Eleonore von Aquitanien : Königin von Frankreich und England : Leben und Wirkung einer ungewöhnlichen Frau im Hochmittelalter 3805203349


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Eleonore von Aquitanien : Königin von Frankreich und England : Leben und Wirkung einer ungewöhnlichen Frau im Hochmittelalter
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Jean Markale

Eleonore von Aquitanien Königin von Frankreich und von England Leben und Wirkung einer ungewöhnlichen Frau im Hochmittelalter

Aus dem Französischen von Gerda Kurz und Siglinde Summerer

Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins

ISBN 3 8052 0334 9 Erste deutsche Ausgabe 1980 © by Payot, Paris 1979. Titel der Originalausgabe: »La vie, la légende, l’in­ fluence d’Aliénor comtesse de Poitou, duchesse d’Aquitane, Reine de Fran­ ce, puis d’Angleterre, Dame des Troubadours et des bardes bretons«. Aile Rechte für die deutsche Sprache bei Rainer Wunderlich Verlag Hermann I^eins GmbH & Co., Tübingen. Printed in Germany. Satz studiodruck, Nür­ tingen, Druck und Bindung Mohndruck, Gütersloh.

Inhalt

Vorwort: Die Geschichte und ihre Helden

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1. Die zweifache Königin

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2. Eleonores sonderbare »Scheidung«

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3. Die Königin der Troubadours

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4. Sagen um Eleonore

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5. Von Ginevra zu Melusine

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Anmerkungen

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Literaturhinweise

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E seu sai ren dir nifaire, llh n'aja. I grat, que sciensa M’a donat, et conoissensa, Per qu’eu suis gais e chantaire...

(Und wenn ich singen und sagen kann, So kommt’s mir von ihr, denn wissend Hat sie mich gemacht und Einblick mir gewährt, So daß ich frohgemut bin.) Peire Vidal

Vorwort

Die Geschichte und ihre Helden

Geschichte erweist sich, unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, ob als schlichten Dokumentar- und Er­ eignisbericht, oder, mit der Strukturlehre, als Abfolge von Gesetzmäßigkeiten, u. a. stets auch als ein oder vielleicht so­ gar als das wichtigste Sammelbecken von Mythen und dar­ über hinaus als eine gigantische Heldenberühmungsanstalt. Und zwar notwendigerweise, da die Ereignisse, aus denen sich das Geschichtsgeschehen zusammensetzt, auf menschli­ ches Handeln zurückgehen. Und weil der Vereinfachungspro­ zeß bei der Wiedergabe einer weit zurückliegenden Vergan­ genheit einfaches Spiel hat, hält sich die Erinnerung fast nur an besonders hervorstechende Personen, während die ande­ ren Akteure des großen dramatischen Gemäldes der Verges­ senheit anheimfallen. In den meisten Fällen wird daher der Führer, der nach landläufiger Ansicht die Verantwortung für den Gang der Dinge trägt, im Vordergrund der Szene stehen. Das ist natür­ lich insofern eine Ungerechtigkeit, als er ohne Anhänger und Gefolgsleute nichts ausrichten könnte; aber die Geschichte kann nur das Schema der Ereignisse bewahren, das sich leicht in der Person verkörpert, die den Zusammenhalt eben dieser Ereignisse gewährleistet. Da nun aber das menschliche Ge­ dächtnis dazu neigt, die Fakten zu einem symbolischen Gan­ zen zusammenzufassen, erhält der Führer als Held Symbol­ wert; sein Bild prägt sich dauerhaft ein und eliminiert Details, die die Aufmerksamkeit ablenken und den Zusammenhang, 11

so wie er dargestellt werden soll, nur stören könnten. Damit haben wir bereits die Bedeutung des Helden für den histori­ schen Bericht umrissen: er ist der Angelpunkt, um den sich die Geschichte eines Volkes oder einer Gesellschaftsgruppe dreht. So gesehen, steht die Geschichte dem Epos sehr nahe. Ihr gemeinsamer Ursprung ist auch oft hervorgehoben worden: der Drang, in einer Atmosphäre überhitzten Nationalismus, um nicht zu sagen, Rassismus, die Heldentaten aus alter Zeit in einem festgefügten Bericht zu bewahren und zu überlie­ fern. In der Tat diente das Epos zu einer Zeit, in der es einzig darum ging, den Fortbestand eines bestimmten, von anderen Formen kollektiven Bewußtseins deutlich abgehobenen Ge­ meinschaftsdenkens zu sichern, als archaische Form der Ge­ schichte. Da beide das gleiche Ziel verfolgten, fällt es schwer, sie in diesem frühen Stadium zu unterscheiden, es sei denn daran, daß das Epos spontan, volksnah, vom Instinkt diktiert ist, während die Anfänge der Geschichtsschreibung bereits Anspruch auf Objektivität erheben und ganz unbestreitbar ei­ ne intellektuelle Leistung darstellen. Bei näherem Zusehen zeigt sich also, daß das Epos der Volkskultur, die Geschichte dagegen der Gelehrtenkultur angehört. Dennoch wenden bei­ de vielfach dieselben Methoden an und verherrlichen manch­ mal auch den gleichen Helden. Diese Stellung des Helden in der Geschichte wie im Epos wirft aber eine ganze Reihe recht schwieriger Probleme auf. Ist das Epos ein Bericht erdichteter, aber für wirklich gehalte­ ner Ereignisse, die der Entstehung und Entwicklung einer bestimmten Gesellschaftsgruppe ihren Stempel aufgeprägt ha­ ben, so muß man in dem von ihm verherrlichten Helden oh­ ne allen Zweifel eine Emanation, ja die Inkarnation dieser Gruppe sehen und nicht nur deren Symbol. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er wirklich gelebt hat oder nicht; seine Stellung im Epos allein ist Geburtsschein genug. Kein Mensch käme auf die Idee, an seiner Existenz zu zweifeln. Das Epos muß nicht wahr oder falsch sein: es ist ganz einfach.

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Eine Unsicherheit, ein Dilemma taucht erst gar nicht auf, und das ist kennzeichnend für die Unmittelbarkeit des Kollektiv­ bewußtseins, denn jeder, der ein Epos hört, ist selbst ein biß­ chen der Held und verkörpert mit ihm zusammen die überlie­ ferten Werte der zugehörigen Gruppe. Das aber verweist das Epos in den Bereich des Gelebten, freilich eines unablässig in die Gegenwart einbezogenen Gelebten, das wahre Dauer ver­ heißt. Es ist eine Absage an den Tod, ein stetiger Fortschritt auf die Verwirklichung der kollektiven Wünsche zu, ein idea­ ler Fixpunkt im Fluß der Ereignisse, die sich in ihrer Abfolge über die elementarsten Gesetze der Chronologie hinwegsetzen und so eine ewig währende Gegenwart herbeizuführen schei­ nen. In dieser wiederum gerinnt oder erstarrt der Held in all seinen Wandlungsphasen, wird in seinen Metamorphosen ewig, in seiner Vergänglichkeit transzendental Demgegenü­ ber ist der Held der Geschichte nur ein bevorzugter Moment in der Abfolge der Ereignisse, deren Andenken man zu be­ wahren strebt. Da er eine fest umrissene Stellung in der Ge­ sellschaft hat, ist er nicht zeitlos wie der Held des Epos. Er tritt, manchmal etwas überraschend, zu einem ganz bestimm­ ten Zeitpunkt in die Geschichte ein und zu einem nicht min­ der bestimmten Zeitpunkt wieder aus. Aber obwohl ihm für seine Taten nur eine kurze Spanne zur Verfügung steht, ver­ blaßt alles neben ihm. Er stellt seine Zeitgenossen in den Schatten, spielt den Demiurgen und schwingt sich zur selben Höhe auf wie der Held des Epos. Fast scheint es, als habe der Held der Geschichte vom Helden des Epos die ewige Dauer übernommen, oder vielmehr, als habe man ihn zum Äquiva­ lent dieses Helden machen wollen zu einer Zeit, die nicht mehr ans Epos glauben konnte und es durch einen objekti­ ven, zeitlich fest umrissenen Bericht ersetzen mußte. Darf man daraus schließen, daß das Epos das Volk mehr anspricht als die Geschichte mit ihren wissenschaftlichen Kategorien, ihren Zweifeln und Vorbehalten, ihrem prätentiösen Streben nach Objektivität und dem Mangel an menschlicher Wärme? Ohne allen Zweifel. Aus dem Stegreif ließen sich eine Rei­ 13

he historischer Helden aufzählen, die ins Epos eingegangen sind, nicht nur durch die mündliche Überlieferung wie Karl der Große, dessen Namensvetter in den Chansons de Geste nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit ihm aufweist, sondern auch als Kristallisationspunkt der Idealisierung wie Napoleon, von dem die Volksüberlieferung zwar ein notwendig falsches, dafür aber mit der Vorstellung des kollektiven Unbewußten weitaus besser zu vereinbarendes Bild gezeichnet hat. An die­ sem Punkt äußerster Verwirrung aber darf man die Gret­ chenfrage stellen: Macht der Held durch Gestaltung der Er­ eignisse Geschichte, oder ist er seinerseits nur ihr Erzeugnis? Lange Zeit hat man außergewöhnlichen Menschen die Fä­ higkeit zugetraut, den Gang der Geschichte zu beeinflussen, ja, hielt die Geschichte eines Volkes oder einer Gruppe von Völkern sogar für ihr Werk. So wird Alexander der Große noch heute, wenn auch indirekt, als der Vater der hellenisti­ schen Kultur betrachtet, jener zweiten Blüte der griechischen Welt, in der die aristotelische Philosophie und die »barbari­ schen« Erfindungen der Völker des Orients zu einer neuen kulturellen Einheit verschmolzen. Fragt sich nur, ob Alexan­ der, als er zu den endlosen Feldzügen in die Länder der auf­ gehenden Sonne aufbrach, nicht seinerseits Werkzeug der Ge­ schichte war. Vielleicht gab er lediglich dem Expansionsdrang der griechischen Welt nach, ihrem Bestreben, auf diese Weise der Lähmung zu entgehen, die sie bedrohte, seit die mediter­ rane Logik zum deduktiven Syllogismus erstarrt war. Viel­ leicht auch mußte Alexander die Grenzen zum Osten aufbre­ chen, um der griechischen Wirtschaft neue Absatzmärkte zu erschließen, der die Verdrängung des autarken Partikularismus der alten griechischen Stadtstaaten durch den makedoni­ schen Zentralismus einen schweren Schlag versetzt hatte. Bei der engen Verflechtung von Kultur und Wirtschaft hält es schwer, genau zu erkennen, was hinter einem scheinbar auf die Entscheidung eines einzigen Mannes zurückgehenden po­ litischen Akt steckt, auch wenn dieser Mann die ganze Ent­ scheidungsgewalt über ein Volk besitzt. Außerdem übergeht

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die historische Analyse, die die geschichtlichen Ereignisse nur unter einem rein ideologischen Blickwinkel untersucht, die Wirtschaftsphänomene. Diese unleugbar existente Ideologie jedoch ist insofern unabdingbar, als sie die Völker mitreißt und ihnen Patriotismus und den Glauben an all die anderen entfremdenden Erfindungen einflößt, die sie zwar nicht zum Nachdenken anregen, dafür aber »in Marsch setzen«. Das heißt, die Ideologie selbst ist für die Machthaber jeglicher Art nur ein Mittel, die latenten Kräfte zu konzentrieren und für ein Ziel einzuspannen, das sich den gewöhnlichen Sterblichen entzieht und nur denen bekannt ist, die in Wirklichkeit die Macht ausüben, meist Personen am Rande der politischen Szene, die durch zwischengeschaltete Figuren, sogenannte Helden, agieren. Von daher also bezieht der Held seinen Wert und seine ganze Bedeutung. Er ist lediglich das Aushängeschild einer Pressure-group, mit anderen Worten, er profitiert selbst nicht von den Kräften, die er anzieht, da er lediglich an der Spitze einer in allen Punkten ohne sein Zutun vorgeplanten Aktion steht. Deshalb sind Helden zur Bewunderung der Massen stets selbstlos: sie kämpfen für den Ruhm oder um die Durchsetzung einer allem Anschein nach hochherzigen Idee. So gilt heute noch, daß Napoleon ganz Europa mit Krieg und Tod überzog, um überall die Republik der menschlichen Ge­ rechtigkeit und Brüderlichkeit einzuführen, während noch niemand das bürgerlich-kapitalistische Komplott aufgedeckt hat, das Bonaparte zum Vorteil bestimmter wirtschaftlicher Gruppen zum Kaiser und Herrscher über einen Großteil Eu­ ropas gemacht hat. In Wahrheit ist die Geschichte nicht nur mit guten Vorsätzen gepflastert, sondern vollzieht sich als ständiger Kampf, in dem die Stärkeren die Schwächeren im Namen einer x-beliebigen Ideologie vernichten. Wichtig ist, daß den Starken dabei niemand in die Karten schaut, da sie sonst ihre geheime Macht verlören, die sie zum Nutznießer des Heroismus der anderen macht. Entmystifiziert man aber den Helden und zeigt auf, was 15

sich hinter ihm verbirgt, stürzt man ihn vom Postament und, wesentlich schlimmer noch, stempelt ihn zum Vollidioten. Womit freilich nicht in Abrede gestellt werden soll, daß Hel­ dentum vielfach aus Ahnungslosigkeit, ja Torheit, erwächst. Doch bestimmte Werte lassen sich nicht ungestraft antasten, da sie einem ganzen Volk, einer ganzen Gesellschaftsgruppe am Herzen liegen, und ihre Zerstörung zur vollständigen Auflösung der betreffenden sozialen Organisationen fuhren kann. In der Tat gehört der Held der Geschichte wie des Epos in den Bereich des Mythos. Ihn in Frage stellen, heißt den Mythos selbst und damit das Wichtigste angreifen, was die Menschheit besitzt, um den Gang der Ereignisse fortzusetzen oder zu modifizieren. Denn genau besehen macht nicht der Held die Geschichte, sondern er wird von der Geschichte zu bestimmten Taten gedrängt, die sich dann in der Folge ihrer­ seits wiederum auf den Gang der Geschichte auswirken. Wir haben es hier also mit Elementen der Marxschen Dialektik zu tun: Die Realität löst das Denken aus, das seinerseits wieder­ um auf sie zurückwirkt und sie verwandelt. Oder anders ge­ sagt: Die Welt bringt die Ideen hervor und wird durch sie verwandelt. Der Held aber gehört dem Bereich der Ideen an. In ihm inkarniert sich anläßlich irgendeines alltäglichen Ereig­ nisses der Mythos, der wohl an sich existiert, aber dem Nichts gleichkommt, wenn er sich nicht in die Materie integriert. So­ mit ist der Held der Schnittpunkt zwischen Abstraktem und Wirklichem, zwischen dem Reich der reinen Ideen, die unge­ ordnet im kollektiven Denken dahinströmen, und dem Reich der konkreten Verwirklichungen, die eine rigorose Organisa­ tion und Ausrichtung auf eine Ideologie voraussetzen. So ge­ hört er trotz seines Eigenseins und trotz allen Eifers des Ana­ lytikers, den hier wirksamen Mechanismus abzubauen, dem Volk, das nicht auf ihn verzichten kann und sich, wird er ihm genommen, sofort in anderer Form und unter anderem Na­ men durch unbewußte Übertragung einen Ersatz sucht. Weder in der Geschichte noch im Epos taucht der Held 16

zufällig, ohne tiefere Gründe auf. Die psychologischen Abläu­ fe, die seinem Aufbau voraufgehen, sind vielschichtig und treten weder im gelebten, noch in dem von der Überlieferung weitergegebenen Bericht klar zutage. Der Held ist in erster Linie eine umfassende Projektion der individuellen Bestre­ bungen, eine Projektion, die die Gegensätze auszusöhnen sucht und die von einem bestimmten Ereignis ausgelösten unterschiedlichen Bewegungen zur Synthese zusammenfaßt. So findet er denn auch unfehlbar die Lösung der Probleme, die die Menschen in dem Augenblick bewegen, in dem er die Bühne betritt. Er ist Herr der Lage, vom Schicksal auser­ wählt, seit langem schon angekündigt und in der Kollektiv­ mentalität von jeher lebendig. Er verkörpert als einzelner alle Angehörigen einer Gesellschaftsgruppe, in ihm erkennt sich ein jeder wieder — freilich nicht, wie er wirklich ist, sondern wie er gern sein möchte. Deshalb erscheint der Held als außergewöhnliche Person, als Phantasiefigur, ausgestattet mit Kräften, um die er benei­ det wird, die aber auch Angst einflößen, kurzum als überna­ türliches, gottgleiches Wesen. Er durchbricht die Grenzen des Wirklichen, stößt die Pforten zum verlorenen Paradies auf: er versucht das Unmögliche. Und wenn er scheitert, trägt nicht er die Schuld am Mißlingen: Die im Verborgenen stets wirk­ samen bösen Mächte haben ihn daran gehindert, sein Wirken zu vollenden. An sich aber, oder absolut genommen, hat der vom Hel­ den verkörperte Mythos keinen Sinn. Er steht gewissermaßen frei zur Verfügung, was allein schon die Behandlung der epi­ schen Erzählungen und der mündlich überlieferten volkstüm­ lichen Geschichten zeigt, die zwar alle dem ursprünglichen mythologischen Schema folgen, aber deutlich den Standort des Sprechers verraten, der dem ursprünglichen Bericht den ihm persönlich oder der Situation entsprechenden Sinn geben kann. Denjenigen, die sich seiner bemächtigen wollen, ent­ zieht sich der Mythos, denn er gehört in die Kategorie dessen, was sein soll, das erst im sagenhaften Bericht Wirklichkeit er-

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langt. Im Falle des historischen Helden nun geht es um das­ selbe Problem. Eine Person, die von den Umständen in eine Rolle gedrängt wird, verkörpert einen bereits existenten Mythos von ungeahnter Kraft, den sie für die anderen wie für sich verwirklicht, wodurch er Sinn und Bedeutung erhält. So sind zum Beispiel die christlichen Heiligen, in ihrer Art ja ebenfalls Helden, samt und sonders dem sogenannten Gu­ ten geweiht, das heißt, sie geben dem zugrundeliegenden Mythos eine positive Wendung und verwirklichen in ihrem Leben und durch ihr Beispiel das Ideal der Vollkommenheit, das sonst unbegreiflich bliebe. Nun sollen die großen Heiligen aber stets vom Teufel umlauert sein, der sie, glaubt man den Legenden, versuchen möchte, in Wirklichkeit aber eine unab­ dingbare Notwendigkeit ist, da eine Inkarnation des Guten ohne gleichfalls inkarniertes Böses nicht vorstellbar wäre — lo­ gischerweise insofern, als der Mythos, der als etwas außerhalb von Raum und Zeit Stehendes an sich weder gut noch schlecht ist, mit dem Eintritt in die Welt der Fakten automa­ tisch einen positiven oder negativen Sinn annimmt. Ähnlich eine historische Persönlichkeit wie Hitler, der als Inkarnation des Bösen, als Teufel in Person, hingestellt worden ist: Auch er verkörpert ein Ideal an Vollkommenheit, wenn freilich auch im umgekehrten Sinn wie die Heiligen des Christen­ tums. Auf seine Art ist auch er Ausdruck und Kristallisations­ punkt bestimmter menschlicher Tendenzen, die zwar höchst fragwürdig, darum aber doch nicht minder real sind. Im übri­ gen ist der Mythos von der auserwählten Rasse keine natio­ nalsozialistische Erfindung. Seit Anbeginn der Geschichte be­ kannt, hat er mit dem üblichen Gefolge von Grausamkeiten aller Art, die notwendig dort begangen werden, wo sich eine Kaste der anderen überlegen dünkt, schon in einer ganzen Reihe verschiedener Persönlichkeiten Gestalt angenommen. In dem in der Zeit abrollenden Geschehen wirkt der Held Wunder. Ob Krieger, König oder Heiliger, ob Wiedergutma­ cher von Unrecht oder Teufel in Person, zieht er alle Mög­ lichkeiten des Seins an sich, die ihn zu einer echten, in man-

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chen Fällen furchteinflößenden Macht machen, genügt doch ein Wort oder eine Geste von ihm, damit ihm die anderen folgen. Ohne zu überlegen, stürzen sie sich ins Abenteuer, da er für sie denkt und handelt und sie so in Wirklichkeit selbst der Held sind. Diese furchteinflößende Macht wächst dem Helden aus dem Umstand zu, daß sein Erscheinen in einem bestimmten Augenblick der Geschichte notwendig ist. Projektion einer bestimmten Gesellschaftsgruppe, deren Hoffnungen oder In­ teressen er repräsentiert, wird er von den Ereignissen auf den Plan gerufen. Damit kommt eine regelrechte Maschinerie in Gang, die niemand aufhalten kann, vor allem nicht der Held, der sich ja gar nicht mehr selbst gehört. Er ist kein Individu­ um mehr, sondern die durch einen einzelnen repräsentierte Gesamtheit. Daher auch seine auffallende Isolierung: er ist nicht wie die anderen. Man denke an das großartige Gedicht von Alfred de Vigny, in dem Moses, außerstande, »Macht und Einsamkeit« länger zu ertragen, Gott bittet, ihm den »Schlaf der Erde« zu schenken. Er gedenkt der Taten, durch die sich sein Leben von dem eines »normalen« Individuums unterschied. Er ist nie wirklich geliebt worden, da er zu viel Furcht einflößte, die aus Ehrfurcht erwuchs. Vor allem aber war er einer schrecklichen Einsamkeit ausgesetzt, der Einsam­ keit des hebräischen Volkes, das er in seiner Gesamtheit re­ präsentierte. Das ist die paradoxe Situation des historischen wie des epi­ schen Helden. Er ist gleichzeitig allein und Emanation der Gruppe. Er ist zwar kein Individuum mehr, aber nach wie vor Mensch, und kann insofern auch den Ereignissen, deren Träger er ist, seinen Stempel aufprägen. Da er seine Persön­ lichkeit nicht verliert, sind seine Handlungen und Entschei­ dungen, auch wenn sie von unbewußten kollektiven Vorgän­ gen diktiert werden, oft von seiner Reaktion, von seiner Sicht eingefärbt, weshalb man auch nicht behaupten kann, mit ei­ nem anderen Helden wäre die Geschichte genauso und nicht anders verlaufen. Der menschliche Faktor spielt in den zwi­ 19

schenindividuellen Äußerungen stets eine Rolle - auch das ein Paradox, aber der bekannte Ausspruch, keiner sei uner­ setzlich, übersieht, daß zwei Menschen einander nie absolut gleich sind und folglich der Verlauf der Geschichte doch auf unvorhersehbare Weise beeinflußt werden kann. Die in Gang gesetzte Maschine macht eine Schwenkung, deren Richtung freilich keiner genau vorhersagen kann. Man darf sich also durch den Kollektivcharakter des Hel­ den nicht irreführen lassen. Zweifellos stellt er die Inkarnation der Gruppe dar, verfugt aber dennoch auch über die Mög­ lichkeit, sich seine eigene Meinung, sein eigenes Urteil zu bil­ den, Entscheidungen zu treffen und seine Ansichten durchzu­ setzen. So beeinflußt er das Verhalten der Gruppe, die nach seinem Abtritt nicht mehr dieselbe sein kann wie zuvor. Nicht ohne Grund hat man in allen Breiten und Gesellschaf­ ten diejenigen besonders geehrt, die ein Land aufgebaut, den Lebensstil geändert oder der Geschichte eine andere Wen­ dung gegeben haben. Der Held besitzt nicht nur aufgrund der Kräfte Gewicht, die ihn tragen, sondern auch aufgrund seiner unumschränkten Machtvollkommenheit, die ihn außerhalb des großen Haufens stellt und zu einem individuellen Gewis­ sen verpflichtet. Und in dieser Sicht hat auch die Betrachtung der histori­ schen wie der epischen Helden zu erfolgen. Das heißt, es muß unbedingt untersucht werden, welchen Tendenzen sie ent­ sprechen, welchen verborgenen sozialen Triebkräften sie ge­ horchen, welchen kulturellen oder wirtschaftlichen Motivatio­ nen sie ihr Auftreten verdanken. Andererseits aber bleibt die­ se Analyse unvollständig, solange wir nicht auch die Persön­ lichkeit des Helden und seinen Einfluß auf Menschen und Ereignisse in Rechnung stellen. Die Geschichtswissenschaft oder vielmehr das, was man als Wissenschaft hinstellen möchte, darf keinen Faktor außer acht lassen, woher er auch kommen mag. Aus der Geschichte eine Abfolge säuberlich datierter und etikettierter Ereignisse zu machen, genügt nicht; man muß die Ursachen erklären und die Folgen beurteilen. 20

Dabei aber hat man bis heute den Mythos als Triebkraft menschlichen Tuns allzusehr vernachlässigt — ein Versäumnis, das es nun für die gesamte Geschichtsforschung wettzuma­ chen gilt. Eine treffliche Gelegenheit dazu bietet uns der Held als Inkarnation des Mythos, da sein Bild das wahre Gesicht ei­ ner Epoche oder Kultur enthüllt. Das trifft in gesteigertem Maß auf die Heldin zu, eine in der Geschichte wenig geläufige Erscheinung, da die Frau im all­ gemeinen der Sicht der herrschenden Männergesellschaft ge­ opfert worden ist. Wer mit den alten Zeiten vertraut ist, fühlt sich versucht zu fragen, ob es damals überhaupt Frauen gege­ ben hat, so sehr wird ihre Rolle mit Schweigen übergangen. Natürlich haben sich einige Namen gehalten, aber vielfach doch Namen von einem recht fragwürdigen Klang: im allge­ meinen als femmes fatales oder als Symbol einer das Gleichge­ wicht der betreffenden Männergesellschaft bedrohenden Sinnlichkeit. So denkt man bei Kleopatra in erster Linie an die Liebschaft mit Caesar und Marcus Antonius, wodurch sie zu einem koketten, eitlen Wesen abgestempelt wird, und bei Katharina der Großen an ihre Nymphomanie. Mit einem Wort, die berühmten Frauen der Geschichte werden als sexu­ ell Besessene oder zumindest doch als Werkzeug zum Verder­ ben der Menschheit betrachtet. Auch hier wieder stoßen wir auf den Mythos — nämlich den der »Großen Hure«, der gottgleichen Frau, die ihre Macht an ihre zahlreichen, selbsterwählten Liebhaber, die Vollstrecker ihres höchsten Willens, verteilt. So sind Person und Leben der großen Frauen der Geschichte skandalumwit­ tert, was ihre Rolle im Vordergrund der Szene fast schon wie­ der rechtfertigt und gleichzeitig als Vorwand dient, um ihren Einfluß zu verharmlosen und ihren Verstand herabzusetzen: Zwar haben sie die Zügel der Macht wirklich in Händen ge­ halten, wirklich regiert, aber doch mit Hilfe zweitrangiger, in Wirklichkeit echt weiblicher Mittel, die sich in keiner Weise mit den Methoden der wahren Helden der Geschichte, sprich

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der Männer, vergleichen lassen. So jedenfalls steht es, von der Überlieferung besiegelt, in den Berichten zu lesen. Eine ganz auf den Prinzipien der Männerherrschaft aufgebaute, dazuhin auf eine rein männliche Theokratie gestützte Gesellschaft kann Verstöße gegen die Regel nicht vorbehaltlos hinneh­ men. Dennoch aber hat der Mythos der »Großen Hure« über­ lebt und wird von Zeit zu Zeit wieder aktuell, auch wenn er stets aufs neue Anstoß erregt: er folgt seiner eigenen Logik und manifestiert sich so immer wieder mit zwingender Not­ wendigkeit im Zeitgeschehen. Das heißt, ein Mythos wird immer dann zwangsläufig in einer Person wiederaufleben, wenn es die Umstände erfor­ dern, wobei sich der von ihnen ausgeübte Druck am Grad der Heldenverehrung ablesen läßt. Die bekanntesten Helden der Geschichte haben in Zeiten großer Erschütterungen wie Kriege, Katastrophen, Revolutionen gelebt. In Friedenszeiten oder auch nur Zeiten allgemeiner Laschheit besteht kein Be­ darf an Helden, dafür aber werden gewissermaßen als eine Art Helden-Ersatz die in der Erinnerung stets lebendigen al­ ten Mythen in epischen Erzählungen wieder aktuell. Manch­ mal scheinen selbst die Mythen gänzlich erloschen, um dann aber im unerwartetsten Moment wieder aufzutauchen. Und wird dann eines Tages der Druck der Verhältnisse unerträg­ lich, ruft die Spannung schließlich den Helden auf den Plan, den alle Welt herbeigesehnt hat, ohne es sich einzugestehen. Das trifft in gewisser Weise auch auf Eleonore von Aquita­ nien, die zweifach gekrönte Königin zweier Königreiche, zu. Sie, die durch ihr Verhalten wie durch ihre Teilnahme am Zeitgeschehen, durch zwei ihrer Söhne, die gleichfalls den Thron bestiegen, wie durch die Sagen, die sich um sie rank­ ten, zur beherrschenden Figur des 12. Jahrhunderts aufrückte, wurde in einem spannungsarmen Augenblick der Geschichte geboren, in dem die alten Mythen in epischer Form wieder­ auflebten, vornehmlich die keltischen und darunter wiederum der Mythos von der allmächtigen Frau. So konnte sie zu ei­ 22

nem Zeitpunkt, als sich im ganzen christlichen Europa der Marienkult als Kult der vollkommenen Frau entwickelte und die Troubadours begeisterte Gesänge zum Lobpreis der weib­ lichen Schönheit anstimmten, kraft ihres Geschlechts als Symbolfigur aus dem Nebel der Feudalepoche hervortreten, als Inbild einer verlorenen, aber wiedergefundenen Weiblich­ keit. Was Wunder, daß sich schon zu ihren Lebzeiten eine Fülle von Sagen um die Gräfin von Poitou, die Herzogin von Aquitanien rankte, Sagen, deren mythologischer Grundgehalt auf der Hand liegt, die aber durch das Ärgernis, das sie erreg­ ten, viel Staub aufwirbelten. Um Person und Rolle der Eleonore von Aquitanien zu er­ fassen, genügt es nicht, ihr Leben anhand pittoresker Episo­ den zu erzählen, an denen es — zur Freude der Verfasser hi­ storischer Romane und manchmal auch der Historiker - zwar gewiß nicht mangelt, die aber doch nur vor dem Hintergrund der damaligen Ereignisse bzw. durch deren Deutung interes­ sieren. Denn Eleonore ist die Heldin, durch die die abendlän­ dische Kultur des 12. Jahrhunderts mit all ihren Zügen Ge­ stalt annimmt — zu einer Zeit so radikaler Umwälzungen, daß man von einem vollständigen Umbruch der Gesellschaft spre­ chen kann. Auf der religiösen Ebene bildet sich damals, vom Aufblühen des Marienkultes noch ganz abgesehen, eine eigen­ ständige scholastische Philosophie nach aristotelischem Vor­ bild heraus, entsteht eine Vielzahl neuer religiöser Orden, die die christliche Welt buchstäblich überschwemmen, festigt das Papsttum seine weltliche Macht, während gleichzeitig die Kreuzzüge mit ihren unabsehbaren Folgen für alle Lebensbe­ reiche fortgeführt werden. Auf der wirtschaftlichen Ebene wird die alte Feudalgesellschaft durch die Ankurbelung der Landwirtschaft, mehr noch aber durch den erstaunlichen Aufschwung des Handels erschüttert: Neben der kontinenta­ len Handelsverbindung von Norditalien über die von den Kapetingem eifersüchtig gehütete Rhöne-Seine-Achse nach Flandern wird der moderne Seehandelsweg durch den Atlan­ tik und Ärmelkanal erschlossen, dem von Aquitaniem und

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Bretonen nicht immer respektierten Jagdrevier der Anglonormannen, auf dem die englische Dynastie der Anjou ein Reich aufbauen sollte. Auf der politischen Ebene, die, um es zu wie­ derholen, ja nur der Ausfluß des wirtschaftlichen Auf­ schwungs ist, kommt es zum totalen Bruch zwischen den Kö­ nigreichen Frankreich und England, aber auch zwischen dem westlichen Drittel Frankreichs und dem restlichen Land — im übrigen nur das Vorspiel zur großen Auseinandersetzung zwischen den beiden Königreichen hundertfunfzig Jahre spä­ ter. Auf der sozialen Ebene führt der Aufstieg der Städte zum Aufkommen einer neuen, wirtschaftlich wohlhabenden und politisch starken Klasse, des Bürgertums, während die Feu­ dalhierarchie von der mächtigen Kaste der Ritter erschüttert wird. Diese gesellschaftlichen Wandlungen fallen in den Städ­ ten mit den Anfängen des westlichen Kapitalismus und der Entstehung eines echten Proletariats zusammen, das sich in­ folge der Lockerung der Lebensbedingungen der Leibeige­ nen, bzw. vielfach auch deren Emanzipation, herausbildet. Auf der kulturellen Ebene schließlich kann man diese Epoche als »gesegnetes« Zeitalter bezeichnen. Die Romanik entfaltet sich zu voller Blüte, während der etwas unzutreffend als »go­ tisch« bezeichnete Stil bereits nachzudrängen beginnt; die in den voraufgehenden Jahrhunderten allzusehr vernachlässigte lateinische Literatur erlebt eine Renaissance; unter dem domi­ nierenden Einfluß der Kirche werden viele Schulen gegrün­ det, beim Adel geht die Zahl der Analphabeten beträchtlich zurück, vor allem aber bildet sich nun dank der Verschmel­ zung des okzitanischen Esprits, der keltischen Traditionen, der normannischen Festigkeit und der Beweglichkeit der Län­ der der langue d'o'il (alte Sprache Nordfrankreichs) eine neue Li­ teratur heraus. Dieser Wandel vollzieht sich nach und nach, fast unmerk­ lich, ohne Lärm. Eine beträchtliche Verfeinerung der Sitten ist zu beobachten, die mancherorts von der schwärzesten Bar­ barei bis zu regelrechter Preziosität reicht. Die Ars vivendi wird zur Kunst gehobener Lebensart. Und all diese Veränderungen 24

finden sich in der Person Eleonores von Aquitanien verkör­ pert, die im Mittelpunkt des Schmelztiegels steht und alles kri­ stallisiert, was das 12. Jahrhundert an Neuerungen und Meta­ morphosen in die westliche Kultur eingebracht hat. Erbin der dem Norden weit überlegenen okzitanischen Geisteskultur und schon sehr früh mit erdrückender Verant­ wortung überhäuft, ohne darüber doch je ihre Weiblichkeit zu vergessen, gehört Eleonore im Schnittpunkt zweier Welten zu jenen Persönlichkeiten der Geschichte, die uns nicht gleichgültig lassen können. So offenkundig sie als Emanation ihres in Bewegung geratenen Jahrhunderts die Metamorpho­ sen der Gesellschaft inkarnierte, so unbestreitbar spielte sie durch ihre Intelligenz und ihr Temperament auch eine per­ sönliche Rolle. Ihr Verhalten am Hofe der Kapetinger, ihre Scheidung, die Ehe mit Heinrich Plantagenet, ihr zügelloser Ehrgeiz, ihre Leidenschaft für Kunst und Wissenschaft wies sie in einer Zeit als echte Revolutionärin aus, in der es dieses Wort noch gar nicht gab. Nun bringt aber jede Revolution, ob sie bewußt gewollt wird oder nicht, ihre Helden hervor. Und so ist die zweifache Königin Eleonore die Heldin einer Revolution, die das Mittelalter aus seiner dumpfen Erstarrung riß. Hat sie nicht dem Romancier Chrétien de Troyes und sei­ nen Nachfolgern Modell für die Gestalt der berühmten Köni­ gin Ginevra gestanden, jenes Muster an Schönheit und Tu­ gend, jenes vergöttlichte Bild der in ihrer endlich wiederer­ langten Weiblichkeit allmächtigen Frau? Und damit sind wir schon mitten im Mythos. Eleonore hat den von den keltischen Sagen bewahrten Mythos der idealen Königin verkörpert, der nur auf eine passende Gelegenheit wartete, um wieder aufzutauchen. Wie Ginevra hat sie wirkli­ che und eingebildete Leidenschaften entfesselt, und wie Gi­ nevra und ihre keltischen Archetypen in unerreichter Vollen­ dung jene Souveränität verkörpert, ohne die nicht einmal der größte König die Welt beherrschen kann. Von dem zarten jungen Mädchen, das, noch ganz in die Träume eingesponnen, die ihm seine Gefährten, die Trouba-

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dours, ins Ohr raunten, mit Ludwig von Frankreich verheira­ tet wurde, bis zu der alten Frau, die mit ungebrochener Ener­ gie von ihrem Ruheort Fontevrault aus über ihren jüngsten Sohn Johann wachte, um das Schlimmste zu verhüten, ist ein weiter Weg. Immer wieder ist sie auf Kreuzwege gestoßen, die sie zu Entscheidungen nötigten, die sie zwangen, den an­ deren ein bestimmtes Gesicht zu zeigen, und so ist im Laufe ihres langen, zweiundachtzigjährigen Lebens einer der brillan­ testen Abschnitte der Geschichte entstanden.

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1

Die zweifache Königin

Eleonore oder, wie sie damals hieß, Aliénor von Aquita­ nien, die Tochter Wilhelms X von Aquitanien (Wilhelms VUL von Poitiers) und Aenors von Chátellerault, wurde ver­ mutlich 1122 geboren (die Chronisten schwanken zwischen 1120 und 1122). Der Name soll angeblich »die andere Aenor« (Alia-Aenor) bedeuten, stellt aber jedenfalls die okzitanische oder provenzalische Form für Elléonore bzw. Eleanor und Elinor, wie die Engländer sie nannten, dar. Da ihr Bru­ der schon früh starb und ihre Schwester Petronella jünger war, fielen die Grafschaft Poitiers und das Herzogtum Aqui­ tanien, mit anderen Worten also der ganze Südwesten des heutigen Frankreich, Eleonore als Erbe zu. Ihr Großvater war eine starke und farbige Persönlichkeit, ein gefürchteter Kämpe und gerissener Politiker, reichlich skrupellos, aber gebildet: Wilhelm IX. (auf okzitanisch Guilhelm), der erste Troubadour und einer der originellsten. Er hatte unruhiges Blut in den Adem, stritt sich mit Nachbarn und Vasallen herum, ja hatte selbst mit der Kirche ein Hühn­ chen zu rupfen, vornehmlich seines skandalösen Lebenswan­ dels wegen, denn er war der notorischste Schürzenjäger seiner Zeit. In seiner Brust wohnten zwei Seelen, eine aufrichtig mystische und eine zügellos sinnliche. So rief er vor einem et­ was zweifelhaften Liebesabenteuer jedesmal den hl. Julian um einen glücklichen Ausgang an und verfaßte auf dem Kreuz­ zug, den er an der Seite Gottfrieds von Bouillon mitmachte, unverhohlen schlüpfrige Gedichte. In Niort ließ er - und da­

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mit ist der ganze Mann charakterisiert — neben verschiedenen religiösen Baudenkmälern auch ein Luxusbordell errichten, in dem die Mädchen Nonnenkleidung tragen mußten, und des­ sen erster Kunde dem Chronisten zufolge er selber war. Was jedoch den Krug zum Überlaufen bzw. den Geduldsfaden der Geistlichen zum Reißen brachte, war seine offene, turbulente Liebschaft mit Dangerosa, der Gräfin von Chätellerault, der sogenannten »Maubergeonne«, Aenors Mutter, die er nach der Verstoßung seiner rechtmäßigen Gattin Philippa von Toulouse kurzerhand in dem für seinen Herzogspalast neu er­ richteten Turm Maubergeon unterbrachte (daher der Spitzna­ me »Maubergeonne«) und seinem Sohn Wilhelm X. zur Frau gab, der sich, über die Liaison seines Vaters wenig begeistert, mit ihm überwarf. Besagte Liaison trug dem Troubadour überdies die Exkommunikation ein, die ihm der Bischof von Poitiers höchstpersönlich mitteilte. Diese Eröffnung aber ver­ setzte Wilhelm IX. in eine solche Wut, daß er sich mit gezo­ genem Schwert auf den Prälaten stürzte und erst durch des­ sen Aufforderung, ruhig zuzustoßen, da er im Stand der Gna­ de sei und sich nicht furchte, vor seinen Schöpfer zu treten, zur Vernunft gebracht, die Waffe mit den Worten wieder in die Scheide steckte: »Um Euch ins Paradies zu schicken, liebe ich Euch nicht genug!« Das alles jedoch hinderte den ungestü­ men Troubadour nicht, sich mit der Kirche wieder auszusöh­ nen und sich mit zunehmendem Alter sogar tatsächlich zu bessern. Freilich hatte er niemals den Glauben verloren, so gern er auch die Moralvorschriften auf die leichte Schulter ge­ nommen und stolz jenen getrotzt hatte, die ihn zu deren Be­ obachtung hatten zwingen wollen. So hatte er die Mahnung des Bischofs von Angouleme zu Gehorsam und Unterwer­ fung mit einem Hagel von Schmähreden beantwortet und er­ klärt, dies werde er so unfehlbar tun wie sich der Prälat käm­ me - wozu anzumerken ist, daß der hochwürdige Herr eine Vollglatze hatte. Sein Sohn Wilhelm X, wiewohl aus anderem Holz, hatte sich ebenfalls mit der Kirche angelegt, wenn auch aus ande­ 28

ren Gründen. Statt des legitim gewählten Innozenz IL hatte er den Gegenpapst Anaklet anerkannt, was unter dem Klerus seiner Länder Protest auslöste. Als ihn der hl. Bernhard von Clairvaux beschwor, in den Schoß der Rechtgläubigkeit zu­ rückzukehren, ließ er den Altar umstoßen, an dem der Mönch die Messe gelesen hatte, und nicht genug damit, er versuchte in seinem Zorn, den heiligen Mann zu packen, der sein Heil nur schleunig in der Flucht suchen konnte — ein weiterer Beweis für die Heftigkeit und Gewalttätigkeit dieser Familie, in der alle Gelehrsamkeit, alles Streben nach Schick­ lichkeit und Wohlanständig^eit, ja alle Liebe zu den Künsten und der Architektur nichts gegen Jähzorn und Tollköpfigkeit vermochten. Und in dieser Atmosphäre wuchs Eleonore von Aquitanien auf. Allerdings wurde nichts versäumt, ihr eine sorgfältige Erzie­ hung zu geben, die ihrem Rang und dem Ehrgeiz des Hauses Aquitanien, das zu den fortschrittlichsten und verfeinertsten Fürstenhäusern der Zeit zählte, entsprach. So gab man ihr und ihrer Schwester Petronella tüchtige Lehrer, ließ sie neben Latein und der Sprache des Nordens vermutlich auch noch andere Sprachen lernen, und oft suchte sie die provenzalischen Trou­ badours auf, um ihren Liedern und Berichten zu lauschen. Schon damals nämlich hatte sich am Hofe von Poitiers, den Eleonore später durch ihre cours d’amour oder »Liebesgerichts­ höfe« berühmt machen sollte, eine buntgewürfelte Intellektuel­ lenschar aus aller Herren Länder eingefunden. Denn das Grenz­ gebiet zwischen der langue d’oc der Provence und der im Norden gesprochenen langue d’oïl hatte Troubadours und ihre nordfran­ zösischen Nachahmer, die Trouvères, armorikanische Barden und Inselbretonen, ja sogar Muslime aus Spanien angelockt. Kein Wunder, daß sich Eleonore nach ihren Kindheits- und Ju­ gendjahren in diesem kulturellen Umfeld so stark für die bilden­ den Künste und die Literatur interessierte und über einen glän­ zenden Verstand verfugte. Schon bald nach dem Tod ihrer Mutter Aenor hatte sich ihr Vater Wilhelm X. wieder verheiratet. Aber die Ehe war

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nicht glücklich, da ihn seine neue Frau leichten Herzens be­ trog. Angeekelt beschloß der damals obendrein von einer Krise der Glaubensschwärmerei erfaßte Herzog, eine Wall­ fahrt zum hl. Jakobus von Compostela zu machen und beide Töchter während seiner Abwesenheit seinem jüngeren Bruder Raimund von Poitiers anzuvertrauen. Raimund, auf den wir in Eleonores Leben später noch stoßen werden, war selbst kaum älter als sein Mündel. Allem Anschein nach waren die beiden jungen Leute, die sich von Kindesbeinen an kannten, ineinander verliebt, denn während dieser Zeit trennten sie sich kaum. Ja, eines Abends sollen sie sogar nach einer langen Kahnfahrt auf der Garonne in einer Benediktinerpriorei bei La Réole um ein Nachtquartier vorgesprochen haben. Der Klosterkämmerer, der den Namen seiner Gäste wohl nicht recht verstanden hatte, wies ihnen ein Zimmer mit einem Bett zu, worauf Raimund lachend gesagt haben soll, Satan ha­ be sich offenbar als Mönch verkleidet, um Onkel und Nichte zum Inzest zu verfuhren. Aber wie dem auch sei, über die Beziehung der beiden wurde nicht wenig geklatscht, und hier liegt der Ursprung des Mär­ chens von der Herzogin Eleonore als neuer Messalina. Ande­ rerseits soll sie es gewesen sein, die nach dem gegenseitigen Lie­ besgeständnis nicht weiter gehen wollte - mit der einfachen Be­ gründung, daß sie, da sie nicht die Frau, auch nicht die Geliebte ihres Onkels werden könne. Ob sie sich wohl an diese Worte erinnerte, als sie Raimund später als junge französische Königin im Heiligen Land wieder begegnete? Im April 1137 traf dann aus Compostela die Nachricht vom Tode Wilhelms X. ein, wobei der Vorfall bis heute nicht wirklich geklärt ist. Angeblich soll Wilhelm, zur Weltflucht entschlossen, am Karfreitag sein eigenes Begräbnis inszeniert haben und anschließend nach Jerusalem gepilgert sein, um Vergebung für seine Sünden zu erlangen und in einem Wald beim Marktflecken Castillon1 als Einsiedler zu leben — eine et­ was zu romanhafte Geschichte, aber wer will wissen, was wirklich passierte? 30

Jedenfalls hatte der verschwundene Wilhelm ein Testament von gleichfalls umstrittener Echtheit hinterlassen und darin namentlich verfugt: »Ich stelle meine Töchter unter den Schutz seiner Gnaden, des Königs, dem ich, sofern meine Ba­ rone es gutheißen, meine teure Tochter Eleonore mit Aquita­ nien und Poitou als Mitgift zur Frau gebe.« König von Frank­ reich war damals Ludwig VL, der Dicke, und sein Thronfol­ ger noch unverehelicht. Wahrscheinlich war die Möglichkeit dieser Verbindung schon zuvor erwogen, ja unter Umständen sogar bereits konkret erörtert worden. Für die Kapetinger war es kein schlechter Handel, brachte er der Krone doch ei­ nen Gebietszuwachs von der Größenordnung von neunzehn heutigen Departements. Im übrigen änderte das Testament, ob echt oder gefälscht, nicht viel, da der König nach feuda­ lem Brauch beim Tod eines Vasallen ohne männlichen Erben ohnehin gehalten war, die Vormundschaft über die älteste Tochter des Verstorbenen zu übernehmen. Demnach hatte al­ so Ludwig der Dicke in jedem Fall über Eleonores Schicksal zu entscheiden. Und so zögerte er denn auch nicht lange, zumal er sich krank fühlte und die Angelegenheiten seines Sohnes, den er nach dem Brauch der ersten Kapetinger2 bereits 1131 krönen und zum Mitregenten hatte ernennen lassen, so schnell wie möglich regeln wollte. Und da auch sein Ratgeber Suger drängte, eine so gute Gelegenheit beim Schopfe zu packen, wurden nach einigen Verhandlungen und handfesten Ver­ sprechungen an die aquitanischen Bischöfe Eleonore und Ludwig am 25. Juli 1137 in Gegenwart Sugers und der höch­ sten Würdenträger des Königreiches in der Kathedrale Saint-André von Bordeaux getraut. Unnötig zu sagen, daß sich die Neuvermählten noch nie gesehen hatten. Ludwig war sechzehn, Eleonore erst fünf­ zehn, nach Aussagen des zeitgenössischen Geschichtsschrei­ bers Wilhelm von Neubourg aber trotzdem schon »von feuri­ gem Temperament«, und Ludwig, von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz hingerissen, verliebte sich bis über beide Oh­ 31

ren, was sich in der Folge in einer starken Eifersucht äußerte. Eleonore ihrerseits scheint an der Seite dieses Mannes, den sie wiederholt als »eine Art Mönch« bezeichnete, nicht ganz auf ihre Rechnung gekommen zu sein, geschweige denn sich voll entfaltet zu haben. Aber Fürstenehen werden selten vom Ge­ fühl diktiert, und diese war eine rein politische und für die französische Krone zudem sehr vorteilhafte Angelegenheit, was bei den direkten Vasallen der Herzogin von Aquitanien vielleicht doch etwas böses Blut machte. Jedenfalls drängte Suger auf die sofortige Abreise der Jungvermählten aus Bor­ deaux, um Zwischenfälle zu vermeiden. Wenige Tage später verbreitete sich die Nachricht vom Tode Ludwigs VL, und Eleonore und der junge König zogen, nachdem sie gemäß dem herrschenden Brauch am 8. August in Poitiers zur Herzogin und zum Herzog von Aquitanien ge­ krönt worden waren, als das neue Königspaar in Paris ein. Welche Eindrücke Eleonore unter dem Himmel der Ile de France empfangen, was sie, die von Jugend auf an ganz ande­ res Gewohnte, inmitten dieser Bevölkerung mit ihrer derben Sprache am nüchtern-schmucklosen französischen Hof emp­ funden haben mag, läßt sich leicht nachempfinden: In den Augen der Okzitanierin war Paris eine fast noch barbarische Stadt, was sich jedoch unter ihrer Regie bald ändern sollte. Unverzüglich holte sie aus Aquitanien und Poitou Ritter und, was nicht ohne Einfluß auf das französische Denken bleiben sollte, Troubadours an den Hof und führte überhaupt einen neuen Lebensstil und in Kleidung und Unterhaltung neue Gepflogenheiten nach südlichem Vorbild ein. In den zwölf Jahren, die sie am französischen Hof lebte, bürgerten sich, wie wir aus zeitgenössischen Zeugnissen wis­ sen, Luxus und eine gewisse Sinnlichkeit ein. Gewagte Décol­ letés kamen auf, die Mieder wölbten sich, schmiegten sich an die Körperformen und ließen Schultern und Brustansatz frei, während erlesene Stoffe in allen Farbschattierungen schiller­ ten, von Quittengelb über Grasgrün bis zum zarten Ton der Pfirsichblüten, und die Männer rasierten ihren Vollbart, nach 32

langem Zögern selbst Ludwig VIL über dessen glattrasiertes Kinn sich Eleonore jedoch nicht wenig amüsiert haben soll. Außerdem führte die Königin neue Spiele ein, vor allem den »beichtenden Priester«, dem wunderliche Bußübungen und lustige Sühnehandlungen auferlegt wurden, den »König, der nicht lügt«, ein Spiel mit indiskreten und natürlich doppel­ deutigen Fragen, und das »Pilgerspiel«, bei dem der heilige Cosmas — bzw. dessen Darsteller — durch komische Opferga­ ben und allerlei Grimassen zum Lachen gebracht werden soll­ te. Dieses Spiel wurde aber 1240 von der Synode von Wor­ cester verboten, da die Spieler in ihrem Eifer manchmal et­ was zu weit gingen und mit den Händen wohl auch etwas ab­ rutschten. Solch lustiger Zeitvertreib machte natürlich hungrig, und so ließ Eleonore ausgesuchte Imbisse mit Waffeln, Windbeu­ teln, Dörrobst von den Ufern der Garonne, Konfitüren und eingemachten Irigwer reichen, einer sehr teuren, von venezia­ nischen Händlern vertriebenen Spezialität. Die Gäste, zu­ nächst überrascht, fanden zusehends Geschmack daran und verbreiteten die Neuheit ihrerseits weiter. Kurzum, Eleonores persönlicher Einfluß auf Lebensart und Sitten des Nordens kann in jenem Abschnitt des 12. Jahrhunderts, in dem das Königreich Frankreich mehr Theorie als Praxis war und seine Identität erst noch suchen mußte, gar nicht genug betont werden. Und da Eleonore in allen Bereichen über eine verfei­ nerte Lebenskultur verfugte, kamen auch die geistigen Ge­ nüsse nicht zu kurz: aus dem Mund der Troubadours hörten die Männer des Nordens, deren Hauptbeschäftigung Jagd und Krieg war, von den Wonnen derfine amor, der höfischen Lie­ be, der langsamen Initiation in die so lustvoll kompensierte Zügelung der Triebe, und die Trouvères fesselten sie mit Abenteuern der Helden aus alter Zeit. Doch diese Helden wa­ ren nicht mehr die geistlosen, brutalen Draufgänger des Epenzyklus, der sich um die Figur Karls des Großen rankt, sondern die mehr oder minder märchenhaften Gestalten der bretonischen Überlieferung. Und immer häufiger trat nun 33

König Artus in diesen Berichten auf, die zwar manchmal et­ was schwer verständlich klangen, aber den nach Neuigkeiten, Heldentaten und fremdartigen Liebesabenteuern dürstenden Zuhörern Stoff zum Träumen boten. Zum Glück gab es ne­ ben diesen ernsten Dichtungen auch die somettes, die lustigen Abenteuer von Reineke und seinem Widersacher Isegrimm, und die fabliaux, bei denen man auf Kosten der Frauen und Kirchenleute lachen konnte. Nach guter aquitanischer Fami­ lientradition wehte um Eleonore stets ein gewisser antikleri­ kaler Hauch. Und da sich die Königin langweilte, nahm sie, ohne sich lange zu zieren, auch an den Volksfesten teil, besuchte den Jahrmarkt in Saint-Denis und nutzte jede Gelegenheit, um sich unter die lärmende, bunte Menge zu mischen, die mehr auf der Straße als in den Häusern lebte, da sich im Norden, wie in Okzitanien, alles auf der Straße abspielte. Und schließ­ lich gab es in dieser Zeit des aufsteigenden Rittertums noch einen anderen sehr beliebten Zeitvertreib, die Turniere, bei denen die neuen Helden Ruhm, Ansehen und Reichtum er­ kämpften. Bei so manchem Turnier soll Eleonore den Vorsitz geführt und sich dabei nach Aussagen der Zeitgenossen köst­ lich amüsiert haben - Anlaß genug für allerlei unüberprüfba­ re, aber dennoch in vielerlei Hinsicht aufschlußreiche Anek­ doten, die Eleonores Einfluß als Symbol der Sinnlichkeit, ja sogar der Zügellosigkeit enthüllen. Tatsächlich reißt sich die gesamte männliche Jugend um die Ehre, für die junge, strahlend schöne Königin, die nach und nach zum Inbild aller Vorzüge und zum Ziel aller Sehn­ süchte nach dem absoluten Glück aufrückt, in die Schranken zu treten. Eines Tages soll sie erklärt haben: »Nur der soll mein Ritter sein, der nackt, einzig mit einem Hemd von mir bekleidet, gegen einen Gegner in eiserner Rüstung antritt« woraufhin ein Ritter namens Saldebreuil die Herausforderung mit den Worten angenommen haben soll: »Ereilt mich der Tod, wird mir doch der Trost zuteil, in Eurem Linnen zu sterben.« Daß hinter diesem Fetischismus nicht einfache

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Sexualität, sondern, gleichviel, ob diese Anekdote nun wahr oder erfunden ist, ein ganzes Liebessystem steht, liegt auf der Hand. Saldebreuil soll also gekämpft haben und verwundet worden sein, worauf Eleonore ihn angeblich in ihre Gemä­ cher bringen ließ und mit zärtlicher Hingabe verband, um an­ schließend mit großer Verspätung und in sonderbarer Auf­ machung beim Nachtmahl zu erscheinen: Sie habe, so heißt es, das zerfetzte und blutbefleckte Hemd über ihrem Abend­ kleid getragen, worüber sich der König nicht wenig schokkiert zeigte.3 Nun war aber der König bis über beide Ohren in sie ver­ liebt; um wieviel mehr mußten sich die anderen Nordfranzo­ sen durch ihr und ihres Gefolges Verhalten vor den Kopf ge­ stoßen fühlen. Wie Reto Bezzola schreibt: »Der klerikalen Ge­ lehrtenkultur des Nordens, die sich außerhalb der Welt der Kirche zweifellos nur auf sehr beschränkte Kreise erstreckte, setzte der Süden eine durch und durch weltliche Kultur ent­ gegen, die den Norden von jeher durch ihre Wollüstigkeit und Extravaganz schockierte, angefangen bei Ludwig dem Frommen, dessen Aversion gegen die verabscheuungswürdi­ gen Sitten Aquitaniens sein Astronom hervorhebt, bis zu den Zeitgenossen Roberts des Frommen, die die Aufmachung der Königin Konstanze so überaus anstößig fanden.«4 Mit einem Wort, zwischen den beiden so grundverschieden orientierten Kulturen klaffte ein tiefer Abgrund. Aber Eleonores Einfluß beschränkte sich nicht auf Mode, Lebensstil, Literatur und Unterhaltung. Auch ihr Gatte konn­ te sich ihm nicht entziehen, wenn sich die zeitgenössischen Texte über diesen Punkt auch weitgehend ausschweigen. Ludwig VTL war nicht aus demselben Holz wie sein Vater, sondern entgegen dem Augenschein äußerst leicht zu bestim­ men. Ganz unverkennbar trägt seine Politik nach der Ehe­ schließung Eleonores Stempel: Eiligst entfernte er Suger, den Mönch, auf dessen Rat sein Vater Ludwig VL so viel gegeben hatte, aus den Staatsgeschäften, schickte die Königinmutter auf Reisen und ersuchte die Kirche des Nordens, ihrem Re-

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formeifer Zügel anzulegen. Wie nicht anders zu erwarten, gab man Eleonore die Schuld daran und verwies auf ihre persön­ liche Kirchenfeindlichkeit und die lange antiklerikale Tradi­ tion des Hauses Aquitanien. Dennoch aber besaß die Königin auch unter dem Klerus Anhänger, wie sich bei der Hochzeit ihrer Schwester Petronella zeigen sollte. Diese war mit ihr an den französischen Hof übergesiedelt, hatte hier unter den Brüdern des Königs, die sich erbittert um sie stritten, Zwie­ tracht gesät, jedoch, trotz ihres zarten Alters erstaunlich früh­ reif, ihren jugendlichen Bewerbern die kalte Schulter gezeigt und sich lieber einem erfahrenen, wenn auch einäugigen und bereits verheirateten Fünfziger, dem Seneschall Radolf von Vermandois, hingegeben. Die Liaison erregte nicht wenig Anstoß, und da sich Petronella von ihrem Geliebten nicht trennen mochte und ihre Schwester ihr vermutlich die Stange hielt, faßte man die Auflösung von Radolfs Ehe ins Auge. Nachdem sich Eleonore mit einigen kirchlichen Würdenträ­ gern ins Benehmen gesetzt hatte, die materiellen Gütern ge­ genüber ja bekanntlich stets aufgeschlossen sind, wurde Ra­ dolfs erste Verbindung für null und nichtig erklärt, womit ei­ ner Ehe mit der Schwägerin des Königs nichts mehr im We­ ge stand. Bereits 1141 hatte sich Ludwig VIL in der Hoffnung auf Erweiterung der Kronbesitzungen zu seinem Unstern von Eleonore, die die Ansprüche der Grafen von Poitou auf die Besitzungen der Grafen von Toulouse erneut geltend machen wollte, in einen Krieg verwickeln lassen. Nun sollte Petronel­ las Hochzeit mit Radolf von Vermandois einen weiteren Krieg auslösen, diesmal gegen die Champagne, deren Graf als Onkel von Radolfs erster Frau die Verstoßung seiner Nichte als Beleidigung auffaßte. Ludwig Vtt, seinerseits nicht faul, ließ Truppen aufmarschieren, Vitry-le-Francois umzingeln und in Brand setzen (1143). Dabei fanden zahlreiche Einwoh­ ner den Tod. Dieser Vorfall aber lastete schwer auf seinem Gewissen und verschärfte darüber hinaus sein Verhältnis zu Papst Innozenz H und dessen Hauptberater und geistigem 36

Führer, dem heiligen Bernhard. Nur mit Mühe konnte sich Ludwig VIL aus der Affäre ziehen, indem er sich öffentlich von Radolf von Vermandois lossagte, sehr zum Mißfallen Eleonores, die alles daransetzte, die Aufhebung der über Ra­ dolf von Vermandois verhängten Exkommunikation zu er­ wirken und eine Aussöhnung zwischen ihrem Gatten und dem Grafen der Champagne, Theobald, zu verhindern. Wirk­ lich beigelegt werden konnte die Angelegenheit ohnehin erst nach Innozenz* H Tod im Jahre 1144. Im gleichen Jahr 1144 fand in Sugers Abtei Saint-Denis die feierliche Einweihung des neuen Chores statt, der unter anderen auch Eleonore und der heilige Bernhard von Clair­ vaux beiwohnten, jener unentbehrliche Handlanger der Päp­ ste und kirchliche Machiavell. Als genialer Schnüffler und Kompromißler zu allem bereit, was das Reich Christi (sprich die weltliche Macht des Papsttums) festigen konnte, nahm der Abt von Clairvaux die Gelegenheit wahr, eine Unterre­ dung mit der Königin herbeizufuhren, wohl wissend, daß Ludwigs Verhalten weitgehend auf ihren Einfluß und ihre Querschüsse zurückging. Als echter Psychoanalytiker (oder nach damaligem Sprachgebrauch, »Gewissenslenker«) ver­ stand er es in der Tat auch, bei der in der Vita Remardi geschilderten, zweifelsohne äußerst wichtigen Begegnung et­ was sehr Nützliches in Erfahrung zu bringen - nämlich Eleo­ nores heimlichen Kummer über die Kinderlosigkeit ihrer Verbindung. In den sieben Jahren ihrer Ehe mit dem König von Frankreich hatte sich nur einmal die Aussicht auf Nach­ wuchs abgezeichnet, jedoch mit einer Fehlgeburt wieder zer­ schlagen. Nun fürchtete Eleonore, ein Fluch könnte auf ihr lasten. Ohne zu zögern, machte sich Bernhard von Clairvaux ihre seelische Verfassung zunutze, um ihr einzuschärfen, ihren Gatten nicht länger zur Auflehnung zu ermuntern. Dafür ver­ sprach er ihr, als Gegenleistung den Himmel um Erhörung ihres Wunsches nach einem Erben zu bitten. Eleonore zeigte sich gefügig, und bald darauf kam zwischen dem König und dem Grafen der Champagne ein Abkommen zustande. Zu-

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dem schienen auch Bernhards Gebete zu fruchten: 1145 brachte Eleonore von Aquitanien ein Kind zu Welt, nur lei­ der ein Mädchen, das später, sei es durch Zufall, sei es aus Be­ rechnung, zur Gräfin der Champagne avancierte. Immerhin aber hatte Eleonore den Beweis ihrer Fruchtbar­ keit erbracht — für sie nicht nur eine politische Genugtuung, sondern auch ein großes persönliches Glück. Jedenfalls gab sie sich nach Zeugenaussagen ganz den Freuden der Mutter­ schaft hin und verlor das Interesse an den Staatsgeschäften in einem Maße, daß Ludwig VH einen persönlicheren Herr­ schaftsstil entwickeln konnte und wieder bereitwilliger auf Sugers Rat hörte. An Ostern 1146 versuchte der unermüdliche Bernhard von Clairvaux die in Vdzelay versammelte Blüte des König­ reiches durch eine aufrüttelnde Predigt zur Teilnahme am zweiten Kreuzzug zu bewegen. Dem frommen Ludwig redete der schlaue Mönch ohne Zweifel ein, durch die Massakrierung ungläubiger Muselmänner Vergebung für seine schwe­ ren, an den Christen von Vitry-Ie-Fran^ois begangenen Sün­ den erlangen zu können. Jedenfalls beschloß der König, das Kreuz zu nehmen, und in der allgemeinen Begeisterung folg­ ten viele Barone seinem Beispiel. Allerdings erhoffte sich der Adel, dessen Einkünfte damals bedenklich dahinschwanden, von einem Kreuzzug neben der Vergebung der Sünden auch ausgedehnte Ländereien oder zumindest reiche Beute. Zur all­ gemeinen Überraschung äußerte Königin Eleonore die Ab­ sicht, ihren Gatten ins Heilige Land zu begleiten, und im Juni 1147, kurz vor Aufbruch des Kreuzfahrerheeres, erneuerte das Königspaar in Saint-Denis feierlich sein Gelübde. Eleonores Entschluß hat viel Kopfzerbrechen verursacht. Unter anderem wurde sogar behauptet, sie habe ihre sattsam an französischen Rittern erprobten Verführungskünste nun auch einmal jenseits des Meeres spielen lassen wollen. Einer anderen Version zufolge war sie in Ludwig zu verliebt, um sich von ihm zu trennen, und wollte lieber alle Gefahren mit ihm teilen — rührende Deutungen, die durchaus Interesse ver-

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dienten, gäbe es nicht einen Text des im allgemeinen gut un­ terrichteten und glaubwürdigen zeitgenössischen Chronisten Wilhelm von Neubourg, in dem es heißt: »Als sich dieser be­ rühmte Zug in Bewegung setzte, beschloß der König in ra­ sender Eifersucht, seine blutjunge Gemahlin um keinen Preis zurückzulassen, sondern sich von ihr in den Kampf begleiten zu lassen. Viele andere Edelleute folgten seinem Beispiel und nahmen gleichfalls ihre Gattinnen mit. Und da diese nicht oh­ ne Kammerzofen auskommen konnten, lebte im christlichen Lager, das doch hätte keusch sein sollen,5 eine große Anzahl Frauen: daher das Ärgernis, das unser Heer erregte.«6 Nun läßt die Eifersucht des Königs von Frankreich zwar auf gewisse Verdachtsmomente seinerseits schließen, besagt aber nicht, daß Eleonore tatsächlich einen lockeren Lebens­ wandel führte. Dennoch wurden der Königin von Stund an zahlreiche Günstlinge angedichtet — Beweis, daß sie bei einer bestimmten Kategorie von Geistlichen nicht sonderlich be­ liebt war oder doch zumindest die stets zu übertriebenen Vor­ stellungen von der Unmoral ihrer Mitmenschen neigenden frommen Gemüter durch ihr Gebaren vor den Kopf stieß. In Wirklichkeit besteht keinerlei Anlaß, Eleonore vor dem Zug ins Morgenland der Leichtfertigkeit oder Untreue zu verdäch­ tigen; ihr Verhalten während des Kreuzzugs und danach frei­ lich steht auf einem anderen Blatt. Doch wie auch immer, jedenfalls dürften bei dieser letztlich vom König und nicht von Eleonore getroffenen Entschei­ dung auch politische Gründe mitgespielt haben. So soll nach einer durchaus einleuchtenden Hypothese Michelets Eleono­ res Anwesenheit die Treue und den Gehorsam der Teilneh­ mer aus dem Poitou und der Gascogne, die sich als Vasallen ihrer Herzogin-Gräfin fühlten und die französische Lehnshoheit über ihre Länder nach wie vor ablehnten, sichergestellt haben. Außerdem mag die Bereitschaft der Adligen, dem Kö­ nig zu folgen, durch die Beteiligung der Frauen gestiegen sein, während das Unternehmen für diese selbst entgegen al­ len anderslautenden Berichten gewiß keine Lustpartie war.

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Nachdem das Kreuzfahrerheer vom Sammelpunkt Metz über Regensburg, Belgrad und Adrianopel den langen Weg durch Mitteleuropa zurückgelegt hatte, bot sich in Konstanti­ nopel auf Einladung von Manuel Komnenos endlich die er­ sehnte Ruhepause. Der Gastgeber ließ es an Aufmerksamkeit nicht fehlen, weckte aber durch seine übertriebene Höflich­ keit und gewisse Züge seines Wesens gelindes Unbehagen. Er war ein begeisterter Liebhaber von Krieg und Turnieren und gleichzeitig ein hochkultivierter Mann, der sich fürs Theater, für Medizin und Theologie interessierte. Komnenos verfügte über beträchtlichen Reichtum, führte jedoch einen etwas an­ rüchigen Lebenswandel, ergab sich gern dem Trunk, veran­ staltete ausschweifende Feste im Stile Philipps von Orléans und stieß seine Umgebung durch sein offenes Liebesverhält­ nis zu seiner Nichte Theodora vor den Kopf. In Konstantinopel begegnet Eleonore erstmals dem sagen­ umwobenen Morgenland, jenem trotz Niedergang und Sitten­ verfall noch immer vom unvergleichlichen Glanz einstiger Größe umstrahlten Reich. Man denke an die fremdartigen Beschreibungen, die wir aus der Karlsreise kennen, jenem Epos, das durch seine Atmosphäre und Abenteuer eher an ei­ nen Artusroman als an ein Heldenepos erinnert und unseren staunenden Blicken die keltische Märchenwelt mit ihren sa­ genhaften Schätzen erschließt: Wie für den unbekannten Trouvère muß Byzanz auch für Eleonore einen unwirklichen Anblick geboten haben, in dem alle Träume und Sehnsüchte einer von der Alltagswirklichkeit geplagten Menschheit greif­ bare Gestalt gewannen. Der Vergleich mit der Karlsreise (Le Pèlerinage de Charlemag­ ne) ist übrigens nicht aus der Luft gegriffen, gehen die Helden­ epen doch oft von einer historischen Tatsache aus (in die­ sem Fall der Reise nach Konstantinopel), auf die dann ein Abenteuer aus dem alten Mythenschatz aufgepfropft wird. Im Epos gibt den Anstoß zur Reise bekanntlich die Wut Karls des Großen, der sich eines Tages die Krone aufs Haupt setzt und seine Gemahlin fragt, ob sie einen König kenne, dem sie

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besser stünde als ihm. Als diese etwas unbesonnen bejaht, ge­ rät Karl in heftigen Zorn und droht ihr, falls sie den Namen seines Rivalen nicht preisgebe, gar mit Enthauptung, so daß sie schließlich nach langem Hin und Her Kaiser Hugo den Starken von Konstantinopel benennt, woraufhin Karl den Beschluß faßt, sich an Ort und Stelle selbst zu überzeugen, und die Gelegenheit zu einer Wallfahrt nach Jerusalem nutzt. Auf dem Kreuzzug beginnt sich Eleonores und Ludwigs Verhältnis zu lockern — vielleicht ein rein zufälliges Zusam­ mentreffen. Wir kennen die tieferen Gründe dieser Entzwei­ ung nicht, die sich im Laufe der folgenden Monate noch ver­ schärfen sollte. Die zeitgenössischen Autoren haben nichts Überzeugendes anzubieten. Durchaus möglich, daß Ludwig VIL Eleonore aus Eifersucht mitnahm, aber auch, um sich ihr als würdiger Träger der Krone zu präsentieren. Außerdem soll auf der zur Prüfung von Abaelards Lehren einberufenen Synode von Sens ein gewisser Johann von Etampes Eleonore mit dem von Merlin prophezeiten großen Adler, der seine Flügel über Frankreich und England breiten wird, gleichge­ setzt haben. Falls diese Anekdote zutrifft, muß sich Eleonore geschmeichelt gefühlt, gleichzeitig aber auch erkannt haben, daß sie die zweite Krone wohl schwerlich mit Hilfe des bra­ ven, aber etwas schwächlichen und wenig ehrgeizigen Lud­ wigs VIL gewinnen konnte. Im übrigen begann sie um diese Zeit überall zu verbreiten, sie habe »einen Mönch und keinen Mann geehelicht« - lauter Indizien für ein wachsendes Zer­ würfnis zwischen ihr und dem König von Frankreich, das durch den Konstantinopelaufenthalt wohl kaum beigelegt wurde. Eleonore dürfte in dieser hochkultivierten Umgebung, in dem vielbesungenen Morgenland der Troubadours, das ih­ rem Wünschen und Trachten, ihrer sinnenhaften Lebensfreu­ de so sehr entgegenkam, im Gegenteil regelrecht aufgeblüht sein. Zudem ging von der Persönlichkeit eines Manuel Komnenos ein bestrickender Zauber aus, und wenn auch nichts auf eine Liebschaft zwischen Eleonore und dem Kaiser von Konstantinopel hindeutet, so hat seine Person die schöne, 41

temperamentvolle Herzogin von Aquitanien doch vermutlich nachdenklich gestimmt und zum Vergleich mit ihrem »mön­ chischen Gemahl« herausgefordert. In Wirklichkeit freilich war Manuel Komnenos kein König des Goldenen Zeitalters, sondern ein Herrscher, der mit bei­ den Füßen fest auf dem Boden stand und den Fortbestand seines Reiches mehr oder minder geheimen Abkommen mit den Türken verdankte. So wurde Ludwig VIL denn auch von seinen Ratgebern mit der Warnung, Komnenos führe etwas im Schilde, zum schleunigen Aufbruch gedrängt. Beim Ab­ schied erzählte der Gastgeber dem französischen König noch von dem glänzenden Sieg seines gleichfalls am Kreuzzug be­ teiligten Schwagers Kaiser Konrads HL über die Türken — ei­ ne, wie das französische Heer kurz darauf von überlebenden Kreuzfahrern erfahren sollte, reine Mär. Konrad war im Ge­ genteil von seinen byzantinischen Führern irregeleitet und mitten in der anatolischen Wüste im Stich gelassen worden, wo die Türken sein durch Hunger und das ungewohnte Kli­ ma geschwächtes Heer mühelos aufreiben konnten. Damit war der Beweis erbracht, daß Manuel Komnenos die Abend­ länder bedenkenlos dem Fortbestand des byzantinischen Rei­ ches, sprich dem Geheimabkommen mit den Türken, opferte. Um seinem Heer ein ähnliches Schicksal zu ersparen, ent­ schied sich Ludwig VIL für einen längeren, aber sichereren Weg. Da über Eleonores Tun und Lassen auf diesem langen Marsch nichts bekannt ist, haben die Chronisten diese Lücke später mit allerlei Erfindungen über das Thema »Amazonen­ königin« zu schließen versucht. In manchen Schilderungen nimmt sie sogar in Rüstung und hoch zu Roß an der Spitze eines gleichfalls gepanzerten Frauentrupps an den Kämpfen teil, während sie in Wirklichkeit allenfalls abseits der Kampf­ truppe in Gesellschaft der anderen Frauen unter Schutz und Bedeckung der Kreuzfahrer geritten sein dürfte. In Paphiagonien kam es dann am Berg Cadmos zum ersten und beinahe auch letzten Gefecht mit den Türken: das franzö­ sische Heer erlitt schwerste Verluste, und der König entging 42

der Gefangenschaft oder dem Tod nur mit knapper Not. Gottfried von Rancon, der Befehlshaber der Vorhut, hatte sich zu bald vom Gros der Truppe entfernt und damit den Türken strategisch günstige Angriffsmöglichkeiten geboten. Da aber Gottfried von Rancon als Ritter aus Saintonge zu Eleonores Vasallen zählte, schoben böse Zungen sogleich der Königin die Schuld am ganzen Unglück zu, ja manche be­ haupteten sogar, sie selbst habe Gottfried den Befehl erteilt, sich zu entfernen, während sich andere mit der Anmerkung begnügten, Gottfried habe sich als Günstling der Königin stets in ihrer Nähe aufgehalten und sei ihr bedingungslos er­ geben gewesen. In Wirklichkeit wußte nach Augenzeugenbe­ richten niemand, was vorgefallen war, doch zeigen die er­ wähnten Interpretationen, wie feindselig die Autoren Eleono­ re gegenüberstanden und wie begierig sie jede Möglichkeit aufgriffen, sie als verworfene, zu brauchbaren Entscheidun­ gen unfähige Messalina zu zeichnen. Die schweren Verluste am Cadmos gaben Ludwig VLL zu denken: Da auf die verräterischen Byzantiner offensichtlich kein Verlaß war und auf dem Landweg allenthalben Gefah­ ren lauerten, beschloß er, mit seinem Heer auf dem Seeweg nach Antiochia überzusetzen, wo er am 19. März 1148 mit Eleonore im kleinen Hafen St. Simeon, gewissermaßen dem Piräus Antiochias, anlegte. Hier wurden sie von einem alten Bekannten, Eleonores Onkel Raimund von Poitiers, empfangen, der nach reichlich phantastischen Abenteuern und vermittels einer geschickten Heiratstaktik zum allmächtigen Herrn und Gebieter des Für­ stentums Antiochia aufgestiegen war. Obwohl Ludwig VIL und Eleonore nur zehn Tage in An­ tiochia blieben, scheint dieser Aufenthalt nicht nur ihr Leben entscheidend beeinflußt, sondern darüber hinaus auch recht unerwartete Auswirkungen auf die europäische Politik gezei­ tigt zu haben. In Antiochia ging überdies der gute Ruf der Königin endgültig zu Bruch, doch sind alle diesbezüglichen Vorfälle in tiefstes Geheimnis gehüllt. Wir verfugen lediglich 43

über Andeutungen, ein paar überlieferte Sätze und viele Sa­ gen, die, wenn sie auch erst später entstanden, dennoch ge­ wisse historische Tatsachen offenbaren. Wie schon erwähnt, fühlten sich Raimund von Poitiers und Eleonore zueinander hingezogen, und so lag es auf der Hand, sich ihre Wiederbegegnung intimer auszumalen als zu­ lässig - ein Schritt, der auch flugs, wiewohl ohne Beweis, vollzogen wurde. Davon abgesehen jedoch bleibt an diesem Aufenthalt, vor allem aus politischen und militärischen Grün­ den, auch sonst manches unklar. Ludwig VH. hatte das Kreuz genommen, um nach Jerusa­ lem zu wallfahren, während Raimund ihn für seine eigenen Zwecke einzuspannen trachtete. Fest gesonnen, aus der Trup­ penverstärkung durch das französische Heer Vorteil zu zie­ hen, suchte er den König von Frankreich bereits in den er­ sten Unterredungen zu bewegen, den Jerusalemplan noch zu­ rückzustellen und statt dessen erst alle militärischen Kräfte auf Aleppo und Hama zu konzentrieren. Seine Gründe wa­ ren, geschichtskritisch betrachtet, nicht von der Hand zu wei­ sen: Da die beiden an strategisch wichtigen Punkten des Hei­ ligen Landes gelegenen türkischen Festungen Aleppo und Hama für sämtliche christlichen Königreiche eine konkrete Bedrohung darstellten (nicht nur für das Fürstentum Antio­ chia), würde ihre Eroberung die fränkische Macht im Mittle­ ren Osten erheblich festigen und eine lange Friedenszeit ein­ leiten. Dennoch wollte Ludwig so wenig davon hören wie seine Ratgeber und drang, vermutlich weil das Massaker von Vitry noch immer schwer auf seinem Gewissen lastete, auf baldigstmöglichen Aufbruch nach Jerusalem. Da der König von Frankreich nicht mit sich reden ließ, wandte sich Raimund an Eleonore, die er offenbar mühelos von der Triftigkeit seines Planes überzeugen konnte. Jeden­ falls beginnt man von diesem Zeitpunkt an von einer Intrige zwischen Onkel und Nichte zu munkeln, da Eleonore alle Hebel in Bewegung setzte, um ihren Gatten für Raimunds Vorschläge zu gewinnen. Aber sie stieß nur auf starrsinnigen 44

Widerstand, ja sogar zornige Ablehnung. Mitschuld daran war einer der königlichen Schreiber, Thierry Galéran, auf des­ sen Meinung und Rat bereits Ludwig VI große Stücke gege­ ben hatte. Eleonore hingegen haßte Thierry Galéran und machte über ihn manch boshafte und leicht geschmacklose Bemerkung (Thierry war ein Eunuch), was er ihr nach Kräf­ ten heimzahlte. Sie brauchte nur einen Vorschlag vorzubrin­ gen, damit er prompt das Gegenteil behauptete, was, von den intimen Gründen abgesehen, den äußeren Anlaß zum Zer­ würfnis zwischen Ludwig VIL und seiner Frau gab. Erbost, beim Gatten kein Gehör zu finden, erklärte Eleonore schließ­ lich, mit ihren aquitanischen Vasallen in Antiochia ausharren zu wollen, bis Raimunds Plan in die Tat umgesetzt sei. So nahm die Auseinandersetzung immer schärfere Formen an, und als Ludwig Eleonore an ihre Pflicht als Gattin, ihn über­ allhin zu begleiten, erinnerte, empfahl sie ihm schroff, nicht so unbedacht auf seine ehelichen Rechte zu pochen, denn auf­ grund ihres Verwandtschaftsgrades könnten sie ohnedies nicht länger Zusammenleben, da ihre Ehe, kirchenrechtlich gesehen, null und nichtig sei. Damit hatte sie durchaus recht, zumindest wenn man die kanonischen Vorschriften wörtlich nahm, was aber in aller Regel nur dann geschah, wenn man eine Ehe lösen wollte. Die Kirche zeigte sich in diesem Punkt stets tolerant und ge­ währte ohne weiteres Dispens. Außerdem stellte bei Ver­ wandten neunten Grades wie bei Eleonore und Ludwig die Blutsbindung kein unüberwindliches Ehehindemis mehr dar. Warum also verfiel sie mangels anderer Argumente in ihrem Zorn ausgerechnet auf diese Drohung? Hatte sie nicht schon früher daran gedacht? Und vor allem, meinte sie es wirklich ernst? Das darf man wohl annehmen. Jedenfalls hat sie die Auto­ ren zu allerlei Sagen nach dem Muster der amour lointain, der Geliebten im fernen Land, inspiriert, jenes beliebten Themas der Troubadourdichtung, das Jaufré Rudel und andere so überzeugend besungen haben. So soll Eleonore zu dem viel­

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gerühmten, tapferen Sultan Saladin - den sie in Wirklichkeit nie zu Gesicht bekam - in einer solchen Leidenschaft ent­ brannt sein, daß sie sich von ihm sogar entfuhren lassen woll­ te und ihm zu diesem Zweck ein Stelldichein gewährte. Aber der Gatte soll, rechtzeitig informiert, seinem Rivalen zuvorge­ kommen sein und seine Frau selbst entführt haben. All das ist natürlich Unsinn: Da Saladin damals erst ganze zehn Jahre alt war, könnte es sich bestenfalls um Sultan Nured-Din gehandelt haben, was jedoch gleichfalls der Logik und Wahrscheinlichkeit entbehrt, da es sich schlecht mit Eleono­ res mutmaßlicher Liaison mit Raimund von Poitiers verein­ baren ließe. Es bleibt nur ein Schluß übrig, die Königin von Frankreich soll nach Kräften in den Schmutz gezogen werden. Doch da es bekanntlich keinen Rauch ohne Feuer gibt und das Schei­ dungsthema unbestreitbar während des Aufenthaltes des Kö­ nigspaares in Antiochia aufs Tapet gekommen ist, muß ir­ gend etwas vorgefallen sein! Beweis ist Ludwigs Eifersucht und sein überstürzter Aufbruch. Und umgekehrt sind auch die Sagen um Eleonore kein Zufallsprodukt. Aus alledem darf man wohl schließen, daß das Zerwürfnis zwischen Eleonore und Ludwig (der einen Augenblick lang sogar an Scheidung dachte, diesen Plan aber wieder fallenließ, als ihm Thierry Galéran den unvermeidlichen Skandal vor Augen hielt) im Juni 1148 in Antiochia einerseits auf Meinungsverschieden­ heiten in politischen und militärischen Fragen und anderer­ seits auf mögliche ehebrecherische Beziehungen der Königin, vermutlich zu ihrem Onkel Raimund von Poitiers, dem Für­ sten von Antiochia, zurückging.7 Auch wenn es nicht zum offenen Skandal kommt, beginnt in Eleonores Lebensgeschichte doch eindeutig ein neues Ka­ pitel. Ludwig von Frankreich zieht mit seiner Gemahlin in Richtung Jerusalem. Unterwegs jedoch verzettelt sich das französisch-okzitanische Heer, das, schlecht geführt und schlecht beraten, allmählich das Vertrauen verliert, in sinnlo46

sen Gefechten gegen die Damaszener, statt sie als mögliche Bundesgenossen der christlichen Königreiche zu gewinnen. Der Gang der Ereignisse gibt Raimund von Poitiers recht, die muslimische Gefahr zeichnet sich drohender ab denn je. Am 8. September muß sich der Stauferkaiser Konrad ILL un­ verrichteter Dinge wieder einschiffen, während Ludwig, nicht willens, das Scheitern seiner Strategie zuzugeben, an seinen Plänen festhält und sich, da auf die Byzantiner kein Verlaß ist (sie haben die Restbestände ihrer Flotte nicht etwa den Kreuzfahrern, sondern den Türken zur Verfügung gestellt), mit Roger IL von Sizilien, einem erbitterten Feind Raimunds von Poitiers, verbündet - mit magerem Erfolg: trotz des ho­ hen Blutzolls endet der zweite Kreuzzug mit einem Fehl­ schlag. An Ostern 1149 bricht auch der König von Frankreich sei­ ne Zelte im Heiligen Land ab, tritt die Rückreise aber be­ zeichnenderweise auf einem anderen Schiff an als Eleonore. Die Überfahrt verläuft recht stürmisch, da die französische Flotte mitten in die Auseinandersetzungen zwischen Roger von Sizilien und Manuel Komnenos hineingerät. Die Byzanti­ ner kapern das Schiff der Königin und nehmen mit diesem willkommenen Fang, der ihnen als Geisel dienen soll, Kurs auf Konstantinopel, doch die sizilianischen Normannen be­ freien die Königin und setzen sie in Palermo an Land. Lud­ wig ist bereits in einem kalabrischen Hafen gelandet, und so treffen die beiden Gatten in Sizilien wieder zusammen, wo sie vom normannischen König mit allen Ehren empfangen wer­ den und die Nachricht vom Tode von Raimund von Poitiers erhalten, der am 29. Juni des voraufgegangenen Jahres bei Maaratha im Kampf gegen Nur-ed-Din gefallen ist. Anschlie­ ßend zieht das Königspaar durch Italien in Richtung Heimat, muß aber, da Eleonore unterwegs erkrankt, in Monte Cassino Aufenthalt nehmen und kann sich erst Mitte Oktober zum Empfang bei Papst Eugen UL, der damals in Tusculum hofhielt, einfinden. Der Papst, durch Suger über die Ehezwistig­ keiten Ludwigs und Eleonores auf dem laufenden, unter­ 47

nimmt alles, um die beiden Gatten miteinander auszusöhnen. Er verspricht ihnen seitens der Kirche Toleranz im Hinblick auf ihre äußerst weitläufige Blutsverwandtschaft und kann of­ fenbar, zumindest vorübergehend, zwischen Ludwig und sei­ ner temperamentvollen Gemahlin Frieden stiften.8 Auch diese Versöhnungsszene hat ihren Niederschlag in einem Helden­ epos, nämlich Girart de Roussillon, gefunden: Hier trägt sich Karl mit dem Gedanken, seine Frau zu verstoßen, wird aber vom Papst umgestimmt — eine zu verblüffende Parallele, als daß es sich um reinen Zufall handeln könnte, und da der an­ onyme Verfasser dieses Liedes aus der Provinz Angoumois stammte und in Eleonores Umgebung lebte, dürfte ihm die Königin-Herzogin mit ziemlicher Sicherheit Modell für die Gemahlin Karls des Großen gestanden haben.9 Jedenfalls schenkt Eleonore kurz nach der Rückkehr nach Frankreich 1150 einer zweiten Tochter das Leben, die den Namen Aélis erhält.10 Eleonores Situation hat sich inzwischen grundlegend ge­ wandelt. Sie ist nicht mehr die junge, strahlende und tatkräfti­ ge Königin von einst und wird von Ludwig vermutlich von allen Staatsgeschäften femgehalten. Im übrigen steht der Kö­ nig nach dem Motto seiner Gemahlin »Ich habe einen Mönch geehelicht!« wieder ganz unter der Fuchtel des Abtes Suger, und außerdem war der Zusammenstoß doch überaus hart. Zwar trägt das Königspaar nach außen Einigkeit zur Schau, in Wirklichkeit aber sind die Wunden auf beiden Seiten noch nicht verheilt. So bleibt Eleonore genügend Zeit, ihren Ge­ danken in aller Muße nachzuhängen: Die Ufer der Seine sind nicht die des Orontes, wie sich das nüchterne Leben am fran­ zösischen Hof in keiner Weise mit der Pracht und Herrlich­ keit des Morgenlandes messen kann, weder mit Konstantino­ pel noch mit Antiochia. Doch Raimund von Poitiers ist tot, und so entsprechen die Träume der Königin nicht der Wirk­ lichkeit des Augenblicks. Was mag in ihr vorgehen? Schwer zu sagen. Mit Sicherheit jedoch fühlt sich Eleonore zu diesem Zeitpunkt vom Leben enttäuscht.

