Im Spannungsfeld von Universität und Politik, Kirche und Israel: Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Rolf Rendtorff [1 ed.] 9783788733582, 9783788733568


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Im Spannungsfeld von Universität und Politik, Kirche und Israel: Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Rolf Rendtorff [1 ed.]
 9783788733582, 9783788733568

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BIBLISCH-THEOLOGISCHE STUDIEN 179

Manfred Oeming (Hg.)

Im Spannungsfeld von Universität und Politik, Kirche und Israel Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Rolf Rendtorff

Biblisch-Theologische Studien Herausgegeben von Jörg Frey, Friedhelm Hartenstein, Bernd Janowski und Matthias Konradt Band 179

Manfred Oeming (Hg.)

Im Spannungsfeld von Universität und Politik, Kirche und Israel Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Rolf Rendtorff

Mit Beiträgen von E. Blum, W. H. Schmidt, T. Römer, D. Carr, M. Oeming, C. Wolff, F. Crüsemann und R. Rendtorff

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 0930-4800 ISBN 978-3-7887-3358-2

Der Rektor der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Rolf Rendtorff, in Diskussion mit protestierenden Studenten, am 20. Juli 1970 (Foto von Gerhard Ballarin aus dem Archiv der Rhein-Neckar-Zeitung)

Vorwort Die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg ist stolz darauf, dass sie Rolf Rendtorff (10.5.1925 – 1.4.2014) von 1963-1990 als aktiven und engagierten ordentlichen Professor in ihrer Mitte haben durfte. Auch nach seiner Emeritierung blieb er unserer Fakultät eng verbunden. Rolf Rendtorff vereinte in seiner Person Wirkungsfelder, die sonst getrennt sind. Er wurde in einen kirchlichen Kontext hineingeboren, als Sohn von Heinrich Rendtorff, damals Dozent am Predigerseminar Preetz, alsbald Professor für praktische Theologie in Kiel, seit 1930 Bischof der ev.luth. Landeskirche Mecklenburgs. Nach anfänglicher Begeisterung für die Deutsche Bewegung der NSDAP ging sein Vater alsbald auf kritische Distanz, wurde 1934 von den Nazis abgesetzt und ging als Mitglied der Bekennenden Kirche als einfacher Pfarrer nach Stettin. Die Zeiten des Kirchenkampfes erlebte der junge Rolf Rendtorff als prägend. Er studierte nach dem Krieg Theologie, um in der Kirche zu arbeiten. Sein Weg führte ihn aber bald an die Universität, wo er sehr zügig akademischen Meriten erwarb und wissenschaftliche Studien besonders zu PriesterGesetzen, Opfern und Ritualen im alten Israel durchführte. Seine wissenschaftlichen Leistungen bildeten nur den zweiten Teil seines Lebenswerkes; ein drittes bedeutendes Element war sein hochschulpolitisches Wirken als Rektor der Kirchlichen Hochschule Berlin und v.a. als Rektor der Universität Heidelberg sowie sein parteipolitisches Engagement als Bundestagskandidat der SPD. Als besondere Komponente seines Oeuvres muss man viertens seine außergewöhnlich enge Verbindung zu Israel herausstellen, die sich wissenschaftlich-theologisch, kirchlich und poli-

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tisch in z.T. dramatischen Umbrüchen niederschlug. In allen seinen Wirkungsfeldern und –phasen hatte Rolf Rendtorff stets auch einflussreiche Gegner, so dass ihm z.B. die Alte Aula für die Feier seiner runden Geburtstage, aber auch für die akademische Gedenkfeier nicht zur Verfügung gestellt wurde. Die hier vorgelegten sieben Studien gehen auf eine akademische Gedenkfeier im Mai 2016 zurück, welche zu organisieren und durchzuführen die Theologische Fakultät Heidelberg mich beauftragt hatte. Sie fand in der Peterskirche, der Universitätskirche in Heidelberg, einen ebenfalls sehr würdigen Rahmen, wo Rolf Rendtorff immer wieder einmal gepredigt hat. Gewiss ging es dabei zunächst um eine rückblickende Würdigung des komplexen Lebenswerkes, aber ebenso auch um vorausblickende Beleuchtung von weiter ungelösten Problemen in der aktuellen Forschung, in Kirche und Politik sowie im Verhältnis zu Israel, zu deren Bewältigung die Arbeiten von Rolf Rendtorff Lösungswege anbieten. Wie Prof. Dr. Ingrid Schoberth, die zu diesem Zeitpunkt Dekanin war, bei der Feier in der Peterskirche einleitend zu Recht hervorhob, „verlor die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg mit Rolf Rendtorff eines ihrer weltweit renommierten Mitglieder“. Alle Autoren der hier versammelten Beiträge waren Rolf Rendtorff über viele Jahre persönlich verbunden, und ich möchte ihnen allen dafür danken, dass sie das Projekt bis hin zur Publikation mitgetragen haben. Die Beiträge versuchen nachzuzeichnen, welche Streitfragen und noch nicht abgeschlossene Theorieverschiebungen innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft in Deutschland, Israel und den USA mit dem Namen Rolf Rendtorff verbunden sind. Erhard Blum (Tübingen) beleuchtet die hermeneutischen Grundlagen des exegetischen Arbeitens von Rendtorff, der sich zunehmend der Wertschätzung des vorliegenden End-Textes zu-

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gewandt hat. Werner H. Schmidt (Bonn) zeigt die religionsgeschichtlichen Studien auf, denen sich Rendtorff in seiner Frühphase zugewandt hatte. Als sein erster Doktorand kennt er diesen Forschungsansatz genau; in der Ugarit-Forschungsstelle in Heidelberg hat Rolf Rendtorff, v.a. auch mit Hilfe seines damaligen Assistenten Karl Günther, viel für Verbreitung der Sprachkenntnisse und die Erforschung der religiösen Einflüsse des Alten Orients auf das Alte Testament geleistet. Wie stark sich Teile der Pentateuchforschung auch durch Rolf Rendtorff inspiriert von der Quellenscheidung verabschiedeten und zur Überlieferungsgeschichte des Pentateuchs umgeformt wurden, zeichnet Thomas Römer (Paris/ Lausanne) nach. David Carr (New York) entfaltet an dem konkreten Beispiel der ersten drei Kapitel der Bibel das bleibend schwierige Problem des Verhältnisses von Diachronie und Synchronie in der Textauslegung und zeigt paradigmatisch auf, welche positiven Wirkungen die Durchdringung beider Zugänge hat. Der aktuellen Frage, wie eine Theologie des Alten Testaments konzipiert werden soll oder eben auch nicht, geht Manfred Oeming (Heidelberg) nach, der sich mit dem radikal am Endtext orientierten kanonischen Entwurf von Rendtorff kritisch auseinandersetzt. Den zweiten bedeutenden Teil der Vita von Rolf Rendtorff, sein politisches Engagement, entfaltet der Weggefährte und Wahlkampfleiter Christian Wolff (Leipzig). In allen diesen Teilbereichen spielte die Frage, welche Rolle Israel in Beziehung zu oder aber unabhängig von der Kirche haben soll, eine zentrale Rolle. Wie Frank Crüsemann (Bethel) in seinem Beitrag detailliert aufzeigt, bildet die Israel-Frage einen hermeneutischen Schlüssel, wo nicht den roten Faden in Rendtorffs sich wandelnden Positionen in Wissenschaft, Kirche und Politik. Am Schluss soll Rolf Rendtorff noch einmal selbst zu Worte kommen. Die jeweiligen theologischen Entscheidungen und Standpunkte wirken sich bis

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hin zu seiner Predigttätigkeit aus; es macht eine homiletische Differenz, ob man sich bewusst ist, dass man alttestamentliche Texte im Angesicht Israels predigt oder aber nicht. Predigten sind ja immer eine Art Nagelprobe für das theologische Denken. Sein bewegtes Leben hat Rolf Rendtorff in einer Autobiographie selbst dargestellt: Kontinuität im Widerspruch. Autobiographische Reflexionen (2007), und spezifisch zum Alten Testament S. Grätz / B.U. Schipper (Hg.), Alttestamentliche Wissenschaft in Selbstdarstellungen, Göttingen 2007, 19–31. In HEIDI, dem Katalog der Universitätsbibliothek Heidelberg, findet sich ein Fotoalbum mit 141 Bildern (sub verbo „Album Rolf Rendtorff)“, das ihn in vielen Stationen seines Lebens zeigt, u.a. sein Geburtshaus in Preetz, ihn als Marinesoldat, als Teilnehmer beim archäologischen Lehrkurs des Deutschen-Evangelischen Instituts für die Altertumswissenschaft des Heiligen Landes 1959, als Rektor der Universität Heidelberg in verschiedenen Funktionen, z.B. als Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz oder bei Kontakten mit dem Staatspräsident von Israel oder als Gastprofessor in Rom und Pretoria. (Der Nachlass im Universitätsarchiv ist noch nicht freigegeben.) Hier sollen einleitend nur einige ganze knappe Grundinformationen geboten werden: Am 10. Mai 1925 in Preetz/ Schleswig-Holstein geboren, studierte Rolf Rendtorff von 1945 bis 1950 in Kiel, Göttingen und Heidelberg evangelische Theologie. Er promovierte 1950 in Heidelberg bei Gerhard von Rad über „Die Gesetze in der Priesterschrift“; 1953 habilitierte er sich in Göttingen bei Walter Zimmerli für Altes Testament mit „Studien zur Geschichte des Opfers“. 1958 wurde er Professor für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Berlin, der er 1962/63 als Rektor vor-

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stand. 1963 wurde er zum ordentlichen Professor für Alttestamentliche Theologie an die Universität Heidelberg berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1990 siebenundzwanzig Jahre in zahlreichen Funktionen wirkte, u.a. war er in den Jahren 1964/65 Dekan der Theologischen Fakultät. Vom Januar 1970 bis November 1972 war Rolf Rendtorff wiederum Rektor, diesmal an der Universität Heidelberg. Als links-liberaler „Reformrektor“ versuchte er in den bewegten Zeiten der Studentenrevolte der 1968er und der APO, zwischen der eher konservativen Professorenschaft und der radikale Veränderungen einfordernden Studentenschaft zu vermitteln, trat jedoch aufgrund der fehlenden Unterstützung durch die Professoren 1972 zurück (vgl. dazu außer der Selbstdarstellung in „Kontinuität im Widerspruch“, 100ff.; E. Nuissl / R. Rendtorff / W.-D. Webler, Scheitert die Hochschulreform? Heidelberg zum Exempel, Hamburg 1973). Als SPD-Vertreter bewarb er sich 1974 um das Amt eines Bundestagsabgeordneten, konnte den Wahlkreis Heidelberg aber nicht erobern. Daraufhin zog er sich aus der Politik ganz zurück und ging er für ein Jahr nach Jerusalem, was sein gesamtes Denken nachhaltig veränderte. Er wurde zunehmend zum internationalen Vermittler der jüdischen Lesart der Bibel. Sein herausragendes wissenschaftliches Oeuvre ist sehr umfangreich und breit gefächert (vgl. Bibliographie Rolf Rendtorff. Zum 65. Geburtstag am Mai 1990 zusammengestellt v. Joachim Miltenberger, Dielheimer Blätter zum Alten Testament und seiner Rezeption in der Alten Kirche. Beiheft 11, Heidelberg 1990, 53 S.). Rolf Rendtorff hat zwei Lehrbücher verfasst: eine „Einführung in das Alte Testament“ (1983, 7. Aufl. 2007) sowie eine „Theologie des Alten Testaments“ (Bd. 1 1999, Bd. 2 2001). Seine zahlreichen Aufsätze liegen in drei Sammelbänden vor: „Gesammelte Studien zum Alten Testament“ (1975), „Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des

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Alten Testaments“ (1991), „Der Text in seiner Endgestalt. Schritte auf dem Weg zu einer Theologie des Alten Testaments“ (2001). Die meisten seiner Veröffentlichungen liegen auch in englischer Übertragung vor, zum Teil auch in italienischer und französischer Übersetzung. Seine Arbeiten haben trotz ihrer Weite aber doch zwei deutliche Schwerpunkte: zum einen die Tora, die Rendtorff gegen die klassische Quellenscheidung im Pentateuch zunächst primär in ihrer überlieferungsgeschichtlichen Wachstumsgeschichte erforschte, dann konsequent in ihrer kanonischen Endgestalt gelesen hat. Hierbei wiederum wird der priesterlichen Theologie eine besondere Aufmerksamkeit zuteil, v.a. auch den Opfervorstellungen im Buch Leviticus, das er für den Biblischen Kommentar ausgelegt hat (fünf Lieferungen, unvollendet). Der zweite Schwerpunkt seines Lebenswerkes war der christlich-jüdische Dialog (vgl. Jürgen Kegler, Dialog mit dem Judentum. Zum 65. Geburtstag von Rolf Rendtorff; in: Evangelische Kirchenzeitung für Baden (Aufbruch), 42, 1990, 5¸ Erich Zenger, Ein großer Ausleger der Hebräischen Bibel. Laudatio zum 80. Geburtstag von Rolf Rendtorff, Kirche und Israel 20 (2005) 99-108). Unermüdlich hat sich Rendtorff für die Wiedergewinnung Israels für die christliche Theologie eingesetzt, so z.B. durch sein Engagement für die Gründung einer Zeitschrift „Kirche und Israel“; durch seine Initiativen für die Einrichtung und Durchführung des Projekts „Studium in Israel“, bei dem junge Theologinnen und Theologen für ein Jahr in Jerusalem in der Landessprache Hebräisch das Judentum studieren; durch die führende Arbeit in der EKD im Arbeitskreis „Kirche und Israel“ , v.a. aber durch zahlreiche Publikationen zum Verhältnis von Juden und Christen (u.a. Arbeitsbuch Christen und Juden. Zur Studie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland / im Auftr. d. Studienkomm. Kirche u. Judentum hrsg. von Rolf Rendtorff, Gütersloh 1979; zus. mit H.H. Henrix, Die Kirchen

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und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1985, Paderborn/München 1988, 750 S.; Hat denn Gott sein Volk verstossen?. Die evangelische Kirche und das Judentum seit 1945. Ein Kommentar, München 1989). Auch bei der Gründung der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg 1979 war Rolf Rendtorff sehr maßgeblich mitbeteiligt. „Langsam, ganz langsam wächst auch in Deutschland unter den Christen die Erkenntnis, daß unser Verhältnis zu den Juden und zum Judentum im Laufe der Kirchengeschichte in völlig falsche Bahnen geraten ist. Immer mehr beginnen zu begreifen, daß Christentum und Judentum nicht feindselige Antipoden sind, sondern daß sie ganz eng zusammengehören. Für Christen entsteht aus diesen Einsichten die Notwendigkeit zu einer sehr tiefgreifenden Neubesinnung über die Identität des Christentums und der Kirche angesichts des lebendigen Judentums, das die Wurzel bildet, aus dem das Christentum erwachsen ist.“ Mit diesen Sätzen leitete Rolf Rendtorff seinen 1998 erschienenen Sammelband mit Studien zum christlich-jüdischen Dialog ein; sie stehen aber auch wie ein Vermächtnis über dem Lebenswerk dieses Heidelberger Gelehrten, der langjähriger Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft war und 2002 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet wurde. Rolf Rendtorff war ein Gelehrter von betont internationalem Format, der durch seine sehr guten Sprachkenntnisse in Israel ebenso wie in den USA zu den bekannten Vertretern deutscher Wissenschaft zählt. Er hatte Gastprofessuren in Jerusalem, Pretoria, Chicago und Rom inne. Die drei Festschriften zu seinem 50., 65. und 75. Geburtstag legen ein beredtes Zeugnis von seiner weltweiten Reputation ab. 1 –––––––––––––––––––––– Bernd J. Diebner, Hermann Schult, Konrad Rupprecht: Dielheimer Blätter zum Alten Testament (DBAT). Nr. 7-11 (1974–1976), sowie

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Ich möchte aber zum Schluss auch ein paar ganz persönliche Gedanken aussprechen. Ich bin 1985 mit Herrn Rendtorff durchaus heftig zusammengestoßen; und zwar auf folgende Weise: Er hatte mich nach der Publikation meiner Dissertation über den Kohlhammer-Verlag ausfindig gemacht und rief er mich völlig überraschend in Bonn an. Er ging mich unvermittelt heftig an, weil ich in meiner Doktorarbeit „Gesamtbiblische Theologien der Gegenwart“ (1985, 139-162) sein Programm von „Offenbarung als Geschichte“ analysiert und stark kritisiert hatte. Er fand es empörend, dass es ein 28jähriger Doktorand wagte, einen so renommierten Mann wie ihn so kritisch zu beurteilen. Ich habe ihm gesagt, dass mich Autoritätsargumente nicht beeindrucken; er solle mir in der Sache zeigen, ob und wo ich ihm Unrecht getan hätte und neue, bessere Argumente nachlegen. Er war wütend auf mich und legte den Hörer laut auf. Aber dennoch hat er 1996 bei der Frage der Besetzung des alttestamentlichen Lehrstuhls an unserer Heidelberger Fakultät empfohlen, mich zu berufen. Das hat mich überrascht; er konnte offenbar auch mit Kritikern letztlich wohlwollend umgehen, ein untrügliches Zeichen von menschlicher Größe. Ich bin ihm dann öfters in Amerika begegnet, wo er bei den SBL-Tagungen häufiger Gast war. In den USA war und ist er viel bekannter und einflussreicher selbst als Gerhard von Rad, der in Deutschland wohl bedeutendste Alttestamentler. Bei manchem dortigen Kollegen stieg mein Ansehen sprunghaft an, wenn ich sagte, dass ich der Nachfolger von Rolf Rendtorff bin. Er war ein stolzer Mann, aber zu Recht. Wenn einer etwas kann und geleistet hat, dann darf er auch stolz ––––––––––––––––––––––

Beiheft 1: Festschrift zum 50. Geburtstag von Rolf Rendtorff (1975). Dielheim 1974; Erhard Blum /Christian Macholz / Ekkehard W. Stegemann (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. Festschrift für Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag, Neukirchen; Erhard Blum (Hrsg.): Mincha. Festgabe für Rolf Rendtorff zum 75. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 1990.

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sein. Ich habe ihm von Amts wegen zwei Geburtstagsfeiern ausgerichtet; seinen 75. im Senatssaal der Neuen Universität (ich war damals der einzige Alttestamentler an der Fakultät und insofern der zuständige „Nestor“) und seinen 80. in der Hochschule für Jüdische Studien (die ich damals als Prorektor leitete; ich wollte ihm bei dieser Gelegenheit den Dank dieser Institution an ihren Mitgründer ausdrücken). Meine letzte Begegnung mit ihm fand bei einer Veranstaltung in der Hochschule für Jüdische Studien statt. Als Abschluss eines Seminars über den jüdisch-christlichen Dialog nach 1945 von Johannes Heil, Albrecht Lohrbächer und mir gab Rendtorff im Januar 2013 einen sehr persönlichen Erfahrungsbericht zu diesem Thema. Freilich war er tief deprimiert, dass dieses für ihn so entscheidend wichtige Thema, das Verhältnis der Kirche zu Israel, nicht mehr zentral im Bewusstsein von Theologie und Kirche heute steht. Es war wie eine Art Vermächtnis und Auftrag. Manfred Oeming

Inhalt Vorwort .......................................................................... 7 Erhard Blum Der hermeneutische Primat der Texte. Grundlinien der exegetischen Arbeit von Rolf Rendtorff ................ 19 Werner H. Schmidt Aus Rolf Rendtorffs Göttinger und Berliner Zeit. Persönliches und Sachliches ......................................... 41 Thomas Römer Rolf Rendtorff und das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch ............................................... 59 David Carr Von der Diachronie zur diachron informierten Synchronie. Gen 1-3 im Lichte von Rolf Rendtorffs Früh- und Spätwerk neu lesen ...................................... 75 Manfred Oeming Rolf Rendtorff als Theologe. Erwägungen zu seinem kanonischen Entwurf einer Theologie des Alten Testaments .......................................................... 93 Christian Wolff Rolf Rendtorff als Politiker ......................................... 115 Frank Crüsemann Rolf Rendtorff und das Judentum .............................. 137 Rolff Rendtorff Das Alte Testament predigen ..................................... 177 Autorenverzeichnis ..................................................... 205

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Der hermeneutische Primat der Texte. Grundlinien der exegetischen Arbeit von Rolf Rendtorff∗ I Im Wintersemester 1973/74, also nicht lange nach seiner Amtszeit als Rektor der Heidelberger Universität (1970 – 1972), nahm Rolf Rendtorff eine Gastprofessur an der Hebräischen Universität in Jerusalem wahr. Es war ein ungewöhnliches Semester in Jerusalem, vor allem deshalb, weil das Studienjahr mit dem für Israel traumatischen sog. Jom-Kippur-Krieg begonnen hatte. Da Rendtorff sich schon in den 1960er Jahren gute Kenntnisse des Modernen Hebräisch angeeignet hatte, konnte er in der Landessprache unterrichten. Aufgrund der Umstände war der Vorlesungsbetrieb freilich reduziert, was ihm ermöglichte, sich primär auf die eigene Forschungsarbeit zu konzentrieren, deren Erträge er aber sogleich in einem regelmäßigen Kolloquium mit Jerusalemer Doktoranden diskutieren konnte. 1 Wieder zurück in Heidelberg lud Rolf Rendtorff seine Mitarbeiter und ihm verbundene junge Alttestamentler zu ––––––––––––––––––––––

Der im Folgenden unternommene Versuch einer Würdigung Rolf Rendtorffs als Exeget der Hebräischen Bibel schließt auch das Andenken an Georg Christian Macholz und an Konrad Rupprecht ein, die beide mit Rolf Rendtorff lang und eng verbunden waren, Macholz als „erster Schüler“ und als Kollege, Rupprecht als langjähriger Assistent. Konrad Rupprecht ist bereits vor 26 Jahren verstorben, Christian Macholz vor 14 Jahren. Der Vortragscharakter des Beitrags mit Elementen persönlicher Erinnerung wurde bewusst beibehalten. 1 Unter den Teilnehmern waren auch heute so renommierte Kollegen wie Yair Zakovitch, den Rendtorff gern als einen besonders hartnäckig und kritisch nachfragenden Disputanten erwähnte. ∗

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sich nach Hause ein. 2 Rendtorff berichtete begeistert von den Eindrücken und Erfahrungen in Jerusalem und davon, dass er nun endlich einen Zugang zum Verständnis der Überlieferungsgeschichte der Verheißungen an die Erzväter in der Genesis gefunden habe. Einige Grundbeobachtungen und -gedanken hat er sogleich an den Texten entwickelt. Aus dem Gesprächskreis wurde ein informelles Seminar. Weshalb konzentrierte er sich auf die Erzväterverheißungen? Deren forschungsgeschichtliche Bedeutung bestand darin, dass der größere Teil dieser Texte dem sog. „Jahwisten (J)“ zugerechnet wurde und darüber hinaus als theologische Programmtexte dieser ältesten Quellenschrift des Pentateuchs galt gemäß der damals weithin akzeptierten „Urkundenhypothese“ zum Pentateuch. Im Anschluss an Gerhard von Rad hatte dies mit Blick auf Gen 12,1-3 vor allem Hans Walter Wolff in einem bald klassisch gewordenen Aufsatz „Das Kerygma des Jahwisten“ aus dem Jahr 1964 3 vertreten. Rolf Rendtorff wiederum publizierte seine neue Sicht der Verheißungen nicht lange nach der Gastprofessur in Jerusalem im Jahr 1976 in dem Buch „Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch“.4 Sie beruhte auf vier argumentativen Säulen: (1) Die Gottesreden mit Verheißungen gehören nicht integral zur Substanz der älteren Erzählüberlieferung, son––––––––––––––––––––––

Nach meiner Erinnerung gehörten zu diesem Kreis damals Georg Christian Macholz und Konrad Rupprecht, die Mitarbeiter der UgaritForschungsstelle Karl Günther und Jürgen Stolz, sowie Bernd Diebner und Hermann Schult, außerdem Frank Crüsemann, Assistent bei Hans Walter Wolff. Ich selbst war zum ersten Mal in dieser Runde, als frisch gebackene studentische Hilfskraft. 3 Hans Walter Wolff, Das Kerygma des Jahwisten, EvTh 24, 1964, 73-98 = ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 22, München 19732, 345-373. 4 Rolf Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin-New York 1976, 29-79. 2

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dern sind diesen erkennbar angefügt. Hier konnte Rendtorff an Untersuchungen von Claus Westermann 5 anknüpfen. (2) Eine genaue Untersuchung der Formulierungen und der Fügungen der Verheißungstexte führten ihn zur Annahme komplexer „überlieferungsgeschichtlicher“ „Entwicklungslinien“, in denen die „formelhaften“ Verheißungen angewachsen seien. 6 Sein bevorzugtes Beispiel war die Landverheißung in der Formulierung: „Das (ganze) Land, [das du siehst,] dir will ich es geben“ (Gen 13,15a. 17; vgl. 28,13b). 7 Syntaktisch ist darin das Akkusativobjekt („das Land“) als Casus pendens vorangestellt und wird (regelhaft) mit dem Pronominalsuffix am Verb wiederaufgenommen; das Dativobjekt „dir“ (‫ )לך‬steht vor dem Verb. Zweimal (13,15; 28,13) werden auch die Nachkommen des Erzvaters als Empfänger der Landgabe genannt, und zwar (erst) nach dem Verb: „(das Land,) dir will ich es geben und deinen Nachkommen.“ 8 Nach Rendtorff deutet dies daraufhin, dass die Nachkommen (erst) in einem zweiten Schritt hinzukamen. An das neue Stichwort „Nachkommen“ konnte dann eine Mehrungsverheißung angeschlossen werden, z.B. „und deine Nachkommen (‫ )זרעך‬werden sein wie der Staub der Erde“ (28,14aα; vgl. 13,15a). In einem noch späteren Stadium der Landverheißung wurden schließlich „dir“ und „deinen Nachkommen“ bzw. nur „deinen Nachkommen“ als Dativ-Objekt vor das Verbum gestellt: „deinen Nachkommen werde ich das Land geben.“ 9 Mit anderen Worten, seine Analyse führte 9F

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Claus Westermann, Arten der Erzählung in der Genesis, in: ders., Forschung am Alten Testament. Gesammelte Studien, TB 24, München 1964, 9-91. 6 Rendtorff, Pentateuch (s. Anm. 4), 42ff. 7 Gen 13,15a: ‫לְ � אֶ ְתּ ֶננָּה‬ ‫כִּ י אֶ ת־כָּל־הָ אָ ֶרץ אֲשֶׁ ר־אַ תָּ ה רֹ אֶ ה‬ Gen 28,13b*: ‫הָ אָ ֶרץ אֲשֶׁ ר אַ תָּ ה שֹׁ כֵב ָﬠלֶיהָ לְ � אֶ ְתּ ֶננָּה‬ 8 Gen 13,15: ‫ לְ � אֶ ְתּ ֶננָּה וּֽ לְ ז ְַרﬠֲ� ﬠַד־עוֹלָם‬... Gen 28,13b: �ֶ‫ לְ � אֶ ְתּ ֶננָּה וּלְ ז ְַרﬠ‬... 9 Siehe Gen 26,3; 12,7; 15,18; 26,4. 5

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auf das Bild einer formelhaften, stetig anwachsenden und sich verändernden Überlieferung. 10 (3) In den größeren narrativen Zusammenhängen betrachtet, erwiesen sich ihm die Verheißungsreden als Elemente, mit denen die verschiedenen Teile der Erzelterngeschichten verknüpft, gegliedert und gedeutet werden. Ein Beispiel: Abraham widerfährt in Gen 13,14-17 am Beginn seiner Geschichte in Kanaan eine Gottesrede, deren Verheißungselemente bis ins Detail mit der ersten Gottesrede an Jakob in Gen 28,13-14 übereinstimmen. Zudem sind beide Gotteserscheinungen in oder bei Bethel lokalisiert. Hier werden die Geschichte und der Weg Abrahams unverkennbar mit denen von Jakob verknüpft und parallelisiert.11 (4) Verheißungstexte in den beschriebenen Funktionen finden sich (vor P) nur in der Genesis. Besonders auffällig ist ihr Fehlen am Anfang der Exodusgeschichte, wie Rendtorff hervorhebt. 12 Bei einem den Pentateuch übergreifenden Jahwisten, für den die Landverheißung in der Vätergeschichte eine so zentrale Bedeutung hat, wäre eine Aufnahme dieser Verheißung im Kontext von Ex 1-4 geradezu zwingend. Der Beleg dafür ist die jüngere Priesterschrift („P“) oder, um mit Rendtorff zu reden, die „Priesterliche Schicht“ des Pentateuchs, die den Zusammenhang zwischen der Vätergeschichte und der Exodusgeschichte in ––––––––––––––––––––––

Die Grundelemente des Zugangs mit der Annahme „formelhafter“ Elemente und der bevorzugten Rede vom „Wachstum“ der Überlieferung, wobei deren Anfang in „kleinsten Elementen“ vermutet wurde, zeigen ein bestimmtes Verständnis der sog. „Formgeschichte“ der Texte an, das bereits für Rendtorffs Dissertation über die priesterlichen Gesetze (Die Gesetze in der Priesterschrift. Eine gattungsgeschichtliche Untersuchung, FRLANT 62, Göttingen 1954, 19632) methodisch grundlegend ist. Rendtorff konnte sich dabei in einer „Schultradition“ sehen, die über von Rad auf Albrecht Alt und Hermann Gunkel zurückgeht. 11 Rendtorff, Pentateuch 54, 63f., vgl. aber auch den gleich zu nennenden Vortrag in Jerusalem von 1969 (unten bei Anm. 17). 12 Ebd. 65-70. 10

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der Tat mit genau solchen Rückverweisen (Ex 2,23-25; 6,2-9) explizit formuliert. Nimmt man diese Argumente ernst, ist die Hypothese eines übergreifenden literarischen Werkes vor der P-Schicht in Genesis und Exodus grundsätzlich infrage gestellt. Wenig später drang nach Heidelberg die Kunde, dass es auch andernorts kritische Anfragen an die Urkundenhypothese des Pentateuchs gebe. So vertrat John Van Seters in Kanada eine Entstehung der vor-P Abraham-Überlieferung in der Zeit des babylonischen Exils. 13 Und an der Kirchlichen Hochschule zu Bethel plädierte Hans Heinrich Schmid für eine Spätdatierung der vorpriesterlichen Texte, was damals hieß: in die „spätvorexilische“ Zeit. 14 Sowohl Van Seters als auch Schmid hielten aber an einem wie auch immer abgegrenzten „Jahwisten“ fest. Demgegenüber bestritt Rolf Rendtorff radikal die literarische Grundlage der gängigen Pentateuchhypothese und propagierte insofern einen kompletten Ausstieg aus diesem Erklärungsmodell. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass die Urkundenhypothese von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ans Ende der 1960er Jahre ähnlich unangefochten als Stand der Forschung galt wie in der neutestamentlichen Exegese die Zweiquellentheorie zu den synoptischen Evangelien. Nun gibt es am Rande aller großen und nachhaltigen Theorien immer wieder die kritischen Einzelstimmen, die eine Außenperspektive repräsentieren. In diesem Falle war es anders. Denn Rendtorff gehörte als erster Doktorand Gerhard von Rads und dann auch als dessen Fakultätskollege in Heidelberg – mit einem Ausdruck von ––––––––––––––––––––––

John Van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven – London 1975. Seither hat Van Seters seine Sicht des “Jahwisten”, dem er i.W. das gesamte Material von „JE“ der „Neueren Urkundenhypothese“ zuschreibt, in mehreren Monographien entfaltet. „J“ gilt ihm als „Historiker“ vom Typus eines Herodot. 14 Hans Heinrich Schmid, Der sogenannte Jahwist. Beobachtungen und Fragen zur Pentateuchforschung, Zürich 1976. 13

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Rads 15 – zur „Alt’schen Großfamilie“, d.h. er kam aus der Mitte der deutschen alttestamentlichen Wissenschaft in jener Epoche. II Was bewegt jemanden aus diesem Kontext, einen grundlegend neuen Blick auf einen fundamentalen Bereich dessen zu wagen, was in der Disziplin schlicht als selbstverständlich gilt? – Es war nicht die Gastprofessur in Jerusalem, auch nicht die partielle Auszeit aus der Forschung während der Rektoratsjahre. Dies belegt ein Kongressvortrag aus dem Jahr 1969, in dem Rendtorff bereits seine grundsätzlichen Zweifel an der Urkundenhypothese im Pentateuch formulierte, und dies im Wesentlichen mit Argumenten, die er später in der Monographie von 1976 entfaltete. Den Vortrag hielt er auf dem fünften World Congress of Jewish Studies in Jerusalem. Der Ort könnte Zufall sein, war es aber nicht, zumindest nicht uneingeschränkt. Denn in Jerusalem hatte Rendtorff so etwas wie eine zweite akademische Heimat gefunden. 16 Seit einer ––––––––––––––––––––––

So überliefert in Rendtorffs Abschiedsvorlesung: Rolf Rendtorff, Nach vierzig Jahren. Vier Jahrzehnte selbsterlebte alttestamentliche Wissenschaft – in Heidelberg und anderswo, in: ders., Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 29-39, hier 30. Der Ausdruck bezieht sich auf Albrecht Alt, den Lehrer einer Generation deutscher Alttestamentler, darunter nicht zuletzt Martin Noth und Gerhard von Rad. 16 Freilich nicht nur eine akademische Heimat. In seinen autobiographischen Erinnerungen sagt Rendtorff, bezogen auf den Israel-Besuch von 1963: „… die beiden eng miteinander verflochtenen Themen ‚Deutschland und Israel‘ und ‚Christen und Juden‘ sind seither so etwas wie eine Grundmelodie meines theologischen und politischen Denkens geworden und werden es gewiss bis an mein Lebensende bleiben“; Rolf Rendtorff, Kontinuität im Widerspruch. Autobiographische Reflexionen, Göttingen 2007, 100. Vgl. dazu auch die Würdigung von Rendtorffs theologischem und politischem Wirken in Frank Crüsemann, Rolf Rendtorff (1935-2014), Kirche und Israel 30 (2015), 3-26 sowie zu seinen theologischen Anliegen: Erhard Blum, Rolf Rendtorff, in: Johannes Ehmann u.a. (Hg.). „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. 15

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ersten Israel-Reise im Jahr 1963 stand er hier in Kontakt mit Gelehrten wie Gerschom Scholem und Ernst Simon und in einem intensiven Austausch mit Fachkollegen wie Isac Leo Seeligmann und vor allem mit seinem Alterskollegen und Freund Shemaryahu Talmon. Zugleich hat er die Landessprache, das moderne Hebräisch erlernt. Er war wahrscheinlich der erste christliche Alttestamentler, nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus, der eine hebräische Zeitung und hebräische wissenschaftliche Publikationen lesen und auch in dieser Sprache lehren konnte. Damit hat sich ihm eine neue Welt eröffnet, der Zugang zur nachbiblischen Traditionsliteratur und nicht zuletzt eine veränderte Sicht des Judentums, auch in theologischer Perspektive. Vieles spricht dafür, dass er dabei durch die Jerusalemer Kollegen, die schulmäßig weniger gebunden waren, auch Impulse erhalten hat, die ihm den kritisch-distanzierten Blick auf die eigene Forschungstradition erleichtert haben. Wie hoch er die Bedeutung des unmittelbaren Zugangs zum akademischen Leben Israels gerade auch für Theologen einschätzte, zeigt sich im Übrigen an einem Projekt, mit dem sich Rolf Rendtorff in besonderer Weise verdienstvoll gemacht hat: Aufgrund eigener Erfahrungen und der Kenntnis einzelner deutscher Studenten, die nach Jerusalem gegangen waren, hatte er die Idee eines Studienprogramms, in dessen Rahmen Theologiestudierende aus deutschsprachigen Ländern ein Studienjahr an der Hebräischen Universität absolvieren können – in hebräischen Vorlesungen und Seminaren zur Bibel, zum Talmud oder zu jüdischer Philosophie. Gemeinsam mit Martin Stöhr, damals Direktor der evangelischen Akademie in Arnoldshain, und mit Pfarrer Michael Krupp in Jerusalem hat er dann Ende der 1970er Jahre ein solches Programm tatsäch––––––––––––––––––––––

Festschrift zum vierzigjährigen Bestehen von Studium in Israel e.V., SKI.NF 10, Leipzig 2018, 213-229.

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lich auf den Weg gebracht. Im Jahr 2018 kann es als „Studium in Israel“ sein 40-jähriges Bestehen feiern. Seine mehr als 600 Absolventen wirken inzwischen in unterschiedlichen kirchlichen und universitären Kontexten. Aber zurück zu dem Kongress-Vortrag von 1969!17 Unbeschadet möglicher indirekter Jerusalemer Impulse, neben denen auch direktere aus dem schwedischen Uppsala 18 zu nennen wären, beruft sich der Jerusalem-Vortrag ganz ausdrücklich allein auf Entwicklungen innerhalb der deutschen alttestamentlichen Forschung, die es erforderlich machten, die Urkundenhypothese der Pentateuchkritik grundsätzlich zur Diskussion zu stellen. Diese Entwicklungen führt er auf die „überlieferungsgeschichtliche Methode“ zurück, „die durch von Rad, Noth und andere entwickelt und nun von vielen jüngeren Forschern angewandt wird.“ 19 Sie basiere ganz entscheidend auf der von H. Gunkel begründeten „Formgeschichte“. Die Fragestellungen dieses überlieferungsgeschichtlichen Zugangs werden – wie dann auch in der Monographie von 1976 – in einer doppelten Spannung zur literarkritisch arbeitenden Quellenscheidung gesehen: Zum einen ergäbe sich bei diesem ––––––––––––––––––––––

17 Rolf Rendtorff, Traditio-Historical Method and the Documentary Hypothesis, in: Proceedings of the Fifth World Congress of Jewish Studies. Vol. I, Jerusalem 1969, 5-11. Überraschenderweise ist dieser wichtige Vortrag/Aufsatz in der ansonsten sehr genauen Bibliographie, die der Heidelberger Bibliothekar J. Miltenberger zusammengestellt hat, nicht aufgeführt; vgl. Joachim Miltenberger, Bibliographie Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag am 10. Mai 1990, DBAT.B 11, Heidelberg 1990. 18 In seiner Abschiedsvorlesung verwies Rendtorff in diesem Zusammenhang auf einen Besuch bei Helmer Ringgren in Uppsala im Jahr 1965 und seinen dortigen Vortrag („Literarkritik und Traditionsgeschichte“, publiziert in EvTh 27 [1967], 138-153). Die starke Gewichtung der mündlichen Überlieferung innerhalb der „Uppsala-Schule“ (Ivan Engnell u.a.) hatte durchaus gewisse Affinitäten zu seinem Verständnis von „Überlieferungsgeschichte“. 19 Rendtorff, Traditio-Historical Method (s. Anm. 17), 5: “… the method developed by von Rad, Noth and others and used now by many younger scholars.”

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Nebeneinander eine methodologische Inkonsistenz, zum anderen zeigten sich dabei konkrete Textbefunde, denen die Quellenscheidung nicht gerecht werden kann. Mit „Überlieferungsgeschichte“ erscheint in dem Vortrag ein Begriff, der für Rolf Rendtorffs frühe Arbeiten ebenso zentral war wie für seine exegetischen Neuansätze bis in die 1980er Jahre hinein. Was ist damit genau gemeint? In dem Aufsatz wie später auch in der Monographie zitiert er hierzu Martin Noth. Dieser schreibt auf der ersten Seite eines Buches von 1948, das bezeichnenderweise den Titel „Überlieferungsgeschichte des Pentateuch“ trägt, eine Überlieferungsgeschichte habe die „Aufgabe“, dem gesamten Prozess der Genese des Pentateuchs nachzugehen, von den Anfängen in „mündlich gepflegten und weitergegebenen Traditionen“ über deren Niederschrift bis hin zu den „großen literarischen Werken“, die schließlich durch „rein literarische Arbeiten sogenannter Redaktoren“ verbunden wurden. – Anders als heute gern im Anschluss an Odil Hannes Steck definiert wird, ist „Überlieferungsgeschichte“ bei Noth also nicht auf die mündliche Textweitergabe allein beschränkt, sondern dient als Oberbegriff für den Gesamtprozess, in dem Traditionstexte entstehen. Weshalb aber sollte sich mit dieser Aufgabenstellung eine methodologische Spannung zur literarkritischen Quellenscheidung im Pentateuch ergeben? Rendtorffs Vortrag insistiert darauf, dass in der klassischen Pentateuchkritik der Weg von den kleinen Traditionseinheiten, gemeint sind die von Gunkel herausgearbeiteten Einzelsagen und -notizen, bis hin zu den großen Quellenwerken nicht hinreichend in den Blick komme. Das war damals wohl richtig, doch erwies sich die Fragestellung deshalb als mit der Quellenscheidung unvereinbar? Immerhin hatte schon das zitierte Werk von Noth eben diese Aufgabe in Angriff ge-

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nommen. Wenn ich recht sehe, sind andere von Rad-Schüler Rolf Rendtorff in dieser Hinsicht denn auch nicht gefolgt. 20 Tatsächlich liegt der Rendtorffschen Unvereinbarkeitsthese noch ein weitergehendes Verständnis von „Überlieferungsgeschichte“ zugrunde, das in der damals selbstverständlichen Rede von der „überlieferungsgeschichtlichen Methode“ zum Ausdruck kommt. Und obwohl dieser Methodenbegriff selbst eigentlich nicht konsistent ist, weil darin das Erkenntnisziel, nämlich komplexe Prozesse von Traditionsbildung, und eine bestimmte „Methode“, also ein regelgeleitetes Verfahren zur Problemlösung, allzu einfach korreliert werden,21 war damit dennoch in der Sache ein wesentlicher Impuls im Blick, auf den ich gleich zurückkommen werde. Nachhaltig bewährt hat sich demgegenüber die zweite Argumentationslinie in dem Jerusalemer Vortrag, nämlich der Hinweis auf Sachverhalte, bei denen die Urkundenhypothese systemisch mit konkreten Textbefunden in Konflikt gerät. In Aufnahme von Gattungsanalysen Hermann Gunkels und von dessen Beobachtungen zu narrativen Kompositionen verweist Rendtorff etwa auf die erzählerische Geschlossenheit des Jakob-Zyklus oder der novellistisch ausgeführten Josepherzählung und auf den wiederum deutlich anderen Erzählstil in den Abrahamepisoden. Bereits von daher sei es „ausgeschlossen“, diese Einheiten ––––––––––––––––––––––

20 Stellvertretend seien hier Klaus Koch und Odil Hannes Steck genannt. 21 Allerdings war diese begriffliche Inkonsistenz damals gängig – und ist es vielfach bis zu heutigen „Methodenbüchern“. Noch eklatanter sind die methodologischen Schwächen des (nicht von Gunkel), sondern im Bereich der neutestamentlichen Exegese eingeführten Konzepts der „Formgeschichte“; s. dazu Erhard Blum, „Formgeschichte“ – ein irreführender Begriff (2006), in: ders., Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament (hg. von Wolfgang Oswald und Kristin Weingart), FAT 95, Tübingen 2015, 69-82.

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ein und demselben Autor oder Erzähler zuzuschreiben. Hinzu komme das offensichtliche Fehlen substantieller Querbezüge zwischen den Erzähleinheiten, das dann insbesondere mit Blick auf den Anfang der Moseerzählung und das auffällige Schweigen zur Landverheißung an die Väter näher ausgeführt wird. Wie brisant diese Fragestellung der literarischen Querverbindungen in der Pentateucherzählung war, zeigte eine bald danach, im Jahr 1972, abgeschlossene Heidelberger Dissertation, die interessanterweise von Hans-Walter Wolff angeregt und betreut worden war. Wolff war ja der entschiedenste Verfechter der Urkundenhypothese mit früh datiertem Jahwist und Elohist unter den Heidelberger Alttestamentlern. Die Arbeit von Rainer Kessler mit dem Titel „Die Querverweise im Pentateuch“ arbeitete aus methodischen Gründen jedoch ohne die Prämissen einer J- und E-Quelle. Ihre Ergebnisse konvergierten auf der ganzen Linie mit Beobachtungen Gunkels und mit den Grundideen von Rendtorff, der die Kesslersche Untersuchung denn auch gern rezipierte.22 Schon Anfang der 1970er Jahre zeichnete sich somit als Alternative zur Quellentheorie recht deutlich ein „Bausteinmodell“ größerer Erzählungseinheiten ab, das – wie Rendtorff es später sah – in Noths kompositioneller Profilierung des „deuteronomistischen Geschichtswerks“ („dtrG“) in Deuteronomium bis 2. Könige die signifikanteste Analogie hatte. Auch der Wolff-Schüler Kessler bezeichnete im Übrigen seine Arbeit im Untertitel ganz selbstverständlich als „überlieferungsgeschichtliche Untersuchung“. Das Stichwort aufnehmend komme ich noch einmal auf Rendtorffs ––––––––––––––––––––––

Leider hat Kessler seine Dissertation seinerzeit nicht veröffentlicht. Erfreulicherweise wurde dies vor Kurzem nachgeholt mit Rainer Kessler, Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb des vorpriesterlichen Pentateuchs, BEAT 59, Frankfurt/Main 2015. Zum Hintergrund der Arbeit und zum methodischen Vorgehen s. die Ausführungen im „Vorwort“ (S. 15ff.) und in der „Einleitung“ (S. 29ff.). 22

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Verständnis von „Überlieferungsgeschichte“ zurück. Hätte man ihn Mitte der 1970er Jahre nach einem Beispiel für eine genuin überlieferungsgeschichtliche Analyse gefragt, dann hätte er wohl auf seine Untersuchung der Väterverheißungen verwiesen, die er in Jerusalem konzipiert hatte und die in seinem Pentateuch-Buch eine wichtige, im Detail ausgeführte Textanalyse darstellt. Es ist von daher nicht ohne eine gewisse Ironie, dass die darin gezeichnete Wachstumsgeschichte der Verheißungen verglichen mit seinen sonstigen exegetischen Arbeiten wahrscheinlich am wenigsten rezipiert wurde. Dies mag damit zusammenhängen, dass einige Fragen offenblieben, etwa ob die angenommenen diachronen Prozesse mündlich oder schriftlich vorzustellen sind 23 und wie sie mit der kompositionellen Funktion der Verheißungen zusammengedacht werden könnten. Aber auch philologisch drängten sich manche Anfragen auf. So erinnere ich mich an ein Gespräch mit Hermann Schult, in dem wir uns rasch darüber verständigten, dass die zu Anfang referierte Formulierung der Landverheißung „dir gebe ich es und deinen Nachkommen“ ( � ְ‫ל‬ �ֶ‫ )אֶ ְתּ ֶננָּה וּלְ ז ְַרﬠ‬im Grunde guter hebräischer Stil ist 24 und eigentlich nicht nach einer entstehungsgeschichtlichen Erklärung ruft. Rendtorff hat in den Folgejahren seine Analyse der Verheißungstexte stillschweigend auf-sich-beruhen lassen, was sich auch daran zeigt, dass er bei der Vorbereitung seiner 1983 erschienenen „Einführung in das Alte Testament“ den Assistenten fragte, ob er das Kapitel 24F

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23 Auch in Gesprächen lehnte er es stets ab, sich in dieser Hinsicht festzulegen. Für den Hintergrund vgl. bereits den Uppsala-Vortrag, s. Anm. 17. 24 Dies gilt insbesondere für die Satzkonstruktionen mit Casus pendens (wie in Gen 13,15; 28,13), aber keineswegs nur dafür; vgl. beispielsweise die Formulierungen in Gen 31,16a.43; Dtn 1,36a; 26,11. Mit der Wortstellung können unterschiedliche Satzprofile mit differenzierten Hervorhebungen gebildet werden.

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zur Vätergeschichte schreiben möchte.25 Die Thesen von 1974 spielen darin denn auch keine Rolle. Ganz anders verhielt es sich mit dem Konzept der „Überlieferungsgeschichte“ selbst. Dieses blieb für ihn unverändert von fundamentaler Bedeutung, in erster Linie als eine Art Kontrastbegriff zu der herkömmlichen Literarkritik und der darauf beruhenden Quellenscheidung oder Redaktionsgeschichte. 26 Angesichts redaktionskritischer Analysen, die in einem alttestamentlichen Text fünf, zehn oder mehr Redaktionen voneinander abhoben und jede der Vorstufen im Wortlaut meinten rekonstruieren zu können, reagierte Rolf Rendtorff zumeist allergisch, oft auch mit beißendem Spott. In seinen eigenen Untersuchungen vermied er nach Möglichkeit Begriffe wie „Redaktor“, „Zusatz“ oder auch „sekundär“, die in literarhistorischen Arbeiten völlig selbstverständlich waren und sind, die für ihn aber eine Art des verfügenden Zugriffs auf die Texte anzeigten, die seiner eigenen exegetischen Natur ganz und gar widerstrebte. Stattdessen sprach er von „Textwachstum“, von „Bearbeiter“ (anstatt von „Redaktor“), von „Fortführung“ oder ähnlichem (anstatt „Zusatz“). Man wird in seinen Publikationen auch keine Fixierung einer hypothetischen Textvorstufe im Wortlaut finden. Dies alles hatte nichts mit fehlender Entscheidungsfreude oder gar mangelndem Selbstbewusstsein zu tun, sondern mit einer tiefsitzenden Skepsis gegenüber der Vorstellung, mit der systematischen Subtraktion der jüngeren Strata ließe sich die Literargeschichte eines bestimmten Korpus in beliebiger Tiefenschärfe rekonstruieren, so wie die Abfolge von Versteinerungen in Gesteinssegmenten. Diese Skepsis ist durchaus berechtigt, zeigen doch empirisch kontrollierbare Prozesse der Traditionsbildung, dass diese häufig nicht rein ––––––––––––––––––––––

Meine Dissertation über die „Komposition der Vätergeschichte“ war im Wintersemester 1981/82 von der Heidelberger Fakultät angenommen worden. 26 Vgl. dazu bereits Rendtorff, Literarkritik (s. Anm. 17). 25

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additiv erfolgt, sondern unter anderem mit substantiellen Transformationen, die sich jeder Rekonstruktion entziehen. In der Konsequenz steht einerseits infrage, ob literarkritische Indizien hinreichend sind für eine komplette Analyse, andererseits schließt auch fehlerlose Textkohärenz eine diachrone Uneinheitlichkeit des betreffenden Textes nicht notwendig aus. 27 Soweit die vermeintlich nur auf handwerkliche Solidität angelegten Anleitungen in Methodenbüchern gegenläufige Annahmen implizieren, handelt es sich um Postulate, die der Selbstrechtfertigung bestimmter Formen des disziplinären Betriebs dienen. Denkt man dem im Blick auf die mögliche Komplexität realer Textbildungsprozesse nach, wird man die relative „Offenheit“ und Unbestimmtheit der Überlieferungsgeschichte à la Rendtorff nicht als Schwachpunkt, sondern eher als Vorzug des Zugangs sehen. Wichtiger als solche methodologischen Aspekte war für Rolf Rendtorff aber die jeweils zugrundeliegende Einstellung zu den Texten. Bei ihm konnte man lernen, dass Texte ein Recht darauf haben, in ihrer individuellen, eigentümlichen Gestalt wahrgenommen und verstanden zu werden. Zu den vielen Aspekten, die er an seinem Lehrer Gerhard von Rad bewunderte und die er von ihm lernte, gehörte nicht zuletzt auch das empathische „Sich-Eindenken“ in die Überlieferung und deren sensible Erschließung, gerade auch da, wo sie sich als fremd und widerständig erwies. Es ging ihm, mit anderen Worten, um Achtung und Respekt vor den Texten. Aufseiten des Exegeten hat dem gegebenenfalls so etwas wie Selbstrücknahme zu korrespondieren oder – in der Sprache der Tradition – „Demut“. Dementsprechend hatte Rendtorff geradezu eine ––––––––––––––––––––––

27 Vgl. Erhard Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche ‚Exegetik‘“, in: Bernd Janowski (Hg.), Theologie und Exegese des Alten Testaments/der Hebräischen Bibel, SBS 200, Stuttgart 2005, 11-40, hier 13-23 = ders., Grundfragen (s. Anm. 21), 1-29, hier 3-12, die ausgeführte Begründung dazu ebd. 28-33 = 17-22.

