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German Pages [288] Year 2006
Arbeiten zur Geschichte des Pietismus Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus
Herausgegeben von Martin Brecht, Christian Bunners und Hans-Jürgen Schrader
Band 48
Vandenhoeck & Ruprecht
Hans Schneider
Der fremde Arndt Studien zu Leben, Werk und Wirkung Johann Arndts (1555–1621)
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 10: 3-525-55833-3 ISBN 13: 978-3-525-55833-1
Umschlagabbildung: Johann Arndt um 1610, unbek. Künstler, Öl auf Leinwand (Ausschnitt), Kirchenbibliothek St. Andreas Eisleben.
© 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: f Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
INHALT Vorwort...................................................................................................................... 7 Johann Arndt und die makarianischen Homilien ................................................ 9 Johann Arndt und Martin Chemnitz. Zur Quellenkritik von Arndts ›Ikonographia‹ .................................................... 43 Johann Arndt als Lutheraner?............................................................................... 61 Johann Arndts Studienzeit .................................................................................... 83 Noch einmal: Johann Arndts Studienzeit ......................................................... 130 Johann Arndt als Paracelsist................................................................................ 135 Johann Arndts ›verschollene‹ Frühschriften..................................................... 156 Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹. Offene Fragen der Quellen- und Redaktionskritik.......................................... 197 Johann Arndt und die Mystik ............................................................................. 216 Arndt-Rezeption im Täufertum ......................................................................... 247 Zeittafel zur Biographie Johann Arndts............................................................ 257 Arndt-Literatur 1700–2005 ................................................................................. 265 Nachweis der Erstveröffentlichungen............................................................... 279 Personenregister.................................................................................................... 280
VORWORT Die hier wieder abgedruckten Aufsätze umspannen einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten. Als ich mich während meiner Göttinger Assistentenzeit zum ersten Mal mit Johann Arndt beschäftigte, geschah dies nicht aus gezieltem Interesse oder wegen besonderer Affinität, sondern eher zufällig; ich ahnte auch nicht, dass mich Arndt noch länger beschäftigen würde. Der damalige Göttinger Professor für syrische Kirchengeschichte, Werner Strothmann, suchte für ein geplantes Symposion über Makarios / Symeon von Mesopotamien noch einen Referenten, der einmal den immer wieder behaupteten, aber nie nachgewiesenen Einfluß der makarianischen Homilien auf Johann Arndt überprüfen sollte. Da mich »detektivische« Aufgaben stets gereizt haben, sagte ich zu. Das war allerdings reichlich leichtsinnig, denn ich wußte damals über Arndts Person und Werk nur das, was aus Lehrbüchern zu lernen war, und ahnte nicht, wie schlecht es um die Arndt-Forschung stand. Es blieb dann nicht bei einer einmaligen Beschäftigung, da ich viele Aspekte entdeckte, die ich gern weiter nachspürend betrachten wollte. So habe ich mich in immer neuen Anläufen Arndt angenähert. Sein Leben und Wirken sind mir unterdessen viel besser bekannt, aber nicht wirklich »vertraut« geworden. Denn mehr und mehr erkannte ich die fremde Gedankenwelt, die sich hinter dem traditionellen Bild des Erbauungsschriftstellers verbarg, der angeblich nur moralisch aufrütteln und die rechte Lehre durch frommes Leben ergänzt sehen wollte. Der Entdeckung des »fremden Arndt« gelten meine Beiträge. Der Anregung, meine verstreuten Arndt-Aufsätze in einem Sammelband wieder abzudrucken, bin ich allerdings nur zögernd gefolgt. Die Erforschung Arndts hat in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ganz erhebliche Fortschritte gemacht; es liegt sogar eine voluminöse und nach meinem Urteil adäquate Darstellung seiner theologischen Gedankenwelt vor (H. Geyer). Gleichwohl ist die Arndt-Forschung doch noch stark im Fluß und bietet weiterhin viele unerledigte Fragen, nicht zuletzt mit Blick auf seine Biographie und die historische Genese seiner Anschauungen, sein literarisches Werk und die verschiedengestaltige Wirkungsgeschichte. So können und sollen Aufsätze auf diesem Feld weit weniger als auf besser bestellten Fluren der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte »endgültige Resultate« bieten – wo gibt es das überhaupt in historischen Arbeiten? Vielmehr kann ich im Interesse der Arndt-Forschung nur wünschen, dass die Beiträge – wie schon in den zurückliegenden Jahren – Impulse zu und bei neuen Untersuchungen geben, durch die dann meine Er-
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Vorwort
gebnisse vertieft und ergänzt oder aber revidiert und korrigiert, auf jeden Fall jedoch »überholt« werden mögen. Meine vorgetragenen Beobachtungen und Beurteilungen habe ich im Laufe meiner Beschäftigung mit Arndt in einigen Punkten modifiziert, neue sind hinzugetreten, wie bei aufmerksamer Lektüre unschwer zu bemerken ist. Einige Redundanzen erklären sich daraus, daß manche Sachverhalte bei unterschiedlicher Zuhörer- oder Leserschaft der Beiträge wiederholt werden mußten. Dem Band beigegeben sind eine chronologische Tabelle mit biographischen Daten sowie eine Bibliographie der Arndt-Literatur. Auf den ursprünglich geplanten Abdruck einer Primärbibliographie der Arndt-Drucke habe ich hier aus Platzgründen verzichtet; sie soll an anderem Ort erscheinen. Zu danken habe ich den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe »Arbeiten zur Geschichte des Pietismus«, sodann für das Korrekturlesen den Herren Dr. Wolfgang Breul, stud. theol. Johannes Misterek, der überdies das Layout erstellt, und stud. theol. Sebastian Plötzgen, der auch das Register angefertigt hat. Hans Schneider
JOHANN ARNDT UND DIE MAKARIANISCHEN HOMILIEN Der Frankfurter Separatist Andreas Groß 1, eine der Schlüsselfiguren des radikalen Pietismus, gedenkt einmal folgender Begebenheit aus seinen Studientagen: »Als ich 1699, von Leipzig nach Halle zog, und die Herren Professores meine Liebe zum Homero wahrnahmen, der mir schon in Straßburg [Groß’ Vaterstadt und erstem Studienort] schmackhaffter als die Bibel war, gewöhnten sie mich davon ab; man gabe mir den Griechischen Mysticum, Macarium, in die Hand, den der selige Herr D. Pritius edirt hatte [...].«2 Diese autobiographische Reminiszenz illustriert nicht nur Hallische Didaktik3, sondern erinnert zugleich an die hohe Wertschätzung, die den Geistlichen Homilien des ›Makarios‹ in weiten Kreisen des Pietismus zuteil geworden war, nachdem Gottfried Arnold sie 1696 erstmals in deutscher Übersetzung bekannt gemacht4 und der erwähnte Johann Georg Pritius zwei Jahre später eine Neuedition des griechischen Textes vorgelegt hatte5. Zwei Untersuchungen, beide 1963 erschienen, sind diesem Einfluß des ›Makarios‹ nachgegangen: Ernst Benz hat in seiner Studie über ›Die protestan1 Eine Darstellung über Leben und Werk dieses interessanten Mannes, den Albrecht RITSCHL, Geschichte des Pietismus, II, Bonn 1884 [Nachdr. Berlin 1966] 364, einmal »Mittelpunkt aller Separatisten in Westdeutschland« nennt, fehlt noch; die verstreuten Angaben in der Literatur sind häufig fehlerhaft. 2 Herrn A. G. Erste und Letzte Antwort auf die sogenannte Erklärung des Herrn Grafen Nicol. Ludwig von Zinzendorf, Frankfurt/M. 1742, 123–125 [LB Stuttgart]. – Der gebürtige Straßburger studierte 1695–1698 in seiner Vaterstadt, setzte nach der Magisterpromotion seine Studien in Leipzig (Winter 1698/99) und ab Sommer 1699 in Halle fort (vgl. die gedruckten Matrikel der genannten Hochschulen). 3 August Hermann FRANCKE sieht für Studenten mit fortgeschrittenen griechischen Sprachkenntnissen die Lektüre altkirchlicher, dem neutestamentlichen Griechisch nahestehender Autoren vor: unter ihnen nennt er auch »Macarii Homiliae, stylo facili & perspicuo fluentes«, Manuductio ad lectionem Scripturae Sacrae, London 1706, 17f. [SUB Göttingen]; vgl. zu dieser Schrift: Erhard PESCHKE, Studien zur Theologie August Hermann Franckes, II, Berlin-Ost, 15ff. zu den Ausgaben und Auflagen: 15, Anm. 2 und 6. 4 Des Heiligen Macarii Homilien. Oder Geistliche Reden, Leipzig 1696 [Bibl. der Marktkirche Goslar]. Die 2. Auflage erschien unter den Titeln: Ein Denckmahl des Alten Christenthums. Bestehend in des Heiligen Macarii und anderer Hocherleuchteter Männer aus der Alten Kirche Höchst-erbaulichen und Außerlesenen Schrifften, Goslar 1699 [SUB Göttingen]. 2. Aufl. des Denkmals: Goßlar 1702 [LB Stuttgart]. 3. Aufl.: Goslar 1716 [SUB Göttingen]. Zu diesen und späteren Ausgaben vgl. DÖRRIES (wie Anm. 8), 154f. Anm. 11 u.ö. (die Ausg. von 1702 lag ihm nicht vor). 5 TOU AGIOU PATROS MAKARIOU TOU AIGUPTIOU OMILIAI. Sancti Patris Macarii Aegyptii Homiliae, Leipzig 1698; 2. Aufl. Leipzig 1714 [beide Ausg.: SUB Göttingen]. Zu dieser Edition vgl. Matthias KROEGER, in: Hermann DÖRRIES / Erich KLOSTERMANN / Matthias KROEGER (Hgg.), Die 50 Geistlichen Homilien des Makarios (PTS 4), Berlin 1964, XLV.
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tische Thebais‹ 6 einen weitgespannten, wenngleich keineswegs umfassenden und in der Einzeldarstellung oft äußerst fehlerhaften7 Überblick über ›die Nachwirkungen Makarios des Ägypters im Protestantismus des 17. und 18. Jahrhunderts in Europa und Amerika‹ gegeben, und Hermann Dörries hat in seiner Abhandlung ›Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold‹8 dessen ›Begegnung mit Macarius‹ breiten Raum gewidmet und ihre Etappen sorgfältig analysiert. In den Darlegungen beider Autoren findet sich ein hochinteressanter Hinweis: sie behaupten, daß schon Johann Arndt9, der Ahnherr des lutherischen Pietismus10, die makarianischen Homilien in seinem einflußreichen Hauptwerk benutzt habe. Dörries bemerkt: »Johann Arndt hat vieles daraus in seinen ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ angeführt.«11 Und nach Benz »läßt sich ein starker Einschlag von Gedanken der mystischen Theologie des praktischen Heiligungsweges der Makarios-Schriften durch alle vier Bücher vom wahren Christentum hindurch feststellen«12. Wenn diese Behauptung eines literarischen Einflusses, die weder von Benz noch von Dörries durch Nachweise belegt wird, zuträfe, dann wäre Arndts Werk nicht nur »eine wichtige anonyme 6 Ernst BENZ, Die protestantische Thebais. Zur Nachwirkung Makarios des Ägypters im Protestantismus des 17. und 18. Jahrhunderts in Europa und Amerika (AAWLM.G 1963. 1), Mainz 1963. 7 Von Arnolds Homilien-Übersetzung (wie Anm. 4), führt Benz nur die 3. Aufl. des ›Denkmals‹ von 1716 an; die Edition von Pritius (wie Anm. 5), setzt er in das Jahr 1714 und nennt in der Anmerkung den Titel von dessen Ausgabe der Makarianischen Opuscula et Apophthegmata; vgl. BENZ, 10, Anm. 1f.! S. ferner unten Anm. 27, 53, 54! 8 Hermann DÖRRIES, Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold (AAWG.PH 3, 51), Göttingen 1963, 148–193: Begegnung mit Macarius. – Dörries berichtet im Vorwort, daß die ArnoldStudie aus dem Interesse an der Wirkungsgeschichte des Symeon / Makarios erwachsen ist. 9 Martin SCHMIDT, Art. »Arndt«, TRE 4 (1979), 121–129, entspricht nicht dem neueren Forschungsstand. Zur dort genannten Lit. sind zu ergänzen: F. Ernest STOEFFLER, The Rise of Evangelical Pietism (SHR 9), Leiden 1965, 202–212; Orlando H. WIEBE, Johann Arndt: Precursor of Pietism, Diss. Univ. of Iowa 1965; George S. SPINK, Johann Arndt’s Religious Thought: A Study in German Proto-Pietism, Diss. Temple Univ. Philadelphia 1970; vor allem aber: Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom Wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung, Diss. theol. Marburg 1969, 3. verb. Aufl. (StIren 2), Hildesheim 1978; ferner Studien zur Emblematik späterer Arndt-Ausgaben, die hier ungenannt bleiben können. Inzwischen sind erschienen; Johannes WALLMANN, Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt, PuN 6 (1980), 9–32; Herbert WIMMEL, Sprachliche Verständigung als Voraussetzung des »Wahren Christentums«. Untersuchungen zur Funktion der Sprache im Erbauungsbuch Johann Arndts (Kasseler Arbeiten zur Sprache und Lit. 10), Frankfurt / Bern 1981. 10 Zur Diskussion um die Anfänge des lutherischen Pietismus (bei Arndt oder Spener) vgl. Johannes WALLMANN, Die Anfänge des Pietismus, PuN 4 (1979), bes. 21f. 41ff. 46ff. 11 DÖRRIES, 19, Anm. 2. 12 BENZ, 10.
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Einbruchstelle von Gedanken des Makarios in den deutschen Pietismus«13, sondern makarianisches Gedankengut hätte weit darüber hinaus durch die ungeheuer große Zahl von Ausgaben und Übersetzungen des ›Wahren Christentums‹ 14 eine ungeahnte Verbreitung erfahren.
I Die Kenntnis der Makarios-Homilien war für einen lutherischen Theologen um 1600 keineswegs selbstverständlich. Erst 1559 hatte der Pariser Gelehrte Jean Picot (Picus) 15 die im Abendland bislang unbekannten 50 Homilien aus einer Handschrift der königlichen Bibliothek erstmals im Druck veröffentlicht16 und der editio princeps noch im selben Jahr eine lateinische Übersetzung folgen lassen17. Da die Homilien durch das Ansehen Makarios des Ägypters, unter dessen Namen sie standen und dem sie bis in unser Jahrhundert zugeschrieben wurden18, gedeckt waren, überdies ihr Herausgeber und Übersetzer der Vorsitzende des Inquisitionsausschusses des Pariser Senats war, stand einer Rezeption durch die katholische Theologie nichts im Wege19. Einen instruktiven Beleg dafür bietet die große patristische Quellensammlung von Marguerin de la Bigne. Während die Homilien in der 1. Auflage des Werkes (1575–1579)20 noch nicht enthalten sind, dokumentiert die Aufnahme der lateinischen MakaEbd. Einen Eindruck vermittelt die Zusammenstellung von Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (NSGTK 13), Berlin 1912 [Reprint Aalen 1973], 302–306. Nur ein Bruchteil der Ausgaben und Übersetzungen der Bücher von Wahrem Christentum sind im Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken, VII, Berlin 1935, 6–18, erfaßt (immerhin die stattliche Zahl von 120 Drucken!). 15 Vgl. Nouvelle Biographie Générale, IV, Paris 1862, 83. 16 TOU OSIOU PATROS MAKARIOU TOU AIGUPTIOU OMILIAI N’ B. Macarii Aegyptii Homiliae quinquaginta, Paris 1559 [SUB Göttingen]. Zu dieser Ausgabe vgl. M. KROEGER (wie Anm. 4), XLII f. 17 Diese Ausgabe war mir nicht erreichbar. Ein im Katalog der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel verzeichnetes Exemplar wird vermißt. 18 Hermann DÖRRIES, Symeon von Mesopotamien, Leipzig 1941; DERS., Art. »Makarius. 2.«, RGG3 IV, 619; DERS., Die Theologie des Makarios Symeon, Göttingen 1978. 19 Ich habe der Makarios-Rezeption in der katholischen Theologie der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht systematisch nachgespürt. Als ein Beispiel für eine Aufnahme von MakariosZitaten in ein theologisches Werk nenne ich nur eine von einem französischen Karmeliter zusammengestellte Anthologie über Abendmahl, Passion und Auferstehung Jesu, in der Auszüge aus den makarianischen Homilien gleichwertig neben altbekannten Väter-Zeugnissen stehen: Thomas BEAUXAMIS (Hg.), Homiliae in sacro sancta coenae mysteria, passionem, et resurrectionem Domini nostri Jesu Christi [...], Paris 1573 [HAB Wolfenbüttel]. 20 Veterum Patrum et antiquorum Scriptorum Ecclesiasticorum Collectio, Paris 1575–1579. 13 14
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rios-Version Picots in Bd. II der 2. Auflage (1589)21 die allgemeine Rezeption; fortan hatten die 50 Homilien ihren unangefochtenen Platz unter den Schriften der Kirchenväter22. Auch die niederländische Übersetzung aus dem Jahr 158023 – die erste in eine abendländische Volkssprache – erweckt den Anschein einer katholischen Publikation; erschien sie doch bei dem renommierten Antwerpener Verlagsdrucker Christoffel Plantijn, in dessen Offizin auch die berühmte Antwerpener Polyglotte und eine Ausgabe des Index gedruckt wurden24. J. H. van de Bank hat demgegenüber auf mystisch-spiritualistische Kreise hingewiesen, die hinter dieser Ausgabe zu suchen sind 25. 21 Bibliotheca SS. Patrum, II, Paris 1589, 295ff.; nachgedruckt in den späteren Auflagen: Magna Bibliotheca [...] IV, Köln 1618, 45ff. und Maxima Bibliotheca [...] IV, Lyon 1677, 100ff. 22 Zu den weiteren Ausgaben vgl. KROEGER, XLIIIff. 23 L. Homilien, oft verclaringhen van de oprechticheydt die den christenen menschen betaemt, ende daerin sij hen behooren te oeffenen, beschreven door den heylighen vader Macaris den Egyptenaer, overgheset in de nederduydtsche spraecke door Cornelis Kiel, Antwerpen 1580 [Kopie in SUB Göttingen]. 24 Zu Plantijn vgl. die in der Dissertation von Johannes Hendrikus VAN DE BANK (wie Anm 25), 92ff. genannte Literatur. – Die Klagen des Vorworts über die aus menschlicher Aufgeblasenheit und Vermessenheit entsprungene Blindheit, die eine große Zahl von Sekten und Ketzereien in der Christenheit hervorgebracht habe, die Klage über Zwist, Zwietracht, Scheidungen, Haß und Feindschaft, die dazu führe, daß sich etliche Menschen von der »eendrachticheydt« der katholischen Kirche trennten [A 2], das Insistieren auf Früchten, Werken oder dem Vollbringen der Gebote können katholisch verstanden werden. 25 Johannes Hendrikus VAN DE BANK, Macarius en zijn invloed in de Nederlanden, [Diss. theol. Utrecht 1977] Amsterdam 1977; vgl. die Zusammenfassung: DERS., in: Werner STROTH-
(Hg.), Makarios-Symposion über das Böse (Göttinger Orientforschungen I,24), Wiesbaden 1982, 180–185. – Die Einzelargumentation VAN DE BANKS ist allerdings z.T. wenig
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überzeugend. Er stützt seine Zuweisung a) auf die Zugehörigkeit Plantijns zur Sekte »Hiels« und b) auf die Erwähnung der »Liebhaber der Wahrheit«, der Selbstbezeichnung des Huisgesinn der Liefden, in dem Plantijn zugeschriebenen Vorwort, auf deren Begehren die Übersetzung herausgegeben worden sei. Ist aber »sommighe liefhebbers der waerheydt, der gerechtichheydt, en der welvaert van haeren euen naesten« (A 8) wirklich als term. techn. für die Hiel-Anhänger zu verstehen? Die Bezeichnung »Liebhaber der Wahrheit« begegnet auch in anderen Kreisen. So schrieb der Täuferführer Dirk PHILIPS sein »Enchiridion oft Hantboecxken van de Christelijke Leere ende Religion in corte somma begrepen, ten dienste van alle Liefhebbers der waerheit [...], o.O. 1564, 1578, 1579, 1600 u.s.w. (Nachweise der Bibliotheken bei Hans J. HILLERBRAND, Bibliographie des Täufertums 1520–1630 [QFRG 30], Gütersloh 1962, Nrr. 3224–3227). Für die Abfassung des Vorworts durch Plantijn fehlt ein schlüssiger Beweis. Und daß gar von Hiel selbst die Anregung zu der Übersetzung der Makarios-Homilien ausging, halte ich für eine abwegige Vermutung; Hendrick Jansen van Barrefeldt konnte kaum schreiben, geschweige denn eine griechische oder lateinische Makarios-Ausgabe lesen und deren Übersetzung empfehlen! Die niederländische Homilien-Ausgabe ist vor VAN DE BANK auch noch nie mit der Hiel-Sekte in Verbindung gebracht worden (so daß auch die Vermutung, die Theologen der »nadere reformatie« hätte möglicherweise wegen dieser Beziehung Zurückhaltung gegenüber den Homilien geübt, haltlos ist). Einen deutlichen Hinweis auf mystisch-spiritualistische Kreise, den VAN DE BANK übersehen hat, gibt ein Satz des Vorworts. Hier wird die Hoffnung ausgesprochen, »dat veel ghemeyne slechte lieden, die door beweeghinghe des gheests helpe ende oderstand inwendichlick soecken, door dese gheestli-
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In Deutschland erschien erst 1594 – also elf Jahre bevor Arndts I. Buch von Wahrem Christentum herauskam – eine Edition der makarianischen Homilien26. Herausgeber dieses Frankfurter Druckes war der aus Friedberg stammende Magister Zacharias Palthenius; er übernahm den Text der Pariser Erstausgabe, fügte ihr aber – zweispaltig synoptisch gedruckt – eine eigene lateinische Übersetzung bei27. Die Hintergründe und näheren Umstände dieser bemerkenswerten Ausgabe harren noch einer genaueren Untersuchung.28 Besonders auffällig ist die Tatsache, daß der evangelische Palthenius das Werk dem Mainzer Generalvikar (und späteren Erzbischof) Johann Schweikart von Kronberg29, »domino ac patrono suo«, widmete30.
cke Homilien sulle moghen ghelaeft, vertroost ende versterct werden« (A 8, Hervorhebungen von mir). Eine sorgfältige Analyse der Homilien-Übersetzung selbst, wie sie DÖRRIES für Gottfried Arnolds Übertragung ins Deutsche vorgelegt hat, hat VAN DE BANK leider nicht unternommen. 26 Sancti Patris Macarii, Eremitae Aegyptii, Homiliae spirituales quinquaginta. De integritate, quae decet Christianos. [...] E Graeco in Latinum sermonem conversae. & coniunctim in Germania editae. a M. Zacharia PALTHENIO Fridbergensi, Frankfurt 1594 [SUB Göttingen]. – Vgl. auch KROEGER, XLIIIf. 27 BENZ (wie Anm. 6), 9, schildert die Abfolge der Editionen so: »Im Jahr 1559 ist der griechische Text der 50 Homilien in Paris veröffentlicht worden. 1594 erschien in Frankfurt zum ersten Mal [!] eine lateinische [!] Ausgabe von einem evangelischen Magister in [!] Friedberg. Zacharias Palterius [!] unter dem Titel: [...] Johannes Picus, ein Pariser Theologe, arbeitete dann [! NB: † 1565!] eine lateinische Übersetzung der Homilien aus, die im Jahr 1677 in M. de la Bigne’s Maxima Bibliotheca veterum patrum tom. IV abgedruckt [vgl. dazu oben Anm. 21] wurde.« 28 Einige Angaben finden sich in der Widmungszuschrift: Im Winter 1593/94 sei er zufällig (»forte fortuna«) auf das divinum opus des Heiligen Vaters Makarios gestoßen. Die Lektüre der Homilien habe ihm einen solchen Genuß bereitet (»me adeo ablectavit, recreavit & detinuit«), daß er das Buch in drei Tagen durchgelesen habe. Die lateinische Übersetzung, die er von einigen wichtigen Homilien angefertigt habe, hätten »viri quidam non infimae existimationis eruditionisve« bei ihm gesehen und ihn zur Vollendung der Übersetzung und zum Druck gedrängt (Epistola dedicatoria f. a 6ff.). Die humanistische Begeisterung, besonders für die griechische Sprache, die als cantus firmus die ganze Widmungszuschrift durchzieht, kommt auch in anderen Veröffentlichungen von PALTHENIUS zur Geltung, so in dem von ihm bearbeiteten Wörterbuch: Syluae quinquelinguis vocabulorum et phrasium [...], Frankfurt 1595 [SUB Göttingen]. Die Makarios-Ausgabe wurde verlegt von dem Frankfurter Drucker und Verleger Nikolaus Basse (»impensis Nicolai Bassaei«; über ihn: Josef BENZING, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet [BBBW 12], Wiesbaden 1963, 117 Nr. 14) und gedruckt in der Offizin von Johann Wechels Witwe (vgl. BENZING, 120, Nr. 27), wo Palthenius als Faktor arbeitete und die er nach Heirat der Witwe seines früheren Arbeitgebers weiterführte (über Palthenius als Drucker: BENZING, 121 Nr. 33). 29 STIEVE, in: ADB 14, 236–239; Wilhelm DIEPENBACH. Die Mainzer Kurfürsten, Mainz 1935; Anton Ph. BRÜCK, in: DERS. und Ludwig FALCK (Hgg.), Geschichte der Stadt Mainz, V, Düsseldorf 1972. 30 Epistola dedicatoria, f. a 2. Es ist auffällig, daß der Katalog von Palthenius Offizin neben evangelischen auch eine Reihe katholischer Werke enthält; unter den medizinischen Schriften sind lateinische und deutsche Gesamtausgaben des Paracelsus aufgeführt; vgl. Catalogus libro-
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Die Makarios-Kenntnis und -Rezeption in der evangelischen Theologie des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts sind noch gänzlich unerforscht31. Unter den Reformierten gehört der Heidelberger Professor Abraham Scultetus32 zu den ersten, die sich eingehend mit den Homilien beschäftigten. In seiner ›Medulla patrum‹, jener umfassenden Bestandsaufnahme der patristischen Literatur und Theologie, die eine Übereinstimmung zwischen der Lehre der Alten Kirche und der Reformation aufzeigen soll, erörtert er im III. Teil (1609) auch die 50 Homilien33. Nach ausführlichen Inhaltsangaben überprüft Scultetus die Theologie des Makarios geordnet nach den loci der orthodoxen Dogmatik34. Abgesehen von Kritik, die er an widersprüchlichen Aussagen der Homilien über den freien Willen äußert35, lautet sein Gesamturteil über Makarios: »recte docet«36. Auf noch frühere Belege für eine Makarios-Kenntnis stößt man in Werken des lutherischen Theologen Michael Neander37. Der Melanchthon-Schüler Neander, Rektor in Ilfeld/Ostharz, zählt zu den bedeutendsten und einflußreichsten evangelischen Schulmännern und Pädagogen des 16. Jahrhunderts. Er gehört aber auch zu jenen Theologen im Luthertum, die – vor Arndt – der mittelalterlichen Mystik verstärkt Beachtung schenkten und Gehör verschafften; seine ›Theologia Bernhardi ac Tauleri‹ gibt davon ein beredtes Zeugnis38.
rum, tum in collegio Paltheniano, tum alicubi partim eius sumtibus excusorum, & partim in eius officina Francofurti prostantium, Frankfurt 1608 [HAB Wolfenbüttel]. 31 BENZ’ Abhandlung trägt außer dem Hinweis auf Arndt hierzu nichts bei. 32 Fritz HAUSS, RGG3 5, 1628 (Lit.); Gustav Adolf BENRATH, in: Pfälzer Lebensbilder 2 (1970), 97–116. 33 Medulla patrum, I, Amberg 1598; II–III, Neustadt a. d. H. 1605–1609; IV, Heidelberg 1613 [HAB Wolfenbüttel]. Das von KROEGER (wie Anm. 5), XLIII, Anm. 35 erwähnte ›Medullae theologiae syntagma‹, Frankfurt 1634 [SUB Göttingen], ist eine posthum erschienene, gekürzte Ausgabe in einem Band. 34 Vita: Medulla III, 401f. Analysis homiliarum: III, 402–426, Synthesis theologiae Macarii: III, 427–434. Unter den einzelnen loci – von ›De fine scripturae‹ bis hin zu ›De resurrectione & glorificatione corporum‹ – werden hier einschlägige Aussagen aus dem Homiliencorpus zusammengestellt und kurz kommentiert. 35 III, 433 f. SCULTETUS stellt Aussagen aus H 2; 4; 26; 27 und 15 einander gegenüber. 36 »Est hic Macarius totus fere in praxi doctrinae Christianae inculcandus. Itaque non tam demonstrationibus rationum, quam similitudinum illustrationibus utitur. Incidenter tamen dogmata fidei non pauca exponit: ac recte docet« (III, 427). 37 Albert REBLE, RGG 3 4, 1389f. (Lit.); grundlegend bleibt F. MEISTER, Michael Neander, NJPP 124 (1881), 180–186. 225–232. 309–315. 357–366. 390–400; 126 (1882), 188–196. 38 Theologia Bernhardi ac Tauleri in illis tenebris Pontificiis singulari ac magno spiritu Monachorum [...], in: Theologia Megalandri Lutheri [...] Item Theologia Bernhardi et Tauleri, Wittenberg 1584 [SUB Göttingen]. Albrecht RITSCHL hat bereits auf dieses Werk als Beleg für das Interesse an Tauler unter den Lutheranern des ausgehenden 16. Jahrhunderts hingewiesen; vgl. Geschichte des Pietismus, II (wie Anm. 1), 10, Anm. 2.
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Sein Alterswerk, die ›Theologia christiana‹ (1595)39 ist eine reife Frucht seiner lebenslangen Beschäftigung mit den patristischen Quellen. Neander legt hier eine Gesamtdarstellung der Dogmatik vor, »S. Scripturae patrum Graecorum Graecis, et Latinorum Latinis e Fontibus ipsorum & tandem Theandris Lutheri dictis & testimonijs illustrata & exposita«40. Unter den griechischen Vätern kommt auch Makarios reichlich zu Wort. Es sind rund 50 Zitate aus den Homilien – angeführt nach der Pariser Erstausgabe –, die verteilt auf die einzelnen dogmatischen loci als dicta probantia erscheinen41. Andere griechische und lateinische Väter werden, zwar häufiger zitiert, doch bei dem relativ bescheidenen Umfang des Homiliencorpus ist das eine beachtliche Zahl42. Neanders Wertschätzung für Makarios findet auch darin ihren Ausdruck, daß er ihn als »vir magni ac singularis Spiritus« charakterisiert43 und daß ein HomilienZitat des »probatus Graecus Theologus« am Schluß seines Werkes steht44. Als frühe Vorarbeit Neanders zur ›Theologia Christiana‹ kann man eine – wenngleich noch mit vorwiegend philologisch-pädagogischer Absicht zusammengestellte – Anthologie betrachten, die er 1564 veröffentlichte: Patrum Theologorum Graecorum Sententiae45. Im Verzeichnis der benutzten Quellen werden auch genannt: »Macarij Aegyptij, cuius extant Homiliae 50«46. Zwölf kurze Zitate nimmt Neander in seine Sammlung auf und ordnet sie – wohl mit chronologischer Absicht – zwischen Zitaten aus Synesios und Chrysostomos ein47. Dieses Werk Neanders bietet den allerersten Beleg für die Kenntnis der Makarios-Homilien im evangelischen Raum, den ich bisher finden konnte. Der frühe Zeitpunkt ist höchst erstaunlich: Nur fünf Jahre nach dem Erscheinen der Pariser Urausgabe war diese bereits dem Schulrektor im Ostharz bekannt! Aus dieser überraschend frühen Kenntnis des Makarios in einem doch recht abgelegenen Winkel Deutschlands darf man freilich keine verallgemeinernden Schlüsse ziehen. Neander war nicht irgendein Schulmeister, sondern gehörte Theologia christiana, Leipzig 1595 [SUB Göttingen]. Untertitel. 41 De Deo: H. 3; 7; de scriptura (scripturae laus: H.7), de homine (homo renatus qualis: H.17; 30; dignitas renati: H.15; 17; novus homo spiritus facit bona: H.21; 9) u.s.w. 42 Im Zusammenhang ähnlicher Überlegungen hat DÖRRIES einmal darauf hingewiesen, daß etwa Augustins Gesamtwerk mehr als den 100fachen Umfang der Makarios-Homilien hat; vgl. Geist und Geschichte (wie Anm. 8), 149, Anm. 3. 43 Theologia christiana, 297. 44 A. a. O., 754. 45 Beigedruckt der 2. Aufl. von Neanders griech.-lat. Ausgabe von Luthers Kleinem Katechismus: Kath/xhsij Martei/nou Loute/r ou [...] Catechesis Martini Lutheri parva Graeco-latina, Basel [1564] [SUB Göttingen]. 46 Sententiae 199. 47 A. a. O., 282,3; 286,7. 39 40
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zu den führenden Köpfen des deutschen Protestantismus und unterhielt eine ausgedehnte, weitverzweigte Korrespondenz48. Er verfügte über gute Beziehungen zum Basler Buchhandel – die ›Sententiae‹ und eine Reihe weiterer Werke Neanders erschienen bei dem Basler Drucker und Verleger Johann Oporin49 – und Basel war immer noch eine Hochburg humanistischer Bildung. Drehscheibe für den kulturellen Austausch und Umschlagplatz für den Buchhandel zwischen Deutschland, Frankreich und Italien. So läßt sich vermuten, daß Neander aus Basel von der Pariser Homilien-Ausgabe erfuhr und sich von dort ein Exemplar des bislang unbekannten Väter-Werkes besorgen ließ 50. Auch ein negatives Gegenbeispiel mahnt, aus der frühen MakariosKenntnis Neanders keine verallgemeinernden Folgerungen zu ziehen: In der ›Academia Jesu Christi‹ des württembergischen Theologen Andreas Schopf 51, einem der frühen Werke evangelischer Patristik, wird Makarios noch mit keinem Wort erwähnt. Im Jahr 1567 erschienen Neanders ›Sententiae‹ schon in 2. Auflage52. Dieses Werk dürfte dazu beigetragen haben, daß mindestens die Existenz von Makarios-Homilien und auch einige »Kernsprüche« daraus bei evangelischen Lesern bekannt wurden.
II Benz und Dörries haben ihre Behauptung über Arndts Makarios-Kenntnis, wie sich wahrscheinlich machen läßt, nicht als Resultat eigener ArndtForschungen formuliert, sondern aus zweiter Hand übernommen. Ihr Gewährsmann ist ganz offensichtlich Gottfried Arnold 53. Vgl. F. MEISTER (wie Anm. 37), 124 (1881), 309–311, und 125 (1882), 191–194. BENZING (wie Anm. 28), 36, und Johannes KARCHER, Theodor Zwinger und seine Zeitgenossen, Basel 1956, bes. 28, 31, 33. 50 Nähere Aufschlüsse könnte vielleicht der Neander-Nachlaß im Halberstädter Domarchiv oder die Briefe Neanders an Theodor Zwinger in Basel, die sich in der Handschriftenabteilung der UB Basel (Depositum der Frey-Grynaeischen Stiftung) befinden, geben. 51 Andreas SCHOPFFIUS, Academia Jesu Christi, [Tübingen 1563] [SUB Göttingen, ohne Titelblatt]; vgl. Gustav KRÜGER, Art. »Patristik«, RE3 15 (1904), 3. 52 Wieder beigedruckt der Kath/xhsij (wie Anm. 45). Die Auflage ist unverändert, lediglich die Namen der Väter sind zwischen die einzelnen Florilegien als Zwischentitel eingefügt [SUB Göttingen]. 53 Vgl. bei BENZ die Paraphrase 9f. mit 15, wo Arnolds Vorbericht wörtlich zitiert wird (freilich nicht nach der 1. Aufl., wie Benz angibt – dort findet sich die zweite Hälfte des Zitats noch gar nicht! –, sondern nach der 2. oder 3. Auflage; vgl. oben Anm. 27. DÖRRIES, 152, referiert ebenfalls die Passage über Arndts Makarios-Kenntnis aus Arnolds Vorbericht; auch er hat übersehen, daß erst im ›Denckmahl‹ von 1699 erwähnt wird, daß Arndt die Homilien auswendig gekannt habe. Auf dieselbe Quelle dürfte übrigens Erich SEEBERGS Bemerkung zurückgehen, daß 48 49
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In dem Vorwort seiner Homilien-Übersetzung würdigt Arnold die hohe geistliche Qualität dieser »Reden« und beruft sich dabei vor allem54 auf Johann Arndt als reputablem Kronzeugen: »Der seel. Arnd hat sie in einem Brief an den auch berühmten Theologum Johan. Gerhardum vor allen andern Schrifften recommendirt / und sonderlich denen Studiosis Theologiae zu gebrauchen vor nöthig gehalten«55. In der 2. Auflage der deutschen Homilien-Ausgabe, dem ›Denckmahl des alten Christenthums‹ erweitert Arnold diese Passage um zusätzliche Angaben: »wie denn auch ein anderer zu selbiger Zeit versichert / daß ihm dieser Arnd offt bekannt habe; Er hätte ehemals den Macarium gantz auswendig hersagen können / so fleißig hätte er ihn gelesen gehabt: Welches denn auch aus seinem wahren Christenthum genug zu sehen ist«56. Arnolds erster Beleg stammt aus einem Arndt-Brief, der erst wenige Jahre zuvor (1690) erstmals veröffentlicht worden war57. In diesem Brief erteilt Arndt dem Theologiestudenten Johann Gerhard Ratschläge für sein Studium, vor allem gibt er Empfehlungen über anzuschaffende Literatur. Als Hauptkriterium beim Bücherkauf rät er zu prüfen, ob der jeweilige Autor »ex spiritu« oder »ex carne« geschrieben habe, und führt dann als Beispiele an: »Bernhar-
Gichtel »mit Arndt und Arnold die Vorliebe für Makarius« teilte; vgl. Gottfried Arnold, Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit, Meraane i. S. 1923 [Nachdruck Darmstadt 1964], 28, Anm. 1; während für Gichtel ein Beleg gegeben wird, fehlt ein solcher für Arndt! 54 Außerdem vermerkt A RNOLD noch, daß (auch) andere den Makarios loben. Er führt an: »Quenstedt, [Dialogus] de Patr[iis] illustr [ium et scriptis] Vir [orum] p. 629 & c. Petrus Poiret de Erudit[ione solida, superficiaria, et falsa] Lib. II. p. 225«, Homilien, Vorber. [4] Anm. q. Daraus wird bei BENZ, 15, Anm. 2: »Gottfried Arnold verweist auf [...] [Monatl. Unterredungen; Breler – s. u.] und auf eine ähnliche Äußerung von Quenstedt, der sich seinerseits auf Pierre Poirets De eruditione lib. II, § [!] 225 beruft.« Quenstedts Werk erschien 1654, die 1. Aufl. von Poirets De eruditione 1692, als Quenstedt schon vier Jahre tot war! Es handelt sich auch nicht um ähnliche Äußerungen wie die zuvor angeführten, da Arndt weder von Quenstedt noch von Poiret an den genannten Stellen im Zusammenhang mit Makarios überhaupt genannt wird. (Bei Poiret findet sich erst später ein – wohl von Arnold abhängiger – Hinweis: s. u. Anm. 119). 55 Homilien, Vorber. [4]. 56 Denkmal, Vorr. [7]. 57 Nach dem Original (damals in der Herzogl. Bibliothek Gotha, heute verschollen – vgl. KOEPP (wie Anm. 14), 299f., erstmals veröffentlicht in der von Wilhelm TENTZEL herausgegebenen, pietistisch geprägten Zeitschrift: Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde von Allerhand Büchern und andern annemlichen Geschichten, [Leipzig] 1690, 623–625 [SUB Göttingen]. Wieder abgedruckt wurde der Brief in der von Johann Jakob RAMBACH besorgten ArndtGesamtausgabe: Des Hocherleuchteten Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III, Leipzig / Görlitz 1736, 618, bei Erdmann Rudolph F ISCHER. Vita Ioannis Gerhardi, Leipzig 1723, 23f. [SB München], und in der radikalpietistischen Zeitschrift: Geistliche Fama, 29. Stück, »Sardes« [= Berleburg] 1743, 51–53 (mit dt. Übers.: 53–55) [SUB Göttingen]. Koepp hat den Brief mit einigen Auslassungen in seiner Monographie (wie Anm. 14), 34, Anm. 1, wiedergegeben; einen deutschen Auszug druckt er in seiner Arndt-Auswahl: Johann Arndt (KlRel 2), BerlinSchöneberg 1912, 60f.
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dus ex spiritu scripsit: & Kempisius & Macarius: Spinaeus: quidam Granatensis: sed postillam ejus non magni facio: & Augustini quaedam« 58. Makarios wird hier also als Beispiel eines wahrhaft ›geistlichen‹ Autors angeführt. Es ist aber zu beachten, daß er keineswegs, wie Gottfried Arnold behauptet, »vor allen andern Schrifften recommendirt« wird, sondern in einer Reihe mit Bernhard von Clairvaux, Thomas von Kempen, Jean de l’Espine59 und (mit gewissen Einschränkungen genannt:) Ludwig von Granada und Augustin steht. Makarios wird weder durch besondere Attribute noch durch seinen Platz in der Reihenfolge herausgehoben. In der Patrologie des Briefadressaten J. Gerhard erhält übrigens Makarios später keine Eulogia wie andere Väter, und es fehlt auch ein Hinweis auf seine besondere Wertschätzung durch Arndt60. Arnolds zweiter Beleg stammt aus dem ›Mysterium iniquitatis pseudevangelicae‹, einer anonymen ›dissertatio apologetica‹ für Arndt, die noch in dessen Todesjahr 1621 erschienen war61. Sie ist verfaßt von einem glühenden Arndt-Verehrer62, bei dem es sich um Melchior Breler, den Leibarzt Herzog Augusts d. J. zu Braunschweig und Lüneburg handelt63. Monatliche Unterredungen 1690, 624. Während KOEPP in seiner Arndt-Auswahl (wie Anm. 57), »quidam Granatensis« erläuternd mit »Ludwig von Granada« wiedergibt, ist es ihm offenbar nicht gelungen, »Spinaeus« zu identifizieren. Es handelt sich um den Hugenotten Johannes de Spina (Jean de l’Espine). Über ihn: L. HOGU, Jean de l’Espine, moraliste et théologien (1505?–1597). Sa vie, son oeuvre, ses idées, Paris 1913. 60 Patrologia, sive Primitivae Ecclesiae Christianae Doctorum Vitá ac Lucubrationibus Opusculum posthumum, Jena 1653, 203 [HAB Wolfenbüttel]. 61 [Melchior BRELER,] Mysterium iniquitatis pseudoevangelicae: Hoc est: Dissertatio apologetica pro doctrina Beati Joannis Arnd. Goslar 1621 [HAB Wolfenbüttel; mit eigenhändiger Widmung des Autors an Herzog August: SUB Göttingen]. 62 Vgl. eine Aussage wie: »Deus ipse, si concionari vellet, aliter non esset concionaturus quam Arndius«, Mysterium 41! 63 Über Brelers Biografie war bisher nur bekannt, daß er wohl aus Fulda stammte und, »wie wohl recht überliefert ist«, Leibarzt Herzog Augusts war; vgl. KOEPP, 104. Ich konnte folgende Daten ermitteln: Am 5.12.1589 wurde ein Sohn des Fuldaer Bürgers Michael Bre(e)ler getauft, sein Pate war »Juncker Melchior v. Dermbach Amptmann uff Rockenstull«, Kirchenbuch, Kath. Stadtpfarramt Fulda; da die Kinder damals meist die Vornamen der Paten erhielten, handelt es sich wohl um unseren Melchior Breler. Am 9.12.1607 wurde »Melchior Breler Fuldensis« an der Universität Marburg immatrikuliert; vgl. K. Julius CAESAR / F. JUSTI, Catalogus studiosorum Marpurgensium, IV, Marburg 1887, 22. Sieben Jahre später, am 23.8.1614, erscheint er – inzwischen Magister – in der Helmstädter Matrikel: »M. Melchior Breler Fuldensis«; vgl. Paul ZIMMERMANN, Album Academiae Helmstadiensis, I. 1, Hannover 1926, 239 Nr. 27. Ostern 1623 wurde er zum Hofmedicus und Rat Herzog Augusts ernannt; vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 1 Alt 22 Nr. 202, f. 4 – eigenhändiges Konzept des Herzogs. Weitere Nachrichten über Breler gedenke ich an anderer Stelle mitzuteilen. Zu Brelers Rolle in den Arndt-Streitigkeiten vgl. KOEPP, 104ff. und jetzt WALLMANN (wie Anm. 9), 24ff. 58 59
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In diesem Werk führt Breler insgesamt 17 Makarios-Zitate an64. Bei einem dieser Zitate läßt er eine Bemerkung über Arndts Makarios-Kenntnis einfließen: »Pulcherrime vero B. Macarius scriptor religiosissimus & de quo B. Arndus mihi confirmavit, fuisse cum illum verbotenus posset libro reposito recitare, [...], inquit, [...]«65. Auch hier hat Arnold die Quelle nicht genau wiedergegeben; aus der einfachen Bemerkung Brelers »mihi confirmavit« wird bei Arnold: Arndt habe »offt bekannt«. Zu beachten ist ferner, daß Breler noch keine Verbindung zwischen Arndts Makarios-Kenntnis und seinen Büchern von Wahrem Christentum herstellt. Erst Arnold hat diesen Zusammenhang behauptet, indem er dem Breler-Zitat kommentierend hinzusetzt: »welches denn auch aus seinem wahren Christenthum genug zu sehen ist«. Diese beiden kurz vorgestellten Belege Gottfried Arnolds sind in ihrem Quellenwert allerdings nicht unumstritten. Der Brief an Gerhard wurde sogleich nach seiner Erstveröffentlichung im Jahre 169066 zum Gegenstand einer literarischen Kontroverse um seine Echtheit bzw. Integrität67, und die Zweifel sind in der Arndtforschung von namhaften Gelehrten wiederholt worden68. Freilich erweckte nicht die oben angeführte Textstelle oder gar die Erwähnung von Makarios Bedenken; den Anstoß bildete ein anschließender Passus, in dem der Heide Seneca als einziger Philosoph unter die Autoren eingereiht wird, die »ex spiritu« geschrieben hätten69. Bei genauerer Überprüfung erweisen sich jedoch die aus tendenziös-apologetischen Motiven vorgebrachten Einwände70 als nicht haltbar; sprachliche und inhaltliche Kriterien erweisen den Brief als zweifellos echt.71 Nur eine Korrektur ist anzubringen: Das Datum in der Erstveröffentlichung beruht auf 64 In Klammern füge ich die zitierten Homilienstellen bei: Mysterium 75f. (H 3, 6; 4, 25–27), 78 (H 30, 4), 115 (H 15, 42; 15, 15; 15, 19), 133f. (H 15, 20), 147 (H. 4, 5; 4, 27), 149 (H. 15, 20), 157 (vgl. H 31, 2; 19), 210 (H 15, 39; 15, 25; 15, 28; 20, 5), 242 (H 33, 3). 65 Mysterium 209f. 66 S. o. Anm. 57. 67 Johann Christoph HOLTZHAUSEN, Teutscher Anti-Barclajus. Das ist: Außführliche Untersuchung der gantzen Quäckerey und Apologiä Roberti Barclay, Frankfurt 1691, 1203–1206 [SUB Göttingen]. Monatliche Unterredungen 1690 [ersch. 1691?], 975–977, 1129–1131; HOLTZHAUSEN, Capistratus Bohmicolarum Rabula, Frankfurt 1692, 352 [SuStB Augsburg]. 68 Gottfried Balthasar SCHARFF, Supplementum historiae litisque Arndianae, Wittenberg 1727, 67–69; Johann Georg WALCH, Historische und theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirchen, III, Jena 1733, 185 [beide: SUB Göttingen]. Für die Echtheit: KOEPP, 33f. 69 »Inter Philosophos neminem scio, qui ex spiritu scripserit (qui, ubi vult, spirat) praeter unum Senecam«, Monatliche Unterredungen 1690, 624. 70 Es geht HOLTZHAUSEN, Anti-Barclajus (wie Anm. 67), 1206, darum, daß »kein Quäcker sich auf Arndt zu recht berufen kann«. 71 Auf diese Frage werde ich an anderer Stelle ausführlich eingehen.
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einem Lesefehler; der Brief ist bereits am 15. März 1603 (nicht: 1605) geschrieben72. Die Vorbehalte und Bedenken, die sich gegenüber Arnolds zweitem Beleg einstellen, sind im Gesamtcharakter dieser Schrift 73 begründet. Brelers Apologie überschreitet unbekümmert die Grenzlinien der theologischen Orthodoxie, die zu beachten Arndt immer versucht hatte, und gerät in enthusiastisches Fahrwasser74. Das Werk bildet den Auftakt der »schwärmerischen« ArndtRezeption75. Doch trotz dieser theologischen Vorbehalte gegenüber Brelers Schrift erscheint seine Äußerung über Arndts Makarios-Kenntnis unverdächtig. Breler verweist keineswegs programmatisch oder an besonders exponierter Stelle auf Arndts Hochschätzung des Makarios – so daß man etwa argwöhnen könnte, Breler wolle seiner ausgiebigen Zitierung der Homilien dadurch Gewicht und Autorität verleihen. Vielmehr fließt die Äußerung als eher beiläufige und zufällige Reminiszenz bei dem zweitletzten Zitatenkomplex ein, den er aus den Homilien anführt. Für die Glaubwürdigkeit spricht auch Brelers Zugehörigkeit zum Celler Freundes- und Schülerkreis Arndts76, von dem er die Bemerkung persönlich gehört habe (»mihi confirmavit«): Der alte Arndt erinnert sich rückblickend an eine Zeit (»fuisse cum [...]«), als er Makarios auswendig rezitieren konnte, wozu er jetzt – so wird man den Gedanken ergänzen dürfen – bei nachlassendem Gedächtnis nicht mehr imstande ist. Vollends erscheint Brelers Mitteilung durch Arndts briefliche Äußerung an Gerhard in ihrer Glaubwürdigkeit bestätigt. In diesen beiden Quellenzeugnissen haben wir eine kritisch abgesicherte Ausgangsbasis für die weitere Untersuchung gewonnen. Halten wir ihre Aussagen als erstes Zwischenergebnis fest:
72 In der Erstveröffentlichung lautet das Datum: »15. Martii 1605.« Dies hat Erdmann Rudolph FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi (wie Anm. 57), 24f., Anm. d. mit überzeugenden Argumenten als Lesefehler für 1603 erwiesen: Gerhard ging im Februar 1603 nach Jena, um dort das Theologiestudium aufzunehmen, und Arndts Brief – also im darauf folgenden Monat geschrieben – setzt einen Studienanfänger voraus (»atque lenae tum in literae incubisse putamus, quum Arndius hanc epistolam ad eum mitteret«). 73 Vgl. dazu KOEPP, 104–108. 74 Instruktiv ist die Entgegnung von Jacob WERENBERG, Vindiciae Ecclesiae Lutheranae [...] contra Mysterium iniquitatis psedo-evangelicae, Lüneburg 1622 [HAB Wolfenbüttel]; vgl. die knappe Charakteristik bei KOEPP, 108f. 75 Hans-Joachim SCHWAGER, Johann Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen, Diss. theol. Münster 1961, 95f.; WALLMANN (wie Anm. 9), 28, nennt Breler »den Begründer des linken, kirchenkritischen Flügels der Arndt-Schule«. 76 Breler sagt von sich selbst: »qui ab Arndio filii instar amatus fuerim«, [Melchior BRELER], Vindiciae pro Mysterio Iniquitatis pseudoevangelicae [...], Goslar 1622, Epistola dedicatoria [HAB Wolfenbüttel].
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Johann Arndt hat die Makarios-Homilien vor März 1603 kennen- und als ein wahrhaft geistliches (»ex spiritu« geschriebenes) Werk schätzen gelernt und sich intensiv mit ihnen vertraut gemacht. Welche Ausgabe(n) er besaß77, läßt sich anhand der beiden erörterten Zeugnisse nicht feststellen78. Über 1603 als terminus ad quem kann man anhand früherer Briefe79 und Schriften80 Arndts nicht hinauskommen, da dort weder Makarios erwähnt noch, soweit ich sehe, Homilien-Zitate angeführt werden. Ich möchte aber auf eine mögliche Verbindungslinie aufmerksam machen, wenngleich sie einstweilen hypothetisch bleibt. Wenn Arndt nicht schon während seiner Studienjahre – etwa in Basel81 – die Makarios-Homilien kennenlernte (die grundlegende, in der Forschung strittige Frage, wann Arndts Interesse für mystische Literatur erwachte82, ist für solche Überlegungen relevant), dann kommt vor allem Michael Neander als Vermittler der Makarios-Kenntnis an Arndt in Betracht. Der Ilfelder Rektor war für den jungen Arndt, der in Ballenstedt aufwuchs, kaum ein Unbekannter, Neander gehörte ferner zu den »fleißigen Korrespondenten«83 von Theodor Zwinger, Arndts hochgeschätztem Basler Lehrer84, und 1583 bis 1598 war Arndt Pfarrer in Ballenstedt, Badeborn und Quedlinburg – in Orten, die weniger als 50 km von Ilfeld entfernt sind, wo Neander bis zu seinem Tod 1595 wirkte. Neanders ›Theologia Bernhardi ac Tauleri‹ wird von Arndt in der Vorrede seiner Tauler-Ausgabe zitiert 85. Doch wie dem auch sei – die Bekanntschaft Arndts mit den makarianischen Homilien ist vor März 1603 erfolgt. Das bedeutet, daß Arndt sie mindestens 77 So besaßt Arndt etwa von der Theologia Deutsch drei Ausgaben: den Wittenberger Druck von 1520, die Basler Ausgabe von 1521 und die von Sebastian Castellio veranstaltete Lyoner Edition von 1580; vgl. WEBER (wie Anm. 9), 51. 78 Daß Breler in seiner Arndt-Apologie durchgängig nach (der lateinischen Version) der Palthenius-Ausgabe zitiert, erlaubt keinen Rückschluß auf Arndt. 79 Vgl. die Zusammenstellung der gedruckten (und zweier ungedruckter) Briefe bei KOEPP 300–302. Die systematische Suche könnte vermutlich noch weitere Briefe zutage fördern (z.B. Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, Briefbestand 298 N 821: Brief Arndts an NN., Celle 1611). 80 Vgl. KOEPP, 297–299; Martin SCHMIDT, TRE 4 (1979), 124f. 81 Zu Arndts Studium in Basel vgl. WEBER (wie Anm. 9), 29–35. 82 Zum Problem: KOEPP, 17ff. 83 KARCHER (wie Anm. 49), 27. – Elf Briefe Neanders sind in der Zwingerschen Briefsammlung der UB Basel erhalten. 84 Vgl. WEBER, 30ff. 85 Postilla Johannis Tauleri, Hamburg 1621, Vorrede v [SUB Göttingen]; ebenfalls zitiert in einem Brief an Herzog August aus demselben Jahr, in: [Melchior BRELER, Hg.] Warhafftiger / Glaubwirdiger vnd gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christenthumb Herrn Johannis Arndten [...], Lüneburg 1625, 54 [HAB Wolfenbüttel; SB Preuß. Kulturbesitz Berlin].
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zwei Jahre kannte, ehe sein I. Buch von Wahrem Christentum im Frühjahr 1605 in Frankfurt erschien86.
III Bevor wir uns erwartungsvoll auf die Suche nach Spuren des Makarios in den Vier Büchern von Wahrem Christentum begeben, muß ich ein Wort über den literarischen Charakter dieses Werkes vorausschicken und den Stand seiner quellenkritischen Erforschung kurz skizzieren. Arndts Vier Bücher von Wahrem Christentum (1605–1609/1087) sind zu einem erheblichen Teil ein kompilatorisches Sammelwerk88. »Die inhaltliche Fülle erhalten die vier Bücher durch die Übernahme fremden literarischen Gutes«89. Daß Arndt aus fremden Quellen geschöpft hat, war bereits zu seinen Lebzeiten bekannt 90. Nicht nur gegenüber dem befreundeten Johann Gerhard konnte er selbst die Arbeit an seinem Werk gelegentlich als »colligere« bezeichnen91. Er hat auch in den vier Büchern eine stattliche Zahl kürzerer, meist lateinischer Zitate heidnischer und christlicher Autoren der Antike und mittelalterlicher Theologen namentlich gekennzeichnet, ferner eine Reihe weiterer Zitate unbekannter Herkunft durch ihre lateinische Sprachform als solche erkennbar gemacht. Und schließlich hat Arndt den Leser ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er im III. Buch, das eine Art Einführung in Taulers Theologie darstelle, diesen möglichst selbst zu Wort kommen lasse92. 86 Die im Osterkatalog 1605 der Frankfurter Buchmesse angezeigte Urausgabe des I. Buches ist keineswegs verschollen (so noch M. SCHMIDT, TRE 4, 122 u. 124), sondern in der HAB Wolfenbüttel vorhanden. Vgl. G. MILCHSACK, Johann Arndts ›Vier Bücher von Wahrem Christentum‹ 1605, Braunschweigisches Magazin 29 (1923), 15, und ausführlich WEBER, 10–20. 87 Die ältesten Exemplare sind ein Magdeburger Druck von 1610 [Buch II: SUB Göttingen; Bücher II–IV: SB Preuß. Kulturbesitz Berlin], doch dürften die Bücher II–IV schon 1609 erstmals im Druck erschienen sein; vgl. KOEPP, 61; WEBER, 4f. 88 Hans-Joachim SCHWAGER (wie Anm. 75). 89 Eine knappe inhaltliche Charakteristik zuletzt bei SCHMIDT, TRE 4 (1979), 125f. 90 Zur Forschungsgeschichte vgl. WEBER, 1f., sowie ferner zu den einzelnen Quellen 43f., 52, 65–68 u.s.w. 91 Brief vom 19.2.1607, Georg Martin RAIDELIUS, Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum, Nürnberg 1740, 80 [SUB Göttingen]. 92 III, 1,4. Das hat Arndt vor allem die scharfe Kritik Lucas OSIANDERS d. J. eingetragen: »Also wann du meinest du hörest Christum / den Mund der Wahrheit / so hörest du den Tauler der noch in allerley Päpstischem Antichristischem Dunckel / vnnd Schwachheit bestecken geblieben: wann du meinest / man lehre dich das wahre (vnnd als vnmangelhaffte Christenthumb / so hast du ein Daulerthumb [...]«, Theologisches Bedencken [...] Welcher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb [...] anzusehen vnd zuachten seye [...], Tübingen 1624, 29 [SUB Göttingen].
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Mit diesen Hinweisen Arndts ist freilich nur ein Teil der fremden Quellen benannt. Weitere »Quellenkritik« leisteten seine Gegner. So sah sich Arndt bereits ein Jahr nach dem Erscheinen der Urausgabe des I. Buches zu dem Eingeständnis genötigt, daß darin »etliche reden nach art der alten Scribenten / Tauleri / Kempisij und anderer / mit eingemischt« seien93. Die Benutzung ›unreiner‹ katholischer Autoren, vor allem mittelalterlicher Mystiker, blieb ein wichtiger Kontroverspunkt in den Auseinandersetzungen um Arndts Werk im 17. Jahrhundert94. Als dann die bislang nur handschriftlich verbreiteten Schriften Valentin Weigels im Druck erschienen, wurde bald bemerkt, daß Arndt in Kap. 34 des II. Buches Weigels Gebetbüchlein ausgeschrieben hatte, und Arndt mußte sich nun auch gegen den Vorwurf des Enthusiasmus verteidigen95. Auch seine Abhängigkeit von paracelsischen Schriften ist früh bemerkt worden96. So ist die Diskussion um Arndts literarische Vorlagen in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen um das Wahre Christentum aufgekommen. Quellenkritik war ein Instrument der gegnerischen Polemik. Als den eigentlichen Begründer der literarkritischen Erforschung hat man den Generalsuperintendenten von Bremen und Verden Johannes Dieckmann bezeichnet97. In einer ausführlichen Vorrede zu der von ihm veranstalteten Neuausgabe (1706)98 erörterte er ausgiebig die Quellenproblematik: er behandelt Arndts Benutzung Taulers, der Nachfolge Christi und der Theologia Deutsch und diskutierte auch die Verwendung von Material aus Weigel und paracelsischen Schriften. Die erstmalige Entdeckung einer weiteren, von Arndt selbst nie erwähnten und auch von Freunden und Gegnern nicht bemerkten Quelle, dem Werk der italienischen Nonne Angela de Foligno, ist in der bisherigen Arndt-Forschung freilich zu Unrecht Dieckmann zugeschrieben worden99, Gottfried Arnold hatte sie schon vier Jahre vor ihm als Arndt-Vorlage Braunschweig 1606 (2. Braunschweiger Ausgabe), Vorrede [A vi] [UB Tübingen]. Vgl. etwa Lucas OSIANDER (wie Anm. 92), Kap. 1. Paul EGARD, Ehrenrettung Johannis Arndten, Lüneburg 1624, 26 [SUB Göttingen], bemerkt: »Daß er aber auch Taulerum vnd Kempisium gelesen vnd von jenen viel entlehnet kan nicht geleugnet, wie auch nicht gestraffet werden«. 95 Vgl. WEBER, 71–74. 96 Johann Gerhard schreibt 1625 an Nikolaus Hunnius über Arndt: »[...] lectione librorum Paracelsi & Weiglii fuerit delectatus. Testatur enim quod ex illis multa in Libros de vero Christianismo redegerit«, abgedruckt in: Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndtianum [...], Wittenberg 1714, 14 [SUB Göttingen]. 97 Vgl. WEBER, 1. 98 Fünf Bücher vom wahren Christenthum, Stade 1706, wieder abgedruckt in: Sechs Bücher vom wahren Christenthum, Stockholm 1723 [beide Ausg.: LB Hannover] und in: Johannes DIECKMANN, Teutsche Schrifften, II, Hamburg 1735, 164–232 [SUB Göttingen]. 99 KOEPP, 49; WEBER, 1 u. 66. 93 94
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identifiziert 100. Gerhard Tersteegen hat dann exakter als Arnold und Dieckmann den Umfang ihrer Benutzung bestimmt 101. Andere Untersuchungen des 18. Jahrhunderts bieten i.w. nur eine Bestandsaufnahme der Diskussion102. Nach kleineren weiterführenden Beobachtungen in der Arndt-Literatur des 19. Jahrhunderts markiert erst Wilhelm Koepps Monographie (1911) einen wesentlichen Fortschritt103. Es gelang ihm, den größten Teil des aus Tauler übernommenen Stoffes zu identifizieren, ferner wies er den Umfang des Materials nach, das Arndt aus dem ›Liber creaturarum‹ des Katalanen Raimund von Sabunde im 2. Teil des IV. Buches eingearbeitet hatte. Die Benutzung einer weiteren Schrift Valentin Weigels, des ›Informatorium Biblicum‹ in Kap. 6 des II. Buches konnte Winfried Zeller 1940 aufzeigen104, und für II, 7,1 hat Hans-Joachim Schwager ein weiteres Kapitel von Weigels Gebetbüchlein als Vorlage namhaft gemacht 105. Die bislang eindringlichste Beschäftigung mit den Quellenproblemen der Vier Bücher von Wahrem Christentum stellt die Marburger Dissertation von Edmund Weber dar106. Sie führt über eine Bestandsaufnahme der bisherigen Quellenanalysen deutlich hinaus. Gegenüber den meist pauschalen Angaben in früheren Arndt-Arbeiten versucht Weber, den Anteil der Theologia Deutsch, der Nachfolge Christi und der paracelsischen Quellen exakter zu bestimmen. Er kann über Koepps Zuweisungen hinaus weitere Taulerzitate identifizieren
100 Gottfried ARNOLD, Historia et descriptio Theologiae Mysticae, Frankfurt 1702, 361 [SB München]: »Interim tamen Libellum hunc B. Johanni Arndio notum & acceptum fuisse ex collatione probatur, quae indicat, Caput 13. 14. & c. secundi ejus Libri de vero Christianismo petitum esse ex cap. 4. 5. &c.« 101 Vgl. hierzu WEBER, 67. 102 Arndianos de vero christianismo libros [...] praeside Gottlieb WERNSDORFIO [...] examinabit [...] Petrus ELERS, Wittenberg 1714; SCHARFF (wie Anm. 68); Johann Jakob RAMBACH, Historische Vorrede zu: Des Hocherleuchteten Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III (wie Anm. 57), 3–16 [sämtl.: SUB Göttingen]; Rambachs Vorrede auch in der Ausgabe: Sechs Bücher vom wahren Christenthum, Züllichau 1736 [HAB Wolfenbüttel]; Johann Georg WALCH, Historische und theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der EvangelischLutherischen Kirchen, Jena 1730–39, III, 171–241; V, 1123–1161. 103 KOEPP (wie Anm. 14), bes. 53–58. 104 Winfried ZELLER, Die Schriften Valentin Weigels, Berlin 1940, 39, Anm. 26. 105 SCHWAGER (wie Anm. 75), 43. 106 S. o. Anm. 9. Von den dort genannten amerikanischen Dissertationen berührt nur die von SPINK quellenkritische Probleme. Zwei Kapitel behandeln »Early Patristic Influence« (Irenäus. Augustin) bzw. »Medieval Mystical Influence on Arndts Religious Thought« (2ff. 29ff.). Die Untersuchung ist unbefriedigend, da Spink keine sorgfältigen Textvergleiche vornimmt, sondern häufig aufgrund der Sekundärliteratur urteilt und dann zu vagen Aussagen kommt wie: »Arndt’s concept can find its parallel« (10), »one is reminded of [...] (11), »similar ideas« (18, n. 2; 44). S. u. Anm. 115.
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und für das IV. Buch die Benutzung von vier zusätzlichen kosmologischen Quellen nachweisen. Ein Abschluß der quellenkritischen Analyse der Bücher von Wahrem Christentum ist aber auch mit der Untersuchung Webers noch keineswegs erzielt 107. Nicht nur die zahlreichen Kurzzitate namentlich genannter antiker und mittelalterlicher Autoren108, die in der bisherigen Forschung nicht einmal zusammengestellt, geschweige denn identifiziert worden sind, und die lateinischen Zitate anonymer Herkunft – darunter vier längere Passagen109 – sind noch zu bestimmen. Auch über das von Koepp und Weber ermittelte Taulergut hinaus finden sich noch weitere Taulerzitate110, und Spuren der AngelaQuelle lassen sich bereits vor II, 13 ausmachen111. Vor allem aber muß geklärt werden, ob Arndt neben den ermittelten nicht noch weitere Quellen benutzt hat. Einigen Autoren, die in den Diskussionen des 17. Jahrhunderts als mögli107 Ich beabsichtige, auf die im Folgenden angedeuteten Probleme später an anderer Stelle ausführlicher einzugehen. KOEPP bemerkt, Arndt habe »in den späteren Büchern [sc. II–IV] [...] gelegentlich alle möglichen Kirchenväter zitiert«, und führt an: »etwas häufiger Augustin, ferner Irenaeus, Cyprian, Basilius, Chrysostomus, Dionysius Areopagita, Ambrosius, Gregor den Großen, Bernhard, Bonaventura, Gerson und Staupitz, wohl auch [!] den 1603 Gerhard gegenüber angeführten Macarius, den Arndt nach Angabe seines Schülers, des Arztes Breller [...] sogar auswendig gewußt haben soll, sowie Spinaeus und Ludwig von Granada, auch die Heiden Plato und Seneca«, 48 u. 48 Anm. 1. Diese Aufreihung ohne jeden Beleg ist nicht nur im Hinblick auf die von Arndt namentlich genannten Autoren unvollständig – es fehlen z.B. Ignatius von Antiochien, Tertullian, Theodoret, Xystus und die Heiden Aratus, Aristoteles, Cicero, Ovid, Publilius Syrus –, sondern läßt leicht erkennen, daß mit den namentlichen Erwähnungen (übrigens schon in Buch I) die Angaben in Arndts Brief an Gerhard (Makarios, Spinaeus, Granatensis) und die Vermutungen der Arndt-Literatur des 17. Jahrhunderts (Gerson, Staupitz) kontaminiert sind. 108 Arndt zitiert rund 30 antike und mittelalterliche Autoren namentlich. Neben wörtlichen Zitaten (z.B. IV/1, 5,32 = Ovid, Metamorph. 15, 417) stehen solche, die selbst in ihrer lateinischen Fassung recht freie Wiedergaben darstellen (z.B. II, 8,10: »Tota hominis vita ipsi ad penitentiam data, sagt Bernhardus.« = MPL 183, 175 D: »cum certum sit totum vitae hujus tempus nonnisi ad poenitentiam institutum«). An anderen Stellen entfernt sich Arndt noch weiter von der zitierten Vorlage und gibt Lesefrüchte in eigener lateinischer Paraphrase wieder, z.B. I, 27, 6: »Seneca: Si magnanimus fueris, numquam judicabis, tibi contumeliam fieri.« Gedacht ist an Stellen aus De constantia sapientis (z.B. II,1,6; III,2,4; XII,5,7f.). Diese Zitierweise gilt es auch für Arndts Umgang mit Makarios zu bedenken. 109 Zwei Gebete (II, 1,9; II, 31,9) und zwei Aufreihungen von Aussagen »De bono orationis« bzw. »De bono crucis« (II, 36,15; II, 46,15 – diese beiden Stücke offensichtlich aus derselben Quelle). Die vier Passagen sind in der Ausgabe von 1610 (wie Anm. 87) zweisprachig, synoptisch auf gegenüberliegenden Seiten gedruckt. Da die meisten späteren Ausgaben hier wie auch bei den lateinischen Kurzzitaten nur die deutsche Übersetzung wiedergeben, ist der Zitat-Charakter dort nicht mehr erkennbar. 110 Z. B.: III, 9,6c–d = Ferdinand VETTER (Hg.), Die Predigten Taulers (Deutsche Texte des Mittelalters 11), Berlin 1910, 161, 23f. 111 II, 5,7 Ende; vgl. Angela (ed. J. H. LAMMERTZ, Beatae Angelae de Fulginio visionum et instructionum liber [Bibliotheca mystica et ascetica 5], Köln 1851, 247): »Igitur factus est nobis [...] doctor et magister gloriosus Dei filius [...]«.
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che Vorlagen Arndts genannt wurden, hat die neuere Forschung keine Beachtung mehr geschenkt. Dies gilt für Werke von Johannes Gerson, Ludwig von Granada112 und für die beiden Traktate von Johann Staupitz, die Arndt selbst neu herausgegeben hat 113. Insbesondere bedarf die Frage, ob Schriften Bernhards von Clairvaux wirklich erst im Paradiesgärtlein benutzt sind (wie Koepp meint 114) und er nicht schon in den Büchern von Wahrem Christentum über vier namentliche Zitate115 hinaus zu Wort kommt, einer sorgfältigen Prüfung. Sein Name steht unter den im Brief an Johann Gerhard genannten ›geistlichen‹ Autoren an erster Stelle, und ein Bernhard-Zitat ist programmatisch auf das Titelblatt der Urausgabe des I. Buches gesetzt!116 Es bleibt ferner zu untersuchen, ob nicht auch Traktate des in jenem Brief ebenfalls genannten Spinaeus (Jean de l’Espine), die eine thematische Verwandtschaft mit einigen Kapiteln des Wahren Christentums aufweisen117, zu den Quellen Arndts gehören. Eine kritische Ausgabe der Vier Bücher von Wahrem Christentum ist für die Kirchen- und Theologiegeschichte des frühen 17. Jahrhunderts, aber auch im Hinblick auf die Geschichte des Pietismus ein dringliches Desiderat118. Zu jenen Autoren, die im 17. und 18. Jahrhundert als Vorlagen Arndts im Gespräch waren, in der neueren Arndt-Literatur aber wieder in Vergessenheit geraten sind oder jedenfalls keine Beachtung mehr gefunden haben, gehört auch Makarios.
112 Ludwig von Granada (und Johannes Gerson) wurden von Lucas OSIANDER als Vorlagen Arndts behauptet (wie Anm. 94). Nachdem DIECKMANN erklärt hatte, er habe Entlehnungen »bisher nicht finden könne« (Fünff Bücher vom wahren Christenthum, Stade 1706. Vorrede 21), ist die Arndt-Forschung dieser Frage nicht weiter nachgegangen. Auch Christoph BESOLD, der zum Katholizismus konvertierte Arndt-Freund, meint, daß Arndt seine Bücher von wahren Christentum »auß den fürnembsten Catholischen Scribenten besonders Kempisio, Taulero, Granatensi, vn andern [...] zusammen gezogen« habe, Christliche vnd Erhebliche Motiuen, Ingolstadt 1637, 122 [SUB Göttingen]. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch Arndts Empfehlung des Granatensis in seinem o.g. Brief an Johann Gerhard. 113 Zwei alte geistreiche Büchlein Doctors Johann von Staupitz De amore Dei, Magdeburg 1605 [SUB Göttingen]. 114 KOEPP, 75. 115 I, 37,13 (= MPL 183, 175 D); II, 8,10; III, Vorr. 6; und s. auch Anm. 116. – SPINK (wie Anm. 9), 43f. behauptet Einflüsse Bernhards in I, 37 und II, 24–38. 116 »Christum sequendo citius apprehendas quam legendo.« Das davorgesetzte »Bernhardus« ist in Webers Wiedergabe des Titelblattes der Urausgabe (WEBER, 13) weggefallen. Das Zitat (= MPL 182, 241 C) findet sich wieder auf dem Titelblatt des II. Buches (Ausgabe Magdeburg 1610) und in einem Brief an Herzog August; vgl. BRELER, Bericht (wie Anm. 85), 51; wieder abgedr. in: Geistreiche Schrifften (wie Anm. 102), III, 1036. 117 Vgl. die Bibliographie bei HOGU (wie Anm. 59), 153–163. Mehrere Traktate lagen in lateinischer, einige auch schon in deutscher Übersetzung vor. 118 Vgl. auch WALLMANN (wie Anm. 10), 44.
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Die Bemerkungen Gottfried Arnolds in der Vorrede zu seiner HomilienÜbersetzung haben wir schon mehrfach erwähnt. Direkt oder indirekt von Arnold abhängig scheinen gleichlautende Äußerungen von Pierre Poiret119, Anton Wilhelm Boehme120 und Johann Jakob Rambach121. Doch lange vor Arnold – und von diesem offenbar unbemerkt – ist Makarios als literarische Quelle Arndts bereits einmal namhaft gemacht worden. Der Hinweis findet sich in der ›Schola Arndiana‹ einer Sammlung von Zeugnissen über Arndts Werk, die der Ditmarschener Pfarrer Moritz Rachelius 119 In POIRETS ›Lettre sur les principes et le caractères des principaux auteurs mystiques & spirituels‹ findet sich eine Passage über die Theologia Deutsch, in der es heißt: »Un de ses Editeurs Allemands, le célèbre Jean Arndt, [...] en avoit imbibé l’esprit, aussi bien que de S. Macaire, qu il savoit par cæur & de Taulere, comme i. paroit par tous ses ouvrages de piété & signamment par son insigne livre du Vrai Christianisme [...]«, La Théologie réelle Vulgairement ditte La Théologie Germanique, Amsterdam 1700 [SUB Göttingen, UB Tübingen], 83f. Wie der Abschnitt über Makarios (74–76) zeigt, kannte Poiret Arnolds Homilien-Übersetzung (76). Aus dessen Vorwort dürfte er die Bemerkung über Arndts Makarios-Kenntnis geschöpft haben. In Poirets ›De eruditione‹ (wie Anm. 54) und in seiner früheren französischen Ausgabe der Theologia Deutsch (La Théologie Germanique, Amsterdam 1676 [SB München]) findet sich noch keine Erwähnung von Arndt. Gottfried Arnold hat Poirets ›Lettre‹ dann in seine ›Historia et descriptio Theologiae Mysticae‹ (wie Anm. 100) übernommen (deutsch: Historie und Beschreibung der Mystischen Theologie, Frankfurt 1703, Nachdruck: Stuttgart / Bad Cannstatt 1969), Poiret selbst hat die ›Lettre‹ wieder abgedruckt in seiner ›Bibliotheca mysticorum selecta‹, Amsterdam 1708 [SUB Göttingen]. 120 Im Vorwort seiner lat. Arndt-Ausgabe schreibt BOEHME zur »Phraseologia« Arndts: »Videlicet legerat studiose autor noster diversa veterum Theologorum & Patrum scripta, quæ veram pietatis vim ac idolem præ aliis videbantur exprimere. Ex his imprimis memorandæ sunt Macarii Homiliæ, quæ ut supra citatus scriptor loquitur [scil. Poiret], memoria tenebat; Bernhardi [!], Thomæ Kempisii, Joannis Tauleri opera, Theologia Germanica, cum nonnullis aliis, quorum spiritum sedula lectione & usu penitius imbiberat noster Arndtius«, Joannis Arndtii [...] De Vero Christianismo libri quatuor, London 1728, praefatio xvii f. [SUB Göttingen]. 121 RAMBACH hat in seiner Historischen Vorrede (Geistreiche Schrifften III; wie Anm. 102) in einem nahezu wörtlich aus DIECKMANNS Vorrede (wie Anm. 97) übernommenen Abschnitt über Arndts Quellen einen Hinweis auf Makarios eingefügt:
DIECKMANN (1706), 12: »Jedoch wie man ein erbauetes Hauß auch auf allerhand Weise auszuzieren pfleget: Also ist dieser Schmuck gleichfalls von ihm theils aus alten theils der Kirchen-Lehrern, theils aus andern alten und neuen, heidnischen und Christlichen Scribenten [...] insbesonderheit aber aus Scribenten [...] insbesonderheit aber aus einigen Mystischen [...] Büchern, zusammen gesuchet und eingerücket worden.«
RAMBACH, III, 6: »Wie man aber ein erbautes Haus, auch auf allerley Weise auszuzieren pfleget, also hat er auch diesen Bau mit mancherley Zeugnissen, Kirchen-Väter, unter welchen er sonderlich Macarium fleißig scheinet gelesen zu haben, theils alter und neuer Heydnischer und Christlicher Scribenten, theils einiger mystischer Auctorum [...] ausgeschmücket.«
Rambach dürfte die Bemerkung über Makarios aus Gottfried Arnolds HomilienÜbersetzung geschöpft haben, die er selbst besaß; vgl. Catalogus Bibliothecae, quam [...] Jo. Jacobus Rambachius [...] collegit [...], I, Halle 1736, 93, Nr. 692 [Stadtbibl. Soest].
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1627 veröffentlichte122. Dort heißt es in einem Testimonium des Flensburger Propstes Friedrich Dame123: »Diß (nemblich daß niemande die Sünde vergeben vnd die Gerechtigkeit werde zugerechnet / ohne deme der wahre Busse thut / vnd von aller Vngerechtigkeit abtritt / im Liechte wandelt / vnd keine Gemeinschafft mit den vnfruchtbaren wercken der Finsternuß hat) hat nun der S. Arndt in seinen Büchern ernstlich getrieben / vn zum wahren Christenthumb vermahnet / vnd seine Vermahnung fast auß dem Macario, Bernhardo [!], Taulero, Kempisio genommen [...]«124.
IV Wenden wir uns nun Arndts Büchern von Wahrem Christentum zu. Ich beginne mit einer negativen Feststellung: Makarios wird in diesem Werk wie auch, soweit ich sehe, in Arndts anderen gedruckten Schriften nie namentlich erwähnt 125. Auch bei den anonymen Zitaten, die als Aussprüche eines heiligen Mannes126, eines gelehrten Mannes127, eines alten Lehrers128 oder eines AltVaters 129 angeführt werden, handelt es sich nicht um Homilienzitate. Diesem negativen Befund steht aber ein bestimmender Eindruck gegenüber, der sich bei der vergleichenden Lektüre der Makarios-Homilien und den Büchern von Wahrem Christentum aufdrängt; es findet sich eine Fülle gleicher oder ähnlicher Themen und Motive, die auf eine theologische ›Geistesverwandtschaft‹ 130 bzw. vergleichbare Strukturen der Frömmigkeit hinweisen131: Wenn Makarios von inwendigen, wahren Christentum spricht, das er der bloßen Äußerlichkeit gegenüberstellt132, wenn er wahre Christen von den fal-
Schola Arndiana [...], Rostock 1627 [SUB Göttingen]. Vgl. Dieter LOHMEIER, in: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, 4, Neumünster 1976, 52–54. 124 Schola Arndiana, 20. 125 In Predigten Arndts wird zweimal ein Bischof Makarios aus der Zeit des Julian Apostata erwähnt; vgl. Geistreiche Schriften (wie Anm. 102), I, 195 und II, 193. 126 WChr III, 9,6 – Taulerzitat, s. o. Anm. 110; I, 31,5 = Theologia Deutsch X; vgl. dazu WEBER, 64f. 127 II, 58,6 – Paracelsus; vgl. WEBER, 114f. 128 II, 26,10. 129 II, 43,6. 130 Mit diesem Begriff charakterisiert DÖRRIES (z.B. 188) das Verhältnis von Gottfried Arnold zu Makarios. 131 Im folgenden gebe ich keine vollständige Liste der Themen und Belege, sondern führe nur eine Auswahl an. 132 H 5, 9; 17, 15. WChr passim, vgl. etwa I, 6,9 und II, 4,4. 122 123
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schen, den Christen nur dem Namen nach, unterscheidet133, wenn er die Bedeutung von Wiedergeburt 134, die Notwendigkeit des Geistempfangs und dessen Wirken im neuen Menschen betont 135, wenn er von der Wiederherstellung der verlorenen Gottesebenbildlichkeit handelt136, wenn er von dem Christus in uns redet137, wenn er toten Buchstaben und lebendige, geistgewirkte Schrifterkenntnis gegenüberstellt 138, wenn er das christliche Leben als beständigen Kampf gegen das Böse139, die Nachfolge Jesu als Selbst- und Weltverleugnung charakterisiert140, wenn er auf die Früchte des Glaubens als Kennzeichen der Heiligung großen Nachdruck legt 141, wenn er dem Gebet eine hervorgehobene Rolle im christlichen Leben zuweist142 – dann sind wir damit bei wesentlichen Themen und zentralen Anliegen, die Johann Arndt in seinen Vier Büchern von Wahrem Christentum vorträgt. Unsere Aufgabe ist es nun nicht, die einzelnen Theologumena oder den Gesamtcharakter der Frömmigkeitsformen bei Makarios und Arndt miteinander zu vergleichen, sondern die These von Benz und Dörries (bzw. von Gottfried Arnold) zu überprüfen. D. h. es geht um die Frage, ob die Homilien in Arndts Hauptwerk einen literarisch erkennbaren Niederschlag gefunden haben. Angesichts der dargestellten Quellenproblematik muß die methodische Konsequenz lauten: nur dort, wo sich über eine allgemeine »Geistesverwandtschaft« in der Grundstimmung und über theologische Konvergenzen in Einzelfragen hinaus spezifisch »makarianische« Gedanken und Vorstellungen an-
H 5, 4; 15, 37; 17, 8; 38, 1. WChr I, 9f; I, 11,10; I, 15,6; I, 22,1. 134 H 4, 9; 12, 17; 18, 7; 26, 2, 5; 30, 3; 48, 6; 49, 2f. WChr I, 3; I, 5,4; I, 31,10; I, 41,32. 135 Vgl. DÖRRIES, Die Theologie des Makarios/Symeon, Göttingen 1978, 198ff. WChr II, 4; III, 16f. 136 H 12 WChr I, 1–3; I, 7,1; I, 11,4; I, 13,14f.; I, 15,10 u.s.w. 137 H 15, 2; 16, 13; 28, 2; 33, 3 WChr I, 6,3; II, 7,4; III, Vorr., 3; III, 1,7f.; III, 4,1. 138 H 17, 9, 12; 18, 5 WChr I, 6,2. 139 H 3, 3, 6; 4, 14; 6, 3; 9, 11; 11, 14; 15, 4, 23, 31; 21, 1 u.s.w. WChr 1, 6,2; I, 11,11; I, 12,14; I,16 u.s.w. 140 H 4, 5; 5, 6; 21, 5; 24, 1f.5.12; 25, 6; 26, 12; 29, 2.5 WChr I, 4,3f.9; I, 15; I, 31,10; II, 10,2f.; III, 21,5. 141 H 18, 3.11; 19, 3.6; 26, 19–31; 28, 3; 29, 6; 37, 5 WChr I, 30; II, 4f. 142 Vgl. DÖRRIES, Theologie 125ff. WChr II, 35–38. 133
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treffen oder wo sich klare literarische Abhängigkeiten nachweisen lassen, kann sicher von einer Einwirkung der Homilien gesprochen werden. Vergleicht man unter diesen Kriterien die verwandt erscheinenden Stücke und Einzelaussagen, so wird man meist enttäuscht. Je genauer man hinsieht, desto deutlicher treten Kontraste und Unterschiede zutage143. Die Gemeinsamkeiten reduzieren sich häufig wenn nicht auf christliches Allgemeingut, so auf Aussagen, die mindestens einem breiteren Traditionsstrom angehören und nicht als spezifisch »makarianisch« reklamiert werden können. Vor allem in den anderen von Arndt benutzten mystischen Quellen finden sich oftmals gleichartige Aussagen144, die z.T. auch den Ausführungen Arndts sachlich näherstehen. Daher muß man sich hüten, aus Anklängen und Berührungspunkten und auch aus Arndt und Makarios verbindenden Aussagen schon gleich auf Abhängigkeit zu schließen. Dies gilt besonders für theologisch zentrale Themen. Als beliebiges Beispiel nenne ich die Rede von »Christus in uns«, bei Makarios und Arndt ein gemeinsames wichtiges Theologumenon145. Doch auch in anderen Quellen Arndts
143 Differenzen zeigen sich auch in der Verwendung von Bibelzitaten: Deutet H 1, 3 die vier Tiere in Ez 1 auf die vier Hauptvermögen der Seele, so WChr IV/1, 6,5 auf die Amtswerke Christi; ist in H 11, 8 die eherne Schlange Anleitung, vom Niederen (Sorgen, Lüste) weg in die Höhe zu schauen, so ist in WChr I, 8,16 die kupferrote Schlange Typos des gekreuzigten Christus und seiner blutigen Wunden; ist H 30, 7 das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ein Bild für den unter die Herrschaft des Satans gefallenen Menschen, so hebt WChr I, 34,5f. darauf ab, daß der Mensch mit sich handeln lassen solle, wie sich der Verwundete vom Samariter behandeln ließ; andere Vergleichspunkte weist die Mose-Christus-Typologien in H 47 und in WChr II, 38,2 auf. Arndt handelt II, 44 »von der Geduld, dadurch alles Kreuz überwunden, und die verheißene Herrlichkeit erwartet wird«. Er verweist auf »die Beispiele der Heiligen, Abels, Noahs, Lots, Abrahams, Isaacs, Jacobs, Josephs, Davids, sonderlich den Mann Gottes Moses«. Eine vergleichbare Exempelsammlung findet sich bei Makarios in der 9. Homilie. Hier werden nacheinander behandelt: Joseph, David, Moses, Abraham, Noah. Während hier bei jeder Gestalt die Art der Probe und Geduld kurz charakterisiert wird, beschränkt sich Arndt auf eine bloße Auflistung der Namen. Einzig das Beispiel Mose wird näher ausgeführt; es findet sich jedoch keinerlei Übereinstimmung mit den Aussagen bei Makarios. Arndt führt die Reihe dann mit knappen Erläuterungen weiter: Elia, Micha (ben Jimla), Jesaja, Jeremia, Johannes der Täufer, Paulus – und gipfelt in dem Vorbild der Geduld, das Jesus gegeben hat. Für diesen zweiten Teil der Reihe fehlt jede Entsprechung bei Makarios. 144 Darauf hat schon Wilhelm Bruno LINDNER, Symbolae ad historiam theologiae mysticae. De Macario, Diss. theol. Leipzig 1846, hingewiesen, der neben Texten von Clemens Alexandrinus und Origenes auch die Predigten Taulers zum Vergleich anführt, »quod mystica Germanorum medii aevi doctrina in plerisque congruit cum eorum qui ante Dionysium mysticis sunt annumerandi« (8). 145 S. o. Anm. 137. Arndt zitiert in diesem Zusammenhang mehrfach Lk 17,20f. (I, 6,3; III, Vorr., 3; III, 1,7; III, 4,1), eine Stelle, die bei Makarios nie, in anderen Quellen Arndts aber häufig begegnet (s. u. Anm. 146–148).
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begegnet diese Vorstellung146, besonders in Predigten Taulers147. Vergleicht man die Stellen im einzelnen, so ist eine Entlehnung aus Makarios nirgends nachweisbar, hingegen finden sich einschlägige Tauler-Passagen bei Arndt wieder148. Zu ähnlichen Resultaten kommt man bei der Überprüfung speziellerer Motive. Ich greife drei Beispiele heraus: Gern spricht Arndt von Christus als Spiegel (des Lebens, des Gebets, der Demut, der Tugend) 149. Wenn er etwa schreibt: »So soll nun CHristus unser HErr und Spiegel seyn, und die Richtschnur unsers ganzen Lebens150,« so könnte man an jene Makarios-Stelle denken, wo davon die Rede ist, »wie in einem Spiegel das Bild Christi zu schauen e)n t%= h(gemonik%= e(autou=151. Eine weitere Stelle bei Arndt läßt jedoch erkennen, daß die Motivgeschichte komplizierter ist: »Siehe [...] warum hat er [sc. Christus] also gelebt? Darum, daß er ein Spiegel und Regel wäre deines Lebens. Er ist die rechte regula vitae (oder Lebens-Regel)«152. Der voraufgehende Satz enthält einen Hinweis auf Mt 11,29, und im folgenden wird »das Exempel Christi« »die Regel unsers Lebens« genannt153. Die Bezeichnung von Mt 11,29 als Lebens-Regel hat ihre Entsprechung bei Tauler154. Aufschlußreicher ist aber die Beobachtung, daß bei Angela de Foligno Christus bzw. sein Leben als »forma et exemplum« für die Christen bezeichnet werden155. Auf Angela gehen auch die Passagen im Wahren Christentum zurück, in denen die Ausdrücke »Spiegel des Gebets«, »Spiegel der Demut«, »Spiegel der Tugend« vorkommen, und hier läßt sich beobachten, daß Arndt »forma« jeweils mit »Spiegel« wiedergibt 156.
Z. B. steht Lk 17,20 programmatisch am Beginn des II. Buches der Nachfolge Christi. VETTER (wie Anm. 110), 144,3f.; 236,13; 301,4; 420,39; vgl. 248,23f.; 317,16 u.a. 148 Z. B. WChr III, 4,1 = VETTER 144,1ff. 149 WChr I, 3,10; I, 18,2; II, 19,7; II, 20,12, 14; II, 21,1, 3; II, 13,1. 150 WChr I, 18,2. 151 H 25, 3. Zu to\ h(gemoniko/n vgl. Hermann DÖRRIES, in: DÖRRIES / KLOSTERMANN / KROEGER (wie Anm. 5), 68, zu H 6, 5, Z. 72. 152 WChr I, 3,10. 153 Ebd. 154 VETTER (wie Anm. 110), 347,31–33. 155 »Sua [sc. Christi] [...] vita est exemplum et forma cuilibet volenti salvari«. »Igitur factus est nobis forma et exemplum et doctor et magister gloriosus Dei filius«. Beide Zitate: Beatae Angelae de Fulginio Visionum et instructionum liber, ed. LAMMERTZ (wie Anm. 111), 228. 156 Z. B.: »orationis exemplum habemus et doctrinam et formam« (ed. L AMMERTZ, 291); Angela als Quelle für II, 13; 19; 20; 21 ist seit Arnold bzw. Dieckmann bekannt (s. o.). 146 147
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Ein zweites Beispiel: In Arndts medizinischen Interessen157 dürfte seine Vorliebe für das Bild von Christus als dem Arzt, der den Menschen Arznei darreicht, begründet sein, das etwa 20mal in den Büchern von Wahrem Christentum begegnet158. Auch hier könnte man einen Rückgriff auf die MakariosHomilien vermuten, in denen dieses Motiv gleichfalls öfter begegnet159. Wiederum zeigt jedoch ein Vergleich der Stellen keinen Einfluß der makarianischen Homilien auf Arndt 160, sondern läßt Unterschiede beim Gebrauch des Bildes deutlich hervortreten161. Auch bei diesem Motiv, das ebenso in anderen Quellen Arndts belegt ist162, läßt sich dagegen an einer bislang unbemerkten Stelle Angela de Foligno als Vorlage erkennen163. Ein drittes Beispiel mag noch einmal die Komplexität der Motivgeschichte veranschaulichen. Arndt spricht an rund einem Dutzend Stellen vom rechten, innerlichen, geistlichen oder stillen Sabbat des Herzens 164. Makarios handelt in H 35 vom alten Sabbat des mosaischen Gesetzes als »Vorbild und Schatten des wahren Sabbats, der der Seele vom Herrn gegeben wird«165. Typologisch gegenübergestellt werden die nur leibliche Ruhe des mosaischen Sabbats und der wahre, heilige Sabbat mit reinem Herzen, den die Seele feiert, die von den schändli-
157 Vgl. zuletzt WEBER, 29f.: vgl. Martin SCHMIDT (wie Anm. 9), 125,42–44 zu Buch I: »Das Ganze ist – Arndts Neigung und Ausbildung gemäß – eine tiefangelegte, wurzelhafte Synthese von Theologie und Medizin.« 158 WChr I, 8,3–5.11.15; I, 11,9; I, 27,9; I, 34, Überschr.; I, 34, 5,9.13f.; I, 42,2; II, 1, Überschrift; II, 1,1f.6; II, 7,7; II, 9,9.17; II, 15,2; II, 45,1; III, 19,6. 159 H 15, 30, 47; 20, 4–8; 26, 23–26; 30, 8f.; 44, 3; 45, 4; 46, 2; 48, 3–6. 160 Grundsätzlich ist bei der Rede von Christus als Arzt an die biblischen Vorbilder wie Ex 15, 26; Mt 9,12 parr. u.s.w. zu erinnern. 161 Vgl. etwa H 15, 30, 47 (König findet Bettler) mit WChr I, 34,5 (barmherziger Samariter). Der auffälligste Unterschied ist, daß Arndt fast immer von Arznei im Singular und meist in Beziehung auf das Erlösungswerk (Blut, Verdienst) Christi spricht. Diesem Sprachgebrauch kommt nur H 20, 6 nahe: Christus, der wahre Arzt heilt umsonst, gibt sich als Lösegeld (Stichwort »Arznei« fehlt hier). 162 Nachfolge Christi IV, 3,3: Sakrament als »divina medicina«; vgl. WChr I, 8,5; Tauler spricht nur einmal von »arzenie« (VETTER [wie Anm. 110], 272,1), zitiert mehrfach Mt 9,12 parr. (»die Kranken bedürfen des Arztes«; vgl. VETTER, 99,7; 232,19; 271,29f.), spricht aber nicht von Christus als Arzt. 163 »Comprehendat autem anima mea, quod medicina erat sanguis Christi: et ipse dat sine pretto hanc medicinam, et non constat plus infirmo peccatori, nisi quod disponat se, et Christus dat sibi salutem et sanat infirmitatem«, ed. LAMMERTZ, 135. Diese Stelle klingt an in WChr I, 8, 3–5; der Gedanke einer dispositio wird von Arndt uminterpretiert. Vgl. bei Angela auch die Bezeichnungen Christi als »medicus aeternae salutis«, »misericors medicus«, »coelestis medicus«, »summus medicus«, ed. LAMMERTZ, 136, 272f. 164 WChr I, 23,3; I, 39,6; II, 4,4; II, 34, Überschrift; II, 34, cp. XI, 7; III, 1,3; III, 2, 2, 3, 4, 5; III, 10,8. 165 H 35, 1.
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chen, schmutzigen, bösen und eitlen Gedanken befreit ist166. Diese Stelle nimmt Arndt offenbar im 4. Kapitel des II. Buches auf. Dort legt er anhand des Dekalogs eine Art Beichtspiegel vor zur Prüfung, »ob du auch inwendig also bist, wie auswendig«167. Zum 3. Gebot heißt es: »Du heiligest den Feyertag äußerlich. Ist recht. Siehe des Herzens Grund an, wie es da stehet. Hast du auch den rechten Sabbath im Herzen? Ruhest und feyrest du auch da von deinen bösen Gedanken und Willen und ergiebst Gott dein Herz, daß er in dir wirke?« Zur Radikalisierung des Gebots, zur Charakterisierung des rechten Sabbats scheint hier die makarianische Vorstellung des Ruhens von den bösen Gedanken aufgegriffen und in den anderen theologischen Kontext eingebaut worden zu sein. Freilich: alle anderen – inhaltlich gewichtigeren – Stellen, an denen Arndt vom innerlichen Sabbat des Herzens spricht, haben bei Makarios keine Entsprechung. Zwei stammen aus Weigels Gebetbüchlein168; eine Stelle markiert Arndt selbst als Tauler-Zitat169, und bis auf eine Ausnahme finden sich alle übrigen im III. (also dem weitgehend aus Tauler geschöpften) Buch170. Überall stehen sie im Kontext mystischer Terminologie171. Der Begriff »Sabbat« (Sabbat des Herzens, geistlicher, inwendiger, stiller Sabbat) läßt sich jedoch bei Tauler nicht nachweisen172. Vielmehr scheint es sich um eine begriffliche Fortentwicklung mystischer Vorstellungen von der »Ruhe«173 zu handeln, die erst bei Spiritualisten des 16. Jahrhunderts wie Karlstadt174, Franck175, SchwenckH 35, 1, 3. WChr II, 4,4. 168 WChr II, 34 Überschrift und II, 34, cp. XI, 7. Vgl. Valentin WEIGEL. Ein schön Gebetbüchlein welches die Einfeltigen vnterrichtet, »Neustadt« 1617, Aa [1] und Gv [4] [HAB Wolfenbüttel]. 169 WChr I 36,6 – bei Tauler nicht nachweisbar. 170 Zu vergleichen ist auch eine briefliche Äußerung an Johann Gerhard vom 19.2.1607: »Interim tamen de interno cordis sabbatho, ubi Spiritus Sanctus docet, illuminat, vivificat, admonere soleo, & de thesauro illo in agro cordis recondito, quaerendo, investigando doceo, praesertim libello meo tertio [...]« (RAIDELIUS [wie Anm. 91], 80), und an denselben vom 29.1.1608: » [...] opera interioris hominis quae sunt spontanei Spiritus et Sabbati interni [...]« (BRELER, Bericht [wie Anm. 116], 7; wieder abgedr. in: Geistreiche Schrifften [wie Anm. 102], III, 1027a). 171 Vgl. z.B. Einsamkeit des Herzens (I, 39,6), einkehren in sich selbst (III, 1,3), in Gott ruhen (III, 2,3), in seinen Ursprung einkehren (III, 2,5), von innen, aus dem Grunde der Seele erleuchtet werden (III, 10,8). 172 Man findet ihn weder in der Ausgabe VETTERs (wie Anm. 110) noch – soweit ich sehe – in den unechten Tauler-Predigten des Basler Drucks von 1522 und der von Arndt herausgegebenen Ausgabe Hamburg 1621 [beide: SUB Göttingen]. Auch bei Meister Eckart ist das Wort ›Sabbat‹ nicht nachweisbar; vgl. die Wörterverzeichnisse der Ausgabe QUINTs. 173 Sehr häufig bei Tauler; vgl. die Ausgabe VETTERs, Register. Vgl. die Rede vom (Feier-) Abend bei Meister Eckart, Deutsche Predigten, ed. J. QUINT, Stuttgart 1972, 186, Anm. 2. 174 Auch in KARLSTADTs Schrift »Von dem Sabbat vnd gebotten feyertagen« findet sich die Unterscheidung zwischen einem »eusser« oder »eußerlichen sabbat« und dem »innerlichen«, »in166 167
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feld176 und Weigel177 zu belegen ist und zu einem geprägten Sprachgebrauch führte178. Wenn Franck den Sabbat dadurch charakterisiert, daß »wir fasten / vnd feiren von all vnserem willen / wercken / wissen / reden / gedancken / vnd Gott sein werck lassen in vns haben«179, so steht eine solche Aussage der erstgenannten Arndt-Stelle sogar noch näher als die vermutete Makarios-Vorlage. Gerade an diesem Beispiel erhellt, wie bei dem gegenwärtigen Forschungsstand vielfach noch keine abschließenden Urteile möglich sind und wieviel Arbeit bei der Quellenkritik und zur Erhellung der Motiv- und Traditionsgeschichte von Arndts Wahrem Christentum noch zu leisten ist. Aber nicht alle Sondierungen verlaufen so negativ wie in den bisher vorgeführten Beispielen. Es lassen sich in Arndts Büchern von Wahrem Christentum auch einige Stellen finden, wo sich eine Entlehnung aus den makarianischen Homilien mit einiger Wahrscheinlichkeit aufzeigen läßt. H 17, 12
WChr I, 36,5
Die nun geistliche Worte reden ohne [eigene] Erfahrung (a)n/ eu th=j geu/sewj) gleichen [...] einem, der über die Süßigkeit des Honigs redet, ohne ihn gekostet zu haben und die Kraft der Süßigkeit nicht kennt.
Denn gleichwie niemand die Süßigkeit des Honigs empfindet, denn der es kostet: also kennt niemand den neuen Namen des Zeugnisses Gottes im Herzen, denn der es empfindet.
wendigen« oder »geystlichen vnd vnsichtparlichen« (bes. 39ff.). »Welcher Gottis Sabbat vnstreflich feyren will / der muß [...] seinen willen lassen faren / vnd Gottis annemen / [...] das heyst recht feyren vnnd Sabbatitiren [...] Welcher Got einen wolgefeligen vnd lustparlichen sabbats tag feyren will / der gelasse seinen lust / willen / begirden / wege / vnnd seyne eygne sele / vnd gedancken / vnd alles / das yhn belustet [...]«, Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–25, I, hg. v. Erich HERTZSCH (Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. u. 17. Jahrhundert 325), Halle 1956, 21–47, hier 27f. (meine Hervorhebungen). 175 Sebastian FRANCK, Paradoxa, ed. Heinrich ZIEGLER, Jena 1909, Par. 210, vgl. auch die Vorrede und Par. 36. 176 Caspar SCHWENCKFELDT, Vom christlichen Sabbath, CSch IV, 444–518. 177 S. o. Anm. 168. Aufschlußreich ist die Beobachtung, daß sich WEIGEL (G [3v]) auf die Theologia Deutsch bezieht, wo sich aber der Begriff nicht findet; er ist also Interpretament Weigels. 178 Eine Bemerkung des Arndt-Freundes Christoph Besold verdient in diesem Zusammenhang besonderes Interesse: »Die wahre Weisheit kann nicht gelehrt werden, sondern ist eine unverfälschte Gabe Gottes, die den Würdigen verliehen wird und nicht durch unsere Mühe erlangt wird, sondern durch Ruhe und, wie die Theosophen [!] sagen, durch einen geistigen Sabbat«, Brief von 1618, zitiert bei Richard VAN DÜLMEN, Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Johann Valentin Andreae (1586–1654), Stuttgart / Bad Cannstatt 1978, 62. 179 FRANCK (wie Anm. 175), Parad. 210. Vgl. außer KARLSTADT (wie Anm. 174) auch SCHWENCKFELDT: »ein geistliche Ewige rue oder Sabbath [...] darijnn die alte Creatur / mit allem irem eignen thun / das gott vngemeß es sey mit gedancken / willen / worten oder wercken / stillstehe / vnnd gott in ir ruen / wonen vnnd wurcken losse. [...] Das ist denn der recht Sabbath des herren [...] mit mussig geen der sunden / vnnd werck des fleisches / also soll man teglich feiren / vnnd immer mehr inn die rue gottes eingehn [...]« (CSch IV, 494).
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Makarios spricht an dieser Stelle von Lehrern, die keine Geisterfahrung besitzen180. Arndt handelt zwar nicht speziell von Predigern, aber doch auch von der geistgewirkten inneren Erfahrung des göttlichen Wortes im Gegensatz zum nur äußerlichen Buchstaben. Er greift aus H 17, 12 nur den Vergleich der geistlichen Erfahrung mit dem Schmecken der Honigsüße auf. Obwohl »Honig«, »süß«, »Süßigkeit« in der ganzen mittelalterlichen Mystik geläufige Ausdrücke für geistliche Erfahrung sind 181 und obwohl bei schmalen Textsegmenten eindeutige Urteile kaum zu erreichen sind, scheint die sprachliche Berührung beider Stellen doch eng genug, um Makarios hier als Vorlage Arndts annehmen zu dürfen. Noch schwieriger ist es, über eine Abhängigkeit zu entscheiden, wenn es sich nur um einzelne Begriffe handelt, die Arndt übernommen haben könnte. Hier kommen nur solche Ausdrücke in Frage, die bei Makarios oft belegt oder ihm eigentümlich sind, in anderen Arndt-Quellen hingegen gar nicht oder nur vereinzelt auftreten. Ein solcher Fall liegt bei der Bezeichnung der Christen als »Gesalbten« vor, die in den andern Quellen fehlt. Makarios spricht »den kühnen Gedanken«182 aus, die mit dem himmlischen Öl gesalbten Pneumatiker würden zu Gesalbten aus Gnade (xristoi\ kata\ xa/rin)183. Ja, Makarios folgert sogar: »Darum wurde er xristo/j genannt, damit auch wir mit demselben Öl gesalbt, mit dem er gesalbt wurde, xristoi/ werden, sozusagen eines Wesens (th=j mi/aj ou)si/aj) und eines Leibes (mit ihm).«184 Dieser »kühnen dogmatischen Spekulation«185 ist Arndt nicht gefolgt. Nur einmal gebraucht er den Ausdruck »Gesalbter des Herrn« als appositionelle Erläuterung eines wahren Christen186, die er aber streng biblisch verstanden
Zur Sache vgl. DÖRRIES, Theologie (wie Anm. 18), 356–361. Vgl. z.B. TAULER: »Der herre, der ist in der worheit hie, Kinder, dise süssikeit die gat über alles honig und honigseim, das uswendig das süsseste heist« (VETTER, 228,12–14, vgl. 26,28f.), oder man denke an die Bezeichnung Bernhards als ›doctor mellifluus‹. 182 DÖRRIES (wie Anm. 8), 186. 183 H 17, 1. Vgl. dazu Brief an Johann Gerhard vom 3.8.1607: »quid est unctio illa spiritus sancti, de qua I Joh. II. 20? Estne ille unctus Dei, i.e. Christianus, qui primitias Spiritus sancti non sentit?« (RAIDELIUS [wie Anm. 91], 99). Auch Gottfried Arnold hatte xristoi/ in H 17, 1 u. 43, 1 mit »Christen« wiedergegeben, vgl. dazu DÖRRIES, Theologie, 186. 184 H 43, 1. 185 Joseph STIGLMAYR, Sachliches und Sprachliches bei Makarius von Ägypten, Innsbruck 1912, 74. 186 WChr II, 35. Überschrift: »Eines wahren Christen, das ist, Gesalbten des Herrn, Eigenschaft und Kennzeichen ist das Gebet.« An der erstgenannten Stelle verwendet Makarios die Bezeichnung »vollkommene Christen« (H 17, 1). 180 181
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wissen will: »Wer ein Christ ist, der ist mit dem heiligen Geist gesalbet und getauft.« (Hinweis auf 1 Joh 2, 20) 187 Wenden wir uns nun den Fällen zu, in denen nicht nur einzelne Ausdrücke und Textsegmente vergleichbar sind, sondern jeweils ein ganzer Passus die Homilien als Arndt-Vorlage erkennen läßt. WChr II, 6, 1.2.4
H 32, 6.8 s. u. So hat es Gott gefallen, vom heiligen Himmel herabzusteigen, deine vernunftbegabte Natur, das irdische Fleisch aufzunehmen und mit seinem göttlichen Geist zu vermischen [...] Wenn sich dann deine Seele mit dem Geiste vereinigt, und eine himmlische Seele in deine Seele eingeht, dann bist du ein vollkommener Mensch in Gott, Erbe und Sohn. Und glaubst du alles getan zu haben, weil du dich selbst verleugnet hast, spricht der Herr zu dir: Was rühmst du dich? Habe nicht ich deinen Leib und deine Seele erschaffen? [...] Was hast du getan?
Denn des Menschen Vollkommenheit steht in der Vereinigung mit Gott. Darum mußte Gottes Sohn Mensch werden, auf daß die menschliche Natur wieder mit Gott vereinigt, und also wieder zu ihrer Vollkommenheit gebracht würde. s. o. [...]
Siehe nun, lieber Mensch, was du bist und was du vermagst. Was hast du zu deiner Wiederbringung und zur Erneuerung deiner verderbten Natur tun können? Lauter nichts. Gleichwie du zu deiner leiblichen Geburt nichts hast tun können, und dich nicht selbst schaffen [...]
Hier hat der theologische Zusammenhang von Inkarnation – Vereinigung mit Gott – Vollkommenheit sowie die anschließende Zurückweisung des Verdienstgedankens sein deutliches literarisches Vorbild bei Makarios. Freilich wird der makarianische Gedankengang von Arndt nur stark vereinfachend aufgenommen und auf das Relationsgefüge reduziert: die Inkarnation des Sohnes Gottes (also der zweiten Person der Trinität, wie Arndt gegenüber Makarios präzisiert) als Voraussetzung für die (Wieder)-Vereinigung der menschlichen Natur mit Gott und damit der (Wiederherstellung der) Vollkommenheit. Anstelle der mißverständlichen Formulierung von der mi=cij des irdischen Fleisches mit dem göttlichen Geist spricht Arndt dogmatisch korrekt von der unio personalis der Naturen188; die Vorstellung vom Eingehen einer WChr II, 35,2. WChr II, 6,2: »Denn gleichwie die göttliche und menschliche Natur in Christo persönlich vereinigt ist [...] Und wie nun die Vereinigung göttlicher und menschlicher Natur in Christo ewig ist [...]«. 187 188
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himmlischen in die irdische Seele189, die der orthodoxen Anthropologie problematisch erschien, hat er ersetzt, indem er die Heilszueignung als Vereinigung mit Christus »durch den Glauben aus Gnade« beschreibt190. Dieses Stück läßt bereits Probleme deutlich werden, die sich für Arndt bei der Aufnahme von Homilientexten stellen mußten. Die Terminologie und theologischen Vorstellungen des Makarios waren fremdartiger und ›sperriger‹ als etwa die zeitlich näherliegenden, der abendländischen Tradition zugehörigen Texte der mittelalterlichen Mystik. Mochte Arndt auch der Intention von Aussagen der Homilien zustimmen, so ließen sie sich doch im Einzelfall nicht einfach wörtlich zitieren, sondern mußten in eine andere Terminologie überführt und theologisch adaptiert werden191. Ein Beispiel für eine kritische Aufnahme und Umformung bietet auch der folgende Stellenvergleich. H 19, 1–2
WChr II, 4, 1
Wer sich dem Herrn nahen, des ewigen Lebens gewürdigt, eine Wohnung Christi und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden will damit er die Früchte des Geistes Christi und des Heiligen Geistes bringen und die Gebote Christi rein und untadelig erfüllen kann, muß damit beginnen, zuerst fest an den Herrn zu glauben [...] Ferner muß er sich zu allem Guten und zu allen Geboten des Herrn [...] zwingen. So soll er sich z.B. zwingen, um sich vor jedermann zu demütigen [...] Ebenso soll er sich, soviel in seiner Kraft steht, gewöhnen, barmherzig, liebevoll, mitleidig und gütig zu sein [...] In allem soll er die Demut und die Lebensweise, die Sanftmut und den Wandel des Herrn als Vorbild in [...] Erinnerung haben, [...] bitten, es möge der Herr kommen und Wohnung in ihm nehmen, [...] ja der Herr möge selbst die Wohnstätte der Seele werden. Und so wird er das,
Ein wahrer Christ wird nicht allein durch den Glauben an Christum gerecht, sondern wird auch durch den Glauben eine Wohnung und Tempel Christi und des Heiligen Geistes. [...]