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Im Januar 1151 verliert Ludwig VIL seinen Ratgeber Suger, Abt von Saint-Denis, dessen historische Bedeutung au­ ßer Frage steht. Dieser integre und kluge Diener Gottes, der sein Leben in den Dienst der Kapetinger stellte und scharf­ sichtig und kompromißlos stets die Interessen des Königrei­ ches zu wahren wußte, spielte unter Ludwig VI und VH eine hervorragende Rolle. Ohne ihn, auf sich selbst angewiesen, ist Ludwig, wie der Gang der Ereignisse nach Sugers Tod be­ weisen sollte, ein Nichts. Im Januar 1151 fand am französischen Hof ein Prozeß ge­ gen Gottfried Plantagenet, Graf von Anjou und seit 1144 selbsternannter Herzog der Normandie, statt, der während der Kreuzfahrt des Königs einen königlichen Beamten, Ge­ rald Berlay, gefangengesetzt und sich seither geweigert hatte, ihn freizulassen, obwohl er wegen schweren Verstoßes gegen seinen Souverän, den König von Frankreich, unter dem Bannfluch stand. Nun war Gottfried, der nicht umsonst den Beinamen der Schöne trug, in Begleitung seines achtzehnjäh­ rigen Sohnes Heinrich am Königshof erschienen und beein­ druckte alle durch seine Erscheinung, seine Hartnäckigkeit und Gewalttätigkeit. Bernhard von Clairvaux, der sich als Mittler zwischen beiden Parteien erboten hatte, konnte tat­ sächlich Frieden stiften und erreichen, daß Gerald Berlay wie­ der auf freien Fuß gesetzt wurde und Heinrich den Lehnseid für das Herzogtum Normandie leistete. Bei dieser außeror­ dentlichen Gerichtssitzung sah Eleonore den künftigen König von England zum erstenmal, während sie Gottfried bereits vom Kreuzzug her und zwar, wie böse Zungen behaupteten, nur allzu gut kannte. In der Tat entsprach Gottfried der Schö­ ne ganz ihrem Idealbild von einem Mann. Dieser unnachgie­ bige und ehrgeizige Abenteurer hatte bereits im Jünglingsalter die fünfzehn Jahre ältere Tochter des englischen Königs, Mat­ hilde, geheiratet, die als Witwe des deutschen Kaisers Hein­ richs V. stets nur als die Kaiserin tituliert wurde. Da diese unge­ wöhnliche Frau Anspruch auf den englischen Thron erhob, den momentan ihr Vetter, Graf Stephan von Blois, der Enkel 49

Wilhelms des Eroberers, innehatte, war in England ein regel­ rechter Bürgerkrieg ausgebrochen, mitangefacht bis zu einem gewissen Grad vom König von Frankreich, der seine strikte Neutralität aufgegeben und sich auf die Seite des in seinen Augen gefügigeren Stephan von Blois geschlagen hatte. So war durch den Parisbesuch der beiden Plantagenets eine schwierige Situation geregelt worden. Durch die Kapitulation vor dem König von Frankreich hatte der Graf von Anjou — politisch außerordentlich wichtig — nicht nur freie Hand in England gewonnen, sondern darüber hinaus auch dem Bünd­ nis zwischen Ludwig VIL und Stephan von Blois die morali­ sche Grundlage entzogen. Eine noch wichtigere Rolle aber sollte diese Episode im Leben Eleonores und damit auch für die Geschicke der beiden Königreiche Frankreich und Eng­ land spielen: Die Begegnung mit dem jungen Heinrich beein­ druckte Eleonore, wie mehrere Zeugnisse erwähnen,11 so stark, daß sie schon damals den Vorsatz faßte, dereinst Hein­ rich Plantagenets Frau zu werden. Indessen hinderte sie das keineswegs, mit dem König eine ausgedehnte Rundreise durch ihre Ländereien zu unternehmen, auch wenn die At­ mosphäre zwischen den beiden Gatten, wie die Chronisten betonen, gespannt war und der König erneut von Eifersucht geplagt wurde.12 Im Frühherbst erreichte sie die Kunde vom vorzeitigen Tode Gottfrieds des Schönen, der an einem heißen Sommer­ tag im Loir gebadet hatte und anschließend von einer Krank­ heit dahingerafft worden war. Damit erbte Heinrich neben Anjou und dem Herzogtum Normandie auch die Ansprüche auf die englische Krone. Aber Ludwig VIL und Eleonore setzten ihre Reise unbeirrt fort und hielten an Weihnachten 1151 in Limoges und an Lichtmeß 1152 in SaintJean-d’Angély auf den Ländereien der Herzogin von Aqui­ tanien hof. Bei der Lektüre der zeitgenössischen Zeugnisse ge­ winnt man den Eindruck, einer in aller Form vollzogenen Auflösung beizuwohnen: Der König zieht seine Truppen aus Aquitanien ab, wie um denen der Herzogin Platz zu ma50

chen, und knapp einen Monat nach der Rückkehr des Paares breitet sich im Königreich die Kunde, ein in Beaugency im Orléanais hastig zusammengetrommeltes Konzil berate über die Auflösung der Ehe des französischen Königspaares, wie ein Lauffeuer aus. Aber die Trennung selbst war offensichtlich schon lange beschlossene Sache. Den Anstoß dazu dürfte wahrscheinlich wieder Eleonore gegeben haben — diesmal mit Erfolg, da seit Sugers Tod niemand mehr da war, um für eine Aussöhnung zu plädieren und dem König die negativen Folgen einer Scheidung vor Augen zu führen. Andererseits haßte der Hof­ staat die Königin und beschuldigte sie mehr oder minder un­ verhohlen eines liederlichen Lebenswandels, was nicht ohne Wirkung auf den schwachen Ludwig VIL blieb, der sich durch das Vorgefallene ohnedies tief gekränkt fühlte und eine abergläubische Unruhe empfand, weil Eleonore ihm keinen männlichen Erben geschenkt hatte. So war er, zumal Eleono­ res Charakter stets einen Skandal befürchten ließ, trotz des päpstlichen Verbotes, die Blutsverwandtschaft ins Treffen zu fuhren, leicht zu überreden, die Auflösung der Ehe als einzig rechtmäßiges Mittel der Trennung anzustreben. An diesem am 21. März 1152 einberufenen Konzil nah­ men viele hohe Kirchenfürsten, insbesondere die Erzbischöfe von Rouen, Sens und Bordeaux samt ihren Suffraganbischö­ fen sowie eine stattliche Zahl von Baronen teil. Köstlicher­ weise hatte der zu den Beratungen zugezogene Erzbischof von Bordeaux, Gottfried von Lauroux, den Bund, den es nunmehr zu lösen galt, fünfzehn Jahre zuvor höchstpersönlich gesegnet.13 Das Verfahren rollte protokollgemäß ab, doch zeigten sich die Zeugen so gefügig und beschworen so einhel­ lig die Blutsverwandtschaft, daß man über so viel nachträgli­ che und vor allem einstimmige Offenheit nur staunen kann.14 Kein Mensch scherte sich um die von Papst Eugen HL 1149 erteilten Weisungen, wobei man übrigens munkelte, der heili­ ge Bernhard von Clairvaux, der bei dem gleichfalls dem Zi­ sterzienserorden entstammenden Papst stets ein offenes Ohr

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fand, habe die Waffen gestreckt und den König ermächtigt, um die Auflösung seiner Ehe einzukommen.15 Nach kurzen Beratungen wurde die Verbindung unter dem Vorbehalt der Anerkennung der Legitimität der beiden Töchter für ungültig erklärt.16

Eleonore verlor keine Zeit: Unmittelbar nach Abfassung und Unterzeichnung der offiziellen Scheidungsurkunde ver­ ließ sie, anscheinend ohne tiefere Regungen, ihre sieben und anderthalb Jahre alten Töchter und den Hof, um auf ihre aquitanischen Ländereien überzusiedeln, die sie nach der Auf­ lösung ihrer Ehe ohne Abstriche wieder in Besitz nahm. End­ lich hatte sie die ersehnte Freiheit erlangt, doch für wie lange? Tatsächlich verlief die Reise von Beaugency nach Poitiers, die Eleonore mit kleinem Gefolge antrat, nicht ohne Zwi­ schenfälle: In Blois, wo sie am Vorabend des Palmsonntags eine Ruhepause einlegen wollte, gab sie mitten in der Nacht das Signal zu einem überstürzten, heimlichen Aufbruch, da sie soeben erfahren hatte, der Graf von Blois, Theobald V. (be­ kannter unter dem Namen Theobald der Betrüger), beabsich­ tige sie zu entführen und gewaltsam vor den Traualtar zu schleppen.17 Freilich nicht so sehr aus Liebe als aus dem Ehr­ geiz heraus, sich ihre ausgedehnten Besitzungen anzueignen: Eleonore war zur begehrten Partie geworden. So glich die Rückkehr nach Poitiers eher einer Flucht. Durch das Komplott in Blois gewitzigt, schickte Eleonore von nun an immer Kundschafter voraus — wie sich zeigen sollte, mit gutem Gespür, stellte sich doch heraus, daß man ihr in Port-de-Piles, wo sie die Creuse überschreiten wollte, in einem regelrechten Hinterhalt auflauerte. Diesmal war der Anstifter Gottfried von Anjou, der zweite Sohn Gottfrieds des Schönen und Bruder Heinrich Plantagenets, ein sechzehn­ jähriger ehrgeiziger und gewalttätiger Bursche, der, bei der Verteilung des väterlichen Erbes leer ausgegangen, fürs Le­ ben gern Graf von Poitiers und Herzog von Aquitanien ge­ worden wäre. Doch Eleonore durchkreuzte seinen Plan, 52

überschritt die Vienne unterhalb des Zusammenflusses mit der Creuse an einer Furt und zog im Eiltempo nach Poitiers, wo sie im Kreise ihrer Getreuen vor den Nachstellungen po­ tentieller Aspiranten sicher war. Dort, sollte man vermuten, habe sie ihre Freiheit dazu be­ nutzt, ihre riesigen Ländereien mit Hilfe der Erfahrungen, die sie als Königin von Frankreich gesammelt hatte, nach eigenen Vorstellungen zu verwalten, was sie auch tat. Aber obwohl sie sich um alles kümmerte, was in Aquitanien und Poitou vor sich ging und verschiedene Vasallen mit genau umrissenen Aufgaben betraute, schickte sie doch gleichzeitig Boten an geheime Bestimmungsorte und empfing Gesandte unbe­ kannter Herkunft. All diese Vorgänge wurden freilich streng geheimgehalten, bis sich dann am 18. Mai 1152 der Schleier lüftete: schon knapp zwei Monate nach der Auflösung ihrer Ehe mit dem König von Frankreich heiratete Eleonore, Grä­ fin von Poitiers und Herzogin von Aquitanien, in Poitiers fei­ erlich den elf Jahre jüngeren Grafen von Anjou und Herzog der Normandie, Heinrich Plantagenet. Freilich hatte sich Eleonore wohlweislich gehütet, gelten­ dem Recht und Brauch zu folgen und bei ihrem legitimen Souverän die Heiratserlaubnis einzuholen. Vermutlich hätte sich der Exgatte der neuen Verbindung aufs heftigste wider­ setzt. Als er die Neuigkeit schließlich doch erfuhr, gingen ihm nachträglich die Augen auf. Schlagartig begriff er, welch kapi­ tale Fehlentscheidung er mit der Freigabe seiner Frau getrof­ fen hatte. Suger hätte sich im Grab umgedreht: Aquitanien und Poitou waren, nach kurzem Anschluß an die französische Krone, der kapetingischen Lehnshoheit unwiderruflich verlo­ ren! Genau wie die Zeitgenossen würden wohl auch wir uns über Eleonores rasche Wiederverheiratung wundem, wüßten wir mittlerweile nicht aus authentischen Quellen, daß sie die Auflösung ihrer Ehe bereits in dieser Absicht betrieb. Wahr­ scheinlich hatte sie sogar schon im Vorjahr in Paris Kontakt zu Heinrich aufgenommen und die Verwirklichung ihrer 53

Wünsche in die Wege geleitet.18 Offenbar war sie in Heinrich reinweg vernarrt. Zum einen wohl, weil seine Erscheinung ganz ihrem Schönheitsideal entsprach, zum anderen aber zweifelsohne auch, weil sie sich an der Seite des ehrgeizigen, land- und machthungrigen jüngeren Partners eine überragen­ de Rolle versprach. So trat bei ihr Liebe zu kluger Berech­ nung, wie wohl auch Heinrich, für den es zwar keine Liebes­ heirat war, für den Charme und die von den Zeitgenossen so einhellig gepriesene Schönheit der Herzogin keineswegs un­ empfänglich war. Dazu kam, daß sie obendrein den ganzen Südwesten des Königreichs mit in die Ehe brachte und ihn so im Verein mit seinen eigenen Besitzungen zum Herrn über gut ein Viertel des heutigen Frankreich machte. Im übrigen war Heinrich Plantagenet trotz seiner Jugend ein bemerkenswerter Mann. Kraftvoll und männlich in seiner Erscheinung, stellte er als unermüdlicher und gewandter Jä­ ger und Kämpfer das schiere Gegenstück zu dem zarter ge­ bauten, eher dem mönchischen Dasein als der Lebensform ei­ nes weltlichen Herrschers zuneigenden Ludwig VIL dar, ver­ fügte aber gleichzeitig über eine umfassende Bildung: er be­ herrschte neben Latein noch mehrere andere Sprachen, dar­ unter auch das Okzitanische, förderte Künste und Literatur und umgab sich zeit seines Lebens mit Dichtem und Schrift­ stellern von Rang. Da er eine besondere Vorliebe für die Poe­ sie der Troubadours hegte, fühlte sich Eleonore an seiner Sei­ te, inmitten einer kultivierten und intellektuell regeren Gesell­ schaft, zweifelsohne mehr zu Hause als vordem am französi­ schen Hof. Im übrigen faßte nach ihrer Eheschließung die ok­ zitanische Literatur in Anjou, der Normandie und England Fuß — sehr zum Nutzen des Schrifttums dieser Länder. In all diesen Punkten waren sich die beiden Neuvermählten absolut einig, und auch der persönlichen Wesensart nach stand Hein­ rich Eleonore an Ehrgeiz, Intelligenz, politischem Geschick und Zähigkeit nicht nach. Darüber hinaus aber gab er sich au­ toritär und ließ sich, wie sich später bei verschiedenen Anläs­ sen zeigen sollte, leicht zu Gewalttätigkeiten und unüberleg-

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ten Zomesausbrüchen hinreißen. Alles in allem jedoch hatte Eleonore in Heinrich Plantagenet einen ebenbürtigen Partner gefunden, was im weiteren Verlauf ihres Zusammenlebens freilich auch zu manchem Zusammenstoß fuhren sollte. Eleonore bedachte all diejenigen mit ihrer Gunst, die ihr als Königin von Frankreich treu gedient hatten, so ihren On­ kel Radolf von Faye, den Bruder des Vizegrafen von Chätellerault und den Konnetabel von Aquitanien, Saldebreuil von Sanxay (böse Zungen zählten ihn zu ihren Liebhabern), den sie zum Seneschall ernannte.19 Außerdem bestätigte sie den Abteien sämtliche Schenkungen, die sie ihnen als Königin von Frankreich gemacht hatte. Zu diesem Zweck verfugte sie sich schon acht Tage nach der Hochzeit in die Abtei Montierneuf und tags darauf in die Abtei Saint-Maxent, wo sie die Stiftungsurkunde mit den Worten einleitete: »Ich, Eleonore, durch Gottes Gnaden Herzogin von Aquitanien und der Normandie, des Herzogs Heinrich von der Normandie und Grafen von Anjou angetraute Gemahlin.«20 Und wiederum wenige Tage später machte sie in der Abtei Fontevrault halt, für die sie immer eine besondere Vorliebe hegte und wo sie auch begraben liegt. Die vom bretonischen Einsiedler Robert von Arbrissel ge­ gründete Abtei Fontevrault war ein gemischtes Männer- und Frauenkloster nach dem Vorbild jener irischen Klöster, die einst, wie Kildare, die geistliche und geistige Größe des kelti­ schen Mönchtums begründet hatten. Außerdem unterstand Fontevrault einer für Mönche und Nonnen gleichermaßen zuständigen Äbtissin, traditionellerweise einer Witwe,21 was Eleonore, die in ihrem Verhalten stets gewisse feministische Tendenzen an den Tag legte (auch wenn dieser Begriff da­ mals noch nicht existierte), gewiß nicht mißfiel. Zur Zeit ihres Besuches in Fontevrault amtierte als Äbtissin Mathilde von Anjou, deren Gatte Wilhelm Adelin, Sohn und Erbe des eng­ lischen Königs Heinrich Beauclerc, beim Schiffbruch der Planche Nef 1120 einen tragischen Tod gefunden hatte.22 Mat­ hilde empfing die Gemahlin des Herzogs von der Normandie

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mit großer Herzlichkeit und erhielt von ihr alle Schenkungen, die Eleonores Vater, Herzog Wilhelm X, und ihr erster Gatte der Abtei gemacht hatten, urkundlich bestätigt.23 Nach diesen Besuchen in den verschiedenen Abteien ver­ brachte Eleonore einige Wochen mit Heinrich Plantagenet in Aquitanien, wo sie sich, den vorhandenen Dokumenten nach zu schließen, wohl darüber klargeworden sein muß, daß sich ihr jugendlicher Gatte nicht, wie erwartet, leicht beherrschen ließ. Er dachte nicht daran, in ihren Ländereien nur den Prinzgemahl zu spielen, sondern machte durchaus seine per­ sönliche Autorität als Herzog von Aquitanien geltend. Doch da Eleonore in ihn verliebt war, ging alles glatt. Schließlich hatte sie, was sie wollte, nämlich einen Mann, konnte also durchaus zufrieden sein. Unterdessen berief Ludwig VIL in al­ ler Eile eine Ratsversammlung ein, die in Eleonores Ehe­ schließung ohne Genehmigung ihres Souveräns einen schwe­ ren Verstoß sah und sie und Heinrich an den Hof des franzö­ sischen Königs zitieren ließ — vergebens, wie sich denken läßt, woraufhin Ludwig VIL ein ausgedehntes Ränkespiel an­ zettelte, in das er auch Heinrichs Bruder, Gottfried den Betrü­ ger, hineinziehen konnte. Der junge Gottfried, der Erbansprüche auf Anjou erhob und seinem älteren Bruder grollte, weil dieser alle Besitzungen der Plantagenets an sich gebracht hatte, organisierte in Anjou Aufstände, während die königli­ chen Truppen in die Normandie einfielen. Heinrich holte, gestützt auf die ihm treu ergebenen nor­ mannischen Barone, unverzüglich zum Gegenschlag aus und konnte im Sommer 1152 die wichtigsten festen Plätze des Herzogtums zurückerobem. Anschließend marschierte er ge­ gen seinen Bruder und schlug ihn in Vemeuil-sur-Avre trotz der Ablenkungsmanöver des Grafen von Dreux, des Bruders des Königs und mutmaßlichen Thronerben, in Montsoreau. Hierauf gab Ludwig VIL auf und schloß Frieden mit seinem Vasallen, der damit freie Hand erhielt, nun seinerseits den Anspruch seines Vaters auf den englischen Thron geltend zu machen. 56

Im Januar 1153 schiffte sich Heinrich nach England ein und ließ seine schwangere Gemahlin — vermutlich in wohl­ überlegter Absicht — in der Normandie zurück. Allem An­ schein nach war er von diesem Zeitpunkt an bestrebt, sie ih­ ren aquitanischen Ländereien zu entfremden und durch den Aufenthalt auf seinen Besitzungen in erster Linie zur Herzo­ gin der Normandie und Gräfin von Anjou zu machen. Au­ ßerdem wollte er auf diese Weise wohl auch seine wachsende Macht über sie demonstrieren. In England tobte, wie wir wissen, seit Heinrichs L Tod der Bürgerkrieg. Auf der einen Seite standen die Anhänger des al­ ternden, regierungsunfähigen Stephan von Blois, auf der an­ deren die mit Kaiserin Mathilde und Heinrich verbündeten Adligen. Da sich die Auseinandersetzungen in die Länge zo­ gen, erreichte Heinrich die Nachricht von der Geburt seines Sohnes am 17. August 1153 noch auf der Insel. Damit hatte es der Herzog der Normandie bereits mit zwanzig Jahren zu einem männlichen Erben gebracht, während Eleonore Lud­ wig VIL — wie schmerzlich für ihn — in fast fünfzehnjähriger Ehe nur zwei Töchter geschenkt hatte. Poitevinischem Brauch entsprechend und fest gesonnen, das Werk Wilhelms X. und Wilhelms des Troubadours fort­ zuführen, taufte Eleonore ihren Sohn auf den Namen Wil­ helm, der wohl auch Heinrich Plantagenet zusagte, da ihn einst der Eroberer Englands getragen hatte. Und in der Tat schien die Namenswahl ein gutes Omen, denn Ende Oktober des folgenden Jahres (1154) starb Stephan von Blois, nach­ dem er Heinrich Plantagenet ausdrücklich zum Nachfolger bestimmt hatte.24 Eiligst brachen Heinrich und Eleonore nach Barfleur auf, um sich nach England, Heinrichs heiß begehrter Insel, einzu­ schiffen, konnten aber der Herbststürme wegen erst einen Monat später in See gehen. So betrat Eleonore, die auf dem zweiten Kreuzzug bereits das Morgenland kennengelemt hat­ te, Anfang Dezember 1154 den Boden der Nebelinsel, auf der sie als Königin herrschen sollte. Wenig später, am Sonn­

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tag, dem 19. Dezember 1154, fand unter dem damals noch romanischen Gewölbe der Westminsterabtei, die hundert Jah­ re zuvor von Eduard dem Bekenner errichtet worden war, die feierliche Krönung statt. Damit hatte sich, falls die Anek­ dote über die Synode von Sens stimmt, des Johann von Etampes Prophezeiung erfüllt:25 Eleonore breitete nun ihre Flügel tatsächlich über das Festland und die britische Insel aus. In der Folge unternahm Heinrich Plantagenet mit seiner Frau eine Reihe von Reisen durch England und auf dem Festland und versuchte auf der durch den langen Bürgerkrieg verwüsteten Insel, auf der sich die Barone nur allzu gern als Haustyrannen aufspielten, wieder Ordnung zu schaffen. Er verhalf der Rechtsprechung und Verwaltung der Norman­ nen, durch die England zu einem wesentlich stärker zentrali­ sierten Staat ausgebaut worden war als Frankreich, wieder zur Geltung und belohnte seine loyalen Untertanen durch Über­ tragung wichtiger Missionen und neuer Aufgaben. Außerdem kontrollierte er die Rechtsprechung der vom König in den Grafschaften eingesetzten Sheriffs und erzwang sich vor allem bei den Herren Gehorsam. Diese besaßen neben ihren engli­ schen Ländereien allesamt auch auf dem Kontinent Land, na­ mentlich in der Normandie, wo die Kaiserin Mathilde arg­ wöhnisch nach dem Rechten sah, bereit, den Grundbesitz je­ ner Barone einzuziehen, die sich etwas zu selbstherrlich gebär­ deten. Da Heinrich das in Angriff genommene Weik unmöglich allein bewältigen konnte, ließ er sich in seiner Abwesenheit von Eleonore vertreten, sie die Normandie, Anjou sowie ihre aquitanischen Besitzungen beaufsichtigen, wenn er in Eng­ land war, und umgekehrt die Insel überwachen und inmitten der politischen Wirren in seinem Namen Entscheidungen treffen, wenn er das Festland bereiste. So ergänzten sich die beiden politisch gleichermaßen klugen und ehrgeizigen Ehe­ leute denkbar ideal, auch wenn sich Eleonore im Laufe dieser endlosen Reisen wohl manches Mal nach dem gemächlichen,

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kultivierten Leben an ihrem eigenen Hof in Poitiers gesehnt haben mag, an dem die gebildetsten Leute der damaligen Zeit verkehrten. Am 28. Februar 1155 wurde dem Königspaar ein weiterer Sohn geboren, der zu Ehren seines Vaters in der Westminsterabtei auf den Namen Heinrich getauft wurde und neben dem Titel Graf von Anjou schon bald den Beinamen »der junge König« erhielt. Trotz seiner Geburt setzte Eleonore ihre Reisen durch das Reich der Plantagenets fort. Und eineinvier­ tel Jahre später brachte sie ein Mädchen zur Welt, das nach der Königinmutter Mathilde genannt wurde. Kurzum, Eleo­ nores und Heinrichs Bund schien vom Himmel gesegnet. Zwar starb der Älteste, der kleine Wilhelm, den Eleonore gern zum Grafen von Poitiers bestimmt hätte, im Juni 1156 knapp dreijährig, aber schon ein Jahr darauf, am 8. September 1157, kam in Oxford der dritte Sohn, Richard, und wieder­ um ein Jahr später, am 23. September 1158, der vierte, Gott­ fried, zur Welt, so daß der Fortbestand des Hauses Plantage­ net als gesichert gelten durfte, dessen Herrschaft Heinrich durch Streifzüge beidseits des Kanals unermüdlich festigte.26 Nachdem Eleonore ihren Gatten Ende 1158 zur Belage­ rung von Thouars begleitet hatte (denn um den gegen Hein­ rich Plantagenet revoltierenden Wido von Thouars zur Räson zu bringen, war die Präsenz der offiziellen Souveränin Eleo­ nore vonnöten), hielten die beiden in Cherbourg großen Hof, um anschließend erneut durch ihre südlichen Besitzungen bis Blaye zu ziehen, wo es Anfang 1159 zu einer wichtigen Un­ terredung mit dem Grafen von Barcelona, Raimund Berengar IVn kam. Dann ging es zurück nach Poitiers, wo Heinrich ein großes Heer zur Eroberung der Grafschaft Toulouse zusam­ menzog, da Eleonore ihre Ansprüche auf dieses Gebiet be­ kanntlich nie aufgegeben und achtzehn Jahre früher schon den König von Frankreich zu einem Feldzug gegen Toulouse veranlaßt hatte, der allerdings kläglich gescheitert war. Wel­ che Ironie des Schicksals, daß der König die Grafschaft nun seinerseits gegen die Prätentionen der Herzogin von Aquita59

nien verteidigen mußte, denen im übrigen auch diesmal der Erfolg versagt blieb. An Weihnachten 1159 hielten Heinrich und Eleonore in Falaise großen Hof, und da Heinrich mit verschiedenen auf­ ständischen Vasallen noch ein Hühnchen zu rupfen hatte, entsandte er die Königin als Stellvertreterin, mit allen Voll­ machten ausgestattet, nach England. Doch als sich im folgen­ den Herbst die Lage auf der Insel besorgniserregend zuspitzte und Eleonore die Zügel entglitten, rief Heinrich sie mit dem fünfjährigen Kronprinzen nach Rouen zurück und schiffte sich seinerseits nach England ein, um seine Vasallen in die Knie zu zwingen. Eleonore residierte in Le Mans und Dom­ front und schenkte im September 1161 einer weiteren Toch­ ter das Leben, die in Gegenwart von Robert von Thorigny, dem Abt von Mont-Saint-Michel, einem beachtenswerten Chronisten jener Zeit, den Namen ihrer mittlerweile neun­ unddreißigjährigen Mutter erhielt, die sich nach Aussage von Augenzeugen noch im Vollbesitz ihrer vielumschwärmten Schönheit befunden haben soll. Mit der Erlaubnis ihres Gemahls ließ Eleonore in Poitiers, für das sie ohne Zweifel eine besondere Vorliebe hegte, eine prächtige Kathedrale erbauen. Sie empfand es gewissermaßen als ihre ganz persönliche Hauptstadt, die sie zu verschönern und zum glanzvollen Sammelbecken der künstlerischen und literarischen Elite ihrer Zeit auszubauen trachtete, nur daß ihr ihre Pflichten als Königin und Heinrich Plantagenets zwin­ gende Wünsche nie Zeit zu längeren Aufenthalten ließen. So muß sie sich, nachdem sie Weihnachten 1162 in Cherbourg verbracht hat, nach England einschiffen, wo wir sie 1163 und 1164 in Gesellschaft ihrer fünf Kinder in Hampshire, Wiltshire, Marlborough, Winchester, auf der Isle of Wight und in Dorset antreffen, während sie ihren Gatten kaum mehr zu Gesicht bekommt. In Wahrheit war Heinrich Plantagenet nie in Eleonore ver­ liebt gewesen. Er hatte sie - diese bittere Erkenntnis däm­ merte ihr nun — im Grunde nur ihrer Besitzungen wegen ge60

heiratet und betrachtete sie bei aller Achtung lediglich als Mutter seiner legitimen Kinder. Obwohl er seine zahlreichen, durchweg kurzlebigen Liebesabenteuer im allgemeinen recht diskret abwickelte, litt Eleonore zutiefst darunter, da sie die­ sen bei aller Brutalität kultivierten Fürsten, dem sie alles hin­ gegeben hatte, noch immer liebte. Im übrigen vermochten ihr die Lästerzungen, die ihr als Königin von Frankreich eine ganze Sammlung von Liebhabern nachgesagt hatten, als Kö­ nigin von England nichts mehr anzuhängen - mit einigen wenigen Ausnahmen, insbesondere des Troubadours Bern­ hard von Ventadom, den Heinrich II interessanterweise vom Hofe entfernte.27 Nachdem Eleonore im Oktober 1165 einer weiteren Toch­ ter, Johanna, das Leben geschenkt hatte, verbrachte sie den Winter in Angers, wo Heinrich an Ostern zu ihr stieß, schiff­ te sich aber ein halbes Jahr später bereits wieder nach Eng­ land ein und gebar am 27. Dezember 1166 in Oxford ihr zehntes Kind, Johann - ihr achtes mit Heinrich, von denen sieben am Leben blieben. Zu diesem Zeitpunkt gebot sie nicht mehr über Herz und Sinne des Königs Plantagenet, der damals offenbar alle Hebel in Bewegung setzte, um sie von den Staatsgeschäften femzuhalten. Außerdem war ihr in Heinrichs Kanzler Thomas Becket ein mächtiger und kluger Gegenspieler erwachsen, mit dem sie, wie einst als Königin von Frankreich mit Suger, bereits mehrfach zusammengesto­ ßen war — und wie Suger hatte sich auch der Kirchenmann Thomas Becket nichts gefallen lassen. 1168 jedoch brauchte Heinrich nach der Niederschlagung zahlreicher Aufstände auf dem Festland und der Schleifung der Burg von Lusignan Eleonores Mitwirkung zur Befrie­ dung von Aquitanien. Und da ihn selbst die Staatsgeschäfte nach England riefen, ließ er ihr in der Hoffnung, ihre Vasal­ len würden ihr eher parieren als ihm, in allen Dingen freie Hand. So brach Eleonore nach Aquitanien auf. Doch die Lusignaner mochten auch vor ihr die Waffen nicht strecken und ver­

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letzten ihren Reisebegleiter, den Grafen von Salisbury, in ei­ nem Hinterhalt tödlich. Trotzdem aber gelang es Eleonore, in diesem unruhigen Land, in dem jeder nach Lust und Laune schaltete und waltete und vom König von England nichts wissen wollte, einen Schimmer von Ordnung zu stiften. Zwar stand dieser Frieden auf wackligen Beinen, aber er war doch ihr persönliches Verdienst, da in Aquitanien niemand ihre Le­ gitimität in Zweifel zog und sie dank ihrer profunden Kennt­ nis der okzitanischen Verhältnisse, ihrer starken persönlichen Ausstrahlung und sogar ihrer Legende mit Überredungskün­ sten erreichte, was ihr Gatte mit Gewalt hätte durchsetzen müssen. Heinrich Plantagenet begriff das alles sehr wohl und be­ schloß, sich mit dem König von Frankreich auszusöhnen. Nachdem er durch seinen Gesandten Thomas Becket zu­ nächst eine Art Nichtangriffspakt hatte aushandeln lassen, traf er mit Ludwig VII. selbst zusammen, schloß mit ihm die Ver­ träge von Montmirail und nahm anschließend die unerläßli­ chen Strukturreformen in Angriff, die dem Hause Plantage­ net auch künftig die Herrschaft über dieses gewaltige, reiche, aber nur mühsam zusammengekittete Reich sichern sollten. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde Richard, der Zweitgebo­ rene und Liebling Eleonores, im Alter von zwölf Jahren zum Herzog von Aquitanien ernannt und unmittelbar der Autori­ tät seiner Mutter unterstellt. Diese übersiedelte mit ihm ins Poitou, wo sie an Ostern 1170 eine pompöse Gerichtssitzung in Niort abhielt, das Heinrich zur Überwachung des Bas-Poitou zu einer starkbewehrten Festung hatte ausbauen lassen. Außerdem wurde auf Eleonores Rat, die die Plantage­ net-Dynastie der französischen anzugleichen suchte, der ältere Sohn Heinrich nach kapetingischem Muster bereits mit fünf­ zehn gekrönt und zum Mitregenten erhoben. Der Zeremonie am 14. Juni 1170 konnte Eleonore jedoch, so gerne sie sicher teilgenommen hätte, nicht beiwohnen, da sie, angeblich mit großem Gefallen, zur selben Zeit in Caen die Kerkermeisterin der jungen Margarete von Frankreich spielte, einer Tochter 62

Ludwigs VH aus zweiter Ehe, die fast von Geburt an mit Heinrich dem Jüngeren verlobt war. Für Heinrich IL sind unterdessen finstere Zeiten angebro­ chen: er hat sich mit seinem inzwischen zum Erzbischof von Canterbury ernannten alten Freund Thomas Becket überwor­ fen und ihn auf den Stufen des Altars ermorden lassen. Diese Tat aber hat ihm den Haß aller eingetragen: Die alten Sachsen revoltieren gegen den »Usurpator«, wie sie ihn nennen, und auch die Kirche kann solchen Frevel nicht dulden und ent­ zieht ihm ihre Unterstützung. Mit dem Kirchenbann belegt, von den einen verlassen, von den anderen verachtet, muß er sich allein gegen alle schlagen. Eleonore genießt während die­ ser Zeit allem Anschein nach unumschränkte Freiheit. Sie un­ ternimmt mit ihrem Sohn Richard einen wahren Triumphzug durch Aquitanien, macht ihn mit den Troubadours bekannt, die eine so große Rolle in ihrem Leben spielen. Später wird sich Richard als würdiger Urenkel Wilhelms IX. gleichfalls als Dichter betätigen und voll Eifer bei jenen erstaunlichen Män­ nern in die Schule gehen, die die Kultur des mittelalterlichen Abendlandes so tiefgreifend umgestalteten. Eleonore dagegen spielt die Königin, läßt prächtige Sakralbauten wie das Augu­ stinerkloster in Limoges, aber auch Residenzen aufführen und versammelt in Poitiers, das mehr denn je zu ihrer persönli­ chen Hauptstadt aufrückt, einen ganzen Hofstaat von Künst­ lern, Dichtem und Musikern aus aller Herren Länder um sich, was eine ungewöhnliche Wirkung auf die europäische Literatur ausüben sollte. Eleonore ist nun schon fast fünfzig, besitzt aber noch im­ mer einen Charme, den die Zeitgenossen begeistert besingen. Ihre älteste Tochter Mathilde hat sie bereits verlassen und den ungestümen, siebenundzwanzig Jahre älteren Heinrich den Löwen geheiratet, ihre zweite, Eleonore, ist Königin von Ka­ stilien (deren Tochter Bianca wird Eleonore später mit dem französischen Thronfolger vermählen und so zur Urgroßmut­ ter Ludwigs IX. aufrücken, sie, die geschmähte Gemahlin Ludwigs VIL!). Außerdem hat sie durch allerlei Machen-

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schäften die auch von Heinrich IL erstrebte Verlobung Gott­ frieds mit der Erbin des Herzogtums Bretagne, Konstanze, zu­ stande gebracht, deren Vater Konan IV. sich in seine englische Grafschaft Richmond zurückziehen will,28 kurzum, Eleonore setzt sich unermüdlich und mit einem Ehrgeiz, als ginge es um ihre eigenen Belange, für das Wohl ihrer Kinder ein. Zu ihrem Gatten unterhält sie zu diesem Zeitpunkt nur noch entfernte und sporadische Beziehungen. Solange sich der König mit flüchtigen Abenteuern begnügte, hatte Eleo­ nore zwar nicht gerade über alles hinweggesehen, aber doch weitgehend Verständnis gezeigt. Um 1166 jedoch, kurz nach Johanns Geburt, hatte sich Heinrich H in ein junges Mäd­ chen, die schöne Rosamunde, vernarrt, deren sich die Sage ebenso bemächtigen sollte wie der Person Eleonores. Aus ei­ ner Augenblickslaune war eine solche Leidenschaft erwach­ sen, daß der König sie nicht mehr geheimzuhalten vermoch­ te, und so blieb sie auch Eleonore nicht verborgen, was zu er­ heblichen Spannungen führte. Die Geschichte weiß über Ro­ samunde nur wenig zu berichten, außer daß sie die Tochter des normannischen Ritters Walter von Clifford war, dessen Ländereien in Bredelais an der Waliser Grenze lagen, und daß sie nach Darstellung der Chronisten sehr schön gewesen sein soll.29 Dafür hat die Sage diese dürftigen Fakten kräftig ausge­ schmückt und Heinrich IL zum überaus eifersüchtigen und vorsichtigen Liebhaber gestempelt: Um Nebenbuhler fernzu­ halten und Eleonores Zorn abzuwenden, soll er auf Schloß Woodstock den Bau eines regelrechten Labyrinthes angeord­ net und Rosamunde in ein Prunkgemach eingeschlossen ha­ ben, zu dem nur er allein Zugang besaß. All diese Vorsichts­ maßregeln jedoch konnten Eleonore angeblich nicht davon abhalten, nach Bestechung der Wächter ins Schloß einzudrin­ gen und ihre Rivalin kaltblütig zu ermorden. In Wirklichkeit wurde der Plantagenet seiner Mätresse schließlich überdrüs­ sig, und diese starb 1177 in Godstow, wie die meisten könig­ lichen Favoritinnen aller Zeiten, in einem Nonnenkloster ei­ nen gottseligen Tod. 64

Doch wie auch immer, fest steht jedenfalls, daß Eleonore auf Rosamunde eifersüchtig war und Heinrich IL diese Lieb­ schaft nie verzieh, sondern im Gegenteil alles unternahm, um sich zu rächen. Aber während die Sage sie an Rosamunde Ra­ che üben läßt, offenbart uns die Geschichte einen völlig ande­ ren Tatbestand: Eleonore kehrte sich gegen Heinrich selbst und schickte sich, ohne zu zögern, an, den machiavellistischen Plan, seine Söhne gegen ihn aufzuwiegeln, mit der ganzen ihr zu Gebote stehenden Klugheit und Geschicklichkeit ins Werk zu setzen. In der Tat erforderte, was sie da insgeheim ohne den leise­ sten Skrupel in Angriff nahm, Ausdauer, Zähigkeit und voll­ endetste Heuchelei. Allerdings kannten Heinrichs Söhne, nach guter angevinischer Familientradition gleichfalls skrupel­ los, ohnehin nur da Familiensinn, wo es ums Erbe ging. Ein­ zig Eleonore besaß einen gewissen Einfluß auf sie, den sie nun geschickt für ihre Zwecke nutzte: Dem Ältesten bedeute­ te sie, daß er des Vaters Tod nicht abzuwarten brauche, um die Macht zu ergreifen (schließlich sei er gekrönter Mitre­ gent), Richard, daß es für ihn allmählich an der Zeit sei, sich unter ihrer Leitung, versteht sich — als der eigentliche, von den Baronen offiziell anerkannte Herzog von Aquitanien zu etablieren, und Gottfried, daß er als künftiger Herzog der Bretagne seinem Vater nichts schuldig sei. Johann blieb in Anbetracht seiner Jugend noch aus dem Spiel, hätte sich aber, in das Komplott mit einbezogen, nach allem, was wir über seinen Charakter und sein späteres Verhalten wissen, gewiß unrühmlich hervorgetan. Vor allem jedoch öffnete Eleonore ihren Söhnen die Augen für die Gefährdung des Plantage­ net-Reiches, das, teils auf dem Festland, teils in Großbritan­ nien und neuerdings sogar in Irland gelegen (zu dessen »Oberkönig« sich Heinrich IL kurz zuvor hatte »wählen« las­ sen), zwei unterschiedlichen Rechtsformen verhaftet war: Während das Königreich England im Prinzip von keinem weltlichen Souverän abhängig war,30 handelte es sich bei den Besitzungen auf dem Festland durchweg um Lehen oder Af­

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terlehen der kapetingischen Monarchie. Und schließlich und endlich legte Eleonore ihren Söhnen nahe, sich bei ihrem Ex­ gatten Ludwig VIL Rat zu holen. Mittlerweile hat sich Heinrich IL mit der Kirche endlich wieder ausgesöhnt. Die Ermordung des Erzbischofs von Can­ terbury hatte allenthalben Empörung ausgelöst und dem Kö­ nigreich England eine Zeitlang das Interdikt eingebracht. Heinrich selbst blieb der Zutritt zu allen Heiligtümern ver­ wehrt. Der Pilgerstrom in die Kathedrale, in der ein Jahr lang kein Gottesdienst abgehalten worden war, und an Thomas Beckets Grab war nicht abgerissen. Man erzählte sich von Wundem an seinem Grab, kurzum, die Heiligsprechung des unglücklichen Erzbischofs stand unmittelbar bevor. Zwar hat­ te Heinrich IL in ehrlicher Bestürzung über das Drama, das er in dieser krassen Form vielleicht tatsächlich nicht gewollt hat­ te, seine Unschuld beteuert, jedoch bei niemandem Glauben gefunden. Am 21. Mai 1172 aber hatte er in Gegenwart sei­ nes Ältesten in Avranches vor versammelten Prälaten und Baronen aufs Evangelium geschworen, Thomas Beckets Tod weder angeordnet noch gewünscht zu haben und anschlie­ ßend den Mönchen seinen entblößten Rücken zur Geißelung dargeboten. Nachdem er durch diese »Buße von Avranches« einen der schwärzesten Flecken in seinem Leben getilgt hat, hält Hein­ rich, nun gewissermaßen ein neuer Mensch, an Weihnachten desselben Jahres in Chinon hof. Er hat die Königin gebeten, teilzunehmen — weniger, weil er Wert auf ihre Gesellschaft legt, als vielmehr, weil er einen Rechenschaftsbericht über ih­ re fast dreijährige Verwaltungstätigkeit in Aquitanien und Poitou haben möchte. Eleonores präzise Auskünfte stellen ihn vollauf zufrieden. Doch als er zwei Monate später in Li­ moges eine weitere Versammlung abhält, an der auch Hein­ rich der Jüngere und Richard teilnehmen, hinterbringen ihm seine Spitzel — denn der König von England unterhält einen sehr gut organisierten Nachrichtendienst, um die Schachzüge seiner Gegner schnell parieren zu können -, es trügen sich 66

insgeheim merkwürdige Dinge zu, vor allem sei ein verdäch­ tiger Austausch zwischen dem französischen Hof und der Umgebung seiner Söhne zu beobachten. Der stets mißtrauische Heinrich IL zieht daraufhin weitere Erkundigungen ein, beschließt jedoch, da man ihm keine Be­ weise liefern kann, die Sache vorerst auf sich beruhen zu las­ sen. Schließlich hat er diese Versammlung in der Absicht, ei­ nen persönlichen Triumph zu feiern, bis ins kleinste vorberei­ tet. Unter anderem gedenkt er den Baronen die Hochzeit sei­ nes Jüngsten, Johann, mit der Erbin von Maurienne anzu­ kündigen und Johann, der offensichtlich sein Lieblingssohn, aber aufgrund seiner unglücklichen Stellung in der Erbfolge noch der, wie er sich ausdrückt, »Ohneland« ist, eine Reihe von Schenkungen zu machen. Außerdem soll Graf Raimund V. von Toulouse, den er einige Jahre zuvor auf Eleonores Be­ treiben erfolglos bekriegt hatte und der nun nach seinem Ab­ fall vom König von Frankreich in die Lehnsfolge der Planta­ genets einzutreten beabsichtigt, den feierlichen Lehnseid lei­ sten. Und schließlich soll noch die geplante Verheiratung sei­ ner jüngsten Tochter Johanna mit dem König von Sizilien be­ kanntgegeben werden. Kurzum, Heinrich Plantagenet wähnt sich auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Er will als Trium­ phator kommen und sich allen begreiflich als mächtigster Herrscher des Abendlandes herausstellen. Doch die Versammlung von Limoges stellt einen Wende­ punkt in Heinrichs und Eleonores Leben dar. Als der König, nachdem er den Lehnseid Raimunds V. entgegengenommen hat, seine Pläne bezüglich Johann Ohneland darlegt, ergreift Heinrich der Jüngere gegen ihn Partei und protestiert ener­ gisch gegen die Verfügungen zugunsten seines Bruders. Mehr noch, mit dem Hinweis auf seine Krönung und seinen Kö­ nigstitel verlangt er die faktische Herrschaft, da seine Krö­ nung sonst eine reine Farce sei. Die Versammlung endet mit einem Fiasko: Heinrich IL sieht seinen Triumph durch den skandalösen Auftritt seines Sohnes torpediert. Zunächst glaubt er noch, sein Sohn habe

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sich aus Übellaunigkeit zu diesem Verhalten hinreißen lassen, doch dann enthüllt ihm der Graf von Toulouse unter vier Augen alles, was er über die Verschwörung der drei Königs­ söhne erfahren hat, und verabsäumt nicht, Eleonore als An­ stifterin anzuschwärzen. Heinrich weiß nicht, woran er ist. Er mißtraut Raimund V, der bekanntlich vor keinem Verrat und vor keiner Lüge zurückschreckt. Doch am 8. März 1173 wechselt Heinrich der Jüngere an den Hof König Ludwigs VH über, wo sich ihm wenige Tage später auf Weisung ihrer Mutter auch Richard und Gottfried anschließen. Daß der Kö­ nig von Frankreich die drei aufrührerischen Söhne seines Ri­ valen mit offenen Armen aufnimmt, läßt sich denken, hätte er sich eine bessere Rache doch gar nicht wünschen können. Ebenso leicht läßt sich die Enttäuschung und Wut Heinrich Plantagenets vorstellen, zumal seine Pechsträhne andauert: Die aquitanischen Vasallen, insbesondere Eleonores Ver­ wandte, Radolf von Faye, die Lusignans, Sainte-Maures und Rancons haben für die drei Überläufer Partei ergriffen und ei­ nen offenen Aufruhr gegen ihn angezettelt. Diesmal kann Heinrich IL die Beschuldigungen Raimunds V. nicht mehr in Zweifel ziehen, zeigt sich doch nur allzu deutlich, daß Eleo­ nore die Seele des gegen ihn geschmiedeten Komplottes ist. Wie stets in solchen Fällen, holt Heinrich zum Gegen­ schlag aus. Man will ihm Aquitanien rauben, also wird er es mit Gewalt zurückerobem. Er weiß, daß er sich auf die nor­ mannischen Barone und einige englische Herren verlassen kann, die er nun zusammentrommelt, um im November 1173 nach der Abwehr eines französischen Angriffs auf die Normandie zur Offensive überzugehen. Er hat, entgegen dem Brauch der Zeit, Söldner angeworben und, um sie auszahlen zu können, seinen gesamten Besitz verpfändet. In verblüffen­ dem Tempo führt er sein Heer mit der Gewandtheit eines großen Feldherm von der Normandie nach Poitou und bela­ gert die Burg Radolfs von Faye, in dem er — übrigens zu Recht — den treuesten Anhänger der Königin vermutet. Bin­ nen kurzem kann er die Festung einnehmen, aber Radolf be-

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findet sich schon unterwegs nach Paris. Daraufhin wendet sich Heinrich Poitiers zu, wo sich Eleonore aufhält. Diese begreift sehr wohl, daß das Spiel verloren ist, und sucht, da sie wenig Lust verspürt, ihrem Mann in die Hände zu fallen, zu fliehen. Vielleicht hegt sie sogar die Absicht, den König von Frankreich um Asyl zu bitten, was eine geglückte Rache des Schicksals wäre. Jedenfalls stößt ein im Sold des Königs Plantagenet stehendes Häuflein Brabanter nördlich von Poitiers auf der Straße nach Chartres, das heißt in Rich­ tung der kapetingischen Besitzungen, auf einen Trupp Ritter, von denen sie die einen niedermachen und die anderen gefan­ gennehmen, darunter, in Männerkleidung, die KöniginHerzogin Eleonore. Damit ist Heinrichs Rückeroberungskrieg beendet; Poitou und Aquitanien unterwerfen sich, wenn auch nur nach außen hin und für den Augenblick, während Eleonore von ihrem Gatten als Gefangene nach Chinon gebracht und in der Fe­ stung eingekerkert wird.

Von diesem Zeitpunkt bis zum Tode Heinrichs II im Jahre 1189 sollte die Königin-Herzogin zwar mit allem ihrem Rang schuldigen Respekt, aber doch, von Vertrauensleuten ihres Gatten streng überwacht, als Gefangene von Burg zu Burg geschleppt werden und so fast sechzehn Jahre lang, allen Ein­ flusses beraubt, von ihren Söhnen verlassen, die keinen Fin­ ger zu ihrer Befreiung rühren, im Schatten stehen. Als sich der König nach der Scheinregelung im Poitou voll Besorgnis über die Vorgänge an der schottischen Grenze am 8. Juli 1174 in Barfleur einschifft, nimmt er nicht nur Eleono­ re, sondern auch noch andere wichtige Gefangene mit, vor al­ lem Margarete, die junge Frau seines rebellierenden Ältesten, den er auf diese Weise zur Räson zu bringen hofft, aber auch aufrührerische Vasallen wie die Grafen Chester und Leicester. In England sperrt Heinrich Plantagenet seine Frau in Salis­ bury in einen Turm, wo sie die Niederlage ihrer von Ludwig VTL unterstützten Söhne und ihre Unterwerfung unter den 69

Vater erfährt. Damit schwindet für sie die letzte Hoffnung, ihren königlichen Rang von einst zurückzugewinnen. Hein­ rich II hat zwar seinen Söhnen - theoretisch - verziehen, hü­ tet sich aber, etwas zugunsten seiner Gemahlin zu unterneh­ men. Im übrigen deutet alles darauf hin, daß er sich ihrer ent­ ledigen möchte, sei es, weil sie ihm politisch nicht mehr nützt, sei es, weil er sich in seinem schon seit langem aufgenomme­ nen ausschweifenden Lebenswandel keinerlei Zügel mehr auf­ erlegen will. Tatsächlich trifft im Oktober 1175 ein päpstlicher Legat in England ein, der Kardinal der Engelsburg, Uguccione, der von Heinrich aufs freundlichste und mit allen Ehren empfan­ gen wird und nach Darstellung der Chronisten31 mit ihm die Möglichkeit einer Annullierung seiner Ehe bespricht. Wieder einmal wird die Blutsverwandtschaft ins Treffen geführt,32 doch die Angelegenheit verläuft im Sande, sei es, weil der päpstliche Abgesandte diese Lösung ausklammerte, sei es, weil sich Heinrich der Probleme bewußt wurde, die die Auf­ lösung der Ehe vor allem in den aquitanischen Besitzungen aufgeworfen hätte, die Eleonore ja wieder hätte an sich brin­ gen können.33 So wird die Königin, von Ralph Fitz-Stephen und Radolf von Glanville, zwei Heinrich IL bedingungslos ergebenen Normannen aus gutem Haus, bewacht, von Burg zu Burg ge­ schleppt — was sie freilich nicht daran hindert, sich über die Vorgänge im Reich der Plantagenets auf dem laufenden zu halten, die Huldigung dieses oder jenes Vasallen durch Boten entgegenzunehmen und Kontakte nach verschiedenen Rich­ tungen zu pflegen. Denn wenn sie auch die Hoffnung, die Königswürde wiederzuerlangen, endgültig aufgegeben hat und mit Richard, den sie des feigen Verrats beschuldigt, auf mehr oder minder gespanntem Fuß steht, kann sie doch auf die Sympathie vieler ihrer poitevinischen und aquitanischen Untertanen zählen. Das bezeugt unter anderem ein fast lyri­ scher Erguß in der Chronik Richards aus Poitou, deren Ver­ fasser sie in direkter Anrede den »Adler« aus Merlins Prophe-

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zeiungen nennt und ihr verheißt, der Tag ihrer Befreiung und Rückkehr in ihre Heimat, natürlich Aquitanien, sei nicht mehr fern.33*5 Doch die Zeit ist noch nicht reif, auch wenn die drei älteren Söhne Heinrichs IL hinterhältig sowohl gegen ih­ ren Vater als auch gegeneinander intrigieren.34 Als 1177 die Nachricht von Rosamundes Tod eintrifft, bleibt Eleonore ziemlich gleichgültig. Ihre leidenschaftlichen Gefühle für Heinrich sind längst erloschen, zumal dieser nach wie vor ein äußerst bewegtes Liebesleben führt: Zu diesem Zeitpunkt unterhält er, wie wir inzwischen wissen, gerade ein Verhältnis zur jungen Alais von Frankreich, der Tochter Lud­ wigs VTL und Verlobten Richards, was dem letztgenannten später triftige Gründe für den Bruch des Ehegelöbnisses lie­ fern wird. Um dieselbe Zeit heiratet Eleonores jüngste Toch­ ter, die elfjährige Johanna, Wilhelm, den hochgebildeten, für seine feinen höfischen und ritterlichen Sitten bekannten Kö­ nig von Sizilien. Und 1179 erfährt Eleonore, daß ihr Exgatte Ludwig VH ein Gelübde, das er anläßlich eines Unfalls seines Erben Philipp Augusts (den er Deodat, Gottesgeschenk, nennt) ablegte, eingelöst hat und in Begleitung Heinrichs IL zu einer Wallfahrt nach Canterbury zum Grabe Thomas Beckets aufgebrochen ist. Bei dieser Gelegenheit kommt zwi­ schen den Königen von Frankreich und von England eine Scheinversöhnung zustande, und als Ludwig VIL seinen Sohn am darauffolgenden 1. November krönen läßt, erhält der eng­ lische Thronfolger Heinrich derJüngere, der auf Weisung seines Vaters am französischen Hofe erschienen ist, den ehrenvollen Auftrag, im Festzug auf einem Kissen die Krone zu tragen. Am 18. September des darauffolgenden Jahres stirbt Ludwig VIL in der Zisterzienserabtei Saint -Port und mit ihm für Heinrich Plan­ tagenet ein ehrenwerter, politisch jedoch ziemlich untalentierter Gegner. Sein Nachfolger Philipp wird sich als Gegenspieler von ganz anderem Format erweisen. Doch mittlerweile lebt Eleonore noch immer in Gefangen­ schaft, während Heinrich IL nach wie vor unermüdlich mit einem buntgewürfelten Gefolge, darunter auch Gauklern, 71

Spielleuten und Dirnen, im Eiltempo durchs Land zieht, sich um Finanzen und Rechtsprechung kümmert, aufrührerische Barone in ihre Grenzen verweist, zur Abschreckung auch den einen oder anderen aufknüpfen läßt, Festungen schleift und seinen Söhnen entgegentritt, die unter Philipp Augusts Ein­ fluß erneut die Waffen gegen ihn erheben. Auf einem dieser Feldzüge erkrankt im Juni 1183 sein Äl­ tester, Heinrich der Jüngere, in Quercy an einer damals un­ heilbaren Krankheit. Auf dem Totenbett fleht der aufrühreri­ sche Thronfolger seinen Vater durch einen Boten um Verzei­ hung an. Als der Bote zum Zeichen der väterlichen Verge­ bung mit einem Ring zurückkehrt, gibt der Sohn mit der Bit­ te, sein Vater möge der Königin die Freiheit wiederschenken, als guter Christ die Seele auf. Tatsächlich gewährt Heinrich IL Eleonore nach dem tragi­ schen Tod des Sohnes ab 1184 bedeutende Hafterleichterun­ gen, über deren wahre Gründe man sich jedoch nicht täu­ schen darf: Nicht Gefühlsregungen veranlassen den Plantage­ net zu diesem Schritt, sondern politisches Kalkül. Denn mit Heinrichs des Jüngeren Tod haben sich alle Gegebenheiten von Grund auf verändert. Thronerbe ist nun der bereits zum Herzog von Aquitanien erhobene Richard, Eleonores Lieb­ lingssohn, dem Heinrich noch weniger als den anderen traut. Außerdem kennt er Richards homosexuelle Neigungen und befurchtet insofern, daß dieser vermutlich auch dann keinen Erben hinterlassen wird, wenn er pro forma in eine Ehe wil­ ligt. So gilt es Vorkehrungen zu treffen, wozu Heinrich IL je­ doch Eleonores Hilfe braucht. An Ostern 1185 holt er sie auf den Kontinent, nicht etwa, um sie zu befreien, sondern um sich ihrer als Werkzeug schnöder Erpressung zu bedienen und Richard, der wieder einmal gegen ihn rebelliert, zum Nachgeben zu zwingen: Falls der Sohn Poitou nicht unverzüglich seiner Mutter, der recht­ mäßigen Gräfin (wie Heinrich heuchlerisch versichert) zu­ rückgebe, werde sie an der Spitze eines Heeres einmarschieren und alles verwüsten. Um die Lage nicht noch weiter zu ver72

schärfen, gibt Richard nach. Doch kaum hat sich der Rebell zum Schein unterworfen, läßt Heinrich IL Eleonore erneut nach England zurückbringen und als Gefangene womöglich noch schärfer bewachen als zuvor. 1186 treffen wir sie in Winchester wieder, wo sie im August die Nachricht vom Tod ihres Sohnes Gottfried, des Herzogs von der Bretagne, er­ reicht, der bei einem Turnier am französischen Königshof ums Leben gekommen ist. Im darauffolgenden Jahr schenkt seine Gemahlin Konstanze einem Sohn das Leben, der auf Heinrichs IL Wunsch Arthur genannt wird. Heinrich will über diesen Namen unter anderem eine Verbindung zu dem sagenhaften König Artus herstellen, dessen mythische Aben­ teuer er selbst weiterzuführen trachtete35 und in dessen Nach­ folge dereinst der neue Arthur Großbritannien und die Bre­ tagne im Riesenreich der Plantagenets Zusammenhalten soll. Inzwischen aber schwindet Heinrichs IL Ansehen bei sei­ nen Vasallen immer mehr. Als er im August 1188 mit dem König von Frankreich in Gisors zusammentrifft, um endgül­ tig Frieden mit ihm zu schließen, kommt es zu keiner Eini­ gung, und, weit schlimmer noch, auf Seiten des französischen Königs tritt sein eigener Sohn Richard auf, um mit Philipps Unterstützung sein Erbteil zu fordern. Doch Heinrich, seit Heinrichs des Jüngeren Revolte in Limoges an öffentliche Auftritte dieser Art gewöhnt, denkt nicht daran, nachzuge­ ben. Ja, angesichts seiner Reaktion fragt man sich sogar, ob er Richard nicht eigentlich haßt — was ihm dieser im übrigen nach Kräften heimzahlt: Er wirft sich vor dem französischen König auf die Knie, leistet ihm den Lehnseid für alle Lände­ reien auf dem Festland und bittet ihn als seinen rechtmäßigen Lehnsherrn um Schutz und Schirm. Und als dann alles aus­ einandergeht, schließt er sich Philipp an und läßt Heinrich IL gedemütigt stehen, der seinen Zorn hinunterschluckt und alle Hoffnung auf den Jüngsten, Johann, setzt, der ihn rächen soll.36 Heinrichs Glanzzeit ist eindeutig vorüber. Als er, durch Krankheit zerrüttet, vorzeitig gealtert, über den Verrat der ei-

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genen Familie verbittert, an Weihnachten 1188 im Beisein Jo­ hann Ohnelands in Saumur hofhält, bleiben die meisten Va­ sallen fern. Selbst seine glühendsten Anhänger von ehedem fallen einer um den anderen von ihm ab. Heinrich erwägt, Ri­ chard offiziell zu enterben und all seine Besitzungen Johann zu hinterlassen, zögert aber. Bei aller Zuneigung zu Johann, in dem er sich selbst wiedererkennt und dessen Mut, Tatkraft, Skrupellosigkeit, Heuchelei und Ehrgeiz er als typische Plan­ tagenet-Tugenden schätzt, macht ihn die Vaterliebe doch nicht blind. Er muß sich eingestehen, daß Johann leider oft unüberlegt handelt, in einer plötzlichen Aufwallung die schlimmsten Dummheiten begehen kann und sich außerdem durch unnötige Grausamkeiten leicht Haß zuzieht, und so bleibt Richard sein designierter Nachfolger. Dies hindert freilich nicht, daß es zwischen Heinrich und dem aktiv vom französischen König unterstützten Richard er­ neut zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt. Als Heinrich bei einer Begegnung mit Philipp in Azay-le-Rideau wegen eines Waffenstillstandes vorfuhlt, erfaßt den König von Frankreich angesichts des kläglichen Zustandes seines Gegenübers Mitleid. Der Waffenstillstand wird geschlossen, Heinrich kehrt nach Chinon zurück und legt sich aufs Kran­ kenlager, von dem er sich nicht mehr erheben wird. Man schreibt den Juli 1189. Vor seinem Tod läßt sich der Sechs­ undfünfzigjährige, bei dem nur einige Getreue wie Wilhelm der Marschall ausharren, eine Liste der Herren reichen, die ihn verraten haben - und stößt gleich obenan auf den Namen Johann Ohneland.37 Der König ist tot, es lebe der König! Trotz der Trauer um ihre am 13. Juli verstorbene Tochter Mathilde kann sich Eleonore über diese Nachricht nur freuen. Ihre Liebe zu Heinrich ist längst erloschen, außerdem winkt ihr die Befrei­ ung, und damit auch ein Teil der alten Machtfülle. In der Tat entsendet der frischgebackene König Richard Boten mit der Weisung nach England, Eleonore unverzüglich freizulassen.

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Er stellt, ohne Zeit zu verlieren, die Gefühlsbindung und das politische Bündnis zu seiner Mutter wieder her, als wäre nichts geschehen. Und Eleonore, trotz ihrer siebenundsechzig Jahre tatkräftig und aktiv wie eh und je, setzt sich sogleich in Bewegung, um den Thron ihres Lieblingssohnes zu festigen — nicht zuletzt auch in der Hoffnung, künftig als Drahtzieherin hinter der Bühne die von ihr stets erstrebte, aber nie wirklich erlangte Macht ausüben zu können. So zieht sie durch alle englischen Grafschaften von Stadt zu Stadt und von Burg zu Burg, läßt die von Heinrich mit Gefangenen vollgepfropften Kerker öffnen, nimmt für König Richard den Lehnseid ent­ gegen und wirbt Männer an, auf deren bewährte Treue sie zählen kann oder deren politischen Fähigkeiten sie die Vorbe­ reitung der künftigen Herrschaft ihres Sohnes anzuvertrauen gedenkt. So schaltet und waltet sie ein Jahr lang als wahre Herrin Englands, während Richard der Insel nur anläßlich seiner Krönung am 3. September 1189 einen kurzen Besuch abstat­ tet. Diese Gelegenheit nutzt er, um sich mit den treuen Die­ nern seines Vaters, insbesondere Wilhelm dem Marschall, auszusöhnen und seine eigenen Anhänger fürstlich zu beloh­ nen. Auch seinen jüngeren Bruder Johann vergißt er nicht, den er mit der Grafschaft Mortain in der Normandie sowie den Burgen von Marlborough, Nottingham, Lancaster und Wallingford bedenkt und mit Havise von Gloucester, der Er­ bin eines der reichsten Herzogtümer der Insel, verheiratet. Zu guter Letzt sorgt er noch für die beiden unehelichen Söhne seines Vaters, ernennt den einen, den Kleriker Gottfried, zum Erzbischof von York und macht den anderen mittels Heirats­ politik zum Grafen von Salisbury. So zeigt sich Richard L von England nach Kräften bestrebt, mit der von politischen Wir­ ren und Aufständen erschütterten, haßerfüllten Vergangen­ heit zu brechen und offenbart damit seine ureigensten We­ senszüge: jene mit Kühnheit und Wagemut gepaarte Großzü­ gigkeit, die ihm den Beinamen »Löwenherz« eintragen sollte. Er hat die Vorzüge der Plantagenets, nicht aber ihre

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Fehler ererbt und besitzt als echter Aquitanier dieselbe Gei­ steskultur, Bildung und Hochherzigkeit wie sein Urgroßvater Wilhelm IX, sein Großvater Wilhelm X. und seine Mutter, die sich mehr denn je in der Rolle der Königinmutter und Herzogin gefällt. Doch aufgrund dieses typisch poitevinischen und aquitani­ schen Erbes liebt Richard England nicht, fühlt sich auf der Insel nicht wohl und neigt daher stärker als irgendein anderer englischer König Frankreich zu. Am 11. Dezember 1189 kehrt er aufs Festland zurück, um hier tatkräftig sein vorder­ hand dringlichstes Anliegen, den dritten Kreuzzug, vorzube­ reiten, der Jerusalem wieder aus den Händen der Türken be­ freien soll. Er setzt, darin ähnlich bedenkenlos wie sein Vater, alles daran, um Geld für die Ausrüstung seines Heeres zusam­ menzubringen und verkauft, fest von seiner Mission über­ zeugt, Burgen und Ländereien.38 Am 2. Februar 1190 trifft Eleonore mit ihrem Sohn auf dem Festland zusammen, um mit ihm vor seinem Aufbruch ins Heilige Land noch das Wichtigste zu regeln. Vor allem güt es Johann, dem beide nicht trauen, die Hände zu binden, und so bieten sie ihm, dem Grafen von Mortain, eine stattli­ che Apanage in Form der Grafschaften Cornwall, Devon, Dorset und Somerset an, denken jedoch nicht im Traum dar­ an, ihm irgendwelche Regierungsverantwortung zu übertra­ gen. Mit der Führung der Staatsgeschäfte wird der ehemalige Kanzler Heinrichs IL, Wilhelm Longchamp, betraut, der auf­ grund seiner politischen Fähigkeiten zur Schlüsselfigur im Reich der Plantagenets aufgerückt ist. In Wirklichkeit jedoch wird Eleonore, auch wenn sie nicht offiziell den Regentin­ nentitel trägt, Richards Besitzungen verwalten, denn der jun­ ge König setzt höchstes Vertrauen in seine Mutter, die, wie er wohl weiß, keine Schmälerung des Reichsgebietes dulden wird. Den geplanten dritten Kreuzzug jedoch kann Richard nur im Bündnis mit dem französischen König durchfuhren, mit dem er trotz momentanen guten Einvernehmens (wie er­

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wähnt, hat er ihn offiziell als Lehnsherrn über all seine Fest­ landsbesitzungen anerkannt) noch einen strittigen Punkt zu klären hat - die Zukunft von Alais von Frankreich, Philipps Schwester und Richards Braut. Zum einen verspürt der Kö­ nig von England überhaupt wenig Lust zu heiraten, zum an­ deren ist die Prinzessin die Geliebte Heinrichs IL gewesen. Bei einem Treffen mit Philipp in Gisors kann Richard das Ehe­ projekt fürs erste hinausschieben, und nachdem er gemeinsam mit Eleonore noch verschiedene Abteien, v. a. Fontevrault, mit diversen Schenkungen bedacht hat, nimmt er am 24. Juni von seiner Mutter in Chinon Abschied, um nach Vdzelay auf­ zubrechen, wo sich das Kreuzfahrerheer gesammelt hat. Doch der Kreuzzug kommt nur schleppend in Gang. Ri­ chard und Philipp treffen in Messina wieder zusammen, wo sie den Winter 1190/91 verbringen und sich über das Schick­ sal von Alais endgültig einigen: Nach vielen erregten Debat­ ten akzeptiert Philipp August schließlich Richards Weigerung. Im übrigen war auch Eleonore gegen diese Verbindung, die in ihren Augen von vomeherein zum Scheitern verurteilt war, da sie vor allem einen Erben für den Thron wollte. Und da sie wußte, daß Richard trotz seiner homosexuellen Veran­ lagung durchaus potent war - in der Jugend hatte er, wohl in einem Augenblick der Gefühlsverwirrung, einen unehelichen Sohn gezeugt —, machte sie sich selbst auf den Weg, um land­ auf, landab nach einer Frau zu suchen, die ihren Sohn, wenn schon nicht von seinen Neigungen kurieren (diese Hoffnung hatte sie längst begraben), so doch wenigstens ein paar Tage oder Nächte durch ihre Reize fesseln konnte, bis der rechtmä­ ßige Erbe gezeugt war. Schließlich glaubte sie diese seltene Perle in der Person der jungen Berengara gefunden zu haben, der Tochter König Sanchos von Navarra, die die zeitgenössi­ schen Chronisten als »kluge Jungfrau und liebenswerte Frau, wacker und schön« schildern, und brach mit ihr nach Messina auf. Als sie dort mit der mutmaßlichen Braut ihres Sohnes an Land ging, schiffte sich der König von Frankreich, wohl 77

nicht zuletzt aus Verdruß über die Affäre mit Alais, ein, wäh­ rend Richard, von Berengaras Anmut höchlich angetan, sei­ ner Mutter versprach, sie zu heiraten. Tatsächlich fand sechs Wochen später auf Zypern die Hochzeit statt, während sich Eleonore schon wieder auf der Rückreise nach England be­ fand. Aus nicht näher bekannten Gründen jedoch sollte die Ehe kinderlos und damit Eleonore die Freude versagt blei­ ben, einen Leibeserben ihres Lieblingssohnes in die Arme zu schließen. Dabei hatte Richard mehrfach öffentlich Buße ge­ tan, vor aller Welt seine »Sünden wider die Natur« bekannt und Besserung gelobt. Eleonores eiligem Aufbruch von Messina lag die Befürch­ tung zugrunde, Johann könnte, allein in England zurückge­ blieben, hinter dem Rücken seines älteren Bruders allerlei Komplotte schmieden. Und in der Tat zog der Graf von Mortain kreuz und quer durch sein Lieblingsland, um allent­ halben die Kunde zu verbreiten, Richard werde vom Kreuz­ zug nicht zurückkehren, da er lieber ein Königreich im Heili­ gen Land regieren als das Riesenerbe seines Vaters antreten wolle. Ja, Johann kann sogar die Absetzung des Kanzlers Wil­ helm Longchamp durchsetzen, der nach Frankreich flüchten muß. Kurzum, die Lage ist so undurchsichtig, daß Eleonore bereits sechs Wochen nach der Hofversammlung im norman­ nischen Bonneville-sur-Touques, bei der sie an Weihnachten 1191 den Vorsitz führt, überstürzt auf die Insel zurückeilt, zu­ mal eine wenig erfreuliche Nachricht sie noch Schlimmeres befürchten läßt: Während ihr Sohn im Heiligen Land den ruhmreichen Kampf gegen Saladins »Sarazenen« ganz allein fortführt, ist der französische König Philipp August in die Heimat zurückgekehrt. Dahinter kann nur eine böse Absicht stecken, zumal Philipp Kontakt zu Johann von Mortain auf­ genommen hat, und so rüstet Eleonore voll Unruhe zum Ge­ genschlag. Daß der König von Frankreich Richard die ehrenvolle Aufgabe, den Kreuzzug zu Ende zu bringen, nicht umsonst überließ, liegt auf der Hand: durch seine Parteinahme im Bru78

derzwist für Johann hofft der schlaue Kapetinger, wie schon einst durch Unterstützung Richards gegen Heinrich II, die Normandie an sich zu bringen, die ihm zum Schutze des Kronlandes unabdingbar scheint und die, einmal in seiner Hand, das Reich der Plantagenets Zweiteilen würde. Kaum wieder auf englischem Boden, geht Eleonore daran, die Machenschaften ihres Jüngsten im Keim zu ersticken, und kann mit Hilfe des Erzbischofs von Rouen den Schaden vor­ läufig in Grenzen halten, da sie über ein wirksames Druck­ mittel verfügt — die Drohung, Johanns Lehen einzuziehen. Denn als Stellvertreterin ihres Sohnes, des rechtmäßigen Lehnsherrn, kann sie Johanns sämtliche Besitzungen konfis­ zieren, wenn ihm durch eine Lehnsversammlung Felonie, d. h. Bruch der Lehnstreue, nachgewiesen wird. Diese Aussicht schreckt den Grafen von Mortain, der sehr wohl weiß, daß seine Mutter unter den Baronen über genügend treue Anhän­ ger verfügt, um seine Verurteilung durchzusetzen. Und da er sich seiner eigenen Gefolgsleute nicht allzu sicher ist und sich von Philipp August, der aus Zeitmangel keine geeigneten Maßnahmen treffen kann, nicht ausreichend unterstützt fühlt, stellt er nach außen hin die Rebellion ein und beugt sich dem Ultimatum seiner Mutter. Da er jedoch insgeheim sein Rän­ kespiel fortsetzt und Eleonore die Machtprobe unausweich­ lich auf sich zukommen sieht, bestürmt sie Richard mit Bot­ schaften, in denen sie ihn dringend zur Rückkehr auffordert. Doch Löwenherz zieht es nicht nach England. Er hat Ge­ schmack gefunden am Kreuzzug, der ihm als ebenso gefürch­ tetem wie ob seiner Ritterlichkeit geachtetem Kämpen wach­ senden Ruhm einbringt, und liebäugelt wahrscheinlich sogar tatsächlich mit der Idee, sich im Heiligen Land ein König­ reich zu erwerben. Da ihm jedoch die Befreiung Jerusalems nicht gelingt,39 schickt er am 29. September seine Frau Berengara und seine Schwester Johanna, die Witwe des Königs von Sizilien, in die Heimat zurück und erklärt, seinerseits einige Tage später in See gehen zu wollen. Tatsächlich legt seine Flotte am 9. Oktober ab und wird nach einer Zwischenlan-

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düng auf Korfu noch im Sturm auf der Suche nach einem si­ cheren Hafen vor Brindisi gesichtet. Dann aber reißt jegliche Verbindung ab. In wachsender Besorgnis schickt Eleonore Kundschafter aus, kann aber nichts in Erfahrung bringen. Doch einige Tage nach dem in Trübsal verlebten Weihnachtsfest erhält sie son­ derbare Post: Die auf ungeklärte Weise in die Hände des Erz­ bischofs von Rouen gelangte Abschrift eines Briefes des deut­ schen Kaisers an den König von Frankreich, in dem vor al­ lem folgendes zu lesen steht: »Es ist uns ein Bedürfnis, Eure Hoheit durch vorliegendes Schreiben davon in Kenntnis zu setzen, daß der Feind unseres Kaiserreiches und Störenfried Eures Königreichs, Richard, der König von England, als er im Begriffe stand, das Meer zu überqueren, um in seine Län­ dereien zurückzukehren, als Schiffbrüchiger von den Winden in die Gegend Istriens verschlagen wurde. Da aber die Stra­ ßen überwacht und allenthalben Posten aufgestellt waren, konnte sich unser teurer und viellieber Vetter, der Herzog von Österreich, der Person besagten Königs bemächtigen...« Demnach ist Richard also in den Händen des Herzogs von Österreich, mit dem er sich im Heiligen Land in die Haare ge­ raten war. Doch als Eleonore daraufhin eiligst Boten entsen­ det, erfährt sie, daß er sich nach der Verlegung von einem Kerker in den anderen mittlerweile in der Gewalt des deut­ schen Kaisers Heinrichs VL in Speyer befindet, der für ihn das schwindelerregende Lösegeld von 50 000 Silbermark for­ dert. Kein Dokument verrät uns, was zwischen Richards Festnahme durch Leopold und dem Beschluß des Kaisers, ihn festzuhalten, vorgegangen ist, doch darf man mit Sicher­ heit vermuten, daß Philipp August die Hände mit im Spiel hatte. Um sich den König von England zeitweilig vom Hals zu schaffen, hat der König von Frankreich dem deutschen Kaiser irgendwelche nicht näher bekannten Zusicherungen gemacht, der im übrigen die willkommene Gelegenheit nutzt, sich auf diese Weise an seinem aufrührerischen Schwager, dem Sachsenherzog Heinrich dem Löwen, zu rächen. Damit 80

sind die Fronten klar abgesteckt: hier die siebzigjährige Köni­ gin-Herzogin Eleonore, da Philipp August und sein Verbün­ deter, Johann Plantagenet, der mit dem französischen König ganz ungeniert direkt verhandelt und ihm sogar vertraglich einen Großteil der Normandie abtritt. Doch Eleonore, trotz ihres Alters ungebeugt und zäh wie eh und je, geht die Situation im Bewußtsein, den legitimen Herrschaftsanspruch zu vertreten, unerschrocken an. Sie kann sicher sein, daß ihre Barone aus Poitou und Aquitanien hinter ihr stehen und zahlreiche Ritter aus Anjou, der Normandie und England aus Achtung vor König Richard bereit sind, un­ ter ihrem Befehl zu marschieren. So wirft sie das gesammelte Gewicht ihrer politischen Erfahrung und ihre Kenntnis der europäischen Höfe in die Waagschale und kann so mit der tatkräftigen Unterstützung des Erzbischofs von Canterbury und obersten Richters, Hubert Walter, die Lage zwar nicht gänzlich sanieren, aber doch immerhin im Gleichgewicht hal­ ten. Johann Ohneland muß sich mit seinen Anhängern in Windsor verschanzen, wo ihn das Gros der englischen Baro­ ne unter Anführung jenes nämlichen Wilhelm des Marschalls belagert, der einst Heinrichs IL treueste Stütze war und nun für Richard und Eleonore als legitime Vertreter der Macht Partei ergriffen hat. Und als der König von Frankreich mit der Landung seiner Truppen auf der Insel droht, ruft Eleono­ re all ihre Vasallen zusammen und nimmt ihnen erneut für Richard den Treueid ab. Ganz Europa ist durch diese sonderbare Situation gebannt, doch niemand wagt, sich einzuschalten oder gar einzugreifen. Richard wird von Heinrich VL von Deutschland gewisserma­ ßen zur Versteigerung ausgeboten. Wer wird den Zuschlag erhalten, Eleonore oder Johann, sprich, Philipp August? Außerdem verstößt es gegen alle weltlichen und kirchlichen Gesetze, daß ein Kreuzfahrer, der theoretisch unter dem Schutz der Kirche steht, von einem christlichen Fürsten fest­ gehalten wird. Dennoch unternimmt die Kirche nichts. Ver­ mutlich setzt das Papsttum, das seit jeher durch geschickte po­ 81

litische combinazione in Dogmenfragen glänzte, neuerdings auf Philipp August und die Kapetinger,40 obwohl es unlängst noch, namentlich nach den Unternehmungen in Irland,41 in Heinrich II einen Stützpfeiler der Ordnung sah. Jedenfalls aber hütet sich der Papst Coelestin UL schon aus Rücksicht auf den deutschen Kaiser, der als nomineller König Siziliens nur auf eine Gelegenheit wartet, um in Italien einzumarschie­ ren, sichtlich, in die Auseinandersetzung einzugreifen. Daraufhin läßt Eleonore von ihrem Geheimschreiber Pe­ trus von Blois42 drei Briefe an den Papst abfassen, die mit den Worten: »Ich, Eleonore, durch Gottes Zorn Königin von Eng­ land, Herzogin der Normandie, Gräfin von Anjou, unglückli­ che Mutter« beginnen und den Papst nicht gerade mit Samt­ handschuhen anfassen. Hier eine Probe: »Ich hatte beschlos­ sen zu schweigen, hätte mir doch in meinem jäh aufwallenden Schmerz leicht ein unbedachtes Wort entschlüpfen können, da der aufsteigende Kummer oft mit Wahnsinn einhergeht und keinen Meister kennt. Ihr könnt nicht so tun, als kenntet Ihr das Unglück ohne Ende nicht, das über uns gekommen, würde man Euch doch sonst als verbrecherischen Schurken abstempeln, Euch, den Statthalter des Gekreuzigten, den Nachfolger Petri, den Priester Christi, den Gesalbten des Herrn!« Petrus von Blois geht sichtlich in seiner Rolle auf und kommt immer mehr in Fahrt: »Ich, Eleonore, durch Gottes Zorn Königin der Engländer, bin vom Kummer verzehrt. Mein Fleisch ist ausgebrannt, die Haut meines Gesichtes klebt an den Knochen. Möchte doch Gott all mein Blut, mein Him und das Mark meiner Knochen in Tränen auflösen! Meine Eingeweide sind zerrissen. Ich habe den Stab meines Alters und das Licht meiner Augen verloren.« Am Verwaltungsap­ parat der römischen Kurie wird bittere Kritik geübt: »Wie oft ziehen Eure Kardinäle aus nichtigem Anlaß mit großem Ge­ pränge aus und begeben sich als Eure Gesandten in die Län­ der der Barbaren. Doch hier, in einem so bemitleidenswerten Fall wie dem unseren, habt Ihr keinen einzigen Subdiakon, nicht einmal einen Akoluthen, ausgeschickt. Heutzutage rei82

sen die Legaten aus Gewinnsucht und nicht um Christi, der Ehre der Kirche und des Friedens zwischen den Königrei­ chen willen. Und doch, welch schöneren Gewinn könnte es für Euch geben, als die Freilassung dieses Königs zu erwir­ ken?« Selbst vor Drohungen schreckt Eleonore in ihrem Zorneseifer nicht zurück. Sie erinnert daran, wie ihr verstorbener Gatte durch sein Bündnis mit Alexander gegen den vom deutschen Kaiser gestützten Gegenpapst das Schisma beende­ te43, und spricht von der Möglichkeit einer neuerlichen Spal­ tung: »Die Fürsten dieser Erde haben sich gegen meinen Sohn verschworen. Der eine schert ihn, der andere reißt ihm die Haare aus, der eine fesselt ihm das Bein, der andere schin­ det ihn. Und der Papst sieht zu und schweigt. Ich sage Euch: Der vom Apostel geweissagte Tag ist nicht mehr fern! Es naht der unheilvolle Augenblick, da der Rock Christi zerfetzt, die Netze Petri zerrissen werden, da die katholische Einheit zerfällt.« Auch Wortspiele werden eingeflochten: »Dreimal schon habt Ihr Legaten zu senden verheißen und sie doch nicht gesandt. Sie waren in Wahrheit eher Gebundene als Legaten.«44 Doch all diese Vorhaltungen, an denen sich Eleonores lei­ denschaftliche Wut ermessen läßt, stießen beim Papst auf tau­ be Ohren. Zwar hatte er den Herzog von Österreich exkom­ muniziert und dem König von Frankreich im Falle eines Übergriffs auf die Ländereien seines Rivalen gleichfalls den Kirchenbann angedroht, aber all das erwies sich letztlich als leere Drohung. Das heißt, die Königin-Herzogin war auf sich allein gestellt und mußte mit ihrem Problem ohne die Hilfe der Kirche fertigwerden. Nachdem ihr Wilhelm Longchamp von einer Deutschlandmission einen Brief ihres Sohnes mit der Bitte, das Silber beizutreiben und seiner Mutter auszuhän­ digen, übermittelt hatte, widmete sie sich dieser gewaltigen Aufgabe und erinnerte auf ausgedehnten Reisen Richards englische und festländische Vasallen an ihre im Lehnseid ver­ ankerte Pflicht, zum Lösegeld ihres Lehnsherren beizusteuem. Doch obwohl Richards Getreue allesamt gaben, soviel sie 83

konnten, und Eleonore in Anbetracht der geforderten Rie­ sensumme notgedrungen auch die Klöster, vor allem die rei­ chen und wohlhabenden, besteuerte, erforderte die Beibrin­ gung der fast 34 Tonnen Feinsilber Zeit, zumal Johann Ohnelands Anhänger vor allem in England45 durch Handstrei­ che so manchen Übergriff auf die eingehobenen Gelder ver­ übten. Währenddessen verzehrte sich Richard Löwenherz in seinem deutschen Kerker vor Ungeduld und fragte sich ver­ zweifelt, ob ihn seine Freunde wohl endgültig vergessen hät­ ten. Das folgende, von ihm selbst während seiner Gefangen­ schaft verfaßte Gedicht gibt Zeugnis von seiner Stimmung: Kein Eingekerkerter vermochte je sein Denken anders klar zu äußern denn als betrübter Mann. Doch mag er wohl sm seinem Trost ein Lied anstimmen. Ich hab der Freunde viel, doch arm sind ihre Gaben. Schimpf über sie, wenn meines Läsegeldes wegen ich diesen Winter noch gefangen bin. Sie alle, meine Mannen und Barone, sei es aus England und der Normandie, sei’s aus dem Poitou und der Gascogne, sie wissen’s wohl, nie hätte ich den ärmsten der Gefährten, weil es an Geld gefehlt, im Kerker darben lassen. Ich sprech es ohne Tadel aus, doch bin ich immer noch gefangen. Ich weiß et jetzt ganz ohne Zwefel, der Tote und Gfangene, sie haben weder Freund noch Nächsten, da man mich einigen Goldes oder Silbers wegen schmachten läßt. Dies istfür mich verdrießlich, mehr noch für die Meinen, die großer Tadel treffen wird nach meinem Tode, wenn ich noch lang gfangen bin. Kein Wunder, daß das Herz mir blutet, wenn mein Herr Wirrsal sät in meinem Land. 84

Wollt er sich unsres Schwures nur erinnern, den wir gemeinsam abgelegt, so weiß ich wohl, daß ich nicht länger mehr gefangen bliebe.

