdrücklich“ als ein Synonym für „unmissverständlich“ verstanden werden,69 was veranschaulicht, dass der Gehalt der Verfassungsrechtsänderung aus der Verfassungstextänderung deutlich hervorgehen soll. Noch einmal bekräftigt wird damit das Textänderungsgebot, welches verlangt, den Inhalt der Verfassung aus dessen Text ablesen zu können. Das Ausdrücklichkeitserfordernis fungiert demnach insoweit als bedeutungsverstärkende70 Tautologie, die die angestrebte Urkundlichkeit der Verfassung betont. Daneben kann das Ausdrücklichkeitserfordernis angesichts seiner Deutungsmöglichkeit als „unmissverständlich“ als Bekenntnis zum Grundsatz der „Verfassungsklarheit“ angesehen werden.71 Dies bedeutet, dass die (inhaltliche) Verfassungsänderung im Wortlaut des Grundgesetzes nicht nur andeutungsweise, sondern hinreichend klar zum Ausdruck kommen muss.72 Die Grenzen sind hierbei allerdings angesichts des knappen Wortlauts weit zu ziehen.73 Eine etwaige Auslegungsbedürftigkeit einer Norm ist daher unschädlich.74 66 Vgl. das Protokoll der zwölften Sitzung des Hauptausschusses vom 01.12.1948, abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 362. 67 Vgl. das Protokoll der zwölften Sitzung des Hauptausschusses vom 01.12.1948, abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 362. 68 Vgl. das Protokoll der zwölften Sitzung des Hauptausschusses vom 01.12.1948, abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 362 f. 69 Pescheck, Duden. Synonyme, Stichwort „ausdrücklich“. 70 Eine Bestärkung des Wortlautänderungserfordernisses – freilich ohne Klassifizierung als Tautologie – ebenfalls annehmend Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 30; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 22; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 8 Fn. 45; H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 78. 71 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 20; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 24 (72. Lfg. Juli 2014). Vgl. auch Vosgerau, Auschuss-Drs. 19(4)214 C. 72 Vgl. Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 24 (72. Lfg. Juli 2014). Siehe auch Vosgerau, Auschuss-Drs. 19(4)214 C, S. 5. 73 Vgl. Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 24 (72. Lfg. Juli 2014) m.w.N. 74 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 24 (72. Lfg. Juli 2014).
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Diese Annahmen der nicht gänzlichen Unerheblichkeit des Ausdrücklichkeitserfordernisses werden durch die Historie der Norm in Form der soeben dargestellten Äußerungen des Abgeordneten Schmid im Parlamentarischen Rat bestätigt. Insbesondere wird durch diese Äußerungen die These der bedeutungsverstärkenden Wirkung des Ausdrücklichkeitserfordernis sowie das hierdurch verdeutlichte Bekenntnis zur Verfassungsklarheit bekräftigt, indem Schmid gerade hervorhebt, dass „implizite“ Änderungen des Wortlauts nicht genügen sollen. 2. Bedeutung für die Verweisungsproblematik Durch die bedeutungsverstärkende Wirkung des Wortes „ausdrücklich“ wird die zuvor aufgestellte These der Unvereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG untermauert. Denn eine ausdrückliche Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes bei inhaltlichen Änderungen desselben fehlt bei dynamischen Verweisungen, die sich infolge der Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts in die Verweisungsnorm ergeben. Vielmehr erfolgt eine Wortlautänderung trotz inhaltlicher Änderungen gerade nicht, sondern es findet eine versteckte Änderung in Form der Inkorporation des geänderten Inhalts des Verweisungsobjekts statt. Damit handelt es sich keineswegs um eine „ausdrückliche“ Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes. Zwar erscheint die in der Literatur geäußerte Differenzierung zwischen spezifizierten Einzelverweisungen und unspezifizierten Globalverweisungen hinsichtlich des Bekenntnisses zur „Verfassungsklarheit“, welches auch aus dem Ausdrücklichkeitserfordernis des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG folgt, auf den ersten Blick plausibel. Neben den bereits zuvor erläuterten Argumenten, die gegen eine solche Differenzierung und vielmehr für die Unzulässigkeit dynamischer Verweisungen sprechen, kommt mit Blick auf das Ausdrücklichkeitserfordernis jedoch hinzu, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG gerade nicht nur fordert, dass der (geänderte) Inhalt der Norm ausdrücklich (in der Bedeutungsweise als „unmissverständlich“ bzw. „hinreichend klar“) erkennbar ist oder ausdrücklich aus der Norm hervorgeht. Vielmehr wird eine ausdrückliche Änderung des Wortlauts gefordert. Zwar lässt eine Verweisungsnorm, zumindest sofern es sich um eine spezifizierte Einzelverweisung handelt, erkennen, welche externe Norm in Bezug genommen wird. Im Fall der Änderung des Verweisungsobjekts, welches zur inhaltlichen Änderung der Verweisungsnorm führt, findet jedoch keine Änderung des Wortlauts der grundgesetzlichen Verweisungsnorm statt. Im Ergebnis ist es also unerheblich, ob die in Bezug genommenen Vorschriften hinreichend klar erkennen lassen, welche Vorschriften in Bezug genommen werden und nunmehr Verfassungsrang haben sollen, sondern ist allein maßgeblich, ob sich inhaltliche Änderungen auch in einer ausdrücklichen Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes niederschlagen. Dies ist jedoch bei dynamischen Verweisungen bereits konzeptionell nicht der Fall, sodass auch das Gebot ausdrücklicher Textänderung gegen die Vereinbarkeit dieser Gesetzgebungstechnik mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG spricht.
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
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III. „Durch ein Gesetz“ Die Änderung des Grundgesetzes kann ausweislich des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nur durch ein Gesetz erfolgen. Gemeint ist hiermit ein formelles Parlamentsgesetz des Bundes.75 Dass es sich um ein Bundesgesetz handeln muss, ergibt sich schon daraus, dass das Grundgesetz die Verfassung des Bundes ist und dementsprechend bereits sinnlogisch nur durch den Bund und nicht durch ein einzelnes Land geändert werden kann. Spätestens die Systematik zeigt jedoch durch Art. 79 Abs. 2 GG – welcher Mehrheitsquoren in Bundestag und Bundesrat festlegt –, dass es sich um ein formelles Parlamentsgesetz des Bundes handeln muss.76 Mangels anderweitiger Verfahrensregelungen abseits des Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 ergibt sich durch das Erfordernis eines Bundes-„Gesetz[es]“, dass im Übrigen die üblichen Verfahrensbestimmungen für Bundesgesetze (also die Art. 76–78, 82 GG) gelten.77 Dementsprechend sind im Gegenschluss alle anderen Formen der Änderung des Grundgesetzes durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG als unzulässig ausgeschlossen. Dies gilt etwa für eine Änderung per Rechtsverordnung, Satzung oder Landesgesetz.78 Explizit regelt das Grundgesetz dies für den Gesetzgebungsnotstand (Art. 81 Abs. 4 GG) sowie Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses (Art. 115e Abs. 2 S. 1 GG); durch derartige Gesetze darf das Grundgesetz nicht geändert werden. 1. Änderung durch die Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts Auch dem Erfordernis der Änderung „[d]urch ein Gesetz“ werden dynamische Verweisungen nicht (immer) gerecht. Zwar erfolgt die Einfügung der Verweisungsnorm in das Grundgesetz durch ein formelles Bundesgesetz; alle künftigen Änderungen der Verweisungsnorm geschehen jedoch nicht (zwingend) durch formelle Bundesgesetze, die die Anforderungen der Art. 76–79 und 82 GG wahren, sondern vielmehr durch die Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts, ohne dass die Verweisungsnorm selbst einer gesetzlichen Änderung unterzogen 75
So im Ergebnis auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 12; Kment, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 2; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 12; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 10. Vgl. auch Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 4; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 79 Rn. 1; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 17 (72. Lfg. Juli 2014); Wegge, Demokratieprinzip, S. 42. 76 So auch Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 10 Fn. 30. 77 So im Ergebnis auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 24 f.; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 4.2; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 11 m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 1; Herdegen, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 17 (72. Lfg. Juli 2014); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 2; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 12; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 10. 78 Vgl. auch Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 8; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 4; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 12; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 79 Rn. 1; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 2
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
wird. Statt der durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG geforderten Änderung der Grundgesetznorm im dafür vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren wird also lediglich das Verweisungsobjekt geändert, welches automatisch durch die Verweisungsnorm rezipiert wird. Bereits dies widerspricht – jedenfalls für inhaltliche Änderungen der Verweisungsnorm durch eine Änderung des Verweisungsobjekts – dem durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG statuierten Erfordernis einer Änderung „[d]urch ein Gesetz“. Verstärkend kommt hinzu, dass nicht nur dynamische Verweisungen auf andere formelle Bundesgesetze rechtstechnisch möglich sind, sondern – wenn man der wohl herrschenden Meinung in der Literatur folgt, die lediglich nach der Spezifikation der Verweisung differenziert79 – auch dynamische Verweisungen auf Rechtsverordnungen oder Landesgesetze zulässig wären. Dadurch wären bei derartigen Verweisungen mittelbare Änderungen der Verfassung durch Landesgesetze oder Exekutivnormen möglich. Dies würde jedoch bedeuten, dass die verweisende Verfassungsnorm über die Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts mittelbar durch eine Vorschrift geändert werden könnte, die nur den Verfahrensanforderungen der entsprechenden Exekutivnorm oder einer Landesnorm genügen muss und jedenfalls kein (Bundes-)Gesetz i.S.d. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG darstellen würde. Dies führte bei derartigen Verweisungen sogar dazu, dass bei der inhaltlichen Änderung nicht einmal der Bundesgesetzgeber beteiligt wäre und im Fall der Verweisung auf eine Rechtsverordnung nicht einmal ein formelles Gesetz vorläge. Spätestens für derartige Verweisungen wird deutlich, dass diese evident den Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG widersprechen, welcher für (inhaltliche) Änderungen nicht nur eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes fordert, sondern die Änderung durch ein formelles Bundesgesetz verlangt. 2. Umgehung des Gesetzeserfordernisses Gegen diese Annahme spricht auch nicht, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eben diesen Wirkmechanismus mittels der Verweisungsnorm unter Wahrung der Erfordernisse der Art. 76–79 und 82 GG in das Grundgesetz eingefügt und damit angeordnet hat. Denn dies kann allenfalls die ursprüngliche Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts in der Fassung zum Zeitpunkt der Einfügung der Verweisungsnorm legitimieren, nicht aber alle nachfolgenden Änderungen der Verweisungsnorm durch die Inkorporation der geänderten Fassungen des Verweisungsobjekts. Ansonsten würde man dem verfassungsändernden Gesetzgeber bei genauer Betrachtung gestatten, sich mittels der Einfügung einer Verweisungsnorm über das Erfordernis eines Gesetzes für zukünftige Änderungen der Verweisungsnorm hinwegzusetzen. Denn dadurch wäre es möglich, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber schlicht auf eine externe Norm verweist, welche nicht den verfahrungsmäßigen Bindungen für Verfassungsänderungen 79
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 A. III.
B. Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
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unterliegt, sondern einfacher abänderbar ist und dadurch die verweisende Verfassungsnorm nach Belieben ausgestaltet, sodass für diese Verfassungsnorm insoweit das Änderungserfordernis per Bundesgesetz umgangen wird. Damit wäre die eingefügte Verfassungsnorm zwar äußerlich ordnungsgemäß in das Grundgesetz eingefügt worden; derartige Verweisungen würden jedoch die verfahrensmäßigen Anforderungen an Verfassungsänderungen – hier das durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG festgelegte Erfordernis einer Änderung des Grundgesetzes nur durch ein formelles Bundesgesetz – im Ergebnis aushöhlen. Folglich spricht auch dies gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.
IV. Stellung der Wortlautänderung Keine Angabe enthält Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG darüber, an welcher Stelle des Grundgesetztextes die jeweilige Änderung des Wortlauts erfolgen soll, sondern verlangt vielmehr lediglich, dass der Wortlaut des Grundgesetzes überhaupt geändert wird. Nicht erforderlich ist also, dass die Änderung des Grundgesetzes auch an derjenigen Stelle des Wortlauts des Grundgesetzes vorgenommen wird, an der sich die abzuändernde Regelung zuvor befand.80 Dies ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass auch die Ergänzung neuer Vorschriften möglich ist, bei welchen naturgemäß nicht an die Stelle der abzuändernden Norm angeknüpft werden kann.81 Ferner verlangt Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nur eine Änderung „des Wortlauts“ und nicht „des entsprechenden Wortlauts“ für eine inhaltliche Änderung des Grundgesetzes. Mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ohne Weiteres vereinbar ist es daher, die beabsichtigte Änderung des Grundgesetzes an einer beliebigen Stelle des Wortlauts vorzunehmen.82 Daraus ergibt sich, dass gegen dynamische Binnenverweisungen – also Verweisungen innerhalb des Grundgesetzes – keine Bedenken bestehen.83 Denn bei diesen würde die Verweisungsnorm lediglich den Inhalt einer anderen Vorschrift 80
Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 357; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 8; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 24 (72. Lfg. Juli 2014); Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 105; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 4; Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (276 ff.); Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 13; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 17; H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 78 m.w.N. 81 Ähnlich Bushart, Verfassungsänderung, S. 51 f. 82 Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 357; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5.2; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 22; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 8, 13 (unter beispielsweiser Nennung des Art. 17a GG); H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 79 f.; Wegge, Demokratieprinzip, S. 45. So offenbar auch das BVerfG (E 94, 49 [104]), welches eine Änderung des Art. 19 Abs. 4 GG durch Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG für mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar erklärte. 83 Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes auch als zulässig ansehend Isensee, AöR 2013, 325 (334) (da diese „die Einheit und Transparenz des Verfassungstextes nicht in Frage“ stellten). Wohl auch Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9 Fn. 59;
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
des Grundgesetzes inkorporieren und dessen Änderungen auf diese Weise automatisch rezipieren. Dadurch vollzöge sich trotz der Verweisung stets eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes, die lediglich an einer anderen Stelle des Grundgesetzes erfolgte als an der Verweisungsnorm selbst, da in diesem Fall auch das Verweisungsobjekt Teil des Grundgesetzes ist. Zudem würden auch die anderen verfahrensmäßigen Anforderungen der Art. 76–79 und 82 GG gewahrt, da Änderungen des Verweisungsobjekts im Fall der Binnenverweisung innerhalb des Grundgesetzes selbst den Anforderungen an eine Verfassungsänderung genügen müssen. Aufgrund der fehlenden Festlegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, an welcher Stelle des Grundgesetzes die Wortlautänderung erfolgen muss, sind dynamische Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes dementsprechend mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar.
V. Zusammenfassung Im Ergebnis spricht der Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG also deutlich gegen die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes.84 Lediglich dynamische Binnenverweisungen sind mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar.
C. Historische und teleologische Auslegung Nach dem Wortlaut sind nunmehr Historie und Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu betrachten und hinsichtlich der Verweisungsproblematik zu untersuchen. Historie und Zweck der Vorschrift sind untrennbar miteinander verbunden, da sich die Zwecke des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG maßgeblich aus seiner Historie ergeben und sollen daher gemeinsam betrachtet werden.
I. Vorgängernormen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Bereits Art. 78 Abs. 1 S. 1 der RV 187185 und Art. 76 Abs. 1 S. 1 WRV86 sahen vor, dass Verfassungsänderungen „im Wege der Gesetzgebung“ möglich sind. In Übereinstimmung mit diesen Vorschriften der vorherigen deutschen Verfassungen sieht Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG (wie bereits oben dargelegt) vor, dass Änderungen nur durch ein formelles Parlamentsgesetz erfolgen dürfen und knüpft dies-
Hillgruber, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 126 Rn. 16 f. (68. Lfg. Januar 2013); Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 53 (freilich ohne Bezug zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG). 84 A.A. Bushart, Verfassungsänderung, S. 51 f. 85 RGBl. 1871, S. 63 (85). 86 RGBl. 1919, S. 1383 (1397).
C. Historische und teleologische Auslegung
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bezüglich also an seine Vorgängernormen an.87 Der wesentliche Unterschied besteht jedoch im zusätzlichen Regelungsgehalt des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG: Art. 78 Abs. 1 S. 1 RV 1871 lautete lediglich: „Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung.“ Art. 76 Abs. 1 S. 1 WRV beinhaltete Folgendes: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden.“ Diese Regelungen erschöpften sich also darin, ein formelles Parlamentsgesetz für Änderungen der jeweiligen Verfassung zu verlangen. Eine Vorgabe, dass der Text der Verfassung geändert werden muss, fehlte in diesen Vorschriften jedoch gänzlich. Demgegenüber legt Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG neben dem Erfordernis eines (formellen) Bundesgesetzes nunmehr fest, dass für (inhaltliche) Änderungen des Grundgesetzes der Wortlaut desselben ausdrücklich geändert oder ergänzt werden muss.
II. Praxis der „Verfassungsdurchbrechungen“ unter der WRV Diese fehlende Begrenzung des Art. 76 Abs. 1 S. 1 WRV auf eine Änderung des Verfassungstextes führte in der Weimarer Republik (und bereits zuvor unter Geltung der RV 1871)88 dazu, dass Normen, welche die WRV stillschweigend abänderten bzw. von dieser abwichen, als zulässig angesehen wurden, solange diese Gesetze mit der nach Art. 76 Abs. 1 S. 2 und 3 WRV erforderlichen verfassungsändernden 2/3-Mehrheit beschlossen wurden, obgleich sie den Text der WRV nicht änderten.89 Derartige Gesetze werden als „Verfassungsdurchbrechungen“ bezeichnet.90 Auch das Reichsgericht bestätigte die Zulässigkeit dieser Praxis:
87
Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 6 und Fn. 22 f.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 1 m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 1; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 8. 88 Vgl. aus der zeitgenössischen Literatur nur Laband, Staatsrecht des Dt. Reiches, S. 39 f.; G. Meyer/Anschütz, Lehrbuch des dt. Staatsrechts, S. 689 f. (welche dies „als durch Gewohnheitsrecht anerkannt“ sahen) mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Dementsprechend kam es bereits im Kaiserreich unter der Geltung des Art. 78 Abs. 1 S. 1 RV 1871 zu zahlreichen Durchbrechungen und Abweichungen von der Verfassung. Beispiele bei Laband, Staatsrecht des Dt. Reiches, S. 40 f.; G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, S. 6 f. 89 Aus der zeitgenössischen Literatur die Zulässigkeit von verfassungsdurchbrechenden Gesetzen außerhalb der Verfassungsurkunde bejahend etwa Anschütz, WRV, Art. 76 Anm. 2 m.w.N.; Hsü, Verfassungswandlung, S. 68 f.; W. Jellinek, in: Handbuch des dt. StaatsR II, S. 187 f.; Jeselsohn, Verfassungsänderung nach Reichsrecht, S. 22 f., 74 ff.; Leibholz, AöR 1932, 1 (2 ff.); Loewenstein, Erscheinungsformen Verfassungsänderung, S. 50. Schon damals kritisch Bilfinger, AöR 1926, 163 (174 ff.): „M.E. steht nichts im Wege, die Methode der Durchbrechung, weil sie, nach der gegebenen Darlegung, dem gesetzlichen Wege widerspricht und mit ihrer Funktion ein heimliches Aushöhlen des geschriebenen Verfassungsrechts begünstigt, als Ganzes für eine Methode der Umgehung der Verfassung zu erklären.“ 90 Begriff zurückgehend auf Jacobi, VVDSTRL 1 (1924), 105 (109, 118), der dies allerdings noch auf Normen beschränkte, die zwar einer Verfassungsbestimmung zuwiderliefen, die Verfassungsnorm aber im Übrigen unverändert fortgelten lassen sollten. So auch noch Bil-
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
„Für die Wirksamkeit einer Verfassungsänderung ist nicht erforderlich, daß sie vom Gesetzgeber ausdrücklich als solche bezeichnet oder gar in die Verfassung selbst aufgenommen wird.“91 Durch die WRV ermöglicht sowie durch Rechtsprechung und Literatur anerkannt war damit die (unbegrenzte) Schaffung von Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde. Infolge der zahlreichen „verfassungsdurchbrechenden“ Gesetze92 konnte der Inhalt der Verfassung dementsprechend nicht mehr allein durch die Verfassungsurkunde selbst bestimmt, sondern musste aus der Zusammenschau aller Rechtsnormen sowie deren Hintergrund und Zustandekommen (insbesondere hinsichtlich der erforderlichen Mehrheit) erschlossen werden.93 finger, AöR 1926, 163 (173); Leibholz, AöR 1932, 1 (1 f.). Ähnlich auch Jeselsohn, Verfassungsänderung nach Reichsrecht, S. 46, der Verfassungsdurchbrechungen jedoch noch einschränkender dahingehend definierte, dass es sich um vorübergehende Eingriffe in den Bestand des Verfassungsrechts handelt, nicht aber um dauerhafte Änderungen. Wie Jacobi auch Thoma, in: Handbuch des dt. StaatsR II, S. 155, der Verfassungsdurchbrechungen ebenfalls als „individuelle Maßnahmen zu vorübergehendem Zweck“ bezeichnete und von der „Verfassungsänderung ohne Änderung des Verfassungstextes“ unterschied. Vgl. zum heutigen (weiteren) Verständnis Anschütz, WRV, Art. 76 Anm. 2; Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 30; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 6; Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (386) m.w.N.; Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 16, 25; Isensee, AöR 2013, 325 (328); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 8 (45. Lfg. V/15). Teilweise wird weiter zwischen sog. formellen und materiellen Verfassungsdurchbrechungen unterschieden, vgl. etwa Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 17 ff. m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 6 Fn. 36. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erfasse nur die formelle, nicht aber die materielle Verfassungsdurchbrechung. Letztere sei „eine Anordnung […], die für einen konkreten Einzelfall Bestimmungen trifft, welche abweichen von den Normen der Verfassungsurkunde, die im Übrigen in Kraft bleiben“. Eine formelle Verfassungsdurchbrechung sei hingegen die Änderung der Verfassung ohne eine Textänderung, sodass man vielmehr von einer Verfassungstextdurchbrechung sprechen könne, vgl. Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (386 Fn. 3 und 387). Diese Differenzierung spiegelt die frühere Unterscheidung zwischen Verfassungsdurchbrechungen (im ursprünglichen Sinne) sowie stillschweigenden Verfassungsänderungen bzw. Verfassungsänderungen ohne Änderungen des Verfassungstextes wider und ändert allein die diesbezügliche Terminologie. Für die Verweisungsproblematik allein relevant ist die formelle Verfassungsdurchbrechung (soweit man dieser begrifflichen Unterscheidung überhaupt folgen möchte), sodass auch diese im Folgenden stets mit dem Terminus „Verfassungsdurchbrechung“ gemeint ist. 91 RG, JW 1927, 2198 (2199). 92 Detailliert die verfassungsdurchbrechenden Gesetze der Weimarer Zeit auflistend Poetzsch, JöR 1925, 1–248 (227 ff.); Poetzsch-Heffter, JöR 1929, 1 (139 f.); Poetzsch-Heffter/ Ule/Dernedde/Brennert, JöR 1933/34, 1 (201 f.). 93 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 7; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 3 m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 5 m.w.N. Siehe bereits aus der zeitgenössischen Literatur Bilfinger, AöR 1926, 163 (174 f.); Loewenstein, Erscheinungsformen Verfassungsänderung, S. 53 Fn. 2. Schon unter der Geltung der RV 1871, G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, S. 6 f.: „Es herrscht hier eine unglaubliche Systemlosigkeit bezüglich der Verfassungsänderung, die zur Folge hat, daß heute niemand aus dem Texte der Verfassung ein auch nur einigermaßen zutreffendes Bild von
C. Historische und teleologische Auslegung
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Die Praxis der Verfassungsdurchbrechungen führte folglich sogar zu einem „wachsenden Widerspruch zwischen tatsächlich geltendem Verfassungsrecht und Verfassungstext“ und letztendlich zu einer „Entwertung der Weimarer Reichsverfassung“.94
III. Entwicklung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Bereits im Entwurf des Herrenchiemseer Konvents fand sich daraufhin die Bestimmung des Art. 106 Abs. 2: „Anträge auf Gesetze, die mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, sind erst zulässig, wenn zuvor ein besonderes Gesetz verkündet ist, das den Text des Grundgesetzes entsprechend ändert.“95 Trotz dieser unglücklichen96 Formulierung brachte die Vorschrift zum Ausdruck, dass Gesetze unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr von Bestimmungen der Verfassung abweichen können sollen – auch nicht, wenn diese mit der erforderlichen Mehrheit für Verfassungsänderungen beschlossen wurden. Vielmehr sollten Verfassungsänderungen im Text des Grundgesetzes dokumentiert werden. Das Motiv, Verfassungsdurchbrechungen wie in der Weimarer Zeit zu verhindern, wurde bereits im Abschlussbericht des Herrenchiemseer Konvents festgehalten: Die Vorschrift sollte eine „Wiederholung der Praxis von verfassungsdurchbrechenden Gesetzen ohne formelle Änderung des Textes des Grundgesetzes, die nicht unwesentlich zur Entwertung der Weimarer Verfassung beigetragen hat, […] verhindern“.97
den Grundlagen des Reiches erhält. […] Zudem hat die Verfassung durch zahlreiche Gesetze materielle Ergänzungen erfahren, die nicht in ihren Text aufgenommen worden sind. […] Dadurch hat die Reichsverfassung den Charakter eines Fragments erhalten, das uns nur von einem Teil der grundlegenden Institutionen des Reiches berichtet.“ 94 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 5. Ähnlich Loewenstein, Verfassungsänderung, S. 40; Wipfelder, BayVBl. 1983, 289 (290). Vgl. auch Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (397); Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 22 (72. Lfg. Juli 2014); Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 8 (45. Lfg. V/15). Treffend auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 12: Die „auf Stabilität durch Wandelbarkeit zielende Vorschrift [Art. 76 WRV] trug so zur Erosion der Verfassungsstaatlichkeit bei.“ Deutlich bereits damals Anschütz, WRV, Art. 76 Anm. 2 Fn. 1 (S. 402): „Daß die […] Praxis der stillschweigenden Verfassungsänderungen, die dazu führt, daß das tatsächlich geltende Verfassungsrecht mit dem Verfassungstext mehr und mehr in Widerspruch gerät, bedenklich, ja geradezu verwerflich ist, darüber ist man sich – de lege ferenda – in der Wissenschaft wohl einig, kaum minder aber auch darüber, daß diese Praxis de lege lata nicht unzulässig ist“. 95 Zum Dokument des Entwurfs siehe Bucher, Parl. Rat II, S. 579 ff. Zu Art. 106 HChE siehe S. 603. 96 So auch A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 9 und bereits der Abgeordnete von Mangoldt in der Neunten Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 12.10.1948 (Protokoll abgedruckt bei Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 226). 97 Vgl. den „Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948“, abgedruckt bei Bucher, Parl. Rat II, S. 558.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Dieser Grundgedanke und die dahinterstehenden Motive mit Blick auf die Erfahrungen aus der Weimarer Zeit wurden vom Parlamentarischen Rat befürwortet, der auf dieser Grundlage die endgültige Fassung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ausarbeitete und beschloss, welche bis heute im Grundgesetz enthalten ist.98
IV. Zwecke des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG richtet sich also bewusst gegen die Praxis der „Verfassungsdurchbrechungen“ der Weimarer Zeit und erklärt derartige Gesetze durch das Wortlautänderungserfordernis für unzulässig.99 Eine solche Praxis unter der Geltung des Grundgesetzes zu verhindern ist „das vorrangige Ziel“ des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.100 Dies bringen besonders deutlich die Äußerungen der Abgeordneten von Mangoldt und Schmid im Parlamentarischen Rat zum Ausdruck: „Es ist wichtig, daß die Grundrechtssätze der Verfassung auch nicht durch mit irgendeiner qualifizierten Mehrheit angenommene Gesetze durchbrochen werden können.“101 „Wir haben das auf Herrenchiemsee aus der Erwägung heraus gemacht, daß verhindert werden soll, daß am laufenden Band sogenannte Zweidrittel-Mehrheitsgesetze beschlossen werden können, die sich gegen die Verfassung richten, ohne aber den Text der Verfassung zu ändern. Nichts hat mehr zur Diskreditierung der Weimarer Republik beigetragen als diese Möglichkeit, die Verfassung de facto mit Zweidrittelmehrheiten zu ändern, ohne zugleich eine Änderung des Textes vorzunehmen. Auf diese Weise war es leicht gemacht, die Verfassung von innen her auszuhöhlen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, zu bestimmen: Es gibt keine Verfassungsdurchbrechung, auch nicht mit einstimmigen Beschlüssen; vielmehr muß, wenn ein Gesetz erlassen wird, das im Widerspruch zu den von der Verfassung vorgeschriebenen Normen steht, zuerst die Verfassung selbst geändert werden. […]
98
Vgl. die Protokolle der Beratungen zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG (ursprünglich Art. 106 HChE), abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 536 (Kombinierter Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege); Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 226 ff. (Ausschuss für Grundsatzfragen) sowie die Entwicklung der Entwürfe des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, abgedruckt bei Hollmann, Parl. Rat VII, S. 64, 115, 172, 252, 370, 427, 451, 479, 516, 552, 590, 632. 99 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 2, 6; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 3, 21; Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (397); Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 5 f. m.w.N.; Haratsch, in: Sodan, GG, Art. 79 Rn. 6; Herdegen, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 79 Rn. 23 (72. Lfg. Juli 2014); Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 98; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 8. Hinsichtlich des Ausschlusses von Verfassungsdurchbrechungen durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG auch Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5; Ehmke, Verfassungsänderung, S. 99; Isensee, AöR 2013, 325 (328); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 7; H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 78; Stern, Staatsrecht I, S. 159. 100 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 3. 101 Abgeordneter von Mangoldt in der Neunten Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 12.10.1948 (Protokoll abgedruckt bei Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 226).
