Gottesfurcht und Fürstenherrschaft: Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie 9783666551482, 3525551487, 9783525551486


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German Pages [352] Year 1988

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Gottesfurcht und Fürstenherrschaft: Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie
 9783666551482, 3525551487, 9783525551486

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VÔR

WOLFGANG

SOMMER

Gottesfurcht und Fürstenherrschaft Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte B a n d 41

CIP-Titelauf nähme der Deutschen

Bibliothek

Sommer, Wolfgang Gottesfurcht und Fürstenherrschaft : Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts u. luth. Hofprediger z.Z. d. altprotestant. Orthodoxie / Wolfgang Sommer. - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht, 1988 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte ; Bd. 41) ISBN 3-525-55148-7 NE: GT

© 1988 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Garamond auf Linotron 202 System 4 Satz und Druck: Guide-Druck G m b H , Tübingen Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Obrigkeitsverständnis und Obrigkeitskritik im älteren deutschen Luthertum ist das Thema des vorliegenden Buches, das zunächst aus dem Interesse an dem theologischen Denken und der geschichtlichen Stellung Martin Luthers und seiner Wirkungsgeschichte erwachsen ist. Seine vieldiskutierte sog. Zweireichebzw. Zweiregimentenlehre erhielt ihre begriffliche Prägung erst seit dem Ende des landesherrlichen Kirchenregimentes in Deutschland. Seitdem rückte sie immer mehr ins Zentrum der theologischen und ethischen Diskussion unseres Jahrhunderts, in die auch die historischen Dimensionen der mit ihr ausgesagten Thematik eingeschlossen sind. Die Frage nach den Nachwirkungen von Luthers Denken über Obrigkeit und politische Herrschaft in der deutschen Geschichte ist vor allem für die Zeit seit dem aufgeklärten Absolutismus, im 19. Jahrhundert und in der Geschichte unseres Jahrhunderts bedacht worden - das Interesse an Luthers eigenem Jahrhundert oder gar dem 17. Jahrhundert blieb dagegen auffallend zurück. Die alte These von der insbesondere dem Luthertum eigenen Staatshörigkeit und sog. Obrigkeitsfrömmigkeit ist an den einschlägigen Quellen des älteren deutschen Luthertums noch kaum näher überprüft worden. Im Zeitalter der altprotestantischen Orthodoxie sind es vor allem die lutherischen Hofprediger, die sich in ihrem theologischen Denken und kirchlichen Handeln immer wieder auf Luther berufen, besonders dann, wenn sie in ihrer Obrigkeitskritik zu dem Mittel der Strafpredigt greifen. Mit ihren Landtags- und Regentenpredigten an protestantischen Fürstenhöfen stehen sie mitten im spannungsvollen geschichtlichen Aufbauprozeß des frühneuzeitlichen Territorialstaates. Die Obrigkeitspredigten der Theologen des älteren Luthertums stellen für die Geschichte der frühen Neuzeit eine bedeutsame Quelle dar, die in der historischen und theologischen Forschung bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Anhand der reichhaltigen Bestände vor allem der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel habe ich versucht, eine einigermaßen repräsentative Quellenauswahl für das Obrigkeitsverständnis im älteren deutschen Luthertum den folgenden Studien zugrunde zu legen. Daß mit diesem Thema nicht nur eine interessante historische Perspektive eröffnet ist, sondern unsere Gegenwart bei dem sensiblen Verhältnis zwischen Staat und Kirche mitbetroffen ist, wird hoffentlich dem Leser deutlich werden. Der Untertitel dieses Buches enthält den Namen Johann Arndt. Mit ihm verbindet sich für das allgemeine historische Bewußtsein, daß er der Verfasser eines weit verbreiteten und viel gelesenen Erbauungsbuches war: der „Vier Bücher vom wahren Christentum." Johann Arndt und die von ihm ausgehende

6

Vorwort

Frömmigkeitsbewegung, die in die Anfänge des Pietismus führt, hat nicht nur für die Geschichte der Frömmigkeit eine herausragende Bedeutung, sondern auch für die Geschichte des Obrigkeitsverständnisses im Protestantismus. Damit rückt ein Theologe ins Blickfeld, der in jüngster Zeit in der interdisziplinären Pietismus- und Barockforschung wachsende Aufmerksamkeit erfährt, als bedeutender Prediger im kirchenleitenden Amt aber noch kaum näher gewürdigt wurde. Unsere Studien zum Obrigkeitsverständnis im älteren deutschen Luthertum haben neben den Hofpredigern an den Höfen in Dresden und Wolfenbüttel im theologischen Denken und kirchenleitenden Wirken Johann Arndts einen besonderen Schwerpunkt. Mein herzlicher Dank gilt zuerst den Mitarbeitern der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Hier habe ich in der oft knapp bemessenen Zeit, die ich während meiner Tätigkeit als Dozent für Kirchengeschichte an der Theologischen Akademie Celle für eigene Forschungen zur Verfügung hatte, stets eine wohltuende Atmosphäre erlebt und bereitwillige Hilfe erfahren. Durch die Teilnahme an Arbeitsgesprächen in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel konnten erste Ergebnisse der Quellenstudien ausgetauscht und weiterbedacht werden. Herrn Professor Johannes Wallmann, Bochum, danke ich für vielfältige Anregungen, die ich aus seinen Veröffentlichungen und bei der Begegnung auf Fachtagungen für das Thema dieser Untersuchung gewonnen habe. Im Sommersemester 1986 wurde die Arbeit als Habilitationsschrift für das Fach Kirchengeschichte vom Fachbereich Theologie der Georg-August-Universität Göttingen angenommen. Für fördernde Hinweise danke ich Herrn Professor Bernd Moeller, der das Referat, und Herrn Professor Hans-Walter Krumwiede, der das Korreferat übernommen hatte. Für den Druck ist das Manuskript überarbeitet und an einigen Stellen gekürzt worden. Herrn Vikar Joachim Gronau danke ich für die Mithilfe bei der Anfertigung der Register. Für die sorgfältige Betreuung des Buches in der Reihe „Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte" gilt mein Dank dem Verlag Vandenhoeck und Ruprecht. Dem Lutherischen Kirchenamt der VELKD danke ich für einen namhaften Druckkostenzuschuß, ebenso dem Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers, besonders Herrn Oberlandeskirchenrat Jürgen Uhlhorn, dem langjährigen Kurator der Theologischen Akademie Celle. Celle, im März 1988

Wolf gang Sommer

Inhalt Vorwort Abkürzungsverzeichnis Einleitung

A. Luthers Obrigkeitsverständnis und die kursächsische Regierung unter Kurfürst Johann Friedrich I.

D i e A u s l e g u n g des 101. P s a l m s d u r c h M a r t i n L u t h e r , 1 5 3 4 / 3 5 1. Die Schrift Luthers in der älteren und neueren Lutherforschung 2. Luther und Kurfürst Johann Friedrich 3. Charakter und Aufbau der Schrift 4. Das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten . . a) Die Ursünde des Menschen gegenüber dem 1. Gebot und das Handeln Gottes in der Geschichte b) Das geistliche Regiment c) Der Unterschied und die Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regiments d) Das weltliche Regiment e) Luthers Hofkritik

B. Fürstliche Territorialpolitik und theologische Verantwortung am kursächsischen H o f in Dresden in der 2. Hälfte des 16. und im frühen 17. Jahrhundert II.

D a s V e r s t ä n d n i s der O b r i g k e i t bei N i k o l a u s S e i n e c k e r 1. Zur Stellung Kursachsens im Reich und zur Politik Kurfürst Augusts nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555

8

Inhalt

2. Nikolaus Seinecker als Hofprediger am kursächsischen H o f in Dresden (1558-1565) 3. Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker in seiner Psalmenauslegung von 1563/64

III. Das Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser d. A 1. Zur Situation Kursachsens nach der Regierung Kurfürst Christians I. (1586-1591) 2. P o l y k a r p L e y s e r - E r s t e r H o f p r e d i g e r i n D r e s d e n ( 1 5 9 4 - 1 6 1 0 ) 3. Das Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser in seinem Regentenspiegel von 1605

C. Johann Arndt und das Fürstentum Lüneburg am Anfang des 17. Jahrhunderts IV. Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts 1. Johann Arndt in der älteren und neueren Forschung 2. Johann Arndts Wirken in Celle als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg und Herzog Christian d . Ä . von Braunschweig-Lüneburg . . a) Die Generalkirchenvisitation von 1615 b) Die Lüneburger Kirchenordnung von 1619 c) Aus der Amtspraxis des Generalsuperintendenten Arndt in Celle . . . . d) Die Veröffentlichungen Arndts in Celle (vor allem die großen Predigtwerke) e) Herzog Christian d. Ä. als „Schutzherr" Johann Arndts 3. D i e Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille a) Das Fundament und A m t der Obrigkeit - Die Grundrichtung von Arndts Obrigkeitsverständnis b) Gottesfurcht und Gerechtigkeit - die beiden Hauptsäulen für ein gutes Regiment c) Obrigkeit und Untertanen d) Obrigkeit und Predigtamt - Gottes Wirken durch das weltliche und geistliche Regiment Exkurs: Zwei Predigten des Oberhofpredigers Philipp J a k o b Spener über die Treue der Obrigkeit und des Predigtamtes 4. Die Huldigungs-und Landtagspredigt

Inhalt

9

D. Gottesfurcht und obrigkeitliches Regiment im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts V.

Basilius Sattler als H o f p r e d i g e r in W o l f e n b ü t t e l

225

1. Uberblick über die kirchliche und theologische Situation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel zur Zeit Sattlers

225

2. Zur Biographie Sattlers und wichtigen Ereignissen im Umkreis seines Lebens und Wirkens

230

3. Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten Sattlers

240

V I . H e r z o g A u g u s t d . J . zu B r a u n s c h w e i g u n d L ü n e b u r g u n d sein H o f prediger J o a c h i m Lütkemann ( 1 6 4 9 - 1 6 5 5 )

255

1. Zur Situation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel während und nach dem Dreißigjährigen Krieg

255

2. Joachim Lütkemann als Hofprediger und Erbauungsschriftsteller bei Herzog August d . J

272

3. Das kirchenorganisatorische Wirken des Generalsuperintendenten Lütkemann in Wolfenbüttel und das Gutachten des Kanzlers Schwartzkopff .

285

4. Die sog. „Regentenpredigt" Joachim Lütkemanns

291

V I I . E r g e b n i s der U n t e r s u c h u n g A . Quellen

315 324

1. Ungedruckte Quellen

324

2. Gedruckte Quellen

324

B.Literatu r

326

Register

341

Personenregister

341

Sachregister

349

Abkürzungsverzeichnis HAB HStA JGP KG KMB LA NLB StA UB

Herzog August Bibliothek Hauptstaatsarchiv Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus, 1974 ff. Kirchengeschichte Kirchenministerialbibliothek Landesbibliothek Niedersächsische Landesbibliothek Staatsarchiv Universitätsbibliothek

Die übrigen Abkürzungen nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE.

Einleitung Das Zeitalter der altprotestantischen Orthodoxie gehört noch immer zu den am wenigsten erforschten Gebieten der protestantischen Kirchengeschichte, obwohl in unserem Jahrhundert und vor allem in jüngster Zeit gerade dieser Epoche ein immer stärkeres Interesse entgegengebracht wird. Bis in die Gegenwart sind die Nachwirkungen spürbar, die das Urteil des Pietismus und der Aufklärung über die „tote" Orthodoxie im allgemeinen Bewußtsein hinterlassen haben. Das Klischeebild von weitgehender geistloser Stagnation und lehrgesetzlicher Enge und Rechthaberei im späten 16. und 17. Jahrhundert bis zum Aufkommen des Pietismus kann heute in der Forschung als überwunden gelten. Die Grundlage für eine neue Sicht des alten Protestantismus haben schon Karl Holl 1 und vor allem Hans Leube 2 in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts gelegt. Seitdem ist die Theologie der altprotestantischen Orthodoxie und die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jahrhunderts in verschiedenen Einzeluntersuchungen immer differenzierter herausgearbeitet worden. Im Vergleich mit der Reformationsgeschichte, dem Pietismus und der Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts hat die Epoche der altprotestantischen Orthodoxie jedoch in der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung eine bisher erheblich geringere Beachtung gefunden. Nach wie vor gilt das Urteil Hans Leubes in einem Forschungsbericht zur altlutherischen Orthodoxie aus dem Jahre 1933: „Wenn das Zeitalter der altlutherischen Orthodoxie die ihm zukommende Stellung in der deutschen protestantischen Kirchengeschichte endlich erlangen soll, dann ist noch gründliche Forschungsarbeit zu leisten." 3 Martin Brecht hat sogar - fast ein halbes Jahrhundert nach diesem Votum Leubes - von einer „derzeit grobe(n) Vernachlässigung der Nachreformationszeit" gesprochen, „die irgendwie auch ein ungeschichtliches überkritisches 1 Häufiger genannte bzw. zitierte Werke werden nur mit dem Namen des Verfassers und einem Stichwort angegeben. Für die näheren bibliographischen Angaben siehe das Literaturverzeichnis. V o r allem mit seinem Aufsatz (einer ursprünglich selbständigen Schrift, die 1 9 1 7 erschien): Die Bedeutung der großen Kriege f ü r das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus, in: Ges. Aufsätze zur Kirchengeschichte III: Der Westen, Tübingen 1928, 302-384. 2 Für die Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts sind heute noch Leubes Arbeiten unverzichtbar: Die Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie, Leipzig 1924 und Kalvinismus und Luthertum. I. (einziger) Band: Der Kampf um die Herrschaft im protestantischen Deutschland, Leipzig 1928, (unveränderter Neudruck Aalen, Scientia, 1966). 3 H. Leube, Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien, hg. von D. Blaufuß, A G P 13, Bielefeld 1975,34.