Sie wissen ’s wohl, die jungen Knappen aus Anjou und der Touraine, zur Stunde reich und wohlbehalten, daß ich, ein Leidender, von ihnen fern in fremden Händen darbe. Ihr Herz, das einstensfür mich schlug, denkt meiner heute kaum mehr und ohne hehre Waffentaten sind die Lande, seit ich gfangen bin. All denen, die ich liebte und noch liebe, den Männern aus Cayeux und Perche, geh, melde ihnen, Lied, daß sie nicht treu. Und doch hat gegen sie mein Herz noch nie gefehlt. Bekriegen sie mich, handeln sie wie Schurken, solange ich gefangen bin...« Im Winter 1193/94 konnte die Königin, die das Lösegeld niemandem anvertrauen mochte, dann endlich in Begleitung zahlreicher Getreuer nach Deutschland aufbrechen und hier, nachdem sie Weihnachten in Köln und die Lichtmeßtage in Mainz verbracht hatte, am 4. Februar 1194 ihren Sohn in Empfang nehmen. Zuvor hatte Richard, vermutlich auf ihren Rat hin, dem deutschen Kaiser noch den Lehnseid für das Königreich England geleistet - eine reine Formsache. Viel wesentlicher erschien Eleonore, daß ihr Sohn freikam und in seinem Riesenreich wieder Ordnung schaffen konnte. Als die beiden fünf Wochen später im englischen Küsten­ ort Sandwich landeten, wurde Richard von seinen Unterta­ nen im Triumph empfangen und im April in der Kathedrale von Winchester zum zweitenmal gekrönt. Eleonore hatte den vom französischen König und ihrem Jüngsten hingeworfenen Fehdehandschuh demonstrativ aufgenommen — und gewon­ nen. Mit ihren zweiundsiebzig Jahren verblüffte diese Frau,

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einstige Königin zweier verschiedener Länder, noch immer die Welt. Würde sie sich nun endlich zur Ruhe setzen, sich, wie beabsichtigt, nach Fontevrault zurückziehen, um hier in Frieden ihre letzten Lebensjahre im Gebet hinzubringen? Aber Eleonore konnte ihren geliebten Sohn jetzt nicht al­ lein lassen. Sie wußte, daß er ihre Unterstützung brauchte, nicht weil sie an seinen Herrscherfähigkeiten gezweifelt hätte - sie hielt ihn im Gegenteil für einen guten König -, sondern weil er jeder erdenklichen Förderung bedurfte, um das Erbe der Plantagenets zusammenzuhalten. Dieser Aufgabe widme­ te sie sich nun an Richards Seite, der die Huldigung seiner Vasallen und die Unterwerfung derer entgegennahm, die sich durch Johann Ohneland hatten verführen lassen. Dies alles war nicht nach Philipp Augusts und Johanns Ge­ schmack, die mit wachsender Unruhe verfolgten, wie König Richard sein Reich zusehends wieder festigte, und so ent­ schloß sich Philipp zu einem großen Coup: zum Einfall in die von ihm seit jeher begehrte Normandie. Zwar hatte ihm Jo­ hann das normannische Vexin abgetreten, aber durch den Übergriff auf die ganze, für das Gleichgewicht des Königrei­ ches Frankreich so entscheidende Provinz hoffte er Richards restliches Reich zu Fall zu bringen. Doch auf die Kunde von der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten hin eilten Eleonore und Richard aufs Festland zurück. Und wie einst sein Vater, warb auch Richard Söldner an, mit denen er nach der Taktik Heinrichs IL im Eiltempo vorrückte, bis er den König von Frankreich durch eine Reihe kleiner Siege zum Rückzug zwingen und so die Gefahr bannen konnte. Bei aller Parteinahme für Richard aber möchte Eleonore jetzt noch ein anderes Herzensanliegen verwirklichen: die Aussöhnung ihrer beiden Söhne. So schickt sie ohne Wissen des im Augenblick nur auf Rache gegen seinen Bruder sin­ nenden Königs Boten aus und ergreift schließlich im Frühjahr 1194 während eines gemeinsamen Aufenthaltes in Lisieux die Gelegenheit beim Schopf: Sie läßt Johann hereinfuhren, der sich vor Richard auf die Knie wirft und ihn um Vergebung

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bittet. In seiner bekannten Großmut verzeiht Löwenherz sei­ nem aufrührerischen Bruder und versöhnt sich feierlich mit ihm, ohne sich freilich einer Täuschung hinzugeben. Weder er noch Eleonore trauen Johann, wissen sie doch beide, daß des­ sen Sinneswandel nur vom Eigennutz diktiert ist. Darin aber liegt gleichzeitig auch eine Chance, da Johann, solange er sich von einem Bündnis mit Richard Vorteile verspricht, Philipp Augusts politische Winkelzüge wohl kaum unterstützen wird. Nach diesem für sie als Königin wie als Mutter gleicherma­ ßen befriedigenden Schritt zieht sich Eleonore in die halbklö­ sterliche Abgeschiedenheit von Fontevrault zurück, um hier, fern vom wirren Getriebe der Welt, zu dem sie so lange das Ihre beigetragen hat, ihre alten Tage zu verbringen. Doch damit ist keineswegs der Schlußstrich unter ihr akti­ ves Leben gezogen, kann sie doch die Sorgen nicht loswer­ den, sich aus den Ereignissen nicht wirklich heraushalten. Die kinderlose Ehe Richards und Berengaras beunruhigt sie, zu­ mal Richard wieder seinen alten Lastern frönt und seine Frau eigene Wege geht. Nicht minder besorgt stimmt sie das Ver­ halten Johanns, der im geheimen weiterhin Komplotte schmiedet - bei ihm die reinste Manie. Und sie sorgt sich um das Schicksal ihrer Tochter Johanna, der Witwe des Königs von Sizilien, die Richard aus rein politischen Beweggründen mit dem Grafen von Toulouse, Raimund VL, verheiratet hat, einem Wüstling schlimmster Sorte, der bereits drei Ehen hin­ ter sich hat: Eine seiner Frauen ist gestorben, die zweite hat er in ein Katharerkloster gesteckt und die dritte, Bourguigne von Lusignan, rücksichtslos verstoßen. Johanna schenkt ihm einen Sohn, den künftigen Raimund VIL Später wird sie sich als erneut schwangere, kranke Frau nach Fontevrault ’flüchten und hier in den Armen ihrer Mutter sterben. Richard spielt unterdessen den großen König, dem man sogar die deutsche Kaiserkrone anbietet, und einen Moment lang reizt ihn die Idee, auf diese Weise dem Haus Plantagenet zum Triumph zu verhelfen und den Kapetingem endgültig den Garaus zu machen. Doch da es ihn wenig nach Deutsch­ 87

land zieht, an das er nur schlechte Erinnerungen hat, läßt er einen seiner Neffen, den Sohn Mathildes und Heinrichs des Löwen, den späteren berühmten Kaiser Otto, wählen. Außer­ dem verbündet er sich mit dem Grafen von Flandern und Hennegau, Balduin X, und mit dem Grafen von Boulogne, Reinhold Dammartin, und zieht so um das Reich der Kapetinger ein geschickt geknüpftes Netz, das im ständigen Kampf gegen Philipp August gegebenenfalls seinen Interessen dienen soll. Der König von Frankreich merkt sehr wohl, wie die Fal­ le zuschnappt, und führt ein Treffen auf der Seine unterhalb der Burg Château-Gaillard herbei, bei dem die beiden Könige Friedensverhandlungen fuhren und sich schließlich auf einen fünfjährigen Waffenstillstand einigen. Natürlich kommt es nach Ablauf der vereinbarten Frist er­ neut zum Krieg. Der König von Frankreich hat in der Zwi­ schenzeit nicht nur verschiedene Vasallen Richards, darunter vor allem den Grafen von Limoges, durch Bestechung auf seine Seite gezogen, während sein Waffenbruder Johann Ohneland in der damals unter Plantagenetherrschaft stehenden Bretagne finstere Plane schmiedet: Philipp August hat über­ dies dem jungen Arthur, dem Sohn Gottfrieds und Konstanzes von der Bretagne, in Paris eine sehr frankophile Ausbil­ dung angedeihen lassen und ihm Hoffnung gemacht, eines Tages die englische Krone mit der herzoglichen der Bretagne zu vereinen. Schließlich steht er in der Erbfolge seinem Onkel Richard am nächsten. Als Richard, bestrebt, als ersten den Grafen von Limoges zur Räson zu bringen, die Burg Chälus belagert, trifft ihn am Abend des 25. März 1199 bei der Besichtigung der Befesti­ gungswerke ein Pfeil an der Schulter, und als sich die Wunde entzündet, läßt er, da er sich keiner Täuschung über seinen Zustand hingibt, seine Mutter in Fontevrault verständigen. Eleonore, durch die Nachricht als Mutter wie als Königin im Innersten getroffen, bricht ohne eine Minute zu verlieren nach Chälus auf, wo sie am Morgen des 6. April eintrifft und von Richard, der bereits gebeichtet, seinem Mörder, dem Kö­

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nig von Frankreich und all seinen Feinden vergeben hat, noch letzte Ratschläge und testamentarische Verfügungen entgegennimmt, ehe er am selben Abend im Alter von ein­ undvierzig Jahren in der vollen Blüte seiner Manneskraft, auf dem Höhepunkt des Ruhmes in ihren Armen stirbt. Seinem Wunsch gemäß läßt sie sein Herz in der Kathedrale von Rouen, seinen Leib dagegen in der Abtei Fontevrault beiset­ zen. Seine letzten Augenblicke aber sind bis heute von einem Geheimnis umhüllt: Hat Richard Löwenherz auf dem Toten­ bett noch ein Testament diktiert, und wenn ja, wen hat er zu seinem Nachfolger bestimmt? Wir wissen es nicht, aber seine Stellung zu Johann Ohneland wäre auf den Gang der Ereig­ nisse ohnedies ohne Einfluß geblieben, da die letzte Entschei­ dung bei Eleonore und den großen Baronen des Königreichs lag. Denn die Rangfolge der zwei Erben, die Richard hinter­ ließ, war den Gepflogenheiten des Hauses Anjou-Plantagenet nach nicht festgelegt. Wohl hätte, da Richard als Nachfolger Heinrichs des Jüngeren auf den Thron gelangt war, die Herr­ schaft normalerweise Gottfried, bzw. nach dessen Tod im Jahre 1186, seinem Sohn Arthur zufallen müssen,47 ebenso­ gut aber konnte auch Heinrichs IL überlebender Sohn sein Anrecht auf die Krone geltend machen — kurzum eine reich­ lich verworrene Situation, zumal Richard vor seinem Tod of­ fenbar Arthur zum Nachfolger bestimmt und seine Vasallen seinem Neffen hatte Treue schwören lassen.48 Bei den Trauerfeierlichkeiten für Richard am 11. April 1199 in Fontevrault zelebriert der Bischof von Lincoln unter Mitwirkung seiner Amtsbrüder aus Poitiers und Angers die Totenmesse, und noch am selben Tag bedenkt Eleonore die Abtei »für die Seele ihres allergeliebtesten49 Herrn, des Kö­ nigs Richard« mit einer neuen Schenkung (weitere Stiftungen an verschiedene andere Klöster folgen in den nächsten Ta­ gen). Der Aufmarsch der Trauergäste in Fontevrault will fast kein Ende nehmen: Die Großen des Reiches bekunden der 89

Königin-Herzogin ihr Beileid, während gleichzeitig die Ver­ handlungen über Richards Nachfolge beginnen.

Dieser Punkt wirft schwere Probleme auf: Wählt man den Grafen von Mortain, geht man unabsehbare Risiken ein, denn Johann ist gewalttätig, zynisch, skrupellos, oft unüber­ legt, im Grunde ein Halbirrer. Die Großen des Reiches wis­ sen nur allzu gut, daß er nicht das Zeug zum König hat, und nicht einmal seine Mutter kann Zutrauen zu ihm aufbringen. Entscheidet man sich dagegen für den Herzog von der Bre­ tagne, gibt man das Reich einem blinden Anhänger Philipp Augusts, liefert es der Begehrlichkeit der Kapetinger aus, zu­ mal die Regentschaft für den noch minderjährigen Arthur sei­ ne Mutter, Konstanze von der Bretagne, einer geschworenen Feindin Eleonores und haßerfüllten Gegnerin der Plantage­ nets, zufallen wird. Was also tun? Heinrich IL und Richard hätten sich wohl trotz allem für Arthur entschieden, Eleonore und die Großen des Reiches dagegen wählen unerachtet aller Bedenken Johann von Mortain, da nur ein Mann, nicht aber ein unter dem Einfluß des französischen Königs stehender Knabe die Einheit des Plantagenet-Reiches zu wahren ver­ mag. Dies jedenfalls scheint die einzig plausible Erklärung für eine Entscheidung, die Johann Ohneland zum König machte und damit England seinen unseligsten Herrscher bescherte.50 Man kann sich in der Tat zu Recht fragen, ob Eleonore mit dieser Entscheidung nicht ihren schwersten politischen Fehler beging. Johann von Mortain besaß offenkundig keiner­ lei Tauglichkeit zum Herrscher, und so wußte Philipp Au­ gust, als er ihn bereits zu Lebzeiten Richards unterstützte, sehr wohl, was er tat: Wäre es ihm gelungen, den intelligen­ ten und gewandten Löwenherz zugunsten des unseligen Oh­ neland auszuschalten, hätte er sich beständig in die englischen Angelegenheiten einmischen und daraus größten Vorteil zie­ hen können. Im übrigen trieb er mit vollendeter Heuchelei ein raffiniertes Doppelspiel, indem er Arthur von der Breta­ gne einredete, er sei der legitime Erbe. Analysiert man die

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Fakten etwas genauer, gelangt man (ohne am Gang der Ge­ schichte rechthaberisch Kritik üben zu wollen) zu der Über­ zeugung, daß Arthur von der Bretagne bei aller Hörigkeit ge­ genüber dem König von Frankreich die Besitzungen der Plantagenets wohl schwerlich so töricht vertan hätte wie sein Onkel. Doch zu Eleonores Rechtfertigung sei gesagt, daß sie mit gewohnter Tatkraft all ihre Macht, ihren Einfluß und ihre mütterliche Autorität einzusetzen gedachte, um Johann, wenn schon nicht zum großen König, so doch zumindest zum ver­ läßlichen Verteidiger des Plantagenet-Reiches zu machen. Dies demonstrierte sie auch unverzüglich, indem sie mit Richards ehemaligem Elitekorps kreuz und quer durch all ihre Ländereien ritt, gegen Anjou marschierte, das Arthur gewählt hatte, und durch Aquitanien zog, um, wie einst für den frisch­ gekrönten Richard, nun für Johann den Treueid abzunehmen. Dieser kümmerte sich unterdessen um die Normandie und England, wo man ihm mit großen Vorbehalten begegnete, und ließ sich Ende Mai in London krönen. Die Zeremonie stellt indessen nichts weiter als eine symbo­ lische Handlung dar. In Wirklichkeit ist das Spiel weder in England noch auf dem Festland gewonnen, und so setzt Eleonore mit wilder Entschlossenheit ihre Einschüchterungs­ und Propagandatoumee durch Aquitanien fort. Sie merkt sehr wohl, daß Philipp August insgeheim auf Beute lauert und daß ihm diese Beute ins Netz zu gehen droht. Hat sie Aquitanien und das Poitou Ludwig VIL entrissen, um sie dem Erben dieses Kö­ nigs in die Hände fallen zu sehen? Mit dem Mut der Verzweif­ lung droht die alte Königin-Herzogin ihren Baronen, durch­ kreuzt das Ränkespiel der stets zum Verrat an den Plantagenets bereiten Lusignans (wobei sie Ende 1199 sogar in einen Hin­ terhalt Hugos von Lusignan gerät und erst freikommt, nachdem sie ihm widerstrebend die Grafschaft Marche überlassen hat) und bringt vor allem durch großzügige Vergabe von Privilegien die Städte auf ihre Seite. Diese Privilegien dienen offenkundig als Köder, d. h. Eleo­ nore beweist mit ihrer Gewährung nicht nur ihre liberale Ein­

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Stellung, sondern lockt die Bürger gleichzeitig auch in eine Falle. Sie weiß, daß das aufstrebende Bürgertum über genü­ gend Geldmittel verfugt, der Adel aber, durch die nicht abrei­ ßenden Kriege zugrunde gerichtet, nicht mehr genügend Be­ waffnete zu stellen vermag. Also helfe, was helfen mag! In den entsprechenden Urkunden werden die Bürger der Städte den mächtigsten Vasallen gleichgestellt, und in ihrer Genug­ tuung, sich auf gleichem Fuß mit den Großen des Reiches zu wissen, lesen sie nicht weiter und übersehen so, daß sie wie die Vasallen Kriegsdienst leisten, mit anderen Worten, im Kriegsfall finanziell für die militärische Ausrüstung aufkom­ men und die Aufstellung zahlenstarker Truppen gewährlei­ sten müssen. Doch da man die Leute allemal am leichtesten bei ihrer Eitelkeit packen kann, gelingt Eleonore das Meister­ stück, Städte an die Krone zu binden, denen die Rivalität zwi­ schen Kapetingem und Plantagenets in Wirklichkeit völlig gleichgültig ist. Während Eleonore auf diese Weise Aquitanien und das Poitou zum Schweigen bringen kann, hat sie beim Vizegrafen von Thouars weniger Glück. Dieser hält unverbrüchlich zu Arthur — wie übrigens auch sein Bruder Wido, der später Ar­ thurs Mutter, Konstanze von der Bretagne, als deren dritter Gatte heimfuhren und mit ihr Alix zeugen sollte, die nach Arthurs Tod das Herzogtum erbte und von Philipp August mit Petrus von Dreux verheiratet und so zur Stammutter der Montfort-Dynastie wurde. Zwischen dem 15. und 20. Juli 1199 trifft Eleonore mit Philipp August dann in Tours zu­ sammen und wagt einen Schritt, der jedem anderen unmög­ lich erschienen wäre: Sie leistet ihm den Lehnseid für sämtli­ che Festlandsbesitzungen der Plantagenets. Obwohl der Kö­ nig von Frankreich den schlauen Schachzug der ersten Frau seines Vaters sicherlich durchschaute, spielte er mit, vermut­ lich in der Erwägung, sie werde schließlich nicht ewig leben. Tatsächlich stellte dieser Treueschwur Eleonores letzten Versuch dar, ihren Jüngsten und damit das Erbe Heinrichs IL abzusichem. Durch Ablegung des Lehnseides begab sie sich 92

als Vasallin persönlich in Abhängigkeit vom französischen König, trat aber gleichzeitig als offizielle Herrscherin der Nor­ mandie, des Anjou, Poitou sowie Aquitaniens auf, das heißt, Johann war nur noch ihr und nicht mehr Philipps direkter Vasall. Die Besitzungen der Plantagenets auf dem Festland stellten mithin nur noch ein Afterlehen der Krone dar, so daß sich der König von Frankreich bei etwaigen Schwierigkeiten an sie und nicht an Johann zu halten hatte. So übernahm Eleonore für ihren Sohn die faktische Verantwortung und spielte die Pufferrolle zwischen ihm und Philipp - ein deutli­ cher Hinweis, wie wenig sie von Johanns politischen Fähig­ keiten hielt. Auf diese Weise aber konnte sie ihn aus dem Verkehr ziehen und die Probleme selbst lösen, bevor der no­ minelle König einen nicht wieder gutzumachenden Schnitzer beging. Kurz nach der Begegnung in Tours traf Eleonore dann mit Johann in Rouen zu einer Lagebesprechung zusammen und erteilte ihm bei dieser Gelegenheit ihre Weisungen, die er zu­ mindest eine Zeitlang befolgt zu haben scheint. Im anschließenden Winter 1199/1200 trat die alte Köni­ gin-Herzogin, halbwegs beruhigt, die lange Reise nach Spa­ nien zu ihrer Tochter Eleonore an, die ihrem Gatten, König Alfons VIIL von Kastilien, in dreißigjähriger Ehe viele Kin­ der geboren hatte, und suchte während ihres Aufenthaltes am dortigen Hof unter ihren Enkelinnen eine Braut für den fran­ zösischen Thronfolger aus. Ihre Wahl fiel auf Bianca von Ka­ stilien, durch die sie - einer der Widersprüche des Schicksals - wiewohl selbst nicht mehr Königin von Frankreich, zur Ur­ großmutter eines der größten Kapetingerkönige aufrücken sollte.51 Sie kehrte mit ihrer Enkelin zurück, verbrachte Ostern in Bordeaux und gab Bianca dann in die Obhut des Erzbischofs dieser Stadt, der sie feierlich den Gesandten des Königs von Frankreich überantwortete. Darauf begab sich, wie der Chronist Roger von Hoveden schreibt, »die Königin, vom Alter und den Strapazen dieser langen Reise erschöpft, in die Abtei Fontevrault, um für im93

mer dort zu bleiben« Wirklich zur Ruhe freilich kam Eleono­ re, die ihrem Sohn auch weiterhin jede erdenkliche diplomati­ sche Hilfestellung leistete, nach wie vor nicht, und so kann man Fontevrault während ihrer letzten Lebensjahre wohl oh­ ne Übertreibung die geistige Hauptstadt des PlantagenetReiches nennen. Johann indessen beging, wie vorherzusehen, eine Dumm­ heit nach der anderen. Den schlimmsten Schnitzer leistete er sich Ende August 1200 mit der Entführung Isabellas von Angoulême, der offiziellen Braut des Grafen von Marche, Hugo von Lusignan, die er kurz darauf heiratete. Dieser uner­ hörte Verstoß ließ den alten Haß der Lusignans gegen die Plantagenets wieder aufflammen, und sie wandten sich über Eleonores Kopf hinweg52 direkt an den Lehnsherrn Philipp August. Dieser ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und forderte Johann, der Isabella bereits geehelicht hatte und so­ mit nicht mehr herausgeben konnte, auf, Hugo von Lusignan zumindest zu entschädigen, womit das von der alten Köni­ gin-Herzogin in den Ländereien der Plantagenets mit List und Tücke aufrechterhaltene Gleichgewicht zu Bruch ging. Kurz nachdem Johann seine junge Gemahlin am 8. Okto­ ber 1200 in der Westminsterabtei hatte krönen lassen, reiste das englische Königspaar nach Paris, wo es von Philipp Au­ gust auf der Ile de la Cité mit erstaunlicher Herzlichkeit emp­ fangen wurde. Allerdings hätte Philipp August zu diesem Zeitpunkt gegen seinen Vasallen auch nichts unternehmen können, da er selbst in den schlimmsten Schwierigkeiten steckte: Die Verstoßung seiner Gemahlin Ingeborg und seine Heirat mit Agnes von Meran hatten ihm den Kirchenbann und dem Königreich das Interdikt eingetragen. Eleonore leg­ te während dieser Zeit die Hände natürlich auch nicht in den Schoß und versöhnte sich zu guter Letzt sogar mit Arthurs angeheiratetem Onkel Aimery von Thouars, der sich von je­ her gegen die Vormachtstellung der Plantagenets gesträubt, inzwischen aber in Fontevrault vorgesprochen und Eleonore beim Abschied zugesichert hatte, sich bei den Baronen des

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Poitou für die Aufrechterhaltung der Eintracht einzuset­ zen. Am 4. September 1201 starb Arthurs Mutter, Konstanze von der Bretagne. Und da Agnes von Meran, einst Stein des Anstoßes und Ärgernisses, gleichfalls das Zeitliche gesegnet hatte, verlor das Interdikt gegen den König von Frankreich seine Berechtigung, und dieser erlangte damit seine volle Handlungsfreiheit wieder. Als im Frühjahr 1202 eine Abordnung poitevinischer Ba­ rone unter Anführung der Lusignans bei Philipp August Be­ schwerde gegen Johann Ohneland führte, der seine aufmüpfi­ gen Vasallen in keiner Weise zu gewinnen suchte, sondern sie im Gegenteil voller Verachtung, Gewalttätigkeit und Arro­ ganz behandelte, ließ sich Philipp August die Gelegenheit nicht entgehen, den König von England (und damit auch dessen offizielle Lehnsherrin Eleonore) vor seinen Hof zu zi­ tieren, um sich angesichts der gegen ihn erhobenen Beschul­ digungen zu rechtfertigen. Natürlich stellte sich Johann taub, woraufhin ihn das am 28. April in Paris versammelte Lehnsgericht für eidbrüchig und alle Lehnsbindungen zwischen ihm und Philipp August für null und nichtig erklärte. Anschlie­ ßend zog der König von Frankreich, nunmehr zur Interven­ tion in den Besitzungen der Plantagenets berechtigt, seine Truppen zusammen, schlug Arthur von der Bretagne zum Ritter und ließ ihn nicht nur für die Bretagne, sondern auch für Anjou, Maine, Touraine und Poitou den feierlichen Lehnseid leisten,53 woraufhin der Krieg ausbrach. Nachdem Philipp August zahlreiche Grenzfestungen zwi­ schen der Normandie und dem Königreich Frankreich einge­ nommen hatte, beschloß er, vom Erfolg berauscht, einen gro­ ßen Coup und schickte Arthur mit Hugo von Chatellerault an der Spitze einer Elitetruppe zur Eroberung des Poitou aus — womit der fünfzehnjährige Enkel gegen seine achtzigjährige Großmutter antrat. Über die Ereignisse und Arthurs Vorkehrungen in Tours auf dem laufenden gehalten, fühlt sich Eleonore in Fonte-

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vrault nicht mehr sicher und beschließt, da sie das Poitou nicht unverteidigt lassen will, nach Poitiers überzuwechseln, wo sie zahlreiche Anhänger hat und Maßnahmen zum Schutz ihrer Ländereien in die Wege leiten kann. Doch Arthur kommt ihr zuvor: Sein Heer sperrt die Straßen jenseits Louduns, so daß Eleonore nur noch die Möglichkeit bleibt, sich in die Festung von Mirebeau zu flüchten. Als die von Arthur und Hugo von Chätellerault belagerte Stadt kurz darauf fällt, leistet Eleonore mit einer Handvoll Getreuer im Hauptturm Widerstand. Man schreibt Mitte Juli. Eleonore ist es gelungen, einen Boten zu dem in Maine wei­ lenden Johann zu schicken, und diesmal verliert der König von England keine Zeit, sondern rückt unverzüglich zum Entsatz seiner Mutter an. Am 1. August, dem Tag, an dem Arthur die Festung stürmen will, greift Johann Mirebeau an, befreit Eleonore und macht zahlreiche Gefangene, darunter auch den jungen Herzog von der Bretagne.54 Dieser Ausgang bedeutet für den König von Frankreich ei­ nen harten Schlag, für Johann Ohneland dagegen den einzi­ gen großen Sieg, ist es ihm doch gelungen, seinen Neffen und damit gleichzeitig seinen Rivalen und Erben55 in seine Hand zu bringen. Er überantwortet ihn einem seiner Vertrauten, Hubert von Bourgh, und erteilt diesem Weisung, den jungen Herzog zu entmannen und zu blenden. Hubert von Bourgh hält Arthur zwar im Turm von Rouen gefangen, hütet sich aber, die grausigen Befehle seines Herrn auszufuhren. Da be­ schließt Johann, die Angelegenheit selbst in die Hand zu neh­ men und so ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Am 3. April 1203 - dem Gründonnerstag - dringt er mit einem ein­ zigen Gefährten, dem Haudegen Wilhelm von Briouse, in den Turm zu Rouen ein, entführt den Gefangenen in einem Boot, erwürgt ihn eigenhändig und wirft die Leiche in die Seine.56 Eleonore hat sich unterdessen nach vorübergehendem Aufenthalt in Chinon wieder auf ihren Ruhesitz Fontevrault zurückgezogen, wo sie im April 1203 eine vom 16. datierte 96

Botschaft ihres Sohnes aus Falaise erhält, in der sich der etwas rätselhafte Satz findet: »Gottseidank stehen die Dinge für uns besser, als dieser Mann Euch sagen kann.« Man hat diese Worte als Anspielung auf die Vorfälle des 3. April in Rouen gedeutet, und tatsächlich brachte Arthurs Tod Johanns Ange­ legenheiten in gewisser Weise ins Lot, da er ihn einerseits von einem vom französischen König aufgehetzten Rivalen befrei­ te und andererseits den Erbfolgestreitigkeiten ein Ende berei­ tete und ihn als alleinigen Erben Heinrichs IL bestätigte.57 Faktisch jedoch sollte ihn diese verbrecherische Tat all seine Festlandsbesitzungen kosten, da sie Philipp August die er­ träumte Gelegenheit bot, nach einigen Krokodilstränen über das Schicksal des unglücklichen Arthur dessen Mörder zu ver­ folgen und bei dieser Gelegenheit das Plantagenet-Reich zu Fall zu bringen. Eleonore jedenfalls hat, soviel steht fest, den wahren Her­ gang nie erfahren, auch wenn sie ihren Sohn, den sie zu gut kannte, um sich über seinen Charakter einer Täuschung hin­ zugeben, verdächtigte, am Tode ihres Enkels Schuld zu tra­ gen. Ihrerseits aber hätte sie in ein solches Verbrechen nie eingewilligt, obwohl sie für Arthur, den Sohn der ihr verhaß­ ten Konstanze, keine weitere Sympathie empfand. Aber Eleo­ nore und Richard Löwenherz haben, mag man ihnen auch sonst allerlei anlasten können, mit Sicherheit nie ein Verbre­ chen begangen, so unerhört das in dieser Zeit für einen Kö­ nig oder Baron auch klingt. So starb Eleonore, zwar ohne je die Wahrheit zu erfahren, aber doch mit den im ganzen Reich Plantagenet-Anjou umlaufenden Prophezeiungen im Ohr, die schlimmstes Unheil vorhersagten, ihr Geschlecht verflucht nannten und das Ende der Plantagenet-Herrschaft ankündig­ ten. Mitten im Krieg versank Johann wieder in eine jener Pe­ rioden von Apathie, in denen er selbst dann nichts unternom­ men hätte, wenn der Feind vor den Toren seines Palastes ge­ standen hätte. So konnten die Franzosen in die Normandie einfallen, am 6. März 1204 Chateau-Gaillard einnehmen, das

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Richard 1196 zur Abriegelung der Straße nach Rouen hatte erbauen lassen, und gegen Rouen marschieren. Von ihrem Alterssitz aus verfolgt Eleonore, die unter Heinrich IL und Richard den Triumph des Reiches Anjou-Plantagenet miter­ lebt hat, nun seinen Zusammenbruch. Wahrscheinlich hat der Kummer darüber ihren Tod beschleunigt. Jedenfalls stirbt sie am 31. März (oder am 1. April, der Zeitpunkt ist nicht genau bekannt) in der Abtei Fontevrault, wo sie ihren Lebensabend verbracht hat und nun neben ihrem Gatten Heinrich IL Plan­ tagenet und ihrem Lieblingssohn Richard Löwenherz ihre letzte Ruhestätte findet. Damit tritt diese merkwürdige Frau, Königin von Frankreich und dann von England, zeitlebens Herzogin von Aquitanien und Gräfin von Poitou, Mutter von zwei Königen und Großmutter des jung verstorbenen Herzogs von der Bretagne wie des deutschen Kaisers Otto, Ahnherrin eines englischen und eines französischen Königs­ geschlechtes, zweiundachtzigjährig von der Bühne ab. »Die wahre Melusine mit ihrer Mischung aus widersprüchlichen Naturen ist Eleonore von Guyenne«, schreibt Michelet, und er hat so unrecht nicht. Wer vermöchte schon hinter Eleono­ res bewegter Geschichte und ihrer ungewöhnlich reichen Le­ gende ihr wahres Gesicht zu erkennen?

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Eleonores sonderbare »Scheidung«

Die »Scheidung« des französischen Königspaares, für Eleo­ nore ein Wendepunkt in ihrem Leben, blieb auch auf das po­ litische Leben Europas im 12. und zu Beginn des 13. Jahr­ hunderts nicht ohne Einfluß. Kein Wunder, daß man sich an diesem Thema die Zähne ausgebissen hat, daß man nicht mü­ de wurde, es von den verschiedensten Seiten her anzugehen, auch wenn man jedesmal an irgendeiner Unbekannten schei­ terte. Was geschah wirklich, was ist dem Konzil von Beaugency 1152, das die Ehe des Königs von Frankreich und der Herzogin von Aquitanien aufgrund kanonischer Blutsver­ wandtschaft für null und nichtig erklärte, wirklich vorausge­ gangen? Gleich zu Anfang stoßen wir auf eine irritierende Frage: Wie kommt es, daß die Kirche 1152 akzeptierte, was der Papst 1149 in aller Form ausgeschlossen hatte, nämlich die Blutsverwandtschaft als möglichen Scheidungsgrund? Eugen IIL hatte alles getan, um die beiden Gatten, deren Gefühle of­ fensichtlich auch zu diesem Zeitpunkt schon erkaltet waren, miteinander auszusöhnen und jedem, der es wagen sollte, Eleonores und Ludwigs Verbindung aufgrund der Blutsver­ wandtschaft anzugreifen, mit kirchlichen Sanktionen gedroht. Aber mehr noch: Den authentischsten Quellen nach scheint Bernhard von Clairvaux selbst den König von Frankreich er­ mutigt zu haben, sich mit dieser Begründung von seiner Gat­ tin zu trennen, derselbe Mann also, der Eleonore, als sie ihm ihren Kummer über ihre Kinderlosigkeit und ihre mögliche 99

Unfruchtbarkeit anvertraute, getröstet und ihr die Hilfe des Himmels versprochen hatte. Welch sonderbare Komödie mußte sich abgespielt haben, damit Worte, die ehedem gefal­ len waren, nun widerrufen werden konnten, damit die Ehe des Königspaares in aller Eile - denn das Konzil von Beaugency war, wenn man so sagen darf, ein Wettlauf gegen die Zeit - annulliert werden konnte, obwohl ihre Fruchtbarkeit mittlerweile durch zwei Töchter erwiesen war? Die Antwort kann nur lauten: Es mußte etwas besonders Schwerwiegendes vorgefallen sein, ein zwingender Grund vorliegen, die Ehe aufzulösen. Nur haben wir leider nicht die geringste Ahnung, was es gewesen sein mag. Gewiß war da der Ehebruch der Königin. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir keinerlei Beweis für die Liebesaben­ teuer besitzen, die Eleonore zugeschrieben werden, daß alle diesbezüglichen Geschichten, die damals und später in Um­ lauf waren, eher auf Klatsch als auf Zeugnisse zurückgehen. Wir wissen nicht, ob Eleonore ihren Mann, vor allem in An­ tiochia, in der Tat hintergangen hat, wir können es, obwohl die Legende die Ereignisse aufs üppigste umrankt hat, nur glauben. Außerdem hätte dieser Vorfall schon Jahre zurückge­ legen, so daß sich die Gatten in der Zwischenzeit wohl wieder versöhnt hätten. Gewiß auch wies der Bischof von Langres zu Beginn des Konzils in Abwesenheit der Königin auf ihr anstößiges Ver­ halten hin und bezichtigte sie des Ehebruchs. In den Ausfüh­ rungen aber, die ihm in den Mund gelegt werden, ist von ih­ ren Beziehungen zu Sultan Saladin die Rede, was barer Un­ sinn ist. Die offizielle Beschuldigung des Ehebruchs auf dem Konzil von Beaugency ist also nicht ernst zu nehmen. Ande­ rerseits aber hieß doch die Königin von Frankreich des Ehe­ bruches zeihen, die Krone in den Schmutz ziehen. Es gibt Dinge, die in bestimmten Kreisen nie eingestanden werden, mögen sie auch noch so an der Tagesordnung sein. Und gewiß war da schließlich das Mißtrauen der Umge­ bung des Königs gegen Eleonore. Wie würde sich die Köni100

gin nach einer vorübergehenden Aussöhnung verhalten? Würde sie es zur Schmach des französischen Königreiches nicht bloß um so toller treiben? Fest steht in all diesem Dun­ kel nur eins, daß irgendjemand am Hefe Ludwigs VII. irgend etwas wußte. Was - das herauszufinden, soll nun unsere Aufgabe sein. Fangen wir beim Anfang an. Die Ehe zwischen Eleonore und Ludwig VIL war ursprünglich eine politische Ehe gewe­ sen, auch wenn sich der König von Frankreich in seine schö­ ne junge Gattin nachträglich unsterblich verliebte. In der Tat läßt sich nachweisen, daß er Eleonore leidenschaftlich geliebt hat, und so aus der politischen Heirat, zumindest für ihn, eine Liebesheirat wurde. Aber auch die Königin dürfte für die Zärtlichkeit und Zuvorkommenheit ihres Gatten, zumindest eine Zeitlang, nicht unempfänglich gewesen sein. Und wenn ihr schließlich die Worte entschlüpften: »Ich habe einen Mönch geheiratet, keinen Mann«, wollte sie vielleicht weniger auf den Einfluß anspielen, den die Kirche auf Ludwig VIL ausübte, als vielmehr auf sein persönliches Verhalten ihr ge­ genüber. Eleonore liebte starke, männliche und gleichzeitig verfeinerte, kultivierte Männer, was der König von Frank­ reich bestimmt nicht war, so daß die Abkühlung der eheli­ chen Beziehungen gewiß auf das Konto und nur auf das Konto der Königin ging. Im übrigen war nach Aussage der Chronisten sie die erste, die die Blutsverwandtschaft als Scheidungsgrund ins Treffen führte. Den Anlaß dazu gab Ludwig VIL mit dem Befehl, sie habe ihn nach Jerusalem zu begleiten. Nun wissen wir freilich nicht, ob sie ihm lediglich damit drohte, um sich seinem Wil­ len zu widersetzen, oder ob sie bereits damals eine Trennung in Betracht zog. Mit Sicherheit sagen läßt sich nur, daß sie in diesem Punkt recht wohl unterrichtet war, sich also infor­ miert haben mußte und seit Antiochia — auch mit dieser An­ nahme liegen wir wohl richtig — mit dem Gedanken an eine Scheidung spielte, sei es, um das Joch ihrer Ehe abzuschüt­ teln, sei es, um eine neue Verbindung einzugehen. Die Legen­ 101

de bietet darüber hinaus noch eine Reihe anderer Lösungen an, die sich jedoch samt und sonders als unhaltbar erweisen. Nach der Versöhnung von Tusculum und der Geburt ihrer zweiten Tochter dürften sich die Gatten noch weiter ausein­ andergelebt haben. Mit schwindender Verliebtheit gingen Ludwig VIL vermutlich allmählich die Augen dafür auf, wel­ che Gefahr Eleonore für sein Haus und, zur damaligen Zeit vielleicht sogar noch wichtiger, für die Reinheit seines Ge­ schlechtes 1 darstellte. Eleonore aber unternahm, wie sich den­ ken läßt, nichts, um seine Zweifel zu zerstreuen. Im Gegenteil deutet alles darauf hin, daß sie selbst tatkräftig zur Entste­ hung ihrer Legende beigetragen und sich absichtlich in zwei­ deutige Situationen begeben hat, um ihrem Mann Gründe zur Scheidung zu liefern. Sie wollte definitiv — was immer allzu romanhafte Geschichtsbücher behaupten mögen — die Annul­ lierung ihrer Ehe durch das Konzil von Beaugency, da ihr ei­ ne einfache Trennung von Tisch und Bett, eine andere Lö­ sung, die das Recht im Falle eines Ehebruchs bereithielt, kei­ ne Wiederverheiratung gestattet hätte. Doch zurück zum Scheidungsprozeß. Nachdem der Bi­ schof von Langres die Königin in seiner Anklagerede des Ehebruchs bezichtigt hatte, erhob sich der Erzbischof von Bordeaux, ein Untertan Eleonores, um die Beschuldigungen in einem beredten Plädoyer als unbegründet zurückzuweisen und statt dessen auf einen anderen Scheidungsgrund, die Blutsverwandtschaft, zu verweisen. Ein abgekartetes Spiel, ein geglückter Coup? Wiederum eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist, auch wenn viel dafür spricht. Aber auch auf Seiten des französischen Königs fehlt es nicht an Problemen. Warum ließ er seine Gemahlin so leich­ ten Kaufes ziehen? Warum machte er anscheinend nicht ein­ mal den Versuch, ihre aquitanischen und poitevinischen Be­ sitzungen zurückzuhalten? Der getreue Suger hatte bekanntlich, solange er lebte, für eine Aussöhnung des Königspaares plädiert. Mochten Eleo­ nore und er auch nicht immer Freunde gewesen sein, so hatte

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ihn die Königin doch stets respektiert, wie der Abt von Saint-Denis umgekehrt nie Kritik an Eleonore zugelassen hät­ te. Schließlich hatte er selbst die Ehe befürwortet, um den Kronländereien auf einen Schlag den ganzen Südwesten Frankreichs einzuverleiben. So war er auch zu jedem Kom­ promiß mit der Herzogin bereit, um dem Thronerben Aqui­ tanien Rechtens zu sichern. Nur daß es einen solchen Erben unseligerweise nicht gab. Die zwei Töchter, die aus der Ehe des Königspaares hervorgegangen waren, bewiesen zwar, daß die Königin nicht unfruchtbar war2, änderten aber nichts dar­ an, daß in den vierzehn Jahren kein Sohn geboren war — für Ludwig VIL alles in allem wohl eine eher beunruhigende Situation. Ohne Sugers Rat, von Natur aus krankhaft eifersüchtig und dazuhin von berechtigten Zweifeln an Eleonores eheli­ cher Treue geplagt, außerdem beunruhigt, da ihm Eleonore nur zwei Töchter geboren hatte, und schließlich noch von der Befürchtung gepeinigt, eines Tages einen Bastard unterge­ schoben zu bekommen, gab Ludwig VIL schließlich dem Drängen der Königin und den Beschwörungen seiner Umge­ bung nach. Denn der Hof haßte Eleonore. Hier war die Herzogin von Aquitanien eine Fremde geblieben, von schlechtem Ge­ schmack und schlechtem Ruf, die in ein Land, das für seine strengen Sitten bekannt war, den Bazillus der Sinnlichkeit und Wollust eingeschleppt hatte. Man verzieh ihr nicht, daß sie Komödianten und Sänger hatte kommen lassen, die den männlichen Kreuzzugsliedem und erbaulichen Heldenepen Liebeslieder und die sagenhaften Abenteuer von Rittern aus einer anderen Welt vorzogen. Ebensowenig verzieh man ihr, daß sie lieber Okzitanisch als Französisch sprach und sich mit Okzitanisch sprechenden Leuten umgab. Zudem entrüstete man sich, daß sie Wein trank und offensichtlich sogar Ge­ schmack daran fand.3 Freilich trat man ihr nicht ohne Vor­ wand zu nah. Dafür aber ließ man der Zunge freien Lauf: Ohne Zweifel entstand ein gut Teil der Legenden, die Eleo­ 103

nore als skrupellose, mit allen Lastern des Orients ausgestatte­ te Messalina darstellen, am französischen Königshof. So hatte sich also auch der König von Frankreich endlich zur Scheidung durchgerungen, wovon sich das Königspaar auf seiner ausgedehnten Reise durch den Südwesten des Lan­ des jedoch nichts anmerken ließ. Nur gewisse Hinweise deu­ teten darauf hin, daß die Trennung auf beiden Seiten be­ schlossene Sache war. So wurden die königlichen Garnisonen und die französischen Beamten überall durch aquitanische Truppen und Beamte abgelöst, wahrscheinlich weil der Kö­ nig einen brutalen Bruch, der nur noch mehr Staub aufgewir­ belt und alles noch komplizierter gemacht hätte, vermeiden wollte. Gerade dadurch aber nahm er den Verlust von Aqui­ tanien in Kauf. Wir berühren hier einen Punkt des Feudalrechtes, den wir etwas ausführlicher behandeln wollen: das Erbfolgerecht, das in den meisten Staaten, so auch in Aquitanien, anders ge­ handhabt wurde als im Königreich Frankreich. Während hier nach dem sogenannten Salischen Gesetz, übrigens sehr zu Unrecht so genannt, da es im Grunde kein Gesetz, sondern nur allgemein geltender Brauch war4, die Töchter von der Thron­ folge ausgeschlossen blieben, wurden die Frauen sonst ziem­ lich allgemein zur Erbfolge zugelassen. Eleonore war also nach dem Tode ihres Bruders im Kindesalter als älteste Toch­ ter Wilhelms X. legitime Erbin und als solche auch berech­ tigt, den Titel Herzogin von Aquitanien zu fuhren. Ebenso le­ gitim erbte später Heinrich Plantagenet England von seiner Mutter, der Kaiserin Mathilde, die als Tochter des Königs von England nach dem Tod Stephans von Blois Anspruch auf den englischen Thron erheben konnte. Ein Problem bleibt jedoch bestehen: War mit dem Titel auch der Besitz verbunden? Oder anders ausgedrückt, gehör­ ten z. B. der Herzogin von Aquitanien und der Gräfin von Poitou das Poitou und Aquitanien wirklich? Insofern eine reichlich verzwickte Frage, als die der französischen Krone lehnbaren Staaten ursprünglich gar nicht alle dem König von 104

Frankreich untertan waren. So unterstand Lothringen der Lehnshoheit des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Na­ tion, und die armorikanische Bretagne war, da sie nie von den Franken besetzt gewesen war, auch nie von einem fran­ zösischen König an einen Vasallen verliehen worden. Aber in der Feudalgesellschaft, wie sie sich auf der Grundlage des von Karl dem Großen eingeführten Kommendationssystems her­ ausgebildet hatte, gab es ein fundamentales Gesetz, nämlich daß grundsätzlich alle Territorien dem König oder Kaiser ge­ hörten, der nach Gutdünken darüber verfugen und sie zeit­ weilig oder auf Dauer einem Baron übertragen konnte. In ge­ wisser Hinsicht war der Vasall also, ob Herzog oder Graf, nur der Mieter eines Eigentümers, zumindest zu Beginn des Feu­ dalwesens. Oder ist es nicht etwa eine Art Mietvertrag, wenn ein Grundbesitzer einem Mann seines Vertrauens eine Domä­ ne, ein sogenanntes Lehen, überläßt und ihm dafür den Lehn­ seid abnimmt? Im Grunde war der Vasall also nur der Die­ ner5 des Herrn, des Grundbesitzers. Erst später konnten die vom König oder Kaiser verliehe­ nen Territorien automatisch auf den Erben des Titelinhabers übertragen werden. Das heißt, die Lehen wurden erblich, die Monarchie dagegen, zumindest theoretisch, nicht - eine Ent­ wicklung, die sich im übrigen leicht erklären läßt: Denn wäh­ rend die persönliche Domäne des Königs, der seine Vasallen mit Gebieten belehnte, ständig abnahm, wuchsen die Lehen, vor allem durch Heiratspolitik und Erbfolge, ständig weiter und wurden immer reicher. So klammerten sich die Vasallen schließlich nicht kraft irgendeines Rechts, sondern mittels Ge­ walt an ihren Grundbesitz, und der König mußte sich, wollte er seine moralische Autorität, die einzige, die ihm noch blieb, nicht auch noch verlieren, wohl oder übel damit abfinden. So entstanden in Frankreich riesige Lehen wie Burgund, die Normandie, Anjou, Poitou, Aquitanien, die Graftschaft Tou­ louse, Languedoc, die Auvergne und die Champagne, deren Eigentümer theoretisch zwar immer noch der König war, in denen aufgrund des Status quo in Wirklichkeit aber seine Va-

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sallen das Sagen hatten, während er selbst nur noch die Ver­ antwortung in letzter Instanz trug. So kann man Ludwig VIL nicht, wie es gelegentlich ge­ schehen ist, ungeschickt nennen, nur weil er Eleonores Güter zurückgegeben hat. Wie die Dinge lagen, das heißt nach den damaligen Gepflogenheiten, konnte er gar nicht anders. Er mußte Eleonore aus dem Joch der Ehe entlassen, ihre Staaten aber einziehen, hätte nicht nur die ohnehin undisziplinierten und von Natur unge­ stümen Herren von Poitou und Aquitanien gegen ihn aufge­ bracht, sondern auch die meisten anderen Vasallen, die allein die Idee, der König könnte die Lehen, die sie als persönliches Eigentum betrachteten, wegnehmen, empört hätte. All das hat sich der König wohl durch den Kopf gehen las­ sen, ehe er seine Entscheidung traf. Und natürlich hatte auch Eleonore die Möglichkeit einer Einziehung ins Auge gefaßt, sich aber aus den eben erwähnten Gründen nicht aus der Ru­ he bringen lassen. Ludwig VIL konnte ihr ihre Rechte nicht nehmen, mochte er auch König von Frankreich und Prinz von Aquitanien sein (diesen Titel hatte er 1137 in Poitiers er­ halten, ein reiner Ehrentitel wie der eines einfachen Prinzge­ mahls). Und so hatte sie das Risiko getrost auf sich genom­ men und die Annullierung ihrer Ehe vorgeschlagen. Nachdem der Entschluß einmal gefaßt war, galt es zur Tat zu schreiten. Den Ehebruch zuzugeben, kam aus den oben er­ wähnten Gründen nicht in Betracht, zumal es ein weit einfa­ cheres und radikaleres Mittel gab, dessen sich viele Könige und Fürsten im Laufe des Mittelalters bedienten: die Annul­ lierung aufgrund von Blutsverwandtschaft. Freilich hieß die Blutsbande zwischen den Ehegatten im nachhinein entdekken, die Scheinheiligkeit auf den Gipfel treiben, da zu dieser Zeit die Stammbäume vor der Eheschließung aufs sorgfältig­ ste studiert wurden. Dennoch stellte, um eine Scheidung über die Runden zu bringen, das impedimentum cogpationis das ideale Mittel schlecht­ hin dar, das von niemandem angezweifelt oder angetastet werden konnte, da die in Personenstandsdingen allmächtige

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Kirche die Heirat zwischen Blutsverwandten strikt verboten hatte. Das kanonische Recht hat die Eheverbote bei Ver­ wandtschaft und Schwägerschaft von allen Gesetzgebungen am strengsten gefaßt und am weitesten ausgedehnt — im übri­ gen ein Zeichen für eine Gesellschaft, die sich absolut exogam will. Natürlich gewährte die Kirche in manchen Fällen Dis­ pens, aber zu Beginn des Mittelalters neigte sie stark dazu, solche Verbindungen überhaupt zu untersagen, bis sie schließlich nach vielen Vorschlägen das Verbot auf Verwand­ te bis zum siebten Grad kanonischer Berechnung festsetzte. Warum aber zeigte sich die Kirche in diesem Punkt so un­ nachgiebig? In erster Linie wohl, weil jede organisierte Gesell­ schaft von der Angst vor dem Inzest beherrscht wird. Dann aber vermutlich auch, weil es den germanischen Sitten und Bräuchen entgegenzuwirken galt, die sehr weitherzig waren und die Ehe sogar zwischen nahen Verwandten tolerierten. Und schließlich, weil es vom eugenischen Gesichtspunkt aus die menschliche Rasse reinzuhalten galt, indem man von vornherein jede Gefahr der Beschmutzung ausschloß, sprich, auf die mittelalterliche Welt bezogen, um den entsetzlichen Folgen entgegenzusteuem, die man in den kleinen ländlichen Siedlungen beobachten konnte, wo die Menschen in größter Promiskuität lebten. Erst später dachte man daran, all die Eheverbote durch ein übergeordnetes theoretisches Prinzip zu rechtfertigen. Dabei stützte man sich auf Ideen des heiligen Augustinus, die Petrus Damianus im 11. Jahrhundert in seiner Abhandlung Degradibusparentelae des langen und breiten dargelegt hatte. Außerdem verkündete Papst Alexander H nun die Entscheidungen des Konzils von Rom aus dem Jahre 1059 über die Verwandt­ schaftsgrade in einem Dekretale. Zweck der Ehe war nach kirchlicher Auffassung nicht nur die Sicherung des Fortbe­ standes der menschlichen Rasse sowie die Kanalisierung der sexuellen Triebe (also die Gründe, die schon den heiligen Paulus zur Duldung der Ehe bewogen hatten), sondern dar­ über hinaus die Förderung der christlichen Liebe und Näch107

stenliebe zwischen den Menschen durch die Bande der Ver­ wandtschaft und der Zuneigung. Den Theologen zufolge aber konnte die Ehe ihre volle Wirkung nur zwischen zwei einan­ der fremden Personen entfalten, das heißt sie wurde nicht mehr als Privatangelegenheit zweier Individuen betrachtet, sondern als richtungweisende Institution im Dienste einer zi­ vilisierten, christlichen Gesellschaft. Die Verwandtschaftsgrade wurden nicht nach dem römi­ schen, sondern nach dem mosaischen Recht bestimmt, dessen Grundsatz lautete: »Ebenso viele Grade wie Zeugungen«. Wa­ ren die beiden Heiratswilligen aber von den gemeinsamen Stammeitem nicht gleich weit entfernt, bezog man sich auf den entfernteren. So galten z. B. Onkel und Nichte nicht nach dem Onkel als Verwandte ersten, sondern nach der Nichte als Verwandte zweiten Grades in direkter Linie6, was den Streite­ reien über den Verwandtschaftsgrad erst recht Tür und Tor öffnete. Im Fall von Eleonore und Ludwig VIL nun dürften die Prälaten und Barone von Beaugency über den Verwandt­ schaftsgrad nicht genauer informiert gewesen sein, wenn sie auch seit langem wußten, daß gemeinsame Ahnen vorhanden waren. So hatte Bernhard von Clairvaux 1143 in einem Brief an den Bischof Stephan von Préneste geschrieben, das Königspaar sei tertio fere consanguinaiis gradu, »fast im dritten Grad«, verwandt. In Wirklichkeit jedoch waren Eleonore und Ludwig VIL als Abkommen des französischen Königs Robert des Frommen Verwandte fünften Grades (nach kanonischer Zählung)7 und über einen anderen Zweig als Nachkommen von Wilhelm Tête d’Etoupe Verwandte sechsten Grades. Je­ denfalls aber beglaubigten sorgfältig ausgewählte Zeugen die Blutsverwandtschaft unter Eid, was die Nichtigkeit der Ehe in aller Augen offenbar machte. Die Verwandtschaft läßt sich nach folgendem Schema dar­ stellen:

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WILHELM tête D’étoupe (6j

I

1 WILHELM FIERABRAS [5]

ADELE VON POITOU (5)

I

I

WILHELM V. [4]

ROBERT DER FROMME [4/5]

|

I___________________ WILHELM TAILLEFER [4/5]

I PONS [4] I KONSTANZE HEINRICH L [3] V. TOULOUSE [3]

I PHILIPP L [2]

GUIDOGOTTFRIED

ROBERT VON BURGUND (4] I

WILHELM IV. V. TOULOUSE [3]

AUDIARDE V. BURGUND [3]

I WILHELM IX. [2]

PHILIPPA VON TOULOUSE [2]

LUDWIG VT [1] I

WILHELM X. [1]

LUDWIG VIL

ELEONORE

I

Wie man sieht, sind Eleonore und Ludwig VII. über ver­ schiedene Linien verwandt, so daß es ein leichtes war, irgend­ einen Verwandtschaftsgrad zwischen den königlichen oder fürstlichen Familien herauszukonstruieren. Zum Vergleich nun der Stammbaum von Eleonore und Heinrich Plantage­ net, die nach kanonischem Recht Verwandte fünften Grades waren (die Ziffern bezeichnen wie im oberen Schema, die ka­ nonische Zählung): ROBERT DER FROMME [5]

ROBERT V. BURGUND [4]

ADELHEID V. FRNKRE1CH [4]

AUDIARDE V. BURGUND [3]

MATHILDE V. FLANDERN [3]

WILHELM IX [2]

HEINRICH L BEAUCLERC [2]

WILHELM X[l]

MATHILDE [1)

ELEONORE

HEINRICH PLANTAGENET

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Der Prozeß wurde also in beiderseitigem Einvernehmen angestrengt, im übrigen durchaus legalerweise, da bis zum Laterankonzil von 1215, das die Hindernisse und verbotenen Verwandtschaftsgrade beträchtlich einschränkte und die gän­ gigen Verfahren modifizierte, die Annullierung einer Ehe bis zu zwanzig Jahren nach der Eheschließung beantragt werden konnte, im Fall von Eleonore und Ludwig VIL die Frist also noch nicht überschritten war. Andererseits war zum Beweis der Blutsverwandtschaft vor dem Kirchengericht, der in sol­ chen Angelegenheiten einzig zuständigen Instanz, seit dem Konzil von Troia in Apulien im Jahr 1093 einzig ein Zeugen­ verhör vonnöten. Mit anderen Worten, es genügte, wenn die Verwandten, die Bundesgenossen und Freunde als Zeugen aussagten, damit ihre, freilich unter Eid abgegebenen Erklä­ rungen als Beweis galten und weitere Recherchen entfielen, was natürlich ein gewaltiger Vorteil war. Am 18. März 1152 also trat das Konzil von Beaugency zu­ sammen und bat, nachdem die vom Bischof von Langres er­ hobene Anklage gegen die Königin wegen Ehebruchs von der Versammlung zurückgewiesen worden war, die Zeugen, ihre Erklärungen abzugeben, die absolut einhellig ausfielen. Daraufhin erklärte der Erzbischof von Sens, der den Vorsitz führte, die Ehe für null und nichtig, die beiden Töchter aber, da sie von den Gatten im guten Glauben, verheiratet zu sein, gezeugt worden waren, als legitim — alles in allem genau das, was Eleonore wollte.

Nun stellt sich aber angesichts Eleonores sonderbarer »Scheidung« noch eine andere Frage: War die Ehe mit Hein­ rich Plantagenet schon vorher vereinbart worden? Eine wich­ tige Frage insofern, als sie nicht nur das persönliche Handeln der Herzogin von Aquitanien und ihre politische Sicht erhellt, sondern darüber hinaus auch einen winzigen Schimmer von Licht auf die europäische Politik des 12. Jahrhunderts über­ haupt wirft, die einem Beobachter aus dem 20. Jahrhundert, der, vom modernen Staatsbegriff ausgehend, mit den raffi­ 110

nierten Spielen der Feudalgesellschaft wenig vertraut ist, reichlich dunkel bleibt. Sämtliche Fakten in Rechnung gesetzt, scheint die Ant­ wort, auch wenn es keinerlei Beweis dafür gibt, positiv ausfal­ len zu müssen. Die Heirat mit dem Herzog der Normandie folgte zu schnell auf das Konzil von Beaugency, als daß sich die Herzogin, auf ihre aquitanischen Besitzungen zurückge­ kehrt, aber für begehrliche Augen zur lohnenden Partie ge­ worden, in den wenigen Tagen hätte entscheiden können. Außerdem war Eleonore viel zu klug und vorsichtig, um ihre Zukunft einem plötzlichen Einfall zuliebe aufs Spiel zu setzen. Wie wir sie kennen, hat sie weder in der Politik noch in der Liebe je etwas ohne emstzunehmende Motive, ohne tieferen Grund entschieden. Nicht in dieses Bild freilich will passen, daß sie Heinrich Plantagenet den zeitgenössischen Zeugnissen zufolge vor der Heirat nur ein einziges Mal getroffen haben soll, nämlich als er mit seinem Vater Gottfried dem Hof von Frankreich einen Besuch abstattete. Außerdem schien Heinrich zu diesem Zeit­ punkt von der Nachfolge noch weit entfernt. Kein Mensch konnte ahnen, daß Gottfried schon wenige Monate später sterben sollte. Im Augenblick steckte er im Gegenteil noch voller Zukunftspläne, in denen Heinrich lediglich die Rolle des getreuen Handlangers zufiel. Was also soll man von dieser Begegnung halten, die notwendig stattgefunden haben muß, was von den Gerüchten, die später über eine Liaison zwi­ schen Eleonore und Gottfried dem Schönen in Umlauf ka­ men? Gewiß, wir haben keinerlei Beweis, aber angesichts der Fakten schwinden die Zweifel. Schließlich wissen wir, daß Eleonore im Sommer 1151 beschloß, sich vom König von Frankreich zu trennen; daß Ludwigs VIL Verhalten zu seiner Frau im Herbst schlicht unerträglich wurde, da sich der Kö­ nig vor Eifersucht nicht mehr lassen konnte;8 und daß in eben diesen Sommer der Besuch von Gottfried und Heinrich fiel: Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung liegt auf

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der Hand, sei es, daß der Besuch des Grafen von Anjou und seines Sohnes die Ereignisse überstürzt oder nur die ohnehin bereits verfahrene Situation zwischen dem Königspaar noch verschärft hat. Irgend etwas aber ist anläßlich dieses Besuches notwendig geschehen, wenn sich auch nur schwer feststellen läßt, was es wirklich war. Nun dürfen wir wohl von der Annahme ausgehen, daß Gottfried der Schöne und Eleonore Komplizen waren. Gott­ fried war ehrgeizig, und so ist nicht auszuschließen, daß er in Kenntnis der Schwierigkeiten des Königspaares Eleonore für eine Art Bündnis zu gewinnen suchte, möglicherweise sogar von einer Heirat zwischen ihr und seinem Sohn Heinrich sprach, durch die der ganze Westen Frankreichs in die Hände der Plantagenets kommen würde. Dieses Einvernehmen wie­ derum hätte Anlaß zu den Gerüchten über eine Liebschaft zwischen Eleonore und dem Grafen von Anjou geben kön­ nen, zumal sich Eleonore und Gottfried vom Kreuzzug her, auf dem sich sich wiederholt getroffen hatten, gut kannten. Und dann war da, nicht zu vergessen, Heinrich — im Som­ mer 1151, als ihn Eleonore zum ersten Mal sah, ein schöner junger Mann und bei aller Jugend schon eine ausgeprägte Per­ sönlichkeit, der nach dem Zeugnis zahlreicher Chronisten ei­ nen starken Eindruck auf die Königin von Frankreich mach­ te.9 Warum also sollte unter diesen Umständen nicht eintre­ ten, was sonst selten der Fall ist, und Politik und Liebe bei Eleonore in eins verschmelzen? Aus alledem aber darf man wohl schließen, daß Eleonore tatsächlich bereits bei dieser Begegnung im Sommer 1151 den Entschluß faßte, sich vom König von Frankreich zu trennen, um Heinrich Plantagenet zu heiraten, und alles in diesem Sinne regelte. Natürlich bewahrten die Plantagenets und die Erbin von Aquitanien tiefstes Stillschweigen über ihr Abkommen, auch wenn sich bei manchen Chronisten vage Anspielungen finden.10 Ludwig VIL durfte unter keinen Um­ ständen Wind davon bekommen, da er Eleonore sonst nie­ mals die Freiheit wiedergegeben hätte. Und in der Tat läßt die 112

Verblüffung des Hofes über Eleonores Hochzeit mit Heinrich glauben, daß die Geheimhaltung gelungen ist. Für das Königreich Frankreich waren die Folgen dieser Heirat ohne allen Zweifel vernichtend. Sie versetzte Sugers zentralistischer Politik den Todesstoß und ließ die Feudal­ herrn über die Autorität des Königs triumphieren. Hätte der König zur Not noch dulden können, daß Eleonore, auf ihre Besitzungen zurückgekehrt, einen seiner Vasallen geehelicht hätte — die Allianz der Herzogin von Aquitanien mit einem so mächtigen Herrn wie Heinrich, der zu seinen Besitzungen auf dem Kontinent hinzu (mit einigem Grund) auch noch An­ spruch auf die englische Thronfolge erhob, hätte er nie und nimmer zugelassen. Dieses Bündnis bedrohte ihn um so mehr, als er seine Autorität nur auf dem Kontinent geltend machen konnte, da er in England keinerlei Rechte besaß, und sich die Kapetinger durch die Macht Englands ohnehin be­ reits beunruhigt fühlten. So kann man sich den Arger Lud­ wigs VIL leicht vorstellen, als er von dieser Heirat erfuhr. In diesem Augenblick dürfte er bitter bereut haben, Eleonores Bitten nachgegeben und in die Trennung eingewilligt zu ha­ ben. Aber auch objektiv betrachtet hatte Eleonores »Scheidung« eine Reihe wichtiger Folgen. In erster Linie natürlich war sie eine Herausforderung an den König von Frankreich und sei­ nen Autoritätsanspruch. Darüber hinaus aber stellte sie die Einheit des Königreiches in Frage, indem bestimmte Teile als Lehen an ein anderes Königreich übergingen. Und schließlich und endlich gab sie den Anstoß zu den späteren Zwistigkei­ ten zwischen den Plantagenets und den Kapetingem. Zwar gelang es Philipp August dank der Inkompetenz Johann Ohnelands, den Einfluß der gegnerischen Dynastie einigermaßen einzudämmen, wodurch das ganze 13. Jahrhundert über ein relativ friedlicher Zustand herrschte, aber nach dem Tode des letzten direkten Abkömmlings der Kapetinger flammte der Streit erneut auf. Ohne zu zögern, machte die englische Mo­ narchie ihre Rechte auf die französische Thronfolge geltend,

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hätte doch Isabella von Frankreich — wie Eleonore den Plan­ tagenets die aquitanischen Ländereien - ihrem Sohn, dem Enkel Philipps des Schönen, das gesamte französische König­ reich einbringen können. Und später sollte Isabella von Bay­ ern, über die die französischen Historiker so viel Schlechtes gesagt haben, sich selber treu und darin Eleonores Beispiel folgend, dem in ihren Augen legitimen11 Erben zu einem Großteil des Königreiches verhelfen. Nun hatte Isabella von Bayern freilich nicht die Statur einer Eleonore von Aquita­ nien, wie sich auch die Umstände nicht vergleichen lassen — in beiden Fällen aber manifestierte eine Frau ihren Willen, in­ dem sie sich mit allen Mitteln einer allein von Männern de­ kretierten Legalität widersetzte. Und das ist an Eleonores Po­ litik wohl überhaupt der springende Punkt, daß sie aller Welt zeigte: Eine Frau ist nicht nur Herrin ihres eigenen Geschikkes, sondern auch des Geschickes der ihr von eben jenem Ge­ schick anvertrauten Länder. Aber wie auch immer, jedenfalls bezeichnete das Konzil von Beaugency nicht nur in der abendländischen Geschichte des 12. Jahrhunderts, sondern in der Geschichte der mittelal­ terlichen Welt überhaupt ein wichtiges Datum: Hatte sich bis dahin jede Frau, die verstoßen oder deren Ehe annulliert wor­ den war, dem patriarchalischen Gesetz gebeugt, so forderte nun erstmals eine Frau, die Königin eines bedeutenden Kö­ nigsreiches, selbst die Annullierung ihrer Ehe und setzte sie auch durch - Grund genug, daß die Auflösung der Verbin­ dung Ludwigs VIL von Frankreich und Eleonores von Aqui­ tanien stets, unter welchen Umständen und Motivationen auch immer, eine sonderbare »Scheidung« bleiben wird.

Von alledem müssen wir nun vor allem eines festhalten: daß der 1152 in Beaugency vollzogene und gerichtlich bestä­ tigte Bruch von der Königin von Frankreich gewollt, ja pro­ voziert worden war. Eine Königin aber war damals, von so ungewöhnlichen Persönlichkeiten wie den Fredegunden und Brunhilden aus der Merowingerzeit abgesehen, nicht viel 114

mehr als eine Gebärmaschine oder ein Tausch- und Bündnis­ objekt zwischen Fürsten. Ihre Person zählte nicht oder wenig. Mit einem Schlag aber hob eine von ihnen den Kopf und nahm für sich das Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch - eine Forderung, die uns vor die Frage stellt: Über welche Macht verfügte Eleonore wirklich, und welche Politik ver­ folgte sie persönlich in einer sozialen und politischen Umwelt, die einem solchen Verhalten bestimmt nicht förderlich war? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst das soziale und politische Umfeld ansehen, den Hin­ tergrund, vor dem die Ereignisse abrollten. Dazu müssen wir freilich weiter ausholen und Europa ins Visier fassen, genauer — wenn damals auch von Staaten oder Nationen im modernen Sinn noch keine Rede sein kann — Westeuropa, jenes Westeu­ ropa nämlich, wie es aus dem Zusammenbruch des Römi­ schen Reiches hervorgegangen und vom römischen Christen­ tum geprägt war. In der Tat trug das im 12. Jahrhundert gültige System den Stempel karolingischer Organisation, wie sie von Karl dem Großen konzipiert und vom Vertrag zu Verdun 943 modifi­ ziert worden war, jenem Vertrag, der die Teilung Europas in autonome, wenn auch untereinander abhängige Strömungen besiegelt hatte. Damit war die Grundlage des modernen Eu­ ropa gelegt, die künftige Richtung des politischen Systems aber noch nicht fest bestimmt worden. Unbestreitbar aber war es ein christliches Reich, das in den Kreuzzügen greifbare Gestalt annahm, in sich jedoch bereits den Keim auseinander­ strebender Kräfte trug, die den Traum Karls des Großen von der Einheit sprengen sollten. Durch Erbschaft, Gewalt und Diplomatie hatte der Sohn Pippins des Kurzen, wahrscheinlich eines der größten politi­ schen Genies aller Zeiten, ein riesiges, ebenso bunt zusam­ mengewürfeltes wie ausgedehntes, im Grunde unregierbares Territorium errungen, das im großen und ganzen dem alten Römischen Reich entsprach, nur ohne Britannien, die armorikanische Bretagne und Spanien, während ein großer Teil

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Deutschlands neu dazugekommen war. Und in der Tat war Karl, wie er durch die Kaiserkrönung im Jahr 800 demon­ strierte, fest entschlossen, das Erbe Roms anzutreten. An das noch immer beträchtlich starke Ostreich in Byzanz wagte er sich freilich nicht heran. Dafür aber beweist sein mißglückter Spanienfeldzug seine Absichten auf das Mittelmeerbecken und seinen Wunsch, den Muslimen die Randgebiete des west­ lichen Mittelmeers in Gänze zu entreißen. Nach diesem mili­ tärischen Rückschlag aber wandte er sich der Konsolidierung seines Reiches zu und schuf eine in den großen Linien absolut geniale Organisation. Aus der Erkenntnis heraus, daß es nur eine einzige große, bleibende Kraft gab, die den Zusammenhalt dieses Reiches gewährleisten konnte, nämlich die Kirche, schloß er, wie schon sein Vater Pippin, einen engen Bund mit ihr. Da sich die Kirche in ihrem Aufbau die Verwaltungsstruktur des Rö­ mischen Reiches zunutze gemacht hatte, hütete er sich, irgend etwas zu ändern: So bildeten auf den alten Territorien die in Provinzen und Metropolitansitze aufgegliederten Diözesen die Grundlage der Verwaltungsbezirke. Dieses System war um so brauchbarer, als es in groben Zügen den alten Grenzen der dem Reich einverleibten barbarischen Stämme wie der Gallier etc. folgte.12 Und so machte sich Karl diese Diözesan­ bezirke seinerseits zunutze, um darauf das Gebäude seines Reiches zu errichten. In diesen Verwaltungsbezirken ernannte er Männer aus seiner Gefolgschaft zu comes, Grafen, das heißt zu seinen mit allen Vollmachten ausgestatteten Stellvertre­ tern, die ihm für die Verwaltung des Gebietes verantwortlich waren. Damit sich diese Grafen jedoch nicht ihrerseits zu ab­ soluten Herren aufwarfen, ließ er sie jeweils vom Bischof des Ortes überwachen und umgekehrt (obwohl der Bischof theo­ retisch ja dem Papsttum unterstand), um eventuelle Übergrif­ fe der geistlichen Gewalt auf weltliche Bereiche zu unterbin­ den. Da aber Karl der Große dem einen so wenig traute wie dem anderen, ließ er beide zusammen noch von reisenden Gesandten, den berühmten Königsboten {misst dominici) 116

kontrollieren, aus der Meinung heraus, einzig auf diese Weise auch in den entfernteren Regionen noch für eine korrekte Re­ gierung sorgen zu können. Außerdem verband er, um seinen Untertanen Gerechtigkeit zu gewährleisten, die verantwortli­ chen Grafen und die Grundherren durch gegenseitige Bande der Abhängigkeit: daher das System der Kommendationx\ das die Errichtung einer regelrechten Hierarchie im Reich zum Ziel hatte. So stand der kleinere Grundherr automatisch unter dem Schutz des größeren und mächtigeren, war ihm dafür aber in bestimmten, genau festgelegten Fällen seinerseits zu Hilfeleistungen verpflichtet. In derselben Weise war der rei­ che Grundherr mit dem noch reicheren verknüpft und dieser wieder mit dem Grafen usf., das heißt, die ganze Gesellschaft war von der Basis bis zum Gipfel, dem Kaiser, hierarchisch aufgebaut. Ein solches System brachte natürlich bestimmte Vorteile mit sich. Einerseits war der einzelne nicht isoliert; zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaftsgruppe bildete sich eine echte Solidarität heraus, die eine um so objektivere Gerechtig­ keit ermöglichte, als Graf und Bischof strikt überwacht wur­ den. Andererseits war damit ein mächtiger Regierungs- oder Verwaltungsapparat geschaffen, über den die Befehle der Zentralgewalt, von Stufe zu Stufe bekanntgegeben und ange­ wandt, in relativ kurzer Zeit mühelos bis zur Basis ausgefuhrt werden konnten. So waren die Verwaltungsprobleme, die ein übersteigerter Zentralismus unlösbar verschärfen kann, im In­ teresse der einzelnen Regionen und Menschen theoretisch aufs beste geregelt. Theoretisch, wie gesagt, denn ein solches System konnte, so perfekt es sich auch auf dem Papier ausnehmen mochte, nur unter ganz bestimmten Umständen funktionieren. Vor al­ lem mußten die Grafen vom Kaiser persönlich ernannt wer­ den und durften nicht ihrerseits Grundherrn, das heißt, der Versuchung ausgesetzt sein, ihre persönlichen Interessen über die der Gemeinschaft zu stellen, der sie dienen sollten. Nach dem Tode Karls des Großen aber stiegen die kaiserlichen

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Amtsträger ebenfalls zu Grundherren auf, da sich der Souve­ rän — wie ehedem die Merowinger, die sich auf diese Weise ihrer sämtlichen Ländereien entblößt hatten — ihrer Treue und Ergebenheit nur durch Länderschenkungen versichern konnte. Und da die Grafen ihr Amt von nun an zudem als erblich betrachteten, bildete sich auf der Basis des Grundbe­ sitzes, zur damaligen Zeit der einzige Nachweis von Reichtum und Macht, eine neue Adelsschicht heraus. Außerdem setzte dieses System eine vollständige Überein­ stimmung zwischen Papst und Kaiser voraus, was bekannt­ lich aber keineswegs der Fall war. Im Gegenteil, die Mei­ nungsverschiedenheiten nahmen sogar in dem Maße zu, als die Kirche zur weltlichen Macht und damit zur Rivalin der kaiserlichen Macht aufrückte. Und in der Tat trug dieser Streit mit der Geistlichkeit wesentlich zur Aufsplitterung der karolingischen Einheit in viele Teile von unterschiedlicher Bedeutung und mit unterschiedlicher Zielsetzung bei. Und schließlich und endlich setzte dieses System einen ein­ zigen Kaiser voraus, eine Prämisse, die letztmals unter Lud­ wig dem Frommen, dem einzigen Erben Karls des Großen, erfüllt war. Nach dessen Tod jedoch traten drei Prätendenten auf, deren Rivalität denn auch das von ihrem Großvater so klug errichtete Gebäude zum Einsturz brachte. Der Vertrag von Verdun 843 bestätigte die Spaltung Europas in ein deut­ sches und ein französisches Reich sowie ein reichlich hybrides Gebilde, das schon bald der Gier seiner beiden Nachbarn zum Opfer fallen sollte. Ludwig der Deutsche erhielt Deutschland, Karl der Kahle den westlichen Teil und Lothar den Rest von der Rheinmündung bis nach Italien sowie zum Trost den Kaisertitel. Nicht lange darauf aber sollte dieses Lotharingien Ludwig in die Hände fallen, der danach - zumindest theore­ tisch - das mächtige Heilige Römische Reich Deutscher Na­ tion gründete. Durch diese Teilung des Reiches aber zerbrach auch die Pyramide, da alle Mitglieder der Hierarchie nun ihr eigenes Spiel spielten. Die Strukturen blieben zwar erhalten, funktio­ 118

nierten aber nur noch regional, nicht mehr auf europäischer Ebene. So entstand der Feudalismus, der den Einfluß der reichsten und mächtigsten Grafen bestätigte, die sich um Kö­ nig oder Kaiser nicht viel scherten, sondern vor allem danach trachteten, in ihren Domänen nun dieselbe Hierarchie einzu­ führen, an deren Spitze sie selber standen.14 Am vielfältigsten zerstückelt, da von allen karolingischen Domänen am buntesten zusammengewürfelt, war unbestreit­ bar das Heilige Römische Reich. Das Königreich Franzien (noch nicht Frankreich, wenn die Geschichtsbücher gütigst gestatten) bewahrte noch eine Zeitlang einen Anschein von Einheit, bis sich die Karolinger durch die zunehmende Verlehnung des Königsgutes in der gleichen Lage befanden wie ehedem die sogenannten rois fainéants (wie man die Merowin­ ger nannte, die ihre Hausmeier für sich regieren ließen), das heißt, nur noch eine moralische Autorität besaßen, was natür­ lich eine Schwächung ihrer Macht bedeutete. Durch die seit Chlodwig übliche Salbung in Reims wurde der König zwar zur geheiligten Person. Aber in Ermangelung des Kaisertitels besaß er auch die mit diesem Amt verbundene Würde nicht mehr. Daß er trotzdem noch eine gewisse Autorität behaup­ ten konnte, verdankte er der Salbung, die ihn zum Stellvertre­ ter Gottes machte, den zu respektieren sich auch die Vasallen herbeiließen. Im Grunde aber war er — eine wahrhaft parado­ xe Situation - von allen Herren des Königreiches der wenigst mächtige mit einer Domäne, die gerade von Senlis bis Orlé­ ans reichte und in der er nicht einmal überall der Herr war. So konnte der Herr von Monthléry dem König offen die Stirn bieten, bis es Ludwig VL schließlich gelang, ihm den an der Straße von Paris nach Süden gelegenen Streifen Land zu entreißen.15 Außerdem stand diese Monarchie von Gottes Gnaden auch insofern auf recht wackeligen Beinen, als sie keine Erb-, sondern eine Wahlmonarchie war. In der Tat hatten die Baro­ ne ursprünglich unter ihresgleichen den fähigsten und wür­ digsten zu ihrem Vertreter gewählt. Zwar war die Krone 119

praktisch bald erblich geworden, der Form nach aber wurde die Wahl auch weiterhin beibehalten. So trug der jeweils re­ gierende König Sorge, vorsichtshalber noch zu seinen Lebzei­ ten seinen ältesten Sohn wählen und in Reims salben zu las­ sen. Dank diesem Brauch waren die Kapetinger, durch die Wahl Hugo Capets legal in der Nachfolge der Karolinger an die Macht gekommen, zu einer offiziell von allen anerkannten Dynastie geworden. Indessen waren dem König von Frankreich, genau wie dem nominellen Kaiser, im 12. Jahrhundert ohne die Gefolg­ schaft und Unterstützung seiner Vasallen mehr oder minder die Hände gebunden. Ohne sie konnte er keinen Krieg füh­ ren, da sie ihm Waffen und Truppen stellten, ohne die ihm nur seine eigene Garde blieb. So mußte er sie bei Laune hal­ ten, mit anderen Worten, die Privilegien, die sie im Laufe der Jahrhunderte erhalten hatten, anerkennen und weiter gewäh­ ren — alles in allem eine recht unbehagliche Situation, die noch dadurch verschärft wurde, daß dieser oder jener Vasall aufgrund eines entfernten Lehens gleichzeitig Vasall eines an­ deren Herrn, womöglich sogar des Kaisers, war. Dennoch zielten die Kapetinger in ihrer Politik auf die Wiederherstel­ lung der verlorenen Einheit ab, indem sie die Autorität der großen Herren, wann immer möglich, nach Kräften schwäch­ ten, sei es durch Vorbehalte hinsichtlich der Erbfolge, sei es durch Heiratspolitik. Dieses schon von den ersten Kapetingerkönigen eingeleitete Bestreben wurde unter Ludwig VL, dessen wichtigster Ratgeber, der Abt Suger von Saint-Denis, begriffen hatte, daß das Königtum sich nur mit Hilfe einer auf die Mittelschicht gestützten Expansionspolitik halten konnte, zum obersten Grundsatz des Handelns überhaupt. Aus diesem Grund (und weniger aus Anstand oder Gerech­ tigkeit) waren die Könige von Frankreich auch stets bemüht, den am spürbarsten Benachteiligten, in denen sie ein Reser­ voir potentieller treuer Anhänger sahen, Gerechtigkeit wider­ fahren zu lassen. So stellten sie sich stets auf die Seite der Nichtadligen, wenn diese, was häufig der Fall war, wegen er-