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Aversion gegen schneidig-herablassende Evaluierungen von Traditionstexten, die dem Stilgefühl oder auch dem theologischen Verständnis neuzeitlicher Professoren nicht entsprachen und die dementsprechend exegetisch seziert und vermeintlich in Ordnung gebracht werden mussten. Trug diese Aversion mitunter durchaus affektive Züge, so waren diese zweifellos in seiner Liebe zu den Texten der hebräischen Bibel begründet, wohl auch in seiner Frömmigkeit, die er freilich nicht leutselig auf der Zunge trug. III Hat man diese grundlegende Prägung des Exegeten Rendtorff im Sinne eines hermeneutischen Primats der Texte vor Augen, kann es nicht verwundern, dass er Anfang der 1980er Jahre geradezu elektrisiert war, als er einen in den USA entwickelten Neuansatz im Bereich des Alten Testaments kennenlernte: das Programm einer „kanonischen Exegese“, wie es insbesondere von Brevard S. Childs 28 vertreten wurde. Dessen Konzept war für Rendtorff deshalb so spannend, weil es die Möglichkeit einer „holistischen“, d.h. ganzheitlichen Auslegung auch übergreifender Zusammenhänge in der kanonischen Endgestalt der hebräischen Bibel propagierte, und dies ausdrücklich mit einem theologisch-hermeneutischen Anspruch, ohne dabei die Möglichkeit einer bestimmten Entstehungsgeschichte des Endtextes, die in diesem auch ihre Spuren hinterlassen hat, zu bestreiten. Nach ersten Ansätzen in der „Einführung“ konzentrierte sich Rendtorff zunehmend und sehr bewusst auf dieses Konzept, so schon bei der Arbeit an seinem Leviticus-Kommentar 29 und dann in zahlreichen

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Das Referenzwerk war seinerzeit Brevard S. Childs, Introduction to the Old Testament as Scripture, London 1979. 29 Rolf Rendtorff, Leviticus. 1. Teilband Leviticus 1,1 – 10,20, BK III/1, Neukirchen-Vluyn (1985-)2004. 28

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Einzelstudien, 30 die auf sein Hauptwerk der Jahrzehnte nach der Emeritierung, auf die zweibändige „Theologie des Alten Testaments“ 31 ausgerichtet waren. Diesen Publikationen können und brauchen wir hier nicht im Einzelnen nachzugehen, zumal die „Theologie“ in einem eigenen Beitrag gewürdigt wird. 32 Stattdessen bietet es sich an, hier etwas genauer nachzufragen nach dem sachlichen Zusammenhang zwischen dieser Fokussierung auf den kanonischen Endtext und der beschriebenen exegetischen Grundausrichtung Rendtorffs, die wesentlich durch von Rad geprägt war. Wir können uns dafür noch einmal an einen Jerusalemer Vortrag halten. Auf dem großen Kongress der International Organization for the Study of the Old Testament (IOSOT), der 1986 in Jerusalem stattfand, war Rendtorff eingeladen, bei einer Abendveranstaltung über „Recent Trends and Major Developments in Modern Biblical Research“ zu sprechen.33 Neben ihm (als Protestant) waren als weitere Redner der legendäre Cyrus H. Gordon als jüdischer Vertreter und der Pionier literaturwissenschaftlicher Zugänge zur Bibel Luis Alonso Schökel als Katholik beteiligt. Noch in Jerusalem erzählte Rendtorff, nach der Veranstaltung habe ein amerikani––––––––––––––––––––––

30 Rolf Rendtorff, Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991; ders., Der Text in seiner Endgestalt. Schritte auf dem Weg zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 2001. 31 Rolf Rendtorff, Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf. Band 1: Kanonische Grundlegung, Neukirchen-Vluyn 1999; Band 2: Thematische Entfaltung, Neukirchen-Vluyn 2001. 32 Siehe dazu den Beitrag von Manfred Oeming in diesem Band. 33 Publiziert als Rolf Rendtorff, Between historical criticism and holistic interpretation: new trends in Old Testament exegesis, in: J.A. Emerton (Hg.), Congress Volume Jerusalem 1986, VT.S 40, Leiden u.a. 1988, 298-303 = ders., Zwischen historisch-kritischer Methode und holistischer Interpretation. Neue Entwicklungen in der alttestamentlichen Forschung, in: ders., Kanon (s. Anm. 30), 23-28. Im Folgenden wird nach der deutschen Fassung zitiert.

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scher Kollege ihm gesagt, dass aus seinem Vortrag der Enthusiasmus eines „Bekehrten“ zu vernehmen gewesen sei. Die Weise, wie er dies erzählte, ließ erkennen, dass er sich nicht gänzlich missverstanden fühlte. Es waren vor allem zwei Defizite, die Rendtorff den diversen Ausprägungen 34 der etablierten historisch-kritischen Exegese vorhielt: Zum einen (a) habe die traditionelle Exegese die Texte vielfach als Mittel zum Zweck für einen externen Erkenntnisgegenstand „hinter den Texten“ benutzt, z.B. als Quellen für eine Rekonstruktion der Geschichte Israels oder für die Geschichte der Traditionen Israels, seiner Institutionen etc. Die „Auslegung der Texte selbst“ sei dabei vernachlässigt worden. Zum anderen (b) hätten „Bibelwissenschaftler“ mithilfe der Literarkritik „häufig ihre eigenen Texte hergestellt und dann diese selbstgemachten Texte der Auslegung und der historischen Rekonstruktion zugrunde gelegt.“ 35 Dieser primär diachron ausgerichteten herkömmlichen Forschung stellt er als neuere Zugänge die synchron auf die überlieferte Endgestalt ausgerichteten literarisch-literaturwissenschaftlichen Ansätze sowie den „kanonischen Ansatz“ gegenüber. Letzteren sei gemeinsam, dass sie die überlieferten Texte in einem „close reading“ jeweils holistisch (ganzheitlich) auslegen wollten. Dabei erkennt er an der kanonischen Exegese besondere Stärken, zum einen deshalb, weil diese sich der geschichtlichen „Tiefendimension“ der Texte bewusst sei und diesen Aspekt konzeptionell integriere, 36 zum anderen in der Fokussierung auch ––––––––––––––––––––––

34 Dazu verwies er vor allem auf die prägenden „Schulen“ der fünfziger Jahre, in erster Linie die mitteleuropäische „Alt-Schule“ und die amerikanische „Albright-Schule“, außerdem auf die britische „Mythand-Ritual-School“ bzw. die skandinavische „Uppsala-Schule“, die insbesondere mit kultischen Traditionsbildungen rechneten (ebd. 23). 35 Ebd. 25. 36 Ebd. 27, mit Verweisen auf Arbeiten von B.S. Childs und Gerald Sheppard.

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auf größere Einheiten wie biblische Bücher oder den Kanon als Ganzen. Was wie ein Frontalangriff auf die etablierte wissenschaftliche Exegese, zumal in Deutschland, anhob, mündet dann aber in ein Plädoyer für ein Nebeneinander der verschiedenen methodischen Zugänge, in dem sowohl die geschichtlichen Fragehorizonte als auch die Endtext-orientierten Auslegungen voneinander profitieren. 37 Diese Linie verfolgte Rendtorff im Grundsatz weiter bis hin zur „Theologie“, allerdings trat in der konkreten Durchführung die Wahrnehmung und Interpretation diachroner Differenzierungen immer stärker in den Hintergrund und wurde tendenziell eine Funktion der Interpretation des Endtextes. 38 Hier drängt es sich geradezu auf, anknüpfend an Rendtorff über ihn hinausgehend zu fragen, ob die von ihm kritisch relativierte Bemühung um historische Wirklichkeiten „hinter den Texten“ ebenso wie die in der Exegese „selbstgemachten Texte“ nicht in mancher Hinsicht geradezu notwendig sind – auch für das von ihm mit Recht geforderte „Verstehen der Texte selbst“. Beginnen wir mit Letzterem, den hypothetisch definierten Texten „der Exegeten“. Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass jede Auslegung biblischer Texte, auch eine dezidiert kanonische, letztlich einen „selbst“ „gemachten“ Text interpretiert. Dabei geht es nicht (nur) um die allge––––––––––––––––––––––

Den Vortrag beschließt eine Warnung vor der Verabsolutierung einzelner Zugänge und die Mahnung, forschungsgeschichtliche Kontinuität sowie die internationale und interreligiöse Zusammenarbeit in der alttestamentlichen Exegese zu pflegen (ebd. 28). 38 Rendtorff, Theologie I, 2f.: „Es geht darum, die Texte ‚wiederzugewinnen‘, die vielfach durch die kritische Analyse in ihrer Jetztgestalt verlorengegangen sind. Dabei wird es nicht selten nötig sein, auf diachrone Probleme hinzuweisen oder auch näher auf sie einzugehen, um die komplexe Gestalt des jetzigen Textes verständlich zu machen.“ „Das leitende Interesse ist … die Frage, wie die Verfasser der uns vorliegenden Texte diese in ihrer Jetztgestalt verstanden haben und von ihren Lesern verstanden wissen wollten.“ 37

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meine textwissenschaftliche Einsicht, dass Texte erst in ihrer Rezeption „generiert“ werden, so wie eine musikalische Komposition erst in den einzelnen Aufführungen „realisiert“ wird. Im Falle der biblischen Traditionsliteratur, die uns aus der Hand vieler Autoren und Tradenten überkommen ist, kommt vielmehr eine diachron gewordene Komplexität der größeren Überlieferungseinheiten hinzu, oft aber auch kleinerer Abschnitte, die jede auf Kohärenz ausgerichtete Lesung zu einer selektiven Wahrnehmung nötigt. Deshalb kann es auch die eine kanonische Auslegung, die allen Teiltexten des Pentateuchs oder des Jesajabuches oder des Psalters gerecht würde, nicht geben. Sollen Textinterpretationen gleichwohl nicht beliebig sein, gilt es zu prüfen, ob und in welchem Maße sich die jeweilige Textkonstitution intersubjektiv, d.h. methodisch, ausweisen lässt. Im Grundsatz mit Rolf Rendtorff,39 wird dies ohne das Regulativ eines „Gestaltungswillens“, d.h. ohne die Rückbindung an eine mögliche Autoren- bzw. Tradentenintention, die hinter dem postulierten Text an dessen Textgestalt plausibel aufweisbar ist, nicht möglich sein. Damit ist aber auch schon eine Antwort auf die andere Rendtorff’sche Vorhaltung impliziert, wonach historische Exegese jeweils nach geschichtlichen Zusammenhängen „hinter den Texten“ frage: Jede Annahme über intendierte Texteinheiten setzt konkrete geschichtliche Konstellationen voraus, in denen solchen Texten eine kommunikative Bedeutung zukommt. Diese Konstellationen lassen sich aber nicht ohne Kenntnis der Überlieferungsgeschichte der kanonischen Bücher bestimmen; die Überlieferungsgeschichte beruht ihrerseits auf einem Bild der Geschichte Israels im Alten Orient etc. Die Frage ist also immer nur, wie fundiert die jeweiligen Rekonstruktionen sind. Bedauerlicherweise bestehen in dieser Hinsicht in der Regel erhebliche Unterschiede, weshalb man sich der Mühe ständiger kritischer Prüfung nicht wird entziehen können. Zu –––––––––––––––––––––– 39

Vgl. das Zitat in der vorstehenden Anmerkungen.

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den historischen Rekonstruktionen selbst gibt es jedenfalls keine Alternative, ebenso wie zu den analytisch zu begründenden Textgestalten. Methodisch bedeutet all dies: Biblische Exegese (im wissenschaftlichen Kontext) kann, will sie ihrem Gegenstand gerecht werden, nur historische Exegese sein. 40 Last, but not least spricht für die damit verbundene Anstrengung auch der Gewinn für eine Theologie des Alten Testaments, den Gerhard von Rad wie kein anderer herausgestellt hat. Von Rad hat immer wieder auf die Vielstimmigkeit der „Zeugniswelt“ des Alten Testaments abgehoben und auf ihre Geschichtlichkeit, die nicht zuletzt darin besteht, dass ältere Überlieferungen in späteren Generationen mit neuen geschichtlichen Erfahrungen je und je vergegenwärtigt werden oder dass sich gegenläufige Perspektiven artikulieren. So formulierte er schon in seiner berühmten Arbeit über „Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch“ (1938): „Ein rechtes Verständnis wird doch nur der finden, der den Hexateuch nicht flächenhaft sieht, sondern ihn mit einem Wissen von seiner Tiefendimension liest, der davon weiß, daß Offenbarungen und Glaubenserfahrungen vieler Zeiten aus ihm reden.“ In seinem Beitrag zur akademischen Gedenkfeier der Heidelberger Fakultät für Gerhard von Rad, stellte Rendtorff eben dieses Verständnis der Überlieferungsgeschichte bei von Rad ins Zentrum: „Das ist vielleicht eine der bedeutendsten methodischen Einsichten von Rads: Die Texte müssen zunächst in ihrer ursprünglichen Intention verstanden werden. Aber die weiteren Stufen sind dann nicht einfach unter dem Aspekt eines Verlustes an Originalität und einer Literatenarbeit von minderem Rang zu betrachten, sondern es zeigen sich neue Intentionen, neue Gestaltungskräfte, und es beginnt ein neues, in mancher Hinsicht noch bedeutsameres Stück der Geschichte der Texte. Damit hat ––––––––––––––––––––––

Siehe Erhard Blum, Historische Exegese (s. Anm. 27), 33 = 22, mit der Begründung dazu ebd. 28-33 = 17-22. 40

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von Rad aber aus dem Dilemma der falschen Alternative herausgeführt, entweder den Text in seinem ursprünglichen Sinne zu verstehen oder harmonisierend über die komplexe Vielgestalt der Überlieferungen hinwegzugehen und die jetzige Gestalt des Textes zum Ausgangspunkt der Interpretation zu machen.“ 41 Zusammengefasst dürfte mithin einiges dafür sprechen, dass die exegetischen Anliegen „des späteren Rendtorff“ nicht zu haben sein werden, ohne die Einsichten „des jüngeren Rendtorff“, dem „Geschichte“ in ihren verschiedenen Dimensionen so wichtig war. Soll dies aber auch in dem Sinne gelingen, dass AlttestamentlerInnen sich die Texte nicht nach ihren eigenen Bildern „machen“, sondern so, dass die Stimmen der Traditionen Israels authentisch gehört werden, dann muss man der alttestamentlichen Exegese wünschen, dass der Respekt vor ihrem Gegenstand, d.h. vor den alten biblischen Texten, und auch etwas von der Demut im Geiste Rolf Rendtorffs und seines Lehrers Gerhard von Rad ein prägendes Erbe bleiben mögen – in Heidelberg und weit darüber hinaus.

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Rolf Rendtorff, Die alttestamentlichen Überlieferungen als Grundthema der Lebensarbeit Gerhard von Rads, in: Gerhard von Rad. Seine Bedeutung für die Theologie. Drei Reden von H.W. Wolff, R. Rendtorff, W. Pannenberg, München 1973, 21-35, hier 31f. = ders., Gesammelte Studien zum AT, TB 57, München 1975, 281-295, hier 291f. Die oben angeführten Ausführungen von Rads zum Hexateuch sind ebd. 33 = 293 zitiert. 41

Werner H. Schmidt

Aus Rolf Rendtorffs Göttinger und Berliner Zeit Persönliches und Sachliches

Verehrte Festversammlung, gestatten Sie mir zu Anfang eine persönliche Erinnerung, die weit zurückführt: in die Zeit der Dozententätigkeit von Rolf Rendtorff, noch (1957/8) in Göttingen. Dann möchte ich drei Aspekte oder Themen seiner damaligen Arbeit erwähnen, zumeist aus seiner sich anschließenden Berliner Tätigkeit, um sie nur wenig über diese Zeit hinaus zu verfolgen: 1.) die Religionsgeschichte 2.) die Verbindung von Literarkritik und Überlieferungsgeschichte 3.) „Offenbarung als Geschichte“. Mit einer wiederum persönlichen Bemerkung möchte ich schließen. Die beiden großen Bereiche, die Rolf Rendtorff später so stark beschäftigt haben und die mit seinem Namen verbunden bleiben: die Betonung des Zusammenhangs der Bibel bzw. der Kirche mit Israel einerseits sowie die „kanonische“, die „Endgestalt“ der Bibel hervorhebende Betrachtungsweise (mit dem Vorbehalt gegenüber der Quellenscheidung) andererseits standen noch nicht im Mittelpunkt

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W.H. Schmidt

seines Interesses, ja spielten damals keine Rolle und haben ihn erst später bewegt. 1 Es war – mit seiner eigenen Ausdrucksweise rückblickend geurteilt – eine Zeit vor den „grundlegenden Veränderungen“ 2, insofern vor seinen ihm später wichtigen Einsichten mit einem gewissen „Bruch“. In Göttingen nahm ich als einer von drei Studenten an einer besonderen Lehrveranstaltung, einer Art Forschungsseminar von vier Dozenten – Riekele Borger, Carsten Colpe, Claus-Hunno Hunzinger und Rolf Rendtorff – teil: über die in Ugarit am Mittelmeer – dem nach Osten ausgestreckten Finger Zyperns gegenüber – gefundenen Texte. Jeder der Dozenten trug von seiner Warte und seinem Arbeitsfeld zum Verständnis der Wörter oder Vorstellungen bei. Insbesondere die Mythen aus Ugarit erschienen – zumindest damals – im Vergleich mit den altorientalischen Großreichen nicht nur räumlich, sondern zumal durch die Gottesnamen auch thematisch als nähere Umwelt des Alten Testaments. Bei Beschäftigung mit diesen Texten war mir einerseits der Unterschied zwischen den Gottheiten El und Baal, andererseits die Bedeutung der Ausschließlichkeit des Glaubens aufgegangen. In einem von Rolf Rendtorff noch als Dozent in Göttingen gehaltenen Seminar über die Thronbesteigungspsalmen meldete ich mich: Nach den Mythen von Ugarit seien sowohl der Schöpfergott El als auch der Vegetationsgott Baal Königsgötter; wegen des Ersten Gebots seien beide Aufgaben in dem einen Gott Jahwe zusammengefallen. Nach der Seminarsitzung kam Rolf Rendtorff zu mir, ich ––––––––––––––––––––––

Mit Rolf Rendtorff war ich 1957/58 in Göttingen, anschließend in Berlin bis 1960 enger verbunden. Nach seiner Selbstdarstellung (Kontinuität 78ff) bewegte ihn das Thema Israel bzw. Christen und Juden ab 1963; zum zweiten Thema vgl. u. Abs. II. 2 R.Rendtorff, Kanon 29. 1

Aus Rolf Rendtorffs Göttinger und Berliner Zeit

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solle die These zu einer Dissertation ausbauen und die nähere Begründung nachliefern. 3 Mit einem Ziel vor Augen begleitete ich ihn bald darauf von Göttingen hoffnungsvoll an die Kirchliche Hochschule Berlin4 – damals eine Art Theologische Fakultät in West-Berlin. So wies er den Studenten in eine Richtung, stand am Anfang meiner Jahrzehnte langen Tätigkeit, hat meinen wissenschaftlichen, später beruflichen Lebensweg „vorgeprägt“, jedenfalls entscheidend mitgeprägt; ich wurde sein erster Promovend, und ich habe Grund, ihm dankbar zu sein und zu bleiben. Eine Ortsangabe mag die damals dort so andere Situation andeuten, ein Hinweis auf den Raum zugleich die andere Zeit. 5 In Berlin-Zehlendorf wohnte Rolf Rendtorff nahe dem Teltowkanal, nicht der Grenze zu Ost-Berlin, sondern zur DDR, unweit eines in den Westen hineinreichenden dreiecksähnlichen Zipfels, auf dem oft Wagen mit hohen Lautsprecherboxen standen, die Propaganda für den Osten weit in den Westen sendeten. Manchmal konnte man selbst im Haus kaum sein eigenes Wort verstehen. ––––––––––––––––––––––

Vgl. Königtum Gottes in Ugarit und Israel. Zur Herkunft der Königsprädikation Jahwes: BZAW 80, Berlin 1961; 2. erweiterte Aufl. 1966. Für R. Rendtorffs Wohlwollen gab es sachlich mit dem Interesse an der Religionsgeschichte wohl noch einen besonderen Anlass: Der Grundgedanke ist nicht die Übernahme der Eigenschaften Els und der Vorbehalt, die kritische oder gar abstoßende Haltung gegenüber Baal, vielmehr beziehen sich Übernahme und Ablehnung auf beide Gottheiten und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen (vgl. u. Anm. 10-11). 4 R.Rendtorff ging zum Sommersemester 1958 nach Berlin; vgl. ders., Kontinuität 73ff. – Für die Situation des Studenten war kennzeichnend die Teilnahme an Seminaren von Helmut Gollwitzer und den Lehrveranstaltungen von Ernst Fuchs. 5 Die folgende kurze Skizze schließt sich an Erinnerungssplitter aus PRISMA RENDTORFF (Rolf Rendtorff zum 10. Mai 1990) an. Bei der Darstellung der Berliner Zeit (Kontinuität 74) schreibt er selbst: „Ich kam … aus einem Milieu, das viel stärker von einer konservativen … Tradition geprägt war.“ 3

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Vor der Teilnahme am Palästina-Lehrkurs 1959 fragte Rolf Rendtorff freundlicherweise – in einer noblen Geste – ausdrücklich den Studenten, ob ich zustimme, wenn er das Thema meiner entstehenden Dissertation in einem Vortrag behandle, was mir als große Ehre erschien. Die „Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins“ 6 berichtet kurz: „Einen gut besuchten Vortrag hielt ROLF RENDTORFF vor der Evangelischen Gemeinde in Beirut über das Thema ‚Gott als König in Ugarit und im Alten Testament’.“ Mit dieser weit zurückreichenden persönlichen Erinnerung habe ich zugleich das erste Thema angesprochen: 1. Die Religionsgeschichte Mit dem Ende der sog. Religionsgeschichtlichen Schule um 1930 war die religionsgeschichtliche Fragestellung aus verschiedenen Gründen zurückgetreten – mit Ausnahme bei einer Person, nämlich Otto Eißfeldt.7 Jetzt kam die entsprechende Fragestellung, deren Bedeutung neu erkannt wurde, wieder auf, gleichsam auf einem Übergangsfeld zwischen Religionsgeschichte und Exegese. In diesen Zusammenhang gehörte schon die Beschäftigung mit dem Ugaritischen. a) Als Vorform oder Teil der umfangreichen Thematik der Religionsgeschichte kann man – zumindest wiederum im Rückblick – die Phase der Forschung mit der kultgeschichtlichen Fragestellung den Kult als Äußerung oder Teilbereich der Religion, die Kultgeschichte als Apekt in der „Erfassung“ und Darstellung der „Religionsgeschichte“ verstehen. ––––––––––––––––––––––

ZDPV 76 (1960) 9. Vgl. zum Lehrkurs R. Rendtorff, Kontinuität 70f. 7 An der Humboldt-Universität konnte ich – noch vor dem Bau der Mauer im Sommer 1960 – ungehindert ein Seminar von O.Eißfeldt, der aus Halle kam, besuchen, dessen Thema einem seiner Buchtitel entsprach: „Die Genesis der Genesis“. 6

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Schon durch seine Dissertation – erschienen als „Die Gesetze in der Priesterschrift“ – und die Habilitation „Studien zur Geschichte des Opfers“ 8 war Rolf Rendtorff auf das Phänomen Kult bezogen und in dem Thema ausgewiesen. In einer Zeit, in der Kulttheorien en vogue waren, Rückschlüsse von Redeformen oder Motiven auf erschlossene Feste oder Institutionen üblich waren, fasste er in einem Aufsatz (1956) die damalige kultgeschichtliche Forschung – klar, nüchtern, besonnen, gegenüber Spekulationen reserviert – zusammen. 9 Die Darstellung war übersichtlichinformativ, auch für Examenskandidaten hilfreich, konnte als Überblick über die Forschungslage wie als Repetitorium dienen. Gegenüber der vielfältigen Annahme des Kults als Lebensraum urteilte er später 10 eher noch kritischer: „Mehr und mehr hat sich der Eindruck verstärkt, daß wir über den israelitischen Kult sehr wenig wissen – auch über den Kult des Herbstfestes. … Ich bin … sehr skeptisch und zurückhaltend geworden.“ b) Den religionsgeschichtlichen Zusammenhang nahm Rolf Rendtorff noch einmal in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung 1963 auf; sie stellt gleichsam eine Nachwirkung der frühen – in Göttinger Zeit begonnenen – Beschäftigung mit dem Ugaritischen dar: „El, Bacal und Jahwe“ 11. Hier sucht er zu differenzieren: ––––––––––––––––––––––

Vgl. R.Rendtorff, Kontinuität 56ff.66 bzw. 64.67. Der Kultus im Alten Israel (1956): GStzAT 89-129. Vgl. zur Forschungslage auch W.Thiel, Unabgeschlossene Rückschau: BThSt 80 (2007) bes. 40ff. Die – differenzierte – Rückfrage nach den Traditionen stand noch am Beginn; insbesondere ist zu nennen: H.Schmid, Jahwe und die Kulttraditionen von Jerusalem: ZAW 67 (1955) 168-197. 10 EvTh 27 (1967) 151. 11 R.Rendtorff, El, Bacal und Jahwe: ZAW 78 (1966) 277-291 = GStzAT 172-187; vgl. Kanon und Theologie (1992) 34. R.Rendtorff wandte sich später dem Thema nochmals in anderer Weise zu: El als israelitische Gottesbezeichnung (ZAW 106, 1994, 4-21). 8 9

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Neben den von der Forschung herausgearbeiteten „Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten innerhalb der verschiedenen Religionen des Raumes von Syrien und Palästina“ möchte er „die vorhandenen Unterschiede“ hervorheben (172). Schon von der Gottheit El gilt: „Die Verehrung Els begegnete in unterschiedlichen Formen“ (185). In der Beziehung zu beiden Gottheiten äußert sich eine Spannung. Entgegen der üblichen zu groben Auffassung des Verhältnisses zur Umwelt, nämlich der Übernahme von Eigenschaften Els und der Abgrenzung gegenüber Baal, muss man in der israelitischen Religion „einen vielschichtigen Prozeß der Verschmelzung verschiedener Züge kanaanäischer Götter annehmen“. 12 Jedenfalls stellt sich im Alten Testament das Problem der Aufnahme und Abwandlung oder Ablehnung der Tradition. Ergibt sich damit nicht auch die Frage nach dem Kriterium, nach dem die Auswahl und Umprägung erfolgt? c) Über die Frage nach den Gemeinsamkeiten wie den Unterschieden zur Umwelt hinaus begegnet das Stichwort Religionsgeschichte bei Rolf Rendtorff auch in allgemeinen Erwägungen: „Alttestamentliche Theologie und israelitisch-jüdische Religiongeschichte“ 13. Er betont, es handele sich nicht um zwei verschiedene oder gar entgegengesetzte Ansätze und Betrachtungsweisen: Es bleibt die „vom Alten Testament her gestellte Forderung bestehen, die theologische Betrachtung als historische Aufgabe zu verstehen und umgekehrt“ 14. ––––––––––––––––––––––

186 mit Hinweis auch auf meine Dissertation (Anm. 50). 1963; GStudzAT 137-151; vgl. Die Entstehung der israelitischen Religion als religionsgeschichtliches und theologisches Problem, ebd. 119-136. 14 Die Folgerung „Nur das Ganze dieser Geschichte kann als Offenbarung Gottes verstanden werden.“ (GStudzAT 136; vgl. 149f) entspricht „Offenbarung als Geschichte“ (u. Abs. 3). 12 13

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d) Das Thema Religionsgeschichte begegnet zudem nicht nur im Vergleich mit anderen Religionen, sondern auch als Frage an die eigene Tradition; hier treffen sich Religionsund Überlieferungsgeschichte. Zugespitzt: Religionsgeschichte wird als oder – vorsichtiger: – mit den Mitteln der Überlieferungsgeschichte betrieben. In „Der Tod des Religionsstifters“ hat Klaus Koch 15 gegenüber der besonderen Erfahrung der Einzelperson ein Plädoyer für die Überlieferungs- und Religionsgeschichte im Zusammenhang mit dem alten Orient und im geschichtlichen Wandel gehalten. In Anknüpfung an ihn nimmt Rolf Rendtorff die Rückfrage: „Mose als Religionsstifter?“ 16 weiterführend auf. In Auseinandersetzung mit M.Noth u.a. betont er die enge Beziehung Moses sowohl zum Jahwenamen als auch nach Ägypten. 17 Diese Themenstellung wurde unter anderem Aspekt, der Darstellung von Jan Assmann „Moses der Ägypter“ bzw. „Die Mosaische Unterscheidung“ mit der „Unterscheidung von wahr und unwahr in der Religion“ 18 wieder aktuell. Rolf Rendtorff wandte im Wesentlichen ein – mit ––––––––––––––––––––––

Erwägungen über das Verhältnis Israels zur Geschichte der altorientalischen Religionen: KuD 8 (1962) 100-123, mit Nachträgen: Studien zur alttestamentlichen und altorientalischen Religionsgeschichte (1988) 32-60. Überhaupt war Klaus Koch ein Gesprächspartner. Auch wenn er in der Publikation „Offenbarung als Geschichte“ unter den Autoren nicht vertreten ist, war er in den Anfängen beteiligt, spielte – vermutlich zumal mit der Rückfrage nach der Religionsgeschichte – eine Rolle.Vgl. R.Rendtorff, Kontinuität 62; Kanon 33f; auch die Mitarbeit in Prisma Rendtorff (o.Anm. 3). 16 1968, in: GStudzAT 152-171. 17 Es ist „deutlich, daß sich religionsgeschichtlich und überlieferungsgeschichtlich die Gestalt des Mose weder vom ‚Gottesberg’ und der ‚Offenbarung des Jahwenamens’ noch vom Auszug aus Ägypten ganz trennen läßt“ (170; vgl. 161). Vgl. zum Thema und zur Forschungsgeschichte auch: Werner H. Schmidt, Exodus, Sinai und Mose: EdF 191 (1983. 31995); knapp: Ders. Alttestamentlicher Glaube (112011) bes. 83ff.93ff. 18 Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur (1998) 17. In dem Buch „Die Mosaische Unterscheidung“ (2003) ist auch das 15

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grobem Strich angedeutet: Ägypten mit seiner Religion ist in der Bibel selbst durchweg weder der Ursprung von Israels Religion noch ihr Gegenbild. 19 Sie beschreibt die Befreiung aus der Knechtschaft, nach der älteren Tradition genauer: von der Fronarbeit. 2. Die Verbindung von Literarkritik und Überlieferungsgeschichte Die Scheidung in fortlaufende Erzählstränge, die sog. Pentateuch-Quellen, Jahwist und Priesterschrift, war für Rolf Rendtorff in der Berliner Zeit noch eine einleuchtende Selbstverständlichkeit. 20

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Echo – mit den Besprechungen von R.Rendtorff (S. 193-207) u.a. – abgedruckt. Einen anderen Ton trägt die neuere Darstellung von Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt (München 2015). 19 Als Ausnahme mag man das Gericht über die ägyptischen Götter nennen: Ex 12,12 (im Zusammenhang mit den Aussagen über die letztlich scheiternden Magier 8,14f; 9,11; vgl. schon 6,6; 7,4). Das Alte Testament enthält aber auch die Erwartung: „Ägypten mein Volk“ (Jes 19,25). 20 Bei Grund-Einsichten, die während meiner Zeit in der Nähe von R. Rendtorff – gleichsam selbstverständlich – gemeinsam waren, bin ich selbst geblieben. Weiterhin halte ich die sog. Quellenscheidung für das Verfahren, das gewichtige Argumente für sich hat, viele, wenn auch nicht alle Phänomene zu erklären vermag. Über die Analyse und den Aufweis von Verbindungen im näheren Kontext hinaus bedarf es einerseits der Beachtung übergreifender Zusammenhänge, andererseits – zumal für literarisch kaum erklärbare Phänomene – der tastenden Rückfrage nach der Überlieferung und ihrer Wandlung. Vgl. den Auslegungsversuch Exodus: Bibl. Komm. II/1, Neukirchen/Vluyn 1988 (in Lieferungen seit 1974); II/2, Lief. 1-2 (1995. 1999) (zu Ex 7-11); Lief. 3 zur Passaerzählung Ex 12 (2016) Lief. 4 zu Ex 13f (2018). Eine Querverbindung – jahwistische Urgeschichte und Plagenerzählungen: Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum. FS H.-C.Schmitt. BZAW 370 (2006) 35-40.

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Der Titel des Aufsatzes „Gen 8,21 und die Urgeschichte des Jahwisten“ 21 deutet die Absicht an: Mit der altorientalischen Tradition sah Rolf Rendtorff den Haupteinschnitt der Urgeschichte durch die Flut 22 gegeben und fand die theologische Intention in den unmittelbar folgenden Gottesworten ausgesprochen. „Entscheidend ist, daß der Fluch nicht mehr für das Verhalten Gottes zur Welt bestimmend ist.“ (200) Die „Geschichte des Unheils und des Fluchs“ erscheint „abgeschlossen“. „Die Zusage Gottes für den Bestand der Erde“ bildet „den Hintergrund“ für die neue „Geschichte Gottes mit der Menschheit“, die „mit der Erwählung Abrahams beginnt“ (Gen 12) – „zum Segen ‚für alle Geschlechter der Erde’“ (201). Später empfand Rolf Rendtorff stärker das Ungenügen der Literarkritik. Zweifel kamen ihm nach eigenem Urteil „seit Ende der sechziger Jahre“ 23. Außenstehenden, die nicht mehr unmittelbar mit ihm im Gespräch standen, wurden sie wohl erst mit dem Vortrag in Edinburgh 1974 24 deutlich. ––––––––––––––––––––––

21 GStzAT 188-197; zusammenfassend in: „Hermeneutische Probleme der biblischen Urgeschichte“ ebd. S. 198-208, bes. 199-201. 22 Hatte die jahwistische Urgeschichte in einem älteren Stadium eine kürzere Ausdehnung, reichte nur bis zur Sintflutgeschichte? Vgl. schon die Überlegungen von H.Gese, ZThK 55 (1958) = Vom Sinai zum Zion (1974) 81-98. Dies ist eine gewiss zu bedenkende Auffassung: Ist dieses Stadium aber noch literarkritisch oder eher überlieferungsgeschichtlich zu gewinnen? 23 Kontinuität 138 und ff. 155f; vgl. Kanon 36. – Eine persönliche Anmerkung: Seine „Gesammelten Studien“ schickte mir R.Rendtorff im Erscheinungsjahr am 10.5.1975 mit der freundlichen Widmung: „als Ausdruck des Dankes für die Weiterführung des gemeinsamen methodischen Ansatzes“. Bezieht sich die Gemeinsamkeit auf den Versuch, Religionsgeschichte und Theologie zu verbinden? 24 Vgl. Congress Volume Edinburgh: VT.S 28 (1975) 158-166; dann ausgeführt: Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch (140): BZAW 147 (1977).

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Im Gespräch mit der skandinavischen Forschung (1965), welche die Traditionsgeschichte stärker gewichtet, erörterte Rolf Rendtorff das Verhältnis der beiden methodischen Zugänge, von Literarkritik und Überlieferungsgeschichte. Hier finden sich nach eigenem Verständnis (Kanon 35): „die ersten öffentlich geäußerten Zweifel am alleinseligmachenden Charakter der Literarkritik“. Der Ton lag allerdings (noch) auf „allein“. In dem unter dem Titel „Literarkritik und Traditionsgeschichte“ (1967) veröffentlichten Vortrag 25 kennt Rolf Rendtorff eine auf verschiedene Weise oder eher mit verschiedener Intention betriebene Literarkritik: „die alte ‚klassische’ Literarkritik“ (139) bzw. „im alten Sinn“ (145) – gemeint ist wohl eine Betrachtungsweise, die möglichst alle Probleme des Textes mit diesen Mitteln zu lösen sucht – und diejenige, die „ihrer Grenzen und ihres hypothetischen Charakters durchaus bewußt“ (142) ist. Sachlich wird man diese Einschränkung entfalten können: eine Fragestellung, welche die Überlieferung im Blick hat. Im Prinzip war das Phänomen schon J. Wellhausen bekannt. Er erwartete nicht nur literarisch straff geordnete Einheitlichkeit und setzte sie voraus, sondern konnte gelegentlich 26 bereits urteilen: „An sich schließen allerdings heterogene Bestandteile die Einheit und Ursprünglichkeit eines schriftlichen Zusammenhanges nicht aus; es ist möglich, dass schon die erste Aufzeichnung der mündlichen Tradition allerlei in Verbindung brachte, was in keiner innerlichen Verwandtschaft stand.“ Dieser damit angedeutete Bereich wurde das Arbeitsgebiet mit der entsprechenden Arbeitsweise von H. Gunkel, der neue Dimensionen des Textes erschloss – mit den Worten von Rolf Rendtorff: „Die Bedeutung der mündlichen –––––––––––––––––––––– 25 26

EvTh 27 (1967) 138-153. Die Composition des Hexateuchs (Berlin 31899.41963, 7f).

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Überlieferung … haben wir im Grunde schon bei Hermann Gunkel gelernt.“ 27 Zu diesem Zeitpunkt (1967) ließ Rolf Rendtorff (147) ausdrücklich noch „offen“, ob P, die Priesterschrift, ein selbständiges Werk oder „mit der Endredaktion des Pentateuch identisch“ ist; dagegen ist die Größe J „in ihrer Existenz kaum zu bestreiten“. Man kann die Betonung der Überlieferungsgeschichte im Rückblick aus seinem späteren Ansatz als Vorzeichen oder Vorläufer des sich zunehmend äußernden Unbehagens gegenüber der Literarkritik werten. Die Rückfrage nach der – mündlichen – Überlieferung hat noch einen anderen Aspekt; sie ist ein Hinweis auf Phänomene, die sich in den Texten aus literarischer Abhängigkeit kaum oder nicht ausreichend erklären lassen. In der Tat bleibt die – in der gegenwärtigen Forschung eher zurücktretende – Frage nach der jeweils vorgegebenen Überlieferung und des Umgangs mit ihr bei der Niederschrift eine wichtige methodische Fragestellung. Das Verhältnis von Literarkritik und Überlieferungsgeschichte behält ihre Bedeutung – auch für die Beurteilung der Literarkritik selbst. Entsprechend bilden die Frage nach dem – zu vermutenden, zu erschließenden – Ursprung und dem vorliegenden Endtext keine sich ausschließenden Gegensätze, sondern gehören als jeweils berechtigte Fragestellungen zusammen. ––––––––––––––––––––––

27 EvTh 1967, 140. Wie schon H. Gunkel, insbesondere für die Genesis, verband zumal M.Noth, der zwei seiner grundlegenden Werke „Überlieferungsgeschichte“ nannte – Überlieferungsgeschichtliche Studien I (1943); Überlieferungsgeschichte des Pentateuch (1948) – das Miteinander beider methodischer Fragestellungen. Vgl. U. Rüterswörden (Hg.), Martin Noth – aus der Sicht der heutigen Forschung: BThSt 58 (2004). „Bei Noth findet sich“, wie R. Rendtorff (EvTh 1967, 144) bemerkt, „zuerst der Begriff ‚Überlieferungsgeschichte’“.

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Das Miteinander, der Zusammenklang der Methoden, hilft, methodische Einseitigkeit zu meiden und die Komplexität der Textbefunde einfühlsam zu erspüren. Die Rückfrage nach den Anfängen oder der Herkunft und die Beachtung der „Endgestalt“, in der die verschiedenen Stadien vereint sind, korresponieren. Was man bei der Würdigung und Untersuchung des Textes üblicherweise als Dreischritt aufgliedert und entfaltet: Die Vorgeschichte mit der Rückfrage nach der mündlichen Überlieferung – den Text mit der Literarkritik – die – im Text selbst erkennbare – Nachgeschichte mit der Redaktionsgeschichte, kann man auch insgesamt als Überlieferungsgeschichte verstehen, die dann als Überbegriff erscheint, das Ganze als Vorgang zu verstehen sucht. Sie hat nach Rolf Rendtorff die Absicht, „den ganzen Weg der Tradition, soweit er noch erkennbar ist, von den frühesten Anfängen bis zur letzten literarischen Endgestalt des Textes zu verfolgen“ 28. Die Überlieferungsgeschichte (146) „wird zur umfassenden Methode“: „Sie vereinigt in sich die grundlegenden Fragestellungen der literarischen, historischen und religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise.“ In seinen verschiedenen Veröffentlichungen hob Rolf Rendtorff mehrfach hervor, dass die Zweifel und Vorschläge noch zu keiner allgemein anerkannten Lösung geführt haben, so noch nicht erkennbar ist, wohin der Weg geht. In der Heidelberger Abschiedsvorlesung (1990) sprach er von „der eindrucksvollen Geschlossenheit und … der meisterhaften Interpretation unserer Lehrer“ und formuliert: ––––––––––––––––––––––

EvTh 1967, 144. Ähnlich heißt es später (Kanon 10) für das Konzept der „Theologie“: „Dabei geht es zunächst und vor allem um die Endgestalt als literarisch-theologisches Phänomen, d.h. als Endstadium eines redaktions- oder kompositionsgeschichtlichen Prozesses“. 28

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„Wir sind, scheint mir, noch sehr weit davon entfernt, etwas Vergleichbares an die Stelle zu setzen“.29 3. „Offenbarung als Geschichte“ Im Wintersemester 1959/60 meinte ich zum ersten Mal andere Töne – jedenfalls mir fremde Untertöne – zu vernehmen, spürte eine mir unbekannte Intention – einschließlich einer Absatzbewegung gegenüber dem von mir geschätzten R. Bultmann. Es war eher ein Allgemeinempfinden, mag man diesen Ansatz als Weg aus zu großer Enge oder als Sackgasse verstanden haben. Obwohl durch Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung angeregt, ist das Konzept „Offenbarung als Geschichte“ als Wolfhart Pannenbergs Programm in die Theologiegeschichte eingegangen. Den Anstoß gab weniger – wie es in der einschlägigen Darstellung von H. Fischer 30 heißt – G. v.Rad. Gewiss finden sich bei ihm Äußerungen zur Übereinstimmung von Wort und Ereignis; seine Intention, die seine Themenstellung bestimmt, ist aber entsprechend den Untertiteln seiner beiden Bände: „Die Theologie der geschichtlichen bzw. prophetischen Überlieferungen“. Den eigentlichen Anstoß gab vielmehr Walter Zimmerli mit Einsichten, zu denen er bei seiner eingehend-sorgfältigen Auslegung des Ezechielbuches kam. Schon in seiner allgemeineren Darstellung „Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel“ (1954) sprach er von „Anerkennung des sich im verkündigten Geschehen sich erweisenden Gottes“. 31 Erst recht lässt der Titel einer besonderen Studie ––––––––––––––––––––––

29 Kanon 37; vgl. 28; Kontinuität 140f. Es ist (155) „keine Alternative in Sicht“. 30 Protestantische Theologie im 20.Jahrhundert (Stuttgart 2002) 163; vgl. R.Rendtorff, Kanon 33. Mit H.Fischer habe ich das Thema mit dem Zusammenhang früher mehrfach – ohne überzeugen zu können – diskutiert. 31 W.Zimmerli, Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel (1954): Gottes Offenbarung. TB 19 (1963) 41-119. „Als solches, vom Wort

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den Zusammenhang ahnen: „Das Wort des göttlichen Selbsterweises …“ (1957) 32 Das prophetische Erweiswort weiß sich einerseits „an ein gottesdienstliches Geschehen der Offenbarung Jahwes in seinem Namen gebunden“, erkennt andererseits „den Erweis dieser Namensoffenbarung in dem geschichtlichen Geschehen, das es prophetisch (Weissagung) geschehen sieht“. Bei Rolf Rendtorff heißt es etwa: „Die Erkenntnis wird nicht durch das isolierte Wort gewirkt, sondern erst durch das im Wort angekündigte Geschehen in seinem überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang.“ Seit der „Katastrophe von 587 v.Chr. wird der endgültige Selbsterweis Jahwes als das entscheidende Ereignis der Zukunft erwartet“. Die Erfahrungen der Geschichte haben „zu der Erkenntnis geführt, daß die letztgültige Offenbarung Jahwes noch aussteht.“ 33 Wolfhart Pannenberg selbst hat später jenen Zusammenhang ausdrücklich bestätigt: „Der erste Anstoß ging vielmehr von Rendtorff aus, der Zimmerlis Forschungen über das ‚Erweiswort’ mit dem Offenbarungsproblem in Verbindung brachte und das Erweiswort als den wichtigsten Beitrag des AT zu dieser Frage charakterisierte.“ 34 W. Zimmerli empfand wohl selbst einerseits die Nähe zu seiner Thematik und grenzte sich andererseits von diesem Ansatz in Auseinandersetzung mit R.Rendtorff ab. Er suchte, zumal in den hervorgehobenen „Ich“-Aussagen, ––––––––––––––––––––––

zum Geschehnis drängendes Ereignis … kommt das göttliche Handeln über den Wortboten auf das Volk zu und fordert die Anerkennung des sich im verkündigten Geschehen sich erweisenden Gottes“ (111). 32 Gottes Offenbarung. TB 19 (1963) 41ff bzw. 120ff. Das folgende Zitat ebd. 127. 33 Offenbarung als Geschichte (u.Anm. 34) 40f = GStzAT 58f. 34 W. Pannenberg u.a., Offenbarung als Geschichte, Göttingen (31965) 132 Anm. 1. Betonte schon W.Zimmerli – in Abgrenzung von R. Bultmann – die Tatsächlichkeit des Wirkens Gottes (in der Erfüllung seiner Ansagen)?

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„Erkenntnis Jahwes“ als „Anerkenntnis eines über dem erkennenden Menschen verbleibendes Ich-Geheimnis“ (28) zu verstehen. 35 Demgegenüber verteidigte sich wiederum Rolf Rendtorff mit Hinweis auf den geschichtlichen Zusammenhang. 36 Etwa zwei Jahrzehnte später nahm Rolf Rendtorff selbst von den Erfahrungen in Israel und der Bedeutung dieses Zusammenhangs her nach der, wie er schreibt: „Begegnung mit dem Judentum“, an dem Ansatz in „Offenbarung als Geschichte“ eine Korrektur 37 vor: „Dieser universalgeschichtliche Aspekt kann nicht aus dem Alten Testament erhoben oder aus ihm begründet werden.“ Rolf Rendtorff betonte die Gemeinsamkeit der Bindung an das Volk mit der Erwartung für die Völker, etwa (Jes 49,26): „Alles Fleisch wird erkennen, dass ich Jahwe bin, dein Helfer und dein Erlöser, der Starke Jakobs.“ So sind im Alten Testament selbst die sog. partikularen und universalen Züge verknüpft und bilden einen engen Zusammenhang: „Gott offenbart sich den Völkern als der

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35 „Offenbarung“ im Alten Testament: EvTh 22 (1962) 15-31. W. Zimmerli (22) wirft R.Rendtorff „die dauernde Unterbewertung der Selbstvorstellung im Namen und die Abwertung der betonten Herausstellung des Namens“ vor. Weitere Stellungnahmen finden sich etwa bei H.G.Geyer, Zur Frage der Notwendigkeit des Alten Testaments: EvTh 25 (1965) 207-237; A.H.J. Gunneweg, Über die Prädikabilität alttestamentlicher Texte: ZThK 85 (1968) = Sola Scriptura (I) 159-183 (dort weitere Beiträge) 36 Darauf antwortete R. Rendtorff, Geschichte und Wort im Alten Testament: EvTh 22 (1962) 621-649 = GStzAT 60-88. Er wandte sich gegen „eine Überbewertung der Funktion des Namens“ Gottes (67f Anm. 16) und betonte Züge „der Kontinuität der Geschichte“ (76 Anm. 31). 37 Offenbarung und Geschichte. Partikularismus und Universalismus im Offenbarungsverständnis Israels (1981): Kanon 113-122, bes. 115. Vgl. in der Selbstdarstellung: Kontinuität 63.78ff.

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eine, der er ist, indem er sich ihnen als der Gott Israels offenbart.“ 38 Dem Zitat möchte ich – von mir aus – ein neutestamentliches Zeugnis hinzufügen. Das Alte Testament kann den Menschen verstehen als sich ausstreckend: „Wie der Hirsch lechzt an versiegten Bächen, so lechzt meine Seele (mein Ich), Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott.“ 39 Er kann der „wahrhaft lebendige Gott“ (Jer 10,10) heißen.