Darum mußt du nun deinen Herrn Christum in dir leben und herrschen lassen, nämlich seine Liebe, Demut und Sanftmut. Dazu gibt dir dein Herr und Erlöser seinen Heiligen Geist, welcher dir ein neues freiwilliges Herz machet, zu tun, was Gott gefället, ohne allen Zwang aus freiem Geist [...] Denn der wahre le-
Vgl. dazu DÖRRIES, Theologie 237–249. WChr II, 6,2. 191 Dies war besonders nötig in einem Werk, das sich an ein breites Publikum richtete und nicht – wie das in einer wissenschaftlichen Abhandlung möglich gewesen wäre – angeführte Texte ausführlich diskutieren konnte. WEBER (wie Anm. 9), 40f., nennt diese Art von Rezeption »Laisierung«. 189 190
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was er jetzt mit einem dem Zwang gehorchenden Herzen tut, einmal freiwillig tun [...] Sieht dann der Herr [...], wie er [...] das Herz [...] zur Demut, Sanftmut und Liebe führt [...], so übt er Erbarmen mit ihm, befreit ihn von seinen Feinden und der [...] Sünde und erfüllt ihn mit dem Heiligen Geist. So erfüllt er dann in Wahrheit ohne Gewalt und Anstrengung alle Gebote des Herrn, ja vielmehr der Herr erfüllt seine eigenen Gebote in ihm und dann bringt er die Früchte des Geistes rein hervor.
bendige Glaube tut alles freiwillig, [...] erneuert den Menschen, reinigt das Herz, [...] er betet [...], ist demütig, geduldig, barmherzig, freundlich, sanftmütig, versöhnlich, mitleidig, friedfertig, vergibet gern, hungert und durstet nach der Gerechtigkeit, ergreift Gott mit aller seiner Gnade, Christum mit allem seinem Verdienst und Vergebung aller Sünden. Und wo du Christum nicht also durch den Glauben in dir lässest leben, auch die Früchte des Geistes nicht also empfindest: sollst du darum bitten, seufzen, trauern.
Makarios handelt in der 19. Homilie vom notwendigen Sich-Zubereiten (proeutrepi/zein)192 auf den Geistempfang. Wer »sich dem Herrn nahen«193, »Gott gefallen«194, »den Beifall und das Wohlgefallen Christi finden«195, »die himmlische Geistesgabe erlangen, wachsen und vollkommen werden«196, »des ewigen Lebens gewürdigt werden«197 will, der muß sich – wie in immer neuen Wiederholungen gesagt wird – zum Guten (zu Liebe, Sanftmut, Erbarmen, Ertragen von Verachtung, Gebet u.s.w.) zwingen, sich »trotz seines widerstrebenden Herzens« dazu nötigen198. Er muß sich so an das Gute gewöhnen, daß er es schließlich freiwillig tut, so daß ihm »alle Tugendübungen gleichsam zur Natur« werden199. Erkennt dann Gott die Bereitwilligkeit 200, den Willen und Eifer des Menschen201, sieht Gott, wie der Mensch kämpft und sich zwingt202, so erbarmt er sich, befreit ihn von der Sünde, schenkt ihm den Geist. Die Geistwirkung zeigt sich darin, daß der Mensch nun alle Gebote, zu denen er sich zuvor gezwungen hatte, ohne Gewalt und Anstrengung erfüllt; »ja vielmehr der Herr erfüllt seine eigenen Gebote in ihm und dann bringt er die Früchte des Geistes rein hervor«203.
H 19, 4, 6. H 19, 1. 194 H 19, 7. 195 H 19, 6. 196 H 19, 7. 197 H 19, 1. 198 H 19, 3, 7. 199 H 19, 6. 200 Ebd. 201 H 19, 2. 202 H 19, 3. 203 H 19, 2. 192 193
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Der Gesamtduktus des Gedankengangs und die zitierten Aussagen über die menschliche Vorbereitung müssen bei einem evangelischen Theologen schwere Bedenken auslösen. Wenngleich man bei Makarios – wie Dörries hervorgehoben hat 204 – eine deutliche Grenzlinie zwischen dem menschlichen Vermögen und dem ganz auf der göttlichen Gnade beruhenden Heil feststellen kann, so liegt doch gerade H 19 ganz in der Linie scholastischer Aussagen wie: »si homo facit quod in se est, deus dat ei gratiam«, und: »facere quod in se est non praevenit gratiam meritorie, sed dispositive.«205 Arndt scheint diese Probleme gesehen zu haben. Er hat ganz konsequent alle Aussagen seiner Vorlage, die eine dispositio des Menschen für den Geistempfang fordern, beiseite geschoben. Geht es Makarios vor allem um die Vorbereitung des Menschen, der »eine Wohnung Christi und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden will«, so setzt Arndt mit der Beschreibung des wahren Christen ein: durch den Glauben empfängt er die Rechtfertigkeit und wird zugleich Wohnung Christi und des Heiligen Geistes. Arndts Interesse gilt den Früchten des Geistes. Hier stimmt er mit Makarios nicht nur in den Beispielen (Liebe, Demut u.s.w.) überein, sondern auch darin, daß sie ohne jeden Zwang, freiwillig geschehen und letztlich den Herrn selbst zum Urheber haben. H 3, 4 Übrigens, die Sünde und das in uns gegenwärtige Böse zu entwurzeln, das ist allein der göttlichen Kraft möglich zu vollbringen. Es ist dem Menschen nicht gestattet und auch nicht möglich, aus eigener Kraft die Sünde zu entwurzeln. Damit zu ringen, dagegen zu kämpfen, zu schlagen und geschlagen zu werden, ist deine Sache, zu entwurzeln aber ist Gottes Sache.
WChr I, 41,28.32 Aber das Herz ändern, zu GOTT zu wenden, von bösen Lüsten reinigen, ist unmöglich; da gehöret göttliche Kraft zu. Denn die inwendige giftige Wurzel bleibet
Da hast du nun durch den Geist GOttes zu kämpfen und zu streiten mit deinem alten Adam, mit dem Bilde des Satans in dir, bis in die Grube.
Die Stichworte »böse«, (dem Menschen) »unmöglich«, »Wurzel« und der Tenor des Abschnitts machen wahrscheinlich, daß bei Arndt die MakariosStelle im Hintergrund steht. Die gemeinsame Grundeinsicht ist, daß sich der Mensch aus eigener Kraft nicht erlösen kann. Bei Makarios steht die Stelle als Kernstück in einer Erörterung über äußere Askese und inneren Kampf des
DÖRRIES, Theologie, 114, Anm. 101. Alexander von Hales, zitiert bei Friedrich LOOFS, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, Tübingen 61959, 448; vgl. die Erörterung 448f. 204 205
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Christen206. Das Arndt-Zitat findet sich in seiner zusammenfassenden Wiederholung des I. Buches207. Nach dem Sündenfall sei »noch ein Fünklein des freyen Willens in der Seele überblieben«, der wenigstens die Einhaltung der äußerlichen Verbote der zweiten Tafel des Dekalogs ermögliche208. Demgegenüber ist der Mensch »in geistlichen Sachen, die Seligkeit und das Reich GOttes betreffend«209 durch die Erbsünde völlig vergiftet210, blind 211, unfähig, eine Wende kann nur Gottes Kraft schaffen212, Rechtfertigung213, neue Geburt 214, Erneuerung des göttlichen Ebenbildes215 sind allein von Gottes Seite her möglich. Da aber die Erneuerung des Menschen unter dem eschatologischen Vorbehalt steht, »in dieser Welt nur angefangen wird in großer Schwachheit«216, folgt aus dem Indikativ der neuen Geburt der Imperativ der lebenslangen Heiligung (»bis zur Grube«), den Arndt hier wie oft als Kampf und Streit (»mit deinem alten Adam, mit dem Bilde des Satans in dir«) beschreibt 217. Das sind Gedanken, die sich sehr eng mit der Theologie des Symeon/Makarios berühren. Doch gehören sie einem so breiten christlichen Traditionsstrom an, daß man ihre Herkunft bei Arndt nicht primär in den Homilien zu suchen hat218. Lediglich H 3, 6 klingt hier bei Arndt an. Damit sind die Stellen, an denen mir Makarios als Vorlage Arndts erkennbar scheint, erschöpft.
V Beim Rückblick auf den Gang der Untersuchung kann einem eine Bemerkung des ersten deutschen Makarios-Herausgebers in den Sinn kommen, der eingedenk der zu bewältigenden Schwierigkeiten vom Wälzen eines Sisyphus-Steins
Vgl. DÖRRIES, Theologie, 64–66. In der Urausgabe von 1605 ist Kap. 41 noch nicht enthalten. 208 WChr I, 41,28. 209 WChr I, 41,30. 210 WChr I, 41,27.28. 211 WChr I, 41,30.31. 212 WChr I, 41,28 (s. o.). 213 WChr I, 41,28. 214 WChr I, 41,28.32. 215 WChr I, 41,32. 216 Ebd. 217 S. o. 218 Ich erinnere hier nur an das ›Kampfmotiv‹ in der Theologie Luthers, das die schwedische und finnische Lutherforschung besonders stark betont hat. 206 207
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spricht 219. Auch die Suche nach literarischen Einflüssen der Homilien auf Arndts Bücher von Wahrem Christentum erwies sich als Sysiphus-Arbeit, die unabgeschlossen bleibt. Als erschwerend machten sich eine Reihe von Umständen bemerkbar. Es fehlen nicht nur die Vorarbeiten zum speziellen Thema, sondern zur Wirkungsgeschichte der makarianischen Homilien im 16. und frühen 17. Jahrhundert überhaupt. Das bescheidene Ausmaß der Arndt-Forschung, das in keinem adäquaten Verhältnis zu Arndts kirchengeschichtlicher Bedeutung steht220, muß zu manchen non-liquet-Urteilen führen. Nicht nur biographische Fragen nach persönlichen Beziehungen und möglichen Korrespondenten Arndts vor 1605 sind noch ungeklärt221, auch hinsichtlich der im Wahren Christentum benutzten Quellen bestehen noch erhebliche Unsicherheiten, und die redaktionsgeschichtliche Untersuchung seines Hauptwerkes steckt noch in den Anfängen222. Hinzu kommt, daß auch zuverlässige Hilfsmittel für quellenkritische Vergleiche weitgehend fehlen223. Auf diesem Hintergrund ist es deutlich, daß die vorliegende Untersuchung nur vorläufige Ergebnisse vorlegen kann. Aber schon eine ausführliche Problemanzeige hat ihre heuristische Funktion. Ein Einfluß der Makarios-Homilien, deren Wertschätzung in Arndts Brief an Johann Gerhard zwei Jahre vor dem Erscheinungsbeginn des Wahren Christentums zum Ausdruck kommt und die durch das Zeugnis Brelers bestätigt wird, ist in diesem Werk tatsächlich zu erkennen. Die theologischen Berührungspunkte, der Gleichklang vieler Themen und Motive, die gleiche Tendenz in zahlreichen Aussagen bei Makarios und Arndt sind auffällig und eindrücklich. So wird verständlich, wenn Dame und Arnold (und die von Arnold beeinflußten Autoren) in den makarianischen Homilien eine Quelle Arndts gesehen haben. Demgegenüber ist die Anzahl der Stellen, an denen sich Makarios als literarische Vorlage Arndts wahrscheinlich machen läßt, aber verhältnismäßig gering. Dies wird besonders im Vergleich zu der ausgiebigen Benutzung Taulers, Angelas de Foligno, der Theologia Deutsch, der Nachfolge Christi, aber auch 219 » [...] adeo vt Sisyphi saxum dum voluerem, id a me volui minime sentire«; s. o. Anm. 26. Epistola dedicatoria, f. a 8. 220 WALLMANN (wie Anm. 9), 17, sagt zu Recht, daß »wir in der Arndt-Forschung noch immer in den Anfängen (stehen)«. 221 Vgl. oben meine Erwägungen zu einer Verbindung Neander – Arndt. 222 Vgl. WEBER, 40f., 68–71, 76f. usf. 223 Sofern die späteren Ausgaben des WChr überhaupt Sachregister besitzen, dienen diese den Bedürfnissen erbaulicher Lektüre und sind für wissenschaftliche Zwecke nur bedingt brauchbar.
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von Schriften Weigels, sehr deutlich. Während Arndt aus diesen Quellen größere Textpartien, z.T. in fortlaufender Folge, übernommen hat, begegnen aus den Homilien nur punktuelle Entlehnungen. Sollte sich dieses Bild nicht noch durch die Entdeckung größerer, von mir übersehener Textzusammenhänge, die auf Makarios-Vorlagen basieren, grundlegend ändern, so heißt das: Arndt hat bei der Komposition seines Werkes trotz aller Wertschätzung für Makarios doch in erster Linie und ganz überwiegend auf zeitlich näherliegende Quellen zurückgegriffen. Bei den erörterten Beispielen zeigte sich Arndts eklektisches Verfahren; er hat die Makarios-Vorlagen nur soweit rezipiert, als sie sich in den jeweiligen Duktus seiner Darstellung einfügen und in seine theologische Konzeption integrieren ließen. Dabei hat Arndt allzu gewagte oder anstößige Ausdrücke durch biblische Kommentierung entschärft (Christen als Gesalbte), mißverständliche Terminologie und problematische Vorstellungen orthodox interpretiert und neu formuliert (s. o. zu H 32, 6) und ›katholisierende‹ Aussagen eliminiert (s. o. zu H 19, 1f.). Diese Beobachtungen bestätigen das Verfahren, das Edmund Weber bei Arndts Umgang mit anderen Quellen festgestellt hat 224. Inwiefern Arndt über die literarkritisch nachweisbaren Abhängigkeit einzelner Stellen hinaus sich makarianische Gedanken zu eigen gemacht und theologisch eingeschmolzen hat 225, darüber kann erst – nach einer Klärung noch offener Quellenprobleme – eine umfassende traditions- und motivgeschichtliche Analyse der Bücher von Wahrem Christentum Aufschluß geben, von der die Arndt-Forschung noch weit entfernt ist.
WEBER, 40f. Vgl. hierzu auch die grundsätzlichen Erwägungen, die DÖRRIES im Hinblick auf das Verhältnis Arnolds zu Makarios und den verschiedenen Stationen der Aneignung fremden literarischen Gutes angestellt hat, Geist und Geschichte, 183ff., 188. 224 225
JOHANN ARNDT UND MARTIN CHEMNITZ. ZUR QUELLENKRITIK VON ARNDTS ›IKONOGRAPHIA‹ Martin Chemnitz (1522–1586) und Johann Arndt (1555–1621)1 haben beide wichtige Jahre ihres Lebens in Braunschweig gewirkt. Arndt kam 1599, mehr als zwölf Jahre nach Chemnitz’ Tod, in die Stadt, deren Kirchenwesen von Chemnitz tief geprägt worden war. Umso verwunderlicher scheint es, daß das Thema »Johann Arndt und Martin Chemnitz« in der bisherigen Forschung überhaupt noch keine Beachtung gefunden hat. Nach Arndts Verhältnis zu Chemnitz, gar nach einer theologischen Beeinflussung durch den orthodoxen Dogmatiker ist noch nie gefragt worden. Allenfalls in den Darstellungen der Biographie Arndts fällt bei der Schilderung des weiteren historischen Kontextes gelegentlich einmal der Name Chemnitz. Und wenn auf dem Kupferstich2, den der Hallenser Pietist Joachim Justus Breithaupt seinen ›Institutiones theologicae‹ 3 voranstellt, Luther, Chemnitz und Arndt zusammengefügt sind, sollen mit diesen drei Vertretern idealtypisch Gebet, Meditation und Anfechtung als Kennzeichen eines rechten Theologen veranschaulicht, nicht aber theologische Beziehungen thematisiert werden. Das Verhältnis Arndts zu Chemnitz wird durch die Entdeckung einer literarischen Abhängigkeit beleuchtet, über die im folgenden berichtet werden soll: Arndt hat in einer frühen Schrift als Vorlage ein Hauptwerk Chemnitz’ benutzt und in erheblichem Umfang daraus geschöpft – ohne freilich jemals seine Quelle namhaft zu machen. Dieser Nachweis ist für die Beurteilung von Arndts theologischer Entwicklung von einiger Relevanz und dürfte künftig
1 Martin SCHMIDT, Art. »Arndt, Johann«, TRE 4 (1979), 121–129, entspricht nicht dem Forschungsstand. Das gilt nicht zuletzt im Blick auf die Quellenkritik der Schriften Arndts: S.u. die in Anm. 8 genannte, Schmidt unbekannt gebliebene Untersuchung Edmund Webers; seither erschienen: Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und die makarianischen Homilien [s.o. in diesem Band]. 2 Der Kupferstich zeigt in drei Feldern untereinander »Lutherus in oratione, Chemnitius in meditatione, Arndius in tentatione«. Auf Gebet, Meditation und Anfechtung beziehen sich die beigefügten Bibelstellen: Jak 1,6; Mt 7,7f.; Röm 12,12. – Jak 1,5 und das Motto: A Christi humanitate ad Majestatem Dei. – Ps 22,17; Cant 1,6. – Der Vers unter dem Stich lautet: Quae tria tres fidos verbi fecere Ministros Unita in qoovis [lies: quovis]; cum monstrant singula, quales Hostem experta precum et studii constantia formet. 3 Institutionum Theologicarum libri duo [...], Halle 1695. Zu Breithaupt als pietistischem Dogmatiker vgl. Albrecht RITSCHL, Geschichte des Pietismus, II, Bonn 1884 [Ndr. Berlin 1966], 385f., 395ff.
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Johann Arndt und Martin Chemnitz
weitere Aufmerksamkeit verdienen. Zugleich bieten die Beobachtungen einen Beitrag zu der noch wenig erforschten Wirkungsgeschichte Chemnitz’4.
I Wir beginnen mit einigen Beobachtungen biographischer Art. Wahrscheinlich hat Johann Arndt den 33 Jahre älteren Chemnitz mindestens einmal persönlich zu Gesicht bekommen. Als Chemnitz am 15. August 1576 in Helmstedt die Predigt bei der feierlichen Eröffnung der Academia Julia hielt 5, dürfte der Student Arndt, der schon seit dem 20. April 1575 an der Hochschule eingeschrieben war6, wohl kaum unter den Zuhörern gefehlt haben. Die Frage, ob und wann sich Arndt im Laufe seines Studiums mit Chemnitz beschäftigt hat, läßt sich bei dem derzeitigen Stand der Forschung nicht beantworten; wissen wir doch nicht einmal, wann, wo und bei welchen Lehrern Arndt Theologie studiert hat!7 In Helmstedt ist er wohl kaum über das artistische Grundstudium hinausgekommen.8 Sollten die Nachrichten über ein Studium in Wittenberg bei Polykarp Leyser zutreffend sein9, hätte er hier mit Chemnitz-Schriften bekannt werden können. Und falls er in Straßburg10 theologische Studien betrieben hat und Marbach und Pappus seine Lehrer waren11, wäre auch dort die Möglichkeit dazu gegeben gewesen. Aber derartige Überlegungen bleiben einstweilen ganz und gar hypothetisch, und die Unsicherheit wird noch da4 Zur Wirkungsgeschichte vgl. Theodor MAHLMANN, Art. »Chemnitz«, TRE 7 (1981), 714– 721, hier 718f. 5 Predigt bey der eynführung [...] der Julius universitet [...] zu Helmstätt gethan [...], in: M. Chemnitz, Richtige vnd inn h.schrifft wolgegründte erklärung [...], Frankfurt/M. 1592. 6 Paul ZIMMERMANN (Bearb.), Album Academiae Helmstadiensis, I/1, Hannover 1926, 5. 7 Zu den revisionsbedürftigen Ansichten der älteren und jüngeren Arndtforschung über Arndts Studiengang vgl. Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim 31978, 21–35. 8 WEBER, 21–23. 9 WEBER, 23–25 hat einen Studienaufenthalt Arndts in Wittenberg und ein dort begründetes Schülerverhältnis zu Polycarp Leyser (so nahezu die gesamte Arndtforschung) energisch bestritten, da er chronologisch in Arndts Studienzeit nicht unterzubringen sei und sich »in den Quellen auch überhaupt kein diesbezüglicher Hinweis« finde. Letzteres ist nicht zutreffend; bereits der in der Leichenpredigt auf Arndt (Christliche Leich-Predigt [...] Bey der Begräbniß des weyland Ehrwürdigen vnd Hochgelahrten Herrn Johann Arndt [...] Gehalten durch Wilhelmum Storchium [...], Lüneburg 1621) mitgeteilte Lebenslauf nennt als Studienorte Helmstedt, W i t t e n b e r g , Straßburg und Basel. 10 Seinen Aufenthalt in Straßburg erwähnt Arndt selbst (Ikonographia 34). Die Matrikeln vor 1621 sind leider verloren. 11 Vgl. WEBER, 26–28, der aber vermutet, daß Johann Sturm den stärksten Einfluß auf Arndt ausübte.
Zur Quellenkritik von Arndts ›Ikonographia‹
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durch vermehrt, daß Arndt in Basel, seinem wahrscheinlich letzten Studienort 12, sich selbst als »stud. med.« bezeichnet13! Im Jahre 1599 wurde Arndt, der nach seinem Studium zunächst in seiner anhaltischen Heimat, dann im freien Reichsstift Quedlinburg Pfarrer gewesen war, nach Braunschweig berufen.14 Chemnitz war 1586 gestorben. Sein Grab mit dem bekannten Epitaph15 befand sich – und befindet sich noch – in der St. Martini-Kirche, an der Arndt nun fast ein Jahrzehnt (bis 1608) als Zweiter Pfarrer wirkte. Die nachhaltige Prägung des Braunschweigischen Kirchenwesens durch Chemnitz trat zutage, als Arndt sich bei seinem Dienstantritt – wie alle Braunschweiger Pfarrer jener Zeit16 – auf die von Chemnitz 1571 bearbeiteten ›Leges ministerii‹ sowie auf das städtische Corpus doctrinae und das Konkordienbuch verpflichten mußte.17 Eine namentliche Erwähnung von Chemnitz – m.W. die einzige in Arndts erhaltenen Briefen und Schriften – findet sich in einem Schreiben, das Arndt 1608 aus Braunschweig an seinen Freund Johann Gerhard sandte18. Arndt lobt darin Gerhards Disputation ›De praedestinatione‹19, die das Problem der Bekehrung und Erneuerung »aus unserem Chemnitz« (ex Chemnitio nostro) erörtere.20 Diese singuläre und beiläufige Nennung macht es verständlich, daß die Arndtforschung bislang keinen Anlaß sah, dem Verhältnis Arndts zu Chemnitz nachzuspüren.
Arndt wurde Anfang 1579 immatrikuliert; vgl. WEBER, 29–35. In einem von mir gefundenen Brief Arndts an den Medizinprofessor Theodor Zwinger vom 2. September 1579 (UB Basel, Fr.-Gr. II 4, Nr. 11); vgl. auch Johannes WALLMANN, Einflüsse der Schweiz auf die Theologie und das religiöse Leben des deutschen Luthertums im konfessionellen Zeitalter 1580–1650, in: Martin BIRCHER (Hg.), Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580–1650 (Wolfenbütteler Barockforschungen 12), Wiesbaden 1984, 203–226, hier 209–211. 14 Vgl. Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland General-Superintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838, 36ff.; Friedrich Julius WINTER, Johann Arnd, der Verfasser des »Wahren Christentums«. Ein christliches Lebensbild (SVRG 101/102), Leipzig 1911, 21ff. 15 Vgl. die Abb. in: Reinhard DORN, Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig, Hameln 1978, 99. 16 Vgl. Werner SPIESS, Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter, II, Braunschweig 1966, 635. 17 WINTER, 23 (leges ministerii). Ob Arndt in einer Zeit heftiger Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Herzog auch auf das Corpus Julium verpflichtet wurde (vgl. dazu SPIESS, II, 635), erscheint fraglich. Die Ministerialakten im Stadtarchiv Braunschweig konnte ich bei der Ausarbeitung des vorliegenden Beitrags leider nicht einsehen. 18 Original in der Forschungsbibliothek Gotha, mehrfach abgedruckt, z.B. bei F. ARNDT, 80–84. 19 Coburg 1607. 20 F. ARNDT, 81. 12 13
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Johann Arndt und Martin Chemnitz
In ein ganz neues Licht tritt dieses Verhältnis bei einer genaueren Betrachtung von Arndts Schrift ›Ikonographia‹ und einer Analyse ihrer Quellen.
II Diese früheste im Druck erhaltene21 Schrift Arndts trägt den Titel: IKONOGRAPHIA. Gründlicher vnd Christlicher Bericht / Von Bildern / jhrem vhrsprung / rechtem Gebrauch vn[d] mißbrauch / im alten vnd newen Testament: Ob der mißbrauch die Bilder gar auffhebe: Was dieselben für ein gezeugnuß in der Natur haben / in Geistlichen vnd Weltlichen Sachen: Von der Ceremonia oder Zeichen des Creutzes: Auch von der eusserlichen Reverentz vnd Ehrerbietung gegen dem hochgelobten Namen Jesu Christi / vnsers einigen Erlösers vnd Ehrenkönigs. Durch Johannem Arndten / Pfarrern der Kirchen S. Nicolaj zu Quedelburgk beschrieben. Liß mich recht / Den[n] prüff mich recht. Gedruckt zu Halberstadt / bey Georg Koten.22
Arndt verfaßte diese Schrift 159623 im Pfarramt in Quedlinburg, in das er nach seiner Amtsenthebung im Fürstentum Anhalt (1590) berufen worden war.24 Bekanntlich hatte er sich in Anhalt der Abschaffung des Taufexorzismus hartnäckig widersetzt. Diese Maßnahme bildete den Auftakt für die ›zweite Reformation‹ des Fürsten Johann Georg und seines Hoftheologen Wolfgang Amling, die 1596 mit der Beseitigung der Altäre, Kruzifixe und Bilder in den Kirchen, Abschaffung von Kreuzeszeichen, Niederknien, Einführung der reformierten Zählung der Gebote etc. ihren Höhepunkt erreichte.25 21 Auf ältere Schriften weist Arndt in der ›Ikonographia‹ selbst hin: De origine sectarum, De magis ex oriente, De antiqua philosophia (Ikonographia, 33r, 48r). Während diese Schriften verschollen sind, liegen die Predigten über die ägyptischen Plagen (Ikonographia, 48r) in einem nach einem Manuskript erstellten Neudruck von 1657 vor. [S. dazu in diesem Band den Beitrag über »Arndts verschollene Frühschriften«.] 22 Ich benutze ein Exemplar der SUB Göttingen, dessen Titelblatt eine handschriftliche Widmung Arndts an seinen Freund Andreas Leopold trägt. – Das Werk wurde nachgedruckt: Leipzig 1676 (nicht eingesehen), ferner in: Johann Arndts Sonderbahre Schrifften zum Wahren Christenthum, Frankfurt/M. 1688, und in: Johann Arndts Geistreiche Schrifften, hg. v. Johann Jakob RAMBACH, III, Görlitz / Leipzig 1736, 513–534. 23 Die Vorrede ist datiert vom 19. Dezember 1596. Die Drucklegung bei Kote in Halberstadt (vgl. Walter BAUMANN, Geschichte des alten Halberstädter Buchdrucks, AGB 1 [1958], hier 249–252) dürfte erst 1597 erfolgt sein. 24 Darauf bezieht sich Arndt in der Widmungsvorrede an die Äbtissin des Stifts Quedlinburg (und weitere Stiftsdamen), die »mich gnedig in meinem Exilio auffgenommen haben« (Ikonographia, 11v). 25 Zu den Vorgängen vgl. Heinrich DUNCKER, Anhalts Bekenntnisstand während der Vereinigung der Fürstentümer unter Joachim Ernst und Johann Georg (1570–1606), Dessau 1892, 58ff.; [Friedrich Wilhelm] SCHUBART, Johann Arndt. Ergänzungen und Berichtigungen zu der Geschichte seines Lebens und Wirkens in Anhalt, NKZ 9 (1898), 456–472, hier 464ff.; DERS., Pfarrchronik des sechzehnten Jahrhunderts für die Ortschaften der jetzigen Ephorie Ballenstedt, Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 36 (1903), 106– 138, 161–208.
Zur Quellenkritik von Arndts ›Ikonographia‹
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Die Arndtforschung sieht zu Recht in diesen Vorgängen Anlaß und Hintergrund für die Abfassung der ›Ikonographia‹.26 Obwohl Arndt – aus begründeter Rücksichtnahme eines Exilierten27 – an keiner Stelle ausdrücklich auf die Ereignisse in Anhalt Bezug nimmt, lassen doch bereits das Entstehungsjahr der Schrift sowie die im Buchtitel aufgeführten und behandelten Einzelthemen (Bilder, Kreuzeszeichen, Kniebeugen, Altäre, Zählung des Dekalogs) 28 erkennen, daß die kirchenpolitischen Vorgänge in seiner Heimat den heimlichen Gegenstand seiner kritischen Auseinandersetzung bilden. Diese Deutung findet ihre Bestätigung in einem Brief Arndts an den Jenaer Professor Petrus Piscator vom 14.1.160729, in dem Arndt rückblickend erwähnt, er habe »gegen die Anhalter Bilderstürmerei« (contra Ikonomaxi/an Anhaltinam) geschrieben30. Damit reiht sich die ›Ikonographia‹ in die – noch kaum erforschte – Streitschriftenliteratur ein, die um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Durchführung einer ›zweiten Reformation‹ in einer Reihe deutscher Territorien entstand. In der Arndtforschung hat die ›Ikonographia‹ bislang keineswegs die gebührende Beachtung gefunden. Vielleicht hat dazu nicht zuletzt der Umstand beigetragen, daß Arndt selbst später von dieser Schrift abgerückt ist.31 Erstmals hat Edmund Weber in seiner quellenkritischen Untersuchung der ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ 32 die Aufmerksamkeit auf literarische Quellen der ›Ikonographia‹ gelenkt. Er konnte den Nachweis führen, daß nicht erst im II. und IV. Buch des ›Wahren Christentums‹ Paracelsus-Schriften benutzt sind33, sondern daß Arndt bereits in der ›Ikonographia‹ Hohenheims ›Liber de imaginibus‹ sowie drei weitere Paracelsus-Traktate als Quellen herange-
26 So z.B. August THOLUCK, Lebenszeugen der lutherischen Kirche, Berlin 1856, 263; F. ARNDT, 36; WINTER, 16; Wilhelm KOEPP, Johann Arndt und die Mystik im Luthertum, Berlin 1912 [Ndr. Aalen 1973], 24. 27 »Ich wil aber hiemit für Gott bezeuget haben / dz ich in keines Menschen haß oder nachteil / er sey hohes oder niedern Standes / diß Büchlein geschrieben habe« (Ikonographia, 11r). 28 Vgl. die Inhaltsübersicht bei Hans-Joachim SCHWAGER, Johann Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen, Diss. theol. Münster 1961, 16–18. 29 Abgedruckt in: Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndtianum [...], Wittenberg 1715, 1–7; Philipp Julius REHTMEIER, Historia Ecclesiastica Inclytae Urbis Brunsvigae. Oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchenhistorie, V, Braunschweig 1720, 231–235. 30 GLEICH, 3; R EHTMEIER, 232. Wenn Arndt zurückblickend die Schrift in seine Anhalter Zeit verlegt, liegt freilich ein chronologischer Irrtum vor; vgl. WINTER, 31f., 103, Anm. 21. 31 In einem Brief an Johann Gerhard vom 27.1.1604, abgedruckt bei Georg Martin RAIDEL (Hg.), Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740, 31–34, schreibt Arndt (33): »Libellus meus, de imaginibus, mihi non satisfacit; proinde nolo, videat amplius lucem.« 32 S. o. Anm. 7. 33 WEBER, (108ff.) 114ff., 140ff.
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Johann Arndt und Martin Chemnitz
zogen hat.34 Auf zwei – kabbalistische – Autoren, Agrippa von Nettesheim und Heinrich Khunrath, weist Arndt selbst hin.35 Mit diesen Beobachtungen ist die Quellenanalyse aber noch keineswegs zu einem Abschluß gekommen. So bedürften etwa Arndts Auseinandersetzungen mit Theodor Beza (in Kap. IV und V)36 und Calvin (bes. in Kap. XI) einer sorgfältigen Untersuchung. Vor allem aber fallen die zahlreichen Zitate bzw. Verweise auf altkirchliche Autoren auf, die Arndt teils mit, teils ohne Fundort anführt.37 Ihre relativ große Zahl läßt fragen, ob sie selbständige Lesefrüchte Arndts darstellen. In diesem Fall offenbarten sich hier recht solide patristische Kenntnisse, und die schon von Zeitgenossen Arndts gelegentlich geäußerten Vorbehalte gegenüber Arndts theologischer Bildung38 verlören an Gewicht. Oder greift Arndt auch hier – wie bei den aus Paracelsus-Schriften übernommenen Passagen – auf eine Vorlage zurück?
III Für die Beantwortung dieser Frage läßt sich im III. Kapitel der ›Ikonographia‹ ein heuristischer Ansatzpunkt gewinnen. In diesem Kapitel handelt Arndt »vom mißbrauch der Bilder«. Nachdem er biblische und religionsgeschichtliche Beispiele erörtert hat, erzählt er – nach Paracelsus39 – ein Exempel des 16. WEBER, 116–140. Vgl. WEBER, 117, 214, Anm. 8. 36 Arndt spielt mit der Bemerkung über Beza und das »Mumpelgartische Colloquium« (Ikonographia, 22r) nicht »auf das ergebnislos verlaufene Treffen Theodor Bezas und Jakob Andreaes in Montbéllard [sic] im Jahre 1585 an«, wie WEBER, 213, Anm. 6, meint, sondern bezieht sich auf dessen S c h r i f t : Ad Acta Colloquii Montisbelgardensis [...] Responsio, I–II, Genf 1587, 21588. Vielleicht benutzte Arndt die deutsche Übersetzung: Nützliche und nothwendige Antwort [...] auf das [...] Colloquium Mompelgartense, Heidelberg 1588. Auszüge dieser Schrift bei Heinrich HEPPE, Theodor Beza. Leben und ausgewählte Schriften (LASVRK 5), Elberfeld 1861, 267ff. 37 Vgl. die – nicht ganz vollständige – Aufzählung bei W EBER, 213, Anm. 7. Die in meinem Beitrag erwähnten Stellen habe ich identifiziert und die Fundorte angegeben. – Zur Bilderfrage in der Alten Kirche vgl. die älteren Arbeiten von Hugo KOCH, Die altchristliche Bilderfrage (FRLANT 10), Göttingen 1917; Walter ELLIGER, Die Stellung der alten Christen zu den Bildern in den ersten vier Jahrhunderten (SCD 20), Leipzig 1930, sowie Hans von CAMPENHAUSEN, Die Bilderfrage als theologisches Problem der alten Kirche, in: DERS., Tradition und Leben, Tübingen 1960, 216–252. 38 Der Quedlinburger Superintendent Andreas Leopold schreibt in einem Brief an J. Gerhard über seinen Freund Arndt, daß es das studium medicum sei, »cui ille per totam vitam, magis quam Theologico, deditus fuisse mihi videtur« (abgedruckt bei RAIDEL, 24). Johann Gerhard wiederholt dieses Urteil 1625 in einem Brief an Nikolaus Hunnius: »in Academiis Medicinae potissimum fuerit deditus, nec judicium de controversiis Theologicis, audiendis praelectionibus et habendis disputationibus formaverit« (abgedruckt bei GLEICH, 13). Dazu s.o. Anm. 13. 39 Vgl. WEBER, 125f. 34 35
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Jahrhunderts, die Wallfahrt zur schönen Maria in Regensburg40, und schließt daran den Hinweis auf fortdauernden Mißbrauch der Bilder bei den »Papisten« an. Er nennt das Concilium Tridentinum und zitiert aus dessen Dekret über die Bilderverehrung41 in deutscher Übersetzung.42 Arndt fährt dann fort: »Auch unternimpt sich Andradius solches zubeweisen / mit dem Exempel der heiligen Väter vnd Propheten / welche Gottes gegenwart / in den mancherleyen Bildern vnd Figuren / in welchen er jnen erschienen / angebetet haben / Vnd schleust daraus: Also könne man auch Gott in Bildern anbeten / vnd sey nichts daran gelegen / ob solche Bilder von Menschen durch Kunst / oder von Gott durch Wunderwerck gemacht werden / denn es sein doch beyde Bilder.«43
Gemeint ist der portugiesische Jesuit Diego Payva d’Andrada44 bzw. dessen Schrift ›Orthodoxae explicationes‹ 45. Hatte Arndt so gute Kenntnisse der nachtridentinischen Kontroversschriften, daß er dieses Werk zitieren konnte? Der mit der theologischen Literaturgeschichte des 16. Jahrhunderts vertraute Leser erinnert sich, daß die genannte Schrift des Jesuiten den Anstoß dazu gab, daß Martin Chemnitz sein ›Examen concilii Tridentini‹ 46 verfaßte, in dem er sich bei der Auseinandersetzung mit den Trienter Dekreten der ›Explicationes‹ des Andradius bediente47. Die Annahme liegt näher, daß ein lutherischer Pfarrer wie Arndt eher Chemnitz’ magnum opus kannte – und durch dieses vermittelt die Argumentation des Andradius –, als daß er das Werk des Portugiesen selbst studiert hätte. Diese Vermutung wird zu Gewißheit, wenn man Chemnitz’ Ausführungen vergleicht. In pars IV, locus II seines Werkes48 handelt er »De imaginibus«. Der locus wird wie üblich eröffnet mit der Wiedergabe des entsprechenden Tridentinischen Dekrets.49 Die von Arndt herangezogene Andradius-Stelle findet sich bei Chemnitz in sectio III, 5.50 Die Aussagen
40 Zur Regensburger Wallfahrt vgl. Bernd MOELLER, Probleme des kirchlichen Lebens in Deutschland vor der Reformation, in: Hubert JEDIN / Bernd MOELLER / Stephan SKALWEIT, Probleme der Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert, Regensburg 1970, 11–32. 41 Sessio XXV (DS 1823). 42 Ikonographia, 19v. 43 Ebd. 44 Vgl. Friedrich STEGMÜLLER, Art. »Andrade«, LThK2 1 (1957), 510. 45 Orthodoxarum explicationum libri decem, in quibus omnia fere de religione capita, quae his temporibus ab haereticis in controversiam vocantur, [...] explicantur. Praesertim contra Martini Kemnicii petulantem audaciam, Köln 1564, Venedig 1564, Köln 1574, Venedig 1594. 46 Ich zitiere nach der Ausgabe von Eduard PREUSS, Berlin 1861 [Ndr. Darmstadt 1972]; a und b bezeichnet die linke bzw. rechte Textspalte. 47 Vgl. dazu die Darstellung bei PREUSS (s.o. Anm. 46), Historia libri impressi, 959. 48 761b–797b. 49 761b–762a. 50 768b.
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Johann Arndt und Martin Chemnitz
erscheinen bei Arndt stark komprimiert, sein Schlußsatz ist aber klar als Übersetzung des lateinischen Chemnitz-Textes erkennbar.51 Auf die aus dem ›Examen‹ referierte Argumentation des Andradius läßt Arndt eine Entgegnung folgen: »Darauff ist vnsere Antwort: das eben dieses der vhrsprung sey aller Abgötterey bey Jüden / Heiden vnd Christen / dz sie jnen aus jrer eigenen Vernunfft einen Gottesdienst erdacht haben / sind in jrem tichten eitel worden / vnd haben verwandelt die Herrligkeit des vnvergenglichen Gottes / in ein Bilde / gleich den vergenglichen Menschen. Rom. 1.«52
Ein Vergleich zeigt, daß »unsere« Antwort genau die Antwort ist, die Chemnitz dem Andradius zuteil werden läßt: »Sed Rom. 1. Paulus dicit, hanc esse ipsissimam idolatriae seu vanitatis originem, quod homines sine verbo Dei per dialogismou/j hoc est, per argutas suas ratiocinationibus seducti, gloriam incorruptibilis Dei in similudinem hominis aut alterius imaginis mutarint.«53
Arndts Benutzung von Chemnitz’ ›Examen‹ wird vollends deutlich am weiteren Argumentationsgang. Arndt fährt nämlich fort: »Also dachten die Chaldeer auch / weil sich Gott in Fewers gestaldt geoffenbaret / sie wolten jm bey vnd in jrem Fewer dienen vnd ehren. Aber die Schrifft nennets Abgötterey. Jos. 24.«54
Auch dieser Anschluß hat wiederum seine Entsprechung in der Fortsetzung bei Chemnitz: »Alienos enim Deos quos Thara in Chaldaea coluit [cf. Jos 24,2!], constat fuisse Ur Chaldaeorum, Gen. 11 quod ignem seu focum ignis significat. [...] Scriptura pronuntiat [...] fuisse cultum illum idolatriam, Jos. 24.«55
Die dann bei Arndt folgenden Hinweise auf Laban (gemeint sind die Teraphin, Gen. 31), Micha (Jdc 17) und das Goldene Kalb (Ex 32) stimmen erneut mit der Reihenfolge derselben sich bei Chemnitz anschließenden Beispiele überein.56 So ergibt der Vergleich, daß Arndt den ganzen Argumentationsblock aus Chemnitz’ ›Examen‹ übernommen hat.
51 Arndt: »vnd sey nichts daran gelegen / ob solche Bilder von Menschen durch Kunst / oder von Gott durch Wunderwerck gemacht werden / denn es sein doch beide Bilder« (19v); Chemnitz: »Nihil enim referre, humanae an divina opera tales imagines fiant, artene fabricentur an miraculo, cum utrumque sit effigies simulacrum seu imago« (768b). 52 Ikonographia, 19vf. 53 Examen, 768b. 54 Ikonographia, 20r. 55 Examen, 768b–769a. 56 Ikonographia, 20r; Examen, 769a.
Zur Quellenkritik von Arndts ›Ikonographia‹
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IV Durch die Erwähnung von »Concilium Tridentinum« und »Andradius« auf eine Fährte gebracht, gilt es nun, diese Spur weiter zu verfolgen. Dabei ergibt sich, daß Arndt auch über den soeben untersuchten Abschnitt hinaus in größerem Umfang Chemnitz’ ›Examen‹ für seine ›Ikonographia‹ als Quelle herangezogen hat. Wir stellen zunächst die Entlehnungen in den einzelnen Kapiteln zusammen. Einzelne Elemente des betrachteten Argumentationszusammenhangs aus Kap. III hat Arndt bereits an früherer Stelle verwendet. Mit dem Hinweis auf Jos 24 (Taras chaldäischer Götzendienst) beginnt das 1. Kapitel.57 Dort sind weitere Ausführungen von Chemnitz, die Arndt an der analysierten Stelle in Kap. III übergeht oder zusammengefaßt wiedergibt, einzeln ausgeführt: Ursache des chaldäischen Feuerkultes sei gewesen, daß Gott gelegentlich Opfer durch Feuer vom Himmel entzündet habe; dieselbe Erklärung mit denselben biblischen Belegen (Gen 15, I Reg 18, II Chron 7) findet sich bei Chemnitz. 58 Arndt erwähnt auch in Kapitel I bereits die Teraphin Labans (Gen 31).59 Als Möglichkeit für die Entstehung des Mißbrauchs von Bildern nennt Arndt, »das der Son Gottes den Vätern in Menschengestalt erschienen«; auch dieser Gedanke hatte bei Chemnitz Erwähnung gefunden.60 Ebenso hat Arndts Hinweis auf die Aussagen in Weish 14 über den Ursprung des Götzendienstes seine Entsprechung in der Vorlage bei Chemnitz, der Zitate aus Weish 14 an den Anfang seiner Darlegungen in sect. II (»De usu imaginum apud ethnicos«) stellt.61 Arndt schließt den ersten Gedankengang seines I. Kapitels mit der These, »das mit nichten alle Bilder jren vhrsprung aus der Abgötterey / vnd eitel Ehre haben / sondern etliche aus Gott / etliche aus der Natur / etliche aus denckwürdigen Historien / wie Prudentius spricht: Historiam pictura refert: quae tradita libris / Veram vetusti temporis monstrat fidem.«62
Das ohne Fundort angeführte, später von Arndt an anderer Stelle wiederholte63 Prudentius-Zitat 64, findet sich gleichfalls bei Chemnitz65. Ikonographia, 12v. Ikonographia, 13r; Examen, 769a. 59 Ikonographia, 13r; Examen, 769a. 60 Ikonographia, 13r; Examen, 768b. 61 Ikonographia, 13r; Examen, 763a. 62 Ikonographia, 13r. 63 Ikonographia, 30r (Kap. VI; s.u.). 64 Prudentius, Peristephanon, IX, 19f. (PL 60, 435; CSEL 61, 367). 65 Examen, 779b. 57 58
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Johann Arndt und Martin Chemnitz
In den Kapiteln II–V sind, abgesehen von dem anfangs untersuchten Komplex in Kap. III, Entlehnungen aus Chemnitz nicht ganz so eindeutig nachweisbar. Zwar kommt eine Reihe derselben Bibelstellen bei Arndt wie bei Chemnitz vor, doch vermag dieser Sachverhalt allein noch keine literarische Abhängigkeit zu beweisen, denn jede theologische Erörterung der Bilderfrage wird immer auf eine Anzahl einschlägiger biblischer Aussagen rekurrieren. Weitere Indizien müssen hinzukommen (innere Verknüpfung, Reihenfolge o.ä.), wie es in Kap. I und III der Fall ist. Immerhin stimmt in Kap. II der ›Ikonographia‹ die Abfolge einiger biblischer Beispiele (Cherubim – Gewand des Hohepriesters – eherne Schlange – typologische Bedeutung der ehernen Schlange – Zerstörung der ehernen Schlange durch Hiskia wegen Mißbrauchs) mit derselben Reihenfolge in einem Abschnitt bei Chemnitz überein.66 Chemnitz stellt zwischen dem Goldenen Kalb und dem ägyptischen Apiskult einen Zusammenhang her.67 Diese Verbindung kennt auch Arndt in Kap. III.68 Arndts Spekulation, die Verehrung eines Ochsen gehe auf ein Mißverständnis der »närrischen Ägypter« zurück, welche die bildlichen Darstellungen des Traums Pharaos von den fetten und mageren Kühen (Gen 41) später nicht mehr verstanden hätten, fehlt hingegen bei Chemnitz. Im III. Kapitel der ›Ikonographia‹ bemerkt Arndt ferner, daß »die Psalmen vnd Propheten nicht vnbillig der Götzen / vnd Götzendiener spotten / wie auch viel weise Heiden gethan / Numa / Seneca / vnd viel Christlicher Poeten / als Lactantius vnd Prudentius.«69
Bei Chemnitz finden sich nicht nur zahlreiche biblische Belegstellen für die Götzenkritik70, sondern er nennt auch die Kritik »weiser Heiden«71 und zitiert Nachrichten Plutarchs über den römischen König Numa (Pompilius)72, Augustins über Senecas Verspottung der Götterbilder73 und führt Äußerungen christlicher Autoren wie Laktanz und Prudentius an74, die von Arndt nur ganz summarisch genannt werden. Bei Chemnitz begegnet außerdem das von Arndt mit Stellenangabe aufgeführte Augustinzitat De civit. VIII, 23.75
Ikonographia, 15r; Examen, 771b. Examen, 771b. 68 Ikonographia, 16vf. 69 Ikonographia, 17r. 70 Examen, 768a. 71 Examen, 766a, 766b (sapientes apud etnicos bzw. inter gentes). 72 Examen, 764b. 73 Examen, 766a (Augustin, De civitate. VI, 10). 74 Examen, 765b. 75 Examen, 765a. 66 67
Zur Quellenkritik von Arndts ›Ikonographia‹
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Arndts Bemerkungen in Kap. III über Statuen, die Griechen und Römer ihren Philosophen errichteten, sind aus Chemnitz’ Erörterung »politischer Bilder« übernommen76, wie wörtliche Entsprechungen zeigen77. Die nach Konstantins Tod verbreiteten Bilder und die Zerstörung der Bilder Neros und Domitians, die Chemnitz in diesem Zusammenhang erwähnt, führt Arndt an späterer Stelle (Kap. V) 78 an. Arndts Ansichten über die Fehlentwicklung historischer Bilder zum Gegenstand von Abgötterei haben ihre Entsprechung bei Chemnitz79, nicht aber die Beispiele, die Arndt bringt und ebensowenig dessen Verweis auf Julius Firmicus (Maternus). Am Ende des III. Kapitels der ›Ikonographia‹ findet sich noch einmal ein von Chemnitz übernommener Gedanke, wenn Arndt den Bildermißbrauch als »gantz Ketzerisch« charakterisiert und als Beispiele »Simon Magus / vnd andere Ketzer« nennt.80 Auch Arndts Hinweis auf die rechte Anbetung Gottes »im Geist vnd in der Wahrheit« (Joh 4,23), der als Auftakt die Vorrede seiner Schrift eröffnete und in Kap. III wieder aufgenommen wird, spielt in der Argumentation bei Chemnitz eine wichtige Rolle.81 Geringfügig sind die Anklänge an Chemnitz’ ›Examen‹ im IV. und V. Kapitel der ›Ikonographia‹. Von Chemnitz stammt offensichtlich der Hinweis auf den Begriff ei)/dwlon in der Septuaginta-Wiedergabe von Ex 2082 sowie die Feststellung, daß nicht Bilder an sich, sondern ihr kultischer Mißbrauch verboten sei83. Auch die in diesem Zusammenhang begegnenden Hinweise auf die von Salomo (I Reg 6 und 7) angefertigten »Bildwerck« für den Tempel und den von den Rubeniten errichteten Altar (Jos 22) sind bei Chemnitz nachweisbar.84 Gleiches gilt für zwei Zitate: von Gregor dem Großen (bei Chemnitz in anderer Textfassung) 85 und Gregor von Nyssa86 (das bei Arndt noch ein zweites Mal an anderer Stelle erscheint87). Ikonographia, 19r; Examen, 764a. Arndt: »die Historien sind voll solcher Dinge«; Chemnitz: »Exemplorum plenae sunt omnes historiae«. Arndt: »Seulen und Bilder gesetzt [...] auch den Philosophis, Oratoribus vnd Poetis«; Chemnitz: »Philosophis, etiam, Oratoribus et Poetis statuis positae sunt«. 78 Examen, 764a; Ikonographia, 26v. 79 Ikonographia, 19r; Examen, 764b. 80 Ikonographia, 20v; Examen, 773a (weitere Gnostiker genannt). 81 Ikonographia, 20v; (so schon in der Vorrede: 2); vgl. Examen, 773a, 773b. 82 Ikonographia, 21v; Examen, 771a. 83 Ikonographia, 21v; Examen, 771a. 84 Ikonographia, 22r; Examen, 771b, 771a. 85 Ikonographia, 24r; Examen, 781a. 86 Ikonographia, 24r; Examen, 778a (PG 46, 737 CD). 87 Ikonographia, 30r (Kap. V; dazu s.u.). 76 77
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Wenn Arndt im V. Kapitel als Beispiel für göttliche Offenbarungen durch Bilder auf den Heiligen Geist »in Taubenbilde« und auf Jesus »im bilde eines Lämblein Apoc. 5. vnd 14« hinweist und das »Gesicht vnd Bilde« Apok. 1 anführt, läßt sich an eine entsprechende Stelle bei Chemnitz denken.88 Der jeweilige Kontext macht eine Entlehnung hier aber wenig wahrscheinlich.89 Schließlich begegnet bei Chemnitz einer der beiden von Arndt in Kap. V zitierten lateinischen Verse, »so auch zu Lactantij zeiten in brauch gewesen«. 90 Auf die Bemerkungen über Bilder Konstantins, Neros und Domitians, die Arndt hier aufnimmt, wurde schon hingewiesen.91 Die Untersuchung der Kap. I–V der ›Ikonographia‹ zeigt, daß Arndt die kleineren oder größeren Passagen, die er aus Chemnitz’ ›Examen‹ entlehnt, in bunter Reihung mit Stücken, die aus Paracelsus-Schriften stammen92, zusammenstellt und ineinanderfügt. Demgegenüber ergibt die Analyse der Kap. VI und VII einen anderen Befund. Hier ist das ›Examen concilii Tridentini‹ Arndts alleinige Quelle. Kap. VI besteht aus einem zusammenhängenden, von Chemnitz übernommenen Argumentationsgefüge. Es beginnt mit der Wiedergabe des EusebBerichts (Hist. eccl. VII,9)93 über die Statue Christi und der blutflüssigen Frau (Matth 9 parr.) zu Paneas 94, an die sich Nachrichten von Nicephorus und Sozomenos über diese Statue, sowie Aussagen Augustins und Tertullians über »historische Bilder« anschließen.95 Arndt übernimmt diesen ganzen Komplex – und zwar in dieser Reihenfolge – aus Chemnitz’ Kapitel »Historicus imaginum usus in primitiva ecclesia«96. Auch dessen Kommentierung der Euseb-Stelle übersetzt Arndt nahezu wörtlich.97 Zur Nennung Tertullians ergänzt Arndt – einem Rückverweis bei Chemnitz folgend – eine im ›Examen‹ früher erwähnte Bemerkung des Kirchenvaters (über die Darstellung Christi als des Guten Hir-
88 Ikonographia, 24rf.; Examen, 768b: »(Deus se ostendit) sub specie columbae, Matth. 3 et aliis variis formis, quae in Apocalypsi describuntur«. 89 Arndt geht es im V. Kap. um »imagines mysticae« (Ikonographia, 24r); der Begriff fehlt bei Chemnitz. Auch Arndts durchgängige Vorliebe für Typologie und Allegorie hat bei Chemnitz keine Entsprechung. 90 Ikonographia, 25v; Examen, 775b. Chemnitz bemerkt: »Sed carmen illud non est Lactantii, sed recentioris post Lactantium.« 91 S.o. Anm. 78. 92 Zu den Einzelnachweisen vgl. WEBER, 116–126. 93 So muß die Stellenangabe richtig lauten statt »li. I, cap. 14« (Ikonographia, 27v). 94 Ikonographia, 27v. 95 Ikonographia, 28rf. Sozomenos wird von Chemnitz, nicht aber von Arndt namentlich genannt. 96 Examen, 777a–b. 97 Ikonographia, 28v (2. Abs.); vgl. Examen, 777a.
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ten auf Kelchen).98 Das Mißverständnis Arndts, der die referierte Aussage Tertullians positiv umdeutet99, zeigt wiederum, daß die patristischen Belege nicht eigener Lektüre entstammen. Angehängt hat Arndt noch einen kurzen Hinweis auf Matth 22 (Münzbild des Kaisers), der bei Chemnitz gleichfalls, doch in anderem Kontext, begegnet.100 Ebenso wie das VI. ist auch das VII. Kapitel der ›Ikonographia‹, das über »die Historischen Gemehlde der Heiligen Märtyrer / so nach Constantini zeiten auffkommen sein«101 handeln soll, vollständig aus Chemnitz geschöpft. Es beginnt mit der Feststellung, daß nicht nur bis zur Zeit Konstantins »kein Bilde in den Kirchen / oder Christen Betheuser in Oratorijs gewesen / Sondern es haben auch etliche Väter / als Origenes / Clemens Alexandrinus / Clemens Romanus / Lactantius / vnd Epiphanius hart dawieder disputieret.«102
Arndt hat hier sect. IV, cap. I des ›Examen‹ vor Augen: »Historica observatio, quod in primitiva ecclesia imagines non fuerint adhibitae ad cultum divinum, imo quod ne quidem legantur in oratoria Christianorum admissae.«103
Ausführlich stellt Chemnitz dort Aussagen jener Autoren zusammen, die Arndt nur summarisch nennt.104 Wie bei der Erwähnung Tertullians in Kap. VI fügt er ad nomen »Epiphanius« ein Quellenstück ein105, das bei Chemnitz an anderer Stelle steht 106. Daran schließt Arndt, nun wieder zur Abfolge bei Chemnitz zurückkehrend und in enger Anlehnung an die Vorlage, eine Lampridius-Stelle an.107 98 Ikonographia, 29r; Examen, 775b. Es handelt sich um De pudicitia VII (PL 2, 1043 C; CSEL 20, 230). 99 Chemnitz: »parabolam Luc. 15 non de Christianis lapsis, sed de Ethnicis nondum conversis intelligendam inquit«. Arndt: »Wie denn Tertullianus davon vrsach nimpt / den Heiden zu predigen / das sie der Herre / als verlorne Schaffe / suche.« – Zur herangezogenen TertullianStelle vgl. ELLIGER (s.o. Anm. 37), 28. 100 Ikonographia, 28vf.; Examen, 772b (und Marginaltitel). 101 Ikonographia, 29r. 102 Ebd. 103 Examen, 773a. 104 Examen, 773a–774b. 105 Ikonographia, 28r. Es handelt sich um ep. 51,9 (CSEL 54,411). 106 Examen, 780a. 107 Ikonographia, 29rf.: »Denn die Heiden / so bekeret waren zum Christlichen Glauben / wolten auch Gott vnd Christum / durch Bilder anbeten / wie sie im Heidentumb gewonet / Wie Lampredius schreibet von Alexandro Severo / welcher der erste vnter den Römischen Keysern gewesen / der dem Herrn Christo etwas geneigter gewesen / das er vnter seinen Bildern / auch Christi Bilde gehabt / vnd geehret haben«. Examen, 774b: »qui enim ex gentibus convertebantur, verum etiam Deum in imaginibus per simulacra, seu ad statuas, sicut in Paganismo assueti fuerant, colere et adorare volebant, sicut Lampridius de Alexandro Severo, qui primus Imperatorum de Christianismo bene sentire coepit, scribit, quod domi in privato suo Larario, inter Idola, etiam Christi imaginem habuerit et coluerit.«
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Als Grund für die kritische Haltung der Kirchenväter gegenüber den Bildern nennt Arndt, »das vleissig zuverhüten sey / das die Christliche Religion / in eusserlichen dingen / die aller geringsten vergleichung nicht habe / mit der Heidnischen Religion / damit nicht die Heidnische Religion vnd Abgötterey / durch Bilder / bey den Christen wieder einschleiche.«108
Dies ist wieder fast eine wörtliche Übersetzung von Überlegungen, die Chemnitz anstellt.109 Auch das sich anschließende Laktanz-Zitat ist Chemnitz’ Materialsammlung entnommen.110 Dem von Arndt eingeschobenen Epiphanius-Quellenstück, das bei Chemnitz erst in einem späteren Zusammenhang begegnet, folgt dort ein Hinweis auf das Concilium Elibertinum (Synode von Elvira)111, den Arndt hier anfügt 112. Endlich kommt Arndt auf das in der Kapitelüberschrift angekündigte Thema, die – seit 380 aufkommenden113 – bildlichen Martyriumsdarstellungen. Das Resümee sowie die nachfolgenden Zitate von Gregor von Nyssa, Prudentius und wiederum Gregor von Nyssa114 stammen sämtlich aus Chemnitz, sect. II, cap. III (»Historica observatio, quando et quomodo imagines in templa receptae, et quis primum usus earum fuerit, quaeque postea consecuta sint«)115. Das VIII. Kapitel der ›Ikonographia‹, in dem Arndt die Legitimität religiöser Bilder aus der Bildersprache der Gleichnisse Jesu herleiten will, enthält einen längeren Abschnitt, der aus dem ›Examen‹ herrührt. Es handelt sich um die Schilderung des byzantinischen Bilderstreits, die Arndt – wenig sachgemäß – in diesem Kapitel unterbringt.116 Sein abschließendes Beispiel von den gefährlichen Folgen derartiger Auseinandersetzungen aus der ›Historia Tripartita‹117 sucht man allerdings bei Chemnitz vergeblich. Ikonographia, 29v. Examen, 773b: »Et ad praecidendam omnem idolatriae occasionem, ne Christiana religio cum Paganismo, qui simulacrorum cultu constabat, ullam haberet affinitatem, et ne Ethnicae superstitionis seminaria, occasione simulacrorum, vel in Ecclesiam irreperent, vel in animis conversorum remanerent, primitiva Ecclesia ne in oratoria quidem voluit Christi vel Sanctorum imagines recipere«. 110 Ikonographia, 29v; Examen, 775a. 111 Examen, 780a. 112 Ikonographia, 29v. 113 So auch Examen, 779a. 114 Ikonographia, 30r. Das Prudentius-Zitat hat Arndt bereits in Kap. I benutzt (s.o. Anm. 64); bei den Zitaten Gregors von Nyssa handelt es sich um PG 46, 737 CD und PG 46, 572 CD. 115 Examen, 779a. 116 Ikonographia, 31vf.; Examen, 783b–784a. Arndts Schilderung der Kaiserin Irene übersetzt die Vorlage fast wörtlich. 117 Ikonographia, 32r. Es handelt sich um PL 69, 1148f. 108 109
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Bei der Abfassung des IX. Kapitels hat Arndt das ›Examen‹ ganz beiseite gelegt. Es behandelt das Zeugnis der »Bilder / so jren vhrsprung aus der Natur haben / vnd viel Geistliche vnd Weltliche Hendel praesagiren.«118
Zu dieser Thematik fand er bei Chemnitz kein Material. Hier kommt mit Paracelsus, Heinrich Khunrath und Agrippa von Nettesheim eine andere Tradition, in der Arndt steht, zu Wort.119 Wenn auch im X. und XI. Kapitel der ›Ikonographia‹ das ›Examen‹ als Quelle kaum noch eine Rolle spielt, so ist das im Wechsel des Gegenstandes begründet. Arndt verläßt die Bilderfrage, um sich den »Zeremonien« des Kreuzeszeichens und des Kniebeugens zuzuwenden. Wenige, aber nicht eindeutig nachweisbare Spuren begegnen in Kap. X. So wird die Kreuzesvision Konstantins 120 zwar auch von Chemnitz angeführt; doch die Entlehnung von dort ist nicht sicher, da Arndt in diesem Zusammenhang Begebenheiten berichtet (himmlisches Kreuzeszeichen als Warnung an Konstantins arianischen Sohn; vom Himmel fallende Kreuzlein nach Maßnahmen von Julian Apostata)121, die im ›Examen‹ nicht vorkommen. Hingegen finden sich bei Chemnitz ein Cyrill-Zitat über das christliche Kreuzeszeichen ebenso wie der Verweis auf eine Augustin-Stelle, die von Arndt angeführt werden.122 Weitere Augustinund Hieronymus-Belege, die er nennt123, fehlen aber wiederum bei Chemnitz. Das XI. Kapitel, das stark von der Auseinandersetzung mit Calvin124 geprägt ist, weist gar keine Entlehnungen aus dem ›Examen‹ auf.
V Unserem Nachweis, daß und in welchem Ausmaß Johann Arndt in seiner ›Ikonographia‹ aus Martin Chemnitz’ ›Examen concilii Tridentini‹ als Quelle schöpft, müßte in weiteren Arbeitsgängen eine sorgfältige »redaktionsgeschichtliche« Untersuchung folgen. Sie hätte aufzuzeigen, wie Arndt seine Vorlage auswählt und verarbeitet und im Wechsel mit anderen Quellen in seine Schrift einfügt, sowie der Frage nachzugehen, welche Funktion die PassaIkonographia, 32v. Vgl. WEBER, 127–140. 120 Ikonographia, 38vf.; Examen, 778a–b. 121 Ikonographia, 40r. 122 Ikonographia, 40v; Examen, 780b, 780a. 123 Ikonographia, 40v. Arndt nennt: Augustin, De doctrina christiana III, 8–9; Augustin, De civitate XXII; Hieronymus, ep. ad Eustachium. 124 Die Klärung der Frage, auf welche Schrift(en) Calvins sich Arndt bezieht und woher seine Kenntnisse stammen, muß einer künftigen Untersuchung vorbehalten bleiben. 118 119
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gen aus dem ›Examen‹ im Gesamtrahmen des Werkes haben. Diese Arbeit, die unter Einbeziehung der anderen bekannten sowie der noch nicht beachteten 125 Quellen am besten im Zusammenhang einer kritischen Edition der ›Ikonographia‹ durchzuführen wäre, kann hier nicht geleistet werden. Wir müssen uns auf einige vorläufige Beobachtungen beschränken. Im Vergleich zu Chemnitz’ Behandlung der Bilderfrage, die in Aufbau und Gliederung sorgfältig ausgereift und gedanklich stringent durchgeführt ist, erweckt Arndts ›Ikonographia‹ schon bei der ersten Lektüre den Eindruck einer aus aktuellem Anlaß rasch konzipierten und niedergeschriebenen Gelegenheitsschrift. Es wäre gewiß zu hart geurteilt, wollte man eine Bemerkung Arndts über einen seiner Briefe, den er als »mit fliegender Feder mehr hingeworfen als geschrieben« (volante calamo fusas potius quam scriptas) bezeichnet126, auf die ›Ikonographia‹ anwenden. Aber eine solche Charakteristik enthielte doch ein Körnchen Wahrheit. Denn die zahlreichen Überschneidungen und Wiederholungen127, die ungeschickte Plazierung einzelner Stücke128, die Diskrepanz zwischen Kapitelüberschriften und Inhalt 129 und die zuweilen fehlende systematische Klarheit der Argumentation lassen die geschwinde Konzipierung und die schnelle Abfolge der Niederschrift erkennen. Ein entsprechendes Indiz dafür ist ferner, daß Arndt in dem Zwischentitel nach der Vorrede noch zehn Kapitel ankündigt130, schließlich aber elf Kapitel zu Papier bringt. Auf dem Hintergrund dieser Beobachtungen muß auch Arndts Umgang mit seinen Quellen gesehen werden. Sowohl bei der Gesamtkonzeption seiner Schrift wie bei der Quellenbenutzung in den einzelnen Kapiteln tritt ein kompilatorisches und eklektisches Vorgehen zutage. Es handelt sich um das gleiche Verfahren, das aus den quellenkritischen Analysen seiner später in Braunschweig verfaßten ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ schon hinlänglich bekannt ist.131 Bei dem Vergleich mit Chemnitz’ ›Examen‹ muß beachtet werden, daß Arndts Erörterung der Bilderfrage einen anderen historischen Ort hat: Ist Chemnitz’ Werk aus der Kontroverse mit dem tridentinischen Katholizismus
S.o. Anm. 36 und Anm. 124. Brief an Johann Gerhard vom 15.3.1603; erstmals abgedruckt bei [Wilhelm Ernst TENTZEL,] Monatliche Unterredungen [...], Leipzig 1690, 623–625, seither öfter nachgedruckt; vgl. SCHNEIDER, Makarianische Homilien, Anm. 57. 127 Auf einige Beispiele wurde oben hingewiesen. 128 S.o. die Bemerkung über die Einfügung der Schilderung des byzantinischen Bilderstreits in Kap. VIII. 129 Z.B. Kap. VII. 130 Ikonographia, 12v. 131 Vgl. WEBER, passim. 125 126
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erwachsen132, so gehört Arndts Schrift in den Kontext innerprotestantischer Auseinandersetzungen um die sog. ›zweite Reformation‹133; er schreibt aus der persönlichen Betroffenheit eines exilierten Pfarrers, der die calvinisierende Kirchenpolitik in seiner anhaltischen Heimat aus dem benachbarten Ausland mit Sorge beobachtet. Arndt stimmt theologisch mit Chemnitz’ Behandlung der Bilderfrage in den wesentlichen Grundzügen überein, wenn es ihm auch an dessen dogmatischer Präzision mangelt. Das ›Examen‹ bietet ihm eine reiche Fundgrube für Stoffdarbietung und Argumentation. Häufig resümiert Arndt die ausführlichen Darlegungen nur recht summarisch, an anderen Stellen reproduziert er seine Quelle in fast wörtlicher Übersetzung.134 Auch dieses Verfahren begegnet später wieder in der Art und Weise, wie er in den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ seine Quellen verarbeitet.135 Für Arndts naturphilosophisch-spekulative Interessen – für die gerade die Bilderfrage nicht ohne Relevanz ist 136 – ist in Chemnitz’ ›Examen‹ kein Argumentationsmaterial zu finden. Doch nicht nur deswegen läßt Arndt die paracelsistische Tradition zu Wort kommen, sondern auch, weil er in ihr seit seiner Basler Studienzeit beheimatet war.137 Für alle Benutzung von Quellen in der ›Ikonographia‹ aber gilt, daß Arndt sie in den aktuellen Bezugsrahmen seiner Auseinandersetzung mit »den Calvinisten«138 einspannt und ihr dienstbar macht.
132 Vgl. dazu die älteren Arbeiten von Hermann HACHFELD, Martin Chemnitz nach seinem Leben und Wirken, insbesondere nach seinem Verhältnisse zum Tridentinum, Leipzig 1867, und Reinhard MUMM, Die Polemik des Martin Chemnitz gegen das Konzil von Trient, I, Leipzig 1905. 133 Die Referate eines diesem Thema gewidmeten Symposiums des Vereins für Reformationsgeschichte werden demnächst in SVRG erscheinen. [Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation« (SVRG 195), Gütersloh 1986.] 134 Beispiele in Anm. 51, 77, 107, 109, 116. 135 WEBER, passim. 136 Vgl. WEBER, 117, 127ff. 137 WEBER, 32ff. In dem von mir entdeckten Brief an Zwinger (s.o. Anm. 13) gibt sich Arndt als Paracelsus-Anhänger zu erkennen. Dies wird bestätigt durch einen weiteren von mir aufgefundenen Brief des Paracelsisten Gabriel Penot an Arndt aus dem Jahre 1581. Über beide Briefe soll an anderer Stelle berichtet werden. 138 Sie wird in dem o.g. Brief Arndts an Piscator dramatisch geschildert: »[...] persecutiones a Calvinistis passus miserabiles, ejectus ex patria, Principatu nempe Anhaltino, ingruente Calvinismo, cum septem annos inter varias Calvianorum insidias in patria docuissem« (GLEICH, 3); dann folgt die zitierte Erwähnung der Ikonographia: »et contra Ikonomaxi/an Anhaltinam scripsissem.« – In der Ikonographia genannt bzw. zitiert werden Calvin (42, 42v, 43, 43v) und Beza (22, 22v, 23, 23v, 24, 25).
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VI Die Entdeckung einer Abhängigkeit der ›Ikonographia‹ Arndts von Chemnitz’ ›Examen‹ markiert das Jahr 1596 als terminus ad quem für eine literarische Bekanntschaft Arndts mit Chemnitz. Diese ist also sicher vor Arndts Braunschweiger Zeit erfolgt, und die Diskussion um seinen theologischen Studiengang erhält neue Nahrung. Mit der Entdeckung des ›Examen‹ als Vorlage Arndts wird erstmals die breitere139 Benutzung einer lutherischen Quelle in seinen Schriften aufgewiesen – nach den von der Forschung bereits identifizierten Quellen spätmittelalterlich-mystischer oder spiritualistischer Provenienz. Einigermaßen rätselhaft bleibt nur, warum Arndt ihn an keiner Stelle namentlich nennt und sich auf ihn beruft. Mochte solche Spurenwischerei in anderen Fällen angezeigt sein, so läßt sich hier nur schwer ein Motiv finden. Wollte er die Tatsache der literarischen Abhängigkeit, deren Umfang der Leser dann leicht hätte erkennen können, verschleiern? Wie dem auch sei – bereits in der ›Ikonographia‹ tritt mit der eklektischen Kompilation von Quellenmaterial aus heterogenen Traditionen ein für Arndts Schriften charakteristischer Sachverhalt zutage. Und so bietet die quellenkritische Analyse dieses frühen Werkes wichtige Mosaiksteine, um ein Gesamtbild der theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Stellung Arndts140 gewinnen zu können.
139 Auf kleinere Entlehnungen aus Luthers Schrift ›Von der Freiheit eines Christenmenschen‹ in den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ (II, 11 und III, 3) hat Albrecht RITSCHL (s.o. Anm. 3), II, 51 aufmerksam gemacht. 140 Vgl. zu einem zentralen Aspekt den Aufsatz von Berndt HAMM, Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus, PuN 8 (1982), 43–73.
JOHANN ARNDT ALS LUTHERANER? Die herausragende kirchengeschichtliche Bedeutung Johann Arndts ist längst bekannt: Er ist die »einflußreichste Gestalt der lutherischen Christenheit seit den Tagen der Reformation«.1 Er steht – mit den weit weniger einflußreichen Philipp Nicolai und Valerius Herberger – am Anfang einer neuen Frömmigkeit im Luthertum, der »pietistischen« Frömmigkeit.2 Seine Vier Bücher von wahrem Christentum zählen nicht nur – Luthers Schriften überflügelnd – zu den meistgelesenen Werken des 17. Jahrhunderts, sondern mit der Nachfolge Christi und Bunyans Pilgerreise zu den Bestsellern der christlichen Weltliteratur überhaupt.3 Zu dieser Bedeutung steht freilich der Grad seiner Erforschung in einem krassen Mißverhältnis. Wir stehen »in der Arndtforschung noch immer in den Anfängen«, stellte Johannes Wallmann 1980 fest 4, und dieses Urteil gilt trotz der Fortschritte, die einige neuere Arbeiten5 gebracht ha1 Hilding PLEIJEL, Die Bedeutung Johann Arndts für das schwedische Frömmigkeitsleben, in: Heinrich BORNKAMM / Friedrich HEYER / Alfred SCHINDLER (Hgg.), Der Pietismus in Gestalten und Wirkungen. Fs. Martin Schmidt, Bielefeld 1975, 383–394, hier 394; vgl. auch Johannes WALLMANN, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum, Chloe 2 (1984), 50–74, hier 52ff. 2 Zur Unterscheidung von pietistischer Frömmigkeit und Pietismus als sozial faßbarer Bewegung vgl. Johannes WALLMANN, Die Anfänge des Pietismus, PuN 4 (1977/78), 11–53, bes. 53. 3 Für die Zeit von 1605 bis 1800 ergibt allein eine Kollationierung der bei Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (NSGTK 13), Berlin 1912 [Reprint: Aalen 1973], 302–306, im Preußischen Gesamtkatalog und im General Catalogue des British Museum erwähnten Drucke eine Zahl von über 200 Ausgaben des Wahren Christentums. 4 Johannes WALLMANN, Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt, PuN 6 (1980), 9–32, hier 17. 5 Eric LUND, Johann Arndt and the Development of a Lutheran Spiritual Tradition, Diss. Yale Univ. 1979; Herbert WIMMEL, Sprachliche Verständigung als Voraussetzung des »Wahren Christentums«. Untersuchungen zur Funktion der Sprache im Erbauungsbuch Johann Arndts (Kasseler Arbeiten zur Sprache und Literatur 10), Frankfurt/M. / Bern 1981; Berndt HAMM, Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus, PuN 8 (1982), 43–73; Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und die makarianischen Homilien [s.o. in diesem Band]; WALLMANN, Rezeption (wie Anm. 1); DERS., Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit, JHKGV 35 (1984), 371–379; DERS., Einflüsse der Schweiz auf die Theologie und das religiöse Leben des deutschen Luthertums im konfessionellen Zeitalter 1580–1650, in: Martin BIRCHER (Hg.), Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580–1650 (Wolfenbütteler Barockforschungen 12), Wiesbaden 1984, 203–226, hier 209–211; Wolfgang SOMMER, Johann Arndts Wirken in Celle als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg und Herzog Christian d.Ä. von Braunschweig-Lüneburg, Celler Chronik 2 (1985), 7–38; DERS., Johann Arndt und Joachim Lütkemann – zwei Klassiker der lutherischen Erbauungsliteratur in Niedersachsen, JGNSKG 84 (1986), 123–144; Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und Martin Chemnitz. Zur Quellenkritik von Arndts »Ikonographia« [s.o. in diesem Band]; Bengt ARVIDSSON, Kontinuitetstanken i Johann Arndts teologiska miljö, KHÅ 87 (1986), 63–71; Christian BRAW, Bücher im Staube. Die Theologie Johann Arndts in ihrem Verhältnis zur Mys-
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ben, leider noch heute. Die ungelösten Forschungsprobleme beginnen mit ungeklärten biographischen Fragen – vor allem im Blick auf seine Studienzeit6 – und reichen über Umfang7 und Quellen seines literarischen Werkes bis zur erst partiell erhellten Wirkungsgeschichte8. Es gibt weder eine heutigen Anforderungen entsprechende Biographie9 noch eine kritische Bibliographie der Arndt-Drucke. Für eine kirchengeschichtliche Würdigung Arndts ist die Frage von zentraler Bedeutung, ob der meistgelesene und wirkungsmächtige Autor des Luthertums auch als Lutheraner zu betrachten ist und ob er eine lutherische Theologie vertreten hat. Und: steht die von ihm begründete Frömmigkeit in einem Zusammenhang mit dem Prozeß der lutherischen Konfessionalisierung? Stellt sie eine Reaktion auf diese dar, ist sie Ausdruck einer »Frömmigkeitskrise«10 im Luthertum und muß ihre Wirkung unter dem Stichwort »Irenik« 11 zu den entkonfessionalisierenden Tendenzen gerechnet werden? Nun kann kein Zweifel daran bestehen, daß Arndt sich selbst zeitlebens als Lutheraner betrachtet hat. Sein Wirken als Pfarrer und dann als Generalsuperintendent bewegt sich ganz in dem äußeren Rahmen lutherischer Kirchlichkeit.12 Gegenüber Verdächtigungen seines Wahren Christentums hat er immer wieder betont, daß er auf dem Boden der Bekenntnisschriften stehe13; von Kindesbeinen an sei er der »sana religio« zugetan, und mit Stolz konnte er dartik, Leiden 1986; DERS., Das Gebet bei Johann Arndt, PuN 13 (1988), 9–24; Wolfgang SOMMER, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der Orthodoxie (FKDG 41), Göttingen 1988. 6 Vgl. dazu Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim 31978, 21–35. 7 Mindestens zwei (frühe) Schriften (De magis ex oriente; De origine sectarum) sind verschollen, bei anderen ist ihre Echtheit noch nicht abschließend geklärt; die verstreute Korrespondenz und die gedruckten Predigten sind noch nicht vollständig erfaßt. 8 Vgl. WALLMANN, Herzog August (wie Anm. 4), 18. 9 Die einzige ausführliche Darstellung stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland General-Superintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838. In einigen Fragen weiterführend: Friedrich Julius WINTER, Johann Arnd, der Verfasser des »Wahren Christentums«. Ein christliches Lebensbild (SVRG 101/102), Leipzig 1911. 10 Winfried ZELLER, (Einleitung zu:) Der Protestantismus im 17. Jahrhundert (KlProt 5), Bremen 1962, wieder abgedr. in: DERS., Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze, I (MThSt 8), Marburg 1971, 85–116; HAMM (wie Anm. 5), 45f. Vgl. auch Berndt JASPERT, »Krise« als kirchengeschichtliche Kategorie, in: DERS. - Rudolf MOHR (Hgg.), Traditio – Krisis – Renovatio aus theologischer Sicht. Fs. W. Zeller, Marburg 1976, 24–40. 11 Vgl. den Titel der Arbeit WEBERS (s.o. Anm. 5). 12 Vgl. die in Anm. 5 genannten Arbeiten von SOMMER und DERS., Johann Arndt im Amt des Generalsuperintendenten in Braunschweig-Lüneburg, in: Hans-Christoph Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992, 299–311. 13 »Daß Arndt’s Anerkennung der lutherischen Bekenntnisse aufrichtig war, steht außer Zweifel.« Albrecht RITSCHL, Geschichte des Pietismus, II, Bonn 1884 [Reprint: Berlin 1966], 52.
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auf hinweisen, daß er von den Calvinisten verfolgt und aus seinem Vaterland Anhalt vertrieben worden sei und sogar gegen die calvinistische Bilderstürmerei geschrieben habe.14 Folgen wir Arndts Hinweis und werfen zunächst einen Blick auf seine Biographie und sein literarisches Werk. Im Blick auf unsere Fragestellung muß Arndts Studiengang auf besonderes Interesse stoßen. Hier ist die Forschungslage freilich besonders desolat.15 In den Personalia, die der Leichenpredigt auf Arndt beigegeben sind, werden ohne nähere zeitliche Angaben vier Studienorte genannt: Helmstedt, Wittenberg, Straßburg und Basel.16 In Helmstedt wurde Arndt am 20. April 1575 immatrikuliert 17 und hielt sich hier mindestens bis zum 14. Februar 1577 auf 18. Im Januar 1579 erscheint er in der Basler Matrikel.19 Dazwischen, also von Frühjahr 1577 bis Ende 1578 muß das Studium in Wittenberg und Straßburg liegen. Während sein Aufenthalt in Straßburg durch eine Äußerung Arndts gesichert ist 20 – die Matrikeln sind erst von 1625 an erhalten –, gibt es außer der 14 »Nihil autem me scripsisse animo a vera religione Augustanae Confessionis et Formulae Concordiae alieno, aut studio ferendi, multo minus defendendi, opiniones pugnantes, cum scriptis huius ecclesiae symbolicis, testor kardiognw/sthn D[eum] O[ptimum] M[aximum]. [...] Servio ecclesiae Christi iam annos viginti quatuor, a puero sanae religioni addictus, calamitates varias expertus, persecutiones a Calvinistis passus miserabiles, eiectus ex patria, principatu nempe Anhaltino, ingruente Calvinismo, cum septem annos inter varias Calvinianorum insidias in patria docuissem, et contra Ikonomaxi/an Anhaltinam scripsissem.« Arndt an Petrus Piscator, 14.1.1607, in: Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndtianum [...], Wittenberg o.J. [1714], 1–7, hier 2f. »Certo igitur, vir clarissime, tibi persuadeas velim, me ab ineunte aetate usque ad multam canitiem (egressus enim ferme iam sum Dei gratia annum sexagesimum quintum) nulli errori in Augustanam Confessionem et Formulam Concordiae impingenti, verbo imprimis divino adversanti fuisse addictum, meque ex patria Anhaltina propter repudiatum Calvinismum esse eiectum.« Arndt an Balthasar Mentzer, 23.10.1620, in: [Melchior BRELER (Hg.)], Warhafftiger / Glaubwürdiger und gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christenthumb [...], Lüneburg 1625, 66. 15 Die Angaben der älteren Arndt-Literatur hat WEBER (wie Anm. 6), 21–35 einer kritischen Revision unterzogen. 16 Wilhelm STORCH, Christliche Leich=Predigt / [...] Bey der Begräbnüß des weyland Ehrwürdigen und Hochgelahrten Herrn Johann Arndts [...], Lüneburg 1621, 62 [SUB Göttingen]. 17 Paul ZIMMERMANN (Bearb.), Album Academiae Helmstadensis, I/1, Hannover 1926, 5. 18 Eintrag im Karzerbuch (Z IMMERMANN, 5; vgl. WEBER, 23). 19 Hans Georg WACKERNAGEL (Hg.), Die Matrikel der Universität Basel, II: 1532/33 – 1600/07, Basel 1956, 265, Nr. 94: »Joannes Aquila Ballenstettensis Saxo«. Daß es sich um Johann Arndt handelt, hat zuerst Ernst STAEHELIN, Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi, IV, Basel 1957, 110, bemerkt; vgl. WEBER, 29 (ohne Kenntnis von Staehelin). Zu Arndts Studium in Basel vgl. WEBER, 29–35 und WALLMANN, Einflüsse (wie Anm. 5), 209–211. 20 Ikonographia, Halberstadt o.J. [1597], f. 33vf.: »Dergleichen Bildtwerck ist zu Straßburg im Münster in stein gehauen: Nemlich zweene Esel in Münchs=Kappen / tragen den Pabst in einer Sänffte / und andere zween Esel / stehen für dem Altar / und halten Messe. Und ist dieses Bildewerck so alt / das es auch zur zeit / da das Münster fundiret und gebauet / Anno tausent und sechse / in des gewaltigen Gebeu des Mauerwerckes / an grossen Merckstücken ist mit eingefaßt
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Nachricht in der Leichenpredigt keine Quellenzeugnisse über sein Studium in Wittenberg; Arndt fehlt auch in der Wittenberger Matrikel. Gleichwohl wird man deshalb nicht mit Weber21 Wittenberg aus der Liste der Studienorte streichen dürfen. Daß Studenten nicht in der Matrikel verzeichnet sind, begegnet im 17. und 18. Jahrhundert häufiger;22 auch der Name Philipp Nicolais fehlt in der Wittenberger Matrikel, obwohl er dort studiert hat. Doch das Zeugnis der Leichenpredigt Arndts ist ein gewichtiges Argument.23 Wann genau und wie lange er in Wittenberg war, ist einstweilen unbekannt, und desgleichen, ob er bei Polycarp Leyser hörte und gar, wie man aus einem späteren Brieffragment 24 geschlossen hat, mit ihm freundschaftlich verbunden war.25 Auch bei Arndts Studien in Straßburg26 tappen wir im dunkeln. Hat er bei Marbach und Pappus studiert oder war er ein Anhänger Johann Sturms oder ist er – wie Weber27 vermutet – sowohl von jenen wie von diesem beeinflußt worden? Gerade diese Jahre, die für uns im dunkeln liegen, wären für Arndts theologische Entwicklung von großer Bedeutung. In Helmstedt ist er wahrscheinlich über das Studium der artes noch nicht hinausgekommen.28 Wenn er 1577 nach Wittenberg wechselte und hier Theologie studierte, kam er in eine Fakultät, die mit dem Amtsantritt Polycarp Leysers wieder ein dezidiert lutherisches Geprä-
/ Hernach ist es zu Straßburg offt auff Pappier abgerissen / und nachgedruckt / Wie ichs daselbst offt gesehen.« Es handelt sich um ein 1576 erschienenes Flugblatt Johann Fischarts, das den (im 17. Jahrhundert entfernten) Tierplastiken an den Säulenkapitellen gegenüber der Kanzel einen antikatholischen Sinn unterlegte; vgl. Wolfgang HARMS / Beate RATTAY, Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg), Coburg 1983, 38f., Nr. 19. 21 WEBER, 23–25. 22 Vgl. Heinz SCHNEPPEN, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben, Münster 1960, 9. 23 Vgl. Alfred SCHLEISING, Die Glaubwürdigkeit der Leichenpredigten des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Untersuchung über den Quellenwert einer Literaturgattung, Mitteilungen des Roland 26 (1941), 54–58; 27 (1942), 1–18 (frdl. Hinweis von Rudolf LENZ, Marburg). – Die Leichenpredigt auf Arndt blieb WEBER unbekannt. 24 Arndt an Polykarp Leyser, Quedlinburg, 1592 Sep 19; zuerst abgedruckt bei Polycarp LEYSER [III.], Officium pietatis, Leipzig 1706, 28; danach bei Gottlieb WERNSDORF (PRAES.), Arndtianos de Vero Christianismo libros [...] examinabit Petrus Elers [...], Wittenberg 1714, 7 (Auszug); Gottfried Balthasar SCHARFF, Supplementum historiae litisque Arndianae [...], Wittenberg 1727, 26f. (Auszug). 25 August THOLUCK, Lebenszeugen der lutherischen Kirche aus allen Ständen vor und während der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Berlin 1859, 265–269; F. ARNDT (wie Anm. 9), 19; KOEPP (wie Anm. 3), 19; WINTER (wie Anm. 9), 3. 26 Zur Straßburger Hochschule vgl. Anton S CHINDLING, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt (VIEG 77), Wiesbaden 1977. 27 WEBER, 26–28. 28 WEBER, 21–23.
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ge bekam.29 Und in Straßburg begannen 1577 die heftigen theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um die Annahme der Konkordienformel, die in heftigen Fehden zwischen Marbach/Pappus und Sturm ausgetragen wurden30 und auch zu einer Polarisierung in der Studentenschaft führten, die sich in Straßenkrawallen entlud.31 Die Unklarheiten über Arndts Studium werden aber noch verstärkt durch zwei von mir gefundene Briefe aus seiner Basler Zeit. Den ersten, an den Medizinprofessor Theodor Zwinger gerichtet,32 unterzeichnet Arndt als »stud. med.«; er erweist sich hier als glühender Verehrer des Paracelsus. Ein anderer Brief an Arndt aus dem Jahre 1581 stammt von dem später berühmten französischen Paracelsisten und Alchemisten Bernard Gabriel Penot 33, der Arndt als Gesinnungsfreund behandelt; er ist abgedruckt in einer 1582 in Lyon erschienenen Ausgabe von medizinischen Schriften des Paracelsus.34 Penot stand später in Verbindung mit dem Danziger Paracelsisten, dem Arzt Alexander von Suchten35. Durch diese Nachrichten gewinnt eine Aussage Johann Gerhards über Arndt an Gewicht. In einem Brief an Nikolaus Hunnius nennt er als einen Grund für die ungewöhnlichen und gefährlichen Formulierungen im Wahren Christentum, daß Arndt sich an den Universitäten hauptsächlich der Medizin gewidmet und sich eine Urteilsfähigkeit in theologischen Streitfragen durch den Besuch von Vorlesungen
29 August THOLUCK, Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs, 127ff.; DERS., Lebenszeugen 254ff. 30 Johann A DAM, Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg bis zur franzoesischen Revolution, Straßburg 1922, 343ff. 31 ADAM, 347. 32 UB Basel, Frey-Gryn. II 4 Nr. 11. 33 Bernard Gabriel Penot de Sainte Marie (Bernardus Gabrielus Penotus Londrada a portu Sanctae Mariae Aquitanus); imm. Basel 1579 (WACKERNAGEL [wie Anm. 19], 273, Nr. 68). Werke: Denis Jan DUVEEN, Bibliotheca alchemica et chemica, London 1965, 464f. 34 Bernard Gabriel Penot an Arndt (»Iohanni Aquillae Saxoni«); Genf, 15.8.1581, in: Philippus Aureolus Theophrastus PARACELSUS, Centum quindecim curationes experimentaque [...] o.O [Lyon] 1582, 73[89]–77[93]; ausführliche Druckbeschreibung des Werkes und Bibliotheksnachweise bei Karl SUDHOFF, Bibliographia Paracelsica. Besprechung der unter Hohenheims Namen 1527–1893 erschienenen Druckschriften, Graz 1958, 328–331; SUDHOFF bezeichnet den Brief, dessen Adressaten er nicht identifiziert, als wichtiges Dokument für die Geschichte des Paracelsismus. 35 Ca. 1520 – ca. 1590. Vgl. Karl SUDHOFF, Ein Beitrag zur Bibliographie der Paracelsisten im 16. Jahrhundert, ZfB 10 (1893) 316–326, 385–407, hier 391–400; Wilhelm HABERLING, Alexander von Suchten, ein Danziger Arzt und Dichter des 16. Jahrhunderts, Zeitschrift des westpreußischen Geschichtsvereins 69 (1929) 175–228 (Bibliographie); Will-Erich PEUCKERT, Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie, Stuttgart 1936, 288–298; Wlodzimierz HUBICKI, Alexander von Suchten, Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, 44 (1960) 54–63. – In dem o.g. Werk, in dem Penot seinen Brief an Arndt abdruckt, nimmt er auch (ohne Verfasserangabe) Suchtens »Regulae seu Canones [...] de L[apide] Philosophico« auf.
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und Teilnahme an Disputationen nicht gebildet habe.36 Ein medizinisches Nebenstudium war zwar bei Theologen des 17. Jahrhunderts nicht selten37; man könnte aber zugespitzt fragen, ob Arndt nicht die Theologie als Nebenstudium betrieben hat. Es ist immerhin auffällig, daß er etwa Zwinger als seinen Lehrer mit höchstem Lob bedenkt, während er in seinen Werken und Briefen nie einen theologischen Lehrer nennt oder auf sein Theologiestudium rekurriert. Das ist besonders erstaunlich in den autobiographischen Passagen seiner apologetischen Briefe an Petrus Piscator und Balthasar Mentzer, in denen Arndt nur auf seine pfarramtliche Tätigkeit hinweist.38 Gängige theologische Lehrbücher erscheinen im Briefwechsel Arndts niemals, häufig dagegen medizinische Schriften bekannter Paracelsisten.39 Am 30. September 1583 wurde Arndt in Bernburg/Anhalt ordiniert.40 Leider gibt es für Bernburg nicht – wie für Zerbst und Dessau – Ordiniertenbücher41, in die kurzgefaßte Lebensläufe der Ordinanden eingetragen wurden. 1585 unterschrieb Arndt das noch streng lutherische Anhalter Bekenntnis vom Abendmahl42 »manu et corde«.43 Als dann 1590 mit der Abschaffung des Taufexorzismus die »zweite Reformation« in Anhalt eingeläutet wurde, widersetzte er sich und nahm die Landesverweisung in Kauf,44 und als sich fünf Jahre später die Vermutung bestätigte, die Abschaffung des Exorzismus sei nur der Auftakt zu weiteren Maßnahmen gewesen, und nun Altäre, Bilder und Kruzi36 »[...] quod in Academiis Medicinae potissimum fuerit deditus nec judicium de controversiis Theologicis audiendis praelectionibus et habendis disputationibus formaverit« (Brief vom 2.2.1625 an Nikolaus Hunnius, abgedruckt bei GLEICH, Trifolium Arndianum [wie Anm. 14] 13). 37 Beispiele gibt Erdmann Rudolph FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi [...], Leipzig 1723, 22. 38 S.o. Anm. 14. 39 In Briefen an Johann Gerhard nennt Arndt: Josephus QUERCETANUS (= Joseph Duchesne d’Armagnac), Tetras gravissimorum capitis affectuum, Marburg 21609 (Georg Martin RAIDELIUS [ed.], Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740, 81); QUERCETANUS, Pharmacopaea restituta, Paris 1607 (RAIDEL, 81); Petrus Severinus DANUS (Peter S. Sørensen), Idea Medicinae Philosophicae [...], Basel 1571 (RAIDEL, 5; zu Sørensen vgl. SUDHOFF, Beitrag 402f.), Joannes FERNELIUS [Hofarzt Heinrichs II. von Frankreich; Opera, I– II, Frankfurt/M. 1587] (RAIDEL, 5). – Ein Lesehinweis auf Petrus Severinus Danus findet sich auch in den Erläuterungen zum Sendschreiben an Erasmus Wolfart (s.u. Anm. 56). Vgl. auch WEBER (wie Anm. 6), 212, Anm. 32. 40 Nach Arndts eigener Angabe in seinem 1. Testament von 1610 (häufig abgedruckt, z.B. SCHUBART [s.u. Anm. 43], 461f.). 41 Heinrich BECKER, Des Zerbster Superintendenten Wolfgang Amling Ordinationen. 1578– 1606, ThStKr 70 (1897), 112–163; Hermann GRAF, Die Anhaltischen Ordiniertenbücher, Anhaltische Geschichtsblätter 8/9 (1932/33), 87–98. 42 Abgedruckt bei Heinrich DUNCKER, Anhalts Bekenntnisstand [...], Dessau 1892, 247f. (Beil. A). 43 Friedrich Wilhelm SCHUBART, Johann Arndt. Ergänzungen und Berichtigungen zu der Geschichte seines Lebens und Wirkens in Anhalt, NKZ 9 (1898), 456–472, hier 463. 44 SCHUBART, 464–467.
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fixe aus den Kirchen entfernt wurden, verfaßte Arndt im Ausland seine Schrift ›Ikonographia‹ 45 gegen die calvinistischen Bilderfeinde. Diese Schrift, die in die literarischen Kontroversen um die »zweite Reformation« in Anhalt gehört,46 ist für Arndts Position signifikant: Die Entdeckung, daß Arndt einen Großteil seiner Argumentation ohne Namensnennung aus Martin Chemnitz ›Examen Concilii Tridentini‹ schöpft,47 scheint für den lutherischen Charakter dieses Frühwerkes zu sprechen. (Die Pointen der Argumentation von Chemnitz hat Arndt allerdings oft nicht erkannt.) Freilich sind damit verbunden, z.T. regelrecht ineinander verwoben, Auszüge aus verschiedenen Paracelsus-Schriften 48 sowie weiterer heterodoxer, theosophischer Literatur: Neben Agrippa von Nettesheim49 wird von Arndt »ein fürtrefflicher Philosophus / und Naturkündiger« mit »seinem herrlichen und wunderbarischen Amphitheatro sapientiae divinae et humanae« genannt.50 Es handelt sich um ein Werk51 Heinrich Khun45 Ikonographia. Gründtlicher und Christlicher Bericht / Von Bildern / jhrem uhrsprung / rechtem gebrauch und mißbrauch / im alten und neuen Testament: Ob der mißbrauch die Bilder gar auffhebe: Was dieselbe für ein gezeugnuß in der Natur haben / in Geistlichen und Weltlichen Sachen: Von der Ceremonia oder Zeichen des Creutzes: Auch von der eusserlichen Reverentz und Ehrerbietung gegen dem hoch-gelobten Namen Jesu Christi / unsers einigen Erlösers und Ehren-Königes. [...] Halberstadt o.J. [1597]. 46 DUNCKER, 53–246; Hans KARS, Art. »Anhalt«, TRE 2 (1978), 734–741. Leider haben die Vorgänge in Anhalt auf dem Reinhäuser Symposion über die zweite Reformation keine Darstellung gefunden. Ich nenne folgende Kontroversschriften: Wolfgang AMLING, Ursachen, warumb der Exorcismus in den Anhaltischen Kirchen abgeschaffet, [...]; Antwort auff die im Fürstenthumb Anhalt ausgesprengte [...] Schrifft, darinnen [...] die jetzige [...] Newerung, mit Abwerfung der Bilder, Altäre etc. [...] beschönet wirdt, o.O. 1597; Georg MYLIUS (praes.), Carolstadius redivivus. Disputatio theologica, Jena 1597; Adam CRATO, Examen der Anhaltischen genanten [...] Schluss-sprüche, von abtilgung der Altarn vnd Bilder etc., Magdeburg 1597; Erinnerungsschrift [...] an Johann Georgen, Fürsten zu Anhalt etc. sampt darauff erfolgten [...] Verantwortung vnd erklärung, o.O. 1597; Simon GEDICKE, [...] Bericht, sampt [...] Widerlegung des Zerbstischen Buchs, wieder die Caluinische Newerung der Bilder vnd Altarstürmer, Magdeburg 1597; Daniel HOFFMANN, Erweisungen / daß der Dichter des Zerbster Buchs von keinem guten Geist getrieben sey, Halle 1597; Polycarp LEYSER, Von Abschaffung des Exorcismi bey der heiligen Tauffe im Fürstenthum Anhalt. Rath und Bedencken [...], Gerapolis 1591; Johann OLEARIUS, Wider den Caluinischen Grewel der Verwüstung, in des Fürstenthumb Anhalt Kirchen newlich mit gewalt eingesetzet, Halle 1597; DERS., Verzeichniß mehr denn 200 Calvinischer Irrthum, Halle 1597; Abraham TAURER, Hochnotwendigster Bericht wider den newen Bildstürmerischen [...] Geist im Fürstentumb Anhald, Eissleben 1597; Veit WOLFRUM, Beweis, das Fürst Georg von Anhalt, in seinen Schrifften sich offentlich von den Sacramentirern etc. abgesondert etc., Wittenberg 1597. 47 Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und Martin Chemnitz [s.o. in diesem Band]. 48 WEBER (wie Anm. 6), 116–140. 49 Henricus Cornelius AGRIPPA AB NETTESHEYM, De incertitudine et Vanitate scientiarum declamatio inuectiua, denuo ab autore recognita et marginalibus Annotationibus aucta, o.O. 1537. 50 Ikonographia, 32v. 51 Totiqve celestis exercitvs spiritvalis militiae; Proximo svo fideli et sibimetipsi; Natvrae atqve arti; Amphitheatrvm Sapientiae Aeternae, Solivs Verae [...] Anno MASCHIACH juxta promis-
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raths († 1605), eines »fanaticus et cabbalistico-Paracelsicum Synciput«, wie ein Wittenberger Orthodoxer später formulierte.52 Khunrath hatte wie Arndt in Basel bei Zwinger Medizin studiert, war 1588 promoviert worden und trat als theosophischer Schriftsteller hervor.53 Das ›Amphitheater‹ sowie ein weiteres Werk Khunraths54 werden in einem Brief Arndts von 1599 (terminus ad quem) an einen gewissen Erasmus Wolfart erwähnt. Die Echtheit des ›Sendschreiben‹ an Erasmus Wolfart, das erstmals 1670 von einem anonymen Herausgeber bei Heinrich Betke55, dem Verleger heterodoxer Literatur, in Amsterdam veröffentlicht wurde56, ist in der Forschung heftig umstritten. Es sei voll von »fanatischen Grillen«, bemerkten die ›Unschuldigen Nachrichten‹, das Organ der Wittenberger Orthodoxie, in einer Rezension57. Gleichwohl ist das Sendschreiben, wie sich anhand innerer Kriterien zeigen läßt, zweifellos echt.58 Dieser Brief ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Arndt interpretiert darin Anschauungen von Valentin Weigel, der namentlich genannt wird, zehn Jahre bevor die ersten Weigel-Schriften im Druck herauskamen. Er hat also Verbindung zu Kreisen gehabt, in denen Werke Weigels handschriftlich kursierten. Der Adressat des Briefes, der auch in der Korrespondenz mit Johann
promissionem missi, MDVC, aetat. XXXV. [UB Basel]; vgl. DUVEEN (wie Anm. 33), 319; DERS., Notes on some alchemical books, The Library 5th ser., vol. 1, no. 1 (1946), 56. 52 G.B. SCHARFF (wie Anm. 24), Supplementum 65, Anm. mmm. 53 Zu Khunrath vgl. AGL 2 (1750 [Reprint 1961]), 2081f. 54 Confessio De Chao Physico-Chemicorum Catholico; In Quo Catholice habitat Azoth sive Materia Prima Mundi [...], Magdeburg 1596; vgl. DUVEEN, Bibliotheca (wie Anm. 33), 319. 55 »[...] sumptibus [...] Henr. Betkii, famosi illius chartarum fanaticarum disseminatoris, & sociorum«; Johannes DIECKMANN, Vorrede an den Christlichen Leser, in: Herrn Johann Arnds [...] Sechs Bücher vom Wahren Christenthum [...], Stockholm 1723, 34, Anm. 59. Zu Betke vgl. Willem HEIJTING, Hendrick Beets (1625?–1708), publisher to the German adherents of Jacob Böhme in Amsterdam, Quaerendo 3 (1972), 250–280. 56 Mysterium de incarnatione verbi, oder das große Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes. Verf. von Johann Arndt. [o.O.] Bey Heinrich Betkio 1670 [SB Berlin-Ost]. Zweite Ausgabe: Das große Geheimnis des ewigen Wortes. In einem Sendschreiben an seinen guten Freund ERASMUS WOLFARTUM, Notar. Publ. Caes. &c. Erkläret und verfasset von Herrn Johan Arndt, Weyland Fürstl. Lüneburgischen General Superintendenten. Jtzo von neuen in reine Teutsche Sprache gebracht um der Einfältigen willen etc., Anno 1676 [StB Nürnberg]. In den folgenden Jahrzehnten wurde es ohne Drucker-, Verlags- und Ortsangaben öfter nachgedruckt oder erschien als Beigabe zu Werken des mystischen Spiritualisten Christian Hoburg und der Böhme-Schülerin Jane Leade, der Begründerin der englischen Philadelphier. Es ist verständlich, daß bereits diese Publikationsumstände das Mißtrauen der Arndt-Forscher erregen mußten. Und auch das Eintreten der radikalen Pietisten Gottfried Arnold und Johann Wilhelm Petersen für die Echtheit des Werkes war eher dazu angetan, die Skepsis zu bestärken als sie zu zerstreuen. 57 Die Rezension hat die wichtigsten Kritikpunkte benannt, die von J. Dieckmann, G. Wernsdorf / H. Elers, G. Scharff, J.G. Walch und J.J. Rambach wiederholt und vertieft wurden. 58 Ich beabsichtige, an anderer Stelle darauf ausführlich einzugehen.
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Gerhard erwähnt wird,59 ist ein Anhänger Heinrich Khunraths, der später die 3. Auflage von dessen ›Amphitheater‹ herausgab.60 Wie aus dem Brief hervorgeht, korrespondierte auch Arndt mit Khunrath.61 Bemerkenswert ist ferner, daß Arndt die Auffassungen des Paracelsus und Weigels vom himmlischen Fleisch Christi62 positiv würdigt.63 Und schließlich sind die Bitte um Geheimhaltung des Schreibens und sein esoterischer Charakter signifikant: »Aber ich komme zu weit; hie heist Plato mich stillschweigen64: Es sind Geheimnisse / die mehr zu verbergen dan zu offenbahren seynd. Aber Dr. Khunrath wirfft mir für aus dem Buch Tobiae: Der Fürsten Heimlichkeit sol man verschweigen / aber Gottes Wunder offenbahren 65: Ich antworte: Es ist ein sehr grosser Unterscheid zwischen Gottes Wundern und der Fürsten Geheimnüssen; Die Wunder muß man höchlich preisen / aber die Geheimnissen versiegeln / sonst seynd sie nicht mehr geheime. Gebet dz Heiligthum keinen Hunden / die perlen keinen Säuen.66 S. Paulus hat viel Geheimnisse im dritten Himmel gelernet / aber nicht alle offenbahret.67 Es begreiffen nicht alle dieß Wort / spricht der HErr selbsten 68; Versiegele diesses / steht im Daniel69 und Offenbahrung Johannis70. Ist gnug für den gemeinen Mann / daß sie wissen / Christus sey ein wahrer Mensch / ohne Sünde vom heiligen Geist empfangen / aus der Jungfrauen Mariae Fleisch und Sahmen gebohren / sey eine Frucht ihres Leibes / gesalbet mit allen Gaben des Geistes und Krafft Gottes / nach seiner Menschlichen Natur / von dessen
59 Raidel, 97 (3. August 1607); von Arndt als »filius theologiae sincerioris et spiritualis« bezeichnet. 60 Amphitheatrvm Sapientiae Aeternae, Solivs Verae [...], o.O. [1609]; die Vorrede an den Leser ist unterzeichnet: »Datum Wernigerodae in inclyto Comitatu Stolbergico ad Bructerum Idib. Martii, Anno salutiferi partus Virginei 1609. Erasmus Wolfart. S[axo?].« Ihm hatte Khunrath vor seinem Tode die (Neu-)Herausgabe des Werkes anvertraut (ebd.). 61 »alsobald als ich Dr. Khunraths beygeschriebene Auslegungen über meinen Brief gelesen«. 62 Vgl. Hans Joachim SCHOEPS, Vom himmlischen Fleisch Christi. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung (SVG 195/196), Tübingen 1951, 56–62. 63 »Daß Theophrastus Paracelsus, und nach demselben M. Valentinus Weigelius, auch andere / etwas sonderliches und anders halten vom Fleisch Adams und Christi, hat diese Ursach [...]«. KOEPP (wie Anm. 3), 32 will trotz der in Arndts Naturphilosophie begründeten Annäherungen doch »eine leise feine Grenze« entdecken, die Arndt zwischen sich und den Auffassungen Weigels ziehe. »Der Brief bietet eine Erklärung, aber weiter auch nichts. Es liegt eine unausgesprochene Stimmung zwischen den Zeilen: ich kann es ja wohl verstehen, aber meine Meinung ist es doch nicht.« Von einer solchen behutsamen Distanzierung ist im Text aber nichts zu bemerken. 64 Am ehesten ist an die längere Auseinandersetzung Platons mit dem jüngeren Dionysios im 7. Brief zu denken; dort geht es um die Möglichkeit, die höchste Erkenntnis überhaupt schriftlich niederzulegen (341c–e und 344d); vgl. Thomas Alexander SZLEZÁK, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpretationen zu den frühen und mittleren Dialogen, Berlin 1985 (frdl. Hinweis meines Kollegen Hans Schmoll, Neuendettelsau). 65 Tob 12,8. 66 Mt 7,6. 67 Vgl. I Kor 12,1ff. 68 Mt 13,13 par. 69 Dan 12,4. 70 Apk 10,4.