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presserischer Aktionen der Herren beim König Zuflucht suchten, dem obersten Richter, der für das Gleichgewicht im Königreich Sorge trug. Diese Politik wurde bekanntlich das ganze Mittelalter über fortgeführt. Wenn immer möglich, stützten sich die Könige auf die bürgerliche Klasse, um die Anmaßung der großen Vasallen zunichte und sie schließlich von sich abhängig zu machen. In England, wo die Karolinger ihre Herrschaft nicht hatten aufrichten können, lagen die Dinge etwas anders. Zunächst nach den Methoden der Sachsen verwaltet, unterstand die In­ sel seit Wilhelm dem Eroberer dem normannischen Gesetz, das nach und nach mit der sächsischen Gesetzgebung ver­ schmolz. So war das Land nicht in römische Diözesen, son­ dern in shires oder Grafschaften aufgeteilt, an deren Spitze die sheriffs standen. Diese shires waren im übrigen, wie der Begriff cantTev (hundert Einwohner) in Wales beweist, eher keltischen als sächsischen Ursprungs. Zweifelsohne hatten die germani­ schen Eindringlinge verschiedene Bräuche der Inselbretonen übernommen. Bei der Verschmelzung des normannischen und des sächsischen Rechtes aber gewann im Lauf der Jahre allmählich das der Eroberer vom Kontinent die Oberhand, so daß England im 12. Jahrhundert fast dasselbe Feudalsystem kannte wie das Kapetingerreich, von lokalen Besonderheiten und dem Erbe der alten sächsischen Heptarchie abgesehen.16 Aber wie auch immer, jedenfalls standen das Heilige Römi­ sche Reich, das Kapetingerreich und die anglonormannische Domäne noch unter der Herrschaft einer weitaus unnachgie­ bigeren und willkürlicheren Autorität: der des Papsttums. In der Tat bleiben Außen- und Innenpolitik der europäischen Länder im 12. Jahrhundert ohne den entscheidenden Einfluß, richtiger, die absolute Suprematie, der christlichen Kirche un­ verständlich. Europa hatte nur eine Wahl: christlich zu sein oder unterzugehen. Der einzige, der das Spiel direkt oder auf diplomatischem Wege oder auch über die Kanäle der kirchli­ chen Organisation, der einzigen fest verankerten, dauerhaften, beherrschte, war der Papst. Er verfugte über zwei Mittel,.die 121

gefürchtet genug waren, ihm Gehorsam von Königen und Fürsten zu erzwingen: die Exkommunikation und das Inter­ dikt. Mochte sich über die Exkommunikation auch noch mancher König wie Philipp August lustig machen, da sie nur die Person des Herrschers selbst betraf - das schreckliche Mittel des Interdiktes machte jeden gefügig. Kein Herr, ob König oder einfacher Graf, in dessen Land keine religiösen Zeremonien abgehalten und keine Sakramente gespendet wurden, konnte länger auf seinem Standpunkt beharren, da sich die ganze Bevölkerung gegen ihn verschwor, um ihr nor­ males religiöses Leben wiederaufnehmen zu können. Karl der Große dagegen war ehedem von der Idee ausge­ gangen, daß geistliche und weltliche Gewalt, vorausgesetzt, jede beschränkte sich auf ihren Bereich, durch ein Bündnis nur gewinnen konnten. Nun hatten aber die Besitzungen der Kirche in einem Maße zugenommen, daß sie sich mehr und mehr zu einem regelrechten Staat auswuchs, der den anderen eins voraus hatte: seine internationalen Verästelungen, durch die er tief in alle anderen Staaten hineinreichte, so daß er sei­ ne Hebel von innen ebenso leicht ansetzen konnte wie von außen. Auf diese Weise trieb die Kirche im Mittelalter ständig ein doppeltes Spiel, was nicht ohne Streit, Revolten und Krie­ ge abging. Anstatt sich ganz dem Ruhme Gottes zu widmen, kümmerte sie sich nicht selten mehr um die Abhaltung irdi­ scher Assisen (Schwurgerichte), mit deren Hilfe sie allenthal­ ben fabelhafte Steuern erheben konnte. So verbrachten die Könige und Fürsten ihre Zeit damit, diese Macht, die teils heimlich am Werk war, teils offen auf­ trat, unter Kontrolle zu bringen. Im Grunde aber vermochten sie nichts ohne sie, zumal es der Kirche durch geschickte Aus­ nutzung der Gegebenheiten gelungen war, die kriegerischen Kräfte des Adels im Rittertum an sich zu ziehen, einer Macht, die zunächst im Dienste der Gesetze der Kirche und Fürsten stand, sich aber schon bald zu einer furchteinflößenden Kaste auswuchs, die sich im Namen edelster Prinzipien unerhörte Rechte anmaßte und die Könige, deren militärische Stütze sie 122

eigentlich hätte sein sollen, mehr oder minder erpreßte. So diente dieses Rittertum der Kirche im Feudalwesen nicht sel­ ten dazu, Zwietracht zu säen, indem sie unzufriedene Lehnsträger zum Losschlagen ermunterte. Und da die Ritter be­ waffnet waren, stellten sie eine allgemeine Gefahr dar, vor der man sich besser in acht nahm. In dem Augenblick aber, in dem die Kirche die Kontrolle über sie verlor, erfand sie den Kreuzzug gegen die Muslime, um sich die unruhigsten Gei­ ster unter den Rittern vom Halse zu schaffen und die Länder von ihrer Bedrohung zu befreien. Allerdings setzten auch die Fürsten selbst, entzückt über den Gewinn, der ihnen da so unverhofft in den Schoß zu fallen versprach, freudigen Her­ zens auf die Kreuzzüge, ohne zu merken, daß sie auf diese Weise doch nur die Domänen schwächten, die sie eigentlich hätten schützen sollen. Außerdem kehrte die Ritterkaste vom Kreuzzug gestärkt, besser organisiert und reicher denn je zu­ rück und nahm mehr und mehr die Position eines Außensei­ ters ein, kurzum, sie stellte einen Faktor dar, dem man bei der Untersuchung der Geschichte des 12. Jahrhunderts unbedingt Rechnung tragen muß, denn sie ist der Angelpunkt, um den sich die Gesellschaft dreht. Mit dem Segen der Kirche, den Fürsten zu Dienst, hält das Rittertum, mit dem Recht auf Plünderung und Eroberung bezahlt, im 12. Jahrhundert die Macht in der Hand. Und das weiß Eleonore von Aquitanien natürlich auch. Nicht umsonst hat sie darauf gedrängt, daß der Ritter neben seinem Lehnseid auch der Dame einen Treueid leistet. Sie hat begriffen, daß ein Fürst ohne diese äu­ ßerst wichtige Gesellschaftsgruppe machtlos ist. Überhaupt scheint sich Eleonore in diesem politischen und sozialen Umfeld vollkommen wohl gefühlt zu haben. Von Ju­ gend auf von dem Bewußtsein durchdrungen, als Erbin einer Grafschaft und eines Herzogtums einer privilegierten Klasse anzugehören, der alles erlaubt war, hatte sie, da es kein Salisches Gesetz gab, um sie von der Nachfolge auszuschließen, die ihr durch Geburt und Rang zustehende Verantwortung angetreten und verkörperte nun Aquitanien und Poitou, da123

mals die reichsten Regionen des Kontinents, in ihrer Person. So wog sie bei ihrer Heirat mit Ludwig VIL im wahrsten Sin­ ne des Wortes schwer, weshalb sie auch stets mit Ehrerbietung behandelt wurde und politisch wirklich eine Rolle spielen konnte. Erstaunlich gleichwohl, daß die königliche Gewalt — nicht nur der König, der ja in sie verliebt war, sondern darüber hin­ aus auch der gesamte Rat — der Königin stets tiefen Respekt bezeugte, obwohl sie, wie man aus zahlreichen Zeugnissen weiß, als lästige Person empfunden wurde. Als Repräsentan­ tin der Legitimität in ihren Staaten aber war sie der Krone unentbehrlich. Nur über sie konnte das Königtum Aquita­ niens und Poitous Vasallen und Aftervasallen an sich binden. Wäre Eleonore bei Hofe nicht gehört worden, hätten sich ih­ re seit jeher unbotmäßigen, der Zentralgewalt abgeneigten Vasallen ohne Zweifel ihre Handlungsfreiheit wieder genom­ men. Einige machten ihrer Unzufriedenheit über die Bindung an die französische Krone ohnehin durch Revolten Luft, so daß Eleonore Ludwig VIL bitten mußte, militärisch einzu­ greifen und sie auf den rechten Lehnsweg zurückzufuhren. Denn anfangs scheint die junge Herzogin nicht liberal ge­ dacht, sondern genau wie ihr Vater und mehr noch ihr Groß­ vater, Wilhelm der Troubadour, zäh an ihren Vorrechten festgehalten zu haben. Unbestreitbar jedenfalls galt die Erbin von Aquitanien we­ der bei ihrer Heirat noch bei ihrer »Scheidung« einfach als Gattin des Königs, sondern durchaus als Königin, als eigen­ ständige Souveränin, gerade, als hätte sich das Königreich Frankreich mit dem Herzogtum Aquitanien vermählt.17 So war es selbstverständlich, daß Eleonore, als die Verbindung durch einen höheren, das heißt, kirchlichen Entscheid für null und nichtig erklärt worden war, ihre frühere Rolle wieder übernahm. Eleonore brachte dem Hof von Frankreich also nicht nur ihre Person und ihre Ländereien. Sie wog schwer: zum einen aufgrund des Reichtums ihres riesigen Territoriums, das na­ 124

hezu neunzehn heutige Departements umfaßte und eine flo­ rierende Landwirtschaft mit Wein und Zerealien, ein blühen­ des Handwerk und eine stattliche Handelskapazität vor allem auf dem Gebiet des Seehandels durch die Häfen Bordeaux und La Rochelle aufzuweisen hatte; zum anderen aber auch aufgrund des Menschenpotentials, denn der Vizegraf von Thouars, die Herren von Lusignan und Chátellerault, Eleono­ res Vasallen im Poitou, die ihrerseits zahlreiche Vasallen hat­ ten, die Herren von Chäteauroux und Issoudun im Berry, die Herren von Turenne und Ventadour im Limousin, von Fézensac und Armagnac in der Gascogne sowie die Grafen von Limoges, von Périgord, Angoulême, la Marche und der Au­ vergne, waren allesamt Leute, die man besser im eigenen La­ ger als in dem eines potentiellen Gegners wußte. Kein Wunder also, daß Eleonore zu Beginn ihrer Ehe mit Ludwig einen erheblichen Einfluß auf die Politik des jungen Königs hatte. Von Kindheit auf nur mangelhaft auf sein ho­ hes Amt vorbereitet, seinen Neigungen nach eher besinnlich und ein Kleriker, zeigte sich Ludwig VIL nach der Macht­ übernahme angesichts der harten Wirklichkeit den Regie­ rungsgeschäften nicht immer so gewachsen wie sein Vater, Ludwig VL, der Dicke, auch wenn er sich seiner Aufgabe be­ wußt und durchaus guten Willens war. Außerdem stand ihm Suger zur Seite, der kluge Ratgeber seines Vaters, der in ge­ wisser Hinsicht die aquitanische Heirat in die Wege geleitet und bis in die letzten Einzelheiten geregelt hatte. Aber Eleo­ nore scheint dem Abt von Saint-Denis instinktiv mißtraut zu haben, da sie in ihm den typischen Vertreter des nordfran­ zösischen Geistes, den Gegenpol zu der von ihr so meister­ haft beherrschten okzitanischen Denkweise sah. Jedenfalls verlor Suger bei der Thronbesteigung Ludwigs VIL erheblich an Einfluß. In die schöne Eleonore verliebt und ganz von ih­ rem Charme gefangengenommen, beeilte sich der junge Kö­ nig, jede ihrer Launen zu erfüllen. Zudem war es gleich zu Anfang zum Bruch zwischen Eleonore und der Königinmut­ ter Adelaide von Savoyen gekommen, die schon unter Lud­

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wig VI nicht viel zu sagen gehabt, nach seinem Tod aus dem Wunsch heraus, ein neues Leben zu beginnen, den wenig ein­ flußreichen Herrn von Montmorency geheiratet hatte und vom Hof weggezogen war — ein sichtbares Zeichen ihres Des­ interesses. Ohne den Rat seiner Mutter und des Abtes Suger auf sich selbst angewiesen, war Ludwig VIL gänzlich Eleonores Rei­ zen ausgeliefert. Diese zögerte, wie bereits erwähnt, nicht, den Palast auf den Kopf zu stellen und andere Sitten und eine neue Mode einzufuhren — offensichtlich freilich kein allzu schwerwiegender Eingriff, der den König auch wohl kaum verdrossen haben dürfte, zumindest nicht, so lange sein Glau­ be an die Treue seiner Gattin noch nicht erschüttert war. Ei­ ne der ersten wichtigeren Entscheidungen, die er auf ihre Einmischung hin traf, war der Feldzug gegen Poitiers, das die Dreistigkeit besessen hatte, sich eine Kommunalverfassung zu geben. Eleonore hatte diese Dreistigkeit als persönliche Beleidi­ gung empfunden, da sie Poitiers als ihre ureigenste Haupt­ stadt betrachtete. Nicht gewillt, es aus ihrer Macht zu entlas­ sen, bat sie ihren Gatten, die Verirrten zur Vernunft zu brin­ gen. Dieser rüstete daraufhin unter den bestmöglichen Um­ ständen einen Feldzug aus, bemächtigte sich, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, der Stadt und forderte die soforti­ ge Auflösung der Kommune und die Übergabe junger Mäd­ chen und Männer aus den bedeutendsten Bürgerfamilien als Geiseln. Aber obwohl das alles nicht nach dem Geschmack der Einwohner von Poitiers war, verargten sie es sonderba­ rerweise nicht Eleonore, sondern machten offensichtlich den König dafür verantwortlich. Die Episode zeigt nebenbei bemerkt auch, wie wenig auf­ geschlossen Eleonore zu Beginn ihrer Laufbahn für die Neue­ rungen der Zeit war. Während die Kommunalverfassungen in den meisten anderen Regionen bewilligt wurden, stellte sie sich hier entschieden dagegen — eine Haltung, die sie in der Folge freilich revidieren sollte. Zu ihrer Entlastung sei jedoch

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gesagt, daß sie sich der Kraft, die das Bürgertum in einer Zeit darstellte, in der der Reichtum allmählich in andere Hände überging, in der der Großgrundbesitz immer weniger ein­ brachte, während Handel und Handwerk, Erbteil des städti­ schen Bürgertums, bereits die Anfänge des, wie man später sagte, Kapitalismus begründeten, noch nicht bewußt gewor­ den war. Außerdem war Eleonore, die nach strengsten ari­ stokratischen Grundsätzen erzogen worden war, eine grande dame und zutiefst überzeugt, daß es außer dem Adel nichts von Bedeutung gab. Das heißt, sie vertrat genau die Prinzi­ pien des Rittertums, wie sie in der höfischen Literatur der Zeit auftauchen werden. Eleonore verwickelte ihren Gatten aber auch in Feldzüge, die weniger glücklich ausgingen. So gelang es ihm mehr schlecht als recht, einen gewissen Wilhelm von Lezay, der sich geweigert hatte, den Herzögen von Aquitanien zu huldi­ gen und ihnen in ihrem Jagdrevier von Talmond Gerfalken gestohlen hatte, zur Räson zu bringen. Weit wichtiger aber war in diesem Zusammenhang die Affäre um Toulouse. Als frischgebackene Königin von Frankreich nämlich hielt Eleonore, die sich nach wie vor in erster Linie als Herzogin von Aquitanien fühlte, die Zeit für gekommen, im Namen ih­ rer Großmutter Philippa, der von ihrem Mann verlassenen Gemahlin Wilhelms des Troubadours, ihren Anspruch auf Toulouse, eine der reichsten Grafschaften von ganz Okzitanien, geltend zu machen. Die Adligen und die Bürger der Stadt aber leisteten dem König erbittert Widerstand, und das Unternehmen scheiterte völlig. Eleonore, obwohl leicht ge­ kränkt, soll ihren königlichen Gemahl bei der Rückkehr mit einem schönen geschliffenen Kristallgefäß belohnt haben, das sich auf einem goldenen Fuß erhob und dessen Hals mit Per­ len und Edelsteinen besetzt war.18 Ebenfalls auf Eleonores Konto geht der Krieg mit der Champagne, da sie die Heirat ihrer jüngeren Schwester Petro­ nella mit Radolf von Vermandois unterstützte, der bereits mit der Nichte des Grafen der Champagne verehelicht war. Die-

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ser Krieg endete bekanntlich tragisch mit dem Brand einer Kirche in Vitry-le-Frangois, bei dem viele Unschuldige den Tod fanden, was das Gewissen des Königs schwer belastete und ihn in seinem Entschluß, am Kreuzzug teilzunehmen, be­ stärkte. Von da an aber hatte Eleonore keinen Einfluß mehr auf das politische Leben in Frankreich. Durch die Tragödie von Vitry stark gezeichnet, mit dem Papsttum verschiedener Affären wegen ohnehin auf Kriegs­ fuß und von der Exkommunikation bedroht, begann Ludwig VH. über die Folgen dessen nachzudenken, was er seiner Ge­ mahlin zuliebe getan hatte, und sich erneut Suger zuzuwen­ den. Die Gelegenheit war günstig; die feierliche Einweihung des Chores der neuen Abtei Saint-Denis am 11. Juni 1144 bot eine gute Möglichkeit zu einem Treffen, die der König auch unverzüglich beim Schopfe packte. Und als sich Suger auf der Stelle daran machte, zwischen dem König und dem Grafen der Champagne, Theobald, Frieden zu stiften, scheint er in den Augen Ludwigs VIL sein ganzes früheres Prestige wiedererlangt zu haben. Damit aber war Eleonore von der wirklichen Macht ausge­ schlossen, was sie vermutlich mit Wut erfüllte. Jedenfalls soll sie in dieser Zeit, in der Ludwig den Ratschlägen von Suger und Bernhard von Clairvaux mehr und mehr Beachtung schenkte, erklärt haben: »Ich habe einen Mönch geheiratet.« Mit Sicherheit jedenfalls war es ein harter Schlag für sie, in den Stand einer einfachen Ehefrau zurückversetzt zu werden, und ohne Zweifel einer der Gründe, der später für eine »Scheidung« sprach. Eleonores autoritäres Temperament ver­ trug sich äußerst schlecht mit einer Politik, an der sie, außer bei offiziellen Anlässen, nicht teilhatte. Die Herzogin von Aquitanien träumte von Höherem. Diese Träume aber glaubte sie an der Seite Heinrich Plan­ tagenets verwirklichen zu können. Und in der Tat regierte sie von 1152 bis 1170, also von ihrer Wiederverheiratung bis zu dem Zeitpunkt, da sie sich nach Poitiers zurückzog, mit ihrem Mann zusammen das Plantagenetreich. Nicht zufrieden damit,

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mit ihm zusammen aufzutreten, ersetzte sie ihn, sooft es nötig war und nahm die Gelegenheit wahr, ihren Wunsch und Wil­ len öffentlich kundzutun. So standen diese achtzehn Jahre ebenso unter dem Zeichen ihrer Herrschaft wie der Heinrich Plantagenets, und die ehemalige Königin von Frankreich sonnte sich gewiß in Zufriedenheit, da sie so viel Anerken­ nung und Gehör fand. Dafür aber, daß sie als wahre Souveränin herrschte und ih­ rem königlichen Gemahl fast gleichgestellt war, zahlte sie auch, und zwar mit ihrer eigenen Person. Damals nämlich konnte König oder Fürst nur sein, wer imstande war, Tag und Nacht im Sattel zu sitzen und durch seine Domänen zu reiten, um Recht zu sprechen, Streitigkeiten zu schlichten oder ein Heer in den Kampf zu fuhren. So wurden Könige vor Königinnen bevorzugt, da man in diesen Aufgaben ein typisches Männergeschäff sah. Eleonore aber war, wie es die Ausdehnung des Plantagenet-Territoriums von den Pyrenäen bis zur schottischen Grenze erforderte, wie ein Mann von früh bis spät unentwegt unterwegs. Zwar hat sie sicher nie an einem Krieg teilgenommen, in allen anderen Fällen aber war sie stets dort, wo die von ihr repräsentierte höhere Autorität gebraucht wurde. Auch dieses Zuges hat sich übrigens die Sa­ ge bemächtigt, die Eleonore als schöne, kluge Frau schildert, aktiv und schnell wie ein Mann, mit ebenso unerschöpflichen Kräften wie der gefürchtete König Heinrich. Natürlich war ihr unmäßiger Ehrgeiz, der sie verzehrte und sich so gut mit Heinrichs Machtstreben vertrug, der gewaltige Antrieb ihrer überschäumenden Tatkraft. So hatte sie auch die Idee, die Grafschaft Toulouse unter ihre Herrschaft zu bringen, keineswegs begraben und ruhte und rastete nicht, bis Heinrich seine Barone zur Belagerung von Toulouse auffor­ derte, um Graf Raimund V. zur Anerkennung ihrer Oberho­ heit zu zwingen. Übrigens stützte sich der König von Eng­ land bei dieser Gelegenheit - also 1159 - aus Mißtrauen ge­ gen seine Vasallen, die nur zu vierzig Tagen Waffendienst pro Jahr verpflichtet waren und ihn so mitten im Krieg sitzen las-

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sen konnten, systematisch auf Söldner, um allen Eventualitä­ ten vorzubeugen. Und da sich ihm außerdem der Graf von Barcelona anschloß, der seinerseits ein Hühnchen mit dem Grafen von Toulouse zu rupfen hatte, befand sich Heinrich in guter Position. Dennoch aber gab er seinen Plan nach einiger Zeit auf, brach die Belagerung ab, schickte seine Truppen nach Hause und kehrte in seine Domäne zurück. Warum? Was war geschehen? Die Frage ist oft debattiert worden, zumal Heinrich militä­ risch eindeutig überlegen war. Das Hindernis befand sich vielmehr innerhalb der Stadt Toulouse selbst, in der Person Ludwigs VIL Der König von Frankreich, zwar ebenfalls kein Freund von Raimund V, der ihn durch allzu viele Erpressun­ gen verärgert hatte, war dennoch fest entschlossen, seinen Vasallen in Schutz zu nehmen, einerseits um die Übergriffe der Plantagenets auf den Verbindungsweg zum Mittelmeer zu verhindern (und damit Eleonores Plan zu durchkreuzen) und andererseits um das Lehnsrecht feierlich zu bestätigen: Schließlich hatte jeder Vasall Anrecht auf den Schutz seines Lehnsherrn, wie es umgekehrt Felonie war, einen Lehnsträger des Königs anzugreifen. Heinrich konnte also die Situa­ tion, wenn er auf seinem Projekt beharrte, nur verschlechtern. Schließlich konnte der Herzog der Normandie nicht gut die Hand gegen seinen eigenen Lehnsherrn erheben und ihn ge­ fangensetzen. Durch diesen Verstoß gegen die elementarsten Lehnsgesetze hätte er nicht nur riskiert, sich ganz Europa, sondern auch die eigenen Vasallen auf den Hals zu hetzen, hätten sie doch wohl kaum mit gefalteten Händen zuge­ schaut, wie ihr Lehnsherr mit ihren geheiligten Rechten um­ sprang. So zog Heinrich es vor, klein beizugeben, so hart es für Eleonore auch sein mußte, ihre Hoffnung auf die Herr­ schaft über die Grafschaft Toulouse ein zweitesmal zunichte gemacht zu sehen. Aber es steckte auch noch eine andere Erwägung dahinter. Eleonore und Heinrich hatten noch einen anderen mittelfri­ stigen Plan, mit nicht allzu schlechten Erfolgsaussichten, der 130

der ehemaligen Königin von Frankreich den Verzicht relativ leicht machte, verhieß dieses andere Projekt doch sogar die Vereinigung des französischen und des englischen König­ reichs — in der Hand der Plantagenets, versteht sich. Die Kro­ ne lag, zumindest dem Anschein nach, bereits zum Greifen nah: Ludwig VIL hatte aus zweiter Ehe mit Konstanze von Kastilien nur eine Tochter, Margarete, die er auf Betreiben von Heinrichs Kanzler, Thomas Becket, dem Erben der Plan­ tagenets, Heinrich dem Jüngeren, versprochen hatte. Sogar die Mitgift stand schon fest: das normannische Vexin, das seit jeher ein Zankapfel zwischen Frankreich und der Normandie war. Blieb also, was allmählich wahrscheinlich wurde, Lud­ wig VIL ohne männlichen Erben, so wurde nach seinem Tod die französische Krone vakant — eine Möglichkeit, die Eleo­ nore auf die Idee gebracht hatte, ihr ältester Sohn könnte der­ einst den Thron wiedergewinnen, den sie selbst freiwillig auf­ gegeben hatte. Dem standen im Grunde nur zwei Hindernisse im Weg: das sogenannte Salische Gesetz und ihre eigenen bei­ den Töchter Marie und Aélis aus der Ehe mit Ludwig VIL, auf die sie jedoch genügend Einfluß besaß, um sie zum Ver­ zicht auf eventuelle Rechte zu überreden. Höchstwahrscheinlich also hat Heinrich Plantagenet die Belagerung von Toulouse auch abgebrochen, um Ludwig VIL nicht zu verärgern und den Weg für das Heiratsprojekt freizuhalten, das weit Interessanteres versprach als die Ober­ herrschaft über die Grafschaft Toulouse. Doch Ludwig VH. verlor seine zweite Frau bei der Geburt ihrer zweiten Tochter und heiratete schon wenige Wochen später ein drittes Mal, diesmal Adele von der Champagne - für Heinrich und Eleo­ nore ein harter Schlag, da dadurch nicht nur das Haus BloisChampagne am Hof mehr Einfluß, sondern auch die Mög­ lichkeit eines männlichen Erben erneut Gestalt gewann. Als Reaktion darauf ließen sie 1160 in Rouen die Hochzeit von Heinrich dem Jüngeren und Margarete von Frankreich feiern, bei der der frischgebackene Ehemann gerade fünf, die frisch­ gebackene Ehefrau nur eben zwei Jahre zählte. Dafür konnte 131

Heinrich das normannische Vexin an sich bringen, ohne daß Ludwig VIL das geringste dagegen hätte einwenden können. Bekanntlich aber halfen all diese Vorsichtsmaßnahmen nichts: 1165 wurde Ludwig VIL ein männlicher Erbe geboren, der zukünftige Philipp August, während Heinrich der Jüngere un­ erwartet früh verstarb, womit Eleonores Traum ein für alle­ mal zerrann. In der Tat schwere Schicksalsschläge, aber Eleonore hatte nicht nur auf eine Karte gesetzt, wie sich um 1165 zeigen soll­ te, als sie sich von ihrem Gemahl zu lösen begann. Zwar hatte sie alles für ihn getan, solange er sie stützte, sobald sie aber medite, daß er sie hinterging, spielte sie, ohne zu zögern, ihre Trümpfe aus. Das heißt, sie besann sich auf ihre eigenen Be­ sitzungen und befaßte sich, statt sich um die wichtigen Staats­ geschäfte des Königreiches zu kümmern, nun mit den Proble­ men, die in ihren eigenen Staaten angefallen waren. So wurde aus der Königin von England die Herzogin von Aquitanien und Gräfin von Poitou, der vor allem die wirtschaftliche Ent­ wicklung Aquitaniens am Herzen lag. In der Tat waren ihre Ländereien immer reicher und moderner geworden. Der Handel mit England blühte, die neuen Verhältnisse bedurften der Kodifizierung, und die Geldgeber, das heißt, die Bürger, drangen auf eine bestimmte Entschädigung bzw. Anerken­ nung. In diese Zeit fällt auch Eleonores »Bekehrung« zum Li­ beralismus. Mit einemmal bewilligte sie ihren Untertanen, de­ nen sie noch wenige Jahre zuvor keinerlei Rechte hatte ein­ räumen wollen, von sich aus Privilegien und Freiheiten, was ihre Beliebtheit noch steigerte und ihr die Treue der Bevölke­ rung Aquitaniens und Poitous sicherte. Aus diesem Grund zeigte sich auch Heinrich IL, zumindest anfangs, seiner Gattin gegenüber so tolerant, obwohl ihm nicht verborgen geblieben war, daß sie mehrere Vasallen, ja selbst seine eigenen Söhne zu Revolten gegen ihn aufgestachelt hatte. Eleonore allzu di­ rekt dafür zu belangen aber hätte als Schuß nach hinten losge­ hen können. Niemand wußte das besser als Heinrich, der sich auch später, als er die Königin gefangengesetzt hatte, hütete,

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ihr allzu nahe zu treten, geschweige denn, ihre Ländereien einzuziehen. Da der Handel zur See der wichtigste war, schenkte Eleo­ nore den einschlägigen Fragen besondere Beachtung. Angeb­ lich soll sie sich sogar selbst mit Seeleuten in Verbindung ge­ setzt haben, um deren Wünsche und Bedürfnisse kennenzu­ lernen. Jedenfalls aber entstand unter ihrer direkten Mitwir­ kung eine Seemannsordnung, die unter der Bezeichnung Ro/es d’Oleron auf uns gekommen ist. Die siebenundvierzig Artikel dieses Schriftwerkes zeigen, daß sich die Königin um das Le­ ben an Bord in seiner ganzen Breite kümmerte, von den schwierigsten Fällen bis zu den alltäglichsten Vorkommnis­ sen. Darüber hinaus weisen sie das deutliche Bestreben auf, allzu autoritäre Gewohnheiten abzubauen und den einzelnen gegen Willkür zu schützen. Verschiedene Artikel befassen sich mit der Verpflegung der Matrosen, des Kapitäns und der Kaperschiffe. Hier sto­ ßen wir auf erstaunliche Einzelheiten wie: »Die Seeleute von der bretonischen Küste sollen nur eine Mahlzeit pro Tag be­ kommen, da sie auf der Hin- und Rückfahrt Wein erhalten, die aus der Normandie dagegen zwei, weil sie auf der Hin­ fahrt nur Wasser trinken. In einer Weingegend aber soll ih­ nen der Proviantmeister Wein geben.« In anderen Artikeln werden Regeln für die Betreuung verletzter oder kranker See­ leute aufgestellt und die Bedingungen ausgeführt, unter denen die Kranken an Land gebracht und dort der Obhut von Pfle­ gern anvertraut werden sollen. Großes Gewicht wird auch darauf gelegt, daß der Heuervertrag aus freien Stücken ge­ schlossen wird; der Nachweis eines Betruges hat die Annullie­ rung des Kontraktes zur Folge. Der Kapitän soll sich wie ein Vater verhalten, denn seine Gefährten sind seine Mitarbeiter und tragen mit ihm zusammen die Verantwortung. Keiner darf vom Kapitän mehr als einmal geschlagen werden. »Wenn er noch einmal zuschlägt, darf sich der Matrose ver­ teidigen.« Umgekehrt wird aber auch die Achtung vor dem Vorgesetzten eingeschärft. Ein Matrose, der den Kapi­

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tän schlägt, »zahlt nach Wahl hundert Sous oder verliert die Hand« - in unseren Augen heute eine schwere Strafe, damals aber, als niemand, vor allem keiner aus den unteren Volks­ schichten, die Autorität des Höhergestellten verhöhnen durfte, ganz im Rahmen der Zeit. Indessen ist der Kapitän keineswegs der absolute Herr, insofern es ihm expressis verbis untersagt ist, sich über den Rat seiner Männer hinwegzusetzen. In bestimm­ ten Fällen, insbesondere beim Auslaufen bei Sturm, muß er vor­ her ihre Ansicht einholen. Eine Sonderstellung nimmt der Steu­ ermann ein, dem die Matrosen bei erwiesener Pflichtverletzung oder Unfähigkeit ungestraft den Kopf abschlagen dürfen - eine Klausel, die den Anwärtern auf diesen Beruf wohl zu denken gegeben und sie zu großer Vorsicht angehalten haben dürfte. Allerdings machten die Steuerleute auch nicht selten gemeinsa­ me Sache mit den Räubern von Strandgut und richteten es viel­ fach so ein, daß ihr Schiff an einer vorher vereinbarten Stelle der Küste zerschellte. Im übrigen finden sich auch Vorschriften für die Bergung von Strandgut sowie die Heuer der Matrosen, das Fischereirecht und die Eintragung der Namen auf dem An­ ker (eine Vorform der späteren Eintragung in die Schiffsrolle) sowie die Reparatur von Havarien, etc. in den Roles d’Oleron festgelegt und geregelt. Der letzte Artikel präzisiert dann noch, daß Piratenschiffe von diesen Verfügungen ausgeschlossen sind. Wie man sieht, ist Eleonore an einer reibungslosen Ab­ wicklung aller Angelegenheiten in ihren Domänen gelegen. So hat sie auch, seit sie das städtische Bürgertum besser in den Blick bekommen hat, den Städten allerlei Zugeständnisse gemacht, Rouen zJB. in den Etablissements de Rouen, einem Do­ kument, das eindeutig ihren Stempel trägt. Wahrscheinlich al­ lerdings war ein gleiches Statut zunächst den Einwohnern von La Rochelle bewilligt worden, jener Gründung ihres Va­ ters, die dank des regen Umschlags ihres Hafens schon in we­ nigen Jahren zum wichtigsten Handelszentrum für Poitou aufgestiegen war.19 In diesem ursprünglich auf lateinisch abgefaßten und an­

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schließend in die sogenannte Vulgär- oder Volkssprache übersetzten Text hat das Eleonore ehedem so verhaßte Wort »Kommune« Bürgerrecht gefunden. Diesem Text nach zu schließen, bezeichnet »Kommune« damals gleichzeitig die Vereinigung der Bürger, die bewaffnete Miliz und die ganze Stadt. Die Bürger wählten aus ihren Reihen hundert Mann aus, die ihrerseits vierundzwanzig Geschworene, das heißt, zwölf Schöffen und zwölf Ratgeber, wählten. Die Schöffen sollten zweimal pro Woche zusammentreten und durften nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis ihrer Kolle­ gen fehlen, vor allem nicht, um nach England zu reisen. Die­ ses Schöffenkollegium war gleichzeitig Verwaltungsrat der Stadt und Gerichtshof in erster Instanz. Ihm oblag es, in öf­ fentlichen Sitzungen über mögliche Rebellionen, Beleidigun­ gen und zivilrechtliche Affären zu entscheiden. Die Geschwo­ renen verpflichteten sich durch Eid, nach bestem Wissen und Gewissen zu richten und die Beratung geheimzuhalten, und erklärten, die Prozeßführenden nicht empfangen sowie keine Waren oder Geschenke annehmen zu wollen. Zuwiderhan­ deln wurde durch Ausschluß von jeder öffentlichen Tätigkeit und mit Schleifung des Hauses geahndet. Umgekehrt wurde der Beschuldigte, der versuchte, einen Richter zu beeinflus­ sen, mit dem doppelten Strafmaß bestraft. Wie man sieht, wa­ ren die Etablissements de Rouen für die damalige Zeit außeror­ dentlich fortschrittlich, zumal aus ihnen der aufrichtige Wunsch nach objektiver Gerechtigkeit für alle spricht. Die schweren Fälle, besonders die Verbrechen, waren den üblichen königlichen Gerichten unter dem Vorsitz eines kö­ niglichen Gerichtsverwalters (eines bailli oder Amtmanns, ei­ nes vicomte oder eines prévôt) vorbehalten, während alles, was die Sakramente betraf, wie z. B. Ehebruch, vor Kirchengerich­ te kam. Im übrigen wurde die städtische Gerichtsbarkeit für die Zeit, in der sich der König oder sein Sohn in der Stadt aufhielt, ausgesetzt. Alljährlich wählten die hundert Bürger drei Kandidaten, von denen einer vom König zum major, das heißt maire oder 135

Bürgermeister, ernannt wurde. Dieser konnte wiedergewählt werden, mußte aber schwören, nicht zu versuchen, sich durch Intrigen im Amt zu halten. Dieser Bürgermeister war bei der königlichen Rechtsprechung der Vertreter der Stadt, führte bei Verwaltungs- und städtischen Gerichtssitzungen den Vor­ sitz, erhob die Einnahmen der Stadt, ordnete die Festnahmen an, führte die Kommune in den Krieg, konnte aus schwer­ wiegenden Gründen vom Militärdienst befreien und jeden Bürger zu jeder beliebigen Stunde vor sich zitieren lassen. Er verfügte also über eine beträchtliche Macht, mußte sich aber, wenn es das Unglück wollte, daß er gegen die Vorschriften der Kommune verstieß, eine doppelt so hohe Buße wie jeder andere Magistrat auferlegen lassen. Dieses System schützte die Bürger gegen Willkür aller Art, auch von Seiten der Ritter und Kirchenmänner, die, wenn sie ihre Schulden nicht zahlten, trotz all ihrer Privilegien Rech­ tens eingesperrt wurden. Auch vor den königlichen Gerich­ ten, den baillis und prévôts, die stets dazu neigten, ihre Befug­ nisse zu überschreiten, verteidigte die Kommune die Interes­ sen ihrer Angehörigen selbst. Das aber war eine für damalige Begriffe außerordentlich liberale Regierungsform. Die franzö­ sischen Städte unter Ludwig VIL und die englischen unter Heinrich IL jedenfalls hatten nichts Vergleichbares aufzuwei­ sen. Vermutlich also bemühte sich Eleonore, von Klerikern, Gelehrten, Männern des Gesetzes, aber auch von Poeten und Künstlern umgeben, in der Zeit ihrer Reife ganz bewußt, sich mit der Bürgerschicht der ihr unterstehenden Städte auszu­ söhnen — offenbar aus der politischen Erwägung heraus, daß sie, da sich die Zusammenstöße mit ihrem Gatten häuften, Bundesgenossen brauchte. Auf ihre turbulenten Vasallen aber war nicht allzuviel Verlaß, waren sie doch dauernd damit be­ schäftigt, sich selbst zu zerfleischen. Außerdem hatte Eleono­ re erkannt, daß die neue Macht in den Händen einer neuen, aus dem Volke hervorgegangenen Klasse lag, und beschlos­ sen, Nutzen daraus zu ziehen, was sie im übrigen nicht hin­ derte, als die aristokratischste Dame ihrer Zeit aufzutreten. 136

Um aber solche Statuten auch im Namen König Heinrichs bewilligen zu können, mußten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Und in der Tat verfügte Eleonore zur Zeit ihrer Ehe mit dem König von England über erhebliche Vollmach­ ten, die sich in keiner Weise mit ihren Befugnissen am Hof von Frankreich vergleichen lassen. Nicht mehr, wie damals, darauf angewiesen, den König durch »Bettgeflüster« zu inspi­ rieren, konnte sie nun vielmehr ganz selbständig Entschei­ dungen treffen und ihren Gemahl so in gewisser Hinsicht vor vollendete Tatsachen stellen. Das jedenfalls geht aus den Chroniken der Zeit hervor. Eleonore war keine von den Frauen, die sich alles gefallen lassen. So zögerte sie auch nicht, in ihrer Weiblichkeit ge­ kränkt, aus Rache zum politischen Spiel zu greifen und die Söhne gegen den Vater aufzuhetzen: In ihrer Liebe von Hein­ rich enttäuscht, als Gattin von einem reichlich skrupellosen König verhöhnt, beschloß sie, sich auf eine Weise zu rächen, die den Plantagenet am härtesten treffen mußte: durch seine eigenen Kinder, durch die sie ihrerseits gleichzeitig ihr ganzes Ansehen wieder zu gewinnen hoffte. In dieser Zeit wird Eleonore wieder ganz Gräfin von Poi­ tou. Sie macht Poitiers zum Treffpunkt der Intelligenzija der Zeit und setzt, trotz des vorrückenden Alters noch immer schön und sich ihrer Bedeutung voll bewußt, Bauer um Bau­ er auf ihrem Schachbrett. Die Söhne können kaum erwarten, an der väterlichen Macht beteiligt zu werden? Nun gut denn, diese Ungeduld läßt sich nutzen. Zwar liebt sie im Grunde nur Richard, den Ritter-Poeten, der ähnlich denkt und emp­ findet wie sie, aber da Heinrich als ältester der Erbe wird, drängt sie ihn, immer mehr Macht zu fordern, um durch ihn schließlich selbst die Drähte ziehen zu können. Die Fortsetzung kennen wir bereits. Heinrich IL, nicht ge­ sonnen, sich ohne weiteres entmachten zu lassen, holt zum Gegenschlag aus. Und nun beginnt die lange Zeit von Eleo­ nores Haft, in der sie von Schloß zu Schloß, von Festung zu Festung geschleppt wird. Politisch hat sie ausgespielt, auch

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wenn sie dem Titel nach noch Königin von England ist und in den Augen ihrer Untertanen nach wie vor die Dame von Aquitanien und Poitou, ja sogar von der Normandie bleibt, die ihr, obwohl sie im Prinzip keinerlei rechtlichen Anspruch auf dieses Herzogtum hat, doch immer die Treue hält. Ja, in dieser Zeit wird Eleonores Legende noch um einen weiteren Zug ausgeschmückt, der ihre moralische Autorität beträcht­ lich stärkt: Sie wird zum Opfer von Heinrichs LL Tyrannei ab­ gestempelt, der, auf dem Kontinent wenig beliebt, nur unter­ stützt wird, weil es nicht anders geht. Doch mit Heinrichs II Tod und Richards Thronbesteigung wendet sich für Eleonore das Blatt. Gleich nachdem sie die Nachricht vom Hinscheiden ihres Gemahls erhalten hat, tritt sie hoch zu Roß auf einem phantastischen Ritt durch das Reich der Plantagenets einen regelrechten Triumphzug von Schloß zu Schloß und von Stadt zu Stadt an, wo sie überall als die wahre Inhaberin der Krone empfangen wird. Überall wirkt sie daraufhin, Richard den größtmöglichen Konsens zu sichern. Überall schafft sie die von Heinrich IL eingeführten diktatorischen Maßnahmen ab, der sein Königreich in den letzten Jahren seiner Regierung durch brutale Gewalt zusam­ mengehalten hat. Sie öffnet die Tore der Gefängnisse und mildert die geltenden Bestimmungen: Von nun an soll nie­ mand mehr, wie noch wenige Wochen zuvor, bangen müs­ sen, eines einfachen Jagdfrevels wegen aufgehängt zu werden. Sie findet auch ein Mittel, ein lästiges Problem der englischen Wirtschaft zu lösen, indem sie die Hohlmaße für Getreide und Flüssigkeiten vereinheitlicht. Und so herrscht sie vom Ju­ li bis zum September 1189, dem Zeitpunkt von Richards Krönung, mit ihren siebenundsechzig Jahren wie ein richtiger Souverän. Dieselbe Rolle übernimmt sie dann noch einmal, als Ri­ chard zum Kreuzzug aufbricht, und in gesteigertem Maß während seiner Gefangenschaft in Deutschland. Sie ist es, die das Lösegeld für den König aufbringt, wie sie auch den Ver­ such Johann Ohnelands vereitelt, sich mit der alles andere als

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selbstlosen Unterstützung des Königs von Frankreich des englischen Thrones zu bemächtigen. Und schließlich ist sie es, die in dieser Zeit als gewiefte Diplomatin Verbündete ge­ winnt und ihre Familie durch Heiratspolitik zu stärken ver­ sucht. Kurzum, die rund Siebzigjährige, die nicht nur über die Achtung ihrer Vasallen gebietet, sondern in ganz Europa Ge­ hör findet, entfaltet eine wahrhaft bewundernswerte Intelli­ genz und Tatkraft. Richards Tod, der Tod ihres Lieblingssohnes, carissimus, wie sie ihn in den offiziellen Dokumenten nennt, ist ein schrecklicher Schlag für sie. Dennoch denkt sie nicht daran aufzugeben. Eher im Gegenteil: In Anbetracht der allzu engen Verbindung ihres Enkels Arthur mit Philipp August setzt sie sich mit allen Kräften für Johann ein. Er soll, obwohl sie ih­ ren Jüngsten als Halbwilden und Halbverrückten kennt, die Einheit des Plantagenetreiches erhalten, die ihr über alles geht. Dazu aber müssen alle Vasallen Johann Ohneland als Erben Heinrichs IL anerkennen, und so bricht sie erneut zu einem Ritt durch das ganze Land auf, um das Vertrauen der einen zu gewinnen und die Bedenken der anderen zu zer­ streuen und die Treue der Städter durch die Bewilligung wei­ terer Statuten in Johanns Namen zu erkaufen. Aber auch nach der Krönung, nachdem Johann von allen, wie wider­ strebend auch immer, akzeptiert worden ist, legt sie die Hän­ de nicht in den Schoß und erlahmt nicht in ihrer Wachsam­ keit. So leistet sie, vor allem in der zweiten Hälfte ihres Lebens, als Königin von England Unerhörtes. Und man stellt sich au­ tomatisch die Frage, ob sie auch als Königin von Frankreich ähnliches hätte vollbringen können. Wir wollen hier die Geschichte natürlich nicht umschrei­ ben, aber die Antwort lautet notwendig: nein. Im Frankreich der Kapetinger hätte eine Frau nie so viel Macht und morali­ sche Autorität ausüben können, vor allem nicht für so lange Zeit. Hauptsächlich wohl, weil die Kapetingermonarchie pa­ triarchalisch, um nicht zu sagen »paternalistisch« war. Als Er-

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be Karls des Großen und mithin der römischen Kaiser war der König von Frankreich der Vater des Volkes, das heißt gleichzeitig sein Beschützer und sein Führer. Seine Rolle war die eines Imperators, seine militärische Funktion alles in allem wichtiger als seine zivile, da im Lehnswesen Macht und Ge­ walt Hand in Hand gingen. Außerdem waren die Frauen von der Erbfolge und damit von der Nachfolge ausgeschlossen, also in einem Zustand nahezu absoluter Abhängigkeit gehal­ ten. Nun galt diese Regelung aber weder in den großen Lehnsdomänen der französischen Krone noch in England. Eleono­ re trug den Titel Herzogin von Aquitanien und Gräfin von Poitou also ganz zu Recht, und niemand dachte daran, ihn ihr streitig zu machen. Ebenso war Heinrich IL über seine Mut­ ter, die Kaiserin Mathilde, König von England geworden.20 In beiden Fällen also konnte die Souveränität in Ermange­ lung direkter männlicher Erben durch eine Frau verkörpert und ausgeübt werden, was gänzlich andere Gepflogenheiten verrät. Letztlich aber erklärt sich der Unterschied nicht nur aus den geltenden Bräuchen, sondern aus einer gegensätzlichen philosophischen Einstellung. In der Tat steht hinter dem Kapetingersystem, das im König einen Stellvertreter Gottes sieht mit dem Auftrag, ein Volk zu fuhren, die Konzeption des la­ teinischen rex, der später zum Imperator wird: also ein Ober­ haupt, das nicht notwendig gewählt worden ist, aber unbe­ schränkt Gehorsam fordern kann, da es auf alle Fälle in der Lage sein muß, sein Volk zu verteidigen und notfalls andere anzugreifen. Dieses Oberhaupt aber ist ein ganz besonderes Wesen und nicht Teil der Gemeinschaft, da seine Kraft eben in seiner Besonderheit liegt. Von da bis zum Absolutismus Ludwigs XIV, der, da er letztlich nur Gott verantwortlich ist, die Gesetze erläßt und aufhebt, ohne selber an sie gebunden zu sein, ist nur noch ein kleiner Schritt. Damit sind wir aber auch schon bei der Definition des Despoten, wie sie Montes­ quieu später aufstellen wird.

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Völlig anders dagegen die anglo-angevinische Konzeption, wie sie sich aus dem normannischen, dem keltischen und dem sächsischen Recht sowie den okzitanischen Sitten und Ge­ bräuchen ableitet. Ohne Zweifel verhalten sich die Plantage­ nets in der Praxis oft genug wie Despoten, aber die Formen werden doch gewahrt; die königliche Gewalt bedarf der An­ erkennung der Vasallen, wie sich unter Johann Ohneland zei­ gen soll, der von den Baronen abgesetzt und gezwungen wird, zur Wiedergewinnung der Krone die Maffia Charta von 1212 zu unterschreiben. Dieses Dokument, das modernen Verfassungen als Vorbild diente, enthält einen Artikel, den wir in diesem Zusammenhang zitieren möchten: »Es gibt ge­ wisse Gesetze des Staates und Rechte, die Besitz der Allge­ meinheit sind. Der König muß sie achten. Wenn er sie verletzt, hört die Untertanentreue auf, eine Pflicht zu sein, und die Unterta­ nen haben das Recht, sich zu erheben.« Das heißt im Prinzip, die Souveränität ist einzig und allein Besitz der Allgemeinheit, die sie ihrerseits einem König über­ tragen kann. Sie ist, wie später auch in Jean-Jacques Rousseaus Contrat social, der im Grunde dieselbe Auffassung ver­ tritt, unveräußerlich. Aber während Rousseau jede Repräsen­ tation feierlich verwirft, kann die Souveränität nach mittelal­ terlicher Auffassung auf eine Person übertragen werden. Ihr Repräsentant ist der mittelalterliche Souverän, der die Ge­ samtheit vertritt, ja verkörpert, ohne indessen ihr unum­ schränkter Herr oder Besitzer zu sein. Während die Kapetingerkönige mehr und mehr dazu neigten, sich zum obersten Gesetz zu erheben, war der anglo-angevinische König - darin auch mehr in Übereinstimmung mit dem urchristlichen Ge­ dankengut — nur der Diener des obersten Gesetzes, das sei­ nerseits aus einer Übereinkunft zwischen Gott und der Ge­ samtheit der Untertanen entsprang. Schon bald prägte Tho­ mas von Aquin dafür die Formel, daß alle Macht über die Vermittlung des Volkes von Gott kommt (A Deo perpopulum). Und nicht zufällig entstand in der Lehnsfolge der anglo-angevinischen Dynastie der Policraticus2\ das wichtige staats­ 141

politische Werk des Kirchenphilosophen Johannes von Salis­ bury, der darin erklärt: »Der Fürst ist der Diener des Herrn, vollbringt seinen Dienst aber, indem er seinen Mitdienem (Gottes oder des Gesetzes) dient, das heißt denjenigen, die sei­ ne Untertanen genannt werden.« (IV, 7) So zeichnen sich also im 12. Jahrhundert im gänzlich feu­ dalistischen westlichen Teil Europas zwei politische Strömun­ gen ab, die, für den Beobachter der damaligen Zeit nur schwer zu erkennen, im Laufe der folgenden Jahrhunderte deutlich Gestalt annehmen sollten: die Strömung des römi­ schen Zentralismus, vertreten durch das Heilige Römische Reich und die Dynastie der Kapetinger, und eine germa­ nisch-keltische Strömung, vertreten durch die anglo-angevinische Monarchie. Nicht ohne Grund also hat sich Eleonore zum Bruch ihrer Verbindung mit dem Kapetingerkönig ent­ schlossen, um den angevinischen Monarchen zu heiraten. Ihr persönlicher Geschmack, ihr Ehrgeiz, ihr politisches Bewußt­ sein — alles verweist sie in den anglo-angevinischen Rahmen, wo sie eine zweifache Rolle spielen konnte, weil ihr die Praxis freie Hand ließ, Einfluß auf den Gang der Ereignisse zu neh­ men, und die Theorie gestattete, diese Souveränität als Inkar­ nation des Kollektivs symbolisch zu vertreten. Wer aber wä­ re, da das Kollektiv einer großen Familie mit eher weiblichen Merkmalen gleicht, geeigneter gewesen, es zu verkörpern als eine Königin, die großes Ansehen genoß und selber ausge­ dehnte Domänen ererbt hatte, die zudem als Schiedsrichterin in allen Fragen modischer Eleganz und Schirmherrin der schönen Künste und der Literatur galt und schließlich zudem selber Mutter einer großen Familie war? Bot sie ihrem Volk nicht das beruhigende Bild einer Mutter, die darüber wacht, daß jedes ihrer Kinder auch wirklich das bekommt, was ihm zusteht? Ludwig VIL hatte in die »Scheidung« eingewilligt, einmal weil er nicht anders konnte, zum anderen aber auch, weil er im Grunde seines Herzens hoffte, die junge Frau habe nur eins im Sinn: eine Liebesheirat. Nun heiratete Eleonore zwar

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in der Tat aus Liebe, aber doch nicht nur. Die junge Königin von Frankreich hatte sich den Schritt, der sie schließlich als alte Königin von England enden lassen sollte, vorher durch­ aus reiflich überlegt.

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Die Königin der Troubadours

Den Helden der Geschichte ergeht es wie den Helden der Sage: Sie gewinnen, sowie sich die Überlieferung ihrer be­ mächtigt, ein merkwürdiges Eigenleben. Um aber zum Ge­ genstand der Überlieferung aufzurücken, muß sich eine ge­ schichtliche Gestalt in den Rahmen eines zumeist bereits vor­ gegebenen Mythos einfugen. So beweisen die Sagen um Eleo­ nore, daß sie persönlich dem entsprach, was man von ihr erwartete. Ist diese Voraussetzung erfüllt, sind Epos und Geschichte nur noch zwei Gesichter ein und derselben Wirklichkeit. Eleo­ nore nun hat den vorgezeichneten Rahmen nicht nur durch ihr politisches Verhalten, sondern weit mehr noch auf dem Gebiet der Kunst und Literatur ausgefüllt, einmal durch ihr Wirken, dann aber auch durch ihren Einfluß auf die Schrift­ steller ihrer Zeit — einen Einfluß, der dem politischen nicht nur in keiner Weise nachstand, sondern sich über die Zeiten hin sogar als der noch bedeutendere erweisen sollte: Selbst wer dieser Frau, die durch Vorrecht der Geburt zeitlebens den Titel einer Herzogin von Aquitanien und Gräfin von Poitou führte und erst zur Königin von Frankreich, dann von England aufstieg, ablehnend gegenübersteht, muß einräumen, daß sie geistige Energien von höchst bemerkenswerter Trag­ weite freizusetzen verstand. Diesen Einfluß auf die Literatur übte Eleonore bereits als Gemahlin Ludwigs VIL am Hof von Frankreich aus. Indem sie okzitanische Troubadours in den Norden holte, leitete sie einen fruchtbaren Austausch zwischen Schriftstellern unter­

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schiedlicher Sprache und Kultur in die Wege und förderte so die Entstehung einer eigenständigen französischen Literatur. Ohne ihren unmittelbaren persönlichen Beitrag hätte das Schrifttum des 12. Jahrhunderts in Frankreich, das heißt im Gebiet der langue d’oi'l, nicht diesen glanzvollen Stand errei­ chen können. Daß Eleonores Einfluß jedoch zu ihren Leb­ zeiten wie nach ihrem Tod immer weitere Kreise zog, hat wohl noch einen anderen, weniger augenfälligen Grund, nämlich daß sie durch ihre Schönheit und Anmut, aber auch durch ihre sagenhafte Ausstrahlung so manchem Schriftsteller ohne ihr Zutun unbestreitbar Modell für seine Heldinnen stand. So nimmt ein Heldenepos wie die Karlsreise auf ein mögli­ ches Zerwürfnis zwischen König und Königin Bezug, worauf der König zum Kreuzzug aufbricht. Als Karl der Große von seiner Frau auf seine überhebliche Frage: »Hohe Frau, saht Ihr je einen König unterm Himmel, der Schwert und Krone mit so viel Anstand zu tragen gewußt?« statt der erwarteten Zustimmung die unüberlegte Auskunft erhält, es gebe durch­ aus einen, dem die Krone noch besser zu Gesicht stünde, ge­ rät er in Zorn, will wissen, wer dieser andere sei, um ihn auf der Stelle aufzusuchen und sich selbst davon zu überzeugen, ob die Königin im Recht oder Unrecht sei. »Wir werden bei­ de unsere Krone aufs Haupt setzen, und Eure Ratgeber und Freunde mögen in Eurem Beisein darüber beraten, wie auch ich meine wackeren Pairs versammeln will. So die Franzosen Eure Meinung teilen, will auch ich ihr beipflichten. Habt Ihr indessen gelogen, sollt Ihr mir’s teuer bezahlen: Dann will ich Euch mit meinem Schwert aus Stahl den Kopf abschlagen!« Nachdem er der Königin noch den Namen seines Nebenbuh­ lers, König Hugos des Starken von Konstantinopel, abgerun­ gen hat, beschließt Karl der Große, eine Wallfahrt nach Jeru­ salem zu unternehmen und dabei einen Abstecher über Kon­ stantinopel zu machen. Die zeitgenössischen Anspielungen liegen auf der Hand. Ja, im Grunde ist das ganze Epos nur die symbolische Geschich­

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te von Eleonores Abkehr von Ludwig VII. und ihrer Verach­ tung für sein »mönchisches Gebaren« und seine Ängstlichkeit. Der König von Konstantinopel steht für den prachtliebenden Manuel Komnenos, und auch zur fiktiven Liebesepisode zwi­ schen Eleonore und Saladin findet sich eine Entsprechung. Außerdem ist die Karlsreise während des Kreuzzugs Ludwigs VH. entstanden. All das beweist wohl eindeutig genug, daß die Königin von Frankreich das Vorbild für die Gemahlin Karls des Großen war. Im übrigen finden sich derartige Überlagerungen in den Heldenepen häufig, die hinter der auf­ gebauten karolingischen Scheinwelt stets die zeitgenössische Aktualität erkennen lassen. Im Grunde genommen ist die Karlsreise mit ihren wunder­ baren oder auch schlicht phantastischen Episoden gar kein richtiges Heldenepos, sondern eher ein »höfischer Roman« oder doch zumindest eine parodistische Bearbeitung des alten karolingischen Epos und richtet sich an ein kultivierteres, auf berauschende Beschreibungen des Orients, genauer gesagt, ei­ nes Phantasie-Orients, versessenes Publikum. Wie Rita Lejeune in ihrer Untersuchung über die literarische Rolle Eleo­ nores von Aquitanien (RoZ? litteraire d’Aliénor d’Aquitaine) feststellt: »Das Epos wird nun überarbeitet, korrigiert, geglät­ tet für die Frau - genauer, für eine Frau, deren Wesensart ei­ ne ganze Gesellschaft beeindruckt: Eleonore.« Und in der Tat hat Eleonore den Schriftstellern nicht nur unbeabsichtigter­ maßen als Modell gedient, sondern auch im Hinblick auf die Formulierung von Gedanken und Gefühlen eine neue literari­ sche Mode eingeleitet. Jedenfalls spielte sie trotz mancher ta­ delnswerter Züge am französischen Hof als vielbewunderte und umschwärmte Königin, der es jeder recht machen wollte, eine beträchtliche Rolle. Ein anderes Heldengedicht, das nicht mehr zum Königs­ zyklus, sondern zum Zyklus um Garin de Montglane gehört, ist für Eleonores Einfluß auf die Gestaltung der Frauenfigu­ ren des niedergehenden karolingischen Epos gleichfalls recht aufschlußreich: das Wilhelmslied, dessen anglonormannische

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Version um 1160 entstand und dessen Hauptepisoden später im Chanson dAliscans wieder aufgefrischt wurden. Die Zentral­ figur, Wilhelm von Oranien, ein Held von herkulischem Zu­ schnitt, scheint der ältesten keltischen Mythologie entsprun­ gen. Er erinnert an den für seine Kraft und Gefräßigkeit be­ rühmten irischen Gott Dagda, einen Vorläufer Gargantuas, jener volkstümlichen Romanfigur, die Rabelais der keltischen Überlieferung verdankte, was nur wieder einmal beweist, wie zäh sich Mythen über die verschiedenen Kulturschichten hin­ weg behaupten. Im übrigen tritt im Chanson dAliscans ein Doppelgänger Wilhelms in Gestalt des Riesen Rainoart auf, der mit einem tinel, einer Keule, kämpft — im irischen Epos Dagdas Lieblingswaffe, der mit dem einen Ende nieder­ schmettert und tötet, mit dem anderen dagegen heilt und auf­ erweckt: Versinnbildlichung der gleichzeitig lebenspendenden und todbringenden Gottheit. Und in einem anderen Lied des Zyklus, dem Couronnement de Louis, kämpft Wilhelm gegen den sarazenischen Hünen Corsolt, dessen Name auf den armorikanischen Volksstamm der Coriosoliten verweist. Jedenfalls fand dieser Wilhelm, der in den ältesten Texten den Beina­ men au courb nez, »der Hakennasige«, trägt, woraus in den Überarbeitungen infolge eines Hörfehlers au court nez, »der Kurznasige«, wurde, im 12. Jahrhundert ebenso großen An­ klang wie der berühmte Roland. Wilhelm nun hat eine Frau namens Guibourc, die ehedem als Heidin Orable mit einem Sarazenenkönig verheiratet war, sich aber, nachdem ihr Mann im Kampf gegen die Christen den Tod gefunden hatte, bekehrte und unseren Helden ehe­ lichte - sehr wahrscheinlich eine Anspielung auf Eleonores Scheidung und Wiederverheiratung mit Heinrich. Guibourc nun zeichnet sich vor allem durch ihren Charakter aus: Im Gegensatz zu den Frauengestalten der frühen Heldenepen, die nur ein unbedeutendes Schattendasein fuhren, steht sie als starke, kluge und listenreiche Figur, als schlaue Drahtzieherin und begabte Strategin im Vordergrund der Bühne. Als etwa der Held des Wilhelmsliedes geschlagen und völlig verzweifelt

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aus dem Kampf zurückkehrt, richtet sie den weinenden, sein Alter beklagenden Gatten, der sich durch die Feinde aller Gü­ ter beraubt sieht, wieder auf und gibt ihm mit den Worten Lebensfreude und Siegeswillen zurück: »Marquis! Mein Herr! Bei Gott, so hört mich an! Laßt mich nur lügen.« Und sie lügt in der Tat, erfindet ein gar nicht vorhandenes Heer, ver­ spricht allen in der Festung ausharrenden Kämpen das Blaue vom Himmel herunter, fabuliert von einem Schatz, den die Sarazenen in einer Höhle angehäuft haben sollen und erreicht so, nachdem sie Wilhelm ausgiebig mit Speise und Trank ge­ stärkt hat, daß alle erneut zum Feldzug aufbrechen. Die Episode mag karikaturistisch anmuten und ist es, wie alle Epen der Spätzeit, auch ohne Zweifel, doch spiegelt Guibourcs unbezähmbares Wesen in vielem die Zähigkeit und Tatkraft der Herzogin von Aquitanien wider. Des weiteren fällt am Wilhelmslied die Verlegung verschiedener epischer Episoden nach Zentral- und Westfrankreich, also in Eleono­ res Ländereien, auf. Es hat ganz den Anschein, als hätte man Wilhelm zu einer Art mythischem Ahnherrn Eleonores ab­ stempeln und Guibourc eine der Herzogin von Aquitanien auf den Leib geschriebene Rolle zuweisen wollen. Man sehe sich daraufhin nur einmal im Chanson d'Aliscans die Szene an, in der Wilhelm auf der Flucht vor seinen Feinden Guibourc bittet, ihm die Tore der Festung zu öffnen. Sie schlägt sein Ansinnen rundweg ab, erfindet alle möglichen Ausreden, ja, gibt sogar vor, den Gatten nicht zu erkennen - und das alles nur, um seinen Kampfgeist zu wecken. So ergriffen die Dich­ ter bei der Verarbeitung verschiedener vorgegebener Elemen­ te zum Wilhelmslied und zum Chanson d’Aliscans bewußt oder unbewußt für die Königin-Herzogin Partei, in der sie nicht nur das Vorbild für ihre Frauengestalten, sondern auch eine glühende Schirmherrin der Literatur und Kunst erblickten, und verherrlichten damit zugleich das Haus Aquitanien. Denn den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, schrieb man nur, um einer großen Familie, einem bedeutenden Herr­ scher, einer hervorragenden Königin zu gefallen, selbst wenn 148

sich die als Vorwurf gewählte Sage inhaltlich nur schwer mit diesen Bestrebungen vereinbaren ließ. Ganz ähnlich findet sich ein Motiv wie das eng mit Eleonore verquickte der »Ge­ liebten im fernen Land« in dem Epos La Prise d'Orange romanhaft aufbereitet, in der wiederum Wilhelm als Held auftritt. Dieser Trend, alte Themen zeitgenössisch aufzupolie­ ren, ist im 12. Jahrhundert große Mode, wobei Karl der Gro­ ße die Monarchie der Kapetinger, Artus die von ihm wieder aufgerichtete der Briten und damit als Vorläufer die Heinrichs IL Plantagenet versinnbildlicht, während Wilhelm von Oranien sowohl für Eleonores zweiten Gatten Heinrich IL als auch für das Geschlecht der Herzöge von Aquitanien steht, die nicht zufällig den gleichen Namen trugen. Dieser beabsichtigte oder unbeabsichtigte Einfluß Eleono­ res auf Dichter und Romanschriftsteller, der sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckte, setzte nachweislich bereits in ihrer Jugend ein und dauerte am französischen Hof an, wo die junge Königin als Kristallisationspunkt einer auf der Su­ che nach sich selbst begriffenen Gesellschaft förmlich in die Rolle der Muse und Schirmherrin gedrängt wurde. So kann man die verschiedenen literarischen Werke des 12. Jahrhun­ derts nicht studieren, ohne an sie zu denken — zu Recht, wie auch der reiche Sagenschatz um ihre Person beweist.

Den größten Einfluß auf die Literatur ihrer Zeit jedoch sollte Eleonore nicht in Paris, sondern nach ihrer Heirat mit Heinrich IL, genauer, während ihrer Hofhaltung um 1170 in Poitiers ausüben, jener Stadt, die nicht nur für die okzitanische, sondern auch für die französische bzw. bretonische oder walisische Literatur des 12. Jahrhunderts von größter Bedeu­ tung war. In der Tat unterhielt Poitiers, auf der Sprachgrenze zwi­ schen der französischen und der okzitanischen Welt im Herr­ schaftsbereich der Plantagenets gelegen, zu Normandie, Bre­ tagne und England besonders enge Beziehungen. Wie bereits erwähnt, hatte die Königin-Herzogin in dieser Stadt alle 149

Schöngeister ihrer Zeit versammelt, darunter zahlreiche Dich­ ter und Musiker. Außerdem befand sie sich hier in Gesell­ schaft ihres Lieblingssohnes Richard, ihrer Tochter aus erster Ehe, Marie, der Frau des Grafen Heinrich des Freigebigen von der Champagne sowie vermutlich der Verfasserin der Lais, der geheimnisvollen Marie de France, in der man höchstwahrscheinlich eine Halbschwester Heinrichs H. zu se­ hen hat. So konnte Eleonore die wenigen Monate, in der sie ihr königlicher Gemahl sich selbst überließ, in dieser hochkul­ tivierten Atmosphäre wirklich zu sich selbst, zu ihrem urei­ gensten Wesen zurückfinden und aufs neue die Gefühle durchleben, die sie in ihrer Jugend so tief bewegt hatten, als sie mit der Sage von Tristan und Isolde Bekanntschaft schloß. Denn wie mittlerweile erwiesen, lebte der berühmte Bréri, auf den einer der Verfasser des Tristanromans Bezug nimmt und der mit dem von Giraldus Cambrensis in seiner Chronik erwähnten Ulefahulator Bledericus gleichzusetzen ist, am Hof der Grafen von Poitiers. Eleonore fühlte sich also schon als jun­ ges Mädchen von den Wogen der Liebesleidenschaft Isoldes für Tristan getragen ’, bei der es sich, wie die irischen Urbilder der Sage beweisen, um die glühende Liebe einer Frau zu ei­ nem Mann handelt. Und so fragt sich, ob sie den Isoldenmythos nicht in ihrem eigenen Dasein als eine Art »ewigen Bann« wiederzubeleben trachtete — d. h. sofern man nicht um­ gekehrt in den ihr angedichteten Abenteuern Illustrationen eben dieses Mythos sehen muß. Merkwürdig bleibt jedenfalls, daß Eleonore in den ihr zugeschriebenen Beziehungen zu Männern stets die aktive Rolle spielt. Verkörperte sie neben der Herrschergewalt also auch das Recht der Frau, frei über ihr Herz und ihren Körper zu verfügen? Nicht Tristan wirft ja in der Ursage die Augen auf Isolde — er wird im Gegenteil von ihr zur Liebe »gezwungen«.2 Dieses Bewußtsein von der Vorrangstellung der Frau, wie es aus Isoldes abenteuerlicher Liebesgeschichte spricht und durch die Troubadourdichtung unters Volk gebracht wurde, hat auch die Geisteshaltung am Hofe Eleonores von Aquita­

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nien in Poitiers entscheidend mitgeprägt. Dazu kam, daß sich die unmittelbare Umgebung der Herzogin-Königin aus Frau­ en zusammensetzte. (Aus diesem Grunde dürfte übrigens auch Richards Homosexualität, der in dieser Umwelt zum Mann heranreifte, eher psychisch als physisch bedingt gewe­ sen sein.) Und da Marie de Champagne, genau wie ihre Mut­ ter, von der Bedeutung der Frau für die neue, innerhalb der Adelsklasse entstehende Gesellschaft überzeugt war, verspürte Eleonore ein gesteigertes Bedürfnis, im Gespräch mit ihr und ihrer Schwägerin Marie de France das Wesen der Frau zu ver­ tiefen und die Liebe als eine das ganze Sein umspannende, von der Frau in Freiheit bejahte Gegebenheit, als Möglichkeit, sittlich, seelisch und geistig über sich hinauszuwachsen, zu de­ finieren. So kam es an diesem Frauenhof natürlich auch im­ mer wieder zu Debatten über Fragen der Liebe und Ehe. Demnach hat es diese berühmten »Liebesgerichtshöfe« also wirklich gegeben? Eine Frage, die lange umstritten war. Aber Sagen und Legenden schließen die faktische Realität nicht aus. Ohne Zweifel haben sich Eleonore und ihre Gefährtin­ nen oft versammelt, um über einen in der Regel abstrakten Fall zu befinden, in dem die Liebe ernste, ja anscheinend un­ lösbare Probleme aufwarf, und ihr Urteil jeweils anhand per­ sönlicher, ebensosehr vom eigenen Empfinden wie von der Vernunft diktierter Lösungen gefällt. So schufen sie zu einer Zeit, in der die Rechtsprechung ausschließlich in der Hand der Männer lag, ein Gegengericht, in dem das offiziell aus den Staatsgeschäften verbannte weibliche Gefühl zum Tragen kam. So manifestieren die »Liebesgerichtshöfe« offenkundig das Unabhängigkeitsstreben von Frauen, die, von dem ihnen aufgezwungenen Rahmen der Männerherrschaft eingeengt, auf dem Umweg über Literatur, Poesie, Musik und Unterhal­ tung eine Stellung zurückzuerobem suchten, die sie, wie sie dunkel fühlten, seit mehreren Jahrhunderten eingebüßt hat­ ten. In diesem Zusammenhang stellten die keltischen Sagen und der ziemlich entwickelte Ovidkult mit dem ganzen zuge­ hörigen heidnischen Umfeld eine wirksame Waffe dar und 151

schlugen eine Bresche in ein von Grund auf frauenfeindliches Christentum. Vielleicht liegt hier einer der Gründe für den schlechten Ruf der Königin Eleonore, der man die Haupt­ schuld am Verfall der Sitten gab. Nach außen hin handelte es sich bei diesen »Liebesgerichts­ höfen« um Gesellschaftsspiele, die in manchem bereits auf die Salons der Preziosen des 17. Jahrhunderts vorausweisen. So besteht große Ähnlichkeit zwischen dem Hof von Poitiers in den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts und dem Salon des Fräulein von Scud^ry. Nie jedoch wäre es Eleonore und ihren Gefährtinnen in den Sinn gekommen, sich an die Stelle der Gerichte setzen zu wollen: Sie nahmen lediglich zu bestimm­ ten Fällen des Seelen- und Gefühlslebens Stellung und such­ ten sich dabei aufs angenehmste zu unterhalten. Kurzum, die­ se Liebeskasuistik diente dem Zeitvertreib kultivierter und müßiggängerischer Frauen, die sich mit den ungeschliffenen Manieren ihrer Ehemänner oder Liebhaber nicht recht abfin­ den konnten. Hatte sich nicht Heinrich EL der Ausschweifung ergeben und eine Liebschaft nach der anderen angefangen, während Eleonore noch davon träumte, sie könnten als idea­ les Paar gemeinsam die Welt beherrschen? Wie leidenschaft­ lich sie dieses Ideal zu verwirklichen suchte, beweist ihr ge­ samtes Verhalten im Umgang mit dem König von England. Erst als es ihr nicht glücken wollte, hat sie sich aufs Imaginä­ re, Theoretische verlegt und dabei instinktiv die richtigen Worte gefunden, um den Zauber der Liebe, die das Individu­ um umformt, es über sich selbst hinauswachsen und des Ab­ soluten teilhaftig werden läßt, auf die Herzen wirken zu las­ sen. So stellt die höfische Liebe, diefine amor, das Heilmittel ge­ gen die gröbliche Liebe der Männer dar, das Eleonore im Verein mit einigen anderen außergewöhnlichen Frauen und unter Mitwirkung der Schriftsteller, Troubadours und Ro­ manciers ersann, die sie entweder unmittelbar oder über ihren weiblichen Hofstaat förderte und inspirierte. Wer der Feudalzeit, wie es immer wieder geschieht, in Bausch und Bogen rohe Sitten nachsagt, macht sich die Be-

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Schreibung der in Wirklichkeit äußerst komplexen Verhältnis­ se allerdings zu leicht. Zunächst einmal müßte man nämlich klarstellen, auf welche Schicht man mit diesem Urteil abzielt, und dann darangehen, die Gesellschaft des 12. Jahrhunderts in ihren verschiedenen Schichten, die sich allerdings vielfach gegenseitig durchdringen und daher nicht scharf gegeneinan­ der abgrenzen lassen, zu analysieren. Zwar stoßen wir auf die bekannte alte indogermanische Dreigliederung in Adel, Geistlichkeit und Volk; doch der Adel zerfällt in verschiedene Kategorien, die Geistlichkeit setzt sich aus Adligen und Bürgerlichen zusammen, wobei die Intellektuellen, die sogenannten Kleriker, zusehends eine Kaste für sich bilden; und das Volk umfaßt vom kapitalistischen Großbürger bis zum elendesten Hörigen alle erdenklichen Elemente. Im übrigen setzt eine gründliche Analyse auch die Berück­ sichtigung der geographischen Gegebenheiten voraus. Denn daß die Verhältnisse nicht nur in den verschiedenen europäi­ schen Ländern, sondern zum Teil auch innerhalb eines Kö­ nigreichs, eines Herzogtums oder einer Grafschaft beträchtli­ chen Schwankungen unterlagen, ging nicht nur auf unter­ schiedliche Gebräuche und Rechtsverhältnisse, sondern auch auf die jeweiligen klimatischen Bedingungen zurück. So war der Bergbauer zwar grundsätzlich schlechter gestellt als sein Gefährte in der Ebene, hatte aber aufgrund seiner Abgeschie­ denheit und damit größeren Freiheit letztlich weniger unter Abgaben und Frondiensten zu leiden. Und umgekehrt friste­ ten die im Gebirge ansässigen Herren in ihren Felsburgen ein recht kümmerliches Dasein und konnten allenfalls von Rei­ senden Lösegeld erpressen oder die Bauern im Tal ausplündem, während ihre Standesgenossen im Flachland die Bestel­ lung ihrer fruchtbaren Felder wirksam zu überwachen wuß­ ten. Des weiteren war die Leibeigenschaft, die um das 10. Jahrhundert eine sehr bedeutende Rolle gespielt hatte, nicht mehr überall die Regel. In der Armorika etwa hatte man sie sehr früh abgeschafft, in anderen Gegenden die Hörigen in

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großer Zahl freigelassen - wohlgemerkt nicht aus Menschen­ freundlichkeit: Seit Grund und Boden nicht mehr die einzige Basis des Reichtums bildeten (und im 12. Jahrhundert erleben bekanntlich Handel und Gewerbe einen bedeutenden Auf­ schwung), brachten Leibeigene wenig Nutzen, ja, stellten für die Herren, die mit den tüchtigeren Freibauern besser zu Ran­ de kamen, sogar eine gewisse Behinderung dar. Auch die Kir­ che spielte in diesem Zusammenhang nicht ganz die ihr ange­ dichtete philanthropische Rolle, sondern ließ sich bei der Auf­ nahme der Leibeigenen in die berühmten, unter ihrem Schutz im Schatten der Dome und Klöster entstehenden »Neustädte« von sehr weltlichen Beweggründen leiten: Da ihre riesigen Besitzungen mehr oder minder brachlagen, brauchte sie Ar­ beitskräfte zu ihrer Erschließung, und so bot sich die Mög­ lichkeit, die flüchtigen Leibeigenen da anzusiedeln, wo man ihrer bedurfte, als praktische Lösung an — es war der Beginn der großen Urbarmachung und Landbestellung, die der Kir­ che recht eigentlich zu ihrem Reichtum verhelfen sollte. All das spielt sich im Rahmen eines regelrechten Klassen­ kampfes ab, nur daß wir statt der aus dem 19. Jahrhundert bekannten beiden Gesellschaftskategorien der Besitzenden und der Proletarier im 12. Jahrhundert drei um die Vorherr­ schaft kämpfende Gruppen vor uns haben: den Adel, der sei­ ne mit Waffengewalt errungenen Vorrechte behaupten möch­ te, den Klerus, der seine geistliche Macht auf eine gesicherte materielle Grundlage zu stellen sucht, und den um Anerken­ nung seiner wirtschaftlichen Bedeutung kämpfenden Teil des Volkes, das Bürgertum. Dieser Klassenkampf findet in den in verschiedenen Städten aufragenden drei Türmen, dem zuse­ hends höheren und massigeren Kirchturm, dem kommunalen Glockenturm und dem Burgfried des Schlosses, seinen symbolischen Niederschlag. Und da diese drei miteinander im Kampf liegenden Grup­ pen wechselnde Zweckbündnisse miteinander eingehen, zeigt ihre Auseinandersetzung gleichfalls wechselnde und manch­ mal widersprüchliche Züge. So bedient sich die Kirche zeit-

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weilig des Bürgertums gegen den Adel, der seinerseits wieder­ um mit Hilfe des Klerus die Bürger mattsetzt, während diese in Absprache mit den Adligen den Einfluß der Kirchenleute zu beschneiden suchen — kurzum, wir haben es mit einer recht verwickelten Situation zu tun. Eines indessen läßt sich mit Sicherheit feststellen, nämlich daß die Klasse der Bauern unabhängig von Ort und rechtli­ cher Stellung auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter steht. Die Bauern müssen nicht nur die schwersten Belastun­ gen tragen, sondern bekommen obendrein noch die Verach­ tung der Städter wie der Adligen zu spüren. In dieser Zeit er­ halten Begriffe wie Dörfler (Tölpel) ihren pejorativen Beige­ schmack, während die Ritter, wie aus den Romanen des 12. Jahrhunderts ersichtlich, mit den Landleuten nach Lust und Laune umspringen: Sie gelten kaum als Menschen, und so kann man sie ungestraft wegen des belanglosesten Verstoßes, der geringsten Unehrerbietigkeit niedermachen. Wer es zum Schloßbediensteten bringt, steigt auf der sozialen Leiter zwar etwas auf und ist von der drückendsten Not befreit, damit je­ doch keineswegs vor Willkür sicher. Man braucht das »Be­ dienstetenpack« wohl, hält ihm aber bei jeder Gelegenheit sei­ ne niedrige Herkunft vor und mutet ihm schlicht alles zu. Al­ lerdings kann derjenige, der sich seinem Herrn durch Intelli­ genz oder Geschick unentbehrlich macht, auf Belohnung hof­ fen, oder, wenn dem Pfarrer oder Adelsherm seine Begabung auffällt, in vereinzelten Fällen auch Schulen besuchen und sich zum Kleriker heranbilden — für kluge Bauern damals im Grunde die einzige Möglichkeit, in eine höhere soziale Stel­ lung aufzusteigen. Im übrigen bildeten die Kleriker des 12. Jahrhunderts, zu deren erstaunlichsten Vertretern der be­ rühmte Peter Abaelard zählt, von allem Anfang an eine eige­ ne Untergruppierung, denn sie gehörten einerseits (selbst wenn sie keine Priesterweihe empfangen hatten) der Kirche an und hingen andererseits von der Bürgerklasse ab. Sie, die in der Regel als Hauslehrer, Ratgeber oder Literaten im Dienst der Adligen standen und in Politik und Geistesleben

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eine hervorragende Rolle spielten, haben die mittelalterliche Gesellschaft entscheidend gefördert und einen wirksamen Beitrag zu dem in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts be­ obachtbaren Sinneswandel geleistet. Eine besonders beneidenswerte Stellung aber errangen die Städter — ehemalige Bauern, die durch Ausübung eines Hand­ werks von der Scholle losgekommen waren, sowie die Ab­ kömmlinge der alten Handwerker —, da infolge einer gewissen Anhebung des Lebensstandards und der im Vergleich zu frü­ heren Jahrhunderten größeren Sicherheit in ganz Europa der Konsum anstieg. Um die wachsende Nachfrage zu befriedi­ gen, entstanden zahlreiche Werkstätten, namentlich Weberei­ en wie in der Champagne und in Flandern, was übrigens ein elend dahinvegetierendes Lumpenproletariat in die Städte zog, über dessen Schicksal uns die Schriftsteller des Jahrhun­ derts, insbesondere Chrétien de Troyes, informieren. Und da es die erzeugten Produkte auch zu vertreiben galt, entwickelte sich zwischen den verschiedenen Städten und Regionen ein reger Handel. Er verhalf nicht nur den Kaufleuten, die von ihren Reisen fremdländische Produkte mitbrachten, zu Reich­ tum, sondern auch den Landesherren, die gegen Erhebung von Zöllen die Sicherheit der Straßen gewährleisteten. So ent­ stand ein ganzes System örtlicher Abgaben und Zölle, das ei­ nem Teil des Adels die Aufbesserung seiner etwas ungesi­ cherten Einnahmen ermöglichte. Den Hauptgewinn dieser Aktivität aber schöpften Hand­ werker und Kaufleute ab, die sich komfortable Stadthäuser erbauen ließen und damit wiederum den Maurern zu mehr Aufträgen verhalfen. Nachdem die Kreuzzüge die Verbin­ dung zu fernen Ländern hergestellt und die Handelsbeziehun­ gen bis ans andere Ende des Mittelmeeres ausgeweitet hatten, strömte eine wahre Güterschwemme — Seidenwaren, orienta­ lische Stoffe, Gewürze und Luxusgegenstände — nach West­ europa, die vor allem Handwerkern und Kaufleuten als rüh­ rigsten Gesellschaftsklassen zu Reichtum verhalf. Da aber der Wohlhabende auch ein Mitspracherecht fordert, begann das