C. Historische und teleologische Auslegung
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Grundsatz muß sein: Keine Verfassungsdurchlöcherung, auch nicht mit qualifizierter Mehrheit.“102
Aus den geschichtlichen Erfahrungen der Weimarer Zeit ergeben sich auch die weiteren Zwecke des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG: Dieser dient zum einen der Rechtssicherheit, indem sichergestellt wird, dass das Verfassungsrecht sich aus dem Grundgesetz ergibt und damit Klarheit über den Bestand des Verfassungsrechts herrscht.103 Durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG soll also insbesondere auch die Entstehung von „Nebenverfassungen“ in Form von Verfassungsrecht abseits des Grundgesetzes verhindert werden.104 Die Vorschrift erleichtert damit auch die praktische Handhabung des Vorrangs der Verfassung, da dieser nur umsetzbar ist, wenn Klarheit über den Bestand des Verfassungsrechts herrscht, welches ohne eine Verfassungsurkunde, die das gesamte Verfassungsrecht dokumentiert, deutlich erschwert wäre.105 Denn eine effektive Bindung der Staatsgewalt an die Verfassung, wie sie Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG verlangen, setzt voraus, dass Klarheit darüber besteht, bei welchen Normen es sich überhaupt um Verfassungsrecht handelt.106 Diese Annahmen werden in systematischer Hinsicht auch durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG unterstrichen, bei welchen durch die Formulierung des Prüfungsmaßstabs „dieses [bzw. diesem] Grundgesetzes“ deutlich wird, dass sich allein aus der Grundgesetzurkunde das gesamte Verfassungsrecht ergeben soll und auch allein dies Gegenstand des durch das Bundesverfassungsgericht zu überprüfenden Vorrangs der Verfassung sein soll.107 Ferner dient Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG auch dem Schutz des Grundgesetzes selbst, indem der verfassungsändernde Gesetzgeber durch das Textänderungs102 Abgeordneter Schmid in der Neunten Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 12.10.1948 (Protokoll abgedruckt bei Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 226 f.). 103 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 7 m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 79 Rn. 6; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 17. Vgl. auch Augsberg, in: Kluth/ Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 30 (Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG „dient der Klarheit und Vollständigkeit der Verfassung und sichert auch damit deren Orientierungs- und Steuerungsfunktion“); Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 21; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 20 (72. Lfg. Juli 2014); Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 59 (45. Lfg. V/15); Stern, Staatsrecht I, S. 159 f. Siehe abstrakt auch Starck, Verfassungsstaat, S. 44 f. 104 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 6 Fn. 37; Isensee, AöR 2013, 325 (328); Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 14 (45. Lfg. V/15). Ähnlich Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 21. Ebenfalls davon ausgehend, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde verbietet, Ehmke, DÖV 1956, 449 (452). 105 Vgl. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 6; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 59 (45. Lfg. V/15). Siehe auch Starck, Verfassungsstaat, S. 44 f. Im Ansatz auch Bushart, Verfassungsänderung, S. 42 f. 106 Vgl. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 6. Siehe abstrakt auch Starck, Verfassungsstaat, S. 44 f. 107 Vgl. auch Bushart, Verfassungsänderung, S. 43 m.w.N.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
gebot gezwungen wird, stets seine Haltung zu den geltenden Vorschriften des Grundgesetzes zu reflektieren.108 Demgegenüber konnte der verfassungsändernde Gesetzgeber in der Weimarer Zeit aufgrund des fehlenden Textänderungsgebots die Frage des Verhältnisses der zu erlassenden Normen zur WRV offenlassen, solange das jeweilige Gesetz mit der hinreichenden verfassungsändernden Mehrheit beschlossen wurde.109 Das Wortlautänderungsgebot zwingt den verfassungsändernden Gesetzgeber zudem dazu, die Änderungen des Verfassungsrechts für die Normadressaten transparent zu machen und Verantwortung für die vorzunehmenden Änderungen zu übernehmen.110 Versteckte Änderungen des geltenden Verfassungsrechts außerhalb des Grundgesetzes sollen damit ausgeschlossen werden.111 Verfassungsdurchbrechungen wie in der Weimarer Zeit dienten hingegen gerade dazu, Änderungen der Verfassung zu verheimlichen.112 Wie bereits oben erwähnt, verfolgt Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG daher den Zweck, eine (größtmögliche) Deckungsgleichheit von Verfassungsrecht und Verfassungstext zu erreichen,113 sodass sich das geltende Verfassungsrecht vollständig aus der Verfassungsurkunde selbst ergibt.114
108 Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 31; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 7; Ehmke, DÖV 1956, 449 (452 f.); Schöbener, in: Friauf/ Höfling, GG, Art. 79 Rn. 59 (45. Lfg. V/15). Siehe auch Nawiasky, Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 122, welcher daneben den Schutz vor „Gelegenheitsgesetzgebung“ durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG betont, „die mehr oder weniger zufällig die vorgeschriebenen Stimmerfordernisse erreicht“. 109 Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 31. 110 Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 31; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 20 (72. Lfg. Juli 2014); P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 62; Loewenstein, Verfassungsänderung, S. 40. Ähnlich Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (417): Art. 79 Abs. 1 diene der „Öffentlichkeit und Einsichtbarkeit des Verfassungsrechts“. Im Ansatz auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 21; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 698; Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 13 („Der Beurkundungszwang [Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG] verstärkt den Rechtfertigungsdruck im Vergleich zwischen Alt- und Neufassung.“). Siehe dazu auch die Äußerungen des Abgeordneten Zinn in der Neunten Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 12.10.1948: „Es muß bei jedem Gesetz ohne weiteres erkennbar sein, daß es verfassungsändernd ist.“ (abgedruckt bei Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 227). 111 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 7. 112 Vgl. Bilfinger, AöR 1926, 163 (174 ff.); Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (396). 113 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 11; Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (417) („Aus der Verfassungsurkunde soll der verfassungsrechtliche Gesamtzustand erkennbar sein“.) Siehe im Übrigen bereits die Nachweise oben unter Kap. 3 § 2 B. I. 1. 114 Vgl. Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (396, 417); Ehmke, DÖV 1956, 449 (452); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 697.
C. Historische und teleologische Auslegung
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V. Bedeutung für die Verweisungsproblematik 1. Unterschiede zwischen Verfassungsdurchbrechungen und dynamischen Verweisungen Bei Betrachtung der Historie sowie des Zwecks des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG hinsichtlich der Verweisungsproblematik ist zunächst festzuhalten, dass (formelle) Verfassungsdurchbrechungen und dynamische Verweisungen des Grundgesetzes nicht deckungsgleich sind, sondern sich in einigen Punkten unterscheiden: Während aus einer Verweisungsnorm durch die Anordnung der Verweisung zumindest hervorgeht, dass eine Norm außerhalb der Verfassungsurkunde in die Verweisungsnorm inkorporiert und damit Teil der Verfassung werden soll, zeichnen sich Verfassungsdurchbrechungen dadurch aus, dass der Umstand, dass eine Norm außerhalb der Verfassungsurkunde geltendes Verfassungsrecht darstellt, im Wortlaut der Verfassung überhaupt nicht ersichtlich ist. Zudem genügten Verfassungsdurchbrechungen in der Weimarer Zeit jedenfalls den Verfahrensanforderungen des Art. 76 Abs. 1 S. 1 WRV (bzw. Art. 78 Abs. 1 S. 1 RV 1871 im Kaiserreich), sodass eine Änderung der Verfassung nur durch ein formelles Bundesgesetz zustande kommen konnte, auch wenn diese außerhalb der Verfassungsurkunde vorgenommen wurde. Dynamische Verweisungen der Verfassung auf externe Normen können – je nach Verweisungsobjekt – hingegen dazu führen, dass im Ergebnis der Inhalt einer Verfassungsnorm durch andere als formelle Bundesgesetze ausgestaltet werden kann.115 Ferner unterscheiden sich dynamische Verweisungen der Verfassung und Verfassungsdurchbrechungen dadurch, dass bei Verweisungen die Änderung der Verfassung durch eine externe Vorschrift von einer dynamisch verweisenden Verfassungsnorm abhängt, die diese Änderungen durch die Verweisungsanordnung zulässt, während verfassungsdurchbrechende Gesetze rechtstechnisch unabhängig von den Normen der Verfassungsurkunde fungieren.116 Diese Unterschiede verbieten den voreiligen Schluss, dynamische Verweisungen von vorneherein mit dem Argument als unzulässig zu qualifizieren, dass sich Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG gegen Verfassungsdurchbrechungen richte und dynamische Verweisungen daher unzulässig seien.
115
Siehe hierzu bereits oben Kap. 3 § 2 B. III. 1. Zumindest wenn man außer Betracht lässt, dass Verfassungsdurchbrechungen ohnehin nur möglich sind, wenn die geltende Verfassung eine Verfassungsänderung außerhalb der Verfassungsurkunde zulässt wie WRV und RV 1871. 116
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
2. Gemeinsamkeiten dynamischer Verweisungen mit Verfassungsdurchbrechungen a) Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde Andererseits gebietet die gewichtige Gemeinsamkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes mit Verfassungsdurchbrechungen – nämlich, dass im Ergebnis eine Änderung des geltenden Verfassungsrechts abseits der Verfassungsurkunde ermöglicht wird – dynamische Verweisungen nicht von vorneherein im Gegenschluss als zulässig zu beurteilen, nur weil diese nicht identisch mit Verfassungsdurchbrechungen nach dem Vorbild der Weimarer Zeit sind. Gerade diese Gemeinsamkeit lässt nämlich dynamische Verweisungen des Grundgesetzes auf externe Normen vielmehr als äußerst bedenklich erscheinen. Denn die dynamische Verweisungstechnik stellt zwar bei genauer Betrachtung keine Verfassungsdurchbrechung dar; jedoch begünstigt sie im Ergebnis einen Mechanismus, der einer solchen hinsichtlich seiner Wirkung nahekommt.117 Schließlich führten dynamische Verweisungen dazu, dass das Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes über die Änderung des Verweisungsobjekts ausgestaltet werden kann und ermöglichten somit genau das, was Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu verhindern sucht: Die Änderung von Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde, ohne dass der Verfassungstext geändert wird und damit mittelbar formelles Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes.118 Auch die Entstehung von „Nebenverfassungen“ außerhalb des Grundgesetzes würde durch dynamische Verweisungen begünstigt. Zwar wäre der Inhalt der Verweisungsobjekte bei technischer Betrachtung infolge der Inkorporation im Anwendungsbereich der Verweisungsnormen Teil des Grundgesetzes, sodass man die Entstehung einer „Nebenverfassung“ selbst bei weitläufigem Gebrauch der Verweisungstechnik bestreiten könnte. Jedoch kommt dem Inhalt des externen Verweisungsobjekts im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm Verfassungsrang zu, sodass sich die verfassungsrechtlichen Gehalte nicht allein aus dem Grundgesetz ergeben würden. Trotz deren Verfassungscharakter im Anwendungsbereich der Verweisungsnorm unterlägen die Verweisungsobjekte zudem nicht den Bindungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, sondern nur den jeweiligen Regelungen zur Revision des Verweisungsobjekts selbst. Je nach Verweisungsobjekt könnte dieses also z.B. nach landesrechtlichen Regelungen im Wege eines Landesgesetzgebungsverfahrens oder sogar schlicht als Rechtsverordnung geändert werden. Damit wäre es im Ergebnis möglich, zwar äußerlich die Einbeziehung in das Grundgesetz zu gewährleisten, faktisch jedoch ein Nebenverfassungsrecht zu schaffen,119 welches lediglich automatisiert in das Grundgesetz übernommen 117
So auch Wegge, Demokratieprinzip, S. 46. Vgl. Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15. Im Ansatz auch Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 169: „Der Zweck von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ist mit Hinweisen, ,Merkposten‘, oder mit Verweisungsvorschriften nicht erfüllt.“ 119 Vgl. auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 33: Im Falle von 118
C. Historische und teleologische Auslegung
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wird und den Anforderungen an Änderungen des Grundgesetzes nicht genügen muss. Gerade gegen derartige Mechanismen richtet sich jedoch Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in teleologischer Hinsicht, auch wenn bei der Einführung dieser Vorschrift aus historischer Perspektive Verfassungsdurchbrechungen im Fokus standen. b) Besondere Bedeutung der Urkundlichkeit aus historischer Sicht Zwar ließe sich gegen diese Annahmen der zuvor dargestellte Unterschied zwischen dynamischen Verweisungen und Verfassungsdurchbrechungen anführen, dass die Verweisung im Verfassungstext erkennen lässt, dass und ggf. welche externen Normen in die Verfassung inkorporiert werden sollen, sodass zumindest kein Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und Verfassungstext entstehen würde. Allerdings übersähe eine solche Argumentation, dass die verfassungshistorische Erfahrung der Weimarer Zeit (und des Kaiserreichs) hinsichtlich der zahlreichen Verfassungsdurchbrechungen und dem daraus folgenden Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und Verfassungstext sowie die Würdigung dieser Gesichtspunkte im Parlamentarischen Rat zeigt, dass der Urkundlichkeit der Verfassung in dem Sinne, dass möglichst das gesamte Verfassungsrecht aus dem Grundgesetz selbst ablesbar ist, eine besondere Bedeutung beigemessen werden sollte. Verweisungen führten jedoch dazu, dass das geltende Verfassungsrecht nur noch in der Zusammenschau mit anderen Normen abseits des Grundgesetzes ermittelbar wäre. Freilich erscheint dies weniger gravierend als bei der Praxis der Verfassungsdurchbrechungen, die aus dem Verfassungstext überhaupt nicht ersichtlich waren. Nichtsdestotrotz liefe die Verweisungstechnik dem Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG – der Urkundlichkeit des Grundgesetzes – zuwider. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG muss also insbesondere mit Blick auf seine Historie derart interpretiert werden, dass er sich gegen jede Art der Gesetzgebung zu richtet, die eine Möglichkeit des Verfassungsrechts oder der Verfassungsänderung außerhalb des Grundgesetzes bewirkt oder ermöglicht – unabhängig davon, ob es sich um eine Verfassungsdurchbrechung im technischen Sinne handelt oder lediglich (signifikante) Parallelen zu diesen aufweist. c) Stillschweigende Verfassungsänderungen und Intransparenz Mittels der dynamischen Verweisungstechnik würde der verfassungsändernde Gesetzgeber zudem ähnliche „Verschleierungseffekte“ erzeugen, wie bei der Technik der Verfassungsdurchbrechung in der Weimarer Zeit, indem er sich durch die Einfügung einer Verweisungsnorm „textförmlich“ dem Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG widersetzt120 und dieses Gebot damit effektiv leerlaufen Verweisungen wäre „der Text des Grundgesetzes nicht mehr die alleinige Informationsquelle über den Verfassungsinhalt“. 120 Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
lässt. Außerdem würde der geänderte Verfassungsrechtszustand, der infolge einer Änderung des Verweisungsobjekts eintritt, nicht im Text der Verfassung ausgewiesen werden, da die Verweisungsnorm trotz der inkorporierten Änderung des Verweisungsobjekts unverändert bliebe. Dadurch wäre insbesondere auch dem Aspekt der Transparenz und der Übernahme der Verantwortung des verfassungsändernden Gesetzgebers für die Verfassungsänderung nicht genügt. Denn Änderungen des Verweisungsobjekts, die infolge der dynamischen Inkorporation automatisch dazu führten, dass der geänderte Inhalt im Anwendungsbereich der verweisenden Verfassungsnorm zu Verfassungsrecht wird, wären aus der Verweisungsnorm nicht erkennbar und bereits konzeptionell – da das Verweisungsobjekt selbst nicht Teil der Verfassung ist und daher auch nicht als solches geändert wird – nicht als Verfassungsänderung deklariert, obwohl sich der Inhalt der Verfassung im Ergebnis ändert. Für die Normadressaten wäre eine solche Änderung des Verfassungsinhalts daher keinesfalls transparent.121 Der verfassungsändernde Gesetzgeber wäre dementsprechend auch nicht gezwungen, Verantwortung für die Änderung zu übernehmen, da er in der Tat gar nicht (zwingend) selbst tätig wird. Erfolgt die Verweisung auf ein anderes als ein formelles Bundesgesetz, nimmt die Änderung nämlich nicht etwa der (verfassungsändernde) Bundesgesetzgeber vor, sondern ändert vielmehr der Verweisungsobjektgeber die entsprechende Norm des Grundgesetzes inhaltlich. Selbst bei einer Verweisung auf ein formelles Bundesgesetz würde allerdings der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht in seiner Funktion als solcher, sondern als einfacher Bundesgesetzgeber tätig, bei welcher dem Bundesrat ggf. sogar nur ein Einspruchsrecht zukommt, vgl. Art. 77 Abs. 3 GG. Folglich würden solche Änderungen (in rechtstechnischer Hinsicht richtigerweise) nicht dem verfassungsändernden Gesetzgeber zugeschrieben, sodass dieser weder die Verantwortung für die erfolgten Änderungen übernehmen noch diese ggf. in der öffentlichen Diskussion verteidigen müsste. d) Umgehung der Warn- und Reflektionsfunktion des Textänderungsgebots Ebenso wäre der verfassungsändernde Gesetzgeber bei dynamischen Verweisungen nicht gezwungen, seine eigene Haltung zum geltenden Verfassungsrecht bei jeder inhaltlichen Änderung der Verfassung zu reflektieren und in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, ob und wie die Verfassung geändert werden soll. Denn sobald die dynamische Verweisung einmal in das Grundgesetz aufgenommen ist, erfolgen die inhaltlichen Änderungen der Verweisungsnorm automatisiert über die Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts. D.h. ein Ent-
121
Eine durch die Verweisung bedingte geringere Transparenz der Verfassung ebenfalls hervorhebend Isensee, AöR 2013, 325 (332) und Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Abs. 1 und 2 Rn. 167 (183. Lfg. März 2017) – freilich ohne dies auf die Änderungsmöglichkeit einer dynamischen Verweisung zu beziehen.
C. Historische und teleologische Auslegung
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scheidungsprozess, ob eine Änderung des Inhalts des Verweisungsobjekts übernommen werden soll, findet beim verfassungsändernden Gesetzgeber überhaupt nicht statt, obgleich sich der Inhalt der Verfassung infolge der Inkorporation im Wege der Verweisung ändert. Auch ein etwaiger Entscheidungsprozess des Verweisungsobjektgebers unter Evalution der Notwendigkeit und Eignung der Verfassungsänderung genügte insoweit nicht. Denn nicht nur erscheint es äußerst fraglich, ob ein Verweisungsobjektgeber bei der Änderung seiner eigenen Norm die durch die dynamische Verweisung begründete inhaltliche Verfassungsänderung beachtet und bei seiner Entscheidung berücksichtigt.122 Selbst wenn der Verweisungsobjektgeber jedoch solche Erwägungen anstellte, könnten diese nicht den Entscheidungsprozess des verfassungsändernden Gesetzgebers ersetzen, da der Verweisungsobjektgeber – unabhängig davon, ob es sich um den einfachen Bundesgesetzgeber handelt oder etwa die Exekutive oder ein Landesgesetzgeber tätig wird – nicht zu Verfassungsänderungen berufen ist und derartige Erwägungen daher für eine Verfassungsänderung keinesfalls genügen können. e) Missbrauchsgefahr Noch deutlicher wird die Notwendigkeit der Einschränkung dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes, wenn die (potenzielle) Bedeutung der unbegrenzten Zulassung derartiger Verweisungen konsequent zu Ende gedacht wird: Eine unbegrenzte Zulässigkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes hieße, dass es rechtlich grundsätzlich möglich wäre, die Vorschriften des Grundgesetzes abseits der durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG123 verbürgten Gehalte vollständig durch dynamische Verweisungen auf externe Vorschriften zu ersetzen, welche nach Belieben durch den Verweisungsobjektgeber geändert werden könnten und dadurch in das Grundgesetz als Verfassungsrecht inkorporiert würden. Selbst die dynamische Verweisung auf ein bewusst für solche Verweisungen geschaffenes Gesetz, welches als Verweisungsobjekt für Verfassungsänderungen dienen soll, wäre – wenn man von einer unbegrenzten Zulässigkeit dynamischer Verweisungen ausginge124 – nicht unzulässig. Dadurch könnte sich 122 Die bedeutete etwa, dass der Bundesgesetzgeber bei Änderungen des Strafprozessrechts hinsichtlich der Beweiserhebungen die Auswirkungen auf den Untersuchungsausschuss wegen Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG berücksichtigen müsste. Solche Erwägungen sucht man jedoch in entsprechenden Gesetzesmaterialien, die die Änderungen von Beweiserhebungsvorschriften im Strafprozess betreffen, vergebens, vgl. z.B. die Entwurfsbegründung zum „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens“ vom 10.12.2019 (BGBl. I 2019, S. 2121 ff.), BT-Drs. 19/14747, S. 33 ff. oder die Entwurfsbegründung zum „Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren“ vom 25.04.2013 (BGBl. I 2013, 935 ff.), BT-Drs. 17/1224, S. 14. 123 Art. 79 Abs. 3: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ 124 Vgl. zu dieser Ansicht bereits Kap. 3 § 2 A. I.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die Einfügung derartiger Verweisungsnormen für die Zukunft eine Änderungsmöglichkeit des Verfassungsrechts abseits der Verfassung einräumen und Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vollständig aushöhlen, ohne diesen selbst abzuändern. Dass dies jedoch unmöglich mit dem Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar sein kann, das Grundgesetz als Urkunde des geltenden Verfassungsrechts zu sichern und Veränderungen des Verfassungsrechts außerhalb des Textes und der verfahrensmäßigen Sicherungen des Grundgesetzes zu verhindern, liegt auf der Hand. Ferner wäre auf diese Weise eine effektive Kontrolle der Anforderungen der Art. 79 Abs. 2 und 3 GG unmöglich, da Änderungen des Verweisungsobjekts nicht als Verfassungsänderungen deklariert würden und damit prinzipiell aus dem Prüfmechanismus der Art. 79 Abs. 2 und 3 GG herausfallen würden. Spätestens diese Missbrauchsgefahr durch einen extensiven Gebrauch der Verweisungstechnik zeigt, dass dynamische Verweisungen dem Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zuwiderlaufen. f) Zwischenergebnis Zusammenfassend sprechen also die Historie und der Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG deutlich gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dieser Vorschrift.
D. Systematische Auslegung I. Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG In systematischer Hinsicht ist zunächst die textlich unmittelbar im Anschluss an Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG stehende Regelung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG hinsichtlich seiner Aussagekraft zu einer Interpretation des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu untersuchen. Unabhängig vom Inhalt des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ist jedoch zunächst festzuhalten, dass diese Vorschrift nachträglich in das Grundgesetz eingefügt wurde125 und daher im Hinblick auf die Auslegung des bereits in der Urfassung bestehenden Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nur eine begrenzte Aussagekraft besitzt. Dementsprechend sind Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG allenfalls Anhaltspunkte zur Auffassung des (damaligen) verfassungsändernden Gesetzgebers – nicht aber des verfassungsgebenden Gesetzgebers – zur Auslegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG entnehmbar.
125
S. 45.
Durch das „Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ vom 26.03.1954, BGBl. I 1954,
D. Systematische Auslegung
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Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG beinhaltet Folgendes: „Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.“
1. Historischer Hintergrund des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG Diese sehr speziell anmutende Regelung ist nur mit ihrem historischen Hintergrund verständlich.126 Die Vorschrift des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG sollte zusammen mit der gleichzeitig eingefügten (und nunmehr nicht mehr existenten) Regelung des Art. 142a GG127 verfassungsrechtlich den Weg zur Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bereiten, da die Verfassungsmäßigkeit der Zustimmungsgesetze zu den EVG-Verträgen zuvor durch die damalige Opposition (sogar im Wege einer vorbeugenden Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht)128 angezweifelt worden war.129 Nachdem die französische Nationalversammlung die Ratifizierung der EVG-Verträge jedoch ablehnte, was zum Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft führte, wurde Art. 142a GG inhaltlich bedeutungslos und im Jahr 1968 aufgehoben,130 während Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG trotz seines beschränkten Anwendungsbereichs fortbesteht.131 2. Divergierende Auffassungen zur Rechtswirkung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG Aufgrund des ungewöhnlichen Wortlautes des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG führt diese Vorschrift bis heute zu einer Vielzahl an divergierenden Stellungnahmen in der
126
So auch Dreier, Art. 79 Abs. 1 Rn. 28; Stern, Staatsrecht I, S. 164. Damalige Fassung des Art. 142a GG: „Die Bestimmungen dieses Grundgesetzes stehen dem Abschluß und dem Inkrafttreten der am 26. und 27. Mai 1952 in Bonn und Paris unterzeichneten Verträge (Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten und Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft) mit ihren Zusatz- und Nebenabkommen, insbesondere dem Protokoll vom 26. Juli 1952, nicht entgegen.“, vgl. BGBl. I 1954, S. 45. 128 BVerfGE 1, 396. Das BVerfG lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass lediglich bestehende Normen, nicht aber zukünftig zu erlassende und von den Gesetzgebungsorganen noch nicht abschließend beratene Gesetzesentwürfe der Normenkontrolle durch das Gericht unterliegen (vgl. BVerfGE 1, 396 [insb. 413 f.]). 129 Bushart, Verfassungsänderung, S. 50; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 5 m.w.N.; Roßnagel, Der Staat 1983, 551 (559 ff.); Meyer-Goßner, Verfassungsmäßigkeit Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG, S. 4; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 16 (45. Lfg. V/15) m.w.N. Vgl. auch Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 99 f. 130 „Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ vom 24.06.1968, BGBl. I 1968, S. 709 (714). Gegen eine Bedeutungslosigkeit des Art. 142a GG trotz Scheitern der EVG H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 72 ff. 131 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 5. Vgl. auch BVerfGE 41, 126 (173 f.). 127
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Literatur zum Inhalt und zur Auslegung dieser Norm. Um dessen Wirkungen bzw. Rückschlüsse für Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ermitteln zu können, soll daher nachfolgend ein (kurzer) Querschnitt der kursierenden Stellungnahmen abgebildet werden.132 a) Überflüssig und/oder verfassungswidrig Entsprechend der Historie dieser Vorschrift wird Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG teilweise als „eng begrenzte Sonderregelung ohne weitere Bedeutung“133 oder schlicht als „überflüssig“134 eingeordnet. Ehmke geht hingegen sogar davon aus, dass es sich bei der Regelung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG um verfassungswidriges Verfassungsrecht handelt, da er Verfassungsdurchbrechungen in Form der Klarstellungsklauseln ermögliche.135 In ähnlicher Weise bezeichnet Hesse Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG – je nach Deutungsweise als reine Klarstellung oder als Ermächtigung zur Verfassungsdurchbrechung – als „entweder überflüssig oder verfassungswidrig“.136 b) Ermöglichung eines Anwendungsvorrangs Demgegenüber wird der Norm teilweise zumindest eine begrenzte Bedeutung zugeschrieben: Für den Fall, dass völkerrechtliche Verträge Materien betreffen, die durch das Grundgesetz geregelt werden und von diesen Regelungen inhaltlich abweichen, ohne dass das Grundgesetz geändert wird, könne nach Hain hinsichtlich dieser Kollision – gestützt auf die Befugnis des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG – im Grundgesetz klargestellt werden, dass die Bestimmungen des völkerrechtlichen Vertrags Anwendungsvorrang vor den kollidierenden Vorschriften des Grundgesetzes haben sollen.137 Eine Inkorporation des Inhalts der Vertragsvorschriften in das Grund132
Das BVerfG (E 41, 126 [174]) ließ die Rechtsnatur der durch Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ermöglichten Klarstellung ausdrücklich offen. 133 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 7. 134 A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 15 f.; Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 102; Isensee, AöR 2013, 325 (329) (der zudem einen Widerspruch zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG m.w.N. zu dieser Position ablehnt). 135 Vgl. Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (411 ff.); Ehmke, DÖV 1956, 449 (449 ff.). Besonders kritisch auch Loewenstein, DÖV 1954, 385 (386 ff.), der Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG als „doppelte Verfassungsdurchbrechung“ bezeichnet. Ebenfalls zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG kommend und eine Verfassungsdurchbrechung annehmend Meyer-Goßner, Verfassungsmäßigkeit Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG, S. 34, 68, 84, 96, der dies u.a. damit begründet, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG vom Wortlautänderungserfordernis des – nach seiner Ansicht unabänderlichen – Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG befreie; Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 125 ff. 136 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 699. Zustimmend Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsrecht I, § 20 Rn. 15; Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 21. 137 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 19. Nachfolgend bezeichnet dieser jedoch Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG aus dem Grund als überflüssig, dass die einzufügende Klar-
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gesetz erfolge jedoch nicht.138 Auch eine Abweichung von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG liege nicht vor; vielmehr genüge die Einfügung einer Klarstellungklausel in den Text des Grundgesetzes den Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.139 Ähnlich vertritt Dietlein die Ansicht, dass durch die Einfügung einer auf Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG gestützten Klarstellungsklausel den bezeichneten Bestimmungen des völkerrechtlichen Vertrags Anwendungsvorrang vor den kollidierenden Vorschriften des Grundgesetzes eingeräumt wird.140 Allerdings geht dieser offenbar davon aus, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG eine Ausnahme von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG darstellt, welcher zur Folge hat, dass vom Grundgesetz abweichende Bestimmungen derartiger Verträge vom Wortlautänderungserfordernis des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ausgenommen sind.141 c) Verleihung von Verfassungsrang für die Vertragsnormen Dreier hebt zunächst hervor, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG nicht selbst klarstelle, dass bestimmte Verträge nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, sondern die Einfügung einer solchen Klarstellung lediglich ermöglicht, sodass es sich lediglich um eine Ermächtigung zur Klarstellung handele.142 Ferner ermächtige diese nicht zu einer Verfassungsdurchbrechung, da die einzufügende Klarstellungsklausel eine Textänderung erfordere.143 Mit der Ermächtigung zur Klarstellung gestatte die Norm jedoch nicht etwa eine authentische Interpretation der in Bezug genommenen Vorschriften, bei der eine von mehreren verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten für verbindlich erklärt wird, das tatsächliche Verhältnis der Vertragsbestimmungen zum Grundgesetz jedoch offenbleibt.144 Daher sei auch die generelle Annahme der Begründung eines Anwendungsvorrangs der Vertragsvorschriften zweifelhaft.145 Vielmehr hebe die Klarstellungsklausel die in Bezug genommenen Vertragsbestimmungen auf Verfassungsebene, welche ansonsten verfassungswidrig gewesen wären.146 stellungklausel ohnehin den Wortlaut des Grundgesetzes ändere und damit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG genüge. 138 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 19. 139 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 19. 140 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 9. So auch Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 64 (45. Lfg. V/15). Ähnlich Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 35; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 24 (der allerdings in Rn. 26 wiederum ausführt, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG mit der „Klarstellung“ eine authentische Interpretation ermögliche). 141 Vgl. Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 9 f. Ähnlich Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 35. Ähnlich Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 24; Schnapauff/Knobloch, in: Hömig/Wolff, GG, Art. 79 Rn. 2. A.A. Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 70 (45. Lfg. V/15). 142 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 29. 143 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 32. 144 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 35. 145 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 35. 146 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 35. Ebenfalls die Einräumung eines Verfas-
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d) Gestattung unspezifizierter Globalverweisungen auf die Vertragsnormen Auch Bryde und Herdegen sehen in Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG keine Ermächtigung zur Verfassungsdurchbrechung, da die einzufügende Klarstellungsklausel ohnehin den Wortlaut des Grundgesetzes ändere.147 Eine Ausnahme von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bestehe nur insoweit, als dass die maßgeblichen Vertragsvorschriften und dessen Inhalt nicht ausdrücklich im Grundgesetz bezeichnet werden, sondern lediglich unpräzise auf den Vertrag verwiesen werden dürfe, welches nach Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unzulässig wäre.148 Eine solche Klarstellung setze mindestens Zweifel an der Verfassungskonformität der Vertragsbestimmungen voraus, die aber durch die Klarstellung zugunsten desselben gelöst würden.149 Die Klarstellung bewirke, dass die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Vertragsbestimmungen obsolet werde: Im Fall des Widerspruchs zu geltendem Verfassungsrecht verdrängten die Vertragsbestimmungen infolge der Klarstellungsklausel das entgegenstehende Verfassungsrecht, im Falle der Verfassungskonformität drücke die Klarstellungsklausel nur das ohnehin Geltende aus.150 Die Bedeutung der Klarstellungsklausel sei daher größer als lediglich eine „authentische Interpretation“ der Vertragsbestimmungen.151 e) Stellungnahme Die Annahme, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG unspezifizierte Globalverweisungen in Form der einzufügenden Klarstellungsklauseln gestatte, die zu einer Inkorporation der Vertragsbestimmungen in das Grundgesetz führen, erscheint jedoch fernliegend.152 aa) Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG Denn Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ermöglicht ausweislich seines Wortlauts eine „Klarstellung“, dass die Vorschriften des Grundgesetzes „dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen“. Dies bedeutet jedoch keinesfalls,
sungsrangs für die bezeichneten Bestimmungen der völkerrechtlichen Verträge annehmend P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 38. Im folgenden Satz bezeichnet Kirchhof die Bestimmung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG als überflüssig, was im Verhältnis zu seiner Auffassung der Einräumung eines Verfassungsrangs durch die Klarstellungsklausel widersprüchlich erscheint. 147 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 23; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 35 (72. Lfg. Juli 2014). 148 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 20, 23; Herdegen, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 79 Rn. 35 (72. Lfg. Juli 2014). Bushart, Verfassungsänderung, S. 51; Wegge, Demokratieprinzip, S. 45 f. 149 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 35 (72. Lfg. Juli 2014). 150 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 37 (72. Lfg. Juli 2014). 151 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 37 (72. Lfg. Juli 2014). 152 Eine Inkorporation im Ergebnis ebenfalls ablehnend Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 63 (45. Lfg. V/15).