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Johann Arndt als Lutheraner? Fülle wir alle nehmen müssen / etc.71 Dieser ist der rechte Erlöser und Gesalbter des Herren / von welchem wir die Salbung / die uns alles lehret / empfangen müssen.«72
Solche Esoterik ist auch in anderen Werken Arndts erkennbar, wenn er etwa betont: »Aber solches dienet nicht für den gemeinen Mann«, oder: »diß ist dem gemeinen Mann zu hoch / vnnd diß zuverstehen gehöret mehr darzu«.73 1597 veröffentlichte Arndt eine Neuausgabe der ›Theologia Deutsch‹.74 Damit beginnt – erkennbar – Arndts Rezeption der Mystik. Es folgten 1605 eine weitere Ausgabe der Deutschen Theologie, vermehrt um den Abdruck der Nachfolge Christi,75 und in demselben Jahr eine Ausgabe zweier Traktate von Johann von Staupitz.76 Wie eifrig Arndt bemüht war, mystische Literatur zu beschaffen, zeigt sein Briefwechsel mit Johann Gerhard. 77 Daraus geht hervor, daß Arndt mindestens seit seiner Braunschweiger Zeit Verbindungen zum Kölner Buchhandel hatte. Aus Köln hat er Sebastian Castellios lateinische Ausgabe der ›Theologia Deutsch‹ bezogen.78 In Köln sind auch verschiedene Drucke der Imitatio Christi erschienen,79 in Köln kam 1601 – zum ersten Mal in Deutschland – eine Werkausgabe der italienischen Nonne Angela de Foligno heraus,80 die Arndt im Wahren Christentum ausgiebig, Joh 1,16. Das große Geheimnis des ewigen Wortes, o.O. 1676, 14f. 73 Zehen Lehr- und Geistreiche Predigten: Von den Zehen grausamen und schröcklichen Egyptischen Plagen [...], Frankfurt/M. 1657, 57 [SUB Göttingen, SStB Augsburg]. 74 Die teutsche Theologia. Das ist: Ein edles büchlein / vom rechten verstande / was Adam vnd Christus sey / vnd wie Adam in vns sterben / vnd Christus in vns leben sol, Halberstadt 1597 [SB Berlin]; vgl. Georg BARING, Bibliographie der Ausgaben der »Theologia Deutsch« (1516–1691), Baden-Baden 1963, Nr. 45. Vgl. WEBER (wie Anm. 6), 50f., und WALLMANN, Rezeption (wie Anm. 1), 63–65. 75 Zwey vhralte vnd edle Büchlein. Das Erste. Die Deutsche Theologia / [...] Das ander. Die Nachfolgung Christi [...], Magdeburg 1605 (BARING Nr. 47). Vgl. WEBER (wie Anm. 6), 43, 51f., und WALLMANN, Rezeption 65f. 76 Zwey alte geistreiche Büchlein / Doctoris von Staupitz [...] Von der holdseligen Liebe Gottes Von unserem H. Christlichen Glauben [...], Magdeburg 1605 [HAB Wolfenbüttel]. Vgl. WALLMANN, Rezeption, 66–68. Leider hat WEBER in seiner Quellenanalyse eine mögliche Verwendung dieser Staupitz-Schriften in Arndts Wahrem Christentum nicht untersucht. 77 Der Briefwechsel mit Gerhard bis 1609 ist abgedruckt bei RAIDEL (wie Anm. 39). 78 Arndt an Gerhard, 27.1.1604: »Ego Colonia saltem unum exemplar [scil. von Castellios Ausgabe der Theologia Deutsch] proxime accepi nec est alterius copia; alias mitterem.« (RAIDEL, 33). 79 Vgl. Augustin DE BACKER, Essai bibliographique sur le livre De imitatione Christi, Liège 1864 [Reprint Amsterdam 1966], Nrr. 1860, 1861; Willem AUDENAERT, De imitatione Christi en andere werken. Een [...] catalogus van de 17de en 18de eeuwe drukken in de bibliotheken van Nederlands talig Belgie, Leuven 1985. 80 B. Angela DE FULGINIO, ostendens nobis veram viam qua possumus sequi vestigia nostri Redemptoris. Ab ipsa sanctißima Foemina (Spiritu sancto dictante) Liber hic conscriptus, & ad veram consolationem animarum piarum, omniumque vtilitatem, nunc primum in Germania editus, Köln 1601 [SB München]. Zu Angela vgl. Sophonius CLASEN, Art. »Angela von Foligno«, 71 72
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wenn auch ohne jeden Hinweis ausschrieb,81 in Köln erschienen die Werke Ruperts von Deutz,82 aus denen er in einem Brief an Gerhard zitiert,83 und in Köln wurden auch die Werke des Spaniers Ludwig von Granada gedruckt, denen wir gleich noch begegnen werden.84 Die Forschung hat bisher gerätselt, woher die Schlußreden stammen, die Arndt seiner Ausgabe der ›Theologia Deutsch‹ angehängt hat.85 Er hat sie von Castellio übernommen. Castellios Ausgabe basiert aber, wie J. Orcibal nachgewiesen hat, auf dem Wormser Druck (des Spiritualisten Ludwig Hätzer) von 1528, der als apokryphen Schluß die sog. Hauptreden von Hans Denck enthielt.86 So hat Arndt ohne sein Wissen dieses spiritualistische Stück tradiert. Über die bisherigen Beobachtungen hinaus können wir einen Blick in Arndts Bibliothek werfen anhand eines Briefes, den dieser 1603 an Johann Gerhard schrieb.87 Er wird in der Forschung zwar immer wieder erwähnt, ist aber in seinen einzelnen Angaben noch nie sorgfältig analysiert worden. Er gibt darin Gerhard, der gerade sein Theologiestudium in Jena begann, Ratschläge zum Bücherkauf. Neben einer Reihe von Werken, die dem Sprachstudium dienen – polyglotte Bibelausgaben88, Lexika89 –, empfiehlt Arndt einige TRE 2 (1978), 708–710 (leider wird hier der Einfluß auf Arndt, Arnold und Tersteegen nicht erwähnt). 81 WEBER (wie Anm. 6), 63–71. Die Entlehnung wurde erstmals durch Gottfried Arnold bemerkt; vgl. SCHNEIDER, Homilien, Anm. 100. 82 Ruperti Abbatis Tuicensis Opera [...], Köln 1602. 83 »Tuicensis libro de providentia aperte asseverat: Sentio in meipso, inquit, divinum quiddam, lucem, flammulam me moventem, etc.« (Arndt an Gerhard, 1608, in: [BRELER,] Bericht [wie Anm. 14] 4; F. ARNDT [wie Anm. 9], 81). 84 S.u. Anm. 91. 85 BARING (wie Anm. 74), 50; WEBER, 51. 86 Jean ORCIBAL, Hans Denck et la conclusion apocryphe de la Théologie Germanique, RHPhR 57 (1977), 141–151. 87 15.3.1603; zuerst abgedruckt in: [Wilhelm Ernst TENTZEL (Hg.),] Monatliche Unterredungen [...] 1690, 623; wieder abgedruckt: FISCHER, Vita (wie Anm. 37), 23f.; Geistliche Fama 29 (1743), 51–55 (mit dt. Übers.); Wilhelm KOEPP, Johann Arndt (KlRel 2), Berlin 1912, 60f. (Auszug in Übers.). 88 »Biblia Vatabli Hebraeo Latina«; vgl. Hermann L. STRACK, Art. »Vatablus«, RE3 20 (1908) 431. »Exstat Biblicum Opus illud Complutense: editionis Regiae Antverpianae: in numero illorum Tomorum unus est: qui textum Biblicum continent cum inserta versione Latina interlineari: ad marginem vero omnes radices Hebraeas adnotatas habet.« Zur Antwerpener Polyglotte vgl. Eberhard NESTLE / Eduard REUSS, Art. »Polyglottenbibeln«, RE3 15 (1904), 528–535, hier 531f.; Alfred BERTHOLET / Bleddyn Jones ROBERTS, Art. »Polyglottenbibeln«, RGG3 5 (1961), 447f. – »Hebraeae linguae cognitionem tibi commendo: et ut veram pronunciationem assequare, emas Psalterium Hutteri Harmonicum« Elias Hutter (1553–1605/09) ist Herausgeber mehrerer biblischer Polyglotten; vgl. Julius August WAGENMANN / Georg MÜLLER, Art. »Hutter, Elias«, RE3 8 (1900), 496f.; NESTLE / REUSS, 15, 533f.; Gustav Moritz REDSLOB, Art. »Hutter«, ABD 13 (1881), 475f.; Hans ARENS, Art. »Hutter, Elias«, NDB 10 (1974), 103f.; Hutters ›Psalterium harmonicum‹ [...], Nürnberg 1602 [SUB Göttingen], gibt neben dem hebräischen Text auch den Wortlaut in Umschrift wieder.
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theologische Werke, deren Autoren wahrhaft geistlich (»ex spiritu«) geschrieben hätten. Neben den altkirchlichen (Makarios90, Augustin) und mittelalterlichen (Bernhard von Clairvaux, Thomas von Kempen) Autoren begegnen zwei Zeitgenossen: der Katholik Ludwig von Granada91 und der Hugenott Jean de L’Espine92. Arndt ist unschlüssig, welche Bibelkommentare er Gerhard empfehlen soll.93 Allenfalls zieht er »R. Gwalteri Commentarios uti et Aretii« in Erwägung94, also die Kommentarwerke von Zwinglis Schwiegersohn Rudolf Walter95 und des Berner Theologen Benedikt Marti (Aretius)96! Wahrscheinlich war Aretius dem Paracelsisten Arndt als Herausgeber eines Paracelsus-Werkes bekannt, das ein Kompendium des damals Wissenswerten bot.97 Als »geistlichen« Autor unter den Philosophen empfiehlt er die Lektüre Senecas.98 Kein einziger lutherischer Autor wird genannt!
89 »Lexicon Hebraeum vel Pagnini vel Avenarii consilio Professoris Hebraicae linguae; pro incipientibus sufficit Avenarius«. Das Lexikon von Santes Pagnini ist Teil der Antwerpener Polyglotte; der vor allem als Erbauungsschriftsteller bekannte Johann Habermann (Avenarius) (1516– 1590), verfaßte eine hebräische Grammatik (1570, 1571, 1581), ein hebräisches Wörterbuch (1588); vgl. Hermann BECK, Art. »Habermann, Johann«, RE3 7 (1899), 281f.; Franz LAU, Art. »Habermann«, RGG 3 3 (1959), 7 (Lit.). 90 Vgl. H. SCHNEIDER, Homilien. [S.o. in diesem Band.] 91 Ludwig von Granada (vgl. Alvaro HUERGA, Art. »Ludwig von Grananda«, LThK2 6 [1961], 1195) verfaßte: Conciones de tempore, I–III, Köln 1593–1600, Conciones de tempore et de sanctis, Köln 1598, und eine Postilla evangelica, Köln 1593 (Theophilus GEORGI, Allgemeines Europäisches Bücher-Lexicon, I, Leipzig 1740). 92 Joannes Spinaeus (Joannes de Spina, Jean de l’Espine); vgl. AGL 4 (1751), 740; Louis HOGU, Jean de l’Espine. Moraliste et théologien (1505?–1597), Paris 1913. 93 »Interpretes S. Bibliorum, et Commentatores nescio sane, quos tibi commendare debeam: quidam / sunt adeo populares, ut nihil rerum habeant: quidam tantum in cortice haerent: plurimi, quod pace aliorum dixerim, non ex spiritu, sed ex carne scribunt.« 94 »R. Gwalteri Commentarios, uti et Aretii, nescio sane, an tibi debeam commendare: cogitabo de his altius.« 95 (1519–1586). Vgl. Emil EGLI, Art. »Gualther, Rudolf«, RE3 7 (1899), 222–224; Erich STRASSER, »Gualther, Rudolf«, RGG3 2 (1959), 1899f.; Heinrich Bullingers Briefwechsel, III, Zürich 1983, 77, Anm. 8; Conradin BONORAND, Personenkommentar II zum Vadianischen Briefwerk (Vadian-Studien 11), St. Gallen 1983, 306f. 96 (ca. 1522–1574). Vgl. Emil BLÖSCH, Art. »Aretius«, RE3 2 (1897), 5f.; Albert HALLER, Benedikt Marti (Aretius). Ein bernischer Gelehrter und Forscher des XVI. Jahrhunderts, Bern 1901; Otto RITSCHL, Art. »Aretius«, RGG2 1 (1927), 522; Otto Erich STRASSER, Art. »Aretius«, RGG3 1 (1957), 591. 97 De medicamentorum gradibus et compositionibus [...], 1572, Genf 21579, Morges 31583, Lausanne 41617. – Martis Dogmatik (Theologiae problemata [...], Bern 1573) enthält u.a. auch ein eigenes Kapitel »de usu medicinae«. 98 »Inter Philosophos niminem scio, qui ex spiritu scripserit (qui, ubi vult, spirat [vgl. Joh 3,8]) praeter unum Senecam; quem, si necdum legisti, per otium quaeso legito: emas autem Godefredi editionem« (L. Annaei Senecae [...] opera quae extant omnia, ed. Dionysius GOTHOFREDUS, Basel 1590 [SUB Göttingen]). Zur Kontroverse um die Echtheit des Briefes – wegen dieser Bemerkung über Seneca – vgl. SCHNEIDER, Homilien [s.o. S. 19].
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In seinen ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹, die 1605–1609 erschienen, bietet sich ein ähnliches Bild. Soweit sich aufgrund der bisherigen, noch keineswegs abgeschlossenen Quellenanalyse99 feststellen läßt, sind es überwiegend mittelalterliche Mystiker, die Arndt exzerpiert und kompiliert hat: Tauler, die ›Theologia Deutsch‹, die Nachfolge Christi, Angela de Foligno, wahrscheinlich Bernhard, vielleicht auch Gerson und Staupitz. Daneben finden sich umfangreiche Exzerpte aus Paracelsus und Valentin Weigel. Gegenprobe: die Entlehnungen aus Luther-Schriften sind ganz gering. In einem Kapitel finden sich Formulierungen aus Luthers Freiheitsschrift,100 an einigen Stellen klingt der Kleine Katechismus101 an, an einigen weiteren Stellen finden sich Reminiszenzen an Formulierungen anderer Bekenntnisschriften.102 Die Verwendung von zwei Weigelschriften, die erst Jahre später im Druck erschienen, beweist noch einmal, daß Arndt Kontakt zu spiritualistischen Kreisen hatte. Als nach dem Druck von Weigels Betbüchlein (1612) Arndts Abhängigkeit von Weigel entdeckt wurde, erklärte Arndt, das Manuskript von einem guten Freund erhalten, ohne den Autor gekannt zu haben. Das erscheint angesichts der Tatsache, daß Arndt schon 1599 Kenntnis von Weigels Anschauungen hatte und ihn namentlich nannte, eher als Schutzbehauptung. Als Lieblingsschüler des alten Arndt begegnet ein gewisser Melchior Breler, später Leibarzt von Herzog August d.J.103 Er ist eine Schlüsselfigur in den frühen Auseinandersetzungen um Arndt nach dessen Tod; kein anderer hat sich literarisch so heftig engagiert wie Breler. Bisher war bekannt, daß er mit rosenkreuzerischen Kreisen in Verbindung stand, mit Johann Valentin Andreä korrespondierte, mit dem aus Helmstedt vertriebenen Johann Angelius Werdenhagen Kontakte pflegte. Seine ›Dissertatio apologetica‹ für Arndt weist deutlich spiritualistische Züge auf und steht am Anfang der spiritualistischen Arndt-Rezeption. Von gegnerischer Seite wurde er als Weigelianer bezeichnet. Man ist geneigt, das mit Wallmann »nicht wörtlich zu nehmen«104. Vielleicht steckt aber doch mehr dahinter. Der aus Fulda stammende Breler105 begann
99 Vgl. SCHNEIDER, Homilien, Abschnitt III. [Vgl. jetzt den Beitrag zur Quellen und Redaktionskritik unten in diesem Band.] 100 WChr II, 11, Überschr. und 2; III, 3 (RITSCHL [wie Anm. 13], II, 51). 101 Z. B. WChr I, 11,11f. und I, 41,1; vgl. BSLK 704. 102 Vgl. etwa WChr I, 2,1 mit BSLK 848, WChr I, 3,1 mit BSLK 920f. 103 Über ihn zuletzt und am gründlichsten: Johannes WALLMANN, Herzog August (wie Anm. 4), 24–28. 104 WALLMANN, Herzog August 27. 105 Die Matrikeleintragungen (s.u.) haben als Herkunftsbezeichnung »Fuldensis«. Breler wurde getauft am 5.12.1589 (Taufbuch des katholischen Stadtpfarramts Fulda 1587–1670, 13).
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nämlich sein Studium 1607 in Marburg106 zu einer Zeit, als an der Artistenfakultät zwei Lehrer tatsächlich Weigelianer waren und deshalb einige Jahre später ihr Amt verloren.107 1608 erschien im Verlag des Straßburger Verlegers Lazarus Zetzner eine Schrift ›De igne magorum philosophorumque‹.108 Es war ein postumes Werk jenes Heinrich Khunrath, den Arndt in der ›Ikonographia‹ lobend erwähnt hatte und der im Brief an Erasmus Wolfart begegnet. Als Herausgeber wurde meist der Paracelsist Benedictus Figulus109 betrachtet, der aber nur den Anhang beisteuerte110: »ein fürtrefflich Judicium und Bericht eines Erfahrnen Cabalisten vnd Philosophen / vber die 4 Figuren deß grossen Amphitheatri D. Henrici Khunradt« sowie eine (pseudo-) paracelsische Schrift. Als 1783 das Sammelwerk zum dritten Mal111 aufgelegt wurde112, erschien der erste beigegebene Traktat jetzt unter dem Titel ›Johann Arndt’s philosophisch-kabalistisches Judicium über die vier ersten Figuren des Khunrathischen Amphitheaters‹. Diese Schrift ist in der Arndt-Forschung kaum bekannt.113 An ihrer Echtheit kann jedoch aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Kriterien kein Zweifel bestehen.114 Erwähnt seien aus Arndts weiterem literarischen Schaffen noch die Predigtbände115 und das Paradiesgärtlein116, deren Quellen noch der Analyse bedürfen. Offensichtlich kommt hier vor allem Bernhard von Clairvaux117, aber auch jesuitische Gebetsliteratur118 zu Wort. In Arndts Todesjahr 1621 erschien 106 Theodor BIRT (Hg.), Catalogus studiosorum Marpurgensium, IV, Marburg 1887, 22: »Melchior Breler Fuldensis«. 107 Carl Wilhelm Hermann HOCHHUTH, Die Weigelianer und Rosenkreuzer (Mitteilungen aus der protestantischen Secten-Geschichte in der hessischen Kirche, I, 4), ZHTh 32 (1862), 86–159. 108 De igne magorum philosophorumque [...], Straßburg 1608 [UB Eichstätt]; vgl. SUDHOFF, Bibliographia Paracelsica (wie Anm. 34), Nr. 286. 109 Vgl. Joachim TELLE, Benedictus Figulus. Zu Leben und Werk eines deutschen Paracelsisten, Medizinhistorisches Journal 22 (1987), 303–326. 110 TELLE, 319. 111 Im Jahre 1700 war bereits eine Neuauflage dieser Schrift herausgekommen unter dem Titel: Trinum Chymicum secundum Oder Drey andere Chymische Tractätlein [...], Straßburg 1700 [UB Erlangen]; das ›Judicium‹: 118–136. Vgl. SUDHOFF, Bibliographia Paracelsica, Nr. 425. 112 Hg. v. J.Y.R. [Johann Christoph LENZ ], Leipzig 1783 (TELLE, 319). 113 Sie wird erwähnt bei WEBER (wie Anm. 6), 214, Anm. 8. 114 Eine Begründung der Echtheit soll in einer späteren Untersuchung vorgelegt werden. 115 Zu den Drucken der Evangelienpostille, der Katechismuspredigten und der Psalter-, Katechismus- und Haustafelauslegungen vgl. KOEPP (wie Anm. 3), 298, 302ff.; Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken, 7, Berlin 1935, 3f., 21, 28ff. 116 Zu den Drucken vgl. KOEPP 298, 302ff.; DGK 7, 23ff. 117 WALLMANN, Rezeption (wie Anm. 1), 69f. 118 Paul ALTHAUS D.Ä., Forschungen zur Evangelischen Gebetsliteratur, Leipzig 1927, 88, 142 (ohne Nachweise).
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eine Taulerausgabe.119 Auch in seinen übrigen Werken, bis hin zu den von Arndt verfaßten Leichenpredigten120, sind die Einflüsse der mystischen Literatur nachweisbar.121 Sieben Monate vor seinem Tod verfaßte Arndt ein Widmungsgedicht zu Ehren des Danziger Arztes Alexander von Suchten für dessen postum erschienenen Traktat ›De vera medicina‹ als »testimonium amoris«.122 Dieser Beitrag läßt die – sonst nicht nachweisbaren – Beziehungen Arndts zu diesem zur Mystik neigenden Paracelsisten123 und zu dem Paracelsistenkreis um Joachim Morsius 124 erkennen. Die enge Verbindung zwischen Paracelsisten und WeigelAnhängern belegen die Drucke von Weigels ›Dialogus de Christianismo‹, denen eine Abhandlung Suchtens beigegeben ist.125 Arndts Gedicht zeigt, daß die theosophisch-alchemistischen Interessen ihn bis zu seinem Lebensende begleiteten. Es ist ein ›Carmen de L[apide] P[hilosophorum]‹! Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Die Nachrichten über Arndts Werdegang, die Beobachtungen zu den mystischen und spiritualistischen Quellen seiner Werke sowie seine Verbindung zu paracelsisch-alchemistisch-theosophischspiritualistischen Kreisen sowie die Esoterik, die in einigen Äußerungen hervortritt, erscheinen im Blick auf Arndts Luthertum nicht gerade vertrauenerweckend. Doch die literarkritischen und prosopographischen Erhebungen, die nur die Aufforderung zu umfassenden Recherchen sein können, liefern nur erste Indizien für die inhaltlich-theologische Analyse des Arndtschen Schrifttums. Was war Arndts leitende Absicht bei seiner erbaulichen Schriftstellerei? Was hat ihn zur Aufnahme nicht-lutherischer Quellen veranlaßt, an der schon nach dem Erscheinen des I. Buches vom WChr Kritik geübt wurde und die Lukas 119 Postilla Johannis Tauleri / Deß berühmten Theologi [...], Hamburg 1621. Vgl. WALLMANN, Rezeption 62f., der auf eine weitere protestantische, in der Forschung bisher unbeachtete Frankfurter Tauler-Ausgabe aus demselben Jahr hinweist. 120 Eine (unvollständige) Liste findet sich bei KOEPP, 298f. 121 BRAW, Bücher (wie Anm. 5) 205–207. 122 Alexander VON SUCHTEN, Tractatus de vera medicina, ed. Joachim MORSIUS, Hamburg 1621, C 5r–C 5v [UB Erlangen]. KOEPPS Angabe (299), Arndt sei Herausgeber des Traktats, ist zu korrigieren. 123 S. o. Anm. 35. 124 Vgl. Heinrich SCHNEIDER, Joachim Morsius und sein Kreis. Zur Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts, Lübeck 1929, 45; zu Morsius vgl. auch Siegfried WOLLGAST, Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650, Berlin-Ost 1988, 434–437. 125 Valentin WEIGEL, Dialogus de Christianismo [...], Halle 1614, 99–104 [HAB Wolfenbüttel, Landeskirchl. Archiv Nürnberg]; weitere seitengleiche Ausgaben: Neustadt 1616 [UB Tübingen], Neustadt 1618 [SUB Göttingen]. Der Traktat Suchtens fehlt in den Handschriften und wurde nicht aufgenommen in die kritische Ausgabe, hg. v. Alfred EHRENTREICH (Valentin WEIGEL, Sämtliche Schriften, hg. v. Alfred EHRENTREICH / Winfried ZELLER, Lief. 4), Stuttgart / Bad Cannstatt 1967, vgl. Nachwort 171.
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Osiander d.J. zu der Feststellung veranlaßte, das von Arndt dargestellte wahre Christentum gehe »mit viler Schwachheit / Päpstischen vnd andern mehr Irrthumben noch gröblich behafftet« einher126? Über die Motive und Ziele seiner erbaulichen Schriftstellerei gibt Arndt in der Vorrede zur ›Theologia Deutsch‹ Auskunft: Mit den »viel hundert« dogmatischen und polemischen Schriften, die seit Beginn der Reformation erschienen seien, werde doch, wie die Erfahrung lehre, dem christlichen Leben nicht gedient. Die Uneinigkeit in der Lehre und die sich damit beschäftigende Streittheologie sei ein Griff des Satans, um wahres christliches Leben, wahre Buße zu verhindern und gar das Christentum auszurotten. Die polemische Theologie sei einer Selbsttäuschung erlegen: sie hoffe, das wahre Christentum zu bewahren und verliere es doch mehr und mehr. Die theologischen Systeme glichen einem Turmbau zu Babel, die Folge sei die Zerstreuung in so viele Sekten. (Dies ist offenbar auch das Thema einer verschollenen Frühschrift Arndts ›De origine sectarum‹.127) Arndt stellt also den Zusammenhang von theologia polemica und produktiver Frömmigkeit128 in Frage. Wenn die Theologen nicht von ihrem Gebäude, »so aus Büchern und vielen Disputationibus erbauet, abstehen und einen anderen Weg suchen,« bringen sie sich und ihre Hörer um die Seligkeit. Diesen anderen Weg hatte Arndt schon in einer Thesenreihe ›De antiqua philosophia‹ 129 als Alternative zu einem Theologiestudium gefordert, »quod in nuda saltem theoria versatur et in artem disputatricem prorsus abit«.130 Der andere Weg bestehe in wahrer Buße und in der Nachfolge des edlen Lebens Christi. »Denn es helfen keine Bücher zur Erhaltung reiner Lehre, so das Leben nicht taugt und wider die Lehre streitet.« Nur die Bücher besitzen Wert, die die Nachfolge Christi beschreiben bzw. die Lehre Christi ins Leben verwandeln, den lebendigen Glauben, »fidem operosam«, und das edle Leben Christi in vieler Leute Herz einpflanzen. Das wäre apostolisch und nicht – wie die Streittheologie – babylonisch. Von diesem Ansatz aus konnte Arndt die konfessionellen Grenzen überschreiten und auch aus nicht-lutherischen Quellen schöpfen, sofern sie nur der 126 Lukas OSIANDER d.J., Theologisches Bedencken / Vnd Christliche Treuhertzige Erinnerung / Welcher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb [...] seye [...], Tübingen 1624, 29. 127 Arndt erwähnt sie in Ikonographia, f. 48r, sie muß also vor Ende 1596 entstanden sein. 128 Vgl. Ernst KOCH, Andreas Musculus und die Konfessionalisierung im Luthertum, in: Hans-Christoph RUBLACK (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992, 250–270. 129 Dieses »Büchlein«, das Arndt in seiner Ikonographia, f. 33r, und WChr I, 36,15 erwähnt, ist nur durch seine Aufnahme in Johann GERHARD, Aphorismi sacri [...], Jena 1616, erhalten. Es muß vor Ende 1596 entstanden sein. 130 These 2.
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Förderung dieses wahren Christentums dienten. Er rechtfertigte später im Rückblick dieses Verfahren mit der paulinischen Paränese: Alles prüfet, das Gute behaltet (I Thess 5,21).131 Das war freilich ein Lieblingszitat der Spiritualisten der Reformationszeit, mit dem sie ihren eklektischen Umgang mit der Tradition begründet hatten.132 Diese »apostolische Regel« ist Arndts Grundprinzip bei der Quellenauswahl. Mit ihr habe er »die Perle gesucht in manchem Acker« und »das Gold vom Kot geschieden«.133 Aber warum vorreformatorische Quellen? Es handelt sich um eine ähnliche Erscheinung wie in der englischen Erbauungsliteratur, die Anleihen bei der mittelalterlichen Mystik sowie der katholischen Andachtsliteratur Spaniens und Frankreichs machte, um mit deren Hilfe der verinnerlichten Frömmigkeit Ausdruck zu verleihen, oder sogar zur Gewissensschärfung auf die Beichtkasuistik der Jesuiten zurückgriff. Arndt konnte sich immerhin auf die Wertschätzung Taulers durch Luther134 und lutherische Theologen berufen.135 Und die ›Theologia Deutsch‹ hatte doch Luther selbst herausgegeben!136 Aber ist es Arndt gelungen, dem heterogenen Material, das er kompilierte, eine lutherische Prägung zu geben, oder setzt sich der Tenor der vorreformatorischen Quellen durch? Schon zu Lebzeiten Arndts waren aufgrund seines Wahren Christentums Zweifel an seiner lutherischen Orthodoxie aufgekommen, und er hatte sich gegen den Verdacht der Heterodoxie, vor allem den Vorwurf des Synergismus,
Vgl. WEBER (wie Anm. 6), 40. Belege finden sich bei Karlstadt, Franck, Denck, Schwenckfeld, Weigel. 133 Vgl. WEBER, 40 (mit Belegen). 134 Vgl. Bernd MOELLER, Tauler und Luther, in: Jean DAGENS (ed.), La Mystique Rhénane, Paris 1963, 157–168. 135 In der Vorrede zur Taulerausgabe wendet sich Arndt gegen den Vorwurf, »wer solche Art zu reden gebrauchet / der hat es auß den Lacunis Monachorum geschöpffet«; er entgegnet: »O Nein lieber Gesell / es seyn nicht Lacunæ Monachorum, sondern es ist deß heiligen Geistes stylus vnd art also zu reden« (Postilla Johannis Tauleri / Deß berühmten Theologi [...], Hamburg 1621, f. iii), und führt Zeugnisse Luthers, Melanchthons, Hieronymus Wellers und Michael Neanders über Tauler an (iiiv–vr). In einem Brief an Herzog August d.J., den Arndt kurz vor seinem Tode schrieb, rechtfertigt er ebenfalls seine Tauler-Rezeption unter Hinweis auf die lutherischen Theologen: »Daß aber Taulerus darumb so sehr verdächtig zu halten / als ob er dem Fundamento Salutis nostrae gar zu widern sey / wie dieser vornehmer frommer Man meynet / ist gar zu ein mildtes Judicium, und dem zu wider / was vornehme Theologen auß Tauleri Schrifften / von der Justification, merito Christi unnd Satisfactione pro peccatis nostris colligiret haben / unter denen Herr Michael Neander und D. Glaserus die vornehmsten seyn.« ([BRELER,] Bericht (wie Anm. 14) 54; F. ARNDT (wie Anm. 9), 181) Es handelt sich um Michael NEANDER, Theologia Bernhardi ac Tauleri [...], Wittenberg 1584, und Petrus GLASER, Tauleri geistreiche Lehre von den fürnehmsten Hauptstücken der heiligen Schrift, Dresden 1583. 136 Zu Luther und der ›Theologia Deutsch‹ vgl. Martin BRECHT, Randbemerkungen in Luthers Ausgaben der »Deutsch Theologie«, LuJ 47 (1980), 10–32. 131 132
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verteidigen müssen.137 Noch vor dem Erscheinen der Bücher II–IV sah sich Arndt genötigt, in zwei Neuausgaben des I. Buches z.T. einschneidende Korrekturen vorzunehmen.138 Ein Beispiel: »Was ist der sichere Weg zum seligen Leben? Der Weg ist Christi Demut und sein ganzes heiliges Exempel.« wird korrigiert in: »Der Weg ist Christi heiliges, teures Verdienst.«139 Die Auseinandersetzungen um Arndt,140 über deren Ausmaß und Dauer wir noch kein genaues Bild haben, verebbten anscheinend bald; Arndt wurde orthodox interpretiert und in der lutherischen Frömmigkeits- und Reformbewegung des 17. Jahrhunderts und im Pietismus zur Autorität 141. Das Urteil des älteren Zinzendorf ist innerhalb des Pietismus singulär: er begreife nicht, wie Arndt als ein lutherischer Theologe angesehen werden könne.142 Arndt habe »in der Methode geirret und statt Christi Blut und Gerechtigkeit das wahre Christenthum in die Nachfolge Jesu gesetzet«; alles laufe auf »pure Selbstgerechtigkeit« hinaus, und das mache das Wahre Christentum zu einem gefährlichen Buch.143 Diese theologische Kritik an Arndt ist in der Arndtforschung seit Ende des 19. Jahrhunderts erneut vorgebracht worden. Vor hundert Jahren hat Albrecht Ritschl zum Auftakt seiner Darstellung des lutherischen Pietismus Arndts Luthertum einer scharfen Kritik unterzogen.144 Wenngleich unbestreitbar ist, daß Ritschls eigene Auffassung von reformatorischer Theologie die Folie liefert, 145 so läßt seine Analyse doch klar die Abweichungen Arndts von der Theologie Luthers und der Bekenntnisschriften hervortreten. Das gilt in gleicher Weise für die Untersuchung Wilhelm Koepps.146 Vor 20 Jahren hat Edmund Weber die Diskussion mit verfeinerter Methodik fortzuführen versucht. Er verbindet die Quellenkritik mit der redaktionsKOEPP (wie Anm. 3), 43ff., 59ff., 86ff. Diese Korrekturen sind noch nie umfassend untersucht worden; einige Beispiele gibt KOEPP, 47, aus WChr I, 14,6f. Koepp hat freilich nur die beiden Braunschweiger Ausgaben von 1606 verglichen; die Erstausgabe von 1605 war ihm nicht bekannt. 139 WChr I, 14,7. 140 Vgl. zuletzt unter einer speziellen Fragestellung Leif ERIKSON, Inhabitatio – Illuminatio – Unio. En studie i Luthers och den äldre lutherdomes teologi (Publication of the Research Institute of the Åbo Akademi Foundation 116), Åbo 1986, 227–305: Den Arndtska Striden. 141 Vgl. Johannes WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus (BHTh 42), Tübingen 21986, 12–16 und passim; Martin BRECHT, Philipp Jakob Spener und das Wahre Christentum, PuN 4 (1979), 119–154. 142 Heinz RENKEWITZ, Im Gespräch mit Zinzendorfs Theologie, Hamburg 1980, 125. 143 Vgl. die Belege bei Sigurd NIELSEN, Der Toleranzgedanke bei Zinzendorf, Hamburg 1952, 63, 85 Anm. 538. 144 RITSCHL, II (wie Anm. 13), 34–63. 145 BRAW, Bücher (wie Anm. 5), 13f. 146 BRAW, Bücher 14f. Vgl. bes. KOEPP (wie Anm. 3), 179ff. Vgl. zu Ritschl und Koepp auch Hanfried KRÜGER, Verständnis und Wertung der Mystik im neueren Protestantismus, München 1938. 137 138
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geschichtlichen Fragestellung: Wie hat Arndt sein Material ausgesucht, wie hat er seine Vorlagen bearbeitet? Er nennt vier Methoden: 1. Eliminierung aller »spezifisch römischen, mystischen, monastischen und sonstige[n] extremunlutherische[n] Stellen« (z.B. Verzicht auf die eucharistische Sakramentsfrömmigkeit der Imitatio Christi, Ausklammerung der Verschmelzungsmystik), 2. Kommentierung im lutherischen Sinn (z.B. durch Einfügung von »aus Glauben«, »durch Gnade«), 3. Biblisierung durch Einfügung von Bibelzitaten oder Stellennachweisen und 4. Laisierung »durch veranschaulichende Gleichnisse, Analogien und Beispiele«.147 Weber hat freilich darauf verzichtet, das Gesamtergebnis der Arndtschen Redaktion theologisch zu würdigen. Ist das Resultat der redaktionellen Bemühungen die Konzeption einer lutherischen Frömmigkeitstheologie, oder bleibt nicht trotz aller Anstrengungen die Gesamttendenz der rezipierten Quellen so dominant, daß Arndts Kompilation letztlich doch kein reformatorisches Gepräge bekommt? In der neuesten Untersuchung über Arndts Verhältnis zur Mystik, einer Lunder Dissertation, will Christian Braw 148 eine hermeneutische Grundregel gewahrt wissen, die Arndt selbst gegenüber seinen Kritikern herausgestellt hat: »Arndt sah das WChr wie auch die Schriften der Mystiker als Band II und folgende in der Reihe, deren erster Band den reformatorischen Glauben darstellte. [...] Arndt hat sein Werk ›Vier Bücher vom Wahren Christentum‹ genannt, aber es stellt nicht das ganze Christentum dar, es muss nach seinen Angaben zusammen mit den übrigen Schriften gelesen werden. Es ist nicht erstaunlich, dass dieser Vorbehalt nicht überall gehört wurde und nicht jeder verstand, dass das ›wahre Christentum‹ nicht das ganze Christentum darstellt.«149 Aber was heißt das? Wenn Arndt (um in Braws Bild zu bleiben) die Fortsetzungsbände der Rechtfertigungslehre als das wahre Christentum bezeichnet, zeigt das doch deutlich die Umstrukturierung der reformatorischen Theologie und Frömmigkeit. Für Arndt ist die verbal anerkannte Rechtfertigungslehre zwar ein notwendiges, aber doch nur ein ergänzungsbedürftiges Teilstück eines umfassenderen Ganzen. Die Folgebände erscheinen nicht als Entfaltung der Rechtfertigungslehre, sondern als weiterführende Ergänzung. Und erst in dieser Ergänzung fällt die Entscheidung darüber, was wahres Christentum ist. Die Rechtfertigung wird überhöht durch ein Verständnis von Wiedergeburt, die zu einer näheren Vereinigung der Seele mit Gott führt. Erst auf dem Weg der Selbstverleugnung wird der Mensch »in Gott gezogen«, wird der »inwendiWEBER, 40f. S. o. Anm. 5. 149 BRAW, Bücher, 222. 147 148
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ge Schatz« entdeckt, ereignet sich das höchste ewige Gut in der Seele und kann der wahre inwendige Sabbat des Herzens150 gefeiert werden. Ein struktureller Vergleich mit der fides caritate formata drängt sich auf. Es erscheint jedoch überhaupt fraglich, ob Braws metaphorische Rede von mehreren Büchern einer Reihe der Konzeption Arndts entspricht. Braw macht aber damit unbeabsichtigt auf eine noch kaum bemerkte Forschungsaufgabe aufmerksam: Denn Arndt hat ja in der Tat eine Folge von vier Büchern verfaßt: Liber scripturae, liber vitae, liber conscientiae, liber naturae. Hinter dieser Buchmetaphorik ist eine Gesamtkonzeption erkennbar, die eine aufschlußreiche Traditionsgeschichte hat.151 Besonders signifikant für die Transformation reformatorischer Anschauungen ist Arndts Wortverständnis, das Berndt Hamm sorgfältig analysiert hat.152 Er weist überzeugend nach, daß es bei Arndt ein Nebeneinander von äußerem und innerem Wort gibt, die auf verschiedenen Ebenen wirken. Das äußere Wort verweist auf das innere Geschehen, führt darauf hin, aber bewirkt es nicht.153 Der bei Luther mit der Externität des Wortes verbundene Zusagecharakter bleibt Arndt völlig fremd.154 Erst wenn der Heilige Geist durch das innere Wort die Seele erleuchtet, wird dem Menschen der verborgene geistliche Sinn des verbum externum erschlossen und kann ins Leben verwandelt werden; d.h. man muß es sich im Verstehensprozeß des inneren Wortes aneignen und durch den eigenen Lebensprozeß auslegen.155 Hamm kommt zu dem Resultat: »Der meistgelesene Theologe des Luthertums vertrat keine lutherische Theologie.«156 »Arndt ging seinen eigenen Weg zwischen Luther, der Orthodoxie und dem radikalen protestantischen Spiritualismus.« 157 Die noch zu wenig erforschte Geschichte der Arndtrezeption158 bestätigt das ambivalente Bild: Neben der kirchlichen Rezeption war Arndts Werk offen für eine Inanspruchnahme durch den mystischen Spiritualismus. Noch zu Arndts Lebzeiten erschien in einem Weigeldruck eine Empfehlung zur Lektüre 150 Zur Rede vom »inneren Sabbat« und seinen spiritualistischen Wurzeln vgl. SCHNEIDER, Homilien. [S. o. S. 32–34.] 151 Aufschlüsse darüber sind von einer Untersuchung zu erwarten, die Hermann Geyer, Neuendettelsau, vorbereitet. [Vgl. Hermann GEYER, Verborgene Weisheit, II, Berlin 2001.] 152 HAMM (wie Anm. 5). Hamm führt über die Beobachtungen hinaus, die Richard Heinrich GRÜTZMACHER, Wort und Geist. Eine historische Untersuchung zum Gnadenmittel des Wortes, Leipzig 1902, 204–216, vorgetragen hat. 153 HAMM, 69. 154 HAMM, 70. 155 HAMM, 67. 156 HAMM, 72f. 157 HAMM, 73. Vgl. schon Gustaf Adolf BENRATH, Johann Arndt und der Spiritualismus im 17. Jahrhundert, in: HDThG, II, Göttingen 1980 [Ndr. 1989], 598–600. 158 Vgl. KOEPP (wie Anm. 3), 144–178.
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der Schriften Arndts.159 Der »linke Flügel« der Arndt-Schüler wird durch Melchior Breler eröffnet,160 und die Linie führt über Christian Hoburg161 zu den radikalen Pietisten162. Indem sich kirchliche und radikale Pietisten auf Arndt beriefen und sein Erbe beanspruchten, zeigten sie sich auch darin als Erbengemeinschaft. Kehren wir abschließend zu den eingangs aufgeworfenen Fragen zurück: Ob Arndt Exponent einer allgemeinen Frömmigkeitskrise im Luthertum war, kann nur auf einer breiteren Basis untersucht werden. Feststellen läßt sich, daß bei ihm selbst ein Krisenbewußtsein vorhanden war. Seine Frömmigkeitstheologie entwickelte er nicht im Widerspruch zur lutherischen Orthodoxie, aber in deutlicher Distanz zur Theologia polemica seiner Zeit. Mit der formalen Anknüpfung an reformatorische Theologie geht die inhaltliche Anknüpfung an vor- und außerreformatorische Traditionen einher. Die theologischen Spannungen zwischen rezipiertem Stoff und lutherischer Theologie hat er entweder nicht erkannt oder bewußt überspielt. Als Ireniker kann er – äußerlich betrachtet – nicht gelten. Noch in seinem Todesjahr schrieb er das Vorwort zu einer antikatholischen Veröffentlichung.163 Und wenn er auch von seiner frühen anticalvinistischen Schrift vorsichtig abrückte,164 blieb seine Abneigung gegenüber den Calvinisten bestehen.165 Davon zu unterscheiden ist aber die von seinem literarischen Werk aus159 Valentin WEIGEL, Soli Deo Gloria [...], Neustadt 1618 [SUB Göttingen], 80: »Darauff magstu zum zeugnuß nun diese gute Bücher Lesen / Als [...] Herrn Johan Arnts 4. Bücher vom wahren Christenthumb / sein Paradißgärtlein / Psalter / Postilen / Passion vnd Catechismum.« 160 WALLMANN, Herzog August (wie Anm. 4) 28. 161 Vgl. RITSCHL, II (wie Anm. 13), 61–63; KOEPP (wie Anm. 3) 138f. 162 Vgl. etwa Gottfried ARNOLD, Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie, I, Frankfurt/M. 1699, Th. II, B. XVII, c. VI, § 5ff. u.ö.; Johann TENNHARDT, Extract aus Joh. Arnds Wahres Christentum, wie wir Gott oder das Wort durch Einkehrung des stillen Sabbaths in uns suchen und finden sollen, wollen wir anders die Seligkeit erlangen, in: Göttlicher Extract [...] Aus Doct. Johan. Tauleri Schriften [...], o.O. 1710, 93–128 [SUB Göttingen]; Geistliche Fama 10 (1733), 46; 19 (1736), 20f.; Kurze Historie der Inspirirten, in: XVI. Sammlung [...], o.O. 1772, 240f. Vgl. ferner F. Ernest STOEFFLER, Mysticism in the Devotional Literature of Colonial Pennsylvania, Allentown (Pa.) 1949, 91ff. 163 Johann Christoph BUSENREUTH, Reformatio Papatus iuxta Confessionem Augustanam [...], Goslar 1621. Herzog August ließ das Manuskript, das von dem Nürnberger Juristen Johannes Busenreuth (1548–1610) stammte, im Lüneburger Sternverlag drucken. Die Vorrede Arndts ([2r]–[8v]) ist ein Widmungsschreiben an den Herzog. Vgl. Inge MAGER, Die Beziehung Herzog Augusts von Braunschweig-Wolfenbüttel zu den Theologen Georg Calixt und Johann Valentin Andreae, PuN 6 (1980), 76–98, hier 78 und 92. 164 Schon 1604 schrieb er an Johann Gerhard: »Libellus meus de imaginibus mihi non satisfacit; proinde nolo videat amplius lucem.« (RAIDEL [wie Anm. 39], 33). 165 Vgl. etwa die Bemerkungen in seinen Briefen an Petrus Piscator (GLEICH [wie Anm. 14], 1–7, 8f.) und Johann Gerhard (RAIDEL, 73–81, 138–143).
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ausgehende Wirkungsgeschichte. Der mit Arndt befreundete Jurist Christoph Besold konnte u.a. mit dem Hinweis auf die katholischen Quellen des Wahren Christentums seine Konversion zur römischen Kirche rechtfertigen,166 in der Madrider Jesuitenbibliothek wurde ein lateinisches Exemplar (ohne Titelblatt) einem Mitarbeiter A.H. Franckes als beste asketische Schrift vorgeführt,167 und der junge Zinzendorf ließ das Wahre Christentum ins Französische übersetzen, weil er es auch als Erbauungsbuch für jansenistische Fromme für geeignet hielt.168 Der Schotte John Durie sah in den Werken Arndts (und Lewis Baylys) eine Grundlage für die von ihm betriebene Vereinigung der protestantischen Kirchen.169 Vor allem aber hat Arndts Unterscheidung von Theologie und Frömmigkeit, von Lehre und Leben, und die Aufrichtung der gelebten Frömmigkeit als Kriterium für ›wahres‹ Christentum entscheidend zu der pietistischen Relativierung der konfessionellen Differenzen im Protestantismus beigetragen.170
166 Christoff BESOLD,
Christliche vnd Erhebliche Motiuen [...], Ingolstadt 1637, 121f. Vgl. KOEPP (wie Anm. 3), 152. 168 Zinzendorf an Kardinal Noailles [Febr. 1724]: »Tout ce que je puis vous dire, Monseigneur, c’est qu’on vient d’achever à traduire le Traité du vray Christianisme par feu J. Arndt, un des Théologiens Mystiques de la Confession d’Augsbourg; l’on s’y plaît beaucoup dans les Ecrits de Tauler, de Kempis et d’autres; c’est pourquoy l’on a cru qu’on ferait plaisir à la France de luy donner en main un livre qui ne contient que des vertus pratiques et incontestées des deux Partis, de la façon des deux auteurs, mais plus en Détail et fort bien écrit en son temps.« (Alice SALOMON, La catholicité du monde chrétien d’après la correspondance inédite du comte Louis de Zinzendorf avec le cardinal de Noailles et les évêques appellants 1719–1728, Paris 1929, 34.) 169 Vgl. C.H.W. VAN DEN BERG, Art. »Durie«, TRE 9 (1982), 242–245 (Lit.). 170 Erinnert sei auch an die Hochschätzung Arndts im reformierten Pietismus (bereits bei Theodor Undereyck). 167
JOHANN ARNDTS STUDIENZEIT Zu den bedeutendsten Gestalten des nachreformatorischen Protestantismus gehört Johann Arndt (1555–1621). Wichtige Stationen seines Lebensweges sind eng mit der niedersächsischen Kirchengeschichte verbunden. Nach sieben Jahren im Pfarramt in Anhalt (1583–1590), die wegen seiner unnachgiebigen Haltung im Streit um den Taufexorzismus mit seiner Absetzung endeten, und weiteren neun Jahren Pfarrdienst in Quedlinburg kam er 1599 nach Braunschweig. In die zehnjährige Zeit seiner Wirksamkeit an der Hauptkirche St. Martini fällt die Abfassung und Veröffentlichung des Werkes, das zu den weitestverbreiteten und meistgelesenen der christlichen Weltliteratur werden sollte, der ›Vier Bücher von Wahrem Christentum‹. Nach einem nur knapp dreijährigen Intermezzo in Eisleben kehrte Arndt in den niedersächsischen Raum zurück, um bis zu seinem Tod als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg in Celle zu wirken1. Zu der Bedeutung Arndts, die sich in einer breiten Wirkungsgeschichte2 bis in das 19. Jahrhundert hinein dokumentiert und ihn geradezu als eine Schlüsselfigur für die nachreformatorische Frömmigkeitsgeschichte erscheinen läßt, steht das recht bescheidene Ausmaß der Arndtforschung in einem krassen Kontrast. Diese Beobachtung drängt sich bereits bei einem Blick auf Arndts Biographie auf. Eine neuere, heutigen wissenschaftlichen Erfordernissen entsprechende Darstellung fehlt; wir sind – von Einzelfragen abgesehen – noch immer auf die Biographie von Friedrich Arndt aus dem Jahre 1838 (!) angewiesen3. Vor allem über Arndts Lebensweg bis zu seinem Weggang aus Anhalt (1590) besitzen wir nur dürftige Nachrichten. Dieser Mangel ist besonders schmerzlich im Blick auf Arndts Studienzeit. Sie fällt in jene Jahre, als die Bekenntnisbildung im Luthertum mit Formula Concordiae (1577) und Konkordienbuch (1580) ihren Abschluß erreicht. So könnte man doch aus einer genaueren Kenntnis des Ausbildungsgangs mancherlei Aufschlüsse über die 1 Vgl. Wolfgang SOMMER, Johann Arndts Wirken in Celle als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg und Herzog Christian d.Ä. von Braunschweig-Lüneburg, Celler Chronik 2 (1985), 7–38; DERS., Johann Arndt und Joachim Lütkemann – zwei Klassiker der lutherischen Erbauungsliteratur in Niedersachsen, JGNSKG 84 (1986), 123–144; DERS., Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der Orthodoxie (FKDG 41), Göttingen 1988 (hier auch ein instruktiver Forschungsbericht: 135–142). 2 Die neueste Darstellung Arndts und seiner Wirkungsgeschichte im 17. Jahrhundert findet sich bei Johannes WALLMANN, Pietismus (KIG Lief. O 1), Göttingen 1990, 14–24. 3 Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland General-Superintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838.
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Entwicklung seiner Frömmigkeitstheologie4 erwarten, die sich als so wirkungsmächtig erweisen sollte.
I Quellenlage und Forschungsstand Die Quellenbasis für die frühe Biographie Arndts ist äußerst schmal. Die Quellen sind schnell aufgezählt: a. Eine grundlegende Quelle bilden die Personalia (»Memoria defuncti«), die nach dem Brauch der Zeit der Leichenpredigt auf Arndt 5 beigegeben sind. Hier wird berichtet, daß Arndt nach Absolvierung der (Latein-) Schulen in Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg im Jahre 1576 das Studium begonnen und nacheinander vier Hochschulen besucht habe, nämlich Helmstedt, Wittenberg, Basel und Straßburg. An den letztgenannten habe er sich eine geraume Zeit aufgehalten und anderen Studenten Privatunterricht in Rhetorik, Ethik, Physik sowie über den Römerbrief gegeben. Aus der Basler Studienzeit wird erzählt, daß Arndt in den Rhein gefallen und durch einen polnischen Freiherrn, dessen Praeceptor Arndt gewesen sei, vor dem Ertrinken gerettet worden sei. Was Arndt an den Hochschulen studierte, wird in den Personalia der Leichenpredigt nicht ausdrücklich gesagt; doch kann dem Hörer und Leser nicht zweifelhaft sein, daß es sich um das Studium der Theologie handelte. Denn es wird betont, daß schon von Jugend auf Arndts besondere Liebe der Heiligen Schrift und dem Predigtamt gegolten habe und sein Studieren auf das Ziel ausgerichtet gewesen sei, wie er Gott und dessen Kirche fruchtbar dienen könnte. b. Diese Angaben bilden die Grundlage für eine Lebensbeschreibung6 Arndts, die den späteren Ausgaben von Arndts Evangelien-Postille beigegeben wurde7. Sie trägt den Titel: »Kurtzer Bericht / Von Ankunfft / Leben vnd seligem Absterben Herrn Johann Arndts / etc.« und wurde in lateinischer Über4 Zum Begriff: Berndt HAMM, Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus, PuN 8 (1982), 43–73, hier 46 mit Anm. 10. 5 Wilhelm STORCH, Christliche Leich-Predigt / [...] Bey der Begräbnüß des weyland Ehrwürdigen und Hochgelahrten Herrn Johann Arndts [...], Lüneburg 1621, 60–70 [SUB Göttingen: Conc. Fun. II, 37 Nr. 24]. 6 Es handelt sich freilich nicht um eine Autobiographie, wie A.G. SCHMIDT, Anhalt’sches Schriftsteller-Lexikon, Bernburg 1830, 11, meint. 7 In der Erstausgabe (Postilla: Das ist: Außlegung vnd Erklärung der Evangelischen Text [...], Jena: Steinmann 1616 [SUB Göttingen]) findet sich die Lebensbeschreibung noch nicht. Von den nach Arndts Tod erschienenen Ausgaben war mir erst die Ausgabe Frankfurt/M.: Merian 1643 [Predigerseminar Friedberg] zugänglich.
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setzung8 und deutsch9 nachgedruckt. Diese Schilderung bildet die Grundlage der meisten biographischen Darstellungen seit dem 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart10. Auch die Quelle einer biographischen Notiz von Johann Jakob Rambach, des Herausgebers einer dreibändigen Ausgabe von Arndts ›Geistreichen Schriften‹ (1736)11, bleibt im Dunkeln12. Nach Bemerkungen über Arndts Herkunft und Schulbesuch, die aus der Leichenpredigt übernommen sind, heißt es: »Da Er 1576. die Universität besuchte, so gewann Er vor andern das Studium Medicum lieb, und wendete grossen Fleiß auf dasselbe. GOtt, der ihn zu was höhern ausersehen hatte, ließ ihn in eine tödtliche Kranckheit fallen, in welcher er sein Hertz neigete, durch ein Gelübd sich verbindlich zu machen, daß er, wenn ihn GOtt wieder gesund machen werde, hinfort die Theologie und Forschung der Heil. Schrifft sein Haupt-Werck seyn lassen wolte; welcher Zusage er auch hernach mit gesegnetem Fortgange rühmlich nachgesetzet hat«13.
Unklar bleibt, wie sich diese Angabe über ein 1576 begonnenes Medizinstudium zu den unmittelbar darauf folgenden, nun wieder fast wörtlich aus der Leichenpredigt übernommenen Aussagen verhalten, daß Arndt »Anno 1576 [...] ferner auf hohe Schulen verschicket worden« sei, und wie sie chronologisch und inhaltlich zu verbinden sind. Die autobiographischen Zeugnisse Arndts sind sehr dürftig: c. In seiner Frühschrift ›Ikonographia‹ (1597) erwähnt Arndt kurz seinen Aufenthalt in Straßburg.
8 Henning WITTEN[IUS], Memoriae theologorum nostri seculi clarissimorum revocatae. Decas prima, Frankfurt 1674, 171ff. 9 Ausführlicher Bericht von Ankunft, Leben, Wandel und seligem Absterben, wie auch hinterlassenen Schriften des Hocherleuchteten und Geistreichen Johann Arndt, Nordhausen 1698. Friedrich Julius WINTER, Johann Arnd, der Verfasser des »Wahren Christentums«. Ein christliches Lebensbild (SVRG 101/102), Leipzig 1911, 98. 10 WINTER und Hans-Joachim SCHWAGER, Johann Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen. Diss. ev. theol. Münster 1961, haben die Leichenpredigt benutzt; Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (NSGTK 13), Berlin 1912 [Reprint: Aalen 1973], nennt sie zwar in seinem Literaturverzeichnis, hat sie aber offensichtlich nicht eingesehen; Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim [1969] 31978, ist sie unbekannt geblieben. 11 Johann Jacob RAMBACH, Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, I–III, Leipzig / Görlitz 1736. 12 Kurtzer Bericht Von Ankunfft / Leben und seligen Absterben Herrn Johann Arnds, in: Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III, 17. 13 Ebd.
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d. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts war auch ein Brief(fragment) Arndts an Polykarp Leyser aus dem Jahre 1592 bekannt 14, aus dem in der älteren Forschung auf ein Studium Arndts bei Leyser und eine in diese Wittenberger Studienzeit zurückreichende freundschaftliche Verbundenheit von Professor und Student herausgelesen wurde15. e. Eine knappe, aber wie sich zeigen wird, sehr wichtige autobiographische Reminiszenz enthält ein Brief Arndts an Johann Gerhard, der sich unter der Korrespondenz findet, die der Nürnberger Diaconus Georg Martin Raidel in den ›Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum‹ 1740 veröffentlichte16. Auf dieser Quellenbasis beruhten alle älteren Arbeiten, und über diesen Kenntnisstand führte im Blick auf die Jugend- und Studienzeit auch die Biographie Friedrich Arndts17 nicht hinaus. Der anhaltische Hofprediger Friedrich Wilhelm Schubart konnte einige wenige genauere Nachrichten über die Eltern Arndts und seine Zeit als Pfarrer in Anhalt zusammentragen18, brachte zu Arndts Studienjahren aber keine neuen Erkenntnisse bei. Die Untersuchungen von Friedrich Julius Winter19, Wilhelm Koepp20 und Hans-Joachim Schwager21 bewegten sich ganz im herkömmlichen Rahmen.
Arndt an Polykarp Leyser, Quedlinburg, 19.9.1592; zuerst abgedruckt bei Polykarp LEY(III.), Officium pietatis, Leipzig 1706, 28; danach bei Gottlieb WERNSDORF (praes.), Arndtianos de Vero Christianismo libros [...] examinabit Petrus ELERS [...], Wittenberg 1714, 7 (Auszug); und bei Gottfried Balthasar S CHARFF, Supplementum historiae litisque Arndianae [...], Wittenberg 1727, 26f. (Auszug). 15 August THOLUCK, Lebenszeugen der lutherischen Kirche aus allen Ständen vor und während der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Berlin 1859, 265–269; F. ARNDT, 19; KOEPP, 19; WINTER, 3. 16 Georgius Martinus RAIDELIUS (ed.), Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740. 17 Wie Anm. 3. 18 SCHUBART, Johann Arndt. Ergänzungen und Berichtigungen zu der Geschichte seines Lebens und Wirkens in Anhalt, NKZ 9 (1898), 456–472; vgl. auch DERS., Pfarrchronik des sechzehnten Jahrhunderts für die Ortschaften der jetzigen Ephorie Ballenstedt, Zeitschrift des HarzVereins für Geschichte und Altertumskunde 36 (1903), 106–138, 161–208. Das überraschendste Ergebnis der lokalgeschichtlichen Nachforschungen Schubarts war sein Rückschluß, daß Arndt nicht – wie bisher einhellig überliefert – in Ballenstedt, sondern in Edderitz geboren sei. Dieser Argumentation haben sich WINTER, 1, KOEPP, 16, M. SCHMIDT, Art. »Arndt, Johann«, TRE 4 (1979), 121–129, F. Ernest STOEFFLER, The Rise of Evangelical Pietism (SHR 9), Leiden 1965, 21971, 203; DERS., Johann Arndt, GK 7 (1982), 37–49, hier 37, WALLMANN (wie Anm. 2), 15, angeschlossen. Die Personalia der Leichenpredigt nennen jedoch Ballenstedt als Geburtsort; ebenso wird Arndt in allen Matrikeleintragungen als »Ballenstettensis« geführt. WEBER, 192 Anm. 23 verweist zu Recht darauf, daß Schubart den Geburtsort Edderitz nur erschlossen habe. 19 Wie Anm. 9. 20 Wie Anm. 10. 21 Wie Anm. 10. 14
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f. Die Matrikel der von Arndt besuchten Universitäten fanden erst zu Beginn unseres Jahrhunderts Beachtung. Winter hat ihnen erstmals Aufmerksamkeit geschenkt. Er konnte aber nur das Immatrikulationsdatum Arndts in Helmstedt ermitteln und den Beginn der Studienzeit in Helmstedt auf 1575 korrigieren. In der Wittenberger Matrikel fand sich Arndts Name nicht, und die gleiche Auskunft erhielt er über die damals noch unveröffentlichte der Basler Universität. Die Straßburger Matrikeln vor 1621 sind verloren22. Unsicherheit bestand über die Abfolge der beiden letzten Studienorte. Die Personalia der Leichenpredigt bieten die Reihenfolge: Basel – Straßburg23. Rehtmeier führt erstmals die Hochschulen in der Abfolge Straßburg – Basel auf. Ihm sind Rambach24, Walch25, Fr. Arndt26, Koepp27, Schwager28 und Weber29 gefolgt, während Winter an der in der Leichenpredigt genannten Reihenfolge festhält30. Fr. Arndt begründet die Reihenfolge mit dem Hinweis auf den Privatunterricht, den Arndt in Basel erteilt habe und der am Studienende wahrscheinlicher sei31. Die ältere Forschung hat sich bemüht, von den Angaben über die besuchten Studienorte auf Arndts akademische Lehrer zu schließen. Philipp Julius Rehtmeier nennt in seiner Braunschweiger Kirchenhistorie32 erstmals Namen von akademischen Lehrern und gibt Daten für die einzelnen Studienorte an. »Deßhalben er an. 1575. zu Helmstädt D. Til. Heshusium; an. 1577. zu Straßburg Joh. Sturmium, Rectore scholae, und D. Joh. Pappum, Superintent. daselbst; an. 1579. zu Basel Simonem Sulcerum, Theologiae, und Theodorum Zvingerum Philos. Professores mit sonderbahrem Fleiß und Nuzen gehöret [...]«.
Zwei Jahre später (1581) sei Arndt nach Hause gereist, das Jahr 1582 sei das Datum seines Eintritts in den Schuldienst und der Eheschließung33. Neben WINTER, 3f., 100f. Anm. 6–8. S.u. Beilage 1; so auch oft in der älteren Biographik, z.B. Gottfried ARNOLD, Das Leben der Gläubigen, Halle 1701, 536. 24 RAMBACH, 17. 25 Johann Georg WALCH, Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten Der Evangelisch-Lutherischen Kirchen, Von der Reformation an bis auf ietzige Zeiten, III, Jena 21733 [Reprint: Stuttgart-Bad Cannstatt 1984], 173. 26 F. ARNDT, 20. 27 KOEPP, 17. 28 SCHWAGER, 11. 29 WEBER, 26. 30 WINTER, 4 und 101 Anm. 8. 31 F. ARNDT, 20 Anm. **. WINTER, 101 Anm. 8: dies sei »kein Grund, von der Überlieferung abzuweichen«. 32 Philipp Julius REHTMEIER, Historiae Ecclesiasticae Inclytae Urbis Brunsvigae pars IV. Oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie Vierter Theil [...], Braunschweig 1715, 313. 33 Ebd. 22 23
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den bekannten Biographien34 verweist Rehtmeier auf ein handschriftliches Verzeichnis über das Braunschweiger Predigerministerium35. Ob aus diesem Verzeichnis die konkreten Angaben stammen oder ob Rehtmeier nur Vermutungen wiedergibt, bleibt ungewiß. Mißtrauisch muß aber die Erwähnung von Heshusius machen, der erst im Herbst 1577 nach Helmstedt kam, als Arndt schon in Straßburg gewesen sein soll36. Neben den schon bei Rehtmeier genannten begegnen weitere Namen: für Helmstedt außer Tileman Heshusius37 noch Timotheus Kirchner, Daniel Hoffmann und Basilius Sattler38, für Wittenberg wurde einhellig Polykarp Leyser39 als Arndts Lehrer genannt40, für Straßburg wurde ein Studium bei Johann Marbach und Johann Pappus 41, aber auch (nach Rehtmeiers Vorgabe) bei Johann Sturm (»in humanioribus« 42) angenommen und für Basel Simon Sulzer43 angeführt44. Im Zusammenhang mit Arndts medizinischen Interessen wurde der Besuch von medizinischen Vorlesungen angenommen; in diesem Zusammenhang begegnet seit Rehtmeier meist der Name des Basler Mediziners Theodor Zwinger. Friedrich Arndt versichert aber: »auf keinen Fall hat er um der medizinischen Vorlesungen bei Zwinger willen das Studium der Theologie versäumt oder hintangesetzt. Letzteres blieb ihm immer die Hauptsache, wenngleich er die Gelegenheit, seine schon früh eingesammelten medicinischen Kenntnisse bei einem in seinem Fache so ausgezeichneten Manne, wie Zwinger, noch weiter auszubilden, mit Freuden benutzte«45. Mit den vermuteten theologischen Lehrern Arndts entstand ein eindrucksvolles und in sich stimmiges Bild der Studienzeit. Wenn Arndt 1577 nach Wittenberg wechselte und hier Theologie studierte, kam er in eine Fakultät, die WITTENIUS, FREHER, ARNOLD, DIECKMANN. Catal[ogus in] M[anu]S[cripto] Ministr[orum] Brunsv[igensium] Num. 98. 36 F. ARNDT, 18; KOEPP, 17. 37 Zu Heshusius vgl. Karl HACKENSCHMIDT, RE 3 8 (1900), 8–14. 38 WINTER, 3. Zu der ersten Helmstedter Theologengeneration vgl. Inge MAGER, Lutherische Theologie und aristotelische Philosophie an der Universität Helmstedt im 16. Jahrhundert. Zur Vorgeschichte des Hoffmannschen Streites im Jahre 1598, JGNKG 73 (1975), 83–98, hier 84. 39 Zu Leyser vgl. Theodor MAHLMANN, NDB 14 (1985), 436f. 40 KOEPP, 17; SCHWAGER, 10. 41 KOEPP, 17; SCHWAGER, 11. 42 F. ARNDT, 20 Anm. ***. 43 Zu Sulzer (1508–1585) vgl. Gottlieb LINDER, Simon Sulzer, Heidelberg 1890; Rudolf THOMMEN, Geschichte der Universität Basel 1532–1632, Basel 1889, 115; Wilhelm HADORN, RE3 19 (1907), 159–162; Max GEIGER, Die Basler Kirche und Theologie im Zeitalter der Hochorthodoxie, Zollikon-Zürich 1952, 11ff., 34ff. 44 F. ARNDT, 20; F. J. WINTER, 4; KOEPP, 17; SCHWAGER, 11; WEBER, 30. 45 F. ARNDT, 20f. 34 35
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nach der Vertreibung der »Kryptocalvinisten« und seit dem Amtsantritt Polycarp Leysers im Juni 1577 wieder ein dezidiert lutherisches Gepräge bekommen hatte46. Der Wittenberger Polykarp Leyser, der mit den Straßburgern Marbach und Pappus in enger Verbindung stand, zu denen wiederum Sulzer gute Kontakte unterhielt, erscheinen als eine Riege lutherischer Lehrer, die eine qualitativ hochstehende orthodoxe Ausbildung garantierten, die der Theologiestudent Arndt genossen habe, und sein späteres Eintreten für die Formula Concordiae verständlich machen. Freilich handelt es sich dabei um eine höchst hypothetische Konstruktion. Keiner der Helmstedter, Straßburger und Basler Theologen wird von Arndt in den bisher bekannten Quellen jemals erwähnt, und auch Leyser wird von ihm nicht als sein Lehrer genannt. Edmund Weber hat 1968 in seiner Dissertation47 das bisherige Bild der Studienzeit Arndts einer kritischen Überprüfung unterzogen und in wichtigen Aspekten (kein Studium in Wittenberg, kein Theologiestudium in Basel) zu korrigieren versucht. Auf seine Ergebnisse soll bei den einzelnen Studienorten eingegangen werden. Wie dieser Bericht über Quellenlage und Forschungsgeschichte zeigt, ist der Kenntnisstand über Arndts Studien noch immer sehr mager und von erheblichen Unsicherheiten gekennzeichnet. Durch die Entdeckung neuer Quellen (Briefe von und an Arndt) kann jetzt die Quellenbasis ein wenig erweitert und die Chronologie ausgebaut werden. Vor allem fällt dadurch ein neues Licht auf Arndts Studienzeit in Basel, die auch durch die Beachtung des geistesgeschichtlichen Kontextes in ihrer prägenden Bedeutung hervortritt. Im einzelnen stellen sich folgende Leitfragen: Wo hat Arndt studiert? Wann hat Arndt wo studiert? Was hat Arndt wann wo studiert? Bei wem hat Arndt was wann wo studiert?
II Das Studium in Helmstedt Johann Arndt begann sein Studium an der neu gegründeten Universität Helmstedt48, und zwar nicht erst im Gründungsjahr 1576, wie die älteren Darstel46 August THOLUCK, Der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jahrhunderts, Hamburg 1852, 127ff.; DERS., Lebenszeugen (wie Anm. 15) 254ff.; Walter FRIEDENSBURG, Geschichte der Universität Wittenberg, Halle 1917, 295ff. 47 Wie Anm. 10. 48 Vgl. Hermann HOFMEISTER, Die Gründung der Universität Helmstedt, Marburg 1904; Rolf VOLKMANN, Martin Chemnitz und die Gründung der Universität Helmstedt, in: Der zweite Martin der Lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von Martin Chemnitz, Braunschweig 1986, 353–367; Inge MAGER, TRE 15 (1986), 35–39.
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lungen meinten, sondern bereits vor der offiziellen Eröffnung der Hochschule. Am 20. April 1575 wurde »Johannes Arnd Ballenstedensis« immatrikuliert49. Bei der feierlichen Eröffnung der Academia Julia am 15. Okt. 1576 hielt Martin Chemnitz die Festpredigt in der Stephanikirche50, und der Student Arndt dürfte kaum unter den Zuhörern gefehlt haben. Den Unterrichtsbetrieb an der neugegründeten Hochschule, an der Arndt das artistische Grundstudium absolvierte, hat Weber kurz charakterisiert51. Ob er hier auch schon den Unterricht in einer der höheren Fakultäten besuchte, hängt davon ab, wieviele Semester er in Helmstedt verbrachte. Wie lange ist Arndt in Helmstedt geblieben? Die – 1926 erschienene – Edition der Matrikel verweist in einer Fußnote auf einen Eintrag im Karzerbuch (liber niger) der Universität, auf den Weber aufmerksam gemacht hat. Dort begegnet Arndt als »Johannes Aquila«, der nach humanistischer Sitte latinisierten Namensform52, unter dem 14.2.1577. Der eigenhändige Eintrag des Delinquenten im Karzerbuch, das Weber nicht eingesehen hat, gibt keine Auskunft über das Vergehen, dessen sich der Student Arndt schuldig gemacht hatte. Er enthält nur die formelhafte Versicherung Arndts, daß er keine Vergeltung üben und sich künftig untadelig verhalten wolle. Der Text lautet: »Ich, Johannes Aquila Ballnstetensis, bekenne mid dieser meiner eigen handschrifft, das ich umb meiner verbrechung willen billich incarceriret, gerede und gelobe an Eides stadt, das ich solchs weder mitt worten noch mitt wercken durch mich oder andere vindiciren will, sag auch hirmid zu, mich hinfürder zu bessern, geschrieben den 14 Februarii anno Ch[rist]i 1577.«53
Mit den Eintragungen in Matrikel und Karzerbuch stehen zwei sichere biographische Daten fest: Arndt hat vom April 1575 bis mindestens Februar 1577 in Helmstedt studiert. Wer waren Arndts Helmstedter Lehrer? Zurecht hat Weber gegenüber den Spekulationen über Arndts Helmstedter theologische Lehrer eingewandt, daß dieser als Studienanfänger zunächst das artistische Grundstudium absolvieren mußte. Daher dürfte Arndt kaum bei Heshusius, Kirchner und Sattler gehört
Paul ZIMMERMANN (Bearb.), Album Academiae Helmstadiensis, I/1, Hannover 1926, 5. Abgedruckt in: Historica narratio de introductione universitatis Juliae, Helmstedt 1579, fol. N 1a-Y 2a; und in: Martin CHEMNITZ, Richtige vnd inn h. schrifft wolgegründete erklärung [...], Frankfurt/M. 1592, 609–706. Vgl. Theodor MAHLMANN, Bibliographie Martin Chemnitz, in: Festschrift zum 400. Todestag von Martin Chemnitz (wie Anm. 48), 368–425, Nr. 46 und 65. 51 WEBER, 21–23. 52 Arndt ist die niederdeutsche Form von Adler; der latinisierte Name »Aquila« begegnet später auch in der Basler Matrikel. 53 Staatsarchiv Wolfenbüttel, 37 alt, 2592, fol. 6v. Die Interpunktion ist von mir ergänzt. 49 50
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haben54. Dagegen kann Daniel Hoffmann, der bis 1579 der philosophischen Fakultät angehörte55, sicher als Arndts Lehrer gelten. Ein Zeugnis des Lehrer-Schüler-Verhältnisses aus späterer Zeit, als Arndt längst schon Pfarrer in seiner anhaltischen Heimat war, bietet ein bisher unbeachteter Brief Hoffmanns. Es handelt sich um die »Epistola ad amicum de hac ipsa causa, a Dn. D. Daniele Hoffmanno scripta«, die sich in einem 1591 veröffentlichten Werk Hoffmanns über den Taufexorzismus findet56. Der Brief ist am 25. April 1590 geschrieben und antwortet auf eine Anfrage des Empfängers. »S[alutem]. Reverende in Christo frater, ignosce quod gravi graviter querenti paucis respondeo. Significas urgeri a vestratibus quibusdam Exorcismi abrogationem, qui more recepto secundum formam insertam Catechismo D. Lutheri adhibeatur baptismo infantum, quosdam autem contendere adjurationis formam, illam minime a baptismo separandam esse, quibus aula optionem dederit, ut vel ab Ecclesiis suis discedant, vel in abrogationem consentiant. Quaeris igitur utrum eligendum sit. [...]«
Der ungenannte Adressat ist nach meiner Vermutung Johann Arndt. Denn die Lage, die der Briefempfänger in seiner Anfrage geschildert hatte, trifft genau auf die Situation in Anhalt zu. Die obrigkeitlich verordnete Abschaffung des Taufexorzismus, hinter der zu Recht calvinisierende Tendenzen vermutet wurden, bildete den Auftakt für die »zweite Reformation«57 des Fürsten Johann Georg und seines Hoftheologen Wolfgang Amling58. Arndt gehörte zu denen, die an dem lutherischen Brauch festhalten wollten. Im Frühjahr 1590 spitzte der Konflikt sich dramatisch zu. Am 5. März hatten die Ritterschaft und einige Städte gegen die Abschaffung des Exorzismus protestiert59. In dieser Lage wandte sich Arndt offenbar an seinen alten Lehrer Hoffmann um Rat, der mit seinem Brief vom 25. April Arndt in seiner ablehnenden Haltung bestärkte. 54 WEBER, 23. Auch der Schotte Duncan Liddel kommt als Lehrer Arndts nicht in Frage (gegen SCHWAGER, 9), da er erst 1590 nach Helmstedt berufen wurde, als Arndt schon sieben Jahre im Pfarramt war! 55 Ebd. 56 ORTHODOXA DE EXORCISMO A QUIBVSDAM ECCLESIIS AVGVSTANAM CONFESSIONEM amplectentibus in Baptismi administratione NON IMPIE retento, doctrina [...], o.O. 1591, f. [D 4v] - [E 1v]. 57 Vgl. den Sammelband: Heinz SCHILLING (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation« (SVRG 195), Gütersloh 1986, in dem Anhalt leider nicht eigens behandelt wird. 58 Vgl. Heinrich DUNCKER, Anhalts Bekenntnisstand während der Vereinigung der Fürstentümer unter Joachim Ernst und Johann Georg (1570–1606). Ein Beitrag zur deutschen Kirchengeschichte aus ungedruckten Quellen des Zerbster Haus- und Staatsarchivs, Dessau 1892, 58ff.; SCHUBART (wie Anm. 18). 59 F. ARNDT, 27.
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III Wittenberg Die Behauptung eines Studiums in Wittenberg hat Weber einer kritischen Prüfung unterzogen60. Schon Winter hatte bemerkt, daß Arndt in der Wittenberger Matrikel fehlt 61. (In der Wittenberger Matrikel erscheint zwar 1571 ein Johannes Aquila Bernburgensis62. Dabei kann es sich aber nicht um den damals 17jährigen Arndt handeln63, sondern um einen Namensvetter, vielleicht einen Verwandten64.) Der fehlenden Immatrikulation fügt Weber als weiteres Argument hinzu, daß Arndt nach Ausweis des Karzerbuchs im Februar 1577 noch in Helmstedt war, aber nach herkömmlicher Ansicht im selben Jahr auch schon sein Studium in Straßburg fortgesetzt habe; so bleibe für ein Studium in Wittenberg keine Zeit mehr übrig65. Gleichwohl wird man Wittenberg nicht zu schnell mit Weber aus der Liste der Studienorte streichen dürfen. Daß Studenten nicht immatrikuliert waren, begegnet im 17. und 18. Jahrhundert häufiger66. Auch in Wittenberg wurde von der Universität häufig geklagt, daß Studenten sich der Immatrikulation entzogen67. So fehlt in der Wittenberger Matrikel z.B. auch der Name Philipp Nicolais, der dort 1576–1580 studierte68 – also, falls Arndt tatsächlich in Wittenberg war, z.T. gleichzeitig mit ihm69. Auch Webers Argument, daß Arndt 1577 sein Studium in Straßburg fortsetzte, beruht nur auf einer Vermutung WEBER, 23–25. WINTER, 3. 62 Carl Eduard FÖRSTEMANN (Hg.), Album Academiae Vitebergensis, II, Halle 1894, 187a. 63 Gegen Hans Georg WACKERNAGEL (Hg.), Die Matrikel der Universität Basel, II: 1532/33–1600/07, Basel 1956, 265, Nr. 94. Die Helmstedter und Basler Matrikeleintragungen geben als Herkunftsort Ballenstedt an. 64 Von diesem Johannes Aquila aus Bernburg sind eine Stammbuch-Eintragung (Wittenberg, 1.4.1571, in: Stammbuch des Johannes Lunden, SUB Göttingen, 8° Cod. Ms. hist. lit. 47C, fol. 19v) und Glückwunschgedichte auf Anhalter Fürsten (Bundesarchiv Koblenz, Außenstelle Frankfurt/M.) vorhanden. 65 WEBER, 24. 66 Vgl. Heinz SCHNEPPEN, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben, Münster 1960, 9. 67 FRIEDENSBURG (wie Anm. 46), 338f. 68 Studium Nicolais in Wittenberg: Louis CURTZE, D. Philipp Nicolai’s Leben und Lieder. Nach den Quellen, Halle 1859, 15–20. 69 Auf das gleichzeitige Studium von Arndt und Nicolai in Wittenberg hat, wie ich nachträglich sehe, schon Martin LINDSTRÖM, Philipp Nicolais Verständnis des Christentums (BFCTh II, 40), Gütersloh 1939, Anm. 6, hingewiesen. Über eine Beziehung beider sei nichts bekannt. – Immerhin verweist Arndt in seiner Vorrede zu Christophorus Friccius, Musica Christiana [...], Leipzig 1615, 5, auf Nicolai: »Inseras tuo encomio musico, memoriam clarissimi theologi Philip. Nicolai, qui paulo ante obitum tres egregias cantiones Germanicas mira verborum dulcedine composuit, quibus angustias suas morbique gravitatem emoliit et demulsit«. Vgl. dazu Johannes WALLMANN, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit, JHKGV 35 (1984), 371–379, hier 379. 60 61
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(»wie die meisten Arndtforscher wohl zu recht angenommen haben«), da bislang jegliche chronologische Anhaltspunkte fehlten. Wie sich zeigen wird, folgte aber der Aufenthalt in Straßburg erst auf die Zeit in Basel, so daß dieses Argument hinfällig ist. Ein gewichtiges Quellenzeugnis für ein Studium in Wittenberg, das Weber unbekannt blieb, ist die Aufzählung der Studienorte in den Personalia der Leichenpredigt. Hier steht Wittenberg zwischen Helmstedt und Basel. Die Glaubwürdigkeit dieser Angaben muß hoch veranschlagt werden70. Selbst wenn die Leichenpredigt nicht frei von tendenzieller Darstellung ist, bleibt doch die Erfindung eines Studienortes recht unwahrscheinlich. Aber was hat Arndt in Wittenberg studiert? Die ältere Forschung ging selbstverständlich von einem Studium der Theologie aus. Weber hat den Quellenwert des Arndt-Briefes an Polycarp Leyser, der meist als Beleg für eine in der Studienzeit wurzelnde persönliche Bekanntschaft und Freundschaft angeführt wurde, in Zweifel gezogen. Das Brieffragment vom 19. Sept. 1592 lautet: »Pacem et salutem in Domino nostro Jesu Christo. Amen! Reverende et clarissime Domine Doctor, multis me iterum beneficiis T[ua] E[xcellentia] affecit edito insigni libello contra Anhaltinos Exorcismo-Mastygas, quo & causam meam agis et innocentiam meam egregie ultus es, quo nomine magnas T[uae] E[xcellentiae] & debeo & ago gratias, unice te orans, ut ne, si quid resibilaverint viperae illae, patrocinium veritatis abjicias. ...«71
Worauf bezieht sich Arndt? G.B. Scharff, der das Brieffragment in seinem ›Supplementum historiae litisque Arndianae‹ abdruckte72, hat angenommen, daß Arndts Dank einer Schrift Leysers von 1591 gelte: Von Abschaffung des Exorcismi bey der heiligen Tauffe im Fürstenthum Anhalt. Rath und Bedencken73. Arndt habe wohl zwei Stellen vor Augen: »daß man etzliche Prediger mit Bedräuung der Enturlaubung gezwungen ohne exorcismo zu tauffen«, und »[achte dafür,] daß man diejenigen, welche aus erheblichen Ursachen nicht darein willigen / nicht mit gutem Gewissen eines Fürstlichen Ungehorsams beschuldigen könne«74. Arndt selbst wird aber in dieser Schrift nicht erwähnt. Weber bemerkt dazu: »Faktisch jedoch rechtfertigte sie auch Arndts Ansicht und widersetzliches Verhalten. Dafür allein bedankte sich Arndt, wenn er 70 Vgl. A. SCHLEISING, Die Glaubwürdigkeit der Leichenpredigten des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Untersuchung über den Quellenwert einer Literaturgattung, Mitteilungen des Roland 26 (1941), 54–58; 27 (1942), 1–18. – Die Leichenpredigt auf Arndt blieb WEBER unbekannt. 71 S.o. Anm. 14. 72 SCHARFF (wie Anm. 14). 73 Polykarp L EYSER, Von Abschaffung des Exorcismi bey der heiligen Tauffe im Fürstenthum Anhalt. Rath und Bedencken [...], Gerapolis 1591 [Calvörsche Bibliothek, Clausthal-Zellerfeld]. 74 LEYSER, Von Abschaffung, Lit. CII und CIII; vgl. SCHARFF, 26f., Anm. z.
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schreibt: ›... quo & (!) causam meam agis, ...‹ Mehr ist von einer direkten Beziehung Arndts zu Leyser nicht vorhanden«75. Außer dem genannten Brieffragment ist keine Korrespondenz zwischen Leyser und Arndt bekannt; auch die von Polycarp Leysers Enkel herausgegebene Briefsammlung seines Großvaters 76 enthält keine Arndt-Briefe. Immerhin fällt auf, daß Arndt von Wohltaten spricht, die Leyser ihm »iterum« erwiesen habe. Leyser hat zwei weitere Werke gegen die Anhalter verfaßt, die in der bisherigen Forschung unbeachtet geblieben sind. Die erste Schrift trägt den Titel: Ein Christliches Bedencken / was von dem Exorcismo bey der Tauff / und abschaffung desselben zu halten sey. [...]. Sie kam in zwei Drucken heraus 77. Dieses Bedenken hat P. Leyser als Braunschweiger Superintendent verfaßt; es datiert vom 10. August 159078. Im Blick auf die Verhältnisse in Anhalt schreibt Leyser: »man weis / mit was grossem seufftzen / schmertzen vnd Weheklagen / etliche Prediger vnd Zuhörer / sich diesem Joch vntergeben haben / wie hinwieder andere sich desselben noch erwehren.«79
Eine wichtige Rolle in Leysers theologischer Beweisführung spielt ein kirchengeschichtliches Argument für die Beibehaltung des Taufexorzismus: »Dann die Ceremonia des Exorcismi ist für viel hundert Jahren / noch bey lebzeiten der reinen Alten Kirchen Lehrer / in die Kirchen Gottes eingeführet / vnd bißhero darinnen erhalten worden.«80
Genau einen Monat später, am 10. Sept. 1590, gab Arndt gegenüber Fürst Johann Georg von Anhalt seine »Endliche Erklärung die abschaffung des Exoricismi belangendt« ab. Ganz im Sinne und fast mit den Worten Leysers, dessen Bedencken ihm vielleicht handschriftlich bekannt war, verweigerte Arndt den Gehorsam81: »Weil mein gewissen hirin gefangen, das die orthodoxi patres von dreizehnhundert Jahren den Exorcismum zur heiligen tauffe geordnet und dadurch ein universalis ceremonia worden totius orthodoxae ecclesiae, welchen sie auch de mente et vero sensu scripturae genommen, auch mit nichten eine Ceremonia impia ist.«
Arndts Gehorsamsverweigerung führte zu seiner Entlassung82. WEBER, 25. Polycarp LEYSER [III.], Sylloge epistolarum B. D. Polycarpi Lyseri Senioris, Leipzig 1706. 77 Magdeburg: Francke 1591 [SUB Göttingen: 8° Th th II, 446/37] und Jena: Steinmann 1591 [UB Marburg: XIX cB 580ax)]. 78 Bedencken (Jenaer Druck), D [ivv]. 79 Bedencken D ijv. 80 Bedencken A iijr. 81 Abgedruckt: SCHARFF (wie Anm. 14), 22; F. ARNDT (wie Anm. 3), 29; S CHUBART, Ergänzung (wie Anm. 18), 21; Wilhelm KOEPP, Johann Arndt (KlRel 2), Berlin-Schöneberg 1912, 24. 82 Vgl. SCHUBART 21f. 75 76
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Auf Leysers Buch replizierte Wolfgang Amling mit der Schrift: Gründlicher Beweiss / das der Exorcismus bey der heyligen Tauff wider die fürnembsten Heuptstück des Catechismi streite83. Daraufhin entgegnete Leyser mit einer 1592 erschienenen Schrift: Vom Exorcismo. Ein Christlicher / nötiger vnd in Gottes Wort wolgegründeter Bericht84. Das Buch, von Leyser am 29. Sept. 1591 (Vorrede) abgeschlossen, ist 1592 erschienen. Arndts Dank in seinem Brief vom 19. Sept. 1592 für die »iterum« erfahrenen Wohltaten bezieht sich offenbar auf dieses Werk, mit dem Leyser sich erneut gegen die Anhalter wandte. Da Leyser hier ausführlich die Gewissensnöte der Pfarrer schildert, eingehend die Frage der Gehorsamsverweigerung gegenüber den Eingriffen der Obrigkeit in das Kirchenwesen erörtert und mehrfach der bedrängten und zum Exil gezwungenen Pfarrer gedenkt85, wird Arndts Bemerkung verständlich, daß Leyser auch seine Sache behandele und seine Unschuld bewiesen habe. Für die Beurteilung der Beziehung Arndts zu Leyser ist noch eine andere, bisher unbeachtete Frage von Interesse: Spielte P. Leyser bei Arndts Berufung nach Braunschweig 1599 eine Rolle86? Leyser war seit 1587 Koadjutor des Superintentenden und von 1589 bis 1593 Superintendent in Braunschweig gewesen und könnte Arndt empfohlen haben. Aber auch in diesem Fall wäre ein Rückschluß auf ein Studium bei Leyser nicht nötig; Arndts standhaftes Verhalten in dem Anhalter Exorzismusstreit konnte eine hinreichende Empfehlung sein. Gegen eine persönliche Freundschaft spricht vor allem auch der Umstand, daß 1608 bei Arndts Berufung nach Eisleben sein abgesetzter Vorgänger, M. Paul Wolff, in Leyser einen Fürsprecher fand 87. 83 [Wolfgang AMLING,] Gründlicher Beweiss / das der Exorcismus bey der heyligen Tauff wider die fürnembsten Heuptstück des Catechismi streite / Zu widerlegung des bedenckens D. Polycarpi Leisers / etc. Gestellet durch die Prediger im Fürstenthumb Anhalt. [...] [Zerbst] 1591 [UB Marburg: an XIX cB 580ar]. 84 Vom Exorcismo. Ein Christlicher / nötiger vnd in Gottes Wort wolgegründter Bericht. Gestellet von Polycarpo Leysern D. Superintendenten in der Stadt Braunschweig. Zu widerlegung der langen vnd vngegründten Schrifft / welche die Prediger des Fürstenthumbs Anhalt / in diesem Artickel wider ihn publiciert haben. 1592. Gedruckt zu Jhena / durch Thobiam Steinmann. [HAB Wolfenbüttel; Calvörsche Bibliothek]. 85 Z.B. fol. J ij: »Du getrewer Gott du sihests / wie mancher / fromer / ehrlicher / gelarter / alter / woluerdienter Prediger / mit Weib vnd Kind hierüber in das elend ziehen mus«. 86 In dem Faszikel B III.15.12, fol. 618ff. (H. Johan. Arndes gewesenen Pastoris zu St. Martini Vocation Vnd dimission betr.) des Stadtarchivs Braunschweig findet sich aber kein Anhaltspunkt. 87 Hierüber beklagt sich Arndt in einem Brief an Johann Gerhard: »Islebienses in templo primario Andreano [Andreaskirche] me adhuc expectant pastorem. Sed, qui est remotus propter malitiam, invenit D. Polycarpum patronum, qui se interponit« (RAIDEL 180). Vgl. F. ARNDT, 91, KOEPP, 68. Als Wolff Rat und Bürgerschaft gegen Arndt aufzuwiegeln suchte, mußte der Streit schließlich in Dresden ausgetragen werden. Auf die Frage Wolffs, ob nicht Arndts Wahres Christentum enthusiastisch sei, gab Leyser – seit 1594 kursächsischer Oberhofprediger – die später oft zitierte Antwort: »In Summa, das Buch ist gut, wenn der Leser gut ist« (F. ARNDT, 97).
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Entscheidend für die Gewichtung der Argumente erscheint die Beobachtung, daß sich in Arndts Schriften ein prägender Einfluß, den ein Studium bei Leyser auf Arndt ausgeübt hätte, nicht erkennen läßt88.
IV Basel Nach der Eintragung im Helmstedter Karzerbuch (Februar 1577) ist der nächste chronologische Fixpunkt Arndts Immatrikulation in Basel. Unter dem 13. Januar 1579 erscheint er als »Joannes Aquila, Ballenstattensis Saxo« in der Basler Matrikel89. Unmittelbar vor ihm ist am selben Tag ein »Petrus Broniowski, de Byedziedza Polonus« eingetragen90. Bei diesem polnischen Studenten handelt es sich wohl um jenen »Polnischen Freyherrn«, dem Arndt nach dem Bericht der Leichenpredigt als »Praeceptor zugeordnet« war und der ihn vor dem Ertrinken im Rhein rettete91. Piotr Broniowski, der später in Leipzig studierte92, stammte aus dem Dorf Biezdziedza in Galizien und gehörte zu der berühmten Adelssippe Broniewski93, die sich teilweise den böhmischen Brüdern94 angeschlossen hatte95. Er zählte zu den etwa 90 Polen, die im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts an der Universität Basel studierten96. Unter den
88 SCHWAGER (wie Anm. 10), 10 hat bei der Schilderung des Wittenberger Aufenthalts noch auf den »von Arndt geschätzte[n] Johann Habermann (Avenarius)« als Professor der hebräischen Sprache hingewiesen, dessen hebräisches Wörterbuch Arndt später Gerhard nennt. Arndt kann bei Avenarius aber nicht mehr gehört haben, da dieser schon 1576 als Superintendent nach Zeitz gegangen war; vgl. FRIEDENSBURG (wie Anm. 46), 301. 89 WACKERNAGEL (wie Anm. 63). Als Immatrikulationsgebühr sind 10 ß aufgeführt. Daß es sich um Johann Arndt handelt, haben Ernst STAEHELIN, Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi, IV, Basel 1957, 110, und (ohne Kenntnis von Staehelin) WEBER (wie Anm. 10), 29 bemerkt. Zu Arndts Studium in Basel vgl. WEBER, 29–35 und Johannes WALLMANN, Einflüsse der Schweiz auf die Theologie und das religiöse Leben des deutschen Luthertums im konfessionellen Zeitalter 1580–1650, in: Schweizerisch – deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580–1650, Wiesbaden 1984, 203–226, hier 209–211. 90 Imm. Basel Jan 1579 mit Arndt; imm. Leipzig 1586. 91 S.u. Beilage 1. 92 Georg ERLER (Hg.), Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809, I: 1559– 1634, Leipzig 1909, 49 (im Winter 1586). 93 Leider nicht zugänglich war mir: Polska Encyklopedia Szlachecka [Polnische Adelsenzyklopädie], Kraków 1935–1939 (Nachdruck 1985). 94 In Braunschweig kaufte Arndt das soeben erschienene Werk von Joachim CAMERARIUS, Historica narratio de fratrum orthodoxorum ecclesiis in Bohemia, Moravia et Polonia, 1605; vgl. dazu Theodor KOLDE, RE3 3, 689,37f.; F. ARNDT, 62. 95 Vgl. Gottfried SCHRAMM, Der polnische Adel und die Reformation, Wiesbaden 1965, 105 (Marcin Broniewski). 96 Vgl. Stanislaw KOT, Basel und Polen, ZSG 30 (1950), 71–91, bes. 85ff.
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Basler Professoren stand Theodor Zwinger, dem wir als Lehrer Arndts begegnen werden, den Polen sehr nahe97. In der Arndt-Literatur wird durchweg Simon Sulzer als Basler theologischer Lehrer Arndts namhaft gemacht, der von Arndt jedoch nie erwähnt wird. Von der Forschung bisher nicht in Erwägung gezogen wurde die Möglichkeit einer Bekanntschaft mit dem Theologen Johannes Winckelmann. Dieser war im August 1581 in Basel von Sulzer zum Dr. theol. promoviert worden98. 1604 versuchte die Stadt Braunschweig, Winckelmann, der seit 1592 Professor in Marburg war, als Superintendenten zu gewinnen99. Arndt bat am 10. Jan. 1605 Johann Gerhard, der damals in Marburg studierte, um nähere Informationen100. Am 17. Oktober 1605 berichtete Arndt, daß er erneut im Auftrag des Braunschweiger Senats an Winckelmann geschrieben habe101. Von einer persönlichen Bekanntschaft Arndts mit Winckelmann ist jedoch in beiden Briefen an Gerhard nicht die Rede. Im Falle einer Studienbekanntschaft Arndts mit KOT, 37. Zu Johannes Winckelmann (1551–1626) vgl. Joh. TILEMANN GEN. S CHENCK, Vitae Professorum Theologiae, qui in illustri Academia Marburgensi a sua fundatione ad nostra usque tempora docuerunt, Marburg 1727, 162; Franz GUNDLACH, Catalogus Professorum Academiae Marburgensis – Die Akademischen Lehrer der Philipps-Universität zu Marburg 1527–1910 (VHKHW 15,1), Marburg 1927, 20; Winfried ZELLER, Die Marburger theologische Fakultät und ihre Theologie im Jahrhundert der Reformation, JHKGV 28 (1977), 7–26, hier 20, 23f.; Oskar HÜTTEROTH, Die althessischen Pfarrer der Reformationszeit, II, Marburg 21966, 409f. 99 Zur erfolglosen Berufung Winckelmanns nach Braunschweig vgl. REHTMEIER (wie Anm. 32) 267f. 100 »Caeterum elapsis mensibus aliquot amplissimus senatus noster munus superintendentis huius ecclesiae legitima vocatione obtulit clarissimo viro D[omino] D[octori] Iohanni Winckelmanno, theologo primario academiae vestrae. Eiusmodi sane vocationem, quae cum amplissimo stipendio et non vulgari observantia et reverentia totius populosissimae urbis et ministerii spectabilis coniuncta est. Scripsit praeterea inclytus noster senatus ad illustrissimum landgravium Mauricium [Landgraf Moritz von Hessen-Kassel] submisse petens D[omini] D[octoris] Winckelmanni dimissionem. Verum ipse Dominus Doctor, cui heri oblata est provincia, eiusmodi nobis dedit responsa aliquot, ex quibus liquido ipsius animus pernosci non potuit. Legi quidem ternas ipsius literas, sed quid animi habeat, num hac delectetur vocatione nec ne, divinare non potui. Incassum igitur laboramus apud illustrissimum principem landgravium, si ipse animo est ab hac vocatione alieno. Quaeso igitur te secreto ad me perscribas, num hac de vocatione fama aliqua apud vos increbuerit, et quia tuis ex literis accepi te viro illo clarissimo familiariter uti, opinor tibi ipsius mentem et voluntatem nonnihil esse perspectam. Sine dubio deterret ipsum fama de hac urbe sinistra, distractiones internae et externae; verum, quia internae nunc sunt sopitae, status reipublicae divinitus tranquillitati redditus, pristinus senatus redditus, speramus etiam pacem exteriorem ad quam conciliandam Deo auspice tractatus amicabiles et meditamur et Christo nobis propitio instituentur, id, quod pacis principem [vgl. Jes 9,5] nobiscum diligenter et seriis votis precabere. Quaeso igitur te, quia nobis tantum de animo mente et voluntate D[omini] D[octoris] Winckelmanni cura est, ne difficilem te hic mihi praebeas et omnia ad me diligenter perscribas, quo ipso haut vulgarem apud nostros inibis gratiam«. RAIDEL 41f. 101 »Superintendente caremus. Ad r[everendum] et clarissimum virum, D[ominum] D[octorem] Iohannem Winckelmannum, ego, iussu et nomine senatus, denuo scripsi: is nihil respondet. Miror, quo in loco res illius?«; RAIDEL (wie Anm. 16) 50f. 97 98
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Winckelmann aus gemeinsamen Basler Tagen wäre es auch unverständlich, daß Arndt in seinem apologetischen Briefen an Balthasar Mentzer102, der mit seinem Kollegen Winckelmann wegen ihres unbeugsamen lutherischen Bekenntnisses aus Marburg hatte weichen müssen103, diese Bekanntschaft nicht erwähnt oder einen Gruß an Winckelmann bestellt hätte. Bleibt die Suche nach Hinweisen auf Arndts Theologiestudium bei Sulzer also unergiebig, so findet sich unter den bisher bekannten spärlichen autobiographischen Zeugnissen Arndts eine einzige Bemerkung über seine Studienzeit in Basel, die freilich in eine andere Richtung weist; ihre Bedeutung hat bereits Weber erkannt104. In einem Brief an Johann Gerhard erinnert sich Arndt 105: »Visitur Basileae epitaphium clarissimi olim viri Adami a Bodenstein106 auctore magno illo Theodoro Zwingero, quo doctiorem, dum musas colerem humaniores, vidi neminem, cuius versiculos aliquot memoria retinui.«
Die Notiz ist in mehrfacher Hinsicht höchst aufschlußreich. Arndt spricht nicht von einem Studium der Theologie, sondern der musae humaniores. Allein diese Bemerkung schließt ein Theologiestudium in Basel definitiv aus. Arndt erwähnt in diesem Zusammenhang als seinen Lehrer den »großen« Theodor Zwinger, der das Epitaph auf Adam von Bodenstein verfaßt habe. Beide Namen erinnern an das geistige Klima, das damals in Basel herrschte107. Bis in die achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts war Basel Heimat für humanistische und auch heterodoxe Strömungen. Der von Arndt als »vir clarissimus« bezeichnete, 1577 verstorbene Basler Stadtmedicus Adam von Bodenstein war der Sohn von Andreas Bodenstein von Karlstadt. Er gilt als »Initiator und Hauptpropagator der seit den sechziger Jahren einsetzenden Paracelsus-Renaissance«108. Der Basler Verleger Johannes Oporin109, der einstige Fa102 Brief vom 23.10.1620, [Melchior BRELER ,] Warhafftiger / Glaubwirdiger vnd gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christentumb Herrn Johannis Arndten [...], Lüneburg 1625, 62–67; F. ARNDT (wie Anm. 3), 169–174. 103 S.o. Anm. 98. 104 WEBER, 29f. 105 Arndt an Gerhard, 29.1.1608 (Forschungsbibliothek Gotha), abgedruckt: BRELER (wie Anm. 102) 2–9 (ohne Datum), F. ARNDT, 80–84; Übers.: F. ARNDT, 84–91. 106 Adam von Bodenstein, vgl. A. HIRSCH, ADB 3, 7f.; G. EIS, NDB 2, 356. 107 Vgl. außer GEIGER (wie Anm. 43), 5–39 (Das reformierte Basel des 16. Jahrhunderts) besonders die ausgezeichnete Darstellung bei Antonio ROTONDÒ, Pietro Perna e la vita culturale e religiosa di Basilea fra il 1570 e il 1580, in: Studi e Ricerche di storia ereticale italiana del Cinquecento (Pubblicazioni dell'Instituto di Scienze Politiche dell' Università di Torino 31), Turin 1974, 273–391. 108 Weber (wie Anm. 10), 37. Zum »Paracelsean revival« vgl. Lynn THORNDIKE, A History of Magic and Experimental Science, IV, New York 21951, 617–651. 109 Vgl. Martin STEINMANN, Johann Oporinus. Ein Basler Buchdrucker um die Mitte des 16. Jahrhunderts, BBGW 105 (1966), 3ff.
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mulus und Nachlaßverwalter des Paracelsus110, stellte Bodenstein das Material für die Edition von 27 Paracelsus-Schriften111 zur Verfügung112. Oporin, in dessen Verlag eine Reihe heterodoxer Schriften erschien, war der Onkel Zwingers. Theodor Zwinger (1533–1588)113, durch seinen Stiefvater Conrad Lycosthenes und Sebastian Castellio humanistisch gebildet, nach dem Studium bei Petrus Ramus in Paris schließlich in Padua zum Doktor der Medizin promoviert, hatte an der Universität seiner Heimatstadt Basel zunächst Griechisch, dann Ethik und Politik gelehrt, bis er den Lehrstuhl für Medizin erhielt. Hatte sein Interesse zunächst im Sinne der traditionellen Medizin der Kommentierung der Schriften Galens und des Hippokrates gegolten, so öffnete er sich vorsichtig den Gedanken der paracelsischen Medizin. Auf die autobiographische Reminiszenz Arndts in seinem Brief an Gerhard fällt neues Licht durch zwei Briefe, die mit seiner Basler Zeit verbunden sind114. Der erste ist überhaupt der früheste Brief Arndts, der bisher bekannt ist. Er datiert vom 1. Sept. 1579 und ist an Theodor Zwinger115 gerichtet. In der Adresse bezeichnet Arndt Zwinger als seinen Freund und Gönner (»amico et fautori suo«), wodurch das enge Verhältnis deutlich hervortritt. Die Unterschrift bietet eine Überraschung, denn Arndt unterzeichnet als »stud. med.«116! Der Brief drückt den Dank des Medizinstudenten für Zwingers medizinische Belehrung aus: »Mihi fecisti, gratus agnosco, quicquid amabili medicorum coetui fecisti«. Durch diesen Brief finden Aussagen von vertrauten Freunden Arndts über dessen medizinische Studien eine Bestätigung. Andreas Leopold, Arndts Freund und Nachfolger im Quedlinburger Pfarramt, erwähnt 1603 in einem Brief an Gerhard die Hochschätzung Arndts für das studium medicum, »cui il-
110 Johannes KARCHER, Theodor Zwinger und seine Zeitgenossen (Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel 3), Basel 1956, 28, 31, 33. 111 Karl SUDHOFF, Bibliographia Paracelsica. Besprechung der unter Hohenheims Namen 1527–1893 erschienenen Druckschriften, Graz 1958, 698. 112 KARCHER, 28. Bodensteins eigene Schriften verzeichnet Karl SUDHOFF, Ein Beitrag zur Bibliographie der Paracelsisten im 16. Jahrhundert, ZfB 10 (1893), 316–326, 385–407, hier 317– 320. 113 Die wenig befriedigende Arbeit Karchers ist ersetzt durch die vorzügliche Untersuchung von Carlos G ILLY, Zwischen Erfahrung und Spekulation. Theodor Zwinger und die religiöse und kulturelle Krise seiner Zeit, BZGAK 77 (1977), 57–137; 79 (1979), 125–223. 114 Mein Entdeckerstolz wurde gedämpft durch die Lektüre des Aufsatzes von C. GILLY (s.o. Anm. 113), der bereits 1977 beide Briefe erwähnt und den Absender bzw. Adressaten »Johannes Aquila« korrekt als Johann Arndt identifiziert hat. 115 WEBER, 29–35 hat erstmals versucht, die Bedeutung Zwingers für Arndt zu würdigen, kannte aber den Brief Arndts noch nicht. 116 UB Basel, Frey-Gryn. II 4 Nr. 11 (s.u. Beilage 2).
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le per totam vitam, magis quam theologico, deditus fuisse mihi videtur«117. Das gleiche Urteil findet sich bei Johann Gerhard selbst in einem Brief an Aegidius Hunnius d.J.118, auf den wir später zurückkommen werden. Diese Bemerkungen sind in der Arndtforschung oft zu bloßem Interesse an medizinischen Fragen oder Liebhaberei heruntergespielt worden; allenfalls rechnete man mit einem medizinischen Nebenstudium119. Ein solches Nebenstudium war zwar bei Theologen des 17. Jahrhunderts nicht selten120; aber Arndt bezeichnet sich in dem Brief an Zwinger nicht als Liebhaber der Medizin o.ä., sondern als »stud. med.«! In diesem Brief, auf dessen Anlaß noch einzugehen sein wird, gibt sich Arndt – auch in der Terminologie – als glühender Verehrer des Paracelsus zu erkennen, den er als »novus medicinae athleta« bezeichnet, und rühmt die Aufgeschlossenheit Zwingers für die paracelsische Medizin121. Zu diesem frühesten Zeugnis der Paracelsus-Verehrung Arndts bietet der zweite Brief eine wertvolle Ergänzung. Es handelt sich um ein Schreiben aus dem August des Jahres 1581, das an Arndt gerichtet ist und von dem später renommierten französischen Paracelsisten und Alchemisten Bernard Gabriel Penot 122 stammt; er ist abgedruckt in einer 1582 in Lyon erschienenen Ausgabe von medizinischen Schriften des Paracelsus123. (Leider enthält der aus Genf geschriebene Brief keine Adresse und auch sonst keinen Anhaltspunkt, wo sich Arndt 1581 aufhielt.) Auch Penot hatte – seit 1579, also gleichzeitig mit Arndt – in Basel studiert 124. Auf diese Zeit geht wohl ihre Bekanntschaft zurück. In seinem Brief behandelt Penot Arndt als vertrauten Gesinnungsfreund. Hieran lassen sich prosopographische Beobachtungen anschließen, die zeigen, daß Arndt bis zu seinem Lebensende Beziehungen zu paracelsistischen A. Leopold an J. Gerhard, 15. April 1603, RAIDEL (wie Anm. 16), 24. Brief vom 2.2.1625 an, abgedruckt bei Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndianum seu B. Ioannis Arndti tres epistolae hactenus ineditae [...], Wittenberg o.J. [1714], 13. Der Adressat ist nicht Nikolaus Hunnius, wie in anderen Abdrucken und in der Literatur fälschlich angegeben wird, sondern Aegidius Hunnius d.J.; vgl. SCHARFF (wie Anm. 14), 161f., Anm. g. 119 KOEPP (wie Anm. 10), 17. 120 Beispiele bringt Erdmann Rudolph FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi [...], Leipzig 1723, 22. 121 Vgl. dazu Theodor ZWINGER, Physiologia Medica [...] Theophrasti item Paracelsi totius fere Medicinae dogmatibus illustrata, hg. v. Jakob ZWINGER, Basel o.J. 122 Bernard Gabriel Penot de Sainte Marie (Bernardus Gabrielus Penotus Londrada a portu Sanctae Mariae Aquitanus). Werke: Denis Ian DUVEEN, Bibliotheca alchemica et chemica, London 1965, 464f. 123 Bernard Gabriel Penot an Arndt (»Iohanni Aquillae Saxoni«); Genf, 15.8.1581, in: Philippus Aureolus Theophrastus PARACELSUS, Centum quindecim curationes experimentaque [...] o.O [Lyon] 1582, 73[89]–77[93]; ausführliche Druckbeschreibung des Werkes und Bibliotheksnachweise bei SUDHOFF (wie Anm. 111), 328–331; SUDHOFF bezeichnet den Brief, dessen Adressaten er nicht identifiziert, als wichtiges Dokument für die Geschichte des Paracelsismus. 124 WACKERNAGEL (wie Anm. 63), 273 Nr. 68. 117 118
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Kreisen unterhielt. Penot stand in Verbindung mit einem berühmten Danziger Paracelsisten, dem Arzt Alexander von Suchten125; in dem Werk, in dem Penot seinen Brief an Arndt abdruckt, nimmt er auch (ohne Verfasserangabe) Suchtens »Regulae seu Canones [...] de L[apide] Philosophico« auf. Auch Arndt gibt sich als Verehrer Suchtens zu erkennen. 1621, im Todesjahr Arndts, gab der Hamburger Arzt Joachim Morsius 126 Suchtens ›Tractatus de vera medicina‹ heraus 127. Das Werk ist Arndts Lieblingsschüler Melchior Breler128, »Theosopho & Medico praestantissimo«, zugeeignet, und unter den Widmungsgedichten am Schluß des Buches findet sich auch ein Gedicht Suchtens ›De L[apide] P[hilosophico]‹, das Arndt dem Herausgeber als »testimonium amoris« am 19. Okt. 1620 dediziert hat. Aus einigen weiteren Beobachtungen läßt sich noch deutlicher erkennen, welche prägenden Einflüsse Arndt während des Studiums in Basel empfangen hat. 1578 war – mit fingiertem Impressum – in Basel die erste Gesamtausgabe der Werke Agrippas von Nettesheim erschienen129. Agrippas Schrift ›De incertitudine et vanitate scientiarum‹ wird später von Arndt in seiner Frühschrift ›Ikonographia‹ namentlich zitiert 130. Drei Jahre zuvor hatte der Verleger Perna als sein gewagtestes Unternehmen131 eines der bedeutendsten Handbücher der Renaissance-Magie, das ano-
125 Ca. 1520–ca. 1590. Vgl. SUDHOFF (wie Anm. 112), 391–400; Walter H ABERLING, Alexander von Suchten, ein Danziger Arzt und Dichter des 16. Jahrhunderts, Zeitschrift des westpreußischen Geschichtsvereins 69 (1929), 175–228 (Bibliographie); Will-Erich PEUCKERT, Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie, Stuttgart 1936, 288–298; Wlodzimierz HUBICKI, Alexander von Suchten, Sudhoffs Archiv für die Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 44 (1960), 54–63; Karl SCHOTTENLOHER, Pfalzgraf Ottheinrich und Alexander von Suchten, ZGO NF 41 (1948), 602ff.; Julius Ferdinand RUSKA, Tabula Smaragdina. Ein Beitrag zur Geschichte der Hermetischen Literatur, Heidelberger Akten der VonPortheim-Stiftung 16 (1926), 211f. 126 Vgl. Heinrich SCHNEIDER, Joachim Morsius und sein Kreis. Zur Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts, Lübeck 1929; Siegfried WOLLGAST, Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650, Berlin-Ost 1988, 434–437. 127 Acutissimi Philosophi & Medici Alexandri a Suchten Tractatus De Vera Medicina Editus cura Joachimi Morsii. Hamburgi, Impensis Henrici Carstens, Anno 1621 [HAB Wolfenbüttel: Na 166]. 128 Vgl. über ihn zuletzt und am gründlichsten: Johannes WALLMANN, Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt, PuN 6 (1980), 9–32, hier 24–28. 129 Vgl. dazu GILLY (wie Anm. 113), 64 mit Anm. 12. 130 IKONOGRAPHIA. Gründtlicher und Christlicher Bericht / Von Bildern / jhrem uhrsprung / rechtem gebrauch und mißbrauch / im alten und neuen Testament [...], Halberstadt o.J. [1597], fol. 36r. 131 »il tentativo piu audace fatto dal Perna«, ROTONDÒ (wie Anm. 107), 342.
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nyme Werk ›Arbatel. De magia veterum‹ gedruckt132. Schon bei Paracelsus spielt der christliche Magus eine große Rolle133, und auch der ›Arbatel‹ gibt sich als christliches Werk aus. Magie ist als geheime Weisheit gleichbedeutend mit »Pneumatica veterum tum magorum populi Dei, tum Magorum Gentium« und dient »pro illustratione gloriae & Philantropias Dei«134. Im ›Arbatel‹ wird dargelegt, daß »magia eine weißheit sey, welche die verborgene wesen, eigenschafften der creaturen, und ihre naturen kennet, und sich derselben zu nutz kan und weiß zu gebrauchen; solche kunst aber und diese weißheit ist zwiefach, einer brauchts zu gutem, ein ander zu bösem und argen« 135. Die gute Magie (scientia boni) umfaßt »Theosophia« und »Antroposophia homini data«. Die Theosophie wird definiert als »Notitia verbi Dei, et vitae iuxta verbum Dei institutio« und »Notitia gubernationis Dei per angelos, quos scriptura Vigiles vocat, & intelligere angelorum misteria«; die Anthroposophie als »Scientia rerum naturalium« und »Prudentia rerum humanarum«. Die »scientia mali« hingegen ist »Kakosophia« und »Cacodaemonia«. In diesem Sinn spricht auch Arndt positiv von »der uhralten Philosophiae / und höchsten natürlichen Weißheit / so man Magiam nennet / welche jre Arcana mit Bildern und Figuren offenbaret«136, von »magia« und »magi«. Schon in seiner Frühschrift ›Ikonographia‹ spielt diese Magie eine wichtige Rolle für die Bilderthematik: »Also sind auch viel andere Bilder / so aus der Natur jren uhrsprung haben / von den Nerrischen Leuten mißbrauchet / denn die Natur durch mancherley Bilder / Figur und Zeichen jre Praesagia offenbaret / gute oder böse. Und weil in Egipten / Chaldea / Persia die Weisen / so man Magos nennet / jren Sitz gehabt / welcher Kunst / nemlich Magia / eine gründtliche Erkentnus ist aller Thiere / Gewechse / und der Sternen137. Und sindt also diese Bilder in der Natur / Gottes Buchstaben / dadurch Er die Natur gründtlich außleget / allen denen / die es verstehen / und diese wünderliche Schrifft und Buchstaben Gottes lesen können / Daraus in einer Stunde mehr natürlicher Weißheit kan geschepffet werden / denn viel weitleuffige / ungegrünte Heidnische Bücher vermögen. Denn sihe alle Kreuter auff dem Felde an / alle Thier und Vogel / alle Sterne 132 lat[bra| ARBATEL | DE MAGIA VE-|TERVM. Summum Sapientiae | studium. | In omnibus consule Dominum, & nihil co-|gites, dicas, facias, quod tibi Deus | non consulerit. | BASILEAE 1575. || [Basel] 1575 [UB Basel]. Zu späteren Nachdrucken vgl. ROTONDÒ, 377ff. Ausführliche Inhaltsangaben und Auszüge bietet Gottfried ARNOLD, Unparteiische Kirchenund Ketzerhistorie [...], Frankfurt/M. 21729 [Reprint Hildesheim 1967], IV, 2,22: »Von der magia«. 133 Vgl. A. M ILLER-GUINSBURG, Die Ideenwelt des Paracelsus in Hinsicht auf das Messer des christlichen Magus und dessen Wirken, in: Von Paracelsus bis Goethe und Wilhelm von Humboldt (Salzburger Beiträge zur Paracelsus-Forschung 22), Wien 1982, 27–54. 134 Arbatel 3. 135 So die zutreffende Inhaltsangabe bei ARNOLD (wie Anm. 132). 136 Ikonographia 12v. 137 Ikonographia 16vf.