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städtische Bürgertum zusehends auf Selbstverwaltung zu drin­ gen. Diese Bestrebungen stießen bei den Stadtherren, den Adligen, die auf eine so beachtliche Einnahmequelle nicht verzichten und außerdem am Grundsatz ihrer Souveränität nicht rütteln lassen mochten, zunächst auf wenig Gegenliebe. Erst als der Adel im Zuge der weiteren Entwicklung dann mehr und mehr auf Geld und Unterstützung der Bürger an­ gewiesen war, wurden die Städte durch Verleihung von Pri­ vilegien aus ihrer Abhängigkeit von den Herren befreit, und den Bürgern wurde das Recht zugestanden, ihre eigene Kom­ munalverwaltung aufzubauen, natürlich nicht ohne Gegenlei­ stung: Die Bürger mußten die Freibriefe faktisch kaufen, in de­ nen sich außerdem verschiedene die Macht der Kommunen beschränkende Klauseln fanden. Desungeachtet stellt die Emanzipation der Städte im 12. Jahrhundert eine regelrechte Revolution dar, die in Okzitanien sehr früh einsetzte, bald auf Nordfrankreich und wenig später auf ganz Europa Übergriff3 und im Heiligen Römischen Reich, wie die Zahl der als sou­ veräne Staaten auftretenden freien Reichsstädte beweist, zeit­ weilig riesige Ausmaße annahm. Eleonore von Aquitanien, die in ihrer Jugend die kommunalen Organisationsbestre­ bungen der Bürger (zum Beispiel in Poitiers) mit Härte beant­ wortet hatte, förderte später, wie erwähnt, in ihren Länderei­ en die städtische Unabhängigkeit durch besonders freizügige Gewährung von Privilegien, hatte sie doch mit zunehmender Reife begriffen, daß sich ohne die Mitwirkung des kapitalkräf­ tigen Bürgertums künftig nichts mehr ausrichten ließ. Allerdings boten Eleonores Ländereien in dieser Hinsicht auch ein typisches Bild wirtschaftlichen Wohlstandes. Wäh­ rend die ständig drohende Kriegsgefahr in manchen anderen Regionen den Aufschwung gebremst hatte, herrschten zu­ mindest in Poitou und Aquitanien — und sogar in der damals unter Plantagenetherrschaft stehenden Armorika — recht ge­ deihliche Verhältnisse. Zahllose Mühlen nutzten die natürliche Wasserkraft, mahlten nicht nur Korn, sondern hielten auch die Blasebälge und Hämmer der Schmieden in Gang, zerrie157

ben Ton und Färbereiprodukte, halfen bei der Bierherstel­ lung, schlugen Hanf, walkten Tuch und trieben die Sägen der Zimmerleute an. Außerdem speisten die Wasserläufe, die die­ se rege, fast schon industrielle Handwerkstätigkeit ermöglich­ ten, Teiche und Wassergänge und schufen so die Vorausset­ zungen für die Zucht der damals in reichlichen Mengen ge­ nossenen Fische. Unter den Landwirtschaftserzeugnissen spielte der von den Bewohnern Englands besonders geschätz­ te Wein aus der Gegend von Bordeaux eine große Rolle und verhalf den Weinbergbesitzem wie den auf den Weinhandel spezialisierten Schiffseignern zu gesichertem Reichtum. Dieser in Aquitanien allgemein verbreitete Wohlstand rief eine rege Bautätigkeit hervor und ließ allenthalben aus gemeinsamen Spenden finanzierte oder von den Herren gestiftete kirchliche Bauten entstehen, die dem Land einen glänzenden Ruf ein­ trugen und einen kaum einholbaren Vorsprung vor anderen Regionen verschafften. Dieser Aufstieg des Bürgertums wirkte sich auf alle Berei­ che aus und führte vor allem zu einer tiefgreifenden Verschie­ bung des zwischen den drei traditionellen Klassen bestehen­ den Kräfteverhältnisses. Bekanntlich stützten sich die Kapetingerkönige in ihrer Auseinandersetzung mit dem Adel auf das Bürgertum, während die Plantagenets von dieser Mög­ lichkeit zwar keinen systematischen Gebrauch machten, dafür aber in ihren den städtischen Bürgern bewilligten Freibriefen sorgfältig festlegten, daß die Gemeinden für ihre Verteidi­ gung selbst aufzukommen hatten — für das königliche Heer eine erhebliche Entlastung. Und außerdem nahmen sie noch einen weiteren wichtigen Punkt in ihre Klauseln auf, demzu­ folge die Bürger der königlichen Armee im Bedarfsfall ein Truppenkontingent zu stellen hatten. Doch diese Bürgermili­ zen brachten nicht nur gewaltige Vorteile mit sich (weshalb sie Philipp August unverzüglich gleichfalls einführte), sondern bedeuteten offenkundig auch eine Gefahr, hieß doch die Bür­ ger bewaffnen, den Bock zum Gärtner machen und den Adel seines hervorstechendsten Zuges, des Waffenmonopols, be­ 158

rauben (bekanntlich sollten die Bürgermilizen zu guter Letzt über das Rittertum obsiegen). Zwar hatte bereits Heinrich IL durch Anwerbung von Söldnern eine Bresche in dieses Mo­ nopol geschlagen, aber das Söldnertum stellte, solange das Geld für seine Besoldung ausreichte, keine Gefahr dar, wäh­ rend eine bewaffnete Bürgerklasse sehr wohl politische Rech­ te fordern konnte. Hinzu kam, daß das Bürgertum durch die Ausbreitung der Städte auch zahlenmäßig einen beträchtlichen Zuwachs zu verzeichnen hatte und daß diese neue Gesellschaftsklasse im Gegensatz zum Adel, dessen Situation sich in nichts änderte, einer ungetrübten Zukunft entgegenging. Karl Marx sieht im Aufschwung des Bürgertums und der Emanzipation der Städ­ te bekanntlich den Ausgangspunkt des modernen Kapitalis­ mus — eine Behauptung, die man bei genauer Analyse bestä­ tigt findet: Tatsächlich beginnt mit der Entstehung des städti­ schen Bürgertums im 12. Jahrhundert ein »Langer Marsch«, der über die Französische Revolution schließlich zur liberalen Demokratie der heutigen westlichen Staaten führen sollte, gleichviel, ob diese wie in Frankreich und den Vereinigten Staaten eine konservative oder wie in Deutschland und Groß­ britannien eine »sozialdemokratische« Einfärbung aufweist (ein insofern betrüblich widersinniger Begriff, als er einen ne­ gativen Kompromiß zwischen der utopischen sozialistischen Lehre und der realen Demokratie darstellt). Auch die Kirche vermochte sich aus diesem allgemeinen Gärungsprozeß nicht herauszuhalten. Sie hatte, seit das Chri­ stentum durch das Edikt des Theodosius zur offiziellen Staatsreligion des Römischen Reiches aufgerückt war, ihre ur­ sprüngliche Lehre der Demut und umfassenden Liebe etwas vernachlässigt und war in einen starren Fanatismus verfallen, der sich mit fortschreitender Evangelisierung neuer Bereiche auf eine immer ausgedehntere weltliche Machtbasis stützen konnte. Als Erbin der kaiserlich-römischen Verwaltung, als Hüterin von Bildung und Wissenschaft und als einzig stabile Macht in einer vor allem unter den Merowingern von Unru­ 159

hen und Wirren erschütterten Zeit stellte sie eine nicht zu un­ terschätzende Kraft dar, der man sich nur mit Vorsicht entge­ genstellen konnte. Karl der Große hatte dies sehr wohl begrif­ fen und die Welt zwischen dem Papst und sich aufgeteilt, während seine Nachfolger, die Kaiser wie die Kapetingerkönige, mit ihren Verständigungsbemühungen weniger Glück hatten und mit der römischen Kurie vor allem bezüglich der Ernennung der Bischöfe und der Erhebung der verschiede­ nen Abgaben stets auf etwas gespanntem Fuß standen. Au­ ßerdem ergab sich, da die großen Vertreter der Kirche in ih­ ren Wirkungsbereichen auch eine politische Rolle spielten, das Problem der doppelten Loyalität: Wem schuldeten Bi­ schof, Erzbischof und Abt mehr Gehorsam, dem Papst oder dem König? Der Lehnseid brachte hier nur scheinbar eine Klärung, da die Kirche dank ihrer internationalen Veräste­ lung außerhalb jeglichen Zwanges stand und sich dies auch deutlich anmerken ließ. Doch wie die Volksschicht stellte auch die Kirche keinen geschlossenen Block dar. Während ihre hohen Würdenträger bis auf wenige Ausnahmen dem Adel entstammten und da­ mit ihrer Herkunftsklasse eng verbunden blieben, kam der niedere Klerus auf dem Land und in den ärmsten Marktflekken aus dem Volk. Die ihren Schäfchen recht ähnlichen, ziemlich ungebildeten Dorfpfarrer, die meist ein äußerst kärg­ liches Dasein fristeten, eher Bauern als Geistlichen glichen und vielfach offiziell oder heimlich verehelicht waren, ohne damit bei irgend jemand Anstoß zu erregen, vermochten in dieser ländlichen Welt mit ihren tief eingewurzelten, häufig in lokalen Kulten und unausrottbaren Traditionen wiederaufle­ benden heidnischen Gebräuchen nur eine vage Frömmigkeit zu verbreiten. Mit einem Wort, sie waren, was Los und Men­ talität betrifft, von den hohen Würdenträgern der Kirche durch eine Kluft getrennt. Außerdem sah sich der vielerlei äußeren Einflüssen ausge­ setzte, von Königen und Fürsten abhängige Weltklerus einem über seine Oberen unmittelbar Rom unterstellten Ordenskle­ 160

rus gegenüber, der nicht nur fester Fuß gefaßt, sondern auch auf allen Ebenen Reichtum angesammelt hatte. Er stellte in­ ner- wie außerkirchlich eine Welt für sich dar, spielte aber desungeachtet in Geistesleben und Erziehung eine bedeuten­ de Rolle. Und da die Stiftungen der Herren und Könige vor­ zugsweise an die Abteien gingen, war er gleichzeitig auch die reichste Gruppe innerhalb der Geistlichkeit. Denn wer sein Seelenheil sichern oder schwere Sünden sühnen wollte, grün­ dete Klöster oder bedachte sie mit reichen Schenkungen, wo­ mit der Besitz der Mönche ins Unermeßliche wuchs. Nie wie­ der hat das Mönchtum in ganz Westeuropa solche Triumphe gefeiert wie im 12. Jahrhundert, nie sind so viele Orden ge­ gründet und Klöster gebaut worden, wobei es angesichts all dieser Kongregationen, Bruderschaften und Einzelorden schwerfällt, klarzusehen und den Weizen von der Spreu zu scheiden: Wohl erwuchsen viele dieser Gründungen aus tie­ fem Glauben und höchst achtenswerter mystischer Begeiste­ rung, wohl hat das Mönchtum des 12. Jahrhunderts unzwei­ felhaft große Heilige hervorgebracht; daneben aber gab es auch viele Gründungen, deren Zweck einzig darin bestand, Individuen von zumindest zweifelhafter Berufung materiellen Wohlstand zu sichern. Mönch sein stellte im Mittelalter ein Handwerk dar und wurde von vielen ausgeübt, die mangels anderer Unterhaltsmöglichkeiten die großen mystischen Strö­ mungen der Zeit nach Kräften ausnutzten. Die dritte, unter der Sammelbezeichnung Kleriker zusam­ mengefaßte Gruppe der Kirchenleute bildet, obwohl sie der Kir­ che zugehört, ja ihr rührigstes Ferment ausmacht, eine Welt für sich. Die Kleriker, teils Priester, teils aber auch einfach Laien, stellen den kulturellen Kem nicht nur der Kirche, sondern der gesamten Gesellschaft dar. Sie stehen als Lehrmeister des Volkes wie der Großen dieser Erde im Austausch mit allen Gesellschaftsschichten und sind überdies, wie wir heute sagen würden, Weltbürger, da sie sich mit ihrer gemein­ samen Sprache, dem Lateinischen, über alle Grenzen hinweg verständigen können. Diese aus sämtlichen Schichten, aus dem

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niederen Volk wie aus dem Bürgertum und dem Adel kom­ menden Intellektuellen halten untereinander fest zusammen, stellen die eigenen Interessen vielfach über die der Herren, de­ nen sie angeblich dienen, und bekleiden außerdem Stellungen, die sie in die Position von Schiedsrichtern versetzen. Manche fungieren als Ratgeber von Fürsten und Königen und nehmen in dieser Eigenschaft regen Anteil am politischen Leben der Länder, in die sie das Schicksal verschlagen hat. So diente der Mönch Suger, ein Kleriker und begabter Staatsmann, Ludwig VL und VIL als angesehenster Ratgeber und verwaltete gleich­ zeitig voller Umsicht seine Abtei Saint-Denis. Ganz ähnlich war auf der Gegenseite der brillante und hervorragende Kleriker Thomas Becket Heinrichs IL verläßlichster Vertrauter und Freund, bis er durch seine unnachgiebige Haltung als Erzbi­ schof von Canterbury das bekanntermaßen tragisch endende Zerwürfnis heraufbeschwor. Da die Klerikergruppe offensichtlich Leute unterschiedlich­ ster Machart, hervorragende wie üble Elemente, vereinte, müßte ihre Geschichte im 12. Jahrhundert recht abwechs­ lungsreich und pittoresk ausfallen. Viele waren reine Athei­ sten und hatten diesen Stand nur erwählt, um sich von ihrer Herkunftsklasse zu distanzieren und ihren Vorteil wahrzuneh­ men: Aufgrund ihrer Vorrechte konnten die Kleriker ein an­ genehmes Leben führen, sich dem Studium oder der Literatur widmen, ausgedehnte Bildungsreisen unternehmen oder auch schlicht unauffällig in irgendeiner »Pfründe« ein Dasein ohne drückende materielle Sorgen fuhren. Jedenfalls verfügte diese in sich geschlossene, jedoch die ganze Gesellschaft durchset­ zende Kaste über jene ungewöhnliche Machtfulle, die Bildung und Wissen verleihen, wenn die Gesamtbevölkerung, das heißt der Adel wie das gemeine Volk, praktisch im Zustand des Analphabetentums verharren. Über diese Gesellschaft von Klerikern, gebildeten Frauen und höfischen Rittern also gebietet Eleonore von Aquitanien, einst selber Schülerin von Klerikern, die ihr ein bedeutendes kulturelles Erbe antik-okzitanischer Prägung vermittelten und 162

ihr den Weg zur Entdeckung und Vertiefung des Wissens wiesen. Dieser Prägung zeitlebens eingedenk, wird sie die Ratschläge eines Vertreters dieser Kaste niemals in den Wind schlagen und vor allem diejenigen ihrer Mitglieder fördern, die die kulturelle Überlieferung so getreulich aufrechterhalten haben. Im Kreise dieser Intellektuellen fühlt sich die Köni­ gin-Herzogin zu Hause, gehört sie doch letztlich selber zu ih­ rer Zunft, was bei einer Enkelin Wilhelms des Troubadours damals niemand absonderlich fand. Eleonore hat darüber freilich nie vergessen, daß sie der gleichfalls mitten im Umbruch befindlichen Adelsklasse ange­ hörte. Und hier nun ist ein Hinweis auf die derben Sitten der voraufgegangenen Epoche am Platz, namentlich was den Norden betrifft, denn in Okzitanien war die Entwicklung schon weiter vorangeschritten. Die Adligen der frühen Feu­ dalzeit waren in der Tat grobschlächtige Barbaren gewesen, die sich nur für Kampf und Jagd erwärmten, den primitivsten Instinkten gehorchten und kaum je den Versuch unternah­ men, aus ihrer intellektuellen Unbedarffheit herauszukom­ men. Die Herren der frühen Feudalzeit einschließlich der Kö­ nige konnten weder lesen noch schreiben und hatten auch wahrlich anderes zu tun, als die Nase in unverständliche Wäl­ zer zu stecken oder sich für schöne Literatur zu interessieren. In diesen harten Zeiten galt es Befehle zu erteilen, sich zu schlagen und in seinem Gebiet für Nahrung und Schutz zu sorgen. In diesem Dschungel, in dem das Recht des Stärke­ ren galt, weil man kein anderes kannte, hieß die oberste Lebensregel, mehr Gewalttätigkeit zu entfalten als das Gegen­ über. In diesen »dunklen Zeiten« des »finsteren Mittelalters« herrschte Unsicherheit, entschied eine Schlacht zwischen tausend Kämpfern über das Schicksal ganzer Völker, wobei die Herren in vorderster Linie kämpften und ihr Leben wagten. Kein Wunder, daß sie Lesen, Schreiben und den »überflüs­ sigen Literaturkram« der Klerikerkaste überließen, die dieses Handwerk beherrschte und dafür bezahlt wurde, gleichzeitig

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aber als Hüterin der Kulturüberlieferung eine Vorrangstel­ lung im Gesellschaftsleben erobern konnte. Diese Vorrangsstellung und die daraus erwachsende Be­ fürchtung, die Intellektuellen könnten eines Tages die Ober­ hand gewinnen, beunruhigte die auf die Kleriker angewiese­ nen Herren aller Rangstufen dergestalt, daß sie ihrerseits ein gewisses Bildungsstreben an den Tag zu legen begannen. Die Einsicht, daß die Herrschgewaltigen das Bildungsmonopol der Klerikerzunft nur brechen konnten, wenn sie sich selbst Kultur aneigneten, war im übrigen als ersten den Herzögen und Grafen Okzitaniens aufgegangen. Wie Eleonores Familie als lebendiges Beispiel beweist, erkannten sie frühzeitig, wie wichtig es für den Adel war, durch angemessene Schulung di­ rekten Zugang zu den Bildungsgütem zu erlangen. Die Her­ ren des Nordens konnten da nur nachziehen und sich ihrer­ seits mühen, das verlorene Terrain zurückzuerobem. Be­ kanntlich förderte Heinrich IL im Bestreben, den Adligen und Rittern seiner Umgebung Kultur und Bildung zu vermitteln, die Entstehung und Verbreitung literarischer Werke auf jede erdenkliche Weise. So entstand nach und nach die höfische Aristokratie, für die ein Berol, ein Thomas von England, ein Chrétien de Troyes und all die anglonormannischen Kleriker schreiben und für die die Trouvéres und Troubadours durch die zauberhaften Schätze der Poesie die neue Daseinsdimen­ sion des Schönen und Guten erschließen sollten. Als ideale Verkörperung des Ritters und Adligen der neuen Generation darf der Sagenheld Tristan gelten, der gleichzeitig als unbe­ siegbarer Krieger, glänzender Diplomat, guter, dem niedrigen Volk gewogener Fürst, geistreicher Unterhalter, vorzüglicher Harfenspieler und feinsinniger Dichter hervortritt. Der Adel befand sich offiziell im Besitz der Macht. Zu ihm gehörte auch der König als ein von seinesgleichen gewählter Baron, der sich nur insoweit aus dieser Klasse heraushob, als ihm das letzte Wort zustand. Aber wie schon erwähnt, bedeu­ tete die Macht auch eine Bürde, galt es sie doch zum einen ständig gegen potentielle Rivalen zu behaupten (weshalb man 164

Bundesgenossen unter den Adligen und Klerikern brauchte) und zum anderen in den Augen der Allgemeinheit zu recht­ fertigen. So war eine religiös-mystisch eingefärbte Deutung aufgekommen, derzufolge die Adligen einen geheiligten Dienst zum Wohl der Gemeinschaft leisteten — wohlgemerkt mit Gottes Segen, womit sich das Problem der Machtanma­ ßung durch Gewalt umgehen ließ. Denn von Haus aus waren diese Adligen Krieger, die sich ihre Besitzungen erkämpft, das heißt entweder schlicht und einfach angeeignet oder zum Lohn für ihre Dienste als Lehen empfangen hatten. Einige wenige waren von Königen und Fürsten zwar auch aufgrund ihrer administrativen Fähigkeiten ausersehen worden, doch sie befanden sich in der Minderzahl. In der Regel herrschte das Kriegsrecht, und so stellten die großen Lehen vielfach das Ergebnis blutiger Auseinanderset­ zungen dar. Im 12. Jahrhundert bot der Adel nach außen hin das ge­ schlossene Bild einer straff organisierten, theoretisch perfek­ ten Lehnspyramide mit dem König an der Spitze, gefolgt von Herzögen, Grafen und einfachen Herren. Doch diese fast mi­ litärisch anmutende Rangordnung mit ihren klar gestaffelten Graden trog: In Wirklichkeit war manch einfacher Herr ei­ nem Grafen und mancher Herzog einem König an Macht überlegen, und außerdem konnte ein Herzog aufgrund der verwickelten Erbverhältnisse gleichzeitig auch noch Graf und Herr und, was die Dinge zusätzlich komplizierte, in dieser Ei­ genschaft von mehreren Lehnsherren abhängig sein. Kurzum, in Wahrheit war die Lehnspyramide recht wacklig und auch hier wieder Stärke und Kühnheit Trumpf. Da aber die Adligen, auf sich allein gestellt, nichts hätten ausrichten können, schlossen sie sich zu Interessengemein ­ schaften zusammen und besiegelten ihre Übereinkunft durch den Lehnseid. So bildeten sich verschiedenartige Gruppierun­ gen heraus, die sich untereinander zum Teil erbittert befehde­ ten, so daß die kriegerischen Auseinandersetzungen nie abris­ sen. Die Kirche suchte dieses selbstherrliche Treiben durch 165

Burg- und Gottesfrieden einigermaßen zu regeln und die überschäumende Tatkraft und Angriffslust dieser Männer, die im Krieg die einzige Möglichkeit der Selbstbestätigung und zusätzlichen Bereicherung sahen, vor allem durch die Kreuz­ züge in geregelte Bahnen zu lenken. Und hier nun kommt das Rittertum ins Spiel. Ursprünglich standen die Ritter — in der Regel Söhne aus niedrigem Adel, die aus dem einen oder anderen Grund beim Erben leer ausgegangen waren und außer Pferd und Rüstung nichts besaßen, am unteren Ende der Feudalhierarchie und vermieteten sozusagen ihre Dienste an einen etwas reicheren, auf Verstärkung angewiesenen Adligen. Hatten sie das Glück, einen Gegner zu besiegen, standen ihnen dessen Waffen und Pferd als Kriegsbeute und, sofern sie ihn nicht getötet, son­ dern (entschieden vorteilhafter) nur gefangengenommen hat­ ten, ein Lösegeld zu. Gelegentlich erhielten sie von ihrem Herrn zur Belohnung auch Grund und Boden, rückten damit zu Lehnsvasallen auf und konnten so innerhalb des Adels festen Fuß fassen. Die ständigen Fehden der Adligen, die ihre Besitzungen gegen Feinde verteidigen oder auch nur vor Räubern und Wegelagerern schützen mußten, wirkten sich auf diese dem Söldnertum nahestehende Kriegerkaste natürlich recht gün­ stig aus: Tatsächlich nämlich bildeten die Ritter eine Kaste, die sich zusehends strukturierte und zur echten Institution ausweitete. Die Feudalgesellschaft brauchte Ritter und deckte diesen Bedarf, indem sie vielen Bürgerlichen und Abenteu­ rern, die als einfache Fußknechte oder Knappen im Dienst und Schatten der Ritter gestanden waren, Zutritt zu dieser Kaste gewährte. Sofern sie sich im Kampf bewährt und ge­ wisse Siege errungen hatten, stand ihrer Aufnahme in die Brüderschaft nichts im Wege, vorausgesetzt, sie konnten Kampfzeugen benennen und die für den künftigen Ritter un­ erläßlichen, komplizierten Initiationsriten bestehen. Diese Kaste empfand sich selbst als Teil der Feudalgesell­ schaft und beachtete all ihre Regeln und Gebote. So standen 166

die Ritter ausschließlich im Dienste dessen, dem sie den Treu­ eid geleistet hatten, doch da sie je nach Umständen auch meh­ reren Herren Treue schwören konnten, kam es gelegentlich zu recht verwickelten Situationen. Um dem abzuhelfen, führte man das Homagium ein, das bei internen horizontalen Konflik­ ten in der Lehnshierarchie einem der Herren den Vorrang gab. Außerdem schaltete sich die Kirche ein, die sich der mo­ ralischen Seite annahm, den Rittern über das Praktische hin­ ausreichende spirituelle Verhaltensregeln vorschrieb und ih­ nen neben der Pflicht, ihrem unmittelbaren Lehnsherrn zu dienen, noch eine Reihe umfassenderer Gebote auferlegte, so insbesondere, das Unrecht zu verfolgen, wo immer sie es an­ trafen. Damit aber entwickelten sich die Ritter mehr und mehr zu einer Art Polizeimiliz mit der Aufgabe, jedermanns Güter zu schützen, Witwen und Waisen beizustehen, das Recht der Schwachen zu verteidigen und im Dienste des höchsten Lehnsherrn, das heißt Gottes, zu wirken. Dieser göttliche Auftrag verhalf ihnen im übrigen zu einem besonderen mora­ lischen Gewicht, rückte sie aber gleichzeitig bis zu einem ge­ wissen Grad in eine Randposition. Die Folgen zeichnen sich im 12. Jahrhundert bereits deutlich ab: Die Ritter befinden sich auf dem besten Weg, sich von den übrigen Ständen abzusondem und eine eigene Gesellschaftsgruppe zu bilden, die sich ihrer Mission und ihrer materiellen Bedeutung zusehends bewußt wird. Von hier bis zu der Meinung, auch in der Poli­ tik ein gewichtiges Wort mitreden zu können, ist nur ein Schritt, und tatsächlich haben die Ritter diese Rolle auch oft genug übernommen und den Gang der Ereignisse durch ihre Forderungen beeinflußt. Entscheidend dabei ist, daß die aus aktiven, zu jedem Wag­ nis bereiten Adligen zusammengesetzte Ritterkaste einen be­ merkenswerten Zusammenhalt aufweist. Wie die Klerikerka­ ste im Schoß der Kirche, tut auch sie sich durch gemeinsame Regeln und Motivationen hervor, nur daß sie keinen Gelehr­ tenverein, sondern eine Waffenbrüderschaft mit der Tendenz,

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zu einer Machtgruppe aufzurücken, darstellt. Der Ritter han­ delt nie auf eigene Faust, sondern immer im Namen der gan­ zen Ritterschaft, die er im Augenblick des Handelns vertritt und unter Einsatz seines Lebens zu größerem Ruhm führen muß. Das heißt, er tritt letztlich nicht mehr für den König oder irgendeinen Lehnsherrn, sondern für seine ganze Kaste auf den Plan. Diese in den Romanen der Tafelrunde aufkom­ mende, mithin also für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts typische Mentalität erklärt zum Teil auch, warum die Ritter­ kaste für die politischen Machthaber, den König oder die gro­ ßen Adligen, bei aller Bedeutung und Notwendigkeit auch ei­ ne erhebliche Bedrohung darstellt.4 An diese Ritterkaste, aber auch an die Klerikerkaste wen­ det sich Eleonore von Aquitanien von ihrem Hof in Poitiers aus. Die ungestümen, ehrgeizigen Ritter braucht sie zur Durchführung ihrer Politik, die Kleriker, um die humanisti­ sche Bildung in alle Winkel des Reiches zu tragen. Als Köni­ gin der Troubadours und der Ritter (und in dieser vielschich­ tigen Gesellschaft des 12. Jahrhunderts mit ihren Überschnei­ dungen gehören zahlreiche Troubadours dem Ritterstand an) sucht sie die beiden Haupttriebkräfte ihrer Zeit um sich zu sammeln, sie für sich zu gewinnen und setzt sich zu diesem Zweck an die Spitze der fundamentalen Strömungen, die ihre Zeitgenossen, Männer wie Frauen, von Grund auf umwan­ deln sollten. Warum auch hätte sie, nachdem die lange Zeit der Hintan­ setzung der Frau allgemein als beendet galt, die neu aufkom­ mende Geisteshaltung nicht in ihrem Sinne nutzen sollen? Ih­ re Klugheit gestattete ihr, den Erfolg einer bestimmten Poli­ tik abzuschätzen, was im übrigen nicht besagen soll, sie habe nur aus Berechnung gehandelt: Eleonore hielt es allen Ernstes für die Pflicht einer aristokratischen Gesellschaft, Kultur und Lebensart anzunehmen, und mühte sich daher nach Kräften, Ritter und Kleriker über die primitivsten Begierden und Trie­ be hinauszuheben und ihnen eine glanzvollere Zukunft zu er-

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öffnen, als deren geeignetste Wegbereiterin sie sich selber ver­ stand. So stellte sie mit ihrem weiblichen Hofstaat, darunter ihren vielumschwärmten Töchtern, einen Stoßtrupp weibli­ chen Charmes auf die Beine, der es an Entschlossenheit und Tatkraft mit jedem Elitekorps ihrer poitevinischen Ritter auf­ nehmen konnte. In der Geschichtsschreibung ist ja nichts ganz willkürlich Eleonore aber wegen ihres eingehenden Interesses für Mode, Feste undfine amor einfach als »frivole Königin« abzutun, wie es vielfach geschehen ist, heißt übersehen, daß der Kleider­ mode oder dem Kunstgeschmack bzw. den Problemen der Liebeskasuistik durchaus gesellschaftliche Notwendigkeiten und materielle Realitäten entsprechen können. Wer sich auf die Wiedergabe von Feldzügen und des politischen Wollens der Herrschenden beschränkt, wird nur ein lückenhaftes Bild einer Epoche zustande bringen. Denn die Herrschenden kön­ nen letztlich nur dann herrschen, wenn sie seitens des ihnen untergeordneten Volkes breiten Konsens finden. Auf Eleono­ res Epoche trifft dies in gesteigertem Maße zu, und so heißt diese Periode verstehen, die Verzahnung erkennen, in der nicht zuletzt die fine amor eine große Rolle spielt. Eleonore aber möchte eine neue Gesellschaft ins Leben ru­ fen, die sich auf Treu und Glauben, vollendete Kenntnis der Welt und ihrer Geheimnisse, allseitiges Wohlverhalten, Luxus und Wohlstand gründet; das heißt, ihr schwebt eine Idealge­ sellschaft, eine Utopie vor, die an die keltischen Sagen vom Feenreich und seiner geheimnisvollen, fast über göttliche Kräfte verfügenden Herrscherin erinnert. Wie diese Frau, die Erbin der alten Sonnengottheiten, deren Charme magnetische Anziehung auf das ganze Universum ausstrahlt, wäre Eleono­ re, ihrer Rolle als animan (Magnet) der Troubadours einge­ denk, gern im Mittelpunkt einer geschlossenen, vollkomme­ nen Welt gestanden, aus der alle Bosheit verbannt sein sollte. Hier taucht auch der Mythos von der Insel Avalon wieder auf, dem wir im nächsten Jahrhundert im breitangelegten französischen Prosaroman Lancelot du lac, insbesondere in der 169

Beschreibung der sonderbaren Welt der Dame vom See, wie­ der begegnen, in der Eleonores Traum nahezu bewußt Ge­ stalt annimmt, als hätten die Romanverfasser die Sehnsucht nach diesem flüchtig geschauten Augenblick bewahrt. Und hat nicht auch der Kleriker Ulrich von Zatzikhofen die Welt der Gräfin von Poitou im Sinn, wenn er in seiner deutschen Bearbeitung der Lanzelotsage schreibt: »Sie war Königin, die beste, die bis dahin gelebt, ein Mädchen voller Klugheit, und hatte zehntausend Frauen bei sich in ihrem Lande, das weder den Mann noch die Gesetze des Mannes kannte. Die Frauen trugen allesamt Gewänder und Mäntel aus golddurchwirkter Seide... Und das ganze Jahr lang stand dieses Land in Blüte wie mitten im Monat Mai...«5 Offensichtlich befinden wir uns hier mitten im Reich der Utopie, im Märchenland. Diese unwirkliche Welt entsprach einem gynäkokratischen Ideal, das die Frauen des Adels ver­ fochten, seit ihnen ihre Entmachtung durch die Männer auf­ gegangen war. Da sich ihre Revolte jedoch nur in Traum und Poesie äußern konnte, suchten sie diese Bereiche nach Mög­ lichkeit zu ihren Gunsten auszubeuten. Obwohl die Idee eines ausschließlich von Frauen beherrschten Landes, wie die Ama­ zonensage oder die Parodie des Aristophanes in Lysistrata beweist, bis ins graue Altertum zurückreicht, hatte doch kein Versuch, die Gesellschaft wirklich den Bedürfnissen der Frau gemäß zu gestalten, bislang zum Erfolg geführt, und so war das Verhalten Eleonores und ihrer Gefährtinnen vom Be­ wußtsein dieses über den Frauen waltenden Verhängnisses bestimmt, gleichzeitig aber auch von dem Wunsch, den Män­ nern wenn schon nicht überlegen, so doch zumindest eben­ bürtig zu sein. Zwar hatte sich die Königin von England, wie aufgezeigt, Gehör verschaffen können, doch wie ließ sich ihr persönlicher Sieg verallgemeinern? Es hat ganz den Anschein, als hätten die Frauen nach dem Scheitern aller Überredungs­ künste beschlossen, sich einer Art Geheimwaffe zu bedienen, die ihnen ihr Charme und die Natur an die Hand gab — näm­ lich der fine amor.

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Über den Ursprung derfine amor, dieses äußerst eigenartigen Phänomens, das im 12. Jahrhundert in den Adelskreisen des christlichen Abendlandes aufkam, und das sich mit Begriffen wie »höfische« oder »provenzalische Liebe« nur unzulänglich umschreiben läßt, ist ausgiebig diskutiert worden. Zunächst gilt es Rahmen und Stellenwert dieser Erscheinung abzustekken und klarzustellen, daß nie das ganze Volk an dieser Lie­ besauffassung, die lediglich in den kultiviertesten und fort­ schrittlichsten Adelskreisen praktiziert wurde, teilhatte, und sie dann, da Eleonore an der Aufstellung der Leitsätze offen­ kundig maßgeblich beteiligt war, etwas genauer zu charakteri­ sieren. Verschiedene Autoren haben versucht, die fine amor auf muslimische Einflüsse zurückzuführen, und in diesem Zusam­ menhang auf eine in den arabischen Ländern, vor allem in Persien, gepflegte, überaus preziöse Liebeslyrik verwiesen, die den Frauen eine sehr gehobene Stellung zuweist. Da es an Beispielen nicht mangelt und die ftne amor überdies zuerst in dem in engem Austausch mit der muslimischen Welt stehen­ den okzitanischen Bereich auftrat, scheint die These vom muslimischen Ursprung nicht ganz von der Hand zu weisen. In Wirklichkeit jedoch nimmt diese Deutung die muslimische Liebesdichtung der damaligen Zeit zu wörtlich oder zu ober­ flächlich. Da diese Gedichte vielfach einer mystischen Liebe Ausdruck verleihen, gilt ihre auf die Frau gemünzte Symbolik in Wahrheit einer verborgenen Gottheit, der man nur auf dem Umweg über die menschliche Erfahrung begegnen kann. Und umgekehrt erweist sich diese muslimische Liebespoesie, soweit sie offen die weibliche Schönheit und Vollkommenheit preist, bei genauerem Zusehen als lyrische Huldigung an die nach alter Tradition zum Objekt des Mannes abgestempelte Frau, die man zwar mit Worten und Geschenken ehrt, aber sorgfältig abseits hält und notfalls in einen Harem sperrt. Die Haremskönigin jedoch ist mit der unumschränkten Herrin und Gebieterin, die uns aus bestimmten höfischen Texten entgegentritt, in keiner Weise gleichzusetzen. 171

Des weiteren läßt die muslimische Gesellschaft jener Zeit bei aller Verfeinerung die für die von derfine amor inspirierten Werke bezeichnenden gynäkokratischen Tendenzen vermis­ sen, und außerdem reicht der vielschichtige Symbolwert der Troubadourdichtung über eine bloße Verherrlichung bzw. Anbetung der Frau hinaus. In dieser Lyrik, die zu Recht als erste eigenständige Äußerung mittelalterlichen Geistes gilt, kommen auch noch andere Phänomene zum Tragen, und so ist die Behauptung, die höfische Liebe sei arabischen Ur­ sprungs, sehr gewagt, auch wenn sich die Beziehungen zwi­ schen den okzitanischen und den muslimischen Dichtem Spa­ niens nicht leugnen lassen (doch Kontakte müssen nicht not­ wendig auf einen tiefgreifenden Einfluß hindeuten). Man hat diesem in den literarischen Werken des 12. Jahr­ hunderts aufgestellten und von Andreas Capellanus, einem Schützling Eleonores, theoretisch abgehandelten Liebeskodex auch bedeutende keltische Komponenten nachgesagt, und wenn wir diesem umfangreichen Problem hier auch nicht weiter nachgehen können, dürfen wir doch voraussetzen, daß die neue Geisteshaltung unter anderem auch von den noch immer lebendigen keltischen Sagen über die Vorrangstellung der Frau und ihre gesellschaftliche und geistige Rolle geprägt wurde. Demnach wäre diefine amor nicht so sehr eine Vergöt­ terung der Frau als vielmehr eine gesellschaftliche Äußerung, das Manifest einer feministischen Forderung und darin Vor­ läuferin der Thesen der Preziosen des 17. Jahrhunderts und ihrer Carte du tendre sowie unserer zeitgenössischen Frauenbe­ wegungen, die um die Anerkennung einer spezifisch weibli­ chen Identität kämpfen. Bei den Kelten, insbesondere den Bretonen und Iren, genoß die Frau im Vergleich zu anderen Völkern dieser Zeit zumindest theoretisch eine bevorrechtete Stellung, und so liegt es nahe, die neuen Theorien der höfi­ schen Liebe als Relikt oder vielmehr als Wiederaufleben der frauenfreundlicheren keltischen Geisteshaltung zu deuten.6 Diese Annahme gewinnt durch die Tatsache, daß im christli­ chen Irland im tiefsten Mittelalter die Scheidung möglich war

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und die Frau nach Auflösung der Ehe wichtige Rechte be­ hielt, sowie durch zahlreiche Hinweise in der höfischen Lite­ ratur, vor allem den Artusromanen und den zugehörigen Zyklen, eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Vielleicht noch wichtiger jedoch sind die mystisch­ religiösen Komponenten derfine amor und der Beitrag, den sie zum Entwurf einer vollkommenen Idealgesellschaft leisteten. In der Tat fällt die Aufstellung der höfischen Thesen mit einer ungeheuren Ausbreitung des Marienkultes zusammen. Die jungfräuliche Gottesmutter wurde zum Musterbild aller Frauen erhoben und eroberte im religiösen Denken den Platz, den einst die alten weiblichen Gottheiten der mediterranen und atlantischen Religionen einschließlich der druidischen eingenommen hatten. Nach dieser Auffassung fuhrt die Jung­ frau Maria als Gegenspielerin Evas (»ein Weib hat das Men­ schengeschlecht ins Verderben gestürzt, ein Weib wird es er­ retten«) ein neues Zeitalter herauf, in dem an die Stelle des Hasses die Liebe treten wird. Als Inbild der Mutterliebe bringt die Mutter Jesu einen Sohn zur Welt, der als Inkarna­ tion der allumfassenden Liebe den alten Traum vom Golde­ nen Zeitalter oder Verlorenen Paradies erfüllen soll, von je­ nem Garten der Freude, in dem Mensch und Tier inmitten ei­ nes ewigen Frühlings einträchtig zusammen hausen. Da ist sie wieder, die Insel Avalon, die berühmte Insula Pomorum, die we­ der Krankheit noch Alter noch Tod kennt und auf der ewig reife Früchte die einzige Nahrung bilden. Wer aber herrscht auf dieser Insel der Seligen? Die Fee Morgane, eine Inkarna­ tion der göttlichen Urmutter. Und dieses »Land der Verhei­ ßung«, wie es die Iren nennen, bietet die bestmöglichen Vor­ aussetzungen für die Errichtung einer Gesellschaft ohne Klas­ sen und vor allem ohne hierarchische Struktur. Diese Vorstel­ lung von einer horizontal gegliederten Gesellschaft, in der die vielfältigen Gefühlsbeziehungen die Grundlage der Familienund Stammesbindungen bilden und das Bestreben herrscht, die eine Gruppe nicht auf Kosten der anderen zu begünsti­ gen, war den alten Dichtem der keltischen Länder be­ 173

sonders Lieb — eine Konzeption, die vor allem das dominie­ rende Interesse verrät, den Zusammenhalt einer sozialen Gruppe ohne Zwang und ohne die bindende Notwendigkeit der Verteidigung zu gewährleisten. Der Grundgedanke des Contrat social, vorausgesetzt, man liest ihn wirklich in Gänze, tritt uns hier sehr deutlich entgegen: Eine Gesellschaft soll ins Leben gerufen werden, in der sich die zwischenmenschlichen Beziehungen aus gegenseitiger innerer Bejahung ergeben, ehe sie bindenden Charakter annehmen. Diese in den Erzählun­ gen von der Insel Avalon, dem Land der Verheißung, dem Märchenland oder der Insel der Frauen geschilderte, horizon­ tal gegliederte Gesellschaft bedeutet für die Kelten offenbar die faßlich gemachte Illustration eines utopischen Zustandes nach Art von Thomas Morus’ Utopia. Und diese Utopie wur­ de mitten im 12. Jahrhundert von einer eben erst einer recht gröblichen und etwas anarchischen Feudalordnung entwach­ senen aristokratischen Gesellschaft wenn schon nicht erfun­ den, so doch neu durchdacht. Somit wird der Wille, die Gesellschaft zu verändern und dem durch die patriarchalische Lebensordnung verdrängten weiblichen Element wieder zum Durchbruch zu verhelfen, zum Ausgangspunkt des Wandels. Keine Sage umschreibt diese Verdrängung anschaulicher als die von der Stadt Is: Das Bild vom Untergang der verfluchten Stadt und ihrer Fürstin Dahud, der »Guten Zauberin«, versinnbildlicht eine Kultur­ form, die man in die Hölle, das heißt in die Finsternis des Un­ bewußten, verbannt. Doch diese Kulturform wird wiederauf­ erstehen, wie nach der Sage die Stadt Is an dem Tag wieder auftauchen soll, an dem Paris versinkt. Die Bedeutung liegt auf der Hand: Paris verkörpert die androkratische, Is die ver­ drängte, aber im Kollektivbewußtsein stets gegenwärtige gynäkokratische Gesellschaft. Diefine amor nun greift diese Bestrebungen des 12. Jahrhun­ derts insofern auf, als sie neue, auf Gefühlsbindungen gegrün­ dete Gesellschaftsbeziehungen schafft. Denn wie der Vasall seinem Herrn mit dem Lehnseid Dienst und Gefolgschaft 174

schwor, war hinfort auch die Frau des Lehnsherrn durch ei­ nen Treueschwur mit den Vasallen ihres Gatten, denen sie als Herrin und Dame Liebe einflößte, verbunden. Nun mag man wohl einwenden, die Verknüpfung zwi­ schen der religiösen Mystik bestimmter literarischer Texte und dieser soziologischen Auffassung sei an den Haaren her­ beigezogen. Aber man sehe sich doch nur einmal den Rah­ men an, in dem das Ritual derfine amor vollzogen wurde, und der bestimmte Bedingungen aufstellte. Die erste Regel bestand darin, verheiratete Ritter aus dem Spiel zu halten, denn wie später für die Besucherinnen der preziösen Salons sind auch nach Auffassung des 12. Jahrhun­ derts Liebe und Ehe völlig unvereinbar. Allerdings stellten die meisten damaligen Ehen tatsächlich nichts weiter als einen öffentlichen Akt dar, durch den man nicht etwa zwei Men­ schen, sondern zwei Vermögen, zwei Güter oder zwei König­ reiche vereinigte. Selbst wenn der Nachweis gelänge, daß Eleonore Heinrich II aus Liebe ehelichte, lag der Hauptbe­ weggrund für ihre Verbindung doch im Zusammenschluß der verschiedenen Provinzen des Westens zu einem mächtige­ ren Staat, der sich den Prätentionen des Lehnsherrn und Kö­ nigs erfolgreich zu widersetzen vermochte. Nachdem also die Frage der Ehe aus dem Spiel der fine amor ausgeklammert, ja verbannt war, blieb die der Liebe. Doch welcher Liebe? Verschiedene Exegeten des Mittelalters haben, namentlich zu Beginn unseres Jahrhunderts, in der Liebe des Ritters zu einer Dame (der Frau seines Lehnsherren) ein durchweg pla­ tonisches, geistig-seelisches Band sehen wollen, durch das der Herr die größtmögliche Zahl an Rittern um sich sammeln und in gesteigertem Maße ihrer Treue sicher sein konnte. Da die Kirche dem Ganzen ihren Segen erteilte, bestand nach Ansicht dieser Kritiker keinerlei Zweifel am rein platonischen Charakter der höfischen Liebe, über deren nutzbringende Rolle für Moral und Politik man allerlei Spekulationen an­ stellte, ja, die man, noch einen Schritt weiter gehend, sogar als hochinteressante Form der Askese auffaßte und mit gewissen, 175

im buddhistischen Tantrismus zum Teil noch heute üblichen Praktiken verglich, mit einem Wort, rein spiritualistisch deu­ tete. Die Wirklichkeit sieht indessen völlig anders aus. Im Licht des Werkes von Andreas Capeilanus und der verschie­ denen Vers- und Prosabücher der höfischen Epoche kann man über die ärgerliche Manie der Vergangenheitsdeuter, ihre Helden um jeden Preis zu dem machen zu wollen, was sie nicht sind, nämlich zu kleinen Heiligen, nur den Kopf schütteln. Denn was uns aus der Troubadourdichtung wie aus den Romanen eines Chrétien de Troyes, insbesondere dem Lancelot oder Karrenritter, der bekanntlich auf Anregung von Eleonores Tochter Marie de Champagne entstand (und mit­ hin Eleonores Einfluß verrät) entgegentritt, ist eine sehr sub­ tile, von René Nelli treffend aufgezeigte Erotik, die sich kurz folgendermaßen umreißen läßt: Ihre Grundlage bilden Offenbarung und Initiation, wobei dem Offenbarungsakt insofern besondere Bedeutung zu­ kommt, als es eine Wahl zu treffen gilt, mit anderen Worten, als der Ritter und Liebhaber in spe seine künftige Dame aus­ erwählen muß. In der Regel sollte sich sein Blick auf die Frau seines Herrn als seine natürliche, um nicht zu sagen »legitime«, Herrin richten, doch da das Feudalwesen vielschichtige Bin­ dungen zwischen Vasallen und Lehnsherren kennt und ein Vasall sowohl mehreren Lehnsherren dienen als auch seiner­ seits Lehnsherr anderer Vasallen sein kann, vollzieht sich die Wahl in Wirklichkeit wesentlich freier. Damit kommen Ge­ sichtspunkte wie Schönheit, Reichtum, aber auch guter Ruf und Ansehen ins Spiel. Denn ein Ritter kann eine Dame nur dann lieben, wenn sie sich seiner Liebe würdig erweist und eine solche Ausstrahlung besitzt, daß er sich mit seinem über kurz oder lang fälligen Liebesschwur, einem regelrechten Treueid, nichts vergibt. Natürlich betonen die literarischen Texte durchweg bis zum Klischeehaften die ungewöhnliche Schönheit der Erwählten (sie ist stets die schönste Frau auf

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Erden und findet an Liebreiz und Klugheit nicht ihresglei­ chen), doch diese Übertreibung ist notwendiger Bestandteil des Spiels: Da der Liebende durch einen sein ganzes bisheri­ ges Dasein verändernden, zukunftweisenden Akt über sich selbst hinauswachsen soll, ist die Idee der Schönheit und Voll­ kommenheit gerade dann unabdingbar, wenn die Wirklich­ keit anders aussieht. Doch nicht nur der Ritter trifft eine Wahl, auch die Dame kann in unumschränkter Freiheit Huldigungen entgegenneh­ men oder gegebenenfalls veranlassen, einen ihr nicht geneh­ men Ritter abweisen oder umgekehrt durch ihre Handlungs­ weise Liebe erzwingen. Dieses von Isolde her bekannte Vor­ gehen, die sich auf den ersten Blick in Tristan verliebt und anschließend seine Liebe weckt, trägt unverkennbar keltische Züge und findet sich im alten irischen Epos anhand zahlrei­ cher Beispiele illustriert.7 Bemerkenswert in all diesen Fällen ist die der Frau zugebilligte Freiheit, ohne Rücksicht auf die männliche Wahl ihrerseits die Entscheidung zu treffen. Letztlich ist die Wahl für die Dame aber noch wichtiger als für den Ritter, der durch diesen Akt seinem Streben nach ei­ nem Ideal an Schönheit und Vollkommenheit Ausdruck ver­ leiht, während sie ein regelrechtes Netz von Männerbeziehun­ gen aufbaut. Ihre ritterlichen Anbeter - denn sie besitzt deren selten nur einen — stehen ihr zu Diensten und damit im Dien­ ste der von ihr versinnbildlichten Gemeinschaft, als deren Oberhaupt ihr Gatte, der Herr, fungiert. Wie man sieht, ist der politische Aspekt derfine amor nicht minder bedeutsam als der mystische oder religiöse. Schließlich darf man nicht übersehen, daß die Ritter im 12. Jahrhundert eine relativ geschlossene Kaste bilden, die sich nach und nach ihrer Macht bewußt wird. Die Herren besitzen wohl Ländereien, können aber ohne die Ritter nichts ausrich­ ten, die ihnen zusehends ihr Gesetz aufdiktieren und sie zu »konstitutionellen« Souveränen machen. Dies muß ein Hein­ rich IL Plantagenet am eigenen Leib erfahren, der, nachdem er mit seinem Lehnsherrn, dem König von Frankreich, um je-

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den Hilfsdienst geschachert hat, selber wiederholt zum Spiel­ ball der Launen seiner Vasallen wird. Angesichts der Notwendigkeit aber, sich die Dienste treuer Ritter zu sichern, sahen sich die Herren nicht nur gehalten, ei­ ne Einrichtung wie diefine amor zu dulden, sondern förderten sie sogar ausgesprochen. Schließlich konnte ihnen nur daran gelegen sein, die Ritter durch einen zusätzlich zum Lehnseid geleisteten Liebes- und Treueschwur noch enger an sich zu binden. Daher denn auch die geringe Eifersucht, mit der die großen Herren des 12. Jahrhunderts die Huldigungen der Verehrer ihrer Frauen zur Kenntnis nahmen. Die Ritter ihrerseits wiederum sahen in dieser Einrichtung eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Je höher die Stellung, die die von ihnen erwählte Dame in der Hierarchie einnahm, desto förderlicher für ihren eigenen Rang. Und da viele Ritter bekanntlich nur Pferd und Rüstung besaßen, die sie oft genug noch verpfänden mußten8, war der Minnedienst auch von handfesten materiellen Interessen bestimmt. Deshalb gibt auch Artus in den Romanen der Tafelrunde trotz Ginevras Untreue nie eine lächerliche Figur ab: Das Mo­ tiv des betrogenen Königs (bzw. im Rahmen derfine amor des 12. Jahrhunderts, des betrogenen Herrn), das mit dem der »Heiligen Hure« und des notwendigen Ehebruchs zusammen­ hängt, entstammt einer sehr alten Überlieferung und hat wie das (recht unzutreffend so bezeichnete) ius primae noctis'’ mit kriegerischen Zauberriten zu tun. So erklärt im irischen Epos Tain Bo Cuailnge (Der Raub der Rinder von Cuailnge) König Ailill auf die Mitteilung, man habe seine Frau, die Königin Mebd, in flagranti mit dem Helden Fergus entdeckt, nur lapidar, dies sei für den Erfolg des Kriegszuges erforderlich gewesen — was ihn indessen nicht vor eifersüchtigen Regungen bewahrt. Die Werbung hatte nach einem festgelegten Schema zu er­ folgen, das heißt, der Ritter mußte sich blindlings an den durch seine Wahl bejahten Kodex halten, sich besonders takt­ voll zeigen, die Ehre seiner Dame achten, ihr aber dennoch beharrlich den Hof machen und vor allem unbedingt bewei­ 178

sen, daß ihn die Liebe zu seiner Erwählten zu aufsehenerre­ genden Großtaten befähigte. So betrachtet, bildete die fine amor einen mächtigen Ansporn zu heldenhaftem Handeln und lieferte somit nicht nur der Dame und der Mitwelt, sondern auch dem Ritter selbst den Beweis, daß er über sich hinaus­ wachsen konnte. Bekanntlich stand bei allen Handlungen des einzelnen Ritters der Kastenstolz der ganzen Ritterschaft auf dem Spiel, und so beweist die in den Artusromanen geschil­ derte Gepflogenheit der Helden der Tafelrunde, ihre Gefan­ genen zumeist zu Königin Ginevra oder einer anderen hoch­ gestellten Dame zu schicken, welche Bedeutung man den im Namen der Dame vollbrachten Kriegstaten des Mannes bei­ maß. All diese Vorstellungen hängen mit Liebes- und Kampfesinitiationsriten zusammen, deren Vorbild sich gleichfalls im keltischen Bereich findet. So zeigt die irische Erzählung Die Erhebung Cüchulainns auf, wie der Held Kampfmethoden, Zau­ berkunststücke und sexuelle Betätigung von kriegerischen, eher an Hexen oder Unterweltgottheiten als an Menschen er­ innernden Frauen lernt.10 Und von Frauen derselben Art wird auch der Held einer anderen irischen Erzählung, Finns Kindheit, erzogen und geschult.11 Der Waliser Peredur schließ­ lich erringt seine volle Manneskraft und die Befähigung zu Heldentaten im Umgang mit den Hexen von Kaer Loyw, was ihm übrigens am Ende der Erzählung seiner Abenteuer zum Sieg über sie verhilft, da er allein all ihre Geheimnisse einschließlich der in den alten Überlieferungen so zahlreich vertretenen Zauberkunststücke kennt.12 In allen drei Fällen sind Magie, Sexualität und Kriegskunst aufs engste mitein­ ander verquickt, das heißt, wir haben es eindeutig mit einer Initiation der männlichen Jugend und ihrer umfassen­ den Vorbereitung auf das Erwachsenendasein zu tun, des­ sen wesentliche Komponenten Geschlechtlichkeit, Tod (das Vermögen zu töten) und Herausforderung (die Magie, die zwangsläufig die eingefahrene Ordnung stört) darstellen. Dieselben Züge finden wir, dem Geschmack des 12. Jahr-

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hunderts entsprechend, in verfeinerter Form in der fine amor wieder vor. Diese geheimnisvolle Initiation vollzieht sich übrigens in sehr einfachen Etappen: Der von Großtat zu Großtat fort­ schreitende Ritter erreicht schließlich eine Stufe, die ihm die Aussicht auf Belohnung eröffnet. Der Lohn kann schlicht in einem Blick bestehen, der ihm bestätigt, daß er sich auf dem rechten Weg befindet und ihn ermutigt, in seinen Bemühun­ gen fortzufahren, später auch in einem leichten Händedruck, dann in einem züchtigen Kuß. Zeigt sich der Ritter ausdau­ ernd und den Ratschlägen seiner Dame, die in Wirklichkeit Befehlen gleichkommen, gegenüber gehorsam, winkt ihm höherer Lohn. Dann erhält er Zutritt zu ihrem Gemach, darf mit ihr reden und erringt so von Begegnung zu Be­ gegnung (Zeit spielt für Liebende keine Rolle) ein Anrecht auf Freuden, die die Allerweltsmoral zwar mißbilligt, die Kirche des 12. Jahrhunderts aber allem Anschein nach nicht verurteilt. Diese Freuden haben nichts »Platonisches« im landläufigen Sinn an sich, sondern beruhen auf echten sexuellen Beziehun­ gen. Zunächst zeigt sich die Dame dem Liebhaber ganz oder teilweise nackt und gestattet ihm im weiteren Verlauf immer gezieltere und intimere Zärtlichkeiten. Zuweilen darf er sich mit der Dame, die ihm die langersehnte Belohnung gewährt, auf einem Lager ausstrecken, doch wenn diese Liebesspiele auch meist in einem Orgasmus gipfelten, kam es, jedenfalls im strikten Rahmen derfine amor, nie zum Koitus, den man weit mehr aus magischen als aus moralischen Gründen verwarf. Denn nach damaliger Ansicht bewirkte bereits das Eindrin­ gen des männlichen Organs in den Körper der Frau eine Art Imprägnierung, die die legitime, vom Gatten gezeugte Nach­ kommenschaft veränderte. In Anbetracht dieser möglichen Beeinträchtigung der Rasse durch den Geschlechtsakt aber konnte eine androkratische Gesellschaft, in der das ganze Ge­ sellschaftssystem auf der männlichen Erbfolge beruhte, trotz sehr weitreichender sexueller Freiheiten die vollständige Ver-

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einigung nicht gestatten, zumal auch die Empfängnisverhü­ tung in den primitivsten Anfängen steckte.13 Doch die Initiation des Ritters endete mitnichten mit die­ sem Triumph, sondern setzte sich fort, da ihn die Liebe zu seiner Dame und die Hoffnung auf Lohn zu immer neuen Akten der Selbstüberwindung anspomte. Ein Text wie Chrétien de Troyes’ Karrenritter bringt das sehr deutlich zum Aus­ druck: Lanzelot hat einen Augenblick lang gezögert, den Schandkarren, das einzige Mittel der Wiedervereinigung mit Ginevra, zu besteigen und damit das Mißfallen der Königin erregt. Er hat seinen Minnedienst schlecht ausgeführt und da­ mit das Anrecht auf den Lohn verwirkt, der ihm für Ginevras Befreiung eigentlich zustünde. Wie man sieht, stellt diefine amor Forderungen, die unter keinen Umständen übertreten werden dürfen, darunter den bedingungslosen Gehorsam ge­ genüber der Dame. Dies zeigt sich im selben Chrétien-Text, wenn Lanzelot im Turnier gegen Meleagant — in der Ursage Sinnbild des Todes, bei Chrétien symbolhafter Gegenpol der Ritterlichkeit - auf Ginevras Geheiß »zum schlechtesten«, das heißt, wie ein Feigling kämpfen muß, obwohl ihm sein Stolz mutiges Verhalten gebieten würde. In dieser entscheidenden Episode wird Lanzelot zu Ginevras »Spielzeug«, ist nur noch eine Marionette, deren Fäden allein die Königin zu ziehen vermag. Lanzelot kämpft also wie ein Feigling und erntet all­ gemeines Hohngelächter, bis ihm das Gebot der Königin »kämpfe aufs beste« den Einsatz aller Mittel erlaubt und zum Sieg verhilft. Dieser Sieg kommt ihn sehr teuer zu stehen, denn er bezahlt ihn mit einem außergewöhnlichen Akt der Selbstüberwindung, ja schon Selbstaufgabe. Hier haben wir es nicht mehr mit einem schlichten Ritual, sondern mit einem echten philosophischen System zu tun. Dieses philosophische System hatte für eine Frau von Eleonores Bildung und Geistesgaben zweifellos etwas Ver­ führerisches. Möglicherweise hat sie gewisse Einzelheiten so­ gar selber angeregt, mit Sicherheit aber für die Verbreitung dieser Lehre gesorgt, die ihr naturgemäß liegen mußte. Ihre 181

Vorrangstellung in Poitiers erhob sie zu einer Art Schieds­ richterin über Sitten und Denkungsart, und so fand sie bei der Klärung eines schwierigen Liebesproblems ohne Zweifel ebenso Gehör, wie sie sich umgekehrt zur »Komplizin« all der in der alten Stadt der Pictones (Poitiers) zusammenströmen­ den Poeten machte. Untersucht man das kulturelle Wirken der Königin-Herzogin genauer, kann man nur staunen, mit welcher Tatkraft sie Erfindungen aller Art schützte und förder­ te. Und da Kultur und soziales Leben einer Epoche unauflös­ lich miteinander verflochten sind, hat sie während der Blüte­ zeit des 12. Jahrhunderts auf das westliche Denken unbestreit­ bar einen entscheidenden Einfluß ausgeübt. Darüber hinaus aber hat sie auch durch den Einfluß, den sie zweifelsohne auf Heinrich IL und später auch auf ihren Sohn Richard Löwen­ herz besaß, an der Verbreitung des Artusmythos mitgewirkt, dem die Plantagenets aus politischen Beweggründen in Euro­ pa zum Durchbruch verhalfen, und so indirekt das Ihre zu den mit dem Bekanntwerden der altkeltischen Epenwelt14 verbundenen sozialen und politischen Begleiterscheinungen beigetragen. Im übrigen wird Eleonores wichtiger Beitrag bei der Auf­ stellung der Leitsätze derfine amor auch von Andreas Capellanus bestätigt. Der Autor der gegen Ende des 12. Jahrhun­ derts auf Anregung der Gräfin Marie de Champagne verfaß­ ten Ars honeste amandi, der zu Eleonores »Kommensalen« zählte und sie mithin gut kannte, erörtert in seiner sehr locker an Ovid angelehnten Abhandlung über die Liebeskasuistik The­ men und Streitfragen, wie sie die Königin-Herzogin und ihre Gefährtinnen zweifellos schätzten, und erwähnt auch die von den Frauen gebildeten Liebesgerichtshöfe, bei denen Eleono­ re im wörtlichen und übertragenen Sinn den unangefochte­ nen Vorsitz führte. Diese offenbar zu verschiedenen Zeitpunkten abgehaltenen Liebesgerichte reichen bis in die Anfänge von Eleonores Herrschaft zurück, das heißt lassen sich, wenn schon nicht für Paris, so doch jedenfalls für Poitiers nachweisen, wo Eleonore

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1152 nach ihrer Eheschließung mit dem ganz von der nor­ mannischen und englischen Thronfolge beanspruchten Hein­ rich viele Monate lang residierte. Aber auch später, als die neue Königin durchs Land zog und in den verschiedenen Städten ihres Riesenreiches hofhielt, wurden derartige Sitzun­ gen anberaumt. Laut Andreas Capellanus leisteten Eleonore bei dieser Gelegenheit die beiden Marien, ihre Nichte Isabella von Vermandois, die als Schirmherrin der Troubadours be­ kannte Vizegräfin Ermengarde von Narbonne und eine ganze Anzahl von Dichtem Gesellschaft, die zu diesen Veranstal­ tungen der Damen stets Zutritt hatten und zu den erörterten Fragen ebenfalls ihre Meinung abgeben durften. Nebenbei be­ merkt entfielen von den einundzwanzig bei Andreas Capella­ nus aufgefuhrten »Liebesurteilen« fünf auf Ermengarde, sechs auf Eleonore und sieben auf Marie de Champagne, die sich in dieser Kunst offenbar besonders auszeichnete. Alles deutet darauf hin, daß sie sich für dieselben Fälle begeisterte und die gleichen Ansichten vertrat wie ihre Mutter. Letztlich jedoch stellen die Uebeskunst des Andreas Capella­ nus wie die Liebesgerichtshöfe und ihre Urteile nur eine be­ sonders lebendige Äußerung jener Philosophie dar, die die von Eleonore mehr oder minder stark geförderte und beein­ flußte damalige Intellektuellenschicht bewegt. Wie bereits auf­ gezeigt, weist die »Frauenbewegung« des 12. Jahrhunderts, zumindest in ihrem geistigen Grundgehalt, typisch keltische Züge auf, während sie ihre Form eindeutig unter dem Ein­ fluß der Troubadourdichtung empfängt. Die fälschlich als »provenzalisch« bezeichneten Troubadours (die meisten stammten aus der Auvergne und dem Limousin und waren nicht nur im okzitanischen Bereich, sondern auch im Norden überall zu Hause) verfaßten als erste Lobgedichte auf die Schönheit und die Vorzüge einer fiktiven oder wirklichen Da­ me, sogenannte TLnsenhamen, und trugen so zur Verbreitung ei­ nes Bildes der Frau bei, das von dem in den voraufgehenden Jahrhunderten gängigen stark abwich. Das erste dieser Ge­ dichte wurde 1155 von einem gewissen Garin le Brun, Herrn

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von Châteauneuf-de-Randon, verfaßt und einer »hohen Da­ me« gewidmet — zweifellos der Königin-Herzogin, deren Af­ tervasall dieser Getreue Ermengardes von Narbonne war. Im übrigen förderten die Randons die Literatur vor allem an ih­ rem Hof in Le Puy, wo auch das von Chrétien de Troyes in Erve et Enide aufgegriffene »Sperberspiel« üblich war — ein Hin­ weis, daß sich der Trouvère aus der Champagne entweder zeitweise in Le Puy aufhielt oder doch zumindest über die dortigen Vorgänge im Bilde war. Noch ein weiterer, zwischen 1170 und 1180 von Arnaut-Guilhem de Marsan abgefaßter, sehr bedeutender Ensen­ hamen mit dem Titel Der Ritter, der den Damen gefallen möchte, der in Eleonores Ländereien, und zwar in der Gascogne, ent­ stand, zeigt ganz unverkennbar den Einfluß des Hofes von Poitiers. Im übrigen sollten auch noch andere literarische Gesell­ schaftsspiele rasch Berühmtheit erlangen. So wurde vom frü­ hen 12. Jahrhundert an im ganzen okzitanischen Bereich die Denso, eine Art dialogischer Auseinandersetzung, und der dar­ aus abgeleitete Partimen oderJoc-Partit (jeu-parti) praktiziert, ein Versdialog, in dem zwei Dichter jeweils entgegengesetzte An­ sichten zu einem Problem der Liebeskasuistik vertreten, deren die geistige Elite offenbar nicht im mindesten überdrüssig war. Bemerkenswerterweise spielt der erste, vermutlich um 1180 entstandene Partimen in französischer Sprache zwischen Herzog Gottfried von der Bretagne, Eleonores Sohn, und dem Trouvère Gace Brûlé, und in einem anderen Partimen antwortet derselbe Gottfried einem okzitanisch sprechenden Troubadour in französischen Couplets - recht aufschlußreich für die Vorgänge am Hof von Poitiers mit seinem Sprachenund Kulturgemisch. Und wenn all diese Spiele auch nur Un­ terhaltungen darstellten, mit denen sich Eleonore und die hochgestellten Damen ihrer Umgebung die Zeit vertrieben, fanden sie doch bei der damaligen Intellektuellenwelt unge­ heuren Widerhall. Auch hier wieder scheint Eleonore der

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Ausgangspunkt eines über sie hinausgreifenden Wandels, der die gesamte abendländische Kultur erfaßte. Wenn es auch zutrifft, daß die Plantagenets durch großzü­ gige Förderung der Dichter und Schriftsteller aus Anjou, der Normandie, Bretagne, dem Poitou und England die französi­ sche Literatur recht eigentlich ins Leben riefen, müssen wir dieses Urteil doch etwas differenzieren. Zwar bezeigte Hein­ rich IL, dessen »Großmachtpolitik« sich auf Großbritannien und das Festland ersteckte, Interesse an der Verbreitung des Artusmythos und finanzierte großzügig Welke über diesen unangefochtenen Einiger verschiedener Völker, aber im Grunde war er ein Kriegerkönig, der wesentlich mehr Zeit auf die Bändigung seiner Vasallen als auf die Befriedigung li­ terarischer Neigungen verwandte. Tatsächlich stand Heinrich als zutiefst antihöfischer Herrscher den »höfischen« Ideen fern, die denn auch an seinem Londoner Hof eine wesentlich geringere Rolle spielten als an dem von Paris. Da aber Hein­ rich öfter auf dem Festland als auf der ihm zugefallenen Insel residierte, dürfte die literarische und künstlerische Renaissan­ ce des 12. Jahrhunderts in der Tat wesentlich das Werk Eleo­ nores und ihres selbst als Dichter tätigen Sohnes Richard Lö­ wenherz gewesen sein. Jedenfalls erlebt die sogenannte höfi­ sche Literatur, jene harmonische Synthese zwischen der Lehre der Troubadours, den bretonischen Erzählungen und der französischen Dialektik, zwischen 1152 und 1174 ihren be­ deutendsten Aufschwung, während mit Eleonores zeitweili­ gem Abtritt von der politischen Bühne im Jahre 1173 auch die literarische Produktion schlagartig zurückgeht — ebenso ein Beweis für die wichtige Rolle der Königin-Herzogin wie der Umstand, daß König Heinrichs Staaten während Eleono­ res Gefangenschaft in Winchester und Salisbury keine literari­ sche Hauptstadt mehr besitzen. Erst nach Heinrichs Tod nimmt die gewaltige literarische Explosion dann ihren Fort­ gang, bordet weit über ihren ursprünglichen Rahmen hinaus und erfaßt endgültig ganz Europa. Auch hier wiederum

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scheint sich allein schon Eleonores Präsenz an der Spitze des Plantagenet-Reiches positiv auszuwirken. So hat die Enkelin Wilhelms IX. die höfische Huldigung des vor seiner »Dame« knienden Ritters und Troubadours »mit Wucherzinsen«, wie Rita Lejeune meint, auf ihr Konto verbucht. Schließlich leitet sich Dame von lateinisch domina, »Herrin«, her, und wer wäre eine so ideale und allmächtige Herrin wie sie? Bleibt noch aufzuzeigen, wie sich Eleonore den Dichtem und Schriftstellern ihrer Zeit gegenüber konkret verhielt und um welche Leute es sich dabei handelte. Alfred Jeanroy, der sich als einer der ersten französischen Mediävisten systema­ tisch mit der Troubadourdichtung befaßt hat, behauptet: »Die frivole und eitle Eleonore mußte diesen Ruhmrednem, den Troubadours, voller Wohlwollen gegenüberstehen. Wir ken­ nen zwar nur einen einzigen ihrer Schützlinge namentlich, dürfen aber sicher sein, daß es in ihrer Umgebung von Poe­ ten und Spielleuten nur so wimmelte.«15 Wenn dieses strenge Urteil auch gewisser Korrekturen bedarf — denn weder war Eleonore die »frivole« Königin noch ist die Troubadourdich­ tung wirklich lobrednerisch - erkennt es doch Eleonores un­ angefochtene Herrschaft über die literarische Welt der dama­ ligen Zeit an. Bei dem von Jeanroy erwähnten Schützling handelt es sich offenkundig um den Troubadour Bernhard von Ventadom aus dem Limousin, den die Sage zum Anbeter und sogar Liebhaber Eleonores abgestempelt hat. Doch wenn er auch bei der Königin, die er in zahlreichen Gedichten besungen hat, in ganz besonderer Gunst stand, profitierte er doch kei­ neswegs als einziger von ihrer Großzügigkeit. Eleonore hat auch so bedeutende Vertreter der Literatur des 12. Jahrhun­ derts wie Jaufré Rudel, Cercamon, Marcabru, AmautGuilhem de Marsan, Peire Roger, Peire d’Auvergne und Bernard Marti gefördert, lauter Dichter, die aus ihren eigenen Ländereien stammten, sich mit Ausnahme des früh verstorbe­ nen Jaufré Rudel untereinander kannten, wiederholt zusam­ mentrafen und, wie an gewissen Debatten und Partimen

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ersichtlich, auch gegenseitig Kritik übten. Daß diese Trouba­ dours Eleonore nach damaligem Brauch unter verschiedenen Pseudonymen verherrlichten und dabei auch heute nicht mehr verständliche Anspielungen gebrauchten, ist mehr als wahrscheinlich. Im übrigen läßt sich trotz persönlicher Eigenarten bei all diesen Dichtem eine gewisse stilistische Einheitlichkeit wie auch dieselbe Liebesauffassung beobachten, was zu dem et­ was vorschnellen Urteil geführt hat, die Troubadourdichtung sei kalt und unpersönlich und stelle eher ein literarisches Spiel als den Ausdruck wirklich erlebter Gefühle dar. Man darf in­ dessen nicht übersehen, daß diese höfische Dichtung einem hochgestellten, an einen gehobenen Ton gewöhnten Publi­ kum galt und daß sich der Gegenstand der kollektiven Schwärmerei der Hofdichter bewundernswert gut mit dem ihrer persönlichen Liebesleidenschaft deckte, das heißt, daß Eleonore sehr gut ihre eigene idealisierte und mit allen er­ denklichen Vorzügen ausgestattete Geliebte hätte sein können - eine keineswegs ausgefallene Erscheinung. Man denke nur an Nerval, in dessen Dichtung die Jungfrau Maria, die Göttin Isis, seine eigene Mutter und alle Frauen, die er kennenlemte, Jenny Colons Züge tragen. Wir haben es hier schlicht mit Poesie zu tun, und die Kunst des Dichters besteht ja gerade darin, Gefühle und Empfindungen von einer wirklichen auf eine imaginäre oder unerreichbare Person zu übertragen, was Königin Eleonore für die meisten dieser Dichter faktisch dar­ stellte. Zwar erstarren die Äußerungen der Dichter gegen Ende des Jahrhunderts, als die inzwischen alt gewordene Königin nur noch durch ihre sagenhafte Aura und den Ruhm ihrer einstigen Schönheit herrscht, zu literarischen Formeln, stereo­ typen Wendungen, doch dasselbe gilt auch für jede andere Neuerung: Was zunächst echt und wirklich war, wird nach ei­ niger Zeit zur Mode, die man blindlings, manchmal bis ins Lächerliche, nachahmt. So verwandelt sich die Troubadour­ dichtung in eine förmliche Poesie, hinter der die Verfasser 187

verschiedene, hauptsächlich religiöse Anliegen verbergen, in­ dem sie zum Beispiel unter ihrer »Dame« die von der Kirche offiziell bekämpfte Katharersekte verstehen. Charakteristisch für die der Königin Eleonore treu ergebe­ nen Troubadours sind aber auch der so gern angeschlagene spöttische Ton und die Schmähungen, die sie ausstoßen, wenn die Leidenschaft in Eifersucht oder Zorn umschlägt. Diese Dichtung zeigt bereits all die später den Besuchern der preziösen Salons des 17. Jahrhunderts wohlvertrauten Schat­ tierungen der Liebespsychologie. Wie viele Liebeshändel, feu­ rige Beteuerungen, Eifersuchtsausbrüche, Tränen offenbaren diese Verse, die, wiewohl offensichtlich Gelegenheitsdichtun­ gen, doch niemals ins Platte absinken... Daß der Verehrer die Geliebte an den Pranger stellt, weil sie die Augen auf einen anderen Mann zu richten wagte oder mit ein paar Freunden allzu sehr kokettierte, erstaunt nicht weiter, sieht es doch ganz so aus, als hätten Cercamon, Marcabru, Peire d’Auvergne, Bemard Marti und die anderen aus Eifersucht über die Anzie­ hung, die Eleonore auf die Männerwelt ihrer Zeit ausübte, auf diese Weise ihrer Bitterkeit und Verstimmung Ausdruck verliehen. Wer dächte da nicht an die Faszination, die Köni­ gin Ginevra auf die Ritter der Tafelrunde ausstrahlte? Wie bereits erwähnt, hat Andreas Capeilanus sein Werk, eine geglückte Zusammenfassung der Eleonore so teuren hö­ fischen Thesen, in freier Anlehnung an Ovid verfaßt, und es steht außer Zweifel, daß die Königin-Herzogin, die in ihrer Kindheit und Jugend eine sorgfältige Erziehung genossen hatte, den Verfasser der Metamorphosen und der Ars amandi mit in Mode gebracht hat. Diesen Einfluß Ovids zeigt bereits ein 1155 veröffentlichtes, der traditionellen epischen Gattung noch sehr nahestehendes und, wie die Analyse der Sprachge­ stalt offenbart, im Poitou entstandenes anonymes Werk, der Thebenroman, und wesentlich deutlicher noch der um 1160 ge­ schriebene Aeneasroman, dessen namentlich gleichfalls nicht be­ kannter Verfasser der normannischen Schule am Hof der Plantagenets angehörte. Das Werk, eine geschickte Vergilbe-

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arbeitung, verdankt seinen Erfolg und seine Originalität im wesentlichen der angefügten, breit ausgewalzten, turbulenten Liebesgeschichte zwischen Aeneas und Lavinia, in der sich die höfische Minne in ihrer ganzen Problematik anschaulich abgehandelt findet: Seufzer, Wehklagen, Seelenqualen, innere Monologe - nichts fehlt, und so ist das Werk bereits ein Vor­ läufer des Tristanromans von Thomas, der in der Behandlung der Liebeskasuistik mit all ihren Finessen bekanntlich einzig­ artig dasteht. Trotz ihres literarischen Charakters müssen Ovids Thesen die Leser oder Hörer des Aeneasromans bewegt haben, die hier den ganzen Fragenkomplex der Beziehung zwischen Liebenden, der sie so nachhaltig beschäftigte, erör­ tert fanden. Noch deutlicher als in Erzählwerken wie dem Theben- oder dem Aeneasroman tritt Ovids Einfluß in der Lyrik Bernhards von Ventadom und seiner Zeitgenossen zutage. In dieses von der okzitanischen Poesie geprägte Umfeld gehören auch fran­ zösischsprachige antikisierende Romane wie Pyramus und Thisbe oder Nardssus, die gleichfalls auf der Liebesthematik aufbauen, und wohl auch die Philomena des Chrétien de Troyes, der be­ kanntlich zahlreiche von Ovid inspirierte, mittlerweile ver­ schollene, aber offenbar von der Vorstellungswelt der aquita­ nischen Höfe geprägte Werke verfaßte; und schließlich noch das literarische Ereignis der Jahre 1160 bis 1165, der Trojaroman des Benoît de Sainte-Maure. Obwohl dieser Autor Eleonores Namen nicht nennt, wis­ sen wir doch, daß er bei der Abfassung seines Werkes an sie dachte und ihr zu gefallen suchte. Sie ist nachweislich die »rei­ che Dame eines reichen Königs«, der er den Roman widmet16 und bei der er sich sogar dafür entschuldigt, seine Heldin Briseis als Inbild weiblicher Unbeständigkeit gezeichnet zu ha­ ben, eine Figur, die deutlich gewisse Charakterzüge von Eleo­ nore erkennen läßt, auch wenn diese eher der Sage als der wirklichen Geschichte der Königin-Herzogin entnommen sind. Jedenfalls zeigen die »antiken« Romane das in Eleonores

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Umgebung herrschende Bestreben, das klassische Altertum einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. So bricht die ehedem den Klerikern vorbehaltene griechisch-römische Überlieferung (in lateinischer Sprache, da das Griechische als Sprache der Häretiker im Abendland unbekannt geblieben war) mit voller Wucht ins kulturelle Leben ein und integriert gleichzeitig alle Neuerungen derfine amor, so hält die vordem nur hinter Klostermauem und den Pforten der hohen Schu­ len gepflegte Bildung Einzug ins Dasein des Adels - offen­ sichtlich ein Ereignis von erheblicher Tragweite. Falls Eleo­ nore (worauf alles hindeutet) mit den Hauptanstoß zur Neu­ entdeckung und Verbreitung der klassischen Kultur gegeben hat, gebührt ihr als einer der bemerkenswertesten Frauen des Mittelalters unsere volle Bewunderung. Wie Rita Lejeune be­ merkt, erscheint es nicht recht glaubhaft, »daß Zehntausende von Versen der klassischen Triade zufällig im Laufe weniger Jahre an ihrem Hof entstanden sein sollten. Zweifellos steckte dahinter ein bewußtes Wollen, eine offizielle Förderung und Rollenverteilung«. Und in der Tat erscheint alles organisiert und »geplant«, als hätten Eleonore und ihre Umgebung dem Reich der Plantagenets zu einer außergewöhnlichen kulturel­ len Dimension verhelfen wollen. Noch zwei weitere bedeutende Werke des 12. Jahrhunderts verdanken ihre Entstehung Eleonore — der Roman de Rou und der Roman de Brut des Magisters Robert Wace, seines Zei­ chens Kanonikus zu Bayeux, der im Dienste der Königin stand (das machte der Anfang des 12. Jahrhunderts schreibende Layamon nach Eleonores Tod publik). Nach Layamons Dar­ stellung hatte der normannische Kleriker bereits seinen 1155 entstandenen Roman de Brut, eine französische Bearbeitung der Historia Regum Britanniae des latinisierenden Walisers Gottfried von Monmouth, Eleonore gewidmet. Im übrigen umreißt Robert Wace im Prolog klar und deutlich seine Absichten: Er will die Geschichte der Könige schreiben, die als Vorläufer Heinrichs IL über England und die Normandie herrschten, und macht sich daher an eine freie Übertragung des bedeu190

tendsten auf der Insel entstandenen Werkes, in dem sich ver­ schiedene Überlieferungen zusammengefaßt finden, darunter vor allem die keltische, die die Vereinigung beider Kronen gewissermaßen rechtfertigt. Wace verfolgte und verwirklichte den Vorsatz, seinen Brut als eine Art Vorwort zu gestalten und anschließend im Roman de Rou (das heißt dem Bericht über Rollo, den ersten Herzog der Normandie) die Geschichte der Normannen bis herunter zu Stephan von Blois, der Kaiserin Mathilde und den Plantagenets zu erzählen. Nun ist aber der zum Lobe der Plantagenets verfaßte Brut erstaunlicherweise nicht Heinrich IL, sondern Eleonore ge­ widmet, was gewissen Mediävisten recht zu geben scheint, die Eleonore nicht nur als Empfängerin, sondern auch als Auftraggeberin dieses Werkes betrachten. Und da Wace sein Mammutunterfangen vor Eleonores »Scheidung« in Angriff genommen haben muß, brachte die Herzogin von Aquitanien der Geschichte der Bretonen bis in ihre sagenhaften Anfänge hinein offensichtlich schon lange vor ihrer Wiederverheira­ tung großes Interesse entgegen und leistete mithin wohl einen ebenso bedeutenden Beitrag zur Verbreitung der Artussagen wie Heinrich IL auch wenn sie sich dabei möglicherweise (was am Endergebnis freilich nichts änderte) von anderen Be­ weggründen leiten ließ. Während der Roman de Brut eine ganze Reihe von Romanen über Themen der Artussage auslöste, verfolgte Wace selbst, wie erwähnt, andere Pläne. Die Bretonen, in seinen Augen Fabulierer (»Die Bretonen erzählen oftmals Märchen...«) in­ teressierten ihn nicht weiter, sondern dienten ihm lediglich zum Nachweis der faktischen Überlegenheit der Normannen, von der er, wie der Roman de Rou zeigt, zutiefst überzeugt war. Wace dediziert sein Werk zwar Eleonore und Heinrich, wen­ det sich aber in der Widmung mehr an die Königin, was dar­ auf hindeuten könnte, daß er sich zur glänzend begabten, für gedankliche Feinheit aufgeschlossenen Enkelin Wilhelms des Troubadours stärker hingezogen fühlte als zu seinem natürli­ chen Herren, dem kämpferischen, eher der Kriegführung als 191

der Würdigung literarischer Werke zuneigenden Plantagenet. Es erscheint deshalb auch nicht ausgeschlossen, daß Wace, weil er auch während Eleonores Haft treu zu ihr hielt, in Un­ gnade fiel: Tatsächlich erwuchs ihm noch vor Fertigstellung seines Row in der Person seines Mitbruders Benoît de Sain­ te-Maure ein Rivale, der von Heinrich IL den Auftrag erhielt, eine Chronik der Herzöge der Normandie zu verfassen. Diese Hypo­ these gewinnt noch dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß offen­ bar zur selben Zeit auch Chrétien de Troyes in Ungnade fiel, der allerdings nicht unmittelbar von Eleonore, sondern von ihrer Tochter, Marie de Champagne, gefördert wurde. Bei Chrétien de Troyes erhebt sich außerdem die Frage, ob er nicht ein Verwandter der normannischen Herzogsfamilie war — jedenfalls soll er als Vetter Stephans von Blois zu den Plantagenets und damit zu Eleonore gestoßen sein. Aber so schwer sich diese Frage auch klären läßt, außer Zweifel steht doch, daß Chrétien fortgesetzt enge Kontakte zum Hof von Poitiers unterhielt; wo anders hätte er sich diese vertiefte Kenntnis des bretonischen Sagengutes aneignen können als in Poitiers, wo ebenso viele bretonische Barden wie okzitanische Troubadours verkehrten? Bekanntlich hat der Trouvère aus der Champagne ein recht umfangreiches Frühwerk, darunter auch den ersten Tristan in französischer Sprache, verfaßt, das aber mit Ausnahme eines ziemlich geistlosen Romans mit dem Titel Wilhelm von England untergegangen ist. Sein erstes erhaltenes Werk über einen Artusstoff, sein Roman Erec et Enide, geht zum einen auf einen Vorwurf zurück, der in Britannien offenbar weithin bekannt war, da eine aus anderer Quelle stammende walisische Ver­ sion in groben Zügen den gleichen Handlungsverlauf zeigt, und zum anderen auf einen gelehrten Ursprung — nämlich den früher entstandenen, geschickt ausgewerteten Brut von Wace, mit dessen zusammenhängender Darstellung Chrétien eine Artusepisode verquickte. Interessanterweise wimmelt es im Erec von Anspielungen auf Ereignisse, die sich in der Armorika zutrugen. So hat 192

Chrétien unter anderem die 1166 vollzogene Verlobung der damals fünfjährigen Konstanze von der Bretagne mit Gott­ fried Plantagenet, dem Sohn Heinrichs IL und Eleonores, mit eingebaut, so erinnert der wie zufällig in Nantes spielende Empfang Erecs in seinen Ländereien an den Empfang Gott­ frieds als Herzog der Bretagne im Mai 1169 und die schwel­ gerische Beschreibung des Artushofes an die Vollversamm­ lung, die Heinrich und Eleonore an Weihnachten dessel­ ben Jahres, wiederum in Nantes, abhielten, wo auch Erecs Krönung spielt. Kurzum, Erec ist ohne Zweifel von armorikanischen Einflüssen gefärbt, die Chrétien, soweit er nicht selbsterlebte Fakten verarbeitet, Leuten aus Eleonores Umgebung oder Augenzeugen der betreffenden Ereignisse verdankt. Über die Vorgänge am englischen Hof war Chrétien, wie verschiedene Passagen seines Romans beweisen, gleichfalls bestens informiert, wie überhaupt viele Einzelheiten auf eine gründliche Vertrautheit des Autors mit der britischen Insel schließen lassen. Auch in einem anderen Roman, Cligès, einer Art »Anti-Tristan« (das heißt, einer vielleicht als Huldigung an die untadelige Gattin Eleonore gedachten Verherrlichung der ehelichen Liebe) geizt Chrétien de Troyes nicht mit sach­ lich korrekten Einzelheiten, die gleichfalls darauf hindeuten, daß er England aus eigener Anschauung kannte. Dieser Umstand berechtigt zwar für sich allein genommen noch nicht zu der Annahme, daß Chrétien zu Eleonores Ge­ folgschaft zählte, doch finden sich in seinem Weik verstreut noch weitere Hinweise dieser Art. So liegt zunächst einmal auf der Hand, daß Chrétien bei der Abfassung seiner Lyrik von Anbeginn an bei den Troubadours in die Schule ging und aus ihren Werken die Anfangsgründe höfischer Den­ kungsart bezog — mit dem wesentlichen Unterschied, daß er diese »Höfischkeit« von der lyrischen auf die epische oder wenn man so will, auf die romanhafte Gattung übertrug. Das jedoch muß er irgendwo gelernt haben. Eins seiner Lieder lehnt sich unmittelbar an ein bekanntes okzitanisches Vorbild, 193

das berühmte Lerchenlied Bernhards von Ventadom, an, viel­ leicht ein Hinweis darauf, daß er Eleonores Schützling kannte und daß sich die beiden Männer in Eleonores Umfeld begeg­ net sein könnten. Ein weiteres wichtiges Beurteilungskriteri­ um liefert der bei beiden Dichtem nachweisbare Einfluß Ovids: Falls es zutrifft, daß Chrétien (mit Sicherheit vor 1170) die Ovidiana verfaßte, muß er sie an Eleonores Hof geschrie­ ben haben, wo diese Themen zu den literarischen Pflichtübun­ gen zählten. Später, nach Eleonores Gefangenschaft, folgt Chrétien dann ihrer Tochter Marie an den Hof der Cham­ pagne und verfaßt für sie den Lancelot, welcher noch ganz die Atmosphäre der Liebesgerichtshöfe und der Troubadourka­ suistik atmet, und den Yvain. Aus alledem darf man schlie­ ßen, daß Chrétien de Troyes sich seine Sporen in Eleono­ res Umgebung verdiente und hier die »Tristanperiode«, wie die Mediävisten sie gern nennen, durchlebte — eine Periode, die auch für andere Dichter äußerst bedeutsam ge­ wesen sein dürfte. Bekanntlich hatte die Tristansage in die okzitanische Litera­ tur schon sehr frühzeitig Eingang gefunden. Die beiden wich­ tigsten Texte in französischer Sprache, der von Berol und der von Thomas, sind, auch wenn sie jeweils von anderem Geist getragen sind, in ihrer Sprachgestalt doch beide anglonormannisch17 und richten sich beide an ein eher mit dem Hof der Plantagenets als dem der Kapetinger vertrautes Publikum. Außerdem sind beide gleichermaßen mit Einzelheiten aus der Liebeskasuistik der Troubadours befrachtet, auch wenn Berols Tristan »volkstümliche« Züge aufweist, während die von Thomas verfochtene These, die Liebe sei stärker als aller Zwang, ganz den Neigungen von Eleonores Umgebung ent­ spricht und damit eine unmittelbare Beziehung des Autors zur Königin-Herzogin verrät. Alles in allem aber trägt die ganze Art und Weise, wie die beiden wichtigsten Tristan-Autoren ihr Thema behandeln, unverkennbar Eleo­ nores Stempel. Im übrigen müssen wir gerechtigkeitshalber neben Berol, Thomas und dem unbekannten Verfasser 194

der Oxforder FoZrif Tristan auch noch Marie de France be­ nennen, deren Lai du Chevrefeuilie gleichfalls höfischen Geist atmet. Allem Anschein nach ist Marie de France, von der wir praktisch nur wissen, daß sie die uneheliche Tochter von Heinrichs Vater Gottfried Plantagenet war, während ihrer ge­ samten literarischen und gesellschaftlichen Laufbahn im Ban­ ne ihrer Schwägerin und Ratgeberin Eleonore von Aquita­ nien gestanden, und so ist ihr Werk ganz von den Diskussio­ nen und Urteilen an Eleonores Hof durchdrungen. Marie de France handelt die unterschiedlichsten Episoden der breto­ nisch-armorikanischen Überlieferung in striktester höfischer Manier ab, wie sich auch ihre moralischen Diskurse meist auf Probleme beziehen, die aus den theoretischen Traktaten des Andreas Capellanus sattsam bekannt sind. Auch hier wieder stoßen wir auf die Allgegenwart jener idealen und weithin be­ rühmten Gebieterin, die überall Gehör fand, so daß sich ihre persönliche Liebesauffassung in einer Fülle von Werken nie­ derschlagen konnte und damit immer neue Denkanstöße lie­ ferte. So kann man mit Fug und Recht behaupten, daß es oh­ ne Eleonore eine höfische Literatur, zumindest in französi­ scher Sprache, nicht gäbe und daß ohne sie die meisten kelti­ schen Liebessagen dem gebildeten Europa des 12. Jahrhun­ derts unbekannt geblieben wären. So hingegen brauchte eine für die Liebe wie für die Dichtkunst gleichermaßen begeister­ te Königin nur den durch ihre festländischen und britischen Besitzungen ziehenden bretonischen Erzählern ihr Ohr zu lei­ hen, um einen in der Literaturgeschichte einzigartigen Prozeß auszulösen — den Einbruch eines jahrhundertealten Mythos und seine Verjüngung durch Dichter, die uns als Beweis ihres Genies ein grandioses Fresko hinterlassen haben. Tristan, Isolde, Artus, Ginevra, Lanzelot, Gawein, Merlin, Iwein, Laudine, Luned, Viviane und Morgane, all diese Namen wä­ ren ohne Eleonore der Vergessenheit anheimgefallen, hätten, statt zu allgemeingültigen Symbolen aufzurücken, allenfalls ein Schattendasein geführt. Ihre Bewahrung bestätigt die Her­ 195

zogin von Aquitanien, die Gräfin von Poitou, die Schirmher­ rin der Künste und Literatur, mehr als alles andere als unan­ gefochtene Königin der Troubadours.

