Industriepolitik [2., durchgesehene Auflage. Reprint 2016] 9783486799088, 9783486249361

Industriepolitik ist für liberale Wirtschaftspolitiker ein rotes Tuch. Dennoch wird sie allenthalben betrieben. Hier nun

298 105 26MB

German Pages 387 [388] Year 1998

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Teil: Grundlagen industriepolitischen Handelns
1. Kapitel: Einführung
2. Kapitel: Notwendigkeit und Ansätze zur theoretischen Begründung von Industriepolitik
3. Kapitel: Die Ziele
4. Kapitel: Die Träger oder Akteure
5. Kapitel: Überblick über die Instrumente und ihre Wirkungsproblematik
II. Teil: Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik
6. Kapitel: Zertifikate als Nutzungs- oder Eigentumsrechte
7. Kapitel: Haftungsregeln
8. Kapitel: Kooperationen und Verhandlungen
9. Kapitel: Abgaben
10. Kapitel: Subventionen
11. Kapitel: Abfallwirtschaftspolitik
12. Kapitel: Immissionsschutzpolitik
13. Kapitel: Wasserwirtschaftspolitik
14. Kapitel: Standortpolitik
15. Kapitel: Forschungs- und Technologiepolitik
16. Kapitel: Europäische Industriepolitik
17. Kapitel: Industriepolitik der Qualitätssicherung von Industrieerzeugnissen im Europäischen Binnenmarkt
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Industriepolitik [2., durchgesehene Auflage. Reprint 2016]
 9783486799088, 9783486249361

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Wölls Lehr- und Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Herausgegeben von

Universitätsprofessor Professor h.c. Dr. Dr. h.c. Artur Woll Bisher erschienene Werke: Aberle, Transportwirtschaft, 2. A. Assenmacher, Konjunkturtheorie, 8. A. Barro, Makroökonomie, 3. A. Barro • Grilli, Makroökonomie - Europäische Perspektive Barro • Sala-i-Martin, Wirtschaftswachstum Blum, Volkswirtschaftslehre, 2. A. Branson, Makroökonomie, 4. A. Bretschger, Wachstumstheorie, 2. A. Brösse, Industriepolitik, 2. A. Büschges • Abraham • Funk, Grundzüge der Soziologie, 3. A. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 3. A. Fischer • Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie Glastetter, Außenwirtschaftspolitik, 3. A. Leydold, Mathematik für Ökonomen Rosen • Windisch, Finanzwissenschaft I Rush, Übungsbuch zu Barro, Makroökonomie, 3. A. Sachs • Larrain, MakroÖkonomik - in globaler Sicht Schneider, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, 3. A. Tirole, Industrieökonomik Varian, MikroÖkonomie, 3. A. Wachtel, MakroÖkonomik Wacker • Blank, Ressourcenökonomik I Wohltmann, Grundzüge der makroökonomischen Theorie, 2. A.

Industriepolitik Von Universitätsprofessor

Dr. rer. pol. Ulrich Brösse 2., durchgesehene Auflage

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Brösse, Ulrich: Industriepolitik / von Ulrich Brösse. - 2., durchges. Aufl. München ; Wien : Oldenbourg, 1999 (Wölls Lehr- und Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) ISBN 3-486-24936-3

© 1999 R. Oldenbourg Verlag Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Grafik + Druck, München Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-24936-3

Inhaltsverzeichnis Gliederung Vorwort I. Teil: 1. Kapitel: 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.4

2. Kapitel: 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 3. Kapitel: 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9

Grundlagen industriepolitischen Handelns Einführung Problemstellung und Aufgabenstellung Die Entwicklung der Industriepolitik - ein kurzer wirtschaftshistorischer Rückblick Die Begriffe Industrie und Industriepolitik Industrie Industriepolitik Informationen und Daten zum wirtschaftlichen Stellenwert der Industrie Notwendigkeit und Ansätze zur theoretischen Begründung von Industriepolitik Zur Notwendigkeit und Problematik einer theoretischen Fundierung Die Industrialisierungsstadientheorie Hoffmanns Die Drei-Sektoren-Hypothese Fourasti6s Die Produktzyklus-Theorie Hypothesen zum intraindustriellen Handel Die Theorie der komparativen Kostenvorteile Porters Theorie der nationalen Wettbewerbsvorteile Die Theorie der strategischen Handels- und Industriepolitik Die neue Wachstumstheorie Oligopoltheoretische Modelle zum Technologiewettlauf bei Netzwerkexternalitäten Arthurs Theorie nichtlinearer Zufallsprozesse Chaostheoretische Ansätze Der ordnungstheoretische Ansatz Die Ziele Problemstellung Relativität der Ziele und Zielbegriff Ziele als Beurteilungskriterien Zum Begriff des Zielsystems Leerformelhafte Ziele sowie operationale Ziele und Beurteilungskriterien Indikatoren der Industriepolitik Die Zusammenhänge zwischen den Zielen der Industrie und den Zielen der Industriepolitik Ein Zielsystem der Industriepolitik Ein politisch und rechtlich festgelegtes Zielsystem der Industriepolitik - das Beispiel der Europäischen Union

V X

1 1 4 9 10 12 15 22 22 23 24 25 27 29 30 32 34 35 38 40 41 45 45 45 47 47 48 49 50 53 59

VI

Inhalt

4. Kapitel: 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.6 4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.7.4 4.7.5 4.7.6 4.7.7 4.8 4.8.1 4.8.2 4.9 4.9.1 4.9.2 4.9.3 5. Kapitel: 5.1 5.2 5.3 5.4

Die Träger oder Akteure Problemstellung Begriffliche Abgrenzungen Der Staat als Träger Bund, Länder und Gemeinden Die Regierungen von Bund und Ländern als Träger Die Parlamente von Bund und Ländern Die Gemeinden Die Region als Entscheidungsebene Behörden und Anstalten als (Durchführungs-)Träger Die Träger auf der Ebene der Europäischen Union Internationale Träger von Industriepolitik Begriff und Abgrenzungen Die europäische Weltraumorganisation Internationale Rohstoffkartelle und Rohstoffabkommen Kooperationen des öffentlichen und privaten Bereichs: Wirtschaftsförderungsgesellschaften und ähnliche Institutionen Verbände als Träger Begriff und Abgrenzungen Die Industrie- und Handelskammern Der Deutsche Industrie- und Handelstag und die Internationale Handelskammer Die kommunalen Spitzenverbände Private Verbände der Industrie: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer (ASU) In der Industriepolitik engagierte private Personen verbände Sonstige verbandsähnliche Einrichtungen mit industriepolitischer Bedeutung Sonstige Träger der Industriepolitik Banken Berater und Beratungsgremien Verbände auf der Ebene der Europäischen Union Europäische Integration und Verbände Wege der Einflußnahme Organisationsstruktur Überblick über die Instrumente und ihre Wirkungsproblematik Problemstellung und Begriffe Systematisierung Wirkungsproblematik Internalisierung externer Effekte

62 62 64 65 65 66 68 70 71 72 76 85 85 87 88 90 93 93 95 98 100 101 106 109 113 113 115 118 118 119 121

126 126 127 134 136

II. Teil: 6. Kapitel: 6.1 6.2 6.3 7. Kapitel: 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5

Inhalt

VII

Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik Zertifikate als Nutzungs- oder Eigentumsrechte Problemstellung, Begriff und Funktionsweise Problematik der politischen Durchsetzbarkeit der Zertifikate Ausgestaltung des Instruments der Zertifikate in der Praxis

140 140 143 145

Haftungsregeln Problemstellung Umwelthaftung Haftung für Umweltschäden nach dem BGB Haftung für Umweltschäden nach dem Umwelthaftungsgesetz Produkthaftung Ziele und Begriffe Produkthaftung nach dem BGB Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz Auswirkungen der Produkthaftung auf die Unternehmen Haftung nach dem Arzneimittelgesetz und nach dem Gentechnikgesetz

150 150 150 150 153 157 157 158 160 162

8. Kapitel: 8.1 8.2 8.3 8.4

Kooperationen und Verhandlungen Problemstellung Merkmale und Kooperationstypen Wirkungsproblematik Erfolgsfaktoren

166 166 169 172 175

9. Kapitel: 9.1 9.2 9.3 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4

Abgaben Problemstellung und Begriffe Modelltheoretische Funktionsweise des Instruments Wirkungsproblematik Zur Frage der Realisierung von Wirkungszweckabgaben Mehr Vorschläge statt Vorschriften Die Abwasserabgabe Die Förderabgabe Abgaben bzw. Ausgleichsleistungen für Eingriffe in Natur und Landschaft Abgaben auf natürliche Ressourcen: Der Wasserzins

178 178 180 185 187 187 188 190

Subventionen Problemstellung und Begriffe Wirkungen Vorbemerkung Bemessungsgrundlage Wirkungsweise von Stück- und Wertsubventionen am Beispiel der Subventionierung umweltfreundlicher Produkte und emissionsmindernder Investionen

196 196 197 197 197

9.4.5 10. Kapitel: 10.1 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3

164

192 193

198

VIII

Inhalt

10.2.4 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 11. Kapitel: 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5

Wirkungsproblematik 201 Die praktische Bedeutung von Subventionen 208 Gründe für die starke Verbreitung 208 Zahlen und Informationen zu den Subventionen in Deutschland und der EU 209 Regeln für eine Subventionspolitik 217 Abfallwirtschaftspolitik Problemstellung Entwicklung Zahlen zu Abfallmengen und zur Abfallverwertung Begriffe Kreislaufwirtschaft und umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen als Ziele der Abfallwirtschaftspolitik Regelung der Abfallvermeidung Regelung der Abfallverwertung Regelung der Abfallbeseitigung Entsorgungsträgerschaft und Verursacherprinzip Planung in der Abfallwirtschaftspolitik Einwirkungen auf die Betriebsorganisation Die Verpackungsverordnung

220 220 221 225 225

Immissionsschutzpolitik Problemstellung und Begriffe Luftbelastungen durch die Industrie Entwicklung und Konzeption Anlagenbezogene Regelungen Produkt-und verkehrsbezogene Regelungen Gebietsbezogene Regelungen Beauftragte für den Umweltschutz in der Industrie Fortschrittliche Techniken durch Vorgabe von Technikstandards Entstehung, Festlegung und Durchsetzung zwingender Emissions- und Immissionsnormen

250 250 254 257 260 262 263 266

13. Kapitel: 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5

Wasserwirtschaftspolitik Problemstellung und Begriffe Wasser als regenerierbare und knappe Ressource Grundsätze Zwangsmittel Gefährdungshaftung und Planungsmaßnahmen

276 276 277 280 285 286

14. Kapitel:

Standortpolitik

288

15. Kapitel: 15.1 15.2

Forschungs- und Technologiepolitik Problemstellung Politische Ebenen und Träger sowie ihr Stellenwert im Rahmen der FuT-Politik

294 294

11.6 11.7 11.8 11.9 11.10 11.11 11.12 12. Kapitel: 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7 12.8 12.9

230 232 234 238 240 242 244 246

269 272

295

Inhalt

15.3 15.4 15.5

IX

Aufgabenbereiche und Ansatzpunkte auf der Ebene des Bundes 298 Das spezielle Instrumentarium der Förderung 300 Bewertung der industriepolitischen Bedeutung 303

16. Kapitel: Europäische Industriepolitik 16.1 Problem-und Aufgabenstellung 16.2 Entwicklung der europäischen Industriepolitik und eines industriepolitischen Gemeinschaftskonzepts 16.3 Überblick über das industriepolitische Gemeinschaftskonzept 16.4 Sektorübergreifende Maßnahmen 16.4.1 Das Binnenmarktprogramm als bedeutsamste Maßnahme 16.4.2 Sonstige Maßnahmen zur Schaffung eines günstigen Umfelds für die europäische Industrie 16.5 Sektorspezifische Maßnahmen 16.5.1 Der Adressatenbereich der traditionellen Industriezweige und der Zukunftsindustrien 16.5.2 Der Adressatenbereich der kleinen und mittleren Unternehmen 16.6 Zusammenfassung und Ausblick auf die künftige Entwicklung

305 305 306 309 313 313 314 316 316 323 325

17. Kapitel: Industriepolitik der Qualitätssicherung von Industrieerzeugnissen im Europäischen Binnenmarkt 17.1 Problemstellung 17.2 Das europäische Konzept zum Abbau technischer Handelshemmnisse 17.3 Zertifizierung und Akkreditierung 17.4 Das deutsche Akkreditierungssystem als Beispiel 17.5 Bewertung der Industriepolitik der Qualitätssicherung

329 331 333 337

Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Stichwortverzeichnis

340 364 368

327 327

Vorwort Dieses Buch unternimmt das Wagnis, den Leserinnen und Lesern ein Gebiet nahezubringen, das bislang noch gar nicht als einschlägige Lehr- und Lehrbuchdisziplin gelten kann und das an den deutschen Hochschulen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Diese Tatsache wird der Situation aber nicht gerecht, weil die Industrie auch weiterhin der wichtigste Sektor der europäischen Volkswirtschaften ist. Denn sie ist es, die die meisten Güter herstellt, und durch sie wird technischer Fortschritt überwiegend realisiert. Diese große praktische Bedeutung wird auch nicht dadurch wesentlich gemindert, daß der Anteil der industriellen Arbeitsplätze an der Gesamtheit der Arbeitsplätze und der Wertschöpfungsbeitrag der Industrie zum Sozialprodukt kleiner werden. Außerdem wird das Thema „Industriepolitik" in der wissenschaftlichen Literatur und in der Öffentlichkeit immer breiter und intensiver diskutiert, wobei die Meinungen über die Notwendigkeit von Industriepolitik in der Marktwirtschaft weit auseinanderklaffen und selbst noch unklar ist, was unter Industriepolitik überhaupt zu verstehen ist. Diese Ausgangslage hat mich bewogen, das Wagnis einzugehen und Industriepolitik als Fachgebiet in einer Monographie darzustellen, obwohl eine endgültige Stoffabgrenzung noch nicht gefunden ist und mit dem Buch auch nicht angestrebt wird. Diesem Buch ist eine mehijährige Lehr- und Forschungstätigkeit zu den angesprochenen industriepolitischen Themengebieten vorangegangen. Dementsprechend sind die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Thematik und aus den Diskussionen mit den Studierenden in das Buch eingeflossen. Es soll wissenschaftliche Bestandsaufnahme und Darstellung sowie Lehrbuch zugleich sein und eine Lücke im Lehrbuchangebot schließen. Das Buch wendet sich an diejenigen, die sich im Rahmen eines Studiums oder einer beruflichen Tätigkeit einen genaueren Einblick in das Fachgebiet der Industriepolitik verschaffen möchten. Es werden, abgesehen vom zweiten Kapitel, keine besonderen Kenntnisse der ökonomischen Theorie vorausgesetzt. Die verwendeten Begriffe werden, soweit erforderlich, erklärt. Das Buch sucht seine Leser deshalb im Kreis aller derer, die, sei es als Lernende, Lehrende, Wissenschaftler oder Praktiker, mit der Industrie und ihrer Beeinflussung durch Staat und Verbände zu tun haben. Die ausführliche Gliederung vermittelt den Leserinnen und Lesern schnell einen Überblick über die behandelten Themen. Trotzdem möchte ich kurz einige Ausführungen zum Inhalt machen, weil das Buch vom Aufbau wirtschaftspolitischer Lehrbücher teilweise abweicht. Der I. Teil folgt einem bekannten Schema, nach dem die Ziele, Träger und Instrumente der Industriepolitik dargestellt und theoretische Begründungen für Industriepolitik geliefert werden. Das einleitende Kapitel bringt eine begriffliche, historische und statistische Abgrenzung bzw. Einordnung der Industriepolitik. Hervorheben möchte ich die besonders ausführliche Behandlung der Träger oder Akteure, wie sie meines Wissens bislang auch in keinem wirtschafts-

Vorwort

XI

politischen Lehrbuch zu finden ist. Der ü. Teil knüpft am Kapitel „Überblick über die Instrumente" des I. Teils an. Es werden einzelne Instrumente bzw. industriepolitische Aktivitätsfelder, z.B. die anlagenbezogene Immissionsschutzpolitik, ausgewählt und in gesonderten Kapiteln eingehender dargestellt. Dabei habe ich mich bemüht, neben theoretischen Analysen den Praxisbezug nicht zu kurz kommen zu lassen. Praxisbezug heißt, daß konkrete Regelungen der Industriepolitik, z.B. im Rahmen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes oder der Subventionsgewährung, dargestellt werden. Unterstützt haben mich bei der Anfertigung des Buches durch hilfreiche Kritik und Anregungen zunächst meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Herr Dipl.-Ing., Dipl.-Wirtschaftsingenieur Ralf Hintemann, Frau Dr. Johanna Hoffmann, Herr Dr. Reiner Holzem, Frau Dipl.-Angl. Dieta Lohmann, Herr Dipl.-Geograph Ralf Spielberg und meine ehemalige Mitarbeiterin Dr. Janina Scheelhaase, wobei hervorzuheben ist, daß Herr Holzem maßgeblich an der Ausarbeitung der Kapitel 2, 15 und 16 und Frau Lohmann an der von Kapitel 8 beteiligt waren. Herr Holzem hat außerdem das gesamte Manuskript kritisch gelesen. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Dann danke ich Frau Elke Bosseler sehr dafür, daß sie die umfangreichen Arbeiten am PC mit viel Umsicht und Sorgfalt ausgeführt hat. Schließlich gebührt meinen studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Frau Astrid Joerißen, Frau Petra Röder und Herrn Holger Telke Dank für ihre Mithilfe bei der Herstellung der Abbildungen, Schaubilder, Tabellen und des Stichwortverzeichnisses.

Ulrich Brösse

I. Teil: Grundlagen industriepolitischen Handelns 1. Kapitel: Einführung 1.1 Problemstellung und Aufgabenstellung Mit Industriepolitik lassen sich - in einem weiten Sinne verstanden - Entscheidungen und Handlungen bezeichnen, durch die die Industrie und ihre Entwicklung beeinflußt werden. Dies geschieht in vielfältiger Weise, etwa wenn der Staat Branchen subventioniert, den Technologietransfer fördert, Umweltschutzmaßnahmen ergreift, Standortbedingungen verbessert oder wenn die Europäische Union die Forschung fördert. Insofern ist Industriepolitik an der Tagesordnung und verbreitet. Allerdings erfolgt das alles häufig gar nicht unter dem Namen der Industriepolitik, sondern unter ganz anderen Bezeichnungen, wie z. B. Strukturpolitik, Technologiepolitik, Umweltpolitik, Standortpolitik, Binnenmarktpolitik und Wettbewerbspolitik. Der industriepolitische Aspekt wird von diesen Politiken oft gar nicht explizit angesprochen und steht meist auch nicht im Vordergrund des Interesses. Dennoch ist die Industrie davon zum Teil erheblich betroffen, ohne daß diese Betroffenheit im Rahmen der genannten Politiken immer ausdrücklich diskutiert und bewertet wird. Viele Staaten der Welt sind heute Industriestaaten. "Die Industriewirtschaft bestimmt ihre wirtschaftliche Physiognomie, Industriepolitik erscheint damit als der bedeutsamste Zweig der Wirtschaftspolitik innerhalb der betreffenden Volkswirtschaften. In den vitalen Interessen der die Industriewirtschaft tragenden und durch ihre günstige Situation wieder getragenen Bevölkerungskreise liegen letztlich die realen Grundkräfte für das soziologische Faktum Industriepolitik." 1 Wenn der industrielle Sektor aber einen bedeutenden Anteil am Leben, an den Arbeitsplätzen und am Wohlstand einer Gesellschaft hat, sollte Industriepolitik auch als solche bewußt wahrgenommen und gestaltet werden. Anderenfalls sind die industriepolitischen Wirkungen staatlichen Handelns ein mehr oder weniger zufälliges Ergebnis dieses Handelns. Wenn Politik bewußt die Industrie zum Gegenstand hat und auf diese gerichtete Ziele verwirklichen will, erhält Industriepolitik einen engeren Inhalt als die eingangs genannte Definition. Mit Industriepolitik lassen sich - in diesem engeren Sinne verstanden - Entscheidungen und Handlungen bezeichnen, durch die die Industrie und ihre Entwicklung bewußt und gezielt beeinflußt werden. Eine bewußt und gezielt auf die Industrie gerichtete Politik sieht sich unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen politischen Interessenlagen und unterschiedlichen Grundauffassungen von Ökonomen über die Aufgaben und Inhalte einer Industriepolitik gegenüber. Während manche Sektoren, wie z.B. der Agrarsektor und in Teilen der Dienstleistungssektor, typischerweise staatlich reglementiert sind, galt und gilt die Industrie von einzelnen Branchen abgesehen - als typischerweise rein marktlich gesteuerter Wirtschaftssektor. Dementsprechend verbietet sich Industriepolitik, wenn man überhaupt noch wesentliche Bereiche der Wirtschaft einer Marktsteuerung überlassen 1

Guttmann, V., Industriepolitik, in: HdSW, Bd. 5, S. 275.

2

/. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

will. Vor allem liberale Ökonomen und Politiker sowie die großen, branchenübergreifenden Industrieverbände werden daher nicht müde, immer wieder ihre Forderungen nach einer Rücknahme industriepolitischer Interventionen und nach einer Beschränkung staatlicher Industriepolitik auf die Schaffung und den Ausbau eines wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnungsrahmens zu wiederholen. 2 Andererseits kann man Verständnis dafür aufbringen, daß ein ganzer Wirtschaftssektor nicht einer Vielzahl staatlicher Maßnahmen anderer Politikbereiche ausgesetzt sein sollte, die ihn mehr oder weniger zufällig, unbeabsichtigt oder politisch ziellos treffen. Auch kann die Marktsteuerung versagen, weshalb zumindest eine industriepolitische Überwachung angezeigt ist. Dementsprechend finden sich auch zahlreiche Stimmen, die industriepolitisches Handeln zur Bewältigung aktueller industrieller Probleme und Herausforderungen für notwendig erachten. 3 So werden beispielsweise Subventionen und handelspolitische Schutzmaßnahmen zugunsten alter Industriezweige wie der Stahlindustrie, der Textilindustrie und des Schiffbaus gefordert, aber auch forschungspolitische Initiativen zugunsten moderner Industriebereiche wie der Elektronikindustrie, der Biotechnologie und des Flugzeugbaus. Schließlich werden auch Zuschüsse, Absatzgarantien und weitere industriepolitische Maßnahmen für solche Industrien gefordert, bei denen der Staat der Hauptabnehmer der Produktion ist wie etwa im Falle der Raumfahrt- und der Rüstungsindustrie. 4 Industriepolitik in Deutschland und Europa steht somit in einem Spannungsverhältnis. Einerseits wird aufgrund der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung ein Bedarf für Industriepolitik gar nicht oder nur sehr eingeschränkt gesehen, andererseits werden unterschiedliche Probleme der Industrieunternehmen, Marktversagen u.a. als Argumente für Industriepolitik vorgebracht. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich nicht nur im wissenschaftlichen Schrifttum, den politischen Reden und sonstigen Äußerungen. Es hat selbst die Institutionalisierung der Wirtschaftspolitik und der Bildungseinrichtungen sowie die Lehrpläne der Hochschulen beeinflußt. So gibt es bis heute in Deutschland kein Industrieministerium, ganz im Gegensatz zu anderen Staaten der Europäischen Union, und bis 1990 trug nicht einmal eine Abteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft den Namen Industriepolitik. An deutschen Hochschulen sind Professuren für Industriepolitik praktisch unbekannt, entsprechende Vorlesungen selten und Lehrbücher der Industriepolitik die Ausnahme. 5 2

3

4

5

Vgl. Starbatty, J., Der Vertrag von Maastricht stellt die Industriepolitik ins Zentrum der Wirtschaftspolitik der Europäischen Union, in: FAZ, Nr. 12 vom 15.01.94, S. 13; Wartenberg von, L., Europäische Industriepolitik aus Sicht der deutschen Industrie, in: Ifo-Schnelldienst (Hrsg.), 45. Jg. (1993), 17-18, S. 34 f. Vgl. Hanusch, H., Canter, U., Neue Ansätze in der Innovationstheorie und der Theorie des Technischen Wandels - Konsequenzen für eine Industrie- und Technologiepolitik, in: Meyer-Krahmer, F. (Hrsg.), Innovationsökonomie und Technologiepolitik, Heidelberg 1993, S. 17 und S. 32 ff. Vgl. Gerybadze, A., Raumfahrt und Verteidigung als Industriepolitik? Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft und den internationalen Handel, Frankfurt/Main, New York 1988, S. 204 ff. Neuerdings: Oberender, P., Daumann, F., Industriepolitik, München 1995.