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Einleitung

Verhältnis zur eigenen Geschichte und ein Zerfallensein mit Teilen der eigenen Tradition verrät" und auf deren Folgen in der gesamten Geschichtsschreibung hingewiesen 4 . Diese Einschätzung der Forschungslage gilt gewiß besonders für das ältere Luthertum, zu dem es seit den großen, noch immer unentbehrlichen Werken von Werner Eiert 5 und H a n s Emil Weber 6 keine neuere Gesamtdarstellung gibt 7 . Wenn somit Ubereinstimmung über die noch vielfältig zu leistende Arbeit in der E r f o r s c h u n g der altprotestantischen O r t h o d o x i e besteht 8 , der ja auch nicht geringe Schwierigkeiten - wie z . B . die komplizierte Quellenlage - gegenüberstehen, so ist doch andererseits unverkennbar, daß gerade das 17. Jahrhundert vor allem in theologie- und frömmigkeitsgeschichtlicher Hinsicht in der letzten Zeit eine wachsende Beachtung findet. D i e kirchen- und theologiegeschichtliche F o r s c h u n g ist hier gewiß besonders durch die gegenwärtig lebendige internationale und interdisziplinäre F o r s c h u n g z u m Zeitalter des Barock herausgefordert 9 . Vor allem aber ist die Kirchen- und Theologiegeschichte des 17. Jahrhunderts für jenen Bereich der neueren Kirchengeschichtsforschung besonders wichtig, der schon seit einiger Zeit einen großen A u f s c h w u n g erlebt: für die E r f o r s c h u n g des Pietismus. D i e in der heutigen Pietismusforschung zentralen und vielfach kontrovers diskutierten Probleme wie die Frage nach den Anfängen und der theologischen Wesensbestimmung des Pietismus machen die differenzierte theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche E r k u n d u n g des 17. Jahrhunderts im geschichtlichen Spannungsfeld zwischen dem Wirken J o -

4 M.Brecht, Forschungsbericht: Gesamtdarstellungen des Zeitalters der Reformation und des Konfessionalismus, V F 2 5 , 1 - 2 , 1 9 8 0 , 1 1 9 . 5 W. Eiert, Morphologie des Luthertums, Bd. I: Theologie und Weltanschauung des Luthertums, hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert, München 1931 ( N d r 1952 und 1958); Bd. II: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München 1931 ( N d r 1953,1958 und 1965). 6 H . E . W e b e r , Reformation, Orthodoxie und Rationalismus 1/1 Gütersloh 1937; 1/2 1940, II: Der Geist der Orthodoxie, 1951 ( N d r 1966). 7 Vgl. J . Mehlhausen, Kirchengeschichte: Zweiter Teil, Evangelischer Konfessionalismus, in: Theologie im 20. Jahrhundert, hg. von G . Strecker, Tübingen 1983 ( U T B 1238), 2 4 9 f f . ; G . Hornig, Lehre und Bekenntnis im Protestantismus, Erster Abschnitt, K a p i t e l l : Die altprotestantische Orthodoxie, in: Handbuch der D o g m e n - und Theologiegeschichte, hg. von C . A n d r e s e n , Bd. 3, Göttingen 1984, 71 ff. 8 Auf ein charakteristisches Beispiel der unbefriedigenden Forschungslage weist J . Wallmann hin, der einen Hauptvertreter der altlutherischen Orthodoxie, den Wittenberger Theologen und Hauptgegner Georg Calixts, Abraham Calov, einen weitgehend unbekannten und von der Forschung am meisten vernachlässigten Theologen nennt (Art. Calov, Abraham, T R E VII, 1981, 563-68, 568). In diese Reihe könnten noch viele andere bekannte und weniger bekannte, dennoch nicht unbedeutende Theologen aufgenommen werden. 9 D a s zeigen z. B. die Arbeitsgespräche und Symposien sowie die Publikationen des internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur an der H e r z o g August Bibliothek Wolfenbüttel: die Wolfenbütteler Barock-Nachrichten, Stuttgart 1974-82, Wiesbaden 1983 ff. und die ab 1973 erscheinenden Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bde. 1-10, Stuttgart 1974-81, Bde. 11 ff. Wiesbaden 1983 ff.

Einleitung

13

hann Arndts und Philipp Jakob Speners zu einer dringlichen Aufgabe 1 0 . Von der interdisziplinären Pietismusforschung kommen schon seit längerem die Hauptimpulse zur theologiegeschichtlichen Erforschung der altprotestantischen Orthodoxie. Damit rücken die Epochen der Orthodoxie und des Pietismus nahe zusammen, so daß das Zeitalter der altprotestantischen Orthodoxie weitgehend den Charakter einer Ubergangsphase zwischen Reformation und Pietismus erhält 1 1 . Für das Erkennen des eigenen Gepräges der Kirchen- und Theologiegeschichte zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Westfälischen Frieden (1555-1648) bzw. zwischen dem Erscheinen des Konkordienbuches und Speners Pia desideria (1580-1675) im Gegenüber zur nachfolgenden Zeit kann freilich gerade der weiterausholende Blick die Augen schärfen, so daß die Spannung zwischen Kontinuität und Wandlung im geschichtlichen Leben deutlich wird. Darauf aber kommt es besonders im Zeitalter des alten Protestantismus 12 an, in dem sich Neues vielfach inmitten des überkommenen Lebensgefüges ankündigt, ohne doch einfach nur Ubergang zu sein. In dieser Zeit ist durchaus eigengeprägtes Denken und Handeln wahrzunehmen. Das theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Interesse an der nachreformatorischen Kirchengeschichte bestimmt auch wesentlich die folgende Untersuchung zum Verständnis der Obrigkeit in lutherischen Landtags-, Regentenund Postillenpredigten zwischen Luther und Spener. Mit dieser Thematik wird ein Einblick in die Geschichte der altlutherischen Orthodoxie ermöglicht, der die ganze spannungsreiche Beziehung von Theologie und Frömmigkeit, Kirche und Staat, Religion und Politik, Gesellschaft und individuellem Leben jener Zeit umfaßt. Eine einseitige Akzentuierung auf die theologie- und frömmig10 Daß darüber in der Pietismusforschung schon lange Ubereinstimmung besteht, zeigen viele neuere Arbeiten zur Geschichte des Pietismus. Das W e r k Johannes Wallmanns, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus in Deutschland, Tübingen 1970, 2 1986, kann dafür in seiner Bedeutung für die moderne Pietismusforschung repräsentativ genannt werden. 11 Charakteristisch für diese Situation in der gegenwärtigen Forschung ist der Bd. 7: Orthodoxie und Pietismus in der von M. Greschat herausgegebenen Reihe Gestalten der Kirchengeschichte, Stuttgart 1982, mit der Einleitung von M . Greschat (7-35). Keine einzige der hier vorgestellten Persönlichkeiten möchte man vermissen (was bei einer anderen Anordnung die notwendige Folge wäre), aber der Pietismus hätte mit gutem Grund auch der Aufklärung zugeordnet werden können, was die geschichtliche Stellung und Eigenart des Pietismus betrifft. 12 Der Gesamtbegriff Konfessionelles Zeitalter oder Konfessionalismus hat sich für die nachreformatorische Kirchengeschichte weitgehend durchgesetzt, womit der gemeinsame Wesenszug bezeichnet ist, wonach die unbedingte Gewißheit der aus der Hl. Schrift gewonnenen Wahrheitserkenntnis und der Absolutheitsanspruch für die je eigene Konfession sowie die gesamtchristliche Rezeption der aristotelischen Schulphilosophie charakteristische Strukturelemente darstellen. In der zeitlichen Abgrenzung zeigt sich neuerdings eine interessante Verschiebung: während früher Ereignisse der Reichsgeschichte (Augsburger Religionsfrieden und Westfälischer Frieden) die Einschnitte bildeten, wird das konfessionelle Zeitalter gegenwärtig mehr durch theologie- bzw. konfessionsgeschichtliche Daten eingegrenzt: durch das Konkordienbuch und Speners Pia desideria. Damit spricht sich das verstärkte theologiegeschichtliche Interesse aus, das diese Zeit gegenwärtig findet. Vgl. J . Mehlhausen, Evang. Konfessionalismus (s. Anm. 7), 249.

14

Einleitung

keitsgeschichtlichen Phänomene ist von hier aus ausgeschlossen. Daß die altlutherische Orthodoxie mehr ist als nur gelehrte Dogmatik und Polemik, nicht nur Wissenschaft, sondern vielfältiges Leben, aber auch nicht nur Theologie und Frömmigkeit, sondern Kultur und Politik in einem geprägten, traditionsreichen und doch bewegten, spannungsreichen geschichtlichen Prozeß, in dem das kirchliche und staatliche Leben auf mannigfaltige Weise untereinander verbunden ist - dieser weite Horizont öffnet sich bei unserem Thema 1 3 , das vor allem der Predigt bedeutender lutherischer Hofprediger und Generalsuperintendenten gewidmet ist. Besonders in der neueren Pietismusforschung ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß der Predigt eine herausragende Bedeutung als Quelle zur differenzierten Wahrnehmung des geschichtlichen Lebens gerade im nachreformatorischen Zeitalter zukommt 1 4 . Was für Geschichte und Theologie des Pietismus und der Aufklärung gilt 15 , hat nicht weniger Bedeutung für die Epoche der lutherischen Orthodoxie. Ja man wird das späte 16. und das ganze 17. Jahrhundert geradezu als die klassische Zeit der lutherischen Predigt bezeichnen können, wenn man der unerschöpflichen Fülle und umfangreichen Postillenbände mit ihren zahlreichen Auflagen ansichtig wird, die auf einen höchst aufnahmefähigen Markt in allen Bevölkerungsschichten trafen 1 6 . Die meisten bedeutenden orthodoxen Theologen sind auch als Prediger, viele als Erbauungsschriftsteller und Kirchenliederdichter hervorgetreten 1 7 . Von einer predigtgeschichtlichen Arbeit, die vorwiegend nach den homiletischen Grundsätzen der Prediger, ihrer Themen und Ausdrucksformen im allgemeinen fragt 1 8 , unterscheidet sich unsere Untersuchung dadurch, daß sie mit einer spezifischen Frage an bestimmte Predigten im Zeitalter der altlutherischen Orthodoxie herangeht. Sie richtet die Frage nach dem Verständnis der Obrigkeit an Predigten, die führende lutherische Theologen zu diesem Thema gehalten haben. 1 3 Schon in dem großen W e r k Werner Elerts über die Morphologie des Luthertums, v o r allem im 2. Band, und in den Arbeiten Leubes ist dieser weite Horizont sichtbar geworden. 1 4 V o r allem in der Spenerforschung, hat doch Spener sein ganzes theologisches Denken vorwiegend in den großen Predigtbänden aus seiner Frankfurter und Dresdner Zeit zusammengefaßt, vgl. die Aufstellung bei M. Kruse, Speners Kritik, 34, A n m . 98. 1 5 Zur Predigt der Aufklärung erschienen in letzter Zeit neuere Untersuchungen: R. Krause, Die Predigt der späten deutschen Aufklärung ( 1 7 7 0 - 1 8 0 5 ) , Stuttgart 1965 und Christian-Erdmann Schott, Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärungspredigt. Dargestellt am Beispiel Franz Volkmar Reinhards (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Bd. 16), Göttingen 1978. 1 6 Vgl. die Titelaufstellung, die G . D r a u d i u s in seinem Catalogus officinalis, Frankfurt a.M. 1610, 153 ff. gibt und die M. Kruse, Speners Kritik, aufführt, 33, A n m . 35. 1 7 Eine Ausnahme stellt eigentlich nur Georg Calixt dar, der nie gepredigt hat. 1 8 Vgl. z.B. die Predigtgeschichten von M. Schian, Geschichte der christlichen Predigt, in: RE, Bd. X V , Leipzig 3 1904, Die Predigt der protestantischen Orthodoxie bis in die Zeit Speners (667-674); ders., Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt, Gießen 1 9 1 2 ; A . Niebergall, Geschichte der Predigt, in : Leiturgia, Bd. 2, Kassel 1 9 5 5 , 2 8 8 - 3 0 5 ; zum neueren Forschungsstand s. E.H.Rehermann, Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen des 16. und ^ . J a h r h u n derts, Schriften zur niederdeutschen Volkskunde, Bd. 8, Göttingen 1977.