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am Himel / alle Metallen / alles was auff Erden / und in der Erden ist / obs nicht alles seine eigene Form / Bild / Gestalt / Proportion / Figur und Signatur hat? Diß ist die rechte Philosophia / deren prima rudimenta und gleichsam / das Alphabet ist die Signatur, wer diß Alphabet wol kan / der kan darnach baldt lesen lernen / und der Natur Arcana verstehen. Viel rümen sich jtzo der Philosophie / und haben doch das Alphabet der Natur und wahren Philosophi und Physic nihe gelernet. Diese ding sindt in gutem wissen gewesen / bey den alten Egiptischen und persischen Philosophis und Medicis / davon auch noch Vestigia zufinden in Platone / in Timaeo / in Cratylo und anderswo / welcher es von den Egiptischen Philosophis erlernet hat. Nun aber mehrenteil verloschen / weil man nicht aus der natur / als aus Gottes lebendigem Buche / welches Gott mit seinem allmechtigen Finger selbst geschrieben / sondern aus Pappiernen Büchern / und todten Buchstaben / die Natur erkünden wil / welches die alten Philosophie nicht gethan / Wie ich in meinem Büchlein de antiqua Philosophia ferner meldung thu / Auch in dem Tractatu de Magis ex oriente.«138
Beide hier erwähnten Frühschriften Arndts sind wie auch eine dritte ›De origine sectarum‹ 139 nicht erhalten. Ob das ›Büchlein de antiqua Philosophia‹ mit einer von Johann Gerhard publizierten Thesenreihe140 identisch ist, wie meist angenommen wird141, erscheint trotz der thematischen Übereinstimmung ungewiß 142. Auch der Traktat ›De magis ex oriente‹ ist leider verschollen. Vielleicht findet sich ein Auszug in der Evangelien-Postille Arndts in der 2. Predigt an Epiphanias: »Bericht von den Weisen aus Morgenland, wer sie gewesen, und was ihre Kunst gewest sey«143. Wie der ›Arbatel‹ unterscheidet auch Arndt von der guten die schlechte Magie: »Der mißbrauch aber der Bilder kömpt uhrsprünglich her von den Egiptern / Chaldeern / Babyloniern / Assyriern / denn diese haben Bilder gemacht / so sich beweget haben / aus der Kunst der Geometri / und Astronomi / Da hat der Teuffel / der Mille artifex144, auff gelauret / und den Aberglauben dem Volck ins Hertz geseet / das sie dieselben Bilder für Götter und Nohthelfer gehalten haben. Und weil die Philosophi und natürlichen Weisen / durch jre natürliche Kunst / bewegenden Bilder und Instrument gemacht haben / Hat der leidige Teuffel / der alles gute verderbet / auch seine falsche Magos / und seinen Zeuberischen Samen mitunter geseet / und seinen verfluchten MaIkonographia 32v. Erwähnt: Ikonographia 48v. 140 Dissertatio D[omini] Johannis Arnds, in: Johann GERHARD, Aphorismi sacri [...], Jena 1616. Eine deutsche Übersetzung von Rambach findet sich in: RAMBACH (wie Anm. 11), III, Nr. 15; eine Übersetzung in Auswahl bietet KOEPP (wie Anm. 81), 37–39. 141 KOEPP (wie Anm. 10), 21f.; SCHWAGER (wie Anm. 10), 22f., 25f. 142 Auch WChr I, 36,15 erwähnt den ›Traktat de antiqua philosophia‹. Die Bezeichnungen als »Büchlein« oder »Traktat« setzen doch einen größeren Umfang voraus als die bei Gerhard abgedruckte Thesenreihe. 143 RAMBACH (wie Anm. 11), I/1, 154f. 144 Zum Begriff vgl. auch LUTHER, Großer Katechismus, Neue Vorrede: »Vulgo vocant Satanam mille artium opificem« (BSLK 550,12f.). 138 139
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gis auch geleret / durch Zauberey bewegende Bilder zumachen / das Volck damit in Abgötterey zuverführen.«145
In diesem Zusammenhang erweist sich noch eine weitere Beobachtung als höchst aufschlußreich. Carlos Gilly hat darauf hingewiesen, daß die Begriffe Theosophie und Anthroposophie »nach jahrhundertelanger Abwesenheit in der europäischen Geistesgeschichte erst 1575 in Basel aufgetaucht (sind), nämlich in dem von Perna gedruckten ›Arbatel‹. Sie sind dort Synonyme der guten Magie« 146. Bei Arndt begegnet der Begriff »theosophia« in wichtigen Zusammenhängen. In einem Brief an Johann Gerhard vom 5. Juli 1606 beklagt sich Arndt über die Verhältnisse in Braunschweig, die ihn sogar einen Rückzug ins Privatleben erwägen lassen: »Status huius urbis talis est, ut abhorream tandem et quaeram occasionem emigrandi ex urbe. Si per vocationem non licet, animum ad privatam vitam adieci Christo meo et theosophiae victurus.«147
In einem Brief an Johann Gerhard vom 29. Jan. 1608 schreibt Arndt über das III. Buch des Wahren Christentums: »Tandem si fortasse quaedam desideres, praesertim libro tertio, qui totus est de interno homine, fateor me nondum capere omnia praesertim abstrusissima, quae de intimo animae sinu et recessu theosophi et qeodi/daktoi quidam disserunt.«148
Wie schon Erasmus verwendete Zwinger den Begriff qeodi/daktoi, »um diejenigen zu bezeichnen, die ihr Wissen direkt von Gott erhalten hatten«149. Heinrich Khunrath († 1605)150, der gleichfalls in Basel bei Zwinger Medizin studiert hatte und 1588 promoviert worden war, gebrauchte »theosophia als Synonym der philosophia adepta des Paracelsus (1595)«151. Khunraths Werk, das ›Amphitheatrum sapientiae aeternae‹ 152, in dem er sich als »theosophiae amator« bezeichnet, wird zwei Jahre später von Arndt in seiner ›Ikonographia‹ – ohne Nennung des Verfassers – als »herrliches und wunderbares« Werk zitiert:
Ikonographia 17rf. GILLY (wie Anm. 113), 88 mit ausführlichen begriffsgeschichtlichen Belegen. 147 RAIDEL (wie Anm. 16), 56. 148 Forschungsbibliothek Gotha; abgedruckt: BRELER (wie Anm. 102), 2–9. 149 GILLY, 88 Anm. 74. 150 Vgl. JÖCHER, AGL 2 [1750] Reprint 1961, 2081f. 151 GILLY, 88f. Anm. 74. 152 twabc ~yhwla hwhy Totiqve celestis exercitvs spiritvalis militiae; Proximo svo fideli et sibimetipsi; Natvrae atqve arti; Amphitheatrvm Sapientiae Aeternae, Solivs Verae, CHRISTIANOKABALISTICVM, DIVINO-MAGICUM [...] Anno MASCHIACH juxta promissionem missi, MDVC, aetat. XXXV. [UB Basel]; vgl. Denis Ian DUVEEN (wie Anm. 122), 319; DERS., Notes on some alchemical books, The Library 5th ser., vol. 1, no. 1 (1946), 56. 145 146
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»Denn gleich wie Gott der HErr Göttliche geheimnus durch Bilder geoffenbaret / im altem und neuen Testament: Also die Natur auch / und hat Gott die Weissagungen durch Bilder in die Natur gepflantzet / Denn die gantze natur / und alle Elementa, Animalia, Vegetabilia, mineralia, sind voller wünderlicher Figuren / Zeichen und Bilder dadurch sie sich zuerkennen geben / und offenbaren alle jre geheimnus durch Bilder / und aus denselben kan alles gelernet werden / was natürlich ist / ja so wol / als aus einem beschribenen Buche / Wie jetzo ein fürtrefflicher Philosophus / und Naturkündiger / in seinem herrlichen und wunderbarischen Amphitheatro sapientiae divinae & humanae schreibet. Und sindt also diese Bilder in der Natur / Gottes Buchstaben / dadurch Er die Natur gründtlich außleget / allen denen / die es verstehen / und diese wünderliche Schrifft und Buchstaben Gottes lesen können / Daraus in einer Stunde mehr natürlicher Weißheit kan geschepffet werden / denn viel weitleuffige / ungegrünte Heidnische Bücher vermögen.«153
Das Interesse an den ›Buchstaben Gottes in der Natur‹ entspricht der mit der Theosophie korrespondierenden Anthroposophie (scientia rerum naturarum) im ›Arbatel‹. Sie ist schon in Arndts ›Ikonographia‹ ebenso zu bemerken154, wie sie später das ganze IV. Buch des Wahren Christentums bestimmt. Hier wie dort kommt Paracelsus ausgiebig zu Wort155. Auch Ansichten Heinrich Khunraths finden sich im IV. Buch wieder156. Mit Khunrath stand Arndt in Korrespondenz, wie aus Arndts Sendschreiben an Erasmus Wolfart hervorgeht 157. Von Arndt stammt auch ein anonymes »fürtrefflich Judicium und Bericht eines Erfahrnen Cabalisten vnd Philosophen / vber die 4 Figuren deß grossen Amphitheatri D. Henrici Khunradt«, das in einem 1608 in Straßburg posthum erschienenen Werk Khunradts abgedruckt ist158. Beide Quellen, die noch einer genaueren Analyse bedürfen, zeigen, wie tief Arndt in die paracelsistisch-theosophische Welt eingetaucht ist.
Ikonographia 32vf. Vgl. außer den angeführten Zitaten Ikonographia 35rf. 155 Vgl. die Nachweise bei WEBER (wie Anm. 10), 108–167, die noch vermehrt werden kön153 154
nen. 156 Vgl. WChr IV/1, 2,1: Bei der Frage nach »der Materie und Substanz des Himmels« referiert Arndt die Hypothese, »daß der Himmel aus Wasser gemacht sey: welches das hebräische Wort Schamajim andeutet«. Dieselbe Ableitung von ~ymX aus ~ym findet sich bei H. KHUNRATH, Confessio De Chao Physico-Chemicorum Catholico; In Quo Catholice habitat Azoth sive Materia Prima Mundi [...], Magdeburg 1596, Kap. III. 157 Zuerst gedruckt: Mysterium de incarnatione verbi, oder das große Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes. Verf. von Johann ARNDT. [Amsterdam:] Heinrich Betkius 1670 [SB Berlin-Ost]. Die Echtheit dieses ›Sendschreibens‹, die in der Forschung häufig bestritten worden, läßt sich anhand äußerer und innerer Kriterien eindeutig nachweisen. 158 De igne magorum philosophorumque [...], Straßburg: Lazarus Zetzner 1608 [UB Eichstätt]; vgl. SUDHOFF (wie Anm. 111), Nr. 286. Zu Zetzner vgl. Josef BENZING, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, AGB 18 (1977), 1077–1322, hier 1308.
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Arndt war auch mit Erasmus Wolfart, dem Herausgeber der dritten Auflage von Khunraths ›Amphitheatrum‹ 159, freundschaftlich verbunden. Arndt nennt Wolfart in einem Brief an Johann Gerhard und charakterisiert den Theosophen als »filius theologiae sincerioris et spiritualis, quae ad interioris hominis et vitae spiritualis culturam ducit«160. Es fällt auf, daß Arndt auch den amor sincerioris theologiae bei einem Pfarrer lobt, der ihn wegen der Schriften Valentin Weigels um Rat fragte.161 Und auf eine »theologia, [...] quae circa interioris hominis culturam et paliggenesi/an versetur«, hatte Arndt Gerhard hingewiesen.162 Wir stoßen hier auf Zusammenhänge, die für die Arndtdeutung von großer Tragweite sind. Vor allem bedarf es einer sorgfältigen Untersuchung, inwieweit »theosophia« und »anthroposophia«, die Themen des ›Arbatel‹, auch in Arndts ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ ihren Niederschlag gefunden haben.163 Diese vorläufigen Hinweise müssen hier genügen, um die tiefe Prägung anzudeuten, die Arndt in Basel empfing. Freilich beeinflußte ihn nicht Sulzer, der sich mehrmals in Predigten gegen den ›Arbatel‹ wandte164 und mit anderen Theologen wie Grynaeus oder Beza dessen »doctrina Satanica« verwarf165, sondern die paracelsisch-theosophischen Strömungen, die Arndt in Basel kennenlernte. Die Dauer seines Studiums in Basel läßt sich jetzt aufgrund des Briefes an Zwinger zum ersten Mal recht genau bestimmen. Denn bei sorgfältiger Lektüre erweist sich dieser Brief vom 2. September als Dankes- und Abschiedsbrief. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß Arndt hier die – wohl schon
159 Amphitheatrvm Sapientiae Aeternae, Solivs Verae, CHRISTIANO-KABALISTICVM, DIVINO-MAGICUM [...], o.O. [1609] [SUB Göttingen]. 160 RAIDEL (wie Anm. 16), 97. 161 Arndt an den Stader Pfarrer Anton Buscher, [BRELER ], Bericht (wie Anm. 102) 33f.; Buschers Anfrage: a.a.O. 30–32. 162 RAIDEL, 39. 163 Eine ausführliche Analyse der ›Vier Bücher von Wahrem Christentum‹ und ihres Programms wird die Dissertation von Hermann Geyer vorlegen. [Verborgene Weisheit, I–III, Berlin 2001.] 164 Bonaventura Vulcanius an Simon Goulart: »Nunc quum Sulcerus de eo [scil. de libello, cui Arbatel sive de magia naturalis titulus est] rescivisset, bis ac ter concionibus suis acriter in eum libellum invectus, hoc effecit ut nulla hic amplius prostent exemplaria«; Correspondance de Bonaventura Vulcanius pendant son séjour à Cologne, Genève et Bâle [1573–1577], publiée et annotée par Herman de VRIES, La Haye 1923, 118f., zit. nach ROTONDO (wie Anm. 107), 379, Anm. 320. 165 Zur Reaktion auf ›Arbatel‹ vgl. ROTONDÒ, 378ff.
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mündlich vorgetragene – Bitte um ein Empfehlungsschreiben wiederholt166. Arndt hat Basel also im Herbst 1579 verlassen.
V Rückblick: Helmstedt und Wittenberg Aus den bisherigen Beobachtungen ergeben sich zwei wahrscheinliche Folgerungen: 1. Durch die chronologische Festlegung der Studiendauer in Basel wird die Abfolge der Universitätsorte wahrscheinlich, wie sie die Leichenpredigt bietet. Danach ist Arndt von Basel nach Straßburg gezogen. Dadurch gewinnt aber auch deren Nachricht über einen Studienaufenthalt in Wittenberg an Glaubwürdigkeit. Er wäre dann – in der Reihenfolge der Leichenpredigt – nach Helmstedt und vor Basel anzusetzen. 2. Wenn Arndt in Basel Medizinstudent war, ist ein voraufgehendes Studium der Theologie ganz unwahrscheinlich167. Zu Arndts Zeit wäre zudem ein Wechsel von Theologiestudenten von Wittenberg nach Basel höchst auffällig; von den aus den Anhalter Ordiniertenbüchern168 bekannten Landsleuten Arndts hat kein einziger in Basel studiert. Arndt hat vermutlich auch in Wittenberg nicht Theologie, sondern bereits Medizin studiert. Für ein Medizinstudium Arndts vor Basel gibt es noch weitere Anhaltspunkte. Als Johann Gerhard sich zum Studium der Medizin entschließt, versucht Arndt, ihn davon abzubringen, und schreibt: »Theologiae te consecrandum prae caeteris existimabam; verum, cum obstacula quaedam naturalia te absterreant, contra vero ad medicinam te naturalis quaedam propensio trahat et impellat 169: facile intelligo, naturam arte iuvari posse facilius. Deploro autem (expertus scribo, ou)k a)/peiroj kai( a)/praktoj) Galenicae medicinae incertitudi-
166 Der Satz: »Notum et commendatum me tibi volui facere«, ist mißverständlich und auch von mir zunächst nicht in seiner Bedeutung erkannt worden. Er ist nämlich grammatisch falsch. Es ist nicht gemeint: »Ich wollte mich dir bekannt und empfohlen machen«, denn das ergäbe ja nur einen Sinn, wenn der Brief am Beginn des Studiums stünde. Arndt studierte aber schon seit Januar in Basel und nennt Zwinger »Freund und Gönner«. Arndt will vielmehr sagen: »Ich wollte, daß du mich bekannt machst und empfiehlst«. Das falsche »tibi« ist von anderer Hand (Zwingers?) unterstrichen. Daß Arndt um ein Empfehlungsschreiben bittet, zeigt auch der Kontext: »Tu vero, vir praestantissime, facito oro ut quod cupio assequar. Notum et commendatum me tibi volui facere. Nil forte inhumanum, nil indignum peto, petunt quotidie omnes homines. Gratus pro humanitate tua semper ero.« 167 Diese naheliegende Folgerung hat WEBER nicht gezogen. Sonst hätte er Zweifel an der von ihm favorisierten Abfolge Straßburg-Basel bekommen oder ein Theologiestudium auch für Straßburg bestreiten müssen. 168 S.u. Anm. 220. 169 Vgl. FISCHER (wie Anm. 120), III, § 2, p. 16; RAIDEL (wie Anm. 16) 4, Anm. (A).
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nem, Paracelsicae vero difficultatem et abstrusitatem. Utraque labyrinthus est170. Scio, hanc ab academiis explosam (cuius praxi tamen hodie praestantissimi quique utuntur medici) illam pro diva adorari utrumque ineptum. Doleo scilicet ingenium tuum, ad diviniora natum, hisce laqueis innecti debere; et tenellum tuae pietatis florem, divinitus tibi insitum, hisce spinis compungi, et suffocari debere. Quantis vigiliis ego utriusque medicinae certitudinem sim rimatus, mihi multorum annorum labores practici possunt esse testes.«171
Aus Arndts Brief an Zwinger und Penots Brief an Arndt sowie aus den späteren Briefen und Schriften Arndts geht hervor, daß sein Interesse seit Basel der paracelsischen Medizin galt. Arndt weist hier aber darauf hin, daß er sich auch mit der hippokratisch-galenischen Medizin172 intensiv beschäftigt habe, und das dürfte am ehesten im akademischen Unterricht geschehen sein. Denkbar wäre, daß er bereits in Helmstedt nach Absolvierung des philosophischen Grundstudiums das Medizinstudium aufnehmen wollte. Wie an fast allen Universitäten war in Helmstedt nur die hippokratisch-galenische Medizin zugelassen und die Lehre der empirisch-paracelsischen ausdrücklich untersagt. Arndts Bemerkung: »Scio hanc ab academiis explosam«, erscheint geradezu als eine wörtliche Anspielung auf die Helmstedter Statuten173. Allerdings findet sich Arndts Name nicht in der erhaltenen Matrikel der Helmstedter Medizinstudenten174. Auch die Wittenberger Universitätsstatuten von 1572 verpflichteten die Professoren der Medizin auf die drei Autoritäten: Hippokrates, Galen und die Araber175. Für Arndt blieb diese Schulrichtung enttäuschend. Die in dem Brief an Gerhard beklagte »incertitudo« der galenischen Medizin könnte ihn bewogen haben, Wittenberg schon bald wieder zu verlassen und sein Studium in Basel fortzusetzen. Über Zwinger hatte er gehört, daß dieser der paracelsistischen Richtung aufgeschlossen gegenüberstand176. Außerdem kommt noch ein weiteres mögliches Motiv in den Blick, wenn man nach den Medizinern fragt, bei denen Arndt in Wittenberg medizinische
Vgl. zu diesen Bemerkungen WEBER (wie Anm. 10), 112f. RAIDEL 4f. Auf Arndts Einwände bezieht sich die oben mitgeteilte Äußerung Andreas Leopolds (s.o. Anm. 117). 172 Hippokrates wird genannt in WChr IV/1, 3,26. 173 »Empiricos vero omnes ac Paracelsi tetralogi/aj et alias medicinae corruptelas cum Galeni et Avicennae doctrina pugnantes penitus ex Academia nostra eliminari et explodi mandamus« (Die Statuten der Universität Helmstedt, bearb. v. Peter BAUMGART / Ernst PITZ [Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 15], Göttingen 1963, 108, Nr. 134.) 174 Staatsarchiv Wolfenbüttel, 37 alt, 2268. 175 FRIEDENSBURG (wie Anm. 46), 278. 176 Vgl. den Brief an Zwinger: »Theophrastum Paracelsum, novum medicinae athletam, benigniori respicis oculo, nisi me fama hominum non stolidorum fefellit«. 170 171
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Kollegs besucht haben könnte177. Die medizinische Fakultät befand sich nach der ›Säuberung‹ von 1574 in einer Umbruchsituation178. Johann Mathesius brachte von seinem Studium in Italien einige Erfahrung mit, aber Bartholomäus Schönborn und Salomon Alberti waren noch medizinische Anfänger179. So mag auch das unbefriedigende medizinische Lehrangebot ein Grund gewesen sein, der Wittenberger Universität rasch wieder den Rücken zu kehren. Eine nur kurze Verweildauer böte eine Erklärungsmöglichkeit dafür, daß Arndt sich gar nicht erst immatrikulieren ließ. Treffen diese Überlegungen zu, dann wäre ein Aufenthalt Arndts an der Wittenberger Universität am ehesten in den letzten Monaten des Jahres 1578 anzunehmen, bevor er im Januar 1579 in Basel erscheint.
VI Straßburg Daß Arndt überhaupt in Straßburg studiert hat, ist durch eine vereinzelte Äußerung in seiner Schrift ›Ikonographia‹ gesichert, die der Forschung nicht unbekannt geblieben ist 180: »Dergleichen Bildtwerck ist zu Straßburg im Münster in stein gehauen: Nemlich zweene Esel in Münchs-Kappen / tragen den Pabst in einer Sänffte / und andere zween Esel / stehen für dem Altar / und halten Messe. Und ist dieses Bildewerck so alt / das es auch zur zeit / da das Münster fundiret und gebauet / Anno tausent und sechse / in des gewaltigen Gebeu des Mauerwerckes / an grossen Merckstücken ist mit eingefaßt / Hernach ist es zu Straßburg offt auff Pappier abgerissen / und nachgedruckt / Wie ichs daselbst offt gesehen«181.
Der erwähnte Druck läßt sich identifizieren. Es handelt sich um ein Flugblatt Johann Fischarts, das den (im 17. Jahrhundert entfernten) Tierplastiken an den Säulenkapitellen gegenüber der Kanzel einen antikatholischen Sinn unterlegte182. Bei der Datierung von Arndts Straßburger Studienzeit hilft das Jahr des Druckes – 1576 – aber nicht weiter, zumal Arndt selbst von häufigen Nachdrucken spricht.
177 Gewiß nicht bei dem berühmten Mediziner Daniel Sennert (so SCHWAGER, wie Anm. 10, 12), der – 1572 geboren – damals noch ein Kind war (WEBER, wie Anm. 10, 24)! 178 FRIEDENSBURG, 303f. 179 FRIEDENSBURG, 304f. 180 WINTER (wie Anm. 9), 101 Anm. 8; W EBER, 26. 181 Ikonographia, Halberstadt o.J. [1597], f. 33vf. 182 Vgl. Wolfgang HARMS / Beate RATTAY, Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg), Coburg 1983, S. 38f., Nr. 19.
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Die bisher bestehende Unsicherheit in der zeitlichen Abfolge kam durch den Verlust der Straßburger Matrikeln vor 1621183 zustande; auch unter den Studenten, die G. Meyer aus dieser »matrikellosen« Zeit ermitteln konnte184, findet sich Arndts Name nicht. Erst durch den Abschiedsbrief an Zwinger läßt sich jetzt das Studium in Straßburg auf die Zeit ab Herbst 1579 wahrscheinlich machen. Auch im Blick auf Arndts letzten Studienort stellt sich erneut die Frage, was er hier studiert hat und wer seine Lehrer waren. Eines steht fest: Wenn Arndt in Straßburg nach Basel studierte, kann er dort nicht Medizin studiert haben. Der Lehrstuhl für Medizin, den von 1572–1578 Andreas Planer, ein Vertreter der hippokratisch-galenischen medicina dogmatica, innehatte, war seit 1578 unbesetzt185. Aber warum hat dann der stud. med. Arndt überhaupt Basel verlassen und ist nicht bei seinem verehrtern Lehrer Zwinger geblieben? Wir wissen nicht, was ihn zum Wechsel nach Straßburg bewog. Wenn er aus medizinischem Interesse in die elsässische Metropole zog, lockten ihn jedenfalls nicht die akademischen Studien. Denkbar wäre – aber das bleibt Spekulation –, daß er im Elsaß die Bekanntschaft berühmter Paracelsisten wie des Hagenauer Arztes Michael Toxites suchte. Oder war der Ortswechsel mit einem Studienwechsel verbunden? Hat Arndt an der Straßburger Akademie186 nun endlich das Studium der Theologie aufgenommen? Weber hat in seiner Untersuchung im Blick auf Arndts Studien in Straßburg (die er vor Basel einordnet) weiterführende Erwägungen angestellt, aber keine völlige Klärung erzielen können. Er will die herkömmliche Auffassung nicht bestreiten, daß Arndt bei den »extrem-lutherischen Konfessionalisten« Marbach und Pappus gehört habe. »Beide werden ihm zweifellos die Konkordienformel nahegebracht haben, an deren Zustandekommen Marbach maßgebli-
183 Vgl. die Einleitung bei Gustav C. KNOD (Hg.), Die alten Matrikel der Universität Straßburg 1621–1793, I–III, Straßburg 1897–1902. 184 Gerhard MEYER, Zu den Anfängen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel, bearb. von Hans Georg ROTT und Matthias MEYER (Historische Texte und Studien 11), Hildesheim 1989. 185 Anton SCHINDLING, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt (VIEG 77), Wiesbaden 1977, 329. 186 Die ältere Arbeit von Gerhard MEYER, Die Entwicklung der Straßburger Universität und der Akademie des Johannes Sturm, Diss. phil. Leipzig 1925 (auch: Schriften des wiss. Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich an der Universität Frankfurt, 5, Frankfurt/M. 1926), ist jetzt weitgehend überholt durch die umfassende Untersuchung von SCHINDLING. Wertvoll bleiben MEYERS, in die gedruckte Dissertation nicht aufgenommenen, inzwischen postum publizierte Forschungen zur verlorenen Matrikel (s.o. Anm. 81).
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chen Anteil hatte und an der Arndt Zeit seines Lebens zumindest willentlich festgehalten hat«187. Dennoch habe »den größten Einfluß auf ihn« Johann Sturm ausgeübt. Eine prägende Beeinflussung durch Sturm will Weber in der irenischen Haltung, in der Abneigung gegen die Streittheologie und der Vermittlung des ramistischen Theologieverständnisses als christlicher Lebenskunst erkennen188. Die Auffassung der Theologie bei Pierre de la Ramée als »doctrina bene vivendi, i.e. Deo, bonorum omnium fonti, congruenter et accomodatae« habe Arndt nachhaltig bestimmt; das »bene vivere« sei »zu seiner religiösen Zentralkategorie« geworden189. So konstatiert Weber ein doppeltes Ergebnis des Straßburger Studiums: Arndt wurde »zum überzeugten Lutheraner, der fest an der Konkordienformel hielt, und zum anderen zu einem irenischen Frömmigkeitsschriftsteller, der Anleitungen zum christlichen Leben sammelte, wo er sie finden konnte, ohne auf konfessionalistischen Terror oder dogmatische Verengung Acht zu haben. Wiewohl ein Einfluß durch Marbach und Pappus nicht bestritten werden soll, hat die spezifische Frömmigkeit Arndts entscheidend doch Sturm bestimmt«190. Vorsichtig abwägend urteilt Eric Lund: »The religious perspective which Arndt defended later in his life, however, differs in important respects from the positions taken by both Pappus and Sturm. Arndt manifested none of Sturm’s interest in reconciling Reformed and Lutheran doctrinal positions. Like Marbach, he firmly rejected Calvinist theology. Nevertheless, Arndt shared Sturm’s conviction that the polemics used by theologians like Pappus too frequently became counterproductive to the nurturing of spiritual and moral life. Arndt’s writings seem to reflect Sturm’s Ramist view of theology as a ›doctrina bene vivere‹ 191. Für die Annahme eines Studiums bei Johann Sturm fallen noch weitere Argumente in die Waagschale. Es lassen sich sowohl persönliche wie sachliche Verbindungen aufzeigen, die erklären könnten, warum Arndt sich von Basel aus gerade nach Straßburg wandte. Für wen könnte der Empfehlungsbrief bestimmt gewesen sein, den Arndt von seinem hochverehrten Lehrer Zwinger erbeten hat? Unter den Straßburger Professoren kommt am ehesten Johann Sturm in Frage. Mit ihm, der übrigens auch Medizin studiert und den medizinischen Doktorgrad erworben hatte, war Zwinger befreundet. Zwinger und Sturm verband auch die gemeinsame Beziehung zu Petrus Ramus (Pierre de la WEBER, 26. WEBER, 26–28. 189 WEBER, 28. 190 Ebd. 191 Eric LUND, Johann Arndt and the Development of a Lutheran Spiritual Tradition, Diss. phil. Yale Univ. 1979, 92. 187 188
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Ramée). So könnte Zwinger Arndt nach Straßburg gewiesen und an Sturm empfohlen haben. Damit verknüpft sich eine andere Überlegung. Arndts weitere Studien bedeuteten für ihn keinen Bruch und keine Abkehr von den gewonnenen Überzeugungen. Die theosophische Weltsicht, die Arndt in Basel erworben hatte, wurde zur bleibenden Ausgangsbasis für seine Beschäftigung mit der Theologie und bildete auch später (im Wahren Christentum) das Auswahlkriterium bei der Rezeption theologischer Traditionen. Zu manchen theosophischen Grundanschauungen wies aber gerade die Theologie Johann Sturms eine gewisse Affinität auf; das von Sturm vertretene ramistische Konzept der Theologie als »doctrina bene vivendi«192 ließ sich damit verknüpfen. Mit dem von Ramus formulierten Grundsatz: »finis enim doctrinae non est notitia rerum ipsi subjectarum, sed usus et exercitatio« 193, befindet sich Arndts Wahres Christentum völlig im Einklang194. Die Abneigung der Theosophen gegen die orthodoxe »Streittheologie« teilte auch Sturm, der sich »gar nicht um das hohe, spitzfindige und unnütze Gezänk, so heutigen Tags im Schwange geht,« kümmerte195. Arndts spätere scharfe Kritik an der Schultheologie196 wird auf diesem doppelten Hintergrund begreiflich197. Aus diesen Erwägungen heraus kommt in Straßburg vorrangig Sturm als Lehrer Arndts in Betracht. Als Folge eines Studiums bei dem der bucerischen Tradition verpflichteten Sturm würde auch eine auffällige, in der Arndt-Forschung noch nicht registrierte Beobachtung erklärlich. Bei den Büchern, die Arndt in dem erwähnten Brief Gerhard zur Anschaffung vorschlägt, ist er unschlüssig, welche Bibelkommentare er empfehlen soll198; allenfalls zieht er »R. Gwalteri Commentarios uti et Aretii« in Erwägung199, also die Kommentarwerke von Zwinglis
192 »Theologia est doctrina bene vivendi. [...] Theologia autem docet bene vivere, id est Deo bonorum omnium fonti congruenter et accomodate«; Petrus RAMUS, Commentariorum de Religione Christiana, Libri quatuor, Frankfurt 1577 [UB Marburg], 6. 193 Ebd. 194 Eine darüber hinausgehende Beeinflussung der Vier Bücher von Wahrem Christentum durch Ramus’ Vier Bücher der Kommentare über die Christliche Religion ist aber weder in Aufbau und Gliederung der Bücher noch im Inhalt erkennbar. 195 Zitat bei Richard ZOEPFFEL, Rede über Johannes Sturm, den ersten Rector der Straßburger Academie, Straßburg 1887, 17. 196 Vgl. vor allem die Vorrede zu seiner Ausgabe der Theologia Deutsch von 1597. 197 Den Einfluß Sturms betont in diesem Zusammenhang WEBER, 27f. 198 »Interpretes S. Bibliorum, et Commentatores nescio sane, quos tibi commendare debeam: quidam, sunt adeo populares, ut nihil rerum habeant: quidam tantum in cortice haerent: plurimi, quod pace aliorum dixerim, non ex spiritu, sed ex carne scribunt«. 199 »R. Gwalteri Commentarios, uti et Aretii, nescio sane, an tibi debeam commendare: cogitabo de his altius«.
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Schwiegersohn Rudolf Walter200 und des Berner Theologen Benedikt Marti (Aretius) 201. Allerdings: Sturm gehörte nicht der theologischen Fakultät an; bei ihm konnte er also nicht Theologie studieren, sondern nur das Studium der »musae humaniores« fortsetzen. Hat er also neben den Studien bei Sturm Vorlesungen in der theologischen Fakultät besucht und somit, wie die Arndt-Forschung bisher einhellig annahm, auch bei Marbach und Pappus gehört?
VII Von der Medizin zur Theologie? Nach Rambachs Lebensbeschreibung hat sich der Medizinstudent Arndt in einer schweren Krankheit durch ein Gelübde verpflichtet, im Falle seiner Genesung Theologie zu studieren. Ein Vergleich mit der Leichenpredigt zeigt, daß die Nachricht von einem Gelübde sich dort noch nicht findet. Sie ist bei Rambach in die fast wörtlich übernommenen Angaben aus der Leichenpredigt eingefügt. Daher ergibt sich die merkwürdige Ungereimtheit und der – in der Leichenpredigt logische, durch die Einfügung aber störende – Anschluß mit »Anno 1576 ist er ferner ...«. In den Personalia der Leichenpredigt wird ein Gelübde, das zum Studienwechsel führte, überhaupt nicht erwähnt; vielmehr heißt es hier, Arndt habe »von Jugendt auff durch des H. Geistes Gnad / eine sonderbahre Zuneigung / Lust und Liebe zu der H. Schrifft / vnd wirdigem Predigampt gehabt«. Das Schweigen über das Gelübde ist in der Leichenpredigt, die sonst auf wunderbare Führungen Gottes hinweist202, auffällig. In allen drei Leichenpredigten auf Johann Gerhard, der durch ein solches Gelübde zum Theologiestudium kam, wird der Vorgang nachdrücklich genannt203. Noch auffälliger ist, daß Arndt in dem Brief an Gerhard, in dem er dessen Entschluß zum Medizinstudium kommentiert, zwar seine eigenen medizinischen Kennt200 Rudolf Walter (1519–1586). Vgl. Emil Egli, RE3 7 (1899), 222–224; Otto Erich Straßer, RGG3 2 (1958), 1899f.; Heinrich Bullingers Briefwechsel, III, Zürich 1983, 77 Anm. 8; Conradin BONORAND, Personenkommentar II zum Vadianischen Briefwechsel, in: Vadian-Studien 11, St. Gallen 1983, 306f. 201 Benedikt Marti (ca. 1522–1574). Vgl. E. BLÖSCH, RE 3 2, 5f.; Albert H ALLER, Benedikt Marti (Aretius) (Neujahrsblatt des Historischen Vereins von Bern N.F. 1902), Bern 1901; Otto Erich Straßer, RGG3 1, 591. Wahrscheinlich war Aretius dem Paracelsisten Arndt als Herausgeber eines Paracelsus-Werkes bekannt, das ein Kompendium des damals Wissenswerten bot (De medicamentorum gradibus et compositionibus [...], 1572, Genf 21579, Morges 31583, Lausanne 41617); MARTIS Dogmatik (Theologiae problemata [...], Bern 1573) enthält u.a. auch ein eigenes Kapitel »de usu medicinae«. 202 Die Fürsorge Gottes nach dem Tod von Arndts Vater, die Errettung aus dem Rhein. 203 Justus F EURBORN, Oratio funebris in obitum Joannis Gerhardi, in: J. Gerhard, Patrologia [...], Jena 1653, 29f.; Salomon GLASSIUS, ibd. 95; Michael SCHNEIDER, ibd. 131.
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nisse erwähnt, aber nichts von einem Gelübde schreibt, das ihn zum Theologiestudium geführt habe. Ein Brief Arndts als Reaktion auf die Mitteilung von Gerhards Wechsel zur Theologie ist nicht erhalten. Überliefert ist lediglich ein Brief, in dem Arndt dem frischgebackenen Theologiestudenten Ratschläge für Bücheranschaffungen gibt 204. Die Arndt-Forscher haben die lebensgefährliche Erkrankung Arndts und das Gelübde meist vor dem Studienbeginn angenommen und sind daher von einem Theologiestudium ausgegangen, das nur von medizinischen Interessen bzw. einem medizinischen Nebenstudium begleitet war. Diese Deutung läßt sich angesichts der Selbstbezeichnung Arndts als Student der Medizin nicht mehr aufrechterhalten. Als Ausweg bliebe der Versuch, die Nachricht von der lebensgefährlichen Erkrankung Arndts als mögliche Folge (Pneumonie o.ä.) mit dem – schon in der Leichenpredigt als besonderem Ereignis berichteten – Sturz in den Rhein zu verknüpfen. Die Frage, ob Arndt infolge eines Gelübdes Theologie studiert hat oder ob es sich dabei um apologetisch-erbauliche Konstruktion handelt, ist durchaus relevant; könnte doch ein Gelübde es psychologisch verständlich machen, wie aus dem von der paracelsischen Medizin Faszinierten schließlich ein Pfarrer geworden ist. Entscheidender ist aber, ob Arndt überhaupt einen regelrechten Studienwechsel vollzogen hat und wann er erfolgt ist. Wenn die Annahme eines Studienwechsels Arndts zutreffend ist, bleibt für ein Theologiestudium nur die Zeit nach Basel und somit Straßburg als Studienort übrig. In seinem Abschiedsbrief an Zwinger vom 2. September 1579 bezeichnet Arndt sich allerdings noch als Medizinstudent, so daß er den Entschluß zum Theologiestudium kaum schon in Basel gefaßt haben dürfte. Auch dieser Gedankengang spitzt sich also auf die bereits aufgeworfene Frage zu, ob Arndt in Straßburg neben Studien bei Sturm Theologie studiert hat. Als einziges Argument für ein Studium bei Marbach und Pappus wird in der Arndt-Literatur angeführt, daß Arndt später stets ein Anhänger der Formula Concordiae gewesen sei. Gegen ein Studium bei diesen Lehrern – und damit gegen ein regelrechtes Theologiestudium – sprechen aber verschiedene Erwägungen. Die Theologie des konkordistischen Luthertums, wie sie Marbach und Pappus vertraten, hätte Arndt auch in Basel bei Simon Sulzer hören können und nicht nach Straß204 15.3.1603; zuerst abgedruckt in: [Wilhelm Ernst TENTZEL (Hg.),] Monatliche Unterredungen [...] 1690, 623; wieder abgedruckt: FISCHER (wie Anm. 120), 23f.; Geistliche Fama, 29 (1743) 51–55 (mit dt. Übers.); KOEPP (wie Anm. 81), 60f. (Auszug in Übers.).
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burg zu gehen brauchen. Vor allem aber ist die kirchen- und hochschulpolitische Situation in Straßburg in Betracht zu ziehen. Arndt kam, als er 1579 sein Studium in Straßburg fortsetzte, in eine äußerst spannungsreiche Atmosphäre. Hier hatten 1578 die heftigen Auseinandersetzungen um die Annahme der Konkordienformel begonnen, die zu schweren Konflikten zwischen Pappus und Sturm eskalierten205. Sie bewirkten aber auch eine Polarisierung in der Studentenschaft, die sich sogar in Straßenkrawallen entlud 206. Schon allein auf diesem Hintergrund läßt sich die Ansicht der bisherigen Forschung, daß Arndt von beiden Parteien beeinflußt worden sei, schwerlich aufrecht erhalten. Damit verbinden sich die inneren Schwierigkeiten, auf die bereits Schwager, Weber und Lund hingewiesen haben, wenngleich sie an einem Studium bei den Straßburger Orthodoxen festhalten. Sie müssen einräumen, daß Arndt gerade eine polemische Schultheologie, wie sie Marbach und Pappus vertraten, später heftig kritisiert hat. Arndt wendet sich gegen »Wortkünsteleien«207, kritisiert ein Theologiestudium, das nur in nackter Theorie besteht208 und hält es für nutzlos und unapostolisch, »grosse Streitbücher [zu] schreiben«209. Wenn Arndt, wie die alten Lebensbeschreibungen berichten, 1581 in seine Anhalter Heimat zurückgekehrt ist210, fällt sein Abschied von Straßburg mit der durch die Marbach-Pappus-Fraktion erreichten Amtsenthebung Sturms zusammen. Das Erlebnis der Schlußphase dieser wenig erfreulichen Kämpfe könnte seine Aversionen gegen die polemische Theologie noch verstärkt haben. Ein Studium bei Sturm, dem Gegner der Formula Concordiae, machte aber auch verständlich, warum Arndt später mit Bedacht nie auf sein Studium bei Sturm rekurriert. Erscheint so ein Studium bei Marbach und Pappus und damit ein reguläres Studium der Theologie auch in Straßburg als unwahrscheinlich, so ergibt sich die Schlußfolgerung, daß Johann Arndt überhaupt nie Theologie studiert hat. Dieses verblüffende Resultat läßt sich durch weitere Zeugnisse untermauern.
205 Johann ADAM, Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg bis zur franzoesischen Revolution, Straßburg 1922, 343ff. 206 ADAM, 347. 207 WChr I, 36,15 u.ö. 208 In der bei GERHARD, Aphorismi sacri (wie Anm. 140), abgedruckten Thesenreihe (oft mit seinem Schriftchen ›De antiqua philosophia‹ (vor 1596) identifiziert, schreibt Arndt: »Improbandum igitur studium theologicum est, quod in nuda saltem theoria versatur et in artem disputatricem prorsus abit«. 209 Arndts Vorrede zu: Die teutsche Theologia, Halberstadt: Georg Kot 1597, 6v. 210 REHTMEIER (wie Anm. 32), 313; RAMBACH (wie Anm. 11), 17; F. ARNDT (wie Anm. 3), 22.
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Zunächst verdient ein argumentum e silentio Beachtung. Es muß doch zu denken geben, daß Arndt in seinen Werken und Briefen nie einen theologischen Lehrer nennt oder auf sein Theologiestudium rekurriert (gerade auch im Vergleich mit dem höchsten Lob, das er dem Mediziner Zwinger als seinem Lehrer zollt). Das wäre, hätte er Theologie studiert, kaum erklärlich in den autobiographischen Passagen seiner späteren apologetischen Briefe an die Theologieprofessoren Petrus Piscator und Balthasar Mentzer, in denen Arndt die Zweifel an seinem Wahren Christentum zu entkräften sucht. Zum Erweis seiner kirchlich-orthodoxen Haltung führt er dort nur seine pfarramtliche Tätigkeit und seine Verfolgung durch die Anhalter Calvinisten an211. Er hätte gegenüber Piscator und Mentzer doch kaum darauf verzichtet, Lehrer wie Leyser, Pappus, Marbach oder auch Sulzer zu nennen, wenn er tatsächlich bei ihnen studiert hätte. Hinzu kommt die Beobachtung, daß gängige theologische Werke im Briefwechsel Arndts kaum erscheinen, häufig dagegen medizinische Schriften bekannter Paracelsisten angeführt werden212. Von besonderem Gewicht ist aber eine Bemerkung Johann Gerhards, der immerhin zu den vertrauten Freunden Arndts zählte, in einem Brief an Aegidius Hunnius d.J. aus dem Jahre 1625 über Arndts theologische Bildung, die bisher in ihrer Grundsätzlichkeit nicht erkannt und ernstgenommen worden
211 »Nihil autem me scripsisse animo a vera religione Augustanae Confessionis et Formulae Concordiae alieno, aut studio ferendi, multo minus defendendi, opiniones pugnantes, cum scriptis huius ecclesiae symbolicis, testor kardiognw/sthn D[eum] O[ptimum] M[aximum]. [...] Servio ecclesiae Christi iam annos viginti quatuor, a puero sanae religioni addictus, calamitates varias expertus, persecutiones a Calvinistis passus miserabiles, eiectus ex patria, principatu nempe Anhaltino, ingruente Calvinismo, cum septem annos inter varias Calvinianorum insidias in patria docuissem, et contra Ikonomaxi/an anhaltinam scripsissem«; Arndt an Petrus Piscator, 14.1.1607, in: GLEICH (wie Anm. 118), 1–7, hier 2f. »Certo igitur, vir clarissime, tibi persuadeas velim, me ab ineunte aetate usque ad multam canitiem (egressus enim ferme iam sum Dei gratia annum sexagesimum quintum) nulli errori in Augustanam Confessionem et Formulam Concordiae impingenti, verbo imprimis divino adversanti fuisse addictum, meque ex patria Anhaltina propter repudiatum Calvinismum esse eiectum«; Arndt an Balthasar Mentzer, 23.10.1620, in: BRELER (wie Anm. 102), 66. 212 In Briefen an Johann Gerhard nennt Arndt: Josephus QUERCETANUS (= Joseph Duchesne d’Armagnac), Tetras gravissimorum capitis affectuum, Marburg 21609; vgl. RAIDEL (wie Anm. 16), 73–81; QUERCETANUS, Pharmacopea Dogmaticorum restituta, Paris 1607; RAIDEL, 81–83; Petrus SEVERINUS Danus, Idea Medicinae Philosophicae [...], Basel 1571; RAIDEL, 5; zu Sørensen vgl. SUDHOFF (wie Anm. 111), 402f.; Valdemar MEISEN, Petrus Severinus (Peder Sørensen). 1540 (or 1542)–1602, in: Valdemar MEISEN (ed.), Prominent Danish scientists through the ages, Copenhagen-London 1932, 16–19; zu den Beziehungen zu Zwinger vgl. ROTONDÒ (wie Anm. 107), 372–374; Joannes FERNELIUS (Hofarzt Heinrichs II. von Frankreich), Opera, I–II, Frankfurt/M. 1587; vgl. RAIDEL, 5. – Ein Lesehinweis auf Petrus Severinus Danus findet sich auch in den Erläuterungen zum Sendschreiben an Erasmus Wolfart; s.o. Anm. 157. Vgl. auch WEBER (wie Anm. 10), 212 A. 32.
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ist. Hier nennt Gerhard Gründe für die ungewöhnlichen und gefährlichen Formulierungen im Wahren Christentum: »Causam incommodarum et periculosarum phrasium duplicem esse arbitro: priorem, quod in Academiis Medicinae potissimum fuerit deditus nec judicium de controversiis Theologicis audiendis praelectionibus et habendis disputationibus formaverit; posteriorem vero, quod lectione librorum Paracelsi et Weigelii fuerit delectatus. Testatur enim au)toyia, quod ex illis multa in libros de vero christianismo redegerit.«213
Gerhard schreibt nicht, daß sich Arndt nicht in genügender Weise (non satis o.ä.) ein Urteil in theologischen Fragen durch den Besuch von Vorlesungen und die Teilnahme an Disputationen, also den klassischen akademischen Unterrichtsformen, gebildet habe, sondern überhaupt nicht (nec). Ein besonders beredtes Zeugnis gibt aber Arndt selbst in seinem Braunschweiger Abschiedsbrief an den Bürgermeister Statius Kalen vom 1. Nov. 1608214. Hier klagt Arndt über die erlittenen Anfeindungen durch seine Kollegen und erwähnt deren harsche Kritik an ihm: »Und gebe demnach E[uer] E[dlen] W[ohlweisen] freundlich zu betrachten, was das sey, einen öffentlich vor der gantzen Gemeine zu verketzern, zu verschwärmern, alle sein Thun und Predigten für Jöckeley215, für Hudeley zu schelten, einen nicht allein als den gröbsten ungelehrtesten Esel, als der die Theologiam nicht gelernet, auch nicht verstehet, zu beschreyen, sondern auch der Lehre halben verdächtig zu machen, und die Leute für einen zu warnen [...].«
Die Verteidigung Arndts ist signifikant: »da ich doch die reine Lehr, in öffentlichen Verfolgungen ungespartes Leibes und Gutes, ohn unziemlichen Ruhm, bekannt und vertheidiget habe: Und muß für Gott und E[uer] E[dlen] W[ohlweisen] bekennen, daß mir niemals meine öffentliche harte Verfolgung und Verstossung aus meinem lieben Vaterland, dem Fürstenthum Anhalt, so wehe gethan als diese.«
Wie in den Briefen an Mentzer und Piscator verweist er auf die in Anhalt um der reinen Lehre willen erduldete Verfolgung und Exilierung, geht aber auf den Vorwurf des fehlenden Theologiestudiums mit keinem Wort ein. Die Schwierigkeiten dieses Lösungsversuchs der chronologischen und vor allem sachlichen Probleme der Studienzeit Arndts sollen nicht verschwiegen werden. Es sind drei Hauptfragen, die beantwortet werden müssen: 1. Wie konnte Arndt ohne ein Theologiestudium Pfarrer werden? Humanismus und Reformation hatten für alle Geistlichen eine akademische Bildung verlangt. Diese Forderung war in viele reformatorische Kirchenordnungen aufgenommen und im Laufe des 16. Jahrhunderts auch durchgesetzt S.o. Anm. 118. BRELER (wie Anm. 102), 113–117. 215 Jöckeley = Narretei. 213 214
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worden, so daß Ordinationen von unstudierten Männern immer mehr eine Ausnahme bildeten. Hochschulstudium bedeutete aber noch keineswegs ein Studium der Theologie. Die Arndt-Forscher haben seit Rehtmeier die Studienanforderungen ihrer Zeit bereits für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts vorausgesetzt. Damals hatten aber viele Ordinanden nur kurze Zeit eine Universität besucht oder waren über das artistische Grundstudium nicht hinausgekommen216. Diese Beobachtung bestätigt sich auch bei einem Blick auf die Verhältnisse in Anhalt. Die Ordination in seiner Heimat Anhalt gehört zu den sicheren Daten in Arndts früher Biographie; sie bildet den absoluten terminus ad quem seiner Studienzeit 217. Arndt nennt in seinem ersten Testament (vom 22. April 1610) selbst Ort und Zeitpunkt 218: »Unnd weil ich ein Diener göttliches Wortes und der Kirchen Christi bin, und Anno 1583 von dem weiland Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Joachim Ernsten 219, Fürsten und Herrn zu Anhalt, hochlöblicher Gedechtniß, zum Predigamt berufen, und am 30. Octobris desselben Jahres zu Bernburg im Fürstenthumb Anhalt ordiniret, [...].«
Wann die Berufsentscheidung gefallen ist, wissen wir nicht. Vielleicht bildet der Entschluß, Pfarrer zu werden, den Hintergrund für die schwer deutbare Apostrophierung Arndts als »Heidenhammer« in Penots Brief an ihn aus dem Jahre 1681: als neckische Bezeichnung für den Freund, der nun das geistliche Amt anstrebt. Leider sind für Bernburg keine Ordiniertenbücher erhalten, wie sie für Zerbst und Dessau220 existieren, in die kurzgefaßte Lebensläufe der Ordinanden eingetragen wurden. So fällt auch diese Informationsquelle im Hinblick auf Arndt aus. Die Kirchenordnung des Fürstentums Anhalt221 und die erwähnten Ordiniertenbücher222 geben aber Aufschluß über das Verfahren bei der Ordination, 216 Vgl. dazu Paul DREWS, Der evangelische Geistliche in der deutschen Vergangenheit (MDKG 12), Jena 1905, 68. 217 Den alten Lebensbeschreibungen zufolge hat Arndt zunächst in Ballenstedt als Schullehrer gewirkt. Das war zwar für Kandidaten, die auf eine Anstellung als Pfarrer warteten, gängige Praxis (D REWS, ebd.); doch lassen sich dafür keine anderen Quellenbelege ausfindig machen; vgl. SCHUBART (wie Anm. 18), 461. Auch die Personalia der Leichenpredigt erwähnen den Schuldienst nicht. 218 BRELER, 87–90; F. ARNDT (wie Anm. 3), 266–268. 219 Joachim Ernst (Regierung über das ganze Fürstentum: 1570–1586). 220 Heinrich BECKER, Des Zerbster Superintendenten Wolfgang Amling Ordinationen. 1578–1606, ThStKr 70 (1897), 112–163; Hermann GRAF, Die Anhaltischen Ordiniertenbücher, Anhaltische Geschichtsblätter 8/9 (1932/33), 87–98. 221 Emil SEHLING, Die Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, I/2, Leipzig 1904, 493– 582.
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wie es auch der Bernburger Superintendent Theodor Fabricius bei Arndts Ordination gehandhabt haben wird. Die Kandidaten brachten aus ihrer künftigen Gemeinde ein Zeugnis bei, daß sie dort schon eine Predigt gehalten und zum Pfarrer (bzw. Diakonus) gewählt worden waren. Auf Bitte der Gemeinde, die auch die Kosten für die Ordination zu tragen hatte, erging dann der fürstliche Befehl an die Superintendenten zur Prüfung und Ordination der Kandidaten. Das öffentliche, nur mündliche Ordinationsexamen in der Kirche am Sonnabend vor der Ordination war »wenig mehr als eine bloße Form«, bei der die »praecipua doctrinae Christianae (pietatis Christianae) capita« abgefragt wurden223. Das Ordinationsgelübde wurde von den Ordinanden selbst formuliert 224. Aus den erhaltenen Nachrichten geht hervor, daß die Ordination wohl ein gewisses Maß gelehrter Bildung und natürlich theologische Grundkenntnisse voraussetzte, nicht aber ein reguläres Theologiestudium zur unabweisbaren Bedingung hatte. Erst in späteren Jahren hat Arndt sich bemüht, seine theologische Bildung zu erweitern und zu vertiefen225. 2. Wie erklärt sich auf dem Hintergrund einer Prägung durch Sturm das unnachgiebige Verhalten Arndts im Exorzismusstreit und seine Polemik (in der ›Ikonographia‹) gegen die Calvinisten in der Bilderfrage? Obwohl Arndt in seiner Schrift gegen die Anhalter »Ikonomachie«226 seine Argumente zu einem großen Teil ohne Namensnennung aus Martin Chemnitz’ ›Examen Concilii Tridentini‹ schöpft 227, liegen seine Motive beim Eintreten für die Bilder in seinen paracelsistisch-theosophischen Interessen an dem Bild- und Zeichencharakter der Schöpfung. Das zeigt sich daran, wie Zitate aus ParacelsusSchriften228 sowie aus anderen heterodoxen, theosophischen Werken (Agrippa von Nettesheim229, Khunrath230) mit den Chemnitz-Auszügen verknüpft, z.T. regelrecht verwoben sind. Vgl. BECKER, 124ff. BECKER, 126. 224 BECKER, 144. 225 So hat er sich z.B. in der Braunschweiger Zeit Bd. 9 der Jenaer Ausgabe der Opera latina Luthers und Disputationen Balthasar Mentzers gekauft; vgl. F. A RNDT 62. In Briefen an Piscator erwähnt er Luthers Kirchenpostille und zitiert Bd. I der Jenaer Ausgabe der deutschen Schriften Luthers; vgl. GLEICH (wie Anm. 118), 1–7, 8f. 226 S.o. Anm. 211. 227 Vgl. die ausführlichen Nachweise in H. SCHNEIDER, Johann Arndt und Martin Chemnitz. Zur Quellenkritik von Arndts »Ikonographia« [s.o. in diesem Band]. 228 WEBER, 116–140. 229 Ikonographia, [1597], fol. 36r (De incertitudine et Vanitate scientiarum declamatio inuectiua). 230 Ikonographia 32v. 222 223
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3. Wie ist aus einem Theosophen und Schüler Sturms ein Bekenner der Formula Concordiae geworden? Wie läßt sich die noch in den ›Vier Büchern von Wahrem Christentum‹ klar erkennbare theosophische Grundüberzeugung mit dem Bekenntnis zu den lutherischen Symbolen vereinbaren? Zunächst bedarf das Argument, Arndt habe sich stets zur Konkordienformel bekannt, der präzisierenden Modifikation. Als er nach Abschluß seiner Studien in seine anhaltische Heimat zurückkehrte, sich dort ordinieren ließ und in den Pfarrdienst trat, kam er in eine Landeskirche, in der die Konkordienformel gerade nicht angenommen worden war231 . Erst in Quedlinburg und Braunschweig, später dann in Eisleben232 und Celle mußte sich Arndt auf die Konkordienformel verpflichten. Gleichwohl sind aber auch – und bereits von der zeitgenössischen Kritik wahrgenommen – die Spannungen zur orthodoxen Lehre deutlich, die Arndt veranlaßten, bei den Revisionen des I. Buches233 z.T. durch Anlehnungen an die Formula Concordiae234 zu mildern und mehrfache Hinweise auf die Bekenntnisschriften als Auslegungsnorm hinzuzufügen235. DUNCKER (wie Anm. 58). Vgl. auch das erste, 1610 in Eisleben verfaßte Testament, in: [BRELER], Bericht 87–90; F. ARNDT, 266–268. 233 Leider sind die Abweichungen der verschiedenen Ausgaben des I. Buches (Frankfurter Druck 1605, zwei Braunschweiger Drucke 1606, Endfassung 1610) noch nie eingehend analysiert worden. Eine kritische Ausgabe ist ein dringendes Desiderat. Ein höchst instruktives Beispiel für Arndts Revisionsarbeit für die zweite Braunschweiger Ausgabe bietet KOEPP (wie Anm. 10), 47. 234 Als zwei instruktive Beispiele nenne ich WChr I, 2,1 (vgl. FC SD I; BSLK 848) und WChr I, 3,1 (vgl. FC SD III; BSLK 920f.); die von mir kursiv gesetzten Satzteile fehlen noch in der (Frankfurter) Erstausgabe (HAB Wolfenbüttel): I, 2,1: »Der Fall Adams ist der Ungehorsam wider GOtt, dadurch sich der Mensch von GOtt abgewendet hat zu ihm selbst und GOtt die Ehre geraubet, indem er selbst GOtt seyn wollen; dadurch er des heiligen Bildes Gottes beraubet, nämlich der vollkommenen Erbgerechtigkeit und Heiligkeit, im Verstande verblendet, im Willen ungehorsam und GOtt widerspenstig, in allen Kräften des Herzens verkehrt, und GOttes Feind worden, welcher Greuel auf alle Menschen durch fleischliche Geburt fortgepflanzt und geerbt wird, dadurch der Mensch geistlich todt und erstorben, ein Kind des Zorns und der Verdammniß ist, wo er nicht durch Christum erlöset wird. Darum sollst du, einfältiger Christ, den Fall Adams für keine schlechte und geringe Sünde achten, als wäre derselbe nur ein bloßer Apfelbiß, sondern das ist sein Fall gewesen, daß er GOtt selbst hat seyn wollen. Und das war auch des Satans Fall. Das ist aber die schrecklichste und abscheulichste Sünde«. I, 3,1: »Die neue Geburt ist ein Werk GOttes des Heil. Geistes, dadurch ein Mensch aus einem Kinde des Zorns und Verdammniß ein Kind der Gnade und Seligkeit wird, aus einem Sünder ein Gerechter, durch den Glauben, Wort und Sacrament; dadurch auch unser Herz, Sinn und Gemüth, Verstand, Wille und Affecten erneuert, erleuchtet, geheiliget werden in und nach Christo JEsu zu einer neuen Creatur. Denn die neue Geburt begreift zwei Haupt-Wohlthaten in sich, die Rechtfertigung, und die Heiligung oder Erneuerung. Tit. 3,5«. 235 »Protestire auch hiermit, daß ich dies Büchlein, gleichwie in allen andern Artikeln und Punkten, also auch im Artikel vom freien Willen und von der Rechtfertigung des armen Sünders vor GOtt nicht anders, denn nach dem Verstande der Symbolischen Bücher der Kirchen Augsburgischer Confession, als da sind, die erste ungeänderte Augsburgische Confession, Apologie, Schmalkaldische Artikel, beide Catechismi Lutheri und Formula Concordiä, will verstanden ha231 232
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Entscheidend für die Möglichkeit, daß Arndt sich auf das Konkordienwerk verpflichten und es als Basis seiner pastoralen Arbeit akzeptieren konnte, ist seine theosophische Hermeneutik. Von der »öffentlichen Religion«236 ist das theosophisch-esoterische Wissen abgehoben, das »dem gemeinen Mann zu hoch« ist 237; das Heilige, das man nicht den Hunden, und die Perlen, die man nicht den Säuen vorwerfen darf (Mt 13,13 par.), die Geheimnisse, die man versiegeln (Dan 12,4; Apk 10,4) muß und nicht offenbaren darf (I Kor 12,1ff.)238. Zu dieser Arkandisziplin wird schon im ›Arbatel‹ ermahnt239. Offensichtlich war es Arndt möglich, diese theosophische Esoterik mit dem Bekenntnis zu den lutherischen Symbolen zu vereinbaren240. An seiner subjektiven Ehrlichkeit zu zweifeln, liegt kein Anlaß vor241.
VIII Ergebnisse Überblickt man die Quellen, so fällt auf, wie spärlich und spröde die Nachrichten über Arndts Studienzeit bleiben. Das wird besonders deutlich, wenn man die Biographien mancher Zeitgenossen vergleicht. Hängt das mit Zufällen der historischen Überlieferung zusammen? Auf deren Konto gehen gewiß einige Lücken unserer Kenntnisse: erinnert sei etwa an die verlorenen Straßburger Matrikel. Doch daneben ist zu erwägen, daß die Weitergabe biographischer Nachrichten auch bewußt selektiv erfolgte. Als Arndt 1621 starb, war der Streit um die Orthodoxie seines Wahren Christentums bereits voll entbrannt. So darf ben«. WChr I, Vorrede, 9 (Endfassung von 1609; in der 1. Ausgabe von 1605 fehlt der Hinweis auf die Bekenntnisschriften). Vgl. ferner WChr II, Beschluß, 2; IV/1, Vorrede 9. 236 Die Verwendung dieses Begriffs ist hier natürlich anachronistisch (zum Gebrauch bei Semler vgl. Hans-Walter KRUMWIEDE, Die Neuzeit [Geschichte des Christentums III], Stuttgart 2 1987, 89), kann aber das Problem markieren. 237 Zehen Lehr- und Geistreiche Predigten: Von den Zehen grausamen und schröcklichen Egyptischen Plagen [...], Frankfurt/M. 1657, 57. Vgl. auch die bezeichnende Aussage: »Ist gnug für den gemeinen Mann / daß sie wissen / Christus sey ein wahrer Mensch / ohne Sünde vom heiligen Geist empfangen / aus der Jungfrauen Mariae Fleisch und Sahmen gebohren / sey eine Frucht ihres Leibes / gesalbet mit allen Gaben des Geistes und Krafft Gottes / nach seiner Menschlichen Natur [...]«, während die tiefere Erkenntnis über das »himmlische Fleisch Christi« den Theosophen vorbehalten bleibt, Das große Geheimnis des ewigen Wortes, o.O. 1676, 14f. 238 Ebd. 239 »Qui vult secreta scire, secreta secrete sciat custodire, et reuelanda reuelet: sigillanda sigillet: et sacrum non det canibus, nec margaritas proijiciat ante porcos«, Arbatel 8, Aphorismus I. 240 Im Unterschied zu Valentin Weigel, der zwar die Formula Concordiae unterschrieb [vgl. WOLLGAST (wie Anm. 126), 590 und Anm. 40], aber in seinen – erst postum gedruckten – Schriften die symbolischen Bücher scharf angriff, hat sich Arndt jeder Polemik gegen die Bekenntnisschriften enthalten. Valentin WEIGEL, Sämtliche Schriften, IV, Stuttgart 1967, 59f. 241 Die Möglichkeit einer späteren Entwicklung bei Arndt bleibt hier außer Betracht.
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von vornherein nicht erwartet werden, daß etwa in den Personalia der Leichenpredigt Mitteilungen enthalten sein könnten, die ein Zwielicht auf die »memoria defuncti« werfen und das Ansehen des Generalsuperintendenten noch postum hätten beschädigen können. Auch sein Lieblingsschüler Melchior Breler242, dessen heterodoxe Neigungen nicht verborgen blieben, hat es vermieden, in seinem ›Warhafftige[n] / Glaubwirdige[n] und gründliche[n] Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christentumb Herrn Johannis Arndten‹ etwaige kompromittierende Korrespondenz aufzunehmen. Arndt selbst stand bereits unter apologetischem Rechtfertigungsdruck. Gerhard gegenüber distanzierte er sich von seiner ›Ikonographia‹243 und in einem Brief an einen ihm untergebenen Pfarrer verleugnete er seine frühe Schriftstellerei244. Sein ›Judicium und Bericht eines Erfahrnen Cabalisten vnd Philosophen / vber die 4 Figuren deß grossen Amphitheatri D. Henrici Khunradt‹ ist während seiner Braunschweiger Zeit anonym in Straßburg erschienen und der ArndtForschung lange verborgen geblieben. Ebenso zeigt der Brief an Erasmus Wolfart, der die ausdrückliche Bitte um Geheimhaltung enthält, die theosophische Esoterik, die Arndt praktizierte. Wir greifen noch einmal die eingangs gestellten Fragen auf und versuchen zunächst, die gesicherten Fakten zusammenzustellen: Wo hat Arndt studiert? Die Angaben der Leichenpredigt über die Studienorte Helmstedt, Basel und Straßburg lassen sich durch urkundliche Zeugnisse (Matrikeleintragungen, Karzerbuch, Briefe) verifizieren, so daß auch ein Studium in Wittenberg glaubwürdig wird. Wann hat Arndt wo studiert? Die genannten Quellen liefern einige Orientierungsdaten. Feststeht, daß Arndt sein Studium in Helmstedt im April 1575 aufnahm und hier mindestens bis Februar 1577 blieb. Ebenso gesichert ist sein Studium in Basel von Januar bis September 1579. Zwischen Februar 1577 und Januar 1579 klafft eine Lücke von fast zwei Jahren. Auch der Zeitpunkt des Studienabschlusses ist ungewiß; den absoluten terminus ante quem bildet die Ordination am 30. Okt. 1583. Was hat Arndt wann und wo studiert? In Helmstedt mußte der Studienanfänger zunächst das artistische Grundstudium absolvieren. In Basel hat Arndt nach eigener Aussage »musae humaniores« studiert und bezeichnet sich als stud. med. Aus Arndts Brief an Zwinger und Penots Brief an Arndt sowie aus S.o. Anm. 128. »Libellus meus de imaginibus mihi non satisfacit; proinde nolo videat amplius lucem«; RAIDEL (wie Anm. 16), 33. 244 »Ego [...] quinquagenario maior vix ante pauculos annos aliquid in lucem ausus fui emittere, et quidem timidiuscule«, an Franz Herrmann, Celle 1612 Nov. 30; SB Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.; WERNSDORF (wie Anm. 14), 4, 9–13; F. ARNDT (wie Anm. 3), 285–287. 242 243
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den späteren Briefen und Schriften Arndts geht hervor, daß er sich in Basel mit der paracelsischen Medizin beschäftigt hat. Nach eigenen Angaben hat er sich auch (ohne zeitliche Konkretion) gründliche Kenntnisse der hippokratisch-galenischen Medizin erworben. Ein Theologiestudium erwähnt er nie. Bei wem hat Arndt was wann wo studiert? Als einzigen akademischen Lehrer nennt Arndt später den Mediziner Theodor Zwinger in Basel, und dieser Sachverhalt wird durch den Brief des Studenten Arndt an Zwinger bestätigt. Der (wahrscheinlich) an den Pfarrer Arndt als Antwort auf dessen Anfrage gerichtete Brief Daniel Hoffmanns ist wohl auf dem Hintergrund eines Studiums bei Hoffmann zu sehen. Damit sind schon alle sicheren Daten und Fakten genannt. Von ihnen ausgehend konnte versucht werden, die Lücken durch hypothetische Verbindungen zu überbrücken, verschiedene Möglichkeiten nach ihrer Wahrscheinlichkeit abzuwägen und eine Rekonstruktion von größtmöglicher Plausibilität zu versuchen. Den Angelpunkt für die Rekonstruktion mußte der Aufenthalt in Basel bilden, über den die meisten und ergiebigsten Zeugnisse vorliegen. Das ist kein Zufall: Ganz deutlich läßt sich die Schlüsselfunktion des Basler Medizinstudiums für Arndt erkennen. Hier ist Arndt im Umkreis von Theodor Zwinger tief in die Welt des Paracelsismus und der Theosophie eingetaucht und hat einen lebensprägenden Einfluß empfangen. Das Medizinstudium in Basel (ab Jan. 1579) legt nahe, daß Arndt nach dem Grundstudium der artes, das er in Helmstedt absolvierte, sich dem Studium der Medizin zuwandte und sich ihm bis zu (einschließlich) seinem Aufenthalt in Basel widmete. Vielleicht hat er es schon in Wittenberg begonnen. Hier könnte Arndt mit der hippokratisch-galenischen Medizin bekannt, aber auch von dieser enttäuscht worden sein und begab sich nun zum Studium der empirisch-paracelsischen Medizin nach Basel. Ein Studium der Theologie nach dem der Medizin hat Arndt nach unseren Überlegungen auch in Straßburg nicht aufgenommen. Sein Lehrer dürfte dort Johann Sturm gewesen sein, mit dessen theologischer Position sich Arndts in Basel gewonnenes theosophisches Selbst- und Weltverständnis am ehesten verbinden ließ. Bei der derzeitigen Quellenlage und angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes müssen die Untersuchungsergebnisse weithin fragmentarisch und die Rekonstruktionsversuche hypothetisch bleiben und die Plausibilitätsargumente eine nicht geringe Beweislast tragen. Fortschritte sind durch die genauere Analyse des Arndtschen Schrifttums und insbesondere durch die Entdeckung neuer Quellen zu erhoffen. Bei dem derzeitigen Kenntnisstand er-
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scheint neben manchen Einzelergebnissen ein Hauptresultat unabweisbar, daß die »einflußreichste Gestalt der lutherischen Christenheit seit den Tagen der Reformation« 245 nie ein reguläres Theologiestudium absolviert hat.
Beilagen 1. Aus der Memoria defuncti (Personalia) der Leichenpredigt auf Arndt
Wilhelm Storch: Christliche Leich-Predigt / [...] Bey der Begräbnüß des weyland Ehrwürdigen und Hochgelahrten Herrn Johann Arndts [...], Lüneburg 1621, S. 61–63 (SUB Göttingen: Conc. Fun. II,37 Nr. 24)
[...] Ist demnach vnser S[eliger] Herr Superintendens, gebohren zu Ballenstet im Fürstenthum Anhalt belegen / Anno 1555 am Tage Johannis Evangelistae246. Sein Vatter ist gewesen der Ehrwürdige und Wolgelahrter Herr Iacobus Arndt / welcher Anno 1553 zum Predigampt dahin beruffen / vnd zu Wittenberg von D. Pomerano247, D. Majore248, Dn. Philippo249, & M. Hetzero250 ordinirt wordê/ 251 vñ also des Durchl. vnd Hochgeb. Fürsten vn[d] Herrn H. Wolffgangi252, Fürsten zu Anhalt, HoffPrediger am gemelten Orte gewesen: Als welcher Fürst nicht allein gut Luttherisch / sondern auch dermassen geschickt gewesen / das offtmahls wann der vorgenandter HoffPrediger gekommen vnd predigen wollen / der Fürst selber auffgetreten vnd gepredigt: Seine Mutter ist gewesen Anna Söchtings: Von denselben Christlichen Eltern ist nun vnser jetzt seliger Superintendens in diese Welt gebohren / auch von denen / weil er Fleisch vom Fleisch gebohren gewesen / zur H[eiligen] Tauffe befodert / vnnd folgendts Christlich erzogen / vnd sonderlich noch / weil sich an ihm ein schön Ingenium befunden / fleissig zur Schule gehalten worden. Der Vatter aber ist ihm zeitlich mit Tode abgangen / nemblich Anno 1565. Daher er dann an andere örter sich zu begeben zwar wol genötigt worden / 245 Hilding PLEIJEL: Die Bedeutung Johann Arndts für das schwedische Frömmigkeitsleben, in: Der Pietismus in Gestalten und Wirkungen. Fs. Martin Schmidt, Bielefeld 1975, 383–394, hier 394. 246 27. Dezember. 247 Dr. Pommeranus = Johannes Bugenhagen (1485–1558). 248 Georg Major (1502–1574). 249 Philipp Melanchthon (1497–1560). 250 Nicht identifiziert. 251 Georg BUCHWALD (Hg.), Wittenberger Ordiniertenbuch 1537–60, 1894, Nr. 1401: »1553 (15. Juni) Feria quinta Viti per D. Pomeranum Jacobus Arndt von Coeten, Schulmeister zu Koennern, Beruffen gein Ederitz zum Pfaramt«. 252 Wolfgang von Anhalt-Köthen (1508–1565).
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dannoch aber gleichwoll auch daselbsten Gottes gnädige Fürsorge wunderlich gespüret / in deme von seiner Göttlichen Allmacht gute Leute erweckt / die sich seiner Väterlich angenommen / vnd durch deren Befürderung er in particularibus Scholis, zu Ascherschleben / Halberstadt / vnnd Magdeburg ein zeitlang sich auffgehalten / vnd in seinem studiren fleissig geübet hat. Anno 1576 ist er ferrner auff hohe Schulen verschicket worden / vnd hat also von der zeit an / deroselben Vier nach einander / mit sonderbahren Nutze vnnd Ruhme besucht / als Helmstett / Wittenberg / Basel vnnd Straßburg: Vnd sich sonderlich in den beyden letzten eine geraume zeit auffgehalten / vnd anderen Studiosis privatim Rhetoricam, Ethicam Physicam, Jtem Epistolam Pauli ad Romanos &c. mit rühmlichen Fleiß vnd Nutze gelesen. Vnd was insonderheit Basel betrifft / ist er daselbst einem Polnischen Freyherrn zum Praeceptor zugeordnet / und ist ihm auch allda eine sonderbahre Gefährligkeit zu handen gestossen / also / daß er vnversehendes in den Rein gekommen / auch darin geblieben were / wen[n] er nicht / auß GOttes gnädiger Schickung / durch denselben seinen Discipulum, als der zu ihm hinein gesprungen / Ihn bey den Haren erwischet / vnd wiederumb herauß gezogen were errettet worden. Vnd weil er nun von Jugendt auff durch des H. Geistes Gnad / eine sonderbahre Zuneigung / Lust und Liebe zu der H. Schrifft / vnd wirdigem Predigampt gehabt / auch neben dem lieben Gebete vnnd instendigem müglichen Fleiß all sein studiren zu dem einigen Zweck / wie er nemlich Gott im Himmel / vnnd dessen Kirch hie auff Erden / am Worte fruchtbahrlich dienen müchte / gerichtet / Als hat er auch in solchen seinen Studiis, vormittelst Göttlicher Hülffe / dermassen zugenommen / wie sich das Werck biß daher öffentlich außgewiesen hat / vnd noch an jetzo gnugsam am Tage ist. Anno 1583 wie er von 28 Jahren gewesen / ist er von dem weiland Durchleuchtigen / Hochgebornen Fürsten vnd Herrn / Herrn Joachim Ernsten253 / Fürsten und Herrn zu Anhalt / zum H. Predigampt beruffen / und den 30. Oct. desselben Jahrs zu Bernburgk im Fürstenthumb Anhalt ordinirt. Auch im selben Jahre mit seiner jetzt nachgelassenen Wittwen in den H[eiligen] Ehestandt getretten: Vnd als er daselbst nemlich im Fürstenthumb Anhalt / zu Ballenstedt vnd Badeborn sieben Jahr Gottes Wort getrewlich nach der Richtschnur der H. Schrifft / auch nach der ersten vngeenderten Augspürgischen Confession vnnd formula concordiae gelehret vnd gepredigt / ist er von den Calvinisten / weil er deren Gotteslesterlichem vnd verdamlichem
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Joachim Ernst von Anhalt (Regierung über das ganze Fürstentum: 1570–1586).
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Schwarm nicht beypflichten können oder wollen / von dannen vertrieben worden. [...]
2. Arndt an Theodor Zwinger; Basel, 1579 Sept 2 UB Basel, Frey-Gryn. II 4 Nr. 11
Clarissimo et excellentissimo viro, D. Theodoro Zwingero, philosopho et medico praestantissimo, Academiae Basiliensis professori eximio, amico et fautori suo omni honore et observantia colendo. Kalw=j kai( eu)tuxw=j dia/gein.
Hippocratem, qui nescio qua antiqua et gravitate et autoritate pollet, fecisti, vir excellentissime, illustriorem254. Theophrastum Paracelsum, novum medicinae athletam, benigniori respicis oculo255, nisi me fama hominum non stolidorum fefellit. Virtutis et humanitatis eximiae cultorem te uno ore (quod primo loco merito commemorandum fuisset) omnes praedicant et admirantur. Quae tria me et ut scriberem et ut ita scriberem impulere: In primo non parvi laboris onus animadverti propter commune Asclepiadeae gentis256 emolumentum susceptum. Quo nomine, si nulla alia causa me moveret, ut inexpolitis meis te salutarem literis, gratiae tibi a me quoque, licet longe infimo omnium et indignissimo, merito sunt agendae. Mihi fecisti, gratus agnosco, quicquid amabili medicorum coetui fecisti. Quod sol in firmamento est, id homo bene communi utilitati consulens in inferiori mundo est. In altero rectum sanum et elegans iudicium apparet, quo novum genuinae medicinae lumen (viderint, quibus divinior mens est, alii) non aversaris. duna/meij ai( i)atrikai\ et stabiles rerum creatarum medicinam constituunt et medicum. Opinio mentis fallax has investigare non potest, potest autem labor pius et industrius et spagyricus Vulcanus, culter anatomicus vitalium essentiarum, quem nemo nisi incorruptae integritatis et libertatis homo recte usurpabit. To\ bibli/on tou= gnhsi/ou i)atrou= o( qeo/j kai\ h\ fu)sij. Tertium illud hominem Christianum coarguit. Christus enim homo humanissimis benevolentiae affectibus amabilique candore et sinceritate omnes ad sese allexit. Omnes virtutes dixeris, si hominem Christianum, hoc est Christo
254 Vgl. das damals gerade erschienene Werk: Theodor ZWINGER (Hg.), Hippocrates Coi Asclepiadeae gentis sacrae coryphaei viginti duo commentarii [...], Basel 1579. 255 Vgl. ZWINGER, Physiologia Medica (wie Anm. 121). 256 Vgl. den Titel von Zwingers Buch (s.o. Anm. 254).
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similem, dixeris. Quo nomine magis quam quovis amplissimo et splendidissimo honore, nomine, dignitate, gaudio laetandum et triumphandum est. Perfeci quod volui. Tu vero, vir praestantissime, facito oro ut quod cupio assequar. Notum et commendatum me tibi volui facere. Nil forte inhumanum, nil indignum peto, petunt quotidie omnes homines. Gratus pro humanitate tua semper ero. Vale. 2. Septembris anno tou= logou= sarkofo/rou. Basileae 1579 Tuae Excellentiae humillime addictus Iohannes Aquila257 stud. med. Saxo
3. Bernard Gabriel Penot an Arndt; Genf, 1581 Aug 15 Philippi Aureoli Theophrasti Paracelsi [...] Centum quindecim curationes experimentaque [...], o.O [Lyon] 1582, S. 73[89]–77[93].
Bernhardus G[abriel] Penotus Londrada a portu sanctae Mariae Aquitanus, doctissimo viro Iohanni Aquillae Saxoni, Ethnicorum malleo 258. S[alutem] P[lurimam] D[ixit]. Non solum hoc nostro seculo, amice Iohannes, verum etiam priscis temporibus inter doctos proverbium hoc locum habuit: Admirationis matrem ignorantiam esse. Quis hoc tempore non miraretur, homines omnium bonarum disciplinarum prorsus imperitos, viris doctissimis tum Latinae, tum Graecae linguae peritissimis anteferri? et a Regibus, et a principibus excipi, donisque amplissimis donari? viros autem ornatissimos omniumque linguarum peritissimos rejici, et contemni? Tu qui iudicio eruditioneque polles, omne donum perfectum descendens a Patre luminum259 esse respondebis. Hos itaque novissimis his temporibus idiotas, et empyricos excitat Deus, ut quilibet medicus ipsa medicamenta manu sua propria recte paret, et parata acri iudicio propriis morbis applicet, ut Semen morbi radicitus evellatur, et non imperito coquo committat. Hinc theoricam et practicam, et rationem et opus oportet concurrere. Nam iudicium sine practica est sterile. Pars illorum maxima respondebit vestras operationes, praeparationesque ignoramus quas durum laborem habent. Nos iam senes, et doctores tyrones et discipuli fieri nolumus. Responsio haec si locum haberet, Iudaeus, Papa, Turca quoque suas superstitiones mutare nollent, quas tamen a sacris literis esse alienas non ignoramus. Nos vero satis indies probamus calcinando, sublimando, solvendo patrefeciendo, distilS.o. Anm. 52. S.o. S. 118. 259 Jak 1,17. 257 258
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lando, congelando et fixando per hanc artem alchimiae laudatissimam, purum ab impuro, corruptibile ab incorruptibili discerni, virosum ac lethale in salubre, et syncerum mutari posse. Et, ut ait Paracelsus, circa hanc artem debemus primo advertere a Deo omnia creata esse. Nam ex nihilo aliquid creavit. Illud aliquid est semen omnium, illud semen, finem imponit rei ad quam destinatum est: omnia tamen ita creata sunt, ut ad nostras manus perveniant, et in nostra potestate esse incipiant: ita tamen ut non perfecta, sed perficienda, non ut absoluta, sed absolvenda. Prima in illis materia perfecta est quidem, media autem et ultima perficienda restant. Exemplum, ferrum Deus creavit, terram, argillam, non qualia esse debent, nam argilla crescit, non tamen ut ollae, et alia vasa fictilia. Sic ferrum in rudi materia iacens stavit rudeque nobis tradidit, ideo elaborandum est, ut ex eo calceos equis paremus, falces, lanceas faciamus. Sic quoque medicina sese habet: est enim illa adeo creata. Sed non postea ut plane absoluta sit, sed sub terra adhuc occultata, non ab impuriore materia purgata, et quod restat in ea perficiendum, vulcano, id est medico, committitur purgandum. Herbas, arbores, gemmas, ferrum, et omne id quod oculis cernitur, medicinae recta non est, sed est rudis et immunda, in qua adhuc pars impurior occultatur. Alkimia ergo, medicinam purgare, dissolvere, et heterogenea ab homogeneis separare docet. Aliter putrida putridis, corruptibilia corruptubilibus miscentur, et in unum conspirant effectum. Ita ut ex uno morbo plures oriantur. In summa, quilibet id non amat cuius cognitionem non habet. Sed etiam fugit, contemnit, nec discendum putat. Corpus solum modo externum curat, mensque suum Deum colit. Quanto autem scientia ac cognitio alicuius rei plus crescit, eo magis amor eius augetur. Omnia enim in cognitione iusta, sita sunt omnia, ex ea manant omnesque boni fructus ad cognitionem redeunt: cognitio quoque fidem dat. Qui Deum cognovit fidere ei statim incipit. Nam qualis cuiusquae fides est talis etiam cognitio: et econtra qui aliter operatur circa naturam, facit quemadmodum pictor imaginem pingens in qua vita, et vis nulla inest. Quare Empyrici, quos ita vocatis, exurgent vobis expectantibus aegritudines morborum, curas vobis impossibiles, et arripient, et sanabunt. Et vos una cum vestris consultationibus ratiocinationibusque ludibrio, et risui trademini, sicut nuper B.260 in Germania accidit de quadam nobili celebrique muliere, qua matricis dolore cruciabatur, quidam calculum, et lapidem esse dicebat: sed praeteriens Empyricus calculum, et lapidem non esse contendebat. Quamobrem pro matrice remedium parare iussit: quo facto, statim liberata est. O qualis rumor ab illo exortus est, alios ad rumores concitans! dicens, maritus eius nos ita contemnit, qui Empyricum hominem potius quam nos consulit? 260
Birckmann (s.u. Anm. 263).
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Alii illo sapientio res parvi eum fecerunt, qui illum Empyricum, hominis imperitissimi opera singulis horis uti sciebant: Vide, mi Aquilla, quanta invidia ducti hostes, veritatem opprimere conantur: tandem velint nolint fateri cogentur quod negari non potest. Mihi objicere posses, Qui totem dicit, nihil excludit. Quoniam plurimi sunt egregii laureati, viri magistri et medicinae professores, qui hanc artem minime abnegant. In quorum numero sunt amplissimi domini doctores viri praestantissimi, Petrus Severinus Danus261, qui mira de spagyrica hac arte scripsit. Egregius piusque vir Michael Neander262 Humanus, professor Theodor Zvinguerus Basiliensis, in hac arte versatissimus. Necnon Theodorus Birckmannus Coleniensis263 medicus, qui opere et ore quodidie maximo his in rebus iudicio pollet, silentio numquam reliquam. Involvetur nobilis ille Gallus utriusque medicinae eruditissimus D.D. Rochefort 264, et Liebaud 265 Lutetia medicus, nonne eius opera exstant? Illis ergo tantum dictum sit qui hanc artem laudatissimam, cane peius, et angue odio prosequuntur. Interea intui gratiam haec abdita tria particularia in publicum edenda censui, quae et qualia sint, res ipsa indicabit brevi tempore, Deo volente maiora daturus. Vale Genevae, Augusti 15. anno 1581.
Zu Petrus Severinus Danus vgl. oben Anm. 212. Zu Michael Neander vgl. zuletzt Ernst KOCH, Michael Neander (1525–1595) als Theologe. Zur Vorgeschichte der Konkordienformel, in: Bekenntnis zur Kirche, Berlin-Ost 1960, 111– 125; zur Beziehung Arndts zu Neander vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und die makarianischen Homilien [s.o. in diesem Band, hier 6–8 und 13]. 263 Theodor Birckmann, Arzt in Köln († 1586), Herausgeber zahlreicher ParacelsusSchriften. Vgl. SUDHOFF, Bibliographia Paracelsica (wie Anm. 111), 99, 102, 203; DERS., Ein Beitrag zur Bibliographie der Paracelsisten im 16. Jahrhundert (wie Anm. 112) 405. 264 Rochefort nicht ermittelt. 265 Jean Liebaud, Arzt in Paris. Vgl. Johann Heinrich ZEDLER, Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Leipzig 1738, 949f. 261 262
NOCH EINMAL: JOHANN ARNDTS STUDIENZEIT Mein Aufsatz über »Johann Arndts Studienzeit« hat die herkömmliche Überzeugung von einem Theologiestudium Arndts in Frage gestellt. Es ist verständlich, daß neue Sichtweisen zunächst einmal auf Skepsis stoßen. Auf die – mir nur mündlich bekannt gewordenen – Einwände will ich hier eingehen und zugleich an einer Stelle eine Korrektur anbringen.
I Ich hatte darauf hingewiesen, daß Philipp Julius Rehtmeier in seiner Braunschweiger Kirchenhistorie1 erstmals Daten für die einzelnen Studienorte anführt und Namen von akademischen Lehrern Arndts nennt. Die Notiz lautet: »Deßhalben er an. 1575. zu Helmstädt D. Til. Heshusium; an. 1577. zu Straßburg Joh. Sturmium, Rectore scholae, und D. Joh. Pappum, Superintent. daselbst; an. 1579. zu Basel Simonem Sulcerum, Theologiae, und Theodorum Zvingerum Philos. Professores mit sonderbahrem Fleiß und Nuzen gehöret [...].«
Rehtmeier gibt ferner an, daß Arndt zwei Jahre später (1581) nach Hause zurückgekehrt, 1582 in den Schuldienst getreten sei und die Ehe geschlossen habe2. Rehtmeier nennt als seine Quellen neben den bekannten Biographien3 des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ein handschriftliches Verzeichnis der Mitglieder des Braunschweiger Predigerministeriums4. Ich habe seinerzeit vergeblich nach diesem Verzeichnis in Braunschweig gesucht, und so mußte ungewiß bleiben, ob daraus »die konkreten Angaben stammen oder ob Rehtmeier nur Vermutungen wiedergibt«. Der von Rehtmeier genannte handschriftliche ›Catalogus Ministrorum Brunsvigensium‹ ist aber in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel erhalten.5 Die Eintragung über Johann Arndt lautet: »Johannes Arndt Ballenstadensis Anhaldinus vocatus a Martinianis6 suscepturus munus docendi pro Melchiore Leporino A.C. 99 examinatus 25 Juli. Ab auditoribus suis commendatus colloquio 2 Augusti. Natus est anno 55 mense Januario, patre Jacobo Ministro verbi. Helmstadii A.C. 75 Heshusium audivit, Argentorati A.C 77 Johannem Sturmium 1 Ph.J. REHTMEIER, Historiae Ecclesiasticae Inclytae Urbis Brunsvigae pars IV. Oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie Vierter Theil [...], Braunschweig 1715, 313. 2 Ebd. 3 WITTENIUS, FREHER, ARNOLD, DIECKMANN. 4 Catal[ogus in] M[anu]S[cripto] Ministr[orum] Brunsv[igensium] Num. 98. 5 Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Helmst. 1011. 6 Mit »Martiniani« sind die Gemeindeglieder der Kirche St. Martini in Braunschweig gemeint.
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Rectorem scholae, et Johannem Pappum D. et Antistitem Ecclesi[ae], Basilee A.C. 79 Simonem Sulcerum Theologum, et Theodorum Zwingerum Philosophum. Biennio post demum reversus et scholae patriae praefectus matrimonium contraxit A.C. 82. Anno proximo 83 accitus est ad Ministerium verbi in Ecclesia Padeborniana in principatu Anhaltino: cui muneri, quum septe[n]nium praefuisset, a Calvinianis propter negotium exorcisticum expulsus A.C. 90. eodem anno accepit apud Quedlinburgenses Neapolitanos7 regendam ecclesiam: quo officio functus annos novem successit apud Martinianos Brunsvicenses Melchiori Leporino, apud quos non parum autoritate valuit.«
Es zeigt sich also, daß die Angaben Rehtmeiers über Arndts Studienzeiten und -orte sowie über seine akademischen Lehrer aus diesem ›Catalogus‹ stammen. Doch wer die Eintragung vorgenommen hat, ist nicht sicher, wahrscheinlich der Braunschweiger Superintendent Johann Wagner, der Arndt auch bei seinem Weggang nach Eisleben ein wohlwollendes Zeugnis ausstellte.8 Die angeführten Daten werden wohl auf Angaben Arndts zurückgehen. Die genannten Jahreszahlen sind, soweit überprüfbar, zutreffend. Der Studienbeginn in Helmstedt 1575 und die Immatrikulation in Basel 1579 lassen sich anhand der Matrikeleintragungen verifizieren. Die Vertreibung aus Anhalt und der Beginn des Pfarramtes an der Nikolaikirche in der Quedlinburger Neustadt im Jahre 1590 werden ebenfalls richtig angegeben. Die Mitteilung, daß er 1583 zum Pfarrdienst in Badeborn berufen worden sei, ist nicht ganz korrekt. Zwar fand die Ordination Arndts am 30. Oktober 1583 (in Bernburg) statt, doch erst am 27. Oktober 1584 wurde er an der St. Vitus-Kirche in Badeborn investiert. Unrichtig ist auch Arndts Geburtsdatum mit Januar 1555 angegeben. Arndt macht hingegen in seinem zweiten Testament vom 28. Januar 1616 selbst eine eindeutige Angabe zu seinem Geburtstag, »welcher ist der Tag Johannis Evangelistae, Anno 1555«.9 Arndt wurde also nicht, wie der vorliegende Eintrag angibt, schon im Januar 1555, sondern erst Ende des Jahres, am 27. Dezember, geboren. Immerhin machen die Jahresdaten insgesamt einen einigermaßen zuverlässigen Eindruck. Im Blick auf Arndts Studienzeit ist zweierlei bemerkenswert. Zum einen fällt auf, daß in der Aufzählung der Studienort Wittenberg fehlt. Das bestätigt die These, daß Arndt dort nie studiert hat. Zum andern gewinnt die Angabe an Glaubwürdigkeit, daß Arndt von Helmstedt nach Straßburg gegangen ist und das Studium dort im Jahre 1577 fortgesetzt hat; von dort ist er dann im Januar 1579 nach Basel gewechselt. Die Reihenfolge dieser beiden Studienorte ist also entgegen meiner Darstellung zu vertauschen. Arndts Brief
8
Die Nikolaikirche in Quedlinburg lag in der Neustadt. Abgedruckt bei Bericht, 107–110; danach bei F. ARNDT, 261–264. Vgl. KOEPP, Mystik,
9
Bericht, 90; F. ARNDT, 273.
7
67f.
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an Zwinger ist kein »Dankes- und Abschiedsbrief«, sondern er steht – wie ich zunächst völlig richtig vermutet hatte10 — am Beginn seines Studiums in Basel, mit dem sich der neue Student seinem Lehrer vorstellt: »Notum et commendatum me tibi volui facere.« Was tragen die Notizen im ›Catalogus‹ für die Frage von Arndts Theologiestudium aus? Genannt werden Tilemann Heshusius in Helmstedt, Johann Pappus in Straßburg und Simon Sulzer in Basel. Selbst wenn diese Namensnennungen auf Angaben Arndts zurückgehen sollten, sind sie dadurch noch nicht ohne weiteres über jeden Zweifel erhaben. Die von mir vorgebrachten Bedenken bleiben bestehen. Doch schon die Erwähnung des zuerst genannten Lehrers muß mißtrauisch machen. 1575 kann Arndt noch gar nicht Heshusius gehört haben, da dieser erst seit 1577 in Helmstedt wirkte (und Arndt zudem zunächst sein artistisches Grundstudium absolvieren mußte, bevor er sich den höheren Studien zuwenden konnte). Auch wenn man die Bemerkung »Helmstadii A.C. 75 Heshusium audivit« als verkürzende Redeweise auffaßt und auflöst in: »1575 wurde er immatrikuliert in Helmstedt, wo er [dann später] Heshusius hörte«, bleibt der Einwand bestehen. Heshusius kam nämlich erst im Herbst 1577 nach Helmstedt; am 29. September erhielt er seine Bestallungsurkunde.11 Als er seine Lehrtätigkeit aufnahm, muß Arndt schon in Straßburg gewesen sein oder sich im Aufbruch dorthin befunden haben.12 In Helmstedt läßt er sich bekanntlich zum letzten Mal am 14. Februar 1577 urkundlich nachweisen.13 Wenn nach der revidierten Chronologie das Studium in Basel den Abschluß seiner Studien bildete, gewinnt Arndts Selbstbezeichnung als »stud. med.« in seinem Brief vom 2. September 1579 an Theodor Zwinger zusätzlich an Gewicht.
II Gegen meine These, daß Arndt nie Theologie studiert habe, sind mir seit der Veröffentlichung des Aufsatzes zwei Argumente bekannt geworden. 1. Es sei kaum vorstellbar, daß Arndt überhaupt keine theologische Ausbildung besessen habe.
Vgl. Studienzeit, Anm. 166. Vgl. Inge MAGER, Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel. Entstehungsbeitrag – Rezeption – Geltung (SKGNS 33), Göttingen 1993, 307ff., bes. 317. 12 F. ARNDT, 18; KOEPP, 17. 13 Eintrag ins Karzerbuch. Vgl. SCHNEIDER, Studienzeit, Anm. 53. 10 11
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2. Ein Mann ohne Theologiestudium wäre nicht zum Pfarrer an einer der Braunschweiger Kirchen berufen worden. Nun habe ich keineswegs behauptet, daß Arndt überhaupt keine theologische Bildung besessen habe. Schon im Schulunterricht und auch im artistischen Grundstudium wurden viele theologische Stoffe vermittelt. Es soll auch nicht ausgeschlossen werden, daß Arndt einzelne theologische Vorlesungen besucht hat. Meine These ist vielmehr, daß Arndt kein reguläres Studium der Theologie absolviert hat. Die Äußerung Johann Gerhards, der als vertrauter Freund und Kenner Arndts gut informiert war, halte ich nach wie vor für zwingend: Arndt habe sich ein Urteil in theologischen Fragen durch den Besuch von Vorlesungen und die Teilnahme an Disputationen, also den üblichen akademischen Unterrichtsformen, nicht erworben.14 Leider fehlt eine Untersuchung über die Ausbildung der evangelischen Pfarrer in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die wahrscheinlich ein recht differenziertes Bild ergeben würde. Die reformatorische Forderung, daß jeder Pfarrer studiert und zwar Theologie studiert haben sollte, konnte erst nach und nach verwirklicht werden. Auch Arndts Vater, Jakob Arndt, der 1553 in Wittenberg ordiniert worden war, hatte ja offenbar nicht studiert, sondern war als Schulmeister zum Pfarrdienst berufen worden. Ein anderes Beispiel: ein Zeitgenosse Arndts, der Bruder Philipp Nicolais, Jeremias Nicolai (1558– 1632), hat – falls er überhaupt eine Universität besuchte – allenfalls ein Jahr (die artes liberales) studiert und wurde trotzdem nicht nur Pfarrer, sondern Superintendent, ja sogar Generalsuperintendent.15 Eine weitere biographische Beobachtung soll noch angeführt werden, die meine Beweisführung unterstützen kann. Am 1. Januar 1609 wurde Arndt als Pfarrer an der Andreaskirche in Eisleben eingeführt. Damit war die Stelle eines Beisitzers (Assessors) im gräflichmansfeldischen Konsistorium verbunden. Die Bestätigung Arndts in dieser Funktion durch das zuständige Dresdener Oberkonsistorium verzögerte sich aber, so daß die Mansfelder Grafen in dieser Angelegenheit zweimal (am 30. April und 4. Mai) nach Dresden schreiben und auf Erledigung drängen mußten. Das Dresdener Oberkonsistorium forderte wiederholt, daß Arndt sich einem Examen unterziehen müsse, und drohte bei dessen Weigerung mit dem Entzug des Gehalts. Dagegen wehrte man sich mit dem Hinweis, daß dies eine Vgl. SCHNEIDER, Studienzeit, Anm. 213. Vgl. Jacobus PANNEKOEK, Theologie und Frömmigkeit in der Grafschaft Waldeck in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, besonders bei Jeremias Nicolai und Johannes Heinemann, Arolsen 2004 (Waldeckische Forschungen 12), Kap.II. 14 15
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unnötige und für Arndt selbst demütigende Neuerung, ja sogar eine »gesuchte Zunötigung« darstelle. Man habe nicht unterlassen, die notwendigen Erkundigungen über den neuen Pfarrer einzuholen und Arndt habe »etliche mal an andern vns zu examine Vorgestellten personen doctis quaestionibus, objectionibus et informationibus dermaßen sich erwiiesen, daß die Sämtlichen Collegen unseres mittels Ihre lust daran gehört haben«. Die darüber geführten Verhandlungen erbrachten schließlich das Ergebnis, daß Dresden auf seine Forderung verzichtete.16 Die Forderung, Arndt solle ein Examen ablegen, erscheint gegenüber einem Pfarrer, der immerhin bereits 25 Jahre im Amt war, höchst auffällig. Es lassen sich dafür nur zwei mögliche Gründe vermuten: Entweder zweifelte man in Dresden an der hinreichenden theologischen Bildung Arndts oder an seiner Rechtgläubigkeit. In den Braunschweiger Streitigkeiten um Arndts ›Wahres Christentum‹ waren ja beide Vorwürfe erhoben worden. Da der ehemalige Braunschweiger Superintendent Polykarp Leyser Oberhofprediger in Dresden und Mitglied des Oberkonsistoriums war, ist anzunehmen, daß er über die Vorgänge in Braunschweig gut informiert war. Wenn die Mansfelder Grafen auf Arndts »doctae quaestiones, objectiones et informationes« hinweisen, scheint dies anzuzeigen, daß die Dresdener Vorbehalte offenbar Arndts theologischer Bildung galten.
16
WINTER, 43f.
JOHANN ARNDT ALS PARACELSIST Als Ende des 17. Jahrhunderts ein protestantischer Theologe Spanien bereiste, wurde ihm in der Madrider Jesuitenbibliothek auf seine Frage nach der besten aszetischen Schrift ein lateinisches Werk vorgelegt; bedauerlicherweise fehlten Anfang und Ende, so daß man Titel und Autor nicht kannte. Der Besucher stellte bald fest, daß es sich um eine lateinische Übersetzung von Johann Arndts ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ handelte.1 Das Erbauungsbuch eines lutherischen Pfarrers als hochgeschätzte asketische Schrift in einer spanischen Jesuitenbibliothek! Diese Anekdote ist in mehrfacher Hinsicht signifikant. Die Bedeutung Johann Arndts (1555–1621)2 als Bahnbrecher einer neuen, der »pietistischen« Frömmigkeit beruht in erster Linie auf seinem literarischen Werk, besonders auf diesen ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹, die zuerst in den Jahren 1605 bis 1610 erschienen3. Dieses vierteilige Erbauungsbuch erzielte im 17. und 18., ja auch noch im 19. Jahrhundert eine kaum vorstellbare Verbreitung als religiöser Bestseller. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts sind über 200 Drucke nachweisbar; es kam also durchschnittlich in jedem Jahr irgendwo eine neue Ausgabe heraus. Es wurde nicht nur mehrmals ins Lateinische, sondern in viele europäische Sprachen übersetzt und zählte bald zu den weitestverbreiteten und meistgelesenen Werken der christlichen Weltliteratur. Das Werk trägt überwiegend kompilatorischen Charakter.4 Dabei ist bemerkenswert, daß Arndt seine Stoffe überwiegend aus vorreformatorischen Quellen genommen und auf die Imitatio-Frömmigkeit und Demutstheologie der spätmittelalterlichen Mystik zurückgegriffen hat. (Daher erklärt 1 Die Geschichte findet sich zuerst in: [Traugott Immanuel JERICHOW (Hg.)], Sammlung auserlesener Materien zum Bau des Reiches Gottes, I, Frankfurt/M. / Leipzig 1731, 20–22, und ist oft nacherzählt worden. – Der evangelische Theologe ist Paul Anton (1661–1730), der spätere Mitarbeiter August Hermann Franckes und Professor in Halle, der 1687/88 den sächsischen Prinzen Friedrich August als Reiseprediger begleitete. 2 Die neuesten Gesamtwürdigungen Arndts finden sich bei Johannes WALLMANN, Der Pietismus (KIG Lfg. O/1), Göttingen 1990, 14–24, und Martin BRECHT, Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in, DERS. (Hg.), Geschichte des Pietismus, I, Göttingen 1993, 113–203, hier 130–151. 3 Buch I wurde erstmals in Frankfurt/Main 1605 veröffentlicht, zwei redigierte Ausgaben erschienen in Braunschweig 1606, eine erneut überarbeitete in Jena 1607; das vollständige Werk mit den erstmals gedruckten Büchern II–IV kam 1610 in Magdeburg heraus. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurden weitere Schriften Arndts als Buch V und VI hinzugefügt. 4 Vgl. hierzu die grundlegende Analyse von Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim 31978. – Zur Geschichte der Quellenanalyse, die noch keineswegs abgeschlossen ist vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und die makarianischen Homilien [s.o. in diesem Band].
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Johann Arndt als Paracelsist
sich seine Wertschätzung in jener spanischen Bibliothek.) Daneben dienten Arndt aber auch Autoren des 16. Jahrhunderts (u.a. der Spiritualist Valentin Weigel) als literarische Vorlagen. Diese Materialien hat Arndt thematisch in vier Büchern (Liber scripturae, Liber vitae, Liber conscientiae und Liber naturae) geordnet und durch redaktionelle Bearbeitung in einen lutherischen Rahmen einzufügen versucht. Was hat dieses Werk, was hat sein Autor mit Paracelsus 5 zu tun? Den unzähligen Lesern des Werkes begegnet der Name des Paracelsus nur an einer einzigen Stelle. Im ersten Teil des IV. Buches, des Liber naturae, kommt Arndt bei der Beschreibung des Sechstagewerks der Schöpfung auf die Wirkung der Gestirne zu sprechen: »Und allhier muß ich einführen die Meinung des vortrefflichen Teutschen Philosophi, Philippi Paracelsi, wie er die Astronomiam verstehet, und wofür er dieselbe hält; und lasse das Urtheil und judicium dem Christlichen Leser« (WChr IV/1, 4,13). Er schließt das über mehrere längere Abschnitte reichende Referat mit der Bemerkung ab: »Dies ist obgedachtes Philosophi Meynung, welche auf des Autoris Verantwortung und Beweis ruhen mag« (WChr IV/1, 4,18). Bei der Darstellung des fünften Tagewerks, von dem Meer und den Wassern, weist Arndt an einer Stelle den Leser darauf hin, daß er »bei einem vortrefflichen Teutschen Philosopho Bescheid finden« könne (WChr IV/1, 5,12). Paracelsus wird zwar nicht namentlich genannt, doch weist auf ihn dieselbe Charakteristik, mit der ihn Arndt zuvor eingeführt hatte. Das gilt auch für eine weitere Stelle, an der Arndt zitiert, was »ein Teutscher Philosophus schreibet« (WChr IV/1, 5,29). Diese Beobachtungen sind zunächst nicht auffällig; erwähnt und zitiert Arndt doch in seinem Werk eine Fülle von Autoren namentlich. Allenfalls könnte Aufmerksamkeit erregen, daß er einen so umstrittenen Mann wie Paracelsus zu Wort kommen läßt und ihn gar als »vortrefflichen Philosophen« bezeichnet. Er sichert sich aber ab, indem er zweimal betont, das endgültige Urteil über die referierten Ansichten dem Leser überlassen zu wollen. Doch dieser oberflächliche Befund wird dem wahren Sachverhalt nicht gerecht. Tatsächlich ist die Bedeutung des Paracelsus für Arndt sehr viel größer, 5 Theophrast VON HOHENHEIM gen. PARACELSUS, Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hg. von Karl SUDHOFF, I–XIV, München / Berlin 1922–1933; zit.: 1/ römische Ziffer [Band]. Theophrast VON HOHENHEIM genannt PARACELSUS, Sämtliche Werke. 2. Abteilung: Theologische und religionsphilosophische Schriften, hg. von Kurt GOLDAMMER, I–VII, Wiesbaden 1923–1986; zit.: 2/ römische Ziffer [Band]. – Eine eindrucksvolle Würdigung des Paracelsus als Laientheologen (mit Angabe der wichtigsten Literatur) gibt Gustav Adolf BENRATH, Die Lehre außerhalb der Konfessionskirchen, in: HDThG II, 581–585. Noch nicht zugänglich war mir die Untersuchung von Ute GAUSE, Paracelsus (1493–1541): Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie (SuR. NR 4), Tübingen 1993.
Johann Arndt als Paracelsist
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als diese Beobachtungen vermuten lassen. Wir werfen zunächst einen kurzen Blick auf die Forschungsgeschichte (I), um dann den Einflüssen des Paracelsus in den einzelnen Stationen von Arndts Leben und Werk nachzuspüren (II), diese Einflüsse zusammenfassend zu skizzieren (III) und mit einigen Beobachtungen zur Wirkungsgeschichte (IV) zu schließen.
I Zwei Jahre nach Arndts Tod veröffentlichte der Tübinger Theologieprofessor Lucas Osiander d.J. ein ›Theologisches Bedencken‹ gegen Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹6. In diesem ebenso scharfen wie scharfsinnigen Angriff auf Arndts Hauptwerk kritisiert er u.a. die »unreinen« literarischen und damit geistigen Quellen, aus denen sich Arndts Werk speise. Neben den mittelalterlich-»papistischen« Quellen führt Osiander auch die »Schwärmer« Schwenckfeld, Paracelsus und Weigel auf.7 Aber nicht nur Gegner Arndts, sondern auch sein Freund und Schüler Johann Gerhard (1582–1637) 8 konstatierte die Benutzung von Schriften der beiden Letztgenannten. In einem Brief an Aegidius Hunnius d.J. aus dem Jahre 1625 nennt Gerhard zwei Gründe für die »unangemessenen und gefährlichen« Formulierungen im Wahren Christentum: Als ersten führt er Arndts mangelnde theologische Bildung9 an, als zweiten Grund nennt er dessen Vorliebe für Schriften von Paracelsus und Weigel; die Autopsie bezeuge, daß er aus ihnen viel in seine ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ übernommen habe10. Johannes Dieckmann, Generalsuperintendent von Bremen und Verden, hat 1706 im Vorwort zu seiner Ausgabe des Arndtschen Erbauungsbuches die Grundlagen für die wissenschaftliche Quellenkritik gelegt11. In der Forschung
6 Lucas OSIANDER D.J., Theologisches Bedencken / Und Christliche Treuhertzige Erinnerung / Welcher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb / nach Anleitung des heiligen Worts Gottes und der reinen evangelischen Lehr und Bekandtnusses anzusehen und zu achten seye [...], Tübingen 1623. 7 OSIANDER (wie Anm. 6), 8. 8 Zu Gerhard vgl. Martin HONECKER, Art. »Gerhard, Johann«, TRE 12 (1984), 448–453. 9 Vgl. hierzu Hans SCHNEIDER, Johann Arndts Studienzeit [s.o. in diesem Band]. 10 »[...] quod lectione librorum Paracelsi et Weigelii fuerit delectatus. Testatur enim au/toyi/a , quod ex illis multa in libros de vero christianismo redegerit«. Brief Gerhards an Ägidius Hunnius d.J. vom 2. Februar 1625; abgedruckt bei Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndianum seu B. Ioannis Arndti tres epistolae hactenus ineditae [...], Wittenberg o.J. [1714], 13. 11 Johannes DIECKMANN, Vorrede an den Christlichen Leser, in: Herrn Johann Arnds [...] Sechs Bücher vom Wahren Christenthum [...], Stade 1706, 29.
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unseres Jahrhunderts haben Friedrich Julius Winter12, Wilhelm Koepp13 und Hans-Joachim Schwager14 zwar auf Arndts Interesse an den »naturphilosophischen« Theorien des Paracelsus und die Rezeption kosmologischer Motive in WChr IV/1 hingewiesen; aber erst Edmund Weber hat in seiner Dissertation eine eingehende Analyse der Quellen vorgenommen. Er kommt zu dem Ergebnis: »Aus keiner literarischen Quelle, abgesehen natürlich von der Bibel, hat Arndt so viel geschöpft wie aus den magischen und naturwissenschaftlichen Schriften Theophrasts von Hohenheim« 15. In einem Punkt ist sich die bisherige Forschung einig: Schrieb schon Johannes Dieckmann, er »leugne schlechterdings / daß Arnd auch nur einiger massen dem Paracelso inn geistlichen Sachen Gehör gegäben habe«16, so stellt auch Weber fest: »Im Gegensatz zu Valentin Weigel hat Arndt gänzlich darauf verzichtet, die Theologie Hohenheims seinem Erbauungsbuch einzuverleiben«17.