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4 Sagen um Eleonore

Überfliegt man die wichtigsten Abschnitte im Leben Eleo­ nores von Aquitanien, stößt man auf eine Reihe authenti­ scher, durch stichhaltige Dokumente verbürgter Fakten. Doch wie viele Mutmaßungen sind daneben nötig, um ein umfassendes Bild jener Frau zu zeichnen, die als Königin über zwei verschiedene Länder herrschte! Ständig tappt man im Ungewissen, welche Rolle sie wirklich gespielt hat, stößt auf Lücken, die die Phantasie nicht mehr ruhen lassen. Und diese Ungewißheit, diese Lücken gaben auch den Hauptanstoß zur Entstehung jener Legende, die von Schriftstellern und Chro­ nisten bereits im 12. Jahrhundert verbreitet wurde, Leuten, die persönliches Interesse an der Herzogin von Aquitanien nahmen, sie zum Vorbild erwählten und durch Umgestaltung und Umsetzung all dessen, was ihnen nicht gefiel, zum regel­ rechten Kunstgegenstand machten. Denn letztlich reicht die Gestalt Eleonores, wie sie uns aus den Chroniken entgegen­ tritt, über die wirkliche Frau hinaus: Sehr früh schon erhob man sie zur Heldin nach Art des höfischen Romans, zum be­ sonders farbigen Symbol und Idealbild der Frau des 12. Jahr­ hunderts. Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang auch den Antipathien, ja, gehässigen Regungen Rechnung tragen, die Eleonore weckte. Als Fremde, die sich anders gab als die üb­ rigen Frauen und allein schon durch ihr Verhalten, selbst wenn ihm an sich nichts Tadelnswertes anhaftete, Anstoß er­ regte, genoß sie bei den Chronisten des »Nordens« wenig Be-

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liebtheit. Sie betrachteten diese Südländerin, die sie nicht ver­ standen und daher als noch rätselhafter empfanden, als Vor­ kämpferin einer von Grund auf anderen Lebenshaltung und Gesittung, die es unter allen Umständen zu bekämpfen galt. Ganz Ähnliches gilt auch für die »englischen« Chronisten, zu­ meist Normannen, die ihre Königin gleichfalls nicht mit Samthandschuhen anfaßten und ihr vorwarfen, sie interessie­ re sich mehr für ihre aquitanischen Besitzungen als für die Normandie und England. Auch für sie blieb sie die Auslände­ rin, über die man, namentlich während ihrer Gefangenschaft, allerlei Verleumdungen verbreitete und schmutzige Geschich­ ten erfand, um damit Heinrich EL zu hofieren. All das vollzog sich im Rahmen der damaligen literarischen Renaissance, im Umfeld der Troubadourlyrik und der von ihr angeregten Dichtung, zur Zeit des Aufschwungs der sogenannten höfi­ schen Romane, in denen die alten keltischen Sagen über die Frau wieder auflebten und sich, vielfach durch Übernahme und Umgestaltung eines zeitgenössischen Vorbildes, zu typen­ haften Gestalten verdichteten. Trotz aller negativen Tendenzen jedoch hat die Herzogin von Aquitanien seit ihrer Verheiratung mit Ludwig VIL auf die geistige Elite ihrer Zeit eine echte Faszination ausgeübt, und zwar aus drei Gründen. Zum einen war sie nach dem Zeugnis vieler Autoren wunderschön und büßte ihre Schön­ heit auch im Alter nicht ein. Zum anderen besaß sie, zur da­ maligen Zeit eine Seltenheit, eine umfassende Bildung und ei­ nen zeitlebens regen Verstand. Und drittens herrschte sie als Machthaberin über ein ausgedehntes Gebiet und war sich ih­ rer politischen Rolle vollauf bewußt. So ist es nach dem Bi­ belspruch »wer hat, dem wird gegeben« nicht weiter erstaun­ lich, daß sich immer neue und weiter ausgeschmückte Sagen um sie rankten, die bei aller Unüberprüfbarkeit doch stets ein Körnchen Wahrheit enthalten, so daß sich anhand der wich­ tigsten Anekdoten über diese sagenhafte Heldin schließlich doch noch ein halbwegs vollständiges Bild ihrer Persönlich­ keit zeichnen läßt.

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Die erste Anekdote kreist um die mutmaßliche Liebesbe­ ziehung der noch unverheirateten Eleonore zu ihrem jugend­ lichen Onkel Raimund, und tatsächlich scheinen sich die bei­ den, wie bereits erwähnt, in vielem sehr ähnlich gewesen zu sein: Beide waren gebildet, liebten Dichtung und Kunst und entfalteten großen Ehrgeiz. Als Wilhelm X. zur Wallfahrt ins Heilige Land aufgebrochen war, hatte er die Vormundschaft über Eleonore und ihre Schwester Raimund anvertraut, und so waren Eleonore und ihr Onkel sehr häufig und zuweilen, besonders beim gemeinsamen Ausritt, auch unter vier Augen beisammen. Von da bis zu der Vorstellung, außer großer Zu­ neigung und gemeinsamen Vorlieben sei auch noch anderes im Spiel gewesen, war nur ein Schritt, der rasch vollzogen wurde. Und als es später in Antiochia zwischen Eleonore und Ludwig VII. zum Zerwürfnis kam, erinnerte man sich sofort dieser alten Komplizenschaft und beschuldigte Raimund, das gute Einvernehmen des Paares zu stören und weiter zu ge­ hen, als einem Onkel gestattet sei. Was zwischen den beiden wirklich spielte, werden wir nie erfahren, lassen sich doch die Gerüchte über ihr angebliches Liebesverhältnis weder erhärten noch entkräften. Wir wissen lediglich, daß der König von Frankreich in seiner Eifersucht den von Raimund ausgearbeiteten Plan verwarf und mit der Königin etwas überstürzt nach Jerusalem aufbrach. Anderer­ seits stoßen wir hier auf ein aus Epos und Mythologie be­ kanntes Motiv, das ohne Zweifel zur Entstehung der Sage beitrug — das Motiv des Inzestes. Man darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen, daß das 12. Jahrhundert innerhalb der mittelalterlichen Sittenge­ schichte die größte Kühnheit, Freiheit und, zumindest theore­ tisch, in dem Sinn die größte Immoralität entfaltete, als es die herkömmliche Moral zugunsten einer anderen, weniger starr an die Gebote des Christentums gebundenen ablehnte. In die­ ser Zeit erlebt die Sage von Tristan und Isolde als absoluter Triumph der alle Tabus brechenden Liebe ihre größte Ver­ breitung, jene ständig vom Inzest überschattete Geschichte, 199

auch wenn die Autoren diesen Punkt nicht expressis verbis erwähnen. Bedenkt man, daß Isolde Tristans Tante ist und Marke als Tristans Onkel mütterlicherseits den Vater vertritt und diese Rolle gegenüber seinem verwaisten Neffen und vorgesehenen Erben auch wirklich spielt, springt die Überein­ stimmung mit der Phädrasage in die Augen. Geht man dann noch den keltischen Ursprüngen der Tristansage nach, stößt man auf Schritt und Tritt auf das Motiv der Übertretung des Inzesttabus.1 Die Vorstellung einer Liebschaft zwischen Nichte und On­ kel mußte um so verlockender erscheinen, als es an histori­ schen Beispielen nicht mangelte: Erregte nicht der byzantini­ sche Kaiser Manuel Komnenos, der die Kreuzfahrer so gast­ freundlich aufgenommen hatte, durch sein stürmisches Ver­ hältnis zu seiner Nichte Theodora, das als Verstoß gegen die herrschenden Sitten, als nahezu magische Übertretung der gültigen gesellschaftlichen Tabus empfunden wurde, öffentli­ ches Ärgernis? Natürlich konnten sich nur außergewöhnliche, den alten Göttern und Heroen verwandte Figuren derartiges erlauben, denn für die gewöhnlichen Sterblichen barg der In­ zest Gefahren und bedrohliche Folgen aller Art, denen sich nur Übermenschen gewachsen zeigten. Raimund und Eleo­ nore ein Liebesverhältnis anzudichten, hieß demnach, sie auf eine höhere Stufe heben, auf der die für die breite Masse gel­ tenden Gesetze ihre Gültigkeit verloren. Damit »vergöttlich­ te« man das Paar und umgab Eleonore mit einer recht son­ derbaren Aura. Aber war es, wenn man der Dame schon die Rolle zudachte, den Ritter in die Liebe einzuweihen, nicht umgekehrt auch nötig, ihr selbst diese Einführung angedeihen zu lassen, womöglich durch ein älteres Familienmitglied? Denn Dame im Sinne der domina, der Herrin und Gebieterin, war Eleonore von frühester Jugend an, gebot sie doch nicht nur über Ritter und Troubadours, sondern auch über Könige und Fürsten - Züge, die man später nahezu vollständig in der literarischen Gestalt der Artusgattin Ginevra wiederfindet. Doch von diesem unbestreitbar hereinspielenden mytholo-

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gischen Zug abgesehen, entspricht das Liebesverhältnis zwi­ schen Raimund und Eleonore auch ganz den »feministischen« Forderungen der damaligen Zeit, wie überhaupt der histori­ sche Raster von Eleonores Leben diesen Aufschwung der »Frauenbewegung« veranschaulicht. Die höfische Liebe pro­ pagiert bekanntlich die weibliche Freiheit außerhalb der Ehe, die im 12. Jahrhundert stärker denn je als Versklavung der Frau und mit echter Liebe unvereinbar betrachtet wird. Die Ehe ist ein gesellschaftlicher Akt, nicht mehr, und als solcher für Zeugung, Erbfolge und, da die Familie die wesentliche Grundlage menschlicher Gruppierungen jeglicher Art und Größenordnung bildet, für die Aufrechterhaltung des sozialen Gleichgewichtes erforderlich. Davon abgesehen jedoch ist man sich zur damaligen Zeit der Doppeldeutigkeit dieser Ein­ richtung bewußt, die das Christentum lediglich als Ventil für die Sexualität und als einzig mögliche Lösung des Fortpflan­ zungsproblems duldete. Damit setzte im Abendland der gro­ ße und langanhaltende Konflikt zwischen Liebe und Ehe ein, wobei das mutmaßliche Verhältnis zwischen der noch ledigen jungen Herzogin Eleonore und ihrem Onkel eine Lanze für das Recht der Mädchen brach, jenseits aller politischen und religiösen Zwänge frei über ihr Herz und ihren Körper zu verfugen. Und wenn in dieser wohlgeordneten Gesellschaft die Frau auch nicht den Partner ihrer Wahl heiraten konnte, weil ihr Vater alles entschied, betonte sie zumindest durch ihr Verhalten vor und nach der Ehe ihre Unabhängigkeit von dem ihr angetrauten Mann. Denn nach der höfischen Auffas­ sung der Zeit verhalf der Gatte der Frau zu Kindern, der Liebhaber dagegen zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Es erweist sich als völlig unmöglich, die wahren oder er­ fundenen Abenteuer Eleonores von Aquitanien zu untersu­ chen, ohne auf das Problem der höfischen Lebensauffas­ sung einzugehen, denn Eleonore verkörpert die höfische Frau. War sie sich der Rolle bewußt, die ihr aus den Um­ ständen heraus zuwuchs? Mit Sicherheit ja, denn sie lebte von Kindheit an in einer Umwelt, die diesen Fragen große 201

Bedeutung beimaß und sie leidenschaftlich erörterte. Die En­ kelin Wilhelms des Troubadours, des Erfinders des Trobar clus, jener hermetischen, verfeinerten und preziösen Dicht­ kunst, die die Lyrik ummodeln und die Liebeskasuistik in Schwung bringen sollte, mußte sich für die Liebesprobleme interessieren, die das ganze Wesen der Frau betrafen. Au­ ßerdem tauchte in dieser von der spanisch-muslimischen My­ stik eingefärbten Troubadourdichtung das aus dem kelti­ schen Bereich stammende Idealbild der Frau wieder auf, die über Schönheit, Bildung, gewisse Zauberkräfte und damit Verführung!künste verfugt und vor allem Überlegenheit und Freiheit versinnbildlicht — lauter Züge, die Eleonore verkör­ perte. Gleichfalls recht aufschlußreich ist jene andere, zwischen der damaligen Königin von Frankreich und dem jungen Saldebreuil spielende Episode. Bekanntlich wollten bei den unter Eleonores Vorsitz abgehaltenen Turnieren viele Ritter für sie in die Schranken treten, ihre Farben tragen, wie man damals sagte. Soweit ist auch alles historisch verbürgt: Nach herr­ schendem (ursprünglich okzitanischem) Brauch huldigte man der Schönheit und dem Adel einer Dame, indem man für sie Heldentaten vollbrachte. Die Saldebreuil-Episode jedoch, gleichviel, ob wahr oder erfunden (was sich nicht feststellen läßt), wimmelt von versteckten Anspielungen, die man als an­ stößig bezeichnen könnte und die sie in die Nachbarschaft der Sage rücken. Und diese Sage entfaltet wohlgemerkt nur ein Thema: das der in Eleonores Umgebung herrschenden Sinn­ lichkeit. Sie selbst gilt, was am sittenstrengen französischen Hof nicht gerade eine Empfehlung darstellt, als sinnliche Frau und weckt außerdem als Gegenstand der sexuellen Begierden die Sinnlichkeit ihrer Mitwelt. Um kurz die überlieferten Fakten zu rekapitulieren: Als Eleonore eines Tages ihre Ritter im Scherz fragt, wer von ih­ nen bereit sei, splitternackt in einem ihrer Hemden gegen ei­ nen voll gerüsteten Gegner anzutreten, meldet sich sofort der 202

junge Saldebreuil, übrigens ein Aquitanier, und wird, nach­ dem er im Kampf verwundet worden ist, von Eleonore hin­ gebungsvoll gepflegt. Beim anschließenden Mahl erscheint die Königin dann in dem berühmten blutbefleckten Hemd, was den König nicht wenig verstimmt. Die Anekdote, ob wahr oder erfunden, konfrontiert uns mit einem in unserer eigenen Zeit recht gängigen Phänomen - dem des Fetischismus. Saldebreuil verhält sich ganz wie die Fans vieler Stars des Showbusiness, die in Trance fallen, wenn ihr Idol auf der Bühne singt und sich auf es stürzen, um einen Fetzen seiner Kleidung zu ergattern, den sie wie einen Schatz hüten. Zwar beobachtet man dieses Verhalten gegen­ wärtig mehr bei der weiblichen als bei der männlichen Ju­ gend, doch bliebe erst noch zu ermitteln, was im Bewußtsein und vor allem im Unterbewußten der jungen Männer ange­ sichts eines weiblichen Idols vorgeht. Bei dieser bei sehr vielen Individuen beiderlei Geschlechts in unterschiedlichem Grade ausgeprägten fetischistischen Tendenz2, deren unverkennbar sexuelle Komponente die Tie­ fenpsychologie aufgezeigt hat, handelt es sich um den Ver­ such, zu einer geliebten oder besonders bewunderten Person einen intimen Kontakt herzustellen.3 Gelingt dies nicht, dient der Fetischismus als Ersatzbefriedigung: Da man den Körper der betreffenden Person nicht berühren kann, hält man sich an ein Kleidungsstück oder einen Teil eines Kleidungsstücks, an dem gewissermaßen noch die körperlichen Spuren dieser Person haften. Diese Tendenz kann in manchen Fällen sehr weit gehen und Handlungsweisen auslösen, die man gemein­ hin etwas voreilig als unsittlich abqualifiziert und die im Ex­ tremfall zum Transvestismus führen.5 Bei Saldebreuil tritt zu diesem Fetischismus noch ein Iden­ tifikationsvorgang: Er setzt sich mit der Dame, das heißt, Eleonore, gleich. Da er das Hemd auf der nackten Haut trägt, kämpft in Wirklichkeit sie selbst und erringt, sofern er ob­ siegt, über ihn als Zwischenträger den Sieg. Dazu kommen noch weitere, undurchsichtigere Komponenten: Die Verbin-

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düng von Sexualität und Tod versetzt den Ritter in gesteiger­ te Erregung. Er ist sich der Todesgefahr bewußt, aber hieße im Hemd der geliebten Dame fallen nicht, die höchste Stufe der Wollust erreichen? Eleonore ihrerseits spielt in dieser Ge­ schichte die Rolle der tyrannisch fordernden, grausamen Ge­ bieterin, die ihren ritterlichen Geliebten ohne Bedenken in Gefahr bringt, obwohl sie genau weiß, welch großes Risiko er in diesem Zustand der physischen Unterlegenheit läuft. Ande­ rerseits aber erntet sie, da sich der Geliebte für sie zur Selbst­ aufopferung bereit zeigt, den höchsten Liebesbeweis. Damit befinden wir uns wieder mitten in der höfischen Problematik, wie sie später der stark von Eleonores Tochter, Marie de Champagne, und damit letztlich von Eleonore selbst beeinflußte Chrétien de Troyes in seinem Karrenritter aufrollt. Um seinen Lohn zu erhalten, muß sich der Liebende der Her­ rin in unumschränktem Gehorsam unterwerfen, wobei Saldebreuils Lohn in der Fürsorge der Königin besteht. Eleono­ re ihrerseits hingegen verleiht ihrem Triumph in einem exhi­ bitionistischen Akt Ausdruck: Sie erscheint beim Mahl im blutbefleckten Hemd, bekräftigt so, wie begehrenswert und schön sie ist und demonstriert gleichzeitig ihr Vermögen, von ihren Anbetern jede Heldentat zu erwirken. Daß man es nicht verabsäumte, Saldebreuil in der Folge unter die Liebhaber der Königin einzureihen, versteht sich von selbst. Eleonore vollzieht an Saldebreuil, der sie nach Darstellung der überlieferten Anekdote wie viele Ritter ihres Gefolges als Inbild der Schönheit, Vollkommenheit und hoheitsvollen Er­ habenheit liebt und sich von ihrem moralischen Glanz völlig geblendet zeigt, in logisch-konsequenter Weise die Liebesin­ itiation. Darauf bedacht, unter ihren Anbetern denjenigen aus­ zuwählen, der sie bis zur Raserei zu lieben vermag, unterzieht sie die Aspiranten einer Prüfung und bietet als Gegenleistung ein Pfand, das Hemd, das, wie sie wohl weiß, den Kandida­ ten stählen wird. Damit ist die erste Stufe der Initiation voll­ zogen: der Kontakt durch ein zwischengeschaltetes Objekt. Die zweite Stufe besteht dann in der liebevollen Pflege des

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verwundeten Kämpen. Vielfach muß sich der Ritter mit ei­ nem flüchtigen Kuß, einem leisen Händedruck begnügen, den er sich durch Befolgung der Regeln der Liebeskunst, durch unumschränkten Gehorsam gegenüber seiner Dame verdient hat. Auch Saldebreuil hat die ihm auferlegte Probe bestanden und erhält seinen Lohn. Erklimmt er später höhere Stufen, erweist er sich als vollkommener Liebhaber, winkt ihm weit mehr. Deshalb konnte sich auch die Sage dieser Epi­ sode bemächtigen, aus der man im Bestreben, Eleonore zur neuen Messalina abzustempeln, auf eine Liebschaft zwischen ihr und Saldebreuil schloß - ob zu Recht oder Unrecht, sei dahingestellt. Jedenfalls zeigt sich die geistige Elite des 12. Jahrhunderts, was immer diejenigen, die in der höfischen Minne eine geläu­ terte und platonische Form der Liebe sehen wollen, dagegen einwenden mögen, von der Erotik besessen. Die Trouba­ dourdichtung ist teils von zarter, teils von recht handfester Erotik durchzogen, und auch die Romane der Tafelrunde entfalten eine bei aller Verfeinerung sehr fleischliche Sinnlich­ keit. In diesen Rahmen fugt sich zwangsläufig auch das Bild ein, das die Chronisten des 12. Jahrhunderts von Eleonore gezeichnet haben. Im Grunde verkörpert sie die Frau im um­ fassenden Sinn, auf die sich die eingestandenen oder ver­ drängten Begierden einer gewissen Anzahl von Höflingen und Dichtem richten. Daß man die Königin von Frankreich wegen ihrer Sitten angriff, beweist zum einen die von ihr aus­ gehende erotische Anziehung, zum anderen aber auch die Ablehnung ihrer an solche geistige und körperliche Freiheit nicht gewohnten Umgebung. Bekanntlich steht die Frau ja auf zweideutige Weise im Mittelpunkt von Begierde und Ab­ scheu, ist Gegenstand der Lust und des Ekels. So verkörpert Eleonore in der christlich eingefärbten Sicht des 12. Jahrhun­ derts mit seinem sich üppig entfaltenden Marienkult die Selig­ keit (in einem etwas fragwürdigen Paradies), als satanisches Wesen gleichzeitig aber auch die Verdammnis. Diese Betrach­ tungsweise ist für die damalige Zeit typisch: Alles, was sich 205

nicht an die Normen hält, was aus dem Rahmen des Ge­ wohnten fällt, stinkt nach Pech und Schwefel, liegt im ge­ heimnisvollen Schattenglanz des Teuflischen. Eleonores Ruhm aber beruht gerade auf ihrem - durch verbürgte oder frei erfundene Episoden belegten — anstößi­ gen Verhalten. Läßt sie nicht der Verfasser einer Reimchro­ nik des 13. Jahrhunderts, Philipp Mousket, nach dem Konzil von Beaugency vor ihren Baronen alle Hüllen abstreifen und ohne die Spur von Scham erklären:

Seht her, ihr Herrn: Ist köstlich nicht mein Leib? Der König nannte mich ein Teufelsweib! Und wenn man Stephan von Bourbon, einem Prediger des 13. Jahrhunderts, glauben darf, zog sie sich eines Tages den scharfen Tadel des damaligen Bischofs von Poitiers, Gilbert de la Porree, zu, weil sie ihm ein zwar überaus liebenswürdi­ ges, aufgrund der versteckten Anspielungen aber auch höchst verfängliches Kompliment über seine schönen Hände ge­ macht hatte. Ob wahr oder erfunden, tut nichts zur Sache, wichtig ist vielmehr, daß Eleonore nicht nur als Wesen aus Fleisch und Blut, sondern vor allem auch als Symbol der Frau ihrer Zeit empfunden wurde. Und diese Frau nun will sich, koste es, was es wolle, vom Gängelband der Männer befreien, um ihrerseits die Welt zu beherrschen. Dazu sind ihr alle Mit­ tel recht, besonders die Sinnlichkeit, die sie zu wecken und dank der sie sich Gehör zu verschaffen vermag. So zieht Eleo­ nore die Blicke ganz Europas auf sich, so kann ihr nach ihrer Verheiratung mit Heinrich II. der Verfasser einer deutschen Satire, der seinen Begierden recht unverblümt Ausdruck ver­ leiht, den Vers widmen:

W'aer diu werlt alliu mtn von dem mere unz an den Rin, des wolt ih mih darben, daz diu chünegin von Lngellant laege an minen armen. 206

(»Wäre auch die Welt ganz mein, von dem Meer bis an den Rhein, gern ließe ich sie fahren, wenn die Königin von Engelland läge in meinen Armen.«) Wobei der anonyme Dichter nur das laut äußert, was all die Männer in Eleonores Gefolge verstohlen bei sich dachten. Eleonores Teilnahme am Kreuzzug ließ die Sagen noch üppiger ins Kraut schießen. Da die Chronisten über diesen Punkt nur wenig zu vermelden wissen, kommen die unwahr­ scheinlichsten Gerüchte auf, darunter das bekannte, wenn auch reichlich spät erfundene Märchen von den Kriegstaten der an der Spitze eines Frauentrupps gegen die Sarazenen rei­ tenden Königin von Frankreich. Offensichtlich galt es die Anwesenheit Eleonores und der Frauen der anderen Barone im Kreuzfahrerheer zu rechtferti­ gen. Die Behauptung, Eleonore habe den König von Frank­ reich begleiten wollen, besitzt wenig Wahrscheinlichkeit, auch wenn einer Frau ihrer Art der Wunsch, bei einem Kriegszug mitzumachen, zuzutrauen wäre. Andererseits wurde die Teil­ nahme Eleonores und zahlreicher weiterer Frauen an einem religiösen Feldzug als um so unpassender empfunden, als sich, wie die Chronisten anmerken, beim Heer eine den frommen Zielen des Kreuzzugs wenig förderliche Stimmung ausbreite­ te. So hat man Eleonore, sei es zur Rechtfertigung, sei es, um sie in einem noch abstoßenderen, »teuflischeren« Licht er­ scheinen zu lassen, zur Königin eines Amazonentrupps erho­ ben, der sich auf den Feind stürzt, ihm hart zusetzt, aber auch - als Kehrseite der Medaille - gewagte Unternehmungen an­ zettelt, die das ganze Heer in Gefahr bringen. Das romantische Bild der auf einem Schlachtroß an der Spitze eines berittenen Frauentrupps einhersprengenden Eleo­ nore stellt sie vollends als die ideale Frau heraus. Sie ist nicht nur gebildet, schön, klug, ist nicht nur rechtmäßige Herrsche­ rin, sondern auch Kämpferin und kriegerische Gebieterin, die die Massen begeistert und sie im Glücksrausch zu großen Taten führt. Und wie sie sich einen Saldebreuil (dem wir wie 207

durch Zufall im Kreuzfahrerheer wiederbegegnen) durch einen gefährlichen, um ihretwillen geführten Kampf unterwirft, weckt sie, diesmal für die gute Sache, den Mut der Krieger, unter denen sich auch viele ihrer eigenen Vasallen befinden. Doch dieses Bild einer an der Spitze einer bewaffneten Truppe kämpfenden Eleonore paßt nicht recht zum Wesen der höfischen Frau, die sich damit begnügte, den Ritter zu Heldentaten anzuspomen, ohne je selbst in den Kampf einzu­ greifen. So wartet in Chrétien de Troyes’ Karrenritter die von Meleagant, dem König von Gorre, entführte Königin Ginevra geduldig, bis sie einer ihrer Getreuen, sei es Lanzelot oder Gawein, befreit. Denn wenn die Dame auch die höchste Herrschgewalt ausübt, ist es doch am Ritter zu handeln. Die Frau des 12. Jahrhunderts nimmt, selbst wenn sie aufgrund ihrer Stellung einen Krieg auslösen kann, niemals selbst an der Schlacht teil.6 Erst im 14. Jahrhundert sollte sich eine Frau, Johanna von Flandern, genannt »Johanna die Flamme« — sie war die Gattin des Kronprätendenten des Herzogtums Bretagne, Johann von Montfort - an der Spitze einer Truppe in Hennebont durch Heldentaten auszeichnen, die dem gestähltesten Krieger Ehre gemacht hätten - von der Jungfrau von Orléans noch ganz zu schweigen.7 In alledem klingt die Erinnerung an die Amazonensage an, wie sich auch vielfältige Überschneidungen mit keltischen Heldinnen finden, namentlich denen der irischen Epen, in de­ nen es an kriegerischen Frauen nicht mangelt. Da sind vor al­ lem Königinnen wie Ness, die Mutter des berühmten Königs Conchobar von Ulster8 und die als furchterregende Heldin mehrerer Erzählungen, insbesondere des Raubs der Rinder von Cuailnge bekannte Königin von Connacht, Mebd.9 Diese Frauen führen offensichtlich nicht nur den Oberbefehl, son­ dern greifen an der Spitze ihrer Truppen auch direkt in den Kampf ein und gebärden sich dabei oft wie entfesselte Furien. Ähnliches gilt im geschichtlichen Bereich für das Abenteuer der bretonischen Königin Buddica, die erbittert gegen die rö­ mischen Legionen kämpfte.10

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In anderem Zusammenhang, der diese Elemente eindeutig in vorkeltische Zeiten verweist, ist in den irischen Epen auch viel von kriegerischen Frauen von mehr oder minder hexenhaftem oder zauberischem Wesen die Rede, die die jungen Männer ins Waffenhandwerk einweihen. Diese im allgemei­ nen in Schottland hausenden Kriegerinnen suchen die künfti­ gen irischen Helden auf, um sich in der Kenntnis der Kriegs­ kunst zu vervollkommen. Doch außer ins Waffenhandwerk und die zugehörigen, zur Überrumpelung des Gegners dienli­ chen Zaubertricks weisen die Frauen die gewissermaßen bei ihnen einquartierten jungen Männer auch in die sexuellen Praktiken ein und schließen mit ihnen zu diesem Behuf regel­ rechte Ehen auf Zeit. So verläßt in einem Text wie der Erziehung Cüchulainns der künftige Verteidiger Ulsters seine Braut Emer, um in Schottland bei kriegerischen Frauen von wahrhaft hexenhaftem Aussehen, deren Namen, Scatach (»die große Angst einflößt« oder »die schützt«) und Uatach (»die ganz Furchtbare«) deutlich ihr Wesen verraten1', alle Kampf­ methoden zu lernen und eine regelrechte sexuelle Initiation zu durchlaufen. Auch der in früher Kindheit von den Mördern seines Va­ ters verfolgte Held von Leinster, Finn, wird von hexenhaft anmutenden Kriegerfrauen großgezogen und geschult, wächst unter ihrer Obhut zu einer über das gewöhnliche Maß hinausragenden Persönlichkeit heran und kann allen ihm be­ gegnenden Gefahren die Stirn bieten.12 Und ähnlich wird auch im walisischen Epos von Peredur der Held von den Hexen von Kaer Loyw ins Waffenhandwerk eingefuhrt und mit unfehlbar zum Sieg führenden Taktiken vertraut ge­ macht.13 Dieses Motiv der kriegerischen, die Initiative ergreifenden Frau taucht auch in der Sage von der ihren Amazonentrupp anführenden Eleonore wieder auf, wobei der erotische Aspekt hier ebensowenig fehlt wie in jener anderen Sage aus der Zeit der Kreuzzüge, der Liebesgeschichte zwischen Tank­ red und KJorinde.14 Krieg und Sexualität sind unauflöslich 209

miteinander verquickt, nur daß die Krieger im vorliegenden Fall nicht durch die Aussicht auf das als Beute winkende Frauenvolk der eroberten Städte, sondern von ihren eigenen, zur Schlacht aufrufenden Frauen zu Kampfeswut und sexuel­ ler Begierde angestachelt werden (nach alledem erscheint es nicht weiter erstaunlich, daß die Chronisten über mangelnde Zucht im Kreuzfahrerheer klagen). So betrachtet, mag es durchaus zutreffen, daß der mit den Kreuzfahrern ziehende Damentroß die militärischen Opera­ tionen behinderte, auch wenn es keinerlei Beweis für eine Be­ teiligung Eleonores und der Frauen der Barone an den Kampfhandlungen gibt. Wahrscheinlich bildeten sie eine sorgfältig abgeschirmte, von den Rittern scharf bewachte Gruppe. Alles andere ist reine Erfindung, doch deckt sich die­ se Erfindung merkwürdigerweise mit den alten Mythen, die damit ins aktuelle Geschehen einbezogen werden. Offenbar hat man zu Eleonores Lebzeiten alles unternommen, um ihr mythische Züge anzudichten und sie so zum Musterbild der Frau nach den Vorstellungen gewisser Intellektuellenkreise des 12. Jahrhunderts abzustempeln. Da sich die Gelegenheit bot, eine Frau im Vollbesitz ihrer Persönlichkeit zu zeigen, stellte man sie heraus — und hatte damit Erfolg, sollten doch im Lauf der Jahrhunderte viele Autoren der sagenhaften Her­ zogin von Aquitanien den Vorzug vor der historischen geben. Die Vorgänge in Antiochia während dieses selben Kreuz­ zugs lösten dann neue Erfindungen aus. Wir wissen nicht, was sich wirklich abspielte, doch scheint die Königin ihrem Gatten ein- oder mehrmals untreu geworden zu sein. Nur so läßt sich die heftige Eifersucht des Königs, das verbürgte Zer­ würfnis zwischen den Gatten, der überstürzte Aufbruch von Antiochia und der später von Papst Eugen IIL unternomme­ ne Versöhnungsversuch erklären. Jedenfalls war man schnell mit giftigen Kommentaren bei der Hand, verwies auf die mutmaßliche Liebschaft Eleonores mit ihrem Onkel Rai­ mund von Poitiers und das Abenteuer mit Saldebreuil, nann-

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te aber auch noch andere Namen und behauptete frischweg, die Königin habe mit einem schönen Sarazenen, Sultan Saladin persönlich, fliehen wollen, der damals allerdings, wie schon erwähnt, erst zwölf Jahre zählte. Den ausführlichsten Bericht über diese Affäre hat uns ein anonymer Autor, der sogenannte Spielmann von Reims, hin­ terlassen, der übrigens Tyrus mit Antiochia verwechselt. Nach seiner Darstellung hörte Eleonore, kaum in Tyrus ange­ langt, Saladins Lob, lauschte mit Vergnügen den Berichten über seine Schönheit, Hochherzigkeit und seinen Mut, ent­ brannte so, ohne ihn je gesehen zu haben, in Liebe zu ihm und nahm Verbindung zu ihm auf. Saladin empfing die Abge­ sandten der Königin von Frankreich aufs zuvorkommendste und konnte nach allem, was man ihm über ihre Schönheit, ih­ ren stattlichen Wuchs und ihren scharfen Verstand erzählte, nicht umhin, sich gleichfalls Hals über Kopf in sie zu verlie­ ben. So entließ er die Boten mit wertvollen Geschenken und einem Brief, in dem er ihr seine glühende Liebe gestand. Eleonore antwortete unverzüglich, er möge sie entführen und ehelichen, sah sie doch auf diese Weise eine Möglichkeit, ih­ rem Gatten, dessen mönchisches Wesen ihr zusehends miß­ fiel, zu entrinnen. So heckten die beiden, auch weiterhin über die Vermittlung von Boten, einen Fluchtplan aus. Saladin ließ eine Galeere ausrüsten und setzte von Askalon nach Antio­ chia über, wo er kurz vor Mitternacht eintraf, während sich Eleonore in Begleitung zweier Zofen mit zwei bis obenhin mit Gold und Silber gefüllten Truhen zur vereinbarten Stelle begab. Aber - denn in derlei Geschichten gibt es stets ein »Aber« - eine andere Dienerin hatte den Plan entdeckt, lief, als sie ihre Herrin heimlich zum Hafen hinabgehen sah, ins Gemach des Königs und weckte ihn mit den Worten: »Maje­ stät, es naht sich Unheil. Eure Gemahlin bricht auf gen Aska­ lon, schon wartet Saladins Galeere im Hafen. Um Gottes wil­ len, Majestät, so beeilt Euch!« Der König, über die Kunde baß erstaunt, sprang aus dem Bett, legte Gewand und Waffen an, ließ seine Leute wecken und stürmte zum Hafen, packte

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die Königin, die soeben einen Fuß auf die Galeere setzen wollte und führte sie geradewegs zurück in ihr Gemach. Und als er sie dort befragte, warum sie zu entweichen getrachtet, entgegnete sie: »Bei Gott, es geschieht ob Eurer Schlechtig­ keit, denn Ihr taugt weniger als ein fauler Apfel. Und nach al­ lem, was ich von Saladin vernommen, liebe ich ihn mehr als Euch. Daß Ihr mich aber so zurückgehalten, des sollt Ihr wahrlich niemals froh werden.« Woraufhin der König den Beschluß faßte, unverzüglich aufzubrechen und die Königin mitzunehmen. Obwohl diese Anekdote der historischen Überprüfung nicht standhält, fuhrt sie doch wichtige Gesichtspunkte ins Treffen und liefert so möglicherweise in verhüllter Form Auf­ schluß über den tieferen Anlaß des Zerwürfnisses zwischen den beiden Gatten. Eleonore begann Ludwigs VIL aus ver­ schiedenen Gründen überdrüssig zu werden. Vor allem be­ trug er sich in ihren Augen allzu mönchisch, sei es, weil er der Geistlichkeit bereitwillig Gehör schenkte, sei es, weil er sich im intimen Umgang mit ihr zu zaghaft verhielt, was sie ihm, da ihre sinnlichen Bedürfnisse unbefriedigt blieben, ge­ wiß verargte. Außerdem erachtete sie den König in zuneh­ mendem Maße für unfähig, ihr zu Nachkommen zu verhel­ fen. Sie sehnte sich nach Mutterschaft, hatte aber in all den langen Ehejahren nur eine einzige Tochter geboren. Hinzu kam noch Ludwigs Charakter, dem so gar nichts Brillantes anhaftete, sein nüchterner Emst, seine mäßige politische Be­ gabung und sein noch geringeres Geschick in Kriegsdingen. Kurzum, er war nicht der Partner, den Eleonore brauchte, was auch die Bemerkung erklärt, die ihr der Spielmann von Reims in den Mund legt: »Ihr taugt weniger als ein fauler Ap­ fel.« Bekanntlich hat Eleonore während ihres Antiochiaaufenthalts tatsächlich mit dem Scheidungsgedanken gespielt und sogar das Argument der Blutsverwandtschaft ins Treffen ge­ führt, das dem König von Frankreich noch gar nicht gekom­ men war. Durchaus möglich auch, daß sie an Flucht mit ei­ nem anderen Mann dachte, zumal in Antiochia, in dessen un-

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mittelbarer Umgebung sich die ganze Blüte der europäischen Ritterschaft versammelt fand, kein Mangel an guten Partien herrschte. Absurd jedoch erscheint in diesem Zusammenhang Saladins Auftreten. Wie bereits angedeutet, hätte es sich allenfalls um den Sultan Nur-ed-Din handeln können, und auch diese Annahme besitzt wenig Wahrscheinlichkeit, da nicht recht einzusehen wäre, warum eine trotz aller Irrungen überzeugte Christin wie Eleonore mit einem Ungläubigen hätte fliehen sollen. Der Name Saladins taucht in der Sage denn auch nur auf, weil der Sultan zur Zeit ihrer schriftlichen Fixierung der bekannteste sarazenische Gegner der Kreuzfahrer war. Er hat­ te sich während des dritten Kreuzzugs mit Richard Löwen­ herz, den er außerordentlich schätzte, gemessen, stand im Ru­ fe der Hochherzigkeit und »Höfischkeit« und legte neben gro­ ßem Ehrgeiz unerschütterlichen Mut an den Tag, kurzum, er­ wies sich als ideale Figur, um den Zwist zwischen Ludwig und Eleonore zu erklären. So stempelte man ihn zum ver­ fluchten Muselman ab, der sich zwischen die Gatten drängte und Eleonores »Scheidung« veranlaßte. Interessant an dieser Anekdote ist, daß sich Eleonore in den ihr unbekannten Saladin allein aufgrund seiner Vorzüge verliebt, wie umgekehrt auch er auf die Lobeserhebungen der Sendboten hin in Liebe zu ihr entbrennt. Wir haben es hier mit einem von den Troubadours in Umlauf gesetzten literari­ schen Motiv zu tun, das in der gesamten höfischen Dichtung, der okzitanischen wie der nordffanzösischen, eine große Rolle spielt und sich bereits in den alten keltischen Sagen, nament­ lich den irischen, vorgezeichnet findet: dem Motiv vom Hel­ den (oder der Heldin), der (oder die) sich in eine ob ihrer Vorzüge und ihrer Schönheit gepriesene, nie gesehene Person verliebt. So sucht in der erstaunlichen Geschichte von Derbforgaille die Heldin, eine Art Fee, die sich in einen Schwan verwan­ deln kann, den Helden Cuchulainn auf und offenbart ihm ih­ re Liebe und den Wunsch, ihm anzugehören.15 Derselbe Ge­ danke findet sich in der Seefahrt Arts, des Sohnes von Conn, deren 213

Held sich auf die Suche nach seiner glühend geliebten, wie­ wohl noch nie geschauten Braut macht, die er nach vielen Abenteuern, das heißt der Initiation dienenden Prüfungen, auf einer Märcheninsel entdeckt, wo sie von grausamen El­ tern und hundeköpfigen Wächtern festgehalten wird.16 Nach demselben Schema ist die dem walisischen Epenkreis zugehö­ rige Geschichte von Kulhwch und Olwen aufgebaut, in der sich der Held mittels Magie in ein junges Mädchen verliebt, von dem er nichts weiß, ja, dessen Aufenthaltsort er nicht einmal kennt17, und auch viele Volksmärchen der Armorika erzählen von einem jugendlichen Helden, der auszieht, um die Sonnenprinzessin, die Königin der Heldentaten18 oder die Tochter eines geheimnisvollen Königs zu suchen.19 In der Dichtkunst wird dieses Motiv zu Eleonores Lebzei­ ten vor allem vom Troubadour Jaufrd Rudel, dem Sänger der Amor de lonh, der »Geliebten im fernen Land«, behandelt. Nach einer späteren Sage verliebt sich Rudel als Fürst von Blaye in Melisande, die Gräfin von Tripolis, die er zwar nie gesehen, deren Liebreiz und Schönheit er aber hat rühmen hören. Er bricht zu Schiff in den Orient auf, erkrankt jedoch auf See und langt in hoffnungslosem Zustand in Tripolis an, wo die bereits verständigte Gräfin an sein Lager eilt und den sterbenden Troubadour in ihre Arme schließt. Diese frei er­ fundene, aber dennoch rührende, von Edmond Rostand sei­ nem Theaterstück Die Prinzessin im Morgenland (1895) zugrun­ de gelegte Geschichte baut auf Rudels Gedichten auf, die sich an eine namentlich nicht bekannte Dame »in der Ferne« rich­ ten: Geliebte im fernen Land, Euretwegen ist mein ganzes Herze wund, und nichts kann mein Leiden lindem, es sei denn, ich suchte, trunken vor Liebe, in einem Obstgarten, unteren Laubgehänge die Nähe der ersehnten Freundin... 214

Außerstande, ohne diese geheimnisvolle Frau zu leben, be­ klagt der Dichter sein Geschick:

Mein Herz hört nicht auf zu verlangen nach jenem Wesen, das ich am meisten liebe; und ich glaube, dqß Wollen mich irreleitet, wenn Begehrlichkeit es mir nimmt; denn brennender als ein Stachel ist der Schmerz, der mit Freude heilt; drum möchte ich nicht, dqß man mich darob beklage...19b Zu guter Letzt beschließt der Dichter aufzubrechen, um in fernen Landen die zu suchen, um die all seine Gedanken krei­ sen:

Welche Freude, wenn ich sie bitte, mich um der Liebe Gottes willen in der Ferne zu beherbergen, und so es ihr gefällt, nehme ich Zuflucht in ihrer Nähe, wiewohl ich von fernher komme, wenn ich dann, Geliebter aus der Feme, so nahe bei ihr, mit ihr Worte der Freundscheft wechsle, welch herrliche Freuden harren dann meiner! Zwischen Jaufrd Rudels um das Motiv der »Geliebten im fernen Land« kreisenden Liedern und der angeblichen Liebe zwischen Eleonore und Saladin besteht eine auffallende Paral­ lele — um so merkwürdiger, als mittlerweile mit Sicherheit feststeht, daß die »Prinzessin im fernen Land«, auf die sich des Troubadours ganzes Sinnen und Trachten richtet, keine ande­ re als Eleonore ist.20 Als einer ihrer vielen Anbeter hat Rudel auf diese Weise eine unerfüllte Liebe verherrlicht, sich jedoch, wie all seine Kollegen, gehütet, Einzelheiten preiszugeben, die zur Identifikation der Dame hätten fuhren können. Aber der Hinweis auf Blaye sowie gewisse, den zweiten Kreuzzug be­ treffende Einzelheiten aus Jaufrds Lebensroman sind doch sehr aufschlußreich, wie auch der allgemeine Tenor der Ge­

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dichte des sogenannten Fürsten von Blaye auffallend mit dem Ton der Liebeskasuistik übereinstimmt, die sich damals in der Umgebung der Königin von Frankreich entfaltete (wobei Jaufr6 Rudel wohlgemerkt nicht als einziger glühende Lieder über und für Eleonore verfaßte). Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß die Sage über Eleonore und Saladin keine freie Erfindung darstellt, sondern gewissermaßen ein in der Umgebung der Herzogin von Aquitanien, der Schirmherrin und Dame der Troubadours, gängiges und beliebtes literarisches Motiv illustriert. So ge­ winnen wir Einblick, wie in diesem aufs neue die Kraft der Symbole entdeckenden Jahrhundert Eleonores »Mythos« ent­ stand. Neben diesem literarisch-intellektuellen verdient aber auch der moralische und gesellschaftliche Aspekt der Sage Beach­ tung, in der einmal mehr das Recht der Frau, ohne allen — vor allem auch ehelichen - Zwang über ihr Herz und ihren Körper zu verfügen, propagiert wird. Wir befinden uns in der Epoche von Heloise und Abaelard, Personen, die wirklich ge­ lebt und bedeutende Schriften hinterlassen haben. Sagt nicht Heloise in einem ihrer Briefe: »Amorem coniugio, libertatem vinculo praeferebam« (ich habe die Liebe der Ehe und die Freiheit der Knechtschaft vorgezogen)? Besser läßt sich der Versuch der Frau des 12. Jahrhunderts, sich von der männlichen Bevor­ mundung zu befreien, nicht umreißen. Die Eleonore in den Mund gelegte schneidende Entgegnung auf die Vorhaltungen ihres königlichen Gatten, er tauge weniger als ein »fauler Ap­ fel«, bekräftigt nur feierlich das Recht der Frau, in aller Frei­ heit über ihr eigenes Geschick zu entscheiden, wobei die sa­ krosankte Ehe grundsätzlich in Frage gestellt wird. Sie ist für die Theoretiker der höfischen Liebe wie später für die Prezio­ sen des 17. Jahrhunderts lediglich ein gesellschaftlicher Akt und, wie alle Verträge dieser Art, zeitlich befristet. Hinter die­ sen Befreiungsversuchen der Frau steht, um es zu wiederho­ len, keltisches Gedankengut. Denn bei den alten Kelten ge­ noß die Frau nicht nur wesentlich größere Freiheit, sondern

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konnte in einer Gesellschaft, die die Ehe als durchaus wieder auflösbaren Zustand betrachtete, auch ihre volle Persönlich­ keit entfalten.21 So plädieren Eleonores Fluchtplan und ihre ins Auge gefaßte Heirat mit Saladin, auch wenn es sich nur um eine erfundene Anekdote handelt, für eine Liberalisierung der Sitten und stellen damit eine Forderung auf, die durch Romane wie Tristan und Isolde und Tancelot weiter vorangetra­ gen werden sollten.

Eleonores »Scheidung« und ihre fast unmittelbar darauf vollzogene Wiederverheiratung mit Heinrich Plantagenet lö­ ste dann einen neuen Schwall von Geschichten aus. So be­ richten Walter Map22 und Giraldus Cambrensis23, die Köni­ gin von Frankreich habe vor der Annullierung ihrer Ehe sehr intime Beziehungen zu Heinrichs Vater, Gottfried dem Schö­ nen, unterhalten, wobei Walter Map sie in den Ehebruch ein­ willigen läßt, während Giraldus Cambrensis behauptet, Gott­ fried habe sich der Königin mit Gewalt aufgedrängt. Wie man sieht, stimmen die beiden Chronisten nur in ei­ nem einzigen Punkt überein — nämlich, daß die Königin inti­ me Beziehungen zum Grafen von Anjou unterhielt, wobei ein großer Unterschied besteht, ob man, wie Giraldus Cambren­ sis, von Vergewaltigung oder, wie Walter Map, von einer freiwilligen Liebschaft spricht. Im übrigen gelten beide Auto­ ren allgemein als Klatschkolporteure. Beim Normannen Wal­ ter Map, einem Eleonore nicht sonderlich gewogenen An­ hänger Heinrichs II, mag das Bestreben hereingespielt haben, sich bei seinem Gebieter (der zu dieser Zeit mit seiner Frau auf Kriegsfuß stand) durch Hinweis auf deren Verderbtheit beliebt zu machen, während Giraldus Cambrensis als Waliser die Vorgänge auf dem Festland sehr distanziert betrachtet und sich stets geneigt zeigt, eine gepfefferte Anekdote über die, wie er es sieht, Feinde seines Volkes zum besten zu ge­ ben. Jedenfalls steht außer Zweifel, daß die »Enthüllungen« dieser beiden Chronisten nichts weiter als Klatsch beinhal­ ten.

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Außerdem ist jede große, im Vordergrund der Weltbühne stehende Persönlichkeit Verleumdungen dieser Art ausgesetzt. Eleonore bildet da keine Ausnahme, nur daß in ihrem Fall die Sage, um die es sich fraglos handelt, statt mythologischem schlicht politischen Charakter trägt. Auf diese Weise konnten gewisse Autoren ihrem Groll gegen den aufgrund seines her­ rischen und brutalen Wesens bei Vasallen und Kommensalen recht unbeliebten Heinrich IL und gegen Eleonore Luft ma­ chen, die als Fremde nach wie vor auf Ablehnung stieß. Wie einst am französischen Hof, empfand man ihr Verhalten als Verstoß gegen die eingebürgerten normannischen Sitten und wärmte damit im Grunde nur den alten Streit und Antagonis­ mus zwischen Nord und Süd wieder auf. Denn der nachhaltig vom germanischen Erbe geprägte, wenig verstädterte, litera­ risch ziemlich unbedarfte und luxusungewohnte Norden sah den Reichtum Okzitaniens mit scheelem Blick und neidete dem Süden sein im Vergleich zu den nordfranzösischen und angelsächsischen Ländern raffinierteres und fortschrittlicheres kulturelles Niveau. Jedenfalls wollte man die Herzogin von Aquitanien verun­ glimpfen und fand dazu jedes Mittel recht. Wohl trifft es zu, daß ohne Feuer kein Rauch entsteht und daß Eleonore vor ihrer Scheidung Kontakte zu Gottfried Plantagenet unterhielt und bei diesen Begegnungen vermutlich ihr künftiges Vorge­ hen festlegte, nur daß die Chronisten irrtümlicherweise eine Liebesintrige vermuteten, wo lediglich ein politisches Kom­ plott geschmiedet wurde. Doch da man über dieses »Teufels­ weib« schon so viel Abträgliches verbreitet hatte, konnte man ruhig im gewohnten Tenor fortfahren. Denn daß eine kluge, willensstarke und obendrein auch noch schöne Frau ihre Sinnlichkeit offen zeigte, war wirklich zuviel des Guten.

Das Abenteuer zwischen Eleonore und Bernhard von Ventadom führt uns dann vollends ins Reich der Poesie und Mythologie. Der berühmteste Troubadour des 12. Jahrhun­ derts war als Sohn eines Soldaten und einer Küchenmagd auf 218

Schloß Ventadom (Ventadour) im Limousin zur Welt ge­ kommen. Der Schloßherr, Eble von Ventadom, selbst ein an­ gesehener Dichter, der sich mit Musikanten und Künstlern zu umgeben liebte, hatte dem begabten jungen Burschen eine sorgfältige Ausbildung angedeihen lassen. So war Bernhard gleichfalls zum Dichter herangereift und hatte Loblieder auf seinen Gönner verfaßt, sich dann aber angeblich in dessen schöne Frau verliebt und ihr feurige Gedichte gewidmet, bis ihn der mißvergnügte Schloßherr von seinen Besitzungen verwies. Daraufhin machte sich der Troubadour nach Darstellung einer anonymen Vita, die nicht minder phantastisch klingt als die Jaufré Rudels, auf »und zog zur Herzogin der Normandie, die jung war und große Vorzüge besaß. Er wußte Talent und Ehre mit sicherem Urteil zu vereinen und schrieb Lieder zum Ruhme der Herzogin, der Bernhards Verse und Lieder gar wohl gefielen. Und so nahm sie ihn auf und ehrte ihn, machte ihm Geschenke und tat alles, was ihm gefallen konnte. Er verweilte lange am Hof der Herzogin und entbrannte in Lie­ be zu ihr. Und auch die Dame fiel in Liebe zu Bernhard, der so viele gute Lieder über sie schrieb. Aber der König Hein­ rich von England heiratete sie und führte sie aus der Nor­ mandie fort nach England. Da blieb Bernhard auf dem Fest­ land zurück, traurig und unglücklich.« Die gröblichen Irrtümer der Sage springen ins Auge: Eleo­ nore wird bereits vor ihrer Heirat mit Heinrich IL als Herzo­ gin der Normandie und dieser als König von England vorge­ stellt. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß Bernhard von Ventadom nach seiner Ausweisung aus dem Limousin wirklich an Eleonores Hof, vermutlich in Poitiers, ging, war er durch seine Lieder doch bekannt genug, um Zutritt zu den bedeutendsten Fürstenhäusern zu finden. Demnach hat er Eleonore mit Sicherheit zur Zeit ihrer Eheschließung mit Heinrich kennengelemt. Unbekannt dagegen ist, wie lange er sich in ihrer Umgebung aufhielt. Uc de Saint-Circ, ein Trou­ badour aus dem 13. Jahrhundert, deutet an, der König von 219

England habe aus den glühenden Gedichten, die Bernhard an seine Gönnerin richtete, sehr bald Verdacht geschöpft. Es ist also durchaus möglich, daß Heinrich der Königin den weite­ ren Umgang mit dem Troubadour untersagte. Jedenfalls liegt der Ausgangspunkt der Sage in Bernhards Gedichten selbst beschlossen. So richten sich die im abschlie­ ßenden envoi dem englischen Herrscherpaar gewidmeten Poe­ me häufiger an die Königin als an den König - freilich kein schlüssiger Beweis, da die Troubadours ihre Werke damals allgemein der Frau ihres Herrn und Gönners dedizierten, die in der höfischen Dichtung automatisch zur Dame, zum Kri­ stallisationspunkt der Schönheit und Tugend, zum lebendigen Inbild der körperlichen und geistigen Vollkommenheit, auf­ rückte. Außerdem spielt Bernhard in fünf Liedern direkt auf Heinrich an, während er Eleonore nur ein einziges Mal (»Kö­ nigin der Normannen«) erwähnt. Aber bekanntlich herrschte bei den Troubadours der Brauch, die Dame ihrer Gedanken nicht zu nennen, sondern sie mit einem senhal, einem Deckna­ men, zu bezeichnen - bei Bernhard Mos Aziman, »mein Ma­ gnet«. Man hat lange daran herumgerätselt, wer dieser »Magnet« des Troubadours aus dem Limousin wohl gewesen sein könnte, dann aber aus dem Umstand, daß acht Gedichte aus Bernhards »englischer Periode« eine Anspielung auf den Aximan und drei eine entsprechende Widmung enthalten, auf Eleonore geschlossen, die natürliche Lehnsherrin des Trouba­ dours und Muse vieler anderer Dichter. Verschiedene moder­ ne Kritiker haben diese Gleichsetzung zwar verworfen24, aber da ihre Argumente nicht recht zu überzeugen vermögen, kön­ nen wir wohl daran festhalten, daß Bernhard von Ventadom einige seiner schönsten Lieder für Eleonore verfaßt hat. Aber darf man daraus auf handfeste Liebesbeziehungen zwischen Eleonore und Bernhard von Ventadom schließen? Auch hier sind wir auf Mutmaßungen angewiesen, obwohl Bernhard in einem berühmten Gedicht Mos Aziman anfleht, ihm Weisung zu erteilen »dahin zu kommen, wo man sich 220

entkleidet«. Und wenn er auch etwas weiter unten bittet, ihr »kniend und demutsvoll« die Schuhe ausziehen zu dürfen, wird sich doch jeder, der die verfeinerte Erotik der Trouba­ dours kennt, in dem Verdacht bestärkt fühlen, zwischen der Königin und dem Sänger aus Ventadom habe tatsächlich ein Verhältnis bestanden. In eine ähnliche Richtung verweisen auch die vielen Anspielungen auf die Geschichte von Tristan und Isolde im Werk des Troubadours. Bernhard vergleicht sich selbst mit Tristan, der um die blonde Isolde mancherlei Schmerzen litt, handgreiflicher Beweis, daß die Tristansage als literarisches Motiv in Mode gekommen war. Und zwar um so mehr, als Eleonore bis zu einem gewissen Grad Isolde verkörperte, de­ ren außereheliche Liebe den Ehebruch rechtfertigte. Man kann die Rolle des Romans von Tristan und Isolde, der entge­ gen der strengen christlichen Denkungsart für den Ehebruch plädierte, die »Sünde« verherrlichte und damit gleichzeitig ei­ ne Lanze für die Freiheit der Frau brach, jenseits aller morali­ schen und gesellschaftlichen Zwänge zu lieben, wen sie woll­ te, gar nicht genug betonen. Damit gewinnt die Anspielung auf diese Sage bei Bernhard von Ventadom notwendig eine bestimmte Bedeutung. Und wenn er auch nicht zu Eleonores faktischen Liebhabern zählte, konnte er doch auf einer idealen Ebene ihr Liebhaber sein — und war es höchstwahrscheinlich auch, wobei bei ihm mehr mitschwingt als bei den anderen Troubadours. Seine Gedichte haben einen aufrichtigen, über die simple Technik, mit der in der Troubadourlyrik sonst Lie­ be und Liebesleid besungen werden, hinausreichenden Klang. So ist man überrascht, mit welcher Inbrunst er in einem be­ sonders schönen Gedicht die Trennung von der geliebten Dame schildert. Obwohl sie fern von ihm weilt, fühlt er sich ihr doch durch die Bande der Natur verbunden:

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IFeww die frische Brise aus Eurem Eande weht, scheint mir, ich atme einen Hauch des Paradieses durch die Eiehe zu der Edlen, die mich unterworfen hat, atrf die meine Eeidenschrft zielt und der mein Herz gehört. Denn von allen Frauen habe ich mich losgsagt um ihretwillen, so sehr hat sie mich berückt. Seltsamerweise scheint der Schluß des Gedichtes eine Ant­ wort auf die Frage nach den Beziehungen zwischen der Köni­ gin von England und dem Troubadour aus dem Limousin zu geben. Bernhard erklärt da nämlich: Unverhohlen will ich sagn, was Gott Gutes mir getan: Wißt, daß in der Woche, da ich Abschied von ihr nahm, sie mir klar und deutlich sagte, meine Eieder gefielen ihr. Möge jede Christenseele sich des freuen, wie ich’s tat und noch immer tue: Denn erst damals hat sie sich erklärt. Möglicherweise gedenkt der Troubadour in dieser Strophe seines Abschieds von Eleonore: Es ist nie etwas zwischen ih­ nen vorgefallen, aber in letzter Minute hat sich die Königin, was bisher noch nie geschehen war, erklärt. Der Text sagt es klar und deutlich, und so dürfen wir vermuten, daß zwischen Eleonore und Bernhard zwar wohl eine echte Gefuhlsbindung bestand, daß es aber nie zur konkreten Liebesbegeg­ nung kam — eine Vermutung, die auch dadurch gestützt wird, daß alle diese Vorgänge in die Anfangszeit der Ehe Heinrichs

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und Eleonores fielen, die als überaus verliebte Gattin wohl kaum an einen Seitensprung gedacht haben dürfte. Desungeachtet sollte das Paar Eleonore-Bemhard zum Symbol aufrücken - der Dichter als dienender Ritter, der nur durch die Dame und für die Dame lebt, und Eleonore als die tyrannische und unumschränkte, einzige und vollkommene Herrin, auf die sich notwendig aller Blicke richten. Damit kündigen sich bereits Züge Königin Ginevras an, die in den von Eleonore - und Heinrich IL - direkt oder indirekt geför­ derten Artusromanen eine so bedeutende Rolle spielen wird. Sie ist die absolute Gebieterin, gleichzeitig aber auch die all­ mächtige Mutter, die ihren Söhnen die erhoffte — symbolische - Nahrung spendet: die Kraft, das höchste Ziel aller höfischen Initiation zu erreichen, nämlich Heldentaten zu vollbringen, dank denen die Ritter-Söhne zu vollendeten Liebhabern auf­ steigen. Alles in allem trägt die Sage um Eleonore und Bern­ hard von Ventadom, obwohl ihr die historische Grundlage gewiß nicht fehlte, doch in erster Linie dem Schema Dame — Liebhaber — Gatte Rechnung, innerhalb dessen sich damals die Liebesproblematik abspielt. Auch die Troubadours versuchten ja in ihrer Fragestellung den Widerspruch zwischen Liebe und Ehe zu lösen — im üb­ rigen vergeblich, gelangen doch all ihre Lieder und Partimen zu dem Schluß, daß sich die Liebe als lebendig erfahrene, vom Willen unabhängige Empfindung nie und nimmer mit dem willentlichen, nach reiflicher Überlegung vollzogenen ge­ sellschaftlichen Akt der Eheschließung vereinbaren läßt. Da­ mit aber gewann die Beziehung zwischen Eleonore und dem »Fürsten der Troubadours«, wie man Bernhard genannt hat, etwas Zwingendes, sahen sich doch beide vor die Notwendig­ keit gestellt, für das aus dieser sozialen Repression erwachsen­ de Liebesleid die rechten Worte zu finden. Und Bernhard von Ventadom erhob die Herzogin von Aquitanien mehr als jeder andere zur Königin der Troubadours, die er über das ver­ nünftige Maß hinaus verehrte, auch wenn es in verhüllter Form geschah: 223

Dame, Euer bin ich und werde mich immer Eurem Dienste weihen. Euer Marrn bin ich, ich hab es geschworen, und war es auch vordem schon. Und Ihr seid meine erste Freude und werdet meine letzte Freude sein, solange mein Leben währt...

Entsprechen diese glühenden Worte nicht ganz dem von Eleonore erträumten Ideal? Im Mittelpunkt des Universums eine wunderbar schöne Frau, die, umgeben von der erlesen­ sten Gesellschaft, die Huldigung all der in sie verliebten Ritter entgegennimmt — ist das nicht der Mythos von der Feenköni­ gin, die als absolute Gebieterin über das Geschick der Männer entscheidet? Eine Frau wie Eleonore, der man so viele irdische Aben­ teuer in die Schuhe schob, konnte in dem stets fürs Überna­ türliche aufgeschlossenen Mittelalter auch von überirdischen Abenteuern nicht verschont bleiben. So erzählte man sich, sie habe, nicht zufrieden damit, ihrer männlichen Mitwelt gegen­ über die Messalina zu spielen, den Teufel selbst in ihr Bett ge­ lassen und mit ihm Richard gezeugt. Warum gerade Richard und nicht die anderen? Weil Ri­ chard als König von England den Franzosen (den Anhängern der Kapetinger) die größte Angst einjagte. Wäre er nicht vor­ zeitig gestorben, hätte er das Königreich Frankreich völlig isoliert und vermutlich angegliedert, das heißt, England und Frankreich zu einem einzigen Königreich vereinigt. Er war schön, klug und tapfer, ein gewiefter Diplomat und hervorra­ gender Dichter, dazuhin ein Arbeitstier und in seinem Urteil zwar unerbittlich, aber gerecht - mit einem Wort: für die Ka­ petinger und für Philipp August ein zu fürchtender Gegner. Allerdings hatten diese Vorzüge auch ihre Schattenseiten, ent­ sprach dem unermüdlichen Arbeitsfleiß doch eine ebenso große Ausdauer bei Saufgelagen und sonstigen Ausschwei­ 224

fungen. Und außerdem zeigte Richard »widernatürliche« Nei­ gungen. Bei seiner Befreiung aus deutscher Haft informierte Philipp August Johann Ohneland: » Hüte Dich, der Teufel ist los!« Und Bernhard von Clairvaux, der Richard nur in der Ju­ gend kannte, soll die sonderbare Äußerung getan haben: »Er stammt vom Teufel und wird dorthin zurückkehren.« Demnach wäre also der Ursprung der Sage über Eleonores Beziehungen zum Teufel in Richards Charakter und Ruf zu suchen; aber in Wirklichkeit liegen die Dinge nicht ganz so einfach, kommen doch auch noch andere, mythologische und politische Elemente ins Spiel. Das Mittelalter glaubte allgemein an männliche und weibli­ che »Buhlteufel«, sogenannte Inkuben und Sukkuben, das heißt Dämonen, die sich in männlicher oder weiblicher Ge­ stalt ins Bett der Menschen einschleichen, um sie in Versu­ chung zu führen und zumeist zur Sünde des Fleisches zu ver­ leiten.25 Dieser Glaube reicht zeitlich sehr weit zurück und findet sich bereits in offiziell nicht anerkannten biblischen Schriften wie dem Ruch Henoch über den Fall der Engel, die mit Menschenfrauen Umgang pflegten. Und in Gottfrieds von Monmouth Historia Regum Rritanniae heißt es über Mer­ lins Geburt: »In den Büchern unserer Philosophen und vielen Geschichten steht geschrieben, daß zahlreiche Menschen auf diese Weise empfangen wurden. Wie schon Apulejus im Hin­ blick auf den Daimon des Sokrates versichert, hausen zwi­ schen Erde und Mond gewisse Geister, die wir Inkuben nen­ nen. Diese haben gleichzeitig an der Menschen- und an der Engelsnatur Anteil und nehmen, so es ihnen gefällt, mensch­ liche Gestalt an, um sich den Frauen zu nähern.« Und Merlins Mutter, ein unschuldiges junges Mädchen, erklärt folgender­ maßen, was ihr widerfahren ist: »Ich habe keinen Mann er­ kannt, der in mir gezeugt hätte. Ich weiß nur eins: Während ich mit meinen Gespielinnen in der Kammer ruhte, erschien mir des öfteren ein Jüngling. Er war sehr schön anzusehen, schloß mich in seine Arme und küßte mich auf den Mund. Doch nach wenigen Augenblicken entschwand er wieder und 225

ward nicht mehr gesehen. Und nachdem er mich lange auf diese Weise heimgesucht, vereinte er sich mit mir in Gestalt eines Mannes und ließ mich schwanger zurück.« Dieser um 1135 entstandene Text, der auf Geheiß Eleono­ res und Heinrichs IL von Robert Wace um 1155 übersetzt und in den Roman de Brut eingebaut wurde, bildet den literari­ schen Ausgangspunkt der Sage von Artus und dem Zauberer Merlin. Die Parallele zwischen der uns hier beschäftigenden Sage und der von Merlins Geburt liegt auf der Hand: Man wollte Richard zum neuen Merlin abstempeln, ihn aber im Gegensatz zum berühmten Zauberer, der seine Kräfte trotz seiner Teufelsnatur zum Guten einsetzte, rundweg als diabo­ lisch einstufen. Das aber ist nicht der einzige Hinweis auf Merlin, der sich in den Sagen um Eleonore findet - auch die in der Historia Regum Britanniae erwähnten, angeblich von dem Zauberer stammenden Prophezeiungen sollen auf Eleonore abzielen. Bekanntlich wurden diese berühmten Prophetien, die nicht nur im 12., sondern auch in den folgenden Jahrhunderten un­ glaubliche Beliebtheit genossen, von Gottfried von Monmouth von A bis Z erfunden, vermutlich auf Befehl der anglonormannischen Dynastie. Denn wenn es auch einen histo­ rischen Merlin, den aus dem Land der Nordbretonen, das heißt aus den schottischen Lowlands, stammenden, sagenum­ wobenen Barden Myrddin gegeben hat, steckt hinter den Prophezeiungen doch unverkennbar eine politische Absicht: nämlich die, das Unabhängigkeitsstreben der Kelten Britan­ niens (im wesentlichen der Waliser und der Bewohner Corn­ walls) mit den gegen die Sachsen gerichteten Interessen der normannischen Monarchie zu verbinden. Ganz ähnlich gin­ gen auch die Plantagenets vor, die die Verbreitung alles Kelti­ schen förderten, um so ihre Vereinigungspolitik zu untermau­ ern und durch den Hinweis auf keltische Vorfahren den Wi­ derstand der Sachsen gegen ihre als Fremdherrschaft empfun­ dene Autorität zu brechen. Der Hinweis auf die Prophezeiungen Merlins bezieht sich

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auf die Zeit, als Eleonore als Königin von Frankreich mit Ludwig VH. der Synode von Sens beiwohnte, auf der Abaelards Lehren begutachtet und verworfen wurden. Bei dieser Gelegenheit soll ein Alter namens Johann von Etampes der Königin angedeutet haben, sie sei der vom Zauberer Merlin erwähnte große Adler, der seine Flügel gleichzeitig über Frankreich und England breite. Diese ganz offensichtlich erst nach Eleonores Krönung zur Königin von England in Um­ lauf gesetzte Anekdote wirft ein sehr bezeichnendes Licht auf die Einstellung der anglonormannischen Kleriker und ihr Be­ streben, Eleonores Geschick im keltischen Sagenschatz zu verankern. Auch in der Folge mußte das Adlermotiv noch des öfteren herhalten. So ruft der Autor, der das Werk Richards aus Poi­ tou fortsetzt, in einem an die von Heinrich IL gtfangengehaltene Eleonore gerichteten Passus aus: »Sag mir, o Adler mit den zwei Häuptern, sag mir, wo du weiltest, als deine flügge gewordenen Jungen die Fänge gegen den König von Aquilon zu erheben wagten?« Und weiter hinten heißt es in Anleh­ nung an Gottfried von Monmouth: »Wie lange wirst du, Ad­ ler des gebrochenen Bundes, deine Stimme erheben müssen, ohne Gehör zu finden?« Dazuhin zirkuliert zu diesem Zeit­ punkt im ganzen Plantagenetreich noch folgender Ausschnitt aus Merlins Prophetie: »Alban (= Britannien) wird vom Zor­ ne erschüttert werden... Eine Kandare, in der Bucht Armorikas geschmiedet, wird ihm zwischen die Kiefer geschoben werden. Dann wird der Adler des gebrochenen Bundes mit Gold bedeckt erscheinen und sich seiner dritten Brut erfreu­ en.« Die Stelle spielt auf Eleonores Gefangenschaft, den Tod Heinrichs IL und die Befreiung der Königin durch ihren Sohn Richard an. Der Chronist Ralph von Diceto deutet die Pro­ phetie folgendermaßen: »Nachdem die Königin Eleonore vie­ le Jahre in Gefangenschaft geschmachtet hatte, empfing sie von ihrem Sohn die Vollmacht, im Königreich nach Belieben zu schalten und zu walten. So erstrahlte in dieser Zeit die Pro­ phetie, die bis dahin durch den Doppelsinn der Worte dunkel 227

geblieben, im vollen Lichte: >Der Adler des gebrochenen Bundes wird sich seiner dritten Brut erfreuens Sie wird >Adler< genannt, weil sie ihre Flügel über die beiden Königreiche, das der Franzosen und das der Engländer, breitet. Von den Franzosen indes wurde sie der Blutsverwandtschaft halber durch Scheidung getrennt. Und auch von den Engländern wurde sie durch Gefangenschaft fern vom Lager ihres Gatten geschieden. Ihre Haft dauerte sechzehn Jahre an. So ist sie im doppelten Sinne der >Adler des gebrochenen Bundes*. Und wenn es weiter heißt: >Sie wird sich ihrer dritten Brut erfreu­ en*, so muß man folgendes in Betracht ziehen: Königin Eleo­ nores erster Sohn starb im zarten Kindesalter; ihr zweiter, Heinrich, der nur zu königlichen Würden gelangte, um sei­ nem Vater Feindseligkeit zu bezeigen, starb gleichfalls; ihr dritter Sohn, Richard, aber, welcher mit der xlritten Brut* ge­ meint ist, hat gekämpft, um den Namen seiner Mutter zu er­ höhen.«26 In diesem Zusammenhang wäre auch darauf zu verweisen, daß Heinrich IL ein Gemälde im Palast von Winchester, auf dem ein Adler von Jungadlem angegriffen wird, als Aufstand seiner Söhne gegen sich gedeutet haben soll. Der Adler stellte demnach ein sehr gängiges Symbol des Königshauses Planta­ genet dar. Durchforscht man die Prophetiae Merlini genauer, entdeckt man noch manch anderen hochtrabenden lyrischen Erguß, der sich aufgrund seiner Unschärfe und Doppeldeu­ tigkeit auf Eleonore und die Ihren beziehen ließe. So etwa die Stelle: »Und der Bock mit dem goldenen Gehörn und dem Silberbart wird ins Lager der Venus einbrechen und die ganze Oberfläche der Insel verdüstern. In jener Zeit werden die Frauen den Gang von Schlangen annehmen und in ihrem ganzen Gehaben Hochmut bekunden. Das Venusfeld wird er­ neuert werden und Cupidos Pfeil ohne Unterlaß verwunden. Aus dem Quell von Amne wird Blut fließen, und zwei Köni­ ge werden sich im Zweikampf um die Löwin der Furt von Baton schlagen.« Es erscheint in der Tat verlockend, die Lö­ win mit Eleonore gleichzusetzen, um die sich die Könige

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Frankreichs und Englands streiten. Und wie sollte man im »erneuerten Venusfeld« nicht eine Anspielung auf die be­ rühmten Liebesgerichtshöfe unter Eleonores Vorsitz sehen? Diese Interpretationen lassen sich indessen beliebig weit trei­ ben, kann man doch Merlins Prophezeiungen, wie alle Weis­ sagungen dieser Art, nach Lust und Laune, nicht zuletzt auch nach Maßgabe der politischen Erfordernisse, auslegen. Wesentlich an Eleonores angeblicher Teufelsliebschaft und der daraus resultierenden Geburt Richards ist jedenfalls die Verbindung zur Merlinsage, die auf diese Weise geknüpft wird. Damit aber bricht auch das Märchenhafte in die Ge­ schichte ein. Die Welt Merlins ist eine Traumwelt der Phantasmagorien und als solche Kristallisationspunkt aller alten Überzeugungen. Schon die Ahnfrau der Plantagenets soll eine Fee, wohlgemerkt eine böse Fee, gewesen sein. Warum also sollte nicht auch Eleonore feenhafte Züge tragen? Sie liebte die Geschichten über die ungewöhnlichen, von Artus und sei­ nen Rittern bestandenen Abenteuer und gab Werke über den »bretonischen Stoff« in Auftrag. Und sie verkörperte, um es noch einmal zu wiederholen, die Frauenbewegung ihrer Zeit. Warum also sollte man ihr im Namen der Freiheit der Frau nicht auch das Recht zubilligen, Beziehungen zum Teufel zu unterhalten? Den Zeitgenossen kam derlei nicht unglaubhaft vor, neigten sie doch stets dazu, an der Frau etwas Teufli­ sches zu finden. Wie der Verfasser des Roman de Merlin über die Fee Viviane sagt: »Weiber sind schlauer als der Teufel.« Mit ihrer ungewöhnlichen Persönlichkeit und ihrer fast schon »infernalischen« Schönheit brachte Eleonore alle Vorausset­ zungen mit, um, wenn schon nicht als Weibteufel, so doch zumindest als Weib des Teufels zu gelten. Die weiteste Verbreitung und den größten Anklang unter allen um Eleonore kreisenden Sagen aber hat zweifelsohne ih­ re angebliche Beziehung zu Rosamunde Clifford, der jungen Geliebten Heinrichs II, gefunden. Bekanntlich war der König von England kein Mustergatte. Er vernachlässigte Eleonore, die er nur aus Ehrgeiz und ihrer 229

Ländereien wegen geheiratet hatte, zusehends, war ihr untreu und strafte sie, als sie, hauptsächlich aus Rache, seine drei äl­ teren Söhne gegen ihn aufwiegelte, mit langjähriger Haft. »Und kaum hatte er«, wie Giraldus Cambrensis anmerkt, »sei­ ne Gemahlin Eleonore eingekerkert, begann er, der den Ehe­ bruch zuvor insgeheim begangen, es mit der Rose der Welt, die in diesem Fall eher eine Rose der Unkeuschheit zu nennen wäre (gemeint ist natürlich Rosamunde Clifford), offen und ohne Scham vor aller Augen zu treiben.« Nach Darstellung des Chronisten Higden betete Heinrich Rosamunde an, ließ aber, da er eine rasende Eifersucht emp­ fand und sie, teils um potentielle Nebenbuhler femzuhalten, teils um sie vor der Rache der Königin zu schützen, allen Blicken entziehen wollte, in Woodstock bei Oxford einen Pa­ last in Form eines Labyrinthes erbauen. War es schon äußerst schwierig, in dieses von außen scharf bewachte Schloß einzu­ dringen, stürzte das unüberschaubare Gewirr von blind en­ denden Gängen mit spiegelbesetzten Wänden im Inneren den unkundigen Besucher vollends in Verwirrung. In diesem ge­ spenstischen Palast befanden sich Rosamundes Gemächer, zu denen außer einigen gleichfalls eingeschlossenen Dienerinnen nur Heinrich allein Zutritt hatte. Wie man sieht, ist die Geschichte ganz im Ton der Erzäh­ lungen des 12. Jahrhunderts, insbesondere denen der Marie de France, gehalten, in denen alte Ehemänner, die ihre hüb­ schen jungen Frauen gefangen halten, zum festen Repertoire zählen. So vor allem im berühmten Lai von Guigemer, in dem der Held übers Meer bis zu dem Turm vordringt, in dem sei­ ne Freundin nach dem Willen eines eifersüchtigen Graubarts in völliger Weltabgeschiedenheit ihre Tage hinbringt. Wir ha­ ben es hier also eindeutig mit einer literarischen Erfindung zu tun, auch wenn das um 1170 nach Plänen mit okzitanischem und orientalischem Einschlag als königliche Residenz erbaute Schloß Woodstock wirklich existierte. Doch zurück zu unserer Geschichte oder vielmehr unserer Sage. Nachdem Eleonore erfahren hat, daß ihr Gemahl seine

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Geliebte im Palast von Woodstock verborgen hält, verfugt sie sich nach England, verschafft sich durch Bestechung eines der am Bau des Schlosses beteiligten Maurer den genauen Plan des Labyrinthes, bricht, Heinrichs Abwesenheit nutzend, mit zwanzig Bewaffneten nach Woodstock auf, versteckt ihre Gefährten in einem nahegelegenen Wäldchen und erscheint ganz allein am Palasttor. Als aber der Pförtner, der angesichts einer einzelnen Frau keinen Verdacht schöpft, die Zugbrücke herunterläßt, brechen die Bewaffneten hervor, überwältigen ihn und die Wachen mühelos und werden von der Königin anhand des Planes, den sie sich hat aufzeichnen lassen, durch das Labyrinth geführt. Im ersten Gang zählt Eleonore acht Türen, stößt die neunte auf, betritt einen neuen Gang mit senkrechten und schrägen Zugängen, biegt bei der dritten Kreuzung nach rechts ab, zählt fünfundzwanzig Schritt und gelangt so an eine kaum sichtbare Falltür, die sie aufhebt. Nun geht es sechs Stufen in einen dunklen Keller hinab, drei Armlängen an der rechten Wand entlang und dann wieder sechs Stufen hinauf, woraufhin sich erneut ein langer Gang auftut, den Eleonore ohne zu zögern bis zur letzten Tür links entlangschreitet.27 Am Ziel angelangt, dringt Eleonore in das Gemach ein, in dem auf einem mit kostbaren Stoffen und Pelzen bedeckten Lager die schöne Rosamunde ruht, packt sie bei den langen, lose herabfallenden Haaren und durchbohrt die verhaßte Ri­ valin, die ihr das Herz des Gatten gestohlen hat, voll Rache­ durst mit dem Schwert.28 Natürlich ist diese Geschichte völlig aus der Luft gegriffen. Rosamunde starb 1177 in einem Kloster, in das sie sich zu ei­ nem Zeitpunkt zurückgezogen hatte, als Eleonore als Gefan­ gene unter strenger Bewachung stand. Außerdem dürfte es die Königin von England wohl längst aufgegeben haben, ih­ ren Gatten »zurückgewinnen« zu wollen und hatte insofern auch keinen Grund zu dem angeblich tödlichen Haß auf das junge Mädchen, das in Wirklichkeit, wie sie wohl wußte, weit eher Opfer als Komplizin Heinrichs 1L war. Dennoch hat sich 231

die Mär von Eleonores schändlichem Verhalten in ganz Eu­ ropa verbreitet und in allen Sprachen mitleidige Poeme über das arme Opfer einer blutdürstigen Königin ausgelöst. Typisch dafür folgender Ausschnitt aus der mittelalterlichen englischen Ballade Fair Rosamund: Zur Dame Rosamunde die Königin schritt, dorthin, wo sie engelsgleich weilt... Leg ab dein Gewand, sprach die Königin, Zfeh die Kleider aus, kostbar undfein und trink diesen Todestrank, den ich mitgebracht habe für dich! Rosamunde sucht sich zu verteidigen, doch Eleonore läßt sich nicht erweichen:

Da hob sie die Augen zum Himmel auf und betet um Gnade für sie, und wie sie das tödliche Gift geschluckt, entfloh das Leben aus ihr...