1. Einführung

3

Das "Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften" (HdWW ab 1977) und „The New Palgrave, a Dictionary of Economics" (1988) kennen das Stichwort Industriepolitik nicht. Trotzdem ist Industriepolitik als Politik und als Begriff de facto anerkannt, und es wird darüber in der wissenschaftlichen Literatur, in den Medien und im politischen Alltag mit Selbstverständlichkeit geschrieben und gesprochen. Die wissenschaftliche Literatur, die industriepolitische Themen explizit behandelt, ist bald kaum noch überschaubar. 6 Offizielle Dokumente u. ä. vor allem auch der Europäischen Kommission befassen sich mit Industriepolitik. In den überregionalen Tageszeitungen ist sie ein häufiges Thema. Politiker versuchen oder versuchten, sich mit Industriepolitik zu profilieren. Wenn anerkanntermaßen eine ganze Reihe von Politiken erhebliche Auswirkungen auf die Industrie hat, die Politiken aber diese Auswirkungen nicht bewußt und gezielt anstreben, dann sollten diese Politiken durch Industriepolitik ergänzt werden, um ungewollte und zufällige Wirkungen auf die Industrie zu vermeiden. Industriepolitik ist, mit anderen Worten gesagt, trotz aller kontroverser Diskussionen notwendig. Bedenkt man außerdem den tatsächlichen Stellenwert von Industriepolitik im gesellschaftlichen Leben, erscheint es an der Zeit, Industriepolitik als eigenständiges Fachgebiet zu begreifen, zu konzipieren und darzustellen. Das erfordert Rechenschaft darüber, was konkret darunter verstanden werden soll (Kap. 1.3.2). Eine Antwort setzt voraus, daß der Begriff der Industrie, also der Gegenstand der Politik, definiert wird; denn so geläufig das Wort Industrie ist, so wenig eindeutig ist seine inhaltliche Bestimmung (Kap. 1.3.1). Ein kurzer wirtschaftshistorischer Rückblick soll das Verständnis für die Rolle moderner Industriepolitik erleichtern (Kap. 1.2), und einige empirische Daten zur Industrie können den wirtschaftspolitischen Stellenwert unterstreichen (Kap. 1. 4). Notwendig erscheint auch eine Darstellung und kritische Analyse der Ansätze zur theoretischen Begründung von Industriepolitik (Kap. 2). Wenn Politik die Realisierung von Zielen durch Mittel ist, dann gehört in ein Buch über Industriepolitik auch eine Diskussion ihrer Ziele (Kap. 3) und Instrumente (Kap. 5-10). Da Ziele bestimmt und Instrumente eingesetzt werden müssen, bedarf es auch einer Darstellung der Akteure, also der Träger der Industriepolitik (Kap. 4). Zwar kommt es bei den Instrumenten und den Trägern zu Parallelen bzw. Überschneidungen mit anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik; trotzdem erscheint es sinnvoll und zweckmäßig, diese Themen zu bearbeiten, weil sie hier unter speziell industriepolitischen Aspekten gesehen wird und weil auch Inhalte zur Sprache kommen, die sich so in der industriepolitischen Literatur nicht finden. Den Trägern und den Instrumenten soll in diesem Buch deshalb sogar ein besonderes Gewicht zukommen.

6

Vgl. die umfangreiche Literaturübersicht bei Holzem, R., Industriepolitik und Wirtschaftsordnung, Berlin u.a., 1995.

4

I. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

Industriepolitik wird, wie bereits erwähnt, zum Teil massiv unter anderen Bezeichnungen betrieben. Demzufolge müssen hier die entsprechenden Aktivitätsfelder als Industriepolitik herausgearbeitet werden. Dazu gehören z.B. die Umweltpolitik, die Forschungs- und Technologiepolitik (Kap. 15) und die Standortpolitik (Kap. 14). Allerdings bedarf es einer Eingrenzung der relevanten Politikbereiche nach ihrer industriepolitischen Bedeutung. Gemäß dieser werden als Spezialgebiete herausgegriffen, die Abfallwirtschaftspolitik (Kap. 11), die Immissionsschutzpolitik (Kap. 12), die Wasserwirtschaftspolitik (Kap. 13) und die europäische Politik der Zertifizierung und Akkreditierung (Kap. 17). Schließlich ist Industriepolitik heute vielfach auch europäische Industriepolitik. Ihr wird deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet (Kap. 16), wenngleich sie auch in anderen Kapiteln zur Sprache kommt.7 1.2 Die Entwicklung der Industriepolitik • ein kurzer wirtschaftshistorischer Rückblick Für das Verständnis der Industriepolitik und der industriepolitischen Diskussionen heute ist ein Blick auf vergleichbare Politiken vergangener Zeiten nicht nur interessant und informativ, sondern auch lehrreich; denn viele Überlegungen, Konzepte und Maßnahmen derzeitiger Industriepolitik haben ihre historischen Vorbilder. Die Industriepolitik der Gegenwart ist keineswegs eine Erfindung moderner Industriegesellschaften. Zumindest für etwa drei Jahrhunderte läßt sich eine gewisse Kontinuität in den industriepolitischen Aktivitäten feststellen. Die Anfänge einer modernen Industriepolitik in Europa können in dem zunehmenden staatlichen Einfluß auf die Wirtschaft im 17. Jahrhundert gesehen werden. Dahinter stand die Wirtschaftspolitik des Merkantilsystems oder Merkantilismus. Merkantilistische Wirtschaftsideen beherrschten die Wirtschaftspolitik vieler europäischer Staaten während des 17. und, je nach Staat, fast des ganzen 18. Jahrhunderts. In dieser Zeit verfolgten die absolutistischen Herrscher in den Feudalstaaten Europas eine Wirtschaftspolitik, die auf die Stärkung der Wirtschaftskraft und der Macht des eigenen Landes (Hof, Heer, Beamtenschaft) auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung anderer Staaten gerichtet war. Zu dem Zweck sollte verstärkt Geld in das eigene Land gelangen und durch seinen Umlauf den Wohlstand und Reichtum erhöhen. Die erforderliche Geldzufuhr wiederum sollte durch eine aktive Handelsbilanz erreicht werden. Dementsprechend wurden die Gewerbebetriebe im eigenen Land, vor allem die privaten und staatlichen Manufakturen, durch Zölle geschützt und der Fertigwarenexport gefördert und nur die Rohstoffeinfuhr zugelassen, wohingegen der Rohstoffexport nicht erlaubt war (z.B. Ausfuhrverbot für Wolle und Auf Vergleiche mit anderen Staaten muß in diesem Buch verzichtet werden. Vgl. hierzu Pearce, J. und Sutton, J., Protection and Industrial Policy in Europe, London u.a. 1985. Franzmeyer, F. u.a., Industriepolitik im westlichen Ausland - Rahmenbedingungen, Strategien, Außenhandelsaspekte, Bd. I: Allgemeiner Teil, Bd. II: Länderberichte, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Beiträge zur Strukturforschung, Heft 92 I und II, Berlin 1987. Cipolla, C. M. (Hrsg.)

1. Einführung

5

Einfuhrverbote für ausländische Textilwaren durch Friedrich-Wilhelm, den Großen Kurfürsten, in Brandenburg). Einige Unternehmen, wie z.B. die Waffen-, Hüttenund Luxusgüterproduktion, wurden mit Privilegien (z.B. Handels- und Produktionsmonopolrechten, Steuervergünstigungen, Subventionen) bedacht, andere Branchen erhielten dadurch eine Unterstützung, daß der Staat sie selber betrieb (z.B. Kohlengruben, Eisenwerke). 8 Der Deckung des steigenden Bedarfs an Arbeitskräften für das Handwerk und das industrielle Gewerbe diente die Förderung der Einwanderung (z.B. Aufnahme von Glaubensflüchtlingen wie z.B. Hugenotten aus Frankreich und Protestanten aus dem Erzbistum Salzburg durch Brandenburg-Preußen) bei gleichzeitiger Verhinderung der Auswanderung sowie die Herabsetzung des Heiratsalters und die Förderung der Eheschließung. Auf die Verhinderung des "Müßigganges" und übermäßiger "Feierschichten" ("Blauer Montag") waren "arbeitsdiziplinierende" Maßnahmen gerichtet. Aber auch das Bildungswesen wurde ausgebaut, weil man die Bedeutung qualifizierter Facharbeiter für die exportintensiven Gewerbezweige erkannte. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik kann zwar nicht als Industriepolitik im heutigen Sinne bezeichnet werden, weil die industrielle Produktionsweise erst um 1770 mit der Erfindung der Dampfmaschine in England aufkam und die vorherrschende Produktionsweise die handwerkliche war. Diese wurde jedoch bereits durch die vorindustrielle Produktionsform der Manufaktur ergänzt, wo Lohnarbeiter in eigenen Werkgebäuden und bei weitgehender Arbeitsteilung beschäftigt wurden. Bemerkenswert ist, daß der Schutz der Betriebe vor Wettbewerb durch die gewährten Subventionen und Privilegien Produktinnovationen, Qualitätsverbesserungen, Preissenkungen und unternehmerisches Denken weitgehend verhinderten. 9 Gegen merkantilistisches Denken und merkantilistische Politik richtete sich das eine neue Epoche einleitende Werk "Wealth of Nations" von Adam Smith aus dem Jahre 1776. Märkte, Freihandel und freie unternehmerische Initiative sollten nun den Wohlstand der Nationen begründen. Politisch wurden die Ideen des Liberalismus nach der französischen Revolution von 1789 virulent, als die Gewerbefreiheit proklamiert und eingeführt wurde. Sie fanden ihren Niederschlag in zahlreichen Vorschriften - bis heute. So heißt es in der deutschen Gewerbeordnung von 1869 in § 1 Abs. 1: "Der Betrieb eines Gewerbes ist jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind." Das deutsche Grundgesetz formuliert heute in Art. 12 Abs. 1: "Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden."

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9

Vgl. Supple, B., Der Staat und die industrielle Revolution 1700 bis 1914, in: Cipolla, C. M. (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, Die industrielle Revolution, New York 1985, S. 201. Vgl. Blaich, F., Merkantilismus, in: HdWW, Bd. 5, S. 247.

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I. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

Die Folge dieser neuen geistigen Strömung und politischen Ideen war, daß im 19. Jahrhundert in ganz Europa ein Abbau des Staatsinterventionismus stattfand. Beispielhaft seien die Gründung des deutschen Zollvereins (Zollabbau) im Jahre 1834 und die Abschaffung der britischen Kornzölle 1847 genannt. Allerdings verschwand "Industriepolitik" nicht gänzlich zugunsten der Marktkräfte. Vielmehr begann jetzt eine Gewerbeförderung bzw. Gewerbepolitik, die sich mit dem neuen wirtschaftspolitischen Leitbild vereinbar wähnt. In Preußen setzten sich die Reformer Stein und Hardenberg für die Ideen von Adam Smith ein. Sie begründeten zugleich aber auch eine neue Art von Gewerbeförderung, die unter ihrem Nachfolger Beuth verstärkt wurde und als eine Mischung aus liberalen und merkantilistischen Maßnahmen verstanden werden kann. Ein Instrument war beispielweise die Gründung einer neuen Behörde in Berlin, der sogenannten Technischen Deputation.10 Ihre Aufgabe war es, sich Informationen aus gewerblichen Zeitschriften zu verschaffen und Unternehmen über neue technische Entwicklungen zu informieren und darüber hinaus auch selbst technische Abhandlungen und Zeitschriften zur Information herauszugeben. Weiterhin schaffte sie neue Maschinen an und verwendete sie diese zu Demonstrationszwecken und verschenkte sie dann an Industrielle. In einem von ihr gegründeten Gewerbeinstitut errichtete sie Modellwerkstätten sowie physikalische und chemische Laboratorien zur Demonstration. Prämien und Preise wurden zur Ermunterung der unternehmerischen Privatinitiative vergeben." Ein weiteres Mittel der Gewerbeförderung war die Förderung von Auslandsreisen. Dadurch wurde es Gewerbetreibenden und Verwaltungsfachleuten ermöglicht, sich technische Informationen und Material zu beschaffen. Auch die Anwerbung ausländischer Fachleute war ein wichtiger Grund für Auslandsreisen. Zusätzlich wurden für die Einfuhr von Maschinen, die auf diesen Reisen gekauft wurden, Zollbegünstigungen gewährt. Nur in Einzelfällen wurden auch direkte finanzielle Unterstützungen, zumeist in Form von Krediten gewährt, z.B. zur Schaffung von Musterbetrieben. Die Organisation von GeWerbeausstellungen durch den Staat gehörte ebenfalls zu den liberalen Instrumenten. Da die ersten GeWerbeausstellungen auf mangelndes Interesse stießen, wurden auch hier weitere Hilfen gewährt, indem die Kosten des Transports von Material zu den Ausstellungen vom Staat übernommen wurden.12 Darüber hinaus bestand liberale Industriepolitik im 19. Jahrhundert vor allem in allgemeinen Förderungsmaßnahmen des Staates wie der Ausgestaltung des Aktienwesens, der Kapitalmärkte und des Börsenverkehrs in Industriewerten sowie in Förderungsmaßnahmen bei der Bildung von Fachverbänden, bei der Gründung von Indu10

11 12

Vgl. Matschoss, C., Preußens Gewerbeförderung und ihre großen Männer, dargestellt im Rahmen der Geschichte des Vereins zur Förderung des Gewerbefleißes 1821-1921, Berlin 1921, S. 89 ff. Vgl. Mieck, I., Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965, S. 71 ff. Vgl. ebenda, S. 142 ff.

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striebanken, bei der Entwicklung des Patentwesens und bei der Gestaltung von Verkehrstarifen. Die Marktkräfte und der Staat konnten jedoch nicht verhindern, daß sich im Zuge der starken industriellen Entwicklung Monopole und monopolartige Marktstellungen auf der einen Seite und Unternehmenszusammenbrüche und große soziale Probleme auf der anderen Seite einstellten. So wird verständlich, daß die Industriepolitik im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts - von Land zu Land zeitlich verschoben - wieder an merkantilistische Traditionen anknüpfte13 und zu Schutzzöllen,14 Verstaatlichungen (der Eisenbahnen) und staatlichen Unternehmensgründungen griff. In diesem Zusammenhang wird von einem Programm des Gemeindesozialismus im Kaiserreich gesprochen, bei dem Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, Schlachthäuser und der Straßenbau entweder sozialisiert oder gemeindeeigen betrieben wurden.15 Darüber hinaus wurde ein ganz wichtiges Thema der Gewerbepolitik für lange Zeit die Frage der Erhaltungswürdigkeit traditioneller Formen des Gewerbes.16 An die Stelle einer liberalen, wettbewerbsorientierten Industriepolitik trat zunehmend eine den Wettbewerb regulierende und beeinträchtigende Politik. Kartellvereinbarungen z.B. wurden in Deutschland rechtlich geschützt, d.h. ein Kartellmitglied konnte auf Einhaltung der Kartellvereinbarungen gerichtlich klagen. Man sah in Deutschland also in Kartellen und Monopolen eher "Kinder der Not" aufgrund des Wettbewerbs als "Väter der Not" wegen einer Behinderung des Wettbewerbs. Trotz dieses Neomerkantilismus zum ausgehenden 19. Jahrhundert und obwohl auch während der liberalen Phase Gewerbepolitik betrieben wurde, blieben die staatlichen industriebezogenen Maßnahmen eher pragmatisch und sporadisch, so daß es nicht zur Entwicklung eines industriepolitischen Konzepts, vergleichbar dem des Merkantilismus, kam - nicht zuletzt auch deshalb, weil "die Industrie Jahrzehnte hindurch nur gelegentlich Ansprüche an den Staat stellte, während die sozialen Fragen, die sie aufwarf, in einem anderen Teil der Volkswirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik, erörtert wurden".17 Während im deutschsprachigen Raum das Gewerbe und die Gewerbepolitik als ein mehr oder weniger eigenständiges Fachgebiet ein breites Interesse auch bei der nationalökonomischen Wissenschaft fanden, traf das auf den angelsächsischen Sprachraum nicht zu. "Das Gewerbe z.B. interessiert die angelsächsischen Nationalökonomen, wenn in ihm Tatbestände auftreten, die den Ablauf der gesamten Volkswirt13

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15 16 17

Vgl. Stolper, G., Hauser, K., Borchardt, K., Deutsche Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl., Tübingen 1964, S. 45 f. Vgl. Borchardt, K., Die industrielle Revolution in Deutschland 1750-1914, in: Cipolla, C.M., Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4, Stuttgart, New York 1985, S. 196. Vgl. Stolper, G „ Deutsche Wirtschaft seit 1870, a.a.O., S. 48 f. Vgl. Wessels, T „ Gewerbepolitik, in: HdSW, Bd. 4, S. 507. Ebenda.

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I. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

Schaft verändern; so haben monopolartige Marktformen der Industrie eine Neufassung der Preistheorie angeregt."18 Hieraus erklärt sich, daß heute in den USA und England "industrial economics" bzw. "industrial Organization" ein wichtiges Fachgebiet ist, unter dem aber ganz andere Themen19 behandelt werden als in Deutschland unter der Bezeichnung Industriepolitik. Ein eigenständiges Fach "industrial policy" läßt sich demgegenüber für den englischen Sprachraum kaum nachweisen. Das Zeitalter liberaler Gewerbepolitik mündete schließlich nach dem neomerkantilistischen Übergang mit dem ersten Weltkrieg in eine Phase intensiven staatlichen Interventionismus. Kriegswirtschaft, ökonomischer Nationalismus, Rohstoffknappheit und Währungs- und finanzwirtschaftliche Schwierigkeiten, aber auch der wachsende politische Einfluß der Arbeiterschaft und der sich mit ihr verbündenden Kleinunternehmerschichten in Landwirtschaft, Handwerk und Handel zwangen den Staat zu immer umfassenderen politischen Interventionen. Auch die Entwicklung der Industrieunternehmen zu mächtigen, marktbeherrschenden Monopolen und Oligopolen waren mit einer prinzipiellen industriepolitischen Enthaltsamkeit des Staates kaum mehr vereinbar, so daß im Industrialismus selbst eine weitere Ursache für das nun beginnende große Engagement des Staates zu sehen ist.20 Kriegs- und nachkriegsbedingte Erfordernisse führten zu einer staatsgelenkten Autarkiewirtschaft mit Lohn- und Preisregulierungen und geringem Außenhandel, wovon besonders auch die Industrie betroffen war. Der Staatsinterventionismus wurde bis zum und im zweiten Weltkrieg fortgesetzt, wo das "Führerprinzip" auf die Industriebetriebe übertragen wurde. Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs werden in Deutschland wirtschaftsordnungspolitische Überlegungen vor allem aufgrund der theoretischen Arbeiten von Walter Eucken virulent. An die Stelle einer staatlichen Führung der Wirtschaft soll die Steuerung der Wirtschaft durch Märkte und Wettbewerb im Sinne neoliberalen Gedankenguts treten. Für eine Industriepolitik scheint hier zunächst kein Platz mehr zu sein. Aber auch die grundsätzliche Entscheidung in der BR Deutschland nach 1945 für eine soziale Marktwirtschaft und eine damit einhergehende verbale politische Abstinenz bzgl. einer besonderen Industriepolitik können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die industriebezogenen Maßnahmen kontinuierlich fortgesetzt haben; denn gerade die Industrie selbst ist es, die zunehmend - wenn auch branchenbezogen unterschiedliche - Anforderungen an den Staat stellt. Befürworter einer Industriepolitik weisen darauf hin, daß eine allgemeine und globale Wirtschaftspolitik gerade nicht ausreicht, die speziellen Probleme der Industrie zu lösen. "Tiefgreifende strukturelle Umstellungs- und Anpassungserfordernisse machen eine Ergänzung der Globalsteuerung durch eine zukunftsorientierte staatli18 19

20

Ebenda, S. 508. Vgl. Tirole, J., Industrieökonomik, München, Wien 1995; Übersetzung der amerikanischen Originalausgabe "The Theory of Industrial Organization". Vgl. Beckerath von, H., Industriepolitik (II) Epochen und Bereiche, in: HdSW, Bd. 5, S. 277 f.

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che Industriepolitik zur Sicherung vorhandener und Schaffung neuer Arbeitsplätze erforderlich. Zur sozialverträglichen Bewältigung des Strukturwandels ist darüber hinaus die Erarbeitung einer in sich geschlossenen strukturpolitischen Konzeption notwendig, die die Bereiche der Sektoral-, Technologie-, Regional- und der Politik für kleinere und mittlere Unternehmen umfaßt und aufeinander abstimmt." 21 Kritiker einer Industriepolitik beklagen dagegen das Gewirr von Staatseingriffen und führen das Versagen industriepolitischer Interventionen an. Das Beispiel des Stahlmarktes in Europa als eines stark durch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl geregelten Marktes läßt sich als abschreckendes Beispiel für eine explizite Industriepolitik anführen. "Das vorgesehene Instrumentarium entspricht ziemlich genau den Voraussetzungen, die für eine staatliche Investitionslenkung erforderlich sind: Meldungen der Investitionsvorhaben durch die Unternehmen, langfristige Orientierungsdaten für die voraussichtliche Entwicklung von Produktion und Nachfrage sowie Ein- und Ausfuhr, schließlich die Befugnis zu Maßnahmen, mit denen die tatsächlichen Investitionen auf das erforderliche Niveau abgestimmt werden, und zu Preis- und Mengenvorschriften. Die Stahlindustrie in der EG wird seit langem mit Hilfe dieses Instrumentariums "gesteuert". Am Anfang stand eine Prognose über den zukünftigen Stahlverbrauch, die von der späteren Entwicklung als Ziel zu optimistisch widerlegt wurde. Seit einigen Jahren ist der Stahlmarkt von administrativen Eingriffen reglementiert: Preise und Mengen der wichtigsten Produkte werden amtlich festgelegt, gegenüber der Konkurrenz aus Drittländern besteht ein hohes Maß an Protektion; die einzelnen Mitgliedstaaten haben ihre Unternehmen mit teilweise horrenden Summen subventioniert, trotz jahrelanger Bemühungen um einen Abbau überschüssiger Kapazitäten ist ein Gleichgewicht am Markt noch nicht in Sicht."22 In diesem Spannungsverhältnis der Meinungen und politischen Strömungen steht heute die Industriepolitik in Europa. Industriepolitik ist faktisch existent und anerkannt. Ihre Ausgestaltung und Weiterentwicklung werden maßgeblich durch die Politik der EU bestimmt werden.

1.3 Die Begriffe Industrie und Industriepolitik Es gibt Begriffe, die jedermann problemlos gebraucht und mit denen er auch vermeintlich klare Vorstellungen verbindet. Beim Versuch einer präzisen Definition ergeben sich jedoch Schwierigkeiten. Das trifft auch auf den Begriff der Industrie zu. Und es gibt Begriffe, die ebenfalls geläufig sind, die je nach Auffassung und Einstellung jedoch unterschiedlich interpretiert und definiert werden. Das trifft im besonderen auf den Begriff der Industriepolitik zu. 21

22

Große Anfrage "Sicherung vorhandener und Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine aktive Industriepolitik" im Deutschen Bundestag, Bundestagsdrucksache 10/1787 vom 24.7.1984, S. 1. Issing, O., Irrwege europäischer Industriepolitik, in: Volkswirtschaftliche Korrespondenz der Adolph Weber-Stiftung, 25. Jg. (1986) Nr. 2.