II Entgegen der Annahme der bisherigen Forschung hat der einflußreichste Erbauungsschriftsteller des Protestantismus wohl nie ein Theologiestudium absolviert, sondern sich nach dem Grundstudium der Artes der Medizin gewidmet.18 Wie und wann Arndt zum ersten Mal der Gedankenwelt des Paracelsus begegnet ist, wissen wir leider nicht. In Helmstedt, wo Arndt 1575 sein Studium begann, war wie an fast allen Universitäten nur die hippokratischgalenische Medizin zugelassen19 und die Lehre der empirisch-paracelsischen ausdrücklich untersagt 20. Das galt auch für Wittenberg, wo sich Arndt wahrscheinlich nur kurze Zeit aufhielt. Das erste literarische Zeugnis, das wir aus 12 Friedrich Julius WINTER, Johann Arndt, der Verfasser des »Wahren Christentums«. Ein christliches Lebensbild, Leipzig 1911 (SVRG 101/102), 83–85. 13 Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum, Berlin 1912 (NSGTK 13) [Nachdruck Aalen 1973], 22f., 56. 14 Hans-Joachim SCHWAGER, Johann Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen, Ev. theol. Diss., Münster 1961, 18f. 15 WEBER (wie Anm. 4), 108. 16 DIECKMANN (wie Anm. 11), 30; meine Hervorhebung. 17 WEBER (wie Anm. 4), 109; meine Hervorhebung. 18 Das ist das Ergebnis meiner Untersuchung über Arndts Studienzeit (wie Anm. 13). 19 Vgl. Arndts Brief an Gerhard vom 26. März 1601: »Scio, hanc [scil. Paracelsicam medicinam] ab academiis explosam«, in: Georg Martin RAIDEL (Hg.), Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740, 4f. 20 Vgl. Peter BAUMGART / Ernst PITZ (Bearb.), Die Statuten der Universität Helmstedt, Göttingen 1963 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 15), 108, Nr. 134: »Empiricos vero omnes ac Paracelsi tetralogi/aj et alias medicinae corruptelas cum Galeni et Avicennae doctrina pugnantes penitus ex Academia nostra eliminari et explodi mandamus«.
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Johann Arndts Feder besitzen, ein Brief des Medizinstudenten in Basel an seinen Lehrer Theodor Zwinger21 aus dem Jahre 1579, zeigt Arndt bereits als begeisterten Verehrer des Paracelsus. Er bezeichnet diesen als »novus medicinae athleta« und hebt hervor, daß Zwinger Paracelsus wohlwollender als andere beurteile.22 Die Zugehörigkeit Arndts zu Kreisen der Paracelsisten wird noch weit eindrücklicher durch eine andere Quelle belegt: den ersten erhaltenen Brief an Arndt aus dem Jahre 1581. Dieser Brief stammt von einem seiner Basler Kommilitonen, dem später berühmten französischen Paracelsisten Bernard Gabriel Penot 23, und ist abgedruckt in einer 1582 in Lyon erschienenen Ausgabe von medizinischen Schriften des Paracelsus24. Das Schreiben stellt ein wichtiges Dokument für die Geschichte des Paracelsismus im ausgehenden 16. Jahrhundert dar,25 und Arndt begegnet hier als vertrauter Gesinnungsfreund des französischen Paracelsisten. Trotz seines Medizinstudiums wurde Arndt aber nicht Arzt, sondern Pfarrer, zunächst in seiner Heimat Anhalt (1583–1590). Dort geriet er im Zuge der calvinisierenden »zweiten Reformation« in Konflikt mit der Obrigkeit; da er sich weigerte, den Taufexorzismus abzuschaffen, wurde er entlassen. Es folgten dann Jahre als Pfarrer in Quedlinburg (1590–1599), in Braunschweig (1599–1608), in Eisleben (1609–1611) und schließlich als Generalsuperintendent in Celle (1611–1621). Doch auch als »geistlicher Arzt«26 im Pfarramt ist Arndt Mediziner geblieben. Er hat nicht nur in seinen Predigten und Schriften gern medizinische Bilder und Metaphern (Krankheit, Gesundheit, Arzt, Pati-
21 Zu Zwinger vgl. Carlos GILLY, Zwischen Erfahrung und Spekulation. Theodor Zwinger und die religiöse und kulturelle Krise seiner Zeit, BZGAK 77 (1977), 57–137; 79 (1979), 125– 223. 22 Brief Arndts an Theodor Zwinger. UB Basel: Frey-Gryn. II 4 Nr. 11; abgedruckt bei SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 126f.]. 23 Bernard Gabriel Penot de Sainte Marie (Bernardus Gabrielus Penotus Londrada a portu Sanctae Mariae Aquitanus); immatrikuliert in Basel 1579. Vgl. Hans Georg WACKERNAGEL (Hg.), Die Matrikel der Universität Basel, II: 1532/33–1600/07, Basel 1956, 273, Nr. 68. Zu den Werken Penots vgl. Denis Ian DUVEEN, Bibliotheca alchemica et chemica, London 1965, 464f. 24 Brief Bernard Gabriel Penots an Arndt (»Iohanni Aquillae Saxoni«) aus Genf vom 15. August 1581; abgedruckt in: Philippus Aureolus Theophrastus PARACELSUS, Centum quindecim curationes experimentaque [...], o.O [Lyon] 1582, 73–77 [recte: 89–93]. Eine ausführliche Druckbeschreibung des Werkes und Bibliotheksnachweise finden sich bei Karl SUDHOFF, Bibliographia Paracelsica. Besprechung der unter Hohenheims Namen 1527–1893 erschienenen Druckschriften, Graz 1958, 328–331. Der Brief ist auch abgedruckt bei SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 127–129]. 25 SUDHOFF (wie Anm. 24), 328, der den Adressaten aber nicht identifizieren konnte. 26 In seinen Predigten über die zehn ägyptischen Plagen (s. u. Anm. 42), 76, sagt Arndt: »Gleich wie ein Medicus durch viel und weit geholete Artzney einem Krancken helffen muß; also ein geistlicher Artzt / in deme himmlische Kräffte seyn / kans mit einem Wort thun.«
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ent, Arznei, heilen) benutzt,27 sondern auch ärztliche Tätigkeiten ausgeübt, medizinische Ratschläge gegeben, Rezepte mitgeteilt und wohl auch im eigenen Laboratorium Arzneien hergestellt. Die Grundlage bildete die Medizin des Paracelsus und der Paracelsisten. Aufschlußreiche Einblicke in diese Zusammenhänge vermittelt Arndts Briefwechsel mit seinem Freund Johann Gerhard.28 Als der junge Gerhard Medizin studieren wollte, riet ihm Arndt ab. Er beklage, so schrieb er, als ein »expertus« und nicht als ein Unerfahrener ohne Praxis, die »incertitudo« der galenischen Medizin und die »difficultas« und »abstrusitas« der paracelsischen; beide seien ein Labyrinth29. Diese Äußerung darf jedoch nicht als ein Abrücken von Paracelsus verstanden werden; denn während er an der galenischen Medizin sachliche Kritik übt, tadelt er an Paracelsus nur die schwierige Terminologie30. Töricht sei es, fährt Arndt fort, daß man die galenische Medizin als geradezu göttlich betrachte, die paracelsische hingegen aus den Universitäten verbanne, obwohl gerade die hervorragendsten Ärzte sie anwendeten. Arndt wollte Gerhard nur vom Medizinstudium an einer Universität abhalten;31 im gleichen Atemzug empfahl er ihm aber das Lehrbuch eines Paracelsisten zum privaten Studium32. Der Sorge um Gerhards Gesundheit galt Arndts ständige Aufmerksamkeit. Ein Brief gibt einen besonders instruktiven Einblick in Arndts medizinische Beratung: Als Gerhard über Brustbeklemmung, ständiges Schwitzen, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen klagte und als Ursache für diese Symptome eine Verstopfung der Leber und der Venen vermutete, wies Arndt diese Diagnose als zu oberflächlich zurück. Die galenische Schulmedizin wisse nicht, woher diese »obstructio« komme. Man müsse vielmehr auf die Pathologie des berühmten, wenngleich geschmähten und von den Universitäten verstoßenen »Spagyrus« zurückgreifen, der die Krankheiten und ihre Therapie »ex principiis naturae essentialibus« herleite: Die Hauptbestandteile des menschlichen Körpers seien »sal, liquor et balsamus«. Salz könne durch zu starke Verfestigung oder zu starke Auflösung Erkrankungen bewirken. Die 27 Vgl. z.B. WChr I, 8,3–5.11.15; I, 11,9; I, 27,9; I, 34, Überschrift; I, 34,5.9.13f.; I, 42,2; II, 1, Überschrift; II, 1,1f.6; II, 7,7; II, 9,9.17; II, 15,2; II, 45,1; II, 19,6. 28 Der Briefwechsel ist leider nur teilweise erhalten; die meisten erhaltenen Briefe sind abgedruckt bei RAIDEL (wie Anm. 19). 29 Brief Arndts an Johann Gerhard vom 26. März 1601, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 4–6. 30 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung WEBERS (wie Anm. 4), 140, zur Art und Weise, wie Arndt in WChr IV/1 Paracelsus rezipiert: »Die meisten schwierigen und dunklen Begriffe läßt er aus«. 31 So urteilt zutreffend WEBER (wie Anm. 4), 113. 32 Es handelt sich um die ›Idea medicinae philosophicae‹ des Dänen Petrus Severinus (s. u. Anm. 40). Arndt fügt jedoch hinzu: »Sed vereor, ne possis in hac quidem aetate mentem illius adsequi«, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 5.
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Therapie müsse nach den Grundsätzen des Paracelsus daher auch durch Salze erfolgen; denn »similia similibus curantur, non contraria contrariis«. Und entsprechend stellt Arndt ihm ein Rezept aus.33 Neben Schriften des Paracelsus besaß Arndt medizinische Werke bedeutender Paracelsisten. Die ›Idea Medicinae Philosophicae‹ 34 des Dänen Peder Sørensen35 bezeichnet Arndt als »liber mihi auro pretiosior«36, und über paracelsistische Neuerscheinungen hielt er sich auf dem laufenden. So empfiehlt er Gerhard zweimal soeben erschienene Werke von Joseph Duchesne (Josephus Quercetanus). Über dessen Buch ›Tetras gravissimorum capitis affectuum‹37 schreibt er: »In illo libro multa naturae pertractantur mysteria an forte iuvari nonnihil possis huius lectione ad stabiliendam valetudinem«38; die ›Pharmacopaea restituta‹ 39 preist Arndt als »librum praeclarum, thesaurum ingentem, valetudinis tuae futurae restauratricem«40. Die Einflüsse des Paracelsus lassen sich aber auch in den literarischen Werken Arndts nachweisen, wobei allerdings nur die ›Ikonographia‹ und die ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ bisher unter dieser Fragestellung untersucht worden sind. Bereits in seiner frühesten erhaltenen41 Schrift, den Predigten von den zehn ägyptischen Plagen42, die Arndt 1595/96 in Quedlinburg hielt, ist der Einfluß des Paracelsus erkennbar. Ganz in dessen Sinne formuliert Arndt: »Dann der Mensch ist das Kunstreichste Geschöpff Gottes / Microcosmus die kleine Welt / ein Epitome und Ausßzug der gantzen Welt« 43. Wenn er bei »Edelgesteinen und Metallen« erwähnt, »mit welchem schönen Brief Arndts an Johann Gerhard vom 19. Februar 1607, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 75f. Petrus SEVERINUS, Idea medicinae philosophicae, fundamenta continens totius doctrinae Paracelsicae, Hippocraticae, et Galenicae, [...], Basel 1571. 35 Zu Sørensen vgl. Karl SUDHOFF, Ein Beitrag zur Bibliographie der Paracelsisten im 16. Jahrhundert, ZfB 10 (1893) 316–326, 385–407, hier 402f.; Valdemar MEISEN, Petrus Severinus (Peder Sörensen). 1540 (or 1542) – 1602, in: DERS. (Hg.), Prominent Danish scientists through the ages, Copenhagen / London 1932, 16–19. Ein Lesehinweis auf Petrus Severinus Danus findet sich auch in den Erläuterungen zu Arndts Sendschreiben an Erasmus Wolffart (s. u. Anm. 67). Vgl. auch WEBER (wie Anm. 4), 212 A. 32. 36 Brief Arndts an Johann Gerhard vom 26. März 1601, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 5. 37 Josephus QUERCETANUS Tetras gravissimorum capitis affectuum, Marburg 21609. 38 Brief Arndts an Gerhard vom 21. Mai 1607, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 81. 39 Josephus QUERCETANUS, Pharmacopaea [...] restituta, Leipzig 1607. 40 Brief Arndts an Gerhard vom 4. Mai 1607, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 82. 41 Bei den frühen Schriften Arndts, die er in seiner ›Ikonographia‹ (s. u. Anm. 46), f. 33r und 48r, erwähnt und in der Forschung als »verschollen« betrachtet wurden, handelt es sich nur um geplante Veröffentlichungen. Vgl. hierzu Hans SCHNEIDER, Johann Arndts ›verschollene‹ Frühschriften [s.u. in diesem Band]. 42 Die Predigten wurden erstmals lange nach Arndts Tod gedruckt. Johann ARNDT, Zehen Lehr= und Geist=reiche Predigten: Von den Zehen grausamen und schröcklichen Egyptischen Plagen [...], Frankfurt/M. 1657. 43 ARNDT (wie Anm. 42), 79. 33 34
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Liecht sie Gott geschmücket«44, klingen schon kosmologische Themen an, die er im IV. der ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ behandelt. Besonders signifikant sind seine Äußerungen, wenn er etwa den Zusammenhang von Ruß und Blattern-Plage (Ex 9,8–12) folgendermaßen erklärt: »Warumb auch Gott der Herr eben befohlen / Ruß zu nehmen unnd nicht Staub / hat seine Ursache in der Natur. Dann Gott der Allerweiseste fürwar nichts ohne Ursache thut; Aber solches dienet nicht für den gemeinen Mann. Die rechten waren Naturkündiger und Physici wissen / daß der Mensch ist Microcosmus, die kleine Welt / unnd alles was in der grosen Welt äusserlich in der Natur geschicht / das kan im Menschen / als in der kleinen Welt auch geschehen. Wie nun auß Feuer / Holtz und Rauch der Ruß wächset; Also kan im Geblüt des Menschen durch unnatürliche Hitze ein solcher Rauch entstehen / darauß ein Microcosmischer Ruß wirdt / das sind die Ulcera und Geschwär / so auß dem entzündeten und erhitztem / verbrandten und verstocktem Geblüt erwachsen; Ja wir sehen / daß der MetallRauch einen Ruß gibt / der lauter Gifft ist: Darauß etlicher massen abzunehmen / daß Gott der Allerweiseste nit ohne Ursach dem Mose diß Mittel befohlen hat zu nehmen; Aber wie gesagt / diß ist dem gemeinen Mann zu hoch / unnd diß zuverstehen gehöret mehr darzu.«45
Noch deutlicher tritt der Einfluß des Paracelsus in einer wenig später erschienenen Schrift hervor, der bereits erwähnten ›Ikonographia‹46, mit der sich Arndt gegen die calvinistischen »Bilderstürmer« in seiner Heimat Anhalt wandte, wo seit 1596 im Zuge der voranschreitenden »zweiten Reformation« Bilder, Altäre und Kruzifixe aus den Kirchen entfernt wurden. Edmund Weber hat erstmals den Nachweis geführt, daß Arndt in der ›Ikonographia‹ aus einem Werk des Paracelsus, ›Liber de imaginibus‹ (1/XIII, 359–386)47, als Hauptquelle geschöpft hat;48 in einem Brief an Johann Gerhard gibt Arndt den Titel der ›Ikonographia‹ sogar als »Libellus meus de imaginibus« wieder49. Ferner hat Arndt, wie Weber ebenfalls zeigen konnte, in diesem Werk drei weitere Paracelsus-Schriften herangezogen:50 ›Chronica und ursprung dieses lants Kernten‹ (1/XI, 3–14), ›Auslegung der Papstbilder‹ (1/XII, 509–585) und ›Auslegung über ettliche Figuren Jo. Liechtenbergers‹ (1/VII, 475–530). Obwohl Arndt in seiner Schrift die Argumente zu einem Großteil ohne Namensnennung aus ARNDT (wie Anm. 42), 79f. Vgl. WChr IV/1, 1,16. ARNDT (wie Anm. 42), 57. 46 Johann ARNDT, Ikonographia. Gründtlicher und Christlicher Bericht / Von Bildern / jhrem uhrsprung / rechtem gebrauch und mißbrauch / im alten und neuen Testament: Ob der mißbrauch die Bilder gar auffhebe: Was dieselbe für ein gezeugnuß in der Natur haben / in Geistlichen und Weltlichen Sachen [...], Halberstadt o.J. [1597]. 47 Arndt wohl nicht bekannt war die nur handschriftlich überlieferte Schrift ›De imaginibus idolatriae‹ (2/III, 277–286). 48 WEBER (wie Anm. 4), 116–140. 49 Brief Arndts an Johann Gerhard vom 27. Januar 1604, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 31–34. 50 WEBER (wie Anm. 4), 117f., 127–140. 44 45
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dem Werk eines orthodoxen lutherischen Theologen – Martin Chemnitz’ ›Examen Concilii Tridentini‹ – schöpft,51 liegen die Motive seines Eintretens für die Bilder in dem paracelsistisch-theosophischen Interesse an dem Bild- und Zeichencharakter der Schöpfung. Dies zeigt sich daran, wie Zitate aus den Paracelsus-Schriften und aus anderen heterodoxen theosophischen Werken (Agrippa von Nettesheim52; Heinrich Khunrath53) mit den Chemnitz-Auszügen verknüpft und z.T. regelrecht verwoben sind. Nach Arndts Auffassung, die ganz mit Paracelsus konform geht, bedient sich Gott der Bilder sowohl in der Bibel als auch in der Natur: »Denn gleich wie Gott der Herr Göttliche geheimnus durch Bilder geoffenbaret / im altem und neuen Testament: Also die Natur auch / und hat Gott die Weissagungen durch Bilder in die Natur gepflantzet / Denn die gantze natur / und alle Elementa, Animalia, Vegetabilia, mineralia, sind voller wünderlicher Figuren / Zeichen und Bilder dadurch sie sich zuerkennen geben / und offenbaren alle jre geheimnus durch Bilder / und aus denselben kan alles gelernet werden / was natürlich ist / ja so wol / als aus einem beschribenen Buche.«54
Diese bild- und zeichenhafte Offenbarung erfordert »einen sonderlichen hohen Verstandt im Liecht der Natur«55. Hier begegnet erstmals ein paracelsischer Schlüsselbegriff56, der in den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ eine wichtige Rolle spielen sollte. Der Skopus der Abhandlung tritt noch einmal am Ende des Hauptteils zutage: »Weil nun die Natur sich so gewaltig aus Gottes ordnung durch Bilder offenbaret / so ist es nicht allein nicht unrecht oder Gottlos / solche Bilder zu haben/ sondern es ist eine grosse Gottlosigkeit und unwissenheit / dieselbe verwerffen oder verachten.«57
Von besonderem Interesse für das Verhältnis Arndts zu Paracelsus ist sein Sendschreiben an den Theosophen58 Erasmus Wolffart 59. Es beginnt mit den 51 Vgl. die ausführlichen Nachweise bei Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und Martin Chemnitz. Zur Quellenkritik von Arndts »Ikonographia« [s.o. in diesem Band]. 52 ARNDT (wie Anm. 46), 36r. 53 ARNDT (wie Anm. 46), 32v (Amphitheatrum sapientiae divinae). Zu Khunrath vgl. Joachim TELLE, Art. »Khunrath, Heinrich«, in: Walther KILLY (Hg.), Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, 6, Gütersloh / München 1989, 317f. 54 ARNDT (wie Anm. 46), 32v. 55 ARNDT (wie Anm. 46), 37r–37v. 56 Vgl. Kurt GOLDAMMER, Lichtsymbolik in philosophischer Weltanschauung. Mystik und Theosophie vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: StGen 13 (1960), 670–682, hier 676–678. 57 ARNDT (wie Anm. 46), 37v. 58 ARNDT bezeichnet ihn in einem Brief an Gerhard vom 3. August 1607 als »filius theologiae sincerioris et spiritualis«, in: RAIDEL (wie Anm. 19), 97. – Wolffart gab 1609 eine Neuauflage von Khunraths ›Amphitheatrum Sapientiae Aeternae‹ heraus. 59 Arndt hatte gebeten, »dies mein Schreiben geheim bleiben [zu] lassen«; es wurde erst 50 Jahre nach seinem Tod in Amsterdam bei Heinrich Betke, dem Verleger heterodoxer Literatur, erstmals veröffentlicht. Johann ARNDT, Mysterium de incarnatione verbi, oder das große Ge-
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Worten: »Daß Theophrastus Paracelsus, und nach demselben M[agiste]r Valentinus Weigelius, auch andere / etwas sonderliches und anders halten vom Fleisch Adams und Christi, hat diese Ursach«60. Arndt erläutert in diesem Schreiben die Spekulation vom himmlischen Fleisch Christi61, erwähnt mehrfach Paracelsus und referiert ausgiebig anthropologische Aussagen aus der Schrift ›De lunaticis‹ (1/XIV, 43–72). Wilhelm Koepp will bei genauerem Studium des Sendschreibens trotz der in Arndts Naturphilosophie begründeten Annäherungen doch »eine leise feine Grenze« entdecken, die er zwischen den von ihm erläuterten Anschauungen und seiner eigenen Meinung ziehe: »Der Brief bietet eine Erklärung, aber weiter auch nichts. Es liegt eine unausgesprochene Stimmung zwischen den Zeilen: ich kann es ja wohl verstehen, aber meine Meinung ist es doch nicht« 62. Auch Hans-Joachim Schwager ist der Ansicht, der Briefinhalt erweise Arndt lediglich als Interpreten der Auffassung des Paracelsus.63 Gegenüber diesen Deutungen ist aber bei einer unvoreingenommenen Lektüre des Sendschreibens keine Distanzierung Arndts von den referierten Anschauungen zu bemerken; vielmehr werden diese verständnisvoll entfaltet. Überdies räumt Koepp sogar selbst ein, daß jene Spekulation an einer Stelle in Arndts Hauptwerk anklingt: »Darum ist er [Christus] Mensch geworden und hat unser Fleisch und Blut an sich genommen, daß durch sein lebendigmachendes Fleisch auch wir lebendig gemacht würden« (WChr II, 36,2). In den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ finden sich nicht nur umfangreiche Paracelsus-Exzerpte, sondern paracelsische Vorstellungen spielen auch bei der Gesamtkonzeption des Werkes eine wichtige Rolle. In einem Brief an Johann Gerhard erläutert Arndt den Aufbau folgendermaßen: »Prior libellus ad interiorem hominem viam sternit et patefacit, secundus ad internum hominem propius deducit, ad gustum nempe rerum spiritualium per crucis tolerantiam; tertius hominem totum intro convertit et in seipsum introducit, regnumque Dei intus latere demonstrat; quartus per macrocosmum et naturae librum Deum auctorem et conditorem naturae pectoribus humanis intime insinuat. Homo enim totius universi epi-
heimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes, o.O. [Amsterdam] 1670. Weitere Nachdrucke folgten. 60 ARNDT (wie Anm. 59), 3. 61 Vgl. hierzu Hans Joachim SCHOEPS, Vom himmlischen Fleisch Christi. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung, Tübingen 1951 (SGV 195/196), 54f. 62 KOEPP (wie Anm. 13), 32. 63 SCHWAGER (wie Anm. 14), 20f. vertritt darüber hinaus die – willkürliche – Behauptung, der Brief sei durch die Eintragung des Namens Weigel verfälscht worden. Doch Arndt hat schon Schriften Weigels, die handschriftlich im Umlauf waren, bevor dessen Werke im Druck erschienen, gekannt, wie die Wiedergabe des erst 1612 gedrucktem ›Betbüchlein‹ in WChr II, 34 zeigt.
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tome, microcosmus, scopus et centrum macrocosmi est, in quem omnia conferunt Deus et natura, attestante hominis conscientia.«64
Hier begegnen zentrale Theoreme des Paracelsus: die MakrokosmosMikrokosmos-Vorstellung mit dem Menschen als »epitome« und »centrum« der ganzen Schöpfung, die Rede vom »liber naturae«, der den Schöpfer erkennen läßt. Arndt nennt sein IV. Buch selbst »Liber naturae«, und darin finden sich denn auch die meisten Übernahmen aus Paracelsus-Quellen. Edmund Weber hat bei seiner detaillierten Analyse fünf Schriften als wichtigste literarische Vorlagen Arndts für die Beschreibung des Sechstagewerks (»Hexaemeron«) ermittelt: die ›Astronomia magna‹ (1/XII, 1–144), den ›Liber de mineralibus‹ (1/III, 29–63), den ›Liber de meteororum‹ (1/XIII, 160–184), die ›Philosophia de generationibus et fructibus quatuor elementorum‹ (1/XIII, 5–123) und die ›Philosophiae tractatus quinque‹ (1/XIII, 335–358)65. Doch nicht erst im IV. Buch begegnet der Einfluß des Paracelsus. Schon Johannes Dieckmann66 war das 58. Kapitel des II. Buches aufgefallen, in dem Arndt die Frage erörtert, ob »das Gestirn im Menschen etwas wirken sollte, sein Leben, Wandel und Geschäfte betreffend« (WChr II, 58,1). Dieckmann bestimmte zutreffend das ›Paragranum‹ (1/VIII, 31–221) als Quelle, und Weber konnte die Beobachtungen ausweiten und präzisieren67. Ganz unbeachtet geblieben ist aber in der bisherigen Forschung, daß Arndt schon zu Beginn des I. Buches Anleihen bei Paracelsus macht: Wenn er den Menschen nach dem Sündenfall als »viehisch und tierisch« beschreibt (WChr I, 2,1 und 9; vgl. I, 18,11), von der »Hundes- und Wolfesart« und »säuischen Art« redet (WChr I, 2,10; vgl. II, 5,6), wenn er die Bußpredigt Johannes des Täufers gegen »Ottergezüchte und Schlangensamen« aufführt und darauf verweist, daß um der »tierischen und viehischen Unart willen der Herr Christus Herodem einen Fuchs nennet« (WChr I, 2,10; vgl. I, 12,8; II, 5,6), so übernimmt er Ausführungen des Paracelsus aus dessen Schrift ›De lunaticis‹ (1/XIV, 43–72), die er schon im Sendschreiben an Wolffart zitiert hatte. Der Hintergrund paracelsischer Anthropologie ist bei Arndt auch im 3. Kapitel des I. Buches erkennbar, das programmatisch darlegt:
64 Brief Arndts an Johann Gerhard vom 29. Januar 1608; abgedruckt in: [Melchior BRELER (Hg.),] Warhafftiger / Glaubwirdiger und gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christentumb Herrn Johannis Arndten [...], Lüneburg 1625, 7. 65 Vgl. die Einzelnachweise bei WEBER (wie Anm. 4), 140–167. 66 DIECKMANN (wie Anm. 11), 29. 67 WEBER (wie Anm. 4), 115f.
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»Es ist zweierlei Geburt des Menschen68: die alte, fleischliche, sündliche, verdammte und verfluchte Geburt, so aus Adam gehet, dadurch der Schlangen-Same, des Satans Bild und die irdische und viehische Art des Menschen fortgepflanzet wird; und die geistliche, heilige, selige, gebenedeiete, neue Geburt, so aus Christo gehet, dadurch der Same Gottes, das Bild Gottes, und der himmlische, gottförmige Mensch geistlicher Weise wird fortgepflanzet. Also hat jeder Mensch69 zweierlei Geburts-Linien in ihm [= in sich]: die fleischliche Linie Adams, und die geistliche Linie Christi70. Denn gleichwie Adams alte Geburt in uns ist, also muß Christi neue Geburt auch in uns seyn« (WChr I, 3,2f.).71
Wie Paracelsus im Zusammenhang der doppelten Genealogie von »zwen Geist« der Menschen spricht (1/XIV, 43 u.o.), verbindet auch Arndt die zwei Geburtslinien mit dem Geist Adams bzw. Christi: »Aus Adam hat der Mensch einen fleischlichen Geist, und des bösen Geistes Herrschaft und Tyrannei ererbet; aus Christo aber den Heil. Geist mit seinen Gaben und tröstlicher Regierung. Denn welcherlei Geist der Mensch hat, solcherlei Geburt, Art und Eigenschaft hat er an sich« (WChr I, 3,5).72
Paracelsische Anthropologie ist auch in der Vorstellung von dem im Menschen wirkenden göttlichen Licht 73 erkennbar; sie hängt eng mit der Mikrokosmos-Theorie zusammen74. Für Arndt ermöglicht dieses Licht auch nach dem Sündenfall eine Erkenntnis Gottes: »Es ist [..] im menschlichen Verstande ein kleines Fünklein des natürlichen Lichts geblieben, also, daß ein Mensch aus dem Licht der Natur schließet, daß ein Gott sei [...] Die weisen Heiden schließen [...] aus dem Licht der Natur, es sei ein GOtt, der das menschliche Geschlecht regiere« (WChr I, 41,19).
Es ist sogar möglich, Gott als gerechten Gott zu erkennen, als den Urheber alles Guten, die Unsterblichkeit der Seele zu erschließen, »wie Plato davon gewaltig disputiret«, und die Notwendigkeit der Tugend zu begreifen, wie »die Tugendschulen des Socrates und anderer weisen Philosophen« zeigen (WChr I, 7,2). »Daraus sehen wir nun, wie Gott ein Fünklein des natürlichen Lichts oder eine Spur und Merkmal des natürlichen Zeugnisses Gottes im Menschen auch nach dem Fall lassen übrig bleiben, auf daß der Mensch seinen Ursprung soll erkennen lernen, woher er kommen, und demselbigen nachgehen« (WChr I, 7,2).
68 So die Erstausgabe von Buch I. Frankfurt/M. 1605; später korrigiert in: »eines ChristenMenschen«. 69 So die Erstausgabe von Buch I; später korrigiert in: »Christen-Mensch«. 70 So in der Erstausgabe; später hinzugefügt: »so aus dem Glauben gehet«. 71 Eine ähnliche Aufreihung findet sich in WChr II, 7,1 (dort aus Weigel übernommen). 72 Die beiden Geister werden dann durch ethische Attribute charakterisiert (hoffärtig, stolz, hochmütig bzw. demütig, niedrig, einfältig, usw.). 73 Vgl. dazu den Beitrag von GOLDAMMER (wie Anm. 56). 74 GOLDAMMER (wie Anm. 56), 677.
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Wie Paracelsus das Erlösungsgeschehen als »Clarifiziren des ›inwendigen Menschen‹« und die himmlische Herrlichkeit mit Begriffen wie Klarheit und Verklärung beschreiben kann75, so spielt auch bei Arndt das Begriffsfeld Licht, Erleuchtung, Klarheit, Verklärung eine wichtige Rolle. Denn »ohne Gottes Erleuchtung bleibest du ein todter stinkender Erdklumpen« (WChr I, 42,5). Gott muß »unsern Geist und alle Kräfte reinigen, erleuchten, erfreuen, verklären und lebendig machen« (WChr I, 36,16). Das Ziel ist die Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit, der Mensch soll »in das Ebenbild Gottes verkläret werden« (WChr I, 3,9; I, 37,9.13; I, 41, Motto und 4)76. Wird dies auch erst im Himmel vollendet werden, so sehnen sich die Christen jetzt schon nach »der Klarheit Gottes und der verklärten Leiber« (WChr I, 17,4). Wie bei Paracelsus folgt bei Arndt aus der ›neuen Geburt‹ die Nachfolge, die als asketische Weltverachtung beschrieben wird: »Die wahre Erleuchtung bringt mit sich die Verschmähung der Welt« (WChr I, 40,15). Wie Paracelsus betont Arndt durch sein ganzes Werk hindurch die enge Verbindung von Glaube und Nachfolge und hebt die Nachfolge in Kreuz und Leiden hervor. Bei der Beschreibung hält sich Arndt aber nicht an paracelsische, sondern spätmittelalterlichmystische Quellen (Thomas von Kempen; ›Theologia deutsch‹). Während Arndt an den Büchern II bis IV arbeitete, verfaßte er gleichzeitig eine Abhandlung, die anonym erschien. Schon in seinem Sendschreiben an Erasmus Wolffart hatte er diesen um Geheimhaltung gebeten. Dabei ging es nicht nur um »Geheimnisse / die mehr zu verbergen dan zu offenbahren seynd«77, sondern um eine Vorsichtsmaßnahme im Blick auf mögliche Heterodoxievorwürfe gegen den Pfarrer Arndt. Wie begründet diese Befürchtungen waren, zeigten die Anfeindungen, denen sich Arndt sogleich nach dem Erscheinen des I. Buches seiner ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ ausgesetzt gesehen hatte; daher ist es verständlich, daß er größte Vorsicht walten ließ. Es handelt sich dabei um eine Schrift, die 1608 bei dem Straßburger Verleger Lazarus Zetzner78 erschien, der seit 1603 mehrere Paracelsus-Drucke, u.a. Johannes Husers große Werkausgabe in zweiter Auflage, herausgebracht hatte79. Als Anhang zu einem posthumen Werk jenes Theosophen Heinrich Khunrath, den Arndt in der ›Ikonographia‹ schon lobend zitiert und auch im Vgl. GOLDAMMER (wie Anm. 56), 677. Vgl. II Kor 3,18. 77 ARNDT (wie Anm. 59), 15. 78 Zu Zetzner vgl. Josef BENZING, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, AGB 18 (1977) 1077–1322, hier 1308; Rita STURLESE, Lazar Zetzner, »Bibliopola Argentinensis«. Alchimie und Lullismus in Straßburg an den Anfängen der Moderne, SAGM 75 (1991), 140–162. 79 SUDHOFF (wie Anm. 24), Nr. 256f.; vgl. ferner Nr. 267, 282 und 285. 75 76
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Sendbrief an Wolffart erwähnt hatte, waren zwei »Traktätlein« beigedruckt: »ein fürtrefflich Judicium und Bericht eines Erfahrnen Cabalisten und Philosophen / uber die 4 Figuren deß grossen Amphitheatri D. Heinrici Khunradi« sowie eine (pseudo-)paracelsische Schrift.80 Erst 1783, als das Sammelwerk in dritter Auflage in Leipzig erschien81, wurde die Identität des Autors des ersten Traktats offenbar: »Johann Arndt’s philosophisch-kabalistisches Judicium über die vier ersten Figuren des Khunrathischen Amphitheaters«. Diese Abhandlung ist in der Arndt-Forschung kaum bekannt und bisher wenig beachtet worden.82 An ihrer Echtheit kann jedoch aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Kriterien kein Zweifel bestehen. Sie berührt sich eng mit Ausführungen Arndts in anderen Schriften und weist mancherlei paracelsisches Gedankengut auf. Die Publikation des ›Judicium‹ ist in mehrfacher Hinsicht höchst aufschlußreich. Sie läßt erkennen, daß Arndt weit intensivere und umfangreichere Kontakte zu paracelsistisch-theosophischen Kreisen gepflegt haben muß, als man aufgrund der bisher bekannten Quellen erkennen konnte. Offenbar hatte Benedikt Figulus83 das Manuskript an den Drucker vermittelt.84 Bemerkenswert ist außerdem, daß in diesen Kreisen die Identität des anonymen Autors bekannt war und tradiert wurde, bis sie Johann Christoph Lenz 1783 öffentlich bekannt machte. Über solche Nachrichten aus »eingeweihten« Kreisen verfügte auch Gottfried Arnold, der in seiner ›Unparteyischen Kirchen- und Ketzer-Historie‹ berichtet, Arndt habe in Eisleben seinem jüngeren Kollegen Christoph Hirsch »alle seine secreta geoffenbaret«85. Ferner teilt Arnold mit: »Man will auch versichern / daß er Christophoro Hirschen viel Schrifften an die hand gegeben / so jener hernach ohne namen edirt / als: Gemmam Magicam, Pegasum Firmamenti, Auroram Astronomiae supernaturalis, Fortalitium Sapientiae etc. da-
80 Heinrich KHUNRATH, De igne magorum philosophorumque secreto externo et visibili: Das ist: Philosophische Erklährung / von / und uber dem geheymen / eusserlichen / sichtbaren / Gludt und Flammenfeuer der uhralten Magorum oder Weysen / und andern wahren Philosophen. [...] Beneben andern zweyen Tractätlein: Deren das Erste ein fürtrefflich Judicium und Bericht eines Erfahrnen Cabalisten und Philosophen / uber die 4 Figuren deß grossen Amphitheatri D. Heinrici Khunradi [...], Straßburg 1608. – Zu dieser Ausgabe vgl. SUDHOFF (wie Anm. 24), Nr. 286; DUVEEN (wie Anm. 23), 320. 81 Herausgegeben von J.Y.R. [= Johann Christoph LENZ ]. 82 Vgl. SCHWAGER (wie Anm. 14), 116 Anm. 34; WEBER (wie Anm. 4), 214, Anm. 8. 83 Zu Figulus vgl. Joachim TELLE, Benedictus Figulus. Zu Leben und Werk eines deutschen Paracelsisten, Medizinhistorisches Journal 22 (1987), 303–326. 84 Figulus wurde meist als Herausgeber des ganzen Sammelwerkes betrachtet, er steuerte aber nur den Anhang bei. Vgl. TELLE (wie Anm. 83), 319. 85 Gottfried ARNOLD, Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie / Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auff das Jahr Christi 1688 [...], II, Frankfurt/M. 1700, Teil IV, 1094.
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von anders wo zu sagen seyn wird«86. Diese Nachricht über Arndt und Hirsch, der unter dem Pseudonym Joseph Stellatus schrieb, hat Arnold wohl von dem Spiritualisten Friedrich Breckling87 erhalten. Gottlieb Stolle berichtet in seinem Reisetagebuch: »Christophorus Hirsch, fuhr Brecling fort, sey Johann Arndts vertrauter Freund gewesen [...]. Dieser Hirsch habe auf Arndts Anstiften unterschiedene Bücher geschrieben, darunter die Gemma magica sey, so unter Frankenbergs Namen gedruckt worden«88. Arndts umfangreiche Predigtsammlungen und seine kleineren Schriften aus dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts89 müssen wir hier übergehen; sie sind noch nie genauer analysiert und weder auf paracelsische noch auf andere Quellen untersucht worden. Stichproben lassen aber vermuten, daß man auch dort fündig werden könnte. In Arndts letzten Lebensjahren war der Arzt Melchior Breler (1589–1627)90 sein engster Vertrauter91. Breler stand in Verbindung zu Hamburger Paracelsisten um den Arzt Joachim Morsius 92. Dieser gab 1621 den ›Tractatus de vera medicina‹ des Danziger Paracelsisten Alexander von Suchten heraus93 und widmete das Werk Melchior Breler, »Theosopho et Medico praestantissimo«. Unter den Widmungsgedichten am Schluß des Buches ist auch ein Gedicht Suchtens ›De L[apide] P[hilosophico]‹ abgedruckt, das Johann Arndt dem Herausgeber Morsius als »testimonium amoris« am 19. Oktober 1620 dediziert hat. Arndt starb am 11. Mai 1621. Dieses Widmungsgedicht ist somit das letzte Zeugnis, das wir über seine Verbindung zu Paracelsisten besitzen. So schließt sich der Kreis: Von den ersten Briefen aus ARNOLD (wie Anm. 85), B. 17. c. 6. § 14. Zu Breckling vgl. Dietrich BLAUFUSS, Art. »Breckling, Friedrich«, TRE 7 (1981), 150–153; John BRUCKNER, Art. »Breckling, Friedrich«, Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck 7, Neumünster 1985, 33–38. 88 Zit. nach Gottschalk Eduard GUHRAUER, Beiträge zur Kenntnis des 17. und 18. Jahrhunderts aus den handschriftlichen Aufzeichnungen Gottlieb Stolle’s, Allgemeine Zeitschrift für Geschichte 71 (1847), 385–436, 481–531, hier 509. Zur ›Gemma magica‹ vgl. János BRUCKNER, Abraham von Franckenberg. A bibliographical catalogue with a short-list of his library (BBBW 25), Wiesbaden 1986, Nr. A 65. 89 Vgl. die Titel bei KOEPP (wie Anm. 13), 289f. 90 Zu Breler vgl. Johannes WALLMANN, Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt, PuN 6 (1980), 9–32, hier 24–28. 91 Breler sagt von sich selbst: »qui ab Arndio filii instar amatus fuerim«. [Melchior BRELER,] Vindiciae pro mysterio iniquitatis pseudoevangelicae [...], Goslar 1622, Epistola dedicatoria. 92 Vgl. hierzu Heinrich SCHNEIDER, Joachim Morsius und sein Kreis. Zur Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts, Lübeck 1929; Siegfried WOLLGAST, Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650, Berlin 21993, 434–437. 93 Alexander VON SUCHTEN, Tractatus De Vera Medicina Editus cura Joachimi Morsii, Hamburgi 1621. Das Werk ist Arndts Lieblingsschüler Melchior BRELER, »Theosopho et Medico praestantissimo«, zugeeignet. 86 87
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seiner Studienzeit bis hin zu letzten Zeugnissen seines Lebens hat ihn der Paracelsismus begleitet.
III Arndt verdankte Paracelsus viel, aber nicht alles. Er war Paracelsist, aber vor allem Eklektiker. Das Paulus-Wort »Alles prüfet, das Gute behaltet« (I Thess 5,21), galt ihm als Grundregel94; sie befolgend hat er »die Perle gesucht in manchem Acker« und »das Gold vom Kot geschieden«95. Arndts Weg zu Paracelsus führte über die Medizin. Jede Beschäftigung mit Theophrast von Hohenheim zeigt jedoch, daß sich dessen medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Anschauungen nicht von den theologischen trennen lassen;96 sie bilden vielmehr ein Ganzes, denn bei ihm »sind die Aussagen der biblischen Offenbarung mit den Kenntnissen und Erfahrungen, die er aus der Beobachtung des Geschehens in der belebten und unbelebten Natur gewann, in ursprünglicher Weise verknüpft«97. Daher muß die Unterscheidung der bisherigen Arndt-Forschung zwischen naturphilosophischen Vorstellungen, die Arndt rezipiert, und theologischen, die er nicht übernommen habe, als verfehlt angesehen werden98. Die Begegnung mit der Medizin des Paracelsus hat Arndt zugleich mit dessen Kosmologie und Anthropologie vertraut gemacht. Paracelsische Grundtheoreme haben Arndts Denken bleibend geprägt, wie auch seine lebenslange Verbundenheit mit paracelsistischen Kreisen zu erkennen gibt. In seinem Hauptwerk, den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹, ist dieser Einfluß augenfällig. Nicht nur das IV. Buch, in dem Arndt Makrokosmos und Mikrokosmos beschreibt, ist gleichsam ein systematisierter und popularisierter Paracelsus; vielmehr lassen sich schon zu Beginn des I. Buches paracelsische Anschauungen finden. Aber auch dort, wo Arndt anderen Quellen folgt, zeigen sich Berührungspunkte und eine gedankliche Nähe zu Paracelsus99. In seiner Kirchen- und Theologiekritik geht Arndt allerdings nicht so 94 »Was plaget man sich denn auch mit den Weigelianern? Soll denn die Apostolisch Regell nicht mehr gelten: Prüffet Alles / das gutte behaltet«? Brief Arndts an Wolfgang Franz vom 29. März 1620; BRELER (wie Anm. 64), 51. Siehe auch unten Anm. 133. 95 Vgl. WEBER (wie Anm. 4), 40 (mit Belegen). 96 Die Aufteilung der Schriften in den beiden Abteilungen der kritischen Paracelsus-Ausgabe (s. Anm. 5) erfolgt aus pragmatischen Gründen und nach thematischen Schwerpunkten. 97 BENRATH (wie Anm. 5), 582. 98 Durch seine Analyse widerlegt WEBER (wie Anm. 4), seine eigene Behauptung, daß Arndt die Theologie des Paracelsus überhaupt nicht rezipiert habe. Enthält denn etwa die Beschreibung des Sechstagewerks der Schöpfung keine theologischen Aussagen? 99 Die anthropologischen Anschauungen des Paracelsus, die Ute GAUSE erhoben hat (vgl. DIES., Aspekte der theologischen Anthropologie, in: Neue Beiräge zur Paracelsus-Forschung, hg.
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weit wie Paracelsus; polemische Schlagworte wie »Mauerkirche« hat er nicht benutzt. Aber manche seiner Ausführungen kommen doch spiritualistischer Kirchenkritik sehr nahe – etwa wenn er von dem Gottesdienst spricht, der »nicht mehr äußerlich in figürlichen Ceremonien, Satzungen und Zwang, sondern innerlich im Geist und in der Wahrheit« stattfindet (WChr I, 21,4) 100. Arndt tadelt geist-lose Prediger und eine Theologie, die nur in nackter Theorie besteht 101. Er verwirft theologische Bücher, die nur Schale bieten und nicht aus dem Geist, sondern aus dem Fleisch geschrieben sind 102. Die wahren Christen bedürfen der »vielen unzelichen streit-Bücher nicht«, denn »sie haben das rechte Buch im Hertzen, den heiligen Geist«103. »Die Hertzen der Menschen solten unsere Bücher sein, nicht mit Tinten geschrieben, sondern mit dem lebendigen Geist Gottes«104. Von solcher Gottesunmittelbarkeit der Glaubenden spricht auch Paracelsus. Noch ungeklärt ist indessen, inwiefern die Vorstellungen des Paracelsus über die Sakramente105 Arndt beeinflußt haben. Anders als sein Eintreten für die Bilder scheint seine hartnäckige Weigerung, den Exorzismus abzuschaffen, nicht auf paracelsische Einflüsse zurückgehen106. Die Abendmahlsauffassung des Paracelsus hängt eng mit der Vorstellung vom himmlischen Fleisch Christi zusammen107. Diese christologische Spekulation hat Arndt mindestens zeitweise geteilt, wenn er sich auch später davon distanzierte108. Aber auch die Unterschiede zwischen Paracelsus und Arndt treten bei einem Vergleich deutlich hervor. Arndt übt zwar wie Paracelsus z.T. scharfe v. Peter DILG / Hartmut RUDOLPH [Hohenheimer Protokolle 47], Stuttgart 1995, 59–70), ließen sich zu einem großen Teil auch als Meinung Arndts mit zahlreichen Zitaten belegen. 100 Es handelt sich um eine Anspielung auf Joh 4,23. Diese Lieblingstelle aller Spiritualisten wird allein in Arndts ›Ikonographia‹ (wie Anm. 46) viermal zitiert: 2r, 3v, 4v und 20r. 101 Johann ARNDT, Dissertatio [ohne Titel] in: Johann GERHARD, Aphorismi sacri praecipua theologiae practicae complectentes [...], Jena 1616, [unpag.] These 3. 102 Brief Arndts an Gerhard vom 15. März 1603, in: Erdmann Rudolph FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi [...], Leipzig 1723, 23f. 103 Johann ARNDT, Die teutsche Theologia [...], Halberstadt 1597, Vorrede 6v. 104 ARNDT (wie Anm. 103), Vorrede 7r. 105 Vgl. die konzise Zusammenfassung bei BENRATH (wie Anm. 5), 584f. 106 In den Schriften ›Vom tauf der Christen‹ (2/II, 329–366) und ›Libellus de baptismate Christiano‹ (2/II, 369–377) geht Paracelsus auf den Exorzismus nicht ausdrücklich ein. Bei der knappen Beschreibung des Taufritus führt er nur die trinitarische Taufformel, Paternoster und Credo an: »weiter nichts mehr. ist alls zusatz, der von menschen hinzufallt, on gottes wort« (2/II, 366). GOLDAMMER deutet diese Bemerkung als »gegen die sonstigen Taufriten, bes. die Exorzismen« gerichtet (2/II, 366, A. i). 107 Vgl. hierzu SCHOEPS (wie Anm. 60), 54f.; BENRATH (wie Anm. 5), 584f. 108 »Weigelii scripta meo iudicio multa continent a)/topa et, nisi fallor, a scriptura aliena, praesertim de resurrectione et glorificatione carnis nostrae et de carne Christi et alia plurima, propterea tamen nec ego illa in solidum reieci, memor illius: Omnia probate etc.«, in: BRELER (wie Anm. 64), 33f.
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Kritik an gesellschaftlichen Mißständen, wenn er etwa »alle Tyrannische Obrigkeiten / sie seyen Fürsten oder Herren / oder sonsten / die andere Leute unter sich haben / dieselbe drucken / außsaugen / beschweren / auff den eussersten Grad außmergeln« anprangert, die Adligen tadelt, daß sie ihre Bauern für leibeigen und fast für Hunde achteten und den Obrigkeiten vorwirft, sie ernährten sich vom Blut der Armen109; doch sozialethische Vorschläge zur Reform des corpus Christianum hat er im Gegensatz zu Paracelsus110 nicht entwickelt. Die Reform, die Arndt predigt, ist die Umkehr und Einkehr in die Innerlichkeit. Der Armutsgedanke des Paracelsus begegnet bei ihm nicht in gleicher Radikalität. Auch Arndt spricht häufig vom armen Christus bzw. der Armut Christi (WChr I, 8,8; I, 11,14; I, 17,10; I, 27,8) und davon, daß es für die Nachfolger gelte, »die Armuth Christi an sich [zu] nehmen« (WChr I, 15,9). Dies bedeutet zwar die Absage an den Geiz (WChr I, 15,13; I, 27,9) und das Güter-Sammeln (WChr I, 17,7), aber nicht den grundsätzlichen Besitzverzicht, denn: »Ein Mensch ist nicht darum elend, soll sich auch darum nicht elend achten, daß er arm ist, und in der Welt keinen Trost hat; sondern darum, daß er ein Sünder ist« (WChr I, 19,14). Entscheidend ist die geistliche Armut, »des Geistes Armseligkeit und Zerschlagenheit« (WChr I, 18,1), die zur Gelassenheit führt (WChr I, 1,6; I, 32,1) 111: »Will dich Gott traurig oder fröhlich haben im Geist, arm oder reich, niedrig oder hoch, geehrt oder ungeehrt, so wisse, daß dirs alles gut ist, und daß es also sein Wohlgefallen ist« (WChr I, 40,5)112. Die sozialethischen und sozialutopischen Ideen sind bei Paracelsus mit einigen charakteristischen eschatologischen, besonders chiliastischen Vorstellungen verknüpft 113. Auch diese sind bei Arndt nicht anzutreffen. Inwieweit seine Eschatologie, die noch einer Untersuchung harrt, einzelne Elemente paracelsischen Denkens (z.B. aus dem ›Liber de resurrectione et corporum glorificatione‹) aufgenommen und mit traditionell-orthodoxen Vorstellungen kombiniert hat, bleibt zu überprüfen, wie überhaupt noch viele andere Probleme der Klärung bedürfen. So läßt sich nach dem heutigen Forschungsstand z.B. auch die höchst relevante Frage noch nicht beantworten, ob Arndt neben den zu seiner Zeit im Druck zugänglichen Paracelsica auch nur handschriftlich verbreitete ARNDT (wie Anm. 42), 20–22. Vgl. Kurt GOLDAMMER, Einleitung, in: DERS. (Hg.), Paracelsus. Sozialethische und sozialpolitische Schriften (Civitas gentium 9), Tübingen 1952, 1–102. 111 Arndt führt diesen Gedanken dann vor allem in WChr III mit Tauler-Zitaten aus. 112 Vgl. auch WChr I, 13,7 (Prov 30,7): »Armuth und Reichthum gieb mir nicht, sondern laß mich mein bescheiden Theil dahin nehmen.« 113 Vgl. hierzu Kurt GOLDAMMER, Paracelsische Eschatologie, I: Die Grundlagen [1949]; II: Der Reich-Gottes-Glaube [1952], in: DERS., Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24), Wien 1986, 87–122, 123–152. 109 110
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gekannt hat, was aber gerade im Blick auf theologische Schriften des Paracelsus von großem Interesse wäre.
IV Werfen wir abschließend einen kurzen Blick auf die Rezeptionsgeschichte, indem wir fragen, welchen Anteil Paracelsus an der enormen Wirkung hatte, die von Arndts Büchern ausging. Die Antwort ist nicht einfach. So ambivalent wie Arndts Werk war seine Wirkungsgeschichte, die erst in Ansätzen erforscht ist114. Man muß dabei zwischen verschiedenen Rezeptionssträngen, einem orthodoxen und einem heterodoxen, unterscheiden. Die beiden engsten Freunde und Schüler Arndts – der orthodoxe Dogmatiker Johann Gerhard und der Theosoph Melchior Breler – können geradezu als Symbolfiguren für diese unterschiedlichen Ströme der Wirkungsgeschichte stehen, und die Invektive Brelers, der sich als Apologet und Nachlaßverwalter Arndts verstand 115, gegen Gerhard, der vorsichtig von Arndt abrückte116, zeigt die früh beginnenden Auseinandersetzungen unter den Erben an117. Schon Arndt selbst hatte bei der Überarbeitung des I. Buches für die wiederholten Neuausgaben theologisch anstößige Stellen orthodox revidiert 118 und – nachträglich – die Versicherung angefügt, daß alle Ausführungen im Sinne der lutherischen Bekenntnisschriften zu interpretieren seien119. Die Arndt-Schule in der lutherischen Orthodoxie, die in den kirchlichen Pietismus mündete, setzte dieses Bemühen fort, indem sie alle »unangemessenen und ge114 Vgl. hierzu KOEPP (wie Anm. 13), 101–178; WALLMANN (wie Anm. 2), 19–24; BRECHT (wie Anm. 2), 142–151. 115 Vgl. dazu WALLMANN (wie Anm. 90), 24f. 116 Vgl. KOEPP (wie Anm. 13), 119f. 117 In der Vorrede zu der von ihm herausgegebenen Übersetzung der ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ ins Lateinische bemerkt Breler bissig, doch ohne Gerhards Namen zu nennen: »utcumque nunc a multis Arndii patrocinium turpissime deseratur, fama etiam a nonnullis foedissime denigretur, qui viventi per litteras mox vulgandas humili cultu et observantia prope singulari studio sunt adulati«. [Melchior BRELER (Hg.),] De vero christianismi libri quatuor, Lüneburg 1625, Praefatio [unpag.]. 118 Die Abweichungen in den verschiedenen Ausgaben von Buch I (vgl. oben Anm. 3) sind noch nie untersucht worden. Vgl. die Beispiele bei SCHNEIDER (wie Anm. 9), Anm. 234. 119 Vgl. WChr I, Vorrede, 9 in der Endfassung von 1610, während in der 1. Ausgabe von 1605 der Hinweis auf die Bekenntnisschriften noch fehlt. Vgl. ferner WChr II, Beschluß, 2; IV/1, Vorrede 9. – Gegenüber Gerhard versicherte Arndt in einem Brief vom 29. Januar 1608: »Nihil autem haec professio puritati doctrinae, quae in normis et scriptis symbolicis Augustanae Confessionis comprehensa est, derogat, quam tecum constanter profiteor, cuiusque patrocinium, si opus fuerit, adversus omnes corruptelas suscipere, quocunque etiam se venditent nomine, paratus sum.« BRELER (wie Anm. 64), 9.
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fährlichen« 120 Ausdrücke und Vorstellungen rechtgläubig zu kommentieren suchte121, d.h. Arndt wurde orthodox eingebunden. Dabei fand das IV. Buch weniger Beachtung und wurde später, als man der neuzeitlichen Naturwissenschaft aufgeschlossener gegenüber trat, sogar als unwesentlich beiseite gelassen122. Den anderen Rezeptionsstrang hat man als den »linken Flügel« der Arndt-Schule bezeichnet. Neben der kirchlichen Rezeption war Arndts Werk nämlich auch offen für eine Inanspruchnahme durch spiritualistische, hermetische und theosophische Kreise, nach deren Verständnis heterodox interpretierbare Stellen wie auch der durchscheinende Paracelsismus als Empfehlung des Werkes gelten konnten. So schrieb etwa 1617 ein Pfarrer aus Reval an Arndt und berichtete über das Echo, das dessen Werke in Estland hervorgerufen hatten:123 Arndts Arbeiten fänden sogar die Hochschätzung des schwedischen Gouverneurs, »qui, ut omnis elegantioris doctrinae praecipue spagiricorum mysteriorum, ita cumprimis pietatis et modestiae in isto fastigio est studiosiss[imus]« 124. Im folgenden Jahr wurde in einem Weigel-Druck eine Empfehlung zur Lektüre der Schriften Arndts beigegeben.125 Auch Anhänger Schwenckfelds brachten früh ihre Wertschätzung für Arndt zum Ausdruck.126 Andere heterodoxe Stimmen behaupteten gar, er sei eine verheißene Gestalt der Heilsgeschichte: »der tertius Elias, Elias Artista, Johannes Baptista, der das Lamm Gottes mit Fingern zeigen werde, als Lutherus nicht gethan, der Aaron, der mit seinen Söhnen in das Allerheiligste eingehen werde«127. Diese heterodoxe Rezeptionslinie führt bis hin zu den radikalen Pietisten des 18. Jahrhunderts.128 – Es ist verständlich, daß die Wertschätzung der Heterodoxen für
120 Gerhard spricht in dem bereits erwähnten Brief an Hunnius (wie Anm. 14), von »incommodae et periculae phrases«. 121 Vgl. hierzu Martin BRECHT, Spener und das Wahre Christentum, PuN 4 (1977/78), 119– 154, bes. 127–145. 122 WALLMANN (wie Anm. 2), 18. 123 Brief von Johann Cnopius an Arndt vom 31. Oktober 1617, in: BRELER (wie Anm. 64), 23–27. 124 In: BRELER (wie Anm. 64), 26. 125 Valentin WEIGEL, Soli Deo Gloria [...], Neustadt 1618, 80: »Darauff magstu zum zeugnuß nun diese gute Bücher Lesen / Als [...] Herrn Johan Arnts [sic!] 4 Bücher vom wahren Christenthumb / sein Paradißgärtlein / Psalter / Postilen / Passion vnd Catechismum.« 126 »Iactant tuum consensum multi Svenckfeldiani, et libros tuos legunt ipsi diligenter et aliis commendant«, schrieb am 11. Juli 1620 besorgt der Gießener Theologieprofessor Balthasar Mentzer an Arndt. BRELER (wie Anm. 64), 61. 127 Darauf weist das Schreiben der Theologische Fakultät Wittenberg an Arndt vom 6. Mai 1621 hin. Gottfried Balthasar SCHARFF, Supplementum historiae litisque Arndianae [...], Wittenberg 1727, 193. 128 Vgl. etwa Johann TENNHARDT, Extract aus Joh. Arnds Wahres Christentum, wie wir Gott oder das Wort durch Einkehrung des stillen Sabbaths in uns suchen und finden sollen, wol-
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Arndt den Argwohn der Orthodoxie erregen mußte. Zu den Vorwürfen, die schon zu Lebzeiten gegen ihn erhoben wurden, gehört der des Paracelsismus 129. Gewiß ist dieser Begriff ebenso schillernd wie »Weigelianismus« oder andere verketzernde Schlagworte; daß er im Fall Arndt aber nicht abwegig ist, hat sich gezeigt. Ebenso gibt es Hinweise, daß gerade Paracelsisten Arndts Bücher goutierten, wie das Beispiel des oben erwähnten Liebhabers »spagiricorum mysteriorum« belegt. Und erst kürzlich ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß in Schweden eine Verbindungslinie von Paracelsus über Arndt zum radikalen Pietismus führt:130 Paracelsisten gehörten dort zu den ersten Lesern der ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ und veranlaßten deren Übersetzung ins Schwedische. Arndt »baute eine Brücke zwischen einem spiritualistischen Christentum und der paracelsischen Naturschau«131. Blicken wir am Ende der hier vorgelegten Skizze über Johann Arndt als Paracelsisten zurück, so zeigt sich, daß notgedrungen noch manche Fragen offenbleiben mußten. Dies hat seinen Grund in dem gegenwärtigen Stand der Arndt-Forschung, deren Ausmaß und Intensität der Bedeutung ihres Gegenstandes noch keineswegs adäquat ist. Zu den wichtigen Desideraten gehört auch, das Verhältnis Arndts zu Paracelsus und dem Paracelsismus genauer in den Blick zu nehmen.
len wir anders die Seligkeit erlangen. In: ders., Göttlicher Extract [...] Aus Doct. Johan. Tauleri Schriften [...], o.O. 1710, 93–128. 129 Vgl. KOEPP (wie Anm. 13), 89. 130 Vgl. Harry LENHAMMER, Paracelsus, Dippel und die Familie Hjärne – zur Frage der Rezeption pietistischer Gedanken, in: Der Pietismus in seiner europäischen und außereuropäischen Ausstrahlung (Veröffentlichungen der finnischen Gesellschaft für Kirchengeschichte 157), Helsinki 1992, 32–43. 131 LENHAMMER (wie Anm. 130), 38.
JOHANN ARNDTS ›VERSCHOLLENE‹ FRÜHSCHRIFTEN Leben, Werk und Wirkung Johann Arndts (1555–1621) 1 stellen der kirchenhistorischen Forschung noch eine Fülle zu bearbeitender Aufgaben. Johannes Wallmanns Urteil aus dem Jahre 1980, daß wir »in der Arndtforschung noch immer in den Anfängen« stehen2, ist auch nach eineinhalb Jahrzehnten noch zutreffend. Ein bezeichnendes Schlaglicht auf die unbefriedigende Forschungssitutation wirft die Beobachtung, daß bei Arndts Schriften sogar in vielen Fällen die Einleitungsfragen (Anlaß, Zeit und Ort der Abfassung, Quellen, Echtheit usw.) noch nicht oder nur unzureichend geklärt sind. In diesen Zusammenhang gehört auch das Problem einiger von Arndt selbst erwähnter früher Schriften aus seiner Feder, die als verschollen betrachtet werden.
I Im Jahre 1612 legte Franz Herrmann, Hofprediger zu Winsen an der Luhe, seinem Generalsuperintendenten Johann Arndt eigene Predigten über den 45. Psalm zur Begutachtung vor. Die Predigten sollten im Druck veröffentlicht werden, und Pfarrer Herrmann holte pflichtgemäß die Zensur seines kirchlichen Vorgesetzten ein.3 In seiner Antwort 4 lobte Johann Arndt das korrekte Verhalten des Pfarrers, kritisierte aber den verfrühten Versuch des jungen Amtsbruders und verwies auf sein eigenes Beispiel: er selbst habe erst vor wenigen Jahren als über Fünfzigjähriger etwas ans Licht zu geben gewagt, und 1 Eine Übersicht bietet Johannes WALLMANN, Der Pietismus (KIG O), Göttingen 1990, 13–24 (Lit.). Vgl. zuletzt Martin BRECHT, Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in: DERS. (Hg.), Geschichte des Pietismus I, Göttingen 1993, 130–151. 2 Johannes WALLMANN, Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt, PuN 6 (1980), 9–32, hier 17. Jetzt in: DERS., Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, 20–45, hier 29. 3 Vgl. Friedrich Julius W INTER, Johann Arndt, der Verfasser des »Wahren Christentums«. Ein christliches Lebensbild (SVRG 101/102), Leipzig 1911, 54; Wolfgang SOMMER, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der Orthodoxie (FKDG 41), Göttingen 1988, 161f. 4 Arndt an Herrmann, Celle, 1612 Nov 30. SB Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. (Abschrift); Abdruck: Gottlieb WERNSDORF (praes.), Arndtianos de Vero Christianismo libros [...] examinabit Petrus ELERS [...], [Disp.] Wittenberg 1714, 4, 9–13; Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland General-Superintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838, 285–287. Deutsche Übersetzungen finden sich bei [Johann Jacob RAMBACH,] Hessisches Hebopfer 1, (1735), 411–415; F. ARNDT, 191–193.
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dies nur zögernd.5 Gemeint sind Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹, deren erstes 1605 erschienen war6, als Arndt im 50. Lebensjahr stand. Arndts Behauptung über den späten Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist allerdings nicht zutreffend. Denn den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ waren Schriften vorausgegangen, die Arndt »ans Licht gegeben« hatte: 1597 hatte er eine Ausgabe der Theologia Deutsch7 herausgebracht, die 1605 erneut, revidiert und vermehrt durch den Abdruck der Nachfolge Christi, erschienen war8; zwei von Arndt herausgegebene Traktate Johann von Staupitz‹9 waren 1605 einige Monate nach dem I. Buch von wahrem Christentum gedruckt worden10. Gewiß, hier trat Arndt nicht als Autor, sondern in erster Linie als Herausgeber in Erscheinung, wenngleich er schon seiner ersten Ausgabe der Theologia Deutsch eine Vorrede beigab, die den Umfang eines kleinen Traktats hat. 1604 war auch eine Veröffentlichung aus seiner Feder erschienen, die Leichpredigt auf Maria Schoeppenstedt, geb. von Vechelt, Ehefrau des Braunschweiger Bürgermeisters.11 Sie ist offenbar die erste in einer 5 »Reverende Domine frater, recte fecisti, quod conciones tuas in Psalmum XLV, quem satis prolixe tractasti, censurae meae obedienter subiecisti, si secus fecisses, nae inspectioni meae maculam, tuae vero eruditioni labem adspersisses. Sicut enim faciei propriae maculas non nisi in speculo cernere possumus, ita ingenii nostri fructus non nisi ex censura superiorum, quibus ea cura severe demandata est, pensitare recte possumus. Feras igitur iudicium meum aequo animo, tanquam praecocis ingenii tui medelam. Ego enim quinquagenario maior vix ante pauculos annos aliquid in lucem ausus fui emittere, et quidem timidiuscule.« 6 Von wahrem Christenthumb / heilsamer Busse / wahrem Glauben / heyligem Leben vnd Wandel der rechten wahren Christen. Das erste Buch [...]. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn / bey Nicolao Hoffmann / in verlegung Jone Rosen M.DC.V. [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Th 82]. Vgl. Gustav MILCHSACK, Johann Arndts ›Vier Bücher vom wahren Christentum‹ 1605, Braunschweigisches Magazin 29 (1923), 15; Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim 31978, 12–20. 7 Die teutsche Theologia. Das ist: Ein edles büchlein / vom rechten verstande / was Adam vnd Christus sey / vnd wie Adam in vns sterben / vnd Christus in vns leben sol. [...] Gedruckt zu Halberstadt / durch Georg Koten. Anno 1597. [SB Berlin]. Vgl. Georg BARING: Bibliographie der Ausgaben der »Theologia Deutsch« (1516–1691), Baden-Baden 1963, Nr. 45. 8 Zwey vhralte vnd edle Büchlein. Das Erste. Die Deutsche Theologia / [...] Das ander. Die Nachfolgung Christi [...], Magdeburg 1605. Im folgenden Jahr erschien eine Neuauflage: Zwey vhralte vnd edle Büchlein. Das Erste. Die Deutsche Theologia / [...] Das ander. Die Nachfolgung Christi [...], Magdeburg 1606. 9 Zwey alte geistreiche Büchlein / Doctoris von Staupitz [...] Von der holdseligen Liebe Gottes Von unserem H. Christlichen Glauben [...], Magdeburg 1605. 10 In einem Brief an Johann Gerhard vom 26. Juni 1605 dankt Arndt für dessen anerkennende Worte über das I. Buch von wahrem Christentum und kündigt an: »Sub prelo sunt alii duo eiusdem generis de amore Dei.« (Georgius Martinius RAIDELIUS [Hg.], Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740, 43f.). 11 Auszlegung. DEs Trostreichen Spruchs / Aus dem 73. Psalm: Wenn ich nur dich habe / so frage ich nichts nach himmel vnnd Erden / etc. [...] Gehalten bey Dem Christlichen Begrebnus der Gottseeligen Vieltugentsamen / Christlichen vnd Erbarn Matron / Maria von Vechteldt
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Reihe von gedruckten Leichenpredigten Arndts, die noch keineswegs vollständig erfaßt sind.12 Doch Arndts selbständige schriftstellerische Tätigkeit reicht noch weiter zurück. Bereits als Pfarrer in Quedlinburg (1590–1599) hatte er 1596/97, also im Alter von 41 Jahren, seine ›Ikonographia‹13 veröffentlicht. Diese Schrift gehört in den Zusammenhang der literarischen Kontroversen um die »zweite Reformation« in Arndts Heimat, dem Fürstentum Anhalt.14 Bekanntlich war Arndt ein Opfer der anhaltinischen Kirchenpolitik geworden, als er sich 1590 der Abschaffung des Taufexorzismus widersetzte und die Landesverweisung in Kauf genommen hatte.15 In Quedlinburg hatte er Zuflucht und eine Anstellung als Pfarrer gefunden.16 Als sich fünf Jahre später der Verdacht bestätigt hatte, daß die Abschaffung des Exorzismus in Anhalt nur der Auftakt zu weitergehenden Maßnahmen gewesen war, und als nun Altäre, Bilder und Kruzi/ Weyland des Ehrnuesten / Achtbarn vnd Wolweisen Herrn / Curd von Scheppenstedt / Bürgemeister der alten Stadt Braunschweig / Ehelichen vnd Vielgeliebten Haußfrawen [...] Gedruckt zu Braunschweig bey Andreas Duncker / Anno 1604. 12 Vgl. Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (NSGTK 13), Berlin 1912 [Reprint: Aalen 1973], 298f. Koepp gibt sowohl bei der Leichenpredigt auf Christoph Körner (1610) als auch bei der Leichenpredigt auf Gertraud Ackermann (1611) an: »Druckort unbekannt«. Beide sind bei Jacob Gaubisch in Eisleben gedruckt (die erste vorhanden im Stadtarchiv Hildesheim, die zweite in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Hinzuzufügen ist die Leichenpredigt auf Georg von Halle: Zwo Christliche LeichPredigten [...], o.O. 1612 [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel]. Hierher gehört auch (bisher gleichfalls unbekannt): Trostschrifft / Vber dem tödtlichen Abgange Deß [...] Herrn Anthonij Macholden / der Artzney Doctoris / vnnd gewesenen Medici Ordinarij der löblichen Stad Braunschweigk / [...], Eisleben: Jacob Gaubisch 1609 [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel]. 13 IKONOGRAPHIA. Gründtlicher und Christlicher Bericht / Von Bildern / jhrem uhrsprung / rechtem gebrauch und mißbrauch / im alten und neuen Testament: Ob der mißbrauch die Bilder gar auffhebe: Was dieselbe für ein gezeugnuß in der Natur haben / in Geistlichen und Weltlichen Sachen: Von der Ceremonia oder Zeichen des Creutzes: Auch von der eusserlichen Reverentz und Ehrerbietung gegen dem hochgelobten Namen Jesu Christi / unsers einigen Erlösers und Ehren- Königes. [...] Gedruckt zu Halberstadt / bey Georg Koten. – [SUB Göttingen: 8° Th th II 592/19 mit eigenhändiger Widmung Arndts an Andreas Leopold]. Spätere Nachdrucke: Leipzig 1676 (nach der Angabe bei F. ARNDT, 197) sowie in Johann Arndts sonderbahre Schriften zum Wahren Christenthum, Frankfurt/M. 1688, und bei Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III, hg. v. Johann Jacob RAMBACH, Leipzig / Görlitz 1736, 513–534. 14 Vgl. Heinrich DUNCKER, Anhalts Bekenntnisstand während der Vereinigung der Fürstentümer unter Joachim Ernst und Johann Georg (1570–1606). Ein Beitrag zur deutschen Kirchengeschichte aus ungedruckten Quellen des Zerbster Haus- und Staatsarchivs, Dessau 1892; Ulla JABLONOWSKI, Der Einfluß des Calvinismus auf den inneren Aufbau der anhaltinischen Fürstentümer Anfang des 17. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel von Anhalt-Köthen, in: Meinrad SCHAAB (Hg.), Territorialstaat und Calvinismus, Stuttgart 1993, 149–163. 15 Vgl. F[riedrich] W[ilhelm] S CHUBART, Johann Arndt. Ergänzungen und Berichtigungen zu der Geschichte seines Lebens und Wirkens in Anhalt, NKZ 9 (1898), 456–472; wieder abgedruckt in: Zerbster Jahrbuch 5 (1909), 12–26. 16 Zu seiner Quedlinburger Zeit vgl. Friedrich Ernst KETTNER, Kirchen- und ReformationsHistorie Des Käyserl. Freyen Weltlichen Stiffts Quedlinburg [...], Quedlinburg 1710, 223ff.
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fixe aus den Kirchen entfernt worden waren, hatte Arndt im »Exil« seine ›Ikonographia‹ gegen die calvinistischen Bilderfeinde verfaßt.17 Das Buch ist als Ausdruck von einem »lebendigen Eifer für die Orthodoxie« gedeutet worden, den Arndt hier bekunde.18 Die Entdeckung, daß Arndt einen Großteil seiner Argumentation ohne Namensnennung aus Martin Chemnitz‹ ‹Examen Concilii Tridentini‹ schöpft 19, scheint diese Sicht noch zu untermauern. Freilich hat schon Edmund Weber auf die umfängliche Benutzung paracelsischer und weiterer heterodoxer Quellen hingewiesen.20 Sie sind in der ›Ikonographia‹ mit den aus Chemnitz entlehnten Passagen eng verbunden, z.T. regelrecht verwoben. Arndts Eifer für die Beibehaltung der Bilder beruht nicht auf einer orthodox-lutherischen Grundhaltung, sondern ist durch das Interesse motiviert, das er als Paracelsist21 an der Bild- und Zeichenhaftigkeit der Offenbarung Gottes in der Bibel und der Natur besaß.22 Das Titelblatt des bei dem Halberstädter Drucker Georg Kot23 gedruckten Werkes nennt kein Erscheinungsjahr. Die Vorrede ist datiert auf den 19. Dez. 1596; ganz gleich, ob sie zu Beginn der Niederschrift des Werkes oder (wahrscheinlicher) nach Fertigstellung des Manuskripts geschrieben wurde, ist der Druck wohl erst 1597 erschienen. Doch schon 1604 distanzierte sich Arndt in einem Brief an Johann Gerhard aus nicht genannten Gründen von diesem Buch.24 Es ist daher verständlich, daß er es in seinem Brief an Pfarrer Herrmann »verdrängt« hat. In der ›Ikonographia‹ erwähnt Arndt aber bereits vier Schriften aus seiner Feder: ›De antiqua philosophia‹, ›De magis ex oriente‹, ›De origine sectarum‹ und ›Von den zehn ägyptischen Plagen‹. Demnach scheint Arndts schriftstelle17 Vgl. F. ARNDT (wie Anm. 4), 36; WINTER (wie Anm. 3), 18f.; KOEPP (wie Anm. 12), 21, 23f.; Hans-Joachim SCHWAGER, Johann Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen, Diss. ev. theol. Münster 1961, 12–18. 18 So KOEPP, 23. 19 Vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und Martin Chemnitz. Zur Quellenkritik von Arndts »Ikonographia« [s.o. in diesem Band]. 20 WEBER (wie Anm. 6), 116–140. 21 Vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndts Studienzeit [s.o. in diesem Band]; DERS., Johann Arndt als Paracelsist [s.o. in diesem Band]. 22 »Denn gleich wie Gott der HErr Göttliche geheimnus durch Bilder geoffenbaret / im alten und neuen Testament: Also die Natur auch / und hat Gott die Weissagungen durch Bilder in die Natur gepflantzet / Denn die gantze natur / und alle Elementa, Animalia, Vegetabilia, mineralia, sind voller wünderlicher Figuren / Zeichen und Bilder dadurch sie sich zuerkennen geben / und offenbaren alle jre geheimnus durch Bilder / und aus denselben kan alles gelernet werden / was natürlich ist / ja so wol / als aus einem beschribenen Buche [...]« (Ikonographia 32v f.). 23 Zu Georg Kot vgl. Walter BAUMANN, Geschichte des alten Halberstädter Buchdrucks, AGB 1 (1958), hier 249–252. 24 »Libellus meus de imaginibus mihi non satisfacit; proinde nolo videat amplius lucem.« (RAIDEL [wie Anm. 10], 33). Gleichwohl erschienen im 17. Jahrhundert noch Nachdrucke.
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rische Tätigkeit noch weiter zurückzureichen. Die ersten drei Schriften »sind seither noch nicht wieder aufgefunden«25 und gelten als »verschollen«26; für verloren gehalten wird auch der Erstdruck der Predigten über die ägyptischen Plagen, die nur in einem Druck aus der Mitte des 17. Jahrhunderts vorliegen. Außer den Hinweisen in der ›Ikonographia‹, wo Arndt auch noch von einem geplanten Büchlein ›De constituendis scholis virtutum‹ spricht, gibt es Äußerungen Arndts aus späterer Zeit und andere Indizien, die noch auf weitere Werke hinzuweisen scheinen, die zwischen der ›Ikonographia‹ und den ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹ erschienen sein müßten. Erwogen wird dies für die ›Geistliche Seelen-Arznei wider die Seuche der Pestilenz‹ sowie eine Psalmenerklärung.
II De antiqua philosophia In seiner ›Ikonographia‹ schreibt Arndt: »Viel rümen sich jtzo der Philosophie / und haben doch das Alphabet der Natur und wahren Philosophi und Physic nihe gelernet. Diese ding sindt in gutem wissen gewesen / bey den alten Egiptischen und persischen Philosophis und Medicis / davon auch noch Festigia27 zufinden in Platone / in Timaeo / in Cratylo und anderswo / welcher es von den Egiptischen Philosophis erlernet hat. Nun aber mehrenteil verloschen / weil man nicht aus der natur / als aus Gottes lebendigem Buche / welches Gott mit seinem allmechtigen Finger selbst geschrieben / sondern aus Pappiernen Büchern / und todten Buchstaben / die Natur erkünden wil / welches die alten Philosophi nicht gethan / Wie ich in meinem Büchlein de antiqua Philosophia ferner meldung thu / Auch in dem Tractatu de Magis ex oriente.«28
Ein Hinweis auf die erste der beiden hier genannten Schriften findet sich auch im I. Buch von wahrem Christentum. Dort heißt es: »Viele sagen aus lauter Weltliebe: Es ist jetzo eine gelehrte Welt, eine geschickte und kunstreiche Zeit, doctum et eruditum saeculum; und wissen nicht, daß die rechte Kunst, Christum lieb haben, welches besser ist, denn alles Wissen, sammt dem Glauben gar erloschen. Eph. 3,19. Luc. 18,8, und daß wenig sind der rechten GOttesgelehrten, Jes. 54,13, und derer, die von Christo das rechte demüthige und sanftmüthige Leben lernen wollen. Matth. 11,29. Ja die Allerklügsten sind oft entfremdet von dem Leben, das aus GOtt ist, und haben noch nie gelernet, daß in Christo ein rechtschaffenes Wesen sei, Eph. 4,18.21. Sie meinen, es sei alles an den Wortkünsteleien gelegen, da doch die rechte Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit nicht stehet in Worten, sondern in rebus, in der WINTER (wie Anm. 3), 17. KOEPP (wie Anm. 12), 20–22, 297f. Bei Koepp findet sich noch eine Steigerungsform: »Völlig verschollen« (298). 27 Lies: Vestigia. 28 Ikonographia, 33r. 25 26
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That, und in der rechtschaffenen ewigen Weisheit. Davon in dem Traktat de antiqua philosophia, von der alten Philosophie, weiter. Wenn man aber sagte, es wäre jetzo ein impium saeculum, eine gottlose Welt, das wäre der Wahrheit und GOttes Wort ähnlicher.«29
Fragt man nach der Abfassungszeit des Traktats, so bietet seine Erwähnung in Arndts ›Ikonographia‹ den terminus ante quem; er müßte demnach vor dem Jahresende 1596 entstanden sein.30 Ein Druck dieser frühen Schrift Arndts ist nicht nachweisbar. Johann Gerhard publizierte aber in seinen ›Aphorismi sacri‹ (1616) 31 unter der Überschrift »Dissertatio D. Johannis Arnds«32 eine Thesenreihe, die mit der Inhaltsangabe in WChr I, 36,15 deutliche Berührungspunkte aufweist33. In These 14 begegnet auch der von Arndt genannte Titel des Traktats: »Haec est antiqua illa philosophia«. Daher werden in der Forschung seit Johann Jakob Rambach diese Thesen meist mit der Schrift Arndts identifiziert.34 Gerhard macht aber in den ›Aphorismi‹ leider keine weiteren Angaben über den Beitrag. Die Bezeichnung »Dissertatio« muß nicht auf eine akademische Abhandlung hinweisen, obwohl Gerhard – wie auch durch die doppeldeutige Abkürzung »D.« (»Domini« oder »Doctoris«) – vielleicht diesen Eindruck erwecken wollte.35 Da keine zwischen Arndt und Gerhard gewechselten Briefe aus jenen Jahren erhalten zu sein scheinen,36 läßt sich auch auf diesem Wege nichts in Erfahrung bringen. Auffällig ist, daß Gerhard keinen Titel der
29 WChr I, 36,15. Der ganze Abschnitt fehlt noch in der Erstausgabe, Frankfurt 1605 (wie Anm. 6). 30 Die Vermutung, daß Arndt sie noch in Ballenstedt, also seiner ersten Wirkungsstätte als Diaconus (Herbst 1583 – Herbst 1584), geschrieben habe (Johann Jacob RAMBACH, Historische Vorrede von des sel. Johann Arnds gesammleten Kleinen Schrifften, in: Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III [wie Anm. 13], 16), ist völlig willkürlich. 31 APHORISMI SACRI PRAECIPUA THEOLOGIÆ PRACTICÆ COMPLECTENTES Ex Scriptoribus Ecclesiasticis collecti & proprii studio aucti à JOHANNE GERHARDO S. THEOLOGIÆ Doctore & in Academia Jenensi Professore. Cum Gratia & Privilegio Elector. & Ducum Saxon. JENÆ Typis & Sumptibus TOBIÆ STEINMANNI. Anno M.DC.XVI. [UB Marburg]. 32 DISSERTATIO D. JOHANNIS ARNDS, SUPERINTENDENTIS ECCLESIARUM IN DUCATU LÜNEBURgensi de hujusmodi scriptorum genere. (S.u. Beilage I). – Ein Abdruck in deutscher Übersetzung findet sich in: Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III (wie Anm. 13), 591f. (Nr. 15); eine Übersetzung in Auswahl bietet Wilhelm KOEPP (Hg.), Johann Arndt (Die Klassiker der Religion 2), Berlin-Schöneberg 1912, 37–39. 33 Vgl. bes. Thesen 15–17. 34 Vgl. RAMBACH, Historische Vorrede (wie Anm. 30); KOEPP (wie Anm. 12), 21f.; SCHWAGER (wie Anm. 17), 22, 116 Anm. 3; BRECHT 132, 196 Anm. 6. 35 Arndt hat nie einen Doktorgrad noch sonst einen akademischen Grad erworben. 36 Zum Schicksal des Gerhardschen Briefwechsels vgl. KOEPP (wie Anm. 12), 299f. Außer den bei RAIDEL (wie Anm. 10) gedruckten Briefen, die nur bis in das Jahr 1608 reichen, habe ich noch Briefe vom 10.6.1610, 3.6.1611, 29.9.1611, 13.7.1612 sowie Zitate aus Briefen vom 13.11.1614, 18.1.1620 und 11.11.1620 ermitteln können.
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»Dissertatio« nennt, auch nicht angibt, ob, wo oder wann sie im Druck erschienen ist. Obwohl Gerhard von einer »Dissertatio« spricht, setzt Arndts Rede von einem »Büchlein« oder »Traktat« doch wohl einen größeren Umfang voraus als die abgedruckte Thesenreihe. So scheinen zwei Möglichkeiten zu bleiben: Entweder handelt es sich bei den Thesen nur um eine inhaltlich mit dem Traktat verwandte Erörterung, oder die von Johann Gerhard abgedruckte Thesenreihe stellt nur einen Auszug oder den Anhang eines Traktats Arndts dar. Für die letztgenannte Möglichkeit gibt es bei Arndt eine Parallele. Als Anhang zu seiner Landtagspredigt 37 aus dem Jahre 1617 veröffentlichte er gleichfalls eine Thesenreihe: »Axiomata quaedam politica ex Besoldo & Hesso.« Dabei handelt es sich um 15 von Arndt exzerpierte Thesen; er entnahm sie den ›Axiomata philosophico-theologica‹ 38 seines Freundes, des Tübinger Juristen Christoph Besold 39, und der ›Thecla gladii spiritualis‹ 40, die Johann Valentin Andreae unter dem Namen von Tobias Heß veröffentlicht 41 hatte.42
37 Eine Huldigungs Predigt. Als der Hochwürdiger / Durchleuchtiger / Hochgeborner Fürst vnd Herr / Herr Christian / Erwehlter Bischoff deß Stiffts Minden / Hertzog zu Braunschweig vnd Lüneburg / Jn S. F. Gn. Fürstenthumb Grubenhagen / von den löblichen Landständen vnd Vnterthanen die Erbhuldigung am 16. Septembris / Anno 1617. glücklich eingenommen / Gehalten zu Einbeck in der Stifft Kirchen S. Alexandri. Auch Eine Landtages Predigt / Auff dem Landtage zu Osterroda am 19. Septembris gehalten. Den löblichen Landständen / deß Fürstenthumbs Grubenhagen zu Ehren publiciret vnd dedicirt / Jn welchen eine kurtze Summarische Christliche Politica / Aus GOttes Wort zusammen gefasset / Durch Johannem Arndten / des löblichen Fürstenthumbs Lüneburg General Superintendenten. Cum Gratia & Privilegio. Gedruckt in der Fürstlichen Stadt Zell / durch Sebastianum Schmuck. – Jm Jahr 1618. [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Stadtbibliothek Braunschweig]. Ein Nachdruck erschien 1624 in Straßburg bei Paul Ledertz [Herzog August Bibl. Wolfenbüttel; Nieders. Landesbibliothek Hannover]. Zur Huldigungs- und Landtagspredigt vgl. SOMMER (wie Anm. 3), 218–224. 38 Axiomata philosophico-theologica [...], Straßburg 1616 [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel]. Auf die gehäuften Zitate aus dieser Schrift in [Melchior BRELER,] Mysterium iniquitatis pseudoevangelicae. Hoc est: Dissertatio apologetica pro doctrina beati Joannis Arnd, Goslar 1621, hat KOEPP (wie Anm. 12), 80, hingewiesen. Vgl. auch Brelers Hinweis auf Besold als »amicissimus« Arndts (Mysterium 218). 39 Zu Besold vgl. KOEPP (wie Anm. 12), 79f.; Emil NIETHAMMER, Christoph Besold, in: Schwäbische Lebensbilder, II, Stuttgart 1941, 11–34; Richard VAN DÜLMEN, Die Utopie einer christlichen Gesellschaft [...], Stuttgart / Bad Cannstatt 1978, 59–64; Barbara ZELLER-LORENZ, Christoph Besold (1577–1638) und die Klosterfrage, Diss. jur. Tübingen 1986; Martin BRECHT , Chiliasmus in Württemberg im 17. Jahrhundert, PuN 14 (1988), 25–49, bes. 32–36. 40 Thecla gladii spiritus [...], Straßburg 1616 [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel]. 41 Zu Tobias Heß (1558–1614) und zur Verfasserfrage der ›Thecla‹ vgl. Martin BRECHT, Johann Valentin Andreae. Weg und Programm eines Reformers zwischen Reformation und Moderne, in: DERS. (Hg.), Theologen und Theologie an der Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät (Contubernium 15), Tübingen 1977, 270–343, hier bes. 280–292.
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Bei der Erörterung der Frage, ob die von Gerhard abgedruckte Thesenreihe aus einem von Arndt vor Ende 1596 verfaßten Traktat ›De antiqua philosophia‹ stammt, muß noch eine weitere Beobachtung berücksichtigt werden: In den Thesen finden sich nicht diejenigen Gegenstände, die Arndt in der ›Ikonographia‹ im Zusammenhang mit seiner Schrift erwähnt; von Naturphilosophie enthalten sie nichts.43 Dagegen berühren sich die Thesen mit den Inhalten, die Arndt in WChr I, 36,15 nennt. Die zentralen Stichworte der Thesen wie »usus« (3mal), »praxis« (6mal), »exercitium« (5mal), »vita« (6mal), »vitae sanctitas« (2mal), »pietas« (5mal) spielten (in Arndts Predigten über die ägyptischen Plagen44 und) in seiner ›Ikonographia‹ noch keine Rolle, sondern rückten erst seit 1597 (Vorrede zur Theologia Deutsch) in den Mittelpunkt seiner Theologie und wurden zu Leitmotiven des ›Wahren Christentums‹.
III De magis ex oriente Neben dem »Büchlein de antiqua Philosophia« erwähnt Arndt an der oben zitierten Stelle seiner ›Ikonographia‹ auch einen von ihm verfaßten »Tractatus de Magis ex oriente«. Diese Schrift gilt gleichfalls als »verschollen«.45 Vielleicht hat sie sich aber doch – ganz oder teilweise – an versteckter Stelle erhalten.46 In Arndts ›Postilla oder Auslegung und Erklärung derer Evangelien‹ (1616) 47 findet sich nämlich nach der zweiten Predigt zum Epiphaniasfest48 ein angehängtes Stück, das nicht mehr Teil der Predigt ist und durch einen eigenen Titel abgehoben wird. Die Predigt über die Geschenke der Weisen aus dem Morgenland, Gold, Weihrauch und Myrrhe, endet durch anagogische Auslegung 42 Arndts Entlehnung der Thesen aus diesen Werken ist in der bisherigen Arndt-Forschung unbemerkt geblieben. Für die Beziehungen zwischen Arndt und dem Tübinger Kreis um Besold und Andreae, die noch wenig erhellt sind, ist diese Beobachtung von einigem Interesse. 43 Vgl. dazu auch WINTER (wie Anm. 3), 17. 44 S.u. Anm. 126. 45 KOEPP (wie Anm. 12), 22, 297. 46 Diese Vermutung schon bei SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 103]. 47 Postilla: Das ist: Außlegung vnd Erklärung der Evangelischen Text / so durchs gantze Jahr an den Sontagen vnd vornehmen Festen / auch der Apostel Tage gepredigt werden / mit sonderm Fleiß zu Fortpflantzung des wahren Glaubens / Vbung der reinen Liebe / Bekrefftigung der lebendigen Hoffnung / Ernewerung des inwendigen Menschen / Erweckung wahrer Gottseligkeit / vnd eines heiligen Christlichen Lebens / vnd Erbawung des wahren Christenthumbs. [...] Gestellet durch Johannem Arndten / General Superintendenten des Fürstenthumbs Lüneburg / vnd Pfarrherrn zur Zella. Sampt einer Vorrede Herrn Johan Gerhardts / der heiligen Schrifft Doctorn / vnd General Superintendenten im Fürstenthumb Coburg. [...] – Gedruckt zu Jehna durch Tobiam Steinman / Jm Jahr M.DC.XVI. – [SB Berlin; SUB Göttingen; UB Tübingen]. 48 Postilla, 123r–125r.
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des Stichworts »Myrrhe« mit einem eschatologischen Ausblick: »Gleich wie Christus die balsamirten Myrrhentücher im Grabe liss: Also werden auch wir ohne Creutz vnd Leiden / aufferstehen zur ewigen Herrligkeit.«49 Darauf folgt dann, mit eigener Überschrift, ein zweieinhalb Folioseiten umfassender »Bericht von den Weisen aus Morgenland / wer sie gewesen / und was ihre Kunst gewest sey«.50 Der einleitende Satz stellt nur eine lockere Verbindung zur vorhergehenden Predigt her: »Allhie haben wir Vrsach zu reden / von den Weisen / vnd jhrer herrlichen Kunst«. Nach seiner Gattung handelt es sich bei diesem Stück um einen kleinen Traktat. Schon der Titel der Abhandlung erinnert stark an den der verschollenen Schrift. Sein Inhalt stimmt auch mit der Thematik überein, die bei der Erwähnung der Schrift in der ›Ikonographia‹ genannt wird; es finden sich sogar deutliche Anklänge: Ikonographia
Diese ding sindt in gutem wissen gewesen / bey den alten Egiptischen und persischen Philosophis und Medicis / [...] davon auch noch Vestigia zufinden in Platone / [...] welcher es von den Egiptischen Philosophis erlernet hat. Nun aber mehrenteil verloschen
Postilla
Nach dieser Kunst ist Plato in Egypten gereiset / vnd dieselbe allda bey den Egyptiis Sacerdotibus studieret. Diese herrliche Weißheit ist nu zu vnser Zeit erloschen.
Überhaupt weist die kleine Abhandlung enge Berührungen mit Arndts ›Ikonographia‹ auf: Auch dort erzählt er, daß »in Egipten / Chaldea / Persia die Weisen / so man Magos nennet / jren Sitz gehabt / welcher Kunst / nemlich Magia / eine gründtliche Erkentnus ist aller Thiere / Gewechse / und der Sternen«.51 Arndt unterscheidet in beiden Texten zwischen der guten und schlechten Magie52. Hier wie dort begegnen als alttestamentliche Gestalten Ja-
Postilla, 125r. Postilla, 125r–126r. S.u. Beilage 2. 51 Ikonographia (wie Anm. 13), 16v. Vgl. auch 12v: »in Chaldea [ist] der Sitz gewesen / der uhralten Philosophiae / und höchsten natürlichen Weißheit / so man Magiam nennet«. 52 Vgl. Ikonographia, 17r f. Vgl. dazu SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 102f.]. 49 50
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kob53, Joseph54 und Daniel55, die jene uralte Kunst, die »sapientia divina et humana« 56, verstanden. Es könnte sich also bei diesem Stück in der ›Postilla‹ um den in der ›Ikonographia‹ erwähnten Traktat ›De magis ex oriente‹ handeln oder um einen Auszug bzw. eine Zusammenfassung. Mindestens aber kann von dessen Inhalt der vorliegende Text eine Vorstellung vermitteln.
IV De origine sectarum In seiner ›Ikonographia‹ erwähnt Arndt noch eine dritte Frühschrift: »Diß ist aber das rechte Fundament in dieser Sachen / das in allem falschen Glauben ist die wirckung des Satans / So balt ein falscher Glaube und Lere entstehet / mengen sich die kreffte des Satans mit ein / und bestettigens in den Gemütern der Menschen / das sie sich auch darauff brennen lassen / Daher die falschen Märterer kommen / Und das nennet S. Paulus krefftige Irrtumb57 / wie in meinem Büchlein de origine58 sectarum gründtlich erwiesen wird.«59
Auch diese Schrift gilt als verschollen, doch hat der von Arndt mitgeteilte Titel Spekulationen über ihren mutmaßlichen Inhalt Nahrung gegeben. Koepp will daraus schließen, daß »Arndt in seiner früheren Zeit durchaus ein Jünger der Theologia polemica gewesen« sei, und hält die Schrift – deshalb – für »wohl seine früheste«.60 Diese Vermutung über den Inhalt ist freilich ebenso problematisch wie Koepps Konzeption einer theologischen Entwicklung Arndts vom »Streittheologen« zum Mystiker. Ein Beleg, auf den sich Koepp hätte berufen können, findet sich in Arndts (zweitem) Testament vom 28. Jan. 1616. Hier gebraucht er den Begriff »Sekte« gleichermaßen für Katholiken, Calvinisten und Täufer: »Und weil viel Rotten und Secten zu dieser Zeit eingerissen seyn, derer Lehre wider die Heilige Schrift streitet, vornehmlich aber des Bapsts, Jesuiter, Calvini unnd der Wiedertäuffer Lehre, so thue ich dieselbe hiemit als falsche Lehre, so dem Wort Gottes zuwi-
Ikonographia, 15v. Ikonographia, 15v, 34v, 44r. 55 Ikonographia, 15v, 34v. 56 Vgl. Ikonographia, 32v f.; dort zitiert er ein Werk des Theosophen Heinrich Khunrath. Vgl. dazu SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 104f.]. 57 II Thess 2,11. 58 Die späteren Abdrucke der ›Ikonographia‹ (wie Anm. 13) bieten hier die falsche Lesart »ordine«. 59 Ikonographia, 48r. 60 KOEPP (wie Anm. 12), 20. 53 54
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dern leuft, außdrücklich verwerfen, wie meine außgegangene öffentliche Schrifften, die Postilla, der Psalter und Catechismus gnugsamb und uberflüssig bezeugen.«61
Als Schriften, die seine Rechtgläubigkeit bezeugen, nennt er also hier Postille, Psalter- und Katechismuspredigten, erwähnt aber die frühe Abhandlung nicht. Auch schon im I. Buch von wahrem Christentum begegnet diese konfessionell-polemische Verwendung des Sektenbegriffs, wenn er vom »Papstthum und andern Sekten« spricht.62 Freilich macht Arndt hier eine wichtige Einschränkung gegenüber der theologia polemica seiner Zeit und kritisiert die ausufernde polemische Literatur: »Bleibet demnach billig dabei, daß man wider die Ketzer und Rotten schreiben, predigen und disputiren muß, zur Erhaltung der reinen Lehre und wahren Religion; wie der 1Apostel Paulus befiehlet, daß man strafen und überwinden solle die Widersprecher, Tit. 1,9. Allein dasselbige ist zu unserer Zeit gar in einem Mißbrauch gerathen, also, daß über dem vielen heftigen Disputiren, den Streitpredigten, dem Schreiben und Wiederschreiben, des christlichen Lebens, der wahren Buße, der Gottseligkeit und christlichen Liebe gar vergessen ist; gleich als stünde das Christenthum nur in Disputiren und Vermehrung der Streitbücher, und nicht vielmehr darin, daß das heilige Evangelium und die Lehre Christi in ein heiliges Leben verwandelt werde.«63
Diese Kritik an der theologischen Polemik seiner Zeit, die in den akademischen Disputationen einen Sitz im Leben hatte und in der polemischen Literatur (»Streitbücher«) ihren Ausdruck fand, begegnet noch schärfer in Arndts Vorrede zu ‹Die teutsche Theologia‹, die 1597 erschien64. Sie steht somit in zeitlicher Nähe zu Arndts Hinweis auf seine Schrift ‹De origine sectarum‹. In jener Vorrede heißt es: »Der Thurm zu Babel ist eine gewaltige Praefiguration ins neue Testament und bedeutet den geistlichen Standt. Denn wie jene einen so hohen Thurm bauen wolten, der in den Himel reichen solte,65 also will ein jeder Geistloser66 mit seinen Büchern jtzo einen Thurm in Himel bauen, darauff man hinnan steigen solle. Wie aber jenes aus eigener Klugheit vorgenommen, also auch dieses. Und wie dort der Bauleute Sprache verwirret, also hat Gott der Geistlichen Bauleute Sprache verwirret, dz keiner den andern verstehet. Daher ist man zerstreut in so viel Secten wie dort in viel Sprachen und Zungen. Wie aber dort die nerrischen Leute gezwungen wurden, abzustehen von dem fürwitzigen und unnötigen Gebeu, also werden auch die Geistlichen Bauleute von jrem Gebeu, von Büchern und vielen Disputationen erbauet, abstehen müssen und einen andern Weg su61 [Melchior BRELER (Hg.),] Warhafftiger / Glaubwirdiger vnd gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christentumb Herrn Johannis Arndten [...], Lüneburg 1625, 90–92; F. ARNDT (wie Anm. 4), 273f. 62 WChr I, 39,2. 63 WChr I, 39,3. 64 S.o. Anm. 6. 65 Vgl. Gen 11,4. 66 Die Lesart »Geistlicher« bei KOEPP, Auswahl (wie Anm. 32), 52, ist entweder ein Lesefehler oder eine unnötige Konjektur.
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chen, wollen sie sich nicht selber neben jren Zuhörern umb jre Seligkeit bringen. Derwegen ist hohe zeit, das wir den lebendigen Glauben, fidem operosam, und das edle Leben Christi in so vieler Leute Hertz einzupflanzen anfahen, so viel Bücher und Buchstaben mit Tinte auff Pappier geschrieben sein. Das were Apostolisch und nicht Babilonisch.«67
Die Deutung des Turmbaus zu Babel auf den geistlichen Stand stellt in dieser generellen und pauschalen Form (»den geistlichen Stand«; »jeder Geistloser«; »die geistlichen Bauleute«) eine überaus scharfe Attacke dar. Dabei weisen die Ausführungen Arndts sowohl in der Gesamttendenz als auch in einzelnen Motiven eine große Nähe zu spiritualistischer Kirchenkritik auf. Zu deren Topoi gehört die Abwertung der »papiernen Bücher«,68 die Arndt hier vornimmt und auch schon einige Seiten zuvor in pointierter Weise formuliert hat: »Denn es helffen keine Bücher zu erhaltung reiner Lere, wo das Leben nicht taug und wieder die Lere streitet; sintemal die Weisheit fleugt die Gottlosen. Für und für aber gibt sie sich in die heilige Seelen und machet Propheten und Gottesfreunde, Sap. 7.69 Ja, ich wil noch mehr sagen: Die waren Schefflein Christi, die Christo im Leben folgen, in der that und warheit, die lesset Christus, der einige gute getreue Hirte, nicht verfürt werden. Darumb sie auch der vielen unzelichen streit-Bücher nicht bedürffen; sie haben an wenigen und kurtzen genug und brauchens nur zum zeugnus jres Hertzens; denn sie haben das rechte Buch im Hertzen, den heiligen Geist, welcher in jrem Hertzen von Christo zeuget, und sie vor allem Irrtumb bewaret, so lange sie auff den Wegen des Herren wandeln, das ist: im Leben Christo folgen. Die Hertzen der Menschen solten unser Bücher sein, nicht mit Tinten geschrieben, sondern mit dem lebendigen Geist Gottes,70 das möchte jnen besser helffen zur Seligkeit, denn wenn die Welt voller Bücher geschrieben würde.«71
Diese Ansichten weisen eine enge Verwandtschaft mit Aussagen (Pseudo-) Weigels72 auf.73 In Weigels Schrift ›Der Güldene Griff‹ 74 trägt das 24. Kapitel Die teutsche Theologia (wie Anm. 7), 10r-v. Nikolaus HUNNIUS, Christliche Betrachtung der Newen Paracelsischen vnd Weigelianischen Theology [...], Wittenberg 1622, 41, rechnet die Kritik an den »papiernen Büchern« zu den »Hauptlehren«, die Weigel von Paracelsus u.a. übernommen habe. 69 Sap 7,27. 70 Vgl. II Kor 3,3. 71 Vorrede zu ›Die teutsche Theologia‹, 6v–7r. 72 Die Echtheitsfrage der unter Weigels Namen überlieferten Schriften kann in unserem Zusammenhang außer Betracht bleiben. Vgl. dazu Horst PFEFFERL, Die Überlieferung der Schriften Valentin Weigels (Teildruck), Diss. phil. Marburg 1991, Kap. 8. – Zu Arndts Bekanntschaft mit Weigel-Schriften, noch bevor diese ab 1609 im Druck erschienen, vgl. Weber (wie Anm. 6), 72, 74; Hans SCHNEIDER, Johann Arndt als Lutheraner? [s.o. 61]. 73 Arndts Bemerkung, daß die Schafe Christi nicht verführt werden, erinnert an eine Predigt Weigels über Joh 10: »Darumb mögen die Schäfflein nicht zerstrewet werden durch die Wölffe / in mancherley Rotten / Parteyen / Secten / sondern wie ein Hirte ist / also so bleibet auch eine Kirche / eine Heylige / Catholische allgemeine Versammlung nicht hie oder da leiblich in einem gewissen Lande / [...] sondern im Glauben und Geiste« (Valentin WEIGEL, Kirchen- Oder Hauß-Postill [...] [1618], [Teil II], o.O. 1700, 41). 67 68
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die Überschrift: »Daß mann die Prüfung nit suchen solle noch finden kann / in den eussern Büchern der Menschen / sondern im Geistlichen Buch des Hertzens von innen / vnd die H. Schrifft darumb zum Zeugniß nehmen.« Weigel kritisiert »viel der Wolgelehrten«, die »am todten Buchstaben (kleben), der da ausser jhnen ist / vnd verlassen das Buch des Lebens / daß doch mit den Finger Gottes eingeschrieben ist / in aller Menschen hertzen«; er dankt Gott, »Daß du mich gelehrter machest / als alle meine Lehrer vnd Buchschreiber / der du mir das rechte Buch zeigest in meinem Herzen / dardurch ich die heilige Schrift lesen kann«.75 Es ist höchst aufschlußreich, daß gerade in diesem Zusammenhang scharfer Kirchenkritik in Arndts Vorrede zur Deutschen Theologie auch das Stichwort »Sekten« begegnet. Denn auch diese Verwendung des Begriffs »Sekte« erinnert wiederum deutlich an den Sprachgebrauch der Spiritualisten des 16. und 17. Jahrhunderts. Hier wurden alle verfaßten Kirchen, nicht nur die römische, sondern auch die protestantischen (einschließlich der täuferischen Gemeindebildungen) als »Sekten« bezeichnet und der wahren, unsichtbaren, geistlichen Kirche gegenübergestellt. So dehnt schon Sebastian Franck76 den Sektenbegriff auch auf den »Lutherisch, Zwinglisch, vnd Teufferisch glaub« aus und spricht von ihnen als »drei secten oder Glauben«77 und polemisiert gegen den törichten, parteiischen Eifer, da Gott »doch ein gemeiner Hayland ist der gantzen welt / vn[d] sein kirch [...] nit etwo ein fingerzaygen78 sect ist / sonder er allayn im Geist vnd glauben versammlet«.79 Ebenso betont der von Arndt hochge-
74 Der Güldene Griff / Das ist / Alle Ding ohne Jrrthumb zu erkennen / vielen Hochgelehrten vnbekandt / vnnd doch allen Menschen nothwendig zuwissen [...], Neustadt 1616. 75 Der güldene Griff 66. 76 Zum Sektenbegriff bei Sebastian Franck vgl. Will Erich PEUCKERT, Sebastian Franck, Tübingen 1943, 99ff., 170ff.; zum Kirchenverständnis insgesamt vgl. Horst WEIGELT, Sebastian Franck und die lutherische Reformation, Gütersloh 1972, 34–46, und zuletzt DERS., Sebastian Franck und die lutherische Reformation. Die Reformation im Spiegel des Werkes Sebastian Francks, in: Jan-Dirk MÜLLER (Hg.), Sebastian Franck (1499–1542) (Wolfenbütteler Forschungen 56), Wiesbaden 1993, 39–54, hier 44–46. 77 Sebastian FRANCK, Zweintzig Glauben oder Secten, allein des einigen Christen Glauben, on alle örder, Secten und sundere Glauben [...], Frankfurt/M. 1532; Inhaltsverzeichnis und Auszüge bei Theodor SIPPELL, Eine unbekannte Schrift Sebastian Francks, ThStKr 95 (1923/24), 147–150, hier 149. Dieses von Sippell als unbekannte Schrift Francks bezeichnete Werk stellt aber nur einen Auszug aus Francks Türkenchronik (Chronica und Beschreibung der Türkey, Nürnberg 1530) dar; vgl. PEUCKERT, 566. 78 Etwas Sichtbares, auf das man mit Fingern zeigen kann. Vgl. auch Sebastian FRANCK, Paradoxa ducenta octoginta [...], Ulm 1534, Vorrede 5r: Die Kirche ist nicht »ain sonderer hauff vnd fingerzaige Sect«. 79 Sebastian FRANCK, Das Verbüthschiert mit siben Sigeln Verschlossen Buch [...], [Augsburg] 1539, 427r.
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schätzte Paracelsus, daß »in Christo kein Sect ist«.80 Schwenckfeld versichert, er wolle von »keyner Sect« wissen, »denn alleine von dem einigen glaubenn / meines Herren Jesu Christj / jn des schule ich mich habe begebe[n]«;81 zeitlebens betont er, daß er »keine faction auffrichten« und »kein Secten einfuerenn« wolle.82 Und Weigel stellt den Gegensatz zwischen der wahren unsichtbaren allgemeinen (»catholischen«) Kirche und den »Sekten« heraus83 und betont: »Wer in Christo ist vnd Christus in ihme, der creutziget sein Fleisch sampt den Lüsten vnd Begirden vnd ist in der heiligen Kirchen, er sey gleich wo ehr wolle, vnter Luther, Papst oder Türcken etc.«84 Wenn Arndt den Turmbau zu Babel und die babylonische Sprachverwirrung in Gen 11 allegorisch auf die »Geistlichen Bauleute« sowie die gegenwärtige Sprachverwirrung und die Zerstreuung »in so viel Secten wie dort in viel Sprachen und Zungen« deutet85, so bietet auch hierfür die spiritualistische Literatur viele Entsprechungen. Schon Sebastian Franck redet etwa unter Anspielung auf Gen 11 von dem »Babel« der Sekten86 und wendet sich gegen diejenigen, »die dem Heiligen gaist in sein ampt greiffen / das sie ain Thurn Babylonie bawen, daran sie erliegen vnd zuschanden werden«87. Besonders eng ist die Parallele bei Weigel an der bereits angeführten Stelle im »Güldenen Griff«. Hier berichtet er, daß ihm das Lesen »vieler Scribenten Bücher« keine Befriedigung gebracht, sondern er nur »viele Secten und Glauben« gefunden habe: »Ich sage an, was für ein jrriges vnd verwirrendes Ding vnser Babylonischer Thurm were.«88 Dem stellt Weigel dann wie Arndt »das rechte Buch im Herzen« gegenüber.
80 Neundter Theil der Bücher vnd Schrifften / des Edlen / Hochgelehrten vnd Bewehrten PHILOSOPHI vnd Medici, PHILIPPI THEOPHRASTI Bombast von Hohenheim / PARACELSI genannt [...], Basel 1690, 19. 81 SCHWENCKFELD, Entschuldigung das er den Leyb vnnd Blut Christi ymm Nachtmall des Herren / vnd imm geheymnus des H. Sacraments nicht verleucket (1529); CSch III, 430,10–12. 82 Vgl. dazu Gottfried MARON, Individualismus und Gemeinschaft bei Caspar von Schwenckfeld. Seine Theologie, dargestellt mit besonderer Ausrichtung auf seinen Kirchenbegriff (KO.B 2), Stuttgart 1961, 135f. 83 Valentin WEIGEL, Dialogus de christianismo (Sämtliche Schriften, 4. Lief.), Stuttgart / Bad Cannstatt 1967, 66f.: »Die heilige Catholische Kirche weis von keiner Secten noch menschlicher Ordnung. Sie ist gegründet auf keinen Menschen, auf keine Stadt, Landt noch gewisses Volck, nur vf Jesum Christum, den Eckstein.« 84 Ebd. 85 Vorrede zu ›Die teutsche Theologia‹ (wie Anm. 7), 10v. 86 Sebastian FRANCK, Zweintzig Glauben oder Secten, bei SIPPELL (wie Anm. 77), 149. 87 Sebastian FRANCK, Paradoxa (wie Anm. 78), 293r f. 88 WEIGEL, Der Güldene Griff (wie Anm. 74), 65.
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Zum Erscheinungsbild der »Sekten« gehört nach Meinung der Spiritualisten auch das äußere »Zeremonienwesen«.89 Auch diese spiritualistische Kritik hat bei Arndt ihr Seitenstück, wenn er betont: »Unser Gottesdienst im neuen Testament ist nicht mehr äußerlich in figürlichen Ceremonien, Satzungen und Zwang, sondern innerlich im Geist und in der Wahrheit, das ist, im Glauben an Christum [...].«90
Die hier angeführte Stelle Joh 4,23 ist ein locus classicus der Spiritualisten; Arndt zitiert sie allein in der »Ikonographia« viermal91, mehrfach in den Vier Büchern von wahrem Christentum92 sowie in späteren Werken93. Freilich räumten auch die Spiritualisten ein, daß es in den »Sekten« Wahrheit in abgestuften Graden gebe und in den reformatorischen Kirchen mehr Wahrheit zu finden sei als bei den »Papisten«.94 Valentin Weigel hat sogar die Confessio Augustana unterzeichnet und zeitlebens als lutherischer Pfarrer amtiert.95 Einen derart radikalen Indifferentismus96 gegenüber den »Sekten« hat Arndt, nach allem was wir wissen, zu keiner Zeit vertreten. Aber auch für ihn sind die Kriterien für das wahre Christentum die »Gottseligkeit vnd exempel vnnsers gecreutzigten Christi« (Schwenckfeld)97 und der Grundsatz »Wer in Christo ist vnd Christus in ihme, der creutziget sein Fleisch sampt den Lüsten vnd Begirden« (Weigel) 98.