Von ihm lautet das Bekenntnis: „Er tötet und macht lebendig“ (1 Sam 2,6). Gott gibt und nimmt das Leben – hier aber in umgekehrter, dem natürlichen Verlauf widersprechender Folge 40; sie deutet an: Das Ziel ist das Leben. In der ältesten Schrift des Neuen Testaments kann Paulus Einsichten des Alten und des Neuen Testaments in einem Vers (1 Thess 1,9f) verbinden: „Von den Götzen zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn zu erwarten, den er von den Toten auferweckt hat.“

Christsein wird beschrieben als Zuwendung zu dem – wie vom Alten Testament bezeugt –lebendigen Gott und als neue Erfahrung: die Auferweckung als Tat Gottes. Das Besondere, Neue ist Wirken dieses Gottes. Ähnlich kann Paulus das alttestamentliche Bekenntnis zum Schöpfer mit dem Christusgeschehen (2 Kor 4,6 im ––––––––––––––––––––––

38 Kanon 118. Der Schluss-Satz des Beitrags (122) lautet: Israel und die Völker bleiben verbunden „in der Erkenntnis des einen Gottes, der sich in Israel für alle Völker offenbart hat“. 39 Ps 42,2f; vgl. 42,9; 84,3; Er ist „die Quelle des Lebens“ (Ps 36,10) Vgl. Jer 2,13 (gegenüber 15,18); 10,10 (mit dem folgenden Zitat). 40 Vgl. Ps 104,29f; 2 Kön 5,7.

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Anschluss an Gen 1,2-3) in einem Satz verbinden, so zugleich die Identität Gottes mit der Grundspannung von Licht – Finsternis, Tod – Leben aussagen. Gestatten Sie mir noch eine persönliche Schlussbemerkung: In seiner Heidelberger Zeit wurde der Kontakt zu Rolf Rendtorff lose, fand aber zunächst noch bei dem regelmäßigen Treffen der Mitarbeiter am Biblischen Kommentar 41 in der Karwoche in Neukirchen am Niederrhein statt, später gelegentlich mit einem Telephonanruf. 42 Nach der Publikation meiner Dissertation wollte Hans Walter Wolff mir die Assistentenstelle in Mainz nur anvertrauen, wenn ich zuvor – zunächst ein halbes Jahr – als Vikar tätig war. So kam ich nach Essen-Haarzopf; aus dieser Zeit ist ein Kontakt zu Frau Magdalene Pusch geblieben oder wieder aufgekommen: Sie suchte zum fünfzigjährigen Jubiläum meiner Habilitation (1964-2014) von sich aus frühere Verbindungen, von denen sie gehört hatte, aufzunehmen, schrieb Kollegen, Schülern, Freunden mit der Bitte um ein Echo, auch meinem Doktorvater, und er antwortete. So wurde dieses Stück Lebensrückblick für mich ein ganz besonderes, unwiederholbares Geschenk. Rolf Rendtorff schickte, als es ihm offenkundig schon schwer fiel, 9 Tage vor seinem Tod, eine Mitteilung, die mich bewegt hat: „Ich erinnere mich gerne an die Zeit mit Ihnen, meinem ältesten Doktoranden. ––––––––––––––––––––––

41 Die frühe Beschäftigung mit dem Thema „Opfer“ führte R.Rendtorff mit der Auslegung des Buches Leviticus weiter: BK III/1 (2004). 42 Als ich bei Jahresbeginn 2013 Herrn Rendtorff telephonisch meine guten Wünsche aussprach, sagte er bei dieser Gelegenheit: „Meine Zeit mit dem Alten Testament ist vorbei.“ Leider habe ich mich – wohl irrtümlich – gefragt: Gilt dies auch für die Alttestamentler? Umso mehr habe ich mich über die per email zugesandte, oben zuletzt zitierte Nachricht gefreut.

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Mit Interesse habe ich Ihre Entwicklung und Ihren beruflichen Werdegang verfolgt.“ Literaturverzeichnis F. Crüsemann, Rolf Rendtorff (1925-2014): Kirche und Israel (2015, Heft 1) 3-26 R. Rendtorff, Kontinuität im Widerspruch. Autobiogaphische Reflexionen (Göttingen 2007) (= Kontinuität) Ders., in: S. Grätz u. B.U. Schipper (Hg.), Alttestamentliche Wissenschaft in Selbstdarstellungen: UTB 2920 (Göttingen 2007) 19-31 Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament: TB 57 (München 1975) (= GStzAT) Ders., Kanon und Theologie (Neukirchen/Vluyn 1992) bes. 29ff (= Kanon) Ders., Literarkritik und Traditionsgeschichte: EvTh 27 (1967) 138153

Thomas Römer

Rolf Rendtorff und das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch Erlauben Sie mir diese Würdigung mit einigen persönlichen Erinnerungen zu beginnen. Als ich im Oktober 1974 das Studium der evangelischen Theologie an der Universität Heidelberg begann, war die erste Vorlesung, die ich besuchte, „Einleitung in das Alte Testament“ von Prof. Dr. Rolf Rendtorff. Ich muss gestehen, dass meine Entscheidung, Theologie zu studieren, nicht durch ein besonderes Interesse am Alten Testament motiviert war. Die Art und Weise jedoch, in der Rolf Rendtorff seine Vorlesung gestaltete, begeisterte mich derart, dass ich in der Folge an allen belegbaren Lehrveranstaltungen von Rolf Rendtorff teilnahm. Dazu gehörte eine Vorlesung über die Patriarchenerzählung der Genesis sowie ein Seminar über dieselbe; aber auch ein Seminar über Ugarit und die Bibel, was mich dazu führte, bei Pfarrer Günther Ugaritisch zu lernen. Die Faszination für die Erforschung der Hebräischen Bibel, die Rolf Rendtorff bei mir erweckte, beruhte auf mehreren Gründen. Zunächst war es die für die damalige Zeit recht unkonventionelle Art, in der Rolf Rendtorff seine Vorlesungen hielt. Er war einer der ganz wenigen Professoren, die das Wort „Vorlesung“ nicht wörtlich nahmen und einfach ein Manuskript ablasen. Er sprach frei anhand von Notizen, kam schnell in der Textanalyse zum Wesentlichen und verstand es, sein Publikum in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Wichtiger aber vielleicht war noch eine gewisse Aufbruchstimmung, die Rendtorff in seinen Veranstaltungen verbreitete. Mitte der siebziger Jahre

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herrschte in der historisch-kritischen Pentateuchforschung unangefochten die sogenannte Urkundenhypothese. Um es mit den Worten Rolf Rendtorffs von 1976 auszudrücken: „Für die überwältigende Mehrheit der Forscher in fast allen Ländern der Welt, in denen alttestamentliche Wissenschaft betrieben wird, scheint die Urkundenhypothese den mehr oder weniger unbestrittenen Ausgangspunkt ihrer Arbeit zu bilden, und das Interesse an der möglichst genauen Erfassung des Charakters und der theologischen Intention der einzelnen Quellenschriften scheint ungebrochen“. 1 Alle Einleitungen in das AT und andere Studienbücher, sowie alle Kommentarreihen, setzten in den siebziger Jahren diese Theorie, nach welcher der Pentateuch in J, E, D und P aufzuteilen sei, unhinterfragt voraus. In fast allen Einleitungen wurde der Pentateuch nicht von den ihn konstituierenden fünf Büchern ausgehend besprochen, sondern anhand der vier Quellenschriften, deren Kompilation nach der damaligen opinio communis die Thora ergeben habe. Was lag damals für einen sich in den Anfangssemestern befindenden Studenten näher als diese scheinbar gesicherte und in Lehrbüchern verbreitete Hypothese zu übernehmen? Rolf Rendtorff jedoch sagte uns voraus, dass diese Quellentheorie in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren in ihrer „klassischen“ Form von der Mehrheit der Forscher aufgegeben würde. Für die europäische, insbesondere die deutschsprachige Forschung, erwies sich diese Voraussage als richtig. In Nordamerika stellt sich die Situation sehr anders dar, wird doch, statisch gesehen, in den meisten Veröffentlichungen die Urkundenhypothese weiterhin vorausgesetzt; ja sie erlebt sogar etwas modifiziert bei den sogenannten „Neo Documentarians“ ein recht aggressives Revival. ––––––––––––––––––––––

R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin 1976 (= ÜP), 80.

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Ein bei Bernd Diebner belegtes Proseminar, der uns ebenfalls dazu anhielt, dem traditionellen Konsens kritisch gegenüberzustehen, sowie ein Seminar bei Rolf Rendtorff brachten mich dazu, in meiner Seminararbeit über den „Gott der Väter“ die Texte der Genesis ohne vorige Aufteilung auf Quellen zu analysieren. Die sehr positive Benotung dieser Arbeit durch Rolf Rendtorff sowie seine Kommentare brachten mich dazu, das AT als Hauptfach für mein theologisches Examen zu belegen. Nachdem ich dieses abgelegt hatte, ermunterte mich Rolf Rendtorff dazu, bei ihm zu promovieren. Da ich ein Stipendium des lutherischen Weltbundes erhalten hatte, um mich in Paris in Semiotik und Religionswissenschaften zu spezialisieren, verlief der Austausch über die Anfänge meiner Dissertation, die der Frage der Rolle sowie der Identität der „Väter“ im Deuteronomium und in der dtr Tradition gewidmet war, auf postalischem Wege. Mitte der 80er Jahre kam es jedoch zu einer Krise. Rolf Rendtorffs Interesse hatte sich nach einem Studienjahr in Israel verstärkt der Analyse der „Endgestalt“ und der „kanonischen Interpretation“ zugewandt, so dass er mir nahelegte, meine Dissertation auf diesen Ansatz hin umzuschreiben. Da ich jedoch meinen diachronen Ansatz nicht aufgeben wollte, trennten sich unsere Wege vorübergehend, und ich wurde 1988 an der Universität Genf, wo ich als Assistent arbeitete, promoviert. Als jedoch meine 1990 veröffentliche Arbeit heftigen Widerspruch von Norbert Lohfink erfuhr, der seine Rezension meines Buches in Buchform veröffentlichte 2, kamen wir uns wieder näher. Aufgrund der aus dieser Veröffentlichung entstandenen Debatte lud mich Steven McKenzie 1993 zu einem Vortrag auf dem SBL Annual Meeting nach Washington ein, an welchem zu jener Zeit kaum europäische Exegeten teilnahmen. Rolf Rendtorff ––––––––––––––––––––––

N. Lohfink, Die Väter Israels im Deuteronomium. Mit einer Stellungnahme von Thomas Römer, Freiburg (CH) – Göttingen, OBO 111, 1991.

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war einer der wenigen deutschen Teilnehmer auf dieser Veranstaltung. In seiner 2007 erschienen Kurzautobiographie hebt Rendtorff hervor, wie wichtig für ihn „der regelmäßige Kontakt mit Fachkollegen im Bereich der Society of Biblical Literature“ 3 war. Die dort herrschende methodische Vielfalt, so führt er weiter aus, gab ihm die Möglichkeit, seine „Bemühungen um eine ‘holistische’ Lektüre des AT … zur Diskussion zu stellen“ (27). Als wir uns bei dieser Gelegenheit zufällig trafen, begrüßte er mich überaus herzlich und stellte mich den amerikanischen Kollegen als seinen ehemaligen Schüler vor. Seitdem blieben wir in ständigem Kontakt, und trafen uns noch bei verschiedenen Anlässen, wie zum Beispiel auf dem International SBL Meeting 2006 auf welchem Rolf Rendtorff einen Hauptvortrag hielt, mit dem Titel „What happened to the ‘Yahwistʼ? Reflections after Thirty Years“ 4. In diesem Vortrag, über den wir uns vielfältig ausgetauscht haben, zog Rendtorff Bilanz der dreißig Jahre, die nach seinen ebenfalls in Edinburg 1974 vorgetragenen Überlegungen über „Der Jahwist als Theologe? Zum Dilemma der Pentateuchkritik“ vergangen waren. Dieser 2006 von Rendtorff vorgetragene Forschungsüberblick macht deutlich, wie sich innerhalb von 30 Jahren die Forschungslage verändert hatte. Der Hauptgrund dieses Umbruchs war die Veröffentlichung des „überlieferungsgeschichtlichen Problems des Pentateuch“ (1976); dieses Buch gehört sicher zu den wichtigsten Beiträgen zur alttestamentlichen Wissenschaft im 20. Jh. Die Infragestellung der Urkundenhypothese Zwischen 1975 und 1977 erschienen, unabhängig voneinander, drei Bücher, die auf ihre je eigene Weise dazu bei––––––––––––––––––––––

3 S. Grätz, B.U. Schipper (Hgg.), Alttestamentliche Wissenschaft in Selbstdarstellungen, UIT 2920, Göttingen 2007, S. 19-31, Zitat S. 27. 4 https://www.sbl-site.org/publications/article.aspx?Articled=553

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trugen, dass sich der exegetische Konsens über die Entstehung des Pentateuch zerschlug: (a) J. Van Seters, Abraham in History and Tradition; (b) H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist; (c) R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch. Die Bücher von Van Seters und H.H. Schmid waren hauptsächlich darum bemüht aufzuzeigen, dass der sogenannte Jahwist keinesfalls unter Salomo oder in die frühe Königszeit datiert werden konnte. Für Van Seters gehört der Jahwist, der das DtrG voraussetzt, in die exilische Zeit. Der Pentateuch sei hauptsächlich das Werk dieses „Historikers“, der etwas später durch „P“ vervollständigt wurde. Dabei ist P keine Quelle, sondern ein Redaktor, der im Grunde mit der Endredaktion des Pentateuchs weitgehend zu identifizieren ist. Ähnliche Überlegungen in Bezug auf den Jahwisten finden sich bei H.H. Schmid, der aufzeigte, dass die sogenannten „jahwistischen Texte“ die klassische Prophetie des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr. voraussetzen und zudem enge Verbindungen zur deuteronomischen Literatur aufweisen. Der Jahwist sei demnach in die Nähe der dtr Texte zu bringen, wohingegen die Hypothese eines Elohisten aufzugeben sei. Der radikalste Angriff auf die Quellentheorie wurde jedoch von Rolf Rendtorff geführt. In seinem in Anlehnung an M. Noth und G. von Rad benannten Buch „Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch“, zeigt er die vielen Schwächen und Probleme der Quellenscheidung auf. Gleichzeitig entwickelt er anhand der Patriarchenerzählung seine eigene Theorie zur Entstehung des Pentateuchs, wobei viele der Positionen der heutigen Pentateuchforschung bereits präsent bzw. zu erahnen sind.

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Die heutige Situation der Pentateuchforschung Vor einigen Jahren hat Ch. Berner für die Pentateuchforschung „den vollständigen Abschied von der Urkundenhypothese“ postuliert, „die sich als ein dem Denken des 19. Jh. verhaftetes Paradigma schlicht überlebt hat“ 5. Ein solches Statement wäre ohne Rolf Rendtorffs „überlieferungsgeschichtliches Problem“ kaum denkbar, wiewohl Berners Ansatz von Rendtorffs erwogenem Model und seiner Methodik sehr weit entfernt ist. Für die Urkundenhypothese ist die Annahme paralleler Erzählfäden, welche die Geschichte Israels von den Anfängen (Urgeschichte bzw. Patriarchen) bis zum Tod des Moses oder der Eroberung des Landes enthalten, grundlegend 6. Diese Annahme wird gegenwärtig durch die Betonung der literarischen Selbstständigkeit der Erzeltern-Traditionen und deren späte Verbindung mit der Exoduserzählung infrage gestellt. Die Eigenständigkeit der vorpriesterlichen Urgeschichte wird ebenfalls in vielen Veröffentlichungen angenommen. Auch die Sinaiperikope wird oft als eine späte Einfügung in den narrativen Duktus der Erzählungen vom Auszug aus Ägypten und der Wüstenzeit angesehen 7. Dazu gesellt sich das entstehungsgeschichtliche Problem des Buches Numeri, dessen Eigenart auch von vielen Vertretern der Urkundenhypothese zugestanden wird. Und selbst die sogenannte „Priesterschrift“, die oft als ein Fels in der Brandung der gegenwärtigen Diskussion über die Entstehung des Pentateuchs angesehen wird, erweist sich als ein ––––––––––––––––––––––

Ch. Berner, Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ursprungslegende Israels, FAT 73, 2010, 49. 6 Mit Ausnahme von „D“ wurden für J und P ein mit der Schöpfung beginnender und mit dem Tod des Moses oder der Landnahme endender Erzählfaden angenommen; für E war die Sache von jeher komplizierter (häufig ließ man E in der Patriarchengeschichte beginnen). 7 Vgl. dazu und für das Folgende Th. Römer, „Der Pentateuch“, in: W. Dietrich et al., Die Entstehung des Alten Testamenst, ThW 1, Stuttgart, 2014, S. 52-166. 5

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Konzept, das höchst unterschiedlich bestimmt wird. Dieser recht fragile Konsens in Bezug auf P zeigt sich auch in dem Zitat von R. Kratz, der den gegenwärtigen Stand der Pentateuchforschung folgendermaßen zusammenfasst: „Sicher ist nur eines: Die Ausgrenzung der – ihrerseits vielschichtigen – Priesterschrift, sei es als Quelle oder als Redaktion“ 8. Damit ist auch die priesterliche Urkunde in ihrem traditionellen Umfang infrage gestellt. Alle diese Umwälzungen können als direkte bzw. indirekte Folgen von Rolf Rendtorffs Monographie verstanden werden, was im Folgenden nun kurz dargestellt werden soll. R. Rendtorffs Kritik der Urkundenhypothese Mit Schärfe und Ironie hat Rolf Rendtorff die Inkonsequenzen und Schwächen der dominierenden Urkundenhypothese aufgezeigt. Zunächst bemerkt er zutreffend, dass die angebliche allgemeine Akzeptanz dieses Modells im Grunde sehr unterschiedliche, manchmal sogar miteinander konkurrierende Auffassungen in Bezug auf die Quellen und deren Kompilation verdeckt. So zeigt Rendtorff zu Recht auf, dass in Bezug auf den Jahwisten, „einer entscheidenden Grundfrage die Quellenscheidung nicht zu einem abschließenden Ergebnis geführt hat“ 9. In der Tat wurde unter dem Siglum „J“ oft ganz unterschiedliche literarische Phänomene vermutet. So erinnert Rendtorff daran, dass der Jahwist nach Forschern wie Fohrer oder Eißfeldt auf zwei Quellen (Nomadenquelle und Laienquelle) aufzuteilen ist. Es sei daran erinnert, dass Wellhausen, der großen Anteil an dem Siegeszug der Urkundenhypothese hatte, nie eine präzise Definition des Jahwisten vorgelegt hatte; er war nie an einer genauen Rekonstruktion des Jahwisten interessiert. So meinte er einerseits, der Jahwist ––––––––––––––––––––––

8 G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, UTB 2157, Göttingen, 2000, 12. 9 ÜP, 81.

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müsste zumindest auf drei Jahwisten (J1, J2, J3) aufgeteilt werden, sprach aber andererseits oft vom Jehowisten, da eine Unterscheidung von Jahwist und Elohist in vielen Fällen unmöglich sei. Er setzte J zwischen 850 und 750, also in die neuassyrische Zeit, an, da erst ab dieser Epoche eine solche Literatur denkbar sei 10. Eine ähnliche Differenzierung des Jahwisten nahm Gunkel vor, der in der Urgeschichte zwei und in der Patriarchenerzählung drei weitere Jahwisten unterschied. Diese Jahwisten waren keine Autoren, sondern Sammler mündlicher Traditionen. Ein ganz unterschiedliches Bild des Jahwisten entwarf dann G. von Rad für den der Jahwist eine schriftstellerische Persönlichkeit wurde, ja der erste und größte Theologe des alten Israels. Der Jahwist übernahm das alte „geschichtliche Credo“, in welchem Exodus und Landnahme zusammengehörten (Dtn 26,5-9) und konstruierte daraus die erste Hexateucherzählung, indem er vor den Exodus die Ur- und Patriarchen-Erzählungen stellte, und als Verbindung von Exodus und Eisodus die Wüsten- und SinaiTraditionen einfügte. Für von Rad gibt es im Gegensatz zu seinen Vorgängern nur einen möglichen historischen Kontext für den Jahwisten, die „salomonische Aufklärung“. Damit wird nun im Gegensatz zu Wellhausen, Gunkel und anderen, der Jahwist früh und genau datiert (um 930 v. Chr.). Die „freigeistige Ära Salomos“ 11 hat den Jahwisten hervorgebracht, dessen Erzählung einer „der größten Leistungen der Geistesgeschichte aller Zeiten“ darstellt (ATD, 11). In der Folge von Rads interessierte man sich mehr und mehr für die „Theologie“ des Jahwisten und auch die der ––––––––––––––––––––––

J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 1899, Nachdruck: Berlin 1963. 11 G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2-4), Göttingen 198712, 14. 10

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anderen Pentateuchquellen. Dabei wurden aber, wie Rendtorff richtig bemerkt, „die Argumente… ganz überwiegend, ja oft fast ausschließlich aus der Genesis entnommen!“ (ÜP, 102). „Eine theologische Konzeption, die den ganzen Pentateuch umfasst und überzeugend als die des Jahwisten ausgewiesen werden kann, lässt sich offenbar nicht darstellen“ (ÜP, 108). Im Gegensatz zu von Rad hatte M. Noth in seiner „Überlieferungsgeschichte des Pentateuch“ 12 die Unabhängigkeit der großen Pentateuchthemen betont, die, mit Ausnahme der Urgeschichte bereits vor dem Jahwisten miteinander verbunden waren. Diese Idee der relativen Selbstständigkeit der großen Pentateuchthemen hat Rendtorff übernommen, dabei jedoch ein ganz anderes Bild von der Entstehung des Pentateuch entwickelt. Den Einfluss von Noths und von Rads Studien hat Rendtorff auch mit dem Titel seines Buches deutlich gemacht. In Bezug auf den Elohisten, der im Rahmen der Urkundenhypothese schon immer ein Schattendasein geführt hatte, fiel es Rendtorff nicht schwer, das Problem dieser Quelle aufzuzeigen, da deren Rekonstruktion nie hatte gelingen wollte. Rendtorffs Heidelberger Kollege H.W. Wolff sprach deshalb von „elohistischen Fragmenten“ und verzichtete darauf, den ursprünglichen Anfang und das Ende des Elohisten zu bestimmen 13. Rendtorff führte weiterhin aus, dass es im Grunde keine stilistischen oder terminologische Kriterien für die Scheidung zwischen J und E gibt und beobachtete weiterhin, dass die meisten Arbeiten zur Quellenscheidung sich auf das Buch Genesis und die erste Hälfte des Buches Exodus bezogen, und dass in der Sinaiperikope und insbesondere im Buch Numeri die Aufteilung in Quellen nie richtig hatte gelingen wollen. ––––––––––––––––––––––

M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuchs, Stuttgart 1948 = Darmstadt 1966. 13 H.W. Wolff, „Zur Thematik der elohistischen Fragmente im Pentateuch“, EvTh 29, 1969, 59-72. 12

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Dazu zitierte er die Bemerkung M. Noths am Anfang seines Numerikommentars: „Nimmt man das 4. Mosebuch für sich, so käme man nicht leicht auf den Gedanken an ‘durchlaufende Quellen’, sondern eher auf den Gedanken an eine unsystematische Zusammenstellung von zahlreichen Überlieferungsstücken sehr verschiedenen Inhalts, Alters und Charakters (‘Fragmentenhypothese’)“ 14. Dieses Zitat beweist, dass die Urkundenhypothese zu einem Dogma geworden war, das man auch dort anwenden musste, wo der Textbefund kaum mit ihr zu vereinbaren war. Auch in Bezug auf die Priesterschrift zeigte Rendtorff auf, dass deren Rekonstruktion nicht durchgehend möglich ist, und dass vielfach mit Ausfällen gerechnet werden muss. Zu Recht kritisierte er das Axiom, dass die ursprüngliche P-Grundschrift nur erzählendes Gut enthalten dürfe, wobei doch das typisch priesterliche Interesse vielmehr in den Ritualen und Vorschriften vorliegt, die sich hauptsächlich in Levitikus finden. Rendtorff wies weiter nach, dass sich in der Josephsgeschichte auf keinen Fall eine selbständige P-Erzählung herstellen lässt. Scharfsinnig bemerkte er, dass die meisten Argumente für die Zuschreibung dieses oder jenes Verses an P (wegen einer Altersangabe, oder der Bezeichnung des Pharaos als „König von Ägypten“) nicht stichhaltig sind, und kam zu dem Schluss: „Man wird also nüchtern feststellen müssen, dass für den Exegeten, der nicht vorher davon überzeugt ist, dass es eine P-Josephsgeschichte geben muß, eine solche nicht existiert” (115). Für Rendtorff legt es sich deshalb nahe, die sog. „priesterlichen Texte“ einer oder mehreren Bearbeitungsschichten zuzuweisen, deren Hauptanliegen die Verknüpfung von Patriarchen- und Exoduserzählungen ist (darauf soll noch einmal zurückzukommen sein). ––––––––––––––––––––––

M. Noth, Das vierte Buch Mose. Numeri, ATD 7, Göttingen 19773, 8, zitiert in ÜP, 91. 14

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Die Selbstständigkeit der Überlieferungsblöcke Anhand der Erzelternerzählungen legte Rendtorff ein neues überlieferungsgeschichtliches Modell vor. Dabei nahm er ältere Einsichten auf, nach welchen die Abrahamund Jakoberzählungen zunächst unabhängig voneinander bestanden haben, bevor sie miteinander verbunden wurden. Diese Verbindung ist erstmals in den göttlichen Verheißungsreden an die Patriarchen zu finden 15. Die verschiedenen Themen (Land, Mehrung, Segen) verbinden, so weist Rendtorff nach, in mehreren Stadien die Traditionen der drei Erzvätern miteinander. So kann beobachtet werden, dass die Verheißung des Segens für andere die Abrahamserzählung in 12,3 eröffnet und in 22,18 beschließt. Sie erscheint wieder zu Anfang der Isaakgeschichte in 26,4, und dann bei der Erzählung von Jakobs Gründung des Heiligtums Bethel in 28,14. So kann Rendtorff feststellen: „Mit dieser Verheißung, dass sie ein Segen für die ganze Menschheit sein sollten, sind also die Überlieferungen von den drei Erzvätern zu einer großen Einheit zusammengeschlossen“ (ÜP, 59). Die Verheißungsreden dienen demnach zur Verbindung und theologischen Interpretation der Erzelternerzählungen. Dabei zeigen sich durchaus Unterschiede in der Verwendung der göttlichen Verheißung: „In der Abrahamsgeschichte ist sie am tiefsten in die Erzählungen selbst eingedrungen, in der Jakoberzählung erweist sie sich als ein Element der Komposition, während sie in der Isaakgeschichte nur in zwei Gottesreden ohne Beziehung zum Kontext in Erscheinung tritt“ (ÜP, 65). Da sich eine vergleichbare Bearbeitung in der Exoduserzählung nicht findet, lässt sich schließen, ––––––––––––––––––––––

15 Diese Einsicht wurde bereits in einer sehr spät veröffentlichten Heidelberger Dissertation von 1972 vertreten: R. Kessler, Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb des vorpriesterlichen Pentateuch, BEATJ 59, Frankfurt/M., 2015.

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dass es sich dabei um eine auf die Patriarchenerzählung beschränkte Redaktion handeln muss. Dieser Ansatz wurde in der deutschsprachigen Forschung durch zwei monumentale Werke seines Schülers E. Blum fortgeführt: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984; Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin 1990; in der englischsprachigen Exegese führte D. Carr, Reading the Fractures of Genesis, Louisville 1996, Rendtorffs Ansatz weiter. Diese Veröffentlichungen trugen entschieden dazu bei, dass heute vielerorts angenommen wird, dass die Abraham- und Jakobstraditionen wohl erst nach dem Untergang des Nordreichs (722 v.Chr.) in Judah miteinander verbunden wurden, oder sogar erst nach der Zerstörung Jerusalems. Dieser überlieferungsgeschichtliche Ansatz hat sich zumindest in der europäischen Forschung in weiten Kreisen durchgesetzt. Die späte Verbindung von Erzeltern und Exodus Rendtorff hatte festgestellt, dass sich kaum Texte in den Erzählungen des Auszugs aus Ägypten finden, die auf die Patriarchenzeit zurückweisen: „Gleich in den ersten Versen des Buches Exodus wir die starke Vermehrung der Israeliten erwähnt (1,7), aber es wird dabei mit keinem Wort auf die immer wiederholte Mehrungsverheißung an die Väter Bezug genommen“ (ÜP, 66), woraus zu schließen ist, dass dieser Zusammenhang dem Verfasser dieser Erzählung nicht bewusst war. Noch auffälliger, so bemerkt Rendtorff, ist der Sachverhalt in der Berufung Moses in Ex 3. Dort verspricht Jhwh Mose in ein Land zu führen, in welchem eine Reihe von Völkern leben und wo Milch und Honig fließen (Ex 3,8). Rendtorff bemerkt dazu: „Das Land wird hier als unbekanntes Land eingeführt, zudem als ein Land, das die Wohnstätte fremder Völker ist; mit keinem Wort wird erwähnt, dass die Väter schon lange in diesem Land gelebt haben, und dass

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Gott es ihnen als ständigen Besitz für sie und ihre Nachkommen verheißen hat“ (ÜP, 66). Daraus ergibt sich, dass die literarische Verbindung von Erzeltern und Exodus erst in einer späten Phase erfolgte. Rendtorff weist darauf hin, dass diese Verbindung in den priesterlichen Texten Gen 17, Ex 2,23-25 und Ex 6,2-8 erfolgt. Diese Texte dienen zur Verknüpfung der Patriarchen- und der Exodusüberlieferung unter dem Aspekt des Bundes Jhwhs mit Abraham, Isaak und Jakob, der nach Ex 2,23-25 und Ex 6,22 zum eigentlichen Motor für das göttliche Eingreifen zugunsten der unterdrückten Hebräer wird (ÜP, 140-141). Ich selber nahm diese Idee, dass die erstmalige Verknüpfung von Genesis und Exodus auf „P“ zurückgeht, auf. Sie wurde ebenfalls von A. de Pury und besonders ausführlich von K. Schmid begründet, und auch E. Blum schloss sich ihr an 16. Diese Einsicht einer späten Verbindung der beiden Ursprungstraditionen wird heute in der europäischen Forschung weitgehend angenommen, wobei diskutiert wird, ob diese Verbindung bereits vor P (zum Beispiel durch einen exilischen „Jahwisten“) erfolgt war. Hier waren Rendtorff Beobachtungen wegweisend. Interessanterweise bemerkte Rendtorff ebenfalls, dass diese priesterliche Verbindung von Erzeltern und Exodus nicht auf andere Traditionskreise ausgeweitet wird. Er stellt fest, dass in den priesterlichen Texten im Bereich der ––––––––––––––––––––––

Th. Römer, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition, OBO 99, Freiburg (CH) – Göttingen, 1990; A. de Pury, „Le cycle de Jacob comme légende autonome des origines dʼIsraël“, in: J.A. Emerton (Hg.), Congress Volume Leuven 1989, Leiden 1991, 78-96; K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, Neukirchen-Vluyn, 1999; E. Blum, „Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Forschungshypothesen“, in: J.Ch. Gertz et al. (Hgg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin 2002, 119-156. 16

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Wüstenwanderung eine vergleichbare Intention fehlt. Daraus schließt er: „In diesen priesterlichen Texten finden wir also keine das Ganze des Pentateuch umfassende Bearbeitung sondern … nur eine einmalige Verknüpfung von Väter- und Exodusüberlieferung“ (ÜP, 141). „Danach lässt sich diese priesterliche Schicht im Pentateuch nicht mehr erkennen“ (ÜP, 162). So weist Rendtorff, ohne es weiter auszuführen, darauf hin, dass es keine einheitliche, den ganzen Pentateuch übergreifende Bearbeitung gibt, was es möglich macht, zum Beispiel die „priesterlichen“ Texte im Numeribuch von denen in Gen und Ex zu unterscheiden. Die Frage einer „Pentateuchredaktion“ Rendtorff beobachtet, dass es im Gegensatz zu den P-Texten eine „deuteronomisch geprägte“ Bearbeitungsschicht gibt, die mit Ausnahme der Schöpfungsgeschichte in alle Überlieferungsblöcke und Bücher der Torah einen Verweis auf Jhwhs Schwur bzw. Bund mit den Patriarchen einträgt: Gen 50,24; Ex 32,13 und 33,1; Num 32,11. Diese Stellen wollen, so Rendtorff, den „Gesamtzusammenhang des Pentateuch“ umspannen (ÜP, 164). Diese Beobachtungen werden heute oft so aufgenommen, dass diese Texte, zu denen wohl auch Lev 26,42, Dtn 1,8 und 34,4 zu rechnen sind, einer „Pentateuchredaktion“ zuzuschreiben sind, deren Anliegen es in der Tat war, die Kohärenz der Torah zu unterstreichen. Abschließende Würdigung Rolf Rendtorffs Buch „Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch“ hat die heutige europäische Pentateuchforschung in entscheidendem Masse bestimmt und beeinflusst. Auch wenn sich Rendtorff später aus der Pentateuchforschung etwas zurückgezogen hat, hat er in seinem Buch die wichtigsten Neuorientierungen antizipiert.

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Deswegen wird sein Name nicht nur mit der „holistischen“ Lektüre biblischer Texte sondern auch bleibend mit der historisch-kritischen Forschung verbunden bleiben.

David Carr

Von der Diachronie zur diachron informierten Synchronie Gen 1-3 im Lichte von Rolf Rendtorffs Früh- und Spätwerk neu lesen 1. Persönliche Vorbemerkung 1 Ich bin sehr glücklich, hier zu sein und an dieser Erinnerungsfeier für Rolf Rendtorff teilnehmen zu können. Denn er war eine sehr wichtige Person für mich – wie er es offensichtlich für viele andere hier auch war. Wie es meine Vorredner bereits getan haben, möchte auch ich mit ein paar persönlichen Erinnerungen beginnen. Es ist schon amüsant; ich habe diese vorab aufgeschrieben, aber mir wird jetzt erst bewusst, wie sehr manche meiner Erfahrungen denen gleichen, welche andere mit dieser unglaublich dynamisch-wandelbaren Persönlichkeit gemacht haben. Eine Sache, die mich beeindruckt hat, ist, wie verschiedene Menschen unter uns – von Werner Schmidt über Erhard Blum, Thomas Römer bis zu mir selbst und anderen – einen jeweils ganz anderen Rendtorff in den verschiedenen Etappen seiner wissenschaftlichen Entwicklungen erlebt haben. Jedenfalls möchte ich anfangs sagen, dass ich natürlich Rolf Rendtorff dafür zu danken habe, hier zu sein – und ––––––––––––––––––––––

Ich habe den nachfolgenden Text weitgehend ohne Literaturnachweise belassen; er stellt nahezu unverändert die mündliche Rede dar, die ich am 25. Mai 2016 bei der akademischen Gedenkfeier für Rolf Rendtorff in Heidelberg gehalten habe. Ich möchte dem Veranstalter der Gedenkfeier, Manfred Oeming, für seine Gastfreundschaft, Geduld und Sorgfalt bei der Übersetzung der auf Englisch gehaltenen Rede ins Deutsche danken.

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dafür, dass ich überhaupt diese Verbindung nach Heidelberg habe. Er war ganz mein ursprünglicher Grund dafür, dass ich Interesse an der Erforschung des Pentateuchs entwickelte. Als er die Claremont Graduate School besuchte, wo ich während den 1980ern noch ein Doktorand war, öffnete er mir die Augen für aufstrebende Fermente im Bereich Erforschung des Pentateuchs. Es war begeisternd, ihm zuzuhören. Er hat auch mein Interesse an der Verbindung von diachroner und synchroner Herangehensweise an die Bibel gefördert, als wir uns als Mitglieder des Lenkungsausschusses einer Gruppe der Society of Biblical Literature in den Vereinigten Staaten näher kennen lernten, die sich auf das Buch Jesaja fokussierte, um Jesaja als Ganzes in diachroner und synchroner Perspektive zu lesen. Dort lernte ich also Rolf Rendtorff als einen der wenigen europäischen Gelehrten kennen, die, wie Thomas Römer bereits gesagt hatte, damals regelmäßig in die USA kamen. Rolf Rendtorff war mein wichtigster Kontaktpunkt, als ich nach Europa kam, um die Pentateuchprobleme weiter zu verfolgen. Und er half mir, Kontakt zu Erhard Blum, der damals in Heidelberg lebte und in Augsburg arbeitete, und zu Bernd Janowski, seinem Nachfolger in Heidelberg, aufzunehmen. Ich hatte also die Gelegenheit, als Stipendiat der Humboldt-Stiftung ein Jahr hier in Heidelberg an der Theologischen Fakultät zu verbringen. Das war ein äußerst wichtiges Jahr in meiner Entwicklung als Wissenschaftler. In mancherlei Hinsicht fühlt sich mein hier entstandenes Buch „Reading the Fractures of Genesis“ eher als der Startpunkt meiner wissenschaftlichen Laufbahn an als meine Doktorarbeit. Rendtorff blieb mit mir im steten Kontakt und unterstützte mich während dieses Jahres. Obwohl er selbst zu diesem Zeitpunkt – das war 1993/94 – bereits von dieser Art von Forschungen zur Entstehung des Pentateuchs abgerückt war, die mich jetzt so sehr interessierten. Tatsächlich fand er es bereits in der Zeit, als ich in Deutschland war, seltsam (ein bisschen komisch und sogar

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ein bisschen ärgerlich), dass ein amerikanischer Gelehrter, wie ich es bin, – der es eigentlich besser wissen müsste – an diachronen Fragestellungen interessiert war, welche doch so typisch für die europäische Forschung sind. Er wandte sich bereits damals, wie wir schon mehrfach gehört haben, einem mehr synchron fokussierten Interesse an der Hebräischen Bibel zu, welches stark durch Brevard Childs und andere beeinflusst war. Während meines Jahres in Deutschland habe ich also ein Buch über die Genesis geschrieben, in dem ich meine amerikanischen Kollegen von der bleibenden Wichtigkeit einer diachronen Arbeit an Genesis überzeugen wollte, 2 während Rendtorff zur gleichen Zeit versuchte, seine europäischen Kollegen davon zu überzeugen, dem gegenwärtig vorliegendenen kanonischen End-Text theologische Aufmerksamkeit zu schenken. 3 Wir bewegten uns genau entgegengesetzt in verschiedene Richtungen. Das war nie ein großes Problem, da ich ja nicht sein direkter Schüler war. Aber dies machte es mir manchmal schwer, eine engere Verbindung mit ihm aufzubauen. Es ist daher interessant zu wissen – ich habe das nicht in meinen Manuskript stehen, aber ich glaube es ist nach Thomas’ Geschichte lustig zu hören –, was gegen Ende passiert ist: Einige Jahre später stand ich auf einem Empfang der Society of Biblical Literature in einem großen Kreis und Rolf Rendtorff stellte mich ihnen als seinen „Schüler“ vor. Und ich dachte: „Wow, das kommt aber unerwartet!“. Ich habe es als großes Kompliment genommen, dass er mich so sah. Ich erkläre mir das so, dass er, als er in seinen späten Lebensabschnitten versuchte, die verschiedenen Stränge zusammenzuführen, an denen er an verschiedenen früheren Etappen gearbeitet hatte, die Ab––––––––––––––––––––––

David M. Carr, Reading the Fractures of Genesis: Historical and Literary Approaches (Louisville, KY: Westminster John Knox, 1996). 3 Mustergültig findet sich dies in seiner Theologie des Alten Testaments: Ein kanonischer Entwurf (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1999). 2

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sagen an frühere Etappen seines Denkweges weniger betonte, als er das früher getan hatte. Er hat aber niemals den Blick dafür verloren, dass die Bibel diachron komplex ist, dass sie über die Zeit hinweg geformt worden war. Das war ihm immer bewusst. 2. Gen 1-3 im Lichte von Rendtorffs Früh- und Spätwerk neu lesen Und ich selbst bin weiterhin an einer diachron informierten synchronen Lesart der Bibel engagiert. Jetzt schreibe ich gerade einen diachron-synchronen Kommentar zu Gen 1–11 für die bei Kohlhammer veröffentlichte Kommentarreihe Exegetischer Kommentar zum Alten Testament (IEKAT) / International Exegetical Commentary on the Old Testament (IECOT). Diese Reihe vorfolgt programmatisch das Ziel, diese beiden Sichtweisen zusammenzuführen, was m.E. eine interessante Spätfolge von Rendtorffs Interessen ist. Zu Ehren von Rolf Rendtorff – sein Spätwerk einschließend, mit welchem ich mich damals zugegebenermaßen weniger identifizieren konnte – möchte ich die folgenden kurzen Überlegungen zur Schöpfungsgeschichten in Genesis 1–3 darbieten. Auf gewisse Weise ist das ein Einblick in meinen aktuellen Arbeitsprozess. Ich möchte knapp darlegen, was nach meiner Sicht eine holistische Lesart der Genesis sein kann, welche Rendtorff wohl noch so vertrat, als ich in Deutschland war. Ich frage also, wie man diese Kapitel in der gegenwärtigen kanonischen Endgestalt theologisch lesen kann, obwohl man über deren längere Entstehung durch die diachrone Perspektive sehr wohl informiert ist. Darüber hinaus werde ich (ebenso wie Rendtorff den lebendigen Dialog mit jüdischen Kollegen und jüdischer Exegese förderte und forderte) damit schließen, dass ich Verbindungslinien, die er bereits in seiner Theologie zwischen Exegese der Urgeschichte und jüdischer Interpretation der Vorstellung der

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Gottesebenbildlichkeit gezogen hat, aufbaue. Mein Vortrag ist in vielerlei Weise vorläufig, denn er bietet nur „work in progress“. Synchrone Beobachtungen Sogar für einen flüchtigen Blick stellt sich der Text Gen 1–3 in seiner gegenwärtigen Form als komplexer Text dar. Nach einem globalen Überblick über die Erschaffung des Menschen in seiner Welt, in Gen 1,1–2,3 haben wir nun noch einen weiteren Text, der als toledot des Himmels und der Erde folgt und eine andere Darstellung von Gottes Erschaffen des Menschen aus Erde bietet. Lassen Sie mich kurz jeweils einige Eigenschaften beider Darstellungen je für sich skizzieren, bevor ich mich der Frage zuwende, wie man diese zusammen als Ganzheit lesen könne. Ich fange mit dem Bericht über die Erschaffung der Welt in sieben Tagen an, mit welchem die Genesis eröffnet wird. Ganz selbstverständlich ist Gott hier in vollkommener Kontrolle über den Schöpfungsprozess dargestellt, wenn er wie ein König befiehlt, dass ein gewisser Schöpfungsakt stattfinden soll und dieser dann genau so stattfindet, wie Gott es befohlen hat. Die Klimax dieser Schöpfung besteht darin, dass Gott den Menschen, den er männlich und weiblich schafft, als „Ebenbild Gottes“ erschafft, damit sie sich vermehren und eine königliche Herrschaft über die Erde erlangen, welche Gottes Herrschaft über den Kosmos als Ganzem ähnelt. Wenn man Gen 1 isoliert betrachtet, können diese beiden Elemente – menschliche Herrschaft und menschliche Vermehrung – in unserer heutigen Welt theologisch und ethisch als problematisch angesehen werden – in einer Welt, welche durch Überbevölkerung, Klimawandel und andere Faktoren menschlicher Herrschaft gefährdet ist. Wie jedoch Erhard Blum und andere betont haben, stellt Gen 1 nur eine erste Darstellung der Absicht Gottes für eine friedlich geschaffene Welt dar – einer Welt, welche vor der Sintflut rasch durch Gewalt

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verdorben wurde. 4 Gen 1 behauptet nicht, zu beschreiben, wie die Welt und die Menschen in ihr wirklich sind, sondern nennt das Ideal, wie Gott die Menschheit beabsichtigt hat. Diese Welt wird aber sehr bald durch Gewalt verdorben. Genesis 1 beschreibt also nicht, wie die Welt und das Menschengeschlecht auf ihr gegenwärtig sind, sondern vielmehr wird das Ideal herausgestellt, das Gott realisieren wollte: so sollen Menschen sein. Es ist eine erste halbutopische Darstellung der göttlichen Absicht, welche in vielen Reden genannt und dann vorläufig in sieben Tagen ausgeführt wird. Wie wir nun alle wissen, folgt auf den Bericht der Schöpfung in sieben Tagen nach einer Überschrift zu Beginn von Gen 2,4 eine andersgelagerte Darstellung der menschlichen Anfänge in Gen 2,4b–4,26. Sie fängt im Garten Eden an, wo Gott das erste menschliche Paar erschafft und sie von dem verbotenen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen. Beurteilt man den Gebrauch des Ausdrucks hier, indem man Wellhausen und anderen folgt, so scheint diese „Erkenntnis von Gut und Böse“ die Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse zu sein, welche mit Erwachsensein im Allgemeinen und Königsein im Besonderen verbunden ist. 5 Durch das Essen der Frucht, das unabhängiges Erwachsenenwissen verlieh, verloren die ersten Menschen ihre kindliche Schamlosigkeit gegenüber ihrer Nacktheit. Und dies führte dazu, dass Gott sie aus dem Garten Eden hinauswarf in das Land außerhalb, wo sie sie ein hartes Erwachsenenleben führen müssen, Kinder gebären und Nahrung durch harten Ackerbau erwirtschaften müssen. Anschließend erzählt Gen 4, dass ihre Kinder unterschiedliche Zweige der Landwirtschaft ergriffen, bevor ihr erstes ––––––––––––––––––––––

Erhard Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189; Berlin: De Gruyter, 1990), bes. 289-291. 5 S. z.B. Rainer Albertz, “‘Ihr werdet sein wie Gott’. Gen 3,1–7 auf dem Hintergrund des alttestamentlichen und des Sumerisch-Babylonischen Menschenbildes,” WdO 24 (1993): 91–94. 4

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Kind, Kain, das andere Kind, Abel, umbrachte. Punkt für Punkt klingt, wie Sie alle wissen, in der Geschichte von Kain und Abel die vorangehende Eden-Geschichte nach. 6 Dies zeigt an, dass Kains Mord an Abel als Illustration der möglichen katastrophalen Konsequenzen der menschlichen Entscheidung im vorherigen Kapitel gemeint ist, die Erkenntnis von Gut und Böse zu erlangen. Und damit dieses Möglichkeit zu morden nicht nur einem einzigen schlechten Individuum isoliert zugeschrieben wird, wird das letzte Glied von Kains genealogischer Linie, Lamech, als jemand dargestellt, der sich damit brüstet, wesentlich gewaltsamer als sein Vorvater Kain zu sein. Und dann schließt das Kapitel damit, dass die ersten Menschen eine neue genealogische Linie neben Kain mit Seth gründen. Jedoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Potenzial für ein Desaster weggenommen wurde. Und dies wird später in der Fluterzählung deutlich unterstrichen, als Gott sah, dass das gesamte Trachten des menschlichen Herzens böse sei. Also sehen wir bereits im Abschnitt der toledot haššamajim wehaʼarez in Gen 2,4– 4,24, wie Gottes Intention einer friedlichen Schöpfung in Gen 1 zutiefst untergraben wurde, zum einen durch die menschliche Absage an Gott in Gen 3 sowie durch die menschliche Gewalt in Gen 4. Außerdem hat sich das Thema der Gottähnlichkeit von Gen 1 zu Gen 3 auf merkwürdige Weise entwickelt. Während Gott selbst in Gen 1 die Menschen als sein Ebenbild erschafft, scheint Gott in Gen 3 stark darüber beunruhigt zu sein, dass die Menschen gottähnlich werden könnten, da er ihnen verbietet, die Frucht zu essen, welche ihnen gottähnliche Erkenntnis über Gut und Böse gibt, und sie aus dem Garten vertreibt, damit sie gerade nicht gottähnliche Unsterblichkeit erlangten. ––––––––––––––––––––––

6 Eine gute Zusammenfassung der vielfältigen Beziehungen bietet Alan J. Hauser, “Linguistic and Thematic Links Between Genesis 4:1– 16 and Genesis 2–3,” JSOT 23 (1980): 297–305.

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Rein synchron betrachtet, erscheint es so, dass Gottes eigenes Unterfangen, gottähnliche Menschen zu erschaffen, im Garten Eden außer Kontrolle gerät. Obwohl Gott in Gen 1 in souveräner Kontrolle ist, scheint Gen 2–4 zu offenbaren, dass Gott auf unvorhergesehene negative Ergebnisse auf seine eigene Absicht, gottähnliche Menschen zu machen, reagieren muss. Und wie Jörg Jeremias in seiner jüngst erschienenen „Theologie des Alten Testaments“ 7 bemerkt, stellt der vorliegende kombinierte Text in Gen 1– 6 bedeutungsschwere Fragen dazu, ob und wie qualifiziert die Menschheit für die ihnen in Gen 1 gestellte Aufgabe überhaupt ist, über die Erde, die Gott ihnen gab, zu herrschen. Darüber hinaus möchte ich hinzufügen, dass Gott im kombinierten Text der Urgeschichte nirgends dieses Problem kommentiert, sondern sich vor der Flut nur auf die Problematik konzentriert, ob sie überleben können oder nicht. Diachrone Beobachtungen Nun sind freilich diese Überlegungen zu den Schwankungen und zu den Brüchen des Textes nicht neu. Sie formen vielmehr die Basis für die längst festgestellte Unterscheidung zwischen den Ursprüngen zweier großer Erzählblöcke: P in Gen 1,1–2,3 und Nicht-P in Gen 2–4*, genauer 2,4–4,26. Die Unterbrechungen und merkwürdigen Entwicklungen durch Gen 1 und 2–4 hindurch ergeben sich aus der Tatsache, dass zumindest einer dieser Blöcke ursprünglich nicht geschrieben worden war, um ihn in Bezug auf den anderen zu lesen. Tatsächlich würde ich argumentieren, dass die Vollständigkeit der Grundgeschichten, welche in diesen beiden Blöcken gefunden werden kann, zusammen mit ihrer relativen Unverbundenheit (wenn man von ein paar harmonisierenden Zufügungen absieht) dafür sprechen, dass sie ursprünglich eine getrennte Entstehung hatten und erst durch die Überschrift an ihrer –––––––––––––––––––––– 7

GAT 6, Göttingen 2015, 338-350, 482-485, hier 483.