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dass die Vorschriften des jeweiligen Vertrags zum Inhalt des Grundgesetzes werden, sondern zeigt gerade durch die Formulierung „nicht entgegenstehen“, dass die grundgesetzlichen Bestimmungen im Rechtsrang weiterhin über den Vertragsbestimmungen stehen sollen, da diese nur in diesem Fall überhaupt entgegenstehen könnten. Auch der Begriff der „Klarstellung“ spricht gegen eine Inkorporation, da lediglich ein Umstand klargestellt werden kann, über welchen zwar ggf. Zweifel bestehen, der aber objektiv gegeben ist. Ansonsten handelte es sich nicht um eine „Klarstellung“, sondern vielmehr um eine Festlegung. Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG gestattet also allenfalls eine Erklärung der Vertragsbestimmungen als vereinbar mit dem Verfassungsrecht, nicht aber als Verfassungsrecht. Dementsprechend gestattet Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG keine dynamischen Verweisungen, die zu einer Inkorporation des Verweisungsobjekts in die Verfassung führen. Vielmehr wird man Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG so zu verstehen haben, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber unter Einfügung einer auf Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG gestützten Klarstellungsklausel im Grundgesetz seine Auffassung zum Ausdruck bringen kann, dass die Bestimmungen des Vertrages im Einklang mit dem geltenden Verfassungsrecht stehen153 – was im Übrigen auch dem Wortlaut der Vorschrift entspricht. Dies gilt unabhängig davon, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG insoweit überflüssig ist, da der verfassungsändernde Gesetzgeber eine solche Klarstellungsklausel jederzeit ohne die Ermächtigung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG einfügen könnte.154 Denn nur weil die Vorschrift gesetzgebungstechnisch missglückt ist, muss dieser nicht ein tieferer Sinn beigemessen werden als der Wortlaut der Vorschrift nahelegt.
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Unabhängig davon, ob eine solche authentische Interpretation im Ergebnis für die Gerichte bindend wäre, würde dies jedenfalls nicht dazu führen, dass die Verträge Verfassungsrecht werden, sondern allenfalls, dass sie nicht im Konflikt mit dem Verfassungsrecht stehen. Für authentische Interpretationen auf einfachgesetzlicher Ebene hat das BVerfG eine Bindungswirkung verneint, vgl. BVerfGE 126, 369 (392). Zwar erscheint fraglich, ob man dies auf eine authentische Interpretation auf der Ebene der Verfassung übertragen kann, da das BVerfG auf Grundlage der Verfassung – und damit auch der erfolgten Interpretation – entscheidet. Andererseits griffe eine solche verbindliche Auslegung durch die Legislative in erheblichem Maße in die Gewaltenteilungsbalance des Grundgesetzes ein, sodass man wohl mit Blick auf Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 92 GG eine Bindungswirkung prima facie ablehnen muss. Für die Ermöglichung einer authentischen Interpretation und eine fehlende Bindungswirkung für das BVerfG ebenfalls Haratsch, in: Sodan, GG, Art. 79 Rn. 10; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 25 f., welcher allerdings in Rn. 24 davon ausgeht, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG Verfassungsdurchbrechungen für die genannten Verträge ausnahmsweise zulässt. Gegen eine authentische Interpretation Ehmke, DÖV 1956, 449 (450 ff.); Loewenstein, DÖV 1954, 385 (386); wohl auch Meyer-Goßner, Verfassungsmäßigkeit Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG, S. 28 f., 70 ff. 154 Vgl. auch Meyer-Goßner, Verfassungsmäßigkeit Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG, S. 81.
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bb) Entstehungsgeschichte des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG Auch die Gesetzgebungsmaterialen – welche verwunderlicherweise in der Literatur bei der Entwicklung der eigenen Ansichten kaum zu Rate gezogen werden – belegen dieses Ergebnis eindeutig: So lauteten die ursprünglichen Entwürfe für Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG der Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE und DP sowie der FDP vom 4.12.1953 noch: „Dies [Anm.: das Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG] gilt nicht für Gesetze nach Artikel 59 Abs. 2 Satz 1, soweit das Grundgesetz selbst etwas anderes bestimmt oder zuläßt.“155 Eine solche Fassung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG hätte eine echte Ausnahme vom Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bedeutet und potenziell den Weg für (formelles) Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes für völkerrechtliche Verträge geebnet. Nach den Beratungen im Rechtsausschuss wurde dieser Entwurf jedoch in die heutige Fassung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG geändert,156 welche nur noch die Möglichkeit einer „Klarstellung“ beinhaltet, dass die „Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen“ und folglich indiziert, dass eine solche Abkehr von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nach den Beratungen im Ausschuss gerade nicht mehr gewünscht war. Spätestens das Protokoll der Beratung dieser Vorschrift im Bundestag zeigt jedoch, dass die diese Grundgesetzänderung tragende Mehrheit davon ausging, dass es sich bei der durch Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG ermöglichten „Klarstellung“ lediglich um eine „authentische Interpretation“ des verfassungsändernden Gesetzgebers über die Verfassungskonformität der Vertragsbestimmungen handeln sollte, nicht aber um eine Verweisung, die die Vorschriften dieser Verträge als Verfassungsrecht in das Grundgesetz inkorporiert.157 155
Vgl. BT-Drs. 2/124, S. 1 und BT-Drs. 2/125. Vgl. BT-Drs. 2/275, S. 2: „Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.“ 157 Vgl. das Protokoll der 17. Sitzung des Bundestages in der zweiten Wahlperiode vom 26.02.1954, S. 552–583. Insbesondere die Aussagen des Berichterstatters des Rechtsausschusses von Merkatz (S. 552–556), geben insoweit Aufschluss. Z.B.: „Die Mehrheit war weiterhin der Auffassung, daß auch der verfassungsändernde Gesetzgeber […] zur authentischen Interpretation seiner Vorschriften befugt ist.“ (S. 554), „In dem neu formulierten Satz 2, der dem Abs. 1 des Art. 79 angefügt werden soll, sieht die Mehrheit des Ausschusses eine Verfassungsverdeutlichung dahingehend, daß für den speziellen Fall von Vertragsgesetzen bestimmter Art […] ausgesprochen wird, daß die Bestimmungen solcher Gesetze mit dem Grundgesetz vereinbar sind.“ (S. 555), „Demgegenüber wurde von der Mehrheit als Ziel des neu einzufügenden Art. 142a bezeichnet, einen Verfassungsstreit, der das Verfassungsleben der Bundesrepublik auf das schwerste bedroht hat, dadurch zu beenden, daß er eine authentische Verfassungsinterpretation gibt.“ (S. 555). Ähnlich deutlich sind auch die Ausführungen des Bundesjustizministers Neumayer (S. 575–577). Z.B.: „Wir haben verschiedene Auffassungen, und um hier Klarheit zu schaffen, hat sich die Koalition entschlossen, eine Vorlage 156
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cc) Zwischenergebnis mit Blick auf die Verweisungsproblematik Folglich sprechen die besseren Argumente dafür, Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG in der Weise auszulegen, dass dieser keine konstitutiven dynamischen Verweisungen auf die bezeichneten Vertragstexte gestattet. Folglich kann diese Vorschrift auch kein Indiz für die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in dem Sinne darstellen, dass das Grundgesetz in Art. 79 GG auch an anderer Stelle – hier Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG – Verweisungen gestattet und daher Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in systematischer Hinsicht ebenso auszulegen ist. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG derartige Verweisungen zulässt, bedeutete dies wohl im Umkehrschluss, dass auch der verfassungsändernde Gesetzgeber davon ausging, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG derartige Verweisungen nicht gestattet, da ansonsten für Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG kein Bedarf bestanden hätte.158 Unabhängig davon, ob man also davon ausgeht, dass Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG Verweisungen auf die genannten Verträge zulässt oder nur die Klarstellung ermöglicht, dass die in Bezug genommenen Verträge nach Auffassung des verfassungsändernden Gesetzgebers im Einklang mit dem geltenden Verfassungsrecht stehen, spricht Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG folglich in systematischer Hinsicht dafür, dass dynamische Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht vereinbar sind. Vielmehr lässt sich Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG als Bestärkung des Textänderungsgebots verstehen, indem der verfassungsändernde Gesetzgeber selbst für eine reine Klarstellung seiner Interpretation, dass die in einer Klarstellungsklausel bezeichneten Verträge nicht gegen das geltende Verfassungsrecht verstoßen, eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes erfordert und damit die Grundsätze der Verfassungsklarheit und Urkundlichkeit erneut unterstreicht.
II. Bestehende Verweisungen des Grundgesetzes Neben Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG sind auch die bereits im Grundgesetz bestehenden Verweisungen für die systematische Auslegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bedeutsam. Das Grundgesetz enthält sowohl statische159 als auch dynamische160 Verweisungen. Von Interesse sind für die hiesige Problematik jedoch naturgemäß nur die bestehenden dynamischen Verweisungen.161 einzubringen, die im Wege der authentischen Interpretationen diese Zweifel beseitigt.“ (S. 576). 158 So auch Wegge, Demokratieprinzip, S. 45 f. 159 Z.B. Art. 140 GG: „Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.“ 160 Z.B. Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG: „Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung.“ oder Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG: „Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar.“ 161 Statische Verweisungen sind im Übrigen für eine Beurteilung am Maßstab des Art. 79
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Die bestehenden dynamische Verweisungen des Grundgesetzes lassen sich hierbei in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen in dynamische Verweisungen, die bereits in der Urfassung des Grundgesetzes enthalten waren162 und zum anderen Verweisungen, die nachträglich163 in das Grundgesetz eingefügt wurden.164 Denn unabhängig davon, dass nur nachträglich in die Verfassung eingefügte Verweisungen dem Maßstab des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG genügen müssen,165 lassen sich den verschiedenen Verweisungskategorien unterschiedliche Rückschlüsse entnehmen. Bereits in der Urfassung bestehende dynamische Verweisungen drücken ggf. die verfassungsrechtliche Beurteilung des Verfassungsgebers aus, während nachträglich eingefügte Verweisungen „nur“ diejenige Einschätzung des verfassungsändernden Gesetzgebers widerspiegeln können. 1. Rückschlüsse aus der Existenz dynamischer Verweisungen in der Urfassung des Grundgesetzes Die Existenz dynamischer Verweisungen in der Urfassung des Grundgesetzes legt prima facie den Schluss nahe, dass der Verfassungsgeber davon ausging, dass das Grundgesetz dynamischen Verweisungen nicht entgegensteht und Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG dementsprechend dahingehend auszulegen ist, dass die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik auch für den verfassungsändernden Gesetzgeber zulässig ist.166 a) Unterschiedliche Bindungen des Verfassungsgebers und des verfassungsändernden Gesetzgebers Ein solcher Schluss kann aus der Existenz dynamischer Verweisungen in der Urfassung des Grundgesetzes jedoch nicht ohne Weiteres gezogen werden. Denn zum einen unterliegt der Verfassungsgeber nicht den Bindungen der Verfassung, d.h. dessen Normen – und damit auch die dynamischen Verweisungen – waren nicht am Maßstab des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu messen.167 Die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik durch den pouvoir constituant bedeutet also nicht,
Abs. 1 S. 1 GG bereits aus dem Grund unproblematischer, dass sich der in die Verfassung inkorporierte Inhalt des Verweisungsobjekts nicht ändern kann, sodass zu jeder künftigen (inhaltlichen) Änderung des Grundgesetzes ohnehin eine Verfassungs(text)änderung erforderlich wäre. 162 Z.B. Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG. 163 Z.B. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. 164 Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung ebenfalls betonend Isensee, AöR 2013, 325 (334). 165 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 3 § 1. 166 So etwa Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Rn. 25. Im Ansatz auch Bushart, Verfassungsänderung, S. 53. 167 Vgl. Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 1; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9 Fn. 54; Isensee, AöR 2013, 325 (336 f.). Siehe im Übrigen bereits die Nachweise oben unter Kap. 3 § 1.
D. Systematische Auslegung
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dass diese auch für den verfassungsändernden Gesetzgeber zulässig ist, der anders als der Verfassungsgeber an Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG gebunden ist.168 b) Fehlende Erörterung der Gesetzgebungstechnik im Parlamentarischen Rat Zum anderen kann die Aufnahme dynamischer Verweisungen in das Grundgesetz auch bedeuten, dass die Mitglieder des Parlamentarischen Rates die Problematik dieser Gesetzgebungstechnik schlichtweg übersehen haben und aus diesem Grund in das Grundgesetz eingefügt haben, ohne dessen Zulässigkeit explizit zu regeln. In diese Richtung deuten in der Tat die Dokumente zum Herrenchiemseer Entwurf und des Parlamentarischen Rates. So findet sich bspw. zu Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG keinerlei Auseinandersetzung mit der Verweisungsproblematik oder auch nur eine Betrachtung der Folgen dieser Gesetzgebungstechnik bei der Beratung der Vorschrift im Herrenchiemseer Konvent169 und im Parlamentarischen Rat.170 Vielmehr orientierte sich der im parlamentarischen Rat diskutierte Entwurf zu Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG (damals noch Art. 57 HChE)171 stark an Art. 34 Abs. 3 S. 1 WRV, in welchem bereits nahezu wortgleich eine dynamische Verweisung auf die Strafprozessordnung enthalten war.172 In diesem Bewusstsein fand auch die Beratung des Entwurfs zu Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG statt,173 sodass es 168
So auch Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9; Isensee, AöR 2013, 325 (336 f.). 169 Vgl. die Protokolle der Beratungen im Herrenchiemseer Konvent sowie die Erläuterungen des Herrenchiemseer Konvents zum Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs bei Bucher, Parl. Rat II, S. 396 – 402, 415 f., 538 f. Freilich entsteht bei der Zurkenntnisnahme der Protokolle der Beratungen und der Erläuterungen des Entwurfs der Eindruck, dass den Teilnehmern des Konvents zwar bewusst war, dass eine Verweisung auf die Strafprozessordnung erfolgte, die daraus entstehenden Folgen – insbesondere die Änderungsmöglichkeit des Inhalts der Verfassung – keineswegs reflektiert wurden, vgl. dazu insbesondere S. 398 f., 402, 415. 170 Vgl. die Protokolle der Beratungen im Parlamentarischen Rat bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 36–38, 187 f., 434, 738–750 (Ausschuß für Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege) und Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 41–51, 976 f., 1532 (Hauptausschuß). Insbesondere bei den Beratungen im Hauptausschuss wird wie bereits bei den Beratungen der Vorschrift im Herrenchiemseer Konvent deutlich, dass den Beteiligten zwar bewusst war, dass eine Verweisung auf die Strafprozessordnung (und nach der geringfügig geänderten Fassung auch auf das GVG) angeordnet wurde, die Folgen der Änderungsmöglichkeit des Inhalts der Verfassung durch die Inkorporation externer Vorschriften jedoch nicht reflektiert wurden, vgl. dazu insbesondere den dazu maßgeblichen Teil der Zweiten Sitzung des Hauptausschusses vom 11.11.1948, dokumentiert bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 42 f. 171 Zum Dokument des Entwurfs siehe Bucher, Parl. Rat II, S. 579 ff. Zu Art. 57 HChE siehe S. 590 f. 172 Art. 34 Abs. 3 WRV: „Auf die Erhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäße Anwendung, doch bleibt das Brief-, Post, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis unberührt.“, RGBl. 1919, S. 1383 (1390). 173 Vgl. z.B. die Äußerungen des Abgeordneten Katz in der zweiten Sitzung des Kombi-
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angesichts der Übernahme einer solchen Verweisung aus der WRV nur wenig verwundert, dass über die gesetzestechnische Wirkung der Bestimmung keine Reflektion stattfand. Vielmehr erachtete man die Bezugnahme auf die Strafprozessordnung für sinnvoll, um zu verdeutlichen, dass Zeugen dem Untersuchungsausschuss auch zwangsweise vorgeführt werden können und der Untersuchungsausschuss kein eigenes Beweisverfahren „erfinden“ darf.174 Dass infolge der Verweisung eine Inkorporation dieser Bestimmungen in die Verfassung erfolgt, wurde jedoch nicht beachtet. Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch bei der Betrachtung der dynamischen Verweisung des Art. 121 GG. Dieser bestimmt: „Mehrheit der Mitglieder des Bundestages und der Bundesversammlung im Sinne dieses Grundgesetzes ist die Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl.“ Damit wird unspezifisch – also ohne genau Bezeichnung der in Bezug genommenen Normen oder des Gesetzes – auf die Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes, welches die Mitgliederzahl des Bundestages regelt, dynamisch verwiesen.175 Auch bei dessen Beratungen wurden nierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 16.09.1948 zum Entwurf hinsichtlich der Vorschrift zu Untersuchungsausschüssen: „Da hat man den entsprechenden Artikel der Weimarer Verfassung übernommen.“ (Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 36). Deutlich wird dies auch in den Äußerungen des Abgeordneten Fecht in der 20. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 5.11.1948: „Im großen und ganzen ist ja Art. 57 von Art. 34 der alten Verfassung abgeschrieben. Aber in der alten Fassung war auch die Strafprozeßordnung enthalten, und sie muß auch drinbleiben. Das hat Dr. Katz richtig ausgeführt: wir kommen sonst in Schwierigkeiten, wenn ein Zeuge geladen wird und nicht erscheint. Wenn der Hinweis auf die Strafprozeßordnung drin ist, ist die Sache geregelt.“ (Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 740). Bereits im Herrenchiemseer Konvent war man sich bewusst, hinsichtlich der Regelung der Untersuchungsausschüsse an die WRV anzuknüpfen, vgl. die Äußerungen Baades in der Plenarsitzung vom 22.08.1948: „Es handelt sich um die Bestimmungen des Art. 43 über die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Sie entsprechen fast vollständig den einschlägigen Vorschriften in der Weimarer Verfassung.“ (Bucher, Parl. Rat II, S. 396). 174 Vgl. das Protokoll der 20. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 5.11.1948 hinsichtlich der Beratung zur Regelung der Untersuchungsausschüsse, Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 738–750. Deutlich wird dies vor allem in den Äußerungen des Abgeordneten Katz: „Ich würde das mit der Strafprozeßordnung doch hineinschreiben, weil man dann die Möglichkeit hat, gegen eine unwilligen Zeugen einzuschreiten. Das könnte sonst umstritten sein; Strafen und Ähnliches könnten vielleicht gar nicht festgesetzt werden, wenn er direkt vor den Ausschuß geladen wird. Deswegen halte ich eine Bezugnahme auf die Strafprozeßordnung für angebracht.“ (a.a.O., S. 739). Auch die Äußerungen Selberts belegen dies: „Dann müßten wir dem Vorschlag von Herrn Dr. Katz entsprechend hineinnehmen ,nach Maßgabe der Strafprozeßordnung‘. Das ist auch deshalb wichtig, weil der Untersuchungsausschuß nicht ein freies Beweisverfahren erfinden kann. Im Interesse der Rechtssicherheit müssen hier bestimmte Grenzen gezogen werden. […] Ich halte das deshalb für wichtig, weil hier auch gewisse Zwangsmittel angewandt werden müssen, deren Zulässigkeit sonst bestritten werden könnte“ (a.a.O., S. 739). 175 Zugleich handelt es sich um einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, die gesetzliche Mitgliederzahl des Bundestages zu regeln, vgl. Brocker, in: BeckOK GG, Art. 121 Rn. 6 m.w.N. Art. 121 GG ist daher schwierig von anderen Regelungsaufträgen des Grundgesetzes
D. Systematische Auslegung
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die Folgen der Verweisungstechnik nicht thematisiert.176 Vielmehr betrachtete man diese Bestimmung sogar als „überflüssig“ und „eigentlich selbstverständlich“, sodass ihr in den Beratungen keine besondere Bedeutung beigemessen wurde.177 c) Sondersituation des Art. 25 GG Eine ausführlichere Beratung kam hingegen der dynamischen Verweisung des Art. 25 GG178 auf die „allgemeinen Regeln des Völkerrechtes“ zu. Zwar wurden auch dort die rechtstechnischen Folgen der Änderungsmöglichkeit des Verweisungsobjekts (und damit der Verweisungsnorm) durch externes Recht außerhalb des Grundgesetzes nicht besprochen,179 was auch daher rühren mag, dass bereits Art. 4 WRV180 eine derartige Verweisung auf das Völkerrecht enthielt, sodass die wie z.B. „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“, die jedoch keine dynamische Verweisung beinhalten, sondern die Regelung lediglich auf eine untergrundgesetzliche Regelungsebene delegieren, abzugrenzen. Eine derartige Regelung, bei welcher die nähere Ausgestaltung einer Materie anderen Gesetzen (zumeist Bundesgesetzen) überlassen wird, findet sich insgesamt 46 Mal im Grundgesetz, vgl. z.B. Art. 4 Abs. 3 S. 2; 16a Abs. 4 S. 2; 21 Abs. 5 GG. Bei Art. 121 GG besteht jedoch die Besonderheit, dass die grundgesetzliche Regelung überhaupt erst anwendbar ist und in ihrem Regelungsgehalt vollständig wird, wenn die einfachgesetzlichen Bestimmungen zur Mitgliederzahl in die Norm inkorporiert werden, da die Mehrheit der Mitglieder nur ermittelt werden kann, wenn bekannt ist, wie viele Mitglieder der Bundestag hat. Anders als andere Regelungsaufträge werden daher nicht nur Details auf einfachgesetzlicher Ebene näher präzisiert, sondern ist die Regel erst unter Hinzunahme der einfachgesetzlichen Vorschriften anwendbar, sodass wohl eine dynamische Verweisung anzunehmen ist. Zum gleichen Ergebnis gelangen auch Brocker, in: BeckOK GG, Art. 121 Rn. 7; H. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 121 Rn. 17 (80. Lfg. Juni 2017); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 121 Rn. 9. 176 Vgl. die Protokolle der Beratungen im Parlamentarischen Rat bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 924, 1071 (Ausschuß für Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege) und Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1202, 1639 (Hauptausschuß). 177 Vgl. insbesondere die Äußerungen des Abgeordneten Katz in der 27. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 6.12.1948: „Ich weiß nicht, ob wir das nicht schon an einzelnen Stellen des Textes gesagt haben. Dann wäre es überflüssig. Der Satz: ,Mehrheit der Mitglieder einer Körperschaft [...] ist die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl dieser Körperschaft‘ ist doch eigentlich selbstverständlich. Ich würde es vorziehen, das in den einzelnen Artikeln vorn zu sagen, statt solche Selbstverständlichkeiten hier in die Form eines besonderen Artikels zu kleiden.“ (Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 924). 178 Art. 25 GG: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ 179 Vgl. die Protokolle der Beratungen bei Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 315–322, 541 f. (Ausschuß für Grundsatzfragen); Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 1376–1379 (Ausschuß für Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege); Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 158–168, 819 – 824 (Hauptausschuß). 180 Art. 4 WRV: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts.“, RGBl. 1919, S. 1383 (1383).
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
erneute Aufnahme einer dynamischen Verweisung auf das Völkerrecht im Grundsatz nur wenig reflektiert wurde. Allerdings zeigten die Beratungen zur Verweisung auf das Völkerrecht im Parlamentarischen Rat, dass die in Bezug genommenen Regelungen in die nationale Rechtsordnung integriert werden sollen (was bereits die Formulierung der Norm zeigt), sodass zumindest Teile der gesetzestechnischen Folgen einer Verweisung betrachtet wurden.181 Interessant ist auch die Entwicklung der Vorschrift im Zuge der Beratungen: Während der Herrenchiemseer Entwurf vorsah, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts „Bestandteil des Bundesrechts“ werden,182 wurde die Vorschrift infolge eines Vorschlags des Allgemeinen Redaktionsausschusses183 dahingehend geändert, dass diese völkerrechtlichen Regeln „Bestandteil des Bundesverfassungsrechts“ werden.184 Dies sollte verdeutlichen, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht durch ein einfaches Gesetz abänderbar sind oder außer Kraft gesetzt werden können.185 Dadurch wird erkennbar, dass die Mehrheit der 181 Vgl. die Protokolle der Beratungen bei Pikart/W. Werner, Parl. Rat V, S. 315–322, 541 f. (Ausschuß für Grundsatzfragen); Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 1376 – 1379 (Ausschuß für Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege); Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 158–168, 819 – 824 (Hauptausschuß). 182 Art. 22 HChE: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebiets.“, Bucher, Parl. Rat II, S. 582 (dort allerdings mit Druckfehler: statt „und Bestandteil des Völkerrechts“ lautete die Fassung des Entwurfs korrekterweise „sind Bestandteil des Völkerrechts, vgl. a.a.O., S. 206, 517). 183 Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13.12.1948: „Der Ausdruck ,Bundesrecht‘ führt an dieser Stelle zu Auslegungsschwierigkeiten. Wird darunter nur gewöhnliches Bundesrecht verstanden, so würde die Anwendung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts durch gewöhnliches Bundesgesetz ausgeschlossen werden können. Der Sinn des Art. 29 soll wohl der sein, daß ,die allgemeinen Regeln des Völkerrechts‘ durch einfaches Gesetz nicht außer Kraft gesetzt werden können, also den Rang von Bundesverfassungsrecht haben sollen. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts soll offenbar nur dann keine Anwendung finden können, wenn sie entweder im Laufe der Entwicklung des Völkerrechts ihren Charakter als allgemeine Regel des Völkerrechts verliert oder aber ihre Nichtanwendung durch verfassungsänderndes Gesetz festgelegt wird. Nur dann, wenn die allgemeine Regel des Völkerrechts den Charakter von Bundesverfassungsrecht hat, wird ihr gegenüber entgegenstehendes Bundesrecht zurücktreten müssen. Aus diesem Grunde muß es nach Auffassung des Redaktionsausschusses heißen: ,sind Bestandteil des Bundesverfassungsrechts‘.“ (abgedruckt bei Hollmann, Parl. Rat VII, S. 147 f.). 184 Beschlossen in der 27. Sitzung des Hauptausschusses vom 15.12.1948, vgl. das Protokoll der Sitzung bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 824. 185 Vgl. erneut die vorgenannte Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13.12.1948, abgedruckt bei Hollmann, Parl. Rat VII, S. 147 f. Vgl. ferner die Äußerung des Abgeordneten Zinn in der 27. Sitzung des Hauptausschusses vom 15.12.1948: „Entgegenstehendes Bundesrecht brach Völkerrecht. Das Völkerrecht hatte keinen Vorrang vor entsprechendem Bundesrecht, und jedes Reichsgesetz konnte nachträglich auch nach zuvor erfolgter Anerkennung eine Regel des Völkerrechts innerstaatlich wieder außer Kraft setzen. […] Wir wollen erreichen, daß das innerstaatliche Recht an das allgemeine Völkerrecht schon dann gebunden ist, wenn die Allgemeinheit der Völkergemeinschaft sie anerkennt, ohne daß
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Mitglieder des Parlamentarischen Rates eine solche Inkorporation der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in das Grundgesetz per dynamischer Verweisung wohl für zulässig hielt. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass hierdurch nicht ohne Weiteres gefolgert werden kann, dass die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber zustehen soll; derartige Aussagen finden sich in den Beratungen zur Verweisung auf das Völkerrecht nicht. Schließlich wurde die Norm – mit einstimmigem Beschluss im Hauptausschuss186 – jedoch wieder dahingehend abgeändert, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts „Bestandteil des Bundesrechts“ sein sollen, um auszudrücken, dass diese auch nicht durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geändert werden können, sondern Überverfassungsrang genießen.187 Letztlich handelt es sich also wohl – zumindest nach Ansicht der Mitglieder des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates – nicht um eine „klassische“ Verweisung, die zu einer Inkorporation in die Verweisungsnorm (hier: das Grundgesetz) führt, sondern den in Bezug genommenen Regeln einen Rang oberhalb der Verfassung verschafft. Nach heute h.M. führt die Verweisung des Art. 25 GG hingegen nicht zu einer Inkorporation der völkerrechtlichen Regeln in das Grundgesetz als Verfassungs-
der Bund es getan hat. Dieses Ziel, das der Hauptausschuß gebilligt hat, erreicht man nur dann, wenn man dem Bund nicht die Möglichkeit gibt, durch einfaches Bundesgesetz zu erklären: Diese Regel erkenne ich nicht an. Dann würde sie zunächst gelten, könnte aber jederzeit außer Kraft gesetzt werden. Wenn man das verhüten will, muß man den allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Rang des Verfassungsrechts geben. Nur dann erreichen wir den Primat des Völkerrechts.“ (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 823). 186 Vgl. das Sitzungsprotokoll der 57. Sitzung des Hauptausschusses vom 5.5.1949 (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1795). 187 Vgl. die Äußerungen des Abgeordneten von Brentano in der 57. Sitzung des Hauptausschusses vom 5.5.1949: „Auch ich möchte mich für diesen Antrag einsetzen. Er hat folgende Bedeutung. Nach der bisherigen Fassung wäre es möglich, durch Änderung des Grundgesetzes auch Völkerrecht abzuändern. Durch die Fassung des Antrags Dr. v. Mangoldt wird dies unmöglich gemacht. Das Völkerrecht geht unter allen Umständen dem Bundesrecht und auch dem Bundesverfassungsrecht vor.“ (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1795). Im Anschluss an diese Äußerung wurde der Antrag einstimmig angenommen, sodass davon auszugehen ist, dass diese Meinung letztlich auch von den anderen Abgeordenten des Hauptausschusses geteilt wurde. Interessant ist hierbei, dass der Antrag, „Bestandteil des Bundesverfassungsrechts“ wieder in „Bestandteil des Bundesrechts“ zu ändern zunächst abgelehnt wurde, obwohl seitens des Abgeordneten von Mangoldt schon damals der Einwand vorgetragen wurde, dass der Gesetzgeber dann „die Lehren des Völkerrechts mit einer qualifizierten Mehrheit“ abändern könne. Vielmehr ging man weiterhin davon aus, dass die völkerrechtlichen Regeln Bestandteil des Verfassungsrechts werden sollen, vgl. die Äußerung des Abgeordneten Hoch in der 48. Sitzung des Hauptausschusses vom 09.02.1949: „Ich sehe keinen Anlaß, dem Änderungsantrag Dr. von Mangoldt zuzustimmen. Wir wollen gerade das Völkerrecht zum Bestandteil des Bundesverfassungsrechts machen. Wir wollen im Grundgesetz verankern, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bundesverfassungsrecht geworden sind.“ (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1516).