Einleitung

15

Jeder Versuch eines geschichtlichen Verstehens hat einen Bezug zur Gegenwart, in der er unternommen wird, nicht nur im Sinne der zeitgeschichtlichen Prägung, sondern vor allem im Sinne der Verantwortung für die Gegenwart 1 9 . Die Frage nach dem Obrigkeitsverständnis im älteren Luthertum führt in ein aktuelles und sensibles Problemfeld sowohl im Blick auf die geschichtlichen Perspektiven wie die gegenwärtige Diskussion im Spannungsbereich zwischen Glaube und Politik. Gerade darum ist es notwendig, die Zeugnisse z. B. aus der bewegten, konflikt- und spannungsgeladenen Geschichte der lutherischen Hofprediger so unvoreingenommen wie nur irgend möglich wahrzunehmen. Wie sehr hier weithin noch unbekanntes Gebiet zu entdecken ist, zeigt die noch ungeschriebene Geschichte der lutherischen Hofprediger, zu der unsere Untersuchung einen Beitrag leisten möchte 20 . Die Wahrnehmung und Interpretation der umfangreichen Quellen zum Ob19 Ich beziehe mich hier auf Rudolph Sohm, der diese Grundproblematik geschichtlicher Erkenntnis folgendermaßen zum Ausdruck brachte: „Von der Altertumswissenschaft unterscheidet die Geschichtswissenschaft sich dadurch, daß sie in ununterbrochener Fühlung mit der Gegenwart sich b e f i n d e t . . . Die Geschichtsforschung hängt an der Gegenwart." (Kirchenrecht, Bd.I, M ü n chen, Leipzig 1892, VII). Das Zitat Sohms verdanke ich M . Honecker, Cura religionis, 16. 2 0 Vgl. J. Wallmanns biographische Darstellung Speners in: Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 7, 219, der hier feststellt: „So konfliktlos die Geschichte der reformierten brandenburgischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert verlaufen ist, so konfliktreich ist die immer noch ungeschriebene Geschichte der lutherischen Hofprediger." W i r sind uns bewußt, daß unsere Studien nur einen bescheidenen Beitrag zur Geschichte der lutherischen Hofprediger im konfessionellen Zeitalter zu leisten vermögen. Unsere vorwiegend theologiegeschichtlich orientierte Fragestellung nach dem Obrigkeitsverständnis einiger bedeutender lutherischer Hofprediger am Dresdner und W o l fenbütteler Hof kann nur einen Ausschnitt aus der komplexen und interessanten Geschichte der Hofprediger in der frühen Neuzeit beleuchten; mit dem Obrigkeitsverständnis des Generalsuperintendenten Arndt, das einen besonderen Schwerpunkt in unserer Untersuchung darstellt, tritt uns der oberste Geistliche des Fürstentums Lüneburg gegenüber, der nicht Hofprediger war. Aber auch dieser territoriale und personelle Ausschnitt in der Konzentration auf das theologische Profil nur weniger Hofprediger kann in einem Gebiet Anstöße vermitteln, das in der kirchengeschichtlichen und allgemeinhistorischen Forschung in unserem Jahrhundert nur wenig Beachtung gefunden hat. Seit der biographisch-landesgeschichtlichen Arbeit von G. L. Zeißler über die sächsischen Oberhofprediger aus dem 19. Jahrhundert (Geschichte der sächsischen Oberhofprediger, Leipzig 1856), erschien in der 1. Auflage der RGG, 1912, ein Artikel „Hofprediger" von Paul Drews (Theologieprofessor in Gießen und Halle, 1858-1912), der für die Beurteilung der besonderen politischen Stellung der Hofprediger in der Frühneuzeit bis heute wichtig geblieben ist (vgl. die Aufnahme bei H . L e h m a n n , Das Zeitalter des Absolutismus, Stuttgart 1980, 31; s.auch P . D r e w s , Der evangelische Geistliche in der deutschen Vergangenheit, Jena 1905. Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, Bd. 12, hg. von G. Steinhausen). Das abnehmende Interesse an der Thematik der Hofprediger in unserem Jahrhundert, das im Zusammenhang mit dem Ende dieser Amtsbezeichnung in den evangelischen Landeskirchen 1919 steht, dokumentieren die Artikel in der 2. und 3. Auflage der R G G (K. Hoffmann, RGG 2 , 1985f. und H. Hohlwein, RGG 3 ,424f.). Die einzige monographische Untersuchung unternahm R . v o n Thadden für die Geschichte der brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 1959. Das vorwiegend sozialgeschichtliche Interesse, das diese Arbeit bestimmt, wird auch für die Geschichte der lutherischen Hofprediger im Vergleich mit den Hofpredigern in reformierten Territorien der historischen Erforschung der Frühneuzeit noch manche lohnende Einblicke eröffnen.

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Einleitung

rigkeitsverständnis im älteren deutschen Luthertum muß mit nicht wenig allgemein verbreiteten und nachhaltig wirkenden Vorstellungshorizonten rechnen, die sich gerade zu dieser Thematik im Laufe der jüngeren deutschen Geschichte gebildet haben. W . F . Bofinger faßt sie zusammen: „Es ist nachgerade zu einem Gemeinplatz geworden, dem lutherischen Obrigkeitsgedanken in seiner Verbindung mit der Zwei-Reiche-Lehre eine konstitutive Bedeutung zuzuschreiben für den monarchisch-obrigkeitlichen Zug der deutschen politischen Gesellschaftsentwicklung." 2 1 Welche Faktoren haben dieses gewiß hier zutreffend beschriebene Meinungsbild vom Luthertum bestimmt? Welches Luthertum welcher Zeitepoche ist konkret gemeint, wenn ein konfessionstypologischer Erklärungsversuch bei der Kritik an der lutherisch bestimmten gesellschaftspolitischen Situation in Anspruch genommen wird? Schon diese Fragen lassen bald die erhebliche Spannung sichtbar werden, die sich bei jenem allgemeinen Bild vom Luthertum in den sozialethischen und kirchenpolitischen Diskussionen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart gegenüber der differenzierten geschichtlichen Wirklichkeit auftut. Nachhaltig haben vor allem bis heute jene großen Entwürfe und religionssoziologischen Typisierungen fortgewirkt, die von Max Weber und Ernst Troeltsch am Anfang unseres Jahrhunderts konzipiert wurden 2 2 . Es ist auffallend, wie wenig sich das von diesen Arbeiten bestimmte Gesamtbild der deutschen Konfessionskirchen mit ihren Sozialanschauungen seither grundlegend verändert hat, so sehr sich auch eine verzweigte und intensive Diskussion an die anregenden Forschungen Max Webers über die Zusammenhänge zwischen Konfession, Ethik und Ökonomie anschloß, die im einzelnen bisher zu recht unterschiedlichen Ergebnissen gekommen ist 23 . Gegenüber der Entstehungszeit des großen Werkes von Ernst Troeltsch über die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen ist heute durch historische Einzelanalyse 2 4 2 1 W. F. Bofinger, Zur Rolle des Luthertums in der Geschichte des deutschen Ständeparlamentarismus, in: Geist und Geschichte der Reformation, Festschrift für Hanns Rückert, Berlin 1966, 397-417,397. 2 2 M.Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, und: Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, zuerst erschienen im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bde. 20 u. 21, 1905; jetzt in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 1920, 5 1963, 17-206; 207-236; E. Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, München 1911 (Neudrucke 1924, 1928, 1963), und vor allem: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912 (Neudruck Scientia Aalen 1961). 2 3 M. Weber, Die protestantische Ethik, hg. von J . Winckelmann, München und H a m b u r g 1967, Siebenstern 53/54, 4 1975, Bd. 2 1969, 3 1978. Vgl. F. W. Kantzenbach, Christentum in der Gesellschaft, B d . 2 , H a m b u r g 1976, Siebenstern 186, 114ff., 128ff. und H . L e h m a n n , Das Zeitalter des Absolutismus (Christentum und Gesellschaft, Bd. 9), Stuttgart 1980, 145 ff. 2 4 Hier sei vor allem auf die neueren Arbeiten zur sozialgeschichtlichen Erforschung des Pietismus hingewiesen: H . Leube, Orthodoxie und Pietismus; K. Deppermann, Der hallesche Pietismus und H . Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg und ders., D a s Zeitalter des Absolutismus.

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gewiß das Unbehagen an konfessionstypologischen Erklärungsversuchen der kirchlichen Sozialgeschichte gewachsen und die Problemlage insgesamt erheblich komplizierter geworden. Dennoch ist die Gesamtwirkung dieses bedeutenden Werkes noch immer beträchtlich, so daß z.B. die von Troeltsch herausgestellte strukturelle Ubereinstimmung der lutherischen Soziallehren mit den Zielsetzungen der politisch Konservativen im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht wenig dazu beitrug, daß das politische und theologisch-kirchliche Neuluthertum des vorigen Jahrhunderts das Bild des Luthertums insgesamt und auch das von Luther selbst bis in die Gegenwart wesentlich geprägt hat 2 5 . Troeltsch hat sich bei der Darstellung des älteren Luthertums auf die dogmatisch-ethischen Werke der lutherischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts und auf die der Kirchenjuristen bezogen, die Predigt der lutherischen Orthodoxie ist hier nicht als Quelle herangezogen worden. Es besteht jedoch nun schon seit langem in der historischen Forschung Übereinstimmung darüber, daß gerade der lutherischen Predigt ein besonderes Gewicht zukommt in dem gesamten Fragenkomplex der Stellung des Luthertums zur Welt. Insbesondere die politische Predigt der lutherischen Orthodoxie, die Landtags- und Regentenpredigten der Hofprediger, wie sie bei öffentlichen Akten wie Landtagseröffnungen oder bei Antritt der Regierung eines neuen Herrschers gehalten wurden 2 6 , bieten die Möglichkeit eines reichhaltigen Einblicks in das politische, kirchliche und soziale Leben des frühneuzeitlichen Territorialstaates. In der historischen und theologischen Forschung hat die politische Predigt der lutherischen Orthodoxie wie überhaupt die Fülle der Predigtbände des ^ . J a h r hunderts bisher nur eine sehr geringe Beachtung gefunden. In der älteren theologischen Literatur findet sich ein recht schwankendes und wenig differenziertes Bild von der Stellung der Orthodoxie zum weltlichen Regiment einschließlich der cura religionis der Fürsten, das durch fehlende Untersuchungen 2 5 Den kritischen Einwänden Karl Holls und Werner Elerts, auch denjenigen von E. Hirsch und P. Althaus gegenüber dem Bild Luthers und des älteren Luthertums bei Troeltsch ist wirkungsgeschichtlich wenig Erfolg beschieden gewesen. Daß Luther und das ältere Luthertum im Unterschied zum Calvinismus stärker dem Mittelalter als der Neuzeit zugeordnet und darum das Luthertum sozialethisch weithin unfruchtbar geblieben sei, diese These Troeltschs wurde zwar leidenschaftlich bestritten, was jedoch ihre Wirkung im allgemeinen Bewußtsein kaum behinderte. W i r können hier nur diese Tatsache konstatieren, ohne den Gründen dafür nachgehen zu können. Sie sind gewiß in die komplizierte Geschichte des deutschen Luthertums in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts tief verwoben. Der Einfluß der Theologie Karl Barths nach dem 1. Weltkrieg hat der These Troeltschs Auftrieb gegeben, unbeschadet des großen Abstandes, den die dialektische Theologie in ihrem Selbstverständnis gerade gegenüber Troeltsch vollzog. 2 6 Im Rahmen dieser konkreten Veranlassung mit der Intention einer mehr oder weniger ausgeführten Obrigkeits- bzw. Untertanenlehre der Prediger möchten wir die nicht unproblematische Bezeichnung „politische Predigt" verstanden wissen. N u r in diesem engen Sinn ist der Begriff „politisch" zu verstehen, nicht im Sinn einer allgemeinen Zeitgebundenheit. Vgl. zur Begriffsproblematik R. Wittram, Anfechtung und Auftrag der politischen Predigt, in: MPTh 51. Jg. 1962, 4 1 7 - 4 2 7 ; ders., Politische Landtagspredigten, in: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, Kirchenhistorische Studien, hg. von B. Moeller und G. Ruhbach, Tübingen 1973, 3 3 1 - 3 6 3 .