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Nahtstelle in Gen 2,4a zusammengefügt wurden, welche die folgende Geschichte des Garten Edens und die Kainund-Lamech-Geschichten als einen Bericht der Ergebnisse von Gottes Schöpfung des Himmels und der Erde darstellt. Vorerst lasse ich Gen 4,25–26 (die sethidische Genealogie) außer Betracht. Aber ich möchte anmerken, dass ich sie in ihrem Ursprung und ihrer Funktion ähnlich ansehe, wie die Überschrift in Gen 2,4a, welche auch in diesem Fall an einer Nahtstelle zwischen P und Nicht-P steht, und die Nicht-P Kain-Lamech-Linie in Gen 4,1–24 mit der priesterlichen sethidischen Genealogie in Gen 5 verbindet und kontrastiert. Nun gibt es gegenwärtig natürlich einen großen Disput, Thomas Römer hat davon schon einiges angesprochen, über die Datierung dieser Großschichten und ihre originären soziohistorischen Kontexte, besonders wenn es um Gen 2–4 geht. Dennoch müssen wir nicht in diesen Fragen übereinstimmen, um die sehr verschiedenen Perspektiven dieser Blöcke wahrzunehmen, und sie nicht miteinander zu harmonisieren. Die Wahrnehmung dieser verschiedenen Konzepte kann und hat zu einem vertieften Verständnis der unterschiedlichen Beiträge der einzelnen Blöcke geführt. Ich möchte jedoch anführen, dass sowohl Gen 1 wie Gen 2–4, wenn man sie alleine liest, nicht die theologische Tiefe aufweisen, als wenn man sie zusammen betrachtet. Dies gilt besonders im Blick auf dringende Fragen der menschlichen Beziehung zur Umwelt, wie sie in diesen Texten und auch in unserem gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext vorhandelt werden. Selbst wenn man, zum Beispiel Gen 1 allein als eine Aussage über Gottes anfängliches Schöpfungsideal ansieht, scheinen mir doch Probleme darin zu liegen, Gen 1 so darzustellen, dass Gott eine unqualifizierte Bestätigung einer Schöpfung als „sehr gut“ gibt, wo Menschen Tiere beherrschen, sich sehr stark vermehren und die Erde unterwerfen und füllen, schon weil das nicht-

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priesterliche Bild der menschlichen Reifung zu schmerzvollem Erwachsensein, welches wir in der Garten-EdenGeschichte in Gen 2–3 sehen, recht negativ endet, da es die Menschheit in ihrem Besitz der selbstzentrierten Erkenntnis von Gut und Böse als kümmerlich beschränkt zeigt. Wie es in einer auf die Umwelt fokussierten Lesart dieser Kapitel durch Baird Caldicott vorgeschlagen wurde, kann Gen 2–3 als eine Geschichte des tragischer Weise aufkommenden menschlichen Androzentrismus gelesen werden. 8 In Folge dessen, dass sie von der Frucht der Erkenntnis gegessen haben, treffen Menschen nunmehr Entscheidungen aufgrund dessen, ob etwas für sie selbst, allein für die Menschen, gut oder schlecht ist – und sei es im Gegensatz zum Gedenken an die Tiere und Pflanzen der Erde. Daher ist der uranfängliche Bruch mit der Schöpfung, wie er in der Garten-Eden-Geschichte selbst durch die Feindschaft zwischen der Nachkommenschaft der Frau und der der Schlange repräsentiert wird, nur eine Vorahnung dessen, was heutzutage ein viel größerer Riss in der Umwelt geworden ist. Genesis 1-3 zusammen gelesen Jede der Lesarten wirft nun wichtige Fragen zur menschlichen Identität auf. Ich möchte jedoch, im Gefolge von Rendtorff, vorschlagen, dass eine diachron informierte, ganzheitliche (holistische) Kombination der beiden Perspektiven das Potenzial hat, theologisch aufzurütteln. Solch eine kombinierende Lesart zu verfolgen, ist nicht leicht. Sogar Rolf Rendtorff selbst, mit seinem erklärten Ziel, den Text in seiner gegenwärtigen Form zu lesen, konzentrierte seine Kommentare über die menschliche Gottähnlichkeit in seiner Theologie fast ausschließlich auf die priesterliche Entwicklung des Themas. Zuerst fasste er die ––––––––––––––––––––––

Baird Callicott, “Genesis and John Muir,” in Covenant for a New Creation: Ethics, Religion and Public Policy (ed. Carol S. Robb and Carl J. Casebolt; Maryknoll, NY: Orbis, 1991), 123–24.

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Menschenschöpfung nach Gottes Ebenbild in Gen 1 zusammen und dann beschloss er seine Darstellung der Urgeschichte mit einem Zitat aus dem Talmud-Traktat Sanhedrin, welcher eine Verbindung zu Gen 9 aufmacht, nach der jeder, der eine andere Person tötet, wie jemand ist, der das wahres Abbild Gottes zerstört. 9 Diese Diskussion in seiner Theologie verbindet sich gut mit Rendtorffs größerem Ziel, die jüdische Interpretation der Bibel in die christliche Erforschung der bibeleigenen Theologie zu integrieren. Dennoch behandelt Rendtorff noch nicht das komplexe diachrone Ganze in unserem vorliegenden Text, welches recht verschiedene Behandlungen der Gottähnlichkeit bei P und Nicht-P verbindet. Das möchte ich nun abschließend versuchen. Zu Beginn möchte ich feststellen, dass diese Kombination von unterschiedlichen Erzählungen ein komplexes Bild einer beinahen Gottähnlichkeit der Menschheit ergibt. Auf der einen Seite machte Gott in Gen 1 den Menschen zu „Gottes Ebenbild“, damit er die Schöpfung beherrsche. Auf der anderen Seite ergreifen die Menschen in Gen 3 von sich aus die gottähnliche Erkenntnis von Gut und Böse, auch wenn diese Erkenntnis sehr beschränkt bleibt – beispielsweise in ihrer anfänglichen Fähigkeit, sich Kleidung aus Feigenblättern zu machen. Und diese Handlung gegen Gottes Gebot führt zu einer schmerzhaften Entfremdung von der Erde, von den Tieren und voneinander, was auf die Gewalt der Kain-Lamech-Linie hinausläuft. Liest man Nicht-P allein, so zeigen sich die Menschen in Gen 3 als erbärmliche Nachahmer des Gottes, dem sie sich widersetzt haben. Um einen englischen Ausdruck zu benutzen: Sie sind „God-wannabes“, Möchtegern-Götter, geworden. Wenn wir nun aber Rendtorffs Impetus folgen, ––––––––––––––––––––––

Rolf Rendtorff, Theologie des Alten Testaments: Ein kanonischer Entwurf. Band 1: Kanonische Grundlegung (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1999), 17.

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Gen 3 ganzheitlich im Licht von Gen 1 zu lesen, dann haben die Menschen in Gen 3 eine gewisse Gottähnlichkeit, welche Gott ihnen gab, bereits inne. Darüber hinaus verleiht diese gottgegebene Gottähnlichkeit in Gen 1 ihrem Erfolg in Gen 3, eine gottähnliche Erkenntnis von Gut und Böse im Garten Eden zu erlangen, Nobilität, eine gewisse Würde. Es ist dann weniger eine lächerliche Handlung als vielmehr eine Entfaltung dessen, was Gott bereits angefangen hatte. Diese beiden Bilder des menschlichen Ursprungs in Gen 1 und Gen 2–3 können also als komplementär zueinander gelesen werden. Für sich allein genommen, ist das priesterliche Bild der Menschenschöpfung in Gen 1 in seiner Sicht der menschlichen Möglichkeiten recht optimistisch; und in diesem Sinne ähnelt es Gen 2, obwohl es nur ein Teil einer größeren, weniger optimistischen priesterlichen Erzählung ist. Unterdessen denkt die nicht-priesterliche Erzählung über die Reifung des Menschen eher negativ; sie endet in einem schmerzvollen Erwachsenenalter. Die Darstellung des Menschen ist komplex und ambivalent, indem sich die Menschen einerseits Gott widersetzen, um ein begrenztes und machtvolles Selbst zu erlangen, enden sie andererseits mit ihrem „Wissen um Gutes und Böses“ weit unter den göttlichen Fähigkeiten. Um das Potenzial und die Verantwortung der menschlichen Entwicklung darzustellen, sind die beiden Texte zusammengenommen stärker als getrennt. Darüber hinaus könnte man die beiden Menschenbilder kombinieren, um neue Wege der Begegnung mit anderen Menschen in ihrer Mischung aus gottähnlichem Potenzial und menschlicher Fehlbarkeit zu gewinnen. Gen 2–3 vertieft das gewagte Bild von Gen 1, dass die gesamte Menschheit nach Gottes Ebenbild geschaffen sei, indem es feststellt, dass ein internes gottähnliches Schlüsselcharakteristikum der Menschen eben die menschliche Fähigkeit ist, gut und schlecht von sich selbst aus zu unterscheiden. Diese Fähigkeit wird selbstverständlich in Gen 3–4 nicht

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beschönigt, eher im Gegenteil: Die Geschichten, wie ich bereits zusammengefasst habe, die in Gen 4-11 folgen, zeigen, dass die menschliche Fähigkeit zur autonomen Unterscheidung oftmals ins Desaster führt. Nimmt man jedoch Gen 1–4 zusammen, so kann man den Text als eine Ermutigung an die Leser verstehen, in jedem Gegenüber eine göttliche Qualität zu sehen und zwar gerade in der manchmal ärgerlichen oder gar fatalen Neigung dieser Leute, für sich selbst zu bestimmen, was gut und was schlecht für ihr Leben ist. Das heißt: Schaut man einer anderen Person in die Augen, so spiegeln diese Gott wider – gerade auch bei jemanden, der einem in seiner eigenen Subjektivität eben widerspricht. Dies fügt eine neue Dimension zu aufrüttelnden Strängen jüdischer Interpretation der Gottesebenbildlichkeit hinzu. Hierin folge ich Rolf Rendtorff und verweise auf eine Ansprache von Rabbi Abraham Heschel auf einer Konferenz über Religion und Rasse, die er 1963 inmitten der Bürgerrechtsunruhen in den Vereinigten Staaten gehalten hatte. 10 Heschel begann seine Ansprache mit der gewagten Aussage, dass Rassismus Blasphemie sei. Gegen Ende seiner Rede rechtfertigte er diese Aussage unter Verweis auf die Tora, indem er mit einer Paraphrase des Bilderverbotes einstieg und dann sagte: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen noch irgendein Gleichnis Gottes. Die Herstellung und die Verehrung von Bildern wird als ein Gräuel betrachtet, das in der Bibel heftig verurteilt wird. [...] Und doch gibt es etwas in der Welt, was die Bibel als Symbol Gottes betrachtet. Es ist nicht ein Tempel oder ein Baum, es ist nicht eine Statue oder ein Stern. Das Symbol Gottes ist der Mensch, jeder Mensch. [...] Ein Mann, jeder Mann muss aufgrund dieser Ähnlichkeit mit Ehrerbietung ––––––––––––––––––––––

10 A. Heschel, Religion und Rasse (1963); in: Ders., Die ungesicherte Freiheit. Essays zur menschlichen Existenz. Aus dem Engl. übersetzt von Ruth Olmesdahl, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1985, S. 72—84.

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behandelt werden, weil er in seiner Ähnlichkeit mit dem König der Könige Gott repräsentiert.“ 11 Wie Sie sehen können, habe ich die genderspezifische Sprache beibehalten, aber ich glaube, seine Meinung ist klar. In Heschels antirassistischem Aufruf, jede Person mit Ehrerbietung und Respekt als ein Abbild Gottes zu behandeln, hallt genau diese ganzheitliche Lesart der Genesis nach, welche ich hier vertrete. Obwohl sich Heschel explizit nur auf Gen 1 beruft, würde ich argumentieren, dass seine Herangehensweise auch auf Gen 3 übertragen werden kann. Indem er uns aufruft, die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse jeder Person, als zentrale Art und Weise des Menschen, Gott widerzuspiegeln, anzuerkennen und zu ehren. Es geht nicht allein darum, dass Menschen nicht andere Menschen töten dürfen, weil sie Gottes Ebenbild sind (so nach Sanhedrin und dem P-Strang). Wir müssen mit Heschel vielmehr anerkennen, dass jedes Mal, wenn wir einen andern Menschen begegnen, – dass wir dann ihre innere Subjektivität, ihre Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht, als eine Art und Weise ansehen, wie sie Gott widerspiegeln können. Eine Grundaussage meiner Tradition – ich bin Quäker – lautet, dass Gott in jeder Person steckt. Nun, Quäker sind als Pazifisten bekannt und dieser Spruch „that of God in every person“ ist oft damit verbunden. Aber er wird häufig auch in einer anderen Beziehung in der Quäkertradition gebraucht, und zwar in Bezug auf die spezifische Art von Quäkern, ein Businessmeeting mittels einer Art „Semikonsensusmodell“ abzuhalten. Die Idee ist, dass kein Quäkermeeting allein durch die Mehrheit bestimmt wird, sondern dass man mit der Entscheidung abwartet, bis jede einzelne Position ganz zur Kenntnis genommen wurde; man überstimmt einzelne Personen nur in dem Sonderfall, ––––––––––––––––––––––

11 Abraham J. Heschel, “Religion and Race,” in The Insecurity of Freedom: Essays on Human Existence (by Abraham J. Heschel; New York: Farrar, Straus & Giroux, 1966), 95.

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wenn diese den Entscheidungsprozess manipulieren wollen. Denn da ist „that of God“ in jedem – auch in der nervigen Person, die einem manchmal im Weg steht. Ich möchte damit nicht die Quäkermethode, eine Entscheidung herbeizuführen, anpreisen, die zugegebenermaßen zu manchmal recht langen Meetings führt. Aber ich möchte festhalten, dass die Quäkeraussagen, dass „that of God“ in jeder Person ist, ein Weg sein kann, sich die wahrhaftige Wertschätzung der moralischen Unterscheidungsfähigkeit anderer vorzustellen – diejenigen eingeschlossen, denen man widerspricht. Zumindest in den Vereinigten Staaten (aber ich denke nicht nur dort) scheinen sich politische Sichtweisen zu polarisieren. Und dies ist nicht nur ein Problem im rechten, sondern auch im linken Spektrum der Politik. Die Leute scheinen in Blasen zu leben, in denen sie nur die Ansicht derjenigen hören, mit denen sie übereinstimmen, und ihre Abneigung zu denjenigen, denen sie widersprechen, häufig aussprechen und mitteilen. Ich schlage vor, Gen 1–4 als eine komplexe theologische Einheit zu lesen, in der unterschiedliche und sich ergänzende Stimmen zur menschlichen Gottesebenbildlichkeit in diesen beiden Strängen uns dazu aufrufen, „that of God“ – die Fähigkeit, Gut und Schlecht zu unterscheiden, miteingeschlossen – in jeder Person anzuerkennen. Damit soll ebenfalls klar anerkannt werden, dass diese gottesähnliche, von Gott jedem Menschen gegebene Dimension zu negativen Konsequenzen führen kann – man darf menschliche Entscheidungen also nicht beschönigen. Diese komplexe theologische Anthropologie zu Beginn der Genesis kann ein Bezugspunkt sein, der die die enorm gewachsene Menschheit mit immensen ökologischen Herausforderungen konfrontiert, die uns alle betreffen und nach Lösungen verlangen. Auf der einen Seite bildet das Bild von der menschlichen Herrschaft in Gen 1 eine alte, aber nichtsdestoweniger wahre Einsicht ab, dass die Menschheit, solange sie technologisch so hoch entwickelt

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ist, niemals zu einer romantischen Einheit mit der Welt oder einer gleichberechtigten Partnerschaft mit den Tieren zurückkehren kann. Das wird einfach nicht passieren. Für Gen 1 steckt diese Herrschaft durch die Menschen voller Möglichkeiten, insofern als die Schöpfung mitsamt der herrschenden, gottähnlichen Menschheit sehr gut ist. Aber dann zeigt Gen 2–4 auch auf, dass Menschen Gott widersprechen, was auch zu zerstörerischen Konsequenzen führen kann. Wie fügen wir diese Sichtweisen nun zusammen? Ich habe eine Möglichkeit vorgeschlagen und bin, wie Sie mittlerweile festgestellt haben, zwischen P- und Nicht-P-Perspektiven hin und her gesprungen – hin und zurück. Denn schlussendlich ist das Problem unlösbar. Die kombinierten diachronen Schichten, die wir in Gen 1–4 vorfinden, produzieren ein komplexes Ganzes, welches nicht zu einer einzigen Botschaft zusammen harmonisiert werden kann; ein einziges, stark vereinfachtes theologisches System ist nicht möglich. Jede biblische Theologie muss dieses Fehlen einer Systematisierung ansprechen; dieser komplexe unauflösliche Mix aus Perspektiven ist theologisch aufrüttelnder, als es ein mehr einheitlich gestimmter Text wäre. Lassen Sie mich abschließend auf eine Analogie aus der Musik zurückgreifen, um dies klarer auszudrücken. Da ich in meiner Freizeit gerne Blues und Jazz auf meiner elektronischen (Hammond B3) Orgel spiele, scheint es mir so, als wäre der priesterliche Strang ein musikalischer Akkord, beispielsweise ein C. Und der nichtpriesterliche Strang ist ein anderer Akkord, der auf einer anderen Note basiert, zum Beispiel ein G. Beide Akkorde haben ihre eigene Komplexität. Dennoch habe ich die ganze Vorlesung hindurch diese verschiedenen Akkorde der P- und NichtP-Stränge wiederholt, um zu versuchen, diese beiden Teile zu einer Bluesmelodie zusammen zu fügen. Vielleicht mit dem P-Akkord als Grundton, für diejenigen, die sich auf Musik verstehen, und Nicht-P als Tonika, welche das Gleichgewicht durcheinander bringt und dieses Stück erst

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interessant macht. Zusammen bilden die P- und Nicht-PStränge eine biblische Melodie, ein diachron komplexes Ganzes, welche das Potenzial der Menschen für große Heilung der Welt und für die Überwindung von Gewalt repräsentiert. Wir müssen Rolf Rendtorff dafür danken, dass er uns dazu aufgerufen hat, deutlicher auf diese biblische theologische Melodie zu hören – zusammen mit unseren jüdischen Brüdern und Schwestern, welche unseren Respekt und unsere Wertschätzung für diesen so grundlegend endlos aufwühlenden Text teilen.

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Rolf Rendtorff als Theologe Erwägungen zu seinem kanonischen Entwurf einer Theologie des Alten Testaments Mein Beitrag gliedert sich in zwei Teile. 1. eine Darstellung und 2. eine Würdigung, die ich versuche zu trennen. 1. Darstellung Nach meiner Einsicht, die sich beim Studium seiner Schriften für mich eher überraschend eingestellt hat, verstand sich Rolf Rendtorff von Anfang an und durchgängig primär als Theologe. „Ich bin aufgewachsen in der Zeit des Kirchenkampfes“, so beginnt er seine Autobiographie (S. 7) und so beendet er sie auch (S. 153). Er hat Theologie studiert und war dabei „durchaus darauf eingestellt, zunächst in den kirchlichen Dienst zu gehen“ (S. 60). Die verschiedenen Etappen seiner wissenschaftlichen Theoriebildung schildert er selbst als „Phase(n) meiner theologischen Arbeit“ (S. 155, Hervorhebung M.O.). Auch seine Bemühungen um das adäquate Verhältnis zu Israel fasste er in den Titel der von ihm mitbegründete Zeitschrift „Kirche und Israel“ (Hervorhebung M.O.). Er hat die unterschiedlichen Arbeitsfelder seiner wissenschaftlichen Oeuvres immer auch als Entfaltung eines Zugangs zu Gott begriffen, auch wenn er so fromm klingende Sätze nur selten und dann auch recht verhalten formuliert hat. Rolf Rendtorff hat regelmäßig gepredigt. Für die gewissenhafte Predigtvorbereitung hat er immer wieder viel Zeit aufgewendet. Zur Wahrnehmung seiner Gesamtpersönlichkeit ist die Einbeziehung seiner Predigten wichtig (siehe die drei Predigten als Beispiele am Ende dieses Bandes).

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„Theologie“ war also der Rahmen, innerhalb dessen sich allerdings in verschiedenen Phasen unterschiedliche Bilder von Theologie entwickelt haben. Rendtorffs Verständnis von Theologie ist schrittweise herangereift, wobei das Ende deutlich anders aussah als der Anfang. Die Ausbildung der Rendtorffʼschen Theologie des Alten Testaments erfolgte in drei Phasen, wobei er selbst die älteren Positionen explizit aufgab: A) Theologie steckt in der Objektivität der Geschichtstaten Gottes (aufgegeben). B) Theologie ergibt sich aus der inneren Logik des diachronen überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhangs (aufgegeben). C) Theologie ergibt sich aus der Objektivität des Textes in seiner Endgestalt. Diese Entwicklungsphasen sind hermeneutisch und theologisch hoch bedeutsam und sollen etwas näher entfaltet werden: Zu A: Die erste Phase ist gekennzeichnet durch die enge Kooperation mit anderen jungen Heidelberger Doktoranden: Klaus Koch, Ulrich Wilckens, Wolfhard Pannenberg und seinem Bruder Trutz Rendtorff, die einen literarischen Niederschlag in dem 1961 publizierten Band „Offenbarung als Geschichte“ gefunden hat. Rolf Rendtorff hat darin den Grundgedanken des Kreises auf das Alte Testament hin konkretisiert: Da Gott sich in der Geschichte gezeigt hat, ist es die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, dieses Wirken Gottes in großen Taten zu beweisen. Der Akzent liegt dabei durchaus auf dem Glauben daran, dass Gottes Taten, das heißt sein direktes Eingreifen in den Gang der Weltgeschichte, es erlauben, ihn und sein Wesen zu erkennen. So wie es dem Neutestamentler Ulrich Wilckens zufiel, die Tatsache der Auferstehung Jesu von den

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Toten zu „beweisen“, 1 so war es Aufgabe des Alttestamentlers Rendtorffs, das Wirken JHWHs in der Geschichte aufzuweisen. Weil „Offenbarung“ sich nach dem Pannenberg’schen Programm auf die Geschichtstaten Jahwes beziehen muss, deswegen „kann das prophetische Wort nicht selbst als Offenbarung verstanden werden; denn es ist ja nicht der Selbsterweis Jahwes, sondern es geht ihm voran oder weist immer wieder auf ihn zurück. Die Erkenntnis wird nicht durch das isolierte Wort gewirkt, sondern erst durch das im Wort angekündigte Geschehen in seinem überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang“ (40). Im Sinne Gerhard von Rads ist das alttestamentliche Wort primär „nur“ Verweis auf Fakten. Wenn sich Gott noch nicht in der Geschichte durch Fakten offenbart hat, dann wird er dies in der Zukunft noch tun. Somit verweist dieses Offenbarungskonzeption auf das, was Gott erst in einer Zukunft außerhalb des Alten Testaments tun wird, d.h. auf Gottes Tun ich Jesus Christus. „Der endgültige Selbsterweis“ Gottes wird „als das entscheidende Ereignis der Zukunft erwartet.“ (ebd., 40). Dieses Programm musste meines Erachtens scheitern, – so habe ich in meiner eigenen Doktorarbeit, in der ich die Modelle gesamtbiblischer Theologie seit Gerhard von Rad untersuchte, in doppelter Weise scharfe Kritik geübt: Denn die angeblichen Heilstatsachen lassen sich gerade nicht beweisen, sondern sie beinhalten ein hohes Maß an Fiktionalität. Der Glaube beruht nicht auf historisch beweisbaren Tatsachen, sondern auf Sinndeutungen. Hier liegt ein Kategorienfehler vor. Ob es Abraham gegeben hat, ist ebenso fragwürdig wie die Existenz von Mose oder die Faktizität eines Exodus von Gesamt-Israel aus Ägypten oder wie die ––––––––––––––––––––––

„Wer die Historizität der Auferstehung Jesu nicht erkennt, ist ein schlechter Historiker“ W. Pannenberg, Die Auferstehung Jesu – Historie und Theologie, ZThK 91, 318-328, 320. 1

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Landnahme unter Josua oder die Gründung eines Großreiches unter David und Salomo. Der alttestamentliche Glaube beruht nicht mit Geschichtstatsachen, sondern auf symbolischen Erzählungen, nicht auf history sondern auf stories. Dass zweitens das Alte Testament zunehmend Gottes Heilshandeln erst für die Zukunft erwarte und das Entscheidende als noch nicht realisiert ansehe, trifft allenfalls für die Apokalyptik zu, entspricht aber aufs Ganze gesehen dem exegetischen Befund nicht. Israel hat in der Tora, im Tempelkult, in der Weisheit, Recht und Ethos, in den Festen und Gebeten schon jetzt Gottes vollgültige Offenbarung gesehen. Rendtorff hat sich – wie er selbst erklärt – von diesem Programm gelöst: „Dem Programm ‚Offenbarung als Geschichte‘ liegt implizit eine ‚Substitutionstheorie‘ von äußerster Konsequenz zugrunde.“. 2 Allerdings erst allmählich. Ich habe noch 1985 einen Anruf von ihm erhalten, damals – vor Google – muss er einige Zeit investiert haben, mich als Studieninspektor im Hans-Iwand-Hauses in Bonn ausfindig zu machen. Er hat mich in diesem für mich eindrücklichen Telefonat sehr kräftig „angeraunzt“: „Wie können Sie es wagen, mein Lebenswerk so abzukanzeln? Wie alt sind sie eigentlich? Wie alt waren sie, als sie das geschrieben haben?“ Ich war überrascht, habe ihm aber gesagt, dass die Frage nach meinem Alter überhaupt keine Rolle spielen darf. Das ist nur ein Autoritätsargument, das ich bei ihm als dem Vordenker der linken Studentenbewegung gerade nicht erwarten würde. „Was habe ich in der Sache falsch dargestellt?“ „Das spielt doch keine Rolle!“, empörte er sich und er hat den Hörer in die damals noch ––––––––––––––––––––––

2 R. Rendtorff, Offenbarung und Geschichte. Partikularismus und Universalismus im Offenbarungsverständnis Israels, in: J.J. Petuchowski / W. Strolz (Hg.), Offenbarung im jüdischen und christlichen Glaubensverständnis, QD 92 (1981), 37-49, auch in: Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, NeukirchenVluyn 1991, 113-122 (113).

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vorhandene Gabel geknallt. Ich was sicher, dass ich jetzt einen Feind fürs Leben hätte. Zu B: Seit 1959 reiste Rendtorff regelmäßig nach Israel. Er wurde durch intensive freundschaftliche Begegnungen mit Isaac Seligmann, Gerschom Scholem, Ernst Simon, Moshe Greenberg, Shmarjahu Talmon, Benjamin Mazar, Zwi Werblowski, Abraham Malamat und andere stark beeinflusst. Er nennt dieses selbst „einen Eintritt in eine neue Welt“ (S. 78). Wie genau die Einflusslinien verlaufen sind weiß ich nicht. Aber aus der Begegnung mit Israel hat Rendtorff die hohe Bedeutung der mündlichen Überlieferung und das enorme Gewicht des auswendig Gelernten erkannt. Rolf Rendtorff hat sich um die Erneuerung des Verhältnisses zu Israel sehr verdient gemacht (vgl. die ausführliche Würdigung von F. Crüsemann, S. 137ff.). So hat er unter anderem gemeinsam mit dem damaligen Akademie-Direktor von Arnoldshain Martin Stöhr – das Programm „Studium in Israel“ begründet, das es deutschen Studierenden ermöglichen sollte und gegenwärtig immer noch ermöglicht, für ein Jahr an der Hebräischen Universität Jerusalem zu studieren – und dabei Veranstaltungen in hebräischer Sprache zu belegen. Mit gewichtigen Quelleneditionen und Predigthilfen hat er die Einbeziehung des real existierenden Israel in die christliche Theologie vorangetrieben. Ich habe Rolf Rendtorff zum ersten Mal 1981 in Jerusalem erlebt. Im Open Air Auditorium der Hebräischen Universität auf dem Mount Scopus hielt er als Nicht-Jude einen Vortrag über die „Rabbinische Exegese und die moderne christliche Bibelwissenschaft“, wobei er in seinem einleitenden Grußwort zu erkennen gab, dass er vorzüglich Neuhebräisch spricht und zudem ein ausgezeichnetes Englisch. Neben mir saß zufälligerweise Prof. Moshe GoshenGottstein von der Hebräischen Universität Jerusalem, der mir zuraunte: „Das ist ein Deutscher, aber ein sehr guter!“

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Rendtorff hat die klassische Quellenscheidung im Pentateuch angegriffen und ein überlieferungsgeschichtliches Modell an seine Stelle zu setzen gesucht, wie die Beiträge von Thomas Römer und David Carr in diesem Band im Detail ausweisen (S. 59ff. bzw. S. 75ff.). Rendtorff hat in hohem Maße neben der schriftlichen der mündlichen Tora zunehmend hohe Bedeutung zugeschrieben. Er war weithin optimistisch, die Etappen dieser mündlichen Vorgeschichte bis hin zur Komposition von Büchern wie dem Jesaja-Buch oder dem Psalter nachvollziehen zu können. Aber auch diesen Ansatz, der noch starke Ausstrahlungen auf die Wissenschaft hat, hat Rendtorff radikal aufgegeben. Zu C: Die letzte, für ihn charakteristisch werdende Wende erhielt seine Theologie durch die entschiedene Konzentration auf die kanonische Endgestalt des Textes, auf die „final form“, wobei Rendtorff hierfür neben israelischen auch amerikanische Einflüsse benennt, allen voran Brevard S. Childs. Seine nach einigen Vorarbeiten schließlich voll ausgearbeitete „Theologie des Alten Testaments“ erschien 1999 und 2001 in zwei Bänden. Sie ist in drei Teile untergliedert: erstens eine Nacherzählung der hebräischen Schriften in ihrer kanonischen Abfolge; zweitens eine Darstellung der Hauptthemen, drittens eine Darstellung der hermeneutischen Probleme des Alten Testaments. Beide Bände schließen mit einer jeweils sehr knappen Bibliographie. Das Werk ist in der Fachwelt vielfach besprochen und auf einem SBL-Panel diskutiert worden. 3 In Deutschland aber wurde es überwiegend negativ bewertet 4; auf die Gründe ––––––––––––––––––––––

Horizons in Biblical Theology 28/1 (2006) 1-55. Vgl. z.B. J. Jeremias, Theologie des Alten Testaments, Göttingen 2016, 4f.: „Rolf Rendtorff, hat das Programm einer ‘Nacherzählungʼ in letzter Konsequenz aufgegriffen und lässt seine ‘Theologie des ATʼ bei der Schöpfung beginnen, weil ja auch das Alte Testament selbst mit der 3 4

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hierfür werde ich noch zu sprechen kommen. Ich möchte zunächst das Buch in seiner inneren Struktur weiter darstellen, um erst abschließend seine Stärken und dann auch Schwächen zu würdigen. Ganz programmatisch lautet der erste Satz: „Das Alte Testament ist ein theologisches Buch.“ (S. 1) Dieser Entwurf „geht einen Schritt über die weithin herrschenden methodischen Ansätze hinaus, indem sie den Überlieferungsweg, der zur Entstehung der jetzigen Textgestalt geführt hat, bis zu seinem Ende folgt und dieser Endgestalt die vorrangige Aufmerksamkeit widmet.“ (S. 1) Der Anspruch Rendtorffs ist es also, den spezifisch theologischen Akzent dadurch zu erreichen, dass er nicht in der Rekonstruktion von hypothetischen Vorstufen oder von unsicheren überlieferungsgeschichtlichen Prozessen stehen bleibt, sondern sie konsequent bis zum Ende, d.h. bis zur Endgestalt folgt und dem Text als kunstvoll durchgeformtem Kunstwerk die herausragende Bedeutung zuweist. Das ist auf den ersten Blick eine sehr naive Vorgehensweise, weil er ja im Grunde nichts anderes tut als das nachzuerzählen, was ohnehin in der Bibel steht. Der Nährwert des Nacherzählens gegenüber dem schlichten Nachlesen ist nicht sofort evident. Charakteristisch aber ist in jedem Fall die Konzentration auf Gott. In einer vorläufigen (und durchaus problematischen) Kurzform fasst Rendtorff den Inhalt der alttestamentlichen Theologie mit dem Satz zusammen: „Im ersten Kanonteil handelt Gott, im zweiten Kanonteil spricht Gott, im dritten Kanonteil sprechen die Menschen zu Gott und von Gott.“ (S. 6)

Zweifellos ist Rendtorff sehr stolz darauf, den Gesamtbestand des Alten Testaments in gleicher Weise zu Wort ––––––––––––––––––––––

Schöpfung einsetzt. Eine derartige Nacherzählung ist letztlich ungeschichtlich, weil die alttestamentlichen Texte erst in einem relativ späten Stadium ihrer Entstehung – zur Zeit des Exils – das Thema Schöpfung breit aufgegriffen haben.“

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kommen zu lassen. Er hat mit im persönlichen Gespräch einmal erzählt, wie viel Freude – aber auch wie viel Arbeit – ihm der Durchgang durch das Alte Testament in Hebräisch gemacht hat. Der erste Teil vollzieht Theologie in Gestalt des Nacherzählens, was immer noch „die legitimste Form theologischen Redens vom Alten Testament“ (so mit G. von Rad, Theologie 1962, 134)! Allerdings tendiert die Gemeinsamkeit mit von Rads Entwurf de facto gegen Null, weil die diachrone Analytik von Rads weitestgehend entfällt. Stattdessen wird der Leser über viele Details des biblischen Erzählablaufs informiert, was besonders jüdische Leser entzückt: Ich zitiere aus der Rezension von S.T. Kamionkowski aus der Panel-Diskussion in: Horizons in Biblical Theology 28 (2006) 19-29, der Rendtorff geradezu ‘adelt’ (S. 27) und feststellt: „I have never read a work of Hebrew Bible or Old Testament theology in which I have not at best felt ‘this does not speak to me,ʼ or ‘this does not deepen my understanding of the text as a Jewish Biblicist,ʼ or all too often I have felt offended by a work that is either strongly Christological while claiming to be an objective work of Hebrew Bible scholarship or is blatantly anti-Semitic. Professor Rendtorff’s work is the first that I have read that did not make me cringe. This is an extraordinary accomplishment.“

Am Ende des ersten Bandes stellt Rendtorff fest: „Dieser erste Band hat sich darum bemüht, in einem Durchgang durch den Kanon von seinem ersten bis zu seinem letzten Vers die Texte selbst in ihrer vorliegenden Gestalt sprechen zu lassen.“ (S. 384)

Bei allem Respekt vor dem Bemühen, das Alte Testament in allen seinen Teilen gleichmäßig zu Wort kommen zu lassen, muss man doch kritisch feststellen, dass gewisse Abschnitte wesentlich ausführlicher behandelt werden als andere. Zum Beispiel wird das Buch Genesis auf 31 Seiten

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traktiert, die Fünf Megillot aber nur auf 17 Seiten. Eine Marginalisierung der Apokalyptik ist unübersehbar, wenn dem Buch Daniel völlig überraschender Weise nur zwei Seiten gewidmet werden; dafür aber wird den Büchern Esra und Nehemia ungewöhnlich großer Platz von zwölf Seiten gewidmet. Ein Grund dafür mag auch in der Tatsache liegen, dass Rendtorff jeweils zu bestimmten Texten umfangreiche Vorarbeiten besaß, die in die Gestalt seiner Theologie eingeflossen sind. Vermutlich hat Rendtorff eben doch innerlich gewisse Vorlieben, die (unbewusst oder nicht zugegebenermaßen) die Darstellung bestimmen. Insgesamt ist der erste Band zu einer Art Bibelkunde höherer Ordnung geworden, was ich durchaus positiv meine: Wer immer Rendtorff liest, wird in sehr qualitätsvoller Weise durch die Welt der Texte geführt. Der zweite Band ist wesentlich anspruchsvoller. Hier werden unter dem Titel „Thematische Entfaltungen“ die leitenden Ideen deutlicher und expliziter reflektiert, wenn auch erst ganz am Schluss. Wie mit dem Titel des zweiten Bandes signalisiert ist, soll er eine systematische Darstellung der zentralen Themen bieten. Genauer werden achtzehn Themen behandelt. Diese Auswahl ist in sich eher unsystematisch, sie orientiert sich im Grunde wieder ganz an der biblischen Reihenfolge: Die Darstellung ist untergliedert in 12 plus 6 Themen: diese Zahlen sind wohl nicht zufällig, sondern sie wollen von sich aus Analogien zu prägenden Ziffern das alttestamentlichen Denkens nahelegen. 1. Die 12 Themen lauten: 1. Die Welt als Gottes Schöpfung, 2. Bund und Erwählung, 3. Die Väter Israels, 4. Das verheißene und anvertraute Land, 5. Der erste und der zweite Exodus, 6. Das Zentrum des Lebens Israels: die Tora, 7. Der Ort des Lebens vor Gott: der Kult, 8. Mose, 9. Das Königtums David, 10. Zion, 11. Wie von Gott reden?, 12. Israel im Widerstreit.

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2. Die drei Lebensbereiche in der alttestamentlichen Literatur führen zu 6 Themen: 1. Die Prophetie, 2. Israel in Gottesdienst und Gebet, 3. Israels Weisheit, 4. Israel, die Völker und die Götter, 5. Wie sieht Israel seine Geschichte?, 6. Was erwarte Israel von der Zukunft? So wichtige Punkte diese Auswahl auch anspricht, sie bleibt dennoch geprägt von bestimmten theologischen Vorlieben des Nacherzählenden, mehr als Rendtorff zu erkennen gibt und als ihm selbst vielleicht bewusst ist. So setzt er zum Beispiel im Rahmen der Schöpfungstheologie einen starken Akzent auf die Gleichheit der Geschlechter, nimmt aber keinerlei Bezug auf ökologische Implikationen der Schöpfungstheologien. Erstaunlicherweise verwendet er für die Darstellung von Israels Gottesdienst sowie der Weisheit Israels jeweils nur vier Seiten, während die Präsentation der Tora 30 Seiten umfasst. Vielleicht gibt sich in Abgrenzung und Umfang hier eine (verborgene) Mitte des Alten Testaments zu erkennen: die Tora als Zentrum des Lebens Israels. So wie sein Lehrer Gerhard von Rad scheint auch Rolf Rendtorff für Apokalyptiker und Weisheitslehrer keinen sehr ausgeprägten Sinn gehabt zu haben. Der dritte Teil der Theologie ist eine „Hermeneutik des Alten Testaments“; sie ist für mich von besonders hohem Interesse. Hier wird mit großer Emphase konstatiert „Das wichtigste theologische Ereignis der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ist die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie“ (S. 302). Diese besondere Sicht veranlasst Rendtorff, das große Vermächtnis der Theologie im Alten Testament als vorchristliches Buch zu verstehen, als „Bibel Israels“. In der letzten öffentlichen Veranstaltung, die ich (zusammen mit Albrecht Lohrbächer und Johannes Heil in der Hochschule für jüdische Studien) als Abschluss eines Seminars „Zum Jüdischen-Christlichen Dialog nach 1945“ am 20. Januar 2013 durchgeführt hatte,

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war Rendtorff auf diesen Punkt besonders konzentriert: „Legen Sie das Alte Testament niemals christologisch aus!“, hat der 82-jährige mit erhobenem Zeigefinger seinen Hörern eingeschärft. Das Alte Testament ist Christus vor-gegeben, es ist der unbestreitbare Hintergrund, auf dem alles Christliche nur hervortreten kann. Es ist das Licht, auf dessen Strahlkraft der Schatten des Galiläers überhaupt erst wahrnehmbar wird. Von dieser Voraussetzung ist Rendtorff zutiefst überzeugt gewesen. Die faktische Prae-Position der Bibel Israels macht die Frage, „was den Gebrauch der Hebräischen Bibel in der Kirche und damit ihre Stellung im christlichen Schriftenkanon begründet“ (Oeming / Dohmen) für ihn „abwegig“ (303). Die Geltung ist für ihn evident, wie Dekalog und Psalmen zeigen, und braucht nicht bewiesen oder legitimiert zu werden. Mit seiner Konzentration auf die hebräische Bibel, die dem Ausgang im Judentum wie auch im Christentum vorausliegt, konstruiert Rendtorff scheinbar oder wirklich eine Lösung des zwei Jahrtausende dauernden Streites zwischen Juden und Christen, wer das Alte Testament angemessen und richtig ausgelegt. Wer hat eine Decke bei der Lektüre der Schrift über den Augen? In je verschiedener Weise sind beide Formen falsch. Hermeneutisch betrachtetet ist das Alte Testament kein christologisches Buch. Das Alte Testament ist aber auch kein jüdisches Buch im Sinne des rabbinischen Judentums. Die Ypsilon-artige Aufsplittung in jüdischen Tenach und christliche Bibel passiert erst um 100 n.Chr., was folgende Skizze veranschaulichen will.

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Theologie des Alten Testaments verstanden als Hebräische Bibel liegt sowohl dem Judentum als auch dem Christentum voraus! 5 „Dementsprechend ist für die Christen die rabbinische Auslegung von hohem Interesse, – und müsste viel mehr studiert werden -, sie kann aber ihre Auslegung der hebräischen Bibel nicht unmittelbar beeinflussen“ (S. 307).

Weil er das so sieht, dass die Hebräische Bibel sowohl außerhalb der Kirche als auch außerhalb der Synagoge entstanden ist, kritisiert Rendtorff einen scheinbaren Verwandten seines Programms der Endtextexegese, nämlich

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Eine ähnliche Position vertritt der einflussreiche katholische Alttestamentler L. Schwienhorst-Schönberger, Das gespaltene Gottesvolk, Rotarier 6/2015: „Historisch korrekt muss es heißen: Judentum und Christentum haben eine gemeinsame Wurzel. Das heutige, rabbinisch geprägte Judentum hat sich u.a. auch in der kritischen Auseinandersetzung mit dem frühen Christentum gebildet. Hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum ist an die Stelle des ,Mutter-Tochter-Modells‛ in der jüngeren Forschung das ,Geschwister-Modell‛, bzw. das ,Jakob-Esau-Modell‛ getreten (vgl. u.a. Peter Schäfer: Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums, Tübingen 2010). Theologisch gesprochen heißt das nun: Adressat der Heiligen Schrift (des von Christen später sogenannten ,Alten Testaments‛) ist weder das Judentum noch das Christentum, sondern das Gottesvolk (,Israel‛).“ Vgl. Ders., Die Rückkehr Markions. Communio, 44 (2015), 286-302, 294-296.

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Brevard S. Childs 6 aus Yale, unerwartet heftig. Seine Position ist nach seinem Urteil viel zu stark in der innerchristlichen Dogmatik gefangen. Eine „Theologie der Hebräischen Bibel“ ist nach Rolf Rendtorff eine „prae-lapsarische“ Theologie, eine Theologie, die beiden vorhergeht: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel dich.“ (Röm 11,18).

Dieser Satz des Paulus gilt für beide: Judentum und Christentum. Rendtorffs Theologie unterzieht das schmerzhafte Gegeneinander des jüdisch-christlichen Dialogs, das im Holocaust seine schlimmste und grausamste Konsequenz hervorgetrieben hatte, einer Art „Wurzelbehandlung“! Seine Theologie der hebräischen Bibel will für beide Religionsgemeinschaften die Grundlage und Voraussetzung sein, so hofft er. 2. Würdigung Ich versuche nun in einem zweiten Teil diesen soeben dargestellten kanonischen Entwurf genauer zu bedenken und beginne mit einem Blick auf das, was ich Schwächen nennen möchte: Der Grundsatz: De mortuis nihil nisi bene hat mir schon immer nicht eingeleuchtet. Warum darf ich mit einem Menschen nicht mehr kritisch diskutieren, wenn er verstorben ist? Auch und gerade einer akademischen Gedenkfeier steht es gut an, statt in Lobhudelei in ein lebendiges Gespräch mit dem theologischen Erbe von Rolf Rendtorff einzutreten. Ich werde jeweils sechs Punkte namhaft machen, um zumindest auf diese Weise ausgewogen zu sein. ––––––––––––––––––––––

B.S. Childs, The Theology of the Old and New Testaments (dt. übersetzt von M. und Ch. Oeming: Die Theologie der einen Bibel, 2 Bde. Freiburg 1990/91).

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a) Die Schwächen 1. Die Ausbildung einer systematisch konsistenten Theorie ist nicht eine Stärke von Rolf Rendtorff. Begründungen werden sehr schnell für überflüssig erklärt und tiefergehende Beweisführengen für unnötig und „abwegig“ gehalten. Das halte ich für problematisch. Wie gewisse neuere Diskussionen zeigen, die ich in meinen Erfahrungen als Gemeindepfarrer und als Mitglied der badischen Landessynode leidvoll unterfüttern könnte, ist die Alttestamentliche Theologie im höchsten Maße herausgefordert, ihre theologische Bedeutsamkeit immer neu zu begründen. 7 Hier haben wir Alttestamentler beider Konfessionen als Disziplin ein akutes Manko, das sich in einer weithin übliche „AT-Vergessenheit“ artikuliert. Viele Christen kennen das Alte Testament eigentlich kaum, oder nur schemenhaft, um sich davon dennoch deutlich und scharf abzugrenzen. Erlauben sie an dieser Stelle einen Witz, den der Hochschulrabbiner Saul Friberg (Heidelberg) bei einem gemeinsamen Seminar „Was Christen von Juden lernen können“ erzählt hat. Ihm als Rabbiner wurde in einem Gesprächsabend mit christlichen Teilnehmern gesagt. „Ach wissen sie, Herr Rabbiner, mit ihrem Alten Testament kann ich überhaupt nichts anfangen. Das sind doch alles grausame und gnadenlose Geschichten. Auge um Auge, Zahne um Zahn! Dagegen finde ich in meinem Neuen Testament, ganz wunderbare Texte“, und er hielt dabei seine Bibel hoch. „Das sind Texte, die mir als Christen so richtig aus dem Herzen sprechen, vor allem die Psalmen.“

Rendtorffs Argument, dass das Alte Testament historisch betrachtet, schon immer die Basis christlicher Theologie darstellte, ist gewiss zutreffend, aber in der Gegenwart völlig wirkungslos. Den Christen fehlt weithin der herme––––––––––––––––––––––

Vgl. M. Oeming, Der Kampf um das Alte Testament, in: M. Witte/ J. Gertz (Hg.), Hermeneutik des Alten Testaments, Gütersloh 2017, 140.