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
recht, sondern verleiht diesen ein „Zwischenrang“ unterhalb der Verfassung und über dem einfachen Gesetzesrecht.188 Die Aussagekraft der Vorschrift hinsichtlich „klassischer“ dynamischer Verweisungen, die zu einer Inkorporation in die Verweisungsnorm führen, ist daher begrenzt. Unabhängig von der Frage, ob Art. 25 GG (nach Ansicht des Parlamentarischen Rates) den völkerrechtlichen Regeln einen Überverfassungsrang oder (nach heute h.M.) einen Unterverfassungsrang verleiht, können dieser Norm also keine Aussagen für „klassische“ dynamische Verweisungen entnommen werden, die dem Inhalt des Verweisungsobjekts über die Inkorporation in die Verweisungsnorm Verfassungsrang verschafft. d) Zwischenergebnis Im Ergebnis können der Existenz dynamischer Verweisungen in der Urfassung des Grundgesetzes keine Aussagen hinsichtlich der Auslegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG für die hiesige Problematik entnommen werden. Zwar indiziert die Existenz dieser Verweisungen aus systematischer Perspektive zunächst, dass dynamische Verweisungen im Grundgesetz nicht unzulässig sein können; dagegen spricht jedoch, dass der Verfassungsgeber anders als der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht den Bindungen des Grundgesetzes unterliegt und sich im Übrigen bei den Beratungen einschlägiger Verweisungen in der Urfassung keine Aussagen zu einer Zulässigkeit dieser Technik für den verfassungsändernden Gesetzgeber finden. 2. Rückschlüsse aus der Einfügung neuer dynamischer Verweisungen in das Grundgesetz Noch geringer ist die Aussagekraft nachträglich in das Grundgesetz eingefügter Verweisungen, da diese „nur“ die Auffassung des verfassungsändernden Gesetzgebers zur Auslegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücken können, der jedoch bei der Einfügung neuer Vorschriften selbst an diese Norm gebunden ist. Nachfolgend soll exemplarisch die Verweisung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG betrachtet werden. Diese Vorschrift lautet: „Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar.“
Die Norm enthält also für das Kommunalwahlrecht hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts eine dynamische Verweisung auf das Recht der Europäischen Union (bzw. auf das Recht der EG, welches zum Zeitpunkt der Einfügung189 der Norm maßgeblich war). 188
Siehe nur BVerfGE 141, 1 (17 Rn. 38 ff.) und Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 25 Rn. 30 jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 189 Durch das „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes“ vom 21.12.1992, BGBl. I 1992, S. 2086 (2086).
D. Systematische Auslegung
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Obwohl bereits die Aufnahme der dynamischen Verweisung in das Grundgesetz nahelegt, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine solche Verweisung für mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar hält, wird die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik in der Entwurfsbegründung nicht reflektiert,190 sodass es an einer eindeutigen Aussage des verfassungsändernden Gesetzgebers fehlt. Hinzu kommt die Besonderheit, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG seiner Verpflichtung aus den Verträgen von Maastricht191 nachkommen wollte.192 In diesem Vertrag war in Artikel G die Einfügung eines Art. 8 b Abs. 1 EGV vorgesehen, der Folgendes regelte: „Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Dieses Recht wird vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt, die vom Rat vor dem 31. Dezember 1994 einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments festzulegen sind; in diesen können Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn dies aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaats gerechtfertigt ist.“193
Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG diente also zur nationalverfassungsrechtlichen Umsetzung dieser Bestimmung und verhinderte überdies einen Konflikt zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht.194 Zuvor hatte nämlich das BVerfG entschieden, dass das Grundgesetz mit „Volk“ in Art. 20 Abs. 2 und 28 Abs. 1 S. 2 GG nur das deutsche Volk (also deutsche Staatsangehörige) erfasst, sodass nur diesen ein Wahlrecht zukommt und mit dieser Begründung ein Kommunalwahlrecht für Ausländer für verfassungswidrig erklärt.195 Angedeutet wurde in der Entscheidung jedoch bereits, dass das Grundgesetz einer Regelung offenstünde, die ein solches Wahlrecht für Unionsbürger im Wege einer Verfassungsänderung gestattet.196 Dadurch, dass das nationale Verfassungsrecht
190
Vgl. BT-Drs. 12/3338, S. 10 f. „Vertrag über die Europäische Union“, ABl. C 191 vom 29.07.1992. 192 Vgl. BT-Drs. 12/3338, S. 10 f. 193 ABl. C 191 vom 29.07.1992, S. 7. Die entsprechende Richtlinie, die die Einzelheiten zum Kommunalwahlrecht für Unionsbürger regelte, erging im Jahr 1994 mit der RL 94/80/EG des Rates vom 19.12.1994, ABl. L 368, S. 38. 194 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 28 Rn. 20 m.w.N.; Mehde, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 28 Abs. 1 Rn. 122 (73. Lfg Dezember 2014). Vgl. auch BayVerfGH, Entsch. v. 12.06.2013 – Vf. 11-VII-11, juris-Rn. 116; Barley, Kommunalwahlrecht für Ausländer, S. 49 f.; Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 28 Rn. 55. 195 BVerfGE 83, 37 (50 ff.); BVerfGE 83, 60 (71 ff.). Gegenstand der Entscheidungen war ein Wahlrecht für Ausländer, welches zuvor in Schleswig-Holstein bzw. Hamburg per Landesgesetz eingeführt worden war. 196 Vgl. BVerfGE 83, 37 (59): „Das schleswig-holsteinische Gesetz […] ist daher mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar und nichtig. Daraus folgt nicht, daß die derzeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaften erörterte Einführung eines Kommunalwahlrechts für Auslän191
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ein Wahlrecht für Ausländer vor der Änderung des Grundgesetzes prinzipiell verbot, musste der Gesetzgeber diese Bestimmung also in das Grundgesetz aufnehmen, da eine einfachgesetzliche Regelung gleichen Wortlauts demnach verfassungswidrig gewesen wäre.197 Die Änderung des Grundgesetzes war daher durch die Änderungen des Primärrechts durch den Vertrag von Maastricht unionsrechtlich determiniert, was auch ein Grund dafür sein mag, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber sich für das gesetzgebungstechnische Instrument der dynamischen Verweisung entschied.198 Es handelt sich bei der Verweisung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf das Unionsrecht demnach um eine Sondersituation, der abseits des Indizes, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber dynamische Verweisungen im Grundgesetz nicht schlechthin als unzulässig betrachtet, kaum verallgemeinerungsfähige Aussagen entnommen werden können. Ähnliches gilt auch für die übrigen nachträglich in das Grundgesetz aufgenommenen dynamischen Verweisungen, da auch diese auf Unionsrecht verweisen bzw. unionsrechtlich determiniert sind.199 Durch diese Verweisungen wird allerdings erkennbar, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber offenbar derartige dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht für zulässig hält.
III. Zusammenfassung Die systematische Auslegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ist hinsichtlich der Verweisungsproblematik im Ergebnis uneindeutig. Während Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG nach hier vertretener Ansicht nahelegt, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG dynamische Verweisungen nicht gestattet, indiziert das Vorhandensein dynamischer Verweisungen in der Urfassung des Grundgesetzes zunächst, dass derartige Verweisungen zulässig sind, obgleich diese Indizwirkung dadurch verringert ist, dass der Verfassungsgeber nicht den Bindungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unterlag und sich keine Aussagen zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen für den verfas-
der nicht Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässigen Verfassungsänderung sein kann.“ Konsequenterweise beanstandete das BVerfG nachfolgend den eingefügten Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG weder in der Maastricht-Entscheidung (BVerfGE 89, 155), noch in späteren Entscheidungen (etwa BVerfG [K], Beschl. v. 31.03.2016 – 2 BvR 1576/13). 197 Ähnlich Barley, Kommunalwahlrecht für Ausländer, S. 49 f. 198 Im Ansatz ähnlich wohl auch BVerfG (K), Beschl. v. 31.03.2016 – 2 BvR 1576/13, Rn. 59. 199 Vgl. Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG; Art. 45 S. 3 GG; Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG; Art. 109 Abs. 2, Abs. 5 GG; Art. 109a Abs. 2 S. 3 GG. Daneben bestehen die nachträglich eingefügten deklaratorischen Verweisungen der Art. 91e Abs. 1, 143e Abs. 1 S. 1 GG auf die „nach Landesrecht zuständigen“ Organe bei der Regelung der Verwaltungskompetenzen. Diese Vorschriften führen nicht zu einer Inkorporation der maßgeblichen Vorschriften in das Grundgesetz, sondern stellen einen Hinweis auf die insoweit bestehende Kompetenz der Länder zur Regelung ihrer Verwaltungsorganisation dar. Als lediglich deklaratorische Verweisungen sind diese Vorschriften für die weitere Bearbeitung nicht von Belang.
E. Vergleich mit dem sog. „Verfassungswandel“
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sungsändernden Gesetzgeber in den Dokumenten des Parlamentarischen Rates zur Beratung der einschlägigen Verweisungen finden. Die nachträglich in das Grundgesetz eingefügten dynamischen Verweisungen können zwar „nur“ die Ansicht des verfassungsändernden Gesetzgebers zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen widerspiegeln, der jedoch seinerseits an Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bei Änderungen des Grundgesetzes gebunden ist. Die Existenz dieser dynamischen Verweisungen legt allerdings den Schluss nahe, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber zumindest dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht für zulässig – d.h. mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar – hält. Selbst wenn man jedoch insgesamt annähme, dass die Systematik für die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen im Grundgesetz spricht, würde dies nicht über den Umstand hinweghelfen, dass sowohl der Wortlaut als auch die Historie und der Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dieser Norm sprechen. Als lediglich eine von mehreren Auslegungsmethoden könnte die Systematik allein also nicht dazu führen, dass man Verweisungen zwingend als mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar beurteilen müsste.
E. Vergleich mit dem sog. „Verfassungswandel“ Schließlich erscheint ein Vergleich mit dem Phänomen des Verfassungswandels sinnvoll, welcher ebenfalls inhaltliche Veränderungen der betreffenden Verfassungsnormen bewirkt. Untersucht werden soll daher, ob sich aus dem Vorhandensein sowie der rechtlichen Bewertung dieses Phänomens Rückschlüsse für die Frage der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes ziehen lassen.
I. Begriff und Bedeutung des Verfassungswandels Der Begriff „Verfassungswandel“ bezeichnet den Bedeutungswandel des Verfassungstextes, d.h. ein mit der Zeit gewandeltes Verständnis einer (oder mehrerer) Verfassungsnorm(en) – welches zu einem (im Ergebnis) anderen Verfassungsinhalt führt – obwohl der Verfassungstext selbst gleich geblieben ist.200 Dieses Phä-
200 Grundlegend zum Verfassungswandel Laband, Wandlungen der Reichsverfassung, passim und G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, S. 8 ff.; monographisch auch Hsü, Verfassungswandlung, passim. Vgl. zum heutigen Begriffverständnis Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 16; Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 14 f. m.w.N.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 12 m.w.N.; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5.3; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 38 m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 13 m.w.N.; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 33 (72. Lfg. Juli 2014); Hesse, in: FS Scheuner (128); Kment, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3; Masing, Der Staat 2005, 1 (14) m.w.N.; Stern, Staatsrecht I,
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
nomen wird nach ganz überwiegender Meinung nicht von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erfasst.201 Allerdings ist der Verfassungswandel durch den Wortlaut der jeweiligen Verfassungsnorm, also „die Grenze des möglichen Wortsinns“, begrenzt.202 Der Spielraum für einen möglichen Verfassungswandel hängt also davon ab, wie bedeutungsoffen die jeweilige Verfassungsnorm formuliert ist.203 Bei rechtsmethodischer Betrachtung handelt es sich beim Verfassungswandel daher vielmehr um eine geänderte Verfassungsauslegung oder -konkretisierung als eine inhaltliche Änderung der Verfassung i.S.d. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.204 Denn eine vorhandene
S. 160 f.; Roßnagel, Der Staat 1983, 551 (558 f.) m.w.N.; Schuppert, AöR 1995, 32 (68); Wipfelder, BayVBl. 1983, 289 (290). Nicht prinzipiell auf eine geänderte Interpretation beschränkend Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 20 ff.; Bushart, Verfassungsänderung, S. 54 ff.; Heun, AöR 1984, 13 (26); Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (451 f.). Siehe auch Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 28 ff. Generell kritisch zum Verfassungswandel Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 70. 201 Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 15 f.; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 265 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 12 m.w.N.; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5.3; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 13; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 33 (72. Lfg. Juli 2014); Hesse, in: FS Scheuner (139 Fn. 68); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 17; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 76, 79 (45. Lfg. V/15) m.w.N.; Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (452). Wohl auch Lerche, in: FG Maunz, 285 (292). Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 38, 40 geht hingegen davon aus, dass das Inkorporationsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG auch durch den Verfassungswandel tangiert wird, kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass diese Vorschrift „kein striktes Verbot des Verfassungswandels“ enthalte. Ähnlich insoweit Bushart, Verfassungsänderung, S. 54 ff. 202 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5.3; Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 30; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3 m.w.N.; Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 17; Wegge, Demokratieprinzip, S. 41. Deutlich Hesse, in: FS Scheuner (139): „wo die Möglichkeit eines sinnvollen Verständnisses des Normtextes enden oder wo eine ,Verfassungswandlung‘ in eindeutigen Widerspruch zum Normtext treten würde, […] enden die Möglichkeiten eines Verfassungswandels.“ Ähnlich Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 267 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 13; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Rn. 39 (der dies auf Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG stützt) m.w.N.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 79 Rn. 13 („Zulässig ist der sog. Verfassungswandel ohne Verfassungstextänderung, soweit die Bindung an die Verfassung ihm nicht entgegensteht.“); Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 33 (72. Lfg. Juli 2014); P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 63; Masing, Der Staat 2005, 1 (15); Roßnagel, Der Staat 1983, 551 (558). In diese Richtung wohl auch BVerfGE 142, 25 Rn. 110. Siehe auch Stern, Staatsrecht I, S. 161 f., der einen Verfassungswandel „contra constitutionem“ ablehnt und zusätzlich Sinn und Zweck als Grenze des Verfassungswandels anführt. A.A. offenbar noch G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, S. 10: „Aus […] verfassungswidrige[m] Handeln kann, wenn es konstant geübt wird, eine Wandlung der Verfassung selbst entspringen.“ Lerche, in: FG Maunz, 285 (292) geht daneben offenbar davon aus, dass ein umfangreicher Verfassungswandel durch Art. 79 Abs. 2 GG begrenzt sei bzw. dessen Anforderungen genügen müsse. 203 Vgl. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 13 m.w.N. Vgl. im Ansatz auch Roßnagel, Der Staat 1983, 551 (570). 204 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5.3; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 13 Fn. 83 m.w.N.; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 33 (72.
E. Vergleich mit dem sog. „Verfassungswandel“
307
Deutung einer Verfassungsnorm wird lediglich durch eine andere ausgetauscht, ohne dass hierbei über die textlich festgelegten Verbürgungen der Verfassungsnorm hinausgegangen wird; lediglich der auslegungsfähige bzw. -bedürftige Bereich der jeweiligen Verfassungsnorm wird neu interpretiert, welcher keine eindeutigen Vorgaben hinsichtlich seiner Deutung enthält.205 Eine Pflicht zur Kenntlichmachung dieser Deutungsänderung in der Verfassungsurkunde besteht daher nicht.206
II. Vergleich mit dynamischen Verweisungen des Grundgesetzes Zwar besteht die Gemeinsamkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes und dem Verfassungswandel darin, dass die Anwendung einer Verfassungsnorm Veränderungen bedingt durch diese Rechtsphänomene unterliegen kann, ohne dass dies durch den Verfassungstext ausgewiesen wird.207 Beim Verfassungswandel tritt also – wie bei Veränderungen einer Verfassungsnorm durch eine dynamische Verweisung – eine „Sinnänderung ohne Textänderung“208 ein. Auch der Verfassungswandel läuft damit bei isolierter Betrachtung dem Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zuwider, Veränderungen des Aussagegehalts von Verfassungsnormen ohne eine entsprechende Textänderung zu verhindern.209 Ferner kann eine umfassende Deutungsänderung einer Verfassungsnorm einer Verfassungsänderung in seiner Wirkungskraft nahekommen.210 Lfg. Juli 2014); Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 76 ff. (45. Lfg. V/15); Schuppert, AöR 1995, 32 (68). Vgl. auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 16. Treffend Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (457): „Entgegen der missverständlichen Rede vom Verfassungswandel als inhaltlicher Änderung der Verfassung ändert sich beim Verfassungswandel nicht der normative Gehalt der Verfassung, sondern die Konkretisierung einer bis zu einem gewissen Grad offenen Verfassungsnorm wird durch eine andere Konkretisierung des Verfassungsinterpreten ersetzt oder ergänzt.“ 205 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 13; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 77 (45. Lfg. V/15). Ähnlich Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (457). 206 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 13 Fn. 84; Schöbener, in: Friauf/ Höfling, GG, Art. 79 Rn. 79, 86 (45. Lfg. V/15); Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (457 f.). A.A. offenbar Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 5.3 („Davon zu trennen ist die dem Verfassungsgesetzgeber mitunter obliegende Klarstellungspflicht, um einen weitreichenden, abgeschlossenen Verfassungswandel durch eine entsprechende Textänderung zu verdeutlichen.“). 207 Isensee, AöR 2013, 325 (334) geht hingegen sogar davon aus, dass Verweisungen zu einem Verfassungswandel führen können. Auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 284 ff. klassifiziert Verweisungen des Grundgesetzes als Möglichkeiten des Verfassungswandels; allerdings zeigen dessen Ausführungen, dass dieser ein deutlich anderes als das hiesige Verständnis des Begriffs der Verweisung zu Grunde legt. 208 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 38 m.w.N.; Stern, Staatsrecht I, S. 161 m.w.N. Ähnlich Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 254; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 4; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 76 (45. Lfg. V/15); Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (451 f.). 209 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 39. 210 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 38 ff. („de facto nicht mehr unterscheidbar“;
308
§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Phänomen des Verfassungswandels und dynamischen Verweisungen besteht jedoch darin, dass bei ersterem der Verfassungsgehalt nur anders interpretiert wird. Infolge einer dynamischen Verweisung kann sich die Verfassungsnorm jedoch selbst (im Wege der Inkorporation des Inhalts des geänderten Verweisungsobjekts) ändern, sodass anders als beim Verfassungswandel nicht davon ausgegangen werden kann, dass derartige Veränderungen der Verfassungsnormen nicht von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erfasst werden. Insbesondere erzeugt eine geänderte Deutung einer Verfassungsnorm keine Rechtsbindung im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG, während der Inhalt des Verweisungsobjekts durch die Inkorporation Teil der Verfassungsnorm wird und damit bindendes (Verfassungs-)Recht darstellt, das vom jeweiligen Rechtsanwender zu beachten ist. Vielmehr kann eine geänderte Deutung im Fall des Verfassungswandels jederzeit einem erneuten Wandel unterliegen oder wieder die ursprüngliche Interpretation der Vorschrift angenommen werden. Während der Verfassungswandel also allenfalls einer Änderung im Ergebnis funktional gleichkommen kann, ermöglichen dynamische Verweisungen im Unterschied dazu tatsächliche Rechtsänderungen der Verfassungsnorm. Hinzu kommt, dass der Verfassungswandel im Grunde unvermeidbar ist, da die ausschließliche Verwendung von Begriffen, die in ihrem Bedeutungsgehalt derart feststehen, dass eine Änderung des Verständnisses derselben ausgeschlossen ist, bereits denkgesetzlich unmöglich erscheint. Daraus folgt jedoch zwangsläufig, dass auch in Verfassungsnormen Begriffe oder auslegungsbedürftige Formulierungen verwendet werden, die unvermeidlich unterschiedlichen oder sich wandelnden Deutungen unterliegen können.211 Demgegenüber sind dynamische Verweisungen bereits konzeptionell darauf angelegt, dass eine inhaltliche Veränderung der Verfassungsnorm eintritt, ohne dass sich der Wortlaut ändert und sollen gerade eine externe Änderung der jeweiligen Verfassungsnorm außerhalb des Grundgesetzes ermöglichen. Zudem sind dynamische Verweisungen anders als der Verfassungswandel vermeidbar und stellen demnach eine bewusste Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers dar, Veränderungen grundgesetzlicher Normen außerhalb des Grundgesetzes im Widerspruch zum Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu ermöglichen. „funktional äquivalent“) m.w.N.; Voßkuhle, Der Staat 2004, 450 (456) („teilweise […] funktional äquivalent“). 211 Treffend Scheuner, Staatsrecht, S. 181: „Alle Sicherungen der Verfassung können indes nicht hindern, daß das Leben einer Verfassung sich in steter Fortentwicklung zeigt, daß sich neben ihr ergänzende Regeln bilden, daß schließlich die Übung und Überzeugung der Verfassungsorgane auch Regeln der Verfassung fortbilden, aufheben oder durch neue Gewohnheit ersetzen kann. Dieser Vorgang, den man als Verfassungswandel bezeichnetm kann, weil im Wesen des Rechts begründet, nicht positiv ausgeschlossen werden.“ Vgl. auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 80 f.; Lerche, in: FG Maunz, 285 (293); Wegge, Demokratieprinzip, S. 41 f. Siehe auch Stern, Staatsrecht I, S. 161: „In diesem Sinne sind die Ursachen für den Verfassungswandel überaus vielschichtig, weil keine Interpretation frei von Zeit- und wertgebundenen Ansichten des Interpreten ist und keine Norm von der Realität abgelöst werden kann, in die sie hineingestellt ist.“
F. Gesamtbeurteilung
309
Folglich zeigt auch der Vergleich mit dem Phänomen des Verfassungswandels, dass dynamische Verweisungen nicht etwa nur eine geänderte Interpretation der gleichbleibenden inhaltliche Gehalte von Verfassungsnormen bedeuten, sondern gerade eine externe tatsächliche Änderung der Grundgesetznormen ermöglicht wird. Dementsprechend wird erneut bekräftigt, dass dynamische Verweisungen (anders als der Verfassungswandel) von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erfasst werden müssen.
F. Gesamtbeurteilung Die Auslegung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zeigt, dass dynamische Verweisungen des Grundgesetzes mit dieser Vorschrift nicht vereinbar sind. Zwar legen die in der Urfassung vorhandenen und nachträglich eingefügten Verweisungen des Grundgesetzes zunächst in systematischer Hinsicht den Schluss nahe, dass derartige Verweisungen mit Blick auf Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zulässig sein müssen. Als Kontraindizien fungieren jedoch insoweit die unterschiedliche Bindung von Verfassungsgeber und verfassungsänderndem Gesetzgeber sowie die nachträglich eingefügte Regelung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG. Zudem sprechen insbesondere der Wortlaut, der eine möglichst umfassende Übereinstimmung von Verfassungstext und Verfassungsinhalt anstrebt, sowie Historie und Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG dagegen, dynamische Verweisungen des Grundgesetzes als mit dieser Revisionsregel vereinbar anzusehen. Auch der Vergleich mit dem Phänomen des Verfassungswandels zeigt deutlich, dass dynamische Verweisungen hinsichtlich ihrer Wirkungsweise über eine bloße geänderte Deutung einer gleichbleibenden Verfassungsnorm hinausgehen und vielmehr eine tatsächliche inhaltliche Rechtsänderung der maßgeblichen Verfassungsnorm bewirken, die von Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erfasst werden muss. Keine Bedenken bestehen allerdings gegen Binnenverweisungen, die auf eine andere Norm innerhalb des Grundgesetzes verweisen, da bei diesen die Urkundlichkeit der Verfassung dadurch gewahrt ist, dass auch das Verweisungsobjekt innerhalb des Grundgesetzes vorzufinden ist und damit stets eine Textänderung erfolgen muss, um die Verweisungsnorm über eine Inkorporation des Verweisungsobjekts zu ändern. Dies gilt unabhängig davon, dass die Änderung der Verweisungsnorm damit an einer anderen Stelle erfolgt als an dieser selbst, da Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG keine Vorgaben zur Stellung der Verfassungstextänderung macht. Ferner werden auch die anderen verfahrensmäßigen Anforderungen der Art. 76–79 und 82 GG gewahrt, da das Verweisungsobjekt im Fall der Binnenverweisung selbst den Anforderungen an eine Verfassungsänderung genügen muss.
310
§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
I. Verweisungen als implizite Änderungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG? Aufgrund der Tatsache, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG die Stelle der jeweiligen Textänderung im Grundgesetz nicht vorgibt sowie nach ganz h.M. selbst nicht der Ewigkeitsgarantie unterliegt und daher theoretisch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber abänderbar ist,212 bleibt zu erwägen, ob die etwaige Einfügung einer dynamischen Verweisung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber eine implizite Änderung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG darstellt, sodass kein Verstoß gegen diese Norm vorläge. Dies erscheint jedoch bereits deshalb ausgeschlossen, da dies bedeutete, dass eine verfassungsändernde Norm, die prinzipiell gegen das aufgestellte Prüfprogramm des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen würde, schon aus dem Grund nicht vor dem Hintergrund des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG beanstandet werden könnte, dass die verfassungsändernde Norm einen von dieser Revisionsregel abweichenden Gehalt aufwiese. Damit wäre ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ausgeschlossen, weil eine verfassungsändernde Regel nicht mit dieser Norm vereinbar ist. Dies würde jedoch die Revisionregel des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG – als spezielle Anforderung für Verfassungsänderungen – leerlaufen lassen.213 Zumindest solange Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in seinem Wortlaut unverändert fortbesteht, sind daher neu einzufügende Verfassungsänderungen an dieser Vorschrift zu messen und bei einem Verstoß gegen dessen Anforderungen verfassungswidrig. Um die Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu beseitigen bzw. von diesen abweichen zu können, genügt daher keine verfassungsändernde Regelung, die implizit von diesem abweicht, sondern Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG müsste zunächst selbst geändert werden. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG: Wenn man annähme, dass die Einfügung einer dynamischen Verweisung eine implizite Änderung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ist, wäre zwar die Anforderung einer Verfassungstextänderung durch die Einfügung der Verweisungsnorm erfüllt. Diese wäre jedoch aus dem Grund – und in diesem Fall kommt dem Ausdrücklichkeitserfordernis doch eine eigenständige Bedeutung zu – mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar, dass es sich hierbei nicht um eine ausdrückliche Änderung des
212
So etwa Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 47 f.; A. Bauer/ Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 13 f. (insbesondere unter Verweis auf die fehlende Aufzählung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG); Isensee, AöR 2013, 325 (329); Meyer-Arndt, AöR 1957, 275 (285 ff.); Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Abs. 1 und 2 Rn. 226 f. (183. Lfg. März 2017); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 81 m.w.N.; H. Schneider, Liquidation deutschen Auslandvermögens, S. 83 f.; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 60 (45. Lfg. V/15); Wegge, Demokratieprinzip, S. 75 f. A.A. Ehmke, AöR 1953/1954, 385 (397); Ehmke, DÖV 1956, 449 (452); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 699; Meyer-Goßner, Verfassungsmäßigkeit Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG, S. 68. Unklar Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 125 ff. 213 Ebenso Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 699, der dies als grundsätzlichen Gedanken gegen eine Änderungsmöglichkeit des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG überhaupt anführt.
F. Gesamtbeurteilung
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Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG handelte, sondern allenfalls um eine implizite Änderung im Wege der Abweichung vom normativen Gehalt desselben. Dementsprechend könnte eine solche Verweisungsnorm die Bindungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht beseitigen, sondern scheiterte vielmehr bereits an diesen solange Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht selbst ausdrücklich geändert wird. Folglich kann die prinzipielle Verfassungswidrigkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes also auch nicht dadurch „geheilt“ werden, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber grundsätzlich befugt ist, Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zu ändern, sondern müsste diese Revisionsregel zunächst selbst durch den verfassungsändernden Gesetzgeber ihrem Wortlaut nach beseitigt oder im Verfassungstext ausdrücklich für aufgehoben erklärt werden.
II. Ausnahme für Verweisungen auf Unionsrecht Eine Ausnahme vom Verdikt der Unvereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG kommt jedoch für dynamische Verweisungen des Grundgesetzes auf das Unionsrecht in Betracht. 1. (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts Dem Unionsrecht kommt ein Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht – selbst vor dem Verfassungsrecht – zu.214 In dieser Eigenschaft kann das Unionsrecht in seinem Anwendungsbereich also effektiv sogar nationales Verfassungsrecht ändern bzw. genauer: dieses überlagern.215 Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine Änderung im technischen Sinne des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, da betroffene Verfassungsnormen trotz der Überlagerung durch das Unionsrecht fortbestehen und außerhalb des Anwendungsbereichs des entsprechenden Unionsrechts weiterhin als vollgültiges Verfassungsrecht anzuwenden sind.216 Nichts214
Grundlegend EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – Rs. 6/64, S. 1269 f. (Costa/E.N.E.L.). Siehe auch EuGH, Urt. v. 09.03.1978 – Rs. 106/77, Rn. 17 ff.; BVerfGE 140, 317 (335 Rn. 38); BVerfGE 126, 286 (301 f.). Eine nationale Überprüfung und ggf. Nichtanwendung des Unionsrechts erfolgt lediglich im Rahmen einer ultra-vires- bzw. Identitätskontrolle, vgl. dazu BVerfGE 89, 155 (188); BVerfGE 123, 267 (268 4. Ls., 352 ff.); BVerfGE 126, 286 (302 ff.); BVerfGE 140, 317 (336 ff. Rn. 40 ff.). 215 Ähnlich eine Überlagerung statt einer Änderung im technischen Sinne betonend A. Bauer/Jestaedt, Grundgesetz im Wortlaut, S. 4 f., 27 ff.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 12; Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 71; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 17. Vgl. auch Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 71 ff. (45. Lfg. V/15). Ebenfalls von einer Überlagerung bzw. bedingten oder materiellen Verfassungsänderung sprechend Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 16. Hufeld geht von einer Entwertung des Wortlauts der Verfassung aus und spricht von „eskamotierte[m] Verfassungsrecht“, vgl. Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 17. Isensee, AöR 2013, 325 (354) geht davon aus, dass das Grundgesetz größtenteils durch eine europäische „Hyperverfassung überlagert und relativiert“ werde. 216 Vgl. BVerfGE 129, 78 (99 f.) m.w.N. Vgl. im Übrigen bereits die vorstehenden Nachweise.