Dank vieler einschlägiger Balladen rückte Rosamunde schließlich zur romantischen, nicht nur in England, sondern in ganz Europa von Dichtem und Schriftstellern gefeierten Heldin auf. So benutzte Addison das Thema 1707 für ein Opemlibretto, während Franz Schubert danach im 19. Jahr­ hundert ein Ballett komponierte, das Berühmtheit erlangen sollte. Nach Art der Racineschen Tragödien faßte man die Geschichte als heimlichen, gewaltsam endenden Kampf zwi­ schen zwei Frauentypen, dem seinem Schicksal wehrlos aus­ gelieferten, sanften und scheuen jungen Mädchen und der lei­ denschaftlichen, eifersüchtigen und herrischen Frau auf — ver­ mutlich der Grund, warum das Motiv bei Dichtem und Pu­ blikum, die dramatische Situationen stets gern schwarzweiß malen, so großen Anklang fand. Die Geschichte von Rosamunde hat ihren Zweck — Eleo­ nore anzuschwärzen — vollauf erreicht, zeigt sie doch den 232

Werdegang der Herzogin von Aquitanien, die sich aus einer törichten Jungfrau über Ehebruch und Hexerei in eine Mör­ derin verwandelt. Eleonore hat ihre Umgebung nicht nur in Unruhe versetzt und bei ihren Tischgenossen echte Bewunde­ rung geweckt, sondern auch einen wütenden Haß entfesselt, der in den meisten über sie umlaufenden Sagen durchschlägt. Doch sonderbarerweise geht ihre Gestalt aus dem Schmutz, unter dem man sie zu begraben suchte, nur desto größer her­ vor, stellen doch selbst noch die abträglichen Geschichten ei­ ne Huldigung an ihren ungewöhnlichen Charakter und ihre überragende Persönlichkeit dar. Auch eine andere sehr bekannte mittelalterliche englische Ballade, die berühmte Beichte der Königin Eleonore, kann sich, wie die folgenden Ausschnitte zeigen, mit Schmähungen nicht genug tun: Als die Königin einst auf dem Krankenbett lag und ihr Stündlein gekommen wähnte, schickte sie nach zwei Mönchen aus Frankreich aus, daß die Beichte sie ihr abnähmen geschwind. Da rief der König23 seine Edlen her, sie kamen zu zweien und dreien. — Grcf MarschalP1, hören wir die Beichte der Königin, und du sollst mit mir gehen!

Doch der Graf Marschall fühlt sich sichtlich unbehaglich. Der Vorschlag des Königs belastet sein Gewissen, und so läßt er sich lange bitten, gehorcht aber schließlich doch seinem Herrn. Darauf verkleiden sich die beiden als Mönche und tre­ ten ans Lager der Königin, die, nachdem sie sich vergewissert hat, daß sie wirklich französische Mönche und keine Englän­ der vor sich hat, mit der Beichte anhebt: Die erste Missetat, die ich beging, ich will sie verschweigen Euch nicht; 233

Dem Graf Marschall gab ich meine Jungfernschaft hin, unter diesem goldenen Tuch. — Eine Sünde gar schwer, der König spricht, möge Gott sie dir ven&ihn! — Amen, amen, sagt der Graf Marschall, und das Herz wird ihm schwer in der Brust. — Seht da drunten den kleinen Knaben Ihr, der sich anschickt zu werfen den Ballt Des Grafen Marschall Ältester ist’s, den ich mehr lieb als die anderen all! Seht da drunten den kleinen Knaben Ihr, der sich anschickt zu fangen den Ballt Das ist König Heinrichs jüngster Sohn, und den liebe am wenigsten ich! Außerstande, sich das weiter anzuhören, schreit der König auf, der Kleine sei sein Lieblingssohn:

Dratf warf der König das Mönchsgewand ab, ganz in Purpur stand er da, aufschreiend rang die Hände die Königin und sagte, das sei Verrat. Der König schaut’ über die linke Schulter zurück, sein Blick war fürchterlich: - Graf Marschall, wenn ich nicht ¡^schworen hott'j31 am Galgen müßtest du hangen!

Diese Ballade kippt gänzlich ins Unsinnige um. Gewiß hat sich Wilhelm der Marschall, denn nur um ihn kann es sich handeln, seit Eleonores zweiter Heirat als treuer Gefährte des Königspaares erwiesen, doch läßt nichts auf intime Beziehun­ gen zwischen ihm und der Frau seines Souveräns schließen. Und was Eleonores Jungfräulichkeit betrifft, so hatte sie sie, als sie Heinrich II. und seinen Vertrauten kennenlemte, schon längst verloren. Auch hier ist das Bestreben, Eleonore in den Schmutz zu ziehen, sie durch Häufung angeblicher Liebes234

abenteuer als wollüstiges, skrupelloses Weib hinzustellen, un­ verkennbar. Gewiß hat Eleonores Verhalten von jeher Anlaß zu derartigen Vermutungen gegeben, aber diese Erfindungen gehen doch über jeglichen historischen Anhaltspunkt weit hinaus und führen uns auf eine völlig andere Ebene, auf der wir Eleonores Legende von ihrer rein mythologischen Seite kennenlemen.

Es ist in der Tat höchst auffällig, daß — die Rosamunden­ episode ausgenommen — stets von Inzest und Ehebruch die Rede ist, so daß man Eleonores Sage recht eigentlich unter das Motto »der Ehebruch als eine der schönen Künste« stel­ len könnte. Haß und Mißtrauen allein aber reichen nicht aus, diese Häufung der der Königin-Herzogin in die Schuhe ge­ schobenen Abenteuer zu erklären, und so müssen wir uns noch einmal den Rahmen vergegenwärtigen, in dem sich dies alles abgespielt hat, das heißt, über das Individuum Eleo­ nore hinausgehen und ins Auge fassen, was sie verkörpert hat. In zahlreichen Kommentaren zum Leben der zweifachen Königin taucht immer wieder der Vergleich mit Messalina auf, der dem Phänomen Eleonore jedoch in keiner Weise ge­ recht wird. Während Claudius’ Frau (selbst wenn die Berichte übertreiben) eine echte Nymphomanin war, die ihre Nächte in den Bordellen Roms verbrachte, um ihre etwas perverse Sinnlichkeit zu befriedigen, liegen die Dinge bei Eleonore völlig anders. Die Königin-Herzogin war alles andere als nymphoman, wie ja auch die ihr angelasteten Ehebrüche jegli­ chen Beweises entbehren.32 Sie war vielmehr eine Frau, die ihr Recht auf Freiheit geltend machte. Gerade das aber er­ schien unerträglich, ja unverzeihlich. Eine Frau, die, gleich aus welchen Kreisen, durch allzu unabhängiges Gebaren auffällt, wird stets nur allzuschnell als leichtfertige Person bzw. schon als Dime eingestuft. Und heiratet sie gar einen jüngeren Mann, wird sie gleich der Schamlosigkeit und Perversität be­ schuldigt.33 Denn nach unserer Gesellschaftsordnung — und 235

nach der des 12. Jahrhunderts nicht minder — gerät eine Frau, die, statt sich unterzuordnen, ihre Persönlichkeit herausstellt, unweigerlich mit den gängigen Nonnen in Konflikt und wird von der Allgemeinheit ohne viel Federlesens schuldig gespro­ chen.34 Außerdem aber begegnen wir in Eleonores Person auch dem Motiv der Souveränität wieder, die nach keltischer Tra­ dition, wie sie im 12. Jahrhundert nicht nur auf den britischen Inseln, sondern auch in der Armorika und in Okzitanien wie­ der zutage tritt, von der Frau verkörpert wird. Auch Eleono­ re hat in die Ehe mit Ludwig VII. ihre eigenen Besitzungen Aquitanien und Poitou eingebracht, diese nach ihrer »Schei­ dung« Rechtens wieder an sich genommen und anschließend ihrem zweiten Gatten, Heinrich Plantagenet, übergeben. Das heißt, auch sie befindet sich wirklich im Besitz der Souveräni­ tät und gibt dies auch ihr ganzes Leben lang deutlich zu ver­ stehen. So ist es im Grunde nur naheliegend, daß man noch einen Schritt weitergeht und diese weltliche Herrscherin zum Symbol der menschlichen Macht überhaupt erhebt. In den iri­ schen Märchen zieht der künftige König stets aus, um sich ei­ ne Frau zu suchen, da er die Königswürde erst erlangen kann, wenn er die erobert hat, die ihm bestimmt ist. Und ebenso steigt in vielen Volksmärchen der Armorika ein armer junger Mann aus einfachsten Verhältnissen nach mancherlei Aben­ teuern — sprich, der Einweihung dienenden Prüfungen — durch die Heirat mit einem Mädchen, das er buchstäblich erst »gewinnen« muß, zum Fürsten oder König auf. So hat sich al­ so die Symbolik der alten Mythen in der Volksüberlieferung ungetrübt erhalten.35 Ganz ähnlich gilt auch ein impotenter König als zur Herrschaft nicht befähigt, kann er doch die Au­ torität, die symbolisch auf der Vereinigung mit der Frau als Inhaberin der Souveränität beruht, nicht an sich bringen. Das aber ist nicht mehr und nicht weniger als der gesellschaftliche Aspekt des Hieros Gamos, das heißt der »heiligen Hochzeit« ei­ nes Sterblichen mit einer Göttin. So will z. B. die Göttin Ischtar Gilgamesch, wenn sie ihn im babylonischen Gilgameschepos 236

auffordert, sich mit ihr zu vereinigen, einen Teil ihrer Macht übertragen. Aber auch wenn Gilgamesch dies aus verschiede­ nen Gründen ablehnt, tritt hier doch der Sinn des Hieras Gamos deutlich zutage. Ebenso in der Odyssee, wenn Odysseus sich weigert, mit Circe das Lager zu teilen, ehe sie ihm nicht geschworen hat, seine Männlichkeit unangetastet zu lassen. Denn die Berührung mit der Göttin, das heißt der Souveräni­ tät, kann mit Kastration enden, wenn der Sterbliche (= der Mann) die Unendlichkeit der Gottheit nicht zu ertragen ver­ mag. Somit können nur die Erwählten, das heißt die Einge­ weihten, die ihre Tapferkeit unter Beweis gestellt haben, die schwere Bürde der Souveränität auf sich nehmen. In all diesen überlieferten Texten aber, insbesondere den alten keltischen Erzählungen, entfaltet die Frau als Trägerin der Souveränität eine rege sexuelle Aktivität. Sie teilt ihr La­ ger mit zahlreichen Männern und wird, wenn sie heiratet, zwangsläufig zur Ehebrecherin. Ein typisches Beispiel liefert die irische Sage von der Königin Mebd. Diese epische Heldin, Königin von Connacht, hat den König Ailill geheiratet und ihm erst durch diese Ehe zur Königswürde verholfen: Ohne sie ist er ein Nichts, und selbst mit ihr nicht viel mehr, be­ schränkt er sich doch zumeist darauf, im Kampf durch seine bloße Anwesenheit den Sieg herbeizuführen und den theore­ tischen Angelpunkt einer horizontal gegliederten Gesellschaft zu bilden.36 Die wirkliche Triebfeder des Volkes ist recht ei­ gentlich die Königin, die Tatkraft und Willen weckt und alle Mittel einsetzt, um ihr Ziel zu erreichen. Hierin liegt auch die Rechtfertigung für ihre praktisch nicht abreißenden Ehebrü­ che. Bedarf sie der Dienste eines Kriegers, verheißt sie ihm die »Freundschaft ihrer Schenkel« oder »die Freundschaft ih­ rer Hüfte«, um im sanften Euphemismus der irischen Texte zu sprechen, und läßt es nicht mit Versprechungen bewen­ den, sondern hält auch Wort. So entfernt sie sich im großen Epos Der Raub der Rinder von Cuailnge mit dem Helden Fergus, einem ihrer unentbehrlichsten Hauptleute, häufig von der Truppe, während ihr Gatte, König Ailill, seine Eifersucht zu­ 237

rückdämmt und seinen Gefährten erklärt: »Sie muß so han­ deln, damit das Unternehmen gplingt.«37 Die uralte Vorstellung von der ehebrecherischen Königin hängt offenkundig mit dem Mythos der Souveränität zusam­ men: Die Frau, die die Souveränität verkörpert, muß diese mit den Männern teilen, die in ihrem Namen handeln und ih­ nen die Macht durch die sexuelle Vereinigung übertragen. Da das männliche Verlangen das unerläßliche Stimulans für den Kampfesgeist, das heißt die Aktivität zum Wohle der Allge­ meinheit, darstellt, muß die Königin als Verkörperung der Allgemeinheit dieses Verlangen wecken. Das gilt auch für die (zu Unrecht so bezeichnete) höfische Liebe: Indem die Dame das Verlangen der Ritter auf sich zieht, veranlaßt sie sie zu Heldentaten in ihrem Namen. Allerdings muß zwischen der Dame und ihrem potentiellen Liebhaber Einverständnis, ja Komplizenschaft herrschen, da dieser sonst nichts zu bewir­ ken vermag. Wie der Held des klassischen Altertums in Ver­ bindung zur Gottheit stehen mußte, um seine Möglichkeiten voll entfalten zu können, so muß auch der keltische Held Be­ ziehungen zur Königin als Trägerin der Souveränität unter­ halten, um für sie und damit für die Allgemeinheit besondere Leistungen zu vollbringen. Dasselbe gilt für die fine amor des 12. Jahrhunderts, deren Dreh- und Angelpunkt unverkenn­ bar Eleonore von Aquitanien war. So ist es auch nicht weiter erstaunlich, daß das sagenhafte Bild, das uns die Zeitgenossen vor ihr hinterlassen haben, so viele Ehebrüche einschließt, die nicht konkret, sondern symbolisch zu verstehen sind und ganz Eleonores Bedeutung für die Gesellschaft der damaligen Zeit entsprechen. Sie ist die königliche Hure, die ihre Macht im Interesse und zum Woh­ le der Allgemeinheit überträgt, wem sie will. Und sie ist das in die Geschichte übertragene Bild der Großen Göttin, die sich im Tempel Auserwählten hingibt und den Wagemutigen, die vor einer Vereinigung mit ihr nicht zurückscheuen, zum Sieg verhilft. In seiner ganzen Tragweite aber werden wir die­ ses Bild erst erfassen, wenn wir entdecken, daß Eleonore das

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Vorbild für Königin Ginevra war, König Artus’ Gattin aus dem alten keltischen Sagenkreis, die ihm — notgedrungen — ebenfalls untreu war.

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5 Von Ginevra zu Melusine

Das Bild, das uns die Geschichte von Königin Eleonore hinterlassen hat, ist durch Klatsch und Verleumdung ver­ fälscht. Wie und warum es zur Sage einer frivolen, ehebreche­ rischen Frau gekommen ist, obwohl keine Anhaltspunkte da­ für gegeben waren, haben wir im voraufgehenden gesehen. Offensichtlich jedenfalls sollte Eleonore systematisch zu einer Messalina abgestempelt werden - ein definitiver Beweis da­ für, daß sich historische Gestalten dem Mythos unter keinen Umständen entziehen können, daß er überall durchsickert, überall unterirdisch im dunkeln am Werk ist, um diejenigen, die das Geschick in den Vordergrund der Weltbühne gerückt hat, herabzusetzen — oder über sich hinauszuheben —, kurzum, daß Geschichte im Grunde genommen nur der Bericht einer immer wieder den jeweiligen Umständen angepaßten Mytho­ logie ist. Zerlegen wir nun im folgenden die Sagen um Eleonore in ihre Komponenten, so stoßen wir auf diverse Strömungen, die jedoch eins gemein haben: daß sie alle die damalige Zeit ganz besonders beschäftigten. Vor allem ist da die Motivation aus dem politischen Bereich: Eine Königin von Frankreich, die wagte, die von der allmächtigen Kirche, der Schirmherrin der französischen Monarchie, schon vor Jahrhunderten aufge­ stellte moralische Ordnung anzutasten, war untragbar. Die Kirche, die die Dame aus dem Süden verdächtigte, die Feu­ dalgesellschaft des Nordens von Grund auf umwandeln zu wollen, mußte Eleonore ablehnen, solange sie mit Ludwig 240

VII. verheiratet war. Nach ihrer Scheidung und Wiederverhei­ ratung mit Plantagenet aber galt es natürlich erst recht, sie zu verteufeln, konnte man doch nicht zulassen, daß eine ehema­ lige Königin von Frankreich triumphierte und mächtiger war als zuvor. Außerdem aber schien der Streit zwischen Kapetingem und Plantagenets ein wesentliches Element zur Erhal­ tung des politischen Gleichgewichts in Europa. Nationen werden schließlich nicht mit Worten konstituiert: Die Völker müssen zwar regiert, zunächst aber »manövriert« werden. Und welches Manöver wäre hierfür geeigneter als die Entfal­ tung von Aggressivität? Wichtig war also, daß sich jeder vom anderen angegriffen fühlte. Und zu diesem Zweck ließ sich kaum ein besserer Zankapfel denken als die zum Feind über­ gelaufene ehemalige Königin von Frankreich. Dann ist da aber auch eine religiöse Motivation, denn so über­ raschend es erscheinen mag, Eleonore als religiöses Symbol ge­ deutet zu sehen, eine genauere Analyse der Sagen läßt uns keine andere Wahl. Von dem Augenblick an, in dem eine Frau von den Dichtem und vom Volk zur Heldin erhoben wird, rückt sie aus dem rein menschlichen Bereich in den übernatürlichen. Nun ist aber in der Sicht der christlichen Mystik des 12. Jahr­ hunderts die Frau dasjenige Wesen, das die Menschheit vor der Gewalt des Teufels retten und ihr den Weg zu Gott zeigen soll. Beweis für diesen tiefverwurzelten Willen, ein Wesen auf den Gipfel der Hierarchie zu erheben und zum einzigen Vorbild zu machen, ist der Marienkult, der Kult der Mittlerin zwischen Gott und den Menschen, der die religiösen Riten des Jahrhun­ derts so unverwechselbar geprägt hat. Zudem ist die leidende Menschheit eine Frau wie auch die Kirche als Braut Christi. Der Weg zu Gott führt also über die Frau. Wie aber kann er über die Frau führen ohne Liebe, das heißt, ohne daß man in ihr alle Hoffnungen kristallisiert sieht, auch die, die man sich selber nicht eingesteht, die man selber verdrängt? Als Königin der Sa­ ge aber symbolisierte Eleonore die irdische Liebe, über die man die Liebe des Herrn erlangt, des Lehnsherrn wie des obersten Herrn der Herrn, Gottes selbst.

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Und schließlich ist da eine mythologische Motivation, die sich aus den beiden oben erwähnten ergibt. Die vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse zerrissene Welt des 12. Jahr­ hunderts brauchte den Mythos von Eleonore. Im symboli­ schen Bild der Frau offenbarte sich ein Prinzip der Weiblich­ keit, das die Menschheit bis dahin schmerzhaft hatte entbeh­ ren müssen, da die Frau unter der Bevormundung eines Chri­ stentums, das durch Evas Sündenfall schuldig und deshalb phallokratisch geworden war, zur Gebärmaschine oder Die­ nerin degradiert worden war. Der Versuch, den Mythos der Weiblichkeit abzuwürgen, hatte aber nur zur Folge, daß er heftiger denn je wieder an die Oberfläche drängte. Für einen Mythos jedoch, der nur darauf wartete, Gestalt anzunehmen, bot Eleonore eine wahrhaft ideale Gelegenheit. Und so ent­ stand der Mythos von Eleonore von Aquitanien, Königin der Troubadours, aber auch Königin der Menschen guten Wil­ lens, die nicht mehr wußten, was tun, um miteinander in Frieden zu leben. Daher denn die stereotypen Bilder von Eleonore, Bilder, die wir nicht nur in der zeitgenössischen Li­ teratur, sondern auch in ihren Ausläufern in den folgenden Jahrhunderten finden. Das heißt, finden, wenn wir uns aufs Entziffern verstehen. Denn wie ein Großteil der Troubadours Eleonore durch Analogien oder mehrdeutige Anspielungen bezeichnet, so zeichnen die literarischen Werke von der Königin der Liebesgerichtshöfe nun ein idealisiertes Bild, und zwar in der Hauptsache unter drei verschiedenen Gestalten: Isolde, Ginevra und Melusine, drei Sagenheldinnen, die die abendländi­ sche Tradition auf die eine oder andere Weise mitgeprägt ha­ ben. Die Sage von Isolde und ihrer Liebe zu Tristan war bei den Liebesdebatten, wie wir gesehen haben, äußerst beliebt. Bekanntlich hatte Eleonore diese Verherrlichung des Ehe­ bruchs, sprich diese Herausforderung der Ehe, schon sehr früh kennengelemt und auch viel zu ihrer Verbreitung beige­ tragen. Mit besonderem Wohlwollen aber dürfte die Herzo­ 242

gin von Aquitanien Isoldes schmerzlich zwischen Pflicht und Liebe hin- und hergerissenes Schicksal betrachtet haben, als sie selbst vor der Auflösung ihrer Ehe mit dem König von Frankreich stand. Schließlich ließ gerade Isoldes Liebe, die sich nicht scheute, ihrerseits den ersten Schritt zu tun und dm Mann ihrer Wahl nehmen, die eigentliche Macht der Frau deutlich werden. Eleonore mußte sich also in Isolde wiederer­ kennen, und diese Identifikation haben mit ihr natürlich auch die Dichter vollzogen. Das heißt, die Königin Eleonore hat immer wieder Modell für Isolde gestanden, bei Berol, bei Thomas und später bei anderen Autoren. Gefördert wurde diese Identifikation übrigens durch den Sonnencharakter der Frauengestalt (wie wir wissen, erleuchtet Isolde, Sonnengott­ heit der alten Kelten, Tristan, Symbol für den Mond), da sich auf diese Weise Eleonores Primat und ihr strahlender Ruf zum Ausdruck bringen ließen. So kam die Sage der Geschich­ te zu Hilfe, indem sie ihr die Elemente zur Verfügung stellte, die sie brauchte, um das Volk gebührend zu beeindrucken. Durch die Sage aber wurde Eleonore zu einer Romanhel­ din, denn wer konnte damals schon zwischen Wahrem und Falschem unterscheiden und Eleonore von den ihr zuge­ schriebenen Liebesabenteuern freisprechen? Nun war die mit­ reißende Tristansage aber, die den überlieferten Werten ins Gesicht schlug, einen Keil in die sakrosankte Ehe trieb und der Kirche Hohn sprach, die sich dort, wo sie eine Annullie­ rung der ehelichen Bande aus politischen oder wirtschaftli­ chen Gründen nicht gut dünkte, zu deren fanatischer Hüterin aufwarf, geradezu eine Aufforderung zum Aufruhr und ihre Verquickung mit Eleonore eine Demonstration der Unver­ einbarkeit von Liebe und Ehe. Die Moral lag auf der Hand: Wozu die geltenden Gesetze einhalten, wenn Gott doch nach Berols Version die Liebenden schützte und vor allen ihren Feinden bewahrte, wenn er allen voran selbst die Gesetze ver­ höhnte? Warum sollten sich die armen Menschen anders ver­ halten? Zwar wies Berol immer wieder darauf hin, daß sich Tristan und Isolde nur des Zaubertrankes wegen liebten, der 243

ihnen versehentlich verabreicht worden war. Aber der auf­ merksame Leser erkannte die Wahrheit: Tristan und Isolde hätten sich auch ohne Zaubertrank geliebt - genau wie im iri­ schen Vorbild der Sage, in der Verfolgung von Diarmaid und Gräinne, wo der magische Wille der Heldin ausreicht, um die Liebe des Mannes zu wecken. In der Tat war der Zaubertrank nur eine Zutat, um eine Situation, die dem Christentum ge­ fährlich und anstößig erscheinen mußte, tragbar zu machen. Umgekehrt ist die Isolde der französischen Romanciers ei­ ne höfische Königin. Sie ist kultiviert und verfeinert, liebt die Poesie und die Musik, wenn sie auch, was äußerst wichtig ist, eine Zauberin ist. Sie heilt vergiftete Wunden, wodurch sie sich in der Urversion als mit übernatürlichen Kräften ausge­ stattet erweist, und herrscht über einen Hofstaat junger, wohl­ erzogener Ritter. Ihre Diener entstammen adligen Familien und ihre Zofe Brengaine ist eine der Verkörperungen der al­ ten walisischen Liebesgöttin Branwen, Tochter des Llyr und Schwester des Helden Brän des Gesegneten. Bei der Stelle, an der Brengaine den Zaubertrank versehentlich Tristan und Isolde zu trinken gibt, muß man freilich zwischen den Zeilen lesen, denn in Wirklichkeit hat sie ihn mit voller Absicht und auf Befehl der künftigen Königin von Cornwall in den Silber­ humpen gegossen. Das ist natürlich symbolisch zu verstehen. Warum aber nicht zu der Deutung greifen, die geradezu auf der Hand liegt, nämlich, daß es um die Vereinigung zweier Wesen geht, die nichts trennen kann, auch und vor allem nicht die Ver- und Gebote, die für die gemeinen Sterblichen gelten? Denn in dieser aristokratischen Gesellschaft des 12. Jahrhunderts ist die Liebe nicht für die Bauemlümmel ge­ macht: Einzig die feinen Leute sind fähig zu lieben. Das je­ denfalls geht aus der Lektüre der Troubadours und der ver­ schiedenen Versionen der Tristansage hervor. Der Kasten­ geist, die Allmacht des Rittertums, der Doppelsinn des Lehnswesens — all das führt dazu, daß eine Art Geheimlehre entsteht, die nur Eingeweihten zugänglich ist. Als Königin Isolde im Wald von Morois Bauemkleider trägt, fühlt sie sich 244

gar nicht wohl, und bei näherer Analyse des Berolschen Tex­ tes zeigt sich, daß das der wahre Grund ist, warum sie Tristan entsagt und sich mit König Marke versöhnen will. Von der Gráinne der irischen Erzählung bis zu Berols oder Thomas’ Isolde ist offensichtlich ein weiter Weg, und alles spricht da­ für, daß Isolde nach der Frau eines zeitgenössischen Königs modelliert worden ist. Bezeichnend dabei, daß Marke in Tho­ mas’ Version nicht über das Königreich Cornwall, sondern über England und seine Hauptstadt London herrscht, womit Thomas, der den Beinamen »von England« trägt, zweifelsoh­ ne seinem Herrn, dem König Heinrich IL huldigen wollte, lobt er doch London als die reichste Stadt der Welt über alles. Aber während er seine Pflicht als treuer Diener Heinrichs er­ füllte, war er zweifellos gleichzeitig auch bestrebt, Königin Eleonore mit Isolde der Blonden zu identifizieren. Dagegen scheint allerdings zu sprechen, daß sich Eleonore nie in einer vergleichbaren Situation wie Isolde befunden hat. Aber die Autoren strebten die Identifikation auch nicht auf der Ebene der Geschichte, sondern über die »höfische Art« und den Ruhm an. Das ließ ihnen mehr Spielraum und er­ möglichte ihnen dazuhin, die englische Krone vor ihrer fran­ zösischen Rivalin herauszustreichen. Tristan selbst ist zwar wie im irischen Vorbild verliebt, aber doch auch ein Ritter, der seiner Königin dient, das heißt, er steht auch für die Ban­ de, die Eleonore als Souveränin mit ihren Vasallen verbinden. Oder anders gesagt, er verkörpert in seiner Person das Ritter­ tum im Dienste der Königin-Herzogin. Kurzum, man sieht, wie unter dem mythologischen Anstrich die politischen Ver­ hältnisse der Zeit wieder zum Vorschein kommen, die man auf keinen Fall ausklammem darf. Und die Isolde der französischsprachigen Romanciers, die samt und sonders Eleonores Untertanen waren, ist eine idea­ lisierte, glorifizierte Eleonore, über sich hinausgehoben durch einen Mythos, der sie noch außerordentlicher und auch uner­ reichbarer erscheinen läßt, als sie in Wirklichkeit war Isolde, das ist die Frau, die ihr Geschick selber in die Hand nimmt 245

und es bis zum Schluß auch verantwortet. Mit einem Wort, Isolde ist eine Huldigung an die Festigkeit und Entschlossen­ heit, die Eleonore ihr ganzes Leben lang bewiesen hat. Eine Figur aber überstrahlt alle anderen, wenn wir Eleono­ res Gesicht hinter den Masken der vom höfischen Roman verewigten Heldinnen suchen: Ginevra, König Artus’ Frau. Die Sage selber ist bekannt. Ginevra, die Artus geheiratet hat, noch ehe er den Gipfel des Ruhmes erreichte, zeigt sich (so jedenfalls der Prosaroman Lancelot du lac) anfangs als vor­ bildliche Gattin, die sich gewissermaßen selbst auslöscht, was freilich nicht hindert, daß sie nach höfischer Manier und den Gesetzen der fine amor leidenschaftliche Bewunderer findet. Als Repräsentantin der von Artus ausgeübten Souveränität steht sie im Mittelpunkt des Hofes, allerdings nur in dem Ma­ ße, in dem sie die Blicke der Ritter, die ihrem Gatten Treue geschworen haben, auf sich versammelt. Unglaublich übri­ gens, mit welcher Bewunderung von ihr gesprochen wird. So wird sie mit einer Göttin verglichen, die zum Wohle aller auf die Erde herabgestiegen ist, oder als Inbild der Mutter ge­ zeichnet, die ihre Kinder um sich schart, sprich die Gemein­ schaft all derer, die durch Bande gegenseitiger Abhängigkeit eng miteinander verbunden und einander absolut gleichge­ stellt sind. Dafür nämlich steht die Tafelrunde, die ursprüng­ lich nichts mit einem Tisch zu tun hatte, sondern den Kreis bezeichnete, den die Krieger ums Feuer bildeten.' Diese Sitz­ anordnung in der Runde aber, bei der es keinen bevorzugten Platz gab, bei der einzig die Königin eine Sonderstellung ein­ nahm, während die anderen einander alle gleich waren, mach­ ten sich die Verfasser der Romane von der Tafelrunde zunut­ ze, um die Grundzüge einer idealen, auf der Gemeinschaft aufbauenden Gesellschaft zu zeichnen, die freilich einer Klasse von Privilegierten oder Initiierten vorbehalten war, einer Ge­ sellschaft, deren Weg zur Verfeinerung der Sensibilität und zur Vertiefung der Gefühlsbeziehungen schon vorgezeichnet war. Alles in allem war die Welt der Artusromane also ein 246

großartiger Traum, der auch überall dort durchschimmert, wo Eleonore hofhielt, vor allem im Poitiers. Aber natürlich ist Ginevras »Sittsamkeit« nicht von Dauer. Kaum nämlich ist Ritter Lanzelot am Hof aufgetaucht, fegt der Sturm der Leidenschaft, der die Königin dem »besten Ritter der Welt«, wie er bald genannt wird, in die Arme treibt, auch ihre sittlichen Bedenken über Bord. Daß sich Gi­ nevras Leidenschaft im ]~ancelot du lac ausschließlich auf Lan­ zelot konzentriert, ist übrigens für eine bestimmte Geisteshal­ tung recht aufschlußreich, wird dadurch doch der in diesem Fall wohl wirklich vollzogene Ehebruch letztlich um einer gu­ ten Sache willen begangen und damit fast zu einem Symbol. Denn da Lanzelot in seiner Person die Kaste des dem Königspaar treu ergebenen Rittertums verkörpert, wird diese ehebrecherische Liebe zu einer Triebfeder für Heldenmut und -taten, oder anders ausgedrückt, Lanzelots Heldenmut geht über das Bett der Königin, was ganz auf der Linie der fine amor und ihrer Regeln liegt. Da aber Lanzelot darüber hinaus auch eine privilegierte Kaste verkörpert, stoßen wir hier erneut auf das uns bereits von den keltischen Epen her bekannte Thema der Souveräni­ tät, in die sich der König mit dem Geliebten der Königin teilt. Im übrigen spielt Artus im Lancelot du lac keinerlei krie­ gerische Rolle, sondern begnügt sich damit, seine Ritter mit nicht immer fest umrissenen Aufträgen in alle vier Windrich­ tungen zu schicken. Er selbst ist der Dreh- und Angelpunkt der idealen Gesellschaft, die hier in groben Linien entworfen wird, aber eben auch nur der Dreh- und Angelpunkt, der sei­ nerseits passiv bleibt, während seine Gegenwart jedoch uner­ läßlich ist, um die Geschehnisse zu legalisieren. Hier schlägt eindeutig das irische Vorbild durch, wo der König in mehre­ ren Episoden beim Kampf wohl anwesend ist, ohne sich je­ doch in irgendeiner Weise daran zu beteiligen. Die Erklärung dafür lautet, so unerläßlich seine Gegenwart für den erfolgrei­ chen Ausgang des Kampfes ist, so unnötig ist es, daß er sel­ ber zu den Waffen greift. Mit einem Wort, Artus gleicht dem 247

König im Schachspiel: Er ist unentbehrlich, ohne indessen ei­ ne Rolle zu spielen, wohingegen die Königin, unbestritten die Herrin auf dem Schachbrett, da sie sich als einzige Figur nach allen Richtungen bewegen kann, die Macht inkarniert, die ih­ re Getreuen, Springer und Bauern etc. verteidigen oder ins Werk setzen. Denn trotz aller Änderungen, die die Verfasser der höfi­ schen Romane vorgenommen haben, ist der ursprüngliche Charakter Ginevras oder Gwenhwyfars, wie sie im alten Wa­ les genannt wurde, erhalten geblieben, ja wird durch die Lie­ beskasuistik der Troubadours sogar noch weiter entwickelt. Zunächst nämlich hatte Ginevra, wie sich aus den Verschnit­ ten der verschiedenen Sagenversionen, insbesondere der ar­ chaisierenden Texte nach Lancelot du lac sowie der Analyse der walisischen Texte ergibt, nicht nur einen Geliebten, Lanzelot, sondern eine ganze Reihe, wie umgekehrt Lanzelot in der ur­ sprünglichen Artussage noch gar nicht bekannt war, da er vermutlich eine Zutat Chrétien de Troyes’ ist.2 Diese treulose Königin, die sich zahlreichen Geliebten hin­ gibt, darunter auch dem berühmten Seneschall Kai und dem Neffen des Königs, Gawein, gehört zum Themenkreis der Souveränität, das heißt, ist eine Art Symbol dafür, daß die Souveränität nur der Gemeinschaft gehören kann, nicht aber dem König allein. Diese Auffassung entspricht nicht nur der keltischen Tradition, sondern auch dem Lehnssystem, demzu­ folge der König nichts ohne seine Vasallen ist und zumindest theoretisch auch nichts ohne die Zustimmung seiner Krieger beschließen kann. Das ist nun aber keineswegs ein demokrati­ sches, sondern lediglich ein aristokratisches Prinzip, da die Macht gerecht auf den König und seine Vasallen verteilt ist. Gleichzeitig zeigt das aber auch die Bedeutung der Frau in der doch gänzlich patriarchalischen Welt. Denn wie Ginevra ihren Erfolg als Romanfigur dem Umstand zu verdanken hat­ te, daß die legendäre Königin mit der wirklichen, der lebendi­ gen, identifiziert wurde, die die Frauenbewegung des 12. Jahrhunderts verkörperte, so war es umgekehrt ganz normal,

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bei dem Versuch, eine ideale Gesellschaft aus dem Boden zu stampfen, einer Frau aufgrund ihrer Schönheit, ihrer sittlichen Kraft und ihrer Leistungen dabei eine Sonderstellung einzu­ räumen. Die Beziehungen der Königin und der Ritter des Königs aber, darauf sei noch einmal verwiesen, haben in der mythologischen Optik, die allen Artusromanen zugrunde liegt, nichts Anstößiges an sich. Chrétien de Troyes aber konnte Ginevra in seiner Version der Sage nicht gut als heilige Hure zeichnen. Schließlich wa­ ren Eleonore und Marie de Champagne seine Gönnerinnen, in deren Dienst er stand, und so verbot es sich begreiflicher­ weise von selbst, der Öffentlichkeit ein solch angreifbares Bild der Frau vorzusetzen. Mit kühnem Schnitt eliminierte er aus seinem Lancelot oder Karrenritter denn auch alles, was Eleono­ res Ruf hätte schaden können, konnte, ja, sollte Eleonore doch hinter Ginevra erkannt werden. So verschmolz er Ginevras sämtliche Geliebte zu einem einzigen, Lanzelot, und rechtfertigte den Ehebruch mit ihm durch eine unwiderstehli­ che Leidenschaft, die die beiden Liebenden in ihren Banden gefangenhielt. Das heißt, er machte Ginevra in Anlehnung an die Tristansage im Grunde bereits zu einer neuen Isolde, was ihn freilich aber nicht hinderte, ihre Beziehungen zu anderen Rittern stellenweise in einem recht doppeldeutigen Licht er­ strahlen zu lassen: Eine Episode zum Beispiel spielt recht nachdrücklich äuf das Verhältnis der Königin zu Kai an, eine andere schildert Gaweins Verliebtheit in seine Tante, und Ginevras Beziehungen zu Meleagant, der sie immerhin entfuhrt hat, scheinen, um es gelinde auszudrücken, zumindest reich­ lich zweifelhaft: Die Urfassung dieser Entführung, die übri­ gens auf den Skulpturen der Kathedrale von Modena in Ita­ lien zu sehen ist3, erzählte die Liebe von Ginevra und dem König vom »Land, aus dem keiner wiederkehrt«. Im übrigen war es genau genommen keine Entführung, sondern eine ge­ meinsame Flucht. So aber wie uns Chrétien de Troyes Ginevra beschreibt, ist sie sowohl psychisch als auch physisch Eleonores lebendiges 249

Abbild: Die Königin zeichnet sich durch strahlende Schön­ heit, unerhörten Charme, große Intelligenz und eine vollende­ te höfische Lebensart aus. Und später, in seinem letzten Werk, Perceval, spendet ihr Chrétien aus Gaweins Mund noch ein erstaunliches Lob: »Seit der ersten Frau, die aus Adams Rippe erschaffen wurde, hat es keine so berühmte Dame mehr gegeben. Und sie verdient es wohl, denn wie der Lehrer die Kinder, so lehrt und unterrichtet meine Dame, die Köni­ gin, alle, die da leben. Von ihr kommt alles Gute in der Welt, denn sie ist seine Quelle, sein Ursprung. Niemand geht ent­ mutigt von ihr. Sie kennt die Wünsche eines jeden und das Mittel, ihm entsprechend zu gefallen. Keiner erwirbt sich Redlichkeit und Ehre, der es nicht bei meiner Dame gelernt hätte. Keiner ist so betrübt, daß er nicht getröstet von ihr schiede.«4 Eine solche Lobeserhebung bedarf keines Kommentars. Die von Gawein in solch hohen Tönen gepriesene Frau ist offenbar keine andere als die mächtige Königin-Herzogin Eleonore, die für den Verfasser die absolute Herrin der Ritter ist. Auch das spräche im übrigen für die These, daß Chrétien de Troyes mit Eleonore auf vertrautem Fuße stand. Dazu kommt, daß sich das Thema der unantastbaren Souveränität wie eine Art Leitmotiv durch Chrétiens ganzen Lancelot zieht: Einzig die Königin hat Verstand, einzig die Königin ist schön, wie auch einzig die Königin diejenigen belohnen kann, die es verdienen. Nun hat aber Chrétien de Troyes zu dem Zeitpunkt, als er seinen Lancelot schrieb (um 1170), den Hof von Poitiers frequentiert. Was also läge näher, als daß er eine so bedeutende Figur wie Ginevra nach dem Vorbild seiner Gönnerin beschrieben hätte? Und schließlich gedenkt er spä­ ter, als er schon im Dienst des Grafen von Flandern steht, in seinem Cante du Graal der Frau, die ihn gleichzeitig mit den authentischsten Sagen des keltischen Sagenkreises und den Verfeinerungen der Liebeskasuistik, wie sie am Hofe von Poi­ tiers praktiziert wurden, vertraut gemacht hat. So entwirft Eleonores treuer Freund Chrétien die Grund250

Züge ihres Bildes. In seinem Cante du Graal schildert er uns Parzivals Ankunft an Artus’ Hof in einem Augenblick, in dem das ganze Königreich mit Schimpf und Schande bedeckt ist: Ein Ritter hat Ginevras Pokal geraubt und den König be­ schimpft - eine außerordentlich schwerwiegende Geste, da Ginevras Pokal symbolischen Wert hat und gleichzeitig für die Weiblichkeit der Königin und ihre Macht als Souveränin steht. Da aber der König unfähig ist, die Königin zu rächen, und der Seneschall Kai, der einzige, der sich dazu bereit fand, erbärmlich aus dem Sattel gehoben worden ist, fällt die Auf­ gabe dem jungen Parzival zu. So führt sich der künftige Grals­ ritter am Artushof bemerkenswerterweise gleich durch eine Geste der Huldigung gegenüber der Königin ein - gewisser­ maßen ein Spiegel des Huldigungseides, den jeder Ritter dem König und der Dame seines Herrn leisten mußte, was noch deutlicher als alles andere darauf hinweist, daß hinter Ginevra Eleonore steht. Chrétien de Troyes’ Epigonen sind übrigens sogar noch ei­ nen Schritt weitergegangen. Hatte Chrétien in seinem Kar­ renritter 1170 das mythologische Abenteuer von Ginevras Entführung durch Meleagant und von ihrer Befreiung durch Gawein und Lanzelot erzählt, so nahmen sie in ihren Prosa­ adaptationen diese Episode zum Anlaß, Eleonores Gefangen­ setzung auf Befehl ihres Mannes, König Heinrichs, und ihre Befreiung durch Richard Löwenherz, den König-Ritter, zu il­ lustrieren, der seinerseits ein blendendes Vorbild für Lanzelot abgab. Das heißt, sie zogen ein mythologisches Thema heran, um eine politische Situation zu entfalten — im übrigen nichts Ausgefallenes, da sich Mythen stets in jeden beliebigen zeitge­ nössischen Zusammenhang einbauen lassen. Weitere Parallelen zwischen Ginevra und Eleonore bieten die haßerfüllte Rivalität zwischen Ginevra und Morgane im Lancelot du lac und die reichlich unerklärliche Feindseligkeit zwischen Eleonore und Konstanze von der Bretagne, Gott­ frieds Frau, sowie Ludwigs Eifersucht auf Eleonore vor dem Aufbruch zum Kreuzzug, die in einem archaisierenden Artus-

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román, dem Roman d’Yder aufgegriffen wird, wo König Artus, um endlich über die Treue seiner Gemahlin ins reine zu kommen, sie fragt, welchen der anwesenden Ritter sie zum Manne nähme, sollte es das Unglück wollen, daß er selbst nicht zurückkehrte. Ginevra versucht der Frage zunächst aus­ zuweichen, gesteht aber schließlich, da ihr Mann nicht müde wird, in sie zu dringen, daß es Yder wäre, was Artus mit solch rasender Eifersucht erfüllt, daß er Yder mehrmals in Abenteuer zu verwickeln sucht, die den sicheren Tod ver­ heißen. Auf alle Fälle aber symbolisiert Ginevra für die Ritter der Tafelrunde, genau wie die Königin-Herzogin Eleonore für ih­ re Zeitgenossen, die Souveränität. Der letzte Ausläufer des großen Artuszyklus, der Roman Morte d’Arthur, zeigt Eleono­ re auf dem Gipfel des Ruhmes in vorderster Linie. Zwar ist sie mittlerweile fünfzigjährig, aber ihre strahlende Schönheit hat sie sich noch immer bewahrt, ja, Lanzelot vom See, ver­ liebt in sie wie noch nie, vergißt darüber sogar alle anderen Pflichten, alle Bedenken sowie alle moralischen und religiösen Verpflichtungen. Während der seiner Königin bedingungslos ergebene Lanzelot das Musterbild eines Ritters verkörpert, ist Ginevra ihrerseits die göttliche Person, die nicht altert und all jenen Unsterblichkeit sichert, die ihr in blinder und etwas mystischer Treue gehorchen. Dieses Bild, das uns die Auto­ ren von der Ginevra aus der Sage entwerfen, scheint direkt von dem übernommen, das uns die zeitgenössischen Chroni­ sten um 1170 von Eleonore, der Königin, die in Poitiers hofhielt, zeichnen. Im übrigen steht und fällt Ginevras Erfolg mit dem Eleo­ nores, wie er ihn umgekehrt aber auch ergänzt — eine gerech­ te Umkehr, hat doch Eleonore durch ihren persönlichen Ein­ satz und ihr Mäzenatentum zur Lancierung der Artussagen tatkräftig beigetragen. Daß dabei das Gesicht der alten Gwenhwyfar etwas verfälscht worden ist, spielt keine Rolle. Dafür bleibt uns die Erinnerung an eine große Dame, die sich nicht damit begnügte, über ihre Staaten zu herrschen,

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sondern für die Nachwelt auch die Herrscherin über Künste und Literatur ihrer Zeit bleiben wollte. Über alledem aber dürfen wir nicht vergessen, daß Eleo­ nore in erster Linie Gräfin von Poitou war. Nun hat sich in dieser Grafschaft aber eine andere Sage entwickelt, die übri­ gens von höchstem Interesse ist, die Sage von der schönen Melusine. Allerdings wurde die merkwürdige Geschichte dieser Fee aus dem Poitou erst viel später, im 14. Jahrhundert, in der eu­ ropäischen Literatur bekannt. Der erste, der sie zum höheren Ruhme der Familie, der er diente, in den Mittelpunkt eines großen Romanes stellte, war Jean d’Arras, ein treuer Freund der Lusignans. Nach ihm verfaßte ein gewisser Couldrette ei­ ne Reimchronik über das gleiche Thema und brachte vor al­ lem die mythologischen Elemente zur Geltung, von denen die Sage durchtränkt war. ünd in der Tat darf man Melusine eine mythologische Ge­ stalt nennen. Ihr Ursprung reicht so weit in graue Vorzeit zu­ rück, daß man ihn nicht mehr genau in Schottland oder in Skythien lokalisieren kann. Unbestreitbar dagegen bleibt, daß sie seit dem Hochmittelalter Teil der poitevinischen Volks­ tradition ist. Der Schauplatz der Sage, die mündlich überlie­ ferten Erzählungen, die sich um Melusines Person ranken, die abergläubischen Elemente, die sich in der ganzen Region wie­ derfinden, all das deutet darauf hin, daß die Sage bereits vor dem Erscheinen der beiden literarischen Werke, in denen man wohl nur einen Niederschlag der mündlichen Überliefe­ rungen sehen darf, schon tief im Poitou verwurzelt war. In großen Zügen ist die Sage schnell erzählt. Melusine, Meliot und Palatine sind die Töchter des schottischen Königs Elinas und seiner mysteriösen jungen Frau Pressine, die er an einem Brunnen getroffen hat, die ihm aber ihren wirklichen Namen und ihre Herkunft nie verraten wollte. Dennoch ist Elinas hinter ihr Geheimnis gekommen: Pressine ist eine Fee. Aber diese verbotene Erkenntnis muß er teuer bezahlen: Pressine verflucht ihn und verschwindet mit ihren drei Töch-

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tem auf der Verlorenen Insel. Fünfzehn Jahre später jedoch beschließt Melusine ihre Mutter zu rächen, versichert sich der Beihilfe ihrer Schwestern und sperrt ihren Vater durch Zau­ berkräfte an einem unzugänglichen Ort ein. Pressine aber, wütend über das eigenmächtige Vorgehen ihrer Töchter, ver­ wünscht sie, allen voran Melusine, die das Komplott angestif­ tet hat. Jeden Samstag soll sie »bis zur Taille eine Schlange sein« und muß ihr Geheimnis auch vor ihrem künftigen Gat­ ten bewahren. So verläßt Melusine die Verlorene Insel und kommt nach Poitou, wo sie Raimondin von Lusignan an ei­ nem Brunnen trifft und ihm aus einer verzweiflungsvollen Situation hilft. Nachdem sie ihm das Versprechen abgenom­ men hat, sie niemals zu fragen, was sie am Samstag mache, nimmt sie ihn zum Mann. Dem Paar werden zehn Knaben geboren, zehn kräftige Knaben, die aber mit einem sonderba­ ren körperlichen Makel behaftet sind. So z. B. hat Urian ein Auge mitten auf einer Backe und Gottfried einen sehr langen Eckzahn, daher sein Spitzname Gottfried mit dem Großen Zahn. Eines Tages aber gewinnt die Neugier oder auch die Eifersucht die Oberhand, und erstaunt darüber, daß immer, wenn sich Melusine zurückzieht, auf fast magische Weise eine neue Kirche, ein neues Kloster oder ein neues Schloß ent­ steht, folgt Raimondin seiner Frau in die Grotte, in die sie sich Samstag für Samstag zurückzieht. Dort überrascht er sie beim Bad in einer Wanne aus grünem Marmor und gewahrt ihren schlangenähnlichen Unterleib. Als Melusine seiner an­ sichtig wird, bricht sie in lautes Wehklagen aus, ihre Arme wachsen und verwandeln sich schließlich in Flügel, und mit einem markerschütternden Schrei der Verzweiflung erhebt sie sich in die Luft und entschwindet. Allem Anschein nach handelt es sich um einen sehr alten Mythos. Übrigens scheint Melusine Pressines Double, also ebenfalls eine Ausformung der Göttin zu sein, die ihre Gunst einem Sterblichen unter der Bedingung schenkt, daß er nie­ mals ihr wirkliches Wesen kennenzulemen versucht — ein Thema, auf das wir überall stoßen, im klassischen Altertum

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wie in den sogenannten barbarischen Kulturen. Interessant für uns sind vor allem bestimmte Einzelheiten, die an Eleo­ nores Geschichte und Sage erinnern, die, vergessen wir das nicht, ja die Lehnsherrin der ungebärdigen Lusignans war. So handelt es sich im einen wie im anderen Fall vor allem um eine baufreudige Frau. Bekanntlich konnte sich ja auch Eleonore nicht genug tun, Poitou und Poitiers mit großarti­ gen Baudenkmälern zu verschönern, wofür sie - schon da­ mals ein Kunststück - auch stets Geld aufzutreiben verstand. Von da aber bis zu dem Schluß, daß sie über magische Mittel verfugen mußte, war nur ein Schritt, der für die Schirmherrin und Wohltäterin des Poitou im übrigen gleichzeitig eine Hul­ digung bedeutete. Außerdem erinnerte Melusines Exil an die Zeit, in der Eleonore als Königin von Frankreich fern von ih­ rer Heimat in einer Art Verbannung lebte. Und Melusines zehn Kindern entsprechen die zehn Kinder, die Eleonore mit Ludwig VH und Heinrich IL hatte. Aber anstatt sich wie Me­ lusine an ihrem Vater zu rächen, wozu Eleonore keinen Grund hat, trachtet sie vielmehr, Wilhelms X. Werk fortzu­ führen und die Größe und den Wohlstand ihrer Länder zu erhalten. Natürlich tat die Familie Lusignan, eine der mächtigsten des Poitou, alles, was in ihren Kräften stand, um die Verbrei­ tung der literarischen Werke über Melusine zu fördern, konn­ te sie doch auf diese Weise ihrem Stammbaum eine Fee als Ahnfrau einverleiben, was ganz nach dem Geschmack der Zeit war. Um aber eine Fee zu gestalten, die ganz Poitou kannte oder doch vom Hörensagen kannte, brauchte man ein halbwegs wahrscheinlich wirkendes Vorbild, für das keine an­ dere in Frage kam als die berühmte, höchst zauberhafte Grä­ fin von Poitou, Königin von Frankreich und England, die in der Erinnerung des Volkes so lebendig fortlebte. Außerdem scheint Melusines Heirat mit Raimondin eine geschickte Übertragung von Eleonores Heirat mit Heinrich IL Denn wie Eleonore ihrem Gemahl den Reichtum ihrer Domänen, ihre Intelligenz und ihren Willen zur Macht mit­ 255

brachte, so verhieß Melusine Raimondin die Wiedererlan­ gung seines Vermögens und wachsenden Reichtum für sein Land. In der Sage wie in der Geschichte bietet also eine Frau ihrem fürstlichen Gemahl die Gelegenheit, reich und mächtig zu werden. Ohne dieses doppeldeutig schillernde Wesen aber, mit dem man Eleonore ausgestattet hatte, wäre eine solche Übertragung nicht möglich gewesen. Ganz besonders interessant aber wird der Vergleich vor al­ lem auf der Ebene des Mythos und durch das, was hier an­ klingt. Offenbar nämlich ist Melusine eine Inkarnation der Mutter-Göttin der Anfänge: Sie gleicht der Morgane aus den Romanen der Tafelrunde und der Keridwen der walisischen Überlieferungen. Morgane ist die »Dame« der Insel Avalon, wo sie über eine ideale Gesellschaft gynäkokratischen Typs herrscht, und Keridwen die »Dame« eines Schlosses, das in­ mitten eines Sees liegt. Aber auch Melusine kommt von einer Insel, der Verlorenen Insel, auf der die Fee Pressine herrscht. Und wie Morgane ihr Aussehen ändern, in Vogelgestalt, um genau zu sein, in Gestalt einer Krähe, fortfliegen kann, so flüchtet auch Melusine, wiewohl ein Wasserwesen, zum Schluß in Gestalt eines Vogels. Aber Keridwen kann sich nicht nur verwandeln in was sie will, in einen Fisch, in ein Landtier oder einen Vogel, sie ist überhaupt eine regelrechte Zauberin, denn sie versteht auch den Kessel des Wissens und der Inspiration zum Kochen zu bringen. Und wie Keridwen und Morgane ist auch Melusine in zwei Welten daheim, der irdischen und der himmlischen — wofern es nicht die höllische ist, aber hier wäre die Schuldigsprechung im geheimen er­ folgt. Und diese Gestalten aus der keltischen Mythologie, die im Mittelalter zu neuem Leben erwachten, haben in der Ge­ schichte nun eine ihnen ebenbürtige Person gefunden: die Königin-Herzogin Eleonore. Denn wie die mythischen Heroen ist auch Eleonore nur die Inkarnation von Wünschen, die auf ein leicht einzuprä­ gendes, leicht wiedererkennbares Bild projiziert werden. Die um sie kreisenden Sagen gleichen in groben Zügen denen von 256

Melusine, Morgane und Keridwen. Auch Eleonore gilt als Vertraute des Teufels — eine Abstempelung, die sich bei einer so außergewöhnlichen Frau im übrigen ganz im Rahmen der damaligen Gepflogenheiten hielt. Denn das Mittelalter ver­ wies automatisch alles, was es nicht verstand, in den Bereich des Teufels, in den man sich besser nicht vorwagte. Man ver­ gaß dabei freilich ganz, daß der Teufel etymologisch derjenige ist, der sich quer leg, der die Bewegung der Maschine, die im Morgengrauen der Zeiten in Gang gesetzt wurde, umkehrt. Die Größe des Mythos von Melusine liegt vor allem darin, daß eine Frau ein Land vor Unheil bewahrt. Dahinter steckt eindeutig die Idee des Messianismus auf weiblich, die in Westeuropa mit seinem seit dem 12. Jahrhundert entwickel­ ten Marienkult nicht wunder nimmt. Im übrigen finden sich in den volkstümlichen Erzählungen aller Länder zahlreiche Beispiele für die Gleichsetzung Unserer lieben Frau mit einer Fee, die das Erbe der alten Muttergottheiten angetreten hat. Eine ganz ähnliche Rolle aber spielt auch Eleonore, wenn sie ihre zutiefst beunruhigten Vasallen vor allen Anschlägen be­ wahrt, zu denen sich die Könige von Frankreich und Eng­ land keine Gelegenheit entgehen lassen. In der Falle der Macht gefangen, hat sich Eleonore dank ihrer Intelligenz und Kühnheit bewundernswert aus der Affäre zu ziehen verstan­ den. Im übrigen hat sich die Sage ihrer Person nicht zuletzt dieser Kühnheit wegen bemächtigt. Warum nicht eine Frau, die es gewagt hat, eine Krone zurückzuweisen, um sich eine andere aufzusetzen, in den Rang einer Fee erheben? Die Ver­ fasser der beiden Melusinenromane jedenfalls haben es mehr oder weniger bewußt getan. Die Melusine, die Eleonores Züge trägt, ist also eine Be­ schützerin oder Schutzherrin. Der poitevinischen Sage zufolge kehrt sie nach ihrem Verschwinden in bestimmten Nächten zurück, um ihren Kindern zu helfen oder ein Bauwerk zu för­ dern. Aber auch wenn niemand sie sieht, ist sie doch stets ge­ genwärtig. Kurzum, sie hat alle Kennzeichen einer unsterbli­ chen Heldin, worin sie dem ebenfalls unsterblichen König 257

Artus gleicht, der auf der Insel Avalon schläft, bis er eines Tages wiederkehren wird, um die Bretonen von der Knute der Fremdherrschaft zu befreien. Melusine ist also das weibli­ che Gegenstück zu Artus, wie Eleonore das weibliche Gegen­ stück zur Macht ihres Mannes Heinrich Plantagenet ist. Er­ staunlicherweise aber hat die Fee ihre Macht trotz Raimondins Verfehlung nicht verloren, und so stellt sich zwischen ihr und dem Volk des Poitou eine regelrechte Komplizenschaft ein, die eindeutig die unverbrüchliche Zuneigung der Poiteviner zu ihrer Gräfin symbolisiert trotz Heinrichs Verfehlung, sprich Eleonores Gefangensetzung und Entfernung. Denn wie Melusine ist Eleonore durch eine Verfehlung ihres Man­ nes von der Bühne verschwunden. Ein solches Zusammen­ treffen kann kein Zufall sein. Im übrigen schaue man sich nur einmal die Vorstellung, die sich die Zeitgenossen von Eleo­ nore machten, und die, die in der Gestalt der Melusine ihren Niederschlag fand, auf ihren Symbolgehalt an, und man wird die Verwandtschaft der beiden Gestalten bestätigt finden. Melusine ist eine Sirene, also im Wasser zu Hause, was auf ihren Fruchtbarkeitscharakter hinweist. Da sie auch ein Fisch ist, hat sie eine doppelte Natur. Nun ist aber das Wasser der Ursprung aller Dinge und Melusine mithin die Göttin des Anfangs, worin sie Ginevra gleicht, wie Chrétien de Troyes sie zeichnet, hinter der wir Eleonore erkannt haben. Wenn sie aber das Leben schenkt wie die Gottheiten des Lebens, die auch Gottheiten des Todes sind, geht notwendig etwas Beun­ ruhigendes von ihr aus. Und in der Tat bezaubert die Sirene ja auch die Menschen durch ihren Gesang, um sie dann ins Wasser, ins Meer oder auch in den Fluß, zu locken. Nicht sel­ ten wird das Jenseits im Wasser, in einem See oder einem Meer dargestellt, und wer unvorsichtig genug ist, Melusine allzu lang zu lauschen, läuft große Gefahr, sich von ihr hinrei­ ßen und mitziehen zu lassen. Man muß vor ihr also auf der Hut sein wie vor dem Teufel und allem, was zwielichtig ist. Das erklärt die Anziehungs-, aber auch die Abstoßungskraft, die diese weibliche Gestalt auf das Volk ausgeübt hat. 258

Außerdem kann Melusine ihr Aussehen verändern und kraft der ihr innewohnenden Macht ihre Umgebung verwan­ deln. Sie ist also die große Verwandlerin, die die Welt neu er­ schaffen kann. Damit erhebt sie sich in den Rang der großen Göttinnen der allgemein gültigen Mythologie, jener Göttin­ nen, die vom Urbeginn an da waren und von denen alles ab­ stammt, was lebt und der Unbeständigkeit unterworfen ist. Mit einem Wort, sie ist die erste Ursache. Und hier stoßen wir nun erneut auf diese Faszination, die Eleonore zur gro­ ßen, absoluten Königin erhoben hat, von der man sich die Regenerierung der Welt, das heißt auf der Ebene der Wirk­ lichkeit, die Regenerierung der aristokratischen Gesellschaft der Ritter und Kleriker versprach, denn diese wollten als sol­ che anerkannt werden und einen autonomen Status erhalten. In dieser Optik aber inkarnierte Melusine die dem Menschen innewohnenden Kräfte, die ihn drängen, die Tabus hinter sich zu lassen und die nächsthöhere Stufe seiner Geschichte zu erklimmen. So ist Melusine-Eleonore die Umwandlung der Geschichte, die Neugestaltung alter Konzepte. Wenn sie nicht mehr Frau ist, ist sie doch Sirene und gewinnt damit die Möglichkeit, sich in die Luft zu erheben, sprich, einen gewal­ tigen Sprung nach vom zu tun auf der Suche nach einer Tiefe der Realität, die nur anderswo sein kann, das heißt außerhalb der Welt des Alltags, in einem ebenso symbolisch wie mate­ riell zu nehmenden Himmel, in dessen Äther alles eine andere Gestalt annimmt.5 Diese Verwandlung der Welt und des Individuums aber ist, wie gesagt, gewissen Privilegierten vorbehalten, das heißt Angehörigen der höheren Gesellschaftsschichten, der Klasse der Damen, Kleriker und Ritter. Mit anderen Worten, hinter alledem steht die Idee der Initiation. Nun stellte aber die fine amor eine wirkliche Initiationsmethode mit dem Ziel dar, bei­ de Geschlechter zu heben. Das heißt, wenn anders Melusine bestimmte Züge Eleonores verkörpert, so ist sie diejenige, die die Einweihung vollzieht, die den Rittern — und folglich auch den Poeten, denn diese werden, auch wenn sie nicht adlig 259

sind, doch zu Recht der Klasse der Privilegierten zugerechnet — ihre Identität innerhalb einer idealen, von der Frau konzi­ pierten und in der Wirklichkeit angestrebten Gemeinschaft entdecken hilft. Melusine herrscht über Poitou auf ähnlich verborgene Weise wie Eleonore, wenn sie ihre Liebesge­ richtshöfe in Poitiers abhält. Denn wie die Liebeskasuistik al­ len ermöglicht, im Grunde ihres Herzens den kleinen Funken zu entdecken, der die ganze Welt in Brand stecken und aus ihrem Schlaf reißen kann, so weckt Melusine Poitou, das un­ ter Raimondin, dem Symbol des Winters, in Winterschlaf ge­ sunken ist, zu neuem Leben. Sie ist der Frühling, der alles ausschlagen läßt, was wachsen und gedeihen kann. Eines Ta­ ges jedoch bricht der Herbst an: als Raimondin Melusine in der Grotte entdeckt. Darauf hält der Winter Einzug. Melusine ist fortgegangen, aber ein Hoffnungsschimmer ist zurückge­ blieben, denn manchmal kehrt sie des Nachts wieder, und man spürt ihre tröstliche Gegenwart. Ganz ähnlich muß Eleonore als König Heinrichs Gefangene auf der symboli­ schen Ebene auf die Einbildungskraft und das kollektive Un­ bewußte gewirkt haben. Das alles zeigt uns, welches Mysterium Melusine, aber auch Eleonore von Aquitanien umgibt. Denn weiß man wirklich, was die Königin-Herzogin gedacht hat? Weiß man in der Tat, was sie getan hat? Kennt man ihre Eindrücke, ihre Emp­ findungen? Falls man nicht einen Roman schreiben will, muß man sich damit begnügen, sie durch ihre Werke und ihre Sa­ gen zu beobachten. Vor allem aber gilt es dieser unvergleich­ lichen Persönlichkeit ihre wirkliche Dimension wiederzuge­ ben, das heißt, nicht aus dem Blick zu verlieren, daß sie nur aus ihrem Umfeld zu erklären ist, da sie wie alle Helden ledig­ lich die symbolische Emanation einer ganz bestimmten Ge­ sellschaftsgruppe ist. Und hier liegt das wahre Problem. Die Helden sterben nie­ mals, da sie nur in dem Maße wirklich existieren, in dem sie eine Betrachtungsweise, eine Handlungsweise, eine Lebens-

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weise verkörpern. Was aber verkörpert Eleonore durch ihre Sagen und ihr Leben, durch ihre verschiedenen Inkarnationen in der Literatur? In allererster Linie inkarniert sie die neue Vorstellung, die man sich im 12. Jahrhundert von der Frau zu machen beginnt und die einer Revolution im Reiche der Ideen gleichkommt, hatte doch die voraufgehende Epoche alles getan, um die Frau in einem negativen Lichte erscheinen zu lassen. Eleono­ re dagegen ist als Isolde, Ginevra oder Melusine die Frau, die aus der Asche wiederersteht und ihr Recht auf die Freiheit des Denkens und Handelns feierlich bekräftigt. Nicht ohne tieferen Grund hat man sie ihre politische Aufgabe erfüllen lassen. Der Herrscher mußte eine Frau sein, da in der mitten im Umbruch begriffenen Gesellschaft der europäischen Höfe des 12. Jahrhunderts ein weibliches Prinzip gebraucht wurde. Aber wenn Eleonore die Frau verkörpert, so in erster Li­ nie die maîtresse, die Herrin, wie das lateinische domina mit al­ lem, was darin anklingt, übersetzt wird. Als Trägerin der ef­ fektiven Souveränität über Aquitanien und Poitou wird sie zum Inbild der Autorität, die verführt anstatt, wie es der Mann tut, kalt zu befehlen. Erst Herrin der Herzen, dann Herrin der Körper, impft sie der Gesellschaft ihrer Zeit eine neue Form der Sensibilität ein. So wird sie zur regina, die ihren Willen nicht mittels Terror durchsetzt, sondern durch den Zauber, den sie auf alle ausübt, die ihre Augen auf sie richten. Das er­ klärt ihr Interesse fur die Thesen derfine amor und rechtfertigt die Tatsache, daß sie als Vorbild für Heldinnen mit sakralem Charakter diente. Denn daß eine Sakralisation stattgefunden hat, ist unbe­ streitbar. In der Tat kann man sich, wenn man über Eleono­ res Person nachdenkt, fragen, ob sie in Wirklichkeit nicht vielleicht eine schreckliche Megäre war, gewinnsüchtig und machthungrig und schließlich ebenso barbarisch wie ihre bei­ den Gatten. Niemand wollte aus ihr eine Heilige machen, nie­ mand einen Engel der Sanftmut. Eleonore muß sogar eine starke Frau gewesen sein mit einem herrschsüchtigen Charak­

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ter. Andernfalls hätte sie sich in dieser androkratischen Welt nicht durchsetzen können, sondern wäre von ihr zum Schweigen verurteilt worden. Nun hat sie aber die Männer beherrscht, auch wenn sie sich manchmal zwischendurch vor den Kräften der Unterdrückung beugen mußte. Der Grund dafür mag sein, daß man in ihr nicht nur die Herrin und Königin, sondern auch die Mutter gesehen und diesen Aspekt noch unterstrichen hat. Für das Volk war Eleo­ nore ja in der Tat eine Mutter mit vielen Kindern, und dieses Bild zu unterstreichen schien angesichts des aufblühenden Kultes der Jungfrau-Mutter durchaus opportun, konnte es doch nur Vertrauen einflößen und der Königin die größt­ mögliche Zahl von Anhängern sichern. Denn eine Mutter liebt alle ihre Kinder und macht keinen Unterschied zwischen ihren Söhnen (auch wenn Eleonore bekanntlich Richard ein­ deutig bevorzugte). Letztlich also stand dahinter der Versuch, eine neue Gesellschaft zu gründen, deren Dreh- und Angel­ punkt eine Frau, mehr noch, eine Mutter war. In der Tat war Eleonore als Verkörperung der Souveräni­ tät Herrscherin über eine Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst, die insbesondere das heikle Problem des Paares zu lö­ sen suchte. Eleonore selbst hatte, wie wir gesehen haben, mit Heinrich IL das ideale Paar verwirklichen wollen. Sie war überzeugt, auch das wissen wir, daß Liebe alle Schwierigkei­ ten überwinden kann. Alles in allem aber hieß das angesichts der alten Politik des Hasses und des Terrors, eine neue Politik der Liebe predigen. Mehr denn je bewahrheitete sich der le­ gendäre Widerstreit zwischen Roma und Amor, wobei Rom mit seiner Devise: »Teile, um zu herrschen« für jene Autorität steht, die sich mit allen Mitteln durchsetzt, einschließlich der Gewalt. Nun glaubte man aber, daß im Gegensatz zu dieser brutalen Konzeption einer Gesellschaft, die, um zu überleben, zur Aggression in allen ihren Formen gezwungen war, auch noch eine andere Methode existieren mußte, nämlich die, die einzelnen Mitglieder einer auf der Grundlage von Vertrauen und Achtung aufgebauten sozialen Gruppe zur gegenseitigen 262

Liebe zu fuhren. Ein Traum, gewiß, eine Utopie mehr zu all denen hinzu, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebil­ det hatten, aber dieser Traum des 12. Jahrhunderts war nicht nur eine bestimmte geistige Sicht, sondern darüber hinaus auch ein Zeichen der Wandlung, die sich in der Tiefe der westlichen Kultur vollzog. Im übrigen haben Eleonores Zeitgenossen ihre Köni­ gin-Herzogin mehr geträumt als wirklich gesehen: Sie war be­ reits zu Lebzeiten von einer solchen Aura des Geheimnisses umgeben und in Wirklichkeit so unerreichbar, daß sie als Kri­ stallisationspunkt der Bestrebungen und Wünsche der Zeit zur Traumperson wurde. Die Menschen des 13. Jahrhunderts, die sie nicht mehr persönlich kannten, haben diese Idealisie­ rung noch weiter getrieben und ganz bewußt alle um die Frau kreisenden Phantasien auf Eleonore als diejenige über­ tragen, die im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Mutation ge­ standen hatte. Nicht minder anregend aber wirkte Eleonore als die Frau im Strudel der Iridenschäften, als die sie eine Flut von Diskussionen über die Rolle des Weibes auslöste. Allein daß sie eine freimütige Frau ohne Scheuklappen war, genügte, sie durch den wohlbekannten Prozeß der Schuldig­ sprechung in der Vorstellung des Volkes wie all derer, die ihr dunkel irgend etwas vorwarfen, notgedrungen zur Hure zu machen, freilich einer sehr hochstehenden Hure Als solche aber erlangte sie mit Unterstützung der Sakralisation ob ihres verbotenen Tuns und Treibens, also ob ihrer Schuld, eine er­ hebliche Faszination (die Schönheit der Sünde braucht nicht mehr bewiesen zu werden) und damit in gewisser Hinsicht al­ le ästhetischen Qualitäten, die sich der Sünde abgewinnen las­ sen. Daher denn das Bild einer immer strahlend schönen Eleonore, aus der Nacht der Zeiten überkommenes Son­ nensymbol, Angelpunkt der Welt und Trägerin von Voll­ machten, wie sie vordem nur der Gott-König innehatte, die Inkarnation der patriarchalischen Gesellschaft. Denn diese Verdammung von Eleonores Person geht Hand in Hand mit einer regelrechten Vergöttlichung, wie es

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der Mode der Zeit entsprach, die Frau, Gegenstand der sexu­ ellen Begierden, gleichzeitig als Tür zur Unendlichkeit auch zu vergöttlichen. Da Eleonore als Königin aber ohnehin bereits einen Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie einnahm, gab es überhaupt keinen Grund, irgendwo haltzumachen und sie nicht über die Stufe der Mittlerin zwischen Menschen und Göttern hinaus auf die der Gottheit emporzuheben. In der Tat strömten die Gedichte der Troubadours samt und son­ ders den Geruch von Weihrauch aus, wie auch das Bild, das uns ihre Zeitgenossen hinterlassen haben, unverkennbar die Züge eines richtigen Idols trägt. So reinkamiert sich für einen Hof von mehr oder weniger fernen Bewunderern, die sich nichts sehnlicher wünschen, als die Göttin aus alten Zeiten wiederkehren zu sehen, die große Hure von Babylon, Ischtar, die sich Gilgamesch darbot, um ihm die Geheimnisse der an­ deren Welt zu entdecken. Diese Einstellung aber spiegelt kein Werk so gut wie eine walisische Erzählung, die damals auf der Basis der Überliefe­ rung wiederauflebte, die Erzählung von Peredur, eine archai­ sche Version der Graissage, die in vielem Chrétiens Perceval gleicht. Immer wieder trifft der junge Held auf seiner Fahrt, die nach Art der volkstümlichen Erzählungen in Initiations­ etappen unterteilt ist, auf eine zauberhafte Frau, in die er sich sterblich verliebt, und die ihm immer wieder mit Rat und Tat beisteht. Diese geheimnisvolle Frau, deren Gesichter nicht immer identisch sind, ist die Kaiserin (im übrigen kein Zufall, daß der anonyme Autor sie so nennt). Im Verlauf der Ge­ schichte begegnet Peredur, der ausgezogen ist, einen addanc, das heißt ein Schlangenungetüm, das in einer Grotte einen Schatz bewacht, zu erschlagen, »auf einem Berge sitzend der schönsten Frau seines Lebens«, die das Wort an ihn richtet, um ihn vor der List des addanc zu warnen: »Er wird dich tö­ ten, nicht durch Tapferkeit, sondern durch List. Auf der Schwelle seiner Höhle befindet sich ein steinerner Pfeiler. Oh­ ne gesehen zu werden, sieht das Ungeheuer alle, die sich sei­ ner Grotte nähern, und tötet sie im Schutze des Pfeilers ohne 264

Ausnahme mit einem vergifteten Pfeil. Wenn du mir dein Wort gibst, keine andere Frau auf Erden mehr zu lieben als mich, werde ich dir einen Stein schenken, der dir den addanc beim Betreten der Höhle zeigt, ohne daß du von ihm gesehen wirst.«6 Offensichtlich handelt es sich hier um einen Schwur derfine amor: Die Kaiserin fordert den jungen Mann auf, ihr Treue zu schwören und verheißt ihm dafür ein Mittel, das alle Gefah­ ren zu besiegen vermag. Dahinter erkennen wir das Motiv der Liebe als rettende Kraft, die gleichzeitig zum Helden macht. Die Herrin des Geschicks aber ist die Kaiserin: Sie verfugt über alle Kräfte magischer, weltlicher und geistlicher Art. Der Held wird ihr Lehnsmann, der Ritter, der ihr dient und als solcher die verschiedenen Phasen seiner Mission aus­ führen kann. Im übrigen steht am Ende der Geschichte das privilegierte Paar, denn nachdem Peredur zahllose Heldenta­ ten vollbracht hat, sieht er sich wieder dieser mysteriösen Frau gegenüber. »Schöner Peredur«, begrüßt ihn die Kaiserin, »erinnere dich des Gelöbnisses, das du mir abgelegt hast, als ich dir den Stein schenkte, damit du den addanc töten kannst.« — »Prinzessin«, entgegnet er, »du sprichst die Wahr­ heit, und ich habe es auch nicht vergessen.« Und so »herrsch­ te Peredur«, wie die Geschichte fortfährt, »mit der Kaiserin vierzehnJahre lang«.7 Die Macht gehört also der Frau, die sie, da sie frei ist, tei­ len kann, mit wem sie will. Der dienende Ritter vollstreckt le­ diglich ihre Wünsche. In diesem Sinn ist auch der Huldi­ gungseid zu verstehen, der der Dame geleistet wird. Im Un­ terschied zur voraufgehenden Epoche, in der einzig der Herr zählte, steht jetzt die Dame an der Spitze der Pyramide. Wir wollen hier nicht behaupten, Eleonore habe für die Kaiserin der Erzählung von Peredur Modell gestanden - was freilich nicht ausgeschlossen ist —, sondern lediglich aufzeigen, daß al­ le Autoren des 12. Jahrhunderts dasselbe anstrebten: die Feminisierung der Gesellschaft. Die Gesellschaft feminisieren soll wohlverstanden nicht 265

heißen, eine Frauengesellschaft analog der zu schaffen, die in der sagenhaften Zeit der Amazonen bestanden haben soll. Im übrigen gibt es keinerlei Beweis für rein matriarchalische Ge­ sellschaften. Unbestreitbar dagegen hat es in der Geschichte Augenblicke gegeben, in denen sich die Gesellschaften extrem maskulinisierten, wie umgekehrt auch Augenblicke, in denen sie sich einen ebenso ausgesprochen weiblichen Anstrich zu­ legten. So im 12. Jahrhundert, wo alle weiblichen Triebkräfte an die Oberfläche drängten, nicht nur bei den Individuen selbst, sondern auch bei den Gesellschaftsgruppen, die in ge­ wisser Hinsicht die Mentalitäten der Individuen spiegeln. Symbol dieser Feminisierung der Gesellschaft des 12. Jahr­ hunderts in Westeuropa ist Eleonore. Die in den historischen Berichten wie in den einfachen Sagen um Eleonore feststell­ bare Sublimierung der Person ist Ziel eines Versüches, dem Menschengeschlecht wiederzugeben, was es seit langem ver­ loren hat: seine weiblichen Komponenten, das heißt alles, was mit Sensibilität, Affektivität, Intuition zusammenhängt. Mit anderen Worten, hier ist der ewige Kampf zwischen Logik und Instinkt erneut ausgebrochen, wobei die Logik, wenn auch zu Unrecht, als ihrem Wesen nach männlich und der In­ stinkt allgemein als der weiblichen Mentalität zugehörig be­ trachtet wird. Insofern Logik nur der sich selbst konfrontierte, sich selbst betrachtende Instinkt ist, ist es freilich eine etwas unglückli­ che Klassifizierung. Eine Logik im Leerlauf, die rein auf Ab­ straktes zielte, gibt es ebensowenig wie einen Instinkt, der sich nicht in geistige Entscheidungen hinein fortsetzte. Au­ ßerdem hält man die Frau nur für unlogisch, weil man sie lange Zeit von der Verantwortung und den Entscheidungen femgehalten hat. Die Sache muß in einem vernünftigeren Licht, das den tieferen in der Menschheit schlummernden Werten Rechnung trägt, erneut aufgerollt werden. Unbe­ streitbar aber sind die Frauen für alles, was mit der Affektivi­ tät zusammenhängt, allein schon aus biologischen Gründen begabter, da die Mutterschaft mehr die Kräfte des Herzens als 266

des Verstandes weckt. Und jede Frau ist, ob man es nun wahrhaben will oder nicht, eine potentielle Mutter. Während die Männer Krieg fuhren und zerstören, kurzum, durch ihre ganze Haltung ständig dem Vemichtungstrieb das Wort re­ den, predigen die Frauen Versöhnung und konstruktiven Aufbau. Da die Dinge jedoch liegen, wie sie liegen, muß man bei jeder Klassifizierung wohl oder übel zu Vereinfachungen greifen: Und so nennt man die Konzeption, die im 12. Jahr­ hundert die Herrschaft des Vemichtungstriebes ablöst, d. h. des gnadenlosen Kampfes gegen alles, was man nicht selber ist, »feministisch«, da ihr zufolge alle Lebewesen das Recht auf Koexistenz unter der Sonne haben sollen, gegenseitige Achtung des Lebens unter allen seinen Formen vorausgesetzt. Nun kann man die von Eleonore von Aquitanien so be­ wundernswert verkörperte fine amor zwar als Zeitvertreib ei­ ner aristokratischen Gesellschaft betrachten, die sich langweilt und mit Problemen befaßt, die zu stellen die unteren Gesell­ schaftsklassen keine Zeit haben, d. h. darin ein auf die Ober­ schicht beschränktes Gesellschaftsspiel sehen, insofern sich die intellektuellen Eliten ausschließlich in dieser aristokratischen bzw. ihr assimilierten Klasse befinden. Als Phänomen aber geht die Theorie derfine amor weit über die literarische Akro­ batik oder die Pirouetten der Liebeskasuistik hinaus, heißt doch auf der grundlegenden Rolle der Liebe in den zwischen­ menschlichen Beziehungen (und wären sie noch so gut hierarchisiert) bestehen, sich bewußt werden, daß es noch einen an­ deren Weg gibt, nämlich die Anerkennung der inneren An­ stöße einer Gesellschaft, die sich zu lange schon von abstrak­ ten Erwägungen hat leiten lassen und mithin von blutleeren Reflexionen. In gewisser Hinsicht entspricht dieses Bewußtwerden dem Wunsch, eine Gesellschaft aufzubauen, die dem Menschen die freie Entfaltung seiner achtbarsten und tiefsten Tendenzen er­ möglicht. Das aber heißt die entgegengesetzte Richtung ein­ schlagen als die Gesellschaft androkratischen Typs, denn diese zielte in erster Linie darauf ab, den Menschen in das Sche­ 267

ma einer bereits organisierten Gesellschaft hineinzupressen, die durch obligatorische, seit alters vorgegebene Beziehungen verknüpft war. Mit einem Wort, während es der androkratischen Gesellschaft wie der des Feudalismus darum zu tun war, das Individuum, mochte es wollen oder nicht, den fun­ damentalen Gesetzen der Logik zu unterwerfen, soll die von Eleonore und ihrer Umgebung erträumte Gesellschaft umge­ kehrt nach dem Maße des Menschen erschaffen werden und ihm die Befriedigung seiner Instinkte ermöglichen. Wiederholen wir es noch einmal: Natürlich ist das eine Utopie. Das Land der Feen bleibt, sooft es auch in den alten keltischen Sagen beschrieben worden ist, und sooft der Traum davon in den Romanen der Tafelrunde auch auf­ taucht, doch im Bereich des Irrealis und der hochgespannte­ sten intellektuellen Spekulation. Allein der Umstand aber, daß solches Gewicht darauf gelegt wird, bezeugt den Wunsch, diese Utopie aus der Welt des Imaginären herauszuholen und im Alltag zu verwirklichen. Die von Eleonore inspirierten oder von ihrem Geist durchdrungenen Schriften des 12. Jahr­ hunderts zeigen uns, daß dieses Problem bereits recht präzise erfaßt war. Die Gesellschaft feminisieren, und wäre es auch nur in ihren intellektuellen Teilen, also die Ritter und müßi­ gen Damen, hieß dennoch schon eine andere Welt verwirkli­ chen, hieß das vorherrschende vertikale System, an dessen Spitze notwendigerweise ein Vater, also ein Mann stand, durch ein horizontales System ersetzen, in dem vor der Er­ richtung der obligatorischen Hierarchie alle Parteien auf der Grundlage der Sensibilität gegenseitige Bande des Gefühls knüpfen sollten. Zwischen der Gesellschaft, wie sie zu Eleo­ nores Zeiten existierte, und der, die sich die Königin von England erträumte, klafft derselbe Abgrund wie zwischen ei­ nem übermäßig zentralistischen Staat, wo Vorschriften für al­ le verbindliche Gesetze sind, und den Ländern föderalisti­ schen Typs, in denen sich die verschiedenen Regionen in An­ betracht ihrer Besonderheiten und Eigenständigkeit zumin­ dest dem Prinzip nach selbst verwalten.