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neutische Schlüssel zu diesen Texten. Selbst jüdische Teilnehmer am Diskurs, wie zum Beispiel Edna Brocke, die in dem gleichen Seminar vortrug, geben Markion darin recht, dass er mit gutem Grund die Frage stellte, was Christen mit den auf ein Land und ein bestimmtes Volk bezogenen Bestimmungen des Alten Testaments denn substantiell überhaupt anfangen sollten. Zur Überwindung der aktuellen Krise in der Akzeptanz des Alten Testaments in der Kirche, sowohl in Predigt als auch Unterricht und Seelsorge, braucht es mehr als historische Belehrung. Hier ist mehr argumentativer Aufwand unumgänglich, zumal historisch gesehen auch die Stoa, die orientalischen Mysterien oder die spätägyptischen Jenseitshoffnungen zu den Vorgaben des Christentums gehörten. 2. Die Einbeziehung der jüdischen-rabbinischen Exegese erfolgt bei Rolf Rendtorff nicht wirklich inhaltlich, sondern eher appellativ. Zitate aus der rabbinischen Auslegungstradition kommen de facto kaum vor. Rendtorff stellt zwar fest, dass die Entdeckung des Judentums eine enorm wichtige Errungenschaft seit den 1970er Jahren darstelle, in der materialen Durchführung seiner Theologie bleibt diese Entdeckung aber fast folgenlos. Ganz im Gegenteil: Indem Rendtorff die hebräische Bibel vor die Entstehung des Judentums datiert, blendet er das Jüdische im Grunde in ungewohnt hohem Maße ab. Er wollte den Konflikt von Kirche und Synagoge lindern, ja heilen, indem er eine Größe benennt, die beiden vorausliegt. Die Frage muss erlaubt sein, ob Rendtorff nicht – ganz wider Willen – eine doppelte Enteignung ganz eigener Art vornimmt? Wenn Rendtorff doch gerade jede Form der Enteignung und Substitution selbst entschieden vermeiden wollte, wie kann er dann die Jüdischkeit des Alten Testaments so herunterspielen? Indem er emphatisch betont, dass das Alte Testament nicht christlich sei und darum jede Form von christologischer Interpretation regelrecht anprangert, raubt er

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der Theologie des Alten Testaments auch ihren Bezug zur Kirche. Die abschließenden minimalen Erwägungen zur Biblischen Theologie am Ende von Band zwei sind m.E. deutlich zu schmal. Der Gedanke, dass Gott nur mit Israel einen exklusiven Bund geschlossen hat und dass die Christen durch Jesus Christus in diesen Bund hineingenommen seien, ist höchst problematisch. Hier ist Vorsicht geboten. Und zwar aus der Perspektive Israels. Denn muss von Israel nicht als Zumutung angesehen, dass sich Christen in seinen Bund mit Gott gleichsam „hineindrängen“. Dass Rendtorff die Hebräische Bibel, die Bibel Israels, so kräftig vom Judentum abtrennt, verblüfft. 3. Seine Theologie ist durch die ganz überwiegende Beschäftigung mit dem Text in seiner Endgestalt nicht historisch, auch nicht geschichtlich orientiert. Die heftige Abgrenzung von Brevard Childs ist für mich nicht ganz nachvollziehbar. Leserinnen und Leser, die in einer Theologie des Alten Testaments die Darstellung der religiösen Entwicklung des Glaubens Israels suchen, werden hier völlig leer ausgehen. Meines Erachtens ist auch der Faktor der theologischen Pluralität innerhalb des Alten Testaments nicht explizit genug hervorgehoben. Das Alte Testament vereint – historisch betrachtet – in sich unterschiedliche theologische Konzeptionen, ja es hat als grundlegendes Bauprinzip die Integration von Widersprüchen. Die Rede von „der“ Theologie im Singular ist daher meines Erachtens problematisch, was Rendtorff doch selbst weiß, aber nicht klar ausspricht. 4. Angesichts der starken politischen Akzente, die das Leben Rolf Rendtorff aufs Stärkste prägen, ist es wirklich überraschend, in wie geringem Maße seine Theologie politisch konzipiert und imprägniert ist. Die gesellschaftliche Kraft der prophetischen Verkündigung, die kritische Dimension der Geschichtsschreibung, das enorme Veränderungspotential der Psalmen mit ihrer Armenfrömmigkeit

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und ihren Vergeltungsrufen, ist – vornehm ausgedrückt – sehr zurückhaltend bedacht. Offenbar wollte Rendtorff solche Aktualisierungen vermeiden. Es fehlt aber auch eine kritische Distanzierung von Elementen, die im Alten Testament bestehende Besitz- und Herrschaftsverhältnisse problematisch stabilisieren. Eine Theologie der Hebräischen Bibel muss auch deren Probleme ansprechen. Ein bloßes Nacherzählen ist zu wenig. 5. Der eigene Anspruch, den Gang der Überlieferungsgeschichte „zu Ende zu gehen“, wird nicht erfüllt. Die „kanonbildende Periode“ in ihrer formativen Phase ist erst das 4. Jh. nach Christus. Erst mit der Erfindung des Codex als Buchform, also erst mit einer technischen Erfindung und Neuerung, wird der Kanon in Umfang und Reihenfolge fest „gebunden“. Die ersten real existierenden Codices haben das Alte Testament immer in fester Verbindung mit dem Neuen Testament! Der Untertitel – „ein kanonischer Entwurf“ ist zumindest im Deutschen irreführend. Denn sobald der Anspruch erhoben wird, eine „Theologie des Alten Testaments“ (mit Betonung der Bezeichnung: „Altes Testament“) zu schreiben, muss ich deren Endgestalt, d.h. unausweichlich die Verbindung mit dem Neuen Testament und die Bedeutung der griechischen Sprache in Gestalt der Septuaginta sehr viel höher bewerten. Das Faktum, dass die normativen Texte des Judentums im Neuen Testament in griechischer Sprache zitiert werden, lässt eine solche simple Lösung, das Alte Testament als vorchristliches und vorjüdisches Buch anzusehen, schlicht nicht zu. 8 Die englische Übersetzung ist insofern ehrlicher, als sie den Haupttitel „The Canonical Hebrew Bible“ trägt und ––––––––––––––––––––––

Vgl. W. Kraus, Die hermeneutische Relevanz der Septuaginta für eine Biblische Theologie, in: W. Kraus / S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 325), Tübingen 2014, 3-25. 8

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damit den Anspruch, eine „Theologie des Alten Testaments“ zu schreiben, deutlich herunterschraubt. 6. Inkonsequent ist der Aufbau auch insofern, als Rendtorff zwar richtig feststellt, „daß die Bibel Israels von Anfang an die Heilige Schrift der christlichen Gemeinschaft war“ (II, S. 313), aber daraus keinerlei Konsequenzen zieht. Unbestreitbar haben die ersten Christen die Bibel Israels (wie z.B. auch die Gemeinde von Qumran) ganz und gar auf sich selbst und auf Jesus Christus bezogen. Das Neue Testament ist ein Pescher zu den Schriften, die in Auswahl aufgenommen werden. Zwar stellt Rendtorff mehrfach heraus, dass das Alte Testament der Christen in griechischer Sprache vorlag, bezieht daraus aber keinerlei Schlussfolgerungen. Wer auf die in urchristliche Gestalt des Alten Testaments abhebt, der kommt an spezifischen christologischen Theologumena nicht vorbei! Jesus ist der verheißene Messias, er war der Sohn Gottes, er starb am Kreuz für unsre Schuld und ist am dritten Tage nach der Schrift von den Toten auferstanden, um als in den Himmel aufgefahrener Pantokrator die ganze Welt zu richten. Die Ausbildung einer konsistenten Theorie ist auch hier nicht eine Stärke von Rolf Rendtorff. b) Die Stärken Auch wenn sich deutliche Kritik an vielen Aspekten sowie am Gesamtentwurf einer Theologie des Alten Testaments von Rolf Rendtorff geübt habe, so will ich doch die vielen Verdienste, die dieses Werk ohne Zweifel besitzt, am Schluss deutlich herausstreichen. 1. Was ich persönlich sehr überzeugend finde und was dieses Buch für jeden lesenswert macht, ist das Prinzip, das Erhard Blum in seiner Würdigung eindrücklich als hermeneutisches Prinzip herausgestellt hat: „Der Text zuerst!“

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Das unterscheidet Rendtorff von zum Teil hoch spekulativen Religionsgeschichten, die dem real existierenden Text kaum Beachtung schenken. Diese Orientierung an Text gibt auf vielfältige Weise einen realistischen Eindruck von dem, wie das Alte Testament wirklich ist. Die große Textnähe stellt ein großes Verdienst der Theologie von Rolf Rendtorff dar! Die Intention des Textes – als Endtext verstanden – ist das eindeutige Kriterium, dem auch ich mich stellen möchte. 2. Der ganze Text, d.h. alle Bücher werden behandelt. Eine Theologie darf nicht eklektisch vorgehen. Sie darf keine Vorlieben ausleben, jedenfalls keine leicht erkennbaren. Nur dadurch kann eine angemessene Differenzierung der sehr divergierenden theologischen Positionen entstehen. Auch darin ist Rendtorff ein bleibender Maßstab. 3. Viele der zuvor als „Schwächen“ bezeichneten Aspekte seines kanonischen Entwurfs kann man mit gutem Recht auch als „Stärken“ werten: Wenn man z.B. Othmar Keels großes Werk über die Religionsgeschichte Jerusalems liest. Welche tiefen Deutungen auf der Basis von winzigen Siegeln oder wackeligen Etymologien aufgebaut werden, da ist ein gutes Maß an Skepsis durchaus angemessen. „Nicht historisch“ heißt bei Rendtorff auch, dass er sich nicht in das Gestrüpp riskanter historischer Hypothesen „verliert“. Der Glaube an den Gott des Alten Testaments hängt weder von Scherben ab, welche wir Archäologen zu Tage fördern, noch von der riskanten Rekonstruktion äußerst diffiziler Prozesse auf der Basis einer sehr mangelhaften Quellenlage. 4. Rolf Rendtorff war SPD-Politiker; er war „ein Linker“, wie Christian Wolff es dargestellt hat. Aber dass er nicht versucht hat, das Manifest der Kommunistischen Partei oder das Godesberger Programm der SPD oder die Grundsätze der Ostpolitik Willy Brandts mit Gewalt als innersten

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Gehalt des Alten Testaments hinzustellen, kann man auch als Stärke ansehen. Bei aller Nähe widersteht Rendtorff dieser Versuchung einer Instrumentalisierung der Religion. Er unterscheidet strikt zwischen dem Schreibtisch des Gelehrten und dem Rednerpult des Politikers. 5. Rolf Rendtorff will verhindern, dass das Alte Testament jüdisch vereinnahmt wird, ebenso will er verhindern, dass es christlich vereinnahmt wird. Das Alte Testament soll als Hebräische Bibel sein eigenes Wort sagen. Dieses Bemühen um den Eigenwert des Alten Testaments ist richtig. 9 Nur wenn das Alte Testament aus sich heraus einleuchtet und Menschen überzeugend anspricht, hat es seine Würde in sich. Alle Hilfskonstruktionen, die einem in sich selbst nicht als wertvoll erkannten Textkorpus nachträglich einen Schleier der Würde überhängen wollten, halte ich für nicht wirklich hilfreich. 6. Besonders stark finde ich, dass Rendtorff herausstreicht, wie sogar grundlegende Inhalte des christlichen Glaubens im Neuen Testament nicht entfaltet werden. So gelangt er zu dem richtigen Schluss, dass das Alte Testament einen eigenständigen Beitrag zum Gottesbild des Christentums leistet. Christliche Theologie ist mehr als Christologie oder „Neutestamentologie“. Rolf Rendtorff war bedeutendes Mitglied der Theologischen Fakultät Heidelberg. Wir bilden eine theologische Fakultät, keine christologische Fakultät. Das bedeutet: ––––––––––––––––––––––

Zum Eigenwert des ATs vgl. H. Haag, Vom Eigenwert des Alten Testaments, ThQ 160 (1980) 2-16; M. Oeming, Das Alte Testament als Teil des christlichen Kanons, Zürich, 3. Auflage 2001, 240-245; G. Theißen, Der Eigenwert des Alten Testaments. Überlegungen eines Neutestamentlers aus reformierter Tradition, in: M. Oeming, W. Böes (Hg.), Alttestamentlichen Wissenschaft und kirchliche Praxis (FS Jürgen Kegler) (BVB 18), Münster 2009, 15-27; M. Oeming, Vom Eigenwert des Alten Testaments als Wort Gottes, in: K. Lehmann/ R. Rothenbusch (Hg.), Gottes Wort im Menschenwort. Die eine Bibel als Fundament der Theologie (QD 266), Freiburg 2014, 305-335.

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Christen wissen nicht nur um das Leben, das Sterben und die Auferstehung Jesu von Nazareth. Sondern neben diesem Zugang zu Gott gibt es andere Wege zu Gott. Das Wesen Gottes ist schon vorher durch eine Fülle von Zugängen erschlossen. Das Alte Testament hat hierin seine Bedeutung, aber auch die Religionsgeschichte, die um die anderen Wege zu Gott außerhalb der jüdisch-christlichen Wirkungsgeschichte weiß. Im Rahmen dieses vorhergehenden und die Basis bildenden „Wissens um Gott“ wird überhaupt erst verständlich, was das Besondere, das außerordentlich Wichtige an dem Christus-Ereignis ist. Im Alten Testament wird ein grundlegendes Wissen um Gott entfaltet; mit seinen zahlreichen Wegen zu Gott ist es auch die Basis jeder theologischen Fakultät. Denn „Das Alte Testament ist ein theologisches Buch.“ (S. 1) Ich würde diesen einleitenden Satz der Theologie Rendtorffs weiter zuspitzen zu dem Satz: „Das Alte Testament ist das grundlegende theologische Buch“.

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Rolf Rendtorff als Politiker 1 Die Anfänge Rolf Rendtorff hat seine „Autobiographischen Reflexionen“ unter das Motto „Kontinuität im Widerspruch“ gestellt. Der Titel macht deutlich: Rolf Rendtorff hat ein bewegtes Leben geführt – voller Widersprüche. Wie könnte es bei Menschen, die sich nicht verstellen wollen, anders zugehen als widersprüchlich, vor allem auch dann, wenn sie die gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht einfach hinnehmen, sondern beeinflussen wollen. Rolf Rendtorff gehörte der Generation an, die die Nazi-Zeit noch bewusst miterlebt hat und direkt nach der Befreiung vom Nationalsozialismus in den Aufbau Westdeutschlands einbezogen war. Darum ist es kein Wunder, dass er nicht die Zeit nach 1945 als „Jahre des Umbruchs“ bezeichnet hat, sondern die Jahre nach 1963, als er, der Rektor der Kirchlichen Hochschule in Berlin, einen Ruf an die Universität Heidelberg erhielt. Seit dieser Zeit beschäftigten ihn – neben der wissenschaftlichen Arbeit als Alttestamentler zwei Themen: „Christen und Juden“ bzw. „Deutschland und Israel“ sowie die Hochschul- und Gesellschaftspolitik. Rendtorff trat 1964 in die SPD ein und war damals der einzige Ordinarius der Universität Heidelberg, der sich zur Sozialdemokratie bekannte. Persönlich kenne ich Rolf Rendtorff seit Ende 1969 – allerdings nicht als theologischen Lehrer (ich habe keine Vorlesung und kein Seminar von ihm besucht), sondern als Hochschulpolitiker. Nachdem ich zum Wintersemester 1968/69 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal mein Theologiestudium aufgenommen hatte, wechselte ich zum Wintersemester 1969/70 an die Universität Heidelberg.

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Wolff

Dort lebte ich im Haus meines Onkels, des Alttestamentlers Hans Walter Wolff. Auf seinen Hinweis hin schloss ich mich im Oktober der linksliberal ausgerichteten Studentengruppe „Hochschulpolitisches Kollektiv“ (Hopoko) an. Politisch orientierte sich das Hopoko damals an Jürgen Habermas, dessen Streitschrift „Protestbewegung und Hochschulreform“ uns viele theoretische Ansätze für eine Reformpolitik lieferte. Im Wintersemester 1969/70 wurden die neuen Hochschulgremien gewählt, nachdem die Universität Heidelberg sich nach dem neuen baden-württembergischen Hochschulgesetz eine Grundordnung (GO) gegeben hatte. In den Gremien herrschte eine Viertelparität (Ordinarien, akademischer Mittelbau, sog. nichtwissenschaftliches Personal, Studierende). Der „Sozialistische Deutsche Studentenbund“ (SDS) und andere linke Studentengruppen boykottierten die Wahlen zu den Gremien, das Hopoko beteiligte sich daran. So wurde ich als Drittsemester Mitglied des Großen und ab Februar 1970 einer von drei Studierendenvertretern des Kleinen Senats. Wann ich Rolf Rendtorff persönlich das erste Mal begegnet bin, ist mir nicht erinnerlich. 2 Wahl zum Rektor Beginnen möchte ich meinen Rückblick auf das politische Wirken und die Würdigung Rolf Rendtorffs mit einer illustren Begegnung. Bei dieser war Rendtorff selbst gar nicht anwesend. Es war am 1. Februar 1970, ein Sonntag. Nach dem Universitätsgottesdienst in der Peterskirche bat mich mein Onkel, dem im gegenüber liegenden Haus wohnenden Nachbarn, dem emeritierten Professor für Altes Testament, Lehrer und Doktorvater von Rolf Rendtorff, Gerhard von Rad, über die Rektorwahl zu berichten. Rolf Rendtorff war einen Tag zuvor mit 71 Stimmen im 1. Wahlgang zum neuen Rektor der Universität Heidelberg gewählt worden und hatte sich gegen den Kandidaten der

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Ordinarien Werner Conze durchgesetzt – ein Ereignis, das bundesweit Aufmerksamkeit erregte und angeblich dazu geführt haben soll, dass der damalige Kultusminister und ehemalige Professor für Praktische Theologie, Wilhelm Hahn (CDU), in seinem Stuttgarter Ministerium eine schwarze Fahne gehisst haben soll; aber auch ein Wahlergebnis, das sich für mich und viele Studierende als logische Fortsetzung der Brandt’schen Reformpolitik auf Ortsebene darstellte: endlich ein demokratisch gewählter Rektor, der für sich in Anspruch nehmen konnte, Repräsentant aller an der Universität tätigen Gruppen zu sein. Ich kann mich jedenfalls noch sehr genau daran erinnern, dass diese Wahl wie eine Befreiung auf mich wirkte: Die Macht der Ordinarien schien gebrochen und dem Boykott der Organe der Universität durch die linken Studentengruppen wie den SDS war die politische Legitimation entzogen worden. Denn das Wahlergebnis unterstrich: Es lassen sich Mehrheiten für eine Reformpolitik im Habermas’schen Sinn bilden. So ging ich also zu Gerhard von Rad. In seinem Wohnzimmer fand ich eine erlauchte Frühschoppen-Runde vor: neben ihm und seiner Frau, Hans Walter Wolff, der Arzt Michael von Rad (Sohn von Gerhard von Rad) und der Kirchenrechtler Axel von Campenhausen. Dieser beherrschte die Diskussion. Ich habe ihn als knallharten Rechtsaußen in Erinnerung. So musste ich die Wahl Rendtorffs gegen die teils süffisanten, teils provozierend arroganten Einwürfe von Campenhausens verteidigen – und dies vor zwei Fachkollegen von Rolf Rendtorff, von denen ich wusste, dass sie Rendtorff mit einiger Distanz gegenüber standen. Gerhard von Rad, der mit der ihm eigenen feinen Zurückhaltung das Gespräch verfolgte, hat sich hinterher dafür bedankt, dass ich trotz der aggressiven Einwürfe von Axel von Campenhausen (für ihn bedeutete die Wahl den Untergang der Universität) in seinen Augen ruhig und überlegt die Position des Hopoko vertreten habe. Auch blieb mir nicht verborgen, dass von Rad eine Grundsympathie

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für Rendtorff ausstrahlte. Hinzu kam, dass sowohl von Rad wie auch Hans Walter Wolff Anhänger der sozialliberalen Koalition und der Brandt’schen Reformpolitik waren. Gerhard von Rad war übrigens ein guter Freund vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Was mir in der kurzen Stunde am Sonntagmorgen deutlich wurde: Wie sehr sich an Rolf Rendtorff von Anfang an die Geister geschieden haben und wie isoliert Rendtorff unter den Ordinarien war. Das hatte sicher auch etwas damit zu tun, dass es gar nicht so einfach war, zu Rolf Rendtorff eine persönliche Beziehung aufzubauen. Das mag auch daran gelegen haben, dass er in seinem theologischen Denken unkonventionell war, und – das sollte man nicht vergessen – damals sein Israel-Engagement und seine Positionierung im christlich-jüdischen Dialog äußerst kritisch gesehen wurde. Schließlich drängte er – gerade im Blick auf den jüdischen Glauben und auf Israel - nach neuen Ufern: „Wir müssen unsere jüdischen Wurzeln wiedergewinnen.“, war ein Leitmotiv für sein theologisches Denken. Rendtorff hat sich nie mit der Trennung des Christentums vom Judentum abgefunden. Er war auf der Suche nach dem, was am Anfang, also im 1. und 2. Jahrhundert falsch gelaufen ist. Mit dieser Fragestellung sah er sich auf sich selbst gestellt, wie er in seinen Reflexionen schreibt (S. 96). Und noch eines fiel mir auf: Rendtorff tat sich schwer damit, für sich und seine Vorstellungen eine Lobby, im politischen Bereich: eine Hausmacht zu organisieren. Ob er es nicht vermochte oder nicht wollte, möchte ich offen lassen. Mir kam er in dieser Hinsicht manchmal blauäugig vor. Auf der anderen Seite: Wenn man sein Vertrauen gewonnen hatte, dann hat er sich gerne und ganz auf die Person oder Gruppe verlassen. Er konnte dann eine fast kindliche Anhänglichkeit entwickeln. Dazu nachher noch mehr. Erschwerend kam hinzu, dass Rendtorff sichtbar unter der Isolierung innerhalb der Ordinarienschaft litt, die sich mit seiner Wahl zum Rektor verfestigte. Er wurde

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wie ein Aussätziger, wie ein Nestbeschmutzer, sein Rektorat wie ein Unglücksfall behandelt – eigentlich absurd, aber dennoch für die Zeit sehr typisch. 3 Rektor Rendtorff, der Außenseiter Mit der Wahl Rendtorffs zum Rektor brach insofern eine neue Zeit an, als die reformwilligen Gruppen der Universität nun ihre Vorstellungen umsetzen konnten. Zumindest konnten sie das Mitbestimmungsrecht nutzen, um Mehrheiten für neue Initiativen zu bilden – wie die Bildung von integrierten Gesamthochschulen, ein Versuch die Hochschullandschaft in Deutschland resp. in Baden Württemberg den europäischen Erfordernissen anzupassen. Allerdings bewegte sich die Reformfraktion damals auf einem schmalen Grad. Auf der einen Seite war da das aggressive Beharrungsvermögen der Ordinarien - willfährig unterstützt vom CDU-Kultusminister Wilhelm Hahn; auf der anderen Seite standen die radikalen Studentengruppen wie der SDS, die sich immer noch als Protestbewegung verstanden, ohne den Zeitpunkt zu erkennen, wo sich Protest der Bewährung in der Wirklichkeit, also in den Gremien stellen muss. Rolf Rendtorff hat in einer alternativen Festschrift zum 600-jährigen Jubiläum der Universität Heidelberg 1986 dazu Folgendes bemerkt: Erwin Scheuch, ein anderes prominentes „Bund“-Mitglied, hat mich damals öffentlich einen „Komplizen der Systemunterwanderer“ genannt. Als ich ihn einmal persönlich darauf angesprochen habe, hat er mir bestätigt, dass es genau darum ging: die linksliberalen Reformer als die eigentliche Gefahr hinzustellen, weil sie in Wirklichkeit nur Steigbügelhalter für diejenigen seien, die die Hochschulen und letzten Endes den Staat zerstören wollten. Hier zeigt sich deutlich, dass man nicht einfach sagen kann, die Reformansätze seien zwischen den Mühlsteinen von rechts und links zerrieben worden. … In der Reformdiskussion selbst standen sich im Wesentlichen die „Reformfraktion“ und die

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Gruppe der „Ordinarien“, die im Grunde jede Reform ablehnten, gegenüber. Buselmeier, Harth, Jansen, Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 1985, Seite 469

Genau so habe ich diese Zeit auch in Erinnerung: Die Eier, mit denen manch ein konservativer Professor von linksradikalen Studenten beworfen wurde (der Jurist Karl Doehring bewahrte nach eigener Aussage seinen beschmutzten Anzug wie eine Trophäe, eine Reliquie in seinem Kleiderschrank auf), waren für die Konservativen ein Klacks gegenüber der Gefahr, dass der unkontrollierte Einfluss und die Herrschaft der Ordinarien durch die Reformer nachhaltig infrage gestellt wurden. Es ist bezeichnend, dass im Bericht der OECD über das Bildungswesen in Deutschland aus dem Jahr 1972 – übrigens nie offiziell ins Deutsche übersetzt - zu lesen ist: Die Professoren definierten die Universität im Wesentlichen einfach als aus ihnen allein bestehend.

Ich selbst habe diese Überheblichkeit auf der einen und die Panik um Machtverlust auf der anderen Seite im Kleinen Senat besonders bei Berufungsverfahren erlebt. Berufungen konnten mit Einführung der Grundordnung nicht mehr in Hinterzimmern ausgekungelt werden. Besonders ist mir erinnerlich, welch heftigen Widerstand es gab, den im Gefängnis der griechischen Militärjunta einsitzenden demokratischen Juristen Georgios Mangakis auf die Berufungsliste zu setzen. Das war nur möglich, weil es in den Fakultätsgremien eine Viertelparität gab. Der in Deutschland promovierte Jurist Mangakis war ein scharfer Gegner der damals herrschenden Militärjunta im NATO-Land Griechenland. 1970 wurde er zu 18 Jahren Haft verurteilt. Er nutzte einen aus gesundheitlichen Gründen gewährten Hafturlaub, um mit seiner Frau nach Westdeutschland auszureisen. Und nun stellte sich der Fakultät

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die Frage, ob eine Berufung eines „rechtskräftig“ verurteilten Menschen überhaupt möglich ist. Die Juritische Fakultät beantwortete die Frage zunächst mit der Feststellung: Mangakis habe sich zwar für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit eingesetzt. Und dann wörtlich: Dann bleibt aber ein verbotener Sprengstoffbesitz, eine Tat, die, auch wenn man die Frage nach dem Bestehen eines aktiven Widerstandsrechts gegenüber dem inzwischen faktisch etablierten System offen lässt, angesichts ihrer Beweggründe nicht geeignet ist, das Charakterbild des Prof. Mangakis als eines Ehrenmannes zu trüben und durch die jetzt fast 1 ½ Jahre erlittene Untersuchungs- und dann Strafhaft jedenfalls mehr als ausgeglichen ist.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie wir uns gemeinsam mit Rektor Rendtorff gegen diese positivistische Rechtsauffassung gewehrt haben und einigermaßen fassungslos darüber waren, wie sich die Juristen im Kleinen Senat wanden. Der Ausdruck „Charakterbild eines Ehrenmannes“ zeigt an, welche Kriterien bei Berufungen eine Rolle spielten. Am liebsten hätten die Jura-Ordinarien diese Berufung verhindert. 4 Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) Geprägt war die erste Amtszeit von Rolf Rendtorff durch Konflikte, die nicht zufällig aufbrachen. Ich beginne mit dem sog. Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK). Als Rendtorff im Februar 1970 seine Kandidaten für die Prorektorenwahl präsentierte – den Juristen Adalbert Podlech und den Psychiater Helmut Kretz – schien zunächst alles einen normalen Verlauf zu nehmen. Denn die Mehrheitsverhältnisse im Großen Senat waren klar. Bewusst hatte Rendtorff zwei Vertreter des Mittelbaus nominiert, die auch aufgrund ihrer wissenschaftlichen Reputation überzeugten und unsere, der Studierenden volle Unterstützung fanden. Doch exakt am Tag der Wahl erschien in der Tagespresse ein Artikel über die vorgesehene Entlassung des

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Kollegen von Kretz, dem Assistenzarzt an der Psychiatrie (Lehrstuhl Walter Ritter von Baeyer) Dr. Wolfgang Huber (nicht zu verwechseln mit dem Theologen Wolfgang Huber und dem SPD-Stadtrat Dr. Wolfgang Huber, die damals auch in Heidelberg lebten). Da die Rolle von Kretz in diesem Konflikt für uns Studenten undurchsichtig blieb, versagten wir ihm die Stimme. Ich kann den Konflikt jetzt nicht in allen Einzelheiten ausbreiten. Derzeit erstellt Professor Christian Pross vom Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin eine ausführliche und fundierte Untersuchung *. Nur so viel: Als der Arzt Huber im Februar 1970 entlassen werden sollte, verweigerte Rendtorff zunächst die Unterschrift. (Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass man mit dem Entlassungsantrag bewusst gewartet hat, bis Rendtorff Rektor geworden ist, um ihm dann den Konflikt, der schon 1969 ausbrach, vor die Füße zu werfen.) Rendtorff wollte zuerst mit allen am Konflikt Beteiligten reden. Aber Gespräche lehnten die zuständigen Ordinarien ab. Diskursives Handeln, offene Aussprache, Kompromisse waren ihnen fremd. Als dann, nach der Entlassung Hubers, seine Patienten ihm folgten und diese Gruppe viele der „Mühseligen und Beladenen“ in Heidelberg anzog, sah sich Rendtorff zum Handeln veranlasst – weniger im Blick auf die schwierige Persönlichkeit eines Dr. Wolfgang Huber, als vielmehr im Blick auf die weit über 200 Menschen, die dringend der Hilfe bedurften – u.a. weil etliche unter ihnen als suizidgefährdet galten. So konnten wir im Windschatten des Konfliktes auch die mangelnde psychiatrische Versorgung der Studentenschaft thematisieren. Rendtorff, der den Ansatz einer autonomen Patientenversorgung zunächst unterstützte und Räumlichkeiten der Universität zur Verfügung stellte, holte sich den Rat bei renommierten Psychiatern, darunter ––––––––––––––––––––––

Inzwischen ist das Buch erschienen: Christian Pross, Wir wollten ins Verderben rennen. Die Geschichte des Patientenkollektivs Heidelberg 1970-1971, Köln 2016.

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Horst Eberhard Richter. Im Kleinen Senat wurde in stundenlangen Debatten versucht, eine langfristige Lösung zu finden. Doch wurden diese von den Medizin-Ordinarien und vom Kultusministerium weitgehend torpediert. Ich habe Rendtorff aus dieser Zeit als sehr angestrengt, resigniert, aber auch um eine menschliche Lösung bemüht in Erinnerung. Dafür spricht, dass er sich stundenlangen Diskussionen im Patientenkollektiv stellte und sich schließlich um private Geldgeber bemüht hat, um die Patientenversorgung zu sichern. Doch er fühlte sich in seinem ehrlichen Ringen um eine menschliche Lösung des Konfliktes zu wenig unterstützt und überhaupt nicht verstanden. Auch fanden wir im Kleinen Senat keine Mehrheit dafür, die Patientengruppe als Einrichtung der Universität weiterzuführen. Während meine Achtung vor Rendtorff wuchs, habe ich diese den Klinikdirektoren gegenüber verloren – nicht aus politischen Gründen, sondern weil ich es noch heute als menschliche Niedertracht empfinde, wie sie eiskalt eine mögliche Lösung dieses schwierigen Konfliktes hintertrieben haben aus einem einzigen Grund: Rendtorff Schaden zuzufügen. Dass sich dann aus dem SPK (so nannte sich die Gruppe ab Sommer 1970) heraus eine Terrorgruppe im Umfeld der RAF herausgebildet hat, die verantwortlich war für den Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm im Jahr 1975, gehört zu den traurigtragischen Folgen dieser Geschichte, mit der Rendtorff nichts mehr zu tun hatte. Allerdings gelang es 1971, beim damals vom Kultusministerium unabhängigen Studentenwerk eine „Psychotherapeutische Beratungsstelle“ einzurichten, die von Dr. Dieter Spazier, auch einem Gutachter des SPK, aufgebaut und geleitet wurde.

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5 Der Polk-Brief Als Rektor Rendtorff und seine beiden Prorektoren Adalbert Podlech und Cornelius Noack im Mai 1970 eine Einladung von General James Polk zum CENTAG-Sommerball erhielten, wiesen sie diese öffentlich zurück: In einer Zeit, in der der gegen den Willen der Mehrheit des vietnamesischen Volkes geführte Krieg in einen Indochinakrieg ausgeweitet wird und während in den Vereinigten Staaten Studenten erschossen werden, die gegen diesen Krieg opponieren, sehen wir uns außerstand, uns bei „Cocktails, Tanz, Unterhaltung und Kaltem Buffet“ mit denen zu vergnügen, die für diese Gewalt mit die Verantwortung tragen.

Es kam zu einem Aufschrei der Landesregierung und der konservativen Professoren, die sich nicht nur distanzierten und bei den Amerikanern gouvernantenhaft entschuldigten, sondern auch das politische Mandat der Organe der Universität bestritten. Darum kam es zu einer Debatte, wie weit universitäre Organe eine politische Verantwortung haben und sich in der Wahrnehmung dieser die Autonomie ausdrückt – eine auch heute höchst aktuelle Frage. Für uns Studenten war aber dieser demonstrative Akt genau das, was wir von einem Rektorat Rendtorff erwarteten: nicht das Nachplappern der herrschenden politischen Meinung wie in der Weimarer Republik und im Faschismus, sondern eine deutliche Kritik in diesem Fall an der Kriegführung der US-Administration in Vietnam und Kambodscha und eine Solidarität mit den amerikanischen Universitäten, die sich an der Antikriegsbewegung beteiligten. Für mich ist der Polk-Brief mit einer ganz persönlichen Erinnerung verbunden. Ich besuchte im SS 70 die Vorlesung meines Onkels Hans Walter Wolff über die Prophetie im Alten Testament in der Alten Aula. Er war damals Dekan der Theologischen Fakultät. Ende Mai, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um den Polk-Brief, eröffnete er die Vorlesung mit der Aufforderung an uns Stu-

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denten, jetzt absolut solidarisch zu sein mit dem Rektorat Rendtorff. Er benötige jetzt jede Unterstützung. Sein Brief an Polk sei angemessen, politisch richtig und für einen Theologen und Kirchenmann überfällig. Ganz so einheitlich war die Ordinarienfront dann doch nicht. Und wenn ich mir noch eine familiäre Bemerkung erlauben darf: Da mein Onkel Dekan der Theologischen Fakultät war, ich zunehmend die Funktion eines „Fraktionsführers“ im Großen Senat übernommen hatte, Lothar Perlitt, auch ein Alttestamentler, bis zu seiner Habilitierung als Assistent Wolffs tätig, als absolut konservativer Hardliner und Gegner Rendtorffs im Großen Senat agierte, die Assistenten meines Onkels, Frank Crüsemann und Christof Hardmeier, aber politisch ganz auf der Linie Rendtorffs lagen, ging der Riss mitten durch das Haus am Rolloßweg und führte immerhin dazu, dass Hans Walter Wolff trotz allem zum politischen Rendtorff ein ambivalentes, eher unterstützendes Verhältnis hatte. 6 Zwischen den Fronten Trotz des Polk-Brief gab es von Seiten der ihn unterstützenden Studenten zwei Kritikpunkte an Rendtorff. Zum einen hatten wir den Eindruck, dass er sich zu wenig um uns, die ihn stützende Fraktion kümmerte, und eher über seine persönlichen Referenten den Kontakt zum SDS und später zur KHG suchte. Ja, ich habe es nie verstanden, dass er sich als persönliche Referenten zwei Leute herausgesucht hatte, die aus dem Umfeld des SDS kamen. Zum andern kam es zu erheblichen inhaltlichen Differenzen, als wir im Großen Senat auf eine Änderung der Grundordnung, die wir unseren Wählern versprochen hatten, drängten: Wir wollten den sog. Negativkatalog abschaffen, also das Stimmrecht der Studenten und des nichtwissenschaftlichen Personal bei Berufungen und Prüfungsangelegenheiten durchsetzen. Letzteres gelang uns im Januar 1971 auch – obwohl Rendtorff uns zu bremsen versuchte. Er schien

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die Konsequenzen zu ahnen. Denn der Beschluss führte zum Boykott der Sitzungen des Großen Senates durch die Ordinarien, und wurde schließlich vom Kultusministerium kassiert. Von heute her betrachtet muss ich zugeben: Solche Maximalentscheidungen, im Moment als Erfolg gefeiert, stellen sich später als Pyrrhussieg heraus. Dass Rendtorff den Kontakt zu den radikalen Studentengruppen nicht abreißen lassen wollte, war aus seiner Sicht nachvollziehbar. Schon in seiner Rektoratsrede am 31. Januar 1970 sagte er nicht nur im Blick auf die Studenten: Aber ich möchte mit Nachdruck sagen, dass ich … nicht der Rektor bestimmter Gruppen innerhalb der Universität zu sein beabsichtige, geschweige denn etwa ein Rektor gegen bestimmte Gruppen. unispiegel 1/70

Ein solcher Satz ist seinem Mitbewerber Werner Conze nicht über die Lippen gekommen. Für uns war es trotzdem schwer zu ertragen, betrachteten wir doch gerade den SDS als unseren politischen Gegner. Auf den Vollversammlungen mussten wir den Kopf für das Rektorat Rendtorff hinhalten und uns „als Hure des kapitalistischen Systems“ beschimpfen lassen. So machte das Hopoko im SS 1970 schwierige Zeiten durch. Der erste Schwung war verflogen. Die reformistischen Ideen waren in der Studentenschaft schwer zu vermitteln. Als dann der SDS im Juni 1970 verboten wurde (nach den Krawallen anlässlich der sog. McNamara-Konferenz), standen wir sozusagen im Abseits. Denn nun trat eine große Solidarisierung mit dem SDS ein. Aber auch hier gerieten wir wieder zwischen die Mühlräder. Mit dem Verbot des SDS durch den Innenminister Baden-Württembergs – das war Walter Krause von der SPD (es herrschte ja eine Große Koalition; und in der Opposition war eine

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starke NPD) – sollte ja nicht so sehr die linksradikale Studentenschaft getroffen werden als vielmehr das Rektorat Rendtorff und mit ihm die Reformgruppen. Das ist der Landesregierung durchaus gelungen – und zeigt, wie „solidarisch“ damals die SPD-Führung im Landesverband mit dem SPD-Mitglied Rolf Rendtorff umging. 7 Eine besondere Kaste: die Ordinarien Ich könnte nun auf weitere Konflikte eingehen. Sie verliefen alle nach dem gleichen Strickmuster: Das Kultusministerium nimmt einen Vorfall in der Universität oder im Umfeld der Universität zum Anlass, diesen dem Rektorat Rendtorff anzulasten, verlangt Distanzierung oder hartes Durchgreifen, wenn dies nicht geschieht, gibt es dirigistische Eingriffe, ausgelöst durch Dienstaufsichtsbeschwerden der konservativen Ordinarien, angeführt von den Juristen um Karl Doehring, Othmar Jauernig und Hubert Niederländer. Eingehen möchte ich auf ein Ereignis am 28. November 1971. Im „Zieglerbräu“ kamen 110 Lehrstuhlinhaber zusammen, um im Windschatten der Gründung des „Bund Freiheit der Wissenschaft“ (BFdW) die konservativen Ordinarien an der Universität Heidelberg zu organisieren und ihren Interessen eine politische Durchsetzungskraft zu verleihen. Zu der Versammlung wurden alle Lehrstuhlinhaber eingeladen. Der zentrale Satz der an diesem Abend von 68 Professoren unterschriebenen Resolution (122 von insgesamt 193 Professoren sollen sich ihr letztlich angeschlossen haben), lautete: Der derzeitige Rektor der Universität besitzt nicht das Vertrauen der Professoren.

Das war eine deutliche Kampfansage an das Rektorat Rendtorff, nach der man aber seit dem 31. Januar 1970 schon handelte. Der Philosoph Michael Theunissen, selbst Teilnehmer des Treffens und einer der wenigen ganz aufrechten Rendtorff-Unterstützer unter den Ordinarien, hat

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die Wagenburgmentalität auf dieser skurrilen Veranstaltung in einem noch heute lesenswerten Artikel im „unispiegel“ beschrieben: Kollegialität, nach außen zur Schau getragen als Einheit der Gruppe, schlägt nach innen in ihr Gegenteil um, sobald sie es mit denen zu tun bekommt, die diese Einheit verschmähen, weil sie eine größere vor Augen haben. „Herr T.(heunissen), beinahe hätte ich gesagt: Herr Kollege T.(heunissen) …“ – es war ein Vertreter des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“, der sich glücklich schätzte, einer unangemessenen Ausdrucksweise gerade noch entronnen zu sein. unispiegel 58/71 vom 23. Dezember 1971

8 Der Rücktritt Kein Wunder, dass Rolf Rendtorff unter diesen Umständen nicht mehr für eine zweite Amtszeit kandidieren wollte. Die Wahl stand im Januar 1972 an. Also suchten wir nach Alternativen: die Philosophen Dieter Henrich und Michael Theunissen wurden ebenso angefragt wie der Politologe Klaus von Beyme. Sie lehnten aber ab. Schließlich erklärte sich Rendtorff doch bereit, noch einmal zu kandidieren – und wurde wieder mit 71 Stimmen im 1. Wahlgang gewählt. Nun fanden aber im Januar 1972 auch die Neuwahlen zum Großen Senat statt. Es kandidierten dazu die Nachfolgegruppe des SDS, die „Kommunistische Hochschulgruppe“ (KHG), und eine konservative Studentengruppe „Aktion Demokratische Hochschule“ (ADH). Durch die Wahl verlor die Reformfraktion ihre Mehrheit. Die Folge: Es wurden mit dem Chemiker Klaus Ebert und dem Anglisten Hans-Joachim Zimmermann zwei Vertreter des BFdW zu Prorektoren gewählt. Auch verloren wir die Mehrheit im Präsidium des Großen Senats. Damit gab es kaum mehr eine gestalterische Möglichkeit. Dies alles fand statt in einer Zeit, da die sozial-liberale Koalition zu-

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sammen mit den Ministerpräsidenten den verhängnisvollen „Radikalenerlass“ in Kraft setzte, die CDU in BadenWürttemberg bei den Landestagswahlen im April 1972 die absolute Mehrheit gewann, das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt scheiterte und am 17. November 1972 die vorgezogenen Bundestagswahlen stattfanden. Rendtorff hatte sich zu Beginn des WS 1972/73 entschlossen, zurückzutreten – allerdings mit Rücksicht auf die SPD erst am 18. November 1972, also nach der Bundestagswahl. Nüchtern konstatierte er 1985: Der gravierendste Fehler war es zweifellos, dass wir die realen Verhältnisse falsch eingeschätzt haben. … das hängt damit zusammen, dass wir die Breiten- und Tiefenwirkung unserer Reformvorstellungen überschätzt haben. … Die große Zahl der desinteressierten, uninformierten und tendenziell konservativen Hochschulmitglieder wurde dadurch aber nicht erreicht. In: auch eine Geschichte …, S. 472

Und am Schluss resümiert er: Es gibt keine Hochschulreform mehr und auch keine Studentenbewegung mehr. Vielleicht lebt manches davon in unserer Gesellschaft in anderen Formen weiter – man möchte es hoffen. Die Akteure von damals haben sich wieder anderen Tätigkeiten zugewandt. Ich bin an meinen Schreibtisch zurückgekehrt und habe in der Zwischenzeit einige Bücher veröffentlicht. aaO, S. 474f

Sicher lebte und lebt manches, was in der kurzen Reformphase an den Universitäten wuchs, in anderen Bereichen weiter – zum Beispiel in den Bürgerinitiativen, in der AntiAKW-Bewegung. Doch das ist ein eigenes Thema. In der Universität Heidelberg blieb der politische Rolf Rendtorff aber ein verfemter Fremdkörper, eine „persona non grata“. Nie wurde er zu einer offiziellen Veranstaltung der Universität eingeladen, auch nicht 1986 – wie die anderen

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noch lebenden Rektoren - zu den Feierlichkeiten zum 600jährigen Jubiläum der Ruperto Carola. Der Fakultät wurde für den Akademischen Festakt aus Anlass seines 80. Geburtstages vom Rektor der Universität die Alte Aula nicht zur Verfügung gestellt. Als der Fahrer der Rektoren, Herr Scharfenecker, der zu Rendtorff ein gutes Verhältnis hatte, in den Ruhestand ging, wurde in der RNZ ein Bild von ihm veröffentlicht umgeben von den Rektoren, die er chauffiert hatte – doch das Foto Rendtorffs fehlte. Was für ein beschämend-armseliges, kleinkariertes Nachkarten einer Institution, die immer dann ihre Maske fallen lässt, wenn es darum geht, aufrechte, kantige Persönlichkeiten zu würdigen. Rolf Rendtorff aber kehrte nach 1972 nicht nur einfach an den Schreibtisch zurück. Er ließ seinen politischen Impetus auf anderen Gebieten fruchtbar werden. 9 Der Sozialdemokrat Rendtorff So setzte er 1973 noch einmal zu einer „parteipolitischen Exkursion“ in der SPD an. Denn durch den überzeugenden Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl im November 1972 und durch seinen Rücktritt wurde Rolf Rendtorff in den Folgejahren zu einer wichtigen Figur in der Heidelberger SPD. Er war der Mann, der vor Ort die Brandt-SPD repräsentierte und der auch die nötige Distanz zum Heidelberger Oberbürgermeister Reinhold Zundel hatte – damals noch Mitglied der SPD, aber innerhalb der Partei höchst umstritten. Rendtorff wurde Anfang 1973 zum Kreisvorsitzenden der SPD gewählt. Doch die Enttäuschung war groß, als Rendtorff wenig später eröffnete, dass er 1973/74 ein Gastsemester in Jerusalem antreten werde. Also kam eine Wiederwahl 1974 nicht in Frage. Ich erinnere mich sehr gut, dass dadurch mein Verhältnis zu Rendtorff einen Knacks erfuhr. Ich fühlte mich – inzwischen zum Vorsitzenden des AStA gewählt - ein bisschen verschaukelt. Im Jahr 1975 änderte sich dies. Im Blick auf die Bundestagswahl 1976 musste für den Wahlkreis 181

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Heidelberg/Heidelberg Land ein neuer SPD-Kandidat aufgestellt werden, weil Alex Möller, ehemaliger Finanzminister und „Genosse Generaldirektor“ aus Altersgründen nicht mehr zur Wahl antreten wollte. Die SPD-Stadträtin Ruth Zutt, Rolf Rendtorff und der Historiker Hartmut Söll, ein Vertreter des rechten Parteiflügels, bewarben sich um die Kandidatur. Ruth Zutt fragte mich, ob ich sie im Wahlkampf unterstützen würde, was ich ihr zusagte. So schrieb ich in wesentlichen Teilen ihre Bewerbungsrede. Gleichzeitig habe ich mich darum bemüht, Ruth Zutt dazu zu bewegen, für Rendtorff zu votieren, wenn sie im ersten Wahlgang weniger Stimmen als er bekommt. Denn Söll galt es zu verhindern. Es kam dann genau so: Rendtorff wurde Dank der Fürsprache von Ruth Zutt zum SPD-Bundestagskandidaten gewählt. Das war eine bittere Pille für OB Zundel, für die damalige ÖTV (heute Ver.di), die ganz auf Zundel-Kurs war, und für die konservativen SPD-Ortsvereine wie Pfaffengrund, Kirchheim und Rohrbach. Im Dezember 1975 fragte mich Rolf Rendtorff - ich war inzwischen Lehrvikar der Badischen Landeskirche und besuchte das Petersstift - ob ich sein Wahlkampfleiter werden wolle. Alex Möller habe ihm dafür seine Assistentenstelle angeboten und stelle ihm die Räumlichkeiten in der Friedrich-Ebert-Anlage 16 zur Verfügung. Ich war ziemlich perplex – aber habe dann an die Kirchenleitung in Karlruhe geschrieben und erhielt ohne jede Auflage die Genehmigung für diese zusätzliche Tätigkeit neben Vikariat und 2. Examen - heute kaum vorstellbar. Dafür tauchte ein anderes Problem auf. Alex Möller, der zunächst Rendtorff freie Hand bei der Auswahl für die Assistentenstelle zugesichert hatte, teilte Rendtorff im Blick auf meine Person trocken mit: der nicht! Vor allem die Gewerkschaften rieben sich an dem ehemaligen AStA-Vorsitzenden Christian Wolff. Doch nun erfuhr ich die schon angedeutete Solidarität von Rolf Rendtorff am eigenen Leib. Er hat sich von seiner Personalentscheidung nicht

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abbringen lassen. Als Alex Möller ihm schrieb, für das Gehalt einer Assistentenstelle würde sich ja auch ein anderer finden lassen, habe ich Rendtorff gesagt: Wenn du damit einverstanden bist, helfe ich dir auch ohne zusätzliches Salär. Mein Vikarsgehalt reichte mir. Allerdings bestand ich darauf, dass der Kreisvorstand mich offiziell als Wahlkampfleiter nominiert – was dann auch einstimmig geschah. So konnten wir den Wahlkampf in größtmöglicher Unabhängigkeit gestalten. Das war mir auch deswegen wichtig, weil man aus einem fortschrittlichen Ordinarius einer deutschen Universität, der aus einem konservativen, kirchlich geprägten und sehr bürgerlichen Haus stammte, nicht über Nacht einen Arbeitervertreter und Gewerkschaftsfreund machen kann. Es galt also, Glaubwürdigkeit und Identität zu wahren. Da abzusehen war, dass Rolf Rendtorff im Wahlkampf vom politischen Gegner mit seiner Vergangenheit als Rektor konfrontiert werden wird, haben wir gemeinsam sehr früh zwei Grundentscheidungen getroffen: Erstens wollten wir den Versuch des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), Wahlveranstaltungen zu sprengen, im Keim ersticken. Bei der ersten Veranstaltung ist uns das auch mit Hilfe der Polizei gelungen. Das hatte einen enormen Überraschungseffekt. Danach kam es zu keinen Störungen mehr, ohne dass die Debatten und Diskussionen weniger wurden. Zweitens haben wir das Problem SPK inzwischen hatte es ja den schrecklichen Terroranschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm gegeben – und die Rolle Rendtorffs offensiv selbst angesprochen. Immerhin hatten Zeitungsanzeigen der CDU und konservativer Professoren, allen voran Karl Doehring, dazu geführt, dass sich die Theologische Fakultät mit Rendtorff solidarisierte und sich neben der Wählerinitiative Rendtorff mit dem schönen Kürzel „WIR“ noch eine ihn unterstützende Initiative aus der Universität bildete. Dieser schloss sich auch Klaus Engelhardt, damals Rektor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, an. Daraufhin erhielt der spätere

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Landesbischof – wie er mir kürzlich schrieb – einen erbitterten Anruf seines Doktorvaters, Hans von Campenhausen, Vater des erwähnten Axel von Campenhausen: „Wie können Sie Herrn Rendtorff unterstützen, der unsere Universität kaputt macht!“ Auf diesem Niveau bewegten sich auch andere Zeitungsanzeigen und Flugschriften wie die einer „Schüler- und Studenteninitiative für Helmut Kohl“: Der ehemalige Rektor … Rendtorff … finanzierte aus dem Sonderfond des Rektors eine Untergruppe der BaaderMeinhof-Bande, das Sozialistische Patientenkollektiv und deren Arbeitskreis Sprengstoff.

Gegen solche Verleumdungen konnten wir mehrere einstweilige Verfügungen erwirken. Wer sich erinnert, weiß, dass am 3. Oktober 1976 die CDU/CSU mit Helmut Kohl als Kanzlerkandidat fast die absolute Mehrheit erreichte. Unter diesen Bedingungen hat Rendtorff in Heidelberg ein sehr gutes Wahlergebnis eingefahren – mit unterdurchschnittlichen Verlusten. Immerhin lag er mit Erst- und Zweitstimmen über 40 Prozent. Allerdings ging der Wahlkreis an Karl Weber (CDU) verloren. Da Rendtorff nur auf dem 26. Listenplatz stand, erhielt er auch über die Landesliste kein Mandat. All das zeigt: Leute wie Rendtorff waren auch in der SPD Außenseiter und einsam. Mit Rendtorff zusammen habe ich in den 10 Monaten Wahlkampf die Schattenseiten der politischen Arbeit – die Grabenkämpfe, Eifersüchteleien, die großen und kleinen menschlichen Schweinereien und Schmierenkomödien – kennengelernt. Aber wir haben uns gegenseitig darin unterstützt, uns davon nicht anstecken zu lassen und den nötigen Abstand zum Parteiapparat zu halten. Dennoch musste ich des Öfteren Rolf Rendtorff, zur Resignation und zum Rückzug neigend, in Vieraugengesprächen Mut zusprechen, auf die Kraft seiner Argumente zu vertrauen.

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10 Die 70er Jahre – eine „Midlife crisis“? Rolf Rendtorff spricht in seinen Erinnerungen im Blick auf die Zeit des Rektorates und der verlorenen Bundestagswahl von einer „Midlife crisis“. Daran ist sicher etwas Richtiges, zumal sich in den 70er Jahren auch in seinem persönlichen Leben viel änderte und er noch ein paar erfolglose „Ausflüge“ in die hochschulpolitische Landschaft unternommen hat (die ich nicht nachvollziehen konnte). Doch ist sein Wirken in den 70er Jahren zu wichtig, als dass man es allein psychologisierend be- oder entwertet, entsorgt oder politisch denunziert. Der Name Rolf Rendtorff steht heute noch für eine Universität und eine Gesellschaft, die Reform und Tradition, Demokratie und gegenseitigen Respekt, streitige Debatte und Kompromiss miteinander verbinden, also das, was auch die Grundbotschaft des Glaubens in der jüdisch-christlichen Tradition ausmacht. Das bleibt das politische Erbe von Rolf Rendtorff. Auch wenn er kein Politiker, auch kein politischer Mensch war und wurde (er ist ein bedeutender Theologe, der aber seine theologischen Überzeugungen nie mit seinem politischen Handeln in Beziehung brachte), so hat er durch sein Wirken allen, die in sich eine gesellschaftspolitische Verantwortung verspürten, nachhaltige Impulse und Orientierung gegeben. Wenn heute noch Menschen beim Namen Rolf Rendtorff die Augenbrauen hochziehen, dann liegt das vor allem daran, dass es leider immer noch und schon wieder Menschen gibt, die diese Orientierung auf eine demokratische, links-liberal ausgerichtete Gesellschaft hin fürchten bzw. meinen, dafür nichts selbst tun zu müssen. Aber eines ist sicher auch richtig: Rendtorff war zeit seines Lebens ein Außenseiter. Doch von wem wird diese Welt nachhaltig gestaltet und geprägt, wenn nicht von Menschen, die sich selbst ihr nicht ganz zugehörig fühlen (und gerade darum in innerer Freiheit, unabhängig und liberal

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ihr Leben gestalten können), weil sie viel größere Hoffnungen und Erwartungen in sich tragen, als die Wirklichkeit zulässt?