312
§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
destotrotz kann somit durch Unionsrecht der Anwendungsbereich etwaiger Verfassungsnormen erheblich verkleinert werden und dies bei funktionaler Betrachtung einer inhaltlichen Änderung der entsprechenden Vorschriften gleichkommen, indem deren Regelung nur noch für Bereiche anzuwenden ist, die durch das Unionsrecht nicht betroffen werden (sofern solche Bereiche überhaupt existieren). Trotz eines ggf. entgegenstehenden Wortlauts der nationalen Verfassungsnorm wäre das Unionsrecht vorrangig anzuwenden. Derartige Abweichungen vom nationalen Verfassungsrecht, die bei funktionaler Betrachtung (zumindest im Anwendungsbereich des Unionsrechts) zu einer Änderung ggf. entgegenstehender Verfassungsbestimmungen führten,217 würden jedoch durch den Text des Grundgesetzes nicht (zwingend) ausgewiesen und wären daher für die Normadressaten nicht aus der Verfassungsurkunde erkennbar.218 Dies bedeutete jedoch mitunter eine erhebliche Abweichung des Verfassungstextes im Verhältnis zur tatsächlich anzuwendenden Rechtslage, d.h. des nationalen Verfassungsrechts einschließlich des ggf. vorrangig vor diesem anzuwendenden Unionsrechts. Durch eine dynamische Verweisung auf das Unionsrecht, welche die maßgebliche(n) Regel(n) desselben in Bezug nimmt, könnte hingegen sichergestellt werden, dass die unionsrechtliche Überlagerung dieses Rechtsbereichs durch die Verfassung offengelegt wird und die jeweilige Sachregelung für die Normadressaten einfacher auffindbar ist, als wenn die Verfassung keine derartige Vorschrift bereithielte. Zwar wäre der Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, den Verfassungsinhalt und den Verfassungstext zu einem möglichst vollständigen Gleichlauf zu bringen, damit nicht vollständig erfüllt. Wenn jedoch bereits eine Überlagerung einzelner Bereiche des Grundgesetzes durch das Unionsrecht zulässig ist, zu der sich die Verfassung vollständig ausschweigt, muss es jedoch erst recht zulässig sein, die entsprechenden Rechtsnormen im Wege einer dynamischen Verweisung in Bezug zu nehmen. Dadurch wäre dem Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG erheblich besser genügt, als wenn das Grundgesetz nicht auf das entsprechende Unionsrecht verweist oder diesem sogar inhaltlich widerspricht.219 Ein Verbot dynamischer Verweisungen liefe in diesem Bereich folglich sogar eher den Zwecken des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG zuwider, als eine ausnahmsweise Zulässigkeit derartiger Verweisungen. 217
In diesem Sinne wohl auch Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 37, S. 123 ff. Zur Möglichkeit der materiellen Verfassungsänderung durch Unionsrecht ohne eine Textänderung vgl. z.B. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 18; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 6; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 16, 26 m.w.N. Siehe auch Röhl, in: Ibler (Hrsg.), Verfassung, 85 (100), der sogar davon ausgeht, dass sich das Verfassungsrecht nicht mehr allein aus dem Grundgesetz ergibt und eine „Beschreibung des Staatsrechts“ mittlerweile zwingend auch eine europäische Perspektive beinhalten müsse. 219 Ohne speziellen Verweisungsbezug oder Rekurs auf Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG geht auch Wolff, in: FS E. Klein, 385 (388) davon aus, dass Verfassungsänderungen, die den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdeutlichen, zwar „dogmatisch nicht zwingend“, aber „unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit […] sehr zu begrüßen“ seien. 218
F. Gesamtbeurteilung
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Auch aus historischer Perspektive erscheint dies dem Gesamtcharakter des Grundgesetzes zu entsprechen, da bereits die Mitglieder des parlamentarischen Rates völkerrechtlichen – also ebenfalls internationalen – Regelungen einen Überverfassungsrang zugestehen wollten220 und damit zum Ausdruck brachten, dass überstaatlichem Recht im Geltungsbereich des Grundgesetzes eine besondere, herausgehobene Bedeutung zukommen sollte. Zudem wird durch dynamische Verweisungen im Grundgesetz auf das Unionsrecht zugleich das nationale Recht im Sinne des Unionsrechts angepasst, sodass ein etwaiger Konflikt zwischen diesen beiden Rechtsordnungen beseitigt wird und auch in Zukunft (zumindest für die von der Verweisung betroffenen Rechtsbereiche) nicht entstehen kann, da die Dynamik der Verweisung zu einer automatischen Anpassung an das sich ggf. verändernde in Bezug genommene Unionsrecht führt. Folglich wird durch eine dynamische Verweisung auch eine Kollision zwischen nationalem Verfassungsrecht und Unionsrecht verhindert. All dies spricht dafür, dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht ausnahmsweise als mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar anzusehen.221 2. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG In diese Richtung deutet auch die Regelung des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG: „Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.“222 220
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 D. II. 1. c). Auch Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 14 hebt hervor, dass das Unionsrecht aufgrund seines Anwendungsvorrangs ohnehin in Deutschland gelte bzw. die Bundesrepublik zur Umsetzung verpflichtet sei, was für die Zulässigkeit dieser dynamischen Verweisungen spreche; allerdings bezieht sich diese Argumentation auf Art. 79 Abs. 2 GG und geht Rubel (a.a.O., Art. 79 Rn. 13 f.) ohnehin von der umfänglichen Vereinbarkeit von Verweisungen mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG aus. Kritisch hingegen zu Verweisungen des Grundgesetzes auf Unionsrecht Isensee, AöR 2013, 325 (356 f.) – freilich mehr aus der Perspektive der verfassungspolitischen und -rechtlichen Sinnhaftigkeit und insbesondere ohne Bezug zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG. 222 Eine „Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen“ bedeutet insoweit eine Änderung der primärrechtlichen Unionsverträge; „vergleichbare Regelungen“ sind solche, die bereits in den Verträgen vorgesehen sind, jedoch ebenfalls die Zustimmung der Mitgliedstaaten erfordern, vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 80. Letzteres betrifft insoweit insbesondere die in den Verträgen enthaltenen Evolutivklauseln, die eine Änderung oder Ergänzung des Unionsrechts durch einen einstimmigen Ratsbeschluss und nachfolgender Zustimmung durch die Mitgliedstaaten ermöglichen, vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 23 Rn. 120 (92. Lfg. August 2020); Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rn. 84. Nach Wegge, Demokratieprinzip, S. 45 sind Außenverweisungen des Grundgesetzes mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG in „Abgrenzung zu Art. 79 Abs. 1 S. 2 und Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG“ unvereinbar. Ob dies bedeutet, dass Wegge ebenfalls davon ausgeht, dass Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ein Indiz für die Zulässigkeit von Verweisungen auf Unionsrecht darstellt, bleibt jedoch unklar. 221
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG erfasst also Übertragungen von Hoheitsrechten auf die Europäische Union sowie (andere) Änderungen des Primärrechts, die „verfassungsänderndes Gewicht“223 besitzen und unterwirft das nationale Zustimmungsgesetz den Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 2 und 3 GG.224 Durch die explizite Erwähnung von Art. 79 Abs. 2 und Abs. 3 GG, nicht aber von Art. 79 Abs. 1 GG, ergibt sich im Umkehrschluss, dass Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG insoweit nicht gelten soll.225 Dementsprechend macht Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG deutlich, dass derartige materielle Verfassungsänderungen (bzw. Überlagerungen der Verfassung durch Unionsrecht) weder unmittelbar bei der Änderung im Verfassungstext aufgenommen werden müssen, noch eine Nachführungspflicht in dem Sinne besteht, dass der Bestand derartiger unionsrechtlicher Regelungen, die inhaltlich zu einer Änderung (besser: Überlagerung) etwaiger Verfassungsbestimmungen geführt haben oder diese ermöglichen, im Verfassungstext ausgewiesen werden müssen.226 Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG schafft damit für den europäischen Integrationsprozess eine Ausnahme vom Grundsatz der Urkundlichkeit der Verfassung, welcher bezweckt, das geltende Verfassungsrecht vollständig dem Grundgesetz
223
Heintschel von Heinegg/Frau, in: BeckOK GG, Art. 23 Rn. 25; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 23 Rn. 31; Windthorst, in: Gröpl/Windthorst/v. Coelln, GG, Art. 23 Rn. 35. Allerdings kommt nicht jeder Änderung des Primärrechts und vergleichbaren Regelungen eine „qualifizierte Verfassungsbedeutung“ zu, sondern ist entscheidend, ob derartige Regelungen im nationalen Bereich eine Änderung des Grundgesetzes bedeuten würde, vgl. Heintschel von Heinegg/Frau, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 27; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23 Rn. 33. Ähnlich Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 23 Rn. 118 ff. (92. Lfg. August 2020); Windthorst, in: Gröpl/Windthorst/v. Coelln, GG, Art. 23 Rn. 34 f.; Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 56 f. A.A. etwa R. Breuer, NVwZ 1994, 417 (423); Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rn. 72 f. m.w.N.; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 87, die stattdessen jede Übertragung von Hoheitsrechten den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG unterwerfen wollen. 224 Heintschel von Heinegg/Frau, in: BeckOK GG, Art. 23 Rn. 24 ff. 225 Vgl. Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 38; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 26 m.w.N.; Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 17 m.w.N.; Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 70; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 23 Rn. 115 (92. Lfg. August 2020), nach welchem im Übrigen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG im Bereich sekundärrechtlicher Regelungen mangels eines Zustimmungsgesetzes ohnehin leerliefe. Siehe auch Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 6. Im Ergebnis auch BVerfGE 129, 78 (100); Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 52. 226 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 26; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 3. Ähnlich Isensee, AöR 2013, 325 (354 f.). In diese Richtung auch Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 29 (72. Lfg. Juli 2014), der dies allerdings mit einer ansonsten zu befürchtenden „Überfrachtung“ des Grundgesetzes begründet. A.A. offenbar Hufeld, in: HStR X, § 215 Rn. 36 (welcher insoweit eine teleologische Reduktion des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG annimmt); Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 136 ff.
F. Gesamtbeurteilung
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entnehmen zu können.227 Ermöglicht wird also ausnahmsweise eine materielle Verfassungsänderung (bzw. Überlagerung) ohne Verfassungstextänderung.228 Erneut ist daher auf folgenden Gesichtspunkt hinzuweisen: Wenn schon keine Pflicht besteht, den Bestand inhaltlich das Grundgesetz ändernder unionsrechtlicher Vorschriften überhaupt im Verfassungstext offenzulegen, da Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG weder für derartige unionsrechtliche Vorschriften noch das nationale Zustimmungsgesetz gilt, kann eine dynamische Verweisung, die eben jene inhaltliche Verfassungsänderungen durch Unionsrecht ausweist und die unionsrechtlichen Vorschriften in das Grundgesetz inkorporiert, nicht gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen.229 Vielmehr dient es (wie bereits erwähnt) sogar dem Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, derartige Änderungen durch eine dynamische Verweisung im Verfassungstext kenntlich zu machen. Auch die Vorschrift des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG spricht also für die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes auf Unionsrecht. 3. Ausnahme für Primär- und Sekundärrecht Dies gilt nicht nur für die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG angesprochenen Regelungen für die „Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen“ – also v.a. das Primärrecht –, sondern für alle unionsrechtlichen Vorschriften, welchen gegenüber der
227 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 26 m.w.N.; P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 38; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 20. Vgl. im Ansatz auch Jestaedt, in: HStR XII, § 264 Rn. 71. Siehe zum Grundsatz der Urkundlichkeit bereits oben unter Kap. 3 § 2 B. I. 1. 228 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 8, 26 m.w.N.; P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 38; Lorz/H. Sauer, EuR 2012, 682 (685). Vgl. auch Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 19; P. Kirchhof, in: HStR X, § 214 Rn. 160. Nach Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 60 sei dies hinzunehmen, da das Textänderungsgebot insoweit an seine Grenzen stoße. Nach Scholz, NJW 1992, 2593 (2597) sei eine Textänderung im Falle einer materiellen Verfassungsänderung durch Unionsrecht ohnehin schon „wesensgemäß“ ausgeschlossen. 229 Ohne Bezug zur Verweisungsproblematik geht auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 1 Rn. 26 davon aus, dass der nationale Gesetzgeber „nicht gehindert“ sei, materielle „Verfassungsänderungen“ durch unionsrechtliche Regelungen im Grundgesetz auszuweisen. Ähnlich wie Dreier auch Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 240 (allerdings nur für Änderungen durch primäres Unionsrecht); Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 19. Wohl auch Wolff, in: FS E. Klein, 385 (388). Nunmehr geht Hufeld sogar davon aus, dass im Einzelfall eine Pflicht des nationalen Gesetzgebers bestehen könne, die Verfassungsurkunde anzupassen, ohne dies jedoch die Verweisungsproblematik zu beziehen, vgl. Hufeld, in: HStR X, § 215 Rn. 36; Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 26 ff. Insbesondere bei nunmehr bestehenden „Falschauskünften“ infolge einer unionsrechtlichen Überlagerung habe der nationale, verfassungsändernde Gesetzgeber das Grundgesetz entsprechend (deklaratorisch) an die geänderte Verfassungslage anzupassen. Anschließend hebt Hufeld hervor, dass dies durch einige Vorschriften bereits erfolgt sei und zählt diese auf. Hierbei handelt es sich größtenteils um dynamische Verweisungen auf das Unionsrechts, sodass davon auszugehen ist, dass Hufeld diese für verfassungsrechtlich zulässig hält – freilich ohne dies ausdrücklich zu erwähnen oder zu problematisieren.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
nationalen Verfassung ein Anwendungsvorrang zukommt – und damit auch für Sekundärrecht. Denn auch sekundärrechtlichen Regelungen kommt der unionsrechtliche Anwendungsvorrang gegenüber der Verfassung zu, sodass auf nationaler Ebene auch durch diese bei funktionaler Betrachtung eine Verfassungsänderung erfolgen kann230 und demnach die obenstehenden Erwägungen ebenso zutreffen wie für das Primärrecht. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG macht die Erstreckung dieser Regelung auf das Sekundärrecht dadurch deutlich, dass neben der Regelungen über die „Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird“ auch Regelungen erfasst werden, durch die solche „Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden“.231 Sowohl gegen Verweisungen auf Primärrecht als auch auf Sekundärrecht der Union bestehen daher keine Bedenken.232 Im Übrigen spricht auch die „Integrationsoffenheit“233 und „Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“234 dafür, die Symbiose zwischen Unionsrecht und nationalem Recht mit Blick auf die nationalrechtlichen Bindungen großzügig zu ermöglichen. 4. Deklaratorische Verweisungen Entschärft wird dieses Problem weiterhin dadurch, dass es sich bei der Verweisung auf Verordnungen des Unionsrechts in deren ursprünglichem Anwendungsbereich um deklaratorische Verweisungen handelt, da Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV ohnehin in allen ihren Teilen verbindlich sind und in den Mitgliedstaaten unmittelbar gelten.235 Die grundgesetzliche Verweisungs-
230 Vgl. Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 23; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 23 Rn. 113 (92. Lfg. August 2020). 231 Vgl. Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 23; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 23 Rn. 113 (92. Lfg. August 2020). Gemeint wird damit dasjenige Primärrecht, welches sodann als Grundlage für sekundärrechtliche Regelungen fungiert, die inhaltlich von Vorschriften des Grundgesetzes abweichen, also entsprechend dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG derartige Änderungen durch Sekundärrecht ermöglicht. 232 Dies gilt im Bereich des Sekundärrechts unmittelbar für unionsrechtliche Verordnungen. Auch die Verweisung auf Richtlinien dürfte jedoch unproblematisch sein, da es für die Verweisungsproblematik im Ergebnis nicht relevant ist, ob die Verweisung im einfachen Recht oder auf der Ebene des Grundgesetzes erfolgt, da die Richtlinie ohnehin umzusetzen ist und damit den nationalen Gesetzgeber zu Anpassung des entgegenstehenden Rechts – unabhängig ob es sich um Verfassungsrecht oder einfaches Recht handelt – verpflichtet. 233 BVerfGE 89, 155 (183), welches annahm, dass bereits der Verfassunsgeber diese Integrationsoffenheit gewollt und zum Ausdruck gebracht habe. 234 So das BVerfG (z.B. E 123, 267 [268 4. Ls.] oder E 140, 317 [341 Rn. 49] m.w.N.) ohne Bezug zur Verweisungsproblematik. 235 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 2 § 1 C. II. 3. e) aa) (2).
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norm würde damit im Ergebnis also nur eine Regelung für anwendbar erklären, die bereits auf nationaler Ebene gilt. Gleiches gilt ferner für Verweisungen auf das Primärrecht der Union, da dieses ohnehin bereits für die Mitgliedstaaten gilt und – zumindest sofern es selbst eine unbedingte und inhaltlich hinreichend bestimmte Regelung enthält – unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar ist.236 Gänzlich kann derartigen Verweisungen eine Rechtswirkung jedoch nicht abgesprochen werden, da diese zumindest geeignet sind, einen Konflikt zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht zu verhindern und durch die Inbezugnahme der jeweils geltenden Fassung des Unionsrechts auch zukünftig abzuwenden.237 Ferner kann jedenfalls für Verweisungen auf Richtlinien wegen des nach Art. 288 Abs. 3 AEUV bestehenden Umsetzungserfordernisses nicht bereits auf deren unmittelbare Wirkung abgestellt werden. 5. Ergebnis Im Ergebnis sind daher dynamische Verweisungen des Grundgesetzes auf das Unionsrecht vor dem Hintergrund des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht zu beanstanden. Dies kann allerdings nur gelten, sofern auf das Unionsrecht in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich verwiesen wird. Abseits des ursprünglichen Anwendungsbereichs kommt dem Unionsrecht mangels einer entsprechenden Regelungskompetenz der Union naturgemäß kein Anwendungsvorrang zu, sodass die obigen Argumente zur Annahme einer Ausnahme von der Verfassungswidrigkeit dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes nicht durchgreifen können.
236 Grundlegend zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Primärrechts: EuGH, Urt. v. 05.02.1963 – Rs. 26/20 (Van Gend & Loos). Vgl. auch EuGH, Urt. v. 16.06.1966 –Rs. 57/65 (Alfons Lütticke); Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 388 ff. m.w.N.; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 13 f. Derartiges (unmittelbar anwendbares) Primärrecht stellen z.B. die Grundfreiheiten der Art. 34 ff. AEUV dar. Rennert, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 28 Rn. 34, 38 lehnt für Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG bereits eine Inkorporation der maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts ab. Gegen eine rein deklaratorische Wirkung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG offenbar Barley, Kommunalwahlrecht für Ausländer, S. 53 f., welche hervorhebt, dass auch die Anordnung, hoheitliches Handeln unter eine bestimmte externe Maßgabe zu stellen, eine eigenständige Regelung beinhalte und die Regelung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG einen nicht gänzlich mit dem in Bezug genommenen Unionsrecht deckungsgleichen Gehalt aufweise. 237 Der Fall des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG zeigt zudem anschaulich, dass derartige Verweisungen des Grundgesetzes mitunter notwendig sein können, um die Kollision des Unionsrechts mit Grundprinzipien des Grundgesetzes zu verhindern und so einen Einfall der entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen in die nationale Rechtsordnung überhaupt zu ermöglichen. Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 D. II. 2. Unionsrechtlich determinierte Verfassungsänderungen (auch Verweisungen) offenbar gänzlich als deklaratorisch einordnend: Hufeld, in: HStR X, § 215 Rn. 36; Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 24 ff.
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
III. Zusammenfassung Im Ergebnis sind also dynamische Außenverweisungen des Grundgesetzes mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar, während gegen Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes keine Bedenken bestehen. Eine Ausnahme vom Verdikt der Unvereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG besteht für dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht in seinem originären Anwendungsbereich; derartige Verweisungen verstoßen nicht gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG.
IV. Konsequenzen für bestehende dynamische Verweisungen Anhand dieser Maßstäbe sind die bestehenden dynamischen Verweisungen des Grundgesetzes zu messen. Hierbei gilt jedoch erneut, dass die bereits in der Urfassung des Grundgesetzes vorhandenen Verweisungen nicht den Bindungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unterliegen und dementsprechend nicht gegen diese Vorschrift verstoßen können.238 Da die nachträglich in das Grundgesetz eingefügten dynamischen Verweisungen auf das Unionsrecht verweisen,239 genügen diese größtenteils dem oben beschriebenen Maßstab. Denn mit Ausnahme der Vorschrift des Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG nehmen die nachträglich eingefügten dynamischen Verweisungen des Grundgesetzes das Unionsrecht in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich in Bezug, sodass gegen diese Verweisungen keine Bedenken bestehen. Art. 109a Abs. 2 GG lautet hingegen: „Dem Stabilitätsrat obliegt ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 durch Bund und Länder. Die Überwachung orientiert sich an den Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.“
Auf diese Weise unterwirft Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG die Überwachung der Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG240 durch den Stabilitätsrat den (sich ggf. ändern238
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 1. Vgl. Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG; Art. 45 S. 3 GG; Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG; Art. 109 Abs. 2, Abs. 5 GG; Art. 109a Abs. 2 S. 3 GG. Daneben bestehen die nachträglich eingefügten deklaratorischen Verweisungen der Art. 91e Abs. 1, 143e Abs. 1 S. 1 GG auf die „nach Landesrecht zuständigen“ Organe bei der Regelung der Verwaltungskompetenzen. Diese Vorschriften führen nicht zu einer Inkorporation der maßgeblichen Vorschriften in das Grundgesetz, sondern stellen einen Hinweis auf die insoweit bestehende Kompetenz der Länder zur Regelung ihrer Verwaltungsorganisation dar. Als lediglich deklaratorische Verweisungen sind diese Vorschriften für die Bearbeitung nicht von Belang. 240 Art. 109 Abs. 3 GG: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Aufund Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnah239
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den) Vorschriften des Unionsrechts über die Einhaltung der Haushaltsdisziplin.241 Diese betreffen inhaltlich jedoch nicht etwa einen Dispens vom Kreditverbot für den Bund, „wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten“ oder die Differenzierung zwischen den Haushalten von Bund und Ländern,242 sodass der Anwendungsbereich des Unionsrechts erweitert wird.243 Außerhalb seines originären Anwendungsbereichs kommt dem Unionsrecht jedoch naturgemäß kein Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht zu und spricht auch Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG nicht für die Zulässigkeit derartiger Verweisungen. Dementsprechend verstößt die dynamische Verweisung des Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG aus den o.g. Gründen gegen die Revisionsregel des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und ist demnach verfassungswidrig.
meregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.“ 241 Einschlägig ist insoweit der „präventive Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (VO [EG] 1466/97 des Rates vom 07.07.1997, in der Fassung der letzten Änderung durch die VO [EU] 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.11.2011), vgl. statt vieler Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109a Rn. 85 (86. Lfg. Januar 2019). 242 Vgl. Art. 1 ff. der VO [EG] 1466/97 des Rates vom 07.07.1997 (in der Fassung der letzten Änderung durch die VO [EU] 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.11.2011). Auch in weiteren Rechtsakten zur Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedstaaten sowie im „korrektiven Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspaktes finden sich derartige Regelungen nicht, vgl. etwa VO (EG) 1467/97 des Rates vom 07.07.1997 (in der Fassung der letzten Änderung durch die VO [EU] 1177/2011 des Rates vom 08.11.2011), RL 2011/85/EU des Rates vom 08.11.2011, VO (EU) 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.11.2011, VO (EG) Nr. 472/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013, VO (EU) 473/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013. 243 Auch Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 109a Rn. 22; G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 109a Rn. 16; Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109a Rn. 85 (86. Lfg. Januar 2019) und Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 109a Rn. 11b betonen ohne Bezug zur Verweisungsproblematik die Divergenz zwischen der durch den Stabilitätsrat zu kontrollierenden Regelung des Art. 109 Abs. 3 GG sowie den europäischen Vorgaben und Prüfungsmaßstäben. Ähnlich äußerte sich auch der Bundesrat im Zuge der Änderung des Stabilitätsratsgesetzes, vgl. BT-Drs. 18/11135, S. 130: „Er [der Bundesrat] weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich der statistische und institutionelle Rahmen, der die Einhaltung der Verpflichtungen Deutschlands aus dem […] Stabilitäts- und Wachstumspakt sicherstellen soll, in wesentlichen Elementen von dem verfassungsrechtlichen Neuverschuldungsverbot des Artikels 109 Absatz 3 GG unterscheidet. Die nationale Schuldenregel weicht sowohl hinsichtlich der zu überwachenden Kennziffer als auch hinsichtlich der Erhebungseinheit von der europäischen Schuldenregel ab.“
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§ 2 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG
Zwar könnte hiergegen angeführt werden, dass Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG nur eine „Orientierung“ an den in Bezug genommenen Vorschriften des Unionsrechts vorschreibt, nicht aber eine verpflichtende Bindung an diese. Letztlich ist die genaue Auslegung dieses Begriffs jedoch hinsichtlich der Bindung an die maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts nicht relevant: Sofern die Orientierung eine konstitutive Bindung in entsprechender Anwendung der in Bezug genommenen Vorschriften des Unionsrechts bedeuten soll, ist die Norm wegen Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG verfassungswidrig und führt damit nicht zu einer Bindung an diese Normen. Wenn die angeordnete Orientierung hingegen vielmehr als ein nicht verbindlicher „Leitgedanke“ zu verstehen ist, ist der Stabilitätsrat ohnehin nicht an die in Bezug genommenen Vorschriften gebunden.244 Dementsprechend liegt jedenfalls keine Bindung an die in Bezug genommenen Vorschriften des Unionsrechts vor.
244 Eine Bindung unter Verweis auf das Merkmal „orientiert“ ablehnend etwa Heun/A. Thiele, in: Dreier, GG, Art. 109a Rn. 38. Treffend auch Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 109a Rn. 22: Unklar ist, „was mit ,orientiert‘ gemeint ist. Dies ist keine juristische, sondern eine politische Kategorie, die im Übrigen über die Unterschiede zwischen dem europarechtlichen und dem grundgesetzlichen Prüfungsauftrag hinwegsieht.“ Ähnlich insoweit Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 109a Rn. 11c. Die Bundesregierung äußerte sich zum Merkmal der „Orientierung“ wie folgt: „Im Übrigen ist nicht beabsichtigt, die europäischen politischen Verfahren der Haushaltsüberwachung, wie z. B. das Konzept des Europäischen Semesters, auf Bund und Länder zu übertragen. Die Bezugnahme auf die Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin im Sinne einer Orientierung weist darauf hin, dass sich die Analysemethodik der Überwachung der Schuldenbremsen an die europäische technische Durchführung anzulehnen hat.“ (BT-Drs. 18/11185, S. 4). Auch dadurch wird das Merkmal der „Orientierung“ jedoch keinem tieferen – insbesondere juristischen – Sinn zugeführt und kann daher an der Bewertung der Vorschrift nichts ändern.
§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG Als weitere Hürde für dynamische Verweisungen des Grundgesetzes kommt Art. 79 Abs. 2 GG in Betracht. Dieser lautet: „Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.“ Wie Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG stellt Art. 79 Abs. 2 GG also Verfahrensanforderungen – in diesem Fall Mehrheitsquoren in Bundestag und Bundesrat – für die Verfassungsänderung auf. Problematisch ist im Hinblick auf die Verweisungsproblematik insoweit, dass eine Änderung des Verweisungsobjekts mittelbar zu einer Änderung der verweisenden Verfassungsnorm führt, ohne dass das formelle Änderungsverfahren für Verfassungsänderungen durchlaufen wird. Trotz dieses Umstandes wird Art. 79 Abs. 2 GG als verfahrensmäßige Hürde für dynamische Verweisungen kaum wahrgenommen,1 geschweige denn in einer gebührenden Breite als solche erörtert. Dementsprechend soll nachfolgend die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 2 GG eingehend untersucht werden. Auch insoweit erscheint eine Auslegung der Vorschrift sinnvoll.
A. Wortlaut des Art. 79 Abs. 2 GG I. Anwendbarkeit der Vorschrift auf dynamische Verweisungen Zunächst fällt auf, dass Art. 79 Abs. 2 GG die Mehrheitsquoren in Bundestag und Bundesrat für „[e]in solches Gesetz“ anordnet und sich damit sprachlich auf Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bezieht, welcher für jede Grundgesetzänderung ein Gesetz fordert, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Dies legt zunächst den Schluss nahe, dass Art. 79 Abs. 2 GG Änderungen per dynamischer Verweisung – bei denen es an einem derartigen textändernden Gesetz gerade fehlt2 – nicht erfasst. Gegen ein solches Verständnis sprechen jedoch folgende Überlegungen: Da Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG für Verfassungsänderungen
1 Einzig Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 14 erwähnt dieses Problem. Unklar bleibt, ob Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 15 f. dieses Problem erkennt, welcher im Verweisungszusammenhang zwar qualifizierte Mehrheiten erwähnt, jedoch keinerlei Bezug zu Art. 79 Abs. 2 GG herstellt. 2 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 B. I. 3.
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
eine Änderung mittels eines textändernden Gesetzes fordert, muss Art. 79 Abs. 2 GG die Annahme zugrunde liegen, dass nur solche Änderungen überhaupt möglich sind und kann daher die Mehrheitsquoren für ordnungsgemäße Verfassungsänderungen im Grundsatz nur für Gesetze aufstellen, die bereits den Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG genügen. Ansonsten entstünden Widersprüche zwischen Art. 79 Abs. 2 GG und Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG, wenn sich Art. 79 Abs. 2 GG entnehmen ließe, dass auch Verfassungsänderungen auf andere Weise als im Wege des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG möglich wären. Allerdings bedeutete dies im Umkehrschluss, dass bei einem Verstoß gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG automatisch kein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 2 GG vorliegen könnte, da sich dieser ausweislich seines Wortlauts nur auf „solche“ – d.h. textändernde – Gesetze bezieht. Dies würde jedoch dem Charakter der Art. 79 Abs. 1 und 2 GG als kumulative Verfahrensanforderungen nicht gerecht und würde die eigenständige verfahrensmäßige Sicherung des Art. 79 Abs. 2 GG zumindest teilweise leerlaufen lassen. Trotz seines Wortlauts, der (wie gezeigt) bereits sinnlogisch auf Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bezogen sein muss, ist Art. 79 Abs. 2 GG daher auch auf verfassungsändernde Gesetze anwendbar, die bereits gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen – und damit auf Verfassungsänderungen per dynamischer Verweisung. Für die Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 2 GG auf Verfassungsänderungen im Wege der dynamischen Verweisungstechnik spricht auch ein Vergleich mit der Verpflichtung in einem völkerrechtlichen Vertrag zu einer Verfassungsänderung bzw. zu einem bestimmten Verhalten, das eine Verfassungsänderung erfordert. In diesem Fall beinhaltet die vertragliche Verpflichtung zwar nicht selbst die Verfassungsänderung,3 die die entsprechenden Mehrheiten des Art. 79 Abs. 2 GG erforderlich macht, da es sich nicht um „[e]in solches“, d.h. textänderndes, Gesetz i.S.d. Art. 79 Abs. 2 GG handelt. Nichtsdestotrotz wird in dieser Konstellation teilweise davon ausgegangen, dass bereits das Zustimmungsgesetz zu einem solchen Vertrag den Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG genügen muss, da die vertragliche Verpflichtung den verfassungsändernden Gesetzgeber präjudiziert, obgleich er – zumindest formal betrachtet – weiterhin die Möglichkeit des Vertragsbruchs hat.4 Es erfolgt also insoweit eine materielle Betrachtung statt einer streng formalen Anwendung des Wortlauts allein auf textändernde Gesetze, die zur Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 2 GG führt, obwohl kein „solches Gesetz“ i.S.d. Art. 79 Abs. 2 GG im engeren Sinne vorliegt.5
3 Es sei denn, das Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertrag sieht bereits selbst die Verfassungsänderung vor. 4 Vgl. Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 16 (72. Lfg. Juli 2014); Schorkopf, Staatsrecht, § 3 Rn. 184; Starski, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 59 Rn. 95. A. A. offenbar Lorz/H. Sauer, EuR 2012, 682 (692 ff.). 5 In diesem Sinne will Lerche, in: FG Maunz, 285 (292) sogar den Verfassungswandel an Art. 79 Abs. 2 GG messen.
A. Wortlaut des Art. 79 Abs. 2 GG
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Nichts anderes darf auch für Änderungen im Wege des dynamischen Verweisungsmechanismus gelten: Zwar ändern diese Vorschriften – abseits der Einfügung der Verweisungsnorm selbst – nicht den Wortlaut des Grundgesetzes. Jedoch wird bereits durch die Einfügung der entsprechenden Verweisungsnorm die ungehemmte inhaltliche Änderung dieser Vorschrift in Form der Inkorporation des Verweisungsobjekts ermöglicht, auf welche dynamische Verweisungen konzeptionell angelegt sind. Insoweit muss also eine dahingehende Gesamtbetrachtung der Wirkung dynamischer Verweisungen erfolgen, dass dieser Mechanismus bereits bei der Einfügung der Verweisungsnorm anhand des Art. 79 Abs. 2 GG überprüft wird und sich nicht auf die rein formale Betrachtung der Textänderung durch die Verweisungsnorm beschränkt. Folglich muss bereits bei Einfügung derselben überprüft werden können, ob eine solche Verweisungsnorm den Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG auch für künftige – durch diese Norm ohne erneute Textänderungen ermöglichte – Änderungen entspricht, sofern die Schutzfunktion des Art. 79 Abs. 2 GG nicht leerlaufen soll. Im Ergebnis ist Art. 79 Abs. 2 GG daher auch auf Änderungen der Verweisungsnorm infolge der Änderung des Verweisungsobjekts anwendbar, welche bereits bei der Einfügung der Verweisungsnorm zu berücksichtigen sind.