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zur Geschichte des landesherrlichen Kirchenregiments im konfessionellen Zeitalter weiter verdunkelt ist 27 . Erst durch die Untersuchung von Martin Kruse, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte 28 , wurde den Obrigkeitspredigten der lutherischen Orthodoxie eingehendere Aufmerksamkeit geschenkt, wobei eine recht bewegte Geschichte der Obrigkeitskritik am Ende des 16. und im Verlauf des 17. Jahrhunderts bis hin zu Spener deutlich wurde. Sie ist an dem Geschichtsschema „Papocaesarie-Caesaropapie" orientiert, das sich nach dem Tode Luthers gebildet hatte 29 . A n diese Arbeit Kruses schließen sich unsere Studien zu Obrigkeitspredigten im älteren Luthertum an, indem sie andere, von Kruse nicht berücksichtigte lutherische Regentenpredigten vor allem der Hofprediger an den Höfen von Dresden und Wolfenbüttel zu interpretieren versuchen. Das Gegenüber von Hofprediger und Regent mit seinen Hofbeamten in den Fragen des öffentlichen und privaten Lebens umschließt dasjenige Beziehungsfeld, das wir modern mit dem Verhältnis von Staat und Kirche bezeichnen. Mit welchen biblischen Begründungen, theologischen Argumentationen und Ausprägungsformen der Frömmigkeit versuchen die Hofprediger das weltliche Regierungsamt zu umschreiben, das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen, das Beamtenund Hofleben.sowie die Stellung der Fürsten zur Kirche und ihrem Predigtamt? Inwieweit sind sie herausgefordert und bereit, für die Selbständigkeit der kirchlichen Aufgaben im Gesamtgefüge des öffentlich-sozialen Lebens der Territo2 7 Die wissenschaftliche Diskussion hat sich vorwiegend der Stellung Luthers zum landesherrlichen Kirchenregiment gewidmet und seiner Entstehung und Ausformung im Reformationsjahrhundert, nicht jedoch der weiteren bewegten Geschichte und Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments seit dem Augsburger Religionsfrieden. Vgl. W . Maurer, Die Entstehung des Landeskirchentums in der Reformation, in: Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, hg. von W . P . Fuchs, Stuttgart 1966; H. Bornkamm, Das Ringen der Motive in den Anfängen der reformatorischen Kirchenverfassung, in: Das Jahrhundert der Reformation, Göttingen 2 1966,202-219; H.W . Krumwiede, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments in Kursachsen und Braunschweig-Wolfenbüttel. Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, Nr. 16, Göttingen 1967; G.Zimmermann, Die Einführung des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Archiv f. Reformationsgeschichte, Jg. 76,1985,146-168.

A G P Bd. 10, Witten 1971. Der Untersuchung Kruses verdanken unsere Studien zum Obrigkeitsverständnis im älteren Luthertum wichtige Einsichten und Anregungen. M. Schmidt hat zu dieser Arbeit Kruses mit Recht gesagt, daß sie „ein neues Tor zu alten Problemen auf(stößt), die aber lange geschlummert h a t t e n . . . Es ist zu erwarten, daß die höchst aktuellen Fragen die künftige Forschung noch erheblich beschäftigen werden, nachdem nach 1945 Luthers Lehre von den beiden Reichen und Regimenten und die altprotestantische Lehre von den Drei Ständen, die tatsächlich die Folgezeit beherrscht hat, während die beiden Reiche und Regimente auffallend zurücktraten, in den Vordergrund der politischen und sozialen Ethik im Protestantismus gerückt ist." (M. Schmidt, Epochen der Pietismusforschung, in: Der Pietismus als theologische Erscheinung, AGP, Bd. 20, Göttingen 1984, 34-83, 80f.). Schon 1928 hat H . Leube in einem Aufsatz die Fragen nach dem Obrigkeitsverständnis im älteren deutschen Protestantismus aufgegriffen („Staatsgesinnung und Staatsgestaltung im deutschen Protestantismus", in: Das Erbe Martin Luthers und die gegenwärtige Forschung. Festschrift für Ludwig Ihmels, hg. von R.Jelke, Leipzig 1928, 135-164). 28

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rien einzutreten? Es ist dies des näheren die Frage nach der Bedeutung, die Luthers Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment in den Predigten der lutherischen Hofprediger im konfessionellen Zeitalter hat. Indem wir uns auf Theologen in unterschiedlichen Herrschaftsgebieten in der zweiten Hälfte des 16. und im fortschreitenden 17. Jahrhundert konzentrieren, auf Kursachsen und die weifischen Fürstentümer Braunschweig-Lüneburg und Braunschweig-Wolfenbüttel, ist es auch möglich, das Verhältnis bestimmter theologischer Richtungen im älteren Luthertum zu der ihnen entsprechenden Obrigkeitslehre im Zusammenhang der sich verändernden politischen und gesellschaftlichen Situationen ins Auge zu fassen. Eine dem älteren Luthertum gewidmete Arbeit muß von Luther selbst ihren Ausgang nehmen, dessen theologisches Erbe alle nachfolgenden lutherischen Theologen zu bewahren und in ihre jeweilige konkrete Situation als Zeugnis für die biblische Wahrheit zu vermitteln versuchen. Der Gang unserer Untersuchung ist darum so aufgebaut, daß zunächst diejenige Schrift Luthers ausführlich bedacht wird, die im Obrigkeitsverständnis der lutherischen Orthodoxie am stärksten fortwirkt: Luthers Auslegung des 101. Psalms von 1534/35. Viele Prediger und Hofprediger im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie haben sich bewußt an dem großen Vorbild gerade dieser Lutherschrift zu orientieren versucht, indem sie ihre Obrigkeitspredigten und Fürstenspiegel 3 0 der Auslegung des 101. Psalms gewidmet haben 3 1 . Aber nicht allein durch die Wirkungsgeschichte dieser Psalmauslegung Luthers im 16. und 17. Jahrhundert, die für das Selbstverständnis der orthodoxen Theologen im Gegenüber zu Luther von Interesse ist, auch für das geschichtliche Verständnis von Luthers eigenem Denken und Handeln angesichts einer konkreten politischen Herrschaft ist diese Schrift von erheblicher Bedeutung. In ihr kommt Luthers Unterscheidung und Zuordnung von Gottes weltlichem und geistlichem Regiment im Zusammenhang mit seiner Geschichtsauffassung und im Blick auf die Rechte und Pflichten eines christlichen Herrschers in geradezu klassischer Weise zum Ausdruck 3 2 . 3 0 Zur Gattung der Fürstenspiegel und ihrer inhaltlichen Gestaltung im 16. und 17. Jahrhundert s. B. Singer, Art. Fürstenspiegel, T R E X I , 1983, 709ff. 3 1 Neben Seinecker und Leyser d . A . seien noch die von uns nicht näher berücksichtigten Auslegungen des 101. Psalms von Tobias Herold und Christian Hoburg genannt: Tobias Herold, Regenten Buch oder Tractat, Leipzig 1610; Christian Hoburg, Christ-Fürstlicher Jugend-Spiegel, Frankfurt 1645 (vgl. zu letzterem M. Kruse, Speners Kritik, 160 ff.). N o c h 1641 hat der Hofprediger Justus Gesenius in Hildesheim vier Predigten über den 101. Psalm gehalten. Zum Obrigkeitsverständnis des Calixtschülers Justus Gesenius und zur Bedeutung der calixtinischen Theologie im Rahmen der orthodox-lutherischen Obrigkeitskritik vgl. W . Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten von Justus Gesenius und Michael Walther, in: J G P Bd. 6 - 1980, Göttingen 1981, 3 3 - 5 1 . 3 2 In der neueren Lutherforschung und in der Diskussion um Luthers Zweireiche- bzw. Zweiregimentenlehre hat Luthers Auslegung des 101. Psalms u . E . jedoch nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden. Vgl. dazu unsere einleitenden Ausführungen zum 1. Kapitel.

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Mit den Hofpredigern Nikolaus Seinecker und Polykarp Leyser d . Ä . wenden wir uns der Situation im Kurfürstentum Sachsen und dem Wirken beider Hofprediger in der zweiten Hälfte des 16. und im frühen 17. Jahrhundert zu. Das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel ist das andere bedeutende lutherische Territorium in Norddeutschland, dessen bewegte Geschichte und geistige Struktur uns in dem langjährigen Wirken des Hofpredigers Basilius Sattler und in dem nur kurzen, aber wichtigen Aufenthalt des Hofpredigers Joachim Lütkemann am Wolfenbütteler H o f entgegentritt. Die Höfe in Wolfenbüttel und Dresden stellen im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie bedeutende politische und geistige Zentren dar, deren verdeckte und offene Rivalität um die Führungsrolle im deutschen Luthertum in die verwickelte Geschichte des lutherischen Einigungswerkes und auch noch in die synkretistischen Streitigkeiten im 17. Jahrhundert hineinwirkte. Wenn wir uns dem Wirken der Hofprediger gerade an diesen beiden Höfen zuwenden, so stellen wir damit unser Thema in den Rahmen der beiden bedeutendsten Territorien in der Geschichte des älteren deutschen Luthertums. Ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit ist auf das Wirken und die kaum zu überschätzende Nachwirkung der Predigten und Erbauungsschriften des Generalsuperintendenten im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg am Anfang des 17. Jahrhunderts gerichtet, auf Johann Arndt. Daß der Verfasser der Bücher vom wahren Christentum, jenem Erbauungsbuch mit einer nur einzigartig zu nennenden Verbreitungsgeschichte in der neueren Kirchen-, Frömmigkeitsund Geistesgeschichte, auch ein bedeutender Prediger war, dessen große Predigtwerke im 17. Jahrhundert viele Auflagen erlebten, beginnt erst langsam in das Bewußtsein der neuzeitlichen Kirchengeschichtsforschung zu treten 3 3 . Erstaunlich ist dies insofern, als ein wichtiges Ereignis der neueren Kirchengeschichte, mit dem die Vorherrschaft der orthodoxen Kirchlichkeit und Theologie im lutherischen Deutschland zu Ende geht 3 4 , mit dem Namen Johann Arndt unlöslich verbunden ist: die Veröffentlichung von Speners Pia desideria als Vorwort zu einer neuen Ausgabe der Evangelienpostille Johann Arndts im Jahre 3 3 Für die gegenwärtig stärker werdende Beachtung Johann Arndts in der neueren Kirchengeschichte haben vor allem die Forschungen Johannes Wallmanns die entscheidenden Anstöße gegeben. Aber noch gilt seine Bemerkung: „Die Kirchengeschichtsforschung hat sich die immense Bedeutung Arndts noch kaum zum Bewußtsein gebracht." (J. Wallmann, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit, in: Chloe, Beihefte zum Daphnis, Bd. 2 : Frömmigkeit in der frühen Neuzeit, hg. von D. Breuer, Amsterdam 1984, 5 0 - 7 4 , 5 4 ; vgl. auch seinen Aufsatz „Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann A r n d t " , in: J G P Bd. 6 - 1980, Göttingen 1981, 9 - 3 2 , 2 3 ) . 3 4 Auf die in der gegenwärtigen Pietismusforschung kontrovers diskutierte Frage nach dem Beginn des Pietismus kann hier nicht näher eingegangen werden. Ich stimme der Sicht Wallmanns zu, der Arndt eine erhebliche frömmigkeits- und theologiegeschichtliche Bedeutung für die Anfänge des Pietismus im 17. Jahrhundert zumißt, aber den Beginn des Pietismus als kirchliche Reformbewegung mit Speners Pia desideria ansetzt. Vgl. zuletzt seine Spenerdarstellung in den Gestalten der K G , hg. von M. Greschat, Bd. 7, Stuttgart 1 9 8 2 , 2 0 5 - 2 2 3 , 2 1 5 .

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1675. Inwiefern mit Johann Arndt auch für das Obrigkeitsverständnis im älteren Luthertum vor Spener ein nicht unerheblicher, besonderer Akzent gesetzt ist, will unser Arndt-Kapitel aufzuzeigen versuchen, das sich vor allem den Obrigkeitspredigten in seiner Evangelienpostille zuwendet. Von hier aus liegt dann auch ein Ausblick auf das Obrigkeitsverständnis des Oberhofpredigers Philipp Jakob Spener in Dresden am Ende des 17. Jahrhunderts nahe, so daß sich der weite kirchen- und theologiegeschichtliche Horizont zwischen Luther und Spener abzeichnet, unter den wir unsere Studien zu Obrigkeitspredigten im älteren Luthertum gestellt sehen. Eine Untersuchung, die vorwiegend Predigten lutherischer Hofprediger zu interpretieren versucht, steht vor nicht leichten methodologischen Problemstellungen. Zwei Hauptgesichtspunkte seien besonders hervorgehoben, die uns für einen angemessenen Zugang zu den Predigten der von uns dargestellten Theologen unerläßlich erscheinen. Zunächst gilt es, die konkrete historische Situation, aus der heraus und in die hinein die Predigten der orthodoxen Theologen gehalten wurden, möglichst deutlich zu erkunden und zu beschreiben. Für die Hofprediger in Dresden und Wolfenbüttel, aber auch für den Generalsuperintendenten Arndt in Celle heißt dies, daß die politische, soziale und kirchlichtheologische Gesamtlage an den Regierungssitzen und in den Territorien unter den jeweiligen Herrschern zur Zeit der amtierenden Theologen in den wichtigsten Grundzügen - und doch so konkret wie möglich - wahrzunehmen und darzustellen ist. D a wir uns dem Obrigkeitsverständnis von Theologen in herausgehobener Position zuwenden, die alle kirchenleitende Ämter innehatten 3 5 , ist es wichtig, auf die jeweilige Herrscherpersönlichkeit genauer zu achten, in deren Dienst die Theologen standen und gegenüber der sie ihren Verkündigungsauftrag wahrnahmen. Auf dieses konkrete Gegenüber von Regent und Hofprediger bzw. Generalsuperintendent muß u . E . bei einem schwerpunktmäßigen und zeitlichen Ausschnitt aus der Gesamtgeschichte der lutherischen Hofprediger ein besonderes Gewicht fallen. Denn von hier aus, gegenüber der jeweiligen fürstlichen Persönlichkeit und ihrer Politik, werden erst die verschiedenen Ausprägungsformen erkennbar, in denen sich das Obrigkeitsverständnis der Theologen im älteren Luthertum gestaltet. Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Predigten der Theologen selbst. Hier gilt unser besonderes Bemühen der Beachtung des gedanklichen Aufbaus einer jeden zu untersuchenden Predigt und des Zusammenhanges, in dem die für das Obrigkeitsverständnis relevanten Aussagen jeweils stehen. D a die Predigt im orthodoxen Zeitalter einem bestimmten Predigtaufbau unterliegt und zumeist

3 5 D a ß d a s O b r i g k e i t s v e r s t ä n d n i s nicht u n a b h ä n g i g v o n d e m A m t gesehen w e r d e n kann, in d e m die T h e o l o g e n stehen, ist u n s w o h l b e w u ß t . A b e r der Blick auf die O b r i g k e i t s p r e d i g t e n , R e g e n t e n traktate u n d F ü r s t e n s p i e g e l anderer, nicht im kirchenleitenden A m t stehender T h e o l o g e n zeigt keine gravierenden U n t e r s c h i e d e ihres O b r i g k e i t s v e r s t ä n d n i s s e s im G e g e n ü b e r z u den H o f p r e d i gern.

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einen klaren Gedankenfortschritt bei aller Weitschweifigkeit erkennen läßt 36 , auch dort, wo - wie bei Arndt - das Ziel der Predigt in der Erbauung des inneren Menschen liegt, ist es erforderlich, diesen insgesamt wahrzunehmen und die Predigten aus ihrem Gesamtzusammenhang heraus zu interpretieren. Die bewußte lehrhafte Gestaltung besonders der orthodoxen Obrigkeitspredigten erlaubt es aber durchaus, unter Beachtung des Gesamtrahmens der Predigten bestimmte inhaltliche Fragen an sie zu richten. Wir wenden uns nun zunächst Luthers Auslegung des 101. Psalms zu. Die beiden methodischen Hauptgesichtspunkte für die nachfolgenden Predigtstudien haben ihre Gültigkeit besonders auch bei der Interpretation einer Lutherschrift. So werden wir dieser Psalmauslegung Luthers nur unter Beachtung der konkreten zeitgeschichtlichen Bezüge, im Zusammenhang mit der neuen kursächsischen Regierung unter Kurfürst Johann Friedrich, und im fortlaufenden Gedankengang angemessen begegnen können 3 7 .

3 6 Das orthodoxe Predigtschema ist vor allem durch eine klare Dreiteilung gekennzeichnet: Exordium, Erklärung des Textes, Hauptlehre. Die Texterklärung wird meist noch in Einzelerklärungen entsprechend dem fünffachen usus nach Lehre, Widerlegung, Mahnung, Strafe und Trost gegliedert. 3 7 Ich sehe mich hier in Übereinstimmung mit dem noch immer wichtigen Aufsatz von B. Moeller, Probleme der Reformationsgeschichtsforschung, in: Z K G 76. Bd., 1965, 246-257.

A. Luthers Obrigkeitsverständnis und die kursächsische Regierung unter Kurfürst Johann Friedrich

I. Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

1534-1535 1. Die Schrift Luthers in der älteren und neueren

Lutherforschung

Uber Luthers Auslegung des 101. Psalms urteilte noch Julius Köstlin in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts: „Unter den klassischen Schriften des deutschen Mannes Luther gebührt dieser Schrift eine der ersten Stellen, - unter denjenigen, welche auf den hier vorliegenden Gegenstand sich beziehen, die erste." 1 Die verhältnismäßig umfangreiche 2 , in sich geschlossene Psalm-Auslegung, die Luther im Jahre 1535 in Wittenberg bei Hans Lufft drucken ließ 3 , wurde hier also noch zum „klassischen" Zentrum von Luthers Schriften gezählt. Und im Zusammenhang mit Luthers zahlreichen Äußerungen zum „weltlichen Stand" bzw. weltlichen Regiment in seinem Gesamtwerk soll dieser Auslegung des 101. Psalms sogar der erste Rang zukommen. Dieses Urteil steht in einem erheblichen Kontrast zu der Einschätzung, die in der Lutherforschung des 20. Jahrhunderts dieser Psalm -Auslegung Luthers zuteil geworden ist. Nicht nur gegenüber der Wertschätzung bei Köstlin-Kawerau, sondern gegenüber der Bedeutung, die der Auslegung des 101. Psalms durch Luther im ganzen älteren Luthertum zukam 4 bis zur Lutherforschung im 19. Jahrhundert, kom1 Julius Köstlin, Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften. 5. neubearbeitete Auflage, fortgesetzt von G. Kawerau, 2. Bd., Berlin 1 9 0 3 , 2 9 7 . 2 In der W A umfaßt sie immerhin über 60 Seiten und ist somit erheblich umfangreicher als die Obrigkeitsschrift von 1523 oder die Kriegsleuteschrift von 1526: W A 5 1 , 2 0 0 - 2 6 4 und die in W A 53 mitgeteilten Fragmente aus Luthers Handschrift, 6 5 9 - 6 7 8 . 3 Der Erstdruck erschien in 2 Ausgaben, wobei die zweite Ausgabe sich von der ersten nur dadurch unterscheidet, daß die Bogen A und B neu gesetzt sind, ab Bogen C bleibt der Satz gleich. Das Impressum hat jeweils das Jahr 1535. Vgl. W A 51, 199 und J.Benzing, Lutherbibliographie N r . 3194 und 3195. 4 In den älteren Ausgaben von Luthers Werken bis zur Erlanger Ausgabe ist die Auslegung des 101. Psalms stets aufgenommen, s. W A 51, 200. J.Mathesius rühmte schon diese Auslegung als „den schönen Hofpsalm, welches ist der 101., den D . Kreuziger für die gelehrteste und weiseste Schrift (Luthers) in deutscher Sprache hielt." (Dr. Martin Luthers Leben. In siebzehn Predigten dargestellt von M . J o h a n n Mathesius, Berlin 1883, 110). Ü b e r Melanchthons zustimmendes Urteil

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D i e Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

men die nur sehr gelegentlichen Hinweise auf diese Schrift in unserem Jahrhundert einer faktischen Vergessenheit gleich. Dies ist um so auffälliger, als die durch Karl H o l l und die dialektische Theologie während und nach dem 1. Weltkrieg heraufgeführte sog. Lutherrenaissance eine erneute und vertiefte Zuwendung zu den Problemkreisen von Luthers Staats- und Obrigkeitsverständnis sowie seiner Sozialethik zur Folge hatte 5 . A u c h die schon vor dem ersten Weltkrieg zwischen Karl Müller und Karl Holl begonnene und seitdem lebhaft weitergeführte, noch längst nicht beendete Diskussion um die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregimentes 6 hat die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Obrigkeit und Kirche bei Luther in zahlreichen Untersuchungen aufgegriffen 7 . Eine eingehendere, vor allem die Gesamtkonzeption berücksichtigende Hinwendung zu Luthers Auslegung des 101. Psalms ist in der Vielzahl der zentralen Monographien und Aufsätze zum Problem Luther und die Obrigkeit jedoch nicht zu finden 8 . Dies gilt auch für die umfangreiche Diskussion, die unter dem Begriff „ZweiR e i c h e - L e h r e " 9 in unserem Jahrhundert geführt wurde und wird. Die Vielzahl s. den Brief Georg Helts an St. R o t h vom 1 7 . 3 . 1535 (Auszug in W A 51, 198). Veit Ludwig von Seckendorff sagt zu dieser Schrift Luthers, sie sei eine herrliche Auslegung des 101. Psalms, „mit grossem Nutzen und Vergnügen zu lesen, besonders den Fürsten und Herren, welche er mit grosser Freymündigkeit, aber auch sehr christlich und gründlich, die Wahrheit saget, was ihr A m t s e y . . . " (Ausführliche Historie des Luthertums und der heilsamen R e f o r m a t i o n . . . , Leipzig 1714, 3. B u c h , § X L V , 1402 f.). Auffallend ist jedoch, daß Luthers Auslegung des 101. Psalms im 16. Jahrhundert nur einen einzigen N a c h d r u c k erlebte: J e n a 1559 (Christian Rödingers Erben). Zur Zeit Luthers hatte man an dieser Schrift offenbar nur ein geringes Interesse, erst in der 2. Hälfte des 16. J a h r h u n derts wurde dies anders. 5 Es sollen hier nur pars pro toto genannt werden: Hermann J o r d a n , Luthers Staatsauffassung, München 1917; Paul Joachimsen, Luther und die soziale Welt, in: Martin Luther, Ausgewählte W e r k e , Bd. 6, München 1923; T h e o d o r Pauls, Luthers Auffassung von Staat und V o l k , B o n n 1925; Karl H o l l , D e r N e u b a u der Sittlichkeit und Die Kulturbedeutung der Reformation, in: Ges. Aufs, z. K G I, Luther, T ü b i n g e n H 9 3 2 , 1 5 5 - 2 8 7 ; 4 6 8 - 5 4 3 . S. auch den Sammelband „Luther und die Obrigkeit, hg. von G . W o l f , Darmstadt 1972, mit Auswahlbibliographie, 4 6 9 - 4 8 2 . 6 K . Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, Tübingen 1910; K . H o l l , Luther und das landesherrliche Kirchenregiment, zuerst in: Z T h K 1911, Ergänzungsheft 1, Wiederabdruck in: Ges. Aufs. z. K G I, Luther, T ü b i n g e n ' 1 9 3 2 , 3 2 6 - 3 8 0 . 7 Es sei nur genannt: G . Müller, Luthers Z w e i - R e i c h e - L e h r e in der deutschen R e f o r m a t i o n , in: D e n k e n d e r Glaube. Festschrift für Carl H . R a t s c h o w , hg. von O . K a i s e r , Berlin 1976, 4 9 - 6 9 . S. auch die Aufsätze in dem Sammelband „Luther und die O b r i g k e i t . " 8 Das gilt sowohl für die älteren wie auch neueren Untersuchungen zum sog. alten Luther. So findet sich z . B . bei K. Matthes, „Luther und die Obrigkeit. Die Obrigkeitsanschauung des reifen Luther in systematischer Darstellung" (München 1937) kein Hinweis auf seine Auslegung des 101. Psalms. A b e r auch das Lutherjubiläum 1983, das in biographischer Hinsicht dem älteren Luther wieder mehr Aufmerksamkeit schenkte gegenüber der lange Zeit vorherrschenden Thematik des jungen Luther, hat bisher keine neue Zuwendung zu dieser Lutherschrift gebracht. In dem Sammelwerk, Leben und W e r k Martin Luthers von 1526 bis 1546, hg. von H . Junghans, Berlin 1983, wird auf Luthers Auslegung des 101. Psalms nur in einer kurzen A n m e r k u n g verwiesen (Siegfried Bräuer, Luthers Beziehungen zu den Bauern, Bd. II, 878, 81). 9 Z u m kontextualen Bedingungszusammenhang, der zur Herausbildung des Terminus „Zweireichelehre" zwischen 1922 und 1938 führte, siehe den Aufsatz von K . N o w a k , Zweireichelehre.

Die Schrift Luthers in der älteren und neueren Lutherforschung

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der Untersuchungen hat sich bei dieser Thematik vorwiegend an den Schriften Luthers zwischen dem Wormser Reichstag 1521 und dem Augsburger Reichstag 1530 orientiert, vor allem an der Obrigkeitsschrift von 1523 und den Bauernkriegsschriften 10 . Wie sich die Unterscheidung und Zuordnung der beiden Reiche bzw. Regimente hinsichtlich der Problemlage nach dem Augsburger Reichstag 1530 in der Theologie des sog. „alten" Luther 1 1 niedergeschlagen hat und in welcher Beziehung sie zu derjenigen in seinen Werken vor und nach dem Bauernkrieg steht, ist noch kaum eingehender untersucht worden. Wenn auch inzwischen längst Übereinstimmung darüber besteht, daß Luthers sog. Zweireichelehre keine von dem jeweiligen konkreten zeitgeschichtlichen Entstehungshintergrund ablösbare systematische Definition darstellt, so hat sich diese Erkenntnis doch noch viel zu wenig in der Fülle der Arbeiten zur Thematik der Zweireichelehre durchgesetzt 12 . So sehr die Unterscheidung und Zuordnung der beiden Reiche bzw. Regimente im Zentrum der Theologie Luthers und im engen Zusammenhang mit ihren anderen Themen steht, so wichtig ist doch zu ihrem Verständnis der jeweils recht verschiedenartige zeitgeschichtliche Kontext 13 . Für die Problemlage während und nach dem Augsburger Reichstag 1530 kommt vor allem neben den Wochenpredigten über Mt 5 - 7 1 4 und der Hohelied-

Anmerkungen zum Entstehungsprozeß einer umstrittenen Begriffsprägung und kontroversen Lehre, in: ZThK 78, 1981, 105-127. 10 Vgl. die Bibliographie bis 1969 in dem Sammelband: Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen. Hg. von Heinz-Horst Schrey, Darmstadt 1969, 557-566 und die Literatur in Auswahl bei B. Lohse, Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und Werk, München 2 1982,207f. Im Lutherjahrbuch 1985, das die Referate und Berichte des 6. Internationalen Kongresses für Lutherforschung, Erfurt 1983, enthält, bemerkt B. Moeller zur vieldiskutierten Thematik „Luther und die Gesellschaft", er habe „den Eindruck, der Jubiläums-Luther des Jahres 1983 wird vorwiegend als Autor der Zweireichelehre ins Gedächtnis der Nachwelt eingehen." (225). In der gegenwärtigen Lutherforschung ist diese Thematik gewiß die am meisten diskutierte, s. auch die Lutherbibliographie, Lutherjahrbuch 1985, besonders 334 ff. 11 Solche Einteilungen bleiben gewiß stets fragwürdig. Die Begriffe „junger", „mittlerer" und „alter" Luther erhalten jedoch eine gewisse Berechtigung durch die Begrenzungen der größeren neueren Lutherbiographien: M.Brecht, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483-1521, Stuttgart 1981 ; H. Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag. Aus dem Nachlaß hg. von K. Bornkamm, Göttingen 1979; Leben und Werk Martin Luthers von 1526-1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag. Hg. von H. Junghans, Bde. 1 u. 2, Berlin 1983. Vgl. auch die Biographie von W . von Loewenich, Martin Luther. Der Mann und das Werk, München 1982. 12 Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß die kirchengeschichtlichen Beiträge dieser Einsicht im ganzen besser entsprochen haben. So vor allem die Arbeiten von F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen, Berlin 1952 und H. Bornkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie, Gütersloh 1958, 3 1969; ders., Der Christ und die zwei Reiche, in: Luther. Gestalt und Wirkungen, Gütersloh 1975. Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Nr. 188, J g . 80, 81 u. 82,1,255-266. 13 S. auch B. Lohse, Martin Luther, 197. 14 W A 32,299-544.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Vorlesung 1 5 den zwei längeren Psalm-Auslegungen Luthers über den 82. 1 6 und 101. Psalm besondere Bedeutung zu 1 7 . N u r wenige Untersuchungen zur Zweireichelehre Luthers haben sich dieser Psalm-Auslegungen als Quelle angenommen. Es sind vor allem die Arbeiten von Franz Lau: .„Äußerliche Ordnung' und ,Weltlich Ding' in Luthers Theologie" 1 8 und „Luthers Lehre von den beiden Reichen." 1 9 Auch die Arbeit des Schweden Gustav Törnvall, „Geistliches und weltliches Regiment bei Luther" 2 0 , hat die Auslegung Luthers über den 101. Psalm herangezogen. In der Geschichte der Darstellung von Luthers Zweireichelehre in unserem Jahrhundert nehmen diese Werke gewiß eine wesentliche Bedeutung ein, die den Gang der Diskussion kritisch-weiterführend beeinflußten. Allerdings konnte die konkrete zeitgeschichtliche Bezugssituation in Luthers Auslegung des 101. Psalms hier nicht näher in den Blick treten, da sich diese Untersuchungen auf eine breite Quellenbasis stützen und ein Gesamtbild von Luthers Weltverständnis und theologischem Denken im Rahmen seiner Zweireiche - bzw. Zweiregimentenlehre darzustellen versuchen. Luthers Stellung zur Obrigkeit ist in erheblichem Maße von den konkreten Personen bestimmt, die für ihn Obrigkeit verkörpert haben. Eine ganz besondere Bedeutung kommt hierbei den drei sächsischen Kurfürsten zu, in deren Regierungszeit der längste und wichtigste Teil von Luthers Leben und Werk fällt. In den wechselseitigen Beziehungen zwischen Luther und den sächsischen Kurfürsten hat sich seine Auffassung von den Rechten und Pflichten eines gottesfürchtigen Regenten herausgebildet, wobei die ehrfürchtig-distanzierte Beziehung zwischen Luther und Kurfürst Friedrich dem Weisen auch seine spätere Haltung gegenüber den Aufgaben des weltlichen Regimentes maßgeblich bestimmte 2 1 . Hinter Luthers Auslegung des 101. Psalms steht besonders das langjährige und enge persönliche wechselseitige Verhältnis zwischen Luther und Johann Friedrich als Kurprinz und Kurfürst. Der Zusammenhang von Luthers ObrigW A 31 II, 586-769. WA 311,183-218. W A 51,200-264. 1 8 Göttingen 1933. 1 9 S. Anm. 12. In den verschiedenen Arbeiten von P. Althaus zur Zweireichelehre Luthers finden sich ebenfalls Hinweise auf Luthers Auslegung des 101. Psalms, so in: Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, Lutherjahrbuch 1957, 40-68 und bei W . J o e s t , Das Verhältnis der Unterscheidung der beiden Regimente zu der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, in: Reich Gottes und Welt, aaO., 196-220. 2 0 Studien zu Luthers Weltbild und Gesellschaftsverständnis, in: F G L P 10, II, München 1947. 2 1 Für die persönliche Korrespondenz zwischen Luther und den sächsischen Kurfürsten s. das Werk von H . Kunst, Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 1976. Als Quellengrundlage für seine Untersuchung dienen ihm im wesentlichen Luthers Briefe. Zu ihnen bemerkt er: „Sie werden in der reformationsgeschichtlichen Literatur auf eine erstaunliche Weise vernachlässigt, selbst da, wo sie Entscheidendes zur Erhellung beitragen können, etwa bei der umfangreichen Diskussion der Lehre Luthers von den zwei Reichen." (13). 15 16

Die Schrift Luthers in der älteren und neueren Lutherforschung

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keitsverständnis in Form einer konkreten Beratung für Johann Friedrich, der 1532 an die Regierung kam, und seiner Zweireiche- bzw. Zweiregimentenlehre, die im Mittelpunkt der Auslegung steht, kann gerade an dieser Schrift Luthers deutlich wahrgenommen werden. Jedoch ist in den bisherigen spärlichen Hinweisen auf diese Psalm-Auslegung das Thema der beiden Reiche oft gar nicht als das Grundanliegen Luthers herausgestellt. Das zeigt schon die inhaltliche Zusammenfassung bei Köstlin-Kawerau 2 2 , der in der ausführlichen Schilderung des Unwesens am H o f und den kritischen Ratschlägen Luthers für das weltliche Regiment das Besondere dieser Psalm-Auslegung gesehen hatte. W o diese Schrift im Rahmen der Darstellungen der Theologie Luthers erwähnt wird, taucht sie sodann bei der Thematik seiner Geschichtsauffassung auf. So z. B. bei Heinrich Bornkamm und Hans-Walter Krumwiede 2 3 . Für die Verbindungslinien, die zwischen Luthers Zweireichelehre und seiner Geschichtsauffassung bestehen, ist die Auslegung des 101. Psalms gewiß eine wichtige Quelle. Neben der Weimarer Ausgabe ist Luthers Auslegung des lOl.Psalmes in unserem Jahrhundert noch in zwei weiteren Ausgaben erschienen: in der Münchener Lutherausgabe und in der gesonderten Ausgabe von Luthers PsalmenAuslegung, die von Erwin Mülhaupt herausgegeben wurde 2 4 . Georg Merz hat in der Münchener Ausgabe dem Text einen allgemeinen Kommentar neben Erläuterungen einzelner Stellen hinzugefügt, der wichtige Gesichtspunkte für ein auch zeitgeschichtlich sinnvolles Verständnis knapp zusammenfaßt 2 5 . Ein kurzer Auszug erschien 1920 in der Zeitschrift „Luther", herausgegeben von Theodor Knolle 2 6 .

22

S.Anm.l.

H . Bornkamm, Gott und die Geschichte nach Luther. Theologie und Verkündigung. Gemeinverständliche Vorträge und Abhandlungen, Lüneburg 1946 und H . - W . Krumwiede, Glaube und Geschichte in der Theologie Luthers. Zur Entstehung des geschichtlichen Denkens in Deutschland, Berlin 1952. Aber sie kann auch ganz unbeachtet bleiben in Darstellungen über Luthers Geschichtsanschauung, z . B . bei H . L i l j e , Luthers Geschichtsanschauung, Berlin 1932 und M.Schmidt, L u thers Schau der Geschichte, in: Lutherjahrbuch 1963, 1 7 - 6 9 . 23

2 4 Martin Luther. Ausgewählte Werke. H g . von H . H . B o r c h e r d t u. G . M e r z , 3. Aufl., 5 . B d . , München 1 9 5 2 , 2 9 7 - 3 6 7 und D. Martin Luthers Psalmen-Auslegung, hg. von E. Mülhaupt, Göttingen 1965, 3. Bd., 6 3 - 1 2 3 . Eine Ausgabe mit ausgewählten Abschnitten und ausführlichen Einzelkommentierungen bietet R . N e u b a u e r , in: Denkmäler der älteren deutschen Literatur, hg. von G . B ö t t i c h e r und K. Kinzel, Halle 1897, Bd. III. 3. Martin Luther. 2. Vermischte Schriften weltlichen Inhalts... bearbeitet von R. Neubauer, 2. Aufl. Halle 1 9 0 0 , 5 7 - 9 6 .

A a O . , (Anm. 24), 444 f. Th. Knolle, Allerlei Regierungsweisheiten aus Luthers Auslegung des 101. Psalms, in: Flugschrift der Luthergesellschaft, Leipzig 1920. - Eine gute, knappe Charakterisierung von Luthers Auslegung des 101.Psalms hat vor kurzem Martin Brecht gegeben: M . B r e c h t , Martin Luther, Bd. 3, Stuttgart 1 9 8 7 , 1 5 f. 25 26

28

Die Auslegung des 1 Ol. Psalms durch Martin Luther

2. Luther und Kurfürst Johann

Friedrich

Luthers Auslegung des 101. Psalms entstand bald nach dem Regierungsantritt von Kurfürst Johann Friedrich 27 . Für die Erhellung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes liegt es daher nahe, auf das Verhältnis zwischen Luther und dem neuen Kurfürsten in der Zeit des Thronwechsels und in seinen ersten Regierungsjahren etwas näher einzugehen. Welche konkrete Bedeutung darüber hinaus das Urteil Luthers über Johann Friedrich zu Beginn seiner Regierung für seine Auslegung des 101. Psalms hatte, wird erst dann recht deutlich werden, wenn man von hier aus an Luthers beispielhafte Darbietung von „Davids Regentenpsalm" herantritt. Uber die persönlichen Beziehungen zwischen Luther und Johann Friedrich vor seinem Regierungsantritt hat H. Kunst mit Hilfe ihrer Briefe ein knappes, anschauliches Bild gezeichnet28. Kunst geht dabei besonders auf die schon so frühzeitige demonstrative Hinneigung des Kurprinzen zu Luther und die Reformation ein, und faßt die auch nach dem Regierungsantritt unveränderte positive Grundhaltung des Kurfürsten folgendermaßen zusammen: „Keiner der drei sächsischen Kurfürsten hat in so enger persönlicher Beziehung zu Luther und zur Reformation gestanden, wie Johann Friedrich. Selbstverständlich bewirken von 1532 ab die Verantwortung des kurfürstlichen Amtes und die Notwendigkeit vielfacher Rücksichtnahme auf außen- und innenpolitische Zusammenhänge einen größeren Abstand als in den früheren Jahren und Meinungsverschiedenheiten bzw. Entscheidungen gegen Luthers Ratschläge..., aber die Grundhaltung Johann Friedrichs ändert sich nicht. Er bleibt Vorläufer - und Vorbild - des lutherischen Landesfürstentums, das sich im 16. und 17. Jahrhundert bemüht, das Amt des „Landesvaters" gemäß den Weisungen des Evangeliums zu führen." 29 Dieses gewiß zutreffende Urteil bedarf jedoch einer Ergänzung durch die verschiedenen Äußerungen Luthers gegenüber Johann Friedrich, mit denen er in väterlichem Wohlwollen 30 , aber auch in deutlicher Kritik auf ihn einzuwirken versucht. Gerade die enge persönliche Beziehung, die in den Briefen seit 1520 31 zum Ausdruck kommt, gibt den mahnenden 2 7 Luther hat mit der Arbeit vermutlich schon 1533 begonnen, der Titel trägt die Jahreszahl 1534, das Impressum jedoch erst 1535. Der Druck hat sich offenbar sehr in die Länge gezogen, vgl. W A 51,199. 28

H . Kunst, Evangelischer Glaube, 2 6 3 - 2 6 9 .

AaO.,267f. Johann Friedrich bezeichnet Luther in seinem Brief vom 2 0 . 1 2 . 1520 als seinen „geistlichen Vater", W A B r 2, 3 6 3 , 2 3 7 , 2 und 238,17. 29 30

3 1 Im Oktober 1520 nahm Johann Friedrich als siebzehnjähriger Kurprinz Verbindung mit Luther auf (dieses erste Schreiben ist verloren). A m 3 0 . 1 0 . 1520 bedankt sich Luther dafür. ( W A B r 2, 347, 205,4). Standen in der ersten Zeit vom Kurprinzen aufgeworfene theologische und grundsätzliche politische Fragen im Vordergrund dieses Briefwechsels (Frage nach den guten Werken Christi, Sakrament unter beiderlei Gestalt, Geltung des mosaischen oder kaiserlichen Rechts, Berechtigung des Zinskaufes für den Fürsten, vgl. W A B r 2 , 3 9 3 , 2 9 4 f . ; 4 6 1 , 4 7 7 f . ; 3, 753, 305f.), so traten nach dem T o d Friedrichs des Weisen (5. Mai 1525) und dem Ubergang der Regierung an

Luther und Kurfürst Johann Friedrich

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Ratschlägen Luthers zur rechten Regentenweisheit den nötigen Nachdruck. Zunächst allgemein gehalten, geht Luthers kritisch-mahnende Begleitung Johann Friedrichs seit 1530 und vor allem während der Zeit des Thronwechsels 1532 auch immer stärker auf dessen konkret-persönliche Eigenheiten und Verhaltensweisen ein. Zu keinem der beiden Vorgänger im kurfürstlichen Amt hat sich Luther so kritisch geäußert wie gegenüber Johann Friedrich. Die Verbindung von dankbarem Lob der Tugenden und einem freimütigen Bekenntnis der Schwächen ist die Grundhaltung in Luthers Beziehungen zu den sächsischen Kurfürsten als seinen Landesherren. Das wird besonders deutlich in Luthers Leichenpredigten für Kurfürst Johann im Jahre 1532, dem Vater Johann Friedrichs 32 . Auch hier hat Luther in aller Öffentlichkeit nichts beschönigt, wenn auch die Kritik in versöhnlichem Ton vorgetragen wird. Die persönlichen Vorzüge wie Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Freundlichkeit sowie sein Bekennermut und seine Glaubenstreue in Augsburg 1530 werden ohne jede übermäßige Betonung herausgestellt. In den Beziehungen Luthers zu Johann Friedrich setzt sich diese Haltung fort, jedoch läßt die noch engere persönliche Vertrautheit auch größeren Freiraum für kritische Ermahnungen und Ratschläge. Die Besonderheit des Verhältnisses Luthers zu Johann Friedrich gegenüber demjenigen zu seinem Vater und Onkel liegt vor allem darin, daß die entscheidenden Ereignisse der reformatorischen Bewegung in die Jugend des Kronprinzen fallen und sich ihre gegenseitige Beziehung über mehr als zwei Jahrzehnte erstreckt. Durch die frühe Kontaktaufnahme mit Luther und ein geradezu begeistertes Bekenntnis für die Reformation 3 3 während der Banndrohung vor dem Wormser Reichstag 1521 wächst auch auf Seiten Luthers die Hoffnung auf den zukünftigen Thronerben, daß er seine Regentschaft einmal nach den Weisungen von Gottes Wort führen möge 3 4 . Daß diese Hoffnung Luthers nicht nur allgemeinen Charakter hatte, sondern sich schon früh auf die spätere Übernahme der Regierung durch Johann Johann Probleme der praktischen Politik in den Vordergrund (Universitätsangelegenheiten, Packsche Händel, Visitationsfragen, vgl. W A B r 3, 870, 501 f.; 881, 5 2 1 ; 4, 1260, 4 5 2 f . ; 1270, 465; 5, 1393, 35; 1394, 3 6 f . ; 1397, 4 1 ; 1407, 5 2 f . ; 1412, 58f.). Vgl. H . K u n s t , aaO., 2 6 4 - 6 7 und C . H i n richs, Luther und Johann Friedrich, in: Luther und Müntzer. Ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht, Berlin 2 1962, 31 ff. 3 2 W A 36, 2 3 7 f f . Vgl. dazu H. Kunst, aaO., 1 0 1 - 1 0 7 , der die persönlichen Beziehungen Luthers zu Kurfürst Johann aus den Leichenpredigten Luthers im Vergleich zu denen für Kurfürst Friedrich den Weisen darstellt. 33 Die Anrede Luthers als „gaystlicher vater" und die Bekundung seiner Hinneigung zur Reformation sowie sein Vorstoß zugunsten Luthers bei Kurfürst Friedrich dem Weisen zeigen dies deutlich an, vgl. W A B r 2, 363, 2 3 7 f . Der päpstliche Nuntius Hieronymus Aleander schrieb am 28. Februar 1521 vom Wormser Reichstag aus, der Kurprinz sei „noch viel ketzerischer als der Oheim, wie alle Welt weiß" (P. Kalkoff, Die Depeschen des Nuntius Aleander v o m Wormser Reichstage 1 5 2 1 , 2 . A u f l . Halle 1897, 106. Zitiert nach W A D B 1 1 , 2 , 3 7 6 , A n m . 5). 3 4 „Daß E. F. G. sich der Sache so sehr annimmt und meinen gnädigsten Herrn, dem Kurfürsten Friedrich davon so emsig schreibt, macht mir eine besondere Hoffnung, daß Gott durch E. F. G. seinem Evangelium beistehen werde." ( W A B r 2, 347,205).

30

Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Friedrich bezog, macht vor allem die Widmung seiner Auslegung des Magnifikats an den jungen Kronprinzen deutlich 3 5 . Mit ihr bedankt sich Luther für seine Zuschriften und seine Liebe zur göttlichen Schrift, die durch weitere Übung gestärkt werden müssen. Wie sehr Luther seine Auslegung des Magnifikats als eine Anweisung zur rechten Regentenweisheit in der Gottesfurcht versteht, macht schon die Widmungsvorrede deutlich 3 6 . Gegenüber Johann Friedrich ist es Luthers erster bedeutsamer Versuch, mit Hilfe des Lobgesangs der Maria auf das „junge Gemüt" einzuwirken und die hohe Verantwortung eines Fürsten gegenüber Gott und den Menschen eindringlich vor Augen zu stellen. Vieler Menschen Heil hänge von der Haltung eines Fürsten ab. Darum nenne die Schrift „fromme, gottfürchtige Fürsten Engel Gottes, ja auch Götter, und umgekehrt nennt sie schädliche Fürsten Löwen, Drachen und wütende Tiere, welche Gott selbst als eine der vier Plagen bezeichnet." 3 7 Wie ernst es Luther mit dem Schriftstudium des jungen Fürsten nahm, zeigt sich auch darin, daß er ihm sogleich im September 1522 ein Exemplar des Septembertestamentes übersandte 38 . Diese schon in der Frühzeit der reformatorischen Bewegung begonnene und im kontinuierlichen Briefwechsel durch die zwanziger Jahre weitergeführte Verbindung zwischen Luther und Johann Friedrich steht von Anfang an im Zeichen einer geistlich-theologischen Beratung mit Hilfe der Schrift. Das gilt gewiß auch für Luthers Haltung gegenüber Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen. In der Beziehung zu Johann Friedrich hatte Luther jedoch die besondere Möglichkeit, lange Zeit vor dessen voraussehbarem Regierungsantritt, den ihm väterlich zugeneigten Prinzen mit geistlichem Rat auf sein schweres Amt vorzubereiten. Neben den Briefen hat er sich dieser Aufgabe vor allem mittels seiner Bibelübersetzung und -auslegung intensiv gewidmet. In engem Zusammenhang mit Luthers Widmung seiner Magnifikat-Auslegung an Johann Friedrich steht neun Jahre später die ihm ebenfalls gewidmete Erstausgabe seiner Ubersetzung des Propheten Daniel 3 9 . Er ermahnt den Kurprinzen, das Buch Daniel als Fürstenspiegel zu lesen: „Denn ynn diesem kan ein Fürst lernen, Gott fürchten und vertrawen, Wenn er sihet und erkennet, das Gott die frumen Fürsten lieb hat, und so gnediglich regiert, gibt yhn alles glück und heil, Widerumb, das er die bösen Fürsten hasset, zorniglich stürtzt und wüst mit yhn umbgehet. Denn hie lernt man, das kein Fürst sich sol auff seine eigen macht odder Weisheit verlassen, noch damit trotzen und pochen, Denn es 3 5 A m 10. März 1521 widmet Luther seine Auslegung des Magnifikats dem Kurprinzen mit einer die hohe Verantwortung eines Fürsten betonenden Vorrede. ( W A 7, 544 f.). A m 31. März 1521, kurz vor seinem Aufbruch nach W o r m s , schickt ihm Luther die ersten Bogen zu, W A B r 2, 393, 294 f. 36

WA 7,544-45.

37

Vgl. W A 7, 5 4 5 , 1 - 4 . W A B r 2, 536, 598.

38 39

V o m Frühjahr 1530, W A D B X I , 2, 380 ff.

Luther und Kurfürst Johann Friedrich

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stehet und gehet kein Reich noch regiment ynn menschlicher krafft odder witze, Sondern Gott ists allein, der es gibt, setzt, helt, regiert, schützt, erhelt, und auch weg nimpt, Inn seiner hand ists alles gefasset, und schwebt ynn seiner macht, wie ein schiff auff dem mehr, ia wie eine wolcken unter dem himel." 40 Mit dem leidenschaftlichen Hinweis auf die Souveränität Gottes gegen alle Selbstmächtigkeit der Fürsten steht Luthers Widmungsbrief zu seiner Danielübersetzung an Johann Friedrich in deutlichem Zusammenhang mit seiner späteren Auslegung des 101. Psalms, die als ein Regentenspiegel für den Kurfürsten während seiner Regierungszeit gedacht ist. Bei diesen Widmungen Luthers an Johann Friedrich herrscht verständlicherweise der Ton der Dankbarkeit und Hoffnung vor, daß Gott die im Kurprinzen angefangenen Gaben, vor allem seine Liebe zur heiligen Schrift, stärken und erhalten möge. In den Tischreden dagegen sind uns einige Äußerungen Luthers über Johann Friedrich überliefert, bei denen der kritische Aspekt besonders deutlich hervortritt. Sie stammen zumeist aus dem Anfang der dreißiger Jahre, kurz vor und nach dem Thronwechsel von Kurfürst Johann auf Johann Friedrich. Wir sehen in ihnen und einigen gleichzeitigen Briefen ein nicht unwichtiges Zeugnis Luthers, das uns den zeitgeschichtlichen Hintergrund seiner Auslegung des 101. Psalms sowie auch die Grundintention dieser Schrift verdeutlichen kann. In der Einleitung zu Luthers Auslegung des 101. Psalms sprechen die Herausgeber E. Thiele und O. Brenner in der Weimarer Ausgabe von einem großen Umschwung, der mit der Übernahme der Regierung durch Johann Friedrich nach dem Tode Johanns am 16. August 1532 eingetreten sei 41 . Sie beziehen dies vor allem auf das Verhalten der adligen Höflinge, die schon unter der Regierung Kurfürst Johanns ihren Einfluß gegenüber den altbewährten, gelehrten Räten zu vergrößern suchten, aber erst unter Johann Friedrich zu vollem Erfolg kamen. In den Tischreden spiegelt sich das Bedauern Luthers über den erfolglosen Kampf mit dem Adel schon vor dem Regierungswechsel vielfach wider, seine Befürchtungen in dieser Hinsicht richten sich aber vor allem auf den Regierungsantritt Johann Friedrichs: „Kompt mein gnediger herr ins regiment, werden Schreiber, cantzler, gelehrte nichts gelten. Junckher Scharrhans wirds alles sein et tyrannidem exercebit eo aliud diversum cogitante. Sed ea affectata ignorantia wird in stürzten. Gott machs gutt! Die leuß sind gern im grind, nicht umbs grinds willen, sondern umb irent willen." 42 Am Tage der Beisetzung des Kurfürsten Johann erklärt er besorgt und warnend: „Unsere scharhansen haben lust zu regirn gehabt; sie habens nhun." 4 3 Mit sehr deutlichen Worten kommt nach dem Tod Johanns die Befürchtung Luthers vor einer Herrschaftswende 40

WADB XI, 2,380 ff. WA 51,197. 42 WATr 2, Nr. 1564, Mai 1531, vgl. auch WATr 2, Nr. 2019 (Es gebe unter Herzog Georg mehr evangelisch gesinnte Adlige als in Kursachsen). 43 WATr 2, Nr. 1738. 41

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

zugunsten der Ränke des Adels zum Ausdruck: „Quando princeps et caput nostrum ruet, sine dubio multos consiliarios secum rapiet. Maxima enim mutatio erit huius regiminis huius provinciae. Et qui sunt nunc sublimiores, erunt inferiores et contra. Et maior invidia erit in aula et maior perfidia, etiamsi nunc omnes nobiles sua quaerant in aulis, non quae sunt principum." 4 4 Daß Luther diesen Umschwung im kurfürstlichen Regiment nicht mit einer veränderten Situation, sondern mit der Persönlichkeit des Kurfürsten in Verbindung sieht, zeigt sich an einer weiteren Tischrede, in der er die drei sächsischen Kurfürsten in ihrer persönlichen Prägung und Verantwortung gegenüberstellt. Im Vergleich mit seinen Vorgängern im kurfürstlichen Amt steht Johann Friedrich in der Gefahr des Eigensinnes und Stolzes, der gerade dem Adel zum Vorteil gereicht: „Mit herzog Friderich ist die Weisheit, mit herzog Johannes die frömkeit gestorben, und hinfurt wird der adel regirn, nun Weisheit und frumbkeit hinwegk ist. Sie wissen, daß mein junger herr ein eignen sinn hat und nicht viel uf die schreibfeder giebet; das gefelllet inen wol. Er hat klugheit gnug, er hat auch eignes sinnes genug; so wirt im der adel muts genug predigen. Sie sehen aber zu, das sie dem lande nicht ein schweis bad zu richten und legen in auf das pflaster, das land und leut an ihm zu külen haben. Wenn er seines vettern Weisheit und seines vattern frumbkeit halb hett, so mocht ich im auch seinen sinn halb gunnen und viel glücks dazu wünschen. Unser Herrgott kan kein stoltz leiden und mus das ubel straffen." 4 5 Vor allem ist es die Weisheit Kurfürst Friedrichs, die Luther in seiner kritischen Sorge um Johann Friedrichs Regiment dem jungen Fürsten mahnend vorhält: „Si noster princeps vellet esse tali prudentia, qua fuit Fridericus, das wird er lassen." 46 Friedrich der Weise ist Luther im Gegenüber zu seinem Neffen Johann Friedrich besonders darin Vorbild, daß er nicht viele Adlige um sich haben wollte, sondern Schreiber und gelehrte Räte 4 7 . Aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht und landesväterlicher Fürsorge kommt die Weisheit Friedrichs zum Ausdruck, so daß Luther bei Johann Friedrich die Gefahr der Verschwendung sieht: „Fridericus dux sammlet ein mit scheffeln und gab aus mit löffeln; nunc fit contrarium in aula." 4 8 Für Luthers kritisch-mahnenden Rat gegenüber der Regentschaft Johann Friedrichs ist das konkrete geschichtliche Bild, das wir von der Herrschaft Friedrichs des Weisen in seinen verschiedenen Äußerungen über ihn gewinnen, von erheblicher Bedeutung. In seiner Auslegung des 101. Psalms ist Friedrich der Weise der „geschaffene", geschichtliche Wundermann Gottes und sein Rat W A T r 2 , N r . 2 6 0 9 a , August 1532. W A T r 2, Nr. 1906 B, aus den frühen 30er Jahren. Vgl. auch 2, Nr. 2 6 1 0 b : „nam verissimum est, quod nobiles sunt principes, et princeps est servus; sie haben den nutz und schlemmen, temmen und gebitten." (August 1532). W A T r 2, Nr. 2629 a vom August 1532. 4 7 Aber auch ihnen gegenüber hielt er sich unabhängig und handelte oft aus eigenem Entschluß, vgl. W A T r 2, Nr. 1738. 4 8 W A T r 1, Nr. 653 vom Herbst 1533. 44

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Luther und Kurfürst Johann Friedrich

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Fabian von Feilitzsch der „gewachsene" Meister des Rechtes und der Staatskunst 4 9 . Aber auch schon vor dem Regierungsantritt Johann Friedrichs, dessen Regiment Luther hiermit den kritischen Spiegel vorhält, bezieht er die Weisheit Kurfürst Friedrichs in vorbildhaft-allgemeingültiger Weise auf die Herrschaft eines treuen, frommen Regenten, in der sich die Weisheit Salomos fortsetzt 5 0 . Wie schnell jedoch diese Weisheit in Vergessenheit gerät, macht Luther mit einem kritischen Blick auf die jungen, neuen Regenten deutlich, womit er vor allem den Thronerben Johann Friedrich im Auge hat. Er empfiehlt ihnen, den Prediger Salomo zu lesen: „Omnia vero haec ideo dicuntur a Solomone, ut discamus nosse mundum et sapienter uti stulticia huius mundi. Ideo hic über maxime est legendus novis rectoribus, qui cum habeant caput distentum opinionibus, volunt mundum regere secundum sua consilia et omnia adamussim exigere. Sed illi prius debebant discere nosse mundum, scilicet esse iniustum, praefractum, inobedientem, maliciosum et in summa ingratum." 5 1 Luther bezieht in seiner Vorlesung über Kohelet sowohl die Weisheit Salomos wie auch die N o t des Thronwechsels auf die konkreten kursächsischen Verhältnisse. In der Weisheit Kurfürst Friedrichs spiegelt sich die Weisheit des alttestamentlichen Königs Salomo wider, insofern er in seinem Regierungsamt wie dieser die Eitelkeit alles Irdischen erfährt und sein Vertrauen allein auf Gottes Führung setzt 5 2 . Die Hoffnungen auf den Thronerben werden jedoch enttäuscht 5 3 . Ein junger Fürst ist allzu schnell geneigt, unbesonnen und eigenmächtig in der Politik zu handeln: „Iuvenis princeps cogitabit rem publicam suam esse securim politam, sed hoc non est. Et si acuatur, tarnen est schardig." 5 4 So erklärt Luther

49

W A 5 1 , 2 0 9 f.

Dies kommt besonders in Luthers Vorlesung über Kohelet, 1526, zum Ausdruck. W . Maurer hat dieser Vorlesung sowie seiner Auslegung des Hohenliedes einen bedeutsamen Aufsatz gewidmet, in dem er von Kurfürst Friedrich als einem „kursächsischen Salomo" spricht. E r sei dies „nicht aufgrund seiner religiös-sittlichen Haltung und Vorbildlichkeit, sondern soweit und weil er in den Schickungen und Führungen seines Lebens und seiner herrscherlichen Tätigkeit die Erfahrungen des alttestamentlichen Königs Salomo widerspiegelt." (W. Maurer, Der kursächsische Salomo. Zu Luthers Vorlesungen über Kohelet (1526) und über das Hohelied (1530/31), in: A n t w o r t aus der Geschichte. Festschrift für Walter Dreß, hg. von W . Sommer, Berlin 1969, 9 9 - 1 1 6 , 111). Auch auf Friedrichs Nachfolger Johann kann die Bezeichnung „der kursächsische Salomo" angewandt werden, ja auf den „evangelischen Patriarchialismus" überhaupt. (112). Vgl. auch H . Bornkamm, Luther und sein Landesherr Kurfürst Friedrich der Weise ( 1 4 6 3 - 1 5 2 5 ) , in: Luther. Gestalt und Wirkungen. Ges. Aufsätze. Schriften des Vereins f. Reformationsgeschichte N r . 188, Jg. 80, 81 u. 82,1, Gütersloh 1975, 3 3 - 3 8 . 50

W A 2 0 , 1 5 5 , 1 6 f f . (aus Luthers Vorlesung über Kohelet, 1526). Die Weisheit besteht also nicht in einer vorbildlichen religiös-sittlichen Haltung, so daß auch die Stellung Kurfürst Friedrichs zur Reformation hier unberührt bleibt. Vgl. W . Maurer, aaO., 111. 51

52

»

W A 20, 8 4 , 1 3 ff.

W A 20, 173 , 7ff. W . M a u r e r vermutet, daß dies auf die anfängliche Freundschaft zwischen Johann Friedrich und Landgraf Philipp gemünzt sein könnte, aaO., 116, A n m . 60. 54

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

noch kurz vor dem Regierungsantritt Johann Friedrichs, daß der Kurprinz hätte länger studieren und einen schärferen Zuchtmeister haben sollen 5 5 . Mit diesen kritischen Vorbehalten gegenüber dem unbesonnenen Eigensinn Johann Friedrichs, die sich in einigen eigenmächtigen Maßnahmen am Anfang seiner Regierung auch bestätigen sollten 5 6 , ist aber der langjährige freundschaftlich-persönliche Kontakt nur unterstrichen, in dem Luther auf den Kurprinzen und Kurfürsten mahnend und ratend einzuwirken versucht. In einer Tischrede bezeichnet Luther Johann Friedrich zwar als jähzornig-aufbrausend, er könne sich aber erstaunlicherweise auch mäßigen und sei im Grunde „sapiens et prudens princeps." 5 7 Neben der Kritik steht ein vorsichtiges L o b , mit dem Luther vertrauensvoll und geduldig in die Zukunft schaut. Wenn der junge Fürst in seinem verantwortungsvollen Amt erst einmal genügend Erfahrungen gesammelt hat, wird sich sein Eigensinn einschränken; er hatte noch zu wenig Gelegenheit, die Menschen kennenzulernen 5 8 . Auch lobt Luther schon bald nach seinem Regierungsantritt, daß er seine Ratschläge durchaus weiterhin beachten wolle 5 9 . In der späteren Zeit sieht Luther viele Gründe, hoffnungsvoll und anerkennend die Regentschaft Johann Friedrichs mit seinem Rat und Wohlwollen zu begleiten 6 0 . Auch in der Korrespondenz Luthers findet das neue Regiment Johann Friedrichs einen bezeichnenden Niederschlag. Der kritische T o n , den Luther in den Tischreden über Johann Friedrichs persönliche Eigenart und die unter ihm zu erwartende Umwälzung am H o f anschlug, zeigt sich ebenfalls in den Briefen, aus denen auch etwas über die konkrete Gestalt der neuen Maßnahmen zu erfahren ist. Sehr bald nach dem Thronwechsel schreibt Luther an den kurfürstlich-sächsischen Kämmerer Riedesel einen Trostbrief, da dieser nach dem Tod von Kurfürst Johann ohne Angabe von Gründen entlassen worden ist. Bei der Beisetzung Johanns sei er noch unmittelbar hinter dem Sarg hergeschritten als naher Vertrauter des verstorbenen Kurfürsten, jetzt hat ihn das von Luther vorhergesagte Schicksal ereilt, daß die neuen Günstlinge die altbewährten Räte verdrängen 61 . Auch in direktem brieflichen Kontakt mit dem neuen Kurfürsten 5 5 „Ich wolte gern, das er lenger studirt hette oder unter einem scharpffen zuchtmeister gewest were. Ich furchte seines sinnes meer dann seines glucks." ( W A T r 2, 1931 vom Mai 1532). 5 6 Von ihnen erfährt man etwas aus Luthers Briefen zu Beginn der Regierung Johann Friedrichs, wenn sich daraus auch die genaue Sachlage kaum rekonstruieren läßt. Vgl. unten und H . Kunst, aaO., 278 f.

W A T r 2 , 1 5 5 6 , vom Mai 1532. 58 W A T r 2, 1 7 3 1 , 1 9 5 f . 57

W A T r 2 , 2 7 2 1 b , vom September 1532. L o b über die Förderung der Universität ( W A T r 4, 4058), über die Ehe des Kurfürsten (4, 4455), über das Festhalten an der C A (5, 5980), über die Verwendung geistlicher Güter für die Versorgung der Pfarrer (6, 6998), über die Liebe zu Gottes W o r t , zu Schulen und Kirchen (4, 5137). Diese Tischreden stammen wohl etwa aus den Jahren 1 5 3 8 - 4 0 . Auch gegenüber dem Adel ist Johann Friedrich nun endlich aufgewacht und beginnt ihn, in die Zange zu nehmen, der Kurfürst „arbeitet wie ein Esel", aber er baut und trinkt auch gern (4, 5137). 59

60

61

W A B r 6, 1955, 3 5 3 f . vom 7.September 1532 und 1977, 391 f. v o m 3 . D e z e m b e r 1532. Im

Luther und Kurfürst Johann Friedrich

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versucht Luther, kritischen Einfluß auf die neuen Maßnahmen des Hofes zu nehmen. In dem ersten Brief, den Luther an Johann Friedrich als Kurfürst schreibt, bittet er mit nicht geringer Schärfe um Milderung eines allzu schnell und zu streng ergangenen Rechtsurteils. Die näheren Umstände dieses Urteils sind nicht bekannt, aber der Brief Luthers zeigt deutlich seine kritische Betroffenheit gegenüber einer ungewöhnlichen Entscheidung, von der er durch Spalatin gehört hat: „Es hat mir M. Spalatinus mit fast großem Bekümmernis geschrieben, wie das Urteil über die Jungfrau zu Altenburg und ihr Eltern und Freundschaft nach der Schärfe gegangen ist, daß ich selber noch nicht gläube, daß E. K. F. G. zum Anfang des Regiments so geschwinde mit den alten ehrbarn Leuten sollten handeln, aus Haus und Hofe treiben, aller Güter entsetzen und ins Gefängnis legen etc., und muß denken, D.C. 6 2 habe solchs erlangt oder selber fürgenommen." 6 3 Die Kritik an dem verantwortlichen kurfürstlichen Rat geht schließlich in einen kritischen Appell an den Kurfürsten selbst über: Die Angelegenheit sei „so groß nicht, daß man darumb so hart und viel Leute solle betrüben. So ist's auch nicht das einige, viel weniger das ewige Recht, das in D. C. Büchern oder Kopf stehet, und hätte wohl sonst Balken gnug auszuziehen, daß ohn Not wäre, seine scharfe Rechte (daß ichs so nennen möge) mit dem armen Splitter zu preisen. E. K. F. G. werden sich wohl wissen gnädiglich hierin zu halten." 64 Gleich nach dem Regierungswechsel im Sommer 1532 sollte Luther auf Anraten von Justus Jonas beim Kurfürsten Johann Friedrich bitten, daß eine neue Visitation gehalten würde. Die äußere N o t unter den Pfarrern sei beträchtlich. Von der beklagenswerten Situation der Pfarrer zu dieser Zeit berichtet auch in deutlicher Sprache das letzte Schreiben von Kurfürst Johann kurz vor seinem Tod an Luther und die Wittenberger Theologen 65 . Johann Friedrich nahm als Kurfürst den Plan einer Erneuerung der Visitation sofort auf und veranlaßte auch die Ausarbeitung einer