Literaturverzeichnis Karin Buselmeier, Dietrich Harth, Christian Jansen (Hrsg.), Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 1985 Jürgen Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform, edition suhrkamp 354, Frankfurt am Main 1969 Dietrich Hildebrandt, „… und die Studenten freuen sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg 1991 Ekkehard Nuissl, Rolf Rendtorff, Wolff-Dietrich Webler, Scheitert die Hochschulreform? Heidelberg zum Exempel, rororo aktuell 1706, Hamburg 1973 Rolf Rendtorff, Kontinuität im Widerspruch. Autobiographische Reflexionen, Göttingen 2007 Eigenes Archiv (Zeitungsausschnitte, Flugblätter, unispiegel 19691976)

Frank Crüsemann

Rolf Rendtorff und das Judentum∗ Rolf Rendtorff wurde 1925 geboren und gehört damit altersmäßig zu der Gruppe junger Deutscher, die im 2. Weltkrieg noch in Hitlers Armee (oder Schlimmerem) dienten, dann aber im Nachkriegsdeutschland eine maßgebliche und prägende Rolle spielten. Man denke an Schriftsteller wie Günter Grass (*1927), Martin Walser (*1927) und Siegfried Lenz (*1926), Intellektuelle wie Walter Jens (*1923), Hans-Magnus Enzensberger (*1929) und Jürgen Habermas (*1929), Politiker wie Richard von Weizsäcker (*1920), Theologen wie Jürgen Moltmann (*1926). Sie waren die erste Generation, die den Übergang bewusst wahrnahm, sich durch die neuen Chancen neu prägen ließ und dieses Neue dann selbst entscheidend prägen konnte. Rendtorff gehört zu ihnen, nicht nur der Generation, sondern auch der Bedeutung nach. Rendtorff war der erste Alttestamentler, jedenfalls in Deutschland, der mit Israel verbunden war, nicht nur mit dem alten, das er aus den biblischen Texten kannte, sondern auch mit dem neuen, dem lebendigen Judentum und dem jungen Staat Israel und seinen Menschen, der erste, der mir und vielen begegnete, für den beides nicht mehr auseinanderfiel, der mit beiden verbunden war, innerlich und äußerlich, wissenschaftlich und politisch, solidarisch und solidarisch-kritisch. Was er selbst als das „wichtigste theologische Ereignis der zweiten Hälfte“ des 20. Jahrhun-

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Unveränderter Nachdruck von: Rolf Rendtorff (1925-2014), Kirche und Israel 30, 2015, 3-26. ∗

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derts bezeichnet hat, nämlich „die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie“ 1, hat er entscheidend mitgeprägt und dadurch dazu beigetragen, die Bibelwissenschaft, die christliche Theologie und die Kirche zu erneuern, und so ein gewichtiges Stück Reformation mit zu gestalten. Rendtorffs Werk ist breit angelegt und vielgestaltig2. Da sind seine bibelhistorischen Arbeiten im engeren Sinne, seine Lehrbücher, seine theologischen, sachlichen und organisatorischen Beiträge zum Dialog, sein politisches und hochschulpolitisches Wirken. An einigen Stellen hat er selbst Querverbindungen formuliert, doch vieles steht fast unverbunden nebeneinander, selbst in seinen eigenen biographischen Rückblicken 3. Nach dem inneren Zusammenhang und damit auch nach dem Ganzen seiner Person zu ––––––––––––––––––––––

Rolf Rendtorff (im Folgenden: R.R.), Die Bibel Israels als Buch der Christen, in: Chr. Dohmen /Th. Söding, Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen biblischer Theologie, UTB 1893, Paderborn u.a. 1995, 97113 (97); auch in: R.R., Der Text in seiner Endgestalt. Schritte auf dem Weg zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 2001, 30-46 (30). 2 Eine vollständige Bibliographie (mit 365 Nummern) liegt bis 1990 vor: J. Miltenberger, Bibliographie Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag am 10. Mai 1990, DBAT.B 11, Heidelberg 1990. Bei den danach von mir gesammelten Beiträgen konnte keine Vollständigkeit angestrebt werden; ihre Zusammenstellung ist eine wichtige zukünftige Aufgabe. 3 Der wichtigste und umfassendste ist: R.R., Kontinuität im Widerspruch. Autobiographische Reflexionen, Göttingen 2007. Manche thematisch engeren Texte sind Vorarbeiten resp. geradezu Auszüge, so für die altt. Arbeiten: Rolf Rendtorff, in: S. Grätz / B. U. Schipper Hg., Alttestamentliche Wissenschaft in Selbstdarstellungen, UTB 2920, Göttingen 2007, 19-31; für die Beziehungen zu Israel und dem Judentum: R.R., Mein Weg nach Israel. Persönliche und theologische Erfahrungen in vierzig Jahren, in: Begegnungen Heft 4, 2003, 2-7. Für die politische Solidarität mit dem Staat Israel s. das Interview mit R.R.: Freundschaft mit Israel. Erfahrungen – Einsichten – Konsequenzen. Rolf Rendtorff im Gespräch, in: israel und palästina. Zeitschrift für Dialog, Sonderheft 23, o.J. (1990), 5-25. Auch eine ganze Reihe von forschungsgeschichtlichen Rückblicken und biographischen Würdigungen enthalten wichtige autobiographische Informationen, z.B.: R.R., 1

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fragen, ist eine der Leitlinien des Folgenden. Eine andere ist es, einzelne Stationen von Rendtorffs Werdegang und Wandlungen zu verfolgen und an ihnen noch einmal wichtige Phasen der Kirchen- und Theologiegeschichte der Nachkriegszeit Revue passieren zu lassen, mit dem Fokus auf den Beiträgen, die er und die von ihm geprägten Institutionen dazu geleistet haben. 1. Die Anfänge Das für mich Auffälligste an Rendtorffs Schilderungen von Kriegs- und erster Nachkriegszeit, also seiner Kindheit und Jugend bis zu seinen ersten eigenen Schritten, ist das vollkommene Fehlen einer Wahrnehmung der ungeheuren Verbrechen der Nazis, vor allem von dem, was man später mit Begriffen wie Holocaust oder Schoah benannt hat. Für viele Biographien, auch für meine eigene Entwicklung ist der Zeitpunkt, an dem man das Schreckliche wahrnahm und sich der Dimensionen bewusst wurde, ein lebensgeschichtlicher Einschnitt. Das fehlt hier. Natürlich spielen diese Ereignisse, spielt auch der Beitrag von Kirche und Theologie für sie, eine zentrale Rolle in der späteren Annäherung an das Judentum und bei der Aufarbeitung der vorangehenden Geschichte. Aber es fehlt für die Nachkriegszeit, und es fehlt auch der Bezug auf eine persönliche Erschütterung, es fehlt selbst ein Verweis auf eine ––––––––––––––––––––––

Nach vierzig Jahren. Vier Jahrzehnte selbsterlebte alttestamentliche Wissenschaft – in Heidelberg und anderswo, in: ders., Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 29-39: ders., Zu den Anfängen des Biblischen Kommentars. Kritische Erinnerungen, EvTh 62, 2002, 5-10; ders., Jürgen Seim, Wegbahner und Weggefährte, in: K. Kriener u.a. Hg., „Die Gemeinde als Ort von Theologie“. FS Jürgen Seim, Bonn 2002, 105-111; ders., Wahrheit reden, in: E. W. Stegemann / K. Wengst Hg., „Eine Grenze hast Du gesetzt“, FS Edna Brocke, Stuttgart 2003, 25-34. Eine wichtige Quelle sind die nahezu 60 persönlichen Erinnerungen an R.R., gesammelt und zusammengestellt [von Marieluise Kristadler?] in: Prisma Rendtorff. Rolf Rendtorff zum 10. Mai 1990, Privatdruck.

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unzureichende oder eine nicht erfolgte Wahrnehmung, obwohl natürlich immer wieder, besonders eindrucksvoll in den Texten über Elie Wiesel 4, eine auch persönliche Erschütterung darüber sichtbar wird, dass Derartiges im christlichen Deutschland und von Christen geschehen konnte. Ich bedauere, dieses Fehlen nicht früher wahrgenommen und ihn danach gefragt zu haben. 5 Ein solches Fehlen ist allerdings, gerade auch nach seinen eigenen Beobachtungen 6, typisch – und deswegen eventuell sogar bewusste Stilisierung. Denn Rendtorff sieht seine Herkunft, so sein erster grundlegender Satz in den „autobiographischen Reflexionen“, betontermaßen „in der Zeit des Kirchenkampfes“ 7. Die Entfernung des Vaters aus dem Bischofsamt durch die Nazis 1933 und sicher auch die Kindheit in einem Pfarramt in Stettin ließen ihn „im Unterbewusstsein“ wahrnehmen, „dass wir im politischen Konflikt mit der Umwelt lebten“ 8. Zu diesem Konflikt gehört jedenfalls für den Vater das Wissen um die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Die Verhaftung des älteren Bruders und seine Überstellung in das Konzentrationslager Sachsenhausen erfolgte, so schildert es ein Pfarramtskollege, dessen Sohn das gleiche Geschick widerfuhr, weil ––––––––––––––––––––––

R.R., Versuch eine Annäherung an Elie Wiesel und sein Werk, KuI 1, 1987, 52-55, auch in: ders., Christen und Juden heute. Neue Einsichten und neue Aufgaben, Neukirchen-Vluyn 1998, 88-93; Auschwitz als Anfechtung des Christentums. Elie Wiesels Botschaft für Christen nach Auschwitz, ebd. 94-111; Ist in Auschwitz das Christentum gestorben?, ebd. 112-131. 5 Vielleicht gibt es Erinnerungen an andere Äußerungen oder gar schriftliche Formulierungen, die ich übersehen habe. 6 „Es gibt aus den ersten Nachkriegsjahren überhaupt keine Äußerungen zu diesem Thema – weder von kirchlichen noch viel weniger von politischen Stellen“, so R.R., Ist Dialog möglich? Ansätze zum christlich-jüdischen Gespräch nach der Schoah (1990), in: R.R., Christen und Juden heute (o. Anm. 4) 11-27 (13). 7 Kontinuität im Widerspruch 7. 8 Ebd. 4

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die beiden Gymnasiasten sich unter Bezug auf die Predigten Graf Galens gegen derartige Aktionen ausgesprochen hatten 9. Und vom Vater ist auch bezeugt, dass er sich „intensiv“ um die „Nichtarier in seiner Gemeinde“ kümmerte 10. Rolf Rendtorff zitiert eine Predigt seines Vaters aus dem Jahr 1934, in der die „einzigartige Geschichte der Gottessehnsucht und des Glaubens“ des alttestamentlichen Israel dem bis in die Gegenwart reichenden „furchtbare(n) Gottesgericht“ wegen der Ablehnung des Christus gegenübergestellt wird 11. Das habe auch ihn in Jugend und Studium und noch lange danach geprägt. Und daran hat ja in der Regel auch das Erschrecken über das Geschehene und seine Ausmaße nichts geändert. Gerade in der Bekennenden Kirche führte das bestenfalls zum Geständnis ethischen Versagens und nicht zu einer grundsätzlichen Anfrage an die eigene Theologie. Rendtorff verweist auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis: „Worin aber die Schuld bestand und wer die Opfer der verbrecherischen Taten waren, wird nicht erwähnt“ 12. Das gleiche gilt für ein vom Vater Heinrich Rendtorff formuliertes „Wort zum Bußtag 1945“ 13, das noch vor dem Stuttgarter Schuldbekenntnis entstand und auf einen ganz ähnlichen Ton gestimmt ist. Es bleibt auch hier bei allgemeinen Formulierungen: „Wie ––––––––––––––––––––––

M. Reichmuth, Der Weggefährte in Amt und Kirchenkampf, in: P. Toaspern Hg., Arbeiter in Gottes Ernte. Heinrich Rendtorff – Leben und Werk, Berlin 1963, 53-62 (59). 10 Ebd. 61. 11 Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis 1934, zitiert von R.R., Das Jüdische am Christentum, zugänglich unter www.jcrelations.net. Es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung von drei Vorträgen mit gleichem Titel auf dem Stuttgarter Kirchentag von 1999. 12 Ist Dialog möglich? (o. Anm. 3) 13. 13 Text unter pkgodzik.de. Der Text wurde von Heinrich Rendtorff als Mitglied der vorläufigen Kirchenleitung von Holstein verfasst, aber unter dem Namen des Vorsitzenden (und späteren Bischofs) Wilhelm Halfmann veröffentlicht. 9

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war es möglich, dass in unserem Volk das menschliche Leben nichts galt, das Morden zu einem grausamen Handwerk werden konnte?“ Doch neben den Morden wird gleichberechtigt auf andere Dekaloggebote wie das sechste verwiesen, wonach „alle Dämme von Zucht und Sitte brachen“, oder auf die Missachtung des Sonntags. Am Ende wird Hos 6,1 zitiert: „Kommt, wir wollen wieder zum HERRN…“. Das nun ist geradezu prophetisch, denn für die damit beschriebene Umkehr heißt es ja direkt danach: „Ist doch eure Güte wie eine Wolke am Morgen, wie der Tau der früh verfliegt“ (Hos 6,4). 2. Das Alte Testament I Für die nötige Veränderung der christlichen Theologie „sehe ich mich als Alttestamentler in einer besonderen Verantwortung.“ 14 Und alles, was er für die christlich-jüdischen Beziehungen getan hat, erfolgte aus dieser Perspektive. Die Wendung zum Alten Testament geschah schon während des Theologiestudiums. Er selbst verweist auf die Begegnung mit Gerhard v. Rad in Göttingen 1947/48 15. Sein Mitstudent Klaus Koch dagegen erinnert sich, dass Rendtorff bereits 1946 während des Studiums in Bethel bei einer Einladung von Magister Frey auf eine Frage von dessen Frau „ohne Zögern“ geantwortet hat: „Ich möchte Alttestamentler werden“ 16. Sehr früh also ist das Interesse geweckt und eine Entscheidung gefallen. Das Alte Testament war während des Kirchenkampfs heftig umstritten. Und auch wenn sich die Deutschen Christen mit ihrer Forderung nach Abschaffung oder ihrer durchgängigen Verächtlichmachung des Alten Testaments nicht durchsetzen konnten, so spielte es doch auch für die Bekennende Kirche nur eine ausgesprochene Nebenrolle. Dass die Barmer Theologische Erklärung nur Bibelstellen –––––––––––––––––––––– 14 15 16

Kontinuität im Widerspruch 92. Ebd. 54f. Brief an R.R. in: Prisma Rendtorff (o. Anm. 3) o.S.

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aus dem Neuen Testament zitiert, ist kein Zufall. Für die dominante Christologie, sei es barthianischer, sei es lutherischer Spielart war das Alte Testament kein wesentlicher Faktor. Zwar gab es neue Ansätze zu seinem Verständnis, wofür insbesondere der Name Gerhard v. Rad steht (und mit der Veröffentlichung von „Widerstand und Ergebung“ trat später die Neuentdeckung des Alten Testaments in den Gefängnisbriefen Dietrich Bonhoeffers dazu 17). Doch v. Rads Charisma und sein Ruf allein können kaum erklären, warum das Alte Testament in der Nachkriegszeit auf viele Menschen eine so große Faszination ausübte, so dass es zeitweise geradezu zur Leitdisziplin innerhalb der evangelischen Theologie wurde. Es war weithin unbekannt, dazu entgegen seinem Ruf höchst lebendig, und es hing mit dem sonst nahezu völlig verdrängten Thema des Judentums zusammen, auf eine unübersehbare und doch immer wieder übersehene Weise. So stellte es sich mir noch in meinem eigenen Studium dar. Rendtorff gehörte also nicht nur zu der ersten Generation, sondern zu den ersten überhaupt, die unmittelbar nach dem Krieg auf das Alte Testament und seine Bedeutung stießen. Allerdings wendete er sich mit seiner Dissertation auf Vorschlag v. Rads einem Thema zu, das nun von aller Aktualität soweit wie möglich entfernt war: Den Kultgesetzen des Buches Leviticus 18. Im Rückblick betont Rendtorff Chance und Notwendigkeit, hier methodisch wie inhaltlich ganz selbständig arbeiten zu können, da es kaum Literatur gab, die zu berücksichtigen war. 19 Der alttestamentliche Kult und die darauf bezogenen priesterlichen Texte des Alten Testamentes blieben für ihn lebenslang ein wichtiges Thema, er war weltweit einer der nicht allzu ––––––––––––––––––––––

17 Dazu jetzt F. Crüsemann, „… zu direkt neutestamentlich“!? Bonhoeffer, das Alte Testament und die Frage einer biblischen Christologie, erscheint in: Bonhoeffer-Jahrbuch 2015. 18 R.R., Die Gesetze in der Priesterschrift. Eine gattungsgeschichtliche Untersuchung, FRLANT N.F. 44, 1954. 19 Kontinuität im Widerspruch 56.

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zahlreichen Spezialisten dafür. Obwohl es naturgemäß zeitweise in den Hintergrund trat, blieb es doch so etwa wie das verborgene Rückgrat seiner exegetischen Arbeit. Die Habilitation (1953) erfolgte über die Opfer im Alten Testament. Das Buch konnte aber erst 1967 während seiner Heidelberger Professur überarbeitet erscheinen 20. Rendtorff übernahm bereits bald nach der Habilitation den Leviticus-Kommentar in der Reihe „Biblischer Kommentar“. Die erste Lieferung erschien jedoch erst etwa dreißig Jahre später 1985 („kein Ruhmesblatt“ 21). Und erst nach der Emeritierung (1990) und nach dem Abschluss der „Theologie des Alten Testaments“ (2001) trat das Thema wieder ins Zentrum der Arbeit, so dass der erste Band des Leviticus-Kommentars, der bis Lev 10,20 geht, 2004 erscheinen konnte 22, begleitet von einer ganzen Reihe kleinerer einschlägiger Arbeiten 23. Doch eine geplante Monographie zu Lev 16, dem großen Versöhnungstag 24, konnte er nicht vollenden und die Weiterarbeit am Kommentar musste er aus der Hand geben 25. ––––––––––––––––––––––

20 R.R., Studien zur Geschichte des Opfers im Alten Israel, WMANT 24, 1967. 21 Kontinuität im Widerspruch 68. 22 R.R., Leviticus. 1. Teilband Leviticus 1,1 – 10,20, BK III/1,2004. 23 R.R., Was gibt es Neues zu Leviticus?, in: A. Meinhold u.a. Hg., Der Freund des Menschen, FS G. Chr. Macholz, Neukirchen-Vluyn 2003, 15-22; ders., Leviticus 16 als Mitte der Tora, Biblical Interpretation 11, 2003, 253-258; ders., Erwägungen zu kipper in Leviticus 16, in: F.-L. Hossfeld u.a. Hg., Das Manna fällt auch heue noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments, HBS 44, 2004, 499-510; ders./R. A. Kugler Hg., The Book of Leviticus. Composition and Reception, VT.S XCIII, 2003. 24 Angekündigt in: Erwägungen zu kipper (o. Anm. 23) 508, Anm. 16. 25 Auch die geplante Kommentierung von Haggai (R.R., Ist auch Haggai unter den Propheten?, in: I. Kottsieper u.a. Hg., Berührungspunkte. Studien zur Sozial-und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt, FS A. Albertz, AOAT 350, 2008, 291-294, 292, Anm. 8) wurde nicht vollendet. Danach folgten nur noch sehr wenige Publikationen (R.R., Keine ungetrübte Sicht. Ein deutscher Blick auf Israel nach der Shoa, Evangelische Aspekte 19, 2009/4, 30-33; ders., Unterliegt der biblische

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Für das Bild des Exegeten Rolf Rendtorff ist es wichtig zu sehen, dass er in all den vielen einschlägigen Veröffentlichungen über so viele Jahre, soweit ich sehe, nirgends auch nur einen Versuch gemacht hat, diesen priesterlichen Texten und ihrer Auslegung irgendeine aktuelle theologische Bedeutung zuzuschreiben. Natürlich haben sich Fragestellungen und Methoden in mancher Hinsicht in diesen Jahrzehnten verschoben, so bringt die Frage, ob Leviticus als Buch gelesen werden kann und soll 26, eine neue Perspektive. Aber seine Arbeit an diesem Kern seiner wissenschaftlichen Interessen ist von den Kontroversen und Aufbrüchen, die sich für und durch ihn in der Bibelwissenschaft vollziehen, praktisch unberührt geblieben. Die neue und wachsende Bedeutung des Alten Testamentes für die christliche Theologie im Ganzen zeigte sich mit Nachdruck in einem Unternehmen, an dem Rolf Rendtorff maßgeblich beteilig war. Noch als Doktorand gründete er zusammen mit einigen anderen wie Klaus Koch, Ulrich Wilckens, seinem Bruder Trutz Rendtorff einen „Kreis“, zu dem dann vor allem der Systematiker Wolfhart Pannenberg hinzukam. Aus den interdisziplinären Diskussionen erwuchs so etwas wie ein neues Paradigma von Theologie, das zuerst in dem Sammelband „Offenbarung als Geschichte“ 1961 veröffentlich wurde. Es war ein Gegenentwurf zu den bis dato fast allein dominierenden unterschiedlichen Typen von Wort-Gottes-Theologie. Insbesondere der Bezug auf reale Geschichte – statt wie damals verbreitet üblich auf bloße „Geschichtlichkeit“ – sprengte bisherige Kategorien und versprach auf neue Weise, Gott und Realität zu verbinden. Der erste grundlegende Aufsatz ––––––––––––––––––––––

Kanon den Regeln der „historisch-kritischen Exegese“?, in: K. Schiffner u.a. Hg., Fragen wider die Antworten, FS J. Ebach, Gütersloh 2010, 37-39). 26 R.R., Is it possible to read Leviticus as a separate book?, in: J. F. A. Sawyer Hg., Reading Leviticus. A Conversation with Mary Douglas. JSOT.S 227, Sheffield 1996, 22-35.

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von R. Rendtorff untersucht die „Offenbarungsvorstellungen im Alten Israel“ 27. Entscheidend ist die Beobachtung, dass bei Erzählungen über Gottes Selbstoffenbarung in der Regel auf vergangenes Geschehen um eines verheißenen zukünftigen Geschehens willen verwiesen wird. Insbesondere in der exilischen Prophetie wird dann eine kommende, entscheidende Offenbarung Gottes angekündigt, die die nichtisraelitischen Völker einbeziehen wird. „Der endgültige Selbsterweis“ Gottes wird „als das entscheidende Ereignis der Zukunft erwartet.“ 28 Gerade für die spätesten alttestamentlichen Schriften gilt also, dass sie „die endgültige Offenbarung Jahwes noch vor sich sahen.“ 29 Dem entspricht das theologische Programm, wie es besonders in den Veröffentlichungen Pannenbergs entwickelt wird: Die endgültige Offenbarung Gottes kann und wird erst die Zukunft bringen, sie ist aber bereits vorher in der Auferstehung Jesu präsent. Kein Zweifel: Das Alte Testament spielt in diesem theologischen Entwurf eine wichtige, durch nichts zu ersetzende Rolle. Damals ging das Wort von der „Rad-Seilbahn auf den Pannenberg“ um. Rendtorff hat diese Position selbst in weit verbreiteten populären Schriften dargestellt und propagiert. So schreibt er: „Gott offenbart sich in der Geschichte Israels bis hin zu Jesus Christus. Diese Offenbarungsgeschichte ist eine Einheit. Jesus Christus ist ihr Ende, ihr Ziel“ 30. „Auch für uns wurzelt das Vertrauen in die Treue Gottes in den vielfältigen Erfahrungen Israels. Aber wir sind um eine grundlegende Erfahrung reicher als die Menschen des Alten Testaments. Gott hat in der Auferweckung Jesu sein Ja zu ––––––––––––––––––––––

In: W. Pannenberg Hg. in Verbindung mit R. Rendtorff / T. Rendtorff / U. Wilckens, Offenbarung als Geschichte, Göttingen (1961) 19704, 21-41. 28 Ebd. 40. 29 Ebd. 41. 30 R.R., Das Werden des Alten Testaments, BSt 26, Neukirchen 1959, 49. 27

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dieser Geschichte gesprochen und damit schon vorweg unsere Erwartungen und Hoffnungen bestätigt.“ 31 Es gibt in diesem Falle – und so explizit wohl nur hier – eine regelrechte retractatio von Rolf Rendtorff. In der Begegnung mit dem Judentum hat er Einsichten gewonnen, die ihn 20 Jahre später formulieren lassen: „Dem Programm ‚Offenbarung als Geschichte’ liegt implizit eine ‚Substitutionstheorie’ von äußerster Konsequenz zugrunde.“ 32 Den entscheidenden Kritikpunkt sieht er im Hinausgehen „der Geschichte“ über Israel und Israels Gottesverständnis in zeitlicher wie in quantitativer Dimension. Für ein nachbiblisches Israel, für das Judentum gibt es hier – wie auch sonst durchgängig in traditioneller christlicher Theologie – keinen Platz. Und im Alten Testament liegt, wie er jetzt sieht, die Offenbarung Gottes nicht erst in der Zukunft, sondern am Anfang, am Sinai. Deswegen gilt: „Gott hat sich in Israel als er selbst erwiesen – d.h. für uns, Juden, Christen und Muslims: nur in Israel.“ 33 „Der Gott Israels erweist sich allen Menschen als Gott Israels, d.h. als der, der sich Israel zuerst und bleibend als er selbst zu erkennen gegeben hat.“ 34 Es ist nicht untypisch, dass „Offenbarung als Geschichte“ wie andere theologische Neuansätze in der Nachkriegszeit die traditionelle antijüdische Ausrichtung der evangelischen Theologie noch einmal massiv verstärkt haben – nach Auschwitz und in einem Land praktisch ohne Jüdinnen und Juden. Man denke nur an Ernst Käsemanns These, ––––––––––––––––––––––

31 R.R., Gottes Geschichte. Der Anfang unseres Weges im Alten Testament, Stundenbuch 3, Hamburg 1962, 123. 32 R.R. Offenbarung und Geschichte. Partikularismus und Universalismus im Offenbarungsverständnis Israels, in: J.J. Petuchowski / W. Strolz Hg., Offenbarung im jüdischen und christlichen Glaubensverständnis, QD 92, 1981, 37-49, auch in: Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testamentes, Neukirchen-Vluyn 1991, 113-122 (113). 33 Ebd. 120. 34 Ebd. 121.

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dass zum historischen Jesus nur das gehöre, was nicht-jüdisch ist 35. Meinungen wie die, dass christliche Theologie schon im Neuen Testament „essentiell“ antijüdisch war und also auch weiter zu sein hat, wie der aus dem Offenbarung-als-Geschichte-Kreis stammende Neutestamentler Ulrich Wilckens noch 1974 meinte feststellen zu sollen 36, herrschen praktisch alternativlos bis in die 60er Jahre hinein. Das neue Interesse an der Geschichte zeigte sich neben diesen dezidiert theologischen Arbeiten auch in einem anderen Feld, dem Rendtorff in den 60er Jahren eine Reihe von Untersuchungen widmete: Dem wiedererwachenden Interesse an einer dezidiert religionsgeschichtlichen Fragestellung, die seit der Dominanz der Wort-Gottes-Theologie ganz zurückgetreten, durch die jetzt breiter bekannt werdenden kanaanäischen Text aus Ugarit aber geradezu erzwungen wurde. Neben der grundsätzlichen methodischen Verhältnisbestimmung von religionswissenschaftlicher und theologischer Arbeit 37 entstehen eine Reihe von Einzelstudien. 38 Im Ganzen fügen sie sich ein in das Konzept, das hinter „Offenbarung als Geschichte“ steht. Rend––––––––––––––––––––––

E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, ZThK 51, 1954, 125-153 = ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 19602, 187-214. 36 U. Wilckens, Das Neue Testament und die Juden. Antwort an David Flusser, EvTh 34, 1974, 602-611 (611). Durch diese Kontroverse sieht Rendtorff zu diesem Zeitpunkt vor allem grundsätzliche Fragen und Aufgaben aufgeworden (R.R., Die neutestamentliche Wissenschaft und die Juden. Zur Diskussion zwischen David Flusser und Ulrich Wilckens, EvTh 36, 1976, 191-200). 37 R.R., Die Entstehung der israelitischen Religion als religionsgeschichtliches und theologisches Problem (1963), in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, ThB 57, 1975, 119-136; Alttestamentliche Theologie und israelitisch-jüdische Religionsgeschichte (1963), ebd. 137-151. 38 Bes.: Mose als Religionsstifter? (1968), ebd. 152-171; El, Ba˜al und Jahwe. Erwägungen zum Verhältnis von kanaanäischer und israelitischer Religion (1966), ebd. 172-187. 35

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torff gründete eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Ugarit-Forschungsstelle, die er noch lange betreute 39, auch zu Zeiten, als sein eigenes Interesse bereits ganz anderen Fragestellungen galt 40. 3. Mitarbeit an der Demokratisierung Bevor die Wende in Rendtorffs theologischer Existenz zur Sprache kommt, ist ein Blick auf sein politisches und vor allem hochschulpolitisches Wirken zu werfen, das m.E. als Hintergrund für anderes wichtig ist. Der Höhepunkt ist natürlich sein Heidelberger Rektorat 1970-72 und dessen „ruhmreiches Scheitern“ 41. Davon kann und braucht hier nicht noch einmal erzählt zu werden 42. Obwohl er einerseits zum Rücktritt gezwungen wurde und überhaupt tiefe persönliche Verletzungen erfuhr und andererseits in den folgenden Jahren die für ihn und sein Lebenswerk wichtigsten theologischen und wissenschaftlichen Schritte ging, hat er mehrfach versucht, an anderen Orten in eine vergleichbare hochschulpolitische Position zu gelangen. Er trat zu konfliktreichen Kandidaturen in Hessen (1973), Hamburg (1978) und Bremen (1982) an. In diesem Zusammenhang ist auch an seine Kandidatur als SPD-Direktkandidat für den Wahlkreis Heidelberg in der Bundestagswahl von 1976 und an seine Bewerbung um den Posten des Direktors der Akademie Arnoldshain ––––––––––––––––––––––

39 Die einzige mir bekannte Publikation ist: R.R. und J. Stolz, Die Bedeutung der Gestaltungsstruktur für das Verständnis ugaritischer Texte. Ein Versuch zu CTA 24 (= KTU 1.24) [NK] 5-15, FS Claude F. A. Schaeffer, UF 11, 1979, 709-718. 40 Dieser Wandel zeigt sich z.B. deutlich an der theologischen Frage nach der Gottesbezeichnung El von 1994 ()El als israelitische Gottesbezeichnung, ZAW 106, 1994, 4-21) im Unterschied zur religionsgeschichtlichen von 1966 (El, Ba(al und Jahwe [o. Anm. 38]). 41 So die Überschrift eines Kapitels in „Prisma Rendtorff“ (o. Anm. 3) mit vielen detailreichen Briefen an ihn über diese Zeit. 42 Außer der Darstellung in „Kontinuität im Widerspruch“ (100ff) s. bes. E. Nuissl / R. Rendtorff / W.-D. Webler, Scheitert die Hochschulreform? Heidelberg zum Exempel, rororo aktuell 1706, Hamburg 1973.

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(1986/7) zu erinnern – und das neben seiner in diesen Jahren besonders intensiven Arbeit im Fach sowie für den Dialog mit dem Judentum. Fragt man, was ihn zu all dem antrieb, wird man über die wenigen Andeutungen in seinen eigenen Darstellungen hinaus kaum auf sichere Antworten hoffen können. Einen Aspekt allerdings wird man dabei im Auge haben dürfen. Die Übernahme von Ämtern wie Dekanat und Rektorat gehörte zu den traditionellen Aufgaben eines deutschen Universitätsprofessors. Nur wurden solche Ämter in keiner Weise als politische verstanden, ganz im Gegenteil. So sah es ja auch die überwiegende Mehrzahl seiner Professorenkollegen in Heidelberg, die sein Programm und seine Wahl nicht nur nicht mittrugen, sondern mit allen Mitteln bekämpften. Unpolitisch hat er ja selbst noch im Rückblick sein Rektorat an der Kirchlichen Hochschule in Berlin (1962/63) und sein Heidelberger Dekanat (1964/65) gesehen. Seine Politisierung erfolgte nach eigenen Angaben durch die Berliner Situation im Ganzen, und sie trug ihn weit weg von den Prägungen durch das Elternhaus. Im Gegensatz zu einer „konservativen, eher CDU-nahen Tradition“ 43 wurde er Mitglied in der SPD. Jetzt aber ging es höchst aktuell um Politik, nämlich um die Erneuerung der Universität. Die ersten unabdingbaren Schritte zur Überwindung des Nationalsozialismus und der Entwicklungen, die zu ihm beigetragen hatten, führten zu einem auf Demokratie und Menschenrechten begründeten Grundgesetz, lange vor einer inhaltlichen und rechtlichen Aufarbeitung des Geschehenen. Aber diese Demokratie hatte weite gesellschaftliche Bereiche einschließlich der Hochschulen kaum berührt. Die Universität hatte nach wie vor ihre alten vordemokratischen Strukturen, genau die, die in der NS-Zeit so schmählich versagt hatten. Die Notwendigkeit zu Reformen ging weit über die Interessen der Studentenbewegung hinaus. Aber es ging dabei auch –––––––––––––––––––––– 43

Kontinuität im Widerspruch 74.

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um eine Generationenfrage. Rendtorff war als der bei weitem jüngste Professor in die Heidelberger Fakultät gekommen, die Kollegen waren „fast ausnahmslos zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre älter“ 44. Im Rektorat arbeitete er jetzt mit Jüngeren zusammen, mit dem sogenannten Mittelbau vor allem bzw. mit der Assistentenschaft, von denen damals starke Reformimpulse ausgingen, aber auch mit dem Teil der Studierendenschaft, der sich den Mühen einer demokratischen Erneuerung unterziehen wollte 45. Rendtorff beharrt im Rückblick zurecht darauf, dass seine Politik als Rektor nicht aus Rechtsbrüchen bestand, wie ihm von konservativer Seite vorgeworfen wurde und wird, sondern sich völlig im Rahmen des geltenden Rechts vollzog, allerdings eines demokratisch verstandenen und demokratisch wahrgenommenen Rechts. Die Auseinandersetzung mit Haltungen und Institutionen, die den Nationalsozialismus möglich gemacht hatten und die Aufarbeitung seiner Folgen, darum ging es Rendtorff auf allen Feldern seines Wirkens, und die Bereiche Hochschulpolitik und Politik gehörten notwendig dazu. 4. Der Organisator des Dialogs Im Frühjahr 1963 kam Rendtorff mit einer Gruppe von Studenten zum ersten Mal nach Israel. Er nennt diese Begegnung den “Eintritt in eine neue Welt“ 46, ja „das wichtigste und prägende Erlebnis meines Lebens“ 47. Es ist als erster Isac Seeligmann, den er von Kongressen her kennt, der ihn dort begrüßt, in sein Haus einlädt und ihn Freunden und Kollegen vorstellt. Es entstehen Freundschaften mit ––––––––––––––––––––––

Kontinuität im Widerspruch 77. S. dazu bes. den Brief von Christian Wolff in: Prisma Rendtorff (s. o. Anm. 3). 46 Kontinuität im Widerspruch 78. 47 R.R., Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll, in: M. Haarmann u.a. Hg., Momente der Begegnung. Impulse für das christlich-jüdische Gespräch, FS B. Klappert, NeukirchenVluyn 2004, 321-324 (324). 44 45

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vielen jüdischen Bibelwissenschaftlern. Rendtorff ist von da an häufig in Israel, geht dort regelmäßig in Synagogengottesdienste und fühlt sich dabei in einer Weise zu Hause, wie er es seit den häuslichen Andachten seiner Kindheit in keinen religiösen Zusammenhängen mehr getan hat.48 Alles Weitere geht von hier aus. Er ist an allem beteiligt, was in den nächsten Jahrzehnten die christlichen Kirchen und ihre Theologie verändern wird. Dennoch wird man, will man die hier angestoßene neue „Grundmelodie“ seines Denkens 49 verfolgen, zwei Themen herausheben müssen. In seiner eigenen Wissenschaft hat er wie kein anderer zu einem neuen Bild des ersten Teils der christlichen Bibel beigetragen. Und er ist – ebenfalls wie kein anderer – zum Organisator des Dialogs geworden. Bis heute bestimmen die von ihm (mit-)geschaffenen Institutionen das Feld. Rendtorffs inhaltliche Beiträge zum Dialog sind darauf bezogen und davon nicht zu trennen. Vor und unabhängig von ihm 50 gab es die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die sich seit Ende der 40er Jahre um die notwendige Zusammenarbeit bemühen, wie ihr Name sagt. Dass es um einen tiefgreifenden Umbau der christlichen Theologie, um eine neue christliche Identität gehen muss, war – jedenfalls zunächst – nicht in Sicht und schon deshalb nicht ihr Thema. Entsprechende Anstöße kamen (von Ausnahmen abgesehen) nicht von hier. Und da ist die Arbeitsgemeinschaft beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, von der seit 1961 wesentliche Impulse für ein verändertes christlich-jüdisches Verhältnis ausgingen. 51 Hier ist er seit Ende der 60er Jahre ––––––––––––––––––––––

Kontinuität im Widerspruch 97. Kontinuität im Widerspruch 100. 50 Zu den Anfängen s. M. Stöhr, Ökumene, Christlich-jüdische Gesellschaften, Akademien und Kirchentag. Zu den Anfängen des jüdischchristlichen Dialogs, EvTh 61, 2001, 290-301. 51 Vgl. G. Kummer, In die Haare, in die Arme. 40 Jahre Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“, Gütersloh 2001. 48 49

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Mitglied und arbeitet bis in die neunziger hinein mit.52 So wichtig die AG war und ist, sie war wie der Kirchentag im Ganzen gerade kein Ereignis innerhalb der Institution Kirche. Was hier begann, musste innerhalb der Institutionen aufgenommen werden, um wirksam zu sein. Genau darauf zielten aber Rendtorffs wesentliche Impulse. Doch zunächst begann es mit Arbeit auf dem politischen Feld 53, für die eigentlich theologischen Fragen brauchte er einen sehr viel längeren Anlauf. Die politische Lage nach seinem ersten Israelbesuch mit deutschen Raketenbauern in Ägypten und der Weigerung der BRD, diplomatische Beziehungen zum Staat Israel aufzunehmen, um wirtschaftliche Verbindungen im arabischen Raum nicht zu gefährden, waren für ihn eine Herausforderung. Er führte eine Fülle von Gesprächen auch im politischen Raum, die in die Planungsphase für die Gründung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft mündeten. Zur effektiven Gründung mit Rendtorff als Vizepräsident kam es aber erst nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1966. Für die Beziehungen zwischen beiden Staaten und Gesellschaften spielt sie bis heute eine wichtige Rolle. Rendtorff selbst ––––––––––––––––––––––

52 Rendtorff hat sich in der AG, wie er gesprächsweise mitteilte, immer ein wenig zwischen den Generationen gefühlt. Er hat zwar wichtige Beiträge geliefert, aber nie eine direkt führende Rolle übernommen. Am Anfang waren noch die „großen Alten“ wie Helmut Gollwitzer dominant. In der Situation nach der Krise aus Anlass des 1. Golfkriegs 1991 (bei der Rendtorff wegen eines USA-Aufenthalts nicht anwesend war), empfand er die AG „als Scherbenhaufen“ und es war für ihn „eine Epoche zu Ende gegangen“ (R.R., Wahrheit reden [o. Anm. 3] 30), wogegen für mich und andere genau das der Beginn der Mitarbeit war. Ich habe die neuen personalen und sachlichen Strukturen mit ihrer Konzentration auf die gemeinsame Arbeit an der Bibel als ausgesprochen fruchtbar und weiterführend erlebt. 53 Das Folgende im Wesentlichen nach seiner eigenen Darstellung in: Kontinuität im Widerspruch 83ff. Zu den Details vgl. außerdem das Interview „Freundschaft mit Israel“ (o. Anm. 3) sowie R.R., Hat sich unser Israel-Engagement gewandelt?, in: A. Baudis u.a. Hg., Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens, FS H. Gollwitzer, München 1979, 155-166.

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brachten Konflikte mit dem israelischen Botschafter Yohanan Meroz um eine Solidarität mit Israel, die auch Kritik an Teilen der Politik zuließ, schließlich dazu, die Gesellschaft zu verlassen und 1977 den „Deutsch-Israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten“ (DIAK) zu gründen. Diese Spannungen belasteten auch manche der erwähnten Freundschaften mit israelischen Kollegen. Zwi Werblowsky schrieb ihm zum 65, Geburtstag, dass er und andere sich nicht leicht, aber schließlich doch überzeugen ließen, „dass in der kritischen Solidarität die Kritik ernst war, doch die Solidarität entscheidend.“ 54 In der von sehr viel Jüngeren geprägten DIAK war er bis 1986 aktiv tätig, wirkte danach weiter als Ehrenvorsitzender. Wie stark aber, bei aller Kritik, die Solidarität mit dem Staat Israel vorrangig war, zeigt sich noch in einer seiner letzten öffentlichen Äußerungen, in der er sich deutlich gegen wachsendes Unverständnis für das Besondere in den deutschisraelischen Beziehungen wie überhaupt für Israels Lage und der daraus entspringenden Politik in der „Evangelischen Akademikerschaft“ wandte. 55 Für Rendtorffs Verbindung von inhaltlich-biblischen Impulsen mit kirchenpolitisch-organisatorischem Engagement ist sein Wirken in der Studienkommission „Kirche und Judentum“ der EKD entscheidend geworden. Von hier gingen die grundlegenden Impulse aus, die in den nächsten Jahrzehnten fast alle Landeskirchen erreichten, ein breites Diskussionsfeld auslösten und zu kirchlichen Entscheidungen führten. Rendtorff hat im Detail über die Vorgeschichte und die kirchenpolitischen Rahmenbedingungen der ersten Studie berichtet. 56 Die rheinische Landessynode hatte, angestoßen durch einen Antrag von Heinz Kremers, schon 1965 ––––––––––––––––––––––

54 In: Prisma Rendtorff (o. Anm. 3), zitiert in: Kontinuität im Widerspruch 87f. 55 R.R., Keine ungetrübte Sicht (2009; o. Anm. 25). 56 R.R., Neue Perspektiven im christlich-jüdischen Gespräch, in: E. Brocke / H.-J. Barkenings, „Wer Tora vermehrt, vermehrt Leben“, FS

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die EKD gebeten, eine Studienkommission zum Verhältnis der Kirche zum Judentum einzurichten. Das erfolgte dann 1967. Nach jahrelanger Arbeit wurde ein offizieller Auftrag zur Erarbeitung einer Studie erteilt und sie unter dem Titel „Christen und Juden“ 1975 vom Rat der EKD verabschiedet 57. Offiziell war Günther Harder Vorsitzender dieser Kommission 58. Doch Rendtorff bezeichnet sich selbst als „federführender Mitverfasser“ 59 und Martin Stöhr erinnert sich als Mitglied der Studienkommission, dass Harder die meiste Zeit krank war und Rendtorff die Dinge energisch in die Hand nahm, energisch auch gegen Versuche, das Erreichte zu torpedieren 60. Die Bedeutung der hier geleisteten Grundlagenarbeit ist gar nicht zu überschätzen. Rendtorff hat immer wieder betont, wie wichtig, aber auch ungewohnt es war, nicht mit den gegenwärtigen Beziehungen und damit mit den Differenzen anzufangen, sondern an den Beginn die Würdigung der „gemeinsamen Wurzel“ zu stellen, von da aus dann „Das Auseinandergehen der Wege“ in den Blick zu nehmen und erst in einem dritten Schritt über „Juden und Christen heute“ zu handeln. 61 Damit wurde ein Fundament geschaffen, auf dem weiter gebaut und an das auch bei neu auftauchenden Problemen angeknüpft werden konnte. Und dieses Fundament ist sicher ganz entscheidend durch Rendtorffs Art, Theologie zu treiben geprägt worden: ––––––––––––––––––––––

Heinz Kremers, Neukirchen-Vluyn 1986, 3-14; vgl. a. ders., Hat denn Gott sein Volk verstoßen? Die evangelische Kirche und das Judentum seit 1945. Ein Kommentar, München 1989, 54ff. 57 Eine Studie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, hg. im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei, Gütersloh 1975. 58 Ebd. 57. 59 Hat denn Gott (o. Anm. 56) 65. 60 So in einer E-Mail an mich vom 15.10.2014. Stöhr erinnert sich vor allem an einen „Fundamentalprotest“ von Ferdinand Hahn, der fast nie anwesend war und der auch die schriftlichen Entwürfe nicht kommentiert hatte, am Ende aber verlangte, den entscheidenden Entwurf völlig zu verwerfen. 61 So der Aufriss von „Christen und Juden“ (o. Anm. 57).

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nüchtern, immer zunächst prinzipiell historisch ausgerichtet 62, aber im Historischen auf die wesentlichen theologischen Fragen konzentriert, immer eindeutig und klar, aber auch vorsichtig und bedacht, immer entschieden und doch fähig, andere wahrzunehmen und so einen breiten Kommunikationsprozess anzustoßen, auszuhalten und zu einem Ende zu führen, stets bestimmt von der Gewissheit, dass es Schritte ins Neue und Ungebahnte geben müsse, aber dennoch die (kirchen-)politischen Möglichkeiten realistisch vor Augen. Diese Studie ist ein erster Schritt dazu, das reformatorische sola scriptura gegen den mainstream der Kirchen- und Theologiegeschichte gerade auch für die fundamentale Frage nach der Beziehung zum Judentum gelten zu lassen, ja allererst zu gewinnen. Rendtorff hat zur Verbreitung und Wirkung des in der Studie Erarbeiteten erheblich beigetragen. Unmittelbar von der Studienkommission angestoßen sind Projekte wie die Herausgabe von Predigtmeditationen 63, wo er sich regelmäßig beteiligte 64; das von ihm selbst herausgegebene Arbeitsbuch zur Studie 65 sowie die umfassende Dokumentensammlung „Die Kirche und das Judentum“ 66. Der hier dokumentierte Weg besonders der evangelischen Kirche ––––––––––––––––––––––

62 Dabei haben für ihn offenbar Anregungen Krister Stendahls eine entscheidende Rolle gespielt, dessen Satz „Am Anfang lief etwas schief“ er immer wieder zitiert, dazu u. S. 174. 63 Predigen in Israels Gegenwart. Predigtmeditationen im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs, hg. im Auftrag der Studienkommission der EKD von A. H. Baumann u. U. Schwemer, Gütersloh 1986 (u.ff). 64 Etwa zu Dtn 7,6-12, in: Bd. 1, 1986, 77-84; zu Ex 20.1-17, in : Bd. 2. 1988, 107-115; zu Lukas 24, 13-35, in: Bd. 3, 1990, 87-94. 65 R.R. Hg., im Auftrag der Studienkommission Christen und Juden, Arbeitsbuch Christen und Juden. Zur Studie des Rates der EKD, Gütersloh 1979, 4. Aufl. 1986. 66 R.R. u. H. H. Henrix Hg., Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1985, Paderborn / München 1988. Dazu siehe den Beitrag von H.H. Henrix, Die jüdischen Wurzeln wiedergewinnen. Zum theologischen Profil Rolf Rendtorffs – Ein Gedenken, KuI 29, 2014, 99-107 (99-101).