II. Bezugspunkt und Inhalt der Mehrheitsquoren Art. 79 Abs. 2 GG ordnet für verfassungsändernde Gesetze jeweils eine Mehrheit von zwei Dritteln „der Mitglieder des Bundestages“ sowie „der Stimmen des Bundesrates“ an. Aus der Regelung des Art. 121 GG ergibt sich hinsichtlich der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, dass damit die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl6 – also nicht lediglich der abgegebenen Stimmen – gemeint ist. Die Stimmenanzahl des Bundesrates ist nach Art. 51 Abs. 2 GG7 abhängig von der Einwohnerzahl der jeweiligen Länder, beträgt jedoch für jedes Land mindestens drei. Durch die erforderlichen Mehrheitsquoren in Bundestag und Bundesrat wird deutlich, dass diese beiden Organe stets zusammenwirken müs6 Diese beträgt derzeit 736 Abgeordnete, vgl. www.bundestag.de/resource/blob/196182/c 0739fdf32774619a7e80cecc6fa6a26/kapitel 02 01 gesetzliche mitgliederzahl des bundest ages-data.pdf (zul. abger. am 02.07.2023). Dementsprechend sind für eine Zwei-DrittelMehrheit aktuell 491 Stimmen erforderlich. 7 Art. 51 Abs. 2 GG: „Jedes Land hat mindestens drei Stimmen, Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf, Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs Stimmen.“ Dementsprechend kann sich bei einer Einwohnerzu- oder -abnahme in einzelnen Ländern auch eine Veränderung der Stimmenanzahl im Bundesrat ergeben. Nach § 27 GO BR bemisst sich die Anzahl der Stimmen, die einem Land zustehen, „nach den Ergebnissen der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung, sofern nicht die Ergebnisse einer amtlichen Volkszählung vorliegen.“ Derzeit beträgt die Stimmenanzahl im Bundesrat 69 Stimmen, sodass für eine Zwei-Drittel-Mehrheit 46 Stimmen erforderlich sind, vgl. www.bundesrat.de/DE/bundesrat/verteilung/verteilung-n ode.html (zul. abger. am 02.07.2023). Besonders ist dabei zudem, dass die Stimmen eines Landes nach Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG nur einheitlich abgegeben werden können.
324
§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
sen,8 verfassungsändernde Gesetze mit Blick auf den Bundesrat also immer Zustimmungsgesetze sind. Die Festlegung der erforderlichen Quoren in den maßgeblichen Organen beinhaltet zugleich die Aussage, dass es auf die mehrheitliche Zustimmung anderer Organe – etwa des Volkes in seiner Gesamtheit – nicht ankommt. Durch die Anordnung, dass die entsprechenden verfassungsändernden Gesetze der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder bzw. Stimmen des Bundestags und Bundesrates bedürfen, wird zudem deutlich, dass die Mehrheitserfordernisse sich allein auf die Schlussabstimmung über das Zustandekommen der Gesetze beziehen, nicht aber auf vorherige Beschlüsse im Gesetzgebungsverfahren.9
III. Bedeutung für die Verweisungsproblematik Das wenig beachtete und doch bedeutsame Problem hinsichtlich dynamischer Verweisungen liegt bei der Lektüre der Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 GG damit auf der Hand: Dynamische Verweisungen führen dazu, dass eine Änderung des Grundgesetzes durch die Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts eintritt. Dabei werden – zumindest für Außenverweisungen – nicht die Verfahrenserfordernisse für Verfassungsänderungen beachtet, sondern das Verweisungsobjekt wird nach den für dieses geltenden Vorschriften geändert. Dadurch wird ermöglicht, dass die verweisende Verfassungsnorm sich inhaltlich ändert, ohne dass diese Änderungen eine Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und Bundesrates erfahren haben. Die gesteigerten Änderungsanforderungen – insbesondere die im Vergleich zu einfachgesetzlichen Vorschriften gesteigerten Mehrheitserfordernisse – würden damit umgangen, sodass es durch dynamische Verweisungen möglich würde, die Verfassung mit einfacher Mehrheit zu ändern.10 Die Mehrheitserfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG würden damit im Ergebnis leerlaufen. 8
Vgl. auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 116. So im Ergebnis auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 27; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 31; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 358 ff.; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 13; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 20; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 26; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 54 (72. Lfg. Juli 2014); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 7; Magsaam, Mehrheit, S. 180; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 21; Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 23; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 24; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 79 Rn. 33; Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 88 (45. Lfg. V/15). 10 Vgl. auch Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 14, der allerdings dynamische Verweisungen dennoch nicht kategorisch als unzulässig beurteilt. Ähnlich äußert Hufeld, Verfassungsdurchbrechung, S. 118, 241 ff. Bedenken zur Abweichungsmöglichkeit bzw. Ausgestaltungsmöglichkeit der Verfassung durch Gesetzesvorbehalte für den einfachen Gesetzgeber mit einfacher Mehrheit aufgrund extensiver Gesetzesvorbehalte, freilich ohne sich hierbei auf dynamische Verweisungen zu beziehen. 9
A. Wortlaut des Art. 79 Abs. 2 GG
325
1. Außenverweisungen auf Landesgesetze und Rechtsverordnungen Noch gravierender wird dieses Problem, wenn es sich nicht um eine Verweisung auf eine Bundesvorschrift handelt, sondern etwa Landesgesetze oder Rechtsverordnungen in Bezug genommen werden. Dies führte sogar dazu, dass der Bundestag und der Bundesrat überhaupt nicht an den Änderungen der Verfassungsnorm (infolge der Änderung des Verweisungsobjekts) beteiligt wären und diese Änderungen damit nicht nur ohne die hinreichenden Mehrheiten, sondern gänzlich ohne die eigentlich zuständigen Organe zustande kämen. Insoweit wären derartige Änderungen sogar dem Änderungsmonopol des grundgesetzlich vorgesehenen verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen, welcher als Einziger dazu befugt, die Verfassung zu ändern und derartigen Änderungen der Verfassung als Grundordnung des Staates die hinreichende Legitimation zu vermitteln. 2. Außenverweisungen auf Bundesgesetze Für Verweisungen auf Bundesgesetze mag dieses Problem auf den ersten Blick milder erscheinen, da bei der Bundesgesetzgebung der Bundestag und Bundesrat ebenfalls die gesetzgebenden Organe sind. Allerdings existieren im Rahmen der einfachen Bundesgesetzgebung nach Art. 77 Abs. 2a und 3 GG sowohl Zustimmungs- als auch Einspruchsgesetze. Bei Letzteren kann der Bundestag den Einspruch des Bundesrats nach Art. 77 Abs. 4 GG zurückweisen, sodass in diesem Fall ein Bundesgesetz nicht nur ohne, sondern sogar gegen den Willen des Bundesrates zustande kommen kann. Einspruchsgesetze stellen im Bereich der Bundesgesetzgebung sogar die (gesetzestechnische) Regel dar; die Zustimmung des Bundesrates ist nur erforderlich, wenn diese ausdrücklich durch das Grundgesetz verlangt wird (sog. Enumerationsprinzip).11 11 Vgl. BVerfGE 126, 77 (100) m.w.N.; Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsrecht I, § 7 Rn. 17; Will, Staatsrecht I, § 11 Rn. 59 m.w.N. Dies spiegelt sich auch in der Realität der Bundesgesetzgebung wider: In der 19. Wahlperiode (2017–2021) handelte es sich nur bei 37,8 % der verkündeten Gesetze um Zustimmungsgesetze; in der 18. Wahlperiode (2013–2017) lag der Anteil der Zustimmungsgesetze lediglich bei 35,8 %, vgl. www.bundesrat.de/SharedD ocs/downloads/DE/statistik/gesamtstatistik.pdf;jsessionid=9BACF2E9AB5D8684742586A 91CA7BC92.2 cid391? blob=publicationFile&v=10 (zul. abger. am 02.07.2023). Die (mittlerweile) geringe Anzahl zustimmungspflichtiger Gesetze lässt sich auf eine Änderung des Art. 84 Abs. 1 GG im Rahmen der Föderalismusreform 2006 (BGBl. I 2006, S. 2034 ff.) zurückführen, wodurch die generelle Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen zur Regelung der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens bei der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheiten abgeschafft wurde, vgl. auch Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 77 Rn. 50. So lag der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze in den Wahlperioden 14 (1998–2002) und 15 (2002–2005) noch bei 54,6 % bzw. 50,8 %, vgl. erneut www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/statistik/g esamtstatistik.pdf;jsessionid=9BACF2E9AB5D8684742586A91CA7BC92.2 cid391? blo b=publicationFile&v=10 (zul. abger. am 02.07.2023). Die Reduzierung des Anteils zustimmungspflichtiger Gesetze war das erklärte Ziel der Änderung des Art. 84 Abs. 1 GG: „Mit der Neufassung des Artikels 84 Abs. 1 soll eine Reduzierung der Quote zustimmungspflichtiger
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
Dadurch wird deutlich, dass selbst bei der Verweisung auf Bundesgesetze nicht gewährleistet ist, dass Bundestag und Bundesrat im Sinne des Art. 79 Abs. 2 GG mitwirken. Dies gilt nicht nur für die Art der Mitwirkung (insbesondere für den Bundesrat), sondern auch für die Mehrheitserfordernisse, da im Bereich der einfachen Gesetzgebung keine Zwei-Drittel-Mehrheit, sondern lediglich eine einfache Mehrheit12 erforderlich ist. Dieser Aspekt wird weiterhin dadurch verstärkt, dass für das Zustandekommen eines einfachen Gesetzes im Bundestag nicht die Mehrheit der (gesetzlichen) Mitglieder des Bundestages erforderlich ist, sondern lediglich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt (vgl. Art. 76 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Die Anforderungen an die erforderlichen Mehrheiten sind bei einfachen Bundesgesetzen im Vergleich zu verfassungsändernden Gesetzen also erheblich abgemildert. Selbst bei Verweisungen auf Bundesgesetze würden also die Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG für Verfassungsänderungen nicht gewahrt, sondern Verfassungsrecht könnte mittelbar mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen – ggf. sogar gegen den Willen des Bundesrates – geändert werden. Zwar können als Verweisungsobjekt fungierende Bundesgesetze, sofern es sich um Zustimmungsgesetze handelt und diese auf eine breite Zustimmung in Bundestag und Bundesrat stoßen, mitunter mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder bzw. Stimmen in diesen beiden Organen beschlossen werden und auf diese Weise im Grundsatz den Erfordernissen des Art. 79 Abs. 2 GG genügen. Einfache Bundesgesetze, die eine derartige Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder des Bundestages (nicht der abgegebenen Stimmen!) sowie der Stimmen des Bundesrates erhalten, stellen in der Praxis jedoch die Ausnahme dar. Ferner handelte es sich auch bei diesen Gesetzen – auch wenn sie mit großer Mehrheit beschlossen werden – weiterhin um einfache Bundesgesetze, die künftig mit einfacher Mehrheit abänderbar wären, sodass die Anforderungen zwar möglicherweise für eine Änderung (zufällig) eingehalten wurden; die zukünftige Einhaltung der Voraussetzungen der Art. 79 Abs. 2 GG wäre jedoch keineswegs sichergestellt. Zudem könnte auch die Änderung des einfachgesetzlichen Verweisungsobjekts mit einer solchen Mehrheit nicht über den nach wie vor bestehenden Verstoß dieser Gesetzgebungstechnik gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG hinweg helfen.13
Gesetze von bisher bis zu ca. 60 vom Hundert auf ca. 35 bis 40 vom Hundert erreicht werden, um mehr Handlungsmöglichkeiten auf Bundesebene zu schaffen und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen“ (BT-Drs. 16/813, S. 14 f.). 12 D.h. die Anzahl der „Ja-Stimmen“ muss diejenige der „Nein-Stimmen“ überwiegen, während eine Stimmengleichheit nicht genügt, vgl. nur Brocker, in: BeckOK GG, Art. 42 Rn. 19 m.w.N. 13 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2.
A. Wortlaut des Art. 79 Abs. 2 GG
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3. Binnenverweisungen Keine Bedenken bestehen jedoch gegen Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes, da auch bei diesen das Verweisungsobjekt nur unter den Voraussetzungen der Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG – und daher auch nur mit der erforderlichen Mehrheit in Bundestag und Bundesrat – geändert werden kann, sodass die Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG jedenfalls gewahrt sind. 4. „Rechtfertigung“ durch Einfügung der Verweisungsnorm? Zwar könnte gegen die Annahme der Unvereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 2 GG sprechen, dass die Verweisungsnorm selbst (bei isolierter Betrachtung) unter Wahrung der Erfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG in das Grundgesetz eingefügt wurde und der verfassungsändernde Gesetzgeber daher mit den erforderlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zum Ausdruck gebracht hat, dass genau dieser Wirkmechanismus der Verweisung beabsichtigt ist, der mittelbar zur Abänderbarkeit der Verweisungsnorm ohne die Mehrheitserfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG führt. Wie bereits zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG14 lässt sich hiergegen jedoch argumentieren, dass dies allenfalls die ursprüngliche Inkorporation des Inhalts des Verweisungsobjekts in der Fassung zum Zeitpunkt der Einfügung der Verweisungsnorm legitimieren kann, nicht aber alle nachfolgenden Änderungen der Verweisungsnorm, die sich aus der Änderung des Verweisungsobjekts ergeben. Ansonsten könnte der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die Einfügung von Verweisungsnormen Grundgesetzvorschriften schaffen, die mit einfacher Mehrheit oder durch andere Organe als Bundestag und Bundesrat abänderbar sind und sich auf diese Weise für bestimmte Vorschriften über das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit in Bundestag und Bundesrat hinwegsetzen. Durch die schlichte einmalige Einfügung einer Verweisungsnorm wäre damit (dieses) Verfassungsrecht im Ergebnis mit einfacher Mehrheit änderbar, sodass die wesentliche verfahrensmäßige Sicherung der Verfassung des Art. 79 Abs. 2 GG im Ergebnis umgangen würde. Damit wäre die eingefügte Verfassungsnorm zwar äußerlich ordnungsgemäß in das Grundgesetz eingefügt worden; für die Zukunft bestünde jedoch kein Erfordernis mehr, die qualifizierten Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die Änderung oder Ausgestaltung der entsprechenden Vorschrift zu bemühen. Auf eine solche Änderungsmöglichkeit ohne das Erfordernis der Änderung der Verweisungsnorm selbst (sowie der Einhaltung der für diese geltenden Änderungsanforderungen) sind dynamische Verweisungen zudem bereits konzeptionell angelegt, sodass sie der Sicherung des Art. 79 Abs. 2 GG bereits in ihrer Wirkungsweise zuwiderlaufen. Denn dynamische Verweisungen sollen gerade
14
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 B. I. 3. c).
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
bewirken, dass die Norm inhaltlich flexiblen Änderungen unterworfen ist, ohne dass die Verweisungsnorm selbst modifiziert werden muss.15 Folglich kann auch die Einfügung der Verweisungsnorm mit den erforderlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat die Änderungsmöglichkeit derselben durch die Inkorporation des Verweisungsobjekts (zumindest für die Zukunft) nicht legitimieren.
IV. Zwischenergebnis Art. 79 Abs. 2 GG ist mithin auch auf Verfassungsänderungen durch dynamische Verweisungen anwendbar und die Auslegung des Wortlauts spricht gegen die Zulässigkeit dieser Gesetzgebungstechnik im Verfassungstext soweit es sich um Außenverweisungen handelt. Keine Bedenken bestehen jedoch gegen Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes.
B. Historische Auslegung Fraglich ist sodann, inwieweit die Historie des Art. 79 Abs. 2 GG Aufschluss über die Vereinbarkeit der dynamischen Verweisungstechnik mit dieser Vorschrift geben kann. Zunächst sollen daher die verfassungshistorischen Vorbilder dieser Vorschrift betrachtet und in einem zweiten Schritt die Genese des Art. 79 Abs. 2 GG in den Beratungen zum Grundgesetz untersucht werden.
I. Historische Vorbilder des Art. 79 Abs. 2 GG Die RV 1871 bestimmte hinsichtlich der Verfassungsrevision in Art. 78 Folgendes: „Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben. Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.“16
Demgegenüber bestimmte Art. 76 WRV: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch
15 16
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 1 § 2 D. I. RGBl. 1871, S. 63 (85).
B. Historische Auslegung
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Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich. Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.“17
1. Vergleich mit den Mehrheitsquoren des Art. 79 Abs. 2 GG Durch die Anforderung jeweils einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat sowie der Änderung durch ein Bundesgesetz setzt Art. 79 Abs. 2 GG also die deutsche Verfassungstradition besonderer Mehrheitserfordernisse bzw. Zustimmungsregeln für Verfassungsänderungen fort.18 Gleiches gilt für die prinzipielle Beteiligung des Bundesrates (bzw. in der WRV des Reichrates), der aus Vertretern der jeweiligen Gliedstaaten besteht,19 als „föderatives Element“ der Änderung des Bundesverfassung.20 Sowohl im Verhältnis zu Art. 78 RV 1871 als auch im Verhältnis zu Art. 76 WRV sind die Mehrheitserfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG allerdings deutlich strenger.21 Zwar genügten für die Verhinderung einer Verfassungsänderung nach Art. 78 Abs. 1 S. 2 RV 1871 bereits 14 Gegenstimmen im Bundesrat, sodass bereits weniger als 25 % der insgesamt 58 Stimmen22 eine Verfassungsänderung unterbinden konnten, während unter der Geltung des Grundgesetzes eine Verfassungsänderung sogar gegen 33 % der Stimmen des Bundestages und/oder Bundesrates erfolgen kann. Allerdings sah Art. 78 RV 1871 weder ein besonderes Mehrheitserfordernis für den Reichstag vor, sodass dieser einer Verfassungsänderung mit einfacher Mehrheit zustimmen konnte, noch war ein Mindestmaß an „Ja-Stimmen“ im Reichstag festgelegt. Bei Abwesenheit oder Enthaltungen eines Teils des Bundesrates (mit der Folge, dass 14 Gegenstimmen nicht erreicht wurden) konnten Verfassungsänderungen daher auch im Reichstag mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Auch eine Einschränkung auf eine Mindestzustimmung der gesetzlichen Mitgliederzahl war nicht vorgesehen, sodass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen in Reichstag und Bundesrat genügte.23 Letzteres gilt auch für die Änderungen der Verfassung nach Art. 76 WRV, da sowohl im Reichstag als auch im Reichsrat die Mehrheit der abgegebenen Stim-
17
RGBl. 1919, S. 1383 (1397). Grawert, Der Staat 2013, 503 (511); Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 8; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 21. 19 Vgl. Art. 6 RV 1871 (RGBl. 1871, S. 63 [67]) und Art. 60 f. WRV (RGBl. 1919, S. 1383 [1394]). 20 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 4. 21 Ähnlich Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 8. 22 Vgl. Art. 6 RV 1871 (RGBl. 1871, S. 63 [67]). Interessant ist hierbei, dass Preußen nach dieser Vorschrift über 17 Stimmen im Bundesrat verfügte und damit theoretisch jede Verfassungsänderung verhindern konnte. 23 Für die Beschlussfähigkeit im Reichstag galt nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 RV 1871 jedoch stets, dass die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder anwesend sein musste. 18
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
men ausreichte. Auch das Anwesenheitserfordernis des Art. 76 Abs. 1 S. 2 WRV führte nicht zu einem ähnlichen Mehrheitserfordernis wie unter der Geltung des Art. 79 Abs. 2 GG, da die Anwesenheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl, von welchen mindestens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen müssen, im Ergebnis bedeutet, dass eine Verfassungsänderung bereits mit weniger als 45 % der Stimmen der gesetzlichen Mitglieder des Reichstages beschlossen werden konnten. Trotz dieses Anwesenheitserfordernisses war die notwendige Zustimmung also erheblich geringer als diejenige, die durch Art. 79 Abs. 2 GG verlangt wird. 2. Besondere Änderungsmöglichkeiten/-erfordernisse Auffällig ist bei der Untersuchung der Revisionsvorschriften der RV 1871 sowie der WRV zudem, dass diese Vorschriften weitere besondere Änderungsmöglichkeiten bzw. -erfordernisse aufstellten. So forderte Art. 78 Abs. 2 RV 1871 für Verfassungsänderungen, die die Stellung einzelner Bundesstaaten im Verhältnis zur Gesamtheit der Bundesstaaten betrafen, die Zustimmung des entsprechenden Bundesstaates. Durch die Anknüpfung an den Inhalt der jeweiligen Verfassungsvorschrift und die nochmals erschwerte Änderung der entsprechenden Verfassungsnorm erinnert die Vorschrift im weitesten Sinne an Art. 79 Abs. 3 GG24, der allerdings keine zusätzlichen Verfahrenserfordernisse enthält, sondern eine Änderung des insoweit geschützten Gehalts gänzlich ausschließt. Unterschiedliche Verfahrenserfordernisse oder Mehrheitsquoren je nach Inhalt der Verfassungsänderung sind dem Grundgesetz hingegen fremd. Art. 76 Abs. 1 S. 4 WRV sah zudem eine Verfassungsänderung per Volksentscheid vor, bei welchen die Mehrheit der Stimmberechtigten der Änderung zustimmen musste. Auch derartige plebiszitäre Elemente fehlen im Bereich der Verfassungsänderung unter dem Grundgesetz vollständig,25 sondern handelt es sich bei Verfassungsänderungen um eine Form der üblichen Bundesgesetzgebung mit gesteigerten Verfahrensanforderungen.
24
Art. 79 Abs. 3 GG: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ 25 Dazu kritisch z.B. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 54; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 66 ff.; Dreier, JZ 1994, 741 (745 f.); Magsaam, Mehrheit, S. 182 f. m.w.N.; Masing, Der Staat 2005, 1 (11 f.); Nawiasky, Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 122 f. A.A. Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 43 f. (72. Lfg. Juli 2014) und Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 20, die insbesondere mit dem ansonsten bestehenden Systembruch argumentieren, der bei der direkten Beteiligung des Volkes an Verfassungsänderungen entstehen würde. In diese Richtung auch Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 28, der das Fehlen plebiszitärer Elemente als konsequent im Verhältnis zur übrigen Ausgestaltung des Grundgesetzes ansieht.
B. Historische Auslegung
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3. Zwischenergebnis Art. 79 Abs. 2 GG weist zwar Ähnlichkeiten zu seinen Vorgängernormen der vorherigen deutschen Verfassungen – insbesondere durch die prinzipielle Form der Verfassungsänderung als „normale“ Bundesgesetzgebung mit gesteigerten Mehrheitserfordernissen – auf,26 unterscheidet sich von diesen jedoch durch die wesentlich strengeren Zustimmungsquoren in Bundestag und Bundesrat. Ferner sind unter der Geltung des Grundgesetzes keine besonderen Verfahrensanforderungen bei der Änderung bestimmter Verfassungsinhalte vorgesehen und es fehlt an plebiszitären Elementen im Bereich der Änderung des Grundgesetzes.
II. Entwicklung der Vorschrift in den Beratungen zum Grundgesetz Die Regelung zur Verfassungsrevision nahm in den Beratungen zum Grundgesetz eine beachtliche Entwicklung, indem die ursprüngliche Fassung des Herrenchiemseer Entwurfs, die nahezu unüberwindbare Hürden für eine Verfassungsänderung vorsah, schrittweise gelockert wurde und in der heutigen Fassung des Art. 79 Abs. 2 GG mündete27: 1. Der Herrenchiemseer Entwurf Art. 106 Abs. 1 HChE28 bestimmte Folgendes: „Ein Gesetz, das das Grundgesetz ändert, bedarf im Bundestag und Bundesrat (Senat) der Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Stimmenzahl und außerdem der Annahme durch Volksentscheid. Das Gesetz ist nur dann angenommen, wenn am Volksentscheid mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten teilgenommen hat und wenn die Mehrheit der Abstimmenden sowohl insgesamt wie auch in der Mehrzahl der Länder für die Annahme gestimmt hat.“
Zusätzlich existierte die Sonderbestimmung des Art. 107 HChE29: „Ein Gesetz, durch das von der bundesstaatlichen Grundordnung abgegangen wird, bedarf außer den sonstigen Erfordernissen des Art. 106 der einstimmigen Annahme im Bundesrat.“
Diese äußerst strengen Voraussetzungen der Verfassungsänderung stießen jedoch bereits in den zuvor erfolgten Beratungen im Herrenchiemseer Konvent auf Widerstand und waren daher keineswegs unumstritten. So wurde kritisiert, dass derartige Anforderungen an Verfassungsänderungen diese „nahezu unmöglich“
26
Vgl. auch Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 24. Vgl. die Entwicklung der Entwürfe zu Art. 79 Abs. 2 GG (ehemals Art. 106 Abs. 1 HChE), abgedruckt bei Hollmann, Parl. Rat VII, S. 64, 115, 172, 252, 370, 427, 451, 479, 516, 552, 590, 632. 28 Abgedruckt bei Bucher, Parl. Rat II, S. 603. 29 Abgedruckt bei Bucher, Parl. Rat II, S. 604. 27
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
machten und zu einer „Starrheit“ der Verfassung führten.30 Derart strenge Änderungserfordernisse verhinderten die Berücksichtigung sich verändernder tatsächlicher oder politischer Gegebenheiten in der Verfassung, was „die Möglichkeit revolutionärer Situationen“ schaffe, wenn die Verfassung derartige Umstände nicht berücksichtigen könne, sondern eine solche „Barriere“ errichte.31 2. Beratungen im Parlamentarischen Rat Im Parlamentarischen Rat setzte sich diese Kritik an den erheblichen Voraussetzungen für eine Verfassungsänderung fort. Insbesondere die Regelung des Art. 107 HChE erfuhr deutlichen Widerstand. So führte der Abgeordnete Katz aus, dass es eine „stärkere Gesetzesänderung als eine Verfassungsänderung nicht geben“ könne und dürfe, sodass die Vorschrift des Art. 107 HChE wegfallen müsse.32 In diesem Sinne kritisierte auch der Abgeordnete de Chapearouge, dass „wenn wir daran denken, einen Bundesstaat zu schaffen, eine Sonderbestimmung wie in Art. 107 nicht erforderlich ist. Die Sicherungen, die in Art. 106 getroffen sind, genügen, um den Einzelstaaten ihre Eigenstaatlichkeit, wie sie ihnen in der Verfassung zugewiesen wird, auf die Dauer zu erhalten.“33
Auch der in Art. 106 Abs. 1 HChE vorgesehene Volksentscheid stieß teilweise im Grundsatz und in seiner Ausgestaltung auf Kritik, welche sich insbesondere dagegen richtete, dass derart erschwerte Bedingungen eine Verfassungsänderung nahezu unmöglich machten und insbesondere das Erfordernis der Teilnahme von
30 Vgl. die Äußerungen Bergers in der Plenarsitzung vom 23.08.1948 (Protokoll abgedruckt bei Bucher, Parl. Rat II, S. 447). 31 Vgl. die Äußerungen Bergers und Schmids in der Plenarsitzung vom 23.08.1948 (Protokoll abgedruckt bei Bucher, Parl. Rat II, S. 447 f.). 32 Vgl. das Protokoll der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 533). 33 Äußerung in der 14. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 14.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 564). Im Ergebnis sprach sich die Mehrheit der Ausschussmitglieder für eine Streichung des Art. 107 HChE aus, vgl. das dementsprechende Sitzungsprotokoll (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 570). Zwar wurde die erneute Aufnahme einer veränderten Fassung des Art. 107 HChE mit einem gesonderten Mehrheitsquorum in verschiedenen Ausschüssen noch mehrmals diskutiert, konnte sich jedoch im Ergebnis in dieser Form nicht durchsetzen, vgl. diesbezüglich die Protokolle der 18. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 27. Oktober 1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 692 ff.), der zwölften Sitzung des Hauptausschusses vom 1.12.1948 (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 365 ff.), der 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 11. Januar 1949 (abgedruckt bei Büttner/ Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 1015 f.), der 36. Sitzung des Hauptausschusses vom 12. Januar 1949 (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1115 ff.) und schließlich die Entwurfsfassung der vierten Lesung des Hauptausschusses Stand vom 5. Mai 1949 (abgedruckt bei Hollmann, Parl. Rat VII, S. 552).
B. Historische Auslegung
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50 % der Stimmberechtigten am Volksentscheid zu unüberwindbaren Hürden führte, da es kaum möglich sei – gerade wenn es sich um geringfügige Einzelfragen handelt – das Volk zu einer derart breiten Teilnahme am Volksentscheid zu motivieren.34 Besonders deutlich formulierte der Abgeordnete Löwenthal: „Wenn wir die Bestimmung hereinsetzen, wie sie im Herrenchiemseer Entwurf vorgesehen ist, können wir praktisch ebenso gut hineinschreiben: Verfassungsänderungen finden nicht statt.“35
34
Vgl. etwa die Äußerungen des Abgeordneten Katz in der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 536): „In bezug auf die Frage, wie eine Verfassungsänderung zustande kommt, habe ich nur ein Bedenken. Das ist die Klausel, daß an dem Volksentscheid mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten teilgenommen haben muß. Meiner Meinung nach macht das eine Verfassungsänderung beinahe zur Unmöglichkeit. Eine solche Notwendigkeit ist nirgend begründet. Soviel ich weiß, ist der Volksentscheid für Verfassungsänderung durch Dokument I zwingend vorgeschrieben. Ich würde unter Umständen bereit sein, bei Verfassungsänderung überhaupt auf den Volksentscheid zu verzichten. Da er aber in Dokument I, wenn ich nicht irre, zwingend vorgeschrieben ist, so muß er aufgenommen werden. Aber warum es notwendig sein soll, daß die Hälfte der Stimmberechtigten daran teilgenommen haben muß, sehe ich nicht ein. Da würde mir die Klausel: die Mehrheit der Abstimmenden und Mehrzahl der Länder genügen. Man muß bedenken, daß es sich da um Fragen handelt, die unter Umständen relativ geringfügiger Natur sind. Eine Teilnahme von 50 %, die wahrscheinlich zwingend vorgeschrieben wird, halte ich für bedenklich. Es wird gar nicht so einfach sein, die breite Volksmasse für diese Tatsache zu erwärmen und zur Aktivität zu bringen. In den Vereinigten Staaten ist bei gewissen Fragen auch Volksabstimmung vorgeschrieben. Da sind in solchen Fällen immer nur ganz geringe Bruchteile des Volkes zur Urne gegangen. Da sind derartige Änderungen beim Referendum mit Beteiligungen von 10 und 20 % durchgeführt worden, und das ist auch richtig.“ Strittig war in den Beratungen ferner, ob das Dokument I der „Frankfurter Dokumente“ Deutschland durch die Alliierten zwingend eine Volksabstimmung für Verfassungsänderungen auferlegte (Dokument abgedruckt bei J. V. Wagner, Parl. Rat I, S. 30 ff.), vgl. hierzu den Verlauf der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948, Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 537 ff. Symptomatisch für die zugrunde liegenden Probleme sind auch die Äußerungen des Abgeordneten Dehler aus derselben Sitzung (abgedruckt bei Büttner/ Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 540): „Art. 106 erschwert jede Verfassungsänderung überhaupt. Die Frage ist, ob wir an Dokument I gebunden sind, ob wir neben der qualifizierten Mehrheit in beiden Häusern noch eine Volksabstimmung als Voraussetzung der Verfassungsänderung einzuführen haben. […] Ich würde es für richtig halten, wenn wir die qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder in beiden Häusern forderten und versuchten, damit durchzukommen. Wir wollen nicht, daß unsere Verfassung ein Prokrustesbett wird, daß wir uns am Ende Glieder abhauen müssen, weil wir dieses Bett nicht nach den Wachstumsbedürfnissen unseres Volkes ändern können. […] Ich bin bereit, es bei diesem wichtigen Punkte darauf [einen Konflikt mit den Militärbehörden] ankommen zu lassen, wobei ich die Frage stelle, ob man unbedingt aus Dokument I die gegenteilige Folgerung ziehen muß.“ 35 Äußerung aus der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 541).