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I. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

1.3.1 Industrie Der in vielen Sprachen verbreitete und ähnliche Begriff Industrie 23 kann prozessual und institutionell verstanden werden. Im ersten Fall denkt man an eine bestimmte Form der Produktion, im zweiten Fall an einen Wirtschaftssektor, also an bestimmte Unternehmen oder Branchen. Die industrielle Produktionsweise löste die handwerkliche bei vielen Produkten ab. Aus dieser historischen Sicht leiten sich die wesentlichen Merkmale des prozessualen Begriffs ab. Industrielle Produktion ist danach die Produktion von materiellen Gütern in Fabriken durch Einsatz von Maschinen in stark arbeitsteiliger Form. Rohstoffe und Halbfabrikate werden mechanisch, chemisch oder anders be- und verarbeitet. Weitere Merkmale sind die Spezialisierung, Automatisierung und Rationalisierung sowie häufig auch ein hoher Kapitaleinsatz pro Arbeitskraft, Groß- oder Massenproduktion mit großen Umsätzen und anonymen Absatzmärkten, eine große Zahl von Beschäftigten, die oft ungelernt oder beruflich wenig qualifiziert sind, ein hoher Energieverbrauch, eine differenzierte Organisationsstruktur sowie überwiegend eine Fertigung ohne Serviceleistungen wie z.B. Reparaturen und Wartung. Manche dieser Merkmale treffen auf die Industrie heute nicht mehr oder nur noch bedingt zu (z.B. Massenproduktion, viele Beschäftigte, hoher Energieverbrauch, anonymer Absatzmarkt). Manche Merkmale treffen dagegen auf Unternehmen zu, die typischerweise nicht zur Industrie gezählt werden, wie z.B. Agrarproduzenten, Verkehrsdienstleister oder Bankdienstleister. In vielen Fällen ist es auch nicht möglich, die industrielle von der handwerklichen (weniger hohe Mechanisierung und Arbeitsteilung, Mitarbeit eines Meisters in meist kleineren Betrieben) Produktion zu unterscheiden, so daß diesbezüglich auf rein formale Kriterien zurückgegriffen wird, z.B. ob das Unternehmen in die Handwerksrolle eingetragen ist oder nicht. Angesichts dieser Schwierigkeiten und der Veränderungen in den Produktionsweisen der verschiedenen Unternehmen wird heute Industrie überwiegend institutionell verstanden. Es werden die Industrie und ihre Betriebe definiert oder besser gesagt: festgelegt. Die Basis dafür liefert die amtliche Statistik. Interessanterweise kennt die amtliche Statistik den Begriff der Industrie seit 1977 mit der Abschaffung der "Industrieberichterstattung" nicht mehr. Stattdessen wird vom "produzierenden Gewerbe" gesprochen, das folgende Gruppen umschließt: Bergbau und verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Energie- und Wasserversorgung. Hier ist das produzierende Handwerk jeweils eingeschlossen. Die Zuordnung der Unternehmen erfolgt in der Statistik nach dem Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, in der Regel gemessen an der Beschäftigtenzahl. Erfaßt werden nur Betriebe mit 20 Beschäftigten und mehr, wobei auch solche produzierenden Betriebe berücksichtigt werden, die einem Unternehmen außerhalb des produzierenden Gewerbes gehören. Die Zuord23

Lateinisch: industria = Fleiß, Betriebsamkeit; Französisch und Niederländisch: industrie; Spanisch, Italienisch und Portugiesisch: industria; Englisch: industry; Dänisch: industri.

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nung der Betriebe folgt einer tiefen Gliederung, der "Klassifikation der Wirtschaftszweige" (Ausgabe 1993).24 Damit ist die Industrie als Kategorie anhand der amtlichen Statistik nicht empirisch faßbar. Es liegt allerdings nahe, den eingebürgerten Begriff Industrie weiter zu verwenden und ihn mit dem des produzierenden Gewerbes gleichzusetzen. Das dürfte dem allgemeinen Verständnis von Industrie nahekommen; denn es geht um die Herstellung materieller Güter außerhalb des Agrarsektors. Ob allerdings der Begriff des produzierenden Gewerbes sinnvoller ist, läßt sich bezweifeln, weil, ökonomisch gesehen, auch die anderen Sektoren produzieren. Auch dürfte sich der Begriff des produzierenden Gewerbes in der Umgangssprache kaum durchsetzen. Colin Clark und Jean Fourastie haben die Unterscheidung der Wirtschaftssektoren nach dem Ausmaß des dort möglichen technischen Fortschritts in die ökonomische Literatur eingeführt. Danach umfaßt der primäre Sektor die sogenannte Urproduktion, d.h. die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und den Bergbau (mittlerer technischer Fortschritt), der sekundäre Sektor die industrielle Produktion (großer technischer Fortschritt) und der tertiäre Sektor die Dienstleistungsproduktion (geringer oder kein technischer Fortschritt). Industrie und Handwerk bilden demnach den sekundären Sektor. Diese Betrachtungsweise dürfte in den modernen Industriegesellschaften ihre Berechtigung immer mehr verlieren; denn die Agrarproduktion, der Bergbau und die Wasserversorgung beispielsweise werden heute in einer Weise betrieben, die eben genau die industrielle Produktionsweise mit großem technischem Fortschritt ist. Man denke z.B. an die Kohleförderung unter und über Tage, an die Agrarfabriken (mechanisierte Feldbestellung mit viel Kapitaleinsatz, Legehennenbatterien mit 100 000 Hennen und mehr) und die technisch aufwendige, automatisierte Wasseraufbereitung in modernen Wasserwerken. Da materielle Güter erzeugt werden, trägt der primäre Sektor heute weitgehend Industriecharakter. Trotzdem werden die Agrarproduktion und die Forstwirtschaft üblicherweise institutionell nicht zur Industrie gezählt, wohl aber der Bergbau, die Wasserwirtschaft und z.T. auch die Fischereiwirtschaft. Der Dienstleistungssektor stellt immaterielle Güter bereit, wie z.B. Bank-, Versicherungs-, Planungs- oder Beratungsleistungen. Im Lauf der wirtschaftlichen Entwicklung war der Dienstleistungssektor seinerzeit auch dadurch charakterisiert, daß er der Automatisierung weit weniger zugänglich war als der industrielle Sektor. Das hat sich jedoch grundlegend geändert. Die Folge ist, daß auch für den Dienstleistungssektor inzwischen Arbeitsteilung, Maschineneinsatz und Automatisierung kennzeichnend sind, so daß sich die Produktionsweise soweit der industriellen an24

Aufgrund von Verordnungen der EG erfolgt ab 1995 eine Vereinheitlichung und teilweise Neufassung der Gliederung der wirtschaftlichen Tätigkeiten in den Statistiken der Mitgliedstaaten.

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genähert hat. Man kann von der Industrialisierung der Dienstleistungsproduktion sprechen. So wie die industriellen Produktionsweisen in den Dienstleistungssektor eingedrungen sind, spielen umgekehrt Dienstleistungen und die Dienstleistungsproduktion in der Industrie eine immer größere Rolle.25 Man spricht von der Tertiarisierung der industriellen Produktion. Damit ist gemeint, daß die eigentliche technische Produktion materieller Güter vermehrt der Dienstleistungen, wie z.B. Planung, Steuerung, Wartung und Kontrolle, bedarf. Dadurch soll die Effizienz der technischen Produktion gesteigert werden. Das Produktionsergebnis wird mit Dienstleistungen angereichert. Es läßt sich also festhalten, daß es schwer ist, den industriellen Produktionsprozeß von anderen Produktionsprozessen definitorisch abzugrenzen und daß das entsprechend für die Definition eines Sektors Industrie gilt. Die Konsequenz ist, daß Industrie in Anlehnung an die amtliche Statistik als der Wirtschaftssektor des produzierenden Gewerbes verstanden werden muß.

1.3.2 Industriepolitik Eine Art kleinster gemeinsamer Nenner der Begriffsbestimmungen in der Literatur kann, ausgehend von den Wortbestandteilen Industrie und Politik, darin gesehen werden, daß Industriepolitik eine vor allem staatliche Politik ist, die den Sektor Industrie zum Gegenstand hat. Mit anderen Worten kann Industriepolitik als ein Handeln oder Unterlassen von insbesondere staatlichen Institutionen aufgefaßt werden, das geeignet ist, das Verhalten der Industrie oder einzelner Teilbereiche derselben zu beeinflussen. In der Literatur findet man eine Reihe von Definitionen, die Industriepolitik im Sinne dieses begrifflichen Grundkonsenses eher abstrakt und formalistisch definieren, z.B. "Industriepolitik ist die Summe aller staatlichen Maßnahmen, die auf die Gestaltung industrieller Strukturen gerichtet sind." 26 Eine zweite, in der Literatur ebenfalls häufig anzutreffende Gruppe von Definitionen läßt sich dadurch kennzeichnen, daß die betreffenden Autoren versuchen, sich von den formalen Begriffsfassungen zu lösen und statt dessen ihre Definitionen mit konkreten inhaltlichen Aussagen zu füllen. In solchen Definitionen wird dann entweder die Industriepolitik auf bestimmte Aufgaben und Ziele festgelegt, beispielsweise auf den Aufbau, die Erhaltung, die Anpassung oder Modernisierung der Industrie, oder aber es wird der Adressatenkreis der Industriepolitik auf explizit be-

25

26

Vgl. z.B. Bade, F.-J., Regionale Beschäftigungsentwicklung und produktionsorientierte Dienstleistungen, Berlin 1987. Sturm, R., Die Industriepolitik der Bundesländer und die europäische Integration, Baden-Baden 1991, S. 12.

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stimmte Empfänger, insbesondere auf bestimmte Industriesektoren, festgelegt. 27 Im Sinne einer engen sektoriellen Begrenzung des Adressatenkreises der Industriepolitik wird beispielsweise definiert: "Als Industriepolitik sollen [...] nur solche staatlichen Interventionen bezeichnet werden, die primär nur vorher explizit definierte Empfänger gezielt betreffen, um so die Ressourcenallokation innerhalb des Industriesektors bewußt zu beeinflussen." 28 Eine noch weitergehende inhaltliche Spezifizierung des Begriffs Industriepolitik erfolgt schließlich mit einer dritten Gruppe von Begriffsklärungen. Einige Autoren wollen industrierelevantes staatliches Handeln, wenn auch nicht ausschließlich, so jedoch insbesondere dann mit dem Begriff Industriepolitik belegen, wenn sich dieses Handeln als integraler Bestandteil einer einheitlichen und umfassend formulierten industriepolitischen Gesamtkonzeption des Staates identifizieren läßt. Damit erhält das Ausmaß der Koordination industrierelevanter Ziele und Instrumente ein besonderes Gewicht bei der begrifflichen Abgrenzung: "Die Industriepolitik zielt indessen jedenfalls ihrem Anspruch nach auf die Gestaltung der Industrie Wirtschaft nach einer einheitlichen Gesamtkonzeption, und es ist dieser Anspruch, der sie vom traditionellen Leitbild der sektoralen Strukturpolitik in der Bundesrepublik unterscheidet [,..]."29 Neben der aufgezeigten Unterschiedlichkeit im inhaltlichen Aussagegehalt bezüglich der Ziele und Mittel differieren verschiedene Definitionen zudem hinsichtlich der Festlegung des Gegenstandes. Dementsprechend läßt sich Industriepolitik definieren als eine Politik, die den Sektor Industrie zum Gegenstand hat. Einige Autoren weiten den Gegenstand der Industriepolitik aber auch gezielt über einen wie auch immer im Detail abgegrenzten Industriesektor hinaus aus, indem sie den gesamten Bereich der Be- und Verarbeitung von Gütern oder sogar die Gesamtheit aller Unternehmen zum Gegenstand dieser Politik erklären. In diesem Sinne heißt es zum Beispiel: "Industriepolitik umgreift jenes Bündel an Politiken, das darauf gerichtet ist, den wirtschaftlichen Strukturwandel [...] mit dem Ergebnis zu beeinflussen [...], daß Investitionen privater Wirtschaftsunternehmen in anderen Produkten, Sektoren [...] vorgenommen werden, als dies ausschließlich unter Markteinflüssen zu erwarten wäre." 30 Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Begriffsbestimmungen ist nun zu klären, wie Industriepolitik hier definiert werden soll. Zunächst erscheint es nicht pro27

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29

30

Vgl. Geister, H.-A., Wettbewerbs- und Industriepolitik der Europäischen Gemeinschaft, Berlin 1981, S. 26. Conrad, M., Industriepolitik als wirtschaftspolitische Option in der sozialen Marktwirtschaft - Ein ordnungskonformes industriepolitisches Konzept für die Bundesrepublik Deutschland, Dissertation Hamburg 1987, S. 22. Veelken, W., Normstrukturen der Industriepolitik - Eine vergleichende Untersuchung nach deutschem und französischem Wirtschaftsrecht, Baden-Baden 1991, S. 30 f. Einem von, E., Anmerkungen zu einem kontroversen Begriff, in: Jürgens, U., Krumbein, H. (Hrsg.), Industriepolitische Strategien, Bundesländer im Vergleich, Berlin 1991, S. 13.

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I. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

blemadäquat, den Gegenstand der Industriepolitik über den Industriesektor hinaus auszudehnen und auch andere Wirtschaftsbereiche oder sogar sämtliche Wirtschaftsbereiche zum Gegenstand der Industriepolitik zu erklären. Schon rein begrifflich wäre es paradox, im Falle einer nicht selektiven, also auf alle Wirtschaftsbereiche ausgerichteten Politik, von Industriepolitik zu sprechen. Dies bedeutet zwar keinesfalls, daß nicht auch die in der politischen Praxis stark verbreiteten nicht sektoralen Maßnahmen, wie beispielsweise allgemeine Wettbewerbsregeln, zugleich auch als industriepolitische Maßnahmen aufgefaßt werden können. Entscheidend ist aber, daß aus dem Blickwinkel des Industriepolitikers solche Maßnahmen nur insoweit interessieren, als ein Industriebezug vorliegt. Eine Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes über den Industriesektor hinaus wird aber vor allem auch der besonderen praktischen Bedeutung nicht gerecht, die Wissenschaft und Politik diesem Sektor für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand einer Volkswirtschaft beimessen. Wenig realistisch und praktikabel erscheinen auch definitorische Ansätze, die den Begriff idealisierend so weit verengen, daß nur noch industrierelevantes staatliches Handeln, das sich als ein integraler Bestandteil einer industriepolitischen Gesamtkonzeption ausmachen läßt, als Industriepolitik aufgefaßt wird. Durch eine solche Sichtweise bliebe der gesamte für den realen politischen Alltag typische Bereich des spontanen Reagierens auf akute industriepolitische Probleme ausgegrenzt. Nicht unproblematisch sind schließlich Definitionen, in denen in der Absicht, nähere inhaltliche Aussagen zu treffen, konkrete Aufgaben und Ziele explizit festgeschrieben werden. Wenn dann beispielsweise Erhaltungs-, Anpassungs- und Modemisierungsziele genannt werden, wird damit zwar ein Großteil realer industrierelevanter Politik deflnitorisch erfaßt, aber längst noch nicht alles. So wird beispielsweise in Form restriktiver gentechnischer Vorschriften in Deutschland de facto Industriepolitik betrieben, obwohl sich diese Form der Politik sicher nicht unter Erhaltungs-, Anpassungs- oder Modernisierungsziele subsumieren läßt. Mit der in diesem Buch verwendeten Definition soll dagegen jedes staatliche Handeln, durch das auf die Verhaltensweisen und Entscheidungen in Industrieunternehmen bewußt und gezielt eingewirkt wird, erfaßt werden. Mit diesem Anspruch wird die Definition zwangsläufig wieder allgemeiner und inhaltlich offener. Unter Industriepolitik wird in diesem Sinne hier diejene staatliche Politik verstanden, die den Sektor Industrie unmittelbar oder mittelbar zum Gegenstand hat und die mit geeigneten und gezielten Maßnahmen bewußt solche Ziele verwirklichen will, die ausdrücklich oder zumindest erkennbar industriebezogen sind. Hat Industriepolitik im konkreten Einzelfall nicht den gesamten industriellen Sektor zum Gegenstand, sondern nur bestimmte Teilbereiche desselben, etwa eine bestimmte Branche oder ein spezielles Industrieunternehmen, so läßt sich zur Hervorhebung dieses Charakteristikums diese Form der Industriepolitik auch mit dem Begriff sektorale, sektorielle oder sektorspezifische Industriepolitik belegen.

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Gelegentlich wird Industriepolitik in die Nähe von Strukturpolitik oder von sektoraler Strukturpolitik gertickt. Der Begriff Struktur ist zwar ein beliebter und häufig verwendeter - oft mit anderen Begriffen zusammengesetzter - Begriff, aber auch ein ziemlich unbestimmter. Struktur bezeichnet das Verhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen. Strukturpolitik ist danach ganz allgemein eine Politik, die die Zusammensetzung der strukturbestimmenden Teile und ihr Verhältnis zum Ganzen zielbezogen beeinflußt. Was Strukturpolitik im konkreten Fall ist, hängt demnach von dem Ganzen und seinen Teilen ab, die man steuern möchte. In diesem Sinne sind z.B. eine "Industriestrukturpolitik" oder eine "Handwerksstrukturpolitik" denkbar. Bestehen die Teile aus Wirtschaftssektoren, so handelt es sich um sektorale Strukturpolitik. 31 Industriepolitik im hier verstandenen Sinne unterscheidet sich somit deutlich von sektoraler Strukturpolitik oder gar Strukturpolitik allgemein. Eine „Industriestrukturpolitik" kann dagegen als eine spezielle Form der Industriepolitik verstanden werden. Von einigen Autoren wird Industriepolitik als spezielle Wirtschaftspolitik verstanden und neben andere spezielle Wirtschaftspolitiken wie z.B. sektorale Wirtschaftspolitik, Regionalpolitik und Energiepolitik gestellt. 32

1.4 Informationen und Daten zum wirtschaftlichen Stellenwert der Industrie Die Bedeutung und der Stellenwert der Industriepolitik ergeben sich nicht zuletzt aus der Bedeutung und dem Stellenwert der Industrie innerhalb der Gesamtwirtschaft. Einige der nachfolgenden Daten sind hier informativ. Aber auch theoretische und wirtschaftspolitische Überlegungen formen die diesbezüglichen Vorstellungen über die Industrie in der Öffentlichkeit, wobei schon historisch weit zurückliegende Auffassungen noch von Einfluß sind. So vertraten die Physiokraten im 18. Jahrhundert die Meinung, daß nur der Boden produktiv sei, weil nur er selbständig neue Güter und neue Werte hervorbringen könne. Dementsprechend bildeten die Landwirte - ökonomisch gesehen - die produktive Klasse, während alle übrigen Berufsgruppen, d.h. auch Gewerbe und Handel, als unproduktiv oder steril galten. Sie verarbeiten letztlich nur die Erzeugnisse der Landwirtschaft, tragen aber selbst nicht zum Wohlstand bei. Adam Smith, der führende Theoretiker der nachfolgenden liberalen Epoche, lenkt den Blick auf die Bedeutung der gewerblichen Produktion für die Volkswirtschaften. Besonders durch die Arbeitsteilung im gewerblichen Sektor läßt sich nach ihm die Produktivität und damit der Reichtum der Nationen erheblich steigern, so daß 31

32

Vgl. zum Begriff und Inhalt der Strukturpolitik Zinn, K. G., Allgemeine Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1974, S. 110 ff. Meißner, W „ Fassing, W „ Wirtschaftsstruktur und Strukturpolitik, München 1989; Peters, H.-R., Sektorale Strukturpolitik, 2. Aufl., München, Wien 1996. Vgl. z.B. Seidenfuß, H., Gewerbepolitik, in: Issing, O. (Hrsg.), Spezielle Wirtschaftspolitik, München 1982, S. 105 ff.

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I. Teil Grundlagen industriepolitischen Handelns

für Adam Smith auch das Gewerbe produktiv ist. Allerdings spricht auch er der Erzeugung immaterieller Güter und dem Dienstleistungssektor die Eigenschaft eines produktiven Sektors ab. Unter dem Einfluß des Idealismus und der Romantik wird vor allem in der historischen Schule der Nationalökonomie der Produktivitätsbegriff neu diskutiert. Mit ihm wird jetzt die Vorstellung von der volkswirtschaftlichen Nützlichkeit bestimmter Tätigkeiten verbunden, ohne daß es allerdings zu präzisen Definitionen gekommen wäre.33 Eine eindeutige und allgemein anerkannte Definition hat sich erst danach durchgesetzt, wonach Produktivität durch das Verhältnis von Output zu Input oder von Ergebnis zu Aufwand bestimmt ist. Trotz dieser Klarstellung sind auch heute noch die älteren historischen Auffassungen virulent. So hört man gelegentlich, nur die Unternehmen seien produktiv, die materielle Güter produzieren. Lehrer und Pfarrer wären demnach unproduktiv. Aus solchen Vorstellungen folgt natürlich ein hoher ökonomischer und gesellschaftlicher Stellenwert des produzierenden Gewerbes. Diese Auffassung von produktiv ist ökonomisch allerdings nicht gerechtfertigt; denn jeder, der eine nachgefragte Leistung erbringt, ist volkswirtschaftlich produktiv. In eine ähnliche Richtung zielt die Behauptung, die Staatsdiener hingen von den Leistungen und Erträgen der Steuerzahler ab, wobei der Unterton mitschwingt, man selber erbringe produktive Leistungen, der Staatsdiener aber nicht. Dabei wird übersehen, daß die staatlicherseits angebotenen öffentlichen Güter genauso produziert werden müssen und nachgefragt werden wie die privaten, nur daß die "Bezahlung" eben über Steuern erfolgt, - abgesehen einmal davon, daß auch die Staatsdiener Steuern zahlen. Auch die Diskussionen und Sorgen um den relativen Rückgang der Beiträge der Industrie zur Wertschöpfung und zu den Arbeitsplätzen beinhalten ein bißchen die Vorstellung, daß die Industrie die benötigten Güter produziert, während die anderen Sektoren letztlich von dieser Güterproduktion abhängen. Es kommt jedoch primär darauf an, für welche Leistungen eine kaufkräftige Nachfrage vorhanden ist. Die Frage kann also nicht sein: Mehr Industrieprodukte oder mehr Dienstleistungen, sondern es geht um mehr Güter, die regional, national und weltweit nachgefragt und bezahlt werden. Unabhängig davon ist allerdings die Frage, ob eine bestimmte Menge an Industrieproduktion aus anderen als nachfragebedingten Gründen, z.B. Realisierung von technischem Fortschritt, Verfügung über Erfahrungen und Demonstrationsobjekte, in einer Volkswirtschaft erforderlich sein kann, so daß Industriepolitik zur Korrektur von Marktentwicklungen möglicherweise eingreifen muß.

33

Vgl. Rose, K„ Produktivität, in: HdSW, Bd. 8, S. 614.

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57.1

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192

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

9.4.4 Abgaben bzw. Ausgleichsleistungen für Eingriffe in Natur und Landschaft Eingriffe in Natur und Landschaft durch Unternehmen sind unter Umweltaspekten vergleichbar den Emissionen. Dementsprechend korrespondieren den Abgaben auf Emissionen vergleichbare Belastungen der Eingriffe. In diesem Sinne kann daher die Vorschrift des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) interpretiert werden, daß unvermeidbare Beeinträchtigungen infolge eines Eingriffs in Natur und Landschaft grundsätzlich auszugleichen sind, soweit es zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist (§ 8 Abs. 2 BNatSchG). 13 Der Eingriff in die Umwelt ist dann nicht mehr kostenlos möglich, sondern zieht Kosten in Form der Ausgleichsleistungen nach sich. "Eingriffe in Natur und Landschaft... sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können." (§ 8 Abs. 1 BNatSchG). Nachhaltig bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Auswirkungen des Eingriffs nicht nur von kurzer Dauer sind. 14 Eingriffe von geringer Bedeutung werden außer Acht gelassen. Veränderungen der Gestalt von Grundflächen können sehr unterschiedlich sein. Dazu gehören Mülldeponien ebenso wie die Anlegung von Parkplätzen, Abgrabungen zur Gewinnung von Sand, Kies usw. oder die Bebauung bisher baufreier Grundstücke. 15 Veränderungen der Nutzung von Grundflächen liegen dann vor, wenn die zukünftige Nutzung von der vorherigen erheblich abweicht. 16 Auch bei der Aufstellung von Bebauungsplänen und bei Maßnahmen gemäß einem Bebauungsplan sind die Vorschriften über Eingriffe in Natur und Landschaft gemäß §§ 8 ff. zu berücksichtigen. "Ausgeglichen ist ein Eingriff, wenn nach seiner Beendigung keine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushalts zurückbleibt und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist." (§ 8 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG). Wenn Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht auszugleichen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorrangig sind, dann ist ein Eingriff zu untersagen (§ 8 Abs. 3 BNatSchG). (Vgl. hierzu Schaubild 9/1). Wenn andere Belange vorrangig sind, d.h. wenn der Naturschutz nur eine nachgeordnete Rolle spielt, muß wenigstens, da der Eingriff nicht untersagt werden kann, ein Minimalausgleich vorgenommen werden.17 In diesem Sinne ermöglicht das BNatSchG als Rahmengesetz des Bundes den Ländern, weitergehende Vorschriften zu erlassen, "insbesondere über Ersatzmaßnahmen der Verursacher bei nicht ausgleichbaren 13 14 15 16

17

Vermeidbare Beeinträchtigungen sind zu unterlassen. Vgl. hierzu auch Schaubild 9/1. Vgl. Meßerschmidt, K. (Hrsg.), Bundesnaturschutzrecht Kommentar, Stand April 1995, § 8, S. 3. Vgl. ebenda, S. 2a. Vgl. Soell, H„ Naturschutz und Landschaftspflegerecht, in: Salzwedel, J. (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, Berlin 1982, S. 527. Vgl. Meßerschmidt, K. (Hrsg.), Bundesnaturschutzrecht Kommentar, a.a.O., § 8, S. 6.