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wird dann von Rendtorff ausführlich dargestellt und kommentiert. 67 Mit all dem nahm die Diskussion um die Notwendigkeit einer theologischen Revision bis dato selbstverständlicher und als biblisch behaupteter christlicher Lehren langsam Fahrt auf. Dass die meisten Landeskirchen mit der Rheinischen Synodalerklärung von 1980 an der Spitze in den folgenden Jahren und Jahrzehnten das Thema aufgriffen und zu eigenen Erklärungen und meist auch zu einschlägigen Verfassungsänderungen kamen, ist ohne diese Grundlage kaum zu denken. Dabei wurden dann auch zwei Fragen thematisiert, die Rendtorff selbst nicht zuletzt auf Grund jüdischer Kritik 68 als die entscheidenden Lücken der Studie deutlich benannt hat: Es fehlt ein eindeutiges Schuldbekenntnis der christlichen Seite für die Rolle, die einschlägige Lehren und das dem entsprechende Verhalten gegenüber dem Judentum in der europäischen Geschichte, und gesteigert noch in der kurz zurückliegenden deutschen Geschichte gespielt haben. Klar wird hier erst im Rheinischen Synodalbeschluss gesprochen. Und es fehlt zum anderen eine eindeutige Absage an jede Form von Judenmission. Dazu mussten in der Folgezeit zunächst weitere grundlegende theologische Themen aufgegriffen werden und es musste vor allem eine Änderung in der Wahrnehmung zentraler neutestamentlicher Texte erfolgen. Das geschah gerade auch bei der Weiterarbeit der Studienkommission. Die zweite Studie wurde, nun unter dem offiziellem Vorsitz von Rendtorff, erarbeitet und konnte 1990 erscheinen. Theologisch ging es hier vor allem um den Begriff des Volkes Gottes und damit über das Verhältnis von Israel und Kirche. Entgegen einer verbreiteten Sicht in der christlichen Theologie, die das christliche Selbstverständnis stark prägte, wird im Neuen Testament ––––––––––––––––––––––

R. R., Hat denn Gott sein Volk verstoßen? (o. Anm. 56). Etwa: N. P. Levinson, Ein zweifelhaftes Rosch-Haschana-Geschenk, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung v. 19.9.1975. 67 68

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die entstehende Kirche nicht mit Bezeichnungen wie „Israel / neues Israel“ o.ä. bezeichnet und nur selten und als Ausnahme als „Volk Gottes“. Beides bleibt vielmehr dem jüdischen Volk vorbehalten. Daraus muss folgen, dass „das Selbstverständnis der Kirche so zu formulieren ist, dass dasjenige des jüdischen Volkes nicht herabgesetzt wird“. Zudem wird festgehalten, dass „der Begriff ‚Volk Gottes‘ allein die Kirche Jesu Christi nicht theologisch zureichend kennzeichnen kann.“ 69 Bei der Weiterarbeit der Kommission, die dann zur Studie „Christen und Juden III“ von 2000 führte, war Rendtorff nicht mehr dabei. Zentral war hier, wie am Ende der Studie II gefordert, die Arbeit am Begriff des Bundes. Das Ergebnis der Arbeit war, dass die biblische Verwendung des Bundesbegriffs, auch die im Neuen Testament, nicht das Bild ergibt, das sich in der Verwendung der Sprache von Neuem vs. Altem Bund, resp. Neuem vs. Altem Testament nachbiblisch eingebürgert hat. Rendtorff hat das Ergebnis zum Thema Bund nachdrücklich begrüßt. 70 Von seinen weiteren Aktivitäten bei der Erneuerung des Verhältnisses zum Judentum, man denke etwa an seine Beteiligung an der Entstehung der „Hochschule für Jüdische Studien“ in Heidelberg 71 oder seine Anstöße für wichtige

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Christen und Juden II. Zur theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum. Eine Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 1991, 54f. 70 R.R., Ein weiterer großer Schritt vorwärts. Christen und Juden III, KuI 15, 2000, 171-180. Er kritisiert dann (ebd. 177f), dass es nicht zu einer eindeutigen und expliziten Absage an die Judenmission gekommen ist. Partiell liegt das daran, dass für R. hier ein „grundsätzlich“ anderes Problem als bei dem Thema „Bund“ vorliegt (178), während mir und anderen Beteiligten die Aussagen zum Thema Bund so klar und entscheidend erschienen, dass jeglicher Form von Judenmission theologisch damit grundsätzlich der Boden entzogen war. 71 Gründungsdatum 1979. 69

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akademische Ereignisse, etwa zur einschlägigen Ringvorlesung „Auschwitz – Krise der christlichen Theologie“ 72 in Heidelberg (Wintersemester 1979/80), seien jedenfalls noch zwei genannt, die bis heute von besonderer Bedeutung sind: - Da ist einmal das Programm „Studium in Israel“, das seit 1978 Studierende der Evangelischen Theologie ein Studienjahr in Jerusalem mit Studium in der Landessprache an der Hebräischen Universität vermittelt 73. Rendtorff war hier neben Martin Stöhr an der Planung beteiligt und hat lange Jahre im tragenden Arbeitskreis der Organisation mitgewirkt. Wenn man auch nur einen Bruchteil der Beteiligten im Auge hat und ihr heutiges Wirken in der Breite von Theologie und Kirche kennt, so kann man die Bedeutung für die Erneuerung und Veränderung kaum überschätzen. - Da ist zum anderen die Entstehung der Zeitschrift „Kirche und Israel“, deren erstes Heft 1986 erscheint. Das Unternehmen wird von einem großen Kreis von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen getragen 74 und ist zweifellos das zentrale Organ für das christlich-jüdische Gespräch im deutschen Sprachraum. Rendtorff war geschäftsführender Herausgeber und blieb erkennbar durchgängig so etwas wie der spiritus rector. In all diesen Zusammenhängen war Rendtorff naturgemäß nie allein tätig und auch keineswegs immer führend oder federführend. Aber er hat entscheidende Anstöße gegeben, hat jeweils die Zeichen der Zeit, ihre Notwendigkeiten und Möglichkeiten erkannt, hat organisiert und inspiriert. Es ging ihm hier – anders als bei seinen exegetischen Arbeiten – nicht (nur) um seine eigenen Erkenntnisse, sondern ––––––––––––––––––––––

72 R.R. u. E. Stegemann Hg., Auschwitz – Krise der christlichen Theologie. Eine Vortragsreihe, München 1980. 73 Vgl. dazu M. Stöhr Hg., Lernen in Jerusalem – Lernen mit Israel. Anstöße zur Erneuerung in Theologie und Kirche, VIKJ 20, Berlin 1993. 74 Das erste Heft nennt 44 Namen.

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immer um die der Kirche, oder jedenfalls von Menschen und Gruppen. Die von ihm gewollte Wirkung brauchte Gemeinsamkeit. Und er hat damit viel erreicht. Die Kirchen haben sich bewegt, es ist an uns, dass sie in Bewegung bleiben. 5. Das Alte Testament II Die Zuwendung zum Judentum hat Rendtorffs Arbeit am Alten Testament verändert. Diesen wachsenden Einfluss zeigen beispielsweise die drei Bände mit seinen gesammelten Aufsätzen sehr deutlich 75. Und mit diesem Wandel beeinflusst er einerseits die gesamte internationale alttestamentliche Wissenschaft und steht andererseits zugleich repräsentativ für breite neue Forschungsansätze. An drei Punkten soll die veränderte Fragestellung, ihr Zusammenhang mit dem Verhältnis zum Judentum und die Bedeutung für den christlichen Umgang mit dem Alten Testament gezeigt werden. Die drei Themen – samt dem nötigen längeren Anlauf zum dritten – markieren zugleich entscheidende Schritte in seiner eigenen theologischen Entwicklung. a. Da ist zunächst der kleine Aufsatz „Das ‚Ende‘ der Geschichte Israels“ 76. Er wurde 1972, also während seines Heidelberger Rektorats, im „Arbeitskreis des Neukirchener Kommentars“ mündlich vorgetragen und 1975 publiziert. Die wenigen Seiten zielen auf eine tragende Säule der christlichen alttestamentlichen Wissenschaft, und haben, jedenfalls für die, die Ohren haben zu hören, große Teile des Gebäudes in den Grundfesten erschüttert. ––––––––––––––––––––––

Der Band: Gesammelte Studien zum Alten Testament, ThB 57, 1975, enthält Beiträge aus den Jahren 1954-73; Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen 1991, versammelt Texte von 1981-91; und: Der Text in seiner Endgestalt. Schritte auf dem Weg zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen 2001 finden sich Aufsätze von 1991-2000. 76 In: Gesammelte Studien [o. Anm. 75] 267-276. 75

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Zunächst geht es um die Widerlegung einer These aus Martin Noths „Geschichte Israels“. Danach hörte „Israel“ mit dem Aufstand gegen Rom 66-70 n. Chr. „zu bestehen auf und die Geschichte Israels fand ein Ende“ 77. Noths Darstellung der Geschichte Israels ist zentraler Bestandteil eines breiten Konsenses in der alttestamentlichen Wissenschaft, der sich auf Grundlage der Arbeiten von A. Alt vor allem durch Noths und v. Rads Wirken gebildet hatte. Mit ihm wuchs Rendtorff auf 78 und meine Generation auch noch. Auch in der neuen positiven Wertung des Alten Testamentes für christliche Theologie und Kirche, wie sie durch v. Rads Arbeiten im Kirchenkampf entstand, lief die positive Linie des Alten Testaments allein auf Christus zu, während das nachbiblische Judentum nach wie vor negativ bewertet wurde. Die Rede vom „Ende Israels“ ist „der Versuch, dem Judentum abzusprechen, dass es ein legitimes Recht auf (die) Inanspruchnahme des Alten Testaments habe.“ 79 Noth hat es besonders radikal formuliert, es gibt aber bei vielen anderen sachliche Entsprechungen in anderer Begrifflichkeit. So spricht v. Rad davon, dass die „Heilsgeschichte über“ Israel „stillstehen“ musste. „Dieses Israel hatte keine Geschichte mehr, jedenfalls keine Geschichte mit Jahwe.“ 80 Ein solches Konzept setzt – das Antijüdische eher verstärkend – das fort, was sich mit der Entstehung historisch-kritischer Bibelwissenschaft innerhalb christlicher Theologie ausgebildet hat. Das vorneuzeitliche und unhistorische Konzept, wie es etwa in der oben zitierten Predigt von Heinrich Rendtorff erscheint 81, wonach die Ablehnung des Christus zur Verwerfung des Judentums führte, wurde historisiert. Klassisch bringt es ––––––––––––––––––––––

M. Noth, Geschichte Israels, Göttingen 1950 (21954; 41959 u.a.) 400. 78 Vgl. bes. R.R., Nach vierzig Jahren (o. Anm. 3) 30ff. 79 Ende der Geschichte 273. 80 G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments Bd. I. Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen (1957), 6. Aufl. München 1969, 105. 81 S. o. Anm. 11. 77

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Wellhausens Konzept von „israelitischer und jüdischer Geschichte“ zum Ausdruck 82, mit einem deutlichen Bruch zwischen beiden Größen. Jesus, das Neue Testament und die christliche Theologie können – und müssen – danach über das Judentum und über den garstigen Graben der alttestamentlichen Spätzeit und der zwischentestamentlichen Zeit hinweggreifen, um legitim an das Alte Testament anknüpfen zu können. Klaus Koch hatte bereits 1970 auf die Probleme einer solchen historischen Konstruktion verwiesen und von „Prophetenanschlusstheorie“ gesprochen 83. Ihm ging es am Thema der Apokalyptik um die historische Kontinuität. Rendtorff fasst die Frage jetzt grundsätzlicher und das heißt theologisch. Er zeigt konsequenterweise, dass „die geschichtliche Betrachtung“ nicht „an einem bestimmten Punkt abgebrochen werden (darf) zugunsten theologischer Interpretationen, die von außen her an die Überlieferungen herangetragen werden.“ 84 Die kleine Studie hat damals auf mich wie auf andere wie ein Befreiungsschlag gewirkt. Es war deutlich, dass ein Nervpunkt des alten Systems getroffen worden war. Der Angriff erfolgte durch eine konsequent historische Betrachtung, aber verbunden mit einer theologischen Perspektive. Eine der weitreichenden Folgen war eine ganz neue Bewertung der gesamten Spätzeit des Alten Testaments. Sie fand bis dahin historisch kein großes Interesse und theologisch nur ein negatives. So werden Bücher wie Esra und Nehemia in der Theologie v. Rads praktisch nicht behan-

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J. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte (1894), 9. Aufl. Berlin 1958. 83 K. Koch, Ratlos vor der Apokalyptik, Gütersloh 1970, 35ff. 84 Ende der Geschichte 276. 82

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delt. Rendtorff selbst hat sich an der jetzt nötigen Aufarbeitung nachdrücklich beteiligt 85 und eine Reihe wichtiger Studien zu späten Texten vorgelegt. 86 Zugleich wurde damit aber der Raum für eine neue Bewertung der kanonischen Endgestalt der alttestamentlichen Bücher geöffnet, denn dabei geht es ja praktisch immer um die späteste Form der Texte. 87 b. Der nächste große Schritt erfolgte nach seinem Heidelberger Rektorat, als er sich im Wintersemester 1973/74 zu einem Gastsemester an der Hebräischen Universität in Jerusalem aufhielt und dort intensiv an der Frage der Pentateuchquellen arbeitete. Er hatte auf grundlegende methodische Probleme schon vorher aufmerksam gemacht. 88 Jetzt sandte er uns, dem Kreis der Heidelberger Assistenten im Fach, eine formgerechte Todesanzeige des „Jahwisten“ zu, also der seit mehr als einem Jahrhundert praktisch unbestrittenen grundlegenden „Quellenschrift“ des Pentateuch. Im Sommer 1974 trug er auf dem Alttestamentler Kongress in Edinburgh sein wichtigstes Ergebnis vor: „Es ist klar, dass für den ‚Jahwisten‘ als Theologen hier kein

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85 R.R. Das Bild des nachexilischen Israel in der deutschen alttestamentlichen Wissenschaft von Wellhausen bis von Rad (1988), in: ders., Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 72-80. 86 R.R., Esra und das „Gesetz“, ZAW 96, 1984, 165-184; ders., Noch einmal: Esra und das „Gesetz“, ZAW 111, 1999, 89-91; ders., Nehemiah 9: An Important Witness of Theological Reflection (1997), in: ders., Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 265-271. 87 Ein interessante Folge ist, dass er das Bemühen jüdischer Gelehrter um eine vorexilische Datierung der seit Wellhausen durchgängig als spät angesehenen priesterlichen Texte kritisiert und unverständlich findet, so R.R., Priesterliche Opfertora in jüdischer Auslegung (2000), in: Der Text in seiner Endgestalt (o.Anm. 75) 218 Anm 5. 88 Traditio-Historical Method and the Documentary Hypothesis (1969), in: Proceedings of the 5th World Congress of Jewish Studies Jerusalem 1969, Vol. I., Jerusalem 1972, 5-11,

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Platz mehr ist. Es gibt ihn nicht.“ 89 Seine grundlegende methodische Erkenntnis, die ihn zwingend zu diesem Ergebnis führte, ist die, „dass sich in den verschiedenen Bereichen des Pentateuch ganz verschiedene Bearbeitungsspuren finden“ 90, was der These durchlaufender Quellen entschieden widerspricht. Entsprechende Beobachtungen kann er bereits kurze Zeit später weit über die Frage nach dem „Jahwisten“ hinaus für den gesamten Pentateuch vorlegen. 91 Die Frage nach den dem Pentateuch zugrundeliegenden Quellen war seit der Entstehung historisch-kritischer Arbeit im 18. Jahrhundert ein zentrales Thema der Bibelwissenschaft. Vor allem durch die Arbeiten Julius Wellhausens am Ende des 19. Jh.s entstand ein weithin akzeptierter Konsens, der – jedenfalls in Deutschland – für ein Jahrhundert praktisch nicht mehr hinterfragt wurde und als sicher, ja geradezu als selbstverständlich galt. Für die erwähnte historisch-theologische Harmonie, die sich in den 50er Jahren bildete 92, war das eine der tragenden Voraussetzungen. Überhaupt galten die „Ergebnisse“ der Quellenscheidung und -datierung als Meisterstück und Vorzeigeprodukt der historischen Bibelwissenschaft. Rendtorffs Arbeiten stellten einen besonders wirksamen Schlag gegen sie dar, standen aber nicht isoliert. In auch methodisch vergleichbarer Art und Weise führte die Heidelberger Dissertation von Rainer Kessler über die Querverweise im Pentateuch zur Infragestellung des Quellenmodells 93, und nahezu parallel zu Rendtorffs Arbeit kam H. H. Schmid für ––––––––––––––––––––––

R.R., Der „Jahwist“ als Theologe? Zum Dilemma der Pentateuchkritik, Congress Volume Edinburgh 1974, VT.S 28, 1975, 158-166 (166). 90 Ebd. 162. 91 R.R., Das Überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, 1977; das Vorwort stammt vom Sommer 1975. 92 S. o. S. 160f. 93 R. Kessler, Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb 89

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die Datierung wesentlicher zu „J“ gerechneter Texte zu derartigen Spätdatierungen, dass damit auch das gesamte klassische Modell in Frage stand 94. Innerhalb kurzer Zeit also war ein Grundpfeiler der alttestamentlichen Wissenschaft hinfällig geworden. Als Folge stand naturgemäß eine detaillierte Neuanalyse an mit dem Ziel, neue, überzeugendere Denkmodelle für die Entstehung des Pentateuch zu gewinnen. In dieser Richtung arbeitete Rendtorff nicht weiter. Rein äußerlich zeigt sich das schon daran, dass er die eigenen grundlegenden Aufsätze zur Infragestellung des alten Modells in keine seiner Aufsatzsammlungen aufnahm. Rendtorff überließ die literarhistorische Rekonstruktion der Genese des vorliegenden Pentateuch anderen, wobei insbesondere sein Schüler Erhard Blum erste grundlegende Schritte tat. 95 Rendtorffs Widerlegung der klassischen Quellentheorie verbindet sich, soweit ich sehe, an keiner Stelle ausdrücklich mit den Bemühungen um eine Annäherung an das Judentum. Beides steht für ihn offenkundig zunächst unverbunden nebeneinander. Erst vom nächsten Schritt aus erwies sich rückwirkend diese Kritik als wichtiger und notwendiger Bestandteil der Veränderung christlicher Theologie durch die Annäherung an das Judentum. c. Dieser dritte Schritt verbindet dann im Grunde zwei Projekte miteinander. Statt hinter die Texte zurück zu gehen durch literarische (und historische) Rekonstruktionen, geht es um konsequente Zuwendung zum kanonischen ––––––––––––––––––––––

des vorpriesterlichen Pentateuchs, Diss. Theol. Heidelberg 1972; im Druck unter dem gleichen Titel als: BEATAJ 59, Frankfurt/M u.a. 2015. 94 H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist. Beobachtungen und Fragen zur Pentateuchforschung, Zürich 1976. 95 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, 1984; ders., Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, 1990.

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Endtext. Doch nicht die Arbeit an einzelnen Textkomplexen und Themen ist sein Ziel, sondern es geht von vornherein und durchgehend um das Ganze, um eine, um seine „Theologie des Alten Testaments“. Beide Aspekte werden erstmalig in einem Aufsatz von 1983 miteinander verbunden 96. Konsequent ins Auge gefasst wird das Gesamtprojekt dann 1988. 97 Die beiden Bänder der „Theologie“ erscheinen schließlich dann 1999 resp. 2001 98. Fasst man zunächst die Zeit vor diesen Neuansätzen ins Auge, so wird man das Jahr 1975 als einen Einschnitt für Rendtorffs theologische und exegetische Entwicklung bezeichnen können. In diesem Jahr wurde die Studie „Juden und Christen I“ abgeschlossen, womit langjährige Bemühungen zu einem vorläufigen Ende kamen. Doch zugleich machten deren deutliche Lücken auf umfassende und komplexe Aufgaben aufmerksam. Im gleichen Jahr beendete er seine Kritik an den klassischen Pentateuchquellen. Beides war bis dahin nicht wirklich miteinander verbunden. Aus dem Jahrzehnt, das bis zu der Verzahnung der beiden Themata zu einer ganz neuen Fragestellung vergeht, nimmt er keinen einzigen Aufsatz oder Vortrag in die Sammlungen seiner Studien auf. Ich nehme an, dass die dazwischen liegende Arbeit an zwei Buchprojekten, die jeweils eher umfassende Sammelwerke sind, dabei als Katalysator gewirkt und ihn genötigt hat, frühere Fragestellungen neu zu durchdenken, zu verändern und miteinander zu verbinden. Das eine war das im Anschluss an die Studie ––––––––––––––––––––––

Zur Bedeutung des Kanons für eine Theologie des Alten Testaments (1983), in: ders., Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 54-63. 97 Theologie des Alten Testaments. Überlegungen zu einem Neuansatz, zuerst in: „Ihr sollt eine Befreiung ausrufen im Land“ (Lev 25,10), FS F. Crüsemann, Privatdruck 1988, 1-20 = NGTT 30, 1989, 132-142; auch in: ders., Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 1-14. 98 R.R., Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf. Bd. 1: Kanonische Grundlegung, Neukirchen-Vluyn 1999: Bd. 2: Thematische Entfaltung, Neukirchen-Vluyn 2001. 96

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I begonnene „Arbeitsbuch Christen und Juden“ 99 (1979). In ihm sollten grundsätzlich alle mit dem Verhältnis von Christen und Juden zusammenhängenden Fragen behandelt werden, es war also das Ganze ins Auge zu fassen. Rendtorff selbst hat für eine ganze Reihe von Themen namentlich gezeichnet 100, war aber auch für Konzept und Durchführung des Ganzen verantwortlich. Man wird sich nicht zuletzt die zahlreichen anonym gebliebenen Teile nicht ohne seine Mitwirkung denken können. Das andere war die Arbeit an der „Einführung“ in das Alte Testament (1983). 101 Hier versucht Rendtorff, alle für das Verständnis des Alten Testamentes wichtigen Fragestellungen aufzugreifen. Zunächst zeigt er sich noch einmal als Alttestamentler in klassischer Manier. Das gilt für den I. Teil, wo es um „Das Alte Testament als Quelle der Geschichte Israels“ geht, also um Perspektiven und Erträge historischer Forschung. Das gilt ebenso für den II. Teil „Die alttestamentliche Literatur im Leben des Alten Israel“, wo die Ergebnisse der Formgeschichte mit ihrer Frage nach dem „Sitz im Leben“ dargestellt werden. Nur im umfangreichsten III. Teil, wo es um „Die Bücher des Alten Testaments“ geht und man die klassischen Einleitungsfragen erwartet, will er auf etwas Neues hinaus. Es soll nicht um die Rekonstruktion der literarischen Vorgeschichte, sondern um die kanonische Endgestalt gehen. Dafür muss jedoch schon einleitend konstatiert werden: „Allerdings fehlen zur Durchführung dieses Programms noch wesentliche

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S. o. Anm. 65. So etwa: Das Judentum in seiner Geschichte (16-29); Der Glaube an Gott den Schöpfer im Alten Testament (42-44); Der Glaube an Gott den Erlöser im Alten Testament und im Judentum (49-52); Volk Gottes im Alten Testament (67-68); Geschichte und Vollendung im Alten Testament (98-100) u.a. 101 R. R., Das Alte Testament. Eine Einführung, Neukirchen-Vluyn 1983. 99

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Vorarbeiten.“ 102 Und am Ende steht wieder ein Ausblick auf dringende anstehende Aufgaben. 103 Schrittweise wird also sichtbar, was der unumgänglich gewordene „Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels“ 104 bedeutet und um welche Dimensionen es dabei geht. Zugleich hat die Arbeit an der Breite des Stoffes für das Lehrbuch gezeigt, wo dringender Forschungsbedarf besteht. Für die Verbindung beider Themen kommt ein Drittes dazu. Zunehmend zeigt sich, dass es nicht nur eine vorkritische Dogmatik ist, die das Alte Testament dem Judentum entwindet und allein für das Christentum reklamiert, sondern dass das auf ihre Weise auch die sich so objektiv gebende historisch-kritische Wissenschaft tut, selbst, ja gerade auch in der Gestalt, wie sie bis dato Grundlage von Rendtorffs Arbeit gewesen ist. In einigen Vorträgen aus dieser Zeit werden die Probleme sichtbar. Es muss jetzt um „Die jüdische Bibel und ihre antijüdische Auslegung“ 105 gehen. Den Rückblick auf das 3. Reich und die Berufung der Deutschen Christen auf das Neue Testament (im angeblichen Unterschied zum Alten) gibt er jetzt als Herausforderung an die neutestamentliche Wissenschaft weiter: Sie sei „bis heute den Nachweis dafür schuldig geblieben, dass es tatsächlich ein Missbrauch war.“ 106 Daneben tritt die Kritik an der deutschen alttestamentlichen Wissenschaft. Und sie ist von äußerster Schärfe: Durch diese Wissenschaft „entsteht ein christliches Altes Testament ohne Tora“, ja es hat für sie aufgehört „die jüdische Bibel zu sein“ 107. Damit „die hebräische Bibel als ––––––––––––––––––––––

Ebd. 139. Ebd. 305. 104 So der Untertitel bei K. Wengst, Christsein mit Tora und Evangelium. Beiträge zum Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels, Stuttgart 2014. 105 R.R., Die jüdische Bibel und ihre antijüdische Auslegung, in: ders./E.Stegemann Hg., Auschwitz (o. Anm. 72) 99-116. 106 Ebd. 104. 107 Ebd. 114. 102 103

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Grundlage christlich-theologischer Aussagen über das Judentum“ 108 dienen kann, muss sie einer prinzipiell anderen, einer nicht antijüdischen, möglichst sogar einer gemeinsamen Auslegung 109 unterzogen werden. Die Entdeckung, dass gerade auch die alttestamentliche Wissenschaft aufs engste mit der antijüdischen Ausrichtung der gesamten christlichen Theologie verknüpft ist, wird in derselben Zeit auch von jüdischer Seite nachhaltig zur Sprache gebracht. Es war insbesondere M. H. GoshenGottstein, der das Thema auf demselben Edinburgher Kongress aufgriff, auf dem Rendtorff den Jahwisten zur Strecke brachte. Das gilt eindeutig für die Vergangenheit: „Once the Christian Hebraist has learned the language, he is called upon to ‚clean the Bible‘ on the Spirit of Christianity.” 110 Und für die Gegenwart mit der Zusammenarbeit jedenfalls auf derartigen internationalen Kongressen konstatiert er, dass „the dilemma between the scholarly strife for objectivity and the denominational (or even nationalreligious) committedness is being acted out.“ 111 Etwas später verstärken die Texte von Jon D. Levenson diese Anfragen 112. Rendtorff versucht, sich diesen Herausforderungen zu stellen. ––––––––––––––––––––––

108 R.R., Die hebräische Bibel als Grundlage christlich-theologischer Aussagen über das Judentum, in: M. Stöhr Hg., Jüdische Existenz und die Erneuerung der christlichen Theologie. Versuch der Bilanz des christlich-jüdischen Dialogs für die Systematische Theologie, München 1981, 32-47. 109 Dazu R.R., Wege zu einem gemeinsamen jüdisch-christlichen Umgang mit dem Alten Testament (1989), in: ders., Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 40-53; auch in: EvTh 51, 1991, 431-444. 110 M. H. Goshen-Gottstein, Christianity, Judaism and Modern Bible Study, in: Congress Volume Edinburgh 1974, VT.S XXVIII, 1975, 6988 (74). 111 Ebd. 83. 112 Why Jews Are Not Interested in Biblical Theology (1987); in deutscher Übersetzung (von R.R.): Warum sich Juden nicht für biblische Theologie interessieren, EvTh 51, 1991, 402-430. Als einziges Beispiel sei die Aussage über G. v. Rad zitiert: Er „war von vornehmerer Gesinnung. Statt negativ über das Judentum zu reden, tat er im allgemeinen

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Es kommt ein weiterer Anstoß von außen dazu. In der gleichen Zeit entstand in der angelsächsischen Welt eine neue Debatte über Kanon und Kanonizität. 113 Insbesondere die Zuwendung zum kanonischen Endtext als Basis einer biblischen Theologie durch Brevard S. Childs, wirksam vor allem in seiner „Introduction to the Old Testament as Scripture“ von 1979 114, wurde von Rendtorff aufgegriffen. Diese verschiedenen Impulse verband Rendtorff zu einer grundlegenden Kritik an der bisherigen christlich-wissenschaftlichen Arbeit am Alten Testament und an ihrer Basis in der Literarkritik. Dadurch bekam die Zuwendung zum kanonischen Endtext bei ihm eine theologisch eindeutige Funktion. 115 Seine zurückliegende kritische Arbeit an den sogenannten Pentateuchquellen erhielt gewissermaßen nachträglich einen theologischen Sinn. Bis dahin waren es ja die rekonstruierten Quellenschriften, die allein theologisch befragt und theologisch auslegt wurden, und die sogar christlichen Predigten zugrunde lagen. Das hieß ja faktisch, dass die jüdische Bibel mit ihrer Grundlage in der ––––––––––––––––––––––

so, als ob es nicht existiere.“ (411). Vg. ders., The Hebrew Bible, the Old Testament, and Historical Criticism. Jews and Christians in Biblical Studies, Louisville 1993. 113 Zur Debatte vgl. etwa R.R., Zur Bedeutung des Kanons (o. Anm. 96) 54f. 114 Brevard S. Childs, Introduction to the Old Testament as Scripture, London 1979. 115 Dass das nicht an der kanonischen Exegese als solcher liegt, zeigt nichts deutlicher als der Weg von B. S. Childs, dem Protagonisten der Bewegung, dem auch Rendtorff viel verdankt. Rendtorff kritisiert aus Anlass des Todes von Childs 2007 dessen letztes großes Werk: Biblical Theology of the Old and New Testament, 2 Bde, London 1992 (dt. Übersetzung: Die Theologie der einen Bibel, 2 Bde, Freiburg u.a. 1994/96). Faktisch werde hier die Biblische Theologie mit der christlichen Dogmatik gleichgesetzt. Es ist, sagt er „für mich…nicht nachvollziehbar, wie hier das Alte Testament seiner Identität beraubt wird … Die genuine, jüdische Realität des ‚Alten Testaments’ kommt gar nicht mehr in den Blick.“ (R.R., Brevard S. Childs 1923 – 2007, KuI 23, 2008, 99-102 [101]; ähnlich auch schon in seiner Rezension von 1994, in: JBTh 9, 1994, 359-369 [365.367f]).

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Tora in der christlichen Theologie gar nicht vorkam. Das bestimmt auch noch die Theologie G. v. Rads. Und was für den Pentateuch gilt, gilt auch für andere Bücher. Man denke nur an die Propheten. Gerade hier wird oft nur das als theologisch relevant empfunden, was als authentisch, alt und echt angesehen wird. Amos lässt man mit Nachdruck das „Ende Israels“ (Am 8,2) verkünden (und das in einem Deutschland, das solches „Ende“ ernsthaft betrieben hat), während die danebenstehende, umfangreiche Heilsbotschaft für Israel als theologisch irrelevant beiseite geschoben wird. Natürlich wird man die literarhistorische und historische Rückfrage nach älteren Traditionen und Vorformen nicht per se als antijüdisch ansehen. Nicht die historische Frage ist antijüdisch, wohl aber das Fehlen der Gegenfrage: Denn auch die Frage nach Entstehung, Bedeutung und Verständnis des vorliegenden Endtextes, also nach der jüdischen Bibel, hat ja historische Dimensionen. Und sie ist zweifellos eigentlich die Grundaufgabe der alttestamentlichen Wissenschaft. Daran, dass sie nun stärker ins Zentrum tritt, hat Rendtorff entscheidenden Anteil. d. Nach der Klärung des eigenen Weges konnte Rendtorff sich den nötigen „Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments“ zuwenden, bzw. die anstehenden „Schritte auf dem Weg“ zu einer solchen tun, wie es die beiden Untertitel seiner Aufsatzsammlungen besagen 116. Neben schon genannten grundlegenden und hermeneutischen Arbeiten sind es vor allem Beiträge zu Struktur und Ver-

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S. o. Anm. 75.

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ständnis des Endtextes, die sich hier finden. Für den Pentateuch 117 sei auf Arbeiten zur Schöpfung118, zu herausragenden Gliederungssignalen 119 und zu einzelnen Schlüsseltexten 120 verwiesen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Arbeiten zum Jesajabuch 121, wichtig sind aber auch die zum Ezechiel- 122 und zum 12-Prophetenbuch 123. Thematisch geht es mehrfach um den Bundesbegriff. 124 1999 und 2001 erschienen die beiden Bände seiner Theologie. Er konnte stolz darauf sein. Der erste Band, die „kanonische Grundlegung“ stellt alle alttestamentlichen Schriften in ihrer kanonischen Endgestalt dar. Das Grundprinzip dabei ist – im Anschluss an seinen Lehrer G. v. Rad und konsequenter als dieser – die Nacherzählung. 125 Und für den zweiten Band, der einzelnen Themen nachgeht, gilt im Grunde nicht viel anderes. Sicher sollen dabei

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Directions in Pentateuchal Studies (1997), in: Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 103 -125. 118 „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ Schöpfung und Heilsgeschichte (1987), in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 94-112. 119 „Bund“ als Strukturkonzept in Genesis und Exodus (1989), in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 123-131. 120 Der Text in seiner Endgestalt: Überlegungen zu Exodus 19 (1991), in: Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 71-82. 121 Zur Komposition des Buches Jesaja (1984), in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 141-161; Jesaja 6 im Rahmen der Komposition des Jesajabuches, in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 162-171; Jesaja 56,1 als Schlüssel für die Komposition des Buches Jesaja, in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 172-179; The Book of Isaiah: A Complex Unity. Synchronic and Diachronic Reading (1996), in: Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 126-138. 122 Ez 20 und 36,16ff im Rahmen der Komposition des Buches Ezechiel (1986), in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 180-184. 123 How to Read the Book of the Twelve as a Theological Unity 1997, in: Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 139-151. 124 Was ist neu am „Neuen Bund“? (1988), in: Kanon und Theologie (o. Anm. 75) 185-195; R.R., Die „Bundesformel“. Eine exegetisch-theologische Untersuchung, SBS 160, 1995. 125 R.R., Theologie I (o. Anm. 98) 2. 117

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„die theologischen Profile der Texte herausgearbeitet werden“ 126. Dennoch kann – und vielleicht muss – man fragen, ob man so einfach nur nacherzählen kann, ob es dazu nicht – zumal bei der Komplexität der Texte – klare und reflektierte Perspektiven braucht. Gilt hier wirklich: „Wir brauchen keine besonderen hermeneutischen Mittel, um uns einen Zugang zu dieser Bibel zu verschaffen… Wir lesen die Texte, wie sie dastehen“ 127? Man wird aber zumal angesichts der Vorgeschichte und des langen Weges zu diesem Werk in persönlicher wie theologiegeschichtlicher Hinsicht, deutlich sagen müssen: Hier dient die Wahrnehmung, die Zuwendung und Anerkennung des Judentums durch die christliche Theologie als das alles entscheidende hermeneutische Scharnier. Rendtorff hat aufgewiesen, stellvertretend für viele, wie weit weg, wie unsichtbar die Texte oder doch vieles an ihnen geworden war, obwohl er selbst wie die christliche Theologie im Ganzen immer schon meinte, bei ihnen sein. Seine Bemühungen, „niemals Aussagen über das Alte Testament zu machen, die von einem Juden nicht nachvollzogen werden können“ 128, erforderten große Anstrengungen. Denn die Identifikation mit Israel im Sinne einer Ersetzung oder bestimmte christologische Brillen haben vieles verstellt. Er hat manche Hindernisse weggeräumt und damit eine Grundlage geschaffen, auf der anderes, andere Fragestellungen und andere hermeneutische Zugänge 129 aufbauen können und wohl auch müssen. ––––––––––––––––––––––

126 R.R., Die Hermeneutik einer kanonischen Theologie des Alten Testaments (1995), in: Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 66. 127 R.R., Theologische Vorarbeiten zu einem christlich-jüdischen Dialog (1996), in: Der Text in seiner Endgestalt (o. Anm. 75) 16. 128 R.R. in seiner Rezension von B. S. Childs, Biblical Theology (o. Anm. 115) 368. 129 Es ist ja doch zu fragen, ob der Bruch mit der traditionellen christlichen Identifikation mit Israel im Sinne einer Ersetzung – wenn nicht mit dem allwissenden Erzähler oder gar mit Gott selbst – erfordert, zumindest als Gegengewicht auch bewusst die Perspektive der jeweiligen Nichtisraeliten einzunehmen; vgl. dazu J. Ebach, Hören auf das, was

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6. Auf dem Weg zu einer neuen, zur wahren christlichen Identität Das Verhältnis von christlicher und jüdischer Religion war Rendtorffs Thema. Aber er wusste stets zweierlei: Dass es dabei zuerst und zuletzt nicht um Theologie im Elfenbeinturm ging, sondern um kirchliche Lehre und deren effektives Wirken in der ganzen Breite kirchlicher Praxis. Und er wusste zunehmend, dass das Ziel nichts anderes als eine veränderte christliche Identität sein konnte, dass es galt, „das Christentum neu zu definieren.“ 130 Er wusste, dass wir dabei noch am Anfang stehen und er wusste von Anfang an, dass dabei Themen und Aspekte im Spiel waren, die seine eigenen Möglichkeiten überschritten. Dass es um eine Revision des Christentums gehen muss – aber auch gehen kann! –, hat er von Krister Stendahl gelernt, dem er – und nicht der Begegnung mit dem Judentum als solchem – „die ersten wichtigen Anstöße für meine Beschäftigung mit dem christlichen Verhältnis zum Judentum“ verdankt. 131 Immer wieder zitiert er den Satz Stendahls „Am Anfang lief etwas schief“ von 1967. 132 Es gilt also zurück an die biblischen Anfänge zu gehen. Dem hat er im Ganzen und besonders für sein Fach entsprochen und damit Entscheidendes angestoßen. In vielen thematischen Feldern ist es dabei von der biblischen Grundlage her zu

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Israel gesagt ist – hören auf das, was in Israel gesagt ist. Perspektiven einer „Theologie des Alten Testaments“ im Angesicht Israels, EvTh 62, 2002, 37-53. 130 R.R., Wir müssen unsere jüdischen Wurzeln wiedergewinnen, in: Ch. Kurth / P. Schmid Hg., Das christlich-jüdische Gespräch. Standortbestimmungen, Stuttgart 2000, 46-54 (47). 131 Wir müssen unsere jüdischen Wurzeln (o. Anm. 130) 46. 132 K. Stendahl, Judaism and Christianity. After a Colloquium and a War, HDB 1, 1967, 2-9; dt. Übersetzung (von R.R.) in: ders., Judentum und Christentum. Plädoyer für die Erneuerung ihres gegenwärtigen Verhältnisses, EK 2, 1969, 73-78.

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Klärungen gekommen. Beim zentralen Punkt der Christologie bleibt er selbst bewusst zurückhaltend. 133 „Hier spüre ich auch, wie tief das Umdenken reicht und noch reichen muss, dem wir uns ausgesetzt haben. Ich weiß auch nicht, was dabei nötig und was möglich ist.“ 134 Man kann es auch schärfer sagen, wie es Eberhard Bethge 1988 getan hat: „Die Christologie selbst behielten wir zuerst noch im Hinterkopf. Nun aber lässt sie sich nicht mehr ausklammern.“ 135 Doch Bethge selbst sieht sich gebunden „durch uralte, mehr oder weniger klare Christologien“, stets in der Gefahr, dass „Christus zum Götzen gemacht wird“ 136. Sind wir heute trotz vieler Ansätze und Bemühungen, darin weiter gekommen, Christus nicht mehr als Götzen zu sehen? Ich bin überzeugt, dass es dafür (nur) eine Möglichkeit und eine Verheißung gibt, und das ist genau der Weg, den Rendtorff auf seine Weise immer gegangen ist: immer wieder zurück zu den Wurzeln, den biblischen Texten. Rendtorff war realistisch, und das hatte manchmal auch resignative Seiten. Er beobachtete Rückfälle und nahezu unberührte Teile von Kirche und Theologie. Und er fragte sich und andere, ob wirklich Unumkehrbares erreicht war. Dazu hätte er heute wieder verstärkt Anlass. Wo ist denn heute in der Kirche wirklich ein Ort, an dem über die offenen Fragen und anstehenden Themen miteinander gearbeitet wird? Die Studienkommission ist es jedenfalls seit langem nicht mehr. Es gibt in der Theologie wieder Stimmen, ––––––––––––––––––––––

R.R., Ist Christologie ein Thema zwischen Christen und Juden? (1995/1997), in: ders., Christen und Juden heute. Neue Einsichten und neue Aufgaben, Neukirchen-Vluyn 1998, 132-151. Dazu bes. H. H. Henrix, Zum theologischen Profil Rolf Rendtorffs (o. Anm. 66) 104106. 134 Ebd. 150. 135 E. Bethge, Christologie und das erste Gebot (1988), in: ders., Erstes Gebot und Zeitgeschichte. Aufsätze und Reden 1980 – 1990, München 1991, 69-82 (79). 136 Ebd. 81. 133

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wie man sie für nicht mehr möglich gehalten hat, die das Alte Testament und mit ihnen das Judentum für überholt und überwunden erklären 137. Und die offiziellen Texte zum bevorstehenden Reformationsjubiläum sprechen fast immer so, als wenn es die drei Studien „Christen und Juden“ der EKD nicht gegeben hätte. Die Rechtfertigung hat danach mit dem Alten Testament und den jüdischen Wurzeln nichts zu tun. 138 Soweit ich sehe, ist die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau bisher die einzige, die aus der Änderung ihrer Grundordnung heraus eine offizielle und wirksame Distanzierung von Luthers verbrecherischen Judenschriften für nötig gehalten hat, sowie, und das ist entscheidend, deren Wurzeln in der Tiefe seiner Rechtfertigungslehre offen gelegt hat 139. Ob das den Anstoß gibt, dass andere Kirchen und die EKD im Zusammenhang des anstehenden Reformationsjubiläums ähnlich deutlich reden? 140 Dennoch gilt: Es ist viel erreicht worden und Rolf Rendtorff hat dazu ganz entscheidend beigetragen. Kirche und Theologie haben sich bewegt. Es ist an uns – und dient seinem Andenken –, dass sie in Bewegung bleiben.

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137 Das gilt z.B. für manche der Beiträge in dem Band: Das Alte Testament in der Theologie, MJTh 25, 2013. 138 Zum EKD-Grundlagentext „Rechtfertigung und Freiheit“ s. F. Crüsemann. Allein die Schrift? – Allein die Tradition!, JK 2015/1. 139 Martin Luthers sogenannte „Judenschriften“ im Horizont des EKHN-Grundartikels (1991) und des Reformationsjubiläums (2017), in: Blickpunkte. Materialien zu Christentum, Judentum, Israel und Nahost, Nr. 1 / Februar 2015, 2-4. 140 Nachtrag: Erfreulich in dieser Hinsicht sind die Erklärungen der Synode der EKD vom 11.11.2015 sowie besonders vom 9.11.2016.

Rolf Rendtorff

Das Alte Testament predigen Es scheint mir angemessen, zum Abschluss dieses Bandes Rolf Rendtorff selbst zu Wort kommen zu lassen. Dazu sollen drei seiner Predigten und eine Predigtmeditation abgedruckt werden. Dies ist keine metabasis eis allo genos, kein für einen Wissenschaftler unangemessener Sprung in eine fremde Gattung. Vielmehr ist es meine Überzeugung, dass die Kanzel, auf der man ein Stück weit auch bekennen muss, was man wirklich glaubt und was man für entscheidend wichtig hält, für einen Theologen der Ort der Wahrheit ist. Wahrheit kann immer nur für einen bestimmten Ort und für eine bestimmte Zeit gelten, aber für diesen Augenblick – pro tempore et loco – da gilt es, sie zu erfassen und auszusprechen. Rolf Rendtorff hat sich selbst in hohem Maße als Theologe der Kirche verstanden. Was ich in meinem Beitrag zu seiner „Theologie des Alten Testaments“ in diesem Band deutlich machen wollte, scheint mir von seinen Predigten her nochmals bestätigt zu werden. Wir sehen in den Predigten einen konstanten Wandel: Von allgemeinen Deutungen der Weltgeschichte, zur aktuellen Applikation bis hin zu einer starken Aufmerksamkeit für Israel. Rolf Rendtorff hat gar nicht so selten gepredigt. Weil nur wenige seiner Predigten im Druck erschienen sind, glaubt man dies nicht sogleich. Die von Joachim Miltenberger maschineschriftlich erarbeitete „Bibliographie Rolf Rendtorff. Zum 65. Geburtstag am Mai 1990, zusammengestellt“, Heidelberg 1990, weist zwölf Predigten aus, die überwiegend nur intern vervielfältigt wurden:

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Gen 11,1-9 Predigt über 1. Mose, 11, 1-9: gehalten am 16. Mai (Exaudi) 1968 in der Peterskirche zu Heidelberg, 1986. 6 S. [Mschr. Vervielfältigung] Ex. 19, 6a u. Lev 9, 2b-4.11-12.18b.32-37 Predigt über 2. Mose 19, 6a und 3. Mose 19, 2b-4.11-12.18b.32-37: gehalten am 1. Oktober 1972 (Ordinationsgottesdienst) in der Peterskirche zu Heidelberg, 1972. 4 S. [Mschr. Vervielf.] Dtn 6, 20-24 u. Dtn 6,4 Predigt über 5. Mose 6, 20-24 und 6,4: gehalten am 19. April 1970 (Semestereröffnungsgottesdienst) in der Peterskirche zu Heidelberg (Predigtreihe: Glauben 1970), 1970. 6 S. [Mschr. Vervielf.] Ps 130, 1-4 Predigt über Psalm 130, 1-4: gehalten am 9. November 1988 im ökumenischen Gottesdienst in der Peterskirche zu Heidelberg, 1988. 5 S. [Mschr. Vervielf.] Jes 31, 1 u. 3 Predigt über Jesaja 31, 1 und 3: gehalten am 24. Juni (1. Sonntag nach Trinitatis) 1984 in der Peterskirche zu Heidelberg (Predigtreihe: Zeugnis des Geistes), 1984. 5 S. [Mschr. Vervielf.]. Jes 40, 1-8 Predigt über Jesaja 40, 1-8: gehalten am 12. Dezember (3. Advent) 1982 in der Peterskirche zu Heidelberg, 1982. 4 S. [Mschr. Vervielf.] Jes 51, 9-16 Der eine Gott: (Jes 51, 9-16); [Predigt im Universitätsgottesdienst in der Peterskirche in Heidelberg am 4. Sonntag nach Epiphanias 1979]. In: Israel im christlichen Gottesdienst: Predigten, Ansprachen, Begegnungen; [Wilhelm Dittmann zum 65. Geburtstag am 15. Januar 1980], hrsg. von Peter von der Osten-Sacken. Berlin: Institut Kirche und Judentum 1980. S. 38-42. (Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum; 10) Jes 52, 7-10 Predigt über Jesaja 52, 7-10: gehalten am 18. Dezember (4. Advent) 1983 in der Peterskirche zu Heidelberg, 1983. 4 S. [Mschr. Vervielf.] Jes 62, 1-3.6-7.10-12 Predigt über Jesaja 62, 1-3.6-7.10-12: gehalten am 18. Dezember (4. Advent) 1977 in der Peterskirche zu Heidelberg, 1977. 7 S. [Mschr. Vervielf.] Dan 3, 17f Eine Predigt zum 9. November: [Dan 3, 17f; gehalten am 9. November 1986 in der Evangelischen Akademie Arnoldsheim anläßlich einer Tagung über Karl Barth]. In: Kirche und Israel (KuI) 3, 1988, S. 114-119.

Predigten

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Mt 5, 1-12 Predigt über Matthäus 5, 1-12: gehalten am 8. Mai 1986 (Himmelfahrt) in der Peterskirche in Heidelberg, 1986. 4 S. [Mschr. Vervielf.] Mt 11, 25-30 Predigt über Matthäus 11, 25-30: gehalten am 5. Mai (Cantate) 1985 in der Peterskirche zu Heidelberg, 1985. 4 S. [Mschr. Vervielf.]