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
Andere hoben hervor, dass es sich bei der Teilnahme an einer Volksentscheidung um eine Bürgerpflicht handeln müsse, die nicht zur Disposition des Bürgers stehen dürfe und sprachen sich für die Aufrechterhaltung des Mindestabstimmungsquorums in der Bestimmung aus.36 Dagegen wurde wiederum eingewendet, dass ein solcher Abstimmungszwang in erheblicher Weise die Freiheitsrechte der Bürger beschneiden würde.37 Dementsprechend resümierte der Vorsitzende Lehr in der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948: „[W]ir sind bei Beratung des Art. 106 übereinstimmend der Auffassung, daß Verfassungsänderungen erschwert werden müssen, und stimmen darum dem Grundgedanken dieses Artikels zu. Infolgedessen stimmen wir auch der Formulierung zu, daß ein Gesetz, das das Grundgesetz ändert, sowohl in der Volkskammer wie in der Länderkammer einer qualifizierten Mehrheit bedarf, etwa von zwei Dritteln sämtlicher Mitglieder. Dagegen gehen unsere Meinungen auseinander in bezug darauf, ob ein Volksentscheid stattfinden muß. Der Gedanke wird teils bejaht, teils abgelehnt. Aber selbst für den Fall, daß ein Volksentscheid bejaht wird, geht die Meinung eines Teiles dahin, daß dieser Volksentscheid nicht noch einmal daran gebunden wird, daß mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten teilgenommen habe, sondern daß das der einfachere Volksentscheid mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen sein solle, […] und mit der Mehrzahl der Länder, die für die Annahme gestimmt haben. Eine Minderheitsmeinung geht aber dahin […] eine qualifizierte Mehrheit zu fordern.“38
Basierend auf einer Entwurfsfassung der beabsichtigten Revisionsvorschrift für Verfassungsänderungen, die die fakultative Möglichkeit eines Volksentscheids für Verfassungsänderungen auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Bundestages oder der Stimmen des Bundesrates vorsah, wurde der Volksentscheid für Änderungen des Grundgesetzes erneut im Hauptausschuss diskutiert und schließlich – nach reichlicher Kritik39 an diesem – zunächst noch einmal modifi-
36
Vgl. insbesondere die Äußerungen der Abgeordneten Heile, Walter und Löwenthal sowie des Vorsitzenden Lehr in der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 537 ff.). 37 Vgl. insoweit insbesondere die Äußerungen der Abgeordneten Katz, Greve und Dehler in der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 537 ff.). 38 Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 542. 39 Vgl. exemplarisch die Ausführungen des Abgeordneten Katz in der zwölften Sitzung des Hauptausschusses vom 1.12.1948 (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 360 f.): „Meine Fraktion hat gegen den Abs. 3 Bedenken, nämlich gegen die fakultative Einschaltung des Volksentscheids, und zwar bereits mit einem Viertel der Mitglieder des Bundestags oder des Bundesrats. Das könnte bei etwa notwendig werdenden dringenden Verfassungsänderungen eine ungeheure Verschleppung einer derartigen Verfassungsänderung, unter Umständen sogar ihre Unterbindung zur Folge haben. Wir sind der Ansicht, daß es nicht zweckmäßig ist, einer Minderheit von einem Viertel das Recht zu geben, in diesem Falle ein Referendum zu beantragen, sondern wir sind der Ansicht, daß, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bun-
B. Historische Auslegung
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ziert40 und dann gänzlich gestrichen.41 Letztendlich verblieb damit von den strengen Änderungsvoraussetzungen des Art. 106 HChE nur das Mehrheitsquorum in Bundestag und Bundesrat, welches bis heute unverändert in Art. 79 Abs. 2 GG besteht. Die Betrachtung der Folgen dynamischer Verweisungen fehlt in den Beratungen zu dieser Vorschrift allerdings vollständig.
III. Bedeutung für die Verweisungsproblematik Auch wenn die unter der Geltung des Art. 79 Abs. 2 GG erfolgten zahlreichen Änderungen42 des Grundgesetzes sowie die sukzessive Abmilderung der Änderungserfordernisse im parlamentarischen Rat – ausgehend vom ursprünglichen Entwurf des Art. 106 HChE – ein anderes Bild zeichnen, zeigen die Beratungen zu Art. 79 Abs. 2 GG deutlich, dass die Mitglieder des parlamentarischen Rates bestrebt waren, die Änderungsvoraussetzungen für Verfassungsänderungen deutlich zu erhöhen.43 Der Vergleich mit den Vorgängernormen der Art. 78 RV 1871 und Art. 76 WRV belegt, dass diese Bestrebung auch tatsächlich umgesetzt wurde und Verfassungsänderungen im Verfassungsstaat des Grundgesetzes erheblich strengeren Voraussetzungen unterworfen sind.44
destags und zwei Drittel der Mitglieder des Bundesrats einer Verfassungsänderung zugestimmt haben, der überwiegende Wille der Volksvertretung bereits hinreichend zum Ausdruck gekommen ist und diese Manipulation in Abs. 3 vollkommen überflüssig ist. Sie führt nichts anderes als eine Verzögerung oder eine Verschleppung herbei; sie gibt die Möglichkeit zu etwaigen demagogischen Experimenten. Wir beantragen daher, den Abs. 3 zu streichen.“ 40 Vgl. insoweit das Protokoll zur zwölften Sitzung des Hauptausschusses vom 1.12.1948 (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 360 ff.) sowie das Protokoll der 36. Sitzung des Hauptausschusses vom 12. Januar 1949 (abgedruckt bei Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1117). 41 Vgl. insoweit die im Hauptausschuss angenommene (Feldkamp, Parl. Rat XIV, S. 1585) Änderung des Fünferausschusses für die dritte Lesung im Hauptausschuss (abgedruckt bei Hollmann, Parl. Rat VII, S. 302 f.). 42 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 66; Bushart, Verfassungsänderung, S. 108; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 17 m.w.N.; Herdegen, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 79 Rn. 47 (72. Lfg. Juli 2014); Magsaam, Mehrheit, S. 182; Masing, Der Staat 2005, 1 (1); Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 28. 43 Vgl. erneut die Zusammenfassung des Vorsitzenden Lehr in der 13. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 13.10.1948 (abgedruckt bei Büttner/Wettengel, Parl. Rat XIII, S. 542): „[W]ir sind bei Beratung des Art. 106 übereinstimmend der Auffassung, daß Verfassungsänderungen erschwert werden müssen […]“. Siehe im Übrigen bereits oben unter Kap. 3 § 3 B. II. 2. 44 Nichtsdestotrotz wird zumeist davon ausgegangen, dass Art. 79 Abs. 2 GG keine besonders strengen Voraussetzungen für Verfassungsänderungen aufstelle, vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 57, 66 ff.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 17 m.w.N.; Dreier, JZ 1994, 741 (745 f.); Magsaam, Mehrheit, S. 182 f.; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 28. In diese Richtung auch Bushart, Verfassungsänderung, S. 108. Dies mag zwar für den internationalen Rechtsvergleich (siehe dazu ausführlich Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 9 ff. und Masing, Der Staat 2005, 1 [4 ff.]) sowie das Verhältnis zum ur-
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
Diese der Revisionsvorschrift des Art. 79 Abs. 2 GG zugrunde liegende Bestrebung der deutlichen Erschwerung der Abänderbarkeit der Verfassung würde jedoch umgangen, wenn die Verwendung dynamischer Verweisungen im Grundgesetz unbegrenzt zulässig wäre. Denn bei diesen kann (wie bereits zuvor ausgeführt) im Ergebnis die verweisende Verfassungsnorm inhaltlich durch die Inkorporation des geänderten Inhalts des Verweisungsobjekts geändert werden, ohne dass hierbei (zwingend) Bundestag und Bundesrat beteiligt wären, geschweige denn die erforderlichen Mehrheiten in diesen beiden Organen eingehalten wären. Der Schutz des Art. 79 Abs. 2 GG, der für Verfassungsänderungen eine Beteiligung des Bundesrates als Vertretungsorgan der Länder sowie einen breiten Konsens in Bundestag und Bundesrat fordert, würde im Ergebnis leerlaufen und Verfassungsänderungen mit einfacher Mehrheit – oder gar außerhalb eines Gesetzgebungsverfahrens (etwa bei Verweisungen auf Rechtsverordnungen) – wäre der Weg bereitet. Dies ist jedoch mit der Historie des Art. 79 Abs. 2 GG – insbesondere mit dem zugrunde liegenden Motiv der deutlichen Erschwerung der Verfassungsänderung – evident unvereinbar. Folglich spricht die historische Auslegung der Norm deutlich gegen die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen im Grundgesetz.
C. Systematische Auslegung I. Verhältnis zu Art. 42 Abs. 2 S. 1 sowie Art. 52 Abs. 3 S. 1 und Art. 77 Abs. 3, 4 GG Dass Verfassungsänderungen im Verhältnis zur einfachen (Bundes-)Gesetzgebung einer deutlichen Erschwerung unterworfen sind, zeigt sich erneut bei einem Vergleich mit den Vorschriften der Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 77 Abs. 3, 4 GG. Während nach Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG vorbehaltlich einer anderweitigen Bestimmung des Grundgesetzes für einen Beschluss des Bundestages die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt, schreibt Art. 79 Abs. 2 GG (i.V.m. Art. 121 GG) gerade eine Zwei-Drittel-Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des Bundestages für eine Verfassungsänderung vor und verschärft damit insoweit sowohl die erforderliche Mehrheit (Zwei-Drittel-Mehrheit gegenüber einfacher Mehrheit)
sprünglichen Entwurf des Art. 106 HChE zutreffen. Im Verhältnis zur deutschen Verfassungstradition handelt es sich jedoch wie gezeigt um eine deutliche Verschärfung der Änderungsvoraussetzungen. Gegen die Ansicht einer leichten Abänderbarkeit daher zu Recht Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 125 und wohl auch Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 3, 45 f. (72. Lfg. Juli 2014), welcher darauf hinweist, dass die zahlreichen Verfassungsänderungen bisher insbesondere auf den zahlreichen „programmatischen Gemeinsamkeiten“ der großen „Volksparteien“ beruhte und Art. 79 Abs. 2 GG bei Entfall dieses Umstandes zukünftig eine nur schwer übersteigbare Hürde darstellen könnte.
C. Systematische Auslegung
337
als auch die relevante Bezugsgröße (Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder gegenüber Mehrheit der abgegebenen Stimmen). Ähnliches gilt für die Beteiligung des Bundesrates: Auch bei diesem genügt nach Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG grundsätzlich die Mehrheit der Stimmen. Für Verfassungsänderungen wird dieses Mehrheitserfordernis hingegen durch Art. 79 Abs. 2 GG in Form der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit deutlich verschärft. Für den Bundesrat kommt hinzu, dass es sich bei einer Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 2 GG stets um ein Zustimmungsgesetz handelt, während ansonsten nach der Konzeption des Art. 77 Abs. 3 GG45 Einspruchsgesetze die Regel sind, bei welchen der Bundesrat nicht etwa zustimmen muss, sondern allenfalls Einspruch gegen das Gesetz einlegen kann, welcher überdies nach Art. 77 Abs. 4 GG46 durch den Bundestag zurückgewiesen werden kann, sodass ein einfaches Bundesgesetz sogar gegen den Willen des Bundesrates zustande kommen kann. All diese Differenzierungen zwischen einfacher (Bundes-)Gesetzgebung und Verfassungsänderungen, die durch das Grundgesetz unzweideutig festgeschrieben werden, würden unterlaufen, wenn man Verfassungsänderungen per dynamischer Verweisung (infolge der Inkorporation des Verweisungsobjekts) zuließe und damit mittelbar Änderungen des Grundgesetzes im Wege der einfachen (Bundes-)Gesetzgebung ohne die qualifizierten Verfahrensanforderungen – insbesondere die entsprechenden Mehrheitserfordernisse – ermöglichte. Auf einen solchen Mechanismus sind dynamische Verweisungen des Grundgesetzes jedoch konzeptionell angelegt. Die Systematik der Art. 42 Abs. 2 S. 1, Art. 52 Abs. 3 S. 1 und Art. 77 Abs. 3, 4 GG spricht daher deutlich gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 2 GG. Gegen diese Annahme spricht auch nicht, dass die ursprüngliche Verweisungsnorm unter Wahrung der entsprechenden Verfahrenserfordernisse in das Grundgesetz eingefügt wurde.47
45 Art. 77 Abs. 3 GG: „Soweit zu einem Gesetze die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist, kann der Bundesrat, wenn das Verfahren nach Absatz 2 beendigt ist, gegen ein vom Bundestage beschlossenes Gesetz binnen zwei Wochen Einspruch einlegen. Die Einspruchsfrist beginnt im Falle des Absatzes 2 letzter Satz mit dem Eingange des vom Bundestage erneut gefaßten Beschlusses, in allen anderen Fällen mit dem Eingange der Mitteilung des Vorsitzenden des in Absatz 2 vorgesehenen Ausschusses, daß das Verfahren vor dem Ausschusse abgeschlossen ist.“ 46 Art. 77 Abs. 4 GG: „Wird der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen, so kann er durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden. Hat der Bundesrat den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner Stimmen beschlossen, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.“ 47 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 3 A. III. 4.
338
§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
II. Bestehende Verweisungen des Grundgesetzes In systematischer Hinsicht (bezüglich der bereits im Grundgesetz bestehenden Verweisungen) lassen sich überdies die Erkenntnisse zu Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG weitgehend übertragen.48 So kann auch hier zwischen dynamischen Verweisungen der Urfassung und nachträglich eingefügten dynamischen Verweisungen unterschieden werden. Zwar indiziert die Existenz dynamischer Verweisungen in der Urfassung auf den ersten Blick, dass derartige Verweisungen als unproblematisch betrachtet wurden; allerdings unterliegt der Verfassungsgeber nicht den Bindungen des Grundgesetzes, sodass sich insoweit für den verfassungsändernden Gesetzgeber hieraus keine Schlüsse ableiten lassen.49 Erneut ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Folgen einer dynamischen Verweisung – auch hinsichtlich der Umgehung der Mehrheitserfordernisse für Verfassungsänderungen – in den Beratungen zu Verweisungen der Urfassung des Grundgesetzes nicht betrachtet wurden,50 sodass sich daraus keine Erkenntnisse hinsichtlich des Willens der Mitglieder des parlamentarischen Rates entnehmen lassen. Auch die Existenz nachträglich eingefügter Verweisungen haben für die Auslegung des Art. 79 Abs. 2 GG nur eine beschränkte Aussagekraft, da der verfassungsändernde Gesetzgeber, welcher diese Verweisungen in das Grundgesetz eingefügt hat, selbst an Art. 79 Abs. 2 GG gebunden ist, sodass die Einfügung derartiger Verweisungen „nur“ dessen Ansicht zur Auslegung der Norm widerspiegeln kann. Da die nachträglich eingefügten Verweisungen das Unionsrecht in Bezug nehmen,51 ist allerdings insoweit davon auszugehen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber zumindest derartige Verweisungen für vereinbar mit Art. 79 Abs. 2 GG hält.
III. Zwischenergebnis Die systematische Auslegung spricht im Ergebnis gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 2 GG. Zwar lässt sich den bestehenden Verweisungen des Grundgesetzes insoweit kein klares Ergebnis zur Zulässigkeit dieser Gesetzgebungstechnik in der Verfassung entnehmen. Der Zusammenhang 48
Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 D. II. Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 D. II. 1. a). 50 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 D. II. 1. b). 51 Vgl. Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG; Art. 45 S. 3 GG; Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG; Art. 109 Abs. 2, Abs. 5 GG; Art. 109a Abs. 2 S. 3 GG. Daneben bestehen die nachträglich eingefügten deklaratorischen Verweisungen der Art. 91e Abs. 1, 143e Abs. 1 S. 1 GG auf die „nach Landesrecht zuständigen“ Organe bei der Regelung der Verwaltungskompetenzen. Diese Vorschriften führen nicht zu einer Inkorporation der maßgeblichen Vorschriften in das Grundgesetz, sondern stellen einen Hinweis auf die insoweit bestehende Kompetenz der Länder zur Regelung ihrer Verwaltungsorganisation dar. Als lediglich deklaratorische Verweisungen sind diese Vorschriften für die Bearbeitung nicht von Belang. 49
D. Teleologische Auslegung
339
mit Art. 42 Abs. 2 S. 1, Art. 52 Abs. 3 S. 1 und Art. 77 Abs. 3, 4 GG zeigt jedoch deutlich, dass bei der Annahme einer Zulässigkeit dieser Gesetzgebungstechnik die in systematischer Hinsicht gegenüber der einfachen Gesetzgebung deutlich erhöhten Anforderungen für Verfassungsänderungen im Ergebnis unterlaufen würden.
D. Teleologische Auslegung Schließlich ist Art. 79 Abs. 2 GG teleologisch auszulegen und hierbei zu untersuchen, ob sich aus dem Zweck der Vorschrift Erkenntnisse für die Bewertung der Rechtsproblematik dynamischer Verweisungen im Grundgesetz entnehmen lassen.
I. Zweck des Art. 79 Abs. 2 GG Die Bedeutung des Art. 79 Abs. 2 GG erschöpft sich nicht in einer reinen Formvorschrift, sondern dient verschiedenen weitergehenden Zwecken.52 Durch die erhöhten Mehrheitserfordernisse und der damit gegenüber einfachen Gesetzen erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung, wird dieser eine gesteigerte Geltungskraft verliehen53 und die Bedeutung des Grundgesetzes als Grundlage der deutschen Rechtsordnung unterstrichen.54 Die erschwerte Änderungsmöglichkeit ist also auch ein Ausdruck des höheren Ranges der Verfassung.55 Ferner zeigen sich dadurch deutlich die Unterschiede zwischen einfacher Gesetzgebung und Verfassungsänderungen, sodass die prinzipielle Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung hervorgehoben wird.56 Gleichzeitig erhält das Grundgesetz durch die qualifizierten Mehrheitsanforderungen eine größere Stabilität.57 Diese ist für das Grundgesetz als Kodifizie52
Bushart, Verfassungsänderung, S. 110. Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 1 m.w.N.; Dreier, JZ 1994, 741 (742); Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 6. 54 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 1; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 2; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 13 f.; Dreier, JZ 1994, 741 (742). 55 Vgl. Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 4; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 14 m.w.N.; Dreier, JZ 1994, 741 (742 ff.); Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 5 (72. Lfg. Juli 2014); E. Klein, in: FS Isensee, 169 (176); Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 6 f.; Starck, Verfassungsstaat, S. 43 f.; Winterhoff, Verfassunggebung – Verfassungsänderung, S. 111 f. m.w.N., welcher sogar davon ausgeht, dass die erschwerte Abänderbarkeit notwendiges Merkmal des Vorrangs der Verfassung ist. Vgl. schon Heller, Staatslehre, S. 274. 56 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 8.; Magsaam, Mehrheit, S. 182; Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 130. Vgl. auch Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 4; Starck, Verfassungsstaat, S. 43 f.; Winterhoff, Verfassunggebung – Verfassungsänderung, S. 111. 57 Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 2; Hufeld, in: HStR XII, § 259 Rn. 13; Sachs, in: 53
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
rung der fundamentalen Rechtsnormen unabdingbar.58 Nichtsdestotrotz garantiert das Bestehen einer Änderungsmöglichkeit, dass die Verfassung sich an veränderte tatsächliche oder politische Gegebenheiten anpassen kann und die durch die erschwerten Änderungsmöglichkeiten hervorgerufene Stabilität nicht zu einer Starrheit der Verfassung führt.59 Außerdem stellen die erhöhten Mehrheitserfordernisse sicher, dass die Verfassungsänderung – als bedeutsame Änderung der rechtlichen Grundlage, an welche alle öffentliche Gewalt gebunden ist – auf einer breiten Zustimmung bzw. einem breiten politischen Konsens beruht und nicht lediglich die Vorstellung einer knappen (Regierungs-)Mehrheit widerspiegelt.60 Dadurch dient die Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 GG auch dem Minderheitenschutz, indem für Verfassungsänderungen durch die erhöhten Mehrheitsquoren häufig mehr Stimmen erforderlich sind, als die Regierungsparteien im Bundestag auf sich vereinigen und damit zwingend Stimmen der Opposition benötigt werden.61 Dies erfordert häufig einen parteiübergreifenden Kompromiss und ver-
Sachs, GG, Art. 79 Rn. 8. Ähnlich Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 13 f. Siehe auch Grawert, Der Staat 2013, 503 (513), welcher ausführt, dass durch die erschwerten Mehrheitserfordernisse „der Bestand der gegebenen Verfassung vor politischen Böen“ bewahrt werde und Winterhoff, Verfassunggebung – Verfassungsänderung, S. 105, welcher aus derartigen Erschwerungen eine „erhöhte Bestandskraft“ der Verfassung folgert. Treffend führt auch Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 4 aus, dass die qualifizierten Mehrheiten „eine Gewähr dafür bieten, daß nicht beliebige Zweckmäßigkeit oder tagespolitische Opportunität die Regierung und ihre parlamentarische Mehrheit zu einer Verfügung über das Verfassungsrecht befähigen.“ Vgl. ferner bereits Laband, Wandlungen der Reichsverfassung, S. 1, der ebenfalls einen Bestandschutz durch erschwerte Abänderbarkeiten hervorhebt und Heller, Staatslehre, S. 274. Kritisch zum Aspekt der Stabilität Bushart, Verfassungsänderung, S. 108; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 28. 58 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 13; Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 6. Siehe auch Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 2 (72. Lfg. Juli 2014); Schuppert, AöR 1995, 32 (35). So schon Laband, Wandlungen der Reichsverfassung, S. 1. 59 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 13 f. m.w.N.; Grimm, AöR 1972, 489 (504 f.); Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 2 (72. Lfg. Juli 2014). Siehe auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 316 f.; P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 41; Schuppert, AöR 1995, 32 (34 ff.); Unruh, Verfassungsbegriff, S. 433 m.w.N.; Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 130 f. 60 Vgl. Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 28; Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 204; Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79 Rn. 14; Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsrecht I, § 20 Rn. 3. Siehe auch Bushart, Verfassungsänderung, S. 110; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 45 f. (72. Lfg. Juli 2014); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 144; P. Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 62; Loewenstein, Verfassungsänderung, S. 29; Roßnagel, Der Staat 1983, 551 (551). 61 Vgl. Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 72, 204; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 122; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 144; Loewenstein, Verfassungsänderung, S. 29; Magsaam, Mehrheit, S. 81 m.w.N.; Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 133 f. m.w.N. A.A. Bushart, Verfassungsänderung, S. 109 und wohl auch Dreier, JZ 1994, 741 (746).
D. Teleologische Auslegung
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stärkt auf diese Weise die „inhaltliche Integrationskraft“ der entsprechenden Verfassungsnorm.62 Die gleichberechtigte Beteiligung des Bundesrats an den Verfassungsänderungen stellt zudem sicher, dass bei diesen die Länderinteressen hinreichend berücksichtigt werden.63 Teilweise wird außerdem angenommen, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit des Art. 79 Abs. 2 GG eine Entscheidung „der breiten Masse des Volkes“ repräsentiert.64 Nach vereinzelter Auffassung garantieren die qualifizierten Mehrheitserfordernisse zudem ein höheres Maß an sachlicher Richtigkeit der vorgenommenen Änderungen,65 was jedoch zweifelhaft erscheint. Teilweise wird die Erschwerung der Verfassungsänderung sogar als „das entscheidende juristische Merkmal einer Verfassung“ angesehen.66
II. Bedeutung für die Verweisungsproblematik Die maßgeblichen Zwecke, welchen die qualifizierten Verfahrensanforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG dienen, würden nicht erreicht, wenn eine Änderungsmöglichkeit per dynamischer Verweisung im Grundgesetz zugelassen werden würde. Die damit verfolgte Differenzierung zwischen einfacher Gesetzgebung und Verfassungsänderung würde aufgehoben, wenn Verfassungsänderungen über eine Änderung eines (einfachgesetzlichen) Verweisungsobjekts möglich wären, welches dann mittelbar den Verfassungsinhalt ändert.67 Durch den Umstand, dass diese Änderungen nicht als Verfassungsänderungen im technischen Sinne ausgewiesen wären und nicht die qualifizierte Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat erfordern, würde diesen Änderungen in der öffentlichen Wahrnehmung zudem keine gesteigerte Geltungskraft zu Teil werden, da derartige Änderungen der Verfassung mangels des dafür erforderlichen Verfahrens vielmehr versteckt erfolgten. Insbesondere dem Zweck der Erlangung einer größeren Stabilität der Verfassung durch die erschwerten Änderungsmöglichkeiten würden Änderungen per
62
Bushart, Verfassungsänderung, S. 110. Ähnlich Roßnagel, Der Staat 1983, 551 (551, 576), welcher ebenfalls die häufige Notwendigkeit eines Kompromisses zwischen den Fraktionen und den dadurch entstehenden Interessenausgleich bzw. eine „Ausgleichs- und Integrationsfunktion“ betont. Vgl. auch Loewenstein, Verfassungsänderung, S. 29. 63 Bushart, Verfassungsänderung, S. 111. Vgl. auch Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 7. 64 A. Bleckmann, JR 1978, 221 (225). A.A. Bushart, Verfassungsänderung, S. 109 f. 65 Vgl. Bushart, Verfassungsänderung, S. 110 f. 66 Dreier, JZ 1994, 741 (744) m.w.N. Ähnlich Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 3. In diese Richtung wohl auch Laband, Wandlungen der Reichsverfassung, S. 1; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 310; Isensee, in: HStR II, § 15 Rn. 184. A.A. Grimm, AöR 1972, 489 (507). 67 Treffend bemerkt Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 79 Rn. 9 zudem, dass im Fall einer dynamischen Verweisung „rangniederen Normautoren Einfluss auf den Inhalt des Grundgesetzes“ eingeräumt würde, sodass derartige Verweisungen verfassungswidrig seien (freilich ohne Bezug zu Art. 79 Abs. 2 GG).
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
dynamischer Verweisung zuwiderlaufen. Denn derartige Verweisungen sind gerade konzeptionell darauf angelegt, flexible Änderungen der Verweisungsnorm zu ermöglichen, ohne dass diese selbst geändert werden muss.68 Die als Grundlage der deutschen Rechtsordnung erforderliche Stabilität der Verfassung würde damit ganz erheblich beeinträchtigt werden. Auch verfassungspolitisch erschiene es wenig sinnvoll, die ohnehin hohe Änderungsfrequenz des Grundgesetzes69 noch weiter dadurch zu begünstigen, die Änderungsmöglichkeit des Grundgesetzes über eine dynamische Verweisung „auszulagern“ und so deutlich zu vereinfachen. Überdies würde die Funktion der Erzielung eines breiteren Konsenses – ggf. im Wege eines parteiübergreifenden Kompromisses – und die dadurch erreichte höhere Integrationskraft sowie der Minderheitenschutz bei Änderungsmöglichkeiten im Wege einer dynamischen Verweisung vollständig entfallen. Denn soweit das Verweisungsobjekt nicht selbst der Verfassung angehört, ist dies im Wege eines einfachen (Bundes-)Gesetzgebungsverfahrens – je nach Verweisungsobjekt ggf. sogar im Wege der Landesgesetzgebung oder über die Änderung einer Rechtsverordnung – abänderbar, sodass mittelbar (infolge der Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts) auch die verweisende Verfassungsnorm auf diesem Wege abänderbar wäre. Letztendlich wäre damit jedoch erneut lediglich eine einfache Mehrheit erforderlich, sodass zukünftig allein die Regierungsmehrheit für eine inhaltliche Änderung der Verfassung ausreichte, sofern die Verweisungsnorm einmal in das Grundgesetz eingefügt wurde. Dies ist jedoch mit den Zwecken des Art. 79 Abs. 2 GG ersichtlich unvereinbar. Gleiches gilt für die Beteiligung des Bundesrates. Bei einer Außenverweisung wären Verfassungsänderungen zumindest ohne die qualifizierte Mehrheit der Stimmen des Bundesrates – je nach Verweisungsobjekt sogar ohne oder gegen den Willen des Bundesrates – möglich.70 In diesem Fall wäre die Berücksichtigung der Länderinteressen – welche ebenfalls unmittelbar dem Grundgesetz unterworfen und daher durch die Änderungen in gleicher Weise betroffen sind wie der Bund – nicht (hinreichend) gewährleistet.
68
Siehe zu dieser Funktion dynamischer Verweisungen bereits oben unter Kap. 1 § 2 D. I. So traten allein bis zum Ende der 19. Wahlperiode im Jahr 2021 insgesamt 65 Gesetze zur Änderung des Grundgesetzes in Kraft, vgl. P. Schindler, Datenhandbuch Bundestag, S. 2961 ff. unter Auflistung der einzelnen Änderungsgesetze bis zum Ende der 12. Wahlperiode im Jahr 1994 und www.bundestag.de/resource/blob/272506/13c412e9e20d07a6178e42a 222e437c7/Kapitel 13 01 Grundgesetz nderungen Statistik-pdf-data.pdf (zul. abger. am 02.07.2023) für den Zeitraum der 13. – 19. Wahlperiode. Seitdem traten mit dem „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 87a)“ vom 28.06.2022 (BGBl. I 2022, S. 968) und dem „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 82)“ vom 19.12.2022 (BGBl. I 2022, S. 2478) zwei weitere Grundgesetzänderungen in Kraft. Die Gesamtzahl der Änderungsgesetze beläuft sich folglich auf 67 und damit in den 74 Jahren des Bestehens des Grundgesetzes auf fast eine Änderung pro Jahr. 70 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 3 A. III. 1. und 2. 69
E. Gesamtbewertung
343
Zusammenfassend spricht die teleologische Auslegung daher gegen die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 79 Abs. 2 GG.
E. Gesamtbewertung Die Auslegung des Art. 79 Abs. 2 GG zeigt, dass diese Vorschrift nicht nur (trotz des auf den ersten Blick anders anmutenden Wortlauts) auf die Verweisungsproblematik anwendbar ist, sondern dynamische Verweisungen mit dieser Vorschrift unvereinbar sind. Insbesondere die mit Art. 79 Abs. 2 GG verfolgten Zwecke würden gänzlich verfehlt, wenn die qualifizierten Mehrheitserfordernisse durch die Änderung der Verfassung im Wege des dynamischen Verweisungsmechanismus – also der Inkorporation der jeweils geltenden Fassung einer externen Norm, die nicht diesen Anforderungen unterworfen ist – umgangen werden könnten.