89 WEIGEL, Kirchen- Oder Hauß-Postill, [Teil I], o.O. 1699, 70: »Geht jitzt noch so zu / eine jede Sect hat ihren besondern vermeinten Gottes dienst / Ceremonien unnd Ordnung. Aber vergeblichen dienen sie Gott mit Menschentande.« 90 WChr I, 21,4. 91 Ikonographia (wie Anm. 13), 2r, 3v, 4v, 20r. 92 WChr I, 24,10; II, 34,V,4; II, 34,X, Motto u. 1; II, 34,XII,7 [das ganze Kapitel II, 34 aus Weigels Betbüchlein]. 93 Z.B. Paradiesgärtlein [s.u. Anm. 113], Vorr. 3; Repetitio apologetica [später = WChr VI], I, 21. 94 SCHWENCKFELD, XXVII. Sendbrief an Jörg Preßfelder (1533); CSch IV, 776,11–13, 16– 18: »Daß ich mich aber jetzt keiner Part oder Sect vndergebe / wie mans heißt / weder den Bepstischen / Lutherischen / Zwinglischen noch Teuffern / mit meinem Gewissen / hat viel vrsachen [...] Doch sihe ich bey einer Parthey viel mehr guts / denn bey der andern / mehr Gottseligkeit vnd exempel vnnsers gecreutzigten Christi / daas kan ich nicht verneinen.« Zu Schwenckfelds Verhältnis zu Luther vgl. Horst WEIGELT, Luthers Beziehungen zu Kaspar von Schwenckfeld, Johannes Campanus und Michael Stiefel, in: Helmar JUNGHANS (Hg.), Leben und Werk Martin Luthers von 1526–1546, Göttingen 1983, 473–480, 882–884. 95 Vgl. Winfried ZELLER, Valentin Weigel und die Augsburgische Konfession. Zu einem neuen Weigel-Autograph, ZRGG 11 (1959), 227–240; wieder abgedr. in: DERS., Theologie und Frömmigkeit, Marburg 1971, 39–50. 96 Vgl. MARON, Individualismus (wie Anm. 82), 137f. 97 Zur Kreuzesnachfolge bei Schwenckfeld vgl. MARON, Individualismus, 48ff., 51f. 98 S.o. Anm. 83f.
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Den Ursprung der Sekten erklären die Spiritualisten aus der Verwechslung von Buchstabe und Geist99, der Mißachtung des ›inneren Wortes‹ und der verkehrten Verehrung des toten Buchstabens100. Einige Ausführungen Arndts in seiner Vorrede zur ›Teutschen Theologie‹ und im ›Wahren Christentum‹ können Anhaltspunkte liefern, welche Sicht er ›de origine sectarum‹ hatte. Dort führt er nämlich die Entstehung der Sekten auf den Hochmut (die »Hoffart«) zurück, der die Ursache für den Fall der Engel und Menschen gewesen sei. »Ja auf den Acker der Hoffart säet der Feind Rotterei, Sekten und Spaltungen. Denn durch Hoffart haben beide Engel und Menschen das wahre Licht verloren. Jes. 14,10 u.f. 1 Mos. 3,6 u.f. Aus Hoffart hat aller Irrthum seinen Ursprung. Wäre der Satan und Adam in dem demüthigen Leben Christi blieben, es wäre nie keine Verführung in die Welt kommen.«101
In der Hybris liegt der Ursprung für allen Irrtum und Abfall von Gott. Zur Hybris rechnet Arndt »alle eigene Liebe, eigener Ruhm, Ehre und Nutz«; sie seien die Ursache von Lucifers Fall gewesen102, der dann die ersten Menschen verführt habe, und von ihnen werde die Hybris durch die Erbsünde weitervererbt.103 »Sehet das Exempel der Corinther an, do sie nicht mehr folgeten dem demütigen Leben Christi und seinen Fusstapffen, sondern fiengen an, sich jrer Gaben zuerheben und ei99 SCHWENCKFELD, Sendbrief an Herzog Friedrich von Schlesien (1528), CSch III, 105, 14– 23, wirft Luther vor, er halte »den Buchstaben für den Geist«, vermische »das lebendige ewige Wort mit dem eusserlichen vergencklichen worte des Buchstabens« und folgert: »Daher sich alle ander irrunge vnnd spaltunge / mancherley Secten / auff heutigen tag erböret werden / Damit also ein ander Abgott in die Gewissen gesetzet / darin doch CHRIstus alleine regieren solte.« 100 WEIGEL, Dialogus de christianismo (wie Anm. 83), 83: »aus Verleugnung des innern Worts oder Gehörs entstehen alle Secten, Rotten, Ketzer durch den toden Buchstaben.« 101 WChr I, 39,8. 102 Vgl. auch WChr I, 31,7: »Denn alle eigene Liebe, eigener Ruhm, Ehre und Nutz ist aus dem Teufel, und ist des Teufels Fall, dadurch er vom Himmel verstoßen ist. Denn nachdem GOtt den Lucifer zum schönen Engel geschaffen, ihn mit sonderen hohen Gaben, Schönheit, Weisheit, Licht und Herrlichkeit begabet, hat er sich in seinen eigenen Gaben gespiegelt, als ein Pfau mit seinen Federn, und angefangen, sich selbst zu lieben, zu ehren, zu rühmen. Das ist der Anfang seines Falls, daß er die Ehre nicht GOtt, sondern ihm selbst gegeben, seine Liebe von GOtt abgewandt zu sich selbst. Da hat ihn GOtt verstoßen mit seinen Engeln, die er verführet hat mit seiner Hoffart. Denn der Lucifer hat ein Fürstenthum unter den Engeln gehabt, wie St. Judas Epist. V. 6 saget: Die Engel, so ihr Fürstenthum nicht behalten. Und St. Paulus Kol. 2, 15: Er hat ausgezogen die Fürstenthümer und Gewaltigen, sie öffentlich Schau getragen, und einen Triumph aus ihnen gemacht.« 103 WChr I, 31,8: »Dadurch nun der Satan gefallen, dadurch hat er den Menschen auch gefället, hat ihn von GOttes Liebe und Ehre abgewandt zu ihm selbst, daß im Menschen entstanden eigene Liebe und eigene Ehre, daß er hat GOtt wollen gleich seyn. Dadurch ist er aus dem Paradies gestoßen, wie Lucifer aus dem Himmel, 1 Mos. 3,24. Und haben uns nun unsere ersten Eltern die eigene Liebe und eigene Ehre angeerbet. Das ist der Fall Adams, welchen noch alle Menschen thun. Und das wird uns allen durch Fleisch und Blut angeboren.«
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ner über den andern zusteigen, da kamen Spaltungen unter sie und waren nicht mehr Geistlich, sondern Fleischlich, und hetten baldt Christum verloren, denn einer war Paulisch, der ander Apollisch, der dritte Cephisch,104 und das machten jre hohe Gaben, denen die Corinther nachstrebeten. [...] Und diese Hoffart brachte Spaltungen [...] Wo war aber do Christus?«105
Arndt zieht aus dem Beispiel der Korinther die Parallele zur Gegenwart und stellt Lehre und Liebe einander gegenüber: »Ebenermassen wie unsere Gelerten jtzo, welche nur darauff dencken, wie einer den andern in Gaben übertreffe. [...] Darumb wer hoch in der Lere sein wil, der richtet baldt Spaltungen und Ketzerey an. Wer aber hoch in der Liebe ist, richtet keine Ketzerey an. Das heisset: Scientia inflat, charitas aedificat.«106
Selbst das Einstehen für die (vermeintlich) rechte Lehre bis hin zum Martyrium ist nach Arndts Meinung ambivalent, kann Wirkung des Satans sein und aus selbstsüchtigen Motiven entspringen. Das Thema »falsche Märtyrer«, das er in der ›Ikonographia‹ bei dem Hinweis auf seine Frühschrift nennt, behandelt er auch in WChr I, 35 im Zusammenhang der Auslegung von I Kor 13. Hier wird V. 4 folgendermaßen gedeutet: »Ja, wenn du deinen Leib brennen ließest, und hättest eine solche reine, lautere, freie Liebe nicht, die allein GOtt und seine Ehre meinet, so wäre dirs nichts nütze. Denn was ists, daß etliche ihren Leib geißeln, ihnen Maale brenne, und ihrem Leibe wehe und übel thun? wie der Prophet spricht Jes. 58,3. Was suchen sie hiemit, denn sich selbst? Zach. 7,5.6. Wollen sonderliche Heiligkeit damit bezeugen, selbst erwählte Geistlichkeit, welches doch alles GOtt zu Ehren nicht geschieht, sondern ihnen ein Ansehen dadurch zu machen. Ja, etliche gerathen in solche Verblendung und in solche kräftige Irrthümer, daß sie sich darauf brennen lassen, wollen Christi Märtyrer seyn; da sie doch Christum nicht suchen, sondern sich selbst, ihren gefaßten Irrthum damit zu bestätigen, haben ihnen vorgesetzet, nicht davon abzustehen, und sollte es ihnen das Leben kosten. Das nennet St. Paulus Wirkung des Satans und kräftigen Irrthum. 2 Thess. 2,9.11. Die Ursache macht einen Märtyrer, und nicht die Marter.«107
Vgl. I Kor 1,12. Vorrede zu ›Die teutsche Theologia‹ (wie Anm. 7), 8v–9r. 106 Vorrede zu ›Die teutsche Theologia‹, 9r (I Kor 8,1). 107 WChr I, 37,7. Der folgende Abschnitt gibt dann noch weitere Erläuterung: »Sehet an, wohin der Teufel die Heiden gebracht hat, unter welchen er etliche so verblendet, daß sie sich williglich haben lassen schlachten, tödten und opfern, ihre falsche heidnische Religion und Teufelsdienst damit zu bestätigen. Was ists Wunder, daß es noch geschiehet, sonderlich nun unter dem Schein des christlichen Glaubens? Die Heiden haben viel gethan mit Verlust ihres Lebens, ihnen einen unsterblichen Namen zu machen. Hat auch nicht zu unsern Zeiten die falsche eigene Liebe und eigene Ehre Mönche und andere Leute bethöret, Könige und weltliche Potentaten zu erstechen, die katholische Religion, wie sie sie nennen, damit fortzupflanzen, die auch ihr Leben haben müssen lassen und daran strecken? Welches nicht um Christi willen geschehen ist, sondern um des Papstes willen, und um eigenes Lobes, Ruhms und unsterblichen Namens willen. Dies ist die falsche betrogene Liebe, von einem falschen Licht betrogen.« 104 105
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Hier begegnet auch derselbe Schriftbeleg (II Thess 2,9.11), den Arndt in der ›Ikonographia‹ bei der Erwähnung seiner Schrift ›De origine sectarum‹ anführt. So läßt sich auch von dem Inhalt der Schrift ›De origine sectarum‹ eine begründete Vermutung gewinnen.
V De constituendis scholis virtutum Im »Beschluß« der ›Ikonographia‹ greift Arndt die Kritik am Disputieren noch einmal auf. Er sei sich wohl bewußt, daß man gegen seine Darstellung Einwände vorbringen könne. »Aber es gehet doch alles ex confusione doctrinae et ceremoniarum, religionis et rituum. Das ist: das man nicht unterscheidet / unter der Lere und Ceremonia / der Religion oder Gottesdienst an jn selbst / und unter andern eusserlichen Kirchen gebreuchen. Es ist zumal ein verdrießlicher und unnützer Handel / das man wieder die eusserlichen dinge so hart disputiret / als wenn der gantzen Christenheit daran alles gelegen were. Were es nicht besser / den Leuten Busse predigen / denn Altar umbreissen? Besser ists / Christum lieb haben / denn von Ihm viel hohe ding disputiren. Gedencket an die wort S. Pauli: Wenn ich alle Erkendtnus hette / und hette der Liebe nicht / so were ich nichs.108 Gott wirdt an jenem Tage nicht fragen / wie geleret du bist gewesen / sondern wie fromb du gewesen bist. [...] Viel lassen sich klug und gelert düncken / und haben doch die größte torheit im hertzen / nemlich Ehrfurcht / und liebe der Welt. [...] In der Neuengeburt leben / ist besser denn von der Neuengeburt disputieren. Tugendt ist besser / denn Kunst. Ein sanfftmütiger Mensch ist mehr nütze / denn ein gelerter Mensch / Denn ein sanfftmütiger Mensch erhelt den Friede / ein gelerter Zäncker zerstöret jn. Gelert sein ohne Tugent / ist / als wenn man den Teuffel zum Doctor machte / denn der Teuffel hat Kunst genug / aber hat keine Tugent.«
Ebenso wie Arndt in (den vermuteten Fragmenten seiner Schriften) ›De antiqua philosophia‹ und ›De magis ex oriente‹ die Bedeutung der Weisheits- und Tugendschulen im Altertum herausstellt, so fordert er auch in der ›Ikonographia‹ als praktische Konsequenz seiner Analyse: »Die Schulen in der Christenheit solten Tugentschulen sein / und nicht allein Kunstschulen. Wenn die Studenten aus den Schule kommen / und die KirchenEmpter mit jnen bestellet werden / so treiben sie / was sie gelernet haben / Tugend haben sie entweder nicht gelernet / oder wenig / darumb können sie nichts denn Latein und disputieren [...] Daher werden alle Stende verderbet. Wenn man die Tugent so vleissig einpflantzte / als die Logicam / so würde es viel besser zugehen. Ists nicht ein verkerter handel / das man mehr vleis leget an die elenden Wortkünste / denn an die Gottseligkeit und Tugent. Das heisset nach dem Schatten greiffen / und den Leib selbst verlieren. [...] Durch ein Gottseliges und heiliges Leben berümpt werden / ist besser / denn durch disputiren berümpt werden. Dieses gilt für der Welt / und vergehet / jenes gilt für Gott 108
I Kor 13,2.
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/ und bleibet. Wie ich in meinem Büchlein de constituendis scholis virtutum ferner berichten wil / Da wollen die jenigen auffwachen / die den Gymnasijs fürstehen / oder sie werden mit aller Kunst zum Teuffel faren. Denn in den Künsten / darin keine Christliche Tugent ist / ist die ewige verdamnus.«109
Es ist bisher noch unbemerkt geblieben, daß der Titel des hier angekündigten »Büchleins« an den Titel der lateinischen Übersetzung von Luthers Schrift ›An die Ratsherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen‹ anklingt: ›De constituendis scholis‹. Diese lateinische Version von Vincenz Opsopeus mit einer Vorrede Melanchthons war in einem einzigen Druck in Hagenau erschienen.110 Arndt könnte ihn während seiner Studien bei Johann Sturm in Straßburg111 kennengelernt haben. Die Anlehnung an den Titel der Luther-Schrift legt die Vermutung nahe, daß Arndt eine ähnlich programmatische Schrift schreiben wollte, wie Luthers »Ratsherrnschrift« gewesen war. Wenn er aber mit der signifikanten Näherbestimmung »virtutum« den Titel der Luther-Schrift modifiziert, so entspricht dies seiner Zeitanalyse, wie sie in den oben zitierten Stellen zum Ausdruck kommt. Arndts Kritik am (akademischen) Schulbetrieb seiner Zeit, an den bloßen »Kunstschulen«, auf den die Studenten »nichts denn Latein und disputieren«, nur »die Logicam« lernen, sich mit »elenden Wortkünste«, »den Künsten / darin keine Christliche Tugent ist«, beschäftigen, weist wiederum eine große Nähe zur Bildungskritik der Spiritualisten auf.112 Die Schrift wird später von Arndt nie mehr erwähnt. Es ist auch kein Druck bekannt. Schubart und ihm folgend Braw vermuten, daß diese Abhandlung eine Vorarbeit zu Arndts ›Paradiesgärtlein‹113 darstelle.114 Koepp meint, Ikonographia (wie Anm. 13), 45v f. DE CONSTIITVENDIS SCHOLIS MAR. LVTHERI. Liber donatus Latinitate, Hagenau: Johann Setzer o.J. – Vgl. WA 15, 20a; Josef BENZING – Hans CLAUS, Lutherbibliographie. Verzeichnis der gedruckten Schriften Martin Luthers bis zu dessen Tod, I, Baden-Baden 21989, Nr. 1887; VD 16 L 3803. – Zu Opsopoeus vgl. Ilse GUENTHER, Opsopoeus, in: Contemporaries of Erasmus. A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, III, Toronto-BuffaloLondon 1987, 34. 111 Vgl. SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 111–113]. 112 N. HUNNIUS (wie Anm. 68), 41, zählt die Verachtung der Ausbildung an den Akademien und hohen Schulen zu den »Hauptlehren« von Paracelsus und Weigel und führt zahlreiche Belege an. Sehr instruktiv für die Kritik am (Hoch-)Schulbetrieb ist die pseudo-weigelsche Schrift ‚Studium universale‹ (1580, gedruckt 1618); vgl. Winfried ZELLER, Der frühe Weigelianismus. Zur Literarkritik der Pseudoweigeliana, in: DERS., Theologie und Frömmigkeit I, Marburg 1971, 54f. 113 Paradiss Gärtlein Voller Christlicher Tugenden / Wie dieselbige in die Seele zu pflantzen / Durch Andächtige / lehrhafte vnd tröstliche Gebet / zu ernewerung des Bildes Gottes / zur ubung des wahren lebendigen Christenthumbs [...], Magdeburg 1612 [Landes- und Forschungsbibliothek Gotha]. 114 SCHUBART (wie Anm. 15), 471; Christian BRAW, Das Gebet bei Johann Arndt, PuN 13 (1988), 9–24, hier 14f. [auch in: Makarios-Symposion über das Gebet. Vorträge der dritten Fin109 110
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die Vorrede Arndts zur Theologia deutsch sei »wohl entstanden aus diesem ursprünglich versprochenen Traktat: De constituendis scholis virtutum«.115 Doch in beiden Fällen handelt es sich um ganz abwegige Mutmaßungen. Denn von diesem Stoff enthält das ›Paradiesgärtlein‹ – abgesehen von dem Stichwort »Tugenden« – überhaupt nichts; die Vorrede zur Theologia deutsch kritisiert zwar das Disputieren im herkömmlichen Studienbetrieb, entfaltet aber kein Programm zur Aufrichtung von Tugendschulen. Jedenfalls hat das Thema Arndt lebenslang beschäftigt. In einer in Grubenhagen am 19. Sept. 1617 gehaltenen Landtagspredigt 116 schärfte er den versammelten Landständen die Errichtung von Schulen als drittes Fundament einer guten Politik ein. Er führt Beispiele aus den vier Monarchien (nach Dan 2) der Weltgeschichte an. Unter den biblischen Exempeln, die Arndt nennt, begegnen auch wieder die im ›Bericht von den Weisen aus Morgenland‹ erwähnten Belege Act 7 und Dan 1. »Die Persische Monarchi hat treffliche Schulen gehabt / welcher Praeceptorem vnd Alumnos man Magos die Weisen genen[n]et hat / daher die Weisen aus dem Morgenland kom[m]en seyn.«117
Auch hier weist Arndt nachdrücklich auf die Schulen als Tugend-Schulen hin: »Es bemühen sich jetzo vornehme weise Leute einen kurtzen Weg einzuführen118 / die Sprachen zu erlernen / ist recht vnd löblich / aber einen Weg zu finden / gottseligkeit vnd Tugend zu lernen / das were wol das rechte Fundament. Die Discipel Gelehrt zu machen / in Sprachen ist etwas / aber fromb vnd tugendhafft zu machen / ist das grösseste / dazu eben so wol Mittel vnd Wege seyn / als zu den Sprachen [...].«119
Ist auch das Bildungsziel (Gottseligkeit und Tugend) gleich geblieben, so ist doch die Kritik des Generalsuperintendenten Arndt moderater geworden; die eifernde Polemik der frühen Äußerungen findet sich nicht mehr. Dagegen verweist Arndt hier ausdrücklich auf Luthers »von Auffrichtung der Schulen« 120, also jene Schrift, von deren lateinischer Fassung er den Titel für sein einst geplantes Büchlein entlehnt hatte. nisch-deutschen Theologentagung in Amelungsborn 1986, hg. v. Jouko MARTIKAINEN und Hans-Olof KVIST, Åbo 1989, 132–157, hier 140f.]. 115 KOEPP (wie Anm. 12), 297. 116 S.o. Anm. 36. 117 Landtagspredigt (wie Anm. 37), Fij v. 118 Arndt zielt hier offenbar auf Vorschläge Wolfgang Ratkes (frdl. Hinweis von Theodor Mahlmann). Zu Ratke vgl. Theodor MAHLMANN, Johannes Kromayers Wirken für Schule und Kirche im frühen 17. Jahrhundert, PuN 20 (1994), 28–54, hier bes. 33–36 (Lit.). 119 Landtagspredigt (wie Anm. 37), Fiij r. 120 Ebd. Arndt verweist auf »2. Tom. Ienensi«. Er benutzte wahrscheinlich einen Druck der Jenaer Ausgabe von 1585 oder 1613, wo sich die Ratsherrnschrift fol. 454b–464b findet (= WA 15, 27–53).
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VI Von den zehn ägyptischen Plagen Besser als in den bisher behandelten Fällen stellt sich die Überlieferung im Blick auf eine vierte Schrift dar, die in der ›Ikonographia‹ angeführt wird. Die Erwähnung folgt unmittelbar auf die oben zitierte Stelle, an der Arndt auf sein ›Büchlein de origine sectarum‹ hinweist. Er variiert das ›Sekten‹-Thema noch einmal im Blick auf den Islam; auch »Mahomet und sein grosser Sieg« resultierten »aus einem falschen Glauben und Lehr / in welchen krefftige wirckung des Satans121 sein«.122 Im Blick auf die Ende des 16. Jahrhunderts wieder neu aufgeflammte Türkenbedrohung folgert Arndt: »Darumb mus diß Volck mit jrer Religion / so aus einem falschen Glauben geboren / nicht allein mit Büchsen / sondern mit einem rechten Glauben / darin Gottes kreffte wircken / und mit einem starcken / gleubigen und gewaltigen Gemüte / uberwunden werden / Wie Moses uberwant mit seinem Glauben / den Pharaonem / Wie in meinem Büchlein von den zehen Egiptischen plagen / so für dem ende der Welt / und entlichen erlösung der Kinder Gottes / Geistlicher weise wieder kommen sollen (wie denn albereidt Wasser in Blut verwandelt wird / wer es verstehet123) deutlich erkleret wirdt.«124
Von dem hier genannten »Büchlein« brachte der Frankfurter Verleger Christoph Leblon (le Blon)125 1657 eine Ausgabe heraus.126 In seiner Widmungsvorrede bemerkt er: »Dieweil aber mir diese gegenwärtige Predigten zu Handen kommen/ die meines Wissens / noch nie der Welt im Truck bekandt worden / hab ich dieses Kleynod nicht länger vorenthalten wollen.«127 Die Vorlage für den Druck bildete demnach ein Manuskript, über dessen Herkunft Vgl. die zuvor von Arndt angeführte Stelle II Thess 2,9.11. Ikonographia (wie Anm. 13), 48r. Eine ähnliche Sicht, nach der sich die geschichtliche Erscheinung Mohammeds aus der Spaltung des Christentums in mehrere Sekten erkläre, hatte schon Michael SERVET vertreten (Christianismi restitutio, 1553, 357). 123 Diese Bemerkung bezieht sich auf Arndts geistliche Auslegung der ersten Plage. In scharfer Sozialkritik geißelt er das Verhalten von »Herren vnnd Obrigkeit / die [...] ihre Vnterthanen beschweren vnnd als Leibeygen halten / jhnen schwere Dienste vnnd Arbeit thun müssen / wie die Kinder Jsrael in Egypten: Dadurch machen die Herren alle jhre Wasser zu Blut« (Plagen [wie Anm. 126], 21). 124 Ikonographia, 48r. 125 Vgl. Josef BENZING, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, AGB 18 (1977), 1077–1322, hier 1200. 126 Zehen Lehr= und Geist=reiche Predigten: Von den Zehen grausamen und schröcklichen Egyptischen Plagen / welche der Mann GOttes Moses für dem verstockten Könige Pharao in Egypten / kurtz vor dem Außzug der Kinder Jsrael / durch Gottes Würckung hat gethan: Was massen all solche Plagen geistlicher Weise vor dem Ende der Welt widerkommen / vnd über das Menschliche Geschlecht / insonderheit über die jetzt verstockte böse Christenheit / ergehen vnd verhänget werden sollen: Gehalten vnd geschrieben von JOHANN ARNDTEN / Weil. General Superintendenten deß Löblichen Fürstenthums Lüneburg, Franckfurt am Mayn / Bey Christoff le Blon: Jm Jahr M.DC.LVII. – 90 S. [SUB Göttingen; SStB Augsburg]; Auszug: KOEPP, Auswahl (wie Anm. 32), 25–37. 127 Plagen, 6. 121 122
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Leblon leider keine Angaben macht. Auf dieser Ausgabe beruhen Rambachs Abdruck des Textes128 sowie eine 1738 erschienene niederländische Übersetzung129. Das Buch enthält keine Vorrede Arndts130. Außer der Widmungszuschrift Leblons an die Herzöge August, Christian Ludwig und Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg enthält der Druck eine »Vorrede an den Christlichen Leser«131 sowie einen »Eingang Oder Anführung [Einführung] in folgende Geistreiche vnd fürtreffliche Predigten«132, die nicht von Arndt stammen, sondern von einem unbekannten Bearbeiter; auf ihn gehen wahrscheinlich auch die gedruckten Marginalglossen zu den Predigten zurück.133 Die Nennung der Schrift in der ›Ikonographia‹ bildet auch hier den terminus ante quem für ihre Abfassung. Darüber hinaus erlauben aber Angaben im Text eine genauere Datierung der Entstehungszeit: In der sechsten Predigt spricht Arndt von »dem newlichsten Erdbeben An. 1590 geschehen«134, in der vierten Predigt erwähnt er einen Kindesmord, der »Anno 1592. zu Quedlinburg geschach«135; in der siebten Predigt führt Arndt ein Beispiel aus »der KirchenHistorien Centuria 2.« an136, bei der es sich um den zweiten Band von Lukas Osianders ›Epitome historiae ecclesiasticae‹ handelt, der 1592 erschien137; in der dritten Predigt verweist er auf »das schröckliche Exempel der Besessenen zu Spandauw in der Marck« 138, das der Verfasser der Randglossen auf »An. 1595« datiert 139. Es ist das letzte sicher datierbare Ereignis, das in den Predigten erwähnt wird, das Jahr 1595 muß daher als terminus a quo für die gehaltenen Predigten erscheinen. Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke (wie Anm. 13), III, 479ff. Tien Geest- en Leerrijke predikatien over de grouwsame en schrikkelijke plagen in Egypten. In 't Nederduitsch uitgegeven door Zacharias Dezius. Amsterdam: Sam. Schoonwald 1738. 4°. – [Antiquariatskatalog]. 130 Die Angabe über eine datierte Vorrede bei SCHWAGER (wie Anm. 17), 117 Anm. 24, beruht auf einer Verwechslung mit der ›Ikonographia‹! 131 Plagen, 8f. 132 Plagen, 10–12. 133 Von Arndt wird in der dritten Person gesprochen: »der Autor dieser Zehen Predigten« (10), »vnser Autor« (11); die Predigten werden als »fürtrefflich« gelobt (10). Die Randglossen unterscheiden sich stilistisch von den Predigten. Ich verdanke diese Hinweise stud. theol. Thorsten Latzel. 134 Plagen, 55. 135 Plagen, 43. 136 Plagen, 67. 137 Lukas OSIANDER d.Ä., Epitome historiae ecclesiasticae Centuria Secunda, Tübingen 1592. Später empfahl Arndt das Werk Johann Gerhard zur Anschaffung: »Epitomen Historiae Ecclesiasticae Osiandri [...] ut emas et evolvas, auctor sum« (Erdmann Rudolph FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi [...], Leipzig 1723, 22). 138 Plagen, 38. 139 Plagen, 38 (am Rand). 128 129
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Schubart hat auf die zeitgeschichtliche Deutung der Frösche-Plage auf die Türken als Anhaltspunkt für die Datierung aufmerksam gemacht: »Es hat sich allbereyt diß Jahr eräuget: Dann das ist gewiß / daß etliche tausendt Tartarn mit Gewalt durch die Donaw geschwommen seyn / vnd haben ihre Säbel im Maul gehabt.«140
Er sieht hier einen Hinweis auf den 1595 neu aufgeflammten Türkenkrieg und meint, daß die Predigten demnach 1595 gehalten und 1595/96 gedruckt worden wären.141 Winter142, Koepp143, M. Schmidt144 und Braw 145 geben das Jahr 1596 als Entstehungszeit der Predigten an. Wallmann nennt das Jahr 1597 146, Brecht verlegt die Predigten gar in das Jahr 1598.147 Doch wenn Wallmann und Brecht die Predigten unter dem Eindruck einer Pestepidemie in Quedlinburg entstanden sein lassen,148 so handelt es sich dabei wohl um eine Verwechslung mit der ›Geistlichen Seelen-Arznei‹ (s.u.); denn die Pest wütete erst 1598 in Quedlinburg. Die vorliegenden Predigten weisen auch – gerade bei der Erörterung der 5. und 6. Plage »Von der Pestilentz« und »Von den bösen schwartzen Blattern« – keinerlei Beziehung auf eine aktuelle Seuche auf. Arndts Hinweis auf den Türkenkrieg ermöglicht vielleicht eine genauere Datierung. Auf welche Vorgänge er freilich anspielt, die sich »diß Jahr«149 ereignet hätten, ist nicht mit völliger Sicherheit zu ermitteln. Wahrscheinlich ist die Donauüberquerung durch türkische Truppen unter dem Großwesir Sinan Pascha gemeint, die Ende August 1595 bei Dschurdschewo stattfand. Nach der Eroberung von Bukarest und Tergowist wurden die Türken aber von dem Woiwoden Michael dem Tapferen bei Calugareni am 23. August 1595 und am 20. Oktober bei Giurgiu geschlagen und über die Donau zurückgedrängt. Darauf könnte sich Arndts Bemerkung beziehen:
Plagen, 26. SCHUBART, Ergänzungen (wie Anm. 15), hier 471f. 142 WINTER (wie Anm. 3), 19. 143 KOEPP (wie Anm. 12), 21 (unter Berufung auf Schubart!). 144 Martin SCHMIDT, Art. »Arndt, Johann«, TRE 4 (1979), 121–129, hier 124. 145 Christian BRAW, Bücher im Staube. Die Theologie Johann Arndts in ihrem Verhältnis zur Mystik, Leiden 1986, 200. 146 WALLMANN, Pietismus (wie Anm. 1), 16. Die Datierung in das Jahr 1597 ist nur dann möglich, wenn man annimmt, daß die Vorrede (19. Dez. 1596) vor der Abfassung des übrigen Werkes geschrieben wurde. 147 BRECHT (wie Anm. 1), 132. 148 Vgl. auch WALLMANN, Art. »Arndt, Johann«, in: Walter KILLY (Hg.), Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, I, Gütersloh-München 1988, 207–209, hier 208. 149 Mit dem Unterschied zwischen der Angabe »An. 1595« und »diß Jahr« darf man nicht argumentieren, da erstere eine nicht von Arndt stammende Randglosse darstellt. 140 141
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»Diß schröcklich Zeichen vnd Plage Egypti / so allbereyt kommen ist / will kein Mensch sehen / vnd ist allbereyt vergessen / nun wir ein wenig Lufft bekommen.«150
Diese Vorgänge erregten im christlichen Europa großes Aufsehen, und die neuesten Nachrichten wurden in zahlreichen Flugschriften verbreitet.151 Bezieht sich Arndts Anspielung auf diese Ereignisse, so ist »diß Jahr«, in dem die Predigten gehalten wurden, das Jahr 1595.152 Es gibt noch eine weitere Notiz, die für die Datierung der gehaltenen Predigten in Betracht kommt. In der Predigt über die erste Plage erinnert Arndt seine Zuhörer daran, »als am Andern Sonntag deß Advents die Lehre von den Zeichen des Jüngsten Tages gehandelt worden / ich vnter anderm dieser Zehen schrecklichen Plagen Egypti gedacht habe [...].«153
1595 war der 2. Advent am 7. Dezember. Da Arndt davon ausgeht, daß sich die Predigthörer noch an diese Erwähnung erinnern, kann der 2. Advent noch nicht allzulange zurückliegen. Zu bedenken ist ferner, daß über alttestamentliche Texte in den lutherischen Kirchen fast nur an Wochentagen sowie an Buß-, Fast- und Bettagen bzw. in den Buß- und Fastenzeiten gepredigt wurde.154 Bei Arndts Predigten über die Plagen handelt es sich auch ausgesprochen um Bußpredigten.155 Es legt sich nahe, an Predigten in der Adventszeit156 zu denken. Wenn die Bemerkung über die »diß Jahr« geschehene Donauüberquerung der Türken sich auf die Ereignisse des Jahres 1595 bezieht, hat Arndt die Predigten in der Adventszeit 1595 gehalten.157 Koepp hat auch diese Predigten in seine Konzeption einer Entwicklung Arndts vom Streittheologen zum Mystiker einzuordnen versucht. Er will hier die orthodoxe Lehre und »ethischen Rigorismus« finden, aber noch keine Mys-
Plagen, 26. Vgl. Carl GÖLLNER, Turcica. Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jahrhunderts, II (BBAur 23), Bukarest / Baden-Baden 1968, Nrr. 2122–2156. 152 Als weniger wahrscheinliche Alternative ließe sich an den Feldzug Mehmeds III. nach Ungarn im Jahre 1596 denken; am 23. Sept. 1596 eroberte er Erlau und am 26. Okt. schlug er das kaiserliche Heer bei Keresztes. Auch über diesen Feldzug berichteten zahlreiche Flugschriften (vgl. GÖLLNER, Turcica, II, Nrr. 2184–2279). 153 Plagen, 13. 154 Vgl. Walter RUPPRECHT, Die Predigt über alttestamentliche Texte in den lutherischen Kirchen Deutschlands (AzTh 2/1), Stuttgart 1962, 92–104. 155 Vgl. Plagen, 16, 29f., 42, 51, 58, 63, 65, 68f., 76, 85, 90. 156 Möglich wäre auch die vorösterliche Fastenzeit, doch legt der Rückverweis auf die Predigt am 2. Advent eine kürzere Zeitspanne nahe. 157 Falls die ›Ikonographia‹ (wie Anm. 13), deren Vorrede vom 19. Dez. (4. Advent) 1596 datiert, schon einen Druck der Predigten voraussetzte, wäre auch von daher ein zeitlicher Ansatz der Predigten in die Adventszeit 1596 nicht möglich. Vgl. dazu aber unten. 150 151
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tik.158 Das Fehlen mystischen Gedankenguts wird man einräumen müssen, wenngleich Wolfgang Sommer bei der Interpretation dieser Schrift159 zu Recht auf den zu beobachtenden »Prozeß der Verinnerlichung des eschatologischen Denkens« hingewiesen hat, »der zur Aufnahme mystischen Gedankengutes unmittelbar drängte«160. Deutlich nachweisbar ist aber in den Predigten paracelsistisches Gedankengut161, das als »esoterisches« Wissen behandelt wird: »Aber solches dienet nicht für den gemeinen Mann«, oder: »diß ist dem gemeinen Mann zu hoch / vnnd diß zuverstehen gehöret mehr darzu«.162
VII Die Geistliche Seelenarznei wider die Seuche der Pestilenz Im Jahre 1612 veröffentlichte Arndt sein »Paradiesgärtlein«163, eine Gebetssammlung, die in fünf Abteilungen (»Klassen«) Tugend-, Dank-, Kreuz- und Trost-, Amts- und Lobgebete vereint.164 In der III.165 Klasse (Kreuz- und Trostgebete) trägt das 28. Gebet den Titel: »Geistliche Seelen-Artznei wider die abscheuliche Seuche der Pestilenz und andere Strafen; in vier Capitel abgetheilt«.166 Schon Friedrich Arndt meint, daß hier Trostsprüche und Pestgebete Aufnahme gefunden hätten, die Arndt während einer Pestepidemie in Quedlinburg verfaßt167 und später in Eisleben beim dortigen Auftreten der Seuche überarbeitet168 habe. Schwager betrachtet die ›Geistliche Seelen-Arznei‹ sogar als den »Grundstock« des ›Paradiesgärtleins‹.169 Bei dem »Traktat« handele es sich um »kleine Andachten«170, um ein »Andachtsbuch in Pestzeiten«171. KOEPP (wie Anm. 12), 20f. Wolfgang SOMMER, Johann Arndt und Joachim Lütkemann – zwei Klassiker der lutherischen Erbauungsliteratur in Niedersachsen, JGNSKG 84 (1986), 123–144, hier 130ff. 160 SOMMER, 130, Anm. 21. 161 Vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndt als Paracelsist [s.o. in diesem Band]. 162 Plagen, 57. Vgl. auch die bezeichnende Aussage in dem erst lange nach Arndts Tod gedruckten Sendschreiben an Erasmus Wolffart (vor 1599): »Ist gnug für den gemeinen Mann / daß sie wissen / Christus sey ein wahrer Mensch / ohne Sünde vom heiligen Geist empfangen / aus der Jungfrauen Mariae Fleisch und Sahmen gebohren / sey eine Frucht ihres Leibes / gesalbet mit allen Gaben des Geistes und Krafft Gottes / nach seiner Menschlichen Natur [...]«, während die tiefere Erkenntnis über das »himmlische Fleisch Christi« den Theosophen vorbehalten bleibt (Johann Arndt, Das große Geheimnis des ewigen Wortes [...], o.O. 1676, 14f.). 163 S.o. Anm. 113. 164 Vgl. WINTER (wie Anm. 3), 56; KOEPP (wie Anm. 12), 73–76; SCHWAGER (wie Anm. 17), 23f. 165 Nicht: II. Klasse, wie SCHWAGER, 24, schreibt. 166 Auszug: KOEPP, Auswahl (wie Anm. 32), 43–47. 167 F. ARNDT (wie Anm. 4), 35 Anm. **. 168 F. ARNDT, 105. 169 SCHWAGER, 23 und 24. 170 SCHWAGER, 24. 158 159
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Wie in der Überschrift der Schrift begegnet medizinische Metaphorik (Arznei, Arzt, Heilbrunnen) auch in der Abhandlung; sie erfreut sich bei dem Mediziner172 Arndt großer Beliebtheit.173 So heißt es hier: »Da sollen wir in starkem Glauben betrachten, daß uns der Sohn Gottes von seinem himmlischen Vater gegeben ist zu einem Arzt, zu einem Heilbrunnen, zu einem Nothelfer, zu einer Arznei wider allen menschlichen Jammer und Elend, wider alle Krankheit und Seuche und wider den Tod [...].«174
Über die Ereignisse, die als Hintergrund für die Entstehung der Schrift namhaft gemacht werden, sind wir gut unterrichtet. Während Arndts Zeit als Pfarrer in Quedlinburg (1590–1599) wurde die Stadt im Jahre 1598175 von einer schweren Pestepidemie heimgesucht. Für Arndt war das eine seelsorgerliche Herausforderung. Im Zeugnis des Quedlinburger Ministeriums, das Arndts bei seinem Weggang nach Braunschweig im Juli 1599 über seine Amtsführung erhielt, heißt es: »Als im vorigen Jahre die Pest wüthete und er seinen Collegen176 auch verlor, hat er allein unter täglichen Lebensgefahren alle Arbeiten und Beschwerden ausgehalten und überstanden, von dem großen und allmächtigen Gott unterstützt und erhalten.«177
Arndt selbst berichtet über diese Vorgänge ausführlich in seinem Abschiedsschreiben an die Äbtissin des Stifts, Gräfin Anna zu Stolberg: »In der nechsten178 Pest / habe ich gethan / so viel menschlich und müglich gewesen / habe Niemanden abgeschlagen zu besuchen / der Mich drum gebethen / habe Ihm Rath und That gegeben / und den Vornehmsten meiner Verkläger179 geschrieben / weß Er sich in seiner Kranckheit solle verhalten / und da Er es begehrte / wolte ich zu ihm kommen / darauf Er mir geschrieben / Er wolte Mich / weil ich sonst viel zu thun / damit verschonen / dergleichen auch viel Leuthe mir sagen lassen / die sich meiner erbarmet / und ist sonderlich in den kleinen Häuserlein / so ein übel Stanck gewesen / daß die Einwohner selbst kaum dafür bleiben mügen / haben selbst bekennen müssen / weil ich den gantzen Tag in der grossen Hitze auf der Gossen in allen Winckeln kriechen und die Todten hohlen und drauf predigen müssen / es sey mir unmüglich alle Krancken zu besuchen / habe Ihnen derowegen ein Gebethlein gestellet / täglich nach der Predigt recitiret / Ihnen kurtze Trost-Sprüchlein eingebildet / die sie in ihren letzten bethen solten / habe sie täglich in allen Leichpredigten getröstet / und sie auf einem gewissen Spruch gewiesen / mit welchen sie einschlaffen solten / habe von Trinitatis biß Ebd. Vgl. dazu SCHNEIDER, Studienzeit. 173 Vgl. WChr I, 8,3–5.11.15; I, 11,9; I,27,9; I, 34, Überschr.; I, 34,5.9.13f.; I, 42,2; II, 1,Überschr.; II, 1,1f.6; II, 7,7; II, 9,9.17; II, 15,2; II, 45,1; II, 19,6. 174 Geistliche Seelen-Arznei, Kap. 4. 175 Nicht 1596, wie KOEPP, Auswahl (wie Anm. 32), 155, angibt. 176 Abel, der Diaconus an der Nikolai-Kirche. 177 Bericht (wie Anm. 61), 105f.; F. Arndt, 43f. 178 Kürzlichen, vor kurzem stattgefundenen. 179 Gemeint ist der Bürgermeister Paschasius Lüder. 171 172
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nach Michaëlis alle Tag geprediget NB und den gantzen Psalter durch und durch kurtz erkläret / habe sie häuffig zum H[eiligen] Abendmahl getrieben / habe sie alle besten Vermögens in der Beichte getröstet / was ich da allein für Mühe und für einen übelen Geruch ausgestanden von denen / die die Peste am Halse gehabt / weiß GOtt.«180
Handelt es sich, wie vielfach angenommen wird 181, bei dem »Gebetlein« und den kurzen Trostsprüchen, die Arndt nach seinen Worten verfaßt hat, um die ›Seelen-Arznei‹? Auch während Arndts Wirken als Pfarrer an der St. Andreas-Kirche in Eisleben (1609–1611) kam es in der Stadt zu einer Pestepidemie, an der 1610 und (nach Arndts Weggang) 1611 einige hundert Menschen starben.182 Vielleicht hat Arndt auch sein erstes Testament unter dem Eindruck des Massensterbens verfaßt.183 Koepp behauptet, daß Arndt die Gebete und Trostsprüche aber »bereits in Quedlinburg, dann auch in Eisleben in etwas anderer Form« während der Pestzeiten habe drucken lassen184, gibt dafür aber keine Belege an. Die Urausgabe von 1598 sowie Nachdrucke von 1610 und 1612 seien verschollen, der Druckort unbekannt.185 Arndt selbst erwähnt in seinem Rückblick auf die Quedlinburger Pestepidemie allerdings nicht, daß er »Gebetlein« und »Trostsprüche« habe drucken lassen. Auch über einen Druck der ›Seelen-Arznei‹ in Eisleben, der durch den dortigen Drucker Jakob Gaubisch186 hätte erfolgen können, wissen wir nichts. Erstmals ist die ›Seelen-Arznei‹ als Teil des ›Paradiesgärtleins‹ nachweisbar. Für die Annahme, daß dieses Teilstück aber bereits vor dem ›Paradiesgärtlein‹ verfaßt (wenngleich nicht gedruckt) ist, gibt es ein wichtiges Argument. Die Form des 28. Gebets der III. Klasse unterscheidet sich nämlich von allen anderen Stücken im ›Paradiesgärtlein‹. Schwagers Beobachtung, daß es sich 180 Arndt an Anna II. v. Stolberg, Quedlinburg, 1599 Jul 6; Druck: KETTNER (wie Anm. 16), Supplementa Nr. XL, 93–97 (fälschlich in das Jahr 1596 datiert); Philipp Julius REHTMEIER, Historiae Ecclesiasticae Inclytae Urbis Brunsvigae pars IV. Oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie Vierter Theil [...], Braunschweig 1715, 316–318; F. ARNDT (wie Anm. 4), 38–42; WINTER (wie Anm. 3), 13f. Vgl. F. ARNDT, 31–44, bes. 36ff.; KOEPP (wie Anm. 12), 26. 181 F. ARNDT, 35; S CHUBART (wie Anm. 15), 471; WINTER, 103 Anm. 25; BRAW, Gebet (wie Anm. 114), 14. 182 Vgl. WINTER, 45. Arndt erwähnt die Epidemie des Jahres 1611 in einem Brief an Johann Gerhard vom 29. Sept. 1611: »Post meum discessum pestis valde grassari coepit Islebiae« (Arndt an Johann Gerhard, Celle, 1611 Sep 29, StA Wolfenbüttel, 298 N 821). 183 WINTER, 45. Bericht (wie Anm. 61), 87–90; Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, III (wie Anm. 13), 593; F. ARNDT, 266–268. 184 KOEPP (wie Anm. 12), 74. 185 KOEPP, 297. 186 Bei ihm erschien 1609 Arndts Trostschrift auf Anton Machold und 1610 Arndts Leichenpredigt auf Christoph Körner (s.o. Anm. 11).
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hier um traktatähnliche »kleine Andachten«, um ein »Andachtsbuch«, handele, ist durchaus zutreffend. Schon die Aufteilung in vier Kapitel mit eigenen Überschriften weicht von der sonst üblichen Form der Gebete ab. Die ›Geistliche Seelenarznei‹ ist nach dem Erscheinen des Paradiesgärtleins und dessen zahlreichen Neuauflagen187 mehrfach als selbständiges Werk gedruckt worden. Eine Ausgabe kam in Nürnberg 1625 heraus;188 eine weitere Ausgabe erschien 1682189. Georg Meyer hat die zweite Auflage seiner ›Anleitung zum Täglichen Sterben‹, die 1709 in Königsberg gedruckt wurde, »bey dieser hin und her grassirenden Pestilenz-Seuche [...] mit Seel. Herrn D. Johann Arnds Geistlichen Seelen-Artznei [...] vermehret«.190
VIII Psalmenerklärung Als letzte der verschollenen Frühschriften Arndts bleibt noch eine vermutete Psalmenerklärung zu erörtern. Zwei Textstellen scheinen auf die Existenz einer frühen Auslegung des Psalters oder einzelner Psalmen hinzuweisen, die dann eine Vorarbeit zu der 1617 bei Tobias Steinmann in Jena erschienenen ›Auslegung des gantzen Psalter Davids‹ 191 darstellte. Der erste Beleg steht in der Vorrede zur zweiten Ausgabe des I. Buches des WChr 1606: »Denn wer nach dem Fleisch vnd nach der Natur lebt / der mus der Natur streiche leiden / vnd reitzet den Himmel vnd alle Creaturen wider sich Sap. 5. Wie ich solches im 121. Psalm vnd im andern Buch nottürfftig erkleret.«192
Das zweite Zitat findet sich in Arndts zweitem Testament (28. Jan. 1616), wo unter seinen »ausgegangenen öffentlichen Schriften« auch »der Psalter« erwähnt wird 193, obwohl die große Psalmenauslegung erst 1617 erschien. Aus diesen Hinweisen hat Winter schließen wollen, daß schon vor 1606 eine Psalmenerklärung Arndts herausgekommen sein müsse.194 Die Aufzählung Vgl. die (unvollständige) Übersicht bei KOEPP, 302–306. Heylsame Seelenartzney [...], Nürnberg: Caspar Fulden 1625 [Stadtbibliothek Nürnberg]. 189 Ausgabe mir nicht erreichbar. 190 Anleitung Zum täglichen Sterben / Durch Tägliche Betrachtung des Todes [...], Königsberg 1709 [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel]. Arndts ›Geistliche Seelen-Artznei‹ ist abgedruckt S. 376–425. MEYER gibt nicht an, ob er den Text dem ›Paradiesgärtlein‹ entnommen hat oder ob ein selbständiger Druck die Vorlage bildete. 191 Auslegung des gantzen Psalter Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...], Jena: Tobias Steinmann 1617. – Vgl. zu diesem Werk SOMMER (wie Anm. 3), 173–175. 192 Vier Bücher von wahrem Christenthumb. [...] Das Erste Buch. Auffs newe vbersehen / vnd gebessert. [...], Braunschweig: Andreas Duncker 1606, [9r]. [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 988.8 Th.]. 193 S.o. Anm. 61. 187 188
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»Postilla, Psalter und Catechismus« im zweiten Testament und diese Reihenfolge bei der Aufzählung der Werke legen aber nahe, daß Arndt dort an seine im Druck befindliche Postille denkt, die wohl im Frühjahr 1616195 herauskam und als Anhang die Katechismuspredigten enthielt, sowie an die Auslegung des Psalters, die er für den Druck vorbereitete und die erst im Sommer / Herbst 196 1617 erschien. Doch wie ist der Hinweis in der Vorrede zu Buch I des Wahren Christentums zu deuten? Koepp will ihn eher auf »eine traktatartige Erklärung des 121. Psalms oder einiger Psalmen« beziehen, die als verloren angesehen werden müßte.197 Eine interessante Beobachtung hat Inge Mager mitgeteilt.198 Sie weist hin auf wörtliche Übereinstimmungen zwischen Passagen im II. Buch von Wahrem Christentum mit der Psalterauslegung von 1617 und vermutet, daß Psalmenpredigten Arndts in das II. Buch von Wahrem Christentum eingeflossen seien. Sie führt folgende Beispiele an: WChr II, 5 II, 10 II, 16,1–9 II, 17 II, 35 II, 39 II, 43
Psalm 119 102 109 102 86 85 92
Psalterauslegung199 II,2, 209–211 II,2, 15–17 II,2, 103 II,2, 13–15 II,1, 624f. II,1, 612f. II,1, 689.
Doch wie soll man sich dieses Verhältnis genauer vorstellen? Für unsere Frage nach einer Psalmenauslegung vor dem Erscheinen des Wahren Christentums heißt das: Konnte Arndt im II. Buch schon auf gedruckte eigene Predigttexte zurückgreifen (die er dann später weitgehend unverändert in seiner Psalterauslegung von 1617 wieder abdruckte)? Wir wissen, daß Arndt 1598 während der WINTER (wie Anm. 3), 110 Anm. 77. Das Titelblatt gibt als Erscheinungsjahr 1616 an. Arndt hatte seine Widmungszuschrift bereits am 24. Juni (Johannistag) 1614 (!) verfaßt, während Johann Gerhards Vorrede vom 17. Sept. 1615 datiert ist. 196 Arndts Vorrede datiert vom 1. Jan. 1617, die Vorrede Johann Gerhard erst vom 1. April 1617. 197 KOEPP (wie Anm. 12), 76 Anm.1. 198 Inge MAGER, Gottes Wort schmecken und ins Leben verwandeln. Johann Arndts Schriftverständnis, Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen 24 (1992), 149–158, hier 155, Anm. 22. 199 Die Angaben Magers beziehen sich auf Johann Arnds Geistreiche Schrifften und Wercke, hg. v. Johann Jacob RAMBACH, II, Leipzig / Görlitz 1735. 194 195
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Pestepidemie in Quedlinburg in täglichen Gottesdiensten von Trinitatis bis nach Michaelis »den gantzen Psalter durch und durch kurtz erkläret«.200 Waren es diese Predigten, die in der verschollenen Psalterauslegung gedruckt wurden und auf die Arndt in WChr II zurückgriff und die er dann in die Psalterauslegung von 1617 übernahm? Doch die Zusammenhänge sind einfacher. In einem Brief an Johann Gerhard vom 19. Febr. 1607 schreibt Arndt: »Labores mei sunt explicatio Psalterii Germanica, qua me oblector: centum iam Psalmi absoluti.«201 Für diese Arbeiten an der Psalterauslegung hatte er sich im Jahr zuvor Salomon Gesners soeben erschienenen Psalmenkommentar gekauft.202 In demselben Brief berichtet er zuvor über den Fortgang der Arbeiten an seinen Büchern von wahrem Christentum: »Secundum absolvi«.203 Aus diesen Beobachtungen ergibt sich eine zweifache Folgerung: Zum einen macht die gleichzeitige Beschäftigung mit der Auslegung des Psalters und der Niederschrift des II. Buches von wahrem Christentum erklärlich, daß in diesem einige Stücke der Psalterauslegung, an der er arbeitete, wörtliche Aufnahme fanden. Zum andern wird die Annahme einer schon gedruckt vorliegenden Psalmenerklärung unwahrscheinlich. Es handelt sich offenbar um die Arbeiten an jenem Werk handeln, das erst zehn Jahre später im Druck herauskam; so sind die Übereinstimmungen mit WChr II am plausibelsten erklärbar. Es liegt von daher nahe, die Bemerkung: »wie ich solches im 121. Psalm notdürftig erkläret«, mit der Psalterauslegung in Verbindung zu bringen, mit der Arndt gerade beschäftigt war. Was soll dann aber der Hinweis auf eine noch ungedruckte Auslegung? Offenbar rechnete Arndt mit der zügigen Fertigstellung des Manuskripts und dessen baldiger Drucklegung. In dem genannten Brief an Gerhard kündigt er diesem die baldige Zusendung von Abschriften der ersten beiden »Dekaden« von Psalmen an.204 Dieser Zusammenhang läßt sich durch eine weitere Beobachtung untermauern: Der Hinweis auf die Erklärung von Ps 121 findet sich nämlich noch nicht in der Vorrede der Frankfurter Erstausgabe des I. Buches aus dem Jahre 1605.205 Sie begegnet erst in der Vorrede zur zweiten Ausgabe des I. Buches206, die im Frühjahr 1606 in Braunschweig herauskam. Der Hinweis auf Arndts
Brief Arndts an Anna II. von Stolberg, 1599 Jul 6 (wie Anm. 180). RAIDEL (wie Anm. 10), 79. 202 Vgl. die Liste der erworbenen Bücher bei F. ARNDT (wie Anm. 4), 61f. 203 RAIDEL, 78. 204 »Optarem descriptam primam et secundam decadem, ut videres saltem« (ebd.). 205 S.o. Anm. 6. 206 Vorhanden: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 988.8 Th. 200 201
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Auslegung von Ps 121 ist aber auffälligerweise in der dritten Ausgabe207 vom Herbst 1606 wieder verschwunden. Die Tilgung des Hinweises läßt sich am besten so verstehen: Arndt mußte erkennen, daß sich die Fertigstellung der Psalterauslegung und deren Drucklegung doch nicht so rasch bewerkstelligen ließen, wie er das zuvor angenommen hatte. Die Arbeiten an den Büchern von wahrem Christentum nahmen ihn offenbar so sehr in Anspruch, daß er mit der Psalterauslegung nicht vorankam. In einem Brief an Gerhard vom 7. Juni 1608, in dem er den Abschluß des Manuskripts des IV. Buches mitteilt, wiederholt er lediglich die frühere Aussage, daß er hundert Psalmen für die Predigt fertiggestellt habe und sehen wolle, ob er sie demnächst in Abschrift schicken könne.208
IX Das oben angeführte Zitat aus der Vorrede zur zweiten Ausgabe des I. Buches des WChr ist für das ganze Problem der »verschollenen« Frühschriften Arndts aber von viel weitreichenderer Bedeutung. Neben dem Hinweis auf die – geplante – Psalterauslegung verweist Arndt hier nämlich auch auf das II. Buch von wahrem Christentum: »Wie ich solches im 121. Psalm vnd im andern Buch nottürfftig erkleret.« Bekanntlich lag das zweite Buch, auf das Arndt den Leser hinweist, damals noch gar nicht im Druck vor; es erschien mit den Büchern III und IV erst im Jahre 1610; ja, es war sogar nicht einmal im Manuskript fertiggestellt. Erst am 19. Febr. 1607 konnte er Gerhard melden, daß die Niederschrift des II. Buches abgeschlossen sei.209 Daraus ergibt sich, daß Arndt in der Vorrede zur zweiten Ausgabe des I. Buches also auf zwei Werke hinweist, an denen er zwar arbeitete, die aber beide noch nicht vollendet waren, geschweige denn gedruckt vorlagen. Ähnlich verhält es sich mit anderen kontrollierbaren Hinweisen Arndts. Wie wir sahen, führt er in seinem zweiten Testament die Postille und Katechismus(predigten) auf, die sich noch im Druck befanden, sowie die Psalterauslegung, deren Drucklegung er vorbereitete. Auch sein ›Paradiesgärtlein‹, das erst 1612 erschien210, wird bereits in der zweiten Ausgabe des I. Buches von Vorhanden: UB Tübingen, Gi 1492. »Quartum libellum iam absolutum describo mundius, prima occasione missurus: mirabere. [...] Absolvi Psalmos iam centum pro concione; videbo, an proxime quosdam descriptos mittere queam« (RAIDEL [wie Anm. 10], 161–164, hier 162). 209 S.o. Anm. 186. 210 KOEPP (wie Anm. 12), 73, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß dies durch die Angabe im Titel der Ausgabe von 1615 »Die andere Editio« sichergestellt ist. 207 208
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wahrem Christentum (1606) angekündigt: »wie du solches in meinem BetBüchlein sehen wirst«211, und diese Voranzeige wird in der Vorrede zum III. Buch (1610) wiederholt: »so das Betbüchlein dazu kompt«212. Diese Beobachtungen liefern den Schlüssel für das Problem der ‹verschollenen‹ Frühschriften, die Arndt in der ›Ikonographia‹ erwähnt. Die Hinweise Arndts haben die Forschung seit Winter und Koepp zu der Auffassung verleitet, daß es sich bei den dort von Arndt genannten Titeln um bereits gedruckt vorliegende Schriften handelte. Dies ist jedoch, wie die zuletzt erörterten Beispiele eindrücklich zeigen, eine keineswegs zutreffende Annahme. Entsprechend dem Hinweis auf die vorbereitete Psalmenauslegung und das gleichfalls noch in Arbeit befindliche II. Buch von wahrem Christentum sowie das geplante Paradiesgärtlein lassen sich auch Arndts Erwähnungen von ihm verfaßter Schriften in der ›Ikonographia‹ (s.o.) verstehen: Die Bemerkung »Wie in meinem Büchlein von den zehen Egiptischen plagen [...] deutlich erkleret wirdt« weist keineswegs auf einen bereits vorliegenden Druck, sondern auf sein Manuskript der gehaltenen Predigten, dessen Veröffentlichung er beabsichtigte. Die Wendung ist zu deuten als »erkleret werden wirdt«. »Wie ich in meinem Büchlein de antiqua Philosophia ferner meldung thu/ Auch in dem Tractatu de Magis ex oriente« ist ähnlich zu verstehen: »Wie ich zu tun vorhabe«. Analog ist auch die Aussage »wie in meinem Büchlein de origine sectarum gründtlich erwiesen wird« zu lesen als »erwiesen werden wird«. Diese Deutung ist im Falle einer Schrift ganz deutlich, die Arndt ausdrücklich als geplantes Projekt bezeichnet: »Wie ich in meinem Büchlein de constituendis scholis virtutum ferner berichten wil«. Für diese Lösung des Problems der »verschollenen« Frühschriften Arndts können noch weitere Beobachtungen als zusätzliche Argumente angeführt werden: Anders als bei den Predigten über die zehn ägyptischen Plagen lagen für die anderen »Büchlein« offenbar noch keine fertigen Manuskripte vor, sondern Arndt nannte nur Projekte. Dies kann im Fall des Traktats ›De antiqua philosophia‹ durch die Erwähnung in WChr I wahrscheinlich gemacht werden. Die 211 WChr I, 42,5. BRAW, Gebet (wie Anm. 114), 14f., schreibt unter Bezug auf diese Stelle: »Schon im Ersten Buch des wahren Christentums (1605) weist Arndt auf sein ›Betbüchlein‹ hin« und folgert daraus: »vermutlich gab es eine nun verschollene Ausgabe vor 1605«. In der Erstausgabe des I. Buches findet sich aber das 42. Kapitel noch gar nicht, sondern erst in der zweiten (ersten Braunschweiger) Ausgabe. Daß es sich um eine Vorankündigung handelt, geht aus WChr I, 42,6 hervor, wo Arndt den Leser auf ein Tractätlein vom Gebet im folgenden (noch nicht erschienenen II.) Buch verweist, das einen Vorgeschmack seines (zu erwartenden) Betbüchleins geben könne. Mit dem Tractätlein vom Gebet ist Weigels Betbüchlein gemeint, das in WChr II, 34 aufgenommen wurde; vgl. WEBER (wie Anm. 6), 72. 212 WChr III, Vorr., 2.
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dort begegnende Bemerkung: »Davon in dem Traktat de antiqua philosophia, von der alten Philosophie, weiter«, soll wohl heißen: »Davon will ich in dem Traktat weiter handeln«. Auch der Umstand, daß die in der ›Ikonographia‹ angekündigten Inhalte des Traktats (Naturphilosophie) bei seiner Erwähnung in WChr I nicht mehr begegnen, kann ein Indiz dafür sein, daß es den Plan zu einer Abhandlung, aber noch kein ausgearbeitetes Manuskript gab. Zu demselben Schluß führt die Beobachtung, daß die zentralen Stichworte in der später von Gerhard abgedruckten Thesenreihe in Arndts Schriften vor 1597 fehlen und ihm erst danach zu Schlüsselbegriffen wurden.213 Bezeichnenderweise fehlt der Hinweis auf den Traktat noch in der Frankfurter Erstausgabe 1605 des I. Buchs von wahrem Christentum; erst bei der Überarbeitung hat sich Arndt offenbar an sein früheres Projekt erinnert und es wieder aufgenommen. Dieser Traktat ist aber auch danach nie im Druck erschienen. Wenn die Thesen in Gerhards ›Aphorismi sacri‹ (1616) aus einer im Druck vorliegenden Abhandlung stammten, wäre es höchst ungewöhnlich, daß Gerhard sie ohne Titelangabe aufführte; ihm lag also offenbar ein titelloses Manuskript Arndts vor. Wie wir sahen, kann es sich bei den Thesen auch nicht um einen vollständigen Traktat handeln. Die übrigen in der ›Ikonographia‹ genannten Schriften wurden von Arndt überhaupt nie mehr erwähnt. Der in die ›Postilla‹ aufgenommene ›Bericht von den Weisen aus dem Morgenland‹ läßt sich am besten als Vorarbeit zu dem geplanten Traktat erklären, die Arndt »in der Schublade« hatte und hier einfügte. Einige abschließende Beobachtungen sollen die Argumentationsreihe abrunden: Keine einzige der »verschollenen« Frühschriften ist in den Meßkatalogen der Frankfurter und Leipziger Buchmessen angezeigt worden. Ferner müßten sie – falls sie wirklich zum Druck gelangt wären – schon früh sämtlich verloren gegangen sein. Das ist bei Traktaten, die in geringer Auflagenhöhe gedruckt wurden, nicht unmöglich, aber angesichts des schon bald einsetzenden Interesses an Arndt und der Kontroversen um sein Werk doch sehr unwahrscheinlich. Zudem ist keine einzige Äußerung von Freunden oder Gegnern Arndts bekannt – weder zu Arndts Lebzeiten noch in den Jahrzehnten nach seinem Tod –, die auch nur eine der Frühschriften anführte. (Auch vor dem Druck der Predigten über die ägyptischen Plagen 1657 gibt es keinen Hinweis auf sie, und der Verleger betont ausdrücklich, daß sie »meines Wissens / noch nie der Welt im Truck bekandt worden«214.) Ebensowenig hat je ein Autor, der über Arndts literarisches Werk schrieb, auch nur eine dieser 213 214
S.o. S. 163. S.o. Anm. 127.
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Schriften zu Gesicht bekommen. Einzig die Hinweise Arndts haben die Existenz nun ‹verschollener‹ Frühschriften vermuten lassen. Die von Arndt genannten Titel haben zu manchen Spekulationen Anlaß gegeben, und Wilhelm Koepp hat sie mit seiner Konzeption einer theologischen Entwicklung vom orthodoxen Streittheologen zum Mystiker verknüpft.
X Als Ergebnis unserer Untersuchung ergibt sich also: Bei den angeblich »verschollenen« Frühschriften Arndts handelt es sich um Publikationsprojekte, die nie (oder im Falle der Predigten von den ägyptischen Plagen: nicht zu Lebzeiten Arndts) im Druck erschienen sind. Das erste Werk, das er im Druck veröffentlichte, war die ›Ikonographia‹. Neben den sehr viel später posthum gedruckten ›Zehn Predigten über die zehn ägyptischen Plagen‹ und der von Arndt selbst in den Druck gegebenen ›Ikonographia‹ sind aber seine Hinweise auf den Inhalt der geplanten Bücher und deren erhaltene Spuren gleichwohl recht aufschlußreich. Sie ermöglichen einige Rückschlüsse auf Arndts Interessen und seine theologische Entwicklung. Erkennbar wird eine beachtliche Kontinuität in den theologischen Themen und Motiven. Schon in seinen frühen literarischen Äußerungen ist die Nähe zur spiritualistischen Tradition deutlich; besonders tritt der paracelsistische Einfluß hervor, der sich dann über die Bücher von wahrem Christentum bis zu Arndts letzten Zeugnissen durchhält. In einem Punkt freilich hat Koepp eine zutreffende Beobachtung gemacht: Ein nennenswerter Einfluß mystischen Gedankengutes ist in den frühesten Zeugnissen noch nicht zu bemerken. Die nachhaltige Wirkung der Mystik auf Arndt beginnt erst mit seiner Entdeckung der Theologia Deutsch, die sich ziemlich genau datieren läßt. Doch das ist ein neues Thema.215
215 Meinem Marburger Kollegen Theodor Mahlmann danke ich dafür, daß er die Entstehungsphasen des vorliegenden Aufsatzes mit stetem kritischem Interesse begleitet hat. Während ich zunächst an der Annahme gedruckter Frühschriften noch festhalten wollte, ermutigte er mich, die immer stärker aufkommenden Zweifel an einer tatsächlich erfolgten Veröffentlichung zum heuristischen Prinzip zu machen. Herrn cand. theol. Thilo Daniel danke ich für die Überprüfung von bibliographischen Angaben und Zitaten.
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Beilage I De antiqua philosophia [?] 216 1. Ut in omnibus artibus et disciplinis usus et praxis diligenter urgenda et adhibenda, ita inprimis in theologia et studio theologico. 2. Praxis a[utem] theologiae est exercitium fidei et vitae Christianae seu sincerae pietatis. 3. Improbandum igitur studium theologicum est, quod in nuda saltem theoria versatur et in artem disputatricem prorsus abit. 4. Nil enim iuvat doctrinae puritas, si non commendat vitae sanctitas. 5. Fidei sinceritas vigilantissimis oculis est custodienda, et vitae sanctitas gravissimis hortatis est propaganda. 6. Plus est hominem reddere pium quam literatum. 7. Doctrinam Christi multi sunt professi, pauci vitam. 8. Plurimum autem iuvant vitam spiritualem regulae seu axiomata sacra217, quibus insunt igniculi singularis sapientiae et pietatis. 9. Colligendae igitur sunt et fideli memoria retinendae, ut sint remedium affectuum et stellulae quaedam micantes in tenebris, vitam et actiones nostras in omnibus negotiis dirigentes. 10. Intellexerunt hoc saniores ethnici. Antiquissimi enim philosophi eiusmodi ludos literarios aperuere, in quibus non linguas saltem nudas nec artium solas theorias nec virtutum ethicarum notitiam tantum tradiderunt, chartis et membranis excipiendas: verum cum dulcedine linguarum sapientiam, tum ipsis artibus praxin et usum, cum virtutum descriptionibus, virtutum exercitia instillaverunt, adhibuerunt, exercuerunt. 11. Inprimis vero et assuefecerunt animos adolescentum ad deorum cultum et ad viva virtutum exercitia, iustitiae, nimirum, prudentiae, temperantiae, modestiae, fortitudinis, liberalitatis, patientiae, mansuetudinis atque adeo non linguam illi, sed mentem instruxerunt, et quasi refinxerunt. 12. Rediit aliquando ex ludo quodam philosophico ad patrios lares discipulus quidam, in philosophia practica institutus, is cum haberet parentem ad iracundiam procliviorem et ab eo ob rem leviculam indigne coesus esset, interrogatus a patre furioso: Ecquid tandem didicisti apud philosophum praeceptorem tuum? Hoc, inquit, charissime pater, didici, ut iram tuam quam patientissime S.o. Anm. 31f. Ein Manuskript Arndts mit dem Titel ›Axiomata selectoria insigniora Sanctorum patrum, continentia regulas fidei et vitae christianae, ad vitam spiritualem comparandam accomodata, explicata et praelecta in schola Cellensi 1611 22. Julii a Joh. Arndio superintendente‹ befand sich nach der Angabe F. ARNDTS (wie Anm. 3), 123f. Anm.*, noch 1838 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha; Koepp (wie Anm. 12), 71, 298, konnte es nicht mehr finden. 216 217
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ferre possim. Imperator quidam philosophiae deditus, aliquando in arumnas et exilium coniectus, irrisus a barbaro quodam et interrogatus: Quid iam philosophia tua tibi prodest? Hoc, inquit ille, mihi prodest, ut utramque fortunam aequo animo ferre queam. Videtis praxin fortitudinis philosophicae.218 13. Quin, quod admirationem non exiguam meretur in hominibus ethnicis ad contemtum mundi divitiarum et voluptatum discipulos suos assuefecerunt. 14. Haec est antiqua illa philosophia, quam Pythagoras, quam Socrates, quam Plato, quam Epictetus, quam septem illi Graeciae sapientes219 professi sunt, imo non professi solum, sed quam in ludis suis opere ipso exercuerunt. 15. Conferantur iam huius saeculi mores cum hisce ethnicis. Illis omnino persuasum fuit, eruditionem philosophicam, hoc est, studia sapientiae, sine religione, sine deorum cultu, sine praxi virtutum consistere non posse. Plerique autem nostro saeculo, religionem, pietatem, virtutem, postremo loco collocant, imo prorsus negligunt et contemnunt et ad nullius virtutis Christianae praxin et exercitium sese assuefaciunt. 16. Ignorant igitur, quid sit virtus, quid timor Dei, quid humilitas, quid charitas, quid patientia, quid mansuetudo. Etenim virtutes omnes ita sunt comparatae, ut nemo illas sine serio exercitio vel intelligat, vel possideat, quemadmodum florum odores et aromatum sapores sine usu et gustu non percipiuntur. 17. Neglecta igitur pietate, infelices studiorum eventus sequi, pessimo fine claudi necessum est: exemplo sunt illustres quidam philosophi nostro saeculo, qui linguarum cognitione, eloquentia delitiis comicis, acumine logico critico, peritia politica, cum quovis veterum philosophorum doctissimo certare possint; verum navem studiorum suorum praeclarissimis et aureis mercibus onustam, ad Syrtes et scopulos impietatis et apostasias ita alliserunt, ut in ipso portu fecerint naufragium. 18. Hinc divus Lactantius, non tam eleganti similitudine, quam gravi ratione, impietatem gentium redarguens, divinam asserit providentiam, hac insigni sententia: Quis non sentiat hunc mundum tam mirabili ratione perfectum aliqua providentia gubernari? Quandoquidem nihil est, quod possit sine ullo moderatore consistere; sic domus ab habitatore deserta, dilabitur: malus sine guberna-
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Zum Motiv vgl. CORLSON, Pagan Examples of fortitudo, Classical Philology 1948, 93–
104. 219 Die sieben Weisen: Thales, Bias von Priene, Pittakos von Mytilene, Solon sowie (wechselnd) Periandros, Epimenides, Anacharsis, Cheilon oder andere. Vgl. Bruno SNELL, Leben und Meinungen der sieben Weisen (TuscBü), München 41971. Sebastian FRANCK, Chronica Zeitbuoch vnnd Geschichtbibell [...], Ulm 1536 [Reprint Darmstadt 1969], xxviij–xxx, nennt Thales, Solon, Chilon, Bias, Pitteus, Cleobulos und Periander.
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Johann Arndts ›verschollene‹ Frühschriften
tore abit pessum et corpus relictum ab anima defluit: tantam igitur molem aut construi sine artifice aut stare sine rectore tamdiu posse, quis existimabit?220 19. Unde sic concludimus, si ingens haec machina mundi sine gubernatore dilabitur, multo magis hominum studia, actiones et consilia, ni Deum habeant moderatore, pessum eunt et eventum sortiuntur tristissimum. 20. Intellexit hoc princeps poetarum Homerus, quando canit: – – qew=n a)e/khte te/thkto A)qana/twn t% ou)te polu\n xro/non e)m / pedon h(e / n. 221 Diis invitis hoc factum est immortalibus, igitur non ad multum tempus firmum duravit. 21. Fundamentum igitur verae eruditionis sit pietas, timor et agnitio vera Dei, seria invocatio et gratia spiritus sancti, sine quibus studia literarum infaustissima esse, tristissimo fine claudi, experientia confirmat. 22. Posside, inquit sapientissimus rex222, fili mi, sapientiam et glorificabere ab ea, et cum eam fueris amplexatus, dabit capiti tuo augmenta gratiarum, et corona inclyta te ornabit.223
Beilage II Bericht von den Weisen aus Morgenland / wer sie gewesen / und was jhre Kunst gewest sey.224 Allhie haben wir Vrsach zu reden / von den Weisen / vnd jhrer herrlichen Kunst: Sie werden Magi genannt / dz ist / Erforscher / Ergründer / der göttlichen vnd natürlichen Weißheit / Indagatores, investigatores sapientiae divinae & humanae: Dz heissen eigentlich Magi: nicht wie man im bösen Verstande diß Wort jetzo brauchet / daß man die Teuffelskünstler Magos nennet / die man billicher Diabolicos nennen solte: Denn diese Kunst / die man im rechten Verstande Magiam nennet / wie sie [125v] gewust haben / Joseph in Egypten / Daniel in Persia / Salomon in Judaea / die Weisen im Morgenlande / diselbe gehet aus Gott / vnd aus dem H. Geist / vnd nicht aus dem Teuffel: Denn alle Weißheit ist von Gott / vnnd ist bey jhm ewiglich / vnnd alle gute vollkommene Gaben komen von oben herab / vom Vater des Liechts.225 Pro220 221
Lactantius, Divinae institutiones, III, 20 (PL 6, 416; CSEL 19, 247). Homer, Ilias XII, 8f. Das Zitat lautet genau: qew=n d'a)e/khte te/thkto a)qana/twn, to\ kai\
ou( ti polu\n xro/non e)m / pedov h(e / n.
Scil. Salomo. Prov 4,7–9. 224 S.o. Anm. 50. 225 Jak 1,17. 222 223
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verb. 2. So du die Weißheit suchest wie Silber / vnd erforschest sie wie Schätze / als denn wirstu Gottes Erkenntniß finden / denn der HErr gibt Weißheit vnd aus seinem Munde kömpt Erkenntniß vnd Verstand.226 Was aber die Weißheit oder Magia eigentlich sey / lehret vns der hochweise König Salomo Sap. 7. da er spricht: Gott hat mir geben durch die Weißheit / gewisse Erkenntniß alles Dinges / daß ich weis / wie die Welt gemacht ist / vnd die Krafft der Elementen / der Zeit Anfang / Mittel vnd Ende / wie der Tag zu vnd abnimpt / vnd wie dz Jahr sich endert / wie das Jahr herumb leuffet / wie die Stern stehen / die Art der zahmen vnnd wilden Thier / wie der Wind so stürmet / vnnd was die Leute im Sinn haben / mancherley Art der Pflantzen / vnd Krafft der Wurtzeln / Ich weis alles was heimlich vnd verborgen ist / denn die Weißheit so aller Kunst Meister ist / lehret michs.227 Diß ist die rechte Beschreibung der Weißheit / so diese Weisen aus Morgenland gewust habe / daraus wir sehe / was es für Leute gewest seyn / vnd was jre Kunst gewest. Die herrlichsten Leute vnter dem Volck Gottes haben diese Kunst gewust: Der Ertzvater Jacob / wie seine bunte Stebe228 bezeugen: Joseph / wie seine Auslegung der Treume Pharaonis229 bezeugen: Salomon / dessen Weißheit grösser gewesen230 / denn aller Magorum in Egypten / vnd gegen Morgen in Persia: Der Prophet Daniel / als er dem Könige Nebucadnezar seinen Traum / den er vergessen / wieder fand vnd jhn auslegte / darüber alle Weise zu Babylon vmbbracht weren / wo Daniel nicht für sie gebeten / vnd den Traum wieder funden231: Die Königin aus Reich Arabia / welche gen Jerusalem kam Salomons Weißheit zu hören / vnd jhn mit retzeln zu versuchen232 / welches nicht lose Possenretzel gewesen / sondern die aller verborgensten tieffesten Geheimniß der natürlichen Weißheit / denn sie hat den König solche hohe verborgene Ding nicht fragen können / er hats jhr alles gesagt: Nach dieser Kunst ist Plato in Egypten gereiset / vnd dieselbe allda bey den Egyptiis Sacerdotibus studieret 233: Aus Egypten ist auch die Astronomie oder Sternkunst kommen / vnnd seynd noch Reliquiae dieser Kunst. Solche hohe vortreffliche Leute sind diese Weisen gewesen aus Persia vnd Arabia: Daß sie aber von der ersten Kirchen für Könige gehalten sind / hat diese Prov 2,4–6. Sap 7,21. 228 Vgl. Gen 30,37–41; 31,10ff. 229 Vgl. Gen 41,21ff. Vgl. Ikonographia, 34v. 230 Vgl. I Reg 10,23; II Par 9,22. 231 Vgl. Dan 2. Vgl. Ikonographia, 34v. 232 Vgl. I Reg 10,1. 233 Zu der (historisch unsicheren) Ägyptenreise Platos vgl. J. BIDEZ, Eudoxe de Cnide et l’Orient, Acad. Belg. 1933, XIX, 5. serie, 195ff. 226 227
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Vrsach: Daß jhre Künste / königliche Künste gewesen seyn / welche niemands anders ist offenbaret worden / dann den Königen vnnd jhren Kindern vnd Geschlechten: Fuerunt enim Regiae scientiae, nobiles & generosae: Die für das gemeine Volck nicht dienen / so nicht sonderliche tugenthaffte vnd edele Gemüter haben / vnd derentwegen zum Regiment vntüchtig seyn: Denn zu dieser Kunst haben sie sonderliche königliche Schulen gehabt / da die so königliches Geschlechtes gewesen seyn / in dieser Weißheit erzogen seyn / wie in Actis von Mose stehet: Dieweil man in demselben ein sonderliches hohes Gemüt vnnd Ingenium gespüret / vnd jn nu die Tochter Pharao zu einem Sohn erwehlet hatte / darumb ist er in der königlichen Schul aufferzogen worden in aller Weißheit der Egypter.234 Es ist niemand in Persia zum Regiment kommen / er hat müssen bey den Magis in die Schule gehen. Gleich wie auch Daniel vnd seine Gesellen / da der König zu Babel befahl / daß man aus den gefangenen Kindern Israels auslesen solte Knaben vom königlichen Stam / vnd Herren Kinder / die nicht gebrechlich weren / sondern schöne / vernünfftig vnd weise / die solten lernen Chaldeische Schrifft vnd Sprache / vnnd in der königlichen Schule aufferzogen erden / vnnd denn des Königs Diener [126r] werden:235 Da gab jhn Gott Kunst vnd Verstand in allerley Weißheit / Daniel aber gab Gott Verstand in allerley Gesichten vnd Treumen. Vnd da sie nu des Königes Diener werden solten / examinieret vnnd fraget sie der König / was sie in der königlichen Schule gelernet hetten / vnnd er fand sie in allen Sachen die er fraget / zehen mal klüger vnd verstendiger / denn alle Sternseher vnnd Weisen im gantzen Reich:236 Das sind die königlichen Schulen und Künste vor Zeiten gewesen. Darumb die Scribenten / die das verlachen / daß man die Weisen aus dem Morgenlande für Könige gehalten hat / bedencken solten / daß man solche hohe Weißheit / nicht einen jeden Bawrenknecht gelehret hat / sondern denen die königlichen Gemütes / vnnd Geschlechts gewesen seyn: Vnnd solche Leute haben vor Zeiten die Königreiche / Land vnnd Leute regieret: Nam haec sapientia non cadit in ignobiles, sed & in generosos animos: Diese herrliche Weißheit ist nu zu vnser Zeit erloschen: Daher ein sehr gelehrter Philosophus diese Verslein gemacht hat: Illa Nabatheae praeclara scientia gentis, Persia qua celebris fuit, & Memphitica tellus, Fugit, post fugam vix nomina nota reliquit.
Vgl. Act 7,21f. Vgl. Dan 1,3f. 236 Vgl. Dan 1,17–20. 234 235
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Cicero in libro de divinatione sagt: Magi peculiare genus sapientissimorum hominum fuere.237 Dieweil nu diese Weisen / mit einer solchen hohen Weißheit / Kunst / vnd Vorstande von Gott sind begabet gewesen / vnnd auch darinnen erzogen / so haben sie den Stern / so jhnen erschienen / auch gründlich verstehen können / denn es sind viererley an demselben in acht zu nehmen. 1. Ists ein newer Stern gewesen. 2. Eine Stella regia, ein königlicher Stern. 3. So ist er vbernatürlich gewesen. 4. So hat er in seinem Lauff eine gewisse Region / Land vnd Volck bezeichnet. Daraus sie geschlossen: Weils ein newer Stern gewesen / vnd ein königlicher Stern / welchen Stern sie wol zu unterscheiden gewust / das er ein newgebornen König bedeute: Vnnd dieweil er mit seinem Motu vnnd Lauff / ein gewisses Volck / nemlich das Jüdische Land andeutet / so mus er einen newgebornen König der Jüden bedeuten / vnd weil der Stern so vbernatürlich / so mus der / welchen er bedeutet / mehr denn ein Mensch seyn / vnd vber die Natur / ein wahrer Gott / darumb sagen sie / Wir sind kommen jhn anzubeten:238 Ist derwegen vngewiß / daß sie solten die Prophecey Danielis von den 70. Jahrwochen239 vnnd Bileams / von dem Stern so in Jacob auffgehen solt240 / gewust haben / sonsten hetten sie sich darauff beruffen / vnd mit den Jüdischen Praelaten sich darüber befraget: Das thun sie aber nicht / sondern sie beruffen sich auff den Stern / vnd auff jhre Kunst vnnd Auslegung / daß es ein newer königlicher Stern sey / vn bedeute ein newgeborne König der Jüden241 / denn weil Christus vber die Natur war / so gehört er nicht vnter die natürliche Astronomiam242, sondern muste einen vbernatürlichen Stern haben / die Weisen haben wol verstanden / daß der / so durch diesen Stern bedeutet ist / nicht vnter die natürliche Astronomiam gehörte / darumb müste er mehr seyn denn ein ander Mensch.
237 Die Stelle (Cicero, De divinatione I, 46 und 90) führt (genauer) auch Martin CHEMNITZ, Harmonia evangelica [...], Frankfurt/M. 1593, zu Mt 2 an: »Cicero, lib. 1 de divinat. Magi genus sapientum & doctorum habebatur in Persis. Et sub finem: In Persis augurant et divinant Magi, qui congregantur in fano commentandi causa, & inter se colloquendi« (Frdl. Hinweis von Theodor Mahlmann). 238 Mt 2,2. 239 Vgl. Dan 9,24ff. 240 Vgl. Num 24,17. 241 Vgl. Mt 2,2. 242 Vgl. Arndts Sendschreiben an Erasmus Wolffart (wie Anm. 160): »Darum ist er [Christus] vom Hl. Geist empfangen über die Natur, ist keiner Natur- und Sternkunst unterworfen«.
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Johann Arndts ›verschollene‹ Frühschriften
Nachtrag In dem Katalog der Rosenkreuzer-Ausstellung243 hat Carlos Gilly jüngst einen Handschriftenfund vorgestellt, den er als eine Abschrift (aus dem Jahre 1631) von Arndts verschollener Schrift ›De Antiqua Philosophia‹ betrachtet, in der »Arndt sein hermetisch-paracelsisches Weltbild zusammenfasste«244. Der Titel des anonymen Manuskripts, das 1692 von der Universität Helmstedt zusammen mit anderen theosophischen Handschriften erworben wurde und sich heute in Wolfenbüttel befindet245, trägt den Titel: ›De Antiqua Philosophia: Et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda246, deque Vanitate247 Scientarum et artium huius Seculi Oratio 1631.‹ Die im Katalog mitgeteilten Zitate lassen eine grundlegende Übereinstimmung mit den Ansichten Arndts erkennen. Schon die eingangs vorgebrachte Kritik an »denen auff Pappier beschriebenen Büchern« stimmt mit den Bemerkungen bei der Erwähnung des Traktats in der ›Ikonographia‹ überein. Es fallen aber auch gegenüber anderen Arndt-Schriften sprachlich-stilistische Besonderheiten auf. Eine endgültige Entscheidung, ob es sich um Arndts Traktat oder eine Schrift gleichen Titels von einem anderen Autor handelt, läßt sich erst nach genauer Untersuchung des gesamten Textes treffen. Auch wenn diese noch ausstehende Prüfung die Verfasserschaft Arndts wahrscheinlich machte, würde davon die These nicht berührt, daß die »verschollenen« Frühschriften nicht zum Druck gelangten. Die Wolfenbütteler Handschrift wäre dann neben der Druckvorlage der Predigten über die ägyptischen Plagen ein weiteres Indiz dafür, daß offenbar Abschriften von ungedruckten Arndt-Texten in interessierten Kreisen verbreitet waren. Welcher Art diese Kreise waren, zeigen die anderen theosophischen Handschriften, mit denen zusammen das Manuskript von der Universität Helmstedt gekauft wurde.
243 Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke. Ausstellung der Bibliotheca Philosophica Hermetica Amsterdam und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Amsterdam 1995. 244 Cimelia, 15. 245 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 912 Novi 4°, ff. [1–27]. – Cimelia Nr. 13, Abb. 13 und 13a. 246 Die Titeltransskription im Katalog (»recuperata«) ist zu korrigieren. 247 Die Titeltransskription im Katalog (»Veritate«) ist zu korrigieren. Es handelt sich um eine Anspielung auf die gleichnamige Schrift Agrippas von Nettesheim, die Arndt auch in seiner Ikonographie (36r) namentlich zitiert.
JOHANN ARNDTS ›VIER BÜCHER VON WAHREM CHRISTENTUM‹. OFFENE FRAGEN DER QUELLEN- UND REDAKTIONSKRITIK Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ 1 sind – abgesehen von der Bibel und Luthers Kleinem Katechismus – das bei weitem verbreitetste und meistgelesene Werk des deutschen Protestantismus. Nach einer von mir vorgenommenen vorläufigen Zusammenstellung der Ausgaben sind bis 1670 bereits 64 Drucke erschienen, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl auf 240, und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lassen sich bisher insgesamt 300 Ausgaben nachweisen. Arndts Hauptwerk ist also für die Frömmigkeitsgeschichte von herausragender Bedeutung.2 Im Rahmen dieses Arbeitsgesprächs unter dem Thema »Frömmigkeit im Zeitalter der Orthodoxie« ist besonders der theologische Charakter dieser einflußreichen Erbauungsbücher von Interesse. Dieser ist aber unlöslich mit der literarischen Eigenart des Werkes verknüpft. Denn bekanntlich stellen die ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ zu einem beträchtlichen Teil eine Kompilation aus Schriften anderer Autoren dar, und zwar aus solchen nicht-lutherischer Provenienz. Diese Beobachtung ist in verschiedener Hinsicht von erheblicher theologischer Relevanz: Warum griff Arndt zur Beschreibung des wahren Christentums auf nichtlutherische Quellen zurück? Unter welchen Gesichtspunkten wählte er sie aus und wie bearbeitete er sie? Damit hängen weiterreichende Fragen zusammen: Ist der Rückgriff auf nicht-lutherische Quellen ein Indiz für die sog. »Frömmigkeitskrise« im Luthertum? Welche Intention verfolgte er mit seinem Werk? Wollte er nur – die rechte Lehre voraussetzend – eine Anleitung zum rechten Leben geben? Wie verhält sich die sog. »neue«, von Arndt propagierte Frömmigkeit zum lutherischen Erbe? Ist es ihm gelungen, seiner Konzeption von wahrem Christentum ein lutherisches Gepräge zu geben? Die Absicht dieses Beitrags ist gegenüber den umfassenderen Fragestellungen nur eine begrenzte. Er beschränkt sich darauf, den Forschungsstand im 1 Buch I wurde erstmals in Frankfurt/Main 1605 veröffentlicht, zwei redigierte Ausgaben erschienen in Braunschweig 1606, eine erneut überarbeitete in Jena 1607; das vollständige Werk mit den erstmals gedruckten Büchern II–IV kam 1610 in Magdeburg heraus. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurden weitere Schriften Arndts als Bücher V und VI hinzugefügt. 2 Die neuesten Gesamtwürdigungen Arndts finden sich bei Johannes WALLMANN, Pietismus (KIG, Lief. O 1), Göttingen 1990, 14–24, und Martin BRECHT, Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in: DERS. (Hg.), Geschichte des Pietismus, I, Göttingen 1993, 113–203, hier 130–151.
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Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹
Blick auf die Quellen- und Redaktionskritik zu skizzieren und auf eine Vielzahl von unerledigten Problemen hinweisen. Ohne eine eingehende und sorgfältige Klärung dieser Details lassen sich aber die übergreifenden Fragen nicht hinreichend beantworten.
I Zur Forschungsgeschichte Bereits zu Lebzeiten Arndts war es ein offenes Geheimnis, daß er die ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ aus fremden Quellen geschöpft hat. Er selbst bezeichnete in einem Brief an den befreundeten Johann Gerhard die Arbeit an seinem Werk mit dem Verb »colligere«.3 Zu Beginn des III. Buches wies Arndt die Leser darauf hin, daß er darin eine Einführung in die Theologie Taulers bieten und diesen möglichst selbst zu Wort kommen lassen wolle.4 In den anderen Büchern hat er immerhin eine Anzahl kürzerer, meist lateinischer Zitate antiker und mittelalterlicher Autoren namentlich gekennzeichnet oder durch ihre lateinische Sprachform als Zitate erkennbar gemacht. (Da ein großer Teil der späteren Nachdrucke nur die deutsche Übersetzung bietet, blieb der Zitatcharakter freilich hier nicht mehr erkennbar.) Über diese eigenen Hinweise Arndts hinaus begann die »Quellenkritik« mit der gegnerischen Polemik. Schon in der zweiten Braunschweiger Ausgabe des I. Buches mußte Arndt eingestehen, daß darin »etliche reden nach art der alten Scribenten / Tauleri / Kempisij vnd anderer / mit eingemischet« seien.5 Die Benutzung spätmittelalterlicher Autoren, die Arndt hier vorsichtig einräumte, blieb ein Kontroverspunkt in den Diskussionen um Arndts Werk im 17. Jahrhundert.6 Als die Schriften Valentin Weigels, die bislang nur handschriftlich verbreitet worden waren, seit 1609 im Druck erschienen, wurde bald entdeckt, daß Arndt Stellen aus Werken Weigels entlehnt und sogar das ganze 34. Kapitel des II. Buches wörtlich aus Weigels ›Betbüchlein‹ übernommen hatte.7 Arndt 3 »Secundum [scil. libellum] absolvi, reliqui magna ex parte collecti.« Arndt an Gerhard, 19.2.1607 (Georg Martin RAIDEL [ed.], Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740, 80). Auf diese Stelle hat erstmals Hans-Joachim SCHWAGER, Johann Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen, Diss. ev. theol. Münster 1961, 47, aufmerksam gemacht. 4 WChr III, 1,4. 5 WChr [2. Braunschweiger Ausgabe], Vorrede [A viv]. 6 So schrieb Paul EGARDUS, Ehrenrettung Johannis Arndten [...], Lüneburg 1624, 26: »Daß er aber auch Taulerum vnd Kempisium gelesen / vnd von jenen viel entlehnet / kan nicht geleugnet / wie auch nicht gestraffet werden«. 7 Wolfgang Franz berichtet Arndt am 7. Mai 1620 von Vorwürfen, die in Danzig gegen Arndts Bücher erhoben würden: »In specie accusant in tuo Christianismo lib. 1. Caput 3. 4. 6. 11.
Offene Fragen der Quellen- und Redaktionskritik
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erklärte, das Manuskript von einem guten Freund erhalten zu haben, ohne daß ihm der Autor bekannt gewesen sei.8 Auch gegen den Verdacht, Gedankengut Schwenckfelds aufgegriffen zu haben, mußte sich Arndt verteidigen.9 In der scharfen und theologisch scharfsinnigen Kritik, die Lucas Osiander d.J. 1623 in seinem Theologischen Bedenken gegen Arndts Bücher vorbrachte10, spielte die Quellenfrage eine zentrale Rolle. Wenn Arndts Werk »mit viler Schwachheit / Päpstischen vnd andern mehr Irrthumben noch gröblich behafftet« einhergehe, so liege das nicht zuletzt an den von ihm benutzten literarischen Vorlagen. »Also wann du meinest du hörest Christum / den Mund der Warheit / so hörest du den Tauler / der noch in allerley Päpstischem Antichristischem Dunckel / vnd Schwachheit bestecken geblieben: wann du meinest / man lehre dich das wahre vnnd als[o] vnmangelhaffte Christenthumb / so hast du ein Daulerthumb«.11 Osiander behauptete, daß Arndt neben Tauler und Thomas von Kempen noch Werke von Johann Gerson und Luis de Granada als Quellen benutzt habe. Neben den mittelalterlich-»papistischen« Quellen nennt Osiander auch die »Schwärmer« Schwenckfeld, Paracelsus und Weigel.12 Ähnliche Beobachtungen wie Osiander, freilich mit anderer Tendenz, führte Arndts Freund Christoph Besold an. Schon 1618 wies er öffentlich nach, daß Arndt Weigels ›Gebetbüchlein‹ abgeschrieben habe.13 Nachdem er 1634 zur katholischen Kirche konvertiert war, machte er 1637 in seiner Rechtferti12. 13. 14. 23. 36. 37. 38. 39. 41. 42. lib.2. Caput 6. 7. 20. 26. 34. inqueo eo 12. capita verbotenus ex libro Weigelii Betbüchlein / Unterricht für die Einfältigen / fere exscripta dicunt. lib. 3. Praefation: 1. 2. 4. et seqq. usque ad 19. precationem secundam. libr. 3. subiunctam. etc.«; [Melchior BRELER ,] Warhafftiger / Glaubwürdiger und gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christenthumb [...], Lüneburg 1625, 74f. 8 »[...] als mir ungefehr für 15 Jahren / da noch des Weigels Schrifften das Liecht nicht gesehen hatten / diß Tractätlein der 12 Capittel vom Gebet von einem guten Freunde verehret wart / und ich dasselbe andechtig / Schrifftmessig / und lehrhafftig befandt / daß ichs mir belieben lassen / mit in mein ander Buch zu setzen«; ARNDT, Repetitio apologetica. Das ist: Wiederholung und Verantwortung der Lehre vom waren Christenthum, Lüneburg 1620, 77f. 9 ARNDT, Epistola [...] ad [...] Balthasarem Mentzerum [...] In quâ de accusatione Schvvenckfeldianismi à malevolis sibi intentatà sese purgat, & doctrinæ in Augustanâ Confeßione & Formula Concodiæ repetitæ ex animo sese addictum semper fuisse & adhuc esse, testatur, Jena 1621. – Vgl. schon ARNDT, Repetitio apologetica, 78. 10 Lukas OSIANDER d.J., Theologisches Bedencken / Vnd Christliche Treuhertzige Erinnerung / Welcher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb [...] seye [...], Tübingen 1624. 11 OSIANDER, 29. 12 OSIANDER, Kap. 1. 13 Vgl. Carlos GILLY, Iter Rosicrucianum. Auf der Suche nach unbekannten Quellen der frühen Rosenkreuzer, in: Das Erbe des Christian Rosenkreuz. Vorträge gehalten anläßlich des Amsterdamer Symposiums 18.–20. November 1986. Johann Valentin Andreae 1586–1986 und die Manifeste der Rosenkreuzerbruderschaft 1614–1616, Amsterdam 1988, 63–85, hier 74.
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Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹
gungsschrift darauf aufmerksam, daß Arndt seine Bücher von wahrem Christentum »auß den fürnehmbsten Catholischen Scribenten / besonders Kempisio / Taulero / Granatensi [= Luis de Granada], vnd andern [...] zusammengezogen« habe.14 Aber nicht nur Gegner Arndts, sondern auch sein Freund und Schüler Johann Gerhard konstatierte die Benutzung von Schriften des Paracelsus und Weigels. In einem Brief an Aegidius Hunnius d.J. aus dem Jahre 1625 nennt Gerhard zwei Gründe für die »unangemessenen und gefährlichen« Formulierungen im Wahren Christentum: Als ersten führt er Arndts mangelnde theologische Bildung15 an, als zweiten Grund nennt er dessen Vorliebe für Schriften von Paracelsus und Weigel; die Autopsie bezeuge, daß er aus ihnen viel in seine ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ übernommen habe.16 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts regte sich erneut das Interesse an Arndts Quellen. Gottfried Arnold wies 1703 auf eine bislang unentdeckt gebliebene Vorlage Arndts hin17, die sog. ›Theologie des Kreuzes‹ der italienischen Mystikerin Angela da Foligno18, deren Benutzung im II. Buch Arndts drei Jahrzehnte später von Gerhard Tersteegen in ihrem Umfang genauer bestimmt wurde19. Eine erste sorgfältige Analyse aller bekannten Quellen nahm der Stader Generalsuperintendent Johannes Dieckmann im Vorwort seiner 1706 erschienenen Ausgabe der Bücher von wahrem Christentum vor. Er hat die Grundlagen für die wissenschaftliche Quellenkritik gelegt.20 Ebenfalls gingen Gottfried Balthasar Scharff21 und Johann Georg Walch22 auf die Quellenfragen ein. In Christoph BESOLD, Christliche vnd Erhebliche Motiuen [...], Ingolstadt 1637, 122. Vgl. hierzu Hans SCHNEIDER, Johann Arndts Studienzeit [s.o. in diesem Band]. 16 »[...] quod lectione librorum Paracelsi et Weigelii fuerit delectatus. Testatur enim autopsia, quod ex illis multa in libros de vero christianismo redegerit«. Brief Gerhards an Ägidius Hunnius d.J. vom 2. Februar 1625; abgedruckt bei Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndianum seu B. Ioannis Arndti tres epistolae hactenus ineditae [...], Wittenberg o.J. [1714], 13. 17 Vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und die makarianischen Homilien [s.o. in diesem Band]. 18 B. ANGELA DE FULGINIO, ostendens nobis veram viam qua possumus sequi vestigia nostri Redemptoris. Ab ipsa sanctißima Foemina (Spiritu sancto dictante) Liber hic conscriptus, & ad veram consolationem animarum piarum, omniumque vtilitatem, nunc primum in Germania editus, Köln 1601 [SB München]. Zu Angela vgl. S. CLASEN, TRE 2 (1978), 708–710 (leider wird hier der Einfluß auf Arndt, Arnold und Tersteegen nicht erwähnt). 19 Gerhard TERSTEEGEN, Außerlesene Lebens-Beschreibungen Heiliger Seelen [...], II, Frankfurt und Leipzig 1735, 306f. 20 Johannes DIECKMANN, Vorrede an den Christlichen Leser, in: Herrn Johann Arnds [...] Sechs Bücher vom Wahren Christenthum [...], Stade 1706. 21 Gottfried Balthasar SCHARFF, Supplementum historiae litisque Arndianae [...], Wittenberg 1727. 22 Johann Georg WALCH, Historische und Theologische Einleitung in die ReligionsStreitigkeiten Der Evangelisch-Lutherischen Kirchen, Von der Reformation an bis auf ietzige 14 15
Offene Fragen der Quellen- und Redaktionskritik
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den ›Unschuldigen Nachrichten‹ wurde das Verhältnis Arndts zu Schwenckfeld angesprochen.23 Zu Beginn unseres Jahrhunderts führten Friedrich Julius Winter24 und Wilhelm Koepp25 in ihren Arndtmonographien die Quellenkritik an einigen Punkten weiter (Nachweis eines Großteils der Taulerexzerpte; Material aus Raymund von Sabunde), doch fielen sie in anderer Hinsicht (Angela) hinter bereits erzielte Ergebnisse der Forschung zurück. Die bislang ausführlichste und sorgfältigste Untersuchung der von Arndt benutzten Quellen und ihrer Verarbeitung hat Edmund Weber vorgelegt in seiner Arbeit: ›Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung‹.26 Ihre Resultate sollen den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bilden.
II Zur Quellenkritik Weber faßt die Beobachtungen der älteren Literatur zusammen und führt in seinen Analysen z.T. erheblich über die Ergebnisse seiner Vorgänger hinaus. Er hat den Anteil folgender Quellen (Autoren) aufgezeigt: Theologia Deutsch, Thomas von Kempen, Angela da Foligno, Johannes Tauler27, Paracelsus, Valentin Weigel, Rosellus, Franciscus Valesius, Raimund von Sabunde, Wilhelm Anoponymus. Freilich hat auch Weber den Umfang der Entlehnungen noch nicht vollständig ermitteln können. So begegnen vielleicht schon Spuren der AngelaQuelle im I. Buch.28 Ferner ist ihm entgangen, daß Arndt nicht erst im IV.
Zeiten, III, Jena 21733, 171–241; V, Jena 1739, 1123–1158 [Reprint: Stuttgart / Bad Cannstatt 1984]. 23 FSATS 1720, 362. 24 Friedrich Julius WINTER, Johann Arnd, der Verfasser des »Wahren Christentums«. Ein christliches Lebensbild (SVRG 101/102), Leipzig 1911. 25 Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum, Berlin 1912 (NSGTK 13) [Nachdruck Aalen 1973]. 26 Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim 31978 [ursprünglich Diss. theol. Marburg 1968]. 27 In der von Arndt benutzten Basler Taulerausgabe von 1521/22 stehen nicht nur echte Taulertexte. Von den 44 Predigten, die Arndt im WChr heranzog, stammen nur 34 von Tauler selbst, fünf von Meister Eckhart und fünf von anderen Autoren (WEBER, 79). 28 WChr I, 11,1.
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Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹
Buch, sondern bereits im 2. und 3. Kapitel des I. Buches auf die Schrift ›De lunaticis‹ des Paracelsus zurückgreift.29 Außerdem haben bei Weber einige Autoren, die schon in der Polemik des 17. Jahrhunderts oder in der älteren Arndtforschung als Vorlagen genannt worden waren, keine Beachtung mehr gefunden. Dies gilt für Werke von Johannes Gerson und Luis de Granada30. Der letztgenannte spanische Theologe wurde von Arndt als ein Autor, der »ex spiritu« geschrieben habe, dem jungen Johann Gerhard zur Lektüre empfohlen.31 Nicht überprüft hat Weber auch, ob Arndt aus Schriften Schwenckfelds Entlehnungen vorgenommen hat, obwohl Gottfried Maron erneut darauf hingewiesen hatte, daß man bei Arndt »mit Gewißheit eine Kenntnis der Gedanken und Schriften Schw[enckfeld]s annehmen« könne.32 Ferner ist Weber der Frage nicht nachgegangen, ob Arndt nicht auch größere Abschnitte von anderen Autoren, die er schätzte, entlehnt hat. In Betracht kommt vor allem Bernhard von Clairvaux; ihn empfahl Arndt Johann Gerhard als geist-vollen Autor, und ein Bernhard-Zitat diente dem I. und II. Buch von wahrem Christentum als Motto. Als weitere Quelle bleiben Johann von Staupitz’ Schriften ›Von der Liebe Gottes‹ und ›Von unserm H. Christlichen Glauben‹ zu erwägen, die Arndt kurz nach dem I. Buch von wahrem Christentum in einem Neudruck herausgab33. Aber auch Schriften des Hugenotten Jean de l’Espine (Joannes de Spina; Spinaeus) 34 müßten noch vergleichend herangezogen werden, da Arndt sie ebenfalls als »geist-reiche« Schriften Johann Gerhard zur Lektüre angeraten hat.35 Entlehnungen aus den dort ebenfalls empfohlenen Homilien des Makarios (recte: Symeon von Mesopotamien) Vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndt als Paracelsist [s.o. in diesem Band, hier S. 144f.]. Nachdem DIECKMANN erklärt hatte, er habe Entlehnungen »bißher nicht finden können« (Fünf Bücher, Stade 1706, Vorrede 21), ist die Arndtforschung der Frage nicht weiter nachgegangen. – Luis de Granada wurde auch in puritanischer Erbauungsliteratur benutzt, vgl. Udo STRÄTER, Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert (BHT 71), Tübingen 1987, 58, 66f., 72f., 83. 31 Brief »de studio« vom 15. März 1603, abgedruckt bei Rudolph FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi [...], Leipzig 1723, 22. Dort heißt es: »Bernhardus ex spiritu scripsit, et Kempisius et Macarius, Spinaeus, et quidam Granatensis, sed postillam eius non magni facio, et Augustini quaedam.« 32 Gottfried MARON, Individualismus und Gemeinschaft bei Caspar von Schwenckfeld. Seine Theologie, dargestellt mit besonderer Ausrichtung auf seinen Kirchenbegriff (KO.B 2), Stuttgart 1961, 174. 33 Zwey alte geist=reiche Büchlein / Doctoris Johannis von Staupitz / weiland Abts zu Saltzbergk / zu S. Peter. Das Erste. Von der holdseligen Liebe Gottes. Das Ander. Von unserm H. Christlichen Glauben. Zu erweckung der Liebe Gottes / vnd vermehrung des Glaubens in allen Gottseligen Hertzen. [...], Magdeburg 1605. Zu vergleichen wäre besonders WChr II, 24ff. 34 Vgl. Louis HOGU, Jean de l’Espine, Paris 1913 (Bibliographie!). 35 S. o. Anm. 31. 29 30
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wurden verschiedentlich vermutet, lassen sich aber nur in kleinerem Umfang nachweisen.36 Keine Beachtung hat Weber den zahlreichen kleineren Zitaten antiker und mittelalterlicher Autoren geschenkt. Arndt zitiert namentlich: Ambrosius 37, Aratus 38, Aristoteles39, Augustinus40, Basilius 41, Bernhard von Clairvaux 42, Bonaventura43, Chrysostomus44, Cicero45, Claudianus46, Cyprian47, PseudoDionysius48, Gregor d.Gr.49, Ignatius von Antiochien50, Irenäus51, Laurentius Valla52, Manilius 53, Mantuanus 54, Ovid 55, Plato56, Publius57, Seneca58, Tertullian59, Theodoret 60, Xystus61. Hinzu kommen kurze lateinische Zitate, deren Autoren Arndt nicht nennt.62 Zu klären bleibt auch, woher Arndt seine zahlreichen Beispiele aus der antiken Geschichte genommen hat (z.B. Kaiser Severus, SCHNEIDER [s.o. in diesem Band]. IV/1,Vorr. 3. 38 I, 7,2 (zitiert nach Act 17,28). 39 I, 37,12. 40 I, 18,2; I, 29,15; II, 4,7 (Conf. VII,10); II, 6,6; II, 28,5; II, 37,6; III, 2,10; III, 5,5 (In Ioann. 28); III, 6,1; III, 6,2; III, 17,3 (aus Tauler, vgl. Ferdinand Vetter, Die Predigten Taulers [...], Berlin 1910, 73, Z. 23f.). 41 IV/1, Vorr. 3; IV/1, 4,4; IV/1, 5,24. 42 I, 37,13; II, 8,10 (PL 183, 175 D); III, Vorr. 6; Titelblatt v. I und II (PL 182, 241 C). 43 II, 6,6. 44 IV/1, 3,4. 45 I, 37,12. 46 IV/1, 4,26. 47 III, Vorr. 5. 48 IV/1, 6. 49 III, 15,4. 50 II, 27,3 (Ign Rom 7,2); II, 45,8 (Ign Rom 4,1). – Martin Moller hatte 1578 eine Übersetzung der Ignatianen veröffentlicht; vgl. Elke A XMACHER, Praxis Evangeliorum. Theologie und Frömmigkeit bei Martin Moller (1547–1606) (FKDG 43), Göttingen 1989, 94–97. 51 IV/1, 6,28. 52 II, 5,6. 53 I, 7,2. 54 I, 27,5. 55 IV/1, 5,32 (Metamorph. 15,417). 56 I, 7,2; I, 18,2; I, 37,12; II, 30,4. 57 I, 27,8. 58 I, 27,6 (vgl. De const. sap. II,1,6; III,2,4; XII,5,7f.); I, 37,12; II, 6,6. In seinem Brief an Johann Gerhard vom 15. März 1603 (wie Anm. 31) schrieb Arndt: »Inter philosophos neminem scio, qui ex spiritu scripserit (qui, ubi vult, spirat) praeter unum Senecam: quem, si necdum legisti, per otium quaeso legito: emas autem Godefredi editionem.« (L. A NNAEI SENECAE philosophi stoicorum omnium acutissimi opera quae extant omnia in VI tomos tributa. [...], Basel 1590). 59 II, 15,11. 60 IV/1, Vorr. 3. – Martin Moller hatte die Dialogi Theodoreti in Übersetzung 1582 ( 21605) herausgegeben; vgl. AXMACHER (wie Anm. 50), 97–103. 61 II, 26,10. 62 Vgl. z.B. WChr IV/1, 3,30; IV/1, 3,43; IV/2, 18,4. 36 37
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Perikles, Phokion, Kaiser Titus, Julius Caesar, Hippokrates, Alexander der Große63). Ferner bleibt bei Weber die Herkunft von vier längeren lateinischen Passagen ungeklärt. Es handelt sich zum einen um zwei Stücke »De bono orationis«64 und »De bono crucis«65 – die gleichartige Überschrift scheint auf dieselbe Quelle hinzuweisen – und zum andern um die beiden Gebete »Tu, o Domine Jesu«66 und »O Deus, o Jesu, o Spiritus alme«67. Auch bei einigen längeren Abschnitten, die einen in sich geschlossenen Eindruck machen und eine deutliche (vorgegebene) Untergliederung aufweisen, legt sich die Vermutung nahe, daß es sich um übernommene Stücke handelt. Hierzu gehören etwa die Auslegung der Gleichnisse Luk 1568, »Ein Gespräch der gläubigen Seele mit Gott«69 und die Auslegung von II Kor 1,3f.70 Alle von Weber ermittelten Quellen sind nicht-lutherische Quellen! Auf kleine Anlehnungen an Luthers Schrift ›Von der Freiheit eines Christenmenschen‹ 71 haben Albrecht Ritschl72 und Berndt Hamm73 hingewiesen. Ferner finden sich einzelne Anklänge an Luthers ›Kleinen Katechismus‹.74 Fazit: Die Quellenkritik des WChr ist noch längst nicht abgeschlossen.