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Das ist auch der Grund, warum wir der Geschichte und Legende Eleonores von Aquitanien solche Bedeutung bei­ messen. Die Vorstellungen dieses mitten im Umbruch befind­ lichen 12. Jahrhunderts sind nicht untergegangen. Wir erle­ ben vielmehr die Geburt eines neuen philosophischen Systems mit, in dem die affektiven Komponenten eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die logischen, die für den Aufbau einer Gesellschaft freilich unerläßlich sind. Denn von dem Augenblick an, in dem die Troubadours die Souveränin und Frau zur Gottheit erheben, wird die Gesellschaft in gewisser Hinsicht bisexuell, oder anders gesagt, auf ein übertriebenes Patriarchat folgt eine ideale Gynäkokratie. Im übrigen wies alles in diese Richtung: die Rolle, die »un­ sere heilige Mutter Kirche« spielte; die Entwicklung des Kul­ tes der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, aber auch der Mutter aller Menschen; und schließlich die Anerkennung der Frau als eigenständiges Wesen. Für diese Strömungen standen im religiösen Bereich Maria, »Unsere Liebe Frau«; in dem der Religion nah benachbarten, ja, manchmal mit ihr sogar ver­ fließenden, in die Tiefen des kollektiven Unbewußten hinab­ reichenden der Mythologie Isolde oder Ginevra; und im poli­ tischen, das heißt im Alltag, Eleonore, die diesen alten Mythos ebenso verkörpert wie die Frau gewordene göttliche Allmacht. All diese Gestalten aber blieben natürlich nicht oh­ ne Wirkung auf die Mentalität der Angehörigen aller Schich­ ten des 12. Jahrhunderts. Und in der Tat sollte von nun an nichts mehr so sein wie früher. Unbestreitbar bezeichnet Eleonore einen Wendepunkt in der Geschichte der abendländischen Kultur. Schließlich ist ihr durch ihren Machthunger und ihre Intelligenz willentlich und als Emanation der Geschichte und Personifizierung des Mythos ohne ihr Zutun gelungen, die lebendigen Kräfte einer Gesellschaft, die einen neuen Weg einschlagen wollte, zu ka­ nalisieren. In den nach ihr entworfenen symbolischen Bildern manifestieren sich die aufgestauten Sehnsüchte einer mit ih­ rem Schicksal unzufriedenen Menschheit, und das allein hat 269

vermocht, unser Interesse für die Person der KöniginHerzogin zu wecken. Nicht Eleonore an sich, die eine Gefangene ihrer Erzie­ hung und ihres Milieus war, hat uns interessiert, auch wenn man nicht umhin kann, etwas von sich in diesem bewegten Leben wiederzufinden, das von Leidenschaften umgetrieben, von erschütternden Ereignissen überschattet, von Kummer zerrissen, aber auch von Frauen- und Mutterfreuden über­ sonnt war, sondern die Frau, die Eleonore in jeder Hinsicht des Wortes war: die ideale Frau für alle und die ideale Mutter für ihre Untertanen, aber nicht nur für sie, sondern auch für die anderen. Mag sein, daß Eleonore mit ihren politischen Zielen ge­ scheitert ist. Schließlich ist es ihr nicht gelungen, ihr Vorha­ ben zu verwirklichen und das Reich der Plantagenets zu ver­ größern und zu bewahren, das durch die Schuld ihres Sohnes Johann Ohneland für immer unterging. Aber ist die Köni­ gin-Herzogin wirklich aufgrund ihrer politischen Rolle als ei­ ne der großen Frauen in die Geschichte eingegangen? Ist es nicht so, daß angesichts der langfristigen Entwicklungen über die Jahrhunderte hin persönliche Mißerfolge gar nicht ins Ge­ wicht fallen? In der Tat war ihre mythische Rolle weit wichti­ ger, weit zukunftsträchtiger, denn sie hat die Mentalität der Menschen Westeuropas noch lange über Eleonores Tod hin­ aus beeinflußt. Ja, der Traum, der sich um ihre Person im 12. Jahrhundert herauskristallisierte, hat sich bis in unsere Tage hinein erhal­ ten. Er scheint gleich den Mythen unsterblich zu sein, mag er vorübergehend auch bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt wer­ den. Jedenfalls ist Eleonore von Aquitanien, nacheinander Königin zweier Länder, immer aber Herrin der Troubadours, auch für uns heute noch lebendig. Ja, im Grunde hat sie sich wohl nie selbst gehört, ist es doch das Schicksal der Helden der Geschichte, Kollektivbesitz der Völker und Dichter zu sein.

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Anmerkungen

1. Die zweifache Königin 1 Bis zum 16. Jahrhundert wurde der Herzog im Brevier von Bordeaux als St Wilhelm verehrt. 2 Bei Karolingern wie Kapetingem war die Königswürde als solche ur­ sprünglich nicht erblich: Der König erbte als Graf von Paris und Lehns­ herr der Ile de France lediglich dieses Gebiet, während er in seiner Eigen­ schaft als König, das heißt als Lehnsherr der übrigen Adligen, theoretisch von seinesgleichen gewählt wurde. Daher denn der von den Königen ein­ geführte Brauch, noch zu Lebzeiten ihren Sohn krönen zu lassen. •’ Nach einer anderen Version begrüßte Saldebreuil, ein fauler Strolch, aber Wortführer der Pariser Studenten, die Königin bei einem Universitätsbesuch mit einer so schmeichelhaften Ansprache, daß sie ihn, zutiefst befrie­ digt, mit einer wohlgespickten Börse belohnte. Beim anschließenden Fest­ mahl soll der von einem neidischen Kommilitonen verletzte Student dann auf einer Bahre hereingetragen und von der Königin hingebungsvoll ver­ sorgt worden sein. * Romania, LXVI. Paris 1938, S. 160. 5 Der lateinische Text bringt hier ein Wortspiel mit den Begriffen castra (Lager) und casta (keusch). 6 Wilhelm von Neubourg, L, & 92 f. 7 Der unparteiischste Geschichtsschreiber der damaligen Zeit, Johannes von Salisbury, merkt dazu an: »Der vertraute Umgang des Fürsten (Raimund) mit der Königin, seine häufigen, fast ununterbrochenen Unterredungen mit ihr, weckten beim König Verdacht.« Wilhelm von Tyr geht noch wei­ ter. Er schreibt um 1180: »Sowie Raimund sah, daß er nichts ausrichten konnte, wechselte er die Taktik und begann dem König in aller Öffent­ lichkeit Fallen zu stellen. Er faßte in der Tat den Vorsatz, mit Gewalt oder durch ein finsteres Ränkespiel dessen Gemahlin zu entfuhren, welche ein­ willigte, da sie zu den tollen Weibern zählte. Denn sie war, wie sich so­ wohl vor- als auch nachher hinlänglich erweisen sollte, wahrhaftig ein

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wirrköpfiges Weib, schlug die Königswürde in den Wind, kümmerte sich nicht um die Gesetze der Ehe und vergaß das eheliche Bett.« Zu dieser unverblümten Anklage sei angemerkt, daß Wilhelm von Tyr wie alle sei­ ne englischen Landsleute die Aquitanierin haßte und sich 1180 durch die­ se Zeilen bei König Heinrich II, der Eleonore zu diesem Zeitpunkt gefan­ genhielt, nur beliebt machen konnte. Andererseits hätte dieser in der Re­ gel gutinformierte Erzbischof die französische Exkönigin und gegenwärti­ ge Königin von England wohl nicht offen des wiederholten Ehebruchs (»sowohl vor- als auch nachher«) zu bezichtigen gewagt, wäre Eleonores Lebenswandel über jeden Tadel erhaben gewesen. Der Geschichtsschrei­ ber Gervasius von Tilbury äußert sich in seinem später abgefaßten Bericht zurückhaltender, doch nicht minder vielsagend: Nach seiner Darstellung erwuchs der Streit zwischen Ludwig VIL und Eleonore »während die­ ser Reise aus gewissen Dingen, über die man besser nicht redet.« Jeden­ falls hat das Geheimnis, das den Vorfall umgibt, vielfältige Kommentare ausgelöst und allen erdenklichen Sagen über Eleonore Vorschub gelei­ stet. “Johannes von Salisbury berichtet darüber: »Was aber den in Antiochia zwischen dem König und der Königin ausgebrochenen Streit betrifit, so schlichtete ihn der Papst, nachdem er sich die Beschwerden der beiden Ehegatten gesondert angehört hatte. Er untersagte ihnen, hinfort auf die zwischen ihnen bestehende Blutsverwandtschaft anzuspielen, bestätigte ih­ re Verbindung in Wort und Schrift und verbot bei Strafe des Bannfluchs, irgend jemandem Gehör zu schenken, der unter Berufung auf diese Ver­ wandtschaft Kritik an ihrer Ehe üben sollte, die unter keinem Vorwand gebrochen werden durfte - eine Entscheidung, die dem König unendlich wohlzugefallen schien. Der Papst hieß sie auch im selben, auf seine Wei­ sung mit kostbarsten Stoffen ausgestatteten Bette schlafen und wirkte während ihres mehrtägigen Aufenthaltes in privaten Unterredungen dar­ auf hin, ihre gegenseitige Zuneigung wieder zu wecken. Er überhäufte sie mit Geschenken, und als sie Abschied nahmen, konnte dieser sonst so ge­ strenge Mann die Tränen nicht zurückhalten und segnete beim Aufbruch beide in Person sowie das Königreich Frankreich.« (Historia Pontificalis, & 537) Der Umstand, daß sich der Papst persönlich ins Mittel legte und den Ehebund trotz der nach kanonischem Recht unzulässigen Blutsver­ wandtschaft bestätigte, läßt auf ein besonders schweres Zerwürfnis zwi­ schen Ludwig und Eleonore schließen. ’ »Der Papst schwört bei Gott im Himmel: Du kannst kein klüger, schöner noch wohlanständiger Weib finden. Geh denn, nimm dein Weib und mö­ ge dir Gott Freude durch sie schenken« (Girart de Roussillon, & 385-388). Lesenswert in diesem Zusammenhang ist die äußerst interessante These, die René Louis im ersten Band seiner De /'Histoire à la Légende, Girart, Comte de Vienne, (v. a. S. 370) ausfuhrt.

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'“Obwohl die Chronisten das Geburtsdatum von Ailis nicht nennen, er­ weist sich die Hypothese, sie könnte einer ehebrecherischen Verbindung entstammen, als unhaltbar: Der Papst hätte Ludwig gewiß nicht mit einer nach außerehelichen Beziehungen schwangeren Eleonore versöhnt. So darf man fiiglich annehmen, daß das Kind in Tusculum während der von Eugen IIL abgesegneten Versöhnung gezeugt wurde - einer Versöhnung, die bekanntlich nicht lange währen sollte. 1' Wilhelm von Neubourg schreibt, die von ihrem Gatten enttäuschte Eleo­ nore habe eine Verbindung mit Heinrich ihrem Wesen gemäßer erachtet. 12 Zum Beispiel der Verfasser der Chronik von Tours. "Bevor man ihn der Doppelzüngigkeit oder Käuflichkeit bezichtigt, halte man sich vor Augen, daß die Kirche bei der Eheschließung keine aktive Rolle spielt: Der Priester fungiert lediglich als Zeuge des Sakramentes, das sich die Eheleute gegenseitig spenden, nimmt ihr Jawort zur Kenntnis und segnet ihren Bund. Diese auf allseitiges Vertrauen gegründete Rege­ lung stammt aus frühchristlicher Zeit, in der die Kirche die Ehe lediglich duldete. 1,1 Gervasius von Canterbury spricht von einem »Scheinschwur«. 15 Wahrscheinlich beunruhigte Bernhard von Clairvaux die Vorstellung, der König von Frankreich könnte ohne männliche Nachkommen bleiben, und auch die Kirche hegte Befürchtungen: Nach Darstellung des Abtes von Mont-Saint-Miche), Robert von Thorigny, des Vertrauten Ludwigs VIL und Heinrichs II, hegte Eleonore die Absicht, mit Heinrich zu gehen - ein Skandal, den es um jeden Preis zu vermeiden galt. 16 Mit der Begründung, daß Ludwig und Eleonore die Ehe guten Glaubens, d. h. in Unkenntnis ihrer Blutsverwandtschaft, eingegangen waren. 17 Theobald V. von Blois war der zweite Sohn jenes Theobald von Champa­ gne, der Eleonore anläßlich der Verehelichung ihrer Schwester Petronella Arger gemacht hatte. Witzigerweise heiratete Theobald der Betrüger spä­ ter ihre zweite Tochter, Ailis von Frankreich. »Eleonore ließ dem Herzog (Heinrich Plantagenet) heimlich durch Boten melden, daß sie wieder frei sei, und ihn zur Ehe drängen. Man erzählte in der Tat, daß sie durch ihre Geschicklichkeit die Auflösung ihrer Ehe zu­ wege gebracht hatte. Der Herzog, berückt vom Adel dieser Dame, mehr noch aber vom Verlangen besessen, in den Besitz der Ehren zu gelangen, die sie zu vergeben hatte, reiste mit einigen wenigen Gefährten auf dem kürzesten Weg an, um die von ihm schon zuvor heiß begehrte Ehe alsogleich zu schließen.« (Gervasius von Canterbury). ” SenescaUus, der Alte, im Gegensatz zu Senior, der Ältere, das heißt der Herr. Die Funktion ist damals noch nicht genau umrissen; es handelt sich vor allem um einen Ehrentitel, den dem Königshaus vertraute Adlige erhiel­ ten. a’ Indem sie behauptete, ihre Macht - wie der Herzog von der Bretagne —

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allein von Gott und nicht durch ein vom Souverän verliehenes Lehen empfangen zu haben, setzte sich Eleonore über ihren legitimen Souverän, den König von Frankreich, mehr oder weniger hinweg. Der weitere Wortlaut der Urkunde ist nicht minder aufschlußreich. Sie möchte die Vergangenheit endgültig begraben und als neue Wohltäterin auftreten: »Als ich noch Königin an der Seite des Königs von Frankreich war, machte der König der Abtei den Wald an der Sfevre zum Geschenk, und auch ich habe diesen Wald gegeben und bewilligt. Seit ich jedoch kraft Ur­ teils der Kirche vom König geschieden bin, habe ich meine einstige Schenkung wieder an mich genommen. Heute nun erneuere ich auf den Rat weiser Männer und die Bitte des Abtes Petrus hin diese ehedem gleichsam wider Willen gewährte Schenkung aus freien Stücken...« 21 Da man in der Äbtissin die Mutter sämtlicher Mönche und Nonnen sah, schien eine mit Kindern gesegnete Witwe am geeignetsten, diese gemisch­ te Gemeinschaft materiell und seelisch zu betreuen. Dieser typisch kelti­ sche Brauch entsprach ganz der Tendenz des 12. Jahrhunderts, der Frau wieder zu ihrer moralischen Autorität und zur Entfaltung ihrer ganzen Persönlichkeit zu verhelfen. Man denke nur an die höfische Liebe mit ih­ rer Vergötterung der Frau, die in diesem Jahrhundert aufkam, und den Beitrag zur Einbürgerung dieser Geisteshaltung, den Eleonore durch ihr persönliches Verhalten und die Förderung der Troubadours und Dichter des Nordens leistete. 22 Bei diesem Schiffbruch kamen sämtliche Kinder des englischen Königs auf der Überfahrt von der Normandie nach England ums Leben - ein Schlag, von dem sich Heinrich Beauclerc nicht mehr erholen sollte. Nach dem Tode ihres Mannes nahm Mathilde in Fontevrault, wo sie schon ihre Jugend verbracht hatte, den Schleier. 22 »Nachdem ich von meinem Herrn Ludwig, dem erlauchten König von Frankreich, aus Gründen der Blutsverwandtschaft geschieden und mei­ nem hochedlen Herrn Heinrich, dem Grafen von Anjou, ehelich ange­ traut worden, verspürte ich durch göttliche Eingebung das Verlangen, dem heiligen Orden der Jungfrauen zu Fontevrault einen Besuch abzustat­ ten und konnte durch Gottes Gnade diese Absicht, mit der ich mich in meinem Geiste trug, auch ins Werk setzen. So bin ich denn, von Gott ge­ leitet, nach Fontevrault gekommen, habe die Schwelle überschritten, wo sich die Nonnen versammeln, und hier mit tiefbewegtem Herzen all das gebilligt, bestätigt und bewilligt, was man Vater und meine Vorfahren Gott und der Kirche zu Fontevrault gegeben, insonderheit jenes Almosen von 500 Sols poitevinischen Geldes, das der Herr Ludwig zur Zeit, da er noch mein Gemahl war, und ich selbst gestiftet.« 24 Stephan von Blois hatte einen ehelichen Sohn, Eustache, dessen Unfähig­ keit allgemein bekannt war, und einen unehelichen, der von der Thronfol­ ge juristisch von vomeherein ausgeschlossen war. Nach Eustaches Tod

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1153 willigte der König auf Betreiben seines Bruders, des Bischofs von Winchester, widerstrebend ein, Heinrich Plantagenet als Nachfolger zu akzeptieren - fur den kranken und zusehends isolierten Mann zweifelsoh­ ne die beste Lösung. 2S Der ehrwürdige Johann von Etampes soll zu Eleonore gesagt haben: »Edle Dame, man spricht seit langem von Euch und wird noch viel mehr von Euch reden. Denn Ihr seid die, welche der Prophet Merlin vor sechs­ hundert Jahren unter dem Bild des großen Adlers, der seine Flügel zu­ gleich über Frankreich und England breitet, angekündigt hat.« Darauf soll Eleonore geantwortet haben: »Ich glaube nicht, daß mein Gemahl, der König, auf jener Insel die Großtaten Wilhelms des Eroberers wiederholen wird.« Darauf der Alte: »Es geht auch nicht um König Ludwig. Der Ad­ ler, von dem Merlin in seiner Prophezeiung kündet, seid Ihr, schöne Kö­ nigin Eleonore.« Hierauf soll Eleonore die Unterredung mit einem Scherz beendet haben: »So muß ich denn Witwe werden, um Merlin Recht zu geben.« Diese unüberprüfbare Anekdote beruht, ob wahr oder erfunden, mit Sicherheit auf Eleonores bekanntem Ehrgeiz. Übrigens haben die Au­ toren des 12. Jahrhunderts öfters eine Parallele zwischen ihr und den Pseudoprophetien Merlins gezogen. Um 1132 verfaßte Gottfried von Monmouth, gestützt auf mündliche und schriftliche Überlieferungen aus Wales, seine berühmte Vita Merlmi, die er später auf Anordnung oder Rat der anglonormannischen Dynastie in seine Historia Regum Britamiae eingliederte. Gottfried verfolgte übrigens ausschließlich literarische Interes­ sen und versuchte die verworrenen, dem Barden-Propheten Myrddin, ei­ ner historischen Gestalt des 6. Jahrhunderts aus dem nordbritan­ nisch-schottischen Grenzbereich, zugeschriebenen Prophetien zeitgemäß aufzupolieren: Bezeichnenderweise gab Eleonore nach ihrer Krönung zur Königin von England beim Kanonikus Robert Wace von Bayeux eine französische Bearbeitung der Hiitoria Regum Britamiae in Auftrag - den berühmten Roman de Brut, der die Artussage in Frankreich und den angjonormannisch sprechenden Ländern zu einer beliebten literarischen Quelle machte. Vgl. in diesem Zusammenhang mein Buch Le Roi Arthur et la So­ ciété celtique, Paris, 2 AufL 1977, in dem neben der Sage selbst die histori­ schen Umstände aufgehellt werden, die, von den Plantagenets abgesegnet, zur Verbreitung der Artustomane in ganz Europa führten. “ »Von früh bis spät befaßt er sich mit den Staatsgeschäften, kommt, außer wenn er aufs Pferd steigt oder seine Mahlzeiten einnimmt, nie zum Sitzen und unternimmt zuweilen an einem Tag einen vier- bis fünfmal längeren Ritt als gemeinhin üblich. Man weiß nie so recht, wo er sich gerade auf­ hält und was er treibt, da er seine Pläne häufig ändert und das Durchhal­ tevermögen seines Gefolges auf eine harte Probe stellt. Wo andere Könige in ihren Palästen der Ruhe pflegen, kann er oftmals seine Gegner über­ rumpeln und außer Fassung bringen, wie er überhaupt alles besichtigt«

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(Petrus von Blois) Tatsächlich scheint kein anderer König jener Zeit eine so fieberhafte Aktivität entfaltet zu haben wie Heinrich, der in Anbetracht der riesigen Ausdehnung seiner Besitzungen weder über eine Hauptstadt noch über eine feste Residenz verfugte. Im übrigen bedurfte es in einem so bunt zusammengewürfelten Reich, das sich von der schottischen Gren­ ze bis zu den Pyrenäen erstreckte, unbedingt seiner - oder Eleonores Allgegenwart, da die Einheit sonst bloß auf dem Papier bestanden hätte. Nebenbei bemerkt hat es nie ein besser verwaltetes und straffer zentrali­ siertes Reich gegeben als das anglo-angevinische. 27 Bernhard von Ventadom, wegen seiner mutmaßlichen Liebe zur Schloß­ herrin von Ventadom (er selbst war nur der Sohn einer Bediensteten) vom eifersüchtigen Schloßherm in die Verbannung geschickt, trat in die Gefolgschaft Eleonores, der er zahlreiche Gedichte widmete, aus denen man auf ein mögliches Liebesabenteuer zwischen ihm und Eleonore ge­ schlossen hat. 28 Mit dieser neuen Grafschaft belohnte einst Wilhelm der Eroberer die Bre­ tonen, die ihn bei der Eroberung Englands unterstützt hatten. 29 Der für seine spitze Zunge bekannte Giraldus Cambrensis läßt sich die Gelegenheit zu einem Wortspiel nicht entgehen. In seinem auf lateinisch abgefaßten Text merkt er an, Rasa Mundi (was soviel wie »Rose der Welt« bedeutet und bereits ein Wortspiel mit Rara Munda, »Reine Rose«, bein­ haltet), habe ihren Namen nicht verdient, sondern hätte eher Rasa Immun­ ds, »Rose der Unreinheit«, heißen sollen. 10 Später muß Richard Löwenherz nach der Entrichtung des von Eleonore gesammelten Lösegeldes dem deutschen Kaiser und angeblichen Erben des Römischen Reiches (des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na­ tion), wenn es auch nur eine reine Formalität ist, für England auch noch den Lehnseid leisten, und Johann Ohneland muß im Zuge seiner Ausein­ andersetzungen mit seinen Baronen, dem König von Frankreich und dem Papst die Lehnshoheit des Papsttums über das Königreich anerkennen. 11 Insbesondere nach der von Gervasius von Canterbury, der Heinrich nach­ sagt, er hätte versucht, den päpstlichen Gesandten zu bestechen. 32 Sie war zwar entfernter als zwischen Ludwig VII. und Eleonore, existierte aber durchaus, da sowohl Heinrich als auch Eleonore von Robert dem Frommen abstammte. 13 Als anerkannter Herzog von Aquitanien und Graf von Poitiers war Ri­ chard nicht nur Erbe, sondern auch Titular der Besitzungen seiner Mut­ ter. Dennoch fühlte sich Heinrich angesichts der ungeklärten Situation un­ behaglich: Hatte er nicht seinem gleichfalls anerkannten und zum König von England gekrönten Ältesten die von diesem beanspruchte Macht ver­ weigert? Heinrich fühlte sich in der Falle. Ohne Eleonore waren ihm die Hände gebunden, durfte er doch auch Richard nicht trauen, der seiner Mutter all ihre Titel zurückgpben konnte. In der Tat war Richard Eleono­

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res Lieblingssohn und stand mit ihr trotz zeitweiliger scheinbarer Abküh­ lung stets in engem Einvernehmen. "'’Hier dieser vom Nachfolger Richards aus Poitou stammende, prophe­ tisch-lyrische, mit Bibelzitaten gespickte Text: »Sag mir, o Adler mit den zwei Häuptern, sag mir, wo du weiltest, als deine flügge gewordenen Jun­ gen die Fänge gegen den König von Aquilon (England) zu erheben wag­ ten? Du selbst hast sie, heißt es, gegen den Vater aufgewiegelt und wur­ dest darob aus der Heimat gerissen und in die Fremde geführt. Deine Ba­ rone haben dich durch ihre friedfertigen Worte überlistet. Deiner Zither entströmen nur noch düstere Klänge und deiner Flöte nur noch Klagelau­ te. Vor kurzem noch zart und wollüstig, genössest du königliche Freiheit, flössest über von Reichtum, umgabst dich mit jungen Mädchen, die zur Begleitung von Tamburin und Zither süße Strophen für dich sangen (eine Anspielung auf den Hof von Poitiers, wo Eleonore Dichter und Musiker von überall her versammelt hatte). Dich erfreute der Klang der Instru­ mente, und die Kunst deiner Musikanten ergötzte dich. Ich flehe dich an, o Königin mit den zwei Kronen, laß ab von deiner beständigen Trübsal. Warum sollten die täglichen Tränen nunmehr dein Herz verwirren? Komm zurück, o Gefangene, komm zurück in deine Städte, so du kannst! Und so du es nicht kannst, weine mit dem Könige Jerusalems und sprich: Weh über mich Unglückliche! Allzu lange schon mußte ich hier verwei­ len, inmitten eines unbekannten und derben Geschlechts Wohnung neh­ men (die Aquitanier versäumen keine Gelegenheit, die Überlegenheit ihrer Kultur über die Barbarei der Anglonormannen zu betonen)! So weine nur, weine und sprich: Bei Tag und Nacht sind Tränen meine Speise, weil man mich täglich fragt: Wo sind deine Diener? Wo deine Begleiterinnen? Wo deine Ratgeber? Die einen wurden aus ihrem Lande gerissen und ei­ nem schmählichen Tod überantwortet, die anderen des Augenlichts be­ raubt (eine Anspielung auf die grausamen Unterdrückungsmethoden Heinrichs II), wieder andere irren unstet umher und gelten als Flüchtige. Wie lange wirst du, Adler des gebrochenen Bundes, deine Stimme erhe­ ben müssen, ohne Gehör zu finden? Der König Aquilons hat dich umzin­ gelt. Auf denn, laß nicht ab, mit dem Propheten zu rufen, laß deine Stim­ me der Trompete gleich erschallen, auf daß sie gehört werde von deinen Kindern! Denn der Tag naht, an dem sie dich befreien werden, an dem du heimkehrst in dein Vaterland.« 14 Alle drei, Richard, Gottfried und Heinrich der Jüngere, fühlen sich bei der Erbteilung hintangesetzt, während der damals aufgrund seiner Jugend noch handlungsunfähige Johann Ohneland den festen Vorsatz faßt, sich mit allen Mitteln seinen Anteil zu sichern. Gottfried soll einmal geäußert haben, es scheine das Schicksal der Plantagenets zu sein, sich gegenseitig zu bekriegen. Tatsächlich ließen sich Heinrichs IL Söhne leicht gegen ihren Vater und gegeneinander aufhetzen. So vom König von Frankreich, des­

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sen Politik darin bestand, seine großen Vasallen und Nachbarn durch in­ nere Kämpfe zu schwächen, aber auch von den stets aufsässigen aquitani­ schen Baronen, die wenig Neigung zeigten, sich unter eine Lehnshoheit, gleichviel, ob englisch oder französisch, zu beugen. Ganz besonders ge­ schickt darin war der streitbare Troubadour und begeisterte Lobredner des Krieges, Bertrand de Born, der Heinrichs Söhne zunächst gegen ihren Vater aufhetzte, um sich in der Folge dann mit dem König auszusöhnen und die Brüder gegeneinander aufzuwiegeln. 15 Bestrebt, die anglo-angevinische Dynastie bis zu den keltischen Ursprün­ gen der englischen Geschichte zurückzufuhren, nutzte Heinrich II, der in Konstanzes Sohn Richards rechtmäßigen Erben sah, jede Gelegenheit, um als Erbe des sagenhaften Artus aufzutreten, dessen historische Anerken­ nung er vor allem nach der Entdeckung des sogenannten Artus- und Ginevra-Grabes in Glastonbury betrieb. Vgl. dazu mein Buch Le Roi Arthur et la Société celtique, insbesondere das Kapitel »Le contexte politique«, & 96-147, in dem der Einfluß der Anglonormannen und später der angloangevinischen Dynastie auf die Verbreitung der Artussagén untersucht wird. “ Vermutlich war die Szene in Gisors eine abgekartete Sache zwischen Ri­ chard und dem König von Frankreich, um durch diese öffentliche De­ monstration des Lehnscharakters aller Festlandsbesitzungen der Plantage­ nets Heinrich IL in die Position des Unterlegenen zu drangen. ’ Giraldus Cambrensis erzählt in diesem Zusammenhang eine recht merk­ würdige Anekdote: In einem Gemach des Palastes von Winchester soll ein Bild einen Adler mit vier Jungen dargestellt haben, von denen drei den alten mit Schnabel und Krallen an Flügeln und Rücken angriffen, während das vierte, kleinste, auf seinem Hals hockte und ihm die Augen auszuhacken suchte. Laut Giraldus soll Heinrich IL das Bild einmal so ge­ deutet haben: »Diese vier Jungadler sind meine vier Söhne, die mich bis in den Tod verfolgen werden. Von ihnen allen wird der jüngste, von mir be­ vorzugte, am grausamsten mit mir verfahren und mich schwerer verletzen als die drei anderen.« Wieweit Giraldus’ Bericht stimmt, steht dahin, doch muß es Heinrich IL ungeheuer geschmerzt haben, auf dem Totenbett den Verrat seines Lieblingssohnes zu erfahren. 18 Nach Darstellung des Chronisten Roger von Hoveden soll er eines Tages bemerkt haben: »Ich würde selbst London losschlagen, wenn ich einen Käufer fände.« Bezeichnenderweise veräußert er vor allem englische Besit­ zungen. 39 Richard trug sich mit dem Gedanken, seine Schwester Johanna, die Wit­ we des Königs von Sizilien, mit Sultan Saladins Bruder Malik-al-Adil, zu verheiraten, um mit ihm in Jerusalem zu herrschen und den Krieg durch wechselseitige Gebietsabtretungen zu beenden. Doch Johanna lehnte die­ sen reichlich unrealistischen Traum ihres Bruders aufs entschiedenste ab.

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Richard kam zwar ziemlich nah an Jerusalem heran, konnte die Stadt selbst jedoch nicht einnehmen und schloß zu guter Letzt mit Saladin einen Kompromiß, der den Abendländern die Häfen und den Küstenstreifen beließ. In Anerkennung seiner Tapferkeit bot Saladin Löwenherz freies Geleit für eine Wallfahrt zu den heiligen Stätten an, was dieser jedoch nach Darstellung des Chronisten Joinville mit den Worten ablehnte: »Lie­ ber Herrgott, ich bitte dich, laß mich deine heilige Stadt nicht sehen, da ich sie nicht aus den Händen deiner Feinde befreien kann.« ‘“’Philipp August wurde zwar etwas später wegen der Verstoßung Ingeborgs exkommuniziert, dann aber ohne weiteres wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen. Das kapetingische Frankreich rückte so im wahr­ sten Sinne zur »ältesten Tochter der Kirche« auf und spielte diese Rolle jahrhundertelang mit solchem Nachdruck, daß das Papsttum unter Phi­ lipp dem Schönen direkt unter die Kuratel der Kapetinger in Avignon geriet. 4< In Wirklichkeit hatte das Papsttum Irland an Heinrich Plantagenet ver­ schachert. Zwar ist die Echtheit der Bullt Laudabiliter, in der der Papst Heinrich II. 1155 mit der Reformierung der irischen Kirche und der Ein­ führung des Peterspfennigs beauftragte, umstritten, dafür aber billigte Alexander IIL Heinrichs Machtergreifung auf der grünen Insel 1172 in drei Briefen ausdrücklich. Zum einen, weil die Kirche im Haus AnjouPlantagenet angesichts der Schwäche Ludwigs VIL die einzige verläßliche Macht im Abendland sah, und zum anderen, weil sich auf diese Weise der alte Streit zwischen der irischen Kirche, die mit ihrem Partikularismus und vor allem ihrem praktisch autonomen System von Abteien und Bis­ tümern stets eine Außenseiterrolle gespielt hatte, und der römischen Kir­ che mit ihren Zentralisationsbestrebungen beilegen ließ. Aus ähnlichen Gründen hatte Heinrich IL vom Papst auch die endgültige Auflösung des Erzbischofssitzes Dol in der Bretagne zugunsten des seit jeher Rom unter­ stellten Erzbischofssitzes Tours auf Plantagenet-Territorium erreicht. Von der Ermordung Thomas Beckets als einer Art Betriebsunfall abgesehen, herrschte zwischen Heinrich IL und dem Papsttum also stets bestes Ein­ vernehmen. 42 Dem langjährigen Schreiber und Vertrauten Heinrichs IL Nachdem der mit dem Papsttum auf gespanntem Fuß stehende deutsche Kaiser Friedrich Barbarossa Alexander III einen Gegenpapst vor die Nase gesetzt hatte, hatte nur die entschiedene Haltung des mit Alexander ver­ bündeten Heinrich IL ein schweres Schisma vermeiden helfen. 44 Das Wortspiel kommt nur im Lateinischen zum Tragen: Ugatipotius quam lefati. Dem literarischen Zeitgeschmack entsprechend ergeht sich Petrus von Blois bei der Abfassung dieser Schreiben in Bibelzitaten, lateinischem Wortschwall, höfischer Geschraubtheit und pseudointellektuellem Witz einem für die meisten Briefe dieser Zeit kennzeichnenden Stil.

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45 Diese Vorgänge bilden den Ausgangspunkt der Robin-Hood-Sage. Hood symbolisiert die Treue zu König Richard in einer Gegend Englands, die von so bedingungslosen Anhängern Johann Ohnelands wie dem Sheriff von Nottingham beherrscht wird. 47 Dies wäre bei den Kapetmgem eingetreten. Im übrigen drängte Philipp August Arthur, Anspruch auf die Krone zu erheben. 48 Diesen Treueid scheint Johann nicht geleistet, sondern mit einem Rebel­ lionsversuch beantwortet zu haben. 49 In den von Eleonore verliehenen Urkunden figuriert Richard immer als caritsimus, Allergeliebtester, während Johann lediglich mit der einfachen Höflichkeitsformel dilectus, Erwählter, bezeichnet wird. 50 Auf die Nachricht von Richards Tod hin soll es zwischen dem immer noch amtierenden Wilhelm dem Marschall und dem allmächtigen Erzbi­ schof von Canterbury und Reichsverweser, Hubert Walter, zu folgender Unterhaltung gekommen sein: »Welche Hoffnung«, fragt der Erzbischof, »könnte es für uns nach diesem Unglück noch geben? Keine, denn ich se­ he noch immer niemanden, der das Königreich zu verteidigen vermöchte. So werden uns die Franzosen angreifen, ohne daß ihnen jemand Wider­ stand entgegensetzte.« - »Drum sollten wir«, entgegnet Wilhelm, »uns be­ eilen, einen Nachfolger zu wählen.« - »Meiner Ansicht nach«, so der Erz­ bischof, »müßten wir uns für Arthur von der Bretagne entscheiden.« »Ach, Herr«, erwidert Wilhelm, »das wäre ein übel Ding. Arthur war im­ mer schlecht beraten, er ist mißtrauisch und hochmütig. Setzen wir ihn über uns, wird er uns Ungemach bereiten, denn er liebt die Engländer nicht. Nehmt dagegen den Grafen Johann: Er ist, bei meiner Treu, der nächste Erbe des Landes seines Vaters und Bruders.« - »Marschall«, so drauf der Erzbischof, »wollt Ihr das wirklich?« - »Gewiß, denn es ist sein gutes Recht. Der Sohn steht dem Lande seines Vaters näher als der Nef­ fe.« - »Marschall, mag es nach Eurem Wunsche geschehen, doch ich sage Euch, nie werdet Ihr etwas, was Ihr getan, so bitter bereuen.« 51 Angeblich soll Eleonore Bianca den Vorzug vor ihrer Schwester Urraca gegeben haben, weil sie deren Namen am französischen Hof für unaus­ sprechbar hielt. Trotz ihrer anderen Wesensart scheint Bianca (oder Blan­ che) von Kastilien, wie sie insbesondere in ihrem Kampf gegen die mäch­ tigen Kronvasallen bewies, das Temperament ihrer Großmutter ererbt zu haben. 52 Da Eleonore seit ihrem Lehnseid in Tours die Lehnsherrin von Johann und den Lusignans war, hätte ihr und nicht dem König von Frankreich die Schlichtung des Streites zugestanden. Man hat in diesem Zusammen­ hang angemerkt, Johann habe, da er seiner jungen Frau ein stattliches Leibgedinge, darunter die Städte Saintes und Niort, vermachte, nur im Einverständnis oder doch zumindest mit Duldung seiner Mutter handeln können, was jedoch nicht heißt, daß Eleonore den tollen Streich ihres

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Sohnes billigte; schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als für Johann einzustehen. 53 Bemerkenswerterweise übertrug der König von Frankreich Aquitanien nicht Arthur - eine sehr geschickte Geste, mit der Philipp August seiner unverminderten Hochachtung vor der alten Herzogin Ausdruck verlieh. Die Normandie kam ohnedies nicht in Frage, da Philipp sie sich selbst vorbehielt. 34 Arthur und Hugo von Chätellerault fühlten sich ihrer Beute derart gewiß, daß sie keinerlei Absicherung gegen einen Feind von außen trafen: Um den Belagerten alle Fluchtmöglichkeiten zu nehmen, hatten sie sämtliche Stadttore bis auf ans vermauert und waren so in der Stadt buchstäblich wie in einer Mausefalle gefangen, ohne sich auch nur verteidigen zu kön­ nen. ’5 Sofern man ihn nicht, wie angedeutet, eo ipso als rechtmäßigen Erben der Besitzungen der Plantagenets betrachtet. Jedenfalls aber war der Herzog von der Bretagne der legitime Erbe des noch kinderlosen Johann. “ Man hat über diese Tat viel diskutiert und das abscheuliche Verbrechen statt Johann seinem Gefährten anlasten wollen. Nach Aussage Wilhelms von Briouse jedoch, der 1210 den ganzen Hergang ausführlich schilderte und dabei Johann, mittlerweile sein Todfeind, schwer belastete, scheint dieser in einem seiner regelmäßig wiederkehrenden Anfälle von Blut­ rausch seinen Neffen tatsächlich eigenhändig umgebracht zu haben. Die moderne Psychologie würde Johann Ohneland unter die Zyklothymen einreihen, bei denen völlige Apathie unvermittelt mit Perioden überstei­ gerter Aktivität abwechselt. s' Durch seine Tat jedoch verloren die Plantagenets die Bretagne, die an Ar­ thurs Halbschwester, die junge Prinzessin Alix, die Tochter von Konstan­ ze und Wido von Thouars, als rechtmäßige Erbin des Herzogtums fiel. Nachdem Heinrich II alles unternommen hatte, um die Bretagne mit Großbritannien zu vereinigen, hätte Arthur diese Einheit verwirklichen und gleichzeitig auch den Zusammenhalt des Plantagenet-Reiches (mit Ausnahme der Normandie, auf die Philipp August es abgesehen hatte) wahren können. All diese Vorgänge beweisen den mangelnden politi­ schen Verstand Johann Ohnelands, der sich in der Folge dann noch toller aufiführen sollte.

2, Eleonores sonderbare »Scheidung« 1 Nicht nur, weil Ludwig VIL bei Nachwuchs nicht sicher sein konnte, tat­ sächlich der Kindsvater zu sein, sondern auch, weil man damals glaubte, durch sexuelle Beziehungen der Frau mit einem anderen Mann litte die Reinheit des Geschlechtes Schaden. Beweis dafür sind Theorie und Praxis der höfischen Liebe: Eine Dame durfte zwar mit allgemeinem Einver-

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ständnis einen Geliebten haben, mußte aber bestimmte Regeln beachten. Während einer gefühlsmäßigen platonischen Beziehung nichts im Wege stand und auch Zärtlichkeiten bis zu intimsten, gegen die heutigen Moral­ vorstellungen verstoßenden Berührungen erlaubt waren, war der soge­ nannte normale Geschlechtsakt aus Angst vor den Folgen für die Reinheit des Geschlechtes unter allen Umständen tabu. Deshalb ist auch ein Ro­ man wie Tristan und Isolde, der die totale Liebe verteidigt, zutiefst antihö­ fisch, der Cliges des Chrétien de Troyes dagegen, ein regelrechter »AntiTristan«, geradezu ein Paradebeispiel höfischer Denkungsart. 2 Die Schuld an der Kinderlosigkeit einer Ehe wurde stets der Frau, nie dem Mann gegeben. So konnte Unfruchtbarkeit auch als Anlaß zur Ver­ stoßung dienen. 1 Hierzu folgende kleine Anekdote: Als Eleonore im Lauf einer Unterhal­ tung mit einem Troubadour erwähnte, sie habe über einem guten Trop­ fen noch nie ihren klaren Verstand eingebüßt, antwortete dieser, indem er sich hinter der Autorität des Aristoteles verschanzte, der damals gprade in Mode kam: »Wie schon Aristoteles sagt, können Frauen in der Tat nicht leicht trunken werden, da ihr Körper, wie allein der Glanz ihrer Haut (sic) und die monatlichen Reinigungen beweisen, die sie von der überflüssigen Feuchtigkeit befreien, mehr Feuchtigkeit enthält als der der Männer. So vermischt sich der Wein in ihrem Magen mit einer solchen Menge Flüs­ sigkeit, daß er stark verdünnt wird und kein Dampf mehr ins Hirn auf­ steigt.« Darauf soll Eleonore entgegnet haben: »Diese Feuchtigkeit be­ wahrt die Frauen jedoch nicht vor einer schlimmeren Trunkenheit« - was darauf hindeutet, daß diese Anekdote von ihren Verleumdern stammt. Im übrigen sei noch angemerkt, um die Kindlichkeit der Argumente des Denklehrmeisters der mittelalterlichen Kirche darzulegen, daß Frauen bio­ logisch gesehen sogar weit weniger Alkohol und Wein vertragen als Män­ ner, was unlängst durch Experimente bewiesen wurde. ' So fiel die französische Krone, nachdem die drei Söhne Philipps des Schö­ nen ohne männliche Erben gestorben waren, schließlich nach endlosen Debatten an Philipp von Valois, den nächsten männlichen Verwandten des letzten Königs. Theoretisch hätte auch die Tochter Philipps des Schö­ nen, Isabella, die mit dem König von England verheiratet war, Anspruch auf die Krone erheben und sie in der Folge auf die englische Linie über­ tragen können. Auch diese Lösung war in Betracht gezogen, aber wieder verworfen worden, da die Franzosen nicht in Abhängigkeit vom engli­ schen König geraten wollten. Um das zu verhindern, beriefen sie sich auf das Salische Gesetz, das in diesem Augenblick seine ganze Bedeutung er­ langte. Die englischen Souveräne freilich weigerten sich unter Hinweis auf die insularen Gepflogenheiten, es anzuerkennen und erhielten ihren An­ spruch auf den französischen Thron aufrecht. Das führte in der Folge zum sogenannten Hundertjährigen Krieg Später ließ sich Isabella von Bay-

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em, die Frau des verrückten Königs Karl VL, für die englische Sache gewin­ nen und erkannte den König von England als offiziellen Erben der französi­ schen Krone an. ' Das ist die etymologische Bedeutung des Wortes Vasall, das vom galli­ schen vassas, Diener, kommt und sich im bretonischen gvas, ursprünglich ebenfalls »Diener«, heute »Mann«, wiederfindet. 6 Das am römischen Recht orientierte französische Zivilrecht geht vom ei­ nen der beiden Glieder zur gemeinsamen Wurzel zurück und von da zum zweiten Glied. So sind Bruder und Schwester nach dem kanonischen Recht Verwandte ersten, nach dem Zivilrecht zweiten Grades; Kusine und Vetter nach kanonischem Recht Verwandte zweiten, nach dem Code civil Verwandte vierten Grades. Nun muß man aber, damit man die Scheinheiligkeit dieser Prozedur in ih­ rem ganzen Umfang ermessen kann, wissen, daß Eleonores zweiter Mann Heinrich II. Plantagenet ebenfalls von Robert dem Frommen abstammte und er und Eleonore nach kanonischer Rechnung Verwandte fünften Grades waren. " Diese Eifersucht wird von verschiedenen Chronisten, vornehmlich vom Verfasser der Chronik von Tours bestätigt. Vor allem laut Wilhelm von Neubourg, nach dessen Darstellung Eleono­ re, ihres Mannes überdrüssig, eine Verbindung mit Heinrich als ihrem Temperament gemäßer erachtete. 10 Insbesondere bei Robert von Thorigny, dem Abt von Mont-SaintMichel, dessen Zeugnis bei den Historikern großes Gewicht hat. Man könnte aber auch auf Wilhelm von Neubourg und Gervasius von Canter­ bury verweisen. "Wir stoßen hier auf die bekannte Streitfrage: Legalität oder Legitimität, die nie entschieden wird, so sehr sich auch die Völker im Laufe der Geschich­ te bekämpft haben, um den einen Begriff auf Kosten des anderen durch­ zusetzen. Das Problem ist absolut unlösbar, der Streit widersinnig. Beweis dafür ist der Nachfolgekrieg um die Bretagne im 14. Jahrhundert, in dem die französische Monarchie, die auf dem sogenannten Salischen Gesetz be­ ruhte, Johanna von Penthitvre, also eine Frau, gegen einen männlichen Erben, Johann von Montfort, unterstützte, dem dafür die englische Mon­ archie die Stange hielt, obwohl sie das Salische Gesetz nicht anerkannte. Mit anderen Worten, in diesem Bereich gibt es im Grunde nur eine Regel: den Opportunismus. 12 Ursprünglich war das gallische Territorium in drei große Regionen aufge­ teilt: die am frühesten romanisierte Provinz Gallia Narbonensis (oder Gallia Togaia) am Mittelmeer, die keltische Region zwischen Seine und Garonne und die belgische zwischen Seine und Rhein. Hauptstadt des keltischen Gal­ lien, der bei weitem wichtigsten Region, war Lugudunum, das heißt, Lyon (dessen Erzbischof heute noch den Titel »Primas von Gallien«

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trägt); aber schon bald mußte diese Region aus verwaltungstechnischen Gründen wiederum in drei Bezirke mit den Hauptstädten Lyon, Bourges und Tours unterteilt werden. Diese Verwaltungsgliederung wurde von der Kirche fast unverändert übernommen und lediglich durch Schaffung zusätzlicher Erzbischofssitze noch weiter unterteilt. Zum Beispiel wurde in Anbetracht der Bedeutung der alten gallischen Senonen die Stadt Sens zum Erzbischofssitz erhoben, der übrigens auch die alte Civitas der Parisii umfaßte, denn im 12. Jahrhundert war Paris nur ein Sens unterstellter Bi­ schofssitz. Auch die alten Provinzen gehen fast durchweg auf diese Eintei­ lung zurück. So deckt sich die Grafschaft Poitou im großen und ganzen mit der Civitas der Pictavi, die Vizegrafschaft Limoges mit der der Lemovid, die Grafschaft Auvergne mit der der Arverni, die Touraine mit der der Turones, Anjou mit der der Andtgavi, Maine mit der der Cenomani, Saintonge mit der der Santoms. Im 12. Jahrhundert entstanden dann aus der Verschmelzung verschiedener Territorien die großen Lehen wie Aquitanien, die Champagne und das zwischen dem Kapetingerreich und dem Heiligen Römischen Reich gelegene Burgund. Einen Spnderfall bil­ deten die Normandie und die Bretagne. Erstere, weil sie den Normannen als Siedlungsgebiet abgetreten worden war, die Diözesanaufgliederung sich aber dennoch erhalten hatte. Und letztere, weil sie das Produkt aus der Besetzung des Westens der Halbinsel durch die Inselbretonen und der Eroberung karolingischer Territorien im Osten mit einer großenteils aus Großbritannien importierten kirchlichen Organisation darstellte, die die alten Stammesgebiete der Veneti (Diözese Vannes), Redones Diözese Ren­ nes ohne Dol und Saint-Malo), Nammtes (Diözese Nantes) aber noch er­ kennen ließ. Diese Parzellierung war nicht zufällig, sondern dadurch ent­ standen, daß sich die verschiedenen Gruppen aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeiten, ihrer unterschiedlichen Traditionen und Sprachen zu je­ weils ganz spezifischen Einheiten zusammengeschlossen hatten. Im übri­ gen darf man nicht vergessen, daß diese Situation in Frankreich bis zur Revolution und in Deutschland bis zu Bismarck faktisch weiterbestand und daß die alten Staaten theoretisch sogar noch länger fortlebten. ’’Unter Kommendation verstand man in fränkischer Zeit den Ergebungs­ akt (Einlegen der Hände in die des Herrn), durch den ein Mann zum Va­ sallen wurde. A. d. U. 14 Ein Abbild dieser Situation finden wir im Chanson dApnmont, einem der längsten Heldenepen, das seine endgültige Form im 12. Jahrhundert er­ hielt. Vom Sarazenenkönig herausgefordert, ruft Karl der Große seine Va­ sallen zum Kampf. Aber der mächtigste von ihnen, Girart de Roussillon, Herzog von Burgund und anderen Orten, bereitet seinem Sendboten, dem Erzbischof Turpin, einen üblen Empfang und verweigert Karl mit der außerordentlich aufschlußreichen Begründung, daß er seine Länderei­ en von Gott selber habe und dem Sohn König Pippins nichts schulde, die

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Gefolgschaft. Und als ihm daraufhin der Erzbischof mit dem Interdikt droht, erwidert er ungerührt, das schere ihn wenig, einen Papst könne er sich notfalls auch selber machen. Nach allem was wir wissen, kein Zerr­ bild, sondern das getreue Abbild der Situation im 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts in Westeuropa. 15 Dazu kam, daß alle großen Lehnsherren, die Grafen und Herzöge, ihrer­ seits Leute ihres Vertrauens mit Territorien belehnen konnten. So wurden die Grafen und Herzöge ihrerseits zu unmittelbaren Lehnsherren, deren Vasallen nicht vom König abhingen, da die Domänen dieser neuen Va­ sallen lediglich Afterlehen der Krone darstellten, was die Beziehungen zur Zentralgewalt erheblich komplizierte. Z. B. waren die Herren von Lusignan mit ihren äußerst reichen Domänen als Vasallen unmittelbar den Grafen von Poitiers unterstellt, hatten also, da sie ihr Lehen von den Gra­ fen von Poitiers erhalten hatten, im Prinzip nichts mit dem König von Frankreich zu tun. In der Praxis aber umgingen die Lusignans, die mit ih­ ren unmittelbaren Lehnsherren stets auf gespanntem Fuß standen, die Hierarchie und wandten sich direkt an den König. Umgekehrt gehörte es zur Politik der französischen Könige - selbst nachdem sie schon gewisse Schwierigkeiten damit heraufbeschworen hatten — immer und überall die Aftervasallen der Krone zu unterstützen, um den Einfluß der großen Lehnsträger zu schwächen. Um die Dinge noch zusätzlich zu komplizie­ ren, konnte ein Vasall zu allem Überfluß gleichzeitig entweder der Vasall eines anderen Lehnsherrn für ein weiter entferntes Territorium oder aber seinerseits Lehnsherr eines anderen Vasallen sein. In der Tat gab es kein wirklich unabhängiges Territorium, da die Macht eines Lehnsherrn, wel­ cher Art auch immer, über die Lehnspyramide automatisch weitergeleitet wurde, und da ein und dieselbe Person mehrfacher Lehnsherr oder auch mehrfacher Vasall sein konnte. Die wechselseitige Abhängigkeit aber schloß das Königreich keineswegs zu einer Einheit zusammen. So war der König zwar theoretisch der einzige, dem die Rechtsprechung (bzw. deren Delegierung auf eine Person seiner Wahl) und die Münzprägung zustand. In Wirklichkeit aber hielten die Herzöge und Grafen unbekümmert um königliche Vorrechte Gericht, wie auch jeder seine eigenen Münzen präg­ te, was zur allgemeinen Verwirrung beitrug und den Verkehr zwischen den einzelnen Provinzen erschwerte, da die Münzen nicht denselben Wert hatten. Und wenn der König seine Vasallen im Kriegsfall zu der militäri­ schen oder finanziellen Unterstützung heranziehen wollte, zu der sie ver­ pflichtet waren, drückten sie sich, wo es nur ging. Außerdem waren sie in bestimmten Fällen ohnedies nur zu vierzig Tagen Heerbann gehalten, das heißt, konnten, wenn der Krieg länger dauerte, einfach nach Hause gehen. Umgekehrt aber versäumten die Vasallen, wenn sie von einem Nachbarn angegriffen wurden, nie, sich an den Souverän zu wenden. Vom Patriotis­ mus im heutigen Sinn war die Feudalgesellschaft offensichtlich noch weit

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entfernt. Die vorherrschende Mentalität entsprach vielmehr noch ganz der politischen Zerrissenheit der damaligen Zeit. 16 Unter sächsischer Heptarchie versteht man die Aufteilung Englands vor der normannischen Eroberung in sieben unabhängige Königreiche, die später vereint wurden. Das sächsische Wesen aber war dem Zentralismus abgeneigt und griff lieber auf die keltischen Gebräuche zurück. All das hat seinen Niederschlag in der heute noch im Vereinigten Königreich fest­ stellbaren Verschiedenartigkeit und Mannigfaltigkeit gefunden. 17 Ebenso kam das Herzogtum Bretagne, um ein charakteristisches Beispiel aus späterer Zeit zu nennen, durch die Heirat Karls VIIL und Ludwigs XIL mit Anna von der Bretagne nicht automatisch an das Königreich Frankreich, sondern erst durch einen Extravertrag 1532. Das Gefäß wird heute noch im Museum des Louvre aufbewahrt. ” Dieses Statut diente auch anderen Städten als Vorbild. Im übrigen kann man die Städte damals in zwei Gruppen einteilen: die normannischen Städte wie Falaise, Pont-Audemer, Alen^on, Caen, Domffont, Bayeux, Evreux, Ficamp, die mehr oder minder Eleonore oder Richard unterstan­ den, und die aquitanischen Städte im Südwesten wie La Rochelle, Saintes, Bayonne, die in Eleonores eigentlichem Herrschaftsbereich lagen. Im Ge­ gensatz zu ihnen erhielt im Anjou, der Domäne der Plantagenets, und in dem direkt von Heinrich IL regierten England keine Stadt eine vergleich­ bare Charte, was beweist, daß die Verfassungen auf Eleonore zurückgin­ gen und nicht auf den König. 20 So fiel auch das Herzogtum Bretagne nach der Abdankung Konans IV. an seine Tochter Konstanze, Gottfried Plantagenets Frau, und nach dem Tod von dessen Sohn Arthur, der bekanntlich auf das Konto von Johann Ohneland geht, an Arthurs Halbschwester Alix, die Tochter von Kon­ stanze und Wido von Thouars. 21 Johannes von Salisbury, Vertreter einer dem Aristotelismus nahestehen­ den philosophischen Strömung, greift in seiner 1159 vollendeten feudali­ stischen Doktrin von der Übertragung von Ämtern und Eigentum durch Vererbung auf verschiedene Quellen, hauptsächlich aber auf die Bibel, zu­ rück. Besonderes Gewicht mißt er vor allem dem Lehnseid zu, in dem er keine reine Formsache, sondern ein bindendes Versprechen von beiden Seiten sieht. In gewissen Fällen hält er den Tyrannenmord für gerechtfer­ tigt, schließt als Täter aber alle aus, die dem Tyrannen Treue geschworen haben. Zugrunde liegt der Gedanke, daß es seit jeher ein oberstes, göttli­ ches, transzendentales Gesetz gibt, das Könige überflüssig machte, würde die Welt diesem Gesetz gehorchen. Doch da die Menschheit unfähig ist, sich selber zu regieren, ist sie notwendig auf einen König angewiesen, der damit zu einer Art Strafe für sie wird. Aus diesem Grund gleicht der Kö­ nig auch weit eher einem Administrator, der beauftragt ist, die reibungslo­ se Funktion des Gesetzes zu sichern, als einem Führer der Menschheit.

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Außerdem muß er einen Nachweis seiner Befähigung erbringen. So ent­ scheidet also letztlich die Gesamtheit über sein Schicksal, die Johannes von Salisbury in papulus (das Volk selbst, so wie es von Natur aus existiert) und Universitas (die organisierte Gesellschaft) unterteilt. Zwischen populus und Universitas aber soll vollkommene Übereinstimmung herrschen (wie man sieht, ist das Problem Staat-Nation und Staat als von der Nation un­ terschiedene Organisation nicht erst in den modernen Gesellschaften auf­ gekommen). Beim feudalen Aufbau der Gesellschaft aber ist jeder Grund­ herr notwendig ein Fürst, und damit eine Art König in Kleinformat. Um­ gekehrt ist, da sich die Idee der Gemeinschaft als die stärkste erweist, der Fürst als Repräsentant dieser Gemeinschaft in gewisser Hinsicht auch der Herr über jeglichen Besitz seiner Untertanen, die so gesehen lediglich Pächter sind. Weitere Einzelheiten über die Theorien des Johannes von Salisbury siehe Jean Maritale, Le Roi Arthur et la Société celtique, S 107-125.

3. Die Königin der Troubadours ' Wie die Anspielungen der Troubadours, die aufgrund ihrer Präzision und Vielzahl nicht als zufällig gelten können, beweisen, war die Tristansage in der okzitanischen Welt schon sehr früh bekannt, und auch die Artussage war, wie an den Plastiken des Domes von Modena ersichtlich, bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts bis nach Italien gelangt. Vg). dazu mein Buch Le Roi Arthur et la Société celtique, in dem die verschiedenen Ursprünge der Artusromane eingehend untersucht werden. 2 Wie in La Femme Celte, Paris, 4. Aufl 1977, insbesondere dem Kapitel »Yseult ou la Dame du Verger« von mir dargelegt, hatte sich die Frau im Schoße der keltischen Gesellschaft moralische und magische Vorrechte bewahrt, die ihr die freie Wahl des Geliebten gestatteten. Das irische Ur­ bild Isoldes ist Gráinne, deren Name sich von »Sonne« herleitet, Hinweis auf die Strahlkraft der Frau als Erbin der alten weiblichen Sonnengotthei­ ten, die ihrerseits auf eine archaische Gesellschaft mit gynäkokratischen Tendenzen hindeuten. Daß sich die schon seit langem bekannte Sage von Tristan und Isolde mit ihrem betont antiphallokratischen Gehalt ausgerech­ net im 12. Jahrhundert zu solcher Blüte entfaltete, ist kein Zufall. ’ Dieser Aufstieg des Bürgertums sowie der tiefgreifende Einfluß Okzitaniens auf die nördlichen Provinzen läßt sich anhand des mittelalterlichen Städtebaus besonders anschaulich aufzeigen. Traditionellerweise waren Marktflecken und Städte ohne festen Plan um ein Heiligtum entstanden, das heißt, den aktiven Mittelpunkt dieser Siedlungen bis herunter zum kleinsten Dorf bildete der Kirchplatz. Noch heute findet man zahlreiche Beispiele für diese Siedlungsform, die in Städten wie Poitiers, Cler­ mont-Ferrand, Le Puy, Brioude und Quimper eine besonders charakteri­ stische Ausprägung erfahren hat - lauter alte Gründungen, in denen die

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neuen Viertel später an der Peripherie des aktiven Zentrums entstanden. Doch vom 12. Jahrhundert an tauchen dann, zuerst in Okzitanien, völlig neue Städte auf, so besonders die berühmten Bastiden, in denen sich Bür­ ger und arbeitsuchende ehemalige Hörige ansiedelten. Diese Bastiden sind nach einem ganz anderen Schema angelegt. In ihnen nimmt nicht mehr die Kirche die zentrale Stellung ein - ein Hinweis auf die Verweltlichung der Macht; den aktiven Mittelpunkt bildet vielmehr ein quadratischer oder rechteckiger, vielfach arkadengesäumter Platz, an dem die Wohnhäuser und Läden der wahren Stadtherren und Repräsentanten des neugebilde­ ten Gemeinwesens, der Kaufleute, stehen. Die Kirche befindet sich zwar wohl in nächster Nähe, stellt aber nicht mehr den Angelpunkt der Besied­ lung dar. Typische Beispiele liefern Toulouse (Place du Capitole) und sämtliche Bastiden des Südwestens, insbesondere Monpazier und Villefranche-du-Perigord (Dordogne), VilJeneuve-sur-l-ot und Montflanquin (Lot-et-Garonne) sowie Villefranche-du-Rouergue (Aveyron) Diese Siedlungsform spiegelt die Bedeutung der Kaufmannsgilde wider, die, von der Bevormundung durch die weltlichen oder geistlichen Herren befreit, ih­ ren eigenen Versammlungsort beansprucht (der Platz entspricht dem rö­ mischen Forum) und sich von den anderen Gewalten durch ihren weltli­ chen Charakter und ihre eigene Verwaltung abhebt. Dieses fest im Herzen der Stadt verankerte Bürgertum bildet den Kem der reichen, rührigen Klasse, die geradewegs zur kapitalistischen Gesellschaft des 19. Jahrhun­ derts hinführt. Bemerkenswerterweise sollte diese Form des Städtebaus auch auf andere Regionen übergreifen. So ist das von Eleonores Vater ge­ gründete La Rochelle mit seinen vielen Arkaden nach diesem Muster er­ baut, und auch eine Stadt wie das Ende des 12. Jahrhunderts entstandene bretonische Auray (Morbihan) verweist darauf: Während die am Lok oder Auray gelegene Ursiediung aus einem simplen Hafen mit ein paar um die Kirche Saint-Goustan gruppierten Häusern auf dem gegenüberlie­ genden Ufer bestand, ist das neue Viertel, dem die Stadt ihre Bedeutung verdankt, um einen Platz angeordnet. Diese Bauweise erfuhr im Norden und in Flandern weite Verbreitung, wo die zentralen Plätze von Städten wie Saint-Quentin, Lille oder Brussel vom Reichtum und der Macht des Bürgertums zeugen, und sollte sich, wie die im 17. Jahrhundert angelegte Place des Vosges in Paris beweist, lange halten. 4 Vgl. dazu Erich Köhlers Buch Ideal und Wirklichkeit in der häßschen Epik, welches das Phänomen des Rittertums anhand der Artusromane unter­ sucht, in Wirklichkeit aber, da die Vorbilder für die Helden der Tafelrun­ de dem damaligen Leben entstammen, eine Studie über die Ritterkaste zur Zeit der Kapetinger und Plantagenets vorlegt. 5 Die Ursage des Lancelot du lac findet man in meinem Buch La Tradition celtique en Bretagne armoricaine, Paris, 3. Aufl 1977, S. 119. 6 Ich habe dieses Problem in meinem Buch La Femme Celte eingehend unter­

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sucht und dabei auf eine archaische, dem indoeuropäischen Denken frem­ de Auffassung vom Wesen der Frau verwiesen. Nun bildeten die Kelten zwar als Angehörige des indoeuropäischen Zweiges ursprünglich eine pa­ triarchalische Gesellschaft, doch da sie bei ihrem Vorstoß nach Westen eingesessene Volksstämme kolonisierten und assimilierten, deren Gesell­ schaft nicht notwendig patriarchalische Züge trug, dürfte ihre Kultur ent­ scheidend von gynäkokratischen Einflüssen geprägt worden sein. Dies hatte zwar entgegen einer oft aufgestellten Behauptung keine matriarchali­ sche Gesellschaftsform (die sich nie und nirgends in reiner Form nachwei­ sen läßt), wohl aber eine andere Mentalität zur Folge, wie u. a. die für die keltische Gesellschaft Irlands und der Bretagne zu Beginn der geschichtli­ chen Zeit charakteristische matrilineare Erbfolge beweist. 7 Vgl. dazu in meinem Buch La Femme Celle das Kapitel »Yseult ou la Da­ me du Verger«. Ich will hier nicht weiter auf den ¿eis, den wirkkräftigen Zauberbann, durch den eine Frau die Liebe eines Mannes gewinnt, einge­ hen, sondern lediglich auf die beiden aufschlußreichen irischen Urbilder von Tristan und Isolde, nämlich die Geschichte von Deirdre und die von Diarmaid und Gräinne verweisen, die bei der Frage nach den Ursprüngen der höfischen Liebe nicht außer acht gelassen werden dürfen. "Zwei aufschlußreiche Beispiele finden sich im Tristanroman und dem der Marie de France zugeschriebenen Lai de Graelent-Meur. Im ersten Fall bit­ tet der Held Isolde im Beisein des auf der Fichte lauschenden Marke, ihr bei der Einlösung seiner verpfändeten Ausrüstung behilflich zu sein, wäh­ rend im zweiten der völlig mittellose künftige König von Is Pferd und Waffen leihen muß. ’ In Wirklichkeit stellt dieses »Recht« eher eine Pflicht dar, der sich hohe Persönlichkeiten wie der König, der Herr und selbst der Priester unterzie­ hen müssen, um den bösen Zauber durch das vergossene jungfräuliche Blut zu bannen. Indem der Herr, und wäre es, wie schließlich gang und gäbe, auch nur symbolisch, mit der Braut seines Vasallen schlief, leistete er ihm einen Dienst, der, so paradox dies auch klingen mag, ursprüngjich die zwischen den beiden bestehende Bindung noch festigte. Interessanterwei­ se kann man die fine amor als Gegenstück zum ins primae noctis betrachten: Denn wie der Herr mit der Frau seines Vasallen, kann dieser unter be­ stimmten Voraussetzungen mit der des Herren schlafen. Insgesamt müß­ ten bei der Untersuchung des Problems der sogenannten höfischen Liebe in weit stärkerem Ausmaß die in Gesellschaften archaischen Typs herr­ schenden, äußerst vielschichtigen sozialen Beziehungen berücksichtigt werden. "'Jean Markale, L’Epapee celtique d'Irlande, Paris 1971, & 88-95. "Ibid., S. 141-149. 12 Jean Markale, LEpopee celtique en üretagu, Paris, 2 Aufl. 1975, S. 195-196. ’’Nach dem Gesagten läßt sich ermessen, wie weit sich der Tristanroman

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von der höfischen Auffassung derfine amar entfernt, kann doch die Verei­ nigung Tristans und Isoldes nur umfassend gedacht werden. Die Sage wurde zwar in das höfische Denkschema eingebaut, richtet sich aber im Grund gegen die höfische Auffassung, was übrigens auch für die Liebes­ beziehungen zwischen Lanzelot vom See und Königin Ginevra, eine ge­ schickte Tristanbearbeitung, gilt: Einzig Chrétien de Troyes hält sich in seinem Karrenritter an das Dogma der fine amor, während der Lancdot du lac schon nicht mehr dieser Denkungsart verhaftet ist. H Wie in meinem Roi Arthur et la Société critique anhand aller einschlägigen Argumente aufgezeigt, standen hinter der Ausbreitung und üppigen Ent­ faltung der Artussagen auf dem europäischen Festland die Plantagenets: Dem aus Anjou stammenden Heinrich IL der sich mit allen politischen Mitteln als rechtmäßiger Souverän Britanniens, eines Landes keltischen Ursprungs, ausweisen wollte, kam der Artusmythos sehr gelegen: Die Vorstellung eines die Insel und einen Teil des Kontinents beherrschenden Königs konnte seine eigene Position nur festigen und schuf zudem ein Gegengewicht zum Karlsmythos, mit dem sich die Kapetinger absicher­ ten. 'sLapoésie des Troubadours, L, St 151. 16 Hier der betreffende, in der Mitte des Werkes stehende Passus: »Ob dieser Frau (Briséis) möchte ich wahrlich nicht von jener getadelt werden, die so viel Güte, Sittsamkeit, Ehre, Reichtum, Maß, Heiligkeit, hohen Adel und Schönheit ihr eigen nennt. Sie tilgt die Missetaten der anderen Frauen, be­ sitzt jegliches Wissen im Überfluß und findet auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen. Reiche Dame eines reichen Königs, ohne Arg, ohne Zorn und Trübsal, möget Ihr stets in Freuden leben...« Man fühlt sich an die Beschreibung Ginevras durch Gawein in Chrétien de Troyes’ Lancriot erinnert, wenn es von dieser Frau heißt, sie sei die Muse und Gebieterin jedes rechtschaffenen Mannes und übertreffe alle anderen Frauen an kör­ perlicher Schönheit und moralischen Tugenden. Benoit de Sainte-Maure unternimmt hier offensichtlich auch eine Art Ehrenrettung der so oft des Ehebruchs bezichtigten Königin-Herzogin, wenn er etwas weiter hinten bemerkt: »Salomo, der so viel Weisheit besessen, schreibt: >Wer stark ein Weib befinden mag, dem Schöpfer Lob und Preis er sage.. Stark aber ist die, welche abwehrt, daß die närrischen Herzen von ihr Besitz ergreifen. Schönheit und Keuschheit im Verein miteinander scheinen mir ein recht kostbar Ding. Gibt es etwas Erstrebenswerteres unter dem Himmel?« Die »starke« Frau, von der hier die Rede ist, kann nur Eleonore sein, wenn man stark im psychologischen Sinn nimmt. Im übrigen ist die Anspielung auf die so seltene Verbindung von Schönheit und Keuschheit für Eleono­ res Lobredner charakteristisch — eine Verbeugung vor derjenigen, die den Mut aufbrachte, die Huldigungen allzu vieler eifriger Anbeter zurückzu­ weisen.

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17 Der anglonormannische Dialekt wurde nach der Eroberung Englands durch die Normannen beidseits des Ärmelkanals gesprochen.

4. Sagen um Eleonore ' So insbesondere im Urbild des Tristan, der irischen Erzählung von Diarmaid und Gramm. Gráinne, die Frau des Königs Finn, zwingt dessen Verwandten Diarmaid, sie zu entfuhren und ihr sexuell zu Willen zu sein. Diarmaid wehrt zunächst ab, verschanzt sich offensichtlich hinter Verbo­ ten, muß sich Gráinne aber in Anbetracht ihrer Machtüberlegenheit letzt­ lich beugen und übertritt damit diese Verbote. Genaueres über diese Sa­ gen findet man in meinen Abhandlungen L’Epopée celtique d’Irlande, S 153-164 und La Femme Celte, S 307 ff. Interessant in diesem Zusammen­ hang auch das berühmte Tristangrab in Cornwall, wo dieser als Sohn Marke-Konomors bezeichnet wird (vgl. La Tradition celtique en Bretagne ar­ moricaine, S. 22 C). 2 Diese Tendenz läßt sich sogar bei Tieren beobachten: So pflegen sich Schoßkatzen mit Wohlbehagen, ja sogar sichtlicher Wonne auf einem Kleidungsstück ihrer Herrin niederzulassen, wenn diese abwesend ist oder sie nicht aufnehmen kann. 1 Etwa durch Sammeln von Gegenständen oder Kleidungsstücken, die ei­ ner berühmten Persönlichkeit gehörten. Auch die religiöse Reliquienver­ ehrung gehört in diese Rubrik, nur daß in diesem Fall die sexuelle Kom­ ponente sublimiert erscheint. ‘ In Wirklichkeit hat das Verhalten des Jungen, der angesichts der Klei­ dungsstücke von Mutter (oder Schwester) masturbiert, nichts Unnatürli­ ches oder Perverses an sich, sondern stellt eine biologisch wie psycholo­ gisch wichtige Etappe im Reifungsprozeß des Individuums dar. Auch der in manchen Familien übliche Kleidertausch verrät dieselbe Tendenz. 5 Entgegen der landläufigen Meinung hat Transvestismus nichts mit Ho­ mosexualität zu tun. Der Mann, der sich als Frau verkleidet, durchläuft zunächst das Stadium des schlichten Fetischismus und trachtet sich dann, nicht völlig befriedigt, mit der geliebten Person und schließlich mit der Idealfrau zu identifizieren, verkörpert also in gewisser Weise die Weiblich­ keit. Diese Identifikation kann umfassenden Charakter annehmen und zu Homosexualität fuhren, muß es aber nicht. 6 Eine literarische Ausnahme bildet Guibourc im Chanson d’Aliscans, die in Abwesenheit ihres Gatten Wilhelm von Oranien die Festung gegen den Angriff der Sarazenen verteidigt. 71201, kurz vor ihrem Tod, mußte auch Eleonore selbst den Oberbefehl über die von ihrem Enkel Arthur von der Bretagne belagerte Zitadelle von Mirebeau übernehmen. "Jean Maritale, L’Epopée celtique d'Irlande, S. 60.

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’ Ibid., S. 95-106. '"Jean Maritale, Les Celtes et la civilisation celtique, Paris, 5. Aufl. 1977, S. 239-242. 11 Ibid., S. 88-95. 12 Ibid., S 141-149. '’Jean Maritale, L’Epopée celtique en Bretagne. 14 Der christliche Ritter Tankred und die muslimische Königin Klorinde lie­ ben einander, obwohl sie ihr Glaube trennt. Eines Tages kämpft Tankred gegen einen Muselman - in Wirklichkeit die als Krieger verkleidete Klo­ rinde - und merkt erst, als er seinem Widersacher den Todesstoß versetzt hat, wen er wirklich vor sich hat. Dieser von Monteverdi prachtvoll ver­ tonte Kampf zwischen Tankred und Klorinde ist ein Meisterwerk der schwarzen Erotik, wobei das Ringen der beiden Liebenden offenbar dem Liebesvorspiel zum Geschlechtsakt und Klorindes Tod dem Orgasmus entspricht. ''’Jean Maritale, L’Epopée celtique d'Irlande, S 106 £ 16 Ibid., & 184-191. '’Jean Maritale, L'Epopée celtique en Bretagie. '" Vgl. in Jean Maritale, La Tradition celtique en Bretagie armoricaine, das Mär­ chen La Reine des Prouesses, S. 39—46. '’ Vgl. im selben Werk auf S 148-168 das M ärchen La Saga de Yann, das in zahllosen Varianten existiert. '"Die Strophe wurde zitiert nach LeDPo\Lmann,DieLj^>einderhocbmittelalterlichen Literatur Frankreichs, Frankfurt a. M. 1966, S. 175. Ari.U. 211 Vgl. Salvatore Santangelo, L'amore lontano di jaufré Rudel, in Siculorum Gymnasium, 6. J. Catania 1953, S 1—28. Es ist mittlerweile erwiesen, daß Rudel seine Gedichte vor 1148 zu Ehren der Herzogin von Aquitanien verfaßte. 21 Diesen Gesichtspunkt findet man in meinem Buch La Femme Celte ausgeführt, in dem aufgezeigt wird, welchen Platz die Frau in der kelti­ schen Gesellschaft einnimmt und welches Bild weiblichen Wesens Mär­ chen und Sagen zeichnen. Die keltische Ehe war, selbst als Irland schon unter christlichem Einfluß stand, nur ein provisorischer Vertrag zwischen zwei Personen und konnte jederzeit von jedem der beiden Partner aus verschiedenen Gründen aufgekündigt werden, das heißt, es gab — in der Gesetzgebung der damaligen Zeit ein wirklich außergewöhnlicher Tatbe­ stand - die Scheidung in beiderseitigem Einvernehmen. 22 In seinem De nugis curialum erklärt er, Heinrich habe Eleonore geheiratet, »obwohl sie, wie man hinter vorgehaltener Hand erzählte, Beziehungen zu seinem Vater Gottfried unterhalten hatte«. 21 Wie Giraldus in seinem De prinicipis instructione behauptet, »vergewaltigte Graf Gottfried von Anjou als Seneschall von Frankreich die Königin Eleonore und soll daher seinen Sohn Heinrich mehrfach davor gewarnt

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und ihm untersagt haben, sie in irgendeiner Weise zu berühren, da es sich nicht zieme, daß ein Sohn eine Frau eheliche, die zuvor sein Vater er­ kannt«. Diese schwere, wenn auch unüberprüfbare Beschuldigung scheint darauf hinzudeuten, daß Heinrich Plantagenet noch zu Lebzeiten seines Vaters die Absicht hegte, Eleonore zu heiraten. Merkwürdig in diesem Zusammenhang ist, daß Richard Löwenherz später seiner Verlobten Alais von Frankreich unter dem Vorwand, sie sei die Geliebte seines Vaters Heinrich 1L gewesen, die Ehe verweigerte. 2,1 Insbesondere Zingarelli in Ricerche sulla vita di Bernard de Ventadom. In ih­ rem Aufsatz Rôle littéraire d’Aliénor d’Aquitaine weist Rita Lejeune darauf hin, daß Zingarellis Argumente im Licht der Reisen Eleonores und Hein­ richs, die keine feste Residenz besaßen, überprüft werden müssen. Höchstwahrscheinlich folgten die Hofdichter und -musiker den Herr­ schern von Ort zu Ort. 25 Der Ursprung dieses Glaubens ist leicht zu erklären: Er geht auf die unbe­ wußten biologischen Vorgänge zurück, die sich, zum Teil mit erotischen Träumen gekoppelt, im Schlaf vollziehen. So konkretisiert sich in den Suk­ kuben oder weiblichen Buhlteufeln das Schuldgefühl über spontane Reak­ tionen, die zum sogenannten »nächtlichen Samenerguß«, der Pollution, fuhren, während die männlichen Buhlteufel oder Inkuben eine probate Erklärung fur unerwünschte Schwangerschaften lieferten. 26 Wie man bemerkt haben wird, übergeht Ralph von Diceto sowohl die beiden Töchter Eleonores aus ihrer Ehe mit dem König von Frankreich als auch Mathilde, die sie Heinrich IL vor Richard gebar. 27 Man beachte die wie in einem Kriminalroman erfaßten Einzelheiten. a Nach einer anderen Variante (denn die Geschichte existiert in zahlreichen Fassungen) stürzt sich Eleonore auf Rosamunde, reißt ihr die Kleider vom Leib, zwingt sie, in eine wassergefüllte Badewanne zu steigen und läßt ihr durch eine Alte die Pulsadern aufschneiden. Und während die Unglückliche verblutet, erscheint eine zweite Alte und setzt ihr Kröten auf den Busen (Londoner Chronik, 14. Jahrhundert). Wie man sieht, ver­ stand man das Melodrama effektvoll zu inszenieren. Wieder in einer ande­ ren Fassung läßt Eleonore ihre Rivalin zwischen Dolch und Gift wählen, woraufhin sich Rosamunde für den Giftbecher entscheidet. Ein paar spä­ tere Autoren zeigen allerdings Mitleid mit Rosamunde: Bei ihnen begnügt sich Eleonore damit, ihre Nebenbuhlerin in ein Kloster zu stecken, was der historischen Wahrheit näherkommt. 29 Heinrich IL der seine Frau der Untreue verdächtigt und die Situation nut­ zen will, Eleonore zum Sprechen zu bringen. Wahrscheinlich Wilhelm der Marschall, der Gefährte und Vertraute Hein­ richs II. und später Richards und Eleonores getreuer Diener. " Um den Grafen zum Mitgehen zu bewegen, hat der König geschworen, die Geständnisse der Königin auf sich beruhen zu lassen.

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12 Das einzige, was sich gegen Eleonore ins Treffen führen läßt, sind die Vorgänge in Antiochia, die zum Bruch mit Ludwig VIL führten, und auch da wissen wir nicht wirklich, was vorgefallen ist. Keine der anderen Beschuldigungen dagegen kann sich auf einen Beweis oder auch nur den Schimmer eines Beweises stützen. ’'Dagegen genießt ein Mann, der in vorgerücktem Alter ein blutjunges Mädchen heiratet, durchaus Achtung und Ansehen. Zu Eleonores Zeit ehelichten zahlreiche reiche Männer zwölf- und dreizehnjährige Prinzes­ sinnen, ohne daß irgend jemand daran Anstoß nahm. Dagegen hatte be­ reits Gottfried Plantagenets Ehe mit der älteren Kaiserin Mathilde abfälli­ ge Kommentare ausgplöst, und als Eleonore dann gar knapp zwei Monate nach ihrer »Scheidung« den jungen Heinrich heiratete, war des Klatschens kein Ende. ’* Dies ist der tiefere Sinn der bekannten Sage von der Stadt Is: Die Stadt untersteht der unumschränkten Herrschgewalt der Prinzessin Dahud ein wahrhaft unerträglicher Gedanke, weshalb die Sage der Fürstin auch unsägliche Ausschweifungen anhängt und so das über 1s, seine Bewohner und die verantwortliche Prinzessin hereingebrochene himmlische Strafge­ richt rechtfertigt. Mit anderen Worten: Die Dahud (deren Name »gute Zauberin« bedeutet) angelastete Schuld führt zum Untergang der Stadt in den Fluten des Meeres, das heißt, symbolisch gesprochen, zur Verdrän­ gung ins Unbewußte. Vgl. mein Kapitel über »La Princesse engloutie« in Ltí Femme Celte, S 61-109. ,s Die bezeichnendste von all diesen Erzählungen ist zweifellos die Sage von Yann, die ich in La Tradition critique en Bretagne armoricaine, S. 148—168, ver­ öffentlicht habe. Obwohl der jugendliche Held keinerlei Anrechte auf die Königswürde besitzt - also im wahrsten Sinne des Wortes ein »Usurpa­ tor« ist — steht ihm diese Würde doch zu, nachdem er im Kampf seine Fä­ higkeit, höchste Verantwortung zu tragen, unter Beweis gestellt hat. Symbolischer Ausdruck dafür ist die Liebe, die er einer Märchenprinzessin einflößt. Durch die Ehe mit ihr rückt er zum rechtmäßigen König eines Landes auf, dessen alter, ungerechter und unfähiger König von der Prin­ zessin eigenhändig ausgeschaltet wurde. 16 Eine ausführliche Würdigung der bei den Kelten gängigen Auffassung vom Königtum und ihrer horizontalen Gesellschaftsordnung findet man in meinem Buch Le Roi Arthur et la Sociiti critique, insbesondere im Kapitel über die Originalität der Kelten, S. 351-396. ' Jean Markale, L'Epopét ctltiqut d'Irlande, S. 95-106.

5. Von Ginevra zu Melusine 1 Die Erfindung des in die Mauer eingebauten Kamins stammt aus dem 12. Jahrhundert. Vorher befand sich die Feuerstätte, wenn schon nicht in der

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Mitte des Raums, so doch auf alle Fälle in einigem Abstand von der Mau­ er. Der Rauch zog durch ein Loch im Dach ab. Zu den Mahlzeiten setzte man sich, weil es das einfachste war, im Kreis um die Feuerstätte herum und teilte sich das Essen, das auf dem Herd brutzelte. So jedenfalls wur­ den nach den irischen Texten, die in diesem Punkt sehr genaue Schilde­ rungen geben, die Mahlzeiten bei den Kelten gewöhnlich eingenommen. Und von dieser Essensrunde dürfte das Bild der Tafelrunde herstammen. 2 Einschlägige Texte sowie Argumente zu diesem Problem finden sich in meinem Buch La Tradition celtique en Bretagne armoricaine, S. 108-132. In den walisischen Schriften taucht Lanzelot vor Chrétien de Troyes über­ haupt nicht auf. Und in einer deutschen Version, die eindeutig einem bre­ tonischen Vorbild folgt, vollbringt Lanzelet, wie er hier heißt, seine Abenteuer in einer Welt, die mit ARtus’ Tafelrunde nicht das geringste zu tun hat. Auch in den Romanen der Tafelrunde ist und bleibt Lanzelot ein armorikanischer Held aus der »kleinen Bretagne«, wie extra betont wird. In die Artussage übernommen hat ihn ohne Zweifel erst Chrétien de Troyes, der ja später auch Tristan an Artus’ Hof brachte, wie Gottfried von Monmouth vor ihm schon Merlin. Auf jeden Fall aber taucht Lanzelot in den Inseltiraden noch nicht auf. ’Diese Skulpturen stammen aus den ersten Jahren des 12. Jahrhunderts. Beweis dafür, wie alt die Artussage ist. Gefolgt von seinen Getreuen, setzt Artus der Königin nach, die von einem geheimnisvollen Liebhaber ent­ fuhrt worden oder vielleicht auch einfach mit ihm geflohen ist. ‘ Perceval le Gallois. Ins Neufranzösische übertragen von Foulet, S 191. ' Melusine, ursprünglich eine heidnische Gottheit in einer vollständig heid­ nischen Welt, wurde von Jean d’Arras zu einer gewissenmaßen histori­ schen, deutlich vom Christentum geprägten Frau-Fee umgewandelt, die Kloster und Kirchen baut, als Wohltäterin der Armen und Waisen auf­ tritt, ja an Stelle der Jungfrau Maria allerlei Wunder wirkt und insofern natürlich Vertrauen einflößt. Darüber darf man jedoch nicht vergessen, daß sie ihrem Ursprung nach viel zwielichtiger ist, ist sie doch eine Schlangenfrau und als solche den Feen recht ähnlich, die uns aus den volkstümlichen Fabeln bekannt sind. In ihrer Eigenschaft als Frau/Schlange vermag sie zu zaubern, da ihr aus ihrer Doppelnatur wie Merlin, mit dem sie überhaupt zu vergleichen ist, besondere Kräfte erwachsen. Rabe­ lais, der mit den Traditionen des Poitou gut vertraut war, schreibt in sei­ nem Vierten Buch: »Ihr werdet dort alte Zeugen finden, die Euch beim Arm des heiligen Rigomé schwören werden, daß ihre Gründerin Melusi­ ne bis zum Gürtel eine Frau, darunter aber eine Schlange war.« Hinter dem Spott aber ist deutlich zu spüren, welches Gewicht die Sage im Poi­ tou des 16. Jahrhunderts noch hatte, an dem die tosenden Strömungen der Zeit draußen vorübergeschossen waren. Diese Doppelnatur nun macht Melusine für alle jene zur Gefahr, die das Gewicht des Heiligen

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nicht zu ertragen vermögen. In ganz ähnlicher Weise findet sich bei der fine amor ein Verbot, das nicht überschritten werden darf: Der Liebende darf seine Dame erst sehen, wenn sie ihn dazu ermächtigt hat. Denn die Dame ist unerreichbar, gütlich, sie ist soJurchthar schön, daß es nahezu un­ möglich ist, sie zu betrachten, es sei denn nach einer schrittweisen Initia­ tion, das heißt erst nach einer langsamen Gewöhnung an ihren Anblick. Die Gottheit ohne Vorbereitung zu schauen, ist gefährlich: Das ist der einfache Grundgedanke, der allen religiösen und philosophischen Initiatio­ nen zugrundeliegt und der Sehnsucht der Menschheit von Anbeginn aller Zeiten an entspricht, endlich das Unschaubare zu schauen und das Unaus­ sprechliche auszusprechen. ‘Joseph Loth, Les Mabmogon, in Cours de la littérature céltique, Bd. 2, Paris 1899, S. 94 f. 7 Ibid., S. 103

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Literaturhinweise

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