I. Abänderung des Art. 79 Abs. 2 GG durch dynamische Verweisungen? Wie bei der Untersuchung des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bleibt jedoch zu erwägen, ob die Einfügung dynamischer Verweisungen durch den verfassungsändernden Gesetzgeber eine Änderung des Art. 79 Abs. 2 GG in der Weise darstellt, dass dessen qualifizierte Verfahrenserfordernisse für Änderungen des Grundgesetzes durch den Verweisungsmechanismus nicht gelten bzw. dynamische Verweisungen von dieser Vorschrift nicht (mehr) erfasst werden. Denn nach verbreiteter Auffassung steht auch Art. 79 Abs. 2 GG zur vollständigen Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers, sodass dessen qualifizierte Verfahrensanforderungen im Wege der Verfassungsänderung nach dieser Ansicht prinzipiell beseitigt werden könnten.71 Anders als im Fall des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG existiert in dieser Frage jedoch eine Ansicht in der Literatur, die beinhaltet, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die qualifizierten Verfahrensanforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG zwar verschärfen, aber nicht erleichtern dürfe.72 Inhaltlich zwischen diesen beiden Ansichten liegend wird teilweise angenommen, dass Verschärfungen der Änderungsvoraussetzungen zulässig sind, Erleichterungen der Voraussetzungen jedoch nur soweit, dass nicht der Vorrang der Verfassung gegenüber dem einfachen Recht beeinträchtigt wird.73 71 Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, § 28 Rn. 47 f.; Badura, in: HStR XII, § 270 Rn. 35; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 81; Wegge, Demokratieprinzip, S. 75 f. Wohl auch Schöbener, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 79 Rn. 90 (45. Lfg. V/15). Unklar Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 707, welcher davon ausgeht, dass eine Änderung des Erfordernisses qualifizierter Mehrheiten ausgeschlossen sei, nicht aber eine Änderung der erforderlichen Mehrheiten für Verfassungsänderungen schlechthin. 72 So etwa Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 2 Rn. 23. Ähnlich Bryde, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 79 Rn. 57. Wohl auch Haratsch, in: Sodan, GG, Art. 79 Rn. 48. 73 Vgl. Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 59 (72. Lfg. Juli 2014) (der
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
Wenn man bereits einer der Ansichten folgt, die Erleichterungen der Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG nicht (unbegrenzt) zulassen, muss eine solche implizite Änderung des Art. 79 Abs. 2 GG in dem Sinne, dass Verfassungsänderungen im Wege einer dynamischen Verweisung davon nicht erfasst werden, ohnehin ausscheiden. Denn bei diesen würde die qualitative Differenz zwischen Verfassungsänderung und der Änderung einfachgesetzlicher Vorschriften im Ergebnis unterlaufen. Selbst wenn man jedoch mit der extensivsten Ansicht davon ausginge, dass eine solche Änderung des Art. 79 Abs. 2 GG nicht prinzipiell ausgeschlossen ist, müsste die Annahme einer derartigen impliziten Änderung jedoch aus den gleichen Gründen ausscheiden, wie bereits im Fall des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG:74 Dies bedeutete ansonsten nämlich, dass eine verfassungsändernde Norm allein deswegen nicht gegen Art. 79 Abs. 2 GG verstößt, weil sie von diesem abweicht und in dieser Folge eine Änderung desselben bewirkte. Dies würde jedoch gerade dem Charakter des Art. 79 Abs. 2 GG als Hürde für Verfassungsänderungen widersprechen. Zumindest solange Art. 79 Abs. 2 GG selbst in seinem Wortlaut unverändert fortbesteht, müssen Verfassungsänderungen daher dessen Anforderungen genügen. Um die qualifizierten Mehrheitserfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG zu beseitigen bzw. von diesen abweichen zu können, genügt daher keine verfassungsändernde Regelung, die implizit von diesem abweicht, sondern Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG müsste zunächst selbst geändert werden. Nach Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG bedürfte es hierzu ferner einer ausdrücklichen Änderung des Art. 79 Abs. 2 GG, sodass die Einfügung einer Verweisungsnorm allein keine derartige implizite Änderung des Art. 79 Abs. 2 GG bedeuten kann, dass dieser dynamische Verweisungen nicht (mehr) erfasst.
insoweit ein Zustimmungsquorum von 55 % in den Gesetzgebungsorganen als nicht ausreichend bezeichnet); E. Klein, in: FS Isensee, 169 (177); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 20; Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 79 Rn. 226 f. (183. Lfg. März 2017); Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 24. Ähnlich Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 24, welcher daraus folgert, dass stets eine Form qualifizierter Mehrheit erforderlich ist. Hinsichtlich einer Erleichterung der Abänderbarkeit auch Tosch, Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, S. 130 ff., welcher allerdings jegliche Verschärfungen der Mehrheitserfordernisse ablehnt. Siehe auch Ehmke, Verfassungsänderung, S. 127 f., der allerdings vage formuliert, dass sowohl die Verschärfung als auch die Herabsetzung der Mehrheitserfordernisse Grenzen unterliege und diese nicht genau bestimmt werden könnten, sondern „immer die soziale und politische Struktur eines Gemeinswesens in Betracht ziehen müssen.“ Ein „genereller Maßstab“ sei hierbei, „daß es nicht möglich sein sollte, Verfassungsänderungen gegen den Willen der parlamentarischen Opposition vorzunehmen.“ Daneben wird teilweise – für diese Bearbeitung allerdings uninteressant – vertreten, dass auch eine Erschwerung der Mehrheitserfordnisse hin zu einer vollständigen Änderungsresistenz unzulässig wäre, die die Entscheidung des Verfassungsgebers für eine Änderungsmöglichkeit unterlaufen würde. Vgl. statt weiterer Rozek, in: HStR XII, § 257 Rn. 24. 74 Siehe dazu Kap. 3 § 2 F. I.
E. Gesamtbewertung
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II. Ausnahme für Verweisungen auf Unionsrecht Auch im Bereich des Art. 79 Abs. 2 GG erscheint eine Ausnahme von dem aus dieser Vorschrift folgenden Verbot dynamischer Verweisungen des Grundgesetzes sinnvoll. Zwar sind auch dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht konzeptionell auf eine Änderung durch die Inkorporation des Verweisungsobjekts angelegt. Allerdings wird durch die Vorschrift des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG für „die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden“ ausdrücklich die Einhaltung der qualifizierten Verfahrensanforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG für diese Regelungen angeordnet, sodass die dementsprechenden unionsrechtlichen Verweisungsobjekte, bei deren Änderung mittelbar eine inhaltliche Änderung des Grundgesetzes erfolgen kann, bereits selbst nur auf der Grundlage des Art. 79 Abs. 2 GG ermöglicht wurden.75 Ferner hat sich die Bundesrepublik Deutschland durch den Beitritt zur Europäischen Union und durch die umfangreiche Übertragung von Hoheitsrechten ohnehin der Gesetzgebung der Unionsorgane sowie dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts unterworfen,76 sodass die Annahme eines durch Art. 79 Abs. 2 GG induzierten Verweisungsverbots für dynamische Verweisungen auf Unionsrecht keine eigenständige Sicherung beinhalten könnte, da das vorrangige Unionsrecht auch ohne eine dynamische Verweisung die entsprechenden und ggf. widersprechenden nationalen Verfassungsnormen überlagern kann. Eine Verweisung stellte insoweit lediglich eine nationale Kanalisierung für den Einfall des Unionsrechts in das Grundgesetz selbst dar.77 Hervorzuheben ist zudem erneut, dass es sich bei Verweisungen auf Verordnungen des Unionsrechts sowie auf das Primärrecht in deren ursprünglichen Anwendungsbereichen um (größtenteils) deklaratorische Verweisungen handelt, sodass das zugrunde liegende Problem für derartige Verweisungen aufgrund fehlender (bzw. erheblich verringerter) Rechtswirkung abgemildert ist.78
75
In Form der qualifizierten Mehrheit zum nationalen Zustimmungsgesetz, welches die entsprechenden unionsrechtlichen Normen legitimiert. 76 Diese Gesichtspunkte werden teilweise zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit einfachgesetzlicher Verweisungen auf das Unionsrecht herangezogen, vgl. OVG Münster, NWVBl. 1996, 307 (309); Milej, EuR 2009, 577 (579); D. Moll, Europäisches Strafrecht, S. 112 f. Siehe dazu bereits Kap. 2 § 1 C. II. 3. 77 Auch Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79 Rn. 14 beurteilt dynamische Verweisungen auf Unionsrecht, „die in der Bundesrepublik Deutschland ohnehin – etwa aufgrund des Vorrangs von EU-Recht – gelten oder zu deren Umsetzung die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist“, als vereinbar mit Art. 79 Abs. 2 GG. Rennert, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 28 Rn. 34, 38 geht für Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ebenfalls davon aus, dass diese Norm die Verfassung lediglich für das Unionsrecht öffne, lehnt jedoch bereits eine Inkorporation der maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts ab. 78 Vgl. dazu bereits Kap. 3 § 2 F. II. 4.
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§ 3 Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 2 GG
Die Einfügung oder textliche Veränderung der grundgesetzlichen Verweisungsnorm selbst muss jedoch freilich weiterhin den qualifizierten Verfahrenserfordernissen des Art. 79 Abs. 2 GG genügen. Lediglich die durch die Inkorporation der jeweils geltenden Fassung des Verweisungsobjekts hervorgerufenen Änderungen bewirken für Verweisungen auf das Unionsrecht ausnahmsweise nicht die aus Art. 79 Abs. 2 GG grundsätzlich folgende Unzulässigkeit dynamischer Außenverweisungen des Grundgesetzes. Wie bereits im Fall des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG kann dies jedoch nur für dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich gelten, da selbiges außerhalb dieses Bereichs nicht am Privileg des Anwendungsvorranges des Unionsrechts teilnimmt und in dieser Funktion jedenfalls auch nicht durch das Verfahren des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG unter Wahrung der qualifizierten Mehrheitserfordernisse legitimiert wird.
III. Ergebnis Insgesamt sind dynamische Außenverweisungen des Grundgesetzes also grundsätzlich mit Art. 79 Abs. 2 GG unvereinbar. Zulässig sind lediglich dynamische Außenverweisungen auf das Unionsrecht in seinem originären Anwendungsbereich sowie Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes.
IV. Konsequenzen für bestehende dynamische Verweisungen Da die nachträglich eingefügten dynamischen Verweisungen auf das Unionsrecht verweisen,79 genügen diese größtenteils den Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG. Dies gilt jedoch erneut lediglich nicht für die Vorschrift des Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG, welche zwar Unionsrecht, jedoch nicht in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich, in Bezug nimmt.80 In ihrem durch die Verweisung erweiterten Anwendungsbereich kommt den in Bezug genommenen unionsrechtlichen Regelungen jedoch naturgemäß kein Anwendungsvorrang zu81 und ist die Bundesrepublik Deutschland nicht der Gesetzgebung der Unionsorgane unterworfen. Außerdem ist das entsprechende Unionsrecht jedenfalls in diesem erweiterten
79
Vgl. Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG; Art. 45 S. 3 GG; Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG; Art. 109 Abs. 2, Abs. 5 GG; Art. 109a Abs. 2 S. 3 GG. Daneben bestehen die nachträglich eingefügten deklaratorischen Verweisungen der Art. 91e Abs. 1, 143e Abs. 1 S. 1 GG auf die „nach Landesrecht zuständigen“ Organe bei der Regelung der Verwaltungskompetenzen. Diese Vorschriften führen nicht zu einer Inkorporation der maßgeblichen Vorschriften in das Grundgesetz, sondern stellen einen Hinweis auf die insoweit bestehende Kompetenz der Länder zur Regelung ihrer Verwaltungsorganisation dar. Als lediglich deklaratorische Verweisungen sind diese Vorschriften für die Bearbeitung nicht von Belang. 80 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 F. IV. 81 Siehe dazu bereits oben unter Kap. 3 § 2 F. IV.
E. Gesamtbewertung
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Anwendungsbereich nicht durch das Verfahren des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG legitimiert. Folglich können die Erwägungen, welche zur Annahme einer Ausnahme von dem aus Art. 79 Abs. 2 GG folgenden Verweisungsverbot führen, für Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG nicht durchgreifen. Somit liegt im Ergebnis nicht nur ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG,82 sondern auch ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 2 GG vor, da bei der Änderung des in Bezug genommenen Unionsrechts mittelbar eine Änderung des Grundgesetzes eintritt, ohne dass hierbei die grundgesetzlich für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Organe tätig oder die qualifizierten Mehrheitserfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG beachtet würden. Noch weniger als im Fall des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG kann hierbei die in Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG lediglich vorgeschriebene „Orientierung“ an den in Bezug genommenen Vorschriften des Unionsrechts ein anderes Ergebnis hervorrufen. Denn selbst wenn dies nicht als verpflichtende Bindung, sondern als eine Art „Leitgedanke“ zu verstehen sein sollte, träte eine Änderung des Inhalts dieses „Leitgedankens“ ein, ohne dass die maßgeblichen Verfahrenserfordernisse des Art. 79 Abs. 2 GG eingehalten wurden.
82
Siehe dazu bereits Kap. 3 § 2 F. IV.
§ 4 Gesamtergebnis zu Kapitel 3 Im Ergebnis sind dynamische Außenverweisungen des Grundgesetzes also grundsätzlich unzulässig, da sie sowohl mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG als auch mit Art. 79 Abs. 2 GG unvereinbar sind. Dies gilt lediglich für dynamische Außenverweisungen auf das Unionsrecht in dessen ursprünglichem Anwendungsbereich nicht. Keine Bedenken bestehen ferner gegen Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes. Die im Grundgesetz bestehenden (nachträglich eingefügten) dynamischen Verweisungen sind daher mit Ausnahme des Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 79 Abs. 2 GG vereinbar. Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG ist hingegen wegen Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 79 Abs. 2 GG verfassungswidrig.
Kapitel 4
Gesamtergebnis der Untersuchung Zusammenfassend ergibt sich bei der Untersuchung dynamischer Verweisungen sowohl in einfachgesetzlichen Vorschriften als auch im Grundgesetz, dass diese zu zahlreichen Rechtsproblemen führen und zwar teilweise, aber nicht stets, verfassungswidrig sind. Im Einzelnen lassen sich als Gesamtergebnis der Untersuchung folgende Thesen festhalten: 1. Bei einer Verweisung unter Angabe einer bestimmten Fassung und/oder einer Datums- und/oder Fundstellenangabe – ohne einen abweichenden Zusatz in der Verweisungsformel (etwa „in der jeweils geltenden Fassung“) – liegt eine statische Verweisung vor. Enthält die Verweisungsformel jedoch keine solcher Angaben, handelt es sich um eine dynamische Verweisung. Beim Fehlen solcher Angaben in der Verweisungsformel liegt lediglich dann eine statische Verweisung vor, wenn sich die Verweisung auf ein Objekt bezieht, das sich bereits aus sich heraus nicht (mehr) ändern kann. 2. Dynamische Fremdverweisungen sind zwar formal von Ermächtigungen bzw. Delegationen zu unterscheiden. Aufgrund der Wirkungsweise dynamischer Fremdverweisungen kommen diese Ermächtigungen bzw. Delegationen zugunsten des Verweisungsobjektgebers jedoch nahe. Dies gilt umso mehr, je umfangreicher die Verweisung ist. 3. Dynamische Eigenverweisungen (insbesondere Binnenverweisungen) sind verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar müssen auch diese – wie jede Rechtsnorm – den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sowie dem Gebot der Normenklarheit genügen. Bedenken aufgrund anderer Grundprinzipien bzw. Vorschriften des Grundgesetzes ergeben sich jedoch nicht. 4. Dynamische Fremdverweisungen sind nur dann mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, dessen Normgeber zumindest teilweise durch das Staatsvolk legitimiert ist, welches auch den Verweisungsnormgeber legitimiert und die Verweisung zusätzlich eine Übernahmelimitierung enthält. Unzulässig sind dynamische Fremdverweisungen jedoch stets, wenn sie wesentliche Entscheidungen oder den Bereich spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte betreffen. 5. Dementsprechend sind abseits wesentlicher Entscheidungen oder des Bereichs spezialgrundrechtlicher Gesetzesvorbehalte konstitutive dynamische Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht sowie von Bundesrecht auf das Recht aller Länder bzw. des jeweils betroffenen Landes und von Bundes- oder
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Kapitel 4: Gesamtergebnis der Untersuchung
Landesrecht auf das Recht der Europäischen Union mit dem Demokratieprinzip vereinbar. 6. Unvereinbar mit dem Demokratieprinzip sind hingegen konstitutive dynamische Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines einzelnen Landes sowie vom Recht eines Landes auf das Recht eines anderen Landes, Verweisungen auf Vorschriften der Exekutive und Verweisungen auf nichtstaatliche Vorschriften. 7. Nichtstaatliche Vorschriften und andere Normen, auf welche grundsätzlich aufgrund des Demokratieprinzips nicht in gesetzlichen Verweisungsnormen verwiesen werden dürfte, können jedoch im Wege einer normkonkretisierenden Verweisung in Bezug genommen werden. 8. Dynamische Fremdverweisungen sind mit dem Publikationsgebot vereinbar, wenn das Verweisungsobjekt derart publiziert ist, dass eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit vom Inhalt des Verweisungsobjekts im Sinne einer hinreichenden Zugänglichkeit und Verlässlichkeit der Publikation besteht. Unerheblich ist dabei, ob die Publikation amtlich oder nichtamtlich erfolgt. Erforderlich ist allerdings eine amtliche Archivierung der publizierten Normen. 9. Dynamische Verweisungen zwischen Bund und Ländern sind mit dem Bundesstaatsprinzip sowie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar. Lediglich Verweisungen von Bundesrecht auf das Recht eines Landes verstoßen wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem föderativen Gleichbehandlungsgebot gegen das Bundesstaatsprinzip. 10. Dynamische Verweisungen verstoßen nicht per se gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit. Die dynamische Verweisungstechnik an sich ist mit diesen Geboten vereinbar, kann jedoch für einzelne Verweisungen unbestimmt oder unklar umgesetzt worden sein. Als Grundvoraussetzung muss die Verweisungsnorm klar erkennen lassen, welche Vorschriften in welchem Umfang in Bezug genommen werden. Das Verweisungsobjekt muss in der Verweisungsnorm so präzise bezeichnet werden, dass eindeutig erkennbar ist, auf welche Vorschriften verwiesen wird. Die Angabe einer Fundstelle ist hierbei nicht erforderlich. Neben der Verweisungsnorm müssen auch das Verweisungsobjekt sowie die zusammengesetzte Gesamtregelung aus Verweisungsnorm und Verweisungsobjekt(en) hinreichend klar und bestimmt sein. Ausreichend ist es allerdings, wenn die Normadressaten die Verweisungsobjekte und deren Inhalt zumindest nach Einholung von Rechtsrat feststellen können. 11. Bei einer derartigen Ausgestaltung sind selbst Kettenverweisungen, Globalverweisungen, Verweisungsanalogien und Verweisungen auf das Unionsrecht mit dem Bestimmtheitsgebot sowie dem Gebot der Normenklarheit vereinbar. 12. Dynamische Fremdverweisungen zwischen formellen Gesetzen (auch im Bund-Länder-Verhältnis), auf Unionsrecht, auf nichtstaatliche Normen sowie von Exekutivvorschriften auf formelle Gesetze verstoßen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Dynamische Verweisungen von formellen Gesetzen auf Normen der Exekutive sind hingegen mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. Lediglich deklaratorische und normkonkretisierende Verweisungen von
Kapitel 4: Gesamtergebnis der Untersuchung
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formellen Gesetzen auf Exekutivvorschriften verstoßen nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip, da diese keine (abschließend inkorporierende) Rechtswirkung erzeugen und daher die Gewaltenbalance nicht beeinträchtigen. 13. Die dynamische Fremdverweisungstechnik verstößt nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG selbst. 14. Dynamische Außenverweisungen im Grundgesetz sind grundsätzlich mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 79 Abs. 2 GG unvereinbar. Dies gilt lediglich für dynamische Verweisungen auf das Unionsrecht in dessen ursprünglichem Anwendungsbereich nicht. Keine Bedenken bestehen ferner gegen Binnenverweisungen innerhalb des Grundgesetzes. 15. Die im Grundgesetz bestehenden (nachträglich eingefügten) dynamischen Verweisungen sind mit Ausnahme des Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG mit Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 79 Abs. 2 GG vereinbar. Art. 109a Abs. 2 S. 2 GG ist hingegen wegen Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 79 Abs. 2 GG verfassungswidrig.
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Sachregister Änderungsmonopol 325 Anpassungsautomatik 21 f., 32, 35, 94, 206, 275 f., 285 f., 313 anwendungsbereichserhaltende Verweisungen 123, 144 f., 154–157 anwendungsbereichserweiternde Verweisungen 123 f., 143, 157–160 Anwendungsvorrang (des Unionsrechts) 311–313, 315–319, 345 f. Archivierung 177 f., 180 f., 185 Aufhebungsmöglichkeit siehe Korrekturmöglichkeit ausdrückliche Verweisung 6 f. Ausdrücklichkeitserfordernis 264, 270– 272 Ausschüsse 84 Außenverweisung 10, 263, 324–326, 346 authentische Interpretation 291–294 automatische Rezeption siehe Anpassungsautomatik autonome Verweisung siehe Eigenverweisung bedingte Verweisung 220 f. Beobachtungspflicht 71, 82–84 Bestimmtheitsgebot – Grundrechtsrelevanz 221 – Inhalt 208–210 – Verständlichkeitsmaßstab 218 f. – Verweisungsproblematik 211–231 Beurkundungsgebot 262 f., siehe auch Urkundlichkeit Bezugnahme siehe Verweisung Binnenverweisung 9, 18, 275 f., 327 Blankettstrafgesetz 30, 45, 144 Bundespräsident 163, 170 f. Bundesrat 98 f., 101, 171, 323 f., 336 f., 341 f. Bundesstaatsprinzip
– – – –
Eigenverweisungen 187 Fremdverweisungen 191–206 Inhalt 187–189 Verweisungen auf nichtstaatliche Normen 187 – Verweisungen auf Unionsrecht 187 Bundestag 171, 294, 323 f., 336 f., 341 Bundesverfassungsgericht 92–97, 132– 134, 147–151, siehe auch Rechtsprechung Bundesverwaltungsgericht 97 f., 134 f., 151 f., siehe auch Rechtsprechung Bundesvolk 59 f., 91, 112, 141 f., 160 deklaratorische Verweisung 7 f., 61, 82, 123 f., 141, 153 f., 156, 243 f., 316 f., 345 Delegation 36–38, 43, 53, 61, 71, 81, 143 f., 146 Demokratieprinzip – Eigenverweisungen 55 f. – Inhalt 49–55 – Legitimation siehe demokratische Legitimation – Verweisungen auf Exekutivvorschriften 117–124 – Verweisungen auf nichtstaatliche Normen 124–141 – Verweisungen auf Unionsrecht 141– 161 – Verweisungen zwischen Bund und Ländern 57–117 Demokratiemaximierende Auffassung 57– 61 demokratische Legitimation 50–52, 60, 63, 90 f., 104, 110–117, 125 f., 136 f., 141 f., 154 f., 158–160 Deutsche Nationalbibliothek 178 DIN-Normen 180
372
Sachregister
Drei-Elemente-Lehre 201–203 dynamische Verweisung – Abgrenzung von Delegation/Ermächtigung 35–43 – Abgrenzung von statischer 13–18 – Begrenzung 64–73, 76–80, 97 f., 102 f., 143 siehe auch Übernahmelimitierung – Begriff 12 f. – Rechtswirkung 21 f. – Verfassungsmäßigkeit 47–349 Eigenstaatlichkeit 187 f., 192 f., 200–203 Eigenverweisung 10, 55 f., 165, 172, 187, 236 Ermächtigung siehe Delegation Europäische Union 138, 158–160, 247, 313 f., 345 Europäische Verteidigungsgemeinschaft 289 Europäisches Parlament 145, 158–160, 246 f., 303 Fiktion 24–26, 139 föderatives Gleichbehandlungsgebot 189, 204–206 Fremdverweisung (Begriff) 10 f. Generalklauseln 100 f., 139 f., 209, 216 Generalverweisung siehe Globalverweisung Gesetzesbegründung 88 Gesetzesvorbehalt 54 f., 65 f., 75, 146, 151 Gesetzgebungsbefugnisse siehe Rechtsetzungsbefugnisse Gesetzgebungskompetenz 58, 79, 81 f., 89, 188, 192–200, 204 Gesetzgebungsmonopol 58, 62 f., 98 Gesetzgebungsorgane 52, 61, 132, 137 f., 160 gesetzliche Vermutung 25–29, 69, 79, 119, 127 f., 139, 248 Gewaltenbalance 242, 245 f., 249 f. Gewaltenteilungsprinzip – Eigenverweisungen 236 – Inhalt 233–236 – vertikale Gewaltenteilung 247
– Verweisungen auf Exekutivvorschriften 237–244 – Verweisungen auf nichtstaatliche Normen 247–250 – Verweisungen auf Unionsrecht 246 f. – Verweisungen von Exekutivvorschriften 245 f. – Verweisungen zwischen Bund und Ländern 246 f. – Verweisungen zwischen formellen Gesetzen 244 f. Gewaltentrennung 235, 238 Globalverweisungen 23, 110, 140, 228, 261 f., 264, 269, 272, 292 Grundgesetzliche Verweisungen – Prüfungsmaßstab 257 f. – Verfassungsmäßigkeit 259–349 – Vergleich Verfassungswandel 307–309 Herrenchiemseer Konvent 279, 297, 300, 331 f. heteronome Verweisung siehe Fremdverweisung Homogenitätsgebot 52, 142, 163, 201 Inkorporationswirkung 19 f., 81 f., 91 f., 153, 259, 268 f., 271, 273 f. Kenntnisnahmemöglichkeit 163, 167 f., 173–176, 179–183 Kettenverweisung 23 f., 34, 225 – 227 Kompetenzausübung 113, 198 Kompetenzordnung des Grundgesetzes 189 f., siehe auch Bundesstaatsprinzip Kompetenzübertragung 191–194, 197– 200, 202, 204 konkludente Verweisung siehe stillschweigende Verweisung konstitutive Verweisung 8 f., 19, 79, 127 f., 138 f., 153, 224 Kontrollmöglichkeiten 241 f. Kooperationsverbot 190, 202 f. Korrekturmöglichkeit 73 f., 82–84, 103, 200 Landesvolk 59 f., 63, 90 f., 112–114, 116, 160, 201 Legaldefinition 29 f.
Sachregister Legitimationsanknüpfende Ansicht 89 f. Legitimationskette 51, 114, 120, 126, 137, 158 Legitimationsniveau 114 f., 159 Mehrheitsquoren 273, 321–324, 329 f., 335, 339 f. Nebenverfassungen 259 f., 263, 281, 284 nichtstaatliche Rechtsetzung 124–141, 168 f., 179–182, 247–250 Normenhierarchie 121, 240 Normenklarheit siehe Bestimmtheitsgebot normergänzende Verweisung 27–29, 125 f., 131, 142, 181, 222 f., 248 f. Normierungspflicht 85, 125 normkonkretisierende Verweisung 27–29, 118 f., 126 f., 131, 138–142, 181 f., 223 f., 244, 248 f. Normsetzungsbefugnisse siehe Rechtsetzungsbefugnisse parlamentarische Beratung 58 f., 62, 86, 94, 99, 103 parlamentarische Willensbildung siehe parlamentarische Beratung Parlamentarischer Rat 270, 280–282, 285, 297–302, 313, 332–335 parlamentsloses Parlamentsgesetz 59, 72, 94 Parlamentsvorbehalt 53–55, 75, 87, 114 Pauschalverweisung siehe Globalverweisung pouvoir constituant 257, 296 Praktikabilitätserwägungen 74, 85 Primärrecht 304, 314–317, 345 private Normsetzung siehe nichtstaatliche Vorschriften Prozessrecht siehe Verfahrensrecht Publikationsgebot – amtliche Publikationen 173–177 – Eigenverweisungen 172 – elektronische Publikation 175 f. – Inhalt 163 f., 172 – nichtamtliche Publikationen 177–184 – Verkündungspraxis 183 – Verweisungsproblematik 163–185 qualitative Begrenzung 97 f., 102, 109 f.
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quantitative Begrenzung 97, 109 Rat der Europäischen Union 145–147, 158–160, 247 Rechtsetzungsbefugnisse 35 f., 39–41, 52, 55 f., 58, 63, 81 f., 106, 121, 154–157, 236–239, 244 Rechtsklarheit 88, 244 siehe auch Normenklarheit Rechtsprechung 92–101, 119, 132–135, 147–152 Rechtsrealistisch vermittelnde Auffassung 64–85 Rechtssicherheit 88, 207, 281 Rechtsstaatlichkeit siehe Rechtsstaatsprinzip Rechtsstaatsprinzip 49, 52–55, 73 f., 95 f., 121 f., 132 f., 135, 163, 172, 184, 208 Rechtsverordnungen 42, 81, 107 f., 117 f., 121–124, 240–244, 251 Regelung, beliebige 67–69, 76–78, 102, 105 f., 109 Regelung, feststehende 66, 69, 77 f., 92 f., 102, 129, 134 Regelungsprogramm 106 f. Repräsentanten siehe Repräsentation Repräsentation 50 f., 63, 105, 113 f., 136, 158 f., 341 Richtlinien siehe unionsrechtliche Richtlinien Sekundärrecht 315 f. Selbststand (der Verfassung) 263 Sprachgebrauch 68, 77 statische Verweisung 11–19, 38 f., 208, 214–216 stillschweigende Verweisung 7, 25 f., 29 strukturierter Regelungsbereich 65–67, 70, 73, 118, siehe auch Regelung, feststehende Tarifverträge 130, 132–134, 140 f. Textänderungsgebot 265–267, 271, 281 f., 285 f., 294 Übernahmelimitierung 76–80, 102, 105– 117, 222 Umsetzungsspielräume 144 f., 155 f.
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Sachregister
Unionsbürger(schaft) 158, 303 siehe auch Unionsvolk unionsrechtliche Richtlinien 144 f., 152– 156 unionsrechtliche Verordnungen 143, 147– 149, 152 f., 156 Unionsvolk 141 f., 160 urheberrechtliche Bedenken 184 Urkundlichkeit (der Verfassung) 260, 266, 271, 285, 294, 314 Verfahrensrecht 70, 80 f. Verfassungsdurchbrechungen 264, 277– 279, 282–285 Verfassungsklarheit 261, 264, 269, 271 f., 295 verfassungskonforme Auslegung 72, 93– 95, 98 Verfassungskonvent von Herrenchiemsee siehe Herrenchiemseer Konvent Verfassungswandel 305–309 Verkündung siehe Publikationsgebot Verordnungen siehe unionsrechtliche Verordnungen Verwaltungsvorschriften 117–123 Verweis siehe Verweisung Verweisungen – Arten siehe Verweisungsarten – Begriff 5 – des Grundgesetzes siehe grundgesetzliche Verweisungen – dynamisch siehe dynamische Verweisung
– Formen siehe Verweisungsformen – Rechtswirkung 19–21 – statisch siehe statische Verweisung – Vor- und Nachteile 31–34 Verweisungsanalogie 22, 227–230 Verweisungsarten 5–13 Verweisungsformel 6, 13, 18 Verweisungsformen 22–31 Verweisungsgrundlage siehe Verweisungsnorm Verweisungsmaximierende Ansicht 85 f. Verweisungsnorm – Begriff 6 – Bestimmtheit 217–222 Verweisungsobjekt – Begriff 6 – Bestimmtheit 222 f. – Rang 19–21, 42, 67, 81 f., 284 – Rechtsschutzmöglichkeiten 21 – Rezeption 35 f., 106, 192 Verweisungsumfang 135 Volksentscheid 329–335 Volkssouveränität 49 f., 52, 58 Weimarer Reichsverfassung 276–283, 297–300, 328–331 Weimarer Republik 259, 277–285 Weiterverweisung 23 f., 223 Wesentlichkeitstheorie 53 f., 64–66, 70, 73, 75, 84 f., 146 Zuständigkeitsordnung 37, 39 f.