III Zur Redaktionsgeschichte Weber verbindet die Quellenkritik mit der redaktionsgeschichtlichen Fragestellung: Wie hat Arndt sein Material ausgewählt und wie hat er seine Vorlagen bearbeitet? Weber nennt vier Methoden75: 1. Eliminierung aller »spezifisch römischen, mystischen, monastischen und sonstige[n] extrem-unlutherische[n] Stellen« (z.B. Verzicht auf die eucharistische Sakramentsfrömmigkeit in Buch IV der Imitatio Christi, Ausklammerung der Verschmelzungsmystik), I, 26,10; I, 27,7; II, 58,6; IV/1, 3,26.56. II, 36,15. 65 II, 46,15. 66 II, 1,9. 67 II, 31,9. 68 II, 8. 69 II, 39. 70 II, 48. 71 II, 11, Überschrift und II, 11,2 sowie III, 3. 72 Albrecht RITSCHL, Geschichte des Pietismus II, Bonn 1884 [Reprint: Berlin 1966], 51. 73 Berndt HAMM, Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus, PuN 8 (1982), 43–73, hier 54f., Anm. 51 (nach Hinweis von Johannes Wallmann). 74 WChr I, 11,11f. und I, 41,1; vgl. BSLK 704. 75 WEBER, 40f. 63 64
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2. Kommentierung im lutherischen Sinn (z.B. durch Einfügung von »aus Glauben«, »durch Gnade«), 3. Biblisierung durch Einfügung von Bibelzitaten oder Stellennachweisen und 4. Laisierung »durch veranschaulichende Gleichnisse, Analogien und Beispiele«. Webers Untersuchung der Redaktion Arndts weist jedoch drei Defizite auf: a. Er hat der Gesamtkonzeption des Wahren Christentums zu wenig Beachtung geschenkt. Sind der Aufbau der vier Bücher und die Verteilung des Stoffes auf die Kapitel relativ willkürlich und zufällig oder ist dahinter ein durchdachter Plan zu erkennen? Gibt es für die Gliederung in vier Bücher (liber scripturae, liber vitae, liber conscientiae, liber naturae) Vorbilder und Analogien? b. Weber hat darauf verzichtet, das Endergebnis der Arndtschen Redaktion theologisch zu würdigen. Ist das Resultat seiner redaktionellen Bemühungen ein lutherisches Werk, oder bleibt nicht trotz aller Anstrengungen die Grundtendenz der rezipierten Quellen so dominant, daß Arndts Kompilation letztlich doch kein reformatorisches Gepräge bekommt? Schon einige Beobachtungen aus der Wirkungsgeschichte lassen Zweifel daran aufkommen, daß es Arndt geglückt ist, dem Werk einen wirklich lutherischen Charakter zu geben76: Der mit Arndt befreundete Jurist Christoph Besold konnte, wie schon erwähnt, u.a. mit dem Hinweis auf die katholischen Quellen des Wahren Christentums seine Konversion zur römischen Kirche rechtfertigen.77 In der Madrider Jesuitenbibliothek wurde ein lateinisches Exemplar (ohne Titelblatt) einem Mitarbeiter A.H. Franckes als beste asketische Schrift, deren Verfasser leider unbekannt sei, vorgestellt. (Der Besucher erkannte natürlich die Herkunft sofort.) 78 Der junge Zinzendorf ließ 1724 das Wahre Christentum ins Französische übersetzen, weil er es auch als Erbauungsbuch für katholische Fromme für geeignet hielt.79 1734 kam in Kempten 76 Auf vergleichbare Probleme bei der Rezeption katholischer Literatur durch puritanische Erbauungsschriftsteller verweist STRÄTER (wie Anm. 30), 58–60 u.ö. 77 BESOLD (wie Anm. 14), 121f. 78 Vgl. SCHNEIDER, Paracelsist [s.o. S. 135]. 79 Zinzendorf an Kardinal Noailles [Febr. 1724]: »Tout ce que je puis vous dire, Monseigneur, c’est qu’on vient d’achever à traduire le Traité du vray Christianisme par feu J. Arndt, un des Théologiens Mystiques de la Confession d’Augsbourg; l’on s’y plaît beaucoup dans les Ecrits de Tauler, de Kempis et d’autres; c’est pourquoy l’on a cru qu’on ferait plaisir à la France de luy donner en main un livre qui ne contient que des vertus pratiques et incontestées des deux Partis, de la façon des deux auteurs, mais plus en Détail et fort bien écrit en son temps.« Alice SALOMON, La catholicité du monde chrétien d’après la correspondance inédite du comte Louis de Zinzendorf avec le cardinal de Noailles et les évêques appellants 1719–1728, Paris 1929 [Re-
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ein katholischer Nachdruck des Wahren Christentums heraus.80 Noch zu Arndts Lebzeiten erschien 1618 in einem Weigeldruck eine Empfehlung zur Lektüre der Schriften Arndts.81 1620 schrieb Balthasar Mentzer an Arndt: »Auf die Übereinstimmung mit Dir berufen sich viele Schwenckfeldianer, und sie selbst lesen Deine Bücher sorgfältig und empfehlen sie weiter.«82 1621 empfahl eine Rosenkreuzer-Schrift neben Thomas von Kempen, Sebastian Franck, Paracelsus sowie mystisch-theosophischen Schriften die Lektüre Arndts.83 Zu Webers Versuch, eine lutherische Bearbeitung der Quellen aufzuzeigen, steht seine Aussage, daß die Quellenauswahl Ausdruck der »Irenik« Arndts sei, im Widerspruch. Kann man wirklich von dem Bemühen um konfessionellen Ausgleich und Vermittlung sprechen? Trifft man damit tatsächlich Arndts Intention? c. Weber hat seiner Untersuchung die endgültige Textfassung des Werkes zugrunde gelegt, aber nicht die inzwischen vorgenommenen Textrevisionen berücksichtigt. Für das I. Buch läßt sich aber sehr gut aufzeigen, wie Arndt den Text der Frankfurter Erstausgabe (1605) unter dem massiven Druck der Kritik, die gegen das Buch laut wurde, in den beiden folgenden Braunschweiger Ausgaben (beide 1606) und in der Jenaer Ausgabe (1607) fortlaufend revidiert hat. Ein Vergleich des Jenaer Drucks mit der Frankfurter Erstausgabe ergibt, daß Arndt insgesamt an über 880 Stellen Änderungen vorgenommen hat. Dabei handelt es sich z.T. um einschneidende Umgestaltungen. Auch zu den von Weber herausgestellten Methoden der Redaktion drängen sich im einzelnen zahlreiche kritische Fragen auf: Zu 1. »Eliminierung aller »spezifisch römischen, mystischen, monastischen und sonstige[n] extrem-unlutherische[n] Stellen«. Es ist zutreffend, daß Arndt Buch IV der Nachfolge Christi (De sacramento altaris) nicht benutzt hat. print: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, X, hg. von Erich BEYREUTHER und Gerhard MEYER, Hildesheim / New York 1970], 34. 80 Dieser Druck wurde ausführlich beschrieben von dem evangelischen Pfarrer zu Lindau, Bonaventura RIESCH, Nachricht von einer unlängst unter den Römisch-Catholischen in dem Fürstlichen Stifte Kempten veranstalteten Ausgabe der Bücher des seligen Arndts vom wahren Christentum, in: Heßisches Heb-Opfer Theologischer und Philologischer Anmerckungen, 35. Stück, Gießen 1744, 387–393, danach resümiert bei Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland General-Superintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838, 241f. 81 Valentin WEIGEL, Soli Deo Gloria [...], Neustadt 1618 [SUB Göttingen], 80: »Darauff magstu zum zeugnuß nun diese gute Bücher Lesen / Als [...] Herrn Johan Arnts 4. Bücher vom wahren Christenthumb / sein Paradißgärtlein / Psalter / Postilen / Passion vnd Catechismum.« 82 »Iactant tuum consensum multi Svenckfeldiani, et libros tuos legunt ipsi diligenter et aliis commendant.« Bericht (wie Anm. 7) 60–62. 83 Colloquium Rhodo-Stauroticum: Das ist: Gespräch dreyer Personen / von der [...] FRATERNITET deß Rosen Creutzes [...], o.O. 1621, 108f. (Neben Arndt wird hier auch Martin Mollers ›Praxis Evangeliorum‹ aufgeführt.)
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Auch mystische Spitzenaussagen Angelas und Taulers hat er nicht aufgenommen. Gleichwohl konnte Lukas Osiander d.J. die schon zitierten Feststellungen treffen, Arndts Werk sei mit »Päpstischen vnd andern mehr Irrthumben noch gröblich behafftet« und das wahre Christentum sei in Wirklichkeit »ein wahres Daulerthumb«.84 Schon zu Lebzeiten mußte sich Arndt gegen den Vorwurf wehren, er habe »auß den Lacunis Monachorum [Pfützen der Mönche] geschöpffet«.85 Eine Reihe von Stellen, an denen Arndt von den »Heiligen« (Exempel der Heiligen o.ä.) und von den »heiligen Märtyrern« spricht 86, sind zwar evangelisch interpretierbar, lassen aber noch den ursprünglich katholischen Kontext erkennen. Gelegentlich wird der Verdienstgedanke recht ungeschützt ausgesprochen.87 An anderer Stelle erwähnt Arndt Benedictus und Magnificat, »welche die Christliche Kirche verordnet hat, eins des Morgens, das andere des Abends täglich zu singen, als ein Morgen- und Abend-Opfer«.88 Den Hintergrund bildet das Stundengebet, zu dem katholische Kleriker und Ordensleute verpflichtet sind, in dem das Benedictus Bestandteil der Laudes, das Magnificat Teil der Vesper ist. Zu 2. »Kommentierung im lutherischen Sinn«. Weber untersucht nicht, in welcher Phase der Redaktion die »Kommentierung im lutherischen Sinn« erfolgt ist. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Erst die heftige Kritik, die Arndts Frankfurter Erstausgabe erfuhr, hat ihn zu diesen nachträglichen Korrekturen genötigt. Sie erst hat ihn auch zu der Versicherung veranlaßt, daß die lutherischen Bekenntnisschriften den hermeneutischen Bezugsrahmen für die Interpretation des WChr bilden sollten. Vorher gibt es davon keine Spur. Diese Etappen der redaktionellen Überarbeitung des I. Buches sind bisher noch nie umfassend oder auch nur exemplarisch untersucht worden. Einige Beipiele können das verdeutlichen: WChr I, 4 behandelt die Frage »Was wahre Buße sei, und das rechte Kreuz und Joch Christi«. In der Frankfurter Erstausgabe lautet der 1. Abschnitt: »Die OSIANDER (wie Anm. 10), 29. In der Vorrede zu seiner Taulerausgabe wendet sich Arndt gegen den Vorwurf, »wer solche Art zu reden gebrauchet / der hat es auß den Lacunis Monachorum geschöpffet«; er entgegnet: »O Nein lieber Gesell / es seyn nicht Lacunæ Monachorum, sondern es ist deß heiligen Geistes [!] stylus vnd art also zu reden« (ARNDT, Postilla Johannis Tauleri [...], Hamburg 1621, f. iii). 86 WChr I, 15,6; I, 20,18; I, 24,23f.; I, 28,7; I, 31,12; I, 33,7; II, 33,7; II, 44,11; II, 45,7 [St. Laurentius, St. Vincentius, Babylas, St. Ignatius]; II, 46,6; II, 47,13f.; II, 48,4; II, 54,9. 87 Vgl. etwa II, 44,11: »Sehet an die herrliche Belohnung derer, die das Kreuz geduldig erlitten. [...] Lieber, willst du solcher Heiligen Herrlichkeit haben, so mußt du auch ihren Weg der Trübsal und der Geduld wandeln.« 88 II, 41,8. 84 85
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Buße ist Tödtung und Kreuzigung des Fleisches und aller fleischlichen Lüste und bösen Unart des Herzens, und die Lebendigmachung des Geistes«. In der letzten Revision des Textes heißt es: »Die Buße oder wahre Bekehrung ist ein Werk GOttes des Heil. Geistes, dadurch der Mensch aus dem Gesetz seine Sünde erkennet, und den Zorn GOttes wider die Sünde, dadurch Reue und Leid im Herzen erwecket wird; aus dem Evangelio aber GOttes Gnade erkennet, und durch den Glauben Vergebung der Sünde in Christo erlanget. Durch die Buße aber geschieht die Tödtung und Kreuzigung des Fleisches und aller fleischlichen Lüste und bösen Unart des Herzens, und die Lebendigmachung des Geistes.« Zu prüfen ist dabei auch, inwiefern Arndt bei der Revision des I. Buches Formulierungen der Bekenntnisschriften eingearbeitet hat. In einigen Fällen wird erkennbar, daß er nachträglich einige Stichworte aus der Formula Concordiae eingefügt hat.89 In vielen Fällen bleibt es fraglich, ob es Arndt wirklich gelungen ist, den Quellen durch redaktionelle Zusätze ein lutherisches Gepräge zu geben, oder ob die Retuschen nicht an vielen Stellen zu oberflächlich bleiben, so daß der fremdartige Charakter der Quelle noch deutlich durchscheint. So kommentiert er die paracelsische Vorstellung von den zwei Geburtslinien des Menschen, indem er in der Endfassung aus dem Menschen einen Christen-Menschen macht und bei der »geistlichen Linie Christi« hinzufügt: so aus dem Glauben gehet.90 Zu 3. »Biblisierung«. Bei der »Biblisierung« ist zu unterscheiden zwischen dem bloßen Nachweis von Fundorten für Bibelzitate, die bereits in Arndts Vorlagen stehen, und von ihm ergänzten Bibelstellen, die Aussagen der Quellen als biblisch begründet erweisen sollen. 89 Zwei Beispiele: In WChr I, 2,1 lautet die ursprüngliche Fassung: »Der Fall Adams ist der Ungehorsam wider GOtt [...] dadurch er des heiligen Bildes Gottes beraubet.« In der revidierten Endfassung heißt es: »dadurch er des heiligen Bildes Gottes beraubet, nämlich der vollkommenen Erbgerechtigkeit und Heiligkeit, im Verstande verblendet, im Willen ungehorsam und GOtt widerspenstig, in allen Kräften des Herzens verkehrt, und GOttes Feind worden, welcher Greuel auf alle Menschen durch fleischliche Geburt fortgepflanzt und geerbt wird, dadurch der Mensch geistlich todt und erstorben, ein Kind des Zorns und der Verdammniß ist, wo er nicht durch Christum erlöset wird.« – In WChr I, 3,1 lautet der ursprüngliche Text: »Die neue Geburt ist ein Werk GOttes des Heil. Geistes, dadurch unser Herz, Sinn und Gemüth, Verstand, Wille und Affecten erneuert werden in und nach Christo JEsu zu einer neuen Creatur.« In der Endfassung heißt es: »Die neue Geburt ist ein Werk GOttes des Heil. Geistes, dadurch ein Mensch aus einem Kinde des Zorns und Verdammniß ein Kind der Gnade und Seligkeit wird, aus einem Sünder ein Gerechter, durch den Glauben, Wort und Sacrament; dadurch auch unser Herz, Sinn und Gemüth, Verstand, Wille und Affecten erneuert, erleuchtet, geheiliget werden in und nach Christo JEsu zu einer neuen Creatur. Denn die neue Geburt begreift zwei Haupt-Wohlthaten in sich, die Rechtfertigung, und die Heiligung oder Erneuerung. Tit. 3,5.« – An beiden Stellen hat Arndt nachträglich einige Stichworte aus FC SD I und III (vgl. BSLK 848 und 920f.) eingefügt. 90 WChr I, 3,2f.
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Auch in diesem Punkt sind die Revisionen, die Arndt vornahm, zu berücksichtigen. Vergleicht man die Endgestalt des I. Buches mit dem Frankfurter Erstdruck, so kann man 335 Bibelstellen zählen, die er nachträglich eingefügt hat. Unbeachtet geblieben sind in diesem Zusammenhang Bemerkungen Arndts in zwei Briefen an Johann Gerhard: bei der Übersendung der Manuskripte des III. und des IV. Buches fordert er diesen auf, die zitierten Bibelstellen am Rand nachzutragen.91 Eine offene Frage ist ferner, warum Arndt in einem deutschsprachigen und für evangelische Leser, auch und gerade für Laien, bestimmten Werk 16 Bibelstellen lateinisch (nach der Vulgata) zitiert92. Auffällig ist auch, daß Arndt zahlreiche Belege aus den Apokryphen anführt 93 (die nach Luther »nicht der Heiligen Schrift gleichgehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind«94, nach der Entscheidung des Trienter Konzils aber einen Bestandteil des Kanons bilden95). Im einzelnen wäre bei der Exegese biblischer Texte zu prüfen, ob und inwieweit Arndt jeweils seinen Vorlagen folgt oder ob »Biblisierung« auch eine evangelische Schriftauslegung impliziert. Zu 4. »Laisierung«. Schon ein Großteil der von Arndt rezipierten Quellen richtete sich (auch) an »Laien«. Das gilt vor allem von den mystischen Quellen (Angela, Thomas von Kempen, Tauler, Theologia Deutsch). Inwiefern war hier eine weitere »Laisierung« nötig? Wie verhalten sich die kleineren und größeren lateinischen Zitate und die Fülle lateinischer Begriffe96 (gelegentlich sogar griechischer97 und hebräischer98) zur Absicht der Laisierung? Sind Arndt diese Zitate und Begriffe unreflektiert in die Feder geflossen? Hat er sie aus 91 »Propter festinationem tabellari non potui marginalia cum scripturae locis citatis adiicere; quaeso te, praesta mihi inter legendum hanc operam. (25.4.1608, RAIDEL [wie Anm. 3], 149); Propterea marginalia adiicere non potui: peto, ne inter legendum molestum sit, addere loca scripturae et pauculas notas, ne spatium in margine vacuum relinquatur« (28.8.1608, RAIDEL, 173). 92 WChr I, 20,22; 23,11; 40,6; II, 3,5; 8,8; 9,27; 28,9: 32,8; 38,4; 45,8; 46,4; 48,7; 57,9; III, 5,3; IV/1, 1,1,5.8.11; 2,1; 3,4.23; 4,23; 5,39; 6,18.27. 93 Weisheit Salomos: I, 8,17; I, 37,11; I, 39,4; I, 41,5; IV/1, 1,5.8.11 [lat.] 26; Jesus Sirach: I, 26,22; I, 40,6 [lat.]; Gebet Manasses: I, 33,6; II, 39,7; Judith: I, 33,6. 94 Vgl. WA.DB 12, 2f. 95 Vgl. DS 1502. 96 WChr I, 8,17; 13,15; 14,10; 16,11; 17,6.10.13; 20,22; 26,3.7; 27,11; 40,10f.14; II, 8,5.8.11; 9,13. 23; 23,2; 25,7; 26,10; 32,4; 37,21; 42,4.9; 47,2; 48,5; 51,14; 53,10; III, 5,4. 97 parrhsi/a (I, 5,2), plhrofori/a (ebd.), filauti/a (I, 14,2), u(ioqesi/a (II, 8,5), stere/w ma (II, 36,14), lo/goj (II, 38,2). 98 Arndt referiert IV/1,2,1 die Hypothese, »daß der Himmel aus Wasser gemacht sey: welches das hebräische Wort Schamajim andeutet«. Dieselbe Ableitung von ~ymX aus ~ym findet sich bei dem Theosophen Heinrich KHUNRATH, Confessio De Chao Physico-Chemicorum Catholico; In Quo Catholice habitat Azoth sive Materia Prima Mundi [...], Magdeburg 1596, Kap. III. Zu Khunrath vgl. SCHNEIDER, Studienzeit [s. o. S. 104f.].
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seinen lateinischen Vorlagen übernommen? (Es fällt auf, daß lateinische Wendungen in einigen Kapiteln gehäuft auftreten99, daß aber dort, wo Arndt deutschen Quellen folgt – z.B. Taulers Predigten in Buch III – sich kaum lateinische Begriffe finden!) Auf eine von Weber unberücksichtigte Fragestellung hat Johannes Wallmann hingewiesen: »Es wäre [...] der Beachtung wert, wie durch Arndt praktisch-theologisch die mönchische Frömmigkeit der Klosterzelle in die Welt des bürgerlichen Protestantismus transplantiert wird.«100 Fazit: Auch die Redaktionsgeschichte des Wahren Christentums bedarf noch einer genaueren Klärung. So ergeben sich also trotz der weiterführenden Analysen Webers sowohl im Blick auf die Quellenkritik als auch auf die Redaktionsgeschichte noch eine Fülle von offenen Fragen. Nach wie vor gilt, was Johannes Wallmann 1984 formulierte: »Die Aufgabe, neben der Feststellung der Quellen auch die Art und Weise der Arndtschen Bearbeitung dieser Quellen zu untersuchen, muß erst auf einer breiteren Textbasis angegangen worden sein, ehe ein gegründetes Urteil über Arndts theologiegeschichtlichen Standort gefällt werden kann.« 101 Die Lösung dieser zweifachen Aufgabe stellt noch immer ein uneingelöstes, aber vordringliches Desiderat der Arndtforschung dar.
IV Der Quellgrund des wahren Christentums Am Ende des Berichts über die Quellen- und Redaktionskritik soll noch einmal auf die eingangs erwähnten grundsätzlichen Fragen zurückgelenkt werden. Nach den Beobachtungen zur Quellen- und Redaktionskritik bleibt die Frage nach den Auswahlkriterien der Quellen und Stoffe bedrängend. Warum hat Arndt ganz überwiegend aus nicht-lutherischen (mittelalterlich-katholischen oder spiritualistischen) Quellen geschöpft? Für die Wertschätzung mystischer Autoren des Mittelalters konnte sich Arndt etwa auf Luther (für Tauler, Theologia Deutsch) 102 berufen oder auf zeitgenössische lutherische Theologen wie Vgl. etwa II, 8,5; 47,3. Johannes WALLMANN, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum, in: DERS., Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, 1–19, hier 17. 101 WALLMANN, ebd. 102 Zu Luthers Stellung zur Mystik vgl. Bernd MOELLER, Tauler und Luther, in: La Mystique Rhénane, Strasbourg 1963, 157–168; Steven E. OZMENT, Homo Spiritualis. A comparative Study of the Anthropology of Johannes Tauler, Jean Gerson and Martin Luther (1509–1516) in the Context of their Theological Thought, Leiden 1969; Gerhard RUHBACH, Tauler und Luther, BPfKG 37 (1970), 10–26; Martin BRECHT, Randbemerkungen in Luthers Ausgaben der 99
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Michael Neander103 und Petrus Glaser104 (für Tauler) hinweisen.105 Aber es gibt doch Unterschiede in der Zielsetzung: Neander und Glaser wollten aufzeigen, daß Tauler in der Zeit der »päpstlichen Finsternis« in den »fürnehmsten Hauptstücken der heiligen Schrift« richtig gelehrt habe; es ging also um den Nachweis, daß es Wahrheitszeugen vor der Reformation gegeben habe. Arndt dagegen wollte beschreiben, was wahres Christentum sei und griff dabei auf die vorreformatorische Quellen zurück! Sah er in diesem Rückgriff die einzige Möglichkeit, (vermeintliche) Defizite der lutherischen Frömmigkeit zu beheben? Kannte er denn keine lutherischen Erbauungsbücher, oder erschienen sie ihm unbefriedigend und wenn ja, warum? Diese Fragen führen einerseits in den weiteren Zusammenhang der Rezeption mittelalterlicher Mystik106 und anderer katholischer Andachtsliteratur im Protestantismus 107 und andererseits zu der damit zusammenhängenden Diskussion um die sog. »Frömmigkeitskrise« im Luthertum108. Ein weiteres, mit der letztgenannten Frage zusammenhängendes Problem stellt die Rezeption von ›schwärmerischen‹ Quellen aus dem mystischen Spiritualismus (Paracelsus, Weigel) dar. Dabei ist zu beachten, daß sich die von Arndt exzerpierten Schriften der spätmittelalterlichen Mystik bei den Spiritualisten großer Wertschätzung erfreuten, von ihnen rezipiert, ediert und kommentiert wurden. Gustav Adolf Benrath hat neben den reformatorischen Motiven diese Schriften als Quellen des mystischen Spiritualismus namhaft ge»Deutsch Theologia«, LuJ 47 (1980) 10–32; Reinhard SCHWARZ, Martin Luther, in: Gerhard RUHBACH / Joseph SUDBRACK, Große Mystiker. Leben und Wirken, München 1984, 189–192. 103 Michael NEANDER, Theologia Bernhardi et Tauleri, Eisleben 1581; Theologia Bernhardi ac Tauleri [...], Wittenberg 1584. 104 Petrus GLASER, Tauleri geistreiche Lehre von den fürnehmsten Hauptstücken der heiligen Schrift, Dresden 1583. 105 In der Vorrede zu seiner Taulerausgabe führt Arndt Zeugnisse Luthers, Melanchthons, Hieronymus Wellers und Michael Neanders über Tauler an (iiiv–vr). In einem Brief an Herzog August d.J., den Arndt kurz vor seinem Tode schrieb, rechtfertigt er ebenfalls seine TaulerRezeption unter Hinweis auf die lutherischen Theologen: »Daß aber Taulerus darumb so sehr verdächtig zu halten / als ob er dem Fundamento Salutis nostrae gar zu widern sey / wie dieser vornehmer frommer Man meynet / ist gar zu ein mildtes Judicium, und dem zu wider / was vornehme Theologen auß Tauleri Schrifften / von der Justification, merito Christi unnd Satisfactione pro peccatis nostris colligiret haben / unter denen Herr Michael Neander und D. Glaserus die vornehmsten seyn.« (Bericht [wie Anm. 7], 54). – Empfehlende Zeugnisse Luthers und anderer Reformatoren über Tauler und die ›Theologia deutsch‹ enthält auch die gleichzeitig mit Arndts Edition erschienene Frankfurter Taulerausgabe (WALLMANN [wie Anm. 100], 10 Anm. 25). 106 Vgl. WALLMANN (wie Anm. 100). 107 Vgl. dazu Paul ALTHAUS d.Ä, Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur, Gütersloh 1927 [ND Hildesheim 1966], und STRÄTER (wie Anm. 30), 58–60 u.ö. 108 Vgl. AXMACHER (wie Anm. 50), 307–309, 314–318; Walter SPARN, Die Krise der Frömmigkeit und ihr Reflex im nachreformatorischen Luthertum, in: Hans-Christoph RUBLACK (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197) Gütersloh 1992, 54–83.
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Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹
macht: Es war vor allem »eine kleine Anzahl spätmittelalterlicher mystischer Schriften, die auf den Spiritualismus nachhaltig eingewirkt haben, so vor allem die Predigten Taulers, die von Luther herausgegebene und vorübergehend hochgeschätzte ›Theologia Deutsch‹ und die ›Imitatio Christi‹ des Thomas von Kempen. Die vielfache Rezeption dieser Schriften ist ein Band, das die Mehrzahl der Vertreter des mystischen Spiritualismus miteinander verbindet, mögen sie auch nach außen als selbständige Einzelgestalten hervortreten.«109 Den hier genannten Schriften kann man noch Staupitz’ Büchlein ›Von der holdseligen Liebe Gottes‹ und ›Von unserm H. Christlichen Glauben‹110 hinzufügen. Eine Betrachtung der Rezeptionsgeschichte der einzelnen mystischen Autoren bestätigt dieses Urteil. Taulers »andringende Verkündigung von der Einwohnung Gottes, der Geburt Christi und dem Einsprechen des Geistes in der Seele« wurde »zum wichtigen Element der Botschaft des mystischen Spiritualismus«.111 Der Einfluß Taulers zeigt sich bei Thomas Müntzer112, Sebastian Franck113, Caspar von Schwenckfeld 114 und Valentin Weigel115. 1621 erschien – gleichzeitig mit Arndts ›Postilla Johannis Tauleri‹ – in Frankfurt eine Taulerausgabe, deren Herausgeber unbekannt ist.116 Die Theologia deutsch117, die Taulers Grundgedanken popularisierte und »wie in einer kleinen Summe« 118 zusammenfaßte, begegnet bei Thomas Müntzer119 und bei Sebastian Franck120. Ludwig Hätzer ließ die Theologia deutsch
109 Gustav Adolf BENRATH, Die Lehre der Spiritualisten, in: Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, 2, Göttingen 1989 [=1980], 561, vgl. 565ff. 110 Wittenberg 1518; Basel 1520. 111 BENRATH, 566. 112 Reinhard SCHWARZ, Thomas Müntzer und die Mystik, in: Siegfried BRÄUER / Helmar JUNGHANS (Hgg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und seiner Lehre, Berlin-Ost 1989, 283–301. 113 Vgl. Sebastian F RANCK, Paradoxa, hg. v. Siegfried WOLLGAST, Berlin 1966, 20. 22. 60. 77. 87. 88. 176. 234. 268. 277. 280. 300. 327. 328. 388. 389. 390. 439. 114 Vgl. MARON (wie Anm. 32), 42, 85, 100f., 102, 155. 115 Vgl. Valentin WEIGEL, Zwene nützliche Tractat [...], in: ders., Sämtliche Schriften, hg. v. Will-Erich PEUCKERT und Winfried ZELLER, Lief. 3, Stuttgart / Bad Cannstatt 1966, 125: »Inn diesen Büchlein [...], welches ist aus den Predigten Tauleri von mir zusammengezogen [...]«. 116 Vgl. WALLMANN (wie Anm. 100), 10 Anm. 25. 117 Vgl. Georg BARING, Bibliographie der Ausgaben der Theologia Deutsch« (1516–1691), Baden-Baden 1963; zur Wirkungsgeschichte vgl. WALLMANN (wie Anm. 100), 11f. 118 BENRATH (wie Anm. 109), 566. 119 SCHWARZ (wie Anm. 112). 120 Vgl. FRANCK, Paradoxa (wie Anm. 113), 22. 50. 54. 56. 60. 77. 104f. 176. 211. 213. 234. 246. 266. 301. 328. 360. 428. 439. Vgl. Eberhard TEUFEL, Die »Deutsche Theologie« und Sebastian Franck im Lichte der neueren Forschung, ThR NF 11 (1939), 304–315; 12 (1940), 99–129.
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1528 in Worms drucken121, und Hans Denck steuerte ›Etliche Hauptreden‹ als Anhang bei122; in den lateinischen (und französischen) Ausgaben Castellios wurden die ›Hauptreden‹ übernommen123, und aus Castellio sind sie in Johann Arndts Ausgabe der Theologia deutsch gelangt 124. Auch Schwenckfeld beurteilte die ›Theologia deutsch‹ positiv, wenn auch mit gewissen Einschränkungen125, Weigel verfaßte eine Einführung126. Thomas von Kempen127 wurde von Sebastian Franck hochgeschätzt 128, Schwenckfeld veranstaltete eine Neuausgabe der Imitatio Christi129; er war es, »der dieses Buch für den Protestantismus »wiederentdeckt« hat130. (Bereits bei Schwenckfeld ist das IV. Buch der ›Imitatio‹ mit seiner eucharistischen Frömmigkeit in der Neuausgabe ausgelassen.) Auch Weigel schätzte die ›Nachfolge Christi‹131. Staupitz’ Büchlein ›Von der holdseligen Liebe Gottes‹ und ›Von unserm H. Christlichen Glauben‹, die Arndt kurz nach dem I. Buch von wahrem Christentum in einem Neudruck veröffentlichte132, wurden schon von Franck geschätzt133, Schwenckfeld veranstaltete eine Neuausgabe134, Weigel empfahl die 121 Ausgabe der Theologia deutsch, 1528. Vgl. Georg BARING, Ludwig Hätzers Bearbeitung der »Theologia Deutsch«. Worms 1528, ZKG 70 (1959), 218–230. 122 Hans DENCK, Schriften. II: Religiöse Schriften, hg. v. Walter FELLMANN (QFRG 24,2), Gütersloh 1956, 111–113. Vgl. dazu Hans DENCK, Schriften. I: Bibliographie, bearb. von Georg BARING (QFRG 24,1), Gütersloh 1955, 40–46. 123 BARING, Denck-Bibliographie 45; Jean ORCIBAL, Hans Denck et la conclusion apocryphe de la Théologie Germanique, RHPhR 57 (1977), 141–151. 124 BARING, Denck-Bibliographie, 44–46. WEBER, 51, blieb die Herkunft der Schlußreden unbekannt. 125 MARON (wie Anm. 32), 100, vgl. 45, 155. SCHWENCKFELDS Katechismus ›Eyn Deutsch Theologia‹ (CSchw XVII, 54–147) hat nur den Titel übernommen, aber sonst nichts mit jener Schrift zu tun. 126 Valentin W EIGEL, Kurtzer Bericht vnd Anleitung zur Teutschen Theologey [...], in: DERS., Sämtliche Schriften, Lief. 3 (wie Anm. 115), 89–128. Vgl. HOLLENBERG, Valentin Weigels kurzer Bericht und Anleitung zur teutschen Theologey, DZCW 5 (1855), 351–355; Georg BARING, Valentin Weigel und die Deutsche Theologie, ARG 55 (1964), 5–7; Winfried ZELLER, Nachwort des Herausgebers, in: Weigel, Sämtliche Schriften 3, 129–146, hier 138ff. 127 Vgl. Augustin DE BACKER, Essai bibliographique sur le livre De imitatione Christi, Liège 1864 [Reprint Amsterdam 1966]; P.E. PUYOL, Descriptions des manuscrits et des principales éditions du livre De Imitatione Christi, Paris 1898; Willem AUDENAERT, De imitatione Christi en andere werken. Een [...] catalogus van de 17de en 18de eeuwe drukken in de bibliotheken van Nederlands talig Belgie, Leuven 1985. Vgl. WALLMANN (wie Anm. 100), 12f. 128 Vgl. FRANCK, Paradoxa (wie Anm. 113), 176. 129 CSchw IV, 278–413. Vgl. WEBER, 42f. 130 MARON (wie Anm. 32), 48. 131 Vgl. etwa WEIGEL, Sämtliche Schriften, Lief. 3 (wie Anm. 115), 125. 132 S. o. Anm. 33. 133 Vgl. FRANCK, Paradoxa (wie Anm. 113), 82.350.351.380.381. 134 CSchw X, 735–771. Neuausgabe durch den Schwenckfeldianer Daniel Sudermann, o.O. 1594 [SB Berlin].
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Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹
Staupitz-Lektüre135, und später erschienen die beiden Staupitz-Schriften zusammengedruckt mit Werken der Spiritualisten Christian Entfelder136 und Valentin Krautwald 137. Die Spiritualisten waren es also, die diese Werke der spätmittelalterlichen Mystik rezipierten und deren Gedanken in ihre Anschauungen integrierten. Und es waren eben diese dem mystischen Spiritualismus als Quellen echter Frömmigkeit geltenden Schriften, die Arndt neu herausgegeben hat 138, und diese Schriften exzerpierte er, um das wahre Christentum darzustellen. Die Nähe Arndts zum Spiritualismus ist in der neueren Forschung immer wieder festgestellt worden.139 Seit seiner Studienzeit war er mit dem Paracelsismus vertraut140, spätestens 1599 kannte er Weigel-Schriften – ein Jahrzehnt, bevor die erste Weigel-Schrift im Druck erschien141 – und in das II. Buch von wahrem Christentum übernahm er Weigels ›Gebetbüchlein‹, das erst 1612 im Druck herauskam, und dessen ›Informatorium‹, das erst 1616 gedruckt vorlag. Arndt hatte nach eigenem Bekunden die Handschrift des ›Gebetbüchleins‹ 1605142 »von einem guten Freunde« (!) erhalten – eine Bemerkung, die seine Kontakte zu solchen Kreisen belegt, in denen Weigel-Schriften handschriftlich kursierten. Nachdem Weigels Werke dann gedruckt vorlagen, wurden die gedanklichen Berührungen zwischen Arndt und Weigel als so eng empfunden, daß nach den Worten des Arndt-Apologeten Daniel Dilger sogar »viel Leuthe in den falschen Wahn gerathen« seien, »als were H. Johann Arnd unnd Weigelius ein author / nur mit geenderten Namen«!143
WEIGEL, Sämtliche Schriften 3, 125. Drey [...] Büchlein [...] das dritte durch Christian Entfelder, o.O. 1624 [SB Berlin]. 137 De amore Dei tractatus, Frankfurt 1624 [SB Berlin]; Tetractys tractatuum vere aureorum, Ascaniae 1707, enthält: I. STAUPITZ, De Amore Dei, II. Staupitz, De Fide, III. KRAUTWALD, De Novo Homine, IV. Schrift eines unbekannten Autors [SB Berlin]. 138 Die teutsche Theologia [...], Halberstadt 1597; Zwey vhralte vnd edle Büchlein. Das Erste. Die Deutsche Theologia / [...] Das ander. Die Nachfolgung Christi [...], Magdeburg 1605, weitere Ausgaben zu Lebzeiten Arndts: Magdeburg 1606, Magdeburg 1617, Magdeburg / Goslar 1621; Postilla Johannis Tauleri [...]. Jtem / zwey Geistreiche Büchlein. Das erste / die Deutsche Theologia [...]. Das ander / die Nachfolgung Christi [...], Hamburg 1521. 139 Vgl. BENRATH (wie Anm. 109); HAMM (wie Anm. 73); SCHNEIDER (wie Anm. 15 und 29); WALLMANN (wie Anm. 2); BRECHT (wie Anm. 2). 140 Vgl. SCHNEIDER (wie Anm. 15 und 29). 141 WEIGEL, Libellus de vita beata [...], Halle 1609. 142 S. o. Anm. 5. Vielleicht ist die Angabe »ungefehr für 15 Jahren« (von 1620 an gerechnet) nur eine runde Zahl; terminus ante quem ist der 19. Febr. 1607, an dem das Manuskript des II. Buches abgeschlossen vorlag (s.o. Anm. 1). 143 Daniel DILGER, Des Ehrwürdigen / Achtbaren und Hochgelarten Herrn Johannis Arndes [...] Richtige / und in Gottes Wort gegründete Lehre / in den vier Büchern vom wahren Christentum [...], Altenstettin 1620, M 5. 135 136
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Carlos Gilly hat vor einigen Jahren auf einen hochinteressanten Fund hingewiesen, der leider in der Arndt-Forschung noch weithin unbekannt geblieben ist. Es handelt sich um einen Brief, den Fürst August von Anhalt 1612 an einen Vertrauten geschrieben hat und dessen Inhalt für die Arndtdeutung von erheblicher Brisanz ist. Darin berichtet der Fürst, selbst ein Sympathisant der Weigelianer, daß er sogleich nach der Lektüre von Arndts Büchern von wahrem Christentum diesem durch eine Mittelsperson zwei Fragen habe vorlegen lassen: zum einen, warum sich Arndt mit fremden Federn geschmückt habe, »weiln die Sachen alle, so er ausgelassen [= veröffentlicht], ex Wigelio gnommen weren«; zum andern habe er Arndt fragen lassen, warum er die »Wahrheit«, den Inhalt seines Werkes, der Zensur des Konkordienbuches unterworfen habe. Auf die erste Frage habe Arndt bekannt, »dass es nit sein, sonder des Wigelii Sachen weren, welches Scripta weill sie niemand wolt fast lassen ahn Tag kommen, hett er sich doch nun mehr eine gutte Zeitt dasselbe zue tuen bemueet und mitt guttem profect fortgesetzet, auch lest in dise formam gebracht aus guttem Hertzen; willens, dass es noch künftig mennigklich an Taag publicirtt werden solte, von Wem dise Warheitt keme.« Auf die zweite Frage, warum er sein Werk der Zensur des Konkordienbuches unterworfen habe, habe Arndt geantwortet: »Der Censur halber wers wegen des drucks geschehen und weill sie es dabei gelassen, freüet er sich, dass die Rosa under den spinis gewachsen were.«144
144
Carlos GILLY (wie Anm. 13), 80.
JOHANN ARNDT UND DIE MYSTIK Johann Arndt und die Mystik – das ist nicht erst ein Thema oder vielleicht sogar »die Hauptfrage der Arndt-Forschung«1 des 20. Jahrhunderts. Schon Pierre Poiret in seiner ›Lettre sur les principes et le caractères des principaux auteurs mystiques & spirituels‹ (1700)2 und Gottfried Arnold in seiner ›Historia et descriptio theologiae mysticae‹ (1702)3 haben Arndt als Mystiker gewürdigt. Hingegen war bereits 1687 in einer Leipziger Dissertation bestritten worden, daß »Arndt und die übrigen Theologen, die auf das wahre Christentum dringen«, mystische Theologen im engeren Sinn seien; »indem sie auf die fortwährende Praxis dringen, unterscheiden sie sich weitestgehend von jenen, die wollen, daß die Kontemplation die vorrangige Hauptsache der Religion sei«.4 Die unterschiedliche Beurteilung von Arndts Verhältnis zur Mystik prägt auch die Forschung des 20. Jahrhunderts – angefangen von Wilhelm Koepp, der seiner Arndt-Monographie den Untertitel »Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum« gab5, bis zu Beiträgen aus den letzten Jahrzehnten, etwa Gustav Adolf Benraths Darstellung Arndts im Handbuch der Theologie- und Dogmengeschichte6, Johannes Wallmanns Aufsatz über ›Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum‹ 7, Christian Braws ›Bücher im Staube. Die Theologie Johann 1 Christian BRAW, Bücher im Staube. Die Theologie Johann Arndts in ihrem Verhältnis zur Mystik, Leiden 1986, 12. 2 Pierre POIRET, Lettre sur les principes et le caractères des principaux auteurs mystiques & spirituels, Amsterdam 1700. 3 Gottfried ARNOLD, HISTORIA ET DESCRIPTIO THEOLOGIAE MYSTICAE, Seu THEOSOPHIAE ARCANAE ET RECONDITAE, itemque veterum & novorum MYSTICORUM, Frankfurt/M. 1702; deutsche Ausgabe: Historie und beschreibung der mystischen Theologie, oder geheimen GottesGelehrtheit, wie auch derer alten und neuen Mysticorum, Frankfurt/M. 1703. 4 »Arndium quod attinet & reliquos Theologos verum Christianismum urgentes, tantum abest, ut sint mystici theologi, quales per hunc titulum in sensu famosiori proprie intelliguntur, ut potius, dum praxin urgent perpetuam, ab illis, qui contemplationem primarium religionis caput volunt esse, quam longissime recedant.« Johann Benedikt CARPZOV (praes.) / Johannes GÜNTHER (resp.), De religione Quietistarum [...], Leipzig 1687 [HAB Wolfenbüttel], c. 1, § 6, p. 13; zitiert bei Gottfried Balthasar SCHARFF, Supplementum historiae litisque Arndianae [...], Wittenberg 1727, 164. 5 Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (NSGTK 13), Berlin 1912 [Reprint: Aalen 1973]. 6 Gustav Adolf BENRATH, Die Lehre außerhalb der Konfessionskirchen. Kap. I: Die Lehre der Spiritualisten, in: HDThG 2, 560–610, hier 598–602: Johann Arndt und der Spiritualismus im 17. Jahrhundert. 7 Johannes WALLMANN, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum, Chloe 2 (1984), 50–74; wieder abgedruckt in: DERS.,
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Arndts in ihrem Verhältnis zur Mystik‹ 8 und schließlich die Marburger Dissertation von Hermann Geyer mit dem Titel ›Theologia sincerior. Johann Arndts mystisch-spiritualistische Theologie‹ 9. Kontrovers ist die Frage nach dem Verhältnis Arndts zu den mystischen Traditionen, vor allem in ihrer Relation zum Luthertum; kontrovers die Frage nach der Bedeutung und Funktion der Mystik in seinem theologischen Wollen, kontrovers die Frage, ob und inwiefern er überhaupt als Mystiker zu bezeichnen ist.
I Arndts Begegnung mit der Mystik Wilhelm Koepp hat in seiner Monographie eine Entwicklung Johann Arndts aufzuzeigen versucht. Entgegen der Ansicht der älteren Literatur betont er: »Wir müssen uns von der Vorstellung, daß Arndt von früh an in mystischen Anschauungen und mystischer Frömmigkeit groß geworden ist, zunächst ganz losmachen.«10 Arndts unnachgiebige Haltung gegenüber calvinisierenden Tendenzen in Anhalt, die ihn lieber Amt, Gemeinde und Heimat aufgeben ließ, als seine Überzeugung selbst in der eher peripheren Frage des Exorzismus zu verleugnen, biete »das Bild eines rechten Streittheologen vom Schlage eines Flacius«.11 Die Predigten über die ägyptischen Plagen, in denen »jede leiseste Spur von Mystik« fehle, ließen eine »energische Verbindung von ausgeprägter Orthodoxie der Lehre und ethischem Rigorismus der Praxis« erkennen; »das scheint also die Stellung des jüngeren Arndt gewesen zu sein«.12 Von einem »lebendigen Eifer für die Orthodoxie« zeuge auch noch Arndts ›Ikonographia‹. Erst Arndts Vorrede zu seiner Ausgabe der ›Theologia deutsch‹ markiere dann den »großen Wendepunkt im Leben Arndts, an dem er in den Strom der Mystik einzutauchen beginnt«.13 In den späteren Veröffentlichungen sei erkennbar, daß sich Arndt von der thomistisch geprägten deutschen Mystik stärker der
Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, 21–19 [hiernach wird zitiert]. 8 Wie Anm. 1. 9 Hermann GEYER, Theologia sincerior. Johann Arndts mystisch-spiritualistische Theologie, Diss. theol. Marburg 1998. [Erweitert: Verborgene Weisheit. Johann Arndts ›Vier Bücher vom Wahren Christentum‹ als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie (Arbeiten zur Kirchengeschichte 80/I–III), Berlin / New York 2001]. 10 KOEPP (wie Anm. 5), 19. 11 KOEPP, 19f. 12 KOEPP, 21. 13 KOEPP, 24.
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Johann Arndt und die Mystik
einem Evangelischen näherliegenden bernhardinischen »Jesusmystik« zugewandt habe.14 So problematisch die Konzeption Koepps in den Einzelheiten auch ist, enthalten seine Ausführungen nach meinem Urteil doch eine zutreffende Beobachtung: Vergleicht man nämlich Arndts Predigten über die ägyptischen Plagen15 (die wohl im Dezember 1595 gehalten wurden16) sowie seine ›Ikonographia‹ 17 (die Arndt im Dezember 1596 abgeschlossen hat) einerseits mit seiner Vorrede zur ›deutschen Theologie‹ 18 (die im Frühjahr 1597 im Druck erschien) andererseits, so kann man schwerlich leugnen, daß in dieser Vorrede neue Töne angeschlagen werden. Zwischen Arndts ›Ikonographia‹ und seiner Vorrede zur ›deutschen Theologie‹ hat sich ein auffälliger Paradigmenwechsel vollzogen, der sich als Rezeption mystischer Sprache und Vorstellungen charakterisieren läßt. Programmatisch setzt Arndt auf das Titelblatt seiner Neuausgabe der ›Theologia deutsch‹ zwei Bibelstellen, die mystische loci classici sind und die von nun an in allen seinen Schriften immer wieder an zentralen Stellen begegnen: »Lu 17. Das Reich Gottes kömpt nicht mit eusserlichen Geberden / denn sehet das Reich ist innwendig in euch. 1. Corin. 4. Das Reich Gottes stehet nicht in worten / sondern in der Krafft.« Als Hauptthema der ›Theologia deutsch‹ bezeichnet er die Vereinigung des Menschen mit Gott, gleichbedeutend mit der neuen Geburt und dem Reich Gottes in uns.19 KOEPP, 76. Zur Kritik vgl. WALLMANN (wie Anm. 7), 16. Erst posthum gedruckt: Zehen Lehr= und Geist=reiche Predigten: Von den Zehen grausamen und schröcklichen Egyptischen Plagen / welche der Mann GOttes Moses für dem verstockten Könige Pharao in Egypten / kurtz vor dem Außzug der Kinder Jsrael / durch Gottes Würckung hat gethan: Was massen all solche Plagen geistlicher Weise vor dem Ende der Welt widerkommen / vnd über das Menschliche Geschlecht / insonderheit über die jetzt verstockte böse Christenheit / ergehen vnd verhänget werden sollen [...], Frankfurt/M. 1657. [SUB Göttingen; SStB Augsburg]. 16 Zur Datierung vgl. Hans SCHNEIDER, Johann Arndts ›verschollene‹ Frühschriften [s.o. in diesem Band], Abschn. VI. 17 IKONOGRAPHIA. Gründlicher vnd Christlicher Bericht / Von Bildern / jhrem vhrsprung / rechtem Gebrauch vn[d] mißbrauch / im alten vnd newen Testament: Ob der mißbrauch die Bilder gar auffhebe: Was dieselben für ein gezeugnuß in der Natur haben / in Geistlichen vnd Weltlichen Sachen: Von der Ceremonia oder Zeichen des Creutzes: Auch von der eusserlichen Reverentz vnd Ehrerbietung gegen dem hochgelobten Namen Jesu Christi / vnsers einigen Erlösers vnd Ehrenkönigs [...], Halberstadt o.J. [Vorrede: 19.12.1596; gedruckt wohl Anfang 1597]. 18 Die teutsche Theologia. Das ist: Ein edles büchlein / vom rechten verstande / was Adam vnd Christus sey / vnd wie Adam in vns sterben / vnd Christus in vns leben sol. Lu 17. Das Reich Gottes kömpt nicht mit eusserlichen Geberden / denn sehet das Reich ist innwendig in euch. 1. Corin. 4. Das Reich Gottes stehet nicht in worten / sondern in der Krafft, Halberstadt 1597. 19 Vorrede zur Teutschen Theologie, 11v. 14 15
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Überprüft man diesen ersten Eindruck von einer neuen Begrifflichkeit jedoch genauer, so muß man ihn etwas differenzieren. Denn auch in der ›Ikonographia‹ finden sich schon Passagen, die in ihrer Sprache der Vorrede zur ›deutschen Theologie‹ gleichen und bereits deren Themen vorwegnehmen: Wird in der Vorrede zur ›Theologia deutsch‹ das Disputieren getadelt, so heißt es auch schon in der ›Ikonographia‹: »In der Newengeburt leben / ist besser denn von der Newengeburt disputieren.«20 Auch die Schlüsselstelle Lk 17,21 begegnet in Verbindung mit einem inwendigen Christentum bereits in der ›Ikonographia‹: »Dieser reine Gottesdienst / der da ist in eines jeden Menschen reinem Hertzen vnd Glauben / bestehet / wenn auch nimmermehr eine Kirche / Bilde vnd Altar were / Denn er ist an keine zeit / ort / oder einig eusserlich ding gebunden / Vnd ist das Reich Gottes / so in vns ist / welches nicht kömpt mit eusserlichen geberden / oder gepreng.«21
Achtet man freilich darauf, in welchen Teilen der ›Ikonographia‹ die neuen Töne und Themen begegnen, so findet man sie nicht im Hauptteil der Schrift, sondern ausschließlich im Vorwort und im Nachwort (»Beschluß an den Leser«), und da ein Autor nicht nur das Nachwort, sondern auch das Vorwort nach Abschluß eines Buchmanuskripts zu schreiben pflegt, heißt das: in den zuletzt verfaßten Teilen. Nun ist aber die Vorrede der ›Ikonographia‹ genau datiert auf »den vierden Sontag des Advents / ist der 19. Monats Tag Decembris dieses fast abgelauffenen 1596. Jars«. So läßt sich also schließen, daß Arndt im Advent 1596 (oder kurz zuvor) auf die ›Theologia deutsch‹ gestoßen sein dürfte, die ihre ersten Spuren in Nachwort und Vorrede der ›Ikonographia‹ hinterlassen hat und dort zu dem beobachteten Stilwandel führte. Arndt war der – irrigen – Meinung, das Büchlein der deutschen Theologie sei seit »Anno 34 in unserer deutschen Sprache nicht gedruckt« worden22, so daß »es beinahe untergegangen wäre«. »Solcher alten kurzen Büchlein, die zu einem heiligen Leben führen, liegen viel im Staube verborgen, wie Joseph im Kerker23 [...]. Wie aber Joseph durch einen Traum aus seinem Gefengnis erlöset worden24; also werden durch göttlich Eingeben solche Büchlein gesuchet, gefunden, geliebet und hervorgezogen.«25 Arndt erscheint es also als ein geradezu Ikonographia, 45v. Ikonographia, 2 v–3r. Vgl. Lk 17,21 (Luther-Übersetzung). 22 Diese Aussage Arndts über das Fehlen von Drucken der Theologia Deutsch zwischen 1534 und 1597 ist unzutreffend; vgl. Georg BARING, Bibliographie der Ausgaben der »Theologia Deutsch« (1516–1691), Baden-Baden 1963, 50. 23 Vgl. Gen 39,20ff. 24 Vgl. Gen 41,14ff. 25 Vorrede 11r. Meine Hervorhebung. 20 21
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inspirierter Vorgang, daß er auf diese Schrift stieß. Wie das geschah, wissen wir leider nicht. Was lernte Arndt aus der Theologia deutsch? Als zentralen Inhalt formuliert er: »sonderlich wie der Mensch mit Gott solle vereiniget werden / welchs ist des Menschen vollkommenheit / vnd finis totius Theologiae. An dieser Einigkeit ligt alles, denn diese vereinigung mit Gott ist die newe Creatur / die Newgeburt / der Glaube / Christus in vns / durch den Glauben / Christi Leben in vns / Christi einwonung / des H. Geistes erleuchtung / das Reich Gottes in vns / dis ist alles eins«.26
Diese positive Beschreibung wird aber durch eine äußerst scharfe Kirchenund Theologiekritik kontrastiert, die im Text der ›Theologia deutsch‹ keinen Anhalt hat: »Es ist Weltkündig / das innerhalb siebentzig jaren viel hundert Bücher / von der Christlichen Religion / Lere vnd Glauben von unterschiedtlichen Parteyen / geschrieben sindt / also das eines Menschen Leben nicht gnug ist / dieselben alle zuerschepffen [...] vnd hat das ansehen / als ob der Satan solche viel jerige vneinigkeit in der Lere erreget habe [...] Denn man sehe die Welt an / ob sie nicht von Tage zu Tage erger wirdt / weil man sich gar auff die streitsachen / auff schreiben vnd wiederschreiben / begibt.« 27 »[...] die grosse menge der Bücher ist wieder die art des newen Testaments / welches nicht in auswendigen Buchstaben bestehet / sondern im Geist«.28
Er sieht in dem Turm zu Babel eine »Praefiguration« auf den »Geistlichen Standt«: »Denn wie jene einen so hohen Thurm bawen wollten / der in den Himel reichen sollte: also wil ein jeder Geistloser mit seinen Büchern jtzo einen Thurm in Himel bawen / darauff man hinnan steigen solle. Wie aber jenes aus eigener Klugheit vorgenommen: also auch dieses / Vnd wie dort der Bawleute Sprache verwirret ward: Also hat Gott der Geistlichen Bawleute Sprache verwirret / dz keiner den andern verstehet / Daher ist man zerstrewet in soviel Secten29 / wie dort in viel Sprachen und Zungen. Wie aber dort die nerrischen Leute gezwungen wurden abzustehen / von dem fürwitzigen vnd vnnötigen Gebew: also werden auch die Geistlichen Bawleute / von jrem Gebew / von Büchern / vnd vielen Disputationibus erbawet / abstehen müssen / vnd einen andern Weg suchen / wollen sie sich nicht selber / neben jren Zuhörern / vmb jre Seligkeit bringen. Derwegen ist hohe zeit / das wir den lebendigen Glauben / fidem operosam 30, vnd das edle Leben Christi / in so vieler Leute Hertz einzupflanzen / anfahen so viel Bücher und Buchstaben / mit Tinten auff Pappier geschrieben sein / Das were Apostolisch / und nicht Babilonisch.«31 Vorrede 11 v. Hervorhebung Arndts. Vorrede 4 v –5r. 28 Vorrede 6 r. 29 Zum Begriff »Sekte« vgl. SCHNEIDER, Frühschriften [s.o. S. 168f.]. 30 Vgl. Gal 5,6: fides, quae per charitatem operatur. 31 Ikonographia (wie Anm. 17), Vorrede 10r–v. Zur Interpretation der Stelle vgl. SCHNEIDER , Frühschriften [s.o. S. 167f.]. 26 27
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Durch diese Kritik, die schon in den letzten Teilen der ›Ikonographia‹ ihren Niederschlag gefunden hat, geriet aber für Arndt sein eigenes Buch rückblickend in ein neues Licht. Denn seine scharfe Polemik gegen die calvinistische Bilderstürmerei war doch selbst ein Produkt jener orthodoxen Streitkultur, die Arndt nun so hart kritisierte. Er relativiert also seinen eigenen Beitrag zur konfessionellen Polemik, wenn er schreibt: »Es ist zumal ein verdrießlicher und unnützer Handel, das man wider die eusserlichen dinge so hart disputiret, als wenn der gantzen Christenheit daran alles gelegen were.«32 Arndt kritisiert damit genau das, was er in der ›Ikonographia‹ getan hatte! »Were es nicht besser / den Leuten Busse predigen, denn Altar umbreissen? Besser ists / Christum lieb haben, denn von Ihm viel hohe ding disputiren.« 33 Aus dieser neugewonnenen Sicht lehnte er daher auch ein Jahrzehnt später eine Neuauflage der ›Ikonographia‹ ab: »Mit meinem Büchlein über die Bilder bin ich nicht zufrieden; daher will ich nicht, daß es nochmals ans Licht kommt.«34
II Arndts Edition und Rezeption mystischer Literatur Arndt war von der Lektüre der ›Theologia deutsch‹ so – im wörtlichen Sinn – »begeistert«, daß er sich zu einer Neuedition entschloß. Er muß sich sofort an die Arbeit gemacht haben, denn der Halberstädter Drucker und Verleger Georg Kot 35 konnte die Ausgabe schon zur Ostermesse im März 1597 anzeigen.36 In dem Nachwort der Edition gibt Arndt Auskunft über seine Vorlagen und seine Arbeitsweise. Danach hat er zunächst nur ein Exemplar der von Luther herausgegebenen (dritten) Wittenberger Ausgabe der ›Theologia deutsch‹ von 152037 besessen, die Arndt als »sehr vndeutlich vnd mangelhafft« bezeichnet. »Vnd weil anfenglich kein bessers verhanden / hab ich mich dessen gebraucht / biß zu halb verfertigung dieser Edition.« Erst danach kam er in den Besitz eines Basler Drucks von 152138, »darinnen etliche Periodi deutlicher«. Ikonographia, 45r. Ebd. 34 »Libellus meus de imaginibus mihi non satisfacit; proinde nolo videat amplius lucem.« Arndt an Gerhard, 1604 Jan 27. Georgius Martinius RAIDELIUS (ed.), Epistolae virorum eruditorum ad Johannem Gerhardum [...], Nürnberg 1740, 33. 35 Zu Kot vgl. W. BAUMANN, Geschichte des alten Halberstädter Buchdrucks, AGB 1 (1958), hier 249–252. 36 Catalogus nouus omnivm librorvm, qvi nvndinis vernalibvs Francofvrti ad Moenvm, & Lipsiae anno 1597, celebratis, nouiter impressi venales expositi fuerunt [...], Leipzig 1597, [unpaginiert]. 37 BARING (wie Anm. 22), Nr. 11. 38 Vgl. BARING, Nr. 13 (kein Exemplar bekannt). Bekannt ist nur ein Basler Druck aus dem Jahre 1523 (Vgl. BARING, Nr. 14). 32 33
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Dann erhielt er noch ein Exemplar eines Augsburger Drucks von 1534 39, »welches correctius gewesen / denn die vorigen beyde«. Und schließlich hat er außerdem »in einem fürnemen Autore40 / etliche viel Capittel der deutschen Theologiae allegirt gefunden«, aus denen er entnehmen konnte, daß in den ihm bisher bekannten Editionen »etliche fürneme sententiae« fehlten. Da aber seine Ausgabe schon »fast über die helffte damals fertig« gedruckt war, konnte er keine Änderungen mehr vornehmen und mußte sich auf einige Hinweise am Ende seiner Edition beschränken.41 Die nächste Erwähnung mystischer Schriften findet sich in Arndts berühmtem Brief »de studio« vom 15. März 160342, in dem er Johann Gerhard, der gerade sein Theologiestudium begonnen hatte, Studienratschläge und besonders Empfehlungen für Bücherkäufe gab. Der Brief läßt erkennen, wie Arndt auf dem eingeschlagenen Weg voranschritt. Zum einen begegnet hier wieder die Bücher- und Theologiekritik aus der Vorrede zur ›deutschen Theologie‹. Angesichts der reichen exegetischen Literatur im Luthertum ist schon auffällig, wenn Arndt schreibt: »Ich weiß fürwahr nicht, welche Bibelausleger und Kommentatoren ich dir empfehlen soll; die einen sind so populär, daß sie nichts an Substanz haben, die anderen bleiben nur an der Schale hängen. Die meisten – um andere unerwähnt zu lassen – schreiben nicht aus dem Geist, sondern aus dem Fleisch. [...] Hochmut, Habsucht, Ehrgeiz sind der Ursprung der meisten Bücher; diese sind fleischlich.«43 Zum andern zeigt sich, daß Arndt – durch die ›Theologia deutsch‹ auf den Geschmack gekommen – weitere mystische Literatur kennen und schätzen gelernt hatte. Unter den Bücherempfehlungen finden sich überhaupt keine lutherischen Theologen – weder theologische Lehrbücher noch Erbauungsliteratur (wie Habermann oder Moller) –, da39 Vgl. BARING, Nr. 21 (bisher kein Exemplar gefunden). Wahrscheinlich handelt es sich um einen Nachdruck der Wormser Ausgabe von 1528, die von dem Spiritualisten Ludwig Hätzer herausgegeben wurde. Vgl. BARING, Nr. 20. 40 Edmund WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung (StIren 2), Hildesheim 31978, 51, sieht in dem »fürnehmen Autore« Sebastian Castellio. Doch das ist unzutreffend, da Arndt am 24.1.1604 an Johann Gerhard schrieb, daß er die Lyoner Ausgabe Castellios erst kürzlich (»proxime«) erhalten habe (s.u. Anm. 47). 41 Nachwort »An den guthertzigen Leser«. Die Hinweise finden sich auf den letzten Blättern der Ausgabe unter dem Titel »Correctur vnd Defect«. 42 Zuerst gedruckt in: Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde von Allerhand Büchern und andern annemlichen Geschichten, [Leipzig] 1690, 623–625 [SUB Göttingen]. Zur Korrektur des Datums vgl. Erdmann Rudolf FISCHER, Vita Ioannis Gerhardi, Leipzig 1723, 23f. [SB München]. 43 »Interpretes S[anctorum] Bibliorum et commentatores nescio sane, quos tibi commendare debeam: quidam sunt adeo populares, ut nihil rerum habeant, quidam tantum in cortice haerent, plurimi, quod pace aliorum dixerim, non ex spiritu, sed ex carne scribunt. [...] Fastus, avaritia, contentio origo plurimorum librorum; carnales hi sunt.«
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für aber mystische Autoren, die »aus dem Geist geschrieben haben«. Hier begegnen Bernhard von Clairvaux, Thomas von Kempen, Makarios und Luis de Granada. Vom Ende des Jahres 1603 ist eine Leichenpredigt erhalten, die Arndts homiletische Rezeption mystischer Sprache illustriert. Beim Begräbnis der Frau des Braunschweiger Bürgermeisters von Scheppenstedt predigte Arndt über Ps 73,25, »Welcher ist eine beschreibung eines Gottgelassenen vnd Gott ergebenen Menschen«.44 Hatte Arndt bereits im Brief vom März 1603 Thomas von Kempen zur Lektüre empfohlen, aber die ›Theologia deutsch‹ unerwähnt gelassen, so holte er das in einem späteren Brief nach. Am 24. Jan. 1604 schrieb er an Gerhard, offenbar als Antwort auf eine Rückfrage: »Das Büchlein von der Nachfolge Christi kannst du im Werk des Kempisius finden.45 Aber sieh zu, daß du auch die mystische Theologie erhältst, ein wunderbares Büchlein, auf lateinisch in Lyon gedruckt 46. Ich habe kürzlich aus Köln ein Exemplar erhalten, [besitze] aber kein zweites, sonst würde ich es schicken.«47 Dieser Hinweis führte zu einem Mißverständnis Gerhards, denn am 10. Jan. 1605 antwortete Arndt: 48 »Die mystische Theologie, die dir von mir empfohlen wurde, ist nicht jene, von der du schreibst. Meine ist das hervorragende Buch, das vor mehr als hundert Jahren auf deutsch verfaßt, von Doktor Luther mit einem vortrefflichen Vorwort geschmückt49 und von Johannes Theophilus 50 ins Lateinische übersetzt in Lyon gedruckt wurde. Aber auch ich gedenke sie [die mystische Theologie] auf deutsch zusammen mit dem vortrefflichen Büchlein von der
44 Auszlegung. DEs Trostreichen Spruchs / Aus dem 73. Psalm: Wenn ich nur dich habe / so frage ich nichts nach himmel vnnd Erden / etc Welcher ist eine beschreibung eines Gottgelassenen vnd Gott ergebenen Menschen: Darin auch gelehret wird / wie man müsse zum Himmelreich vnd zum seeligen Ende geschickt vnd bereitet werden: Gehalten bey Dem Christlichen Begrebnus der Gottseeligen Vieltugentsamen / Christlichen vnd Erbarn Matron / Maria von Vechteldt / Weyland des Ehrnuesten / Achtbarn vnd Wolweisen Herrn / Curd von Scheppenstedt / Bürgemeister der alten Stadt Braunschweig / Ehelichen vnd Vielgeliebten Haußfrawen [...], Braunschweig 1604. – Abb. des Titelblatts: Braw (wie Anm. 1), 202. 45 S.u. Anm. 63. 46 Theologia mystica [...], Lyon 1580; es handelt sich um eine Ausgabe der Theologia Deutsch von Sebastian Castellio (BARING [wie Anm. 22], Nr. 43). 47 »Libellum de imitatione Christi in opere Kempisii invenies. Sed et theologiam mysticam latine Lugduni impressam, mirum libellum, fac, ut accipias. Ego Colonia saltem unum exemplar proxime accepi nec est alterius copia; alias mitterem.« RAIDEL (wie Anm. 34), 33. 48 RAIDEL, 38–43. 49 Vgl. Luther, WA 1, 379f.; Martin BRECHT, Randbemerkungen in Luthers Ausgaben der »Deutsch Theologia«, LuJ 47 (1980), 10–32; DERS., Martin Luther, I, Stuttgart 1981, 141–143; WEBER (wie Anm. 40), 51. 50 Sebastian Castellio (1515–1563). Vgl. Hans R. GUGGISBERG, TRE 7 (1981), 663–665.
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Nachfolge Christi binnen kurzem in verbesserter Gestalt zu veröffentlichen.« 51 Welche »theologia mystica« Gerhard in seinem nicht erhaltenen Brief erwähnt hatte, geht aus dem folgenden Satz Arndts hervor: »Jene mystische Theologie des Harphius begehre ich zu sehen, ob sie solide (»sana«) ist. Ich habe dem Postboten Geld gegeben, so daß ich vielleicht durch deine Bemühung, wenn sie bei euch [in Jena] zu haben ist, ein Exemplar davon bekommen könnte.« 52 Es handelt sich um ein Werk des Heinrich Herp (Harphius), eines Vertreters der Devotio moderna aus dem 15. Jahrhundert.53 Es war erstmals 1538 in Köln unter dem Titel ›Theologia mystica‹ erschienen54 und zuletzt 1601 neu aufgelegt worden55. Ob Arndt das Werk von Gerhard erhalten hat, wissen wir nicht; bei der Quellenkritik des ›Wahren Christentums‹ ist diese Spur bisher unbeachtet geblieben. In demselben Brief kündigt Arndt das bevorstehende Erscheinen des ersten Buchs von wahrem Christentum an56, das zur Frühjahrsmesse 1605 bei dem Frankfurter Buchdrucker und Verleger Jonas Rosa (Rhodius)57 erschien. Auf dem Titelblatt steht neben Bibelversen das Zitat des Mystikers Bernhard von Clairvaux: »Christum sequendo citius apprehendas quam legendo.«58 Im Vorwort der Erstausgabe zitiert Arndt ein weiteres Bernhard-Wort: »Omnia nos Christi vita docere potest.«59 Auch aus den andern hochgeschätzten mystischen Quellen hat Arndt in seinem I. Buch geschöpft, aus der ›Theologia deutsch‹ in den Kapiteln 2 bis 4, 11 und 31, aus der ›Nachfolge Christi‹ in den Kapiteln 19 bis 23 und 36.60 51 »Theologia mystica tibi a me commendata non est illa de qua scribis. Mea est exiguus libellus Germanice ante plusquam centum annos conscripta, a Domino Luthero egregio encomio ornata et a Iohanne Theophilo latinitati donata, Lugduni impressa. Sed et ego illam ipsam Germanice cum egregio libello de Imitatione Christi publicam facere cogito paulo emendatiorem.« RAIDEL (wie Anm. 34), 39. Zum Druck der hier angekündigten Ausgabe s.u. Anm. 63. 52 »Harphii vero illam mysticam videre aveo, num sana sit; dedi tabellario pecuniam, an tua opera, si apud vos prostet, mihi copia illius fieri possit.« RAIDEL ebd. 53 Vgl. Adrian F. MANNING, Art. »Heinrich Herp(ius)«, LThK2 5 (1960), 191f. (Lit.). 54 Henricus HARPHIUS, Theologia mystica [...] , Köln 1538 [Neudr. Farnborough 1966]. Weitere Ausgaben: Köln 1545, Köln 1556, Paris 1587. 55 Brixen 1601 [ULB Halle, HAB Wolfenbüttel]. 56 »Libellum meum de vero christianismo, poenitentia et fide Francofurti apud Rhodium impressum propediem videbis.« RAIDEL (wie Anm. 34), 39. 57 Zu Rosa vgl. Josef BENZING, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, AGB 18 (1977), 1077–1322, hier 1246. 58 PL 182, 241 C. Dasselbe Zitat setzte Arndt später auch auf das Titelblatt von Buch II. 59 Weitere Zitate Bernhards in I,37,13; II,8,10 und III, Vorr. 6. Zur Bernhardrezeption bei Arndt vgl. das zurückhaltende Urteil bei Johannes WALLMANN, Bernhard von Clairvaux und der deutsche Pietismus, in: Kaspar ELM (Hg.), Bernhard von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit (Wolfenbütteler Mittelalterstudien 6), Wiesbaden 1994, 353–374. 60 Vgl. die Quellenanalysen bei WEBER (wie Anm. 40), 45–49, 53–56, 60–63.
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Am 25. Juni 1605 kündigte Arndt in einem Brief an Gerhard eine weitere Veröffentlichung an: »Im Druck sind zwei weitere Büchlein von derselben Art [wie das wahre Christentum] Von der Liebe Gottes.«61 Es handelt sich um ein Bändchen, das zwei Schriften des Johann von Staupitz enthält und im Herbst 1605 in Magdeburg bei Johann Francke erschien: ›Von der holdseligen Liebe Gottes und Von unserm H. Christlichen Glauben‹.62 Ebenfalls noch im Jahre 1605 erschien die im Brief vom 24. Januar angekündigte Neuauflage der ›Theologia deutsch‹ »in verbesserter Gestalt«, der nun eine Übersetzung der Bücher I–III der ›Nachfolge Christi‹ des Thomas von Kempen beigegeben waren.63 Arndt war offenbar stets beflissen, Neuerscheinungen mystischer Literatur zu bekommen. Das läßt sich aus seiner Mitteilung an Gerhard über die Lyoner Ausgabe der ›Theologia deutsch‹ schließen, die Arndt »kürzlich aus Köln« erhalten hatte, und seiner Bitte, ihm ein Exemplar der ›Theologia mystica‹ des Harphius zu besorgen. Aus Köln dürfte er auch das dort 1601 erschienene Werk der Mystikerin Angela da Foligno64 erhalten haben, das er später exzerpierte, und die 1602 herausgekommenen Werke Ruperts von Deutz, die er in einem Brief an Gerhard erwähnt 65. Das Bemühen um mystische Literatur belegen ferner Rechnungen aus dem Jahre 1606, die im Stadtarchiv Braunschweig erhalten sind, aber in der Arndtforschung kaum Beachtung gefunden
»Sub prelo sunt alii duo, eiusdem generis, de amore Dei.« RAIDEL (wie Anm. 34), 44. Zwey alte geistreiche Büchlein / Doctoris Johannis von Staupitz / weiland Abts zu Saltzbergk / zu S. Peter. Das Erste. Von der holdseligen Liebe Gottes. Das Ander. Von unserm H. Christlichen Glauben. Zu erweckung der Liebe Gottes / vnd vermehrung des Glaubens in allen Gottseligen Hertzen. [...], Magdeburg 1605. [HAB Wolfenbüttel]. 63 Zwey vhralte vnd edle Büchlein. Das Erste. Die Deutsche Theologia / [...] Das ander. Die Nachfolgung Christi [...], Magdeburg 1605; weitere Ausgaben zu Lebzeiten Arndts: Magdeburg 1606, Magdeburg 1617, Magdeburg / Goslar 1621. Zur Textvorlage der ›Nachfolge Christi‹ vermutet WEBER (wie Anm. 40), 43: »Wahrscheinlich wird man in Arndts Text nur eine Variante des Schwenckfeldischen oder Castellionischen zu sehen haben.« Castellios Ausgabe (1563 u.ö.) war aber eine lateinische, so daß die Übersetzung von Arndt stammen müßte. Hätte er die deutsche Ausgabe Schwenckfelds (1531 u.ö.) übernommen, wäre das höchst signifikant! Da Arndt aber als Fundort der ›Imitatio Christi‹ das Werk des Kempisius angibt (s.o. Anm. 47), könnte er die zweibändige Ausgabe der Opera omnia, Antwerpen 1600–1601 [ULB Halle] besessen haben. 64 B. ANGELA DE FULGINIO, OSTENDENS NOBIS VERAM VIAM QUA POSSUMUS SEQUI VESTIgia nostri Redemptoris. Ab ipsa sanctißima Foemina (Spiritu sancto dictante) Liber hic conscriptus, & ad veram consolationem animarum piarum, omniumque vtilitatem, nunc primum in Germania editus, Köln 1601 [SB München; SStB Augsburg]. Abb. des Titelblatts: BRAW [wie Anm. 1] 127. Zu Angela vgl. Sophonius CLASEN, TRE 2 (1978), 708–710 (leider wird hier der Einfluß auf Arndt, Gottfried Arnold und Gerhard Tersteegen gar nicht erwähnt). 65 Ruperti Abbatis Tuicensis Opera [...], Köln 1602. Arndt zitiert aus dem Traktat ›De providentia Dei‹. [Melchior BRELER (Hg.)] Warhafftiger/ Glaubwürdiger und gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christenthumb [...], Lüneburg 1625, 4. 61 62
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haben.66 Sie dokumentieren Büchererwerbungen, die Arndt durch den Magdeburger Buchführer Johann Francke auf der Frankfurter Buchmesse tätigte. Darunter finden sich u.a. folgende Titel: »Albertini hortus sacer« und »Pinelli meditationes«. Bei dem ersten Titel handelt es sich um den ›Hortus sacer oder der Heilig Garten‹ des Spaniers Alphonso de Orosco, von Aegidius Albertinus übersetzt, aus dem Jahre 160567, also im Vorjahr erschienen, ferner die ›Meditationes de praecipuis mysteriis vitae Jesu Christi‹ des Jesuiten Lucas Pinelli, die 1601 und 1603 in Köln gedruckt worden waren68. Auch diese Werke haben bei der bisherigen Beschäftigung mit den Quellen Arndts noch keine Beachtung gefunden. Am 19. Febr. 1607 konnte Arndt endlich Gerhard die Fertigstellung des Manuskripts des II. Buchs von wahrem Christentum melden sowie mitteilen, daß das Material für die weiteren gesammelt sei.69 Am 25. April 1608 sandte Arndt das Manuskript des III. Buches an Gerhard 70, am 7. Juni kündigte er den Abschluß des IV. Buches an71, das er am 26. August folgen ließ72. Die Drucklegung sollte sich allerdings noch über längere Zeit hinziehen; offenbar erst 1610 erschien in Magdeburg die erste Ausgabe aller ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹.73 Auch im II. Buch begegnet wieder (in den Kapiteln 6, 22 und 23) die ›Theologia deutsch‹ als literarische Vorlage.74 Daneben taucht aber nun eine neue Quelle auf, die 1601 erstmals im Druck erschienenen Visionen und Instruktionen der italienischen Mystikerin Angela da Foligno75, die von Arndt in seinen 66 Stadtarchiv Braunschweig, B IV.11.163, f. 226. Abdruck (mit kleineren Fehlern) bei Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland General-Superintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838, 61f. 67 Hortus sacer oder Der Heilig Garten. Begreift vil schöne vnnd Andächtige Betrachtungen / mittel vnd vnderweisungen / wie man die Göttliche ding vnd geheimnussen betrachten vnd zu der waren ruhe deß Geistes gelangen könne. Allen andechtigen vô der Welt abgesonderten Seelen / Religionen vn[d] Closterpersonen sehr dienstlich. Durch ALPHONSUM DE OROSCO, in Hispanischer Sprachen beschriben / vnd Durch AEGIDIVM ALBERTINVM, F.D. Hertzogs Max: in Bayrn / Secretarium verteutscht. [...], 1605. 68 Lucas PINELLI, Meditationes de praecipuis mysteriis vitae Jesu Christi, Köln 1601, bzw. Libellus meditationum in quaedam mysteria vitae Christi, Köln 1603 [beide Ausgaben in UB Tübingen]. 69 »Secundum absolvi, reliqui magna ex parte collecti.« RAIDEL (wie Anm. 34), 78. 70 »Iam autographum tertii mei libelli mitto; quo, ut certo scio, intimas percepturus es delectationes.« RAIDEL, 149. 71 »Quartum libellum jam absolutum describo mundius, prima occasione missurus: mirabere.« RAIDEL, 162. 72 »In grosser Eyl, celeri calamo, properantibus mercatoribus Francofurtensibus transmitto libellum meum quartum.« RAIDEL, 172. 73 Vgl. KOEPP (wie Anm. 5), 61. 74 Vgl. WEBER (wie Anm. 40), 56–60. 75 S.o. Anm. 64.
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Schriften und Briefen nie namentlich genannt wird. Das Werk bildete die Vorlage für die Kapitel 13f., 18, 20–22, 24f., 27f., 30–33 des II. Buches.76 Das III. Buch von wahrem Christentum soll nach Arndts Worten eine Einführung in die Theologie Taulers bieten.77 Die Vorlage bildete ein Basler Druck aus dem Jahre 1521/22.78 Aufschlußreich ist Arndts inhaltliche Charakterisierung in einem Brief an Gerhard: »Unterdessen jedoch pflege ich zu ermahnen über den inneren Sabbat des Herzens, wo der Heilige Geist lehrt, erleuchtet, lebendig macht, und über jenen im Acker des Herzens verborgenen Schatz79 lehre ich – besonders in meinem dritten Büchlein – fragend und suchend, wo der Geist des Höchsten verborgen ist; nicht kraft des Gutseins der [menschlichen] Natur, das nicht [mehr] vorhanden ist, sondern kraft der Güte der Gnade, da ›der Geist alles erforscht, auch die Tiefen Gottes‹ [I Kor 2,10].«80 In Buch IV, dem »Buch der Natur«, treten die bisher benutzten mystischen Quellen ganz zurück. Edmund Weber hat die Paracelsus-Schriften, die Arndt hier benutzte, identifiziert81, aber nicht beachtet, daß gleich im ersten Kapitel Pseudo-Dionysius Areopagita82 und ein ungenannter Interpres Dionysii83 zitiert werden. Das Dionysius-Zitat stammt aus dessen Schrift ›De mystica theologia‹, der Interpres Dionysii ist Marsilio Ficino.84 Die Werke des Dionysius Areopagita wurden seit Beginn des 16. Jahrhunderts immer wieder aufgelegt.85 Neben der ›coelestis‹ und ›ecclesiastica hierarchia‹ enthalten die meisten Drucke auch das Werk ›De mystica theologia‹ und die ›Interpretationes Marsilii Ficini‹.
Vgl. WEBER, 65–68. Vgl. WChr III, 1,4. 78 Vgl. WEBER, 78 (ff.). 79 Vgl. Mt 13,44 (thesaurus in agro) mit Mt 12,35, Lk 6,45 (thesaurus cordis). 80 »Interim tamen de interno cordis sabbatho, ubi Spiritus Sanctus docet, illuminat, vivificat, admonere soleo, et de thesauro illo in agro cordis recondito quaerendo, investigando doceo, praesertim libello meo tertio, ubi spiritus latet altissimi: non ex naturae bonitate, quae nulla est, sed Gratiae benignitate, ubi to\ pneu=ma pa/nta e)reuna=, kai\ ta\ ba/qh tou= qeou=.« RAIDEL (wie Anm. 34), 80. 81 WEBER (wie Anm. 40), 140–157. 82 WChr IV/1, 1,6. 83 WChr IV/1, 1,4. 84 Zu Marsilio Ficino vgl. Josef NOLTE, Art. »Ficino«, TRE 11 (1983), 171–174. 85 Die erste lateinische Gesamtausgabe erschien in Straßburg 1502–1503: Opera Dionysii. Veteris et nove translationis. etiam novissime ... Marsilij ficini [...] De mystica theologia cum commento Marsilij ficini. [...]. [HAB Wolfenbüttel]. Eine griechische Ausgabe der ›Theologia mystica‹ gab Johann Eck 1519 in Augsburg heraus [HAB Wolfenbüttel]. 76 77
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Die mystischen Quellen in Arndts ›Paradiesgärtlein‹86 aus dem Jahre 1612 sind noch kaum identifiziert. Namentlich genannt wird nur der »Jubilus Bernhardi«, der in deutscher Übersetzung aufgenommen ist.87 Auch sonst finden sich Anklänge an Bernhard »mit seinen unverkennbaren, charakteristischen Tönen von dem allerlieblichsten Bräutigam, dem das Herz entgegenjauchzt, von der holdseligen und lieblichen Vereinigung mit dem Freunde, der da ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden, von dem freundlichen Kuß in der Kammer des Herzens, von der Taube, die sich birgt in den Steinritzen und Felslöchern der Wundmale Jesu, des Felsen des Heils usw.«.88 Bei den Betrachtungen über die Passion Jesu89, »die sich auch in den Spuren Bernhards bewegen«, hat Koepp die Vermutung ausgesprochen, daß hier außerdem Anregungen der katholischen, oft jesuitischen ›Meditationes de passione et morte Jesu Christi‹ verwertet seien.90 Ebenso wie das Paradiesgärtlein harren auch die voluminösen Predigtbände Arndts, die Postille91, die Katechismuspredigten92 und die Predigten über den Psalter93, noch einer eingehenden Analyse.94 Zu Recht erwartet Wallmann: »Wenn sich die Forschung einmal den bis heute noch nie untersuchten Predigtbänden Arndts zuwendet [...], wird man wohl feststellen, daß Arndts Ausschreiben von mystischen Quellen nicht auf das Wahre Christentum beschränkt ist.«95 86
Paradies=Gärtlein voller Christlicher Tugenden [...], [Magdeburg] 1612 [UFB Erfurt / Go-
tha]. Paradiesgärtlein III, 5,13. KOEPP (wie Anm. 5), 75. Koepp verweist auf Paradiesgärtlein I, 3,4; 6,3; II, 8 und 11. 89 Paradiesgärtlein II, 14–22. 90 KOEPP, 75. Es wäre interessant, die oben [Anm. 68] genannten ›Meditationes‹ des Jesuiten Pinelli, die Arndt hatte kaufen lassen, mit den Abschnitten des Paradiesgärtleins zu vergleichen. 91 POSTILLA: Das ist: Außlegung vnd Erklärung der Evangelischen Text / so durchs gantze Jahr an den Sontagen vnd vornehmen Festen / auch der Apostel Tage gepredigt werden / mit sonderm Fleiß zu Fortpflantzung des wahren Glaubens / Vbung der reinen Liebe / Bekrefftigung der lebendigen Hoffnung / Ernewerung des inwendigen Menschen / Erweckung wahrer Gottseligkeit / vnd eines heiligen Christlichen Lebens / vnd Erbawung des wahren Christenthumbs. [...] Sampt einer Vorrede Herrn Johan Gerhardts / der heiligen Schrifft Doctorn / vnd General Superintendenten im Fürstenthumb Coburg. [...], Jena 1616. 92 Der gantze Catechismus / erstlich in sechtzig Predigten aussgelegt vnd erkleret [...] Darnach kürtzer in acht Predigten. Item Die Haußtaffel / das ist Beschreibung der göttlichen Stände vnd Ordnungen [...]. – Zusammen mit der Postilla gedruckt. 93 Auslegung des gantzen Psalter Davids des Königlichen Propheten/ Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...], Jena 1617. 94 Der kurze Aufsatz von Bengt HÄGGLUND, Johann Arndts Auslegung des Psalters und ihre Rezeption in Schweden, in: Anders JARLET (Hg.), Johann Arndt-Rezeption und Reaktion im Nordisch-Baltischen Raum (Bibliotheca Historico-Ecclesiastica Lundensis 41), Lund 1999, 35– 44, ist für diese Frage unergiebig. 95 WALLMANN (wie Anm. 7), 15. 87 88
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Von Arndts letzten Publikationen sind schließlich noch der Traktat ›De unione credentium cum Christo Jesu‹ 96 und die ›Repetitio Apologetica‹97 zu erwähnen. In einigen Kapiteln des Unio-Traktats schwelgt Arndt geradezu in der Hohelied-Mystik.98 In der Verteidigungsschrift – unter dem bezeichnenden Titel ›Repetitio‹ – rechtfertigt Arndt auch seine Rezeption mystischer Aussagen, die »aus dem alten geistreichen Lehrer Tauler« bzw. »aus Tauler vnd andern heiligen Vätern angezogen« sind.99 Ebenso verwahrt er sich gegen den Vorwurf, daß die (bernhardische) Jesus-Mystik »Enthusiasterey« sei.100 Wie schon in seiner ersten Veröffentlichung verbindet Arndt in seiner Apologie mit der Verteidigung der Mystik eine heftige Theologiekritik: »Ihr elenden Leute / wenn wollt ihr lernen / daß die Theologie nicht eine menschliche Wortkunst sey / sondern eine himmlische Weisheit vnd Erleuchtung / durch den Heiligen Geist vnd das Wort GOttes angezündet?«101 In Arndts Todesjahr 1621 erschien eine von ihm herausgegebene TaulerPostille zusammen mit einer Neuauflage der ›Theologia deutsch‹ und der ›Nachfolge Christi‹; auch diese Ausgabe stand wieder unter dem Motto Bernhards von Clairvaux: »Omnia nos Christi vita docere potest«.102 Der Taulertext 96 DE VNIONE CREDENTIUM, CUM CHRISTO JESU, Capite Ecclesiæ. [...], o.O. u. J. [1620]. Die noch im selben Jahr erschienene deutsch Ausgabe trägt den Titel: Die Süsse / Anmuthige Lehre / Von der Hoch=wunderlichen Gnadenreichen vereinigung der Christgleubigen mit dem Allermechtigsten / vnsterblichen vnd vnvberwindlichen Kirchen= häupte Christo Jesu. Allen Frommen Gottesfürchtigen betrübten ChristiRittern / in diesen Hoch beschwerlichen vnd gefehrlichen leufften / zu sonderbaren HertzenTrost / Wonne vnd Frewde / auß trew=hertziger affection mit besonderm grossem fleiß beschrieben. [...] Erstlich Lateinisch beschrieben / jtzo aber durch einen liebhaber Christi verdeutschet. [...], Magdeburg 1620. [SUB Göttingen]. – Zur theologiegeschichtlichen Einordnung des Traktats vgl. Theodor MAHLMANN, Die Stellung der unio cum Christo in der lutherischen Theologie des 17. Jahrhunderts, in: Matti REPO / Rainer VINCKE (Hgg.), Unio. Gott und Mensch in der nachreformatorischen Theologie (Veröffentlichungen der Finnischen Theologischen Literaturgesellschaft 200), Helsinki 1996, 74–199. Vgl. auch Matti REPO, Die christologische Begründung der Unio in der Theologie Johann Arndts,a.a.O., 249–274. 97 REPETITIO APOLOGETICA. Das ist: Wiederholung vnnd Verantwortung der Lehre vom waren Christentumb/ zu weiterer Information oder Vnterweisung derer so Christum vnd die Gottseligkeit lieb haben / damit sie sich von der Gottlosen Welt nicht lassen abwendig machen. [...], Lüneburg 1620 [SUB Göttingen]. 98 De unione, 6, 3 (vgl. die ähnliche Deutung von Lk 15 in WChr II, 8,5); 7 passim; 8, 1; 10,3. 99 Rep II, 4; III, 2. 100 Rep I, 36. 101 Ebd. 102 Postilla JOHANNIS TAULERI. Deß berümbten Theologi [...] Dessen D. Lutherus [...] rühmlich gedencket [...] Item / zwey Geistreiche Büchlein. Das erste / die Deutsche Theologia, Das ist ein edles Büchlein vom rechten Verstande / was Adam vnd Christus sey / wie Adam in vns sterben / Christus aber in vns leben soll. Das ander / die Nachfolgung Christi / lehret / wie man alle eitelkeit der Welt fliehen soll / durch Thomam de Kempis Anno 1441. beschrieben. Mit einer Vorrede Johannis Arndtes / General Superintendenten deß Fürstenthumbs Lüneburg /
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basiert auf der Basler Tauler-Ausgabe von 1521/22, die Arndt schon im III. Buch von wahrem Christentum zugrunde gelegt hatte.103 Sie enthält – was Arndt nicht wußte – auch Texte Meister Eckarts.104
III Kontext und Funktion der Mystik-Rezeption Seit dem Erscheinen des I. Buches von wahrem Christentum war Arndts Rezeption mystischer Quellen bemerkt und kritisiert worden. In der neuen Vorrede zur Jenaer Ausgabe 1607, die seither in allen Ausgaben abgedruckt wird, hat er das Ausmaß seiner literarischen Abhängigkeit zu verharmlosen versucht, wenn er einräumt, es seien »etliche Reden nach Art der alten Scribenten Tauleri, Kempisii und anderer mit eingemischet«. Gegen den Vorwurf des Synergismus hat er seine Orthodoxie beteuert.105 Doch die Kritik verstummte nicht, erreicht in Arndts letzten Lebensjahren noch einmal einen Höhepunkt und forderte seine Verteidigung heraus.106 Für seine Wertschätzung Taulers konnte er sich nicht nur auf Luther und Melanchthon berufen, sondern auch auf das unverdächtige Beispiel zeitgenössischer lutherischer Theologen wie Michael Neander107 und Petrus Glaser108 verweisen.109 Wenn der Leser jedoch – wozu ihn Arndt ausdrücklich auffordert110 – »nach dem scopo vnd Ziel« von Arndts Darinnen die Summa vnd heilsamer Nutz dieser dreyer Bücher erkleret wird. Omnia nos Christi vita docere potest. Jetzt auffs New / zu erweckung wahrer Buß vnd Gottseligkeit / Allen liebhabern vnd nachfolgern Christi / deutlicher mit besonderm trew vnd fleiß Corrigiret, vnd an Tag gegeben. [...], Hamburg 1621. 103 Vgl. WEBER (wie Anm. 40), 78f. 104 Vgl. WEBER, 79 (ff.). 105 WChr I, Vorr. 8f. 106 Vgl. KOEPP (wie Anm. 5), 84–101. 107 Michael NEANDER , Theologia Megalandri Lutheri [...] Item Theologia Bernhardi Ac Tauleri [...], Eisleben 1581; Wittenberg 1584 [beide Ausgaben HAB Wolfenbüttel]. 108 Petrus GLASER, Tauleri geistreiche Lehre von den fürnemsten heuptstücken der heiligen Schrifft [...], Dresden 1583 [HAB Wolfenbüttel]. 109 In der Vorrede zu seiner Taulerausgabe führt Arndt Zeugnisse Luthers, Melanchthons, Hieronymus Wellers und Michael Neanders über Tauler an (iiiv–vr). In einem Brief an Herzog August d.J., den Arndt kurz vor seinem Tode schrieb, rechtfertigt er ebenfalls seine TaulerRezeption unter Hinweis auf die lutherischen Theologen: »Daß aber Taulerus darumb so sehr verdächtig zu halten / als ob er dem Fundamento Salutis nostrae gar zu widern sey / wie dieser vornehmer frommer Man meynet / ist gar zu ein mildtes Judicium, und dem zu wider / was vornehme Theologen auß Tauleri Schrifften / von der Justification, merito Christi unnd Satisfactione pro peccatis nostris colligiret haben / unter denen Herr Michael Neander und D. Glaserus die vornehmsten seyn.« (Bericht [wie Anm. 65] 54). – Empfehlende Zeugnisse Luthers und anderer Reformatoren über Tauler und die ›Theologia deutsch‹ enthält auch die gleichzeitig mit Arndts Edition erschienene Frankfurter Taulerausgabe (WALLMANN [wie Anm. 7], 10, Anm. 25). 110 WChr I, Vorr. 8.
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Wahrem Christentum fragt, ohne sich durch solche apologetischen Beteuerungen beruhigen zu lassen, treten grundlegende Unterschiede in der Zielsetzung zutage: Neander und Glaser wollten dokumentieren, daß es auch in den Zeiten vor der Reformation, als die reine Lehre unter der Papstherrschaft verfinstert gewesen sei, Zeugen des Evangeliums gegeben habe. Daher versuchten sie, die (vermeintliche) Übereinstimmung Taulers (und Bernhards) mit den reformatorischen Einsichten Luthers zu erweisen. Arndt dagegen wollte für seine Leserschaft in einem nachreformatorischen Kontext darlegen, was als wahres Christentum zu gelten habe und griff zu diesem Zweck auf die vorreformatorischen Quellen zurück! Eine Beobachtung, auf die bereits hingewiesen wurde, gewinnt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung. Bereits in Arndts erster Publikation einer mystischen Schrift, der ›Theologia deutsch‹, verknüpfte er in seiner Vorrede mit der Empfehlung des darin propagierten wahren, inwendigen Christentums eine scharfe Polemik gegen die zeitgenössische Theologie111, für die der Text der ›Theologia deutsch‹ keinen Anhalt bot. Die Kritik an den literarischen Erzeugnissen der akademischen Theologie sowie die alternative Empfehlung mystischer Literatur kamen in dem Brief an den Studienanfänger Gerhard zum Ausdruck.112 Die Quellenanalyse des Wahren Christentums, in dem reformatorische Quellen fast völlig fehlen, sowie seine Neuausgaben mystischer Werke (aber keiner einzigen reformatorischen Schrift!) gehören zu diesem Befund. Die gleiche Konstellation – werbende Darstellung für ein wahres, inwendiges, »geistliches« Christentum in Anknüpfung an die Mystik verbunden mit Angriffen auf die akademische Theologie – findet sich bei den mystischen Spiritualisten des 16. Jahrhunderts. Auf den mystischen Spiritualismus als Vermittlungsinstanz zwischen der mystischen Tradition und Arndt verweisen auch die von Arndt edierten und exzerpierten Schriften. Es handelt sich um Schriften der spätmittelalterlichen Mystik, die sich bei den Spiritualisten großer Wertschätzung erfreuten, von ihnen rezipiert, ediert und kommentiert wurden. Gustav Adolf Benrath hat neben den reformatorischen Motiven gerade diese Schriften als Quellen des mystischen Spiritualismus namhaft gemacht: Es war vor allem »eine kleine Anzahl spätmittelalterlicher mystischer Schriften, die auf den Spiritualismus nachhaltig eingewirkt haben, so vor allem die Predigten Taulers, die von Luther herausgegebene und vorübergehend hochgeschätzte 111 Schon KOEPP hat bemerkt, daß Arndts Beschreibung seiner Zeit drastischer ausfällt, als es »sonst unter den ernsten Predigern seiner Zeit üblich« gewesen sei. »Im besonderen die aggressive Haltung gegen die scholastische Theologie« [scil. die lutherische Schultheologie] »klingt nirgend sonst mit dieser Energie und Schärfe an« (42; meine Hervorhebung). 112 Theodor MAHLMANN, Unio (wie Anm. 96), 90, Anm. 40, nennt die Empfehlungen »katastrophal und doppelzüngig«.
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›Theologia Deutsch‹ und die ›Imitatio Christi‹ des Thomas von Kempen. Die vielfache Rezeption dieser Schriften ist ein Band, das die Mehrzahl der Vertreter des mystischen Spiritualismus miteinander verbindet, mögen sie auch nach außen als selbständige Einzelgestalten hervortreten.«113 (Den hier genannten Schriften kann man noch Staupitz’ Büchlein ›Von der holdseligen Liebe Gottes‹ und ›Von unserm H. Christlichen Glauben‹114 hinzufügen.) Eine Betrachtung der Rezeptionsgeschichte der einzelnen mystischen Autoren bestätigt eindrücklich dieses Urteil.115 Die Spiritualisten waren es also, die diese Werke der spätmittelalterlichen Mystik rezipierten und deren Gedanken in ihre Anschauungen integrierten. Und es waren eben diese dem mystischen Spiritualismus als Quellen des »wahren seligmachenden Glaubens« geltenden Schriften, die Arndt neu herausgegeben hat, und diese Schriften benutzte er als Vorlagen, um das wahre Christentum darzustellen.116 Wegen der inhaltlichen und zeitlichen Nähe zu Arndt sind einige frühe Traktate Valentin Weigels besonders aufschlußreich, die sich eng an die ›Theologia deutsch‹ anlehnen, diese auslegen oder in sie einführen.117 Mit der Darstellung des mystischen als des »wahren seligmachenden Glaubens« ist auch bei Weigel die Kritik an der orthodoxen Theologie verbunden. Er polemisiert gegen »falsche«, »unwissende«, »buchstabische« Theologen, wendet sich gegen theologisches Zanken, »subtiles Disputiren« und »scholasticalische Wörter«, gegen teuflische Lehre, die »jetzt in allen hohen Schuelen« regiere.118 Heißt es bei Weigel:
BENRATH (wie Anm. 6), 561, vgl. 565ff. Wittenberg 1518; Basel 1520. 115 Vgl. den Überblick bei Hans SCHNEIDER, Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹. Offene Fragen der Quellen- und Redaktionskritik [s.o. in diesem Band]. 116 Die Anknüpfung an die spiritualistische Fortschreibung mystischer Terminologie zeigt sich bei Arndt etwa in der Rede vom rechten, innerlichen, geistlichen oder stillen Sabbat des Herzens (WChr I, 23,3; I, 39,6; II, 4,4; II, 34, Überschr.; II, 34, cp. XI, 7; III, 1,3; III, 2, 2, 3, 4, 5; III, 10,8), der dem spiritualistischen Sprachgebrauch entlehnt ist. Belege bei Hans SCHNEIDER, Johann Arndt und die makarianischen Homilien, [s.o. in diesem Band], Anm. 173–178. 117 Zwei nützliche Traktätlein [...] (1570); Kurzer Bericht und Anleitung zur Deutschen Theologie (1571) (Valentin WEIGEL, Sämtliche Schriften, hg. v. Will-Erich PEUCKERT und Winfried ZELLER, 3. Lief., Stuttgart / Bad Cannstatt 1966). Ein Büchlein vom wahren seligmachenden Glauben, wie Adam in uns untergehen und sterben müsse und Christus dargegen in uns solle auferstehen und leben (1570) (Sämtliche Schriften, 5. Lief., Stuttgart / Bad Cannstatt 1969). Vgl. auch Georg BARING, Valentin Weigel und die Deutsche Theologie, ARG 55 (1964) 5–7. 118 Vgl. WEIGEL, Zwei nützliche Tractätlein 13f., 22, 39, 41; Kurzer Bericht und Anleitung 96. 114; Büchlein vom Glauben 45, 83 u.ö. Vgl. dazu zuletzt Andrew WEEKS, Valentin Weigel (1533–1588). German Religious Dissenter, Speculative Theorist, and Advocate of Tolerance, Albany NY 2000, 59–86: Weigel’s Early Writings, 1570–1572. 113 114
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»Dann das Reich Gottes ist nicht an Personen / Zeit / Stet / Ohrt gebunden / oder an außwendige Geberde vnd Ceremonien«119,
so schreibt Arndt: »Denn er [der reine Gottesdienst] ist an keine zeit / ort / oder einig eusserlich ding gebunden / Vnd ist das Reich Gottes / so in vns ist / welches nicht kömpt mit eusserlichen geberden / oder gepreng.«120
Polemisiert Weigel: »Nun alldieweil solche faulen Gesellen nicht wollen gehen diesen Weg in die Schule Christi / so will ich sie wol fragen lassen vnd suchen ihr lebenlang / ›semper discentes, et nunquam ad veritatis cognitionem peruenientes‹, wie der Apostel sagt« [II Tim 3,7]121,
so kritisiert auch Arndt: »Vnd geht vns / wegen der vielen Bücher / wie S. Paulus spricht 2. Tim. 3. Semper discentes, numquam ad cognitionem veritatis pervenientes. Denn / Jemehr Bücher / je mehr lernens. Vnd das heisset: Semper discentes«122.
Tadelt Weigel diejenigen, die sich lassen »allein begnügen mit dem todten Buchstaben / vnd verführen also sich selber vnd andere mit ihnen«123,
so schreibt Arndt in der Allegorie der Josephsgeschichte auf Christus: »der Himlische Joseph lest jnen sein Kleid / dz ist / den eusserlichen Buchstaben / Schein / Namen vnd Tittel / er aber fleugt von jnen / vnd wirdt von jnen nicht ergriffen«124.
Eine solche Art der Anknüpfung an die mittelalterliche Mystik, bei der diese gegen die zeitgenössische Theologie ausgespielt wird, ist bei lutherischen Mystikrezipienten wie Neander oder Glaser nicht anzutreffen. Die große Nähe Arndts zu den frühen Schriften Weigels kann eine weiterführende Vermutung nahelegen. Arndt gibt im Vorwort zu seiner Erstausgabe der ›Theologia deutsch‹ an, daß er »in einem fürnemen Autore125 / etliche viel Capittel der deutschen Theologiae allegirt gefunden« habe. Bei diesem Autor, dessen Name wohl mit Bedacht nicht genannt wird, könnte es sich um Valentin Weigel handeln. Es ist bekannt, daß Arndt ein Manuskript von Weigels ›Betbüchlein‹ erhielt – lange bevor eine gedruckte Ausgabe erschien.126 Es ist 119 Valentin WEIGEL, Kirchen- / Oder / Hauß-Postill / Uber die Sonntags- und fürnehmste Fest- / Evangelien durchs gantze Jahr [...], I, o.O. 1612, 141. 120 Wie Anm. 21. 121 WEIGEL, Kurzer Bericht und Anleitung, 114 122 ARNDT, Vorrede zur Teutschen Theologie, 8r. 123 WEIGEL, Kurzer Bericht und Anleitung, 92. 124 ARNDT, Vorrede zur Teutschen Theologie, 12v. 125 Zur irrtümlichen Identifizierung WEBERs s.o. Anm. 40. 126 Vgl. WEBER, 71.
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durchaus möglich, daß er aus denselben spiritualistischen Kreisen, in denen handschriftliche Weigel-Schriften im Umlauf waren, auch jene Werke Weigels erhalten hat, die sich mit der ›Theologia deutsch‹ beschäftigten. Weigel hatte als Interpretationshilfe zur ›Theologia deutsch‹ »eine kleine Anweisung geschrieben durch göttliche Verleihung«.127 Es könnte fast scheinen, als ob Arndt, der »durch göttlich Eingeben« auf das Büchlein gestoßen war, es Weigel nachtun wollte, wenn er seine Leser wissen läßt: »Ich habe zwar eine kurtze Erklerunge vber dis Büchlein angefangen / mich selbst darin zuüben / vnd wo es nütz vnd noht sein wirdt / wil ichs gerne mittheilen.«128 Nach den bisherigen Beobachtungen ist es gar nicht so unwahrscheinlich, daß Arndt sogar überhaupt die Anregung, sich mit der ›Theologia deutsch‹ zu beschäftigen, aus spiritualistischen Kreisen empfangen hat. Dafür spricht auch, daß seine Mystikrezeption von Anfang an mit der spiritualistischen Kirchenund Theologiekritik verbunden war. Eine andere Beobachtung führt ebenfalls in die gleiche Richtung. Während des Drucks der Erstausgabe der ›Theologia deutsch‹ erhielt Arndt zusätzlich zu den Wittenberger und Basler Drucken noch eine Augsburger Edition von 1534, von der sich bisher kein Exemplar ermitteln ließ. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß dieser Druck der von dem Spiritualisten Ludwig Hätzer129 herausgegebenen Wormser Ausgabe von 1528130 entsprach. Denn Arndt druckte in seiner Ausgabe jene ›Hauptreden‹ ab, die sich in Hätzers Edition und in von ihr abhängigen Ausgaben finden; dabei handelt es sich um die Hauptreden eines anderen Spiritualisten: Hans Dencks131. Auch dies zeigt wiederum, daß Arndt Kontakte zu Kreisen gehabt haben muß, über die er an spiritualistische Druckerzeugnisse gelangte.
IV Arndts theologia mystica Die Bedeutung dieser Beobachtungen, die Arndt eng an den mystischen Spiritualismus heranrücken, ist nicht gering. Der Arndt-Forschung ist der Blick für diese Zusammenhänge dadurch verstellt worden, daß Arndt nach heftigen
WEIGEL, Kurzer Bericht und Anleitung, 93. ARNDT, Vorrede zur Teutschen Theologie, 11r. 129 Zu Hätzer vgl. J.F. Gerhard GOETERS, Ludwig Hätzer (ca. 1500–1529). Spiritualist und Antitrinitarier. Eine Randfigur der frühen Täuferbewegung (QFRG 25), Gütersloh 1957. 130 Vgl. GOETERS, 133–136; Georg BARING, Ludwig Hätzers Bearbeitung der ›Theologia Deutsch‹ Worms 1528. Ihr Druck und ihre Handschrift von 1528, ihre Nachwirkung und ihr Verhältnis zu Luthers Ausgabe von 1518, ZKG 70 (1959), 218–230. 131 Vgl. außer Goeters und Baring auch Jean ORCIBAL, Hans Denck et la conclusion apocryphe de la Théologie Germanique, RHPhR 57 (1977), 141–151. 127 128
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Kämpfen in der lutherischen Kirche rezipiert wurde.132 Diese Rezeption, zu der nicht zuletzt das Ansehen seines Freundes Johann Gerhard wesentlich beitrug, erfolgte allerdings durch eine Umgestaltung der Arndtschen Konzeption. Gerhard stellte die Weichen für die Arndt-Interpretation, indem er dessen Sicht des wahren Christentums als bedenkenswerte Belehrung über »wahre Gottseligkeit und innerliches heiliges Leben« bezeichnete, d.h. als Anleitung zur Frömmigkeit und religiös-ethischer Praxis einstufte. Ähnlich argumentierten andere Verteidiger Arndts. Durch diese eingrenzende Klassifizierung konnten die theologisch problematischen Aussagen Arndts entschärft und kirchlich integriert werden. Koepp beschreibt den Rezeptionsprozeß zutreffend: »nicht um Theologie, sondern um Frömmigkeit handelte es sich zunächst überall bei den tiefgreifenden Vorgängen, die Arndt einleitete«.133 Unter dieser Prämisse konnte man annehmen, Arndt habe die rezipierten mystischen Aussagen nur zum Zweck einer Verinnerlichung und Vertiefung der Frömmigkeit als Ergänzung zur orthodoxen Lehre darbieten wollen; er habe »die Lehre ins Leben verwandeln«134 wollen. Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen schienen dies zu untermauern: die mystischen Quellen habe Arndt von einer lutherischen Warte her ausgewählt und redigiert und so im Rahmen lutherischer Frömmigkeit verwendbar gemacht.135 Diese Sicht der Dinge kann sich auf Arndt selbst berufen. Am Ende des IV. Buches von wahrem Christentum begründet er den Titel des Werkes damit, »dieweil der wahre Glaube an unsern HErrn JEsum Christum und die Gerechtigkeit des Glaubens das Fundament seyn, daraus das ganze Christliche Leben herfließen soll«. Er betont, daß er nicht für Heiden und Ungläubige, sondern für unchristlich lebende Christen geschrieben habe, nicht judificandis, sondern justificatis.136 Diese und ähnliche Aussagen Arndts scheinen das Urteil zu begründen: »Seine Mystik ist keine Heilsmystik, sondern Heiligungsmystik. Sie
132 Zur Rezeption Arndts im Luthertum vgl. KOEPP (wie Anm. 5), 101–178; Johannes WALLMANN, Pietismus (KIG 4/O1), Göttingen 1990, 19–21; Martin BRECHT, Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in: DERS. (Hg.), Geschichte des Pietismus, I, Göttingen 1993, 113–203, hier 142–151. 133 KOEPP, 134. 134 Vgl. den instruktiven Beitrag von Inge MAGER, Gottes Wort schmecken und ins Leben verwandeln. Johann Arndts Schriftverständnis, Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen 24 (1992), 149–158. 135 Edmund WEBER hat in seiner Untersuchung der Quellen- und Redaktionsgeschichte der ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ (wie Anm. 40), eine lutherische Kommentierung der mystischen Vorlagen durch Arndt aufzeigen wollen. Zur Kritik vgl. SCHNEIDER, Offene Fragen, Abschnitte II und III. 136 WChr IV/2, Beschluß 2.