Im Universitätsarchiv Heidelberg finden sich im handschriftlichen Nachlass noch zahlreiche weitere Predigten aus vier Jahrzehnten. Ich habe hiervon zwei Predigten und eine Predigtmeditation ausgewählt. (Ich danke der Familie Rendtorff für die Genehmigung, mit dem Nachlass arbeiten zu dürfen, der gerade für die Zeit des Rektorats ein sensibler Bereich ist. Zwei Predigten fallen in diese Zeit.) Ich möchte die Predigten wie auch die Meditation gar nicht kommentieren oder im Detail erläutern. Sie sprechen in dreifacher Hinsicht für sich: Zum einen wird hier deutlich, dass Rolf Rendtorff im Grunde ein frommer Mann war. Was er theologisch gearbeitet hat, hat Wurzeln in seiner tiefen persönlichen Überzeugung und Erfahrung und verbindet ihn fest mit seiner Kirche. Dabei zeichnen ihn auch eine honorige Toleranz und eine demütige Weite aus. Zum zweiten wird deutlich, dass er ein politischer Mann war, der seine Zeit aus der Perspektive der Geschichte des deutschen Volkes betrachtet hat. Zum dritten wird aus seinen Predigten klar erkennbar, dass er sich zunehmend mit dem Judentum auseinandergesetzt hat und dass und wie das Eintreten für die jüdische Tradition sich bis in die Predigt, ja in die Liturgie ausgewirkt hat. (Manfred Oeming)

Rolf Rendtorff 5. Mose 6, 20-24 und 6,4 – Glauben heute 1 Predigt im Semestereröffnungsgottesdienst am 19.4. 1970 Peterskirche Heidelberg „Glauben 1970“ steht auf den Plakaten für den Universitätsgottesdienst dieses Semesters. Das soll gewiss nicht nur ein modischer Reklametrick sein, sondern in diesem Semester soll im Mittelpunkt der Gottesdienste die Frage stehen: Was bedeutet es und was hat es für einen Sinn, wenn wir heute, 1970, sagen: „Credo, ich glaube“. Diese Predigtreihe soll den Versuch machen, über diese Frage Rechenschaft zu geben. Das kann aber nichts anderes bedeuten, als dass ein weiter Kreis von möglichen Antworten abgeschritten wird, dass viele Aspekte von dem, was heute im Bereich der evangelischen Theologie und Kirche gedacht und geglaubt wird, hier zur Sprache kommt. Es wird gewiss kein unisono klingendes Credo sein, was in diesem Semester von dieser Kanzel ertönt. Gewiss ist das auch sonst nicht der Fall; aber es mag in anderen Semestern eher ein zufälliges Nebeneinander – und vielleicht auch Gegeneinander von Stimmen sein, das hier zu hören ist. Diesmal soll es aber ganz bewusst der Versuch sein, in immer neuen Ansätzen und von den verschiedensten Seiten her die Frage nach dem Credo heute zu stellen. Und dazu gehört auch als wesentlicher Bestandteil das Gespräch, das sich an jede Predigt anschließen soll. Gerade bei diesem Versuch ist es ganz unentbehrlich. Denn keiner der Prediger dieses Semesters wird für sich in Anspruch nehmen wollen, dass er zu diesem Thema etwas Abschließendes zu sagen hätte, über das nicht mehr zu diskutieren wäre. Ich empfinde es deshalb als Entlastung für den Prediger, dass er sich der Unabgeschlossenheit dessen, was er –––––––––––––––––––––– 1

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selbst zu sagen hat, ganz bewusst sein darf und die Gemeinde bitten kann, zur Weiterführung und Klärung beizutragen. Mit dem Thema „Credo 1970“ stellt sich als erstes die Frage: Heißt das, dass wir heute unser Credo neu formulieren sollen? Heißt das, dass wir im Jahre 70 ein Credo formulieren sollen, das aus den heutigen Fragestellungen entspringt und für heute gilt? Oder heißt es, dass wir heute darüber Rechenschaft ablegen sollen, wie wir das überlieferte Credo verstehen, verantworten und uns zu eigen machen können? Das ist eine oft gestellte Frage: Müsste nicht jede Zeit, jede Generation, ihr eigenes Credo formulieren, müsste sie nicht für sich selbst sagen und verantworten können, was Inhalt ihres Glaubens ist? Ist es nicht ein falscher Traditionalismus, ja ein Anachronismus, wenn wir in unseren Gottesdiensten ein Credo sprechen, das mehr als anderthalb Jahrtausende alt ist? Aber es erhebt sich dann gleich die Gegenfrage: Gibt es nicht bestimmte Grundelemente, die Inhalt jedes Credo sein müssen? Ist nicht gerade die Kontinuität ein wesentliches Moment im Leben der Kirche? Kämen wir bei dem Versuch, heute ein Credo zu formulieren, über situationsbedingte Formulierungen hinaus? Und würden wir uns heute überhaupt auf ein Credo einigen können? Würden wir nicht in tausend Gruppen und Grüppchen zerfallen, wenn wir uns jeweils um ein heute formuliertes Credo sammeln wollten? Wir werden gut daran tun, wenn wir uns zur Klärung dieser Fragen darauf besinnen, wie es eigentlich zur Formulierung von Glaubensbekenntnissen kommt. Das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis, das wir sonntags im Gottesdienst zu sprechen pflegen, ist das Ergebnis eines langen Bekenntnisbildungsprozesses, der sich über mehrere Jahrhunderte hingezogen hat und aus dem sich schließlich die uns geläufige Form herausschälte. Aber auch diese Bekenntnisbildung hat noch eine Vorgeschichte; denn die Urgemeinde knüpfte ja an das an, was sie

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selbst aus ihrer jüdischen Tradition mitbrachte. Und nicht nur in den Formulierungen, sondern vor allem auch in den leitenden lntentionen war sie bestimmt von ihrer eigenen israelisch-jüdischen Vorgeschichte. Deshalb soll heute am Anfang der Überlegungen zum Credo 70 die Frage stehen, wie es am Anfang unserer eigenen Glaubensgeschichte in der Hebräischen Bibel, die wir das „Alte Testament“ zu nennen pflegen, zu Bekenntnisformulierungen gekommen ist, welches dabei die bestimmenden und gestaltenden Kräfte waren und welche Themen es waren, die zur Bekenntnisbildung drängten. Den ersten Text, den wir vorhin gelesen haben, hat Gerhard von Rad das „geschichtliche Credo“ genannt. Es ist in verschiedenen Fassungen überliefert, die sehr eindrücklich verschiedene Intentionen zeigen, die hier zusammenwirken: Die einen haben wir gehört: „Wenn dich künftig dein Sohn fragt“ – wörtlich heißt es: „Wenn dich morgen dein Sohn fragt“. Rechenschaft gegenüber der kommenden Generation – das ist ein wesentliches Moment, das zur Formulierung dessen nötigt, worauf der eigene Glaube sich gründet! Gerade die Verfasser dieses 5. Mosesbuches waren sich dessen sehr bewusst. Sie sammelten und ordneten viele Überlieferungen, um sie weitergeben zu können, um den Kindern Rede und Antwort stehen zu können, um sie mit hineinzunehmen in das, was Grundlage des eigenen Glaubens war. Nicht um ihnen die Entscheidung abzunehmen! Im Gegenteil! Gerade in diesen Texten steht immer wieder das Heute im Mittelpunkt. Jede Generation muss in ihrem Heute selbst verantworten, worauf sich ihr Glaube gründet. Aber die vorhergehende Generation muss sie dazu instandsetzen, muss ihr gleichsam das Material an die Hand geben, damit sie ihre Entscheidung verantwortlich vollziehen kann. Und was sollen sie nun der kommenden Generation überliefern? Sie sollen ihr eine Geschichte erzählen, genauer: einen zusammenfassenden Geschichtsabriss. Sie sollen ihnen erzählen, wie sie selbst zu dem geworden sind, was sie

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sind – wie Israel zu dem geworden ist, was es ist: „Wir waren Sklaven des Pharao in Ägypten; da führte uns der Herr mit starker Hand heraus aus Ägypten ... um uns hierher zu bringen und uns das Land zu geben, das er unseren Vätern zugeschworen hatte.“ Hier ist eine weiträumige Geschichte in wenigen Sätzen zusammengefasst: Knechtschaft und Befreiung – Führung und Gabe des Landes – diese grundlegenden Ereignisse, in denen Israel das Handeln Gottes erfahren hatte, durch das es sich selbst in seiner Existenz als Volk Gottes konstituiert sah. Und dieses göttliche Handeln hat noch eine Begründung: „um uns das Land zu geben, das er unseren Vätern zugeschworen hatte“. Dieses Handeln war ein Akt der göttlichen Treue, eine Einlösung von Verheißungen an die Väter. Damit sind die wesentlichen Grundelemente dieses Bekenntnisses gekennzeichnet: Befreiung – Führung – Gabe des Landes als Akt der göttlichen Treue gegenüber seinem Volk. So soll es eine Generation an die andere weitergeben: So war es – und darum ist Israel das Volk Gottes – und daraus folgt dann alles Weitere: Daraus folgt, dass Israel seinen Gott liebt „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller seiner Kraft“, und dementsprechend so lebt, wie dieser Gott es haben will. Das Ganze ist ein eindrucksvoller, in sich geschlossener Zusammenhang, der vor allem eines zeigt: Es geht um die Kontinuität der Existenz Israels vor Gott. Das Bekenntnis, das hier formuliert wird, dient der Sicherstellung dieser Kontinuität von einer Generation zur nächsten. Aber es sind noch andere Intentionen und Kräfte, die zur Bekenntnisbildung mitwirken. In einem anderen Text, auch im 5. Mosebuch, erscheint dieses gleiche Credo in einem anderen Zusammenhang. Dort heißt es, dass die Israeliten die Erstlingsgaben der Ernte darbringen sollen, in einer Art Erntedankfest, und dazu vor dem Priester sprechen: „Ich bezeuge heute dem Herrn, deinem Gott, dass

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ich in das Land gekommen bin, das der Herr unseren Vätern zugeschworen hat, es uns zu geben“. Und dann folgt dieses Credo. Hier geht es also nicht um die Weitergabe an die nächste Generation, sondern um ein unmittelbares Bekenntnis vor Gott. Auch hier steht das Bekenntnis der existenz-gründenden Treue Gottes im Vordergrund: „Das Land, das er unseren Vätern zugeschworen hat, es uns zu geben“. Aber es wird gesprochen in einem liturgischen Akt, in dem der Bekennende dies vor Gott selbst ausspricht. Also auch dies ist ein wesentliches Moment des Bekenntnisses: Das bekennende Aussprechen der grundlegenden göttlichen Taten vor Gott selbst. Es sind im Grunde aber nur zwei Seiten der gleichen Sache: Das Bekennen der Treue Gottes vor Gott – und vor den Menschen. Beides gehört zusammen; beide Seiten stehen in Wechselbeziehung zueinander und bilden gemeinsam ein Ganzes. Noch ein drittes Moment zeigt sich bei diesem Bekenntnis. In einem Text im Buch Josua wird dieses gleiche geschichtliche Credo – in einer ausführlichen Form – zitiert als Rede Josuas an das Volk. Und dann wird das Volk aufgefordert, sich zu entscheiden, ob es diesem Gott dienen will, von dem dies alles gesagt wird, oder anderen Göttern. Die Rede Josuas schließt mit dem Satz: „Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen“. Hier zeigt sich die abgrenzende Funktion des Bekenntnisses: Sich zu diesem Gott bekennen heißt zugleich, anderen Göttern abzusagen. Und damit haben wir die Brücke geschlagen zu dem anderen Text, den wir zu Beginn gelesen haben: dem klassischen Text des „Höre Israel“, das „Schma Israel“: „Höre Israel, der Herr unser Gott ist ein Herr“: Das bedeutet zunächst und grundlegend dieses: In einer polytheistischen Umwelt, in der eine Vielzahl von Göttern als selbstverständlich vorausgesetzt wird, bekennt sich Israel zu einem einzigen Gott. Und nicht nur so, dass es den

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anderen Göttern keine kultische Verehrung erweist, sondern immer eindeutiger auch so, dass es die Existenz dieser anderen Götter bestreitet. Das ist aber nicht nur eine sozusagen religionsphilosophische Entscheidung. Es bedeutet zugleich, dass die ganze Welt mit allen in ihr wirkenden Kräften als eine Wirklichkeit verstanden wird. In der polytheistischen Welt gibt es viele Bereiche, für die je verschiedene Götter zuständig sind. Und um in dieser vielschichtigen Wirklichkeit leben zu können, muss der Mensch mit all diesen Göttern kultisch in Beziehung treten. Israel hat einen entscheidenden Schritt getan, indem es diese Vielfalt als Einheit begreifen lernte, als die eine Wirklichkeit, die die Welt dieses einen Gottes ist. Die Geschichte Israels, die Schöpfung der Welt und die Zukunft aller Dinge liegen hier ineinander. Dies Grundbekenntnis Israels und des Judentums wurde auch zur Urzelle christlicher Bekenntnisbildung. Es wird im Laufe dieses Semesters von all den weiteren Elementen die Rede sein, die dann hinzugetreten sind. Aber wir wollen heute bei diesen Anfängen verweilen. Das scheint mir auch deshalb so wichtig, weil wir bei der Frage, was wir heute als Credo verantworten können, immer auch den Weg mitbedenken müssen, der zu dem Punkt geführt hat, an dem wir heute stehen. Und wenn vielen von uns zweifelhaft geworden ist, was wir als Credo heute formulieren und verantworten können, dürfen wir gerade dann nicht in den Fehler verfallen, neue Formulierungen nur aus unserer augenblicklichen und subjektiven Situation heraus finden zu wollen. Wir mussen das, was wir heute sagen können, im Blick auf unsere eigene Herkunftsgeschichte verantworten, wir müssen die Kräfte und Einsichten kennen, die zu früheren Bekenntnisbildungen geführt haben, und wir müssen uns fragen, ob sie für uns noch Bedeutung haben; ob das, was früher aus ihnen heraus formuliert worden ist, heute nach einem anderen Ausdruck verlangt, oder ob diese Einsichten selbst für uns hinfällig geworden und überholt sind.

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Von der alttestamentlichen Bekenntnisbildung her stellt sich uns die Frage, ob wir das auch heute zur Grundlage unseres Credo machen können: „Der Herr unser Gott ist einer“. Ob wir die sammelnde und zentrierende Kraft dieser Einsicht für uns festhalten können, die Kraft, die Wirklichkeit, in der wir leben, als eine zu verstehen. Das scheint mir die grundlegende Frage zu sein; an ihr muss sich dann auch entscheiden, wie wir heute von Gott reden können – und ob wir überhaupt von ihm reden können. Gerade auch diejenigen unter uns, die meinen, das nicht mehr zu können, müssten ihr Sein vor dieser grundlegenden Einsicht verantworten können, vor diesem „Der Herr unser Gott ist einer“. Liebe Freunde, von vielen Fragen, die uns im Blick auf unser heute zu verantwortendes Credo beschäftigen müssen, ist jetzt noch nicht die Rede gewesen. Es sollte ein Anfang sein, oder jedenfalls der Versuch eines Anfangs für unser Gespräch in diesem Semester. Möchte es uns gegeben werden, dass dieses Gespräch uns – dem Einzelnen wie dieser ganzen Gemeinde – zur Klarheit darüber verhilft, wie wir heute verantwortlich sagen können: „Credo, ich glaube“.

Rolf Rendtorff Wahre und falsche Propheten Predigt über Jeremia 28 2 1971 Peterskirche Heidelberg Liebe Freunde, dies ist sozusagen der klassische Text zum Thema „Wahre und Falsche Propheten“. Zwei Propheten stehen einander gegenüber; beide leiten ihre Worte mit dem gewichtigen Satz ein: „So spricht der Herr“ – aber sie verkündigen diametral entgegengesetzte Botschaften. „Unterwerft euch dem König von Babel“, verkündigt Jeremia: „Denn Gott hat Israel jetzt in seine Hand gegeben.“ – „Gott wird das Joch des Königs von Babel zerbrechen, darum leistet ihm Widerstand“, so lautet die Verkündigung Hananjas. Wer hat Recht? Wer verkündigt wirklich das Wort Gottes? Wir können es uns jetzt sehr einfach machen und sagen: „Natürlich hat Jeremia Recht, denn Hananja war ja ein falscher Prophet – aber damit würden wir den Sinn dieses Textes genau verfehlen. Denn das ist gerade das Erregende daran, dass Hananja hier nicht als falscher Prophet bezeichnet wird: Er trägt den Titel „Prophet“ genauso wie Jeremia. Erst die griechische Übersetzung hat aus ihm einen falschen Propheten gemacht; aber sie hat damit dieser Begegnung ihren Stachel genommen – und sie hat etwas getan, was ihr nicht zustand, so wenig wie es uns zustehen würde. Ein Ausleger hat dazu treffend bemerkt: „Das Prädikat Pseudoprophet auszusprechen ist den Propheten vorbehalten.“ Es bleibt also zunächst dabei: Zwei Propheten stehen einander gegenüber und sie verkündigen diametral entgegengesetzte Botschaften. Es geht dabei nicht um irgendein beliebiges Thema, sondern um ein Problem von kaum zu überwindender Grundsätzlichkeit. Vordergründig scheint –––––––––––––––––––––– 2

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es sich nur darum zu handeln, wie man sich gegenüber der Besatzungsmacht verhalten soll – ob man ihre Herrschaft hinnehmen soll oder ob man versuchen soll, sich so bald wie möglich von ihr zu befreien. Aber das ist nur die äußere Seite der Sache. In Wirklichkeit geht es dabei um das Kernproblem des israelitischen Glaubens: um die Kontinuität des göttlichen Heilshandelns. Es geht um die Frage, ob das, was bisher als göttliche Heilszusage an Israel Geltung hatte, auch jetzt noch gilt. Und Hananja hat die Tradition auf seiner Seite – eine Tradition, die sehr gewichtige Stimmen und sehr vielfältige Erfahrungen für sich in Anspruch nehmen kann. Kein geringerer als etwa der Prophet Jesaja hat gut hundert Jahre früher in der Sache genauso gesprochen wie Hananja, und die Psalmen wissen selbst eindrucksvoll von der Gelassenheit zu reden, in der die Stadt Gottes verharren kann, „wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken; wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungeheuer die Berge einfielen“ – Gelassenheit, „denn Gott ist bei ihr drinnen“. Ist Gott noch bei ihr drinnen? Das ist die Frage, die hier zur Entscheidung steht. Hananja bejaht sie leidenschaftlich. Und jener Ausleger hat wiederum Recht, wenn er sagt, man könnte Hananja geradezu als Schüler Jesajas bezeichnen oder gar in ihm den Dichte jenes eben zitierten Psalmes sehen. Jeremia hat anders verkündigt, und seine Verkündigung unterstrich er durch eine Zeichenhandlung, indem er sich ein Joch auf die Schultern legte als Zeichen der Unterwerfung unter Nebukadnezar. Aber als Hananja das Joch zerbricht und dazu sein Heilswort verkündigt, kann Jeremia nichts anderes sagen als „Amen“. Und wiederum haben wir kein Recht, dieses Amen abzuschwächen und zu sagen, es sei garnicht so gemeint gewesen. Der Text sagt ganz deutlich, dass Jeremia hier der Verkündigung Hananjas nichts entgegenzusetzen hatte; er ging seines Weges. So kann es also sein, wenn Wahrheitsanspruch gegen

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Wahrheitsanspruch steht; beiden geht es um die Sache – und niemand hätte das Recht, ihnen das zu bestreiten; beide gehen von der Gewissheit aus, legitimiert zu sein zu dem, was sie tun und sagen. Und beide haben Argumente auf ihrer Seite, wohldurchdachte und kritisch überprüfte Argumente, die aus der Sache selbst gewonnen sind. Wo liegt wirklich die Wahrheit? Liebe Freunde, wenn wir diese Frage weiterdenken in Blick auf unsere Probleme, auf die Situation unsrer Gemeinde und unsrer Kirche heute, dann tun wir gut daran, uns zunächst darüber klarzuwerden, wieweit wir die Situation des Textes auf unsere Situation übertragen dürfen. Gerade wenn wir aus dem Hören auf biblische Texte Weisung für unser eigenes Verhalten gewinnen wollen, müssen wir diese Frage sehr sorgfältig bedenken. Und dabei werden wir uns als erstes klarzumachen haben, dass bei uns auf beiden Seiten keine Propheten stehen. Nicht Jeremia und Hananja sind es, die bei uns einander gegenüberstehen; niemand von uns kann die Legitimation unmittelbarer Beauftragung und Eingebung für sich in Anspruch nehmen, sondern wir sind darauf angewiesen, mit begründeten und überprüfbaren Argumenten darzulegen, was wir zu vertreten haben. Vielleicht verlieren unsere Auseinandersetzungen damit schon einiges von ihrem grundsätzlichen Charakter. Denn es geht ja nicht um die Entscheidung, wo hier in Wahrheit das Wort Gottes ist, sondern wie das Wort Gottes heute unter uns seine ihm angemessene Form findet, und mir scheint, dass daraus sogleich noch etwas weiteres folgt: Es geht bei uns letzten Endes nicht um Alternativen, wir sind nicht in der Situation wie Jeremia und Hananja und ihre Zeitgenossen, dass wir uns zwischen zwei einander ausschließenden Möglichkeiten zu entscheiden hätten. Ja, es könnte geradezu unsere erste und vordringlichste Aufgabe sein, die Alternativen zu überwinden und aus den festen und dezidierten Positionen, in die sich manche von uns be-

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geben haben, herauszutreten – und das hieße nichts anderes als: aufeinander zuzugehen, die Schützengräben zu verlassen und das Gelände dazwischen zu inspizieren, ob es nicht Möglichkeiten bietet, sich gemeinsam dort einzurichten. Wenn wir so den nötigen Abstand von der Situation unseres Textes gewonnen haben, dann können wir uns ihm umso aufmerksamer zuwenden und danach fragen, was wir aus ihm lernen können. Es geht hier um die Tradition, genauer gesagt: um die Frage der Gültigkeit der Tradition in der gegenwärtigen Situation. Hananja vertritt eine Tradition, die sich auf eine breite Basis und auf eine lange Geschichte gottesdienstlicher und prophetischer Begründung stützen kann. Denn die Bewahrung der Stadt Gottes vor ihren Feinden gehörte zu den grundlegenden Elementen des Gottesdienstes im Tempel in Jerusalem, gewiss seit vielen hundert Jahren, und sie war vielfach in Erfahrung bewährt und auch von Propheten immer wieder aufgenommen worden. Aber wenn wir nun die Antwort Jeremias betrachten, dann zeigt sich, dass auch er aus einer Tradition heraus redet. „Die Propheten, die vor dir und vor mir gewesen sind von alters her, die haben gegen viele Länder und große Königreiche geweissagt von Krieg, von Unheil und Pest.“ Es ist die Tradition von Gerichtspropheten, in der Jeremia sich selbst versteht. Er weiß, dass er mit seiner Botschaft nicht alleine steht, sondern dass er Glied einer Kette von Propheten ist, die immer wieder gegen ein falsches Verständnis der Tradition und vor allem gegen eine falsche Sicherheit, die sich auf die Tradition beruft, aufgestanden sind. Es geht also garnicht um die Tradition als solcher, sondern es geht um die Frage, ob jetzt die Zeit der Bewahrung der Tradition ist – oder die Zeit der Kritik und Veränderung. „Prüfet die Zeit“ könnten wir geradezu formulieren. Das hat nichts zu tun mit Konzessionen an den Zeitgeist, sondern es ist die Frage, welche Zeit von Gott her gesehen jetzt ist. Denn Gott hat verschiedene Zeiten – und Jeremia

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hat sein Nein gesprochen zu Aussagen der gottesdienstlichen Überlieferung, die dort ausdrücklich als „ewig“ bezeichnet wurden. Wenn Gottes Zeit da ist, dann gibt es keinen liturgisch legitimierten Anspruch auf Ewigkeit. Aber: wie können wir die Zeit prüfen? Was haben wir für Kriterien dafür? Wenn wir diese Frage an unseren Text richten, dann müssen wir erkennen, dass an diesem Punkt Jeremias Position am schwächsten ist: Er kann kein jetzt anwendbares Kriterium nennen; er kann nur auf die Zukunft verweisen: „Wenn ein Prophet Heil weissagt, dann wird man daran, dass sich sein Wort erfüllt, erkennen, ob ihn der Herr wirklich gesandt hat“. Erst hinterher wird man es erkennen können – nicht jetzt. Dieses Erkennen vom Ende her wird auch deutlich in dem Nachspiel der Begegnung der beiden Propheten. Später – wie lange, wird nicht gesagt – ergeht an Jeremia ein göttliches Gerichtswort gegen Hananja, das sich erfüllt: Hananja stirbt noch im selben Jahr, nachdem Jeremia ihn im göttlichen Auftrag als Lügenpropheten bezeichnet hat. Für den Bibelleser, der beide Texte im Zusammenhang liest, ist jetzt klar, wer der wahre und wer der falsche Prophet war – aber es ist damit kein Kriterium gewonnen, mit dem im Augenblick die Zeit geprüft werden könnte. Erst hinterher werden wir es erkennen können. Das heißt also nichts anderes, als dass wir uns geduldig daran machen müssen, gemeinsam an den Fragen zu arbeiten, die uns jetzt aufgegeben sind, und aufmerksam darauf sehen, was daraus entsteht; dass wir aufmerksam prüfen müssen, ob das, was wir tun, der Kirche dient – das heißt aber nicht in erster Linie: der Kirche als Institution; sondern wir werden gerade diese Frage kritisch mitzubedenken haben: ob und wieweit diese Kirche wirklich Kirche ist und ob sie durch das, was wir tun mehr dazu wird. Wir werden es uns nicht leicht machen dürfen – und vor allem, wir werden das alles nur gemeinsam tun können –

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im Hören aufeinander und ohne uns gegenseitig zu verdächtigen, ohne uns gegenseitig den guten Willen abzusprechen oder dem anderen Heuchelei vorzuwerfen. Denn damit zerstören wir die Grundlagen, auf denen dies alles nur geschehen kann. Es ist hier in den letzten Wochen das Wort zitiert worden: „Einer trage des anderen Last“ – und das ist es wirklich, worum wir uns jetzt mit allen Kräften bemühen müssen. Das kann sehr viel von uns fordern. Es wird bedeuten, dass diejenigen, die im Gottesdienst „organisierte Belanglosigkeiten“ sehen und für die Liturgie nur „Klimbim“ ist, einmal die Last eines langen Christenlebens mit auf sich zu nehmen versuchen, das im Bewusstsein der Verantwortung für diesen Gottesdienst gelebt worden ist, eines Theologenlebens vielleicht, in dem jedes einzelne Stück dieses Gottesdienstes immer wieder durchdacht und in seiner Bedeutung für die Kirche überprüft worden ist. Es kann in der Tat eine Last sein, an dieser Verantwortung zu tragen. Und vielleicht werden die anderen dann erkennen müssen, wieviel von ihrer Kritik auf mangelndem Verständnis für diese Last oder auf schlichter Unkenntnis beruhte. Aber auch die anderen, die in befremdenden Forderungen nur die Ungezogenheiten unausgegorener jugendlicher Revoluzzer sehen, müssen versuchen, die Last derer mitzutragen, die wirklich Kirche wollen, die aber mit wachsender Verzweiflung sehen, wieviele Menschen – und gerade junge Menschen – draußen bleiben, weil sie keinen Zugang zu dem finden können, was sich in unseren Gottesdiensten abspielt. Auch das kann eine Last sein, und ich weiß, dass es für viele wirklich eine Last ist, die zu tragen ihnen schwer wird. Und vielleicht werden die anderen dann erkennen müssen, dass auch bei ihnen vieles von ihrer Kritik aus mangelndem Verständnis und fehlender Einsicht in die wirklichen Probleme dieser Jungen entstanden ist. Es wäre ein großer Schritt vorwärts, wenn wir damit beginnen würden, uns in den anderen hineinzudenken und zu

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versuchen, seine Probleme zu verstehen; wenn wir die Forderungen, die auf dem Tisch liegen, und die schroffen Antworten darauf zunächst einmal beiseite legen würden, nicht um sie dort liegen zu lassen, aber nun erst einmal die Gründe, die uns bewegen, miteinander zu besprechen – und so einer des andern Last zu tragen. Und vielleicht können wir dann aufhören, die „Einen“ und die „Anderen“ zu sagen als Bezeichnung für einander entgegengesetzte Gruppen und nur noch von denen sprechen, die einer des andern Last tragen und sich gemeinsam mit allen Kräften um das bemühen, was heute nottut. Und wir würden dann gewiss auch die Formen für unser Zusammenleben und für unseren gemeinsamen Gottesdienst finden. So könnten wir von neuem wirklich zu einer Gemeinde werden – einer Gemeinde, in der nicht schon von vorneherein alle der gleichen Meinung sind, in der aber alle das gleiche Ziel haben: als christliche Gemeinde in der Wirklichkeit unserer Welt heute Gott zu dienen. Amen

Rolf Rendtorff Predigtmeditation über Dtn 7,6-12 3 6. Sonntag nach Trinitatis 1. Textauslegung Der Text steht innerhalb der Einleitungsreden des Deuteronomiums (Kap. 1-11). Dieses Buch ist die reife Frucht intensiver theologischer Arbeit. Es ist wohl im Laufe des 7. Jh. v. Chr. entstanden und vermutlich mit dem »Gesetzbuch« gemeint, das nach 2 Kön 22,8 zur Zeit des Königs Josia im Jahre 622 gefunden wurde (Die historischen und exegetischen Einzelheiten sind umstritten, vgl. dazu Rendtorff, Einführung, 165 f.). In ihm sind viele der gesetzlichen Traditionen Israels neu formuliert und in einen größeren theologischen Zusammenhang gestellt worden. Was Israel in biblischer Zeit unter »Tora« verstanden hat, erfährt man deshalb am besten hier. Das ganze Deuteronomium ist als Predigt formuliert und zwar als Abschiedspredigt Moses an die Israeliten, bevor er selbst stirbt und sie dann den Jordan überschreiten werden, um in das ihnen von Gott verheißene Land zu ziehen. Der Prediger des 7. Jh. v. Chr. stellt also seine Gemeinde wieder in diese Situation des Anfangs. Er tut dies in einer Krisensituation, in der heidnische, kanaanäische Glaubensvorstellungen und Bräuche in Israel wieder in Mode gekommen waren und auch von der offiziellen Religionspolitik des Königs Manasse gefördert wurden (vgl. 2 Kön 21). Dem stellt das Deuteronomium die Grundforderungen des israelitischen Glaubens an den einen Gott entgegen (vgl. dazu v. Rad, Theologie I, 236 ff.). ––––––––––––––––––––––

Auszüge aus der Predigtmeditation: Predigen in Israels Gegenwart. Predigtmeditationen im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs, hg. im Auftrag der Studienkommission der EKD von A.H. Baumann und U. Schwemer, Gütersloh 1986, 77–84. 3

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In diesem größeren Zusammenhang gehört unser Text zu einer Reihe von Einzelpredigten, die alle das šema' jisra'el, das »Höre Israel« von 6,4ff. entfalten (vgl. v. Rad, Kommentar, 45 ff.). Jede der Predigten hat dabei ihren eigenen Standpunkt. V. 6 bringt eine besonders nachdrückliche Formulierung der Sonderstellung Israels vor Gott: Israel ist ein »heiliges« Volk. Der Ausdruck qadôš wird dabei in mehrfacher Hinsicht näher bestimmt: Israel ist »heilig für den Herrn, deinen Gott«. Die »Heiligkeit« ist etwas, das Israel nicht »an sich« hat, etwa eine Eigenschaft, sondern sie ist von Gott gegeben; er selbst ist es, der Israel »heiligt« (Lev 20,8; Ez 20,12; 37,28 u.ö.). Dass damit eine Aussonderung, eine »Besonderung« Israels gemeint ist, zeigt der unmittelbar folgende Begriff »erwählen« (baḥar). Auch hier ist wiederum wichtig, dass es vor allem die Erwählung zu etwas ist: zum Volk des Eigentums Gottes. Die Ausgrenzung »aus allen Völkern« ist nicht die eigentliche Zielrichtung der Aussage, sondern die Folge der besonderen Ausrichtung auf Gott. Die deuteronomische Predigt hat nun aber noch eine besondere Stoßrichtung. V. 7 beginnt mit einer Negation: »Nicht weil ihr ...«. Offenbar will der Prediger hier ein Missverständnis oder eine falsche Interpretation der Sonderstellung Israels abweisen: »Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle Völker ...«. Gott erwählt sich nicht das größte, sondern das kleinste Volk. Auch in den folgenden Predigten finden wir solche Abweisungen von Missverständnissen: Nicht Israels eigene Kraft war es, die ihm den Besitz des Landes gegeben hat (8,17), und schon gar nicht Israels Gerechtigkeit (9,5). Der Grund ist einzig und allein Gottes Treue zu seiner Verheißung, die er den Vätern Israels gegeben hat (V. 8 f.). Die Herausführung aus Ägypten ist der erste Teil der Verwirklichung der Zusage Gottes (V. 8b). Dann läuft alles hinauf den »Bund« (berít, V. 9b). Er ist in erster Linie eine Selbstverpflichtung Gottes (vgl. Kutsch a.a.O.), so dass »Eid« (V. 8) und »Bund« (V. 9)

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einander entsprechen. Inhalt der Bundeszusage ist, wie der Kontext von 7,1-16 deutlich zeigt, die Gabe des Landes und das gesegnete Leben im Lande. Gott gibt den Bund und er bewahrt ihn – aber er erwartet auch von Israel, dass es seinerseits den Bund »bewahrt«. Für beides wird das gleiche hebräische Verbum gebraucht (šamar). Hier besteht eine Wechselbeziehung und es kommt nun alles darauf an, sie richtig zu verstehen. 7,12 könnte, isoliert gelesen, so verstanden werden, als sei das Halten der Gebote die Vorbedingung dafür, dass Gott seinen Bund hält. Er könnte dann, zusammen mit anderen Texten des AT, dazu dienen, das verbreitete christliche Vorurteil zu bestätigen, dass man sich im Judentum das Heil durch Gesetzeserfüllung verdienen müsse. Aber schon der unmittelbare Kontext macht zweifelsfrei deutlich, dass dies nicht die Meinung des Textes sein kann; denn am Anfang steht immer und ausschließlich Gottes Tun, seine Zusage, sein erwählendes Handeln, seine Selbstverpflichtung. Doch er verschenkt seine Gaben nicht einfach; er erwartet von Israel eine entsprechende Antwort, indem es seinerseits den »Bund«, und d.h. vor allem die im Rahmen dieses Bundes gegebenen Gebote und Weisungen, beachtet und bewahrt. Aber diese Erfüllung der Weisungen ist immer Antwort auf ein vorhergehendes Handeln Gottes, nie umgekehrt. 2. Theologisch-homiletische Überlegungen Der Text ist selbst eine theologisch durchreflektierte Predigt, so dass sich unsere Predigt an seinem Gedankengang orientieren sollte. Die Gemeinde wird angeredet als »Volk des Eigentums« Gottes. Die damit verbundenen näheren Bestimmungen (»heiliges Volk«, »Erwählung«) werden aber schon im zweiten Vers an einen Punkt geführt, wo ein mögliches falsches Verständnis in die richtigen Bahnen gelenkt wird: Grund für die Erwählung ist nicht Israels

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Größe (oder Kraft oder Gerechtigkeit), sondern ausschließlich Gottes Liebe und Treue. Das Bewahren seiner Gebote ist die Antwort darauf. Es stellt sich nun die Frage, wie diese Predigt an Israel in einem christlichen Gottesdienst aufgenommen werden soll. Dafür sind unterschiedliche Ansätze denkbar: – Die Anrede »Du bist ein heiliges Volk« kann unmittelbar an die christliche Gemeinde gerichtet werden ohne ausdrückliche Reflexion darüber, dass sie ursprünglich an Israel gerichtet ist; – die Predigt kann sagen, dass hier Israel angeredet ist, und die christliche Gemeinde davon abgrenzen oder dem gegenüberstellen; – die Predigt kann als Predigt an Israel die christliche Gemeinde mit hineinnehmen. Diese drei Haupttypen des homiletischen Ansatzes entsprechen unterschiedlichen theologischen Konzeptionen über das Verhältnis von Israel und christlicher Gemeinde: – Die christliche Gemeinde tritt an die Stelle Israels (als »wahres Israel«, sog. Substitutionstheorie); – die christliche Gemeinde wird Israel antithetisch gegenübergestellt: Israels Auffassung von Erwählung und Bund ist überholt und »abgetan«; – die christliche Gemeinde ist »durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen«. Die letztgenannte Formulierung entstammt der Erklärung der Rheinischen Landessynode »Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden« vom Januar 1980. Sie wird hier als Ansatzpunkt für die Predigt gewählt. 3. Überlegungen zur Situation Vermutlich ist bei einem solchen Text die Ausgangssituation des theologisch gebildeten (und u.U. verbildeten) Predigers eine andere als die der meisten Gemeindeglieder. Beim Hören der Anrede »Du bist ein heiliges Volk« werden wohl nur wenige Gemeindeglieder denken: Damit

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sind die Juden gemeint, das geht mich nichts an. Schon deshalb sollte der Prediger hier nicht zu Beginn ein Problem aufbauen, das seine Hörer vermutlich nicht haben, Wahrscheinlicher ist, dass einige bibelkundige und/oder gottesdiensterfahrene Gemeindeglieder 1Petr 2,9 mithören. Dort ist aber nichts davon gesagt, dass die Aneignung dieses Wortes durch die christliche Gemeinde voraussetze, dass es zuvor den Juden weggenommen werden müsse. Im Gegenteil: V. 10 spricht davon, dass die Angeredeten vormals »nicht ein Volk« waren und nun »Gottes Volk« sind. So kann auch der christliche Prediger seine »heidenchristliche« Gemeinde anreden: Ihr seid nun »Gottes Volk« – durch Jesus Christus hineingenommen in den Bund, den Gott zuvor schon mit Israel geschlossen hat. Der Gedankengang der deuteronomischen Predigt führt dann gleich auf ein mögliches Vorurteil: Die Juden halten sich selbst für erwählt; das ist doch eine Anmaßung. V. 7 gibt (zusammen mit Dtn 8,17 und 9,6) die biblische Antwort darauf: Nicht euer Verdienst, sondern Gottes Liebe und Treue ist der Grund für die »Erwählung«. Und wenn wir unsere Gemeinde anreden als die, die in diesen Bund mit hineingenommen sind, ist dies auch gleich eine gut neutestamentliche Mahnung an die Christen, sich nicht zu »rühmen«. Ein anderes Vorurteil taucht im Zusammenhang mit V.1012 auf: dass man sich im Judentum durch Gesetzeserfüllung das Heil verdienen müsse. Dazu wurde bei der Textauslegung einiges gesagt. Wenn aber der Gehorsam gegen Gottes Gebot Antwort auf seine Liebe und Treue ist, dann kann auch dies zu Christen gesagt werden. Luther hat die entsprechenden Aussagen aus dem Dekalog im Kleinen Katechismus als Zusammenfassung an den Schluss gestellt und erläutert: »Gott dräuet zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun. Er verheißet Gnade und Gutes allen, die solche Gebote halten; darum

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sollen wir ihn auch lieben und vertrauen und gerne tun nach seinen Geboten.« 4. Beiträge aus der Begegnung mit dem Judentum Hier ist zunächst auf ein wichtiges Hilfsmittel hinzuweisen, das jüdische Traditionen für christliche Leser aufschließen und zugänglich machen will: Peter von der Osten-Sackens Buch »Katechismus und Siddur«, das den Untertitel trägt: »Aufbrüche mit Martin Luther und den Lehrern Israels« (Näheres s. unter Literatur; vgl. dort auch A. Wittstock). Hier werden vielfältige Texte aus der jüdischen Traditionsliteratur ausführlich zitiert und ihre Wechselbeziehungen zu Luthers Auslegungen des Katechismus werden dargelegt. a) Der in unserem Text entfaltete Zusammenhang zwischen Erwählung und Tora kommt darin zum Ausdruck, dass bei der Lesung der Tora im Synagogengottesdienst am Sabbat vor jedem einzelnen Abschnitt (insgesamt werden jeweils sieben Abschnitte gelesen) folgender Segensspruch gesprochen wird: »Gelobt seist du Herr, unser Gott, König der Welt, der uns erwählt hat aus allen Völkern und uns die Tora gegeben.« Es ist für unseren Zusammenhang besonders wichtig, dass die Verlesung der Tora und der Dank dafür die einzige Gelegenheit ist, bei der die Erwählung ausdrücklich genannt wird. b) Dieser Segensspruch steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem ausführlichen Gebet aus dem Morgengebet der Gemeinde am Sabbat: »Mit großer Liebe hast du uns geliebt, HErr, unser Gott, mit großem, überfließendem Erbarmen hast du dich über uns erbarmt. Unser Vater, unser König, um unserer Väter willen, die auf dich vertrauten und welche du Gesetze des Lebens gelehrt,

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begnadige und belehre uns! Unser Vater, barmherziger, erbarmender Vater, erbarme dich über uns und gib in unser Herz, zu begreifen und zu verstehen, zu hören, zu lernen und zu lehren, zu hüten, zu tun und zu erfüllen alle Worte, die deine Lehre (Tora) lehrt in Liebe. Erleuchte unsere Augen in deiner Lehre, hefte unser Herz an deine Gebote, eine unser Herz zur Liebe und Furcht deines Namens, auf dass wir nie und nimmer zuschanden werden. Denn auf deinen heiligen Namen, den großen und furchtbaren, haben wir unsere Hoffnung gesetzt. Wir wollen jubeln und uns deiner Rettung freuen. Bringe uns in Frieden zurück von den vier Enden der Erde, und führe uns aufrecht in unser Land; denn ein Gott, der Rettung schafft, bist du, uns hast du erwählt aus allen Völkern und Zungen und uns deinem großen Namen nahegebracht, Sela, in Wahrheit (Treue) dir zu danken und dich allein in Liebe zu ehren. Gelobt seist du, HErr, der sein Volk Israel in Liebe erwählt hat.« (Deutscher Text nach v.d. Osten-Sacken, 157). c) Auf die immer wieder von Christen aufgestellte These, dass der Bund Gottes mit Israel aufgehoben worden sei, hat Martin Buber eine besonders bewegende Antwort gegeben – bewegend auch deshalb, weil sie aus dem ersten und zugleich letzten öffentlichen »Religionsgespräch« zwischen einem evangelischen Theologen (dem Neutestamentler Karl Ludwig Schmidt, der bald danach als Professor in Bonn entlassen wurde) und einem Vertreter des Judentums stammt, das im Januar 1933 im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart stattfand:

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»Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms, an die mich auch eine Tradition meiner Ahnen bindet; und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber. Wenn ich hinüberfahre, gehe ich immer zuerst zum Dom. Das ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt, Ich umwandle schauend den Dom mit einer vollkommenen Freude. Dann gehe ich zum jüdischen Friedhof hinüber. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich darein, blicke von diesem Friedhofsgewirr zu der herrlichen Harmonie empor, und mir ist, als sähe ich von Israel zur Kirche auf. Da unten hat man nicht ein Quentchen Gestalt; man hat nur die Steine und die Asche unter den Steinen. Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so verflüchtigt hat. Man hat die Leiblichkeit der Menschen, die dazu geworden sind. Man hat sie. Ich habe sie. Ich habe sie nicht als Leiblichkeit im Raum dieses Planeten, aber als Leiblichkeit meiner eigenen Erinnerung bis in die Tiefe der Geschichte, bis an den Sinai hin. Ich habe da gestanden, war verbunden mit der Asche und quer durch sie mit den Urvätern. Das ist Erinnerung an das Geschehen mit Gott, die allen Juden gegeben ist. Davon kann mich die Vollkommenheit des christlichen Gottesraums nicht abbringen, nichts kann mich abbringen von der Gotteszeit Israels. Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden. Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine. Aber aufgekündigt ist mir nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber aufgekündigt ist uns nicht worden«. (Text aus: Versuche des Verstehens, 165) d) Wenn am Schluss der Predigt konkretisiert werden soll, was es denn heißt, Gottes Geboten zu folgen, könnte ein Wort aus dem Talmud Anregungen geben:

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»Es heißt: ›Dem Herrn eurem Gott sollt ihr folgen‹ (Dtn 13,5); ist es denn einem Menschen möglich, Gott zu folgen? Es heißt ja: ›denn der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer‹ (Dtn 4,24)! Vielmehr lehrt dies, daß man den Handlungen des Heiligen, gepriesen sei er, folge. Wie er die Nackten kleidet, wie es heißt: ›und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an‹, so kleide auch du die Nackten. Wie der Heilige, gepriesen sei er, Kranke besucht, wie es heißt: ›und der Herr erschien ihm im Hain Mamre‹, so besuche auch du die Kranken. Wie der Heilige, gepriesen sei er, Trauernde tröstet, wie es heißt: ›und nach dem Tode Abrahams segnete Gott Isaak, seinen Sohn‹, so tröste auch du die Trauernden. Wie der Heilige, gepriesen sei er, Tote begräbt, wie es heißt: ›und er begrub ihn (Mose) im Tal‹, so begrabe auch du die Toten.« (Babylonischer Talmud, Sota 14a, auch zitiert bei Wittstock, 29) 5. Gestaltung der Predigt und des Gottesdienstes Unser Text ist eine Predigt – aber doch eher eine »Lehrpredigt«, die einen theologischen Gedankengang systematisch entfaltet. Deshalb wird auch unsere eigene Predigt eher lehrhaft-thematisch sein müssen. Sie sollte aber nicht apologetisch sein (s. zu 3). Vielmehr sollte sie die Gemeinde hineinnehmen in den Zusammenhang des Bundes Gottes mit Israel, an dem auch wir als »Heiden« durch Jesus Christus Anteil bekommen haben. Dazu könnte das Lied EKG 189 den Einstieg bilden, das auch als Eingangslied vorgeschlagen wird: »Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all ..., daß er euch auch erwählet hat.« Dann stellt sich zunächst die Frage: Wer ist denn hier angeredet? Etwa wir? Die Christen von heute? Die Kirche? Sind wir »erwählt«? Was kann das heute heißen? Im Alten wie im Neuen Testament gehört beides zusammen: Gott

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redet Menschen an, schafft aus ihnen sein Volk, seine Gemeinde; und: das ist nicht in erster Linie Privileg, sondern Aufgabe. »Erwähltsein« heißt: einen Auftrag in der Welt und an die Welt haben. Das bleibt. Solange es Kirche gibt, solange es Christen gibt, haben sie einen Auftrag. Aber das Lied macht uns darauf aufmerksam, dass Gott die Christen nicht zuerst »erwählt« hat. Vielmehr sind sie – sind wir – »Heiden«, die er auch erwählt hat, zu Israel hinzu. Stellen wir uns also mit unserer Gemeinde zu Israel in die »Gefilde Moabs« ein wenig in den Hintergrund, ins »zweite Glied« sozusagen, und lassen wir uns anreden: »Du bist ein heiliges Volk dem Herrn ..., erwählt zum Volk des Eigentums.« Vielleicht könnten wir als Prediger eine Art Dolmetscherfunktion übernehmen und das, was dort von Mose (oder, falls wir das unserer Gemeinde erklären wollen, von dem deuteronomischen Prediger, der hier die Botschaft des Mose erneuert) zu den Israeliten gesagt wird, mit den Worten von 1 Petr 2,9 f. wiederholen und interpretieren. Zum weiteren Gang der Predigt ist schon einiges unter 3 gesagt worden. Die Entfaltung und Akzentuierung hängt natürlich mit davon ab, wie viel in der Gemeinde schon über diese Dinge gesprochen worden ist, oder ob dies gleichsam ein erster Grundkurs in christlich-jüdischen Beziehungen ist. Wiederum sollte das Ganze nicht apologetisch werden; denn was gegenüber einem falsch verstandenen Erwählungsbewusstsein zu sagen ist, sagt einerseits der deuteronomische Prediger schon selbst (V. 7 f.), so dass wir es nicht noch den Juden vorhalten müssen, und andererseits gilt es uns genauso. Zur Notwendigkeit der Gebotserfüllung für die Christen hat Luther außer im Kleinen (und Großen) Katechismus u.a. auch in seinem Lied »Dies sind die heilgen zehn Gebote, die uns gab unser Herre Gott durch Mose, seinen Diener treu ...« (EKG 240) einiges gesagt. Dazu könnte man auch das Lied von Cornelius Becker stellen »Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit« (EKG 190).

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Auch das Wochenlied »Ich bin getauft auf deinen Namen« (EKG 152) spricht vom antwortenden Gehorsam (V. 3) und vom Bund (V. 4.6). Schließlich sagt auch im Evangelium (Mt 28,16-20) Jesus im »Missionsbefehl« zu seinen Jüngern: »und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe«, d.h. unter anderem: das aus der Tora stammende Doppelgebot der Liebe. Zum Schluss könnten wir versuchen, dieses deuteronomische Evangelium von Gottes Bund mit uns und unserem antwortenden Gehorsam ein wenig zu konkretisieren, vielleicht mit Hilfe des unter 4 zitierten Abschnitts aus dem Babylonischen Talmud: Handeln wie Gott selbst, Nackte kleiden, Kranke besuchen, Trauernde trösten, Tote begraben. Das könnte heißen »und danach tun«. Als Schlussgebet bietet sich das Gebet zum Sabbatmorgen »Ahawa Rabba – Mit großer Liebe« an (s.o. unter 4). Literatur Zitierte Kommentare zum Deuteronomium: Dillmann (1886), Steuernagel (21923), v. Rad (ATD 8, 1964). E. Kutsch: Art. berit »Verpflichtung«, in: THAT l, 339 ff. P. von der Osten-Sacken: Katechismus und Siddur, Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum, Bd. 15, 1984. R. Rendtoıff: Das Alte Testament. Eine Einführung, 1983. ders.: Die Erwählung Israels als Thema der deuteronomischen Theologie, in: Fs H.W. Wolff, 1981, 75ff. Versuche des Verstehens. Dokumente jüdisch-christlicher Begegnung aus den Jahren 1918-1933, hrsg. von R.R. Geis und H.-J. Kraus, Theologische Bücherei, Bd. 33, 1966. A. Wittstock: Toraliebe im jüdischen Volk. Theologische Grundlegung und Ausarbeitung einer Unterrichtsreihe für die Sekundarstufe II. Selbstverlag Institut Kirche und Judentum, Berlin 1981.

Autorenverzeichnis Erhard Blum (1953), Dr. theol., Professor für alttestamentliche Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. David Carr (1961), Dr. theol., Professor für Altes Testament am Union Theological Seminary in New York City. Frank Crüsemann (1938), Dr. theol., Professor emeritus für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel. Manfred Oeming (1955), Dr. theol. seit 1996 Professor für alttestamentliche Theologie an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Thomas Römer (1955), Dr. theol, seit 1993 Professor für hebräische Bibel an der theologischen und religionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne, seit 2007 Professor des Lehrstuhls „Milieux bibliques“ am Collège de France, Paris. Werner H. Schmidt (1935), Dr. theol., Professor emeritus für Altes Testament an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn. Christian Wolff (1949), Pfarrer im Ruhestand, studierte an der Universität Heidelberg (1969-1974), wo er 1973/74 Vorsitzender des AStA war; 1992-2014 Pfarrer an der Thomaskirche Leipzig.

WEGWEISENDER ENTWURF EINER THEOLOGIE DES ALTEN TESTAMENTS Rolf Rendtorff Theologie des Alten Testaments – Ein kanonischer Entwurf Band 1: Kanonische Grundlegung 2. Auflage 2011. 416 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-7887-1661-5 Band 2: Thematische Entfaltung 2001. 362 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-7887-1662-2

Dieser wegweisende Entwurf einer Theologie des AT nimmt Einsichten der modernen kritischen Bibelwissenschaft auf, lässt aber stets der Bibel als grundlegender Urkunde unseres Glaubens in seiner Endgestalt das letzte Wort. Der zweite Band unternimmt eine Zusammenschau der Vielzahl und Vielfalt der Stimmen, die im ersten Band aus den Texten des Alten Testaments hörbar geworden sind. Dabei orientiert sich die Darstellung an Themen, die einen weiten Bogen von »Die Welt als Gottes Schöpfung« bis zu »Was erwartet Israel von der Zukunft« spannen. Der abschließende Teil des Buches enthält methodologische Überlegungen zur Frage der »kanonischen« Auslegung sowie über jüdische und christliche Theologie der Hebräischen Bibel / des Alten Testaments.

DAS ALTE TESTAMENT ALS BIBEL ISRAELS

Rolf Rendtorff Der Text in seiner Endgestalt Schritte auf dem Weg zu einer Theologie des Alten Testaments 2001. 300 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-7887-1821-3

Zwanzig Beiträge aus dem letzten Jahrzehnt, davon neun in ihrer englischen Fassung, spiegeln Schritte auf dem Weg zu einer Theologie des Alten Testaments. Zwei grundlegende Aspekte markieren Ausgangspunkt und Wegrichtung: Das Alte Testament ist die Bibel Israels und muss im Bewusstsein des Zusammenhangs mit dem Judentum theologisch ausgelegt werden. Dabei bildet der biblische Text in seiner vorliegenden »kanonischen« Gestalt die Grundlage. Neben hermeneutischen Grundfragen werden exegetische Themen erörtert, darunter die kanonischen Profile biblischer Gestalten wie Mose und Samuel.

IMPULSE FÜR EINEN CHRISTLICHJÜDISCHEN DIALOG

Kirche und Israel Neukirchener Theologische Zeitschrift 2 Hefte pro Jahrgang erscheinen mit insgesamt ca. 190 Seiten ISSN 0179-7239

Die von Rolf Rendtorff begründete Zeitschrift Kirche und Israel bietet Impulse für einen christlich-jüdischen Dialog und leistet so einen Beitrag zum weltweiten Gespräch von Christen und Juden. Wissenschaftler und Experten beziehen Position in aktuellen und historischen Debatten. Themen aus Politik, Kultur und Literatur werden auf die Vielfalt jüdischer Lebenswelten hin befragt, Aspekte jüdischer Kultur und Literatur werden beleuchtet und das Verhältnis von Kirche und Israel wird als eine Hauptspur der theologisch-politischen Diskurse reflektiert.

© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783205207221 — ISBN E-Book: 9783788733575