9. Abgaben

193

aber vorrangigen Eingriffen" (§ 8 Abs. 9 BNatSchG). Exemplarisch werden hier die Regelungen aus zwei Landesgesetzen, dem von Baden-Württemberg und dem von Nordrhein-Westfalen, dargestellt. In Baden-Württemberg wird für den Fall der nicht ausgleichbaren, aber vorrangigen Eingriffe bestimmt, daß eine Abgabe an den Naturschutzfonds zu leisten ist (§ 11 Abs. 5 NatSchGBW). Die Höhe der Abgabe bestimmt sich nach Dauer und Schwere des Eingriffs, Wert oder Vorteil für den Verursacher sowie nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit, wobei die Schwere des Eingriffs anhand der beanspruchten Fläche oder der Menge des entnommenen Materials zu berechnen ist (§ 11 Abs. 6 NatSchGBW). Wenn in Nordrhein-Westfalen ein Ausgleich nicht möglich ist, so heißt das nicht automatisch, daß eine Ersatzabgabe zu leisten ist, sondern es soll zunächst versucht werden, eine Ersatzmaßnahme an anderer Stelle in dem durch den Eingriff betroffenen Raum durchzuführen, die nach Art und Umfang geeignet ist, die durch den Eingriff gestörten Funktionen des Naturhaushalts oder der Landschaft gleichwertig wiederherzustellen (§ 5 Abs. 1 Landschaftsgesetz NW). Es ergeben sich nun drei Möglichkeiten: 1. Eine Ersatzmaßnahme wird durchgeführt und gleicht den Eingriff vollständig aus. 2. Eine Ersatzmaßnahme wird zwar durchgeführt, gleicht den Eingriff aber nur unzureichend aus. 3. Eine Ersatzmaßnahme im Sinne des Gesetzes kann nicht durchgeführt werden. Die erste Möglichkeit stellt den Idealfall dar. In den beiden letzten Fällen muß der Verursacher des jeweiligen Eingriffs für den verbleibenden Schaden ein als Abgabe verstandenes Ersatzgeld an den Kreis oder die kreisfreie Stadt entrichten. Die Höhe des Ersatzgeldes orientiert sich an den Kosten, die der Verursacher für Ersatzmaßnahmen einschließlich der dafür erforderlichen Flächen hätte aufwenden müssen. Das Ersatzgeld darf nur für Maßnahmen des Naturschutzes oder für Maßnahmen eines Landschaftsplanes verwendet werden, wobei versucht werden sollte, einen sachlichen, räumlichen und zeitlichen Bezug zu dem jeweiligen Eingriff herzustellen (§ 5 Abs. 3 Landschaftsgesetz NW).

9.4.5 Abgaben auf natürliche Ressourcen: Der Wasserzins Vorschläge für Abgaben auf natürliche Ressourcen, die nicht auf Märkten gehandelt werden, sind selten. Die Abgabe auf die Nutzung einer natürlichen Ressource (z.B. von Rohwasser oder einer Landschaft) wird nicht primär erhoben, um den abgabepflichtigen Tatbestand zu vermeiden, also die Nutzung einzuschränken, sondern um die kostenlose Nutzung zu verhindern, eine Nutzung, die, volkswirtschaftlich gesehen, nicht ohne Kosten stattfindet. Beispielsweise ist Rohwasser ein knappes Gut. Wegen des Fehlens eines Marktes bildet sich zwar kein Preis, d.h. aber nicht, daß Rohwasser im Verhältnis zu anderen Gütern ohne ökonomischen Wert ist. Die

194

II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

volkswirtschaftlich richtige Höhe des Preises, wie er sich auf einem funktionierenden Markt einstellen würde, ist ohne Markt kaum zu bestimmen. Deshalb muß mit der staatlichen Abgabe eine Art Schattenpreis gesetzt werden, der den wirklichen Knappheitsverhältnissen möglichst nahe kommt. Die Zuordnung von Eigentums- oder Nutzungsrechten und Preise für solche Güter bewirken, daß die Eigentümer, Besitzer oder Nutzer der Güter aus dem ökonomischen Wert Nutzen ziehen können und somit an den Gütern ein ökonomisches Interesse haben. Sie werden ihren Besitz pflegen, den Wert zu erhalten und ggf. zu mehren suchen. Umgekehrt wird jemand, der kein Einkommen für seine Ressource erzielen kann, kaum ein ökonomisches Interesse an ihrer Werterhaltung haben mit der Folge, daß es leicht zu ihrer Schädigung und Zerstörung kommt. Gerade auf einige natürliche Ressourcen trifft diese beschriebene Situation zu. Es besteht kein ökonomisches Interesse an dem Schutz und dem Erhalt dieser Güter. Abgaben als Preise für knappe natürliche Ressourcen können hier eine Schutzfunktion ausüben. In diesem Sinne ist der Vorschlag für einen Wasserzins zu verstehen. 18 Der Wasserzins stellt eine Entgeltzahlung für die Entnahme von sauberem Rohwasser aus einem natürlichen Wasserreservoir dar. Vom Wasserzins begrifflich abzugrenzen ist der Wasserpreis. Der Wasserpreis ist der Preis, den ein Wassernutzer für die Wasserentnahme aus einem Leitungsnetz an den Betreiber der Wasserversorgung zahlen muß. Der Betreiber der Wasserversorgung ist in der Regel ein Wasserversorgungsunternehmen. Den Wasserzins hätten diejenigen Wirtschaftsubjekte zu entrichten, die Entnehmer von sauberem Grundwasser bzw. Rohwasser sind. Das ist in einem erheblichen Maße die Industrie, darüber hinaus sind es vor allem aber auch Wasserversorgungsunternehmen und private Haushalte. Ein Ziel des Wasserzinses ist die Erreichung von Wassereinsparungen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Unternehmen zu einer Senkung ihres Wasserverbrauchs veranlaßt werden. Da der Wasserzins als Abgabe auf Wasser eine Verteuerung des Wassers darstellt, wird er tendenziell bewirken, daß die Abgabepflichtigen nach Möglichkeiten zur Wassereinsparung suchen. Ein weiteres Ziel des Wasserzinses ist der Wasserschutz. Da der Wasserzins nur für sauberes Grund- bzw. Rohwasser gezahlt wird, haben die Empfänger der Einnahmen ein ureigenes Interesse daran, einen wirksamen Wasserschutz zu entfalten; denn nur so kann der Zufluß weiterer Einnahmen sichergestellt werden. Das kann nur funktionieren, wenn ein Rechtsanspruch auf Einnahmen aus dem Wasser an Berechtigte vergeben wird. Zu klären ist, wer Berechtigter, also Empfänger des Wasserzinses sein soll. Empfänger sollte am besten derjenige sein, der zum Schutz und

18

Vgl. hierzu Brösse, U. Abgaben im Bereich des Wassers zum Schutz der Umwelt: Das Beispiel des Wasserzinses, in: Nutzinger, H. G., Zähmt, A. (Hrsg.) Ökosteuern, Umweltsteuern und abgaben in der Diskussion, Karlsruhe 1989, S. 135 ff.

9. Abgaben

195

zur Reinhaltung am meisten beitragen kann und wird. Es kommen die Grundeigentümer, die Wasserversorgungsunternehmen, die Letztverbraucher, der Staat und die Gemeinden grundsätzlich in Frage. Als am besten geeignet dürften die Gemeinden angesehen werden. Wären sie Nutznießer ihrer Wasserschätze, wären sie auch eine Lobby für ihr Wasser. Wasserreiche Gemeinden könnten durch den Wasserzins Einnahmen erzielen, die beträchtlich zu Buche schlagen würden. Das würde einen erheblichen Anreiz zum Gewässerschutz darstellen und würde dem ökonomischen Wert dieser Ressource innerhalb der übrigen Güter einer Volkswirtschaft einen wesentlichen höheren Stellenwert geben.

196

II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

10. Kapitel: Subventionen 10.1 Problemstellung und Begriffe Wenn der Staat für ein erwünschtes Verhalten der Unternehmen diesen eine Vergünstigung gewährt, so kann das ein Anreiz zu dem gewünschten Verhalten sein. In diesem Sinne sind Subventionen ein Anreizinstrument. Kritisiert werden Subventionen zum einen unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten. Es wird auf die Gefahr der Schwächung bzw. Verzerrung der Marktkräfte, des Wettbewerbs und der Leistungsanreize hingewiesen. Selbst wenn also Industriepolitik im einzelnen ordnungspolitisch begründet ist, könnten Subventionen als industriepolitisches Instrument aus ordnungspolitischen Erwägungen fehl am Platze sein. Zum anderen wird die Anreizwirkung selbst bezweifelt. "Subventionen mit Anreizeffekt sind von den Informationserfordernissen her nicht durchführbar. Praktikable Subventionen haben keinen Anreizeffekt." 1 Dem steht entgegen, daß Subventionen - nach den Zwangsmitteln der Gebote und Verbote - das wohl am häufigsten eingesetzte Instrument der Industriepolitik in Deutschland und der EU sind. Ob und wie und mit eventuell welchen Nebenwirkungen Subventionen in die beabsichtigte Richtung tatsächlich wirken bedarf deshalb einer eingehenderen Analyse. 2 Der Subventionsbegriff wird nicht einheitlich verwendet. Auch die Wortwahl für denselben Tatbestand ist unterschiedlich. So finden sich u.a. die Begriffe Finanzhilfen, Unterstützungen, Zuweisungen und Zuschüsse. Im Rahmen der EU wird von Beihilfen gesprochen. In einem weiteren Sinne werden unter Subventionen wirtschaftliche Hilfen des Staates an private Unternehmen und Haushalte verstanden, die ohne Gegenleistungen gewährt, aber an bestimmte Voraussetzungen oder Bedingungen geknüpft werden. In einem engeren Sinne wird der Begriff nur auf staatliche Leistungen an Unternehmen angewendet. Für eine Arbeit über Industriepolitik ist diese Einschränkung sinnvoll. Ausgeschlossen werden sollen hier auch wirtschaftliche Vergünstigungen, die sich für die Industrie dadurch ergeben, daß der Staat z.B. durch Ge- und Verbote bestimmte Unternehmen oder Branchen am Markt wirtschaftlich besserstellt als die Konkurrenz, ohne daß dadurch staatliche Zahlungen an die Unternehmen geleistet werden (Verordnungssubventionen). Subventionen im hier verwendeten Sinne sind dann Tranferzahlungen des Staates an Unternehmen ohne direkte Gegenleistungen, die an bestimmte Voraussetzungen oder die Erfüllung bestimmter Bedingungen gebunden sind. Die Konditionierung erfolgt hinsichtlich der verfolgten industriepolitischen Ziele, die mit den Subventionen angestrebt werden. Eine Subvention soll also ein ökonomischer Anreiz für ein Verhalten sein, das im Interesse staatlicher Politik liegt.

1 2

Siebert, H., Analyse der Instrumente der Umweltpolitik, a.a.O., 1976, S. 14. Vgl. hierzu näher Soltwedel, R. u. a., Subventionssysteme und Wettbewerbsbedingungen in der EG, Theoretische Analysen und Fallbeispiele, Kiel 1988.

10. Subventionen

197

Subventionen werden in unterschiedlicher Form gewährt, und zwar als finanzielle Zuschüsse, Abschreibungserleichterungen und sonstige Befreiungen von Steuern und Abgaben, zinsverbilligte Darlehen, Bürgschaften, Verfügbarmachung von Gütern und Dienstleistungen zu Vorzugspreisen (z.B. Grundstücke, Beratungen) oder weitere vergünstigte Kapitalzuführungen. Subventionen vermindern die Kosten, die ein Unternehmen ansonsten üblicherweise zu tragen hat.

10.2 Wirkungen 10.2.1 Vorbemerkung Die Meinungen über die Wirkungen von Subventionen reichen von der Auffassung, daß Subventionen in bestimmten Fällen erfolgreich und ökonomisch sinnvoll sind diese Meinung wird z.B. in verschiedenen Dokumenten der EU vertreten - bis zu großer Skepsis bezüglich ihrer Handhabbarkeit und Wirksamkeit. Über die Wirkungen von Subventionen "ist weder nach Tatsächlichkeit noch nach Ausmaß eine Sicherheit der Vorhersage, nicht einmal der nachträglichen Feststellung, möglich. Den Subventionen wohnt keine Treffsicherheit inne, und von "gezielten" Subventionen kann höchstens hinsichtlich der Absicht, nicht aber auch des Erfolges die Rede sein. Vielfach treten mehrere Wirkungen ein, gewollte und ungewollte, auch solche zweiten und ferneren Grades, wodurch mitunter der Haupteffekt wieder aufgehoben wird... Die Pluralität der Wirkungen verhindert die Erkenntnis eines zwingenden Zusammenhanges zwischen einer bestimmten Subvention und einer ebenso bestimmten Folge, da sich die nachzuweisende Einzelwirkung nicht isolieren oder experimentell erhärten läßt."3 Es können daher nachfolgend nur einige allgemeinere Aussagen über die Wirkungen und Wirkungszusammenhänge gemacht werden.

10.2.2 Bemessungsgrundlage Da mit Subventionen ein industriepolitisches Ziel angestrebt wird, sollte die Bemessungsgrundlage möglichst mit dem Tatbestand zusammenfallen, durch dessen Förderung das Ziel erreicht wird. Soll beispielsweise ein umweltfreundliches Produkt vermehrt produziert und verkauft werden, muß die Subvention an diesem Produkt ansetzen. Sollen industrielle Arbeitsplätze in einer Region entstehen, muß die Subvention auf die Errichtung solcher Arbeitsplätze bezogen sein. In der Praxis werden die Subventionen aber häufig nicht an dem relevanten Tatbestand bemessen. Meistens werden sie als Investitionshilfen oder zur Deckung anderer Ausgaben gewährt. Man geht dann davon aus, daß durch die Investition die Ziele erreicht werden, also z.B. die gewünschten Arbeitsplätze geschaffen oder Emissionen verringert oder neue Forschungsergebnisse erzielt werden. Auch wird mit der Subvention von Investitionen weniger ein negatives Bild in der Öffentlichkeit erzeugt als mit der di-

3

Meinhold, W., Subventionen, in: HdSW, Bd. 10, S. 244.

198

II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

rekten Subventionierung von z.B. Einkommen oder Arbeitsplätzen, weil die Investitionstätigkeit an sich meist positiv bewertet wird. Je nachdem ob die Bemessungsgrundlage in realen oder monetären Größen ausgedrückt wird, hat man es mit stück- bzw. mengenbezogenen Subventionen oder mit Wertsubventionen zu tun. Die Wirkungsweise einer Stücksubvention und einer Wertsubvention soll nachfolgend am Beispiel der Subventionierung umweltfreundlicher Produkte und am Beispiel der Subventionierung emissionsmindernder Investitionen für einen Wettbewerbsmarkt (Polypol) gezeigt werden.

10.2.3 Wirkungsweise von Stück- und Wertsubventionen am Beispiel der Subventionierung umweltfreundlicher Produkte und emissionsmindernder Investitionen Eine Subventionierung umweltfreundlicher Produkte ist z.B. als Subvention pro ausgebrachter Mengeneinheit, also als Stücksubvention möglich. Für den Anbieter ist das gleichbedeutend mit einer Senkung seiner Grenzkosten K' auf K'g (vgl. Abb. 10/1). Der Anbieter erhöht dann beim Marktpreis p M seine angebotene Menge x ^ auf Xg. Erhalten alle Anbieter bei Erfüllung der Subventionsbedingungen die Subvention, so verlagert sich auf dem Markt für das Gut wegen der gesunkenen Kosten die Angebotskurve A nach A§ in den Bereich größerer Mengen (vgl. Abb. 10/2). Dadurch sinkt der Marktpreis von p M auf pg, was mit einer entsprechenden Erhöhung der nachgefragten Menge von X] auf X2 einhergeht. Die Senkung des Marktpreises hat allerdings wiederum eine Rückwirkung auf das einzelne Unternehmen, das sich nämlich einer Preissenkung gegenüber sieht. Der neue Marktpreis p§ zwingt daher die einzelnen Anbieter, ihre angebotenen Mengen entsprechend den Grenzkosten wieder einzuschränken, so daß in Abb. 10/1 das Unternehmen nur noch die Menge xg' anbietet. Ein solcher Anpassungsprozeß läuft sukzessive auf dem Markt ab. Im Ergebnis wird aufgrund der Subvention mehr von dem umweltfreundlichen Gut angeboten als ohne Subvention, und der Anbieter kann seine Gewinn- und Wettbewerbssituation zumindest vorübergehend verbessern. Für den Fall, daß das umweltfreundliche Produkt zu höheren Kosten produziert werden muß als ein umweltschädliches Konkurrenzprodukt, wirkt die Subvention den höheren Kosten entgegen. Die Subvention hat eine Wettbewerbsverbesserung des subventionierten Unternehmens zur Folge. Der Subventionszweck ist erreicht. Statt als Stücksubvention kann die Subvention auch als Wertsubvention ausgestaltet sein. Dann wird z.B. auf den am Markt erzielten Umsatz eine Subvention gezahlt. Auch dadurch sinken die Grenzkosten des Anbieters und die Marktangebotskurve verlagert sich nach rechts in den Bereich größerer Mengen, was einen niedrigeren Marktpreis zur Folge hat (vgl. Abb. 10/3).

10. Subventionen

Abb. 10/1: Wirkung einer Stücksubvention auf die Grenzkosten eines Unternehmens (Mengenanpasser)

Abb. 10/2: Wirkung einer Stücksubvention auf einem Wettbewerbsmarkt

199

200

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Abb. 10/3: Wirkung einer Subvention auf den Umsatzwert (Wertsubvention) auf einem Wettbewerbsmarkt und dadurch bedingter gesamtwirtschaftlicher Effizienzverlust

Die heute in der Praxis wohl verbreiteste staatliche Subvention ist diejenige, die an den Investitionen der Industrie, d.h. an den Anlagen ansetzt. Es handelt sich um eine Wertsubvention. Die Subventionierung beispielsweise einer Umweltschutzinvestition stellt einen Anreiz dar, die Investition vorzunehmen; denn die Investitionszuschüsse senken die Kosten. Oder auch die umweltschutzbedingten höheren Investitionskosten werden durch die Subvention teilweise oder ganz ausgeglichen, so daß die alte Markt- und Wettbewerbssituation erhalten bleibt. Die Subventionierung von Anlagen stellt eine Subventionierung von Fixkosten dar. Folglich hat sie keine Auswirkungen auf die Grenzkosten und somit auch - ceteris paribus - keine auf das Angebot am Markt. Abb. 10/4 zeigt für einen linearen Gesamtkostenverlauf, daß die Subvention S die Stückkosten von k auf k s reduziert. Davon wird aber die Produktionsmenge an der Kapazitätsgrenze Kap. nicht tangiert. Entsprechendes veranschaulicht Abb. 10/5 für eine S-förmige Gesamtkostenkurve mit steigenden Grenzkosten. Hier wird beim Marktpreis p M die Menge x M produziert und angeboten, unabhängig davon, ob eine Subvention gezahlt wird oder nicht. Die Subvention bewirkt beim Unternehmen einen Gewinnanstieg um Gg. In beiden Fällen (Abb. 10/4 und 10/5) führt die Senkung der Stückkosten von k auf k s infolge der Subvention S zur Erhöhung des Gewinns. Oder aber, wenn der Marktpreis an der langfristigen Preisuntergrenze (vgl. Punkt 1) liegt, so daß kein Gewinn anfällt,

10. Subventionen

201

würde die Subvention das Unternehmen in die Gewinnzone führen. Entsprechend sinkt die langfristige Preisuntergrenze durch die Subvention (vgl. Punkt 2 in Abb. 10/4 und 10/5). 10.2.4 Wirkungsproblematik Eine Voraussetzung für den Erfolg jeder Subvention ist, daß der Staat den zu fördernden Tatbestand eindeutig bestimmen kann. Wenn diese Fähigkeit auch meist vorausgesetzt wird, so ist das doch keineswegs sicher. Es dürfte nicht immer leicht sein, z.B. umweltfreundliche Produkte eindeutig zu identifizieren und den Zusammenhang zwischen Investitionen und Emissionsreduzierung zu kennen. Mit Subventionen sind Opportunitätskosten verbunden. De facto wird aber nie gefragt, ob eine Subvention an anderer Stelle hätte effizienter eingesetzt werden können. Es ist praktisch unmöglich, bei der Vielzahl praktizierter Subventionen Opportunitätskostenrechnungen anzustellen. Naheliegender dagegen ist es, speziell nur zu analysieren, welche Diskriminierungseffekte auftreten; denn in der Regel benachteiligt eine Subvention Dritte, sei es durch Vorenthaltung der Vorteile, sei es, daß diese die Finanzmittel dafür aufbringen müssen. Dabei müssen oft die Leistungsstarken die Gelder bereitstellen, wodurch sie in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden können, ohne daß damit unbedingt eine größere Leistungsfähigkeit bei den leistungsschwächeren Subventionsempfängern verbunden ist. In Abb. 10/3 wird deutlich, daß eine Subvention zu einem gesamtwirtschaftlichen Effizienzverlust führt. Eine Subvention auf z.B. bleifreies Benzin erhöht die abgesetzte Menge x. Der gesamtwirtschaftliche Kostenzuwachs für x j ~ x i ergibt sich als Fläche unter der Angebotskurve A (Integral über die aggregierten, individuellen Grenzkostenkurven), der Nutzenzuwachs wird entsprechend durch die Fläche unter der Nachfragekurve (Integral über die aggregierten, individuellen Grenznutzenkurven) für den Bereich X2 - Xj angegeben. Die schraffierte Fläche in Abb. 10/3 zeigt als Differenz der beiden Größen den gesamtwirtschaftlichen Effizienzverlust der Subvention an. Der gesamtwirtschaftliche Effizienzverlust wird hier für eine Marktlösung ermittelt, wobei davon ausgegangen wird, daß die Angebots- und Nachfragekurven die wirklichen und vollständigen Kosten und Nutzen wiedergeben, was voraussetzt, daß alle externen Effekte internalisiert sind. Das sind wenig realistische Voraussetzungen. Trotzdem zeigen die Überlegungen, daß im Falle von Subventionen mit solchen Effizienzverlusten gerechnet werden muß. Dafür spricht auch, daß Subventionen immer die Preisrelationen verändern, so daß dadurch auch die Knappheitsverhältnisse und die Marktergebnisse geändert werden. Subventionen sind somit stets auch ein Eingriff in die Märkte. Es wird daher gefordert, Subventionen nur unter sehr speziellen Voraussetzungen, z.B. bei Marktversagen, und in marktkonformer Weise

202

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einzusetzen. 4 Allerdings wird unabhängig davon auch argumentiert, daß Subventionen immer noch besser mit einer Marktwirtschaft vereinbar sind als Zwangsmittel, weil die private Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte und die preisliche Steuerung grundsätzlich erhalten bleiben. Bezüglich der Anreizwirkung der Subventionen läßt sich fragen, wie hoch denn der Anreiz sein muß, damit auch wirklich eine Verhaltensänderung eintritt. Bleibt eine Subvention unter den umweltschutzbedingten zusätzlichen Investionskosten, müssen offensichtlich zusätzliche Gründe für die Investition sprechen, wenn sie realisiert werden soll. Da Subventionen in der Regel nur einen mehr oder weniger geringen Prozentsatz der Gesamtinvestitionen ausmachen, sind für die Durchführung der Investition eher andere Maßnahmen oder Bedingungen ausschlaggebend. Hierbei kann es sich um staatliche Maßnahmen oder z.B. besondere Entscheidungssituationen des Unternehmens handeln. In diesem Sinne zeigen beispielsweise Unternehmensbefragungen zum Stellenwert von Subventionen immer wieder, daß diese bei Investitions- und Standortentscheidungen von Unternehmen keineswegs eine hohe Priorität im Katalog der Entscheidungskritierien einnehmen. 5 Vielmehr scheinen Mitnahmeeffekte zu überwiegen, d.h. das staatlich erwünschte Verhalten hätte sich auch ohne Subventionen eingestellt. Das schließt allerdings nicht aus, daß bei sonst gleichwertigen Investitionsalternativen die Subventionen dann doch den Ausschlag geben können. Ein weiteres Problem speziell bei Investitionszuschüssen ist, daß häufig ein Tatbestand begünstigt wird, der gar nicht gemeint ist. Das trifft z. B. auf den Fall zu, daß Emissionen reduziert werden sollen, die Produktionsanlagen aber subventioniert werden. Es ist nicht sichergestellt, daß die subventionierten Produktionsanlagen nachher auch tatsächlich die erwartete Emissionsreduzierung bringen. Solche Subventionen verleiten außerdem dazu, aufwendigere Investitionen vorzunehmen, weil diese hohe Subventionsbeträge bringen. Der technische Fortschritt wird dadurch vielleicht in eine falsche Richtung gelenkt, und durch aufwendige Baumaßnahmen werden vielleicht neue Umweltbelastungen an anderer Stelle erzeugt (z.B. großer Flächenverbrauch).

4 5

Vgl. hierzu näher Holzem, R., Industriepolitik und Wirtschaftsordnung, a.a.O. Vgl. z.B. Fürst, D., Zimmermann, K., Hansmeyer, K.-H., Standortwahl industrieller Unternehmen, Bonn 1973. Brösse, U., Industrielle Zulieferbeziehungen als Standortfaktor, Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Forschungs- und Sitzungsberichte Bd. 65, Hannover 1971, S. 39 ff.

10. Subventionen

203

Abb. 10/4: Wirkung einer Fixkostensubvention (z.B. Anlagensubvention) auf den Gewinn eines Unternehmens bei linearer Gesamtkostenkurve

Kap.

x

204

0

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

10. Subventionen

205

Darüber hinaus wird das Ziel manchmal mit einem höheren Subventionsaufwand angestrebt, als zur Zielerreichung erforderlich wäre. Das läßt sich für die Subventionierung einer reduzierten Emissionsmenge im Vergleich mit einer Abgabe zeigen. Wird eine Subvention für die Reduktion von Emissionen gezahlt, so stellt das für einen Betrieb einen ökonomischen Anreiz zum Umweltschutz dar; denn die Kosten der Emissionsvermeidung werden in Höhe der Subvention vom Staat getragen. Gemäß Abb. 10/6 bewirkt ein Subventionssatz von A DM pro vermiedener Emissionseinheit eine Reduzierung der Emission von Eo auf E§; denn die Subvention (Subventionssatz A multipliziert mit der Emissionsverringerung Eo-E s ) ist größer als die Vermeidungskosten (Fläche EgBEo unter der Grenzvermeidungskostenkurve). Es stellt sich somit bezüglich der Emissionsvermeidung das gleiche Ergebnis ein wie mit einer Abgabe in Höhe von A. Ein entscheidender Unterschied besteht allerdings bezüglich der Kosten, die durch die Subvention für den Staat und die Allgemeinheit entstehen; denn das Unternehmen erlangt zusätzlich einen finanziellen Vorteil, für den es keine Gegenleistung erbringt. Der Staat könnte dasselbe Emissionsreduktionsergebnis auch mit dem niedrigeren Subventionssatz S erreichen. Dann wäre nämlich die Subvention insgesamt gerade gleich den Vermeidungskosten (Gleichheit der schraffierten Flächen in Abb. 10/6). Hier zeigt sich noch ein anderes Problem. Es muß damit gerechnet werden, daß die Ankündigung einer Subvention die Unternehmen veranlaßt, möglichst hohe Anfangsemissionen auszuweisen. In vielen Fällen, z.B. bei der Errichtung neuer Anlagen, wird man kaum hypothetische Werte für Anfangsemissionen unterstellen können, so daß die notwendigen Informationen fehlen. Subventionen, die an den vermiedenen Emissionen ansetzen, sind z. Zt. industriepolitisch nicht aktuell. U.a. die praktischen Informationsprobleme dürften hierfür ein Grund sein. Daß aber der Staat gegenüber solchen Subventionen im Einzelfall nicht ablehnend ist, zeigt das Beispiel des Wasserspfennigs in Baden-Württemberg. Dort müssen Wassernutzer einen "Wasserpfennig" zahlen, der unter gewissen Bedingungen als Subventionszahlung an diejenigen Landwirte fließt, die zur Reinhaltung der Gewässer in Wasserschutzgebieten weniger Düngemittel und Pestizide einsetzen und dadurch Einbußen bei ihren Erträgen haben. 6 Hier wird die vermiedene Emission gewissermaßen durch den Verlust an Erträgen ausgedrückt und daran die Subvention geknüpft.

6

Vgl. Hansmeyer, K.-H., Ewringmann, D., Der Wasserpfennig, Berlin 1987.

206

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Abb. 10/6: Wirkung einer Subvention auf die Emissionsvermeidung eines Unternehmens und Vergleich mit der Wirkung einer Abgabe K' ' K

V B

A

S

D

C

>

Anlagensubventionen können aber noch mehr Schwächen haben. Das läßt sich für unterschiedliche Typen von Umweltschutzanlagen zeigen. Es gibt Anlagen eines ersten Typs, die nachträglich die entstandenen Emissionen beseitigen, allerdings in der Regel wiederum Reststoffe erzeugen, die an die Umwelt abgegeben werden müssen. Typische Beispiele sind Kläranlagen und Müllverbrennungsanlagen (Endof-Pipe-Lösungen). Diesen Anlagen stehen als zweiter Typ integrierte Reinigungsanlagen gegenüber, bei denen die Emissionen erst gar nicht oder in einem geringeren Ausmaß entstehen. Schließlich sind Anlagen der nachträglichen Reinigung als ein dritter Typ denkbar, deren Reststoffe wieder verwertbare Wertstoffe darstellen, die wie jedes normale Produkt am Markt verkauft werden können. Die Subventionierung der Anlagen des ersten Typs dient zwar eindeutig dem Umweltschutz; es wird aber kaum ein Anreiz zur Vermeidung der im Produktionsprozeß entstandenen Schadstoffe gesetzt. Außerdem können in diesen Anlagen neue Schadstoffe anfallen. Auch wird die Meinung vertreten, daß es effizienter ist, Schadstoffe erst gar nicht bzw. in geringeren Mengen entstehen zu lassen als sie nachträglich zu entsorgen. 7 Anlagen der integrierten Reinigung verbinden meist Produktivitätsfortschritte mit Fortschritten im Umweltschutz. Diese beiden Effekte sind in der Praxis finanziell

Vgl. hierzu Schneider, W., Steuern und Subventionen als umweltpolitische Instrumente, Dissertation Hannover 1977, S. 148 ff.

10. Subventionen

207

nicht auseinanderzuhalten, so daß eine Subventionierung leicht auch eine nicht beabsichtigte Hilfe bei der Produktivitätssteigerung eines Unternehmens darstellt. Das ist aber ein Effekt, der durch den Markt herbeigeführt werden soll und nicht unbedingt durch Umweltschutzsubventionen. Analoges gilt für den dritten Anlagentyp. In diesem Fall können aus dem Verkauf der Produkte Erlöse erzielt werden, so daß wiederum offen bleibt, inwieweit umweltschutzbedingte Subventionen gerechtfertigt sind. Wenn durch Subventionen negative externe Effekte internalisiert werden sollen, dann geschieht das nicht individuell über die Belastung der Verursacher, sondern kollektiv über den Staatshaushalt. Werden z.B. Unternehmen Subventionen in Höhe der von ihnen verursachten negativen externen Effekte für den Fall der Vermeidung dieser Effekte zugesagt, so ist das ein Anreiz zu einer entsprechenden Verhaltensänderung. Während aber bei einer Abgabe ein Unternehmen individuell als Verursacher die Kosten zu tragen hat, werden diese bei der Subvention auf die Allgemeinheit abgewälzt. Positive externe Effekte werden gerne von potentiellen Subventionsempfängern als Argument für Subventionen ins Feld geführt. Beispielsweise dient die nationale Versorgungssicherheit als Argument für Subventionen zur Unterhaltung einer teuren nationalen Energiereserve. Dienen Subventionen zur Realsierung bestimmter industriepolitischer Ziele, z.B. der erwähnten nationalen Sicherheit, so werden sie häufig mit höheren Kosten - im Vergleich zur Konkurrenz - begründet. Weitere Beispiele für Begründungen liefern inländische Umweltauflagen, die für die ausländische Konkurrenz nicht bestehen, und höhere Transportkosten für Unternehmen in peripheren Gebieten. In diesen Fällen können Subventionen die Wettbewerbsbedingungen angleichen. Subventionen erscheinen weniger problematisch im Falle kurzfristiger, vorübergehender Maßnahmen. Die Gefahr besteht aber, daß eine solche Politik den Staat und die Allgemeinheit auf Dauer teuer zu stehen kommt, wenn Subventionen zu Dauersubventionen werden und Folgesubventionen nach sich ziehen. Unter dem Schutz von Subventionen können notwendige Marktanpassungen verhindert werden, so daß der Subventionstatbestand erhalten bleibt. Das rent seeking verspricht mehr Erfolg als der Wettbewerb. Die Konkurrenz, die keine Subventionen erhält, wird eine Gelegenheit suchen, sie ebenfalls zu bekommen. Mit neuen Entwicklungen, z.B. größeren Märkten, neuen Wettbewerbern, neuen Techniken, entstehen neue Probleme und somit neue Subventionsforderungen. Es besteht die Tendenz des Ingangkommens einer Subventionsspirale, was schließlich auch dadurch begünstigt wird, "daß bei der Entscheidung über eine etwaige Reduzierung oder Streichung einer Subvention vor allem die unmittelbaren Beschäftigungs- und Einkommenseinbußen bei den bisher Geförderten große Aufmerksamheit genießen. Dies kommt daher, daß zum Zeitpunkt des Entscheidungsprozesses diese in Form von Arbeitsplatzverlusten auf-

208

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

tretenden "Kosten" des Subventionsabbaus für jedermann leicht zu erkennen sind und außerdem mit relativ großer Genauigkeit auch beziffert werden können. Im Unterschied hierzu sind die positiven Einkommens- und Beschäftigungswirkungen eines Subventionsabbaus für die restliche Volkswirtschaft breit gestreut und können deshalb weder vollständig noch quantitativ widerspruchsfrei sichtbar gemacht werden". 8 Allerdings darf man bei alledem nicht vergessen, daß letztlich doch die steuerliche Belastbarkeit der Wirtschaft und die leeren Kassen des Staates den Einsatz des Instruments der Subventionen begrenzen.

10.3 Die praktische Bedeutung von Subventionen 10.3.1 Gründe für die starke Verbreitung Subventionen sind ein bei Politikern und Empfängern sehr beliebtes und in der EU sehr verbreitetes Instrument - trotz der aufgezeigten Wirkungsproblematik. Für den Staat sind Subventionen ein Instrument des "goldenen Zügels", das den zuständigen Behörden und Trägern der Politik Macht, Einfluß und Ansehen gewährt. Mit Geld läßt sich gut machtvoll intervenieren. Mit einer Reaktion in Form von Investitionen, Betriebsneugründungen, neuen Arbeitsplätzen u.a. kann in der Regel zumindest kurzfristig oder vorübergehend gerechnet werden. Dabei handelt es sich um medienund öffentlichkeitswirksame Effekte, die Wählerstimmen versprechen. Subventionen sind flexibel ausgestaltbar und relativ schnell einsetzbar und so für die Politik geeignet, um auf Unzufriedenheit reagieren zu können. Sie ermöglichen den punktuellen Eingriff, die gezielte Besänftigung politischer Klientel und potentieller Träger von Protestaktionen, die das politische Klima zuungunsten der Regierung verändern können. Wenn z.B. die Industrie gegen strenge, zwingende Umweltschutzauflagen zu opponieren droht, können entsprechende Investitionshilfen zur Besänftigung beitragen. Gesamtwirtschaftliche Überlegungen der Politik treten dabei zugunsten von Einzelinteressen zurück. "Der - vor allem zum Zeitpunkt der Einführung - meist hohen Erkennbarkeit der Subventionen beim Empfänger entspricht keine vergleichbare Erkennbarkeit auf der Kostenseite, was politisch sehr vorteilhaft ist."9 Denn die Last verteilt sich auf die Allgemeinheit, so daß jeder einzelne durch eine Subvention vermeintlich nur marginal belastet wird. Eine Opposition der einzelnen Steuerzahler gegen Subventionen findet deshalb kaum statt und führt auch nicht mehrheitlich zu ihrem organisatorischen Zusammenschluß gegen Subventionen. Außerdem sind die gesamtwirtschaftlichen Vor- und Nachteile von Subventionen praktisch nicht durchschaubar.

9

Zippel, W., Die ordnungspolitischen Probleme von Subventionen und die Beihilferegeln von EGKSV und EWGV, in: Zippel, W. (Hrsg.), Ökonomische Grundlagen der europäischen Integration, München 1993, S. 67. Andel, N„ Subventionen, in: HdWW, Bd. 7, S. 505.

10. Subventionen

209

Für die Empfänger bieten Subventionen offensichtlich den Vorteil, daß sie für ein staatlich erwünschtes Verhalten belohnt werden.

10.3.2 Zahlen und Informationen zu den Subventionen in Deutschland und der EU Eine vollständige statistische Erfassung aller Subventionen ist äußerst schwierig, weil sich sogenannte versteckte Subventionen kaum ermitteln lassen und die Berechnung von Wertäquivalenten für "Verordnungssubventionen" ein wohl kaum zu überwindendes Hindernis darstellt. Relativ gute Informationen liefern die Subventionsberichte der Bundesregierung. Sie sind nach § 12 des Stabilitäts- und Wachstumgesetzes (StWG) alle zwei Jahre über "Bundesmittel, die für bestimmte Zwecke an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung gegeben werden, insbesondere Finanzhilfen" zu erstellen. Diese Formulierung läßt bereits erkennen, daß ein Teil der Subventionen, z.B. die Finanzhilfen an Bahn und Post, in den Berichten fehlen. Die Zahlen über Subventionen der Länder und Gemeinden beruhen auf pauschalen Angaben der Länder und Schätzungen und werden insoweit in den Subventionsberichten mit aufgeführt. "Alle Länder stellen für den Subventionsbericht der Bundesregierung Zahlen über die zentralen Datenstellen der Länderfinanzministerien zur Verfügung... Einige Länder erstellen darüber hinaus eigene Subventionsberichte. Die Definition des Subventionsbegriffs stellt dabei ein spezifisches Problem dar, weil die Länder durch § 12 StWG nicht gebunden sind und auch keine vergleichbaren gesetzlichen Vorschriften für die Länder existieren." 10 Die erwähnte Beliebtheit der Subventionen spiegelt sich in der Subventionssumme und ihrer Entwicklung im Zeitablauf wieder (vgl. Tab. 10/1). In nur 10 Jahren von 1970 bis 1980 verdoppelten sich die Subventionen. Eine weitere Verdoppelung erfolgte von 1980 bis 1995, ohne Berücksichtigung der neuen Bundesländer. Mit diesen steigen die Subventionen in Deutschland 1995 auf rund 116 Mrd. DM. Dabei ist der Anteil der Länder und Gemeinden deutlich höher als der des Bundes. Für die gewerbliche Wirtschaft werden detaillierter nur die Finanzhilfen des Bundes in den Subventionsberichten ausgewiesen. Auch sie zeigen seit 1970 einen starken Anstieg von 3,7 Mrd. DM auf etwa 15 Mrd. DM im Jahre 1990 und auf über 23 Mrd. DM für 1996 (geplant) (vgl. Tab. 10/2). Ihr Stellenwert für die deutsche Industriepolitik kommt auch darin zum Ausdruck, daß der Anteil an den Subventionen des Bundes insgesamt von etwa 26 % im Jahre 1970 auf rund 55 % im Jahre 1996 (geplant) angestiegen ist. Die Schwerpunkte der Subventionierung ergeben sich aus Tab. 10/2. Die größten Posten entfallen auf den Bergbau bzw. die Verstromungshilfen und die regionalen Strukturmaßnahmen. Von diesen wird besonders auch die gewerbliche Wirtschaft begünstigt. 10

15. Subventionsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 13/2230 vom 01.09.1995, S. 253.

210

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Tab. 10/1: Gesamtvolumen der Subventionen von Bund, Ländern, Gemeinden, ERP und EU von 1970-1995, in Mrd. DM1' 1970

1980

19902)

1994

19953)

I. Bund Finanzhilfen 12.5 14.2 19.7 7.8 18.7 (darunter neue Länder) 8 9.3 Steuervergünstigungen 11.9 15.4 16.6 6.2 16.7 (darunter neue Länder) 5.2 6.3 II. Länder und Gemeinden Finanzhilfen 6.8 13.1 16.2 27.4 31.2 (darunter neue Länder) 11.6 9.6 Steuervergünstigungen 14 6.6 18 22.3 22.9 (darunter neue Länder) 7.5 9.9 III. ERP-Finanzhilfen 1.1 2.7 5.6 13.6 10.5 (darunter neue Länder) 7.1 9.8 IV. Marktordnungsausgaben der EU 2.9 6.2 9.5 12.7 12.2 Subventionen insgesamt (Summe I-IV) 60.4 31.4 78.9 106.9 116.2 (darunter neue Länder) 37.4 46.9 " 1970 -1990 früheres Bundesgebiet, ab 1991 gesamtes Bundesgebiet 2) Einschließlich der in den Haushaltsnachträgen veranschlagten Finanzhilfen für die neuen Länder 3) Finanzhilfen = Haushaltssoll Quellen: 14. Subventionsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 12/5580 vom 26.08.1993, S. 18. 15. Subventionsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 13/2230 vom 01.09.1995, S. 21.

Ein Bild von der Intensität der Subventionierung liefern spezifische Größen wie z.B. die Subventionen je Erwerbstätigem (vgl. Tab. 10/3). Abgesehen von dem Sektor Landwirtschaft, Fischerei und Forsten führen der Steinkohlenbergbau, der Schiffbau und die Luft- und Raumfahrttechnik die Liste der Subventionsempfänger an. Mit Beträgen zwischen 10 000 und 30 000 DM je Erwerbstätigem liegen die Werte weit über dem Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche von unter 900 DM je Erwerbstätigem, wobei dieser allgemeine Durchschnittswert für die neuen Bundesländer allerdings wesentlich höher ist (vgl. Tab. 10/3). Dem tendenziellen Sinken des Durchschnittswerts in den alten Ländern steht ein Anstieg in den neuen Ländern gegenüber.

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212

II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Tabelle 10/3: Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes nach Wirtschaftsbereichen je Erwerbstätigem, 1970-1993 in DM1' 1970 Landwirtschaft, Fischerei, Forsten Steinkohlenbergbau Schiffbau Luft- und Raumfahrttechnik Alle Wirtschaftsbereiche -alte Länder -neue Länder " Früheres Bundesgebiet

1980

1990

1992

2102 2130 368 3659

2618 14052 4379 6889

5793 25511 10583 17182

8765 30778 17343 12205

526

907

1058

886 1621

1993

-

810 1940

Quelle: 15. Subventionsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 13/2230 vom 01.09.1995, S. 17.

Tabelle 10/4: Der Anteil der Subventionen für die gewerbliche Wirtschaft1' an der Bruttowertschöpfung des Bundes und des Produzierenden Gewerbes 1970 -1994 2) 1970 31.4

1980 60.4

1990 78.9

19943) 69.5

Subventionen in Mrd. DM Bruttowertschöpfung in Mrd. DM des Bundes 627.97 1361.99 2246.05 2729.07 des Produzierenden Gewerbes 333.7 624.8 939.4 1013.4 Anteil der Subventionen an der Bruttowertschöpfung in % des Bundes 5.0 4.4 3.5 2.5 des Produzierenden Gewerbes 9.4 9.7 8.4 6.9 " Gesamtvolumen der Subventionen von Bund, Ländern, Gemeinden, ERP und EU 2) Früheres Bundesgebiet 3) Vorläufiges Ergebnis Quellen: Statistisches Bundesamt (Hrsg), Statistisches Jahrbuch 1995, Wiesbaden 1995, S. 659-660. 15. Subventionsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 13/2230 vom 01.09.95, S. 21.

10. Subventionen

213

Tabelle 10/5: Staatliche Beihilfen im Verarbeitenden Gewerbe in der EU in Preisen von 1991, Jahresdurchschnitte 1990-1992 und 1988-1990 Prozent der Wertschöpfung 1988-1990

Belgien Dänemark Deutschland*

5.0 2.3 2.6

Mio. ECU

1990-1992 1988-1990 1990-1992 1988-1990 1990-1992

4.3 2.0 2.1

1744

1527

1280

685 1099

638 979 4385

365 8488

2420 1080

1579 493

1764

1032

1138 1411

2902 6424

1349 5044 307 12526

n.v.

Neue Bundesländer

Griechenland Spanien

ECU pro Beschäftigtem

1119 336 7134 4848

16.9 3.7 3.7

12.3

2.9

Italien Luxemburg

3.9 7.8 3.4

1449 1821

8.9 4.1

2425 1369

2611 1573

389 12162 51

Niederlande

3.2

2.6

1266

978

1177

929

Portugal 7.3 5.2 Vereinigtes Kö1.9 1.5 nigreich EUR 12 3.8 3.7 * in den Grenzen vor Oktober 1990

911 756

625 525

736 4067

479 2661

1372

1293

40704

37822

Frankreich Irland

1.7 3.0

58

Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vierter Bericht der Kommission über staatliche Beihilfen in der Europäischen Union im verarbeitenden Gewerbe und in einigen weiteren Sektoren, KOM (95) 365 endg., vom 26.07.1995, S. 10

"Die Berücksichtigung allein der Bundessubventionen unterzeichnet jedoch die Subventionsintensität in einzelnen Wirtschaftszweigen ganz erheblich. Bezieht man beim Steinkohlenbergbau zusätzlich die Subventionen der Bergbauländer ein, dann wurden 1992 je Erwerbstätigem im Steinkohlenbergbau 43 348 DM an staatlichen Subventionen gezahlt; unter Berücksichtigung des Verstromungsfonds belief sich dieser Betrag auf 92 910 DM. Unter Einbeziehung der Subventionen der Länder sowie der EU-Marktordnungsausgaben entfielen in der Landwirtschaft 1992 auf jeden Erwerbstätigen 30 013 DM."11 Berücksichtigt man das Wachstum der Wirtschaft, so stellt man allerdings einen stetigen Rückgang des Anteils der Subventionen des Bundes für die gewerbliche 11

Ebenda, S. 17.

214

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Wirtschaft an der Bruttowertschöpfung fest (vgl. Tab. 10/4). Der Anteil halbierte sich etwa in den letzten 25 Jahren, d.h. daß die Bedeutung der Subventionen für den Wachstumsprozeß, relativ gesehen, tendenziell rückläufig ist. Die große Bedeutung der Subventionen als industriepolitisches Instrument wird auch an den Subventionszahlungen der anderen Staaten der EU deutlich. Tab. 10/5 zeigt den hohen Stand einzelstaatlicher Beihilfen im verarbeitenden Gewerbe in Europa. Der Anteil an der Wertschöpfung in der EU beträgt durchschnittlich fast 4 %, wobei allerdings zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Abweichungen bestehen. Sie finden ihren Ausdruck auch in der spezifischen Größe "Beihilfen pro Beschäftigtem". "Obwohl die Zahlen sehr vorsichtig interpretiert werden müssen, lassen sie die Schlußfolgerung zu, daß der Beihilfeumfang in der Gemeinschaft während der letzten beiden Berichtsjahre eine insgesamt sinkende Tendenz aufweist." 12 Ein unmittelbarer Vergleich der Daten mit den Angaben aus den deutschen Subventionsberichten ist allerdings nicht möglich, weil die Abgrenzung der Sektoren (nur verarbeitendes Gewerbe ohne Schiffbau durch die EU erfaßt) nicht identisch ist, gleitende Dreijahresdurchschnitte zur besseren Vergleichbarkeit gewählt wurden und eine Umrechnung in ECU erfolgte. Auch in der EU entfällt ein hoher Anteil der Subventionen auf den gewerblichen Sektor. Von den im 4. Beihilfenbericht der Europäischen Kommission erfaßten Subventionen begünstigen im Durchschnitt gut 40 % das verarbeitende Gewerbe. Wie Tab. 10/6 erkennen läßt, ist die Schwankungsbreite zwischen den Staaten groß. Vor allem Griechenland (geschätzte Zahlen), Irland, Italien und Portugal fördern schwergewichtig den verarbeitenden Sektor. Nimmt man allerdings die Kohlesubventionen hinzu, so wächst der prozentuale Anteil des produzierenden Gewerbes in den kohlenproduzierenden Ländern stark an. Eine Interpretation der Zahlen unter industriepolitischen Gesichtspunkten wird dadurch erschwert, daß die Subventionen an die Industrie mit unterschiedlicher Zweckbestimmung erfolgen. Die europäische Kommission unterscheidet eine horizontale, eine sektorale und eine regionale Zweckbestimmung. Beihilfen der ersten Gruppe betreffen Forschung und Entwicklung, Umwelt, kleine und mittlere Unternehmen, Handel/Export, Energieeinsparung und sonstige Zwecke. Unter die sektoralen Zweckbestimmungen fallen vor allem der Schiffbau und weitere Sektoren. Mit den regionalen Zweckbestimmungen sind regionalpolitische Zielsetzungen gemeint, wobei es um die Förderung zurückgebliebener oder altindustrieller Regionen geht, also z.B. um die Förderung der Ansiedlung neuer, zukunftsorientierter Industriezweige. Wenn es auch nicht immer möglich ist, einer Subvention eine eindeutige Zweckbestimmung zuzuordnen, so stellt die Europäische Kommission doch fest, 12

Kommission der EU, 4. Bericht der Kommission über staatliche Beihilfen in der Europäischen Union im verarbeitenden Gewerbe und in einigen weiteren Sektoren, KOM (95) 365 endg. vom 26.07.1995, S. 7.

10. Subventionen

215

daß im Durchschnitt der EU die regionale Zweckbestimmung mit inzwischen rund 50 % Anteil überwiegt und die sektoralen Zweckbestimmungen deutlich auf 12 % im Zeitraum 1990 bis 1992 gesunken sind. 13 Damit bleiben die horizontalen Zweckbestimmungen bei etwa 40 % relativ konstant. Die sektoralen Beihilfen werden von der Kommission als "besonders nachteilige Beihilfen" gewertet, 14 weil sie den Wettbewerb verfälschen. Die anderen Beihilfen werden dagegen eher als ökonomisch berechtigt oder notwendig angesehen, weshalb die aufgezeigte Tendenz positiv gewertet wird. Die einzelstaatlichen Subventionen werden durch Beihilfen der EU ergänzt (vgl. Tab. 10/7). Sie kommen aus den Gemeinschaftsfonds (Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft - Abteilung Garantien; Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft - Abteilung Ausrichtung; Sozialfonds; Regionalfonds; Kohäsionsfonds) und anderen Aktivitäten (gemeinschaftliche Forschungs- und Entwicklungsförderung, sonstige finanzielle Maßnahmen). Die beiden erstgenannten Fonds betreffen die Landwirtschaft und sind industriepolitisch nicht relevant. Der Kohäsionsfonds aufgrund des Maastrichter Vertrags kommt den Staaten zugute, deren Bruttosozialprodukt erheblich unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegt, und dient der Finanzierung von Maßnahmen in den Bereichen Umwelt und transeuropäische Netze. Ziel des Sozialfonds ist die Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Leute und andere förderungswürdige Gruppen. Daher leistet der Fonds Beiträge zur Finanzierung von privaten und staatlichen Maßnahmen in den Bereichen der Berufsausbildung, der Lohnzuschüsse und der technischen Beratung im Zusammenhang mit der Arbeitsplatzbeschaffung. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) soll zum Ausgleich der regionalen Unterschiede in der Gemeinschaft beitragen, indem er Gebiete mit verzögerter Entwicklung, im Niedergang befindliche Industrieregionen und ländliche Problemgebiete finanziell unterstützt. Die Schwerpunkte dieser Unterstützung liegen bei Anlageninvestitionen, Infrastrukturinvestitionen und der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen. Mittel für die gemeinschaftliche Forschung werden vor allem von der Generaldirektion XII (Wissenschaft, Forschung und Entwicklung) und der Generaldirektion XIII (Telekommunikation, Informationsmarkt und Nutzung der Forschungsergebnisse) verwaltet. Der Großteil ist für Hochschulen, Forschungszentren und die Industrie bestimmt.

13 14

Vgl. ebenda, Tab. 7, S. 27. Vgl. ebenda, S. 45.

216

II. Teil Ausgewählte

Insgesamt

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12. Immissionsschutzpolitik

257

Staub ist die Sammelbezeichnung für die Gesamtheit der Feststoffe. Er liegt heutzutage weitgehend als Feinstaub vor. Man kann Stäube hinsichtlich ihrer physikalischen (insbesondere Korngröße) und ihrer chemischen Eigenschaften unterscheiden. Toxische Bestandteile treten nur in relativ geringen Mengen auf. Staub wird vor allem bei Verbrennungsvorgängen sowie beim Schüttgutumschlag und bei Produktionsprozessen in den Bereichen Eisen und Stahl sowie Steine und Erden emittiert. Im Zeitraum von 1970 bis 1990 konnten die Emissionen absolut auf ca. 1/3 gesenkt werden. Dies ist vor allem auf staatliche Grenzwertvorschriften zurückzuführen. Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, die sich durch das Zusammenwirken der genannten Schadstoffe untereinander und mit anderen Elementen des Lebensraumes (Synergismus) ergeben, lassen sich nur schwer beurteilen. Aufgrund von Einzelbefunden liegt z.B. die Erkenntnis nahe, daß diese Synergieeffekte für die zunehmenden Erkrankungszahlen im Bereich der Atmungsorgane bis hin zum Lungenkrebs sowie bei der Auslösung allergischer Reaktionen mit verantwortlich sind. Zu den Emissionen im Bereich Luft wird in der Regel auch der Lärm gezählt. In der Industrie existiert eine Vielzahl technisch unterschiedlicher Lärmquellen, deren Emissionen noch längst nicht alle bekannt sind. Für die Umweltbelastung ist nicht nur die Höhe der Emissionen, d.h. z.B. der Schalldruckpegel (gemessen in dB), maßgeblich, sondern ebenso die Zusammensetzung des Frequenzspektrums und der zeitliche Verlauf der Emissionen (extreme Beispiele sind Hammerwerke mit impulsförmig auftretenden Geräuschen und petrochemische Freianlagen mit einer nahezu konstanten Emission). Die Bandbreite der Emissionen eines Maschinentyps ist das Ergebnis unterschiedlicher Techniken und auch der Pflege der Maschinen. D.h., daß für die Verringerung der Lärmemissionen die Pflege und Wartung der Maschinen wichtig ist, vor allem aber die angewandte Technik (z.B. Kapselung von Aggregaten) ausschlaggebend ist. Der Industrie- und Gewerbelärm stellt im Umweltbewußtsein der Bevölkerung keinesfalls die größte Lärmbelastung dar. Wie Schaubild 12/1 zeigt, liegen der Straßenlärm und der Fluglärm noch deutlich darüber. Trotzdem ist besonders wegen der zunehmend dichter werdenden Besiedlung eine Verringerung des Industrielärms eine wichtige industriepolitische Aufgabe. Außerdem stellt der Industrielärm ein Gesundheitsrisiko an den betroffenen Arbeitsplätzen dar. 12.3 Entwicklung und Konzeption Bis zum Jahre 1974 gab es keine einheitliche, bundesweite Regelung des Immissionsschutzes. Immissionsschutzrechtliche Regelungen fanden sich in verschiedenen Vorschriften des öffentlichen Rechts (z.B. Gewerbeordnung, Bau- und Planungsrecht) und im Bereich des Privatrechts. Zudem hatten einige Länder eigene Landesimmissionsschutzgesetze erlassen. Die Voraussetzung für eine einheitliche Regelung wurde im Jahr 1972 durch die Anfügung der Nr. 24 im Art. 74 GG geschaffen,

258

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

wonach die Gebiete Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegen. 1974 wurde das BImSchG als zentrale und umfassendste Regelung zum Immissionsschutz vom Bundestag erlassen. Daneben existieren speziellere Vorschriften, wie z.B. das Benzinbleigesetz 6 und das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm. 7 Ergänzend finden sich einzelne immissionsschutzrechtlich relevante Regelungen, z.B. in der Straßenverkehrszulassungsordnung, dem Baugesetzbuch, der Baunutzungsverordnung und dem Arbeitsschutzrecht. Die Immissionsschutzpolitik gegenüber der Industrie gemäß dem BImSchG und seinen ergänzenden Verordnungen basiert auf dem Konzept, daß umweltbelastende Aktivitäten von Unternehmen staatlich genehmigt werden müssen und daß für eine Genehmigung die Einhaltung bestimmter Vorschriften vor allem hinsichtlich der Einhaltung des Standes der Technik und vorgegebener Emissionsgrenzwerte Voraussetzung ist. Den betroffenen Unternehmen wird also im einzelnen vorgeschrieben, welche Umweltbelastungen sie vornehmen dürfen. Diese Politik der Genehmigungen und zwingenden Vorgaben muß folgerichtig durch notwendige Auflagen über von den Unternehmen bereitzustellende Informationen (z.B. Auskunftspflichten) und über Kontrollmöglichkeiten ergänzt werden. Darüber hinaus werden dem Staat eine Reihe von Aufgaben bezüglich der Erfassung von Emissionen und Immissionen und ihrer Wirkungen sowie der Ergreifung von Maßnahmen übertragen. Tabelle 12.2 zeigt den Aufbau des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Nachdem Zweck, Geltungsbereich und die notwendigen Begriffsbestimmungen in den allgemeinen Vorschriften behandelt werden, folgen die speziellen Maßnahmen des BImSchG, die sich methodisch in vier Gruppen einteilen lassen, in anlagen-, produkt- Verkehrs- und gebietsbezogene Vorschriften. Zusätzlich zu diesen Vorschriften enthält das BImSchG noch die "Gemeinsamen Vorschriften". In ihnen sind insbesondere Verwaltungs- und Durchführungsvorschriften, Vorschriften bezüglich der Überwachung und Sicherung von Anlagen sowie Ausnahmeregelungen für Anlagen der Landesverteidigung enthalten. Die darauffolgenden Schlußvorschriften enthalten im wesentlichen Angaben zum Fortgelten von bereits bestehenden Vorschriften, Übergangsvorschriften für die Genehmigung von Anlagen sowie die Überleitungsregelung aus Anlaß der Herstellung der deutschen Einheit.

6

7

Gesetz zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotore (Benzinbleigesetz - BzBIG) vom 05.08.1971, BGBl. I S . 1234-1236. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30.03.1971, BGBl. I S. 282-286.

12. Immissionsschutzpolitik

259

Tabelle 12.2: Aufbau des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

Allgemeine Vorschriften (Zweck, Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen (§§ 1 bis 3) Anlagenbezogene Produktbezogene Verkehrsbezogene Gebietsbezogene Vorschriften Vorschriften Vorschriften Vorschriften (§§44 bis 47a) (§§38 bis 43) (§§4 bis 31a) (§§ 32 bis 37) Genehmigungsbedürftige Anlagen (§§4 bis 21) Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen (§§ 22 bis 25) Ermittlung von Emissionen und Immissionen, sicherheitstechnische Prüfungen, technischer Ausschuß für Anlagensicherheit (§§26 bis 31a) Gemeinsame Vorschriften (§§ 48 bis 62) Schlußvorschriften (§§ 66 bis 74)

"Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen und, soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, auch vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden, zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umweltwirkungen vorzubeugen" (§ 1). Dieser Zweck muß mit der in § 3 Abs. 1 gegebenen Definition der schädlichen Umwelteinwirkungen im Zusammenhang gesehen werden. Danach sind solche Immissionen als schädliche Umwelteinwirkungen einzustufen, die Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeiführen. In der juristischen Literatur wird im allgemeinen daraus der Schluß gezogen, daß Tiere und Pflanzen im Sinne des BImSchG nicht selbständige Schutzgüter sind, sondern nur über ihre Bedeutung und Auswirkungen auf den Menschen geschützt sind.8 "Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe." (§ 3 Abs. 4). 8

Vgl. Schmidt-Wottrich, J., Jungnickel, S„ Immissionschutzrecht, in: Beck, M . (Hrsg.), U m weltrecht für Nichtjuristen, Würzburg 1994, S. 158.

260

II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der

Industriepolitik

Der Geltungsbereich, der im § 2 abgegrenzt wird, umfaßt neben der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen die Herstellung und den Vertrieb von Anlagen und Stoffen und die Beschaffenheit von Anlagen und Stoffen. Im einzelnen gelten die Vorschriften des BImSchG für "1. die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, 2. das Herstellen, Inverkehrbringen und Einführen von Anlagen, Brennstoffen und Treibstoffen, Stoffen und Erzeugnissen aus Stoffen nach Maßgabe der §§32 bis 37, 3. die Beschaffenheit und Ausrüstung, den Betrieb und die Prüfung von Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern und von Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeugen sowie von Schwimmkörpern und schwimmenden Anlagen nach Maßgabe der §§ 38 bis 40 und 4. den Bau öffentlicher Straßen sowie von Eisenbahnen und Straßenbahnen nach Maßgabe der §§ 41 bis 43." (§ 2 Abs. 1). Vom Geltungsbereich ausgeschlossen sind solche Anlagen, Geräte und Vorrichtungen, für die spezielle Rechtsvorschriften existieren (vgl. § 2 Abs. 2). Dies sind beispielsweise Flugplätze und kerntechnische Anlagen. Der Begriff der Anlage wird in § 3 Abs. 5 des BImSchG geklärt. Anlagen ist ein Sammelbegriff für ortsfeste Einrichtungen wie z.B. Betriebsstätten, für ortsveränderliche technische Einrichtungen wie Maschinen, Geräte und Fahrzeuge und für Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können. Im einzelnen zählt eine Verordnung die genehmigungsbedürftigen Anlagen in einem langen Katalog auf. 9 12.4 Anlagenbezogene Regelungen Die anlagenbezogenen Vorschriften, von denen primär die Industrie betroffen ist, stellen den Schwerpunkt der Regelungen des BImSchG dar. Die Errichtung und der Betrieb einer Anlage bedürfen dann einer Genehmigung, wenn von ihnen in besonderem Maße Gefahren für die Umwelt, Allgemeinheit oder Nachbarschaft ausgehen können (§ 4 Abs. 1 BImSchG). Auch wesentliche Veränderungen einer genehmigungsbedürftigen Anlage bedürfen einer Genehmigung (§ 15 Abs. 1). In § 5 Abs. 1 des BImSchG werden die Pflichten der Betreiber von genehmigungspflichtigen Anlagen festgeschrieben. "Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß 1. schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können,

9

Vgl. 4. Verordnung zur Durchführung des BImSchG (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen) vom 24.07.1985, BGBl. I S. 1586-1600.

12. Immissionsschutzpolitik

261

2. Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung, 3. Abfälle vermieden werden, es sei denn, sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder, soweit Vermeidung und Verwertung technisch nicht möglich oder unzumutbar sind, als Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt, und 4. entstehende Wärme für Anlagen des Betreibers genutzt oder an Dritte, die sich zur Abnahme bereit erklärt haben, abgegeben wird, soweit dies nach Art und Standort der Anlagen technisch möglich und zumutbar sowie mit den Pflichten nach den Nummern 1 bis 3 vereinbar ist." Zur Konkretisierung dieser Pflichten wird die Bundesregierung in § 7 Abs. 1 ermächtigt, Rechtsverordnungen zu erlassen. In diesen können Anforderungen insbesondere bezüglich der einzusetzenden Technik und der von den Anlagen ausgehenden Emissionen festgelegt werden. Weiterhin kann gefordert werden, daß die Anlagenbetreiber mit Hilfe bestimmter Verfahren Messungen von Emissionen und Immissionen vornehmen oder vornehmen lassen und daß sie bestimmte sicherheitstechnische Prüfungen sowie bestimmte Prüfungen von sicherheitstechnischen Unterlagen nach den in der Rechtsverordnung näher zu bestimmenden Verfahren durch einen Sachverständigen vornehmen lassen. Es ist denkbar, daß nach Erteilung einer Genehmigung z.B. durch eine Veränderung des Standes der Technik die Vorschriften des Gesetzes nicht mehr eingehalten werden. Dann kann die zuständige Behörde zur Erfüllung des Gesetzesauftrags auch durch nachträgliche Anordnungen tätig werden (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1). Für den Fall, daß nach Genehmigung der Anlage festgestellt wird, daß kein ausreichender Schutz der Allgemeinheit oder der Nachbarschaft vor schädlichen Umweltwirkungen oder sonstigen Gefahren bzw. vor erheblichen Nachteilen oder Belästigungen mehr besteht, soll die Behörde tätig werden und nachträgliche Anordnungen treffen (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2). "Von einer Anordnung darf dann nur in besonderen Ausnahmefällen abgesehen werden. Besteht eine Gefahr für Leben oder Gesundheit Dritter, haben diese unter Umständen sogar einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf ein Einschreiten der Behörde." 10 Mit diesen Regelungen bezüglich nachträglicher Anordnungen wird ein erheblicher Teil des Entwicklungsrisikos auf den Anlagenbetreiber verlagert." Die nachträgliche Anordnung darf aber nicht unverhältnismäßig sein, "vor allem wenn der mit der Erfüllung der Anordnung verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit der

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Boisserie, K., Oels, F., Hansmann, K., Schmitt, O. A., Immissionsschutzrecht, Kommentar, 3. Aufl., Bd. 1, Siegburg, o.J., B 12.3, S. 26. Vgl. Trute, H.-H., Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, Heidelberg 1989, S. 163.

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II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Anordnung angestrebten Erfolg steht; dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und technische Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen"(§ 17 Abs. 2). Diese Einschränkung erklärt sich daraus, daß dem Betreiber der Anlage nach der Genehmigung ein gewisser Bestandsschutz eingeräumt werden soll. 12 Weitere zwingende Eingriffsmöglichkeiten hat der Staat mit dem Widerruf einer Genehmigung nach § 21, z.B. wenn schwere Nachteile für das Gemeinwohl verhütet oder beseitigt werden sollen. Auch Untersagungen, Stillegungen und Beseitigungen nach § 20 sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Neben den Regelungen für genehmigungsbedüftige Anlagen enthält das BImSchG Vorschriften für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen. Dazu gehören z.B. häusliche und kleingewerbliche Feuerungsanlagen. Wenn für diese Anlagen auch keine Genehmigung erforderlich ist, so fordert § 22 Abs. 1 doch, daß sie so zu errichten und zu betreiben sind, daß, soweit es der Stand der Technik erlaubt, schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden bzw. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Abfälle, die beim Betrieb der Anlagen entstehen, müssen ordnungsgemäß beseitigt werden. Im übrigen unterscheiden sich die Regelungen für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen nicht prinzipiell von denen für genehmigungsbedürftige Anlagen. Damit der Staat an die notwendigen Informationen von den Unternehmen gelangt, wurde das Instrument der Emissionserklärung eingeführt. Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage sind verpflichtet, der zuständigen Behörde Angaben über Art, Menge, räumliche und zeitliche Verteilung der Luftverunreinigungen sowie über die Austrittsbedingungen zu machen (vgl. § 27 Abs. 1). Die Emissionserklärung ist alle zwei Jahre auf den neuesten Stand zubringen. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung und zur Vorlegung von erforderlichen Unterlagen im Falle behördlicher Prüfungen ist ausdrücklich in § 52 Abs. 2 verankert.

12.5 Produkt- und verkehrsbezogene Regelungen Mit den produkt- und verkehrsbezogenen Regelungen des BImSchG (§§ 32 bis 43) hat sich der Gesetzgeber umfassende Möglichkeiten geschaffen, umweltpolitisch tätig zur werden. Er kann damit einen erheblichen Einfluß auf die industriellen Produktionsprozesse ausüben. Der § 32 Abs. 1 ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung "vorzuschreiben, daß serienmäßig hergestellte Teile von Betriebsstätten und sonstigen ortsfesten Einrichtungen sowie die in § 3 Abs. 2 Nr. 2 bezeichneten Anlagen und hierfür serienmäßig hergestellte Teile ... nur in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden dürfen, wenn sie bestimmten Anforderungen 12

Vgl. Feldhaus, G„ Immissionsschutzrecht, in: HdUR, Bd. 1, Berlin 1986, Sp. 769 f.

12. Immissionsschutzpolitik

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zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche oder Erschütterungen genügen." Damit ist praktisch ein sehr großer Teil von auf Märkten gehandelter Produkte erfaßt. Es können insbesondere die Emissionsgrenzwerte, technischen Anforderungen, Bestandteile und Zusammensetzung der Produkte und Herstellungsverfahren vorgegeben werden. Von diesen Rechtsverordnungen gibt es allerdings bislang nur wenige. 13 Insoweit steht einem recht umfassenden Instrumentarium nur ein eng begrenzter Maßnahmenkatalog gegenüber. Bemerkenswert ist auch, daß die erwähnten Rechtsverordnungen vorsehen können, daß die Vorschriften nicht für den Export gelten (vgl. § 36). Auch die Beschaffenheit, die Ausrüstung und der Betrieb von Fahrzeugen werden im Prinzip den gleichen Regelungen unterzogen wie die Produkte (vgl. § 38). In der Praxis spielen Rechtsverordnungen bislang kaum eine Rolle. Vielmehr sind Regelungen z.B. im Verkehrsbereich durch die Straßenverkehrsgesetze, insbesondere die Straßenverkehrs Zulassungsordnung erfolgt. Dort finden sich detaillierte Vorschriften über einzuhaltende Grenzwerte bis hin zu Prüfvorschriften für Motoren. Vor allem für die Bauindustrie ist beim Bau von Straßen und Schienenwegen § 41 bedeutsam. Es ist sicherzustellen, daß durch solche Bauwerke "keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind" ( § 4 1 Abs. 1). Das gilt allerdings nicht, soweit die Kosten der Schutzmaßnahmen außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden (vgl. § 4 1 Abs. 2). Die entsprechenden Lärmgrenzwerte und technischen Anforderungen werden wiederum staatlicherseits festgesetzt (vgl. § 43).

12.6 Gebietsbezogene Regelungen Auch mit den gebietsbezogenen Vorschriften (§§ 44 bis 47a) werden dem Staat sehr weitgehende Möglichkeiten eröffnet, Einfluß auf industrielle Aktivitäten zu nehmen. Die Landesregierungen werden ermächtigt, in näher zu bestimmenden Gebieten, die eines besonderen Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen bedürfen, die Errichtung oder den Betrieb von Anlagen ganz oder zu bestimmten Zeiten zu verbieten und ebenfalls die Verwendung bestimmter Brennstoffe zu verbieten (vgl. § 49 Abs. 1). Solche Gebiete können Kurgebiete oder bereits sehr stark belastete Regionen sein. De facto hat diese Vorschrift bislang jedoch keine Bedeutung erlangt. Das gilt nicht für die weitere Möglichkeit eines Gebietsschutzes für "austauscharme Wetterlagen" (§ 49 Abs. 2). Fast alle Bundesländer haben sogenannte Smogverordnungen für Smog-Gebiete erlassen. Treten in diesen Gebieten austauscharme Wetterlagen und besondere Luftbelastungen auf, werden j e nach 13

Z.B. 8. Verordnung zur Durchführung des BImSchG (Rasenmäherlärm-Verordnung) vom 13.07.1992, BGBl. I S. 1248-1249; 3. Verordnung zur Durchführung des BImSchG (Verordnung über Schwefelgehalt von leichtem Heizöl und Dieselkraftstoff) vom 15.01.1975, BGBl. I S. 264-

266.

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II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Alarmstufe Ge- und Verbote wirksam, wie z.B. Einschränkungen des Kfz-Verkehrs, Gebote für bestimmte Brennstoffe (z.B. schwefelarmes Heizöl) oder Betriebsbeschränkungen. Allerdings besteht auch eine Vielzahl von Ausnahmen und Sonderregelungen. Grundsätzlich haben die Ordnungsbehörden einen weiten Spielraum: "Die örtlichen Ordnungsbehörden können während austauscharmer Wetterlagen alle Tätigkeiten untersagen, die zu einem Anwachsen schädlicher Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen fuhren." 14 . Eine für die Industrie interessante Informationsquelle z.B. bei der Standortwahl und bezüglich der Immissionsschutzpolitik des Staates stellen im Prinzip die Luftreinhaltepläne dar. In ihnen werden für bestimmte Gebiete die Emissionen und Immissionen wichtiger Schadstoffe, deren Ursachen und Wirkungen sowie Maßnahmen zur Verminderung der Belastungen aufgeführt. Im einzelnen enthält ein Luftreinhalteplan: "1. die Darstellung der festgestellten Emissionen und Immissionen aller oder bestimmter luftverunreinigender Stoffe, 2. Angaben über die festgestellten Wirkungen auf die in § 1 genannten Schutzgüter, 3. Feststellungen über die Ursachen der Luftverunreinigungen und ihrer Auswirkungen, 4. eine Abschätzung der zu erwartenden künftigen Veränderungen der Emissionsund Immissionsverhältnisse, 5. die Angabe der ... Immissionswerte und Immissionsleitwerte sowie (der) vorgesehenen Nutzungen und 6. die Maßnahmen zur Verminderung der Luftverunreinigungen und zur Vorsorge." (§ 47 Abs. 2). Die zuständigen Landesbehörden sind verpflichtet, solche Pläne für sogenannte Untersuchungsgebiete aufzustellen, wenn in diesen Immissionswerte überschritten werden, die zum Schutz vor Gesundheitsgefahren auf nationaler Ebene oder durch EU-Beschlüsse festgelegt wurden. Untersuchungsgebiete sind nach § 44 solche Gebiete, in denen Luftverunreinigungen auftreten oder zu erwarten sind, die aufgrund der Häufigkeit und Dauer ihres Auftretens, aufgrund ihrer hohen Konzentration oder aufgrund der Gefahr des Zusammenwirkens verschiedener Luftverunreinigungen schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen können. In diesen Gebieten sind die Luftverunreinigungen fortlaufend festzustellen und die Ursachen zu untersuchen. Auch wenn keine akuten Gesundheitsgefahren bestehen, können die zuständigen Landesbehörden Luftreinhaltepläne zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen (Vorsorgepläne) aufstellen, wenn die festgestellten oder die zu erwartenden Luftverunreinigungen bestimmte, in entsprechenden Vorschriften fest14

§ 15 Abs. 1 der Verordnung zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen bei austauscharmen Wetterlagen - Smog-Verordnung - vom 29.10.1974, Verordnung der Landesregierung und des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, GV. NW. S. 1432.

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gelegte Immissionsleitwerte überschreiten oder die durch Ziele der Raumordnung und der Landesplanung vorgesehene Nutzung des Gebiets beeinträchtigen können (vgl. § 47 Abs. 1). Immissionsleitwerte sind im Gegensatz zu Immissionswerten nicht verbindlich. Sie dienen vielmehr als Richtgrößen für Vorsorgemaßnahmen. Die Verringerung der Luftbelastungen in den letzten Jahren hat dazu geführt, daß die Zahl der Untersuchungsgebiete, für die Luftreinhaltepläne aufgestellt werden müssen, abgenommen hat. Trotzdem müssen Luftreinhaltepläne vor allem in den Neuen Bundesländern noch aufgestellt werden. Aber auch in den Alten Bundesländern gibt es eine Reihe von Gebieten, für die diese Verpflichtung besteht, wie zum Beispiel das Untersuchungsgebiet Ruhrgebiet West 15 . Die Behörden sind darüber hinaus dazu übergegangen, für mittlerweile weniger belastete Gebiete Vorsorgepläne aufzustellen, die weniger auf die akute Gefahrenabwehr als vielmehr auf die langfristige Verminderung von Luftbelastungen gerichtet sind. 16 In den Luftreinhalteplänen müssen die zuständigen Behörden die Emissionen in einem Emissionskataster darstellen, das Angaben enthält über Art, Menge, räumliche und zeitliche Verteilung und die Austrittsbedingungen von Luftverunreinigungen bestimmter Anlagen und Fahrzeuge (vgl. § 46). Die notwendigen Informationen dazu muß die Industrie liefern, zum einen aufgrund der bereits erwähnten Emissionserklärungen und zum anderen aufgrund der Vorschrift über die staatlichen Kontrollen nach § 52, wonach die Industrie zu allen zweckdienlichen Auskünften verpflichtet ist. Die Begrenzung auf bestimmte Untersuchungsgebiete ist eine Beschränkung, die angesichts des mit der Datenbeschaffung verbundenen Aufwands und der noch weitgehend fehlenden personellen und sonstigen Voraussetzungen dafür verständlich ist. Grundsätzlich sollten Emissionskataster aber flächendeckend angestrebt werden. Neben den Emissionskatastern werden auch Immissionskataster geführt. § 44 Abs. 1 beinhaltet zwar nicht explizit die Führung von Immissionskatastern, die Vorschrift läßt sich aber dahingehend interpretieren. Dementsprechend finden sich z.B. in den nordrhein-westfälischen Luftreinhalteplänen auch Immissionskataster. 17 Eine gebietsbezogene Maßnahme sind auch die Lärmminderungspläne. Die Vorschriften zur Aufstellung von Lärmminderungsplänen (vgl. § 47a) wurden mit der Novellierung des BImSchG im Jahre 1990 ins Immissionsschutzrecht aufgenommen. In Gebieten, in denen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche hervorgerufen werden oder zu erwarten sind, sind die Lärmbelastungen zu erfassen, ih-

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16 17

Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Luftreinhaiteplan Ruhrgebiet West 1993, Düsseldorf 1993. Beispiel dafür ist der Sonderluftreinhalteplan für das Ruhrgebiet-Ost. Vgl. Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Luftreinhaltung in Nordrhein-Westfalen - Eine Erfolgsbilanz der Luftreinhaltepläne 1975-1988, Düsseldorf 1989, S. 17.

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II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

re Auswirkungen auf die Umwelt festzustellen und für Wohngebiete und andere schutzwürdige Gebiete Lärmminderungspläne aufzustellen, falls die Belastungen nicht nur vorübergehend sind und ein abgestimmtes Vorgehen gegen verschiedenartige Lärmquellen (z.B. auch der Industrie) erforderlich ist. Lärmminderungspläne sollen vorrangig von den Gemeinden aufgestellt werden. 18 Aus verwaltungstechnischen Gründen und aufgrund der Finanznot der Gemeinden sind bis heute erst wenige Lärmminderungspläne aufgestellt worden, die vielfach auch nur die Lärmbelastungen durch den Verkehr sowie Maßnahmen zu deren Reduzierung zum Inhalt haben.

12.7 Beauftragte für den Umweltschutz in der Industrie Der Gesetzgeber beschreitet im allgemeinen den Weg, bei möglichen Gefahren für die Allgemeinheit bzw. die Betriebsangehörigen in die Betriebsorganisation der Unternehmen in der Art einzugreifen, daß er die Bestellung von Betriebsbeauftragten für bestimmte Aufgaben vorschreibt. Die Spannweite reicht dabei vom Immissionsschutzbeauftragten über den Datenschutzbeauftragten bis zum Strahlenschutzbeauftragten. Zu den Betriebsbeauftragten für Umweltschutz werden der Immissionsschutz-, der Störfall-, der Abfall-, der Gewässerschutz- und der Gefahrgutbeauftragte gezählt. 19 Viele Unternehmen beschreiten in der Praxis den Weg, die Aufgabenbereiche dieser Betriebsbeauftragten zusammenzufassen und damit einen sogenannten Umweltschutzbeauftragten zu betrauen. 20 Diese Vorgehensweise liegt zum Teil darin begründet, daß sich die Vorschriften bezüglich der Betriebsbeauftragten für Umweltschutz ähnlich sind. So ist z.B. die Aufgabenbeschreibung für den Immissionsschutzbeauftragten, den Abfallbeauftragten und den Gewässerschutzbeauftragten in etwa wortgleich, und die Anforderungen an die Qualifikation der Betriebsbeauftragten sind fast gleich. Auch der Entwurf für ein Umweltgesetzbuch sieht die Zusammenfassung der umweltrelevanten Aufgaben zum Aufgabenbereich des Umweltschutzbeauftragten vor. 21 Im folgenden sollen beispielhaft für Betriebsbeauftragte für Umweltschutz die Aufgaben und die Stellung der im BImSchG behandelten Immissionsschutz- und Störfallbeauftragten aufgezeigt werden.

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Vgl. Kahl, G., Rechtsfragen zur Aufstellung und Durchsetzung von Lärmminderungsplänen nach § 47a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, in: Forum für Stadtentwicklungs- und Kommunalpraxis e.V. (Hrsg.), Lärmminderungspläne - eine neue Aufgabe für Städte und Gemeinden, Stuttgart u.a., 1993, S. 9 f. Vgl. Behnke, E., Der Betriebsbeauftragte für Umweltschutz - Gesetzliche Verankerung, Aufgaben und Abgrenzungen zu anderen Beauftragten in der Wirtschaft, in: Pohle, H. (Hrsg.), Die Umweltschutzbeauftragten, Berlin 1992, S. 12. Vgl. Kalmbach, S., Der Immissionsschutzbeauftragte - Aufgabenrahmen und Immissionsschutzrecht, in: Pohle, H. (Hrsg.), Die Umweltschutzbeauftragten, Berlin 1992, S. 73. Vgl. Kloepfer, M., Rehbinder, E., Schmidt-Aßmann, E., Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil, Vorschlag für den Gesetzestext, Berlin 1992, S. 44 ff.

12. Immissionsschutzpolitik

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Die Betreiber genehmigungspflichtiger Anlagen sind verpflichtet, einen oder mehrere Betriebsbeauftragte für Immissionsschutz (Immissionsschutzbeauftragte) zu bestellen, falls dies im Hinblick auf Art und Größe der Anlagen erforderlich ist (vgl. § 53 Abs. 1, Satz 1). Das Gesetz sieht vor, daß durch Rechtsverordnungen bestimmt wird, für welche Anlagen Immissionsschutzbeauftragte bestellt werden müssen (vgl. § 53 Abs. 1, Satz 2). Dies ist mit Erlaß der Verordnung über Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte 22 geschehen. Der Immissionsschutzbeauftragte soll den Anlagenbetreiber und die Betriebsangehörigen in Angelegenheiten, die für den Immissionsschutz bedeutsam sein können, beraten. Zu seinen Aufgaben gehören die Hinwirkung auf die Einführung und Entwicklung umweltfreundlicher Verfahren und Erzeugnisse sowie die Mitwirkung daran. Er soll die Einhaltung der Vorschriften des BImSchG und der darauf aufbauenden Verordnungen kontrollieren, Mängel mitteilen und Maßnahmen zur Beseitigung vorschlagen. Weiterhin ist er für die Information der Betriebsangehörigen über schädliche Umwelteinwirkungen der Anlage sowie über Einrichtungen und Maßnahmen zu ihrer Verhinderung zuständig. Über die getroffenen und beabsichtigten Aktivitäten erstattet der Immissionsschutzbeauftragte dem Betreiber jährlich einen Bericht (vgl. § 54). Mit der Festlegung dieser Aufgaben versucht der Staat unter anderem, die Weiterentwicklung des Umweltschutzes und der Technik in den Betrieben anzuregen. Die Betreiber von Anlagen haben bezüglich des Immissionsbeauftragten umfangreiche Pflichten, die in den §§ 55 bis 58 geregelt sind. So dürfen sie z.B. nur Personen bestellen, die die erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzen. Für den Nachweis der Fachkunde ist nach § 7 der 5. BImSchV dazu im allgemeinen der Abschluß eines Studiums des Ingenieurwesens, der Chemie oder der Physik, die Teilnahme an anerkannten Lehrgängen, die fachspezifische Kenntnisse vermitteln und eine mindestens zweijährige praktische Tätigkeit, in der Kenntnisse über die Anlage erworben wurden, erforderlich. Der Anlagenbetreiber hat vor Investitionsentscheidungen und Entscheidungen über die Einführung neuer Verfahren und Erzeugnisse eine Stellungnahme des Immissionsschutzbeauftragten einzuholen, wenn diese Entscheidungen für den Immissionsschutz bedeutsam sind. Außerdem hat der Betreiber sicherzustellen, daß der Beauftragte seine Vorschläge und Bedenken unmittelbar der Geschäftsleitung vortragen kann. Immissionsschutzbeauftragte genießen aufgrund ihrer speziellen Funktion im Unternehmen einen besonderen Kündigungsschutz. Die Vorschriften bezüglich des Störfallbeauftragten sind weitgehend an die bezüglich des Immissionsschutzbeauftragten angelehnt. Die Betreiber genehmigungspflichtiger Anlagen müssen einen oder mehrere Störfallbeauftragte bestellen, sofern dies aufgrund der bei einer Störung des bestimmungsgemäßen Betriebes auftretenden Gefahren für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft erforderlich ist (vgl.

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5. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte) vom 30.07.1993, BGBl. I S . 1433-1439.

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II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

§ 58, Abs. 1, S. 1). Für welche Anlagen Störfallbeauftragte bestellt werden müssen, wird wiederum durch Rechtsverordnungen festgelegt. 23 Der Störfallbeauftragte hat die Aufgabe, in Angelegenheiten, die für die Sicherheit der Anlage bedeutsam sein können, den Betreiber zu beraten. Er hat u.a. auf die Verbesserung der Sicherheit der Anlage hinzuwirken und Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes, die Gefahren für Allgemeinheit und Nachbarschaft bedeuten können, unverzüglich dem Betreiber mitzuteilen. Auch für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften des BImSchG und der darauf beruhenden Rechtsverordnungen ist er zuständig. Er hat dabei festgestellte Mängel mitzuteilen und Vorschläge zur deren Beseitigung zu unterbreiten. Insbesondere Mängel, die den vorbeugenden und abwehrenden Brandschutz betreffen, hat er unverzüglich dem Betreiber der Anlage zu melden. Wie der Immissionsschutzbeauftragte muß auch er dem Betreiber einen jährlichen Bericht über seine Aktivitäten erstatten. Darüber hinaus ist er verpflichtet, die von ihm ergriffenen Maßnahmen zur Erfüllung seiner Aufgaben schriftlich niederzulegen und diese Aufzeichnungen mindestens fünf Jahre aufzubewahren (vgl. § 58 b). Der Betreiber von Anlagen hat auch gegenüber dem Störfallbeauftragten umfangreiche Pflichten hinsichtlich seiner Bestellung, der Einholung von Stellungnahmen und des Kündigungsschutzes, die ebenfalls denen bezüglich des Immissionsschutzbeauftragten vergleichbar sind (vgl. §§ 58c, 58d). Die Aufgabenbereiche von Immissionsschutz- und Störfallbeauftragten und anderen Umweltbeauftragten überschneiden sich teilweise. Vor allem zwischen dem Abfallbeauftragten und dem Immissionsschutzbeauftragten kommt es zu Überschneidungen der Tätigkeitsbereiche, da der Immissionsschutzbeauftragte die Einhaltung der Vorschriften des BImSchG kontrollieren soll, zu denen auch die Pflicht des Betreibers gehört, Abfälle zu vermeiden oder ordnungsgemäß zu verwerten oder, soweit dies technisch nicht möglich oder zumutbar ist, umweltverträglich zu beseitigen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3). Auch die Aufgabenbereiche des Gewässerschutzbeauftragten und die des Störfallbeauftragten überschneiden sich, weil sich die Aufgaben des ersteren nicht nur auf den bestimmungsgemäßen Betrieb, sondern auch auf Störungen des Betriebes erstrecken. Aufgrund dieser Überschneidungen besteht für die Unternehmen die Notwendigkeit, die Aufgabenbereiche der verschiedenen Betriebsbeauftragten klar voneinander abzugrenzen und deren Aufgabenerfüllung zu koordinieren. Dabei wird es von den im Einzelfall vorliegenden Bedingungen abhängen, wie die Abgrenzung und Koordinierung der Aufgaben geschehen sollte. Häufig tritt dieses Problem jedoch gar nicht auf, da in der betrieblichen Praxis, wie bereits erwähnt, die verschiedenen Aufgaben vielfach auf eine einzelne Person, den Umweltschutzbeauftragten, übertragen werden.

23

Vorschriften dazu befinden sich in der 5. BImSchV sowie in der 12. Verordnung zur Durchführung des BImSchG (Störfallverordnung) vom 20.09.1991, BGBl. I S. 1891-1913.

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12.8 Fortschrittliche Techniken durch Vorgabe von Technikstandards Eine regulierende, interventionistische staatliche Politik im Umweltbereich wirkt sich im allgemeinen nicht positiv auf die Entwicklung und Durchsetzung fortschrittlicher Techniken aus. Deshalb muß durch entsprechende Regelungen sichergestellt werden, daß neue technische Entwicklungen gefördert und durch die Industrie umgesetzt werden. Unter ökonomischen Aspekten werden neue Techniken geschaffen und angewendet, wenn dadurch kostengünstiger produziert werden kann. Will der Staat eine hohe Umweltqualität erreichen, muß er einen hohen Stand der Technik vorschreiben, auch wenn ein solcher aus der Sicht der Unternehmen ökonomisch vielleicht nicht angestrebt würde. Der Staat beschreitet in fast allen relevanten umweltrechtlichen Vorschriften den Weg, die Anwendung des Standes der Technik oder der anerkannten Regeln der Technik zur Realisierung des Umweltschutzes zu fordern. Der gesetzgeberische Sinn für diese Forderung ist, Gesetze zu dynamisieren und im Hinblick auf die im allgemeinen nicht vorhersagbaren technischen Entwicklungen anpassungsfähig zu halten. Der Inhalt dieser Begriffe wird daher nicht im Gesetz festgeschrieben, sondern in Verwaltungsvorschriften (z.B. TA Luft, TA Lärm, TA Abfall) oder in anderweitigen technischen Regelwerken wie z.B. DIN-Normen und VDI-Richtlinien. 24 Der Staat entlastet sich also von der Detailarbeit der näheren Definition der jeweiligen Techniken und verlagert sie zum Teil auf die Industrie. Die geläufigsten Formulierungen in den rechtlichen Vorschriften sind die Begriffe "allgemein anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik", wobei in dieser Reihenfolge ein Anstieg im Anforderungsniveau zu verzeichnen ist.25 Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind in den Kreisen der betreffenden Techniker mehrheitlich bekannt und als richtig anerkannt. Da meist eine längere Zeitspanne von der Entwicklung einer Technik bis zu ihrer allgemeinen Bekanntheit benötigt wird, werden die anerkannten Regeln der Technik dann vorgeschrieben, wenn das Umweltrisiko von Anlagen und Schadstoffen relativ gering ist und geeignete Schutzvorkehrungen vor den Gefahren relativ leicht auch mit Hilfe der nicht fortschrittlichsten Technik getroffen werden können. Die Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangt z. B. § 7a Abs. 1 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für das Einleiten von Abwasser ohne gefährliche Inhaltsstoffe in ein Gewässer.

24

25

Vgl. Damkowski, W., Eisholz, G., Abfallwirtschaft in Theorie und Praxis - Ein Grundriß, Opladen 1990, S. 258. Vgl. zu dieser Thematik auch Breuer. R„ Stand der Technik, in: HdUR, 2. Bd., Berlin 1988, Sp. 383-393; Mann, T., "Technisch möglich" als Rechtsbegriff im Umweltrecht, in: Zeitschrift für Umwelt- und Planungsrecht, Heft 5 (1995), S. 180-195.

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II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

Bei größeren Umweltrisiken und geringeren Schutzmöglichkeiten stellt der Staat strengere Anforderungen an die Technik. Er verlangt den Stand der Technik. Das BImSchG definiert den Stand der Technik in § 3 Abs. 6 wie folgt: "Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind." 26 Beim Stand der Technik entfällt das mehrheitliche Bekanntsein bei den Technikern. Entscheidend ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen. Fraglich ist, inwieweit erfolgreiche Erprobungen vergleichbarer Techniken in Betrieben stattgefunden haben müssen. Bedenkt man, daß zur Verbesserung des Umweltschutzes in einem Industriebetrieb gerade auch neue Verfahren eingesetzt werden müssen, die dann zum ersten Mal zur Anwendung kommen, sollte das Erfordernis der Erprobung nur eingeschränkt interpretiert werden. "Die erfolgreiche Betriebserprobung ist nach § 3 Abs. 6 Satz 2 (BImSchG) nur noch ein wichtiges Indiz, nicht mehr zwingende Voraussetzungen für den Stand der Technik." 27 Auch das zumutbare unternehmerische Risiko spielt bei der behördlichen Entscheidung über die Notwendigkeit einer erfolgreichen Betriebsprüfung eine Rolle. Ohne eine betriebliche Erprobung sind jedoch besonders strenge Anforderungen an die Prüfung zu stellen. Auf keinen Fall kann der bloße technische Erkenntnisstand als Grundlage für die Beurteilung der praktischen Eignung einer Technik ausreichen. Der Stand der Technik ist die Anforderung an technische Anlagen und Produkte, die in den umweltschutzrechtlichen Vorschriften am häufigsten verlangt wird. An vielen Stellen der Gesetze und Verordnungen wird hierauf verwiesen. Beispielsweise sollen im Dienste des Vorsorgeprinzips Emissionen nach dem Stand der Technik begrenzt werden (vgl. §§ 5 Abs. 1 Nr. 2; 22 Abs. 1; 48 Nr. 2). Das Wasserhaushaltsgesetz fordert für die Einleitung von Abwasser mit gefährlichen Inhaltsstoffen die Einhaltung des Standes der Technik (vgl. § 7a Abs. 1 Satz 3, WHG). Im Ergebnis bewirkt die Forderung des Standes der Technik, daß die Zeitspanne zwischen der Entwicklung einer Technik und ihrer Anwendung verkürzt wird. Eine weitere Verkürzung dieser Spanne soll durch die Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik erreicht werden, die in atomrechtlichen Vorschriften (§§ 4ff. Atomgesetz 28 ) und im Gentechnikgesetz 29 (§ 6 Abs. 2, § 7 Abs. 2) enthalten 26

27 28

Eine praktisch gleiche, auf den Abfall bezogene Legaldefinition enthält die Technische Anleitung Abfall, Teil 1 Unterpunkt 2.5. Feldhaus, G., Bundesimmissionsschutzrecht, Kommentar, Wiesbaden 1989, § 3 Nr. 19, S. 21. Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 15.6.1985, BGBl. I S . 1565-1583.

12. Immissionsschutzpolitik

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Eine weitere Verkürzung dieser Spanne soll durch die Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik erreicht werden, die in atomrechtlichen Vorschriften (§§ 4ff. Atomgesetz 28 ) und im Gentechnikgesetz 29 (§ 6 Abs. 2, § 7 Abs. 2) enthalten ist. Die großen Gefahren, die mit der Atom- und Gentechnik verbunden sind, erfordern, daß die Behörden nicht von realisierten Techniken bei ihren Genehmigungen ausgehen, sondern von dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Durch die Vorschriften soll ein weitergehender Schutz der Menschen und ihrer Umwelt erzwungen werden. Neben den Begriffen "allgemein anerkannte Regeln der Technik, "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" wird im BImSchG und im KrW/AbfG auch der Begriff "technisch möglich" verwendet. 30 Dieser Begriff nimmt insofern eine Sonderstellung ein, daß seine Bedeutung im rechtlichen Sinne noch nicht eindeutig geklärt ist. Aus rechtssystematischen Überlegungen läßt sich allerdings folgern, daß der Begriff im Hinblick auf das Anforderungsprofil an die technischen Lösungen im wesentlichen dem des Standes der Technik entspricht. Daneben beinhaltet der Begriff jedoch eine subjektiv-individualistische Komponente, d.h. es werden zusätzlich noch die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Anders als beim Stand der Technik, der nach erfolgreicher Betriebserpobung fest vorgeschrieben wird, wird beim Begriff "technisch möglich" auf die technische Realisierbarkeit eines Verfahrens unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des jeweiligen Betriebes abgestellt. Damit soll gewährleistet werden, daß insbesondere bei kleineren Anlagen kein technisches Verfahren vorgeschrieben wird, dessen Umweltnutzen im krassen Mißverhältnis zu den Kosten des Anwenders steht.31 Gelegentlich finden sich Verweise auf den "Stand der Wissenschaft" (§ 7 Abs. 1 Gentechnikgesetz) oder auf die "gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis" (§ 13 Abs. 1 Satz 2 Chemikaliengesetz 32 ). Hier geht es nicht um die Anwendung einer bestimmten Technik, sondern um die Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen z. B. bei der Festlegung von Immissionsgrenzwerten zum Schutz von Lebewesen. In der Praxis bereitet es mitunter große Schwierigkeiten, den Stand der Technik zu ermitteln. Ist das einmal geschehen, so muß weiter die künftige Entwicklung des Standes der Technik im Auge behalten werden. Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, daß eine Verbesserung der Technik mit dem Vorschreiben des Standes der 28

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30

31 32

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 15.6.1985, BGBl. I S. 1565-1583. Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz - GenTG) vom 16. Dezember 1993, BGBl. IS. 2066-2083. Dieser Begriff wird z.B. in § 5 Abs. 4, S. 1 (KrW-/AbfG) und § 5 Abs.l Nr. 3 und 4 (BImSchG) verwendet. Vgl. Mann, T., "Technisch möglich" als Rechtsbegriff im Umweltrecht, a.a.O., S. 194 f. Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - ChemG) vom 25.7.1994, BGBl. I S . 1703-1735.

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II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolltlk

Technik gerade nicht oder nicht effektiv erreicht wird. Es fehlt der Industrie nämlich unter Umständen an Anreizen, den einmal erreichten und behördlich genehmigten Stand der Technik zu verbessern, weil damit nicht unbedingt ökonomische Vorteile verbunden sind. Der Zwang, eine neue, fortschrittliche Technik als Stand der Technik einhalten zu müssen, und die ggf. erforderlich werdenden neuen Investitionen können dazu führen, daß technischer Fortschritt verzögert oder gar verhindert wird. Bei der Verbesserung des Standes der Technik spielen daher staatliche Stellen und die "Umweltschutzindustrie" eine besondere Rolle. Für letztere besteht ein Anreiz, leistungsfähige Emissionsvermeidungstechniken zu entwickeln und diese als Stand der Technik anerkennen zu lassen, um sich damit Absatzchancen zu eröffnen.33 Ein weiterer Nachteil der Festschreibung von technischen Standards besteht in der Praxis darin, daß diese sich in der Regel auf Entsorgungstechniken beziehen, wie z.B. für das Reinigen von Abwässern oder die Filterung von Schadstoffen. Sie beziehen sich dagegen nicht auf Produktionsprozesse mit integriertem Umweltschutz. In diesem Falle würde von vornherein die Entstehung von Schadstoffen verhindert und würden somit ökologische Risiken vermieden. Insofern ist eine Industriepolitik, die einen Technikstand zwingend vorschreibt, zwar ein möglicher Weg, oft aber nicht der effizienteste. Das schließt nicht aus, daß diese Politik positive Wirkungen zeitigt; es werden in der Regel aber auch ausgesprochen bürokratische und damit suboptimale Lösungen sein. 12.9 Entstehung, Festlegung und Durchsetzung zwingender Emissions- und Immissionsnormen Eine Luftreinhaltepolitik auf der Basis von Zwangsmitteln muß konsequenterweise vorschreiben, welche Emissionen im einzelnen zulässig sein und welche Umweltbeeinträchtigungen toleriert werden sollen. Es bedarf also der Emissions- und Immissionsnormen. Da die empirische Feststellung von Emissionen und Immissionen eine Reihe z.T. schwieriger Ermittlungen und meßtechnischer Probleme aufwirft, muß der Staat letztlich auch auf diesem technisch-naturwissenschaftlichen Verfahrensgebiet Regeln und Vorschriften erlassen. Anderenfalls wären die Einheitlichkeit der Ermittlung und die Vergleichbarkeit der Werte nicht gewährleistet. Dementsprechend enthält § 48 eine Anweisung an die Bundesregierung, daß diese allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des BImSchG und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen erläßt. Festgelegt werden sollen insbesondere Immissionswerte, "die zu dem in § 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen" und Emissionswerte, "deren Überschreiten nach dem Stand der Technik vermeidbar ist". Des weiteren sollen auch die Verfahren zur Ermittlung der Emissionen und Immissionen in den Verwaltungsvorschriften festgeschrieben werden.

33

Vgl. Endres, A„ Umweltökonomie - Eine Einführung, Dannstadt 1994, S. 132 f.

12. Immissionsschutzpolitik

273

Mit § 48 werden zwei unterschiedliche Strategien angesprochen, nach denen Normen im Umweltbereich festgelegt werden können. Die Festlegung von Emissionsgrenzwerten, deren Überschreitung nach dem Stand der Technik vermeidbar ist, ist Ausdruck einer emissionsorientierten Strategie. Demgegenüber ist die Festlegung von Immissionsgrenzwerten Ausdruck einer qualitätsorientierten Strategie. Die emissionsorientierte Strategie geht von den technischen Vermeidungspotentialen aus, klassifiziert nach dem Gefährdungspotential und leitet daraus die konkreten Emissionsgrenzwerte ab. Die Auswirkungen der Emissionen auf die Umweltqualität werden bei Anwendung dieser Strategie nicht explizit gemacht. So können z.B. aus der Festlegung zu milder Emissionsgrenzwerte untragbare Umweltschäden resultieren, die eine Verschärfung der Grenzwerte erfordern. Diesem Nachteil der emissionsorientierten Strategie steht allerdings der Vorteil ihrer vergleichsweise hohen Praktikabilität gegenüber. Die qualitätsorientierte Strategie setzt dagegen unmittelbar bei den zu schützenden Objekten an. Diese werden definiert und die Stoffe bestimmt, die die Umwelt gegebenenfalls negativ beeinflussen. Mit Hilfe einer Analyse der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge (z.B. einer Dosis-Wirkungs-Analyse) wird versucht, die Immissionswerte zu ermitteln, die noch akzeptabel sind. Daraufhin werden die Maßnahmen festgelegt, die zur Einhaltung dieser Immissionswerte notwendig sind. Dies können z.B. bestimmte Emissionsgrenzwerte sein oder auch die NichtGenehmigung der Errichtung einer Anlage in einem Gebiet, weil dort die Immissionswerte schon nahe an bzw. über den tolerierbaren Grenzwerten liegen. Ein anderes Beispiel wären Produktions- oder Verkehrsbeschränkungen bei Überschreitung festgelegter Immissionsgrenzwerte. Dem Vorteil der qualitätsorientierten Strategie, nämlich der unmittelbaren Orientierung an den zu schützenden Gütern und Personen, steht jedoch der Nachteil der geringeren Praktikabilität gegenüber. Insbesondere die Bestimmung der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge bereitet große Probleme, weshalb diese Strategie im Vergleich zur emissionsorientierten Strategie eher selten angewendet wird. Der Bund ist der Anweisung in § 48 vor allem mit dem Erlaß der beiden Verwaltungsvorschriften "Technische Anleitung Luft" (TA Luft) 34 und "Technische Anleitung Lärm" (TA Lärm) 35 nachgekommen. Damit haben die Behörden einen Katalog von Definitionen, Grenzwerten, Meß-, Prüf- und selbst Produktionsvorschriften an der Hand, der die Durchführung des BImSchG ermöglicht. Verwaltungsvorschriften verpflichten, wie bereits erläutert, unmittelbar nur die mit der Gesetzesausführung betrauten Behörden. Dritte, z.B. Unternehmen, sind nicht die Adressaten. Allerdings

34

35

Vgl. Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz - Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) - vom 27.02.1986. GMB1. S. 95. Vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung- GewO, Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 16.07.1968, Beilage zum BAnz., Nr. 137 vom 26.07.1968.

274

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

werden sie von der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Sachverständigengutachten herangezogen und anerkannt. Der Staat nimmt darüber hinaus auch Bezug auf Normen, die von privaten, sachverständigen Institutionen geschaffen werden. Sie müssen von sachverständigen Stellen bekanntgemacht werden und für jedermann zugänglich sein. Der Staat muß gegebenenfalls ausdrücklich darauf verweisen, daß er bestimmte Normen anerkennen will (vgl. §§ 7 Abs. 5; 23 Abs. 1 letzter Satz; 32 Abs. 1 letzter Satz; 38 Abs. 3). "Durch eine derartige Verweisung werden die Aussagen der technischen Normen Inhalt der Rechts Verordnung."36 Für die Luftreinhaltepolitik haben in diesem Sinne Normen der VDI-Kommission "Reinhaltung der Luft" 37 sowie für die Luftbelastungen am Arbeitsplatz Normen der Deutschen Forschungsgemeinschaft 38 Bedeutung erlangt. Die in den verschiedenen Vorschriften festgelegten Immissionswerte unterscheiden sich in ihrer Höhe zum Teil deutlich. Dies erklärt sich zum einen aus der Tatsache, daß sie für unterschiedliche Einwirkungszeiten aufgestellt werden. Die Werte der maximalen Immissions-Konzentrationen (MIK) zum Schutze des Menschen, die von der VDI-Kommission "Reinhaltung der Luft" aufgestellt werden, unterscheiden zum Beispiel Einwirkungsdauern von 0.5 und von 24 Stunden sowie von einem Jahr. Auch bei den Immissionswerten der TA Luft werden Langzeitwerte (IW1) und Kurzzeitwerte (IW2) unterschieden, wobei sich die IW1-Werte auf die durchschnittliche Belastung in einem Jahr beziehen und die IW2-Werte diejenigen sind, die maximal von 2 % der Meßwerte eines Jahres überschritten werden dürfen. In der Regel sind die Kurzzeitwerte höher, das heißt weniger streng, weil kurzfristig stärkere Belastungen toleriert werden als für längere Zeit. Es existieren zum anderen verschiedene Immissionswerte, weil zwischen unterschiedlichen, den Immissionen ausgesetzten Personengruppen differenziert wird. So sind z.B. die Werte der maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK-Werte) selbst für kürzere Einwirkungszeiten in der Regel deutlich höher festgelegt als die MIK-Werte. Dies ist darin begründet, daß die MAK-Werte für die Zielgruppe der gesunden Personen im erwerbsfähigen Alter aufgestellt werden und nicht für Kinder, Kranke, Schwangere und alte Menschen gelten. Die TA Luft stellt ein ausgesprochen umfangreiches Vorschriftenwerk dar. Sie schreibt für eine Vielzahl von Bereichen und Stoffen genau vor, was an Emissionen und Immissionen erlaubt ist. Im Vergleich zu den Immissionsvorschriften haben die Emissionsvorschriften in der TA Luft eine weitaus größere praktische Bedeutung. Obwohl letztlich die Immissionen ein Maß für die Belastung bzw. Qualität der

36 37 38

Boisseree, K., Oels, F., Hansmann, K., Schmitt, O.A., Immissionsschutzrecht, a.a.O., S. 43. Vgl. VDI-Handbuch Reinhaltung der Luft, Köln, Berlin, o.J. Vgl. z.B. Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), MAK- und BAT-Werte-Liste 1995, Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe - Mitteilung 31, Weinheim 1995.

12. Immissionsschutzpolitik

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Umwelt darstellen, erscheint diese Schwerpunktsetzung gerechtfertigt, abgesehen von den bereits genanten Praktikabilitätsgründen auch deshalb, weil Immissionen letztlich nur infolge von Emissionen möglich sind. Es kommt also der Emissionsvermeidung hohe Bedeutung für den Immissionsschutz zu. Weiter gibt die TA Luft auf Anlagen bezogene detaillierte Meßvorschriften, Produktionsvorschriften u.ä. vor. Das Spektrum reicht von Feuerungsanlagen, Abfallbeseitigungsanlagen, Anlagen, in denen Steine und Erden verarbeitet werden, Anlagen für die Stahl-, Eisenund Nichteisenherstellung, Anlagen zur Erzeugung bestimmter chemischer Produkte über Anlagen der Mineralölverarbeitung bis hin zu Anlagen zum Halten von Geflügel und Schweinen. Das Beispiel der TA Luft macht deutlich, wie detailliert und komplex eine Command and Control-Politik werden kann, wenn sich der Staat erst einmal darauf festgelegt hat. Der Eindruck verstärkt sich bei einer Durchsicht des gesamten immissionsschutzrechtlichen Vorschriftenwerkes und der dieses ergänzenden Vorschriften der Bundesländer.

276

II. Teil Ausgewählte

Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

13. Kapitel: Wasserwirtschaftspolitik 13.1 Problemstellung und Begriffe Wasser ist einerseits ein Umweltmedium, das durch die industrielle Produktion und durch die Nutzung industrieller Produkte belastet und geschädigt werden kann. Es wird andererseits auch als eine Ressource oder als ein Produktionsfaktor durch die Industrie genutzt, weshalb die Industrie durch die Belastungen wiederum selbst zusätzlich Kosten hat. Eine auf die Nutzung und den Schutz der Gewässer gerichtete Politik ist demnach in zweifacher Hinsicht für die Industrie relevant. Erstens werden den Unternehmen aus Gründen des Gewässerschutzes Kosten angelastet, zweitens werden sie von Wasseraufbereitungskosten für verschmutztes Wasser entlastet. Ein Vergleich der Größenordnungen der beiden Kostenkategorien ist kaum möglich; denn zum einen bezieht die Industrie ihr Frischwasser vielfach von der öffentlichen Wasserversorgung, bei der die Aufbereitungskosten anfallen und wo der Industrieanteil kaum herausgerechnet werden kann. Zum anderen entnimmt die Industrie Wasser aus eigenen Brunnen, wo die Wasserverschmutzung wegen der langen Infiltrationszeiten der Schadstoffe wohl erst am Anfang steht und deshalb Kostenbelastungen tendenziell zunehmen werden, zur Zeit aber kaum abschätzbar sind. Schließlich ist die Nutzung von Oberflächenwasser zur Kühlung, vor allem durch die Kraftwerke, weniger durch die Verschmutzung als durch die Aufwärmung der Flüsse begrenzt, was sich kaum in Kosten ausdrücken läßt. Es stellt sich die Frage, wie eine Wasserwirtschaftspolitik aussehen könnte. Bei der Behandlung der Instrumente wurde bereits auf die Abwasserabgabe hingewiesen. Sie ist das wohl älteste Beispiel für ein ökonomisches Instrument im Umweltschutz in Deutschland und sicherlich auch das wichtigste Beispiel. Es herrschen jedoch die Zwangsmittel, d.h. die Ge- und Verbote, vor, so auch in der deutschen Wasserwirtschaftspolitik. Sie hat ihren Niederschlag im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) 1 und den zahlreichen darauf beruhenden Verordnungen und Verwaltungsvorschriften gefunden. Hierauf wird nachfolgend eingegangen. Ergänzt werden diese Vorschriften durch weitere relevante Ge- und Verbote, die z.B. in der Trinkwasserverordnung oder dem Waschmittelgesetz zu finden sind. Darauf wird aber nicht eingegangen, wenngleich sie häufig auch von unmittelbarer Bedeutung für Industriebetriebe sind (z.B. die Trinkwasserverordnung für die Lebensmittelindustrie). Das gilt auch für die Landeswassergesetze, die das Wasserhaushaltsgesetz als Rahmengesetz des Bundes ergänzen. Schließlich haben auch Instrumente der Information Bedeutung, wie z.B. das Wasserbuch verwiesen. Nach § 37 sind in das Wasserbuch insbesondere einzutragen "1. Erlaubnisse (§ 7), die nicht nur vorübergehenden Zwecken dienen, Bewilligungen

Soweit nicht anders angegeben ist, beziehen sich die nachfolgenden Paragraphenangaben in diesem Kapitel auf das WHG.

13. Wasserwirtschaftspolitik

277

(§ 8), alte Rechte und alte Befugnisse (§ 16), 2. Wasserschutzgebiete (§ 19), 3. Überschwemmungsgebiete (§ 32)." Für die hier zu behandelnde Thematik sind die Begriffe Wasserwirtschaft und Wasserhaushalt bedeutsam. So heißt das relevante Gesetz "Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts" (Wasserhaushaltsgesetz), und es sieht u.a. "wasserwirtschaftliche Rahmenpläne" vor. Gemäß Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG hat der Bund das Recht, Rahmenvorschriften über "den Wasserhaushalt" zu erlassen, und in Art. 89 Abs. 3 GG wird von "der Wasserwirtschaft" gesprochen. Wasserwirtschaft wird definiert als "die zielbewußte Ordnung aller menschlichen Einwirkungen auf das oberirdische und unterirdische Wasser" (Normblatt DIN 4049). Da es um die Ordnung aller menschlichen Einwirkungen geht, umfaßt diese weite Definition auch den engeren Begriff einer staatlichen Wasserwirtschaft oder anders gesagt: einer staatlichen Wasserwirtschaftspolitik. Der Wortbestandteil "Wirtschaft" täuscht insoweit etwas, als auch u.a. rein technische Aufgaben und Probleme, wie z.B. Entwässerungen und Hochwasserschutz, hierunter verstanden werden. Eingeschränkt ökonomisch und umweltökonomisch gesehen, hat es die Wasserwirtschaft mit der Produktion und der Verteilung bzw. dem Absatz, der Nutzung und der Sicherung bzw. dem Schutz der Ressource Wasser zu tun. Nur dieser letzte Begriffsinhalt ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen und auch nur insoweit, wie er industriepolitisch bedeutsam ist. Der Begriff Wasserhaushalt wird in dem weiten Sinne der Wasserwirtschaft verstanden. Die Gleichsetzung des Begriffs der Wasserwirtschaft mit dem des Wasserhaushalts im Wasserhaushaltsgesetz ist allgemein anerkannt. 2

13.2 Wasser als regenerierbare und knappe Ressource Wasser regeneriert sich im Wasserkreislauf. Wasser wird nicht verbraucht, sondern genutzt. Zahlen über die Menge des Wasserschatzes in Deutschland, d.h. über das natürliche Dargebot, werden laufend ermittelt. Zahlen über den nutzbaren Anteil daran sind dagegen kaum verfügbar. Das natürliche Wasserdargebot wird mit Hilfe der Wasserbilanz ermittelt. Die Wasserbilanz besteht aus einer mengenmäßigen Gegenüberstellung von Wasserzugängen und Wasserabgängen für eine Region. Bei genaueren Bilanzierungen wird auch die Wasserspeicherung auf der Erde erfaßt. Bislang findet die Wasserqualität in der Bilanz keine Berücksichtigung. Zusammenfassend und vereinfachend stellt sich die Wasserbilanz in Gleichungsform folgendermaßen dar: Z+N=V+ A N = Niederschlag auf dem betrachteten Gebiet Z = Zuflüsse 2

Vgl. Gieseke, P., Wiedemann,W., Czychowski, M., Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 5., neu bearb. Aufl., München 1989, Einleitung VI, S. 1.

278

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

V = edle Formen der Verdunstung A = natürlicher oberirdischer und unterirdischer sowie künstlicher Abfluß (z.B. ins Meer) Das Wasserdargebot ergibt sich dann für eine Region aus dem Abfluß zuzüglich dem Zufluß von den Oberliegern bzw. aus dem Ausland. Da die einzelnen Größen aufgrund natürlicher Gegebenheiten in der Regel von Jahr zu Jahr schwanken, werden langjährige Durchschnittswerte zugrundegelegt. Anhand der Zahlenangaben zur Wasserbilanz in Tabelle 13/1 errechnet sich für das natürliche Wasserdargebot in Deutschland aufgrund langjähriger Durchschnittswerte eine Menge von 456 mm oder bezogen auf die Fläche von 356 959 km2 von etwa 163000 x 166 m3. Diese Zahl gibt lediglich eine Größenordnung und einen Durchschnittswert an.3 Exaktere Daten bedürfen detaillierterer Berechnungen. Das natürliche Wasserdargebot kann nur teilweise durch den Menschen genutzt werden. Ein Teil des Wassers ist zur Erhaltung der natürlichen Lebensbedingungen bzw. des ökologischen Gleichgewichts (z.B. konstante Höhe des Grundwasserspiegels) erforderlich, ein Teil aufgrund der Qualität für bestimmte Nutzungen (z.B. Trinkwasser) nicht geeignet oder nicht zugänglich. Als weiterer Dargebotsbegriff ist deshalb das nutzbare Wasserdargebot zu definieren als diejenige Menge, die für bestimmte Zwecke durch den Menschen in Anspruch genommen werden kann. Das nutzbare Wasserdargebot ist unterschiedlich nutzbar. Die höchsten Anforderungen hinsichtlich Reinheit, Aussehen und Geschmack sind an Wasser für Trinkwasserzwecke zu stellen, die niedrigsten an Wasser für die Schiffahrt. Folglich ist das nutzbare Wasserdargebot für die Schiffahrt in der Regel größer als das Dargebot für industrielles Brauchwasser und das wiederum größer als das für Trinkwasser.

3

Zu regionalen Berechnungen vgl. Brösse, U., Die Begrenzung des regionalen Entwicklungspotentials durch die natürliche Ressource Wasser, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Gleichwertige Lebensbedingungen durch eine Raumordnungspolitik des mittleren Weges, Forschungs- und Sitzungsberichte, Bd. 140, Hannover 1983, S. 145 ff.

13. Wasserwirtschaftspolitik

279

Tab. 13/1: Natürliche Wasserbilanz für Deutschland

Niederschlag Abfluß im Vorfluter zum Meer Verdunstung Zufluß von Oberliegern

1931-1960 768mm oder 274145- 106m3 264mm oder 94237- 106m3

1992 772mm oder 275572- 106m3 230mm oder 82101-106m3

501mm oder 178836-106m3 192mm oder 68536-106m3

535mm oder 190973-106m3 182mm oder 64967-106m3

Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Umwelt, Fachserie 19, Reihe 4, Wiesbaden 1994, S. 33.

Tabelle 13/2: Die Entwicklung der Wassernutzung und der Abwassermenge im Bergbau und verarbeitenden Gewerbe in den alten Bundesländern von 1987 bis 1991 in 1000 m3

Erfaßte Betriebe Eingesetztes Wasser Genutztes Wasser Abwassermenge Klärschlammanfall in 10001 Trockenmasse

1987

1991

45 300 8 928 144 34 982 508 9 400 258

48 626 8 739 648 36 774 069 9 089 033

Veränderung 91/87 in % +7,3 -2,1 +5,1 -3,3

1 662

1 585

-4,6

Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 19, Umwelt, Reihe 2.2, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung im Bergbau und verarbeitenden Gewerbe und bei Wämekraftwerken für die öffentliche Versorgung 1991, Wiesbaden 1995, S. 16, 27,51,72

Auch wenn keine quantitativen Angaben zum industriell nutzbaren Wasserdargebot gemacht werden können, so läßt sich doch sagen, daß die Wasserversorgung, gesamträumlich gesehen, in Deutschland kein Mengenproblem darstellt. Vielmehr sind Engpässe in erster Linie die Wassergüte (vor allem des Oberflächenwassers), sodann die Stetigkeit des Dargebots (Trockenperioden) und schließlich die regionale Verteilung. Wenn die Wasserressourcen in Deutschland insgesamt auch (noch?) kein Engpaßfaktor sind, so handelt es sich doch um ein knappes Gut, dessen Nutzung in den

280

II. Teil Ausgewählte Instrumente und Aktivitätsfelder der Industriepolitik

letzten Jahren stetig teurer geworden ist. Die Folge ist ein Rückgang des in der Produktion eingesetzten Wassers und der Abwassermenge im Bergbau und im verarbeitenden Gewerbe trotz gestiegener Zahl der erfaßten Betriebe (vgl. Tab. 13/2). Dabei hat sich aber die Nutzung des eingesetzten Wassers erhöht. Das erklärt sich daraus, daß das eingesetzte Wasser mehrfach, d.h. nacheinander für verschiedene Zwecke, und im Kreislauf, d.h. mehrmals nacheinander für denselben Zweck, genutzt wird. Tab. 13/3 zeigt diese Situation für den Bergbau und das verarbeitende Gewerbe sowie für die Wärmekraftwerke. Die "Nutzungsfaktoren" schwanken allerdings zwischen den Branchen und wahrscheinlich auch zwischen den Betrieben erheblich. Der Rückgang des eingesetzten Wassers hat sich auch auf die Abwassermenge ausgewirkt. Beim Abwasseraufkommen fällt der hohe Anteil des Kühlwassers in einigen Branchen und der hohe Anteil des ungenutzt abgeleiteten Wassers vor allem im Bergbau auf (vgl. Tab. 13/4). Die Abwasserproblematik des Kühlwassers besteht vor allem in der Erwärmung der Vorfluter. Das ungenutzt abgeleitete Wasser aus der Bergbauproduktion erklärt sich aus der Notwendigkeit der Abpumpung von Grundwasser. Über die Reinigung der Abwässer in Abwasserbehandlungsanlagen zeigt Spalte 7 der Tab. 13/4, daß der Anteil des Produktionswassers, der in betriebseigenen Anlagen behandelt wird, vor allem im Bergbau, der eisenschaffenden Industrie, der chemischen Industrie und der papier- und pappeerzeugenden Industrie groß ist. Die Direkteinleitung von unbehandeltem Wasser ist aber inzwischen - abgesehen vom Bergbau und der Verarbeitung von Steinen von Erden - relativ gering, im Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes unter 20 %. Immerhin zeigt Spalte 6, daß auch die Industrie noch einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der Gewässer durch eine weitere Abwasserbehandlung leisten kann. Der Klärschlammanfall hat sich zwar von 1987 bis 1991 ebenfalls vermindert (vgl. Tab. 13/2). Die absolute Höhe verursacht jedoch noch erhebliche Entsorgungsprobleme (vgl. Tab. 13/4). Auch hier müssen Industriepolitik und Industrie gemeinsam nach Wegen zu einer weiteren Verringerung der Klärschlammmengen suchen, insbesondere durch die Ersetzung der End-of-the-pipe-Technologien durch solche, die Abwässer erst gar nicht entstehen lassen. 13.3 Grundsätze Die Wasserwirtschaftspolitik, wie sie im Wasserhaushaltsgesetz angelegt ist, basiert auf zwei wichtigen Grundsätzen: "Die Gewässer sind als Bestandteil des Naturhaushalts so zu bewirtschaften, daß sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen einzelner dienen und daß jede vermeidbare Beeinträchtigung unterbleibt." (§ la Abs. 1).

13. Wasserwirtschaftspolitik

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