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zeigt nicht einen Weg zum Heil, sondern den Weg zur vollen Aneignung des in Taufe und Rechtfertigung bereits zugeeigneten Heils.«137 Die zugrundeliegenden Aussagen Arndts gehören durchweg in einen apologetischen Kontext. Die heftige Kritik, die seine Frankfurter Erstausgabe des I. Buches von wahrem Christentum durch seine Braunschweiger Kollegen erfuhr, die ihm die theologische Kompetenz absprachen138 und ihn einen »Enthusiasta et Synergista« nannten139, hat ihn zu nachträglichen Korrekturen in den Neuauflagen genötigt. Als die Überarbeitungen der zweiten Braunschweiger Ausgabe vom Herbst 1606140 die Gegner nicht zum Verstummen brachten, unterzog er das Werk für die (Jenaer) Ausgabe 1607 mit Hilfe des Jenaer Theologieprofessors Petrus Piscator einer weiteren Revision, um der gegnerischen Kritik die Angriffsflächen zu entziehen.141 Erst in diesem Prozeß, unter dem Druck massiver Kritik, nahm Arndt eine »lutherische Redaktion« vor, die gleichwohl recht oberflächlich blieb. Die vehementen Angriffe haben Arndt überdies zu der pauschalen Versicherung veranlaßt, daß die lutherischen Bekenntnisschriften den hermeneutischen Rahmen für die Interpretation seines Werkes bilden sollten. Im ursprünglichen Text des I. Buches findet sich davon keine Spur. Bei der Veröffentlichung der Bücher II bis IV, die sich länger hinzögerte, ist Arndt »als gebranntes Kind« vorsichtiger gewesen. Er hat die Manuskripte an Johann Gerhard geschickt, damit dieser vor der Drucklegung allfällige Korrekturen vornehmen konnte.142 Zum Beschluß des II. Buches wiederholte er die Versicherung, daß die reine Lehre, und namentlich die Formula Concordi-
WALLMANN, Pietismus (wie Anm. 132), 18; Wallmanns Hervorhebung. Vgl. dazu Hans SCHNEIDER, Johann Arndts Studienzeit [s.o. S. 117]. 139 Brief an Gerhard vom 19.2.1607. RAIDEL (wie Anm. 34), 80. 140 Einige Beispiele der Überarbeitung aus WChr I, 14,6f. bietet KOEPP (wie Anm. 5), 47. 141 In einem Brief an Piscator vom 14.1.1607 erwähnt Arndt, daß er dem Jenaer Theologen vor einigen Wochen sein I. Buch zur Beurteilung und Zensur geschickt habe, damit er es für eine künftige Edition genauer ausfeilen könne (»in futura editione quadam exactius ad limam revocare«). Johann Andreas GLEICH, Trifolium Arndtianum seu B. Ioannis Arndti tres epistolae hactenus ineditae [...], Wittenberg o.J. [1714], 1–7, hier 1. Am 17.2.1607 teilt Arndt Gerhard mit, daß er die Zensur Piscators erhalten habe und sich den Korrekturen bereitwillig unterwerfe (RAIDEL (wie Anm. 34), 73–81). Am 21.3. bedankte sich Arndt bei Piscator (Gleich, 8f.). Leider sind die Briefe Piscators an Arndt nicht erhalten. 142 Am 20.4.1608 schrieb er Gerhard bei Übersendung des Manuskripts des III. Buches: »Rogo etiam, ut accuratam adhibeas censuram, ne occasio detur calumniis. Nihil me offendet; quicquid litura ex illis sustuleris.« RAIDEL (wie Anm. 34), 152. Bei der Zusendung des Manuskripts des IV. Buches sprach er die gleiche Bitte aus: »quaeso te diligenter, perlege meum e(cah/meron [die Darstellung des Sechstagewerks in WChr IV/1] et dele, quicquid displicet« (RAIDEL, 174). In beiden Fällen bat er Gerhard auch, biblische Belegstellen nachzutragen (RAIDEL, 149, 173). 137 138
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ae, als Richtschnur der Interpretation gelten solle143, und ein Hinweis auf die Symbolischen Bücher steht noch einmal in der Vorrede zum vierten Buch144. Im Beschluß des vierten Buches und damit des Gesamtwerkes folgt dann noch die oben zitierte präzisierende Angabe, daß sein Werk dem Leben der Gerechtfertigten gelte.145 Auch in seiner ›Repetitio apologetica‹ hat Arndt den Hinweis auf die Confessio Augustana und die Konkordienformel wiederholt.146 Betrachtet man aber ohne diese hermeneutische Brille Arndts Schriften, so ergibt sich ein anderes Bild, und seine Beteuerungen erscheinen als verschleiernde Apologetik. Es enthüllt sich die Konzeption einer »alternativen Theologie«, die Hermann Geyer in seiner Dissertation überzeugend herausgearbeitet hat.147 Gegenüber der Auffassung, daß Arndts Anliegen nicht Theologie, sondern nur Frömmigkeit gewesen sei, stellt er Arndt als Vertreter einer »theologia sincerior« 148 dar, die ganz und gar mystisch-spiritualistischen Charakter trägt. Sie steht, wie Geyer zugespitzt formuliert, »zu einer Theologie der reformatorisch-orthodoxen Tradition in einem Verhältnis der Konkurrenz« und ist »mit üblichen Standards einer lutherisch-orthodoxen akademischen und kirchlichen Theologie weder kompatibel noch auch nur diskursfähig oder – willig«. Geyer nimmt heuristisch seinen Ansatz bei der heterodoxen Rezeption Arndts in Werken rosenkreuzerischer, (post-)weigelianischer und anderer spiritualistischer Literatur, wo Arndt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Schriften spätmittelalterlicher Mystiker einerseits sowie spiritualistischer (für die zeitgenössische Orthodoxie höchst suspekter) Autoren der Reformationszeit andererseits steht. Es erweist sich, daß die Bedingungen und Gründe solWChr II, Beschluß 2. WChr IV/2, Vorr. 9. 145 Die Beteuerung, er schreibe für die schon Gerechtfertigten, nimmt offenbar eine Kritik Piscators auf, dem er in seinem Antwortbrief versichert, er wolle »viam ostendere, qua etiam renati post conversionem per Spiritum Dei innatam cordis pravitatem horrendam coercere et edomare queant. Nec tam illis scribo, qui in statu sunt ante conversionem, quam illis, qui Christum iam per fidem agnoverunt, et tamen ethnice vivunt.« (GLEICH [wie Anm. 141], 5). 146 »Schutzschluß wider die Lästerer«, 7. 147 S. o. Anm. 9. [Bei dem folgenden Referat der Arbeit Geyers samt den ohne Stellenangabe angeführten wörtlichen Zitaten lag die Dissertationsfassung zugrunde; auf eine nachträgliche Identifizierung in der an einigen Stellen leicht modifizierten Druckversion wird hier verzichtet.] 148 Der Begriff ›theologia sincerior‹ (mit dem signifikanten Komparativ!) ist in Briefen Arndts belegt. So bezeichnet er Erasmus Wolfart, einen Laien und Herausgeber theosophischer Literatur, als »filius Theologiae sincerioris et spiritualis, quae ad interioris hominis et vitae spiritualis culturam ducit« (RAIDEL [wie Anm. 34], 97; Arndts Hervorhebung). Arndt lobte auch den Stader Pfarrer Anton Buscher, der ihn wegen der Schriften Valentin Weigels um Rat fragte, »propter amorem sincerioris theologiae« (Bericht [wie Anm. 65], 33f.; Buschers Anfrage: Bericht, 30–32). Vgl. SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 106]. 143 144
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cher Rezeption keineswegs nur bei den Rezipienten, sondern ebenso bei dem rezipierten Autor selbst und in dem rezipierten Gedankengut zu suchen sind. Auf dem Hintergrund der heterodoxen, zur zeitgenössischen orthodoxen Theologie in Opposition stehenden Rezeptionszeugnisse wird die Funktion von Arndts kirchen- und theologiekritischen Äußerungen als Negativfolie deutlich, als »Antitypologie« zur »wahren« Theologie. Diese Kritik findet sich nicht nur in Arndts frühen Schriften; die Analyse der ›Repetitio apologetica‹ (1620) zeigt noch einmal mit aller Deutlichkeit, daß Arndt auch am Ende seines Lebens, als der Streit um die ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ schon voll entbrannt war, seine Kirchen- und Theologiekritik – selbst in diesem apologetischen Kontext! – nicht zurücknahm oder abmilderte. Im Vergleich mit analogen theologischen Konzepten der frühen Neuzeit versucht Geyer, den »Typus mystischer Theologie in seiner nachreformatorischen Ausprägung« herauszuarbeiten. In seiner Analyse nähert sich Geyer dem Theologieverständnis Arndts zunächst anhand des Begriffspaares »theologia practica – praxis theologiae«. Mit dem ersten Begriff bezeichnet Arndt den Bereich der religiösen Erfahrung, die durch Anfechtungen und Leiden zur »Geistsalbung«, zur geistgewirkten Gottesrede (»divinum alloquium«) im Seelengrund führt; der zweite meint die aus dem Geist fließenden Lebensäußerungen. Beide Aspekte, »Theologie« und »Frömmigkeit«, lassen sich in Arndts »holistischem Ansatz« aber nicht streng trennen. »Da alles wahre Leben vom Geist gewirkt ist, verfließen notwendigerweise permanent die Grenzen zwischen Theologie, Frömmigkeit, Reden und Handeln Gottes im Menschen sowie den spirituellen und den moralischen Lebensäußerungen der (wahren) Christen«, handelt es sich nur um »wechselnde Facetten des einen einzigen Geistgeschehens«. Der Skopus dieser mystischen Theologie ist die »cultura interioris hominis«149, die ganz im Sinne Taulers – auf dessen Theologie sich Arndt ausdrücklich beruft 150 – als Einkehr in den Seelengrund durch Abkehr von der Welt beschrieben wird; die Vereinigung der Seele mit Gott ist, wie Arndt schon 1597 formulierte, »des Menschen vollkommenheit / vnd finis totius Theologiae« 151. Die Fülle der Begriffe und Beschreibungen »variieren, so wie dieselben bunten Steine in einem Kaleidoskop durch Drehung immer neue Bilder erzeugen, nur das eine immer gleiche Grundthema, den aszetisch-mystischen Weg über die 149 Auf eine »theologia, [...] quae circa interioris hominis culturam et paliggenesi/an versetur«, wies Arndt Gerhard hin (RAIDEL [wie Anm. 34], 39). Vgl. auch das Zitat in der vorhergehenden Anmerkung: »quae ad interioris hominis et vitae spiritualis culturam ducit«. 150 WChr III, 1,4f. 151 Vorrede zur Theologia deutsch, 11v; Hervorhebung Arndts.
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weltflüchtige Heiligung zur neuen Geburt, die Vereinigung der Seele mit Gott«. Das ist für ihn im Kontrast zu aller »fleischlichen« Theologie »die rechte vnd ware Theologia«152. Der Ort dieser Theologie ist »das menschliche Herz«, das als »die ein[z]ige Werkstatt des göttlichen Wortes, darin der heilige Geist seine Kraft erzeiget« bezeichnet wird.153 Genauer gesagt ist es – entsprechend Arndts »Tendenz, alles geistliche Geschehen allein innerlich-entweltlicht zu ›verorten‹ oder besser, zu ›entorten‹« – ein Nichtort. »Dies geht mit jener auffälligen Ent-Wortung dieser Theologie einher, nach der das Reich Gottes ›nicht in Worten‹, sondern ›in der Kraft‹ bestehe«. Noch in seiner Spätschrift, der ›Repetitio apologetica‹ von 1620 wird deutlich: »das äußere Wort der Bibel, der äußere Buchstabe allein bewirken gar nichts. [...] Das innere Reden und Lehren Gottes, das durch den Geist geschieht, gibt allein dem Menschen Erkenntnis und Weisheit«. Der Arndt von radikalen Gesinnungsfreunden (Christoph Besold) beigelegte Titel eines »antistes divinae sapientiae« weist zutreffend auf das Herzstück seiner Theologie hin, seine Anschauungen vom inneren Wort, dem Reich Gottes im Seelengrund, das als göttliche Gabe den Erleuchteten zuteil wird. Außer dem Begriff der ›divina sapientia‹ und seinen Varianten (himmlische, ewige, verborgene Weisheit, Gottesgelehrtheit u.ä.) gibt es »eine Fülle von weiteren Metaphern und Wendungen, die den immer gleichen Inhalt, zum Teil unterschiedlich akzentuiert oder nuanciert, pleonastisch auffächern«: »Pfingstschule«, »Salbung des Geistes«, inneres »Einsprechen«, »immediate«, »von oben herab«, »divinum alloquium«, »Schmecken« und »Empfinden« als »wahrer Glaube« etc. Die »göttliche Weisheit und Erkenntniß« erweist sich »als Generalthema des ›Wahren Christentums‹« im doppelten Sinn: seiner ›Vier Bücher‹ und seiner darin entfalteten Konzeption ›von wahrem Christentum‹. Dieses umfangreiche Hauptwerk, das in seiner ersten (Gesamt-) Ausgabe von 1610 mehr als 1.800 Seiten aufweist (sowie die Veröffentlichung anderer voluminöser Werke) stehen nicht im Widerspruch zu Arndts Polemik gegen die orthodoxe Bücherproduktion. Denn hier handelt es sich um wahrhaft geist-volle Werke, also um »göttliche Bücher«.154 Sie sind Entfaltung einer »theologia practica«, einer Erfahrungstheologie, »der allein wahren, auf Praxis dringenden und fruchtbringenden Theologie«, an der sich sogar sub specie des göttlichen Gerichts die Vorrede zur Theologia deutsch, 12r. Repetitio apologetica, I, 36. 154 Die These, daß Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ »eine Abbildung der wahren ›Bücher‹ Gottes darstellen« und darin »ein ganzes Programm seiner spiritualistischhermetischen Theologie« enthalten sei, wird Geyer in dem zweiten Band seiner Untersuchungen zu Arndt behandeln, der sich schwerpunktmäßig mit der Buchmetaphorik beschäftigt. 152 153
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Geister scheiden und seine Feinde zu Schanden werden. Er erhebt den exklusiven Anspruch auf die wahre Theologie und läßt erkennen, daß er »theologisch Andersdenkenden die Anteilhabe am Wirken des Geistes kategorisch abspricht«.
V Arndt als praktizierender Mystiker Die Frage, ob Arndt selbst im eigentlichen Sinne Mystiker war, d.h. über mystische Erfahrung und Praxis verfügte, wird in der Forschung meist negativ beantwortet: »Er war kein Mystiker, aber ein Liebhaber der Mystik.«155 Einen entgegengesetzten Standpunkt vertritt Geyer: Obwohl Arndt nicht in der IchForm von mystischen Erlebnissen spreche, zeige die Sprache, daß hier »kein kompilatorischer Buchhalter mystische Fremdzeugnisse und Fremderfahrungen« wiedergebe, »der am Schreibtisch sitzend ausschließlich fremdes Textmaterial zu hölzernen Eigengebilden zusammenbastelt«. In der Tat verlangt die mystisch-spiritualistische Konzentration auf das Reden des Geistes in der Seele, die Einwohnung Christi in uns, das Reich Gottes in uns u.s.w. nach einem entsprechenden inneren Erleben, und wenn für Arndt Theologie »theologia practica«, geistliche Erfahrungstheologie, ist, dann muß man solche Erfahrungen auch bei ihm voraussetzen. Ja, Arndt macht sie sogar zum Kriterium des wahren Christseins: »Ist der ein Gesalbter, d.h. ein Christ, der die Erstlingsfrüchte des Geistes nicht fühlte?«, fragt er156 und bestreitet, daß derjenige ein erfahrener Christ (»Christianus practicus«) sein könne, der die Salbung des Geistes nicht empfunden und die inwendigen Tröstungen des Geistes nicht gekostet habe157. Wie in diesen Zitaten umschreibt er die Erfahrung auch sonst mit Begriffen, die non-verbale Vorgänge bezeichnen (schmecken, kosten, fühlen, empfinden, lieben, Süßigkeit, Freude, Entzücken etc.). Aufschluß über Arndts eigene Erfahrungen geben Passagen in einem Brief an Gerhard aus dem Jahr 1608. Hier zitiert Arndt zustimmend einen Satz Ruperts von Deutz: »Ich empfinde in mir selbst etwas Göttliches, ein Licht, ein Flämmchen, das mich bewegt«, und schreibt, daß er aus eben solchen Erfahrungen den Antrieb zur Veröffentlichung seiner übrigen Bücher von wahrem
WALLMANN (wie Anm. 7), 19. »Estne ille unctus Dei, i.e. Christianus, qui primitias Spiritus sancti non sentit?« RAIDEL (wie Anm. 34), 99. 157 »Nemo vere Christianus practicus, qui non unctionem Spiritus praesensit; neque unquam quisquam sine tentationibus intimas Spiritus consolationes degustavit.« RAIDEL, 105. 155 156
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Christentum empfange!158 In demselben Brief findet sich eine weitere autobiographische Stelle: »Schließlich gibt es vielleicht einiges, das du vermissen wirst, besonders im dritten Buch, das durchgehend von dem inneren Menschen handelt. Ich gestehe, daß ich noch nicht alle, besonders die verborgensten Dinge erfaßt habe, welche einige Theosophen und Gottesgelehrte (qeodi/daktoi) in dem inneren Grund der Seele erörtern. Du weißt ja, daß einige Blumen im Frühling, einige mitten im Sommer, einige im Herbst, einige sogar unter dem Schnee erblühen. Ich bin also noch nicht hinabgestiegen zu jener Tiefe der Seele, wie sie Tauler nennt; andere bezeichnen es als das göttliche Dunkel, das durch jenes Dunkel, in das Moses hineinging [Ex 20,21], vorgebildet sei. Weil Gott ein Licht ist, das keine Kreatur begreifen kann159, so muß auch unser Sinn und Verstand bei diesem aufgehenden unaussprechlichen Licht verdunkelt werden, gleichwie das Mittagslicht für Nachteulen eine Dunkelheit ist. Daher ist dieses Dunkel das unaussprechliche Licht. Denn gleichwie beim Aufgang der Sonne die Sterne dunkel werden, so gehen, wenn das göttliche Licht in der Seele leuchtet, alle Kräfte der Seele unter; so daß Gott allein in dem Gemüt leuchtet, wie die Sonne allein mitten am Himmel leuchtet. Aber diese höchsten Dinge überlasse ich andern; ich bin mit mittelmäßigen zufrieden. Mir genügt es, wahrhaft meinen Jesus geliebt zu haben, was alle Wissenschaft übertrifft.«160 Hier zeigt sich noch einmal deutlich der Kontrast zu einem lutherischen Verständnis: Arndt findet nicht etwa an Wort und Sakrament (CA V) sein Genüge, sondern in mystischer Erfahrung. Als Autoritäten werden wieder einmal 158 Der ganze Zusammenhang lautet: »Documenta graduum Conversionis et incrementorum Spiritualium quot extant in Augustino? quot in Bernhardo? praesertim in libro Amorum, hoc est, in explicatione Cantici, de osculo sponsi? Tuicensis libro de providentia aperte asseverat: Sentio in meipso, inquit, divinum quiddam, lucem, flammulam me moventem, etc. Haec ipsa [...] possunt me ad publicationem reliquorum meorum libellorum excitare [...].« Bericht (wie Anm. 65), 4f. 159 Vgl. I Tim 6,16. Offenbar ein Anklang an die Vorstellung vom »lux superintelligibilis« des Pseudo-Dionysius, die Arndt auch in WChr IV/1, 1,6 zitiert. 160 »Tandem sunt fortasse quaedam desideres, praesertim libro tertio, qui totus est de interno homine? Fateor me nondum capere omnia praesertim abstrusissima, quae in intimo animae sinu et recessu Theosophi et qeodi/daktoi quidam disserunt. Et nosti flores quosdam in vere, quosdam aestate media, quosdam in autumno, quosdam etiam sub nive florescere: nondum igitur descendi ad profunditatem illam animae, quam vocat Taulerus; alii caliginem divinam, praefiguratam caligine, quam Moses ingressus est, appellant. Quia enim Deus lux est, quam nulla creatura comprehendere potest, igitur ad orientem illam ineffabilem lucem caligat Sensus et Ratio, quemadmodum lux meridiana caligo est noctuarum: Caligo igitur illa lux est ineffabilis: quemadmodum enim sole oriente stellae obscurantur, ita luce divina in anima fulgente omnes animae vires occidunt, ut solus luceat in mente Deus, ut medio Coelo Sol solus lucet. Sed aliis haec summa contentus mediocribus relinquo, sufficit mihi Jesum meum vere amasse, quod omnem superat scientiam.« Bericht [wie Anm. 65] 8f.
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Theosophen und qeodi/daktoi genannt.161 Er hat zwar »noch nicht alle verborgensten Dinge erfaßt«, die tiefsten Tiefen noch nicht erreicht; aber es besteht noch Hoffnung, es gibt ja auch Blumen, die erst im Winter blühen! Arndt ist mit »Mittelmäßigem« (!) zufrieden, mit der geist-vollen Jesusliebe. In seinem späten Traktat ›De unione‹ beschreibt Arndt in Kapitel 7 die Vereinigung Christi mit der gläubigen Seele: »Nachdem sie aber seiner keuschen Beiwohnung genießt / kan keine Creatur wissen / was für Freude aus derselbigen sie habe vnd was sie im Hertzen fühle / wie inbrünstig sie werde / wie sie vor Freude jubilire vnd frohlocke / auf was für liebreiche vnd hertzhafftige Worte vnd Gespräche sie komme. Niemand / sage ich / kan solches wissen / denn die allein / welche solches erfahren. Fühlen vnd mercken mag mans zwar / aber auszusprechen ists vnmöglich; denn es sind geistliche / geheime / vnd göttliche Sachen / welche man nicht ausreden darf / damit der Bräutigam keinen Vngefallen daran trage / welchem im geheimen vnd in der Stille des Hertzens zuwohnen beliebet.«162
Hier spricht Arndt nicht nur die Grenzen der Kommunizierbarkeit mystischer Erfahrung an, sondern verweist auch auf die Arkandisziplin, der sie unterliegt.163
VI Arndt als mystischer Spiritualist in der lutherischen Kirche Gegen Arndts Deutung als mystischem Spiritualisten ist immer wieder eingewandt worden, daß er doch kirchliche Ämter und sogar das Leitungsamt eines Generalsuperintendenten bekleidet habe. Die traditionelle Deutung nimmt daher an, daß Arndt die rezipierten mystisch-spiritualistischen Traditionen kirchlich eingebunden, »verkirchlicht« habe. Wenn man »Kirchlichkeit« aber nicht von einer beruflichen Tätigkeit in lutherischen Kirchen herleitet, sondern zu dem ekklesiologischen Selbstverständnis des Luthertums in Beziehung setzt, wie es in den Bekenntnisschriften theologisch – und rechtsverbindlich! – formuliert war, ergibt sich ein anderes Bild.164 Soweit sich erkennen läßt, teilte Arndt jedenfalls nicht das lutherische Kirchenverständnis. Christian Braw, der bei Arndt eine bekenntnistreue evangelische Mystik sehen will, mußte gleichwohl einräumen: »Die Wirklichkeit der Kirche ist nicht mehr objektiv mit der Gegenwart der Gnadenmittel verbunVgl. dazu SCHNEIDER, Studienzeit [s.o. S. 104ff.]. De unione (wie Anm. 96), 7,3. 163 Auf die Esoterik des »Eingeweihten«, die auch sonst bei Arndt zu bemerken ist und bei der Interpretation seiner Aussagen insgesamt zu beachten ist, habe ich schon früher hingewiesen; vgl. Hans SCHNEIDER, Arndt als Lutheraner? [S.o. in diesem Band, S. 69f.] 164 Die Ekklesiologie Arndts bedürfte einer besonderen Untersuchung, die auch seine Predigtwerke einbezöge. 161 162
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den.«165 Arndt wolle »bei seinen Lesern das Vertrauen auf die Zugehörigkeit zur äusseren Kirche und auf den äusseren Gebrauch der Gnadenmittel erschüttern.«166 Es »können die äusseren Gnadenmittel ihm kaum zum Trost der Angefochtenen dienen, weil nur der in Liebe verwandelte Gnadenmittelgebrauch anerkannt wird. [...] Wir können hier ein Vorzeichen einer anders geprägten Frömmigkeit als der reformatorischen ahnen, eine Veränderung der Spiritualität, die von neuen und andersartigen Voraussetzungen bestimmt ist.«167 Es geht Arndt nicht um eine Reform des bestehenden Kirchenwesens, schon gar nicht um eine Erneuerung der Strukturen und Institutionen. Das erscheint mit seinem spiritualistisch-individualistischen Ansatz inkompatibel. Der »äußere Gottesdienst« – im weitesten Sinn – kann nur den pädagogischen Rahmen abgeben und im besten Fall eine Hinführung zum wahren inwendigen, geistlichen Gottesdienst bieten. Schon in der ›Ikonographia‹ hatte Arndt betont, daß der wahre Gottesdienst »im Geist und in der Wahrheit« »an keine zeit / ort / oder einig eusserlich ding gebunden« sei, sondern auf das Reich Gottes in uns (Lk 17,21), »im Hertzen vnd Geist«, verwiesen.168 Die hier angeführte Stelle Joh 4,23 ist ein locus classicus der Spiritualisten169 und eine Lieblingsstelle Arndts170. In einem Brief an Gerhard, in dem Arndt als eigentlichen Beweggrund der Theologie und Lebensnerv allen Theologietreibens die Einkehr zu dem inwendigen »Gnadenschatz, Jesus Christus,« bezeichnet, heißt es: »Denn inwendig ist das Reich Gottes mit allen seinen Gütern, inwendig ist der Tempel Gottes, inwendig ist der wahre Gottesdienst, inwendig im Geist und in der Wahrheit ist das wahre Bethaus, hier ist die Schule des Heiligen Geistes, BRAW (wie Anm. 1), 160. BRAW, 161. 167 BRAW, 162. 168 S. o. Anm. 41. Es scheint fast, als ob hier ein Lutherzitat anklingt, »das die Christliche kirche sey nit an yrgend eyne statt, person oder zeytt gehafftet« (WA 7, 684,20 – aus der Antwort an Emser; dort übrigens auch der Hinweis auf Lk 17,21. Vgl. ähnliche Äußerungen gegen Ambrosius Catharinus WA 7, 720,7–10; 722,8–10.13–19). Der Vergleich macht aber den Unterschied evident. Luther schreibt: »Ubi enim Baptisma et panem et Euangelium esse videris, quocunque loco, quibuscunque personis, ibi Ecclesiam esse non dubites« (WA 7, 720,36–38). Evangelium wird verstanden nicht als Geisterfahrung im Herzen, sondern als »vocalis et publica vox«: »Non nisi vocali et publica voce Evangelii sciri, ubi sit Ecclesia et mysterium regni coelorum« (WA 7, 722,3f.). Arndt folgt vielmehr der spiritualistischen Deutung Weigels (s. o. Anm. 20). 169 Vgl. etwa WEIGEL, Kurzer Bericht und Anleitung (wie Anm. 117), 93; weitere Belege aus anderen Schriften in: Valentin Weigel – Sämtliche Schriften. Neue Edition, hg. v. Horst PFEFFERL, Stuttgart / Bad Cannstatt 1996ff., hier Bd. 3: 140; Bd. 4: 8, 24, 27f., 50, 56, 58, 62, 93, 126f., 140f., 143, 152, 155, 157, 168, 175f., 189f., 212, 225–227, 230, 232; Bd. 8: 51,101. 170 Ikonographia (wie Anm. 17), 2r, 3v, 4v, 20r; WChr I, 24,10; II,34,V,4; II,34,X,Motto u. 1; II,34,XII,7 (das ganze Kapitel II,34 aus Weigels ›Betbüchlein‹); Paradiesgärtlein, Vorr. 3; Repetitio apologetica, I, 21. 165 166
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hier ist die Werkstatt der Heiligen Dreieinigkeit [...].«171 Auch in seinen späteren Predigtbänden stellt Arndt häufig den falschen äußerlichen dem wahren innerlichen Gottesdienst gegenüber172, der »nicht in äußerlichen Dingen / sondern im innersten Grund des Hertzens« bestehe. »Daher ist der äußerliche Gottesdienst / der Juden Tempel / vnd was dazu gehöret / zerstöret / vnd ist ein neuer geistlicher Tempel / ohne Hände erbauet / welcher ist Christus / der rechte Tempel.«173 Man wird also trotz Arndts pfarramtlicher und schließlich sogar kirchenleitender Tätigkeit doch von einer inneren Distanz, wenn nicht von einer letztlichen Indifferenz gegenüber dem bestehenden, bloß »äußerlichen« Kirchenwesen mit seinen Institutionen sprechen können. In Konfliktzeiten hat er die Alternative eines Rückzugs ins Privatleben ernsthaft erwogen, »um meinem Christus und der Theosophie zu leben«.174 Sein Amt verstand er als Gelegenheit, das wahre inwendige Christentum zu propagieren, und dafür nahm er Einschränkungen in Kauf. Auf die Frage eines Gesinnungsverwandten, des mit Weigel sympathisierenden Fürsten August von Anhalt, warum Arndt sein Werk der Zensur des Konkordienbuches unterworfen habe, gab dieser zur Antwort: »Der Censur halber wers wegen des drucks geschehen und weill sie es dabei gelassen, freüet er sich, dass die Rosa under den spinis gewachsen were«.175 Diese Bemerkung Arndts läßt sich auf seine Einstellung zum äußeren Kirchenwesen insgesamt übertragen: die Hoffnung, daß die Rose (des ›wahren‹ Christentums) auch unter Dornen wachsen könne. Trotz gradueller Unterschiede nimmt Arndt in dieser Hinsicht doch eine ähnliche Haltung wie Wei-
171 »Addo igitur iam illud ipsum, quod summum et intimum Theologiae est momentum: Omnem docendi et scribendi rationem eo conferendam, ut hominem intro convertat, ad abyssum miseriae suae, deinde ad thesaurum gratiae Jesum Christum, intimo corde fideli reponendum: Intus enim est Regnum DEI cum omnibus suis divitiis: intus Templum DEI: intus verus DEI cultus: intus in Spiritu et veritate est verum Oratorium, ibi Spiritus S. Schola, ibi Officina S. Trinitatis [...] Quo de summo praxis Theologicae nervo toto meo libello tertio egi explicatius.« Bericht (wie Anm. 65), 5). 172 Vgl. etwa Psalterpredigten (wie Anm. 93), Ps 12, 1. Predigt; Ps 50, 2. Predigt; Ps 79, 1. Predigt; Ps 106, 8. Predigt. 173 Postilla (wie Anm. 91), Predigt am 1. Sonntag n. Epiph. Auch hier folgt als biblischer Beleg Joh 4,23. 174 »Status huius urbis talis est, ut abhorream tandem et quaeram occasionem emigrandi ex urbe. Si per vocationem non licet, animum ad privatam vitam adieci Christo meo et theosophiae victurus.« Arndt aus Braunschweig an Gerhard am 5.7.1606 (RAIDEL, 57). 175 Vgl. Carlos GILLY, Iter Rosicrucianum. Auf der Suche nach unbekannten Quellen der frühen Rosenkreuzer, in: Das Erbe des Christian Rosenkreuz. Vorträge gehalten anläßlich des Amsterdamer Symposiums 18.–20. November 1986. Johann Valentin Andreae 1586–1986 und die Manifeste der Rosenkreuzerbruderschaft 1614–1616, Amsterdam 1988, 63–85, hier 80.
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gel ein, der »propter tranquillitatem«176 bis zu seinem Lebensende als lutherischer Pfarrer amtierte und trotz seiner spiritualistischen Kirchenkritik sogar die Formula Concordiae unterschrieb177, oder wie später Gottfried Arnold, der auch als Pfarrer und Superintendent seinen spiritualistischen Grundüberzeugungen treu blieb178. Blicken wir zurück: Das Thema »Johann Arndt und die Mystik« spitzte sich zu auf »Johann Arndt und der mystische Spiritualismus«. Seine erste Begegnung mit der Mystik in Gestalt der ›Theologia deutsch‹ Ende 1596 wurde für Arndt ein prägendes Ereignis, obwohl er schon seit seiner Studienzeit mit heterodoxen Kreisen in Verbindung stand.179 Doch ist er – offenbar durch diese Kontakte – erst zu diesem Zeitpunkt auf die Mystik in Gestalt der spiritualistischen Mystikrezeption gestoßen. Von Anfang an ging seine Aufnahme und Verarbeitung mystischer Vorstellungen mit einer Kirchen- und Theologiekritik einher, auf deren Negativfolie er das Konzept einer alternativen wahren Theologie entfaltete. Die von Arndt neu edierten Schriften der ›Theologia deutsch‹, der ›Nachfolge Christi‹, Taulers und Staupitz’ gehören zu einem Ensemble von mystischen Texten, die für die mystischen Spiritualisten des 16. Jahrhunderts Wahrheitszeugen waren. Wie für diese bildeten sie auch für Arndt Quellen des wahren, nicht durch das äußere Wort, sondern den Geist konstituierten Christentums. Von dieser Basis aus suchte und fand Arndt weitere Zeugnisse, »die aus dem Geist geschrieben« waren. Nach dem spiritualistischen Motto »Alles prüfet, das Gute behaltet«180 konnte er eklektisch und ohne Rücksicht auf konfessionelle Grenzscheiden »geistliche« Äußerungen der Vergangenheit und Gegenwart rezipieren. Arndts auf die Geistmitteilung, das innere Wort, konzentrierte Theologie macht es notwendig und Indizien in den Texten lassen es plausibel erscheinen, daß er selbst mystische Erfahrungen hatte. Seine mystische Theologie hat er innerhalb der Kirche vertreten, aber dadurch ist noch keine ›Verkirchlichung‹ gegeben. Erst die lutherische Rezeption Arndts als »Erbauungsschriftsteller« hat das während der Jahrzehnte nach seinem Tod 176 Vgl. Winfried ZELLER, Valentin Weigel und die Augsburgische Konfession. Zu einem neuen Weigel-Autograph, in: DERS., Theologie und Frömmigkeit, Marburg 1971, 39–50, hier 45. 177 Vgl. zuletzt WEEKS (wie Anm. 118), 14–17. 178 Vgl. Hans SCHNEIDER, Der radikale Pietismus im 18. Jahrhundert, in: Martin BRECHT (Hg.), Geschichte des Pietismus, II, Göttingen 1995, 107–197, hier 116–119. 179 Vgl. dazu SCHNEIDER, Lutheraner; DERS., Studienzeit; DERS., Johann Arndt als Paracelsist. Die jetzt vorgelegten Beobachtungen zu Arndts Begegnung mit der Mystik fordern eine differenziertere Betrachtung der frühen Biographie Arndts. 180 Vgl. die Belege bei Hans-Jürgen SCHRADER, Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Henrich Reitz’ »Historie der Wiedergebohrnen« und ihr geschichtlicher Kontext (Palaestra 283), Göttingen 1989, 385f. Anm. 82.
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geleistet, indem sie seine alternative spiritualistische Mystik entschärfte und als der Theologie nach- und untergeordnete Frömmigkeit domestizierte. Unbeeindruckt von dieser Entwicklung haben Vertreter des »linken Flügels«181 der Arndt-Schule im 17. und 18. Jahrhundert durchaus in Arndts Sinn eine alternative ›Theologia mystica oder geheime Krafft-Theologie der Alten‹182 propagiert.
181 Vgl. dazu KOEPP (wie Anm. 5), 123f., 138–140, 150; WALLMANN, Pietismus (wie Anm. 132), 21–24; Martin BRECHT, Die deutschen Spiritualisten des 17. Jahrhunderts, in DERS., Geschichte (wie Anm. 132), 221–237. 182 So der Titel einer oft aufgelegten Schrift Christian HOBURGS, der auch ein Traktätchen ›Arndus redivivus‹ und eine ‹Praxis Arndiana‹ herausgab. Zu Hoburg vgl. außer der in Anm. 180 genannten Literatur Hans-Jürgen SCHRADER, Hoburg, in: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon 5 (1979), 133–137.
ARNDT-REZEPTION IM TÄUFERTUM Johann Arndts Schriften, vor allem seine ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ und sein ›Paradiesgärtlein‹, übten eine konfessionsübergreifende Wirkung aus. Schon zu seinen Lebzeiten erschien 1615 im reformierten Zürich eine Ausgabe des I. Buches von wahrem Christentum unter dem Titel ›Der Tode Adams unnd das Leben Christi‹.1 1617 kam in Prag unter dem Titel ›Anatomia et Laboratorium veri christiani‹ eine tschechische Übersetzung heraus.2 In den reformierten Niederlanden wurden seit 1631 die ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹ verschiedentlich in holländischer Übersetzung gedruckt.3 Ende des 17. Jahrhunderts zeigte man Besuchern in einer spanischen Jesuitenbibliothek eine – titellose – lateinische Ausgabe des Wahren Christentums als bestes aszetisches Werk.4 1723/25 ließ Graf Zinzendorf eine französische Übersetzung für katholische Christen drucken.5 1734 erschien in Kempten eine katholische Ausgabe.6 Arndt fand aber schon früh auch und gerade außerhalb der konfessionellen Kirchentümer Beachtung, besonders in spiritualistischen Kreisen.7 So beklagte sich etwa Balthasar Mentzer am 11. Juli 1620 brieflich bei 1 Das bei Wilhelm KOEPP, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (NSGTK 13), Berlin 1912 [Ndr. Aalen 1973], 302, unter dem Erscheinungsort und -jahr Stein am Rhein 1615 erwähnte Werk hatte ich nicht ermitteln können. Martin Brecht danke ich für den Hinweis auf ein Exemplar »Getruckt zu Zürich in verlegung Joh. Balthassar Beugger zu Stein 1616« in der UB Basel. Vgl. demnächst Martin BRECHT, Die Aufnahme von Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum im deutschen Luthertum, in: Hans OTTE / Hans SCHNEIDER (Hgg.), Frömmigkeit oder Theologie? Johann Arndt und die vier Bücher von wahrem Christentum (SKGNS 40), Göttingen 2006. 2 ANATOMIA ET LABORATORium veri Christiani: To gest: Cztwery Knihy o prawém Krestantwj spasytedlného Pokánj [...], Prag: Karl & Karlsspergk 1617 [SUB Göttingen]. 3 Vier boecken van het waere Christendom, dat is oprechte praktijke en Oeffeninghe der Godsaligheyd beschreven door Ian Arent. Amsterdam: Dirck Pietersz. Ghedruckt tot Haarlem by Thomas Fonteyn 1631 [Nachweis: Antiquariatskatalog]. 4 Vgl. [Traugott Immanuel JERICHOW (Hrsg.),] Sammlung auserlesener Materien zum Bau des Reiches Gottes, 1, Frankfurt/Main und Leipzig 1731, 20–22. 5 Vgl. die bibliographischen Angaben bei Dietrich MEYER, Bibliographisches Handbuch zur Zinzendorfforschung, Düsseldorf 1987, Nr. A 104.1 und 104.2. Vgl. demnächst Tobias KAISER, Zinzendorfs Projekt einer französischen Arndt-Ausgabe, in: OTTE / SCHNEIDER (wie Anm. 1). 6 Dieser Druck wurde ausführlich beschrieben von dem evangelischen Pfarrer zu Lindau, Bonaventura RIESCH, Nachricht von einer unlängst unter den Römisch-Catholischen in dem Fürstlichen Stifte Kempten veranstalteten Ausgabe der Bücher des seligen Arndts vom wahren Christentum, in: Heßisches Heb-Opfer Theologischer und Philologischer Anmerckungen, 35. Stück, Gießen 1744, 387–393, resümiert bei Friedrich ARNDT, Johann Arndt, weiland GeneralSuperintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838, 241f. 7 Vgl. Johannes WALLMANN, Pietismus, Göttingen 1990 (KIG O), 21–24; Hermann GEYER, Verborgene Weisheit. Johann Arndts ›Vier Bücher vom Wahren Christentum‹ als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie, I, Berlin 2001 (AKG 80), 11–78.
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Arndt-Rezeption im Täufertum
Arndt: »Viele Schwenckfelder brüsten sich damit, daß du mit ihnen übereinstimmst, und sie lesen deine Bücher eifrig und empfehlen sie anderen.«8 Wenig war dagegen bisher über eine Rezeption Arndts im Täufertum bekannt. Robert Friedmann wies Einflüsse Arndts auf die mennonitische Gebetsliteratur im 18. Jahrhundert nach,9 doch läßt sich die Wirkungsgeschichte Arndts noch erheblich weiter zurückverfolgen.
I In der Geschichte der mennonitischen Erbauungsliteratur nimmt das Gebetbuch ›Die Ernsthafte Christenpflicht‹10 einen wichtigen Platz ein. Robert Friedmann bezeichnete es in seiner Darstellung der mennonitischen Gebetsliteratur als »the most important book in our series«.11 Es handele sich zum einen um »the first completely furnished and self-contained German prayer book for Mennonites«, das zur privaten Erbauung und nicht für den Gottesdienst gedacht war12; zum anderen dokumentiere es einen Wandel in der mennonitischen Frömmigkeitsgeschichte des 18. Jahrhunderts, »the turn to the pietistic pattern of Christianity«13. Zu seiner Überraschung mußte Friedmann feststellen, »that this book in spite of its significance has received so little attention in scholarly studies, and nothing has become known about its origin and history«.14 Er hat als erster versucht, eine ausführliche Analyse der ›Christenpflicht‹ zu geben.15 Inzwischen erlauben es einige neue Funde, die Beobachtungen Friedmanns zu ergänzen und auch zu korrigieren. Die Herkunft des Gebetbuchs ist noch immer dunkel, selbst das Jahr der Erstveröffentlichung war lange Zeit ungewiß. Der niederländische Forscher Frederik Samuel Knipscheer, der die ›Christenpflicht‹ in einem Artikel der 8 »Iactant tuum consensum multi Svenckfeldiani, et libros tuos legunt ipsi diligenter et aliis commendant.« Balthsar Mentzer an Arndt, Gießen, 11. Juli 1620; abgedruckt: [Melchior BRELER (Hg.)] Warhafftiger / Glaubwürdiger und gründlicher Bericht von den vier Büchern vom Wahren Christenthumb [...], Lüneburg 1625, 60. 9 Robert FRIEDMANN, Mennonite Piety Through the Centuries. Its Genius and Its Literature, Goshen, Ind., 1949 [Reprint: Sugarcreek, Ohio, 1980]. 10 Die Ernsthaffte Christenpflicht. Darinnen Schöne Geistreiche Gebätter / Darmit sich fromme Christen-Hertzen zu allen Zeiten und in allen Nöthen trösten können. – Zu den Ausgaben s. u. 11 FRIEDMANN, 189. 12 FRIEDMANN, 195. 13 FRIEDMANN, 195. 14 FRIEDMANN, 189. 15 FRIEDMANN, 189–195; vgl. auch DERS., Art. »Ernsthafte Christenpflicht«, MennEnc 2, 1966, 244f.
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Doopsgezinde Bijdragen 1898 erwähnte, nahm einen ersten Druck in der Schweiz um 1750 an16, und 1913 wiederholte Christian Neff diese Vermutung im Mennonitischen Lexikon17. Der 1919 herausgegebene ›Catalogus van de Bibliotheek der Vereenigde Doopsgezinde Gemeente te Amsterdam‹ führte nur eine Ausgabe von 1753 auf und notierte knapp, daß es sich um ein Gebetbuch der Mennoniten in der Pfalz handele.18 Zehn Jahre später behauptete C. Henry Smith, daß die Christenpflicht »at least as early as 1727 in Europe« erschienen sei, gab aber dafür keinen Beleg an.19 Im selben Jahr fand Harold S. Bender eine Ausgabe aus dem Jahr 1739 in der Mennonite Historical Library von Goshen College.20 Friedmann betrachtete diese als »the earliest known publication of this book«.21 Da sie in Kaiserslautern gedruckt war, schloß er: »without doubt, Swiss Anabaptist-Mennonites in the Palatinate edited this book«.22. Es handelt sich freilich keineswegs um die älteste Ausgabe des Gebetbuchs. In der Privatsammlung von Amos Hoover finden sich drei Ausgaben, die vor 1739 und zwei davon, die sogar vor 1727 erschienen sind. Sie tragen die Erscheinungsjahre 1716, 1718 und 1730. Eine noch ältere Ausgabe aus dem Jahr 1708 ist in der MeetingHouse Library in Harleysville, Pennsylvania, erhalten. 23 So läßt sich die Entstehung der Christenpflicht bis in das erste Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zurückdatieren. Dies hat auch unmittelbare Konsequenzen für die Beobachtungen Friedmanns über einen Wandel der mennonitischen Frömmigkeit hin zu einem pietistischen »pattern«, der also Jahrzehnte früher anzusetzen ist. Friedmann hat als erster die literarischen Quellen der ›Christenpflicht‹ analysiert. Er konnte bei fünf Gebeten ihre Herkunft aus Schwenckfelds Deutschem Passional (CSchw 6) aufzeigen und bei drei Gebeten nachweisen, daß sie aus Johann Arndts ›Paradiesgärtlein‹ übernommen sind. Es handelt sich im einzelnen um: 16 Frederik Samuel KNIPSCHEER, Geschiedenis van het stil en het stemmelijk gebed bij de Vaderlandsche Doopsgezinden, Doopsgezinde Bijdragen 37 (1897), 77–120; 38 (1898), 55–77; hier 66, 72. 17 Christian NEFF, Art. Ernsthafte Christenpflicht, MennLex 1 (1913), 608. 18 Catalogus van de Bibliotheek der Vereenigde Doopsgezinde Gemeente te Amsterdam, I, Amsterdam 1919. 19 C. Henry SMITH, The Mennonite Immigration to Pennsylvania, Norristown 1929, 350. 20 Harold S. BENDER, Two Centuries of American Mennonite Literature, Goshen, Ind. 1929, 165. 21 FRIEDMANN, 189. 22 FRIEDMANN, 189. Vorsichtiger formuliert er in MennEnc 2 (1966), 244: »most likely of Palatinate origin«. 23 Vgl. J.C. WENGER, A 1708 Edition of the Ernsthafte Christenpflicht Discovered, Mennonite Historical Bulletin, Jan. 1977.
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(22) Gebet um die Reinigkeit des Herzens (Paradies-Gärtlein I, VI, 1), (26) Gebet um die Nachfolge Christi (Paradies-Gärtlein III, 4) und (27) Gebet um das Reich Christi (Paradies-Gärtlein III, 15). Bei einer nochmaligen Überprüfung der ›Christenpflicht‹, konnte ich noch zwei weitere Gebete aus Arndts Paradiesgärtlein identifizieren: (25) Gebet und Trost der um das Bekenntnis der Wahrheit willen Vertriebenen und Verfolgten (Paradies-Gärtlein III, 39), (28) Gebet um Trost in leiblicher Armut (Paradies-Gärtlein III, 38). Enthielten die frühen Ausgaben der ›Christenpflicht‹ 36 Gebete, so traten gegen Ende des 18. Jahrhunderts weitere hinzu. Die in Ephrata gedruckte Ausgabe des Gebetbuchs aus dem Jahre 1787 und alle ihr folgenden Ausgaben erweiterten die Sammlung um weitere 19 Gebete. Unter diesen neu hinzugetretenen Gebeten fand ich noch einmal vier Gebete aus Arndts Paradiesgärtlein: (51) Trostgebet eines Kranken (Paradies-Gärtlein III, 28; 6. Gebet), (53) Gebet um Erhaltung im christlichen Glauben und christlichen Tugenden bis zum seligen Ende (Paradies-Gärtlein I, 10, 3), (54) Ein Morgengebet (Paradies-Gärtlein II, 1), (55) Ein Gebet frommer Eltern für ihre Kinder (Paradies-Gärtlein I, 4,4). Der Anteil von Gebeten Arndts ist also im Laufe des 18. Jahrhunderts von drei auf neun gewachsen und ist in dem erweiterten Gebetbuch prozentual von 8 % auf mehr als 16 % gestiegen. Diese Beobachtungen sind Indizien für den wachsenden Einfluß Arndts und der von ihm repräsentierten Frömmigkeit in täuferischen Kreisen. Die genauere Erforschung der wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Pietismus, besonders in seinen radikalen Erscheinungsformen, und dem Täufertum ist eine noch zu leistende Aufgabe.24
II Der allererste, bislang unbekannt gebliebene Hinweis auf Arndt, verbunden mit Textauszügen aus dem Wahren Christentum, findet sich bereits in einem täuferischen Werk, das in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges in Dortmund erschien. Das voluminöse Buch gibt sich schon in seinem barocken Titel als eine täuferische Publikation zu erkennen gibt:
24 Vgl. dazu jetzt Marcus MEIER, Die Anfänge der Schwarzenauer Neutäufer. Genese einer radikalpietistischen Gemeinschaftsbildung, Diss. theol. Marburg 2004 [erscheint in AGP].
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S. BAPTISMI HISTORIA: Das ist / HEilige Tauff=Historia: In welcher Die Warheit der Ersten= Ein= vnd Eygentlichen Tauffordnung JESU CHRISTI, Aus Heiliger Schrifft deutlich widerholt / darzu aus vielen Alten vnd Newen / Kirchenhistorien / durch alle Hundert Jährige Zeiten / von Anfang der Tauff bißhieher / bezeuget [...] Anfänglich durch den hochgelehrten H. Johan. Montanum kurtz / vnd mit blossen Allegaten in Niderlandischer Sprach beschrieben / Nach dessen Todt aber aus seinen hinderlassenen Schrifften / vnd andern Autoren vollkömlich vermehret / vnd in die Hochdeutsche Sprach übersetzet / Durch Jacob Mehrning aus Holstein / der Göttlichen Warheit Studiosum. Es trägt den Erscheinungsvermerk: Auff guten Glauben gedruckt zu Dortmundt bey Sehl. Andreas Wächtern vnd seinen Erben / im Jahr 1646. vud [!] 1647.25
Obwohl es sich bei dem Werk nicht nur nach Umfang26, sondern auch nach thematischer Bedeutung und Gelehrsamkeit um eine der bedeutendsten täuferischen Publikationen des 17. Jahrhunderts handelt, ist über den Autor und sein geschichtliches Umfeld sowie über Anlaß und historischen Kontext des Werkes nur wenig bekannt. Der Verfasser nennt lediglich auf dem Titelblatt seinen Namen Jacob Mehrning mit der Herkunftsbezeichnung »aus Holstein«. »Nothing is known concerning the author's personal life«, bemerkt die Mennonite Encyclopedia lakonisch.27 Immerhin spricht der Verfasser einmal von seinem »Exilio«.28 Es scheint also, daß er als Täufer seine holsteinische Heimat verlassen mußte, wie er denn auch an anderer Stelle erwähnt, daß Taufgesinnte »bey vnsern Zeiten aus Holstein vnd Dennemarck vertrieben« worden seien.29 Vielleicht gehörte er zeitweise zu einer Mennonitengemeinde in Altona; darauf könnte hindeuten, daß er die antitäuferischen Schriften der Hamburger Pastoren Jodokus Edzardi Glanaeus und Johannes Müller kritisiert. 30 Glanaeus predigte dann auch im Hamburger Michel gegen Mehrnings »TauffHistoria« und ließ die Predigten im Druck veröffentlichen.31 25 Vorhanden: SUB Göttingen; HAB Wolfenbüttel. Ich benutzte das Exemplar der Juniata College Library, Huntingdon, Pennsylvania. 26 [20 Bl.] + 1128 [recte 1126] S. + [13 Bl.], 4°. 27 Art. Mehrning, Jacob, MennEnc 3 (1957), 561. 28 Historia, Vorrede [2v] 29 Historia, Vorrede [11v] 30 Historia, Vorrede [16v]. Darauf hat schon Johann Adrian BOLTEN, Historische Kirchen= Nachrichten von der Stadt Altona und deren verschiedenen Religions=Partheyen […], I, Altona 1790, 311, Anm. 194, hingewiesen. – Es handelt sich um Jodocus Edzardi GLANAEUS, Nothwehr Für die Kindertauffe welche die Wiedertauffer den Kinder wehren, den Mündigen zweiffelhafftig machen / und eine gefehrliche Wiedertaufferey anrichtenn […], Hamburg 1636 [Forschungs- und LB Gotha] u.ö., Johannes MÜLLER, Anabaptismus. Das ist: Wiedertauffer Irrthum […], Hamburg 1644 [HAB Wolfenbüttel] u.ö. 31 Jodocus Edzardi GLANAEUS, Geistliches Bad=Tuch, den neuen Wiedertäuferischen Täuchern / welche nach des falsch genandten Montani, und dessen Vermehrers Jacobi Mehrnings Lehre / an der Besprengung oder Begießung in der einmal empfangenen Taufe nicht vergnüget / eine Wiedertaufe in den Tiefen / Strömen oder Fischteichen durch Ein- oder Untertauchung
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Über die Entstehungsgeschichte macht Mehrning einige Angaben in seiner Vorrede. Demnach hat »ein eyferiger vnpartheyischer Nachforscher der Warheit / H. K. so in einerfürnehmen Handels Stadt hiebevor gewohnt / vnd nunmehr in GOtt seliglich ruhet«, Materialien für eine ausführliche Geschichte der Taufe in deutscher Sprache gesammelt. Bei diesem Unterfangen sei jener nur mit Initialen Genannte bestärkt worden durch holländische Publikationen, vorallem durch »das Anno 1647. gedruckte Büchlein des hochgelehrten Herren I. Montani«, das freilich »allzu kurtz / darzu auch in Niederländischer Sprache verfasset« sei. Bei diesem Werk handelt es sich um die Abhandlung des holländischen Täufers Hermann Montanus (1585–1639)32 über die Nichtigkeit der Kindertaufe, die er in einem Gang durch die Kirchengeschichte untermauern will.33 Mehrning berichtet dann, daß ihm jener Forscher (H. K.) vor seinem Tod die Drucklegung seines Werkes anvertraut und ihn gebeten habe, »solches zu revidieren / in Ordnung zu bringen / vnd aus seinen Collecten, H. Montani Büchlein […] zuergänzen.« 34 Mehrning versichert, daß er nichts Eigenes hinzugefügt habe, sondern beschreibt seine Tätigkeit als die eines Kompilators, Redaktors und Übersetzers.35 Das Buch will mehr sein als eine historische Rechtfertigung der Erwachsenentaufe. Es ist ein engagiertes Plädoyer für eine bestimmte Taufform, die Immersionstaufe. Immer wieder wird das »eintieffen« oder »eintauchen« als die ursprüngliche und verbindliche Taufordnung Jesu Christi dargestellt.36 Deren Nichtbeachtung sei ein Grund für die vielfach beklagten Mißstände in der Christenheit und deren Wiederherstellung durch eine »rechtschaffene Tauff=Reformation«37 die gebotene Aufgabe in der Gegenwart. Hintergrund dieser Erörterung sind offenbar Diskussionen, die unter den niederländischen und norddeutschen Mennoniten über die rechte Taufform (Eintauch- oder Besprengungstaufe) stattfanden. Mehrning weist nämlich darauf hin, daß
vorhaben, zur Abtrocknung und andern Eintfeltigen zur Warnung / Zugerichtet in zwo Predigten / gehalten in S. Michael. Kirche[n] in Hamburg […], Hamburg 1651 [Forschungs- und LB Gotha]. – Über die Person Mehrnings ist leider auch aus dieser gegnerischen Veröffentlichung nichts zu erfahren. 32 Zu Hermann (nicht Johann, wie Mehrning irrtümlich schreibt) Montanus vgl. Jacob C. van Slee, De Rijnsburger Collegianten, Haarlem 1895 [Reprint 1980], 72–78. 33 Nietigheydt van den kinder-doop, noyt voor desen soo overvloedelijck [...] bewesen uyt Kerckelijcke Historien / oudt-vaderen / en voornamelijck uyt de H. Schrift […], Amsterdam 1647 [Goshen College Historical Library; in Deutschland ist nur die zweite Ausgabe nachweisbar: Amsterdam 1648; HAB Wolfenbüttel]. 34 Historia, Vorrede [2v]. 35 Historia, Vorrede [3r]. 36 Historia, 11, 77, 145, 159, 338f., 344–540, 924f., 937–967. 37 Historia, Vorrede [4r].
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»auch vnter den […] Menisten [= Mennoniten] selbst viel Streits über dem Tauff Artickel« sei. Zwei Fraktionen werden genannt: den einen, die »gern sehen / das die Tauffe mit Wasserbaden vnnd Waschen recht bedienet vnd angenommen würde«, stünden die anderen gegenüber, die »solches hefftig widerfechten / vnnd über der Besprengung am Haupt allein hart halten«.38 Diese Kontroversen führten schließlich Ende der 1640er Jahre zur Entstehung einer besonderen Täufergruppe, der sog. Dompelaars.39 Welche Rolle spielt Johann Arndt in diesem bemerkenswerten Buch? Die Bücher von wahrem Christentum werden von Mehrning bereits in seiner Vorrede erwähnt. Hier stellt er die Erörterung der geforderten »Tauff=Reformation« in einen breiteren Kontext. Die Mißachtung der ursprünglichen Taufform des Untertauchens sei ein Symptom, ja sogar einer der Gründe für die Mißstände unter den Christen. Im Zusammenhang der Klagen über die Schäden in der Christenheit wird Arndt zum ersten Mal genannt. Mehrning sieht sich mit ihm in einem Grundanliegen einig. »Etliche geben den Ketzern vnd falschen Lehrern alle Schuld / vnd wollen der Sachen mit Disputiren abhelffen / aber wie wenig sie damit außrichten / bezeuget neben der Erfahrung Johan Arndt im ersten Buch seines Christenthumbs cap. 39. vnd schlegt andere bessere Mittel für / sprechende in der Vorrede: Es ist nun hohe Zeit Busse zuthun / ein ander Leben anzufahen / sich von der Welt zu CHristo zubekehren / an ihn recht glauben / vnd in ihm recht Christlich leben.«40
Geschickt zitiert Mehrning sogar Klagen Luthers und lutherischer Theologen und greift auch einzelne Verbesserungsvorschläge auf; darunter ist besonders bemerkenswert, daß er Luthers Überlegungen (in der Vorrede zur Deutschen Messe) zur Sammlung derjenigen, die mit Ernst Christ sein wollen, als den »allerbesten Rath« bezeichnet 41 und zur Rechtfertigung der täuferischen Absonderung anführt. In einer derartigen Gemeinschaft, die »von den andern gemeinen Haufen abgesondert« sei,42 könne man nicht nur die richtige Taufordnung – die Erwachsenentaufe und den Ritus des Untertauchens – praktizieren, sondern überhaupt »die Leuthe nach dem Evangelio regieren«.43 Bei solchen Christen »könnte Herr Johan Arends Christenthumb rechte statt haben«, und Historia, Vorrede [18v]. Vgl. dazu zuletzt Dennis L. SLABAUGH, Dunkers and Dompelaars, in: From Age to Age: Historians and the Modern Church. A Festschrift for Donald F. Durnbaugh, ed. by David B. Eller (BLT 42), Bridgewater, Va. 1997, 6–116. 40 Historia, Vorrede [5r]. 41 Luthers Ausführungen werden (nach Bd. 7 der Wittenberger Ausgabe) in extenso zweimal zitiert: Historia, Vorrede [5v]–[6v], und Historia 916–918; vgl. auch andere Äußerungen Luthers: 919–921. 42 Historia, Vorrede [7r]. 43 Historia, Vorrede [8v]. 38 39
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man würde »bald= vnnd eher widerumb zur Vbung des wahren Christentumbs gelangen«.44 Mehrnings Betonung der Erwachsenentaufe und sein leidenschaftliches Plädoyer für die Immersionstaufe als einzig richtigem Taufritus erfahren allerdings durch ihn selbst eine zweifache Relativierung. Er lenkt zum einen den Blick auf jene »Guthertzigen« – eine alte Bezeichnung für täuferische Sympathisanten45 –, »so vnter allerley Religion Secten das eusserliche Wasserbadt vnd Abwaschung in der Tauff nicht vollenkommen erlangen können / weils nicht in ihrer Macht alleinstehet solches zu bessern«. Sie sollen versuchen diesen Mangel zu kompensieren, nämlich »mit der geistlichen Taufe des heiligen Geistes«.46 Dies ist aber nach Mehrnings Überzeugung keineswegs ein Notbehelf. Vielmehr – und das ist die zweite Relativierung der äußeren Taufordnung – bedürfen auch alle recht Getauften dieser geistlichen Taufe, »auf daß sie durch dieselbige die wahre geistliche Widergeburt zum Reich Gottes erlangen / ohne welche niemand kann seelig werden / er werde gleich eusserlich im Wasser gewaschen vnd recht gebadet / oder nicht«.47 Dabei handele es sich um den »besten Kern der Tauffe / daran es am meisten gelegen«.48 Die Fokussierung auf die Wiedergeburt schafft eine weitere Voraussetzung für die Arndt-Rezeption. Schon am Ende des Vorworts kündigt Mehrning an, daß sich von eben diesem Kern der Taufe im Anhang des Buches »ein nützlicher Bericht« finde. In diesem Appendix will Mehrning, wie er dort zu Beginn erklärt, »eine vnd andere nützliche vnd nötige Vermahnungen zur Newen= Geistlichen= vnd Widergeburth« geben, »ohne welche auch die nicht selig werden können / die schon recht nach Christi Tauffordnung getaufft sind / vnd ja so wenig / als die / so nicht recht darnach getaufft werden«.49 Hier stellt er knapp Arndts Werk vor, das er schon in der Vorrede angeführt hatte. »Es hat in dieser noch lauffender 1700.jährigen Zeit der hocherleuchtete Bischoff Johannes Arndt / wie jhn D. Johan: Matthaeus Mayfarth 50: tituliret, eine hoch nützliche Arbeit getan / in dem er die vier Bücher vom wahren Christenthumb geschrieben: Darinnen treibet er die Lehr vnnd das Geheimnus von der Newen=Geistlichen vnd Wider=Geburt / ohn welche kein Mensch ein Christ seyn / noch selig werden kan / gar fleissig in vnterschiedlichen Capitteln / wie auch in seinen Tauffpredigten über den Ca-
Historia, Vorrede [9r] Vgl. Robert FRIEDMANN, Art. »Half-Anabaptists«, MennEnc 2 (1956), 634. 46 Historia, Vorrede [19r]. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Historia 1069. 50 Zu Johann Matthäus Meyfart (1590–1642) vgl. Karl DIENST, BBKL 5 (1993), 1429–1431; Christian PETERS, RGG4 5 (2002) 1200. 44 45
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techismum 51 / vnd erkläret dasselbige also deutlich / daß wir dergleichen vor jhm bey keinem deutschen Scribenten gelesen / vnd daß es ein jeder Einfältiger wohl gar fassen vnnd erlernen kann / wenn er nur es mit Andacht vnd Auffmerckung zu lernen begehret: Aus allem / was er hiervon geschrieben / wollen wir nur einen kleinen Extract / als den besten Kern vnnd Safft dieses Geheimnus / so zum Verstandt desselben am dienlichsten / verfassen / vnd anhero mit anhengen / auff daß der Christliche Leser hieraus nicht allein verstehen möge / das rechte Ende / Ziel / vnnd Zweck / worauff diese so langwirige Tauffhistoria gerichtet vnd angesehen sey / sondern auch zugleich darbey haben möge / in wenige Capittel verfasset.«
Die Auszüge aus Arndts ›Vier Büchern von wahrem Christentum‹, die Mehring in einem ›Appendix‹ zu seinem Werk bietet, umfassen 30 Quartseiten.52 Sie stehen unter der bezeichnenden Überschrift: »Eine sehr nützliche Anleitung / zum recht Verstandt der Newen= Geistlichen= vnd Wider=geburt / ohn welche niemand ein Christ seyn / noch selig werden kann / vnd durch was Mittel ein jeder Mensch darnach trachten solle / vnd wie er dieselbige erlangen mögen.«53
Die zehn Kapitel mit eigenen Überschriften könnten auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, es handele sich um größere zusammenhängende Exzerpte aus Arndts Büchern. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat Mehrning zum Stichwort »Wiedergeburt« selbst einen »Extract« aus den verschiedenen Büchern, Kapiteln und Abschnitten zusammengestellt, dabei den Stoff neu sortiert und mit Überschriften versehen. Die Auswahl und Zuordnung bedürfte einer genauen Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. Auch in der Wiedergabe seiner Textbausteine folgt Mehrning nicht immer der Vorlage, sondern paraphrasiert den Gedankengang häufig mit eigenen Worten und nicht ohne Akzentverschiebungen. Gleichwohl verliert der Leser meist nicht den Eindruck, Arndt-Texte vor sich zu haben. An wichtigen Stellen fügt er auch eigene Darlegungen ein. Signifikant für dieses Verfahren ist etwa das 5. Kapitels seines Extrakts (»Durch was Mittel die Newe Geburt zuerlangen vnd zu behalten sey«). Hier wird zunächst WChr I, 3,4 zitiert. Nach den Bemerkungen Arndts über die Neue Geburt als Wirkung des Heiligen Geistes fügt Mehrning ohne besondere Kennzeichnung eine Passage ein, die sein eigenes Anliegen mit dem ArndtText verknüpft: »Darzu kompt dann auch nach Christi Tauffordnung das Wasser / damit der Jenige gewaschen vnnd gebadet wird / der den Glauben / heiligen Geist / vnd das Wort
Gemeint sind die Predigten über die Taufe in Arndts Katechismuspredigten. Historia, 1069–1099. 53 Historia, 1069f. 51 52
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Gottes empfangen / vnd gern angenommen hat: Es müssen alle diese drey Stücke beyeinander seyn / das Wort Gottes / der heilige Geist / der Glaube / vnnd das Wasser / so ists eine rechte vom Sohn GOttes gestifftete H. Tauffe.«54
Mehrning führt ergänzend – scheinbar aus Arndts Mund – sogar noch die Sätze über die Notwendigkeit täglicher Reue und Buße aus Luthers Kleinem Katechismus an, um zu zeigen, daß man nach der empfangenen (Erwachsenen-) Taufe »in der Newen Geburt activè leben / vnd die Früchte der Newen Geburt täglich beweisen« müsse. Erst danach greift er seine Vorlage wieder auf und fährt mit Zitaten aus WChr I, 3,1 und I, 3,10 fort, um schließlich dieses Kapitel mit einem Versatzstück aus I, 26,8 zu beenden.55 Wie schon in den Ausführungen der Vorrede scheint Arndt durch solche Zusammenstellungen geradezu zu einem täuferischen Gewährsmann zu werden. Zwei Beispiele für die Arndt-Rezeption im Täufertum wurden kurz vorgestellt, die nur erste Hinweise auf ein Forschungsdesiderat sein können. Mehrnings ›Tauff=Historia‹ ist ein aufschlußreiches Zeugnis dafür, wie Arndt bereits Mitte des 17. Jahrhunderts unter norddeutschen Täufern Beachtung fand. Das Interesse an seinen Schriften, das sich im Täufertum nach Ausweis der ›Christenpflicht‹ im 18. Jahrhundert fortsetzte, unterstreicht ein weiteres Mal Arndts konfessionsübergreifende Wirkung. Jacob Mehrning drückt es auf seine Weise so aus: »Vnd der Sehlige Mann hat traun mit seinen Christenthumbs Büchern bey manchen frommen Hertzen vnter allerley Religions=Secten / grossen Nutzen geschafft / darumb Gott billich zu dancken / vnd er zu loben ist.«56
Historia, 1085. Historia, 1086f. 56 Historia, Vorrede [5r]. 54 55
ZEITTAFEL ZUR BIOGRAPHIE JOHANN ARNDTS1 1553 Jun 15
1553–1557 1555–1575 1555 Dez 27
1558–1565 1565 Nov 24 1568 Dez 28 vor 1575 1575–1581 1575 Apr 20
1576 Okt 15 1577 Feb 14
[1577–1579] 1579 Jan 13 1579 Aug 31 1579 Sep 2 1581 Aug 15
Der Vater Johann Arndts, Jakob Arndt, gebürtig aus Köthen und bisher Schulmeister in Könnern, wird in Wittenberg von D. Johannes Bugenhagen ordiniert, und zum Pfarrer nach Edderitz berufen. Jakob Arndt wirkt als Pfarrer in Edderitz. Kindheit und Jugend Johann Arndt wird [wahrscheinlich in Ballenstedt und nicht in Edderitz] als erstes von drei Kindern (Geschwister: Matthias und Elisabeth) des Pfarrers Jakob Arndt und seiner Ehefrau Anna, geb. Söchtings, geboren. Jakob Arndt wird Pfarrer in Ballenstedt. Jakob Arndt stirbt in Ballenstedt. Fürst Joachim Ernst von Anhalt belehnt die Witwe Anna Arndt und ihre Kinder mit einer halben Hufe Landes. Johann Arndt besucht Lateinschulen in Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg. Studienzeit Arndt wird an der neuen Hochschule in Helmstedt immatrikuliert und beginnt das Studium der artes liberales (Grundstudium). Die Universität Helmstedt wird feierlich eröffnet. Martin Chemnitz hält die Festpredigt. Arndts muß wegen eines unbekannten studentischen Vergehens eine Strafe im Karzer der Universität Helmstedt verbüßen. Arndt studiert in Straßburg. Arndt wird in Basel immatrikuliert. Arndt verfaßt ein Gratulationsgedicht für seinen Kommilitonen David Kraffter. Arndt wendet sich als »stud. med.« in Basel an Theodor Zwinger. Bernard Gabriel Penot schreibt an Arndt [in Basel?].
1 Unsichere Daten sind in eckige Klammern gesetzt, Arndts gedruckte Werke werden durch Kursivdruck markiert.
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Zeittafel
[1581]
Arndt reist in seine Heimat Anhalt zurück.
1582–1590 1582 1582
Anhalt Arndt unterrichtet als Schullehrer in Ballenstedt. Arndt heiratet Anna, geb. Wagner, Tochter des Christian Wagner, Amtmann und Richter in Ermsleben. Arndt wird in Bernburg (Anhalt) ordiniert. Arndt ist als Diakon (Hilfspfarrer) in Ballenstedt bezeugt. Arndt wird als Pfarrer an der St. Vitus-Kirche in Badeborn investiert. Arndt unterzeichnet das Anhaltische Bekenntnis vom Heiligen Abendmahl, auf das Fürst Joachim Ernst alle Pfarrer verpflichtet. In Anhalt, das sich dem Konkordien-Luthertum nicht angeschlossen hatte, verstärken sich die Tendenzen zu einer »Zweiten Reformation«. Diskussionen um den Exorzismus bei der Taufe beginnen. Daniel Hoffmann nimmt in einem Brief aus Helmstedt [an Arndt] zur Frage des Exorzismus Stellung. Das ›Tauffbüchlein, Für die Kirchen im Fürstenthumb Anhaldt, Mit erzelung etlicher Hochwichtigen vrsachen, warum der Exorcismus abgeschafft‹ erscheint. Eine fürstliche Kommission verhandelt in Ballenstedt mit Pfarrern – darunter Arndt – über die Abschaffung des Taufexorzismus. Da Arndt sich widersetzt, erhält er Kanzelverbot. Arndt weigert sich endgültig, den Taufexorzismus abzuschaffen. Arndt wird aus dem anhaltischen Pfarrdienst entlassen.
1583 Okt 30 1584 Jun 1 1584 Okt 27 1585
1589/90
1590 Apr 25 1590 Sommer
1590 Sep 5/6
1590 Sep 10 1590 Sep 21 1590–1599 1590 Sep 29 1590–1592
Quedlinburg Arndts kommt in Quedlinburg an. Arndt ist Adjunkt an der St. Nikolai-Kirche in der Quedlinburger Neustadt. 1592–1599 Arndt erhält die Pfarrstelle an St. Nikolai. 1592 Sep 19 In einem Brief an Polycarp Leyser kommentiert Arndt die Situation in seiner Heimat Anhalt. 1594 Eine Berufung nach Nordhausen lehnt Arndt ab. [1595 Adventszeit] Arndt hält Predigten von den zehn ägyptischen Plagen (erst 1657 gedruckt).
Zur Biographie Johann Arndts
1596 Dez 19 [1597 Anfang] 1597 Frühjahr 1597 1598 1599 Apr 12 1599 Jul 6 1599 Jul 13 vor 1599 1599–1609 1599 Aug 16 1600
1602–1604
1603 Mrz 15 1603 Dez Ende 1604 Sep 17
1605 Jan 10
1605 Ostermesse 1605
259
Arndt vollendet die Vorrede zur Ikonographia. Die Ikonographia erscheint im Druck. Arndt veranstaltet eine Neuausgabe der Teutschen Theologie. Eine Berufung auf die Superintendentur in Schwarzburg lehnt Arndt ab. In Quedlinburg wütet eine Pestepidemie. Arndt verfaßt Pestgebete (später in das Paradiesgärtlein aufgenommen). Arndt hält eine Probepredigt in Braunschweig. Arndt richtet ein Abschiedsschreiben an die Quedlinburger Äbtissin Anna von Stolberg. Vom Quedlinburger Ministerium erhält Arndt ein Zeugnis über seinen pfarramtlichen Dienst. Arndts Sendschreiben an Erasmus Wolffart wird erst 1670 gedruckt. Braunschweig Arndt verpflichtet sich auf das Braunschweiger Corpus doctrinae. Die Stadt Braunschweig, die sich in einem Dauerkonflikt mit Herzog Julius befindet, wird von dessen Truppen belagert. In der Stadt Braunschweig gibt es schwere innenpolitische Spannungen zwischen den herrschenden Patriziern und der Bürgerschaft. Arndt steht mit der Mehrheit der Pfarrerschaft auf der Seite des patrizischen Rates. Arndt gibt Johann Gerhard Empfehlungen zur Anschaffung theologischer Literatur. Arndt hält die Leichpredigt für die Frau des Bürgermeisters Schöppenstedt (gedruckt 1604). Die innenpolitischen Wirren werden beendet mit der Hinrichtung des Bürgerhauptmanns Hennig Brabant auf dem Hagenmarkt. In einem Brief an Johann Gerhard: kündigt Arndt an, daß sein Buch von wahrem Christentum demnächst in Frankfurt herauskommen werde. Das I. Buch von wahrem Christentum erscheint in Frankfurt/M. Zwei uralte und edle Büchlein (Theologia deutsch und Nachfolge Christi) werden von Arndt herausgegeben.
260 1605 Jun 26
Zeittafel
Zwei alte geistreiche Büchlein Doctoris von Staupitz, von Arndt herausgegeben, sind im Druck und erscheinen noch im selben Jahr. 1605 Sep 11 Arndt erhält eine Berufung als Pfarrer nach Halberstadt, der zu folgen ihm der Braunschweiger Rat nicht gestattet. 1605 Okt 16 Herzog Heinrich Julius läßt die Stadt Braunschweig überfallen. 1605 Okt–1606 Jan Die Stadt wird durch Truppen des Herzogs belagert. 1606 Mrz-Apr Erneut wird die Stadt belagert. 1606–1608 In Braunschweig kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen um Arndt und sein wahres Christentum. 1606 Jun 13 In einem Brief an den Bürgermeister Statius Kalen rechtfertigt sich Arndt gegenüber den Beschuldigungen. 1606 Jun 20 Arndt berichtet in einem Brief an Gerhard von »schweren Verfolgungen« und Ketzereivorwürfen, denen er ausgesetzt sei, schickt Gerhard die erste revidierte Neuauflage von WChr I (in Braunschweig gedruckt) und bittet um ein Gutachten der Theol. Fakultät Jena. 1606 Herbst Die zweite revidierte Neuauflage von WChr I wird in Braunschweig gedruckt. 1607 Feb 19 Arndt berichtet in einem Brief an Gerhard, daß das Manuskript von WChr II fertiggestellt und das Material für die anderen zum großen Teil gesammelt sei. Ein nach Piscators Vorschlägen revidiertes Exemplar habe er nach Jena geschickt. 1607 Die dritte revidierte Neuauflage von WChr I erscheint in Jena. 1607 Jul–Dez Erste zustimmende Reaktionen auf WChr I erreichen Arndt von Briefschreibern aus Straßburg, Breslau, Mühlhausen. 1607 Ende Arndt erhält eine Anfrage aus Eisleben wegen Abhaltung einer Probepredigt. 1608 Apr 25 Arndt schickt das Manuskript von WChr III an Johann Gerhard. 1608 Aug 28 Es folgt das Manuskript von WChr IV. 1608 Arndts Judicium und Bericht eines Erfahrnen Cabalisten und Philosophen erscheint anonym in Straßburg. 1608 Herbst Arndt erhält den Ruf an die Andreaskirche in Eisleben. 1608 Nov 20 Arndt hält die Probepredigt in Eisleben.
Zur Biographie Johann Arndts
1609–1611 1609 Jan 1
261
1611 Jun 24
Eisleben Arndt wird in Eisleben eingeführt und unterschreibt die Verpflichtung auf das Konkordienbuch. Zur Annahme einer Berufung auf die Superintendentur in Weißenfels erlangt Arndt nicht die Genehmigung der Grafen von Mansfeld. Arndt hält eine Leichpredigt auf Christoff Körner. Die [wahrscheinlich] erste vollständige Ausgabe aller Vier Bücher von wahrem Christentum kommt in Magdeburg heraus. Eine Pestepidemie sucht Eisleben heim. Arndt verfaßt sein erstes Testament. Herzog Ernst II. von Braunschweig-Lüneburg will (nach der Absage Johann Gerhards) Arndt für das Amt des Genralsuperintendenten in Celle gewinnen. Arndt hält in der Pfarrkirche in Celle die Leichpredigt auf Herzog Ernst II. von Braunschweig-Lüneburg († 2. März 1611). Verhandlungen der herzoglichen Regierung über Arndts Wechsel nach Celle mit den Mansfelder Grafen, die schließlich zustimmen. Arndt richtet ein Trostschreiben an Johann Gerhard zum Tode von dessen Ehefrau Barbara, geb. Neumeier († 30. Mai 1611). Arndt hält eine Leichpredigt auf Gertraud Ackermann in Eisleben. Superintendent Schleupner stellt Arndt ein Zeugnis über seine Amtsführung aus. Vom gräflich-mansfeldischen Konsistorium erhält Arndt ebenfalls ein Zeugnis über seine Amtsführung. Arndt zieht aus Eisleben ab.
1611–1621 1611 Jul 1612 Jan 1 1612 Jun 15 1612 1612
Celle Arndt trifft in Celle ein. Arndt unterschreibt das Corpus doctrinae. Arndt hält eine Leichpredigt auf Georg von Halle. Weigels Betbüchlein erscheint im Druck. Arndts Paradiesgärtlein wird in Magdeburg gedruckt.
1609 Aug
1610 Mrz 2 1610
1610 1610 Apr 22 1611 Jan
1611 Apr 10
1611 Mai / Jun
1611 Jun 3
1611 Jun 8 1611 Jun 18 1611 Jun 19
262 1613
1613 Sep 30 1614 Jun 24 1615 1615 1615
1615 1615 Sep 17 1616 Jan 28 1617 Jan 1 1617 Feb 19 1617 Apr 1 1617 Sep 16 1617 Sep 19 1617 1617 1618 1618
Zeittafel
Eine Abhandlung Summa und Inhalt der ganzen heiligen Schrift soll Arndt veröffentlicht haben, die aber nicht nachweisbar ist. Arndts läßt ein Trostschreiben an D. Roehrhand in Braunschweig drucken. Arndt vollendet die Widmungszuschrift an Herzog Christian für seine Postilla. Auf Weisung des Herzogs führt eine allgemeine Kirchenvisitation durch. WChr I erscheint in Zürich unter dem Titel Der Tode Adams und das Leben Christi. Johann Valentin Andreae gibt einen Auszug aus WChr unter dem Titel Christianismus genuinus heraus, der in Straßburg erscheint. Arndt schreibt eine Vorrede zu Christoph Fricks ›Musica sacra‹. Johann Gerhard schließt seine Vorrede zu Arndts Postilla ab. Arndt verfaßt sein zweites Testament. Arndt beendet die Vorrede zu seiner Psalterauslegung. Arndt hält in der Pfarrkirche in Celle die Leichpredigt auf Herzogin Dorothea von Braunschweig-Lüneburg. Johann Gerhard vollendet seine Vorrede zu Arndts Psalterauslegung. Arndt hält in der Stiftkirche Einbeck die Huldigungspredigt auf Christian Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Auf dem Landtag in Osterrode trägt Arndt eine Landtagspredigt vor. Arndts Auslegung des gantzen Psalter Davids erscheint im Druck. In Prag kommt eine tschechische Übersetzung der Vier Bücher von wahrem Christentum heraus. Arndts Huldigungspredigt und Landtagspredigt werden gedruckt. In Danzig entbrennt ein Streit um Arndts Bücher von wahrem Christentum (Johannes Corvinus gegen die Arndt-Verteidiger Daniel Dilger und Hermann Rathmann).
Zur Biographie Johann Arndts
1618 1619 1619
1619 1620 1620 Frühjahr
1620 Mai 12 1620 Sommer 1620
1620 Jun 7 1620 Jun 10
1620 Jul 15 1620 Okt 23 1621 1621 1621
263
In einem Weigel-Druck (›Soli Deo Gloria‹) werden Arndts Bücher zur Lektüre empfohlen. An der Überarbeitung der Lüneburger Kirchenordnung Herzog Christians hat Arndt maßgeblichen Anteil. Johann Valentin Andreae bringt in seiner Schrift ›Geistliche Kurtzweil‹ gereimte deutsche Summarien über die ersten beiden Bücher von wahrem Christentum. Johann Valentin Andreae widmet Arndt seine ›Christianopolis‹. Die Lüneburger Bibel erscheint mit einer Vorrede Arndts. Es erscheinen Arndts Abhandlung De Unione Credentium cum Christo Jesu und die deutsche Version Die Süsse / Anmuthige Lehre / Von der […] vereinigung der Christgläubigen mit […] Christo Jesu sowie Arndts Lehr- und Trostbüchlein vom wahren Glauben und heiligen Leben, das auch die Traktate Von der Vereinigung der Gläubigen mit Christo Jesu ihrem Haupt und Von der heiligen Dreifaltigkeit enthält. Die Theol. Fakultät Wittenberg beschließt ein Gutachten über Arndts Bücher von wahrem Christentum. Arndts veröffentlicht Zwei Sendschreiben zur Verteidigung der Bücher von wahrem Christentum. Daniel Dilgers Schrift ›Des Ehrwürdigen / Achtbaren vnd Hochgelarten Herrn Johannis Arndes [...] Richtige / vnd in Gottes Wort wolgegründete Lehre / in den vier Büchern vom wahren Christenthumb‹ erscheint in Stettin. Arndt verfaßt die Vorrede zu Busenreuths ›Reformatio papatus‹, gedruckt 1621. Arndt vollendet die Vorrede zu seiner Repetitio apologetica, Das ist: Wiederholung und Verantwortung der Lehre vom waren Christenthumb, die im selben Jahr herauskommt. Die Theol. Fakultät Königsberg beschließt ein Gutachten über Arndts Bücher von wahrem Christentum. Arndt verteidigt sich in einem Brief an Balthasar Mentzer gegen den Vorwurf des Schwenckfeldianismus. Arndts Epistola ad Balth. Mentzerum erscheint in Jena im Druck. Eine Tauler-Postille wird von Arndt herausgegeben. Johann Valentin Andreae veröffentlicht ›Similia et typi ex vero christianismo‹.
264 1621 Apr 20 1621 Mai 6 1621 Mai 11 1621 Mai 25 1622
Zeittafel
Arndt schreibt seinen letzten erhaltenen Brief an Herzog August d.J. von Braunschweig-Lüneburg. Die Theologische Fakultät zu Wittenberg richtet Anfragen zum WChr an Arndt. Arndt stirbt in Celle. Bestattung Arndts in der Pfarrkirche Celle. Wilhelm Storch hält die Leichpredigt. Arndts Vorrede zu Stephan Praetorius ›Von der güldenen Zeit‹ erscheint posthum.
ARNDT-LITERATUR 1700–2005 RACHELIUS, Mauritius: Schola Arndiana. Das ist: Arndtische Schule, darinnen 4 unterschiedliche Classes oder Hauffen gefunden werden, derjenigen, welche des […] Herrn Iohannis Arndten […] Bücher und Schrifften, unterschiedlich, theils guter, theils aber böser Meinung gebrauchen […], Rostock 1627 WITTE[NIUS], Henning: Memoriae theologorum nostri seculi clarissimorum revocatae. Decas prima, Königsberg / Frankfurt a. M. 1674, 171–177. Ausführlicher Bericht von Ankunfft / Leben / Wandel / seligem Absterben / wie auch hinterlassenen Schrifften des Hocherleuchteten und Geistreichen Johann Arendt / weyland gewesenen General-Superintendentis der beyden Fürstenthüme Braunschweig-Lüneburg […], Nordhausen / Duderstadt 1698. ARNOLD, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer Historie, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1699, Buch 17, Kap. 6. ARNOLD, Gottfried: Das Leben der Gläubigen, Halle 1701, 536–538. REITZ, Johann Henrich: Historie der Wiedergebohrnen, 2. Teil, [Offenbach] 1701 [Ndr. Tübingen 1982], 89–101. BREITHAUPT, Joachim Justus: Programma de laudibus Arndii, in: ders., Programmata selecta de vario argumento, Halle 1703, Nr. 7. BECKMANN, Johann Christoph: Historia des Fürstenthums Anhalt-Zerbst, Bd. 6, Zerbst 1710, 129; Bd. 7, Zerbst 1710, 323–325. KETTNER, Friedrich Ernst: Kirchen- und Reformations-Historie/ Des Käyserl. Freyen Weltlichen Stiffts Quedlinburg […], Quedlinburg 1710, 222f. GLEICH, Johann Andreas: Trifolium Arndtianum seu B. Ioannis Arndti tres epistolae hactenus ineditae […], Wittenberg [1714]. WERNSDORF, Gottlieb: Arndianos de vero christianismo libros […] praeside Gottlieb Wernsdorfio […] examinabit […] Petrus ELERS, Wittenberg 1714. REHTMEIER, Philipp Julius: Historiae Ecclesiasticae Inclytae Urbis Brunsvigae pars IV. Oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie Vierter Theil […], Braunschweig 1715, 312–335; […] Fünfter Theil, darinn die bey dem vierten Theil versprochene Beylagen, Epistolae, Consilia, Responsa &c. auch die Supplementa […] dargeleget werden, Braunschweig 1720, 231–240. DIECKMANN, Johannes: Vorrede an den Christlichen Leser, in: Herrn Johann Arnds […] Sechs Bücher vom Wahren Christenthum […], Stockholm 1723. FISCHER, Erdmann Rudolph: Vita Ioannis Gerhardi […], Leipzig 1723. FABRICIUS Johannes: Historia bibliothecae Fabricianae : qua singuli eius libri eorumque contenta […] et alia ad rem librariam facientia recensentur scriptoresque anomymi et pseudonymi nec non scripta spuria indicantur, Bd. 6, Wolfenbüttel und Helmstedt 1724, 200–203. 533f.
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Johann Arndt und Martin Chemnitz. Zur Quellenkritik von Arndts ›Ikonographia‹. In: Der zweite Martin der Lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von Martin Chemnitz, Braunschweig 1986, 201–223.
Johann Arndt als Lutheraner? In: Hans-Christoph Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992, 274–298.
Johann Arndts Studienzeit. In: JGNKG 89 (1991) 133–175.
Noch einmal: Johann Arndts Studienzeit. Unveröffentlicht.
Johann Arndt als Paracelsist. In: Neue Beiträge zur Paracelsus-Forschung, hg. v. Peter Dilg und Hartmut Rudolph (Hohenheimer Protokolle 49), Stuttgart 1995, 89–110.
Johann Arndts ›verschollene‹ Frühschriften. In: PuN 21 (1995) [ersch. 1996] 29–68
Johann Arndts ›Vier Bücher von wahrem Christentum‹. Offene Fragen der Quellen- und Redaktionskritik. In: Udo Sträter (Hg.), Pietas in der Lutherischen Orthodoxie (Themata Leucoreana 2), Wittenberg 1998, 61–77.
Johann Arndt und die Mystik. In: Dietrich Meyer (Hg.), Zur Rezeption mystischer Traditionen im Protestantismus des 16. bis 19. Jahrhunderts, Köln 2002, 59–90.
Arndt-Rezeption im Täufertum. Unveröffentlicht.
PERSONENREGISTER Ackermann, Gertraud 261 Adam, Johann 65, 115 Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius 48, 57, 67, 101, 119, 143, 196 Alberti, Salomon 109 Albertinus, Aegidius 226 Alexander d. Gr. 204 Alexander Severus, röm. Kaiser 55, 203 Alexander von Hales 39 Althaus, Paul d. Ä. 74, 211 Ambrosius 25, 203 Amling, Wolfgang 46, 66f., 91, 95, 118 Andrada, Diego Payva d’ 49–51 Andreae, Jakob 48 Andreae, Johann Valentin 34, 73, 81, 162f., 199, 244, 262f. Angela de Foligno 23, 25, 31f., 41, 70, 73, 200f., 207, 209, 225f. Anhalt, Johann Georg, Fürst 46, 91, 158 Anhalt, August, Fürst 215 Anhalt, Joachim Ernst, Fürst 46, 91, 118, 124, 158, 257f. Anhalt, Johann Georg, Fürst 46, 67, 91, 94 Anhalt-Köthen, Wolfgang, Fürst 124 Anoponymus, Wilhelm 201 Anton, Paul 135 Aratus 25, 203 Arens, Hans 71 Aristoteles 25, 203 Arndt, Anna geb. Söchtings 257 Arndt, Anna geb. Wagner 258 Arndt, Elisabeth 257 Arndt, Friedrich 45, 47, 62, 71, 77, 83, 86–88, 91, 94–96, 98, 118f.,
122, 131f., 156, 158f., 166, 180, 182, 185, 190, 206, 226, 247 Arndt, Jakob 133, 257 Arndt, Matthias 257 Arnold, Gottfried 9, 10, 16–20, 23f., 27–29, 31, 35, 41f., 68, 71, 81, 87f., 102, 148f., 200, 216, 225, 245 Arvidsson, Bengt 61 Audenaert, Willem 70, 213 Augustinus 17f., 52, 54, 57, 72, 202f., 241 Avenarius s. Habermann, Johann Axmacher, Elke 203, 211 Baring, Georg 70f., 157, 212f., 219, 221f., 232, 234 Barrefeldt, Hendrick Jansen 12 Basilius 25, 203 Basse, Nikolaus 13 Baumann, Walter 46, 159, 221 Baumgart, Peter 108, 138 Baylys, Lewis 82 Beauxamis, Thomas 11 Beck, Hermann 72 Becker, Heinrich 66, 118f. Beets, Hendrick 68 Bender, Harold S. 249 Benedikt, Johann 216 Benrath, Gustav Adolf 14, 80, 136, 150f., 211f., 214, 216, 231f. Benz, Ernst 9f., 13f., 16f., 29 Benzing, Josef 13, 16, 105, 147, 174, 176, 224 Bernhard von Clairvaux 17f., 25–28, 35, 72–74, 77, 202f., 211, 223f., 228f., 231, 241 Bertholet, Alfred 71 Besold, Christoph 26, 34, 82, 162f., 199f., 205, 239 Betke, Heinrich 68, 105, 143
Personenregister
Beugger, Johann Balthassar 147 Beza, Theodor 48, 59, 106 Bidez, Joseph 193 Bircher, Martin 45, 61 Birckmann, Theodor 128f. Birt, Theodor 74 Blaufuß, Dietrich 149 Blösch, Emil 72, 113 Bodenstein, Adam von 98f. Böhme, Anton Wilhelm 27 Böhme, Jacob 68 Bolten, Johann Adrian 251 Bonaventura 25, 106, 203 Bonorand, Conradin 72, 113 Brabant, Hennig 259 Braunschweig-Lünbeburg, Ernst II., Herzog 261 Braunschweig-Lüneburg, August d.J., Herzog 17f., 21, 26, 61f., 73, 77, 81, 149, 156, 177, 211, 230, 264 Braunschweig-Lüneburg, Christian d. Ä., Herzog 61, 83, 262f. Braunschweig-Lüneburg, Christian Ludwig, Herzog 177 Braunschweig-Lüneburg, Dorothea, Herzogin 262 Braunschweig-Lüneburg, Georg Wilhelm, Herzog 177 Braunschweig-Lüneburg, Heinrich Julius, Herzog 259f. Braw, Christian 61, 75, 78–80, 174, 178, 182, 187, 216, 225, 242f. Brecht, Martin 77f., 135, 153f., 156, 162, 197, 210, 223, 235, 246f. Breckling, Friedrich 149 Breithaupt, Joachim Justus 43 Breler, Melchior 18–21, 25f., 33, 63, 71, 73f., 77, 81, 98, 101, 104, 106, 116–118, 120, 122, 145, 149f., 153f., 162, 166, 199, 225, 248 Broniowski, Piotr 96 Brück, Anton Ph. 13 Bruckner, János (John) 149
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Buchwald, Georg 124 Bugenhagen, Johannes 124, 257 Bullinger, Heinrich 72, 113 Buscher, Anton 106, 237 Busenreuth, Johann Christoph 81 Calixt, Georg 81 Calvin, Johann 48, 57, 59, 63, 165 Camerarius, Joachim 96 Campanus, Johannes 170 Campenhausen, Hans von 48 Castellio, Sebastian 21, 70f., 99, 213, 222f. Catharinus, Ambrosius 243 Chemnitz, Martin 43–61, 67, 89f., 119, 143, 159, 195, 257 Chrysostomus 15, 25, 203 Cicero 25, 195, 203 Clasen, Sophronius 70, 200, 225 Claudianus 203 Claus, Hans 174 Clemens Alexandrinus 30, 55 Clemens Romanus 55 Cnopius, Johann 154 Corlson 191 Corvinus, Johannes 262 Crato, Adam 67 Curtze, Louis 92 Cyprian 25, 203 Cyrill von Alexandrien 57 Dame, Friedrich 28, 41 de Backer, Augustin 70, 213 de Vries, Herman 106 Denck, Hans 71, 77, 213, 234 Dermbach. Melchior von 18 Dezius, Zacharias 177 Dieckmann, Johannes 23f., 26f., 31, 68, 88, 130, 137f., 145, 200, 202 Dienst, Karl 254 Diepenbach, Wilhelm 13 Dilg, Peter 151 Dilger, Daniel 214, 262f.
282 Dionysius Areopagita 25, 203, 227, 241 Domitian, röm. Kaiser 53f. Dorn, Reinhard 45 Dörries, Hermann 10f., 15f., 28f., 31, 34–36, 38f., 42 Drews, Paul 118 Duchesne, Joseph s. Quercetanus Dülmen, Richard van 34, 162 Duncker, Andreas 158, 183 Duncker, Heinrich 46, 66f., 91, 120, 158 Durie, John 82 Duveen, Denis Jan 65, 68, 100, 104, 139, 148 Eckart (Meister) 33, 201, 230 Egard, Paul 23, 198 Egli, Emil 72, 113 Ehrentreich, Alfred 75 Eis, Gerhard 98 Elers, Petrus 24, 64, 68, 86, 156 Elliger, Walter 48, 55 Emser, Hieronymus 243 Entfelder, Christian 214 Epikur 191 Epiphanius 55f. Erasmus von Rotterdam 104 Erikson, Leif 78 Erler, Georg 96 Euseb von Caesarea 54 Fabricius, Theodor 119 Falck, Ludwig 13 Fernelius, Joannes 66, 116 Feurborn, Justus 113 Figulus, Benedictus 74, 148 Firmicus Maternus, Julius 53 Fischart, Johann 64, 109 Fischer, Erdmann Rudolph 17, 20, 66, 71, 100, 107, 114, 151, 177, 202, 222 Flacius Illyricus, Matthias 217
Personenregister
Fonteyn, Thomas 247 Förstemann, Carl Eduard 92 Franck, Sebastian 33f., 77, 168f., 191, 206, 212f. Francke, August Hermann 9, 82, 135, 205, 225 Francke, Johann 226 Franz, Wolfgang 150, 198 Freher, Marquard 88, 130 Frick, Christoph 92 Friedensburg, Walter 89, 92, 96, 108f. Friedmann, Robert 248f. Fulden, Caspar 183 Galen 108 Gaubisch, Jacob 158, 182 Gause, Ute 136, 150 Gedicke, Simon 67 Geiger, Max 88, 98 Georgi, Theophilus 72 Gerhard, Barbara geb. Neumeier 261 Gerhard, Johann 17f., 20, 22f., 25f., 33, 35, 41, 45, 47f., 58, 65f., 68–72, 76, 81, 86, 95–100, 103f., 106–108, 112–117, 122, 133, 137, 140–142, 145, 151, 153f., 157, 159, 161–163, 177, 182, 184–186, 188, 198, 200, 202f., 209, 222–228, 231, 235f., 238, 240, 243f., 259–261 Gerson, Johannes 25f., 73, 199, 202, 210 Gesner, Salomon 185 Geyer, Hermann 80, 106, 217, 237f., 240, 247 Gichtel, Johann Georg 16 Gilly, Carlos 99, 101, 104, 139, 196, 199, 215, 244 Glanaeus, Jodokus Edzardi 251 Glaser, Petrus 77, 211, 230f., 233 Glaß, Salomon 113 Gleich, Johann Andreas 23, 47f., 59,
Personenregister
63, 66, 81, 100, 116, 119, 137, 200, 236f. Godefroy (Gothofredus), Denis 72 Goeters, J.F. Gerhard 234 Goldammer, Kurt 136, 143, 146f., 151f. Göllner, Carl 179 Goulart, Simon 106 Graf, Hermann 66, 118 Granada, Luis de 18, 25f., 71f., 199f., 202, 223 Gregor d. Gr. 25, 53, 203 Gregor von Nyssa 53, 56 Groß, Andreas 9 Grützmacher, Richard Heinrich 80 Grynaeus, Johann Jakob 106 Guenther, Ilse 174 Guggisberg, Hans R. 223 Guhrauer, Gottschalk Eduard 149 Gundlach, Franz 97 Günther, Johannes 216 Haberling, Wilhelm 65, 101 Habermann (Avenarius), Johann 72, 96, 222 Hachfeld, Hermann 59 Hackenschmidt, Karl 88 Hadorn, Wilhelm 88 Hägglund, Bengt 228 Halle, Georg von 158, 261 Haller, Albert 72, 113 Hamm, Berndt 60–62, 80, 84, 204 Harms, Wolfgang 64, 109 Hätzer, Ludwig 71, 212f., 222, 234 Hauss, Fritz 14 Heijting, Willem 68 Heinemann, Johannes 133 Heppe, Heinrich 48 Herberger, Valerius 61 Herp (Harphius), Heinrich 224f. Herrmann, Franz 122, 156, 159 Hertzsch, Erich 33 Heshusen, Tileman 87f., 90, 130, 132
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Heß, Tobias 162 Hessen-Kassel, Moritz, Landgraf, 97 Hetzer, Magister 124 Hieronymus 57 Hillerbrand, Hans J. 12 Hippokrates 99, 108, 126, 204 Hirsch, August 98 Hirsch, Christoph 148f. Hoburg, Christian 68, 81, 246 Hochhuth, Carl Wilh. Hermann 74 Hoffmann, Daniel 67, 88, 91, 123, 258 Hoffmann, Nicolaus 157 Hofmeister, Hermann 89 Hogu, Louis 18, 26, 72 Holtzhausen, Johann Christoph 19 Homer 192 Honecker, Martin 137 Hoover, Amos 249 Hubicki, Wlodzimierz 65, 101 Huerga, Alvaro 72 Hunnius, Aegidius d. J. 100, 116, 137, 200 Hunnius, Nikolaus 23, 48, 65f., 167, 174 Huser, Johannes 147 Hutter, Elias 71 Hütteroth, Oskar 97 Ignatius von Antiochien 25, 203 Irenaeus von Lyon 25, 203 Irene, byzant. Kaiserin 56 Jablonowski, Ulla 158 Jaspert, Berndt 62 Jerichow, Traugott Immanuel 135, 247 Jöcher, Christian Gottlieb 104 Julian Apostata, röm. Kaiser 28, 57 Justi, Ferdinand 18 Kaiser, Tobias 247 Kalen, Statius 117
284 Karcher, Johannes 16, 21, 99 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 33f., 77, 98 Kars, Hans 67 Kettner, Friedrich Ernst 158, 182 Khunrath, Heinrich 48, 57, 67–69, 74, 104–106, 119, 122, 143, 147f., 165, 209 Kirchner, Timotheus 88, 90 Knipscheer, Frederik Samuel 248f. Knod, Gustav C. 110 Koch, Ernst 76, 129 Koch, Hugo 48 Koepp, Wilhelm 11, 17–21, 23–25, 47, 61, 64, 69, 71, 74f., 78, 80–82, 85–88, 94f., 100, 103, 114, 120, 131f., 138, 144, 149, 153, 155, 158–164, 166, 175f., 178–184, 186f., 189f., 201, 213, 217f., 226, 228, 230f., 235f., 246f. Kolde, Theodor 96 Konstantin, röm. Kaiser 53–55, 57 Körner, Christoph 158, 182, 261 Kot, Georg 46, 157f., 221 Kot, Stanislaw 96, 115, 159 Kraffter, David 257 Krautwald, Valentin 214 Kroeger, Matthias 9, 11, 13 Kromayer, Johannes 175 Krüger, Gustav 16 Krüger, Hanfried 78 Krumwiede, Hans-Walter 121 Kvist, Hans-Olof 175 LaBigne, Marguerin de 11, 13 Laktanz 52, 54–56, 191f. Lammertz, J. H. 25, 31f. Lampridius 55 Lau, Franz 72 Leade, Jane 68 Leblon, Christoph 176f. Ledertz, Paul 162 Lenhammer, Harry 155
Personenregister
Lenz, Johann Christoph 74, 148 Lenz, Rudolf 64 Leopold, Andreas 46, 48, 99f., 108, 158 Leporin, Melchior 131 L’Espine, Jean de 18, 25f., 72, 202 Leyser, Polykarp I. 44, 64, 67, 86, 88f., 93–96, 116, 134, 258 Liddel, Duncan 91 Liebaud, Jean 129 Liechtenberger, Johannes 142 Lindner, Wilhelm Bruno 30, 88 Lindström, Martin 92 Lohmeier, Dieter 28 Loofs, Friedrich 39 Lüder, Paschasius 181 Lund, Eric 61, 111, 115 Lunden, Johannes 92 Luther, Martin 40, 43, 60f., 73, 77f., 91, 103, 170f., 174f., 197, 209– 212, 221, 223, 230f., 234, 243, 253, 256 Lütkemann, Joachim 61, 83, 180 Lycosthenes, Conrad 99 Machold, Anton 182 Mager, Inge 81, 88f., 132, 184, 235 Mahlmann, Theodor 44, 88, 90, 175, 189, 195, 229, 231 Major, Georg 124 Makarios der Ägypter (Symeon von Mesopotamien) 9–42, 72, 202, 223 Manilius, Marcus 203 Manning, Adrian F. 224 Mantuanus, Baptista 203 Marbach, Johann 44, 64f., 88f., 110f., 113–116 Maron, Gottfried 169f., 202, 212f. Marsilio Ficino 227 Marti (Aretius), Benedikt 72, 113 Martikainen, Jouko 175 Mathesius, Johann 109
Personenregister
Mehmed III. 179 Mehrning, Jacob 251–256 Meier, Marcus 250 Meisen, Valdemar 116, 141 Meister, Friedrich 14f. Melanchthon, Philipp 77, 124, 174, 211, 230 Mentzer, Balthasar I. 63, 66, 98, 116f., 154, 199, 206, 247f., 263 Meyer, Dietrich 247 Meyer, Georg 183 Meyer, Gerhard 110, 206 Meyer, Matthias 110 Meyfart, Johann Mathhäus 254 Milchsack, Gustav 22, 157 Miller-Guinsburg, Arlene 102 Moeller, Bernd 49, 77, 210 Mohr, Rudolf 62 Moller, Martin 203, 206, 222 Montanus, Hermann 252 Morsius, Joachim 75, 101, 149 Müller, Georg 71 Müller, Jan-Dirk 168 Müller, Johannes 251 Mumm, Reinhard 59 Müntzer, Thomas 212 Mylius, Georg 67 Neander, Michael 14–16, 21, 41, 77, 129, 211, 230f., 233 Neff, Christian 249 Nero, röm. Kaiser 53f. Nestle, Eberhard 71 Nicephorus 54 Nicolai, Jeremias 133 Nicolai, Philipp 61, 64, 92, 133 Nielsen, Sigurd 78 Niethammer, Emil 162 Noailles, Louis Antoine 82, 205 Numa Pompilius 52 Olearius, Johann 67 Oporin, Johann 16, 98f.
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Opsopeus, Vincenz 174 Orcibal, Jean 71, 213, 234 Origenes 30, 55 Orosco, Alphonso de 226 Osiander, Lucas d. J. 22f., 26, 76, 137, 177, 199, 207 Ottheinrich, Pfalzgraf 101 Ovid 25, 203 Ozment, Steven E. 210 Palthenius, Zacharias 13, 21 Pannekoek, Jacobus 133 Pappus, Johann 44, 64f., 87–89, 110f., 113–115, 130–132 Paracelsus, Philippus Aureolus Theophrastus 47f., 54, 57, 65, 69, 73, 99f., 102, 104f., 108, 113, 117, 119, 126f., 136–155, 167, 169, 174, 199–202, 206, 211 Penot, Bernard Gabriel de Saint Marie 59, 65, 100f., 108, 118, 122, 127, 139, 257 Perikles 204 Perna, Pietro 98, 101, 104 Peschke, Erhard 9 Peters, Christian 254 Petersen, Johann Wilhelm 68 Peuckert, Will-Erich 101, 168, 212 Pfefferl, Horst 167 Philips, Dirk 12 Phokion 204 Picot (Picus), Jean 11–13 Pietersz, Dirck 247 Pinelli, Lucas 226, 228 Piscator, Petrus 47, 59, 63, 66, 81, 116f., 236f., 260 Pitz, Ernst 108, 138 Planer, Andreas 110 Plantijn, Christoffel 12 Plato 25, 69, 103, 146, 160, 165, 191, 193, 203 Pleijel, Hilding 61 Plutarch 52
286 Poiret, Pierre 17, 27, 216 Praetorius, Stephan 264 Preßfelder, Jörg 170 Preuss, Eduard 49 Pritius, Johann Georg 9f. Prudentius 51f., 56 Pseudo-Dionysius s. Dionysius Publilius Syrus 25, 203 Puyol, Pierre-Édouard 213 Pythagoras 191 Quenstedt, Johannes Andreas 17 Quercetanus (Duchesne d’Armagnac), Josephus 66, 116, 141 Quint, Josef 33 Rachelius, Moritz 27 Raidel, Georg Martin 22, 33, 35, 47f., 66, 69f., 81, 86, 95, 97, 100, 104, 106–108, 116, 122, 138, 140–143, 157, 161, 185f., 198, 209, 221, 223–227, 236–238, 240, 244 Raimund von Sabunde 24, 201 Rambach, Johann Jakob 17, 24, 27, 46, 68, 85, 87, 103, 113, 156, 158, 161, 177, 184 Ramée (Ramus), Pierre de la 99, 111f. Rathmann, Hermann 262 Ratkes, Wolfgang 175 Rattay, Beate 64, 109 Reble, Albert 14 Redslob, Gustav Moritz 71 Rehtmeier, Philipp Julius 47, 87f., 97, 118, 130f., 182 Reitz, Johann Henrich 245 Renkewitz, Heinz 78 Repo, Matti 229 Reuss, Eduard 71 Riesch, Bonaventura 206, 247 Ritschl, Albrecht 9, 14, 43, 60, 62, 73, 78, 81, 204 Ritschl, Otto 72 Roberts, Bleddyn Jones 71
Personenregister
Rochefort 129 Röhrhand, Johann 262 Rosa (Rhodius), Jonas 157, 224, 244 Rosenkreuz, Christian 199, 244 Röslin (Rosellus), Helisaeus 201 Rotondò, Antonio 98, 101f., 106, 116 Rott, Hans Georg 110 Rubach, Gerhard 210 Rublack, Hans-Christoph 211 Rudolph, Hartmut 151 Rupert von Deutz 71, 225, 240 Rupprecht, Walter 179 Ruska, Julius Ferdinand 101 Sachsen, Friedrich August, Prinz, 135 Salomon, Alice 82, 205 Sattler, Basilius 88, 90 Scharff, Gottfried Balthasar 19, 24, 64, 68, 86, 93f., 100, 154, 200, 216 Schilling, Heinz 59, 91 Schindling, Anton 64, 110 Schleising, Alfred 64, 93 Schlesien, Friedrich, Herzog 171 Schleupner, Christoph 261 Schmidt, A.G. 84 Schmidt, Martin 10, 21f., 31, 43, 178 Schmoll, Hans 69 Schmuck, Sebastian 162 Schneider, Heinrich 75, 101, 149 Schneider, Michael 113 Schneppen, Heinz 64, 92 Schoeps, Hans Joachim 69, 144, 151 Schönborn, Bartholomäus 109 Schopf, Andreas 16 Schöppenstedt, Curd 158, 223, 259 Schöppenstedt, Maria geb. von Vechelt 157, 223 Schottenloher, Karl 101 Schrader, Hans-Jürgen 245f. Schramm, Gottfried 96 Schubart, Friedrich Wilhelm 46, 66, 86, 91, 94, 115, 158, 174, 178, 182 Schwager, Hans-Joachim 20, 22, 24,
Personenregister
47, 85–88, 91, 96, 103, 109, 115, 138, 144, 148, 159, 161, 177, 180, 182, 198 Schwarz, Reinhard 211f. Schweikart, Johann 13 Schwenckfeld, Caspar von 33f., 77, 137, 154, 169–171, 199, 201f., 212f., 225, 249 Scultetus, Abraham 14 Seeberg, Erich 16 Sehling, Emil 118 Semler, Johann Salomo 121 Seneca 19, 25, 52, 72, 203 Sennert, Daniel 109 Servet, Michael 176 Setzer, Johann 174 Severinus, Petrus 66, 116, 129, 140f. Simon Magus 53 Sinan Pascha 178 Sippell, Theodor 168f. Slabaugh, Dennis L. 253 Smith, C. Henry 249 Snell, Bruno 191 Sokrates 146, 191 Sommer, Wolfgang 61f., 83, 156, 162, 180, 183 Sørensen, Peder s. Danus, Petrus Serverinus Sozomenos 54 Sparn, Walter 211 Spener, Philipp Jakob 78 Spiess, Werner 45 Spina (Spinaeus), Joannes s. l’Espine, Jean de Spink, George S. 10, 24 Staehelin, Ernst 63, 96 Staupitz, Johann von 25f., 70, 73, 157, 202, 212–214, 225, 232, 245, 260 Stegmüller, Friedrich 49 Steinmann, Martin 98 Steinmann, Tobias 161, 163, 183 Stellatus, Joseph 149
287
Stiefel, Michael 170 Stieve, Friedrich 13 Stiglmayr, Joseph 35 Stoeffler, F. Ernest 10, 81, 86 Stolberg, Anna II., Gräfin 181f., 185, 259 Stolle, Gottlieb 149 Storch, Wilhelm 44, 63, 84, 124, 264 Strack, Hermann L. 71 Strasser, Otto Erich 72, 113 Sträter, Udo 202, 205, 211 Strothmann, Werner 12 Sturlese, Rita 147 Sturm, Johann 44, 64f., 87f., 110– 115, 120, 123, 130, 174 Suchten, Alexander von 65, 75, 101, 149 Sudermann, Daniel 213 Sudhoff, Karl 65f., 74, 99–101, 105, 116, 129, 136, 139, 141, 147f. Sulzer, Simon 88f., 97f., 106, 114, 116, 130–132 Synesios 15 Szlezák, Thomas Alexander 69 Tauler, Johannes 21–28, 30–33, 35, 41, 73, 75, 77, 81, 155, 198–201, 203, 205, 207, 209–212, 214, 227, 229–231, 238, 241, 245 Taurer, Abraham 67 Telle, Joachim 74, 143, 148 Tennhardt, Johann 81, 154 Tentzel, Wilhelm Ernst 17, 58, 71, 114 Tersteegen, Gerhard 24, 71, 200, 225 Tertullian 25, 54f., 203 Teufel, Eberhard 212 Theodoret 25, 203 Theophilus, Johannes 223 Tholuck, August 47, 64f., 86, 89 Thomas von Kempen 17f., 23, 26– 28, 72, 147, 198–202, 205f., 212f., 223, 225, 229f., 232
288 Thommen, Rudolf 88 Thorndike, Lynn 98 Tilemann gen Schenck, Johannes 97 Titus, röm. Kaiser 204 Toxites, Michael 110 Undereyck, Theodor 82 Valesius, Franciscus 201 Valla, Lorenzo 203 van de Bank, Johannes Hendrikus 12 van den Berg, C.H.W. 82 van Slee, Jacob C. 252 Vechteldt, Maria von s. Schöppenstedt, Maria Vetter, Ferdinand 25, 31–33, 35, 203 Volkmann, Rolf 89 Wächter, Andreas 251 Wackernagel, Hans Georg 63, 65, 96, 100, 139 Wagenmann, Julius August 71 Wagner, Christian 258 Wagner, Johann 131 Walch, Johann Georg 19, 24, 68, 87, 200 Wallmann, Johannes 10, 18, 20, 26, 41, 45, 61–63, 70, 73–75, 78, 81, 83, 86, 92, 96, 101, 135, 149, 153f., 156, 178, 197, 204, 210–212, 214, 216, 218, 224, 228, 230, 235f., 240, 246f. Walter (Gualther), Rudolf 72, 113 Weber, Edmund 10, 21–26, 28, 31, 37, 41–45, 47f., 57–59, 62–79, 85– 99, 105–119, 135, 138–150, 157– 159, 167, 187, 201–210, 213, 222– 230, 233, 235 Wechel, Johann 13 Weeks, Andrew 232, 245 Weigel, Valentin 23f., 33f., 41, 68f., 73, 75, 77, 81, 106, 117, 121, 136f.,
Personenregister
141, 144, 146, 154, 167, 169, 170f., 174, 187, 198–201, 206, 211–214, 232–234, 237, 243, 245 Weigelt, Horst 168, 170 Weller, Hieronymus 77, 211, 230 Wenger, J.C. 249 Werdenhagen, Johann Angelius 73 Werenberg, Jacob 20 Wernsdorf, Gottlieb 24, 64, 68, 86, 122, 156 Wiebe, Orlando H. 10 Wimmel, Herbert 10, 61 Winckelmann, Johannes 97f. Winter, Friedrich Julius 45, 47, 62, 64, 85–88, 92, 109, 134, 138, 156, 159f., 163, 178, 180, 182f., 187, 201 Witte, Henning 85, 88, 130 Wolfart, Erasmus 66, 68f., 74, 105f., 116, 122, 141, 143, 145, 147f., 180, 195, 237, 259 Wolff, Paul 95 Wolfrum, Veit 67 Wollgast, Siegfried 75, 101, 121, 149, 212 Xystus 25, 203 Zedler, Johann Heinrich 129 Zeller, Winfried 24, 62, 75, 97, 170, 213, 245 Zeller-Lorenz, Barbara 162, 174, 212 Zetzner, Lazarus 74, 105, 147 Zimmermann, Paul 18, 44, 63, 90 Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von 9, 78, 82, 205f., 247 Zoepffel, Richard 112 Zwinger, Jakob 100 Zwinger, Theodor 16, 21, 45, 59, 65f., 68, 87f., 96, 99f., 104, 106– 108, 110, 114, 116, 122f., 126, 130–132, 139, 257 Zwingli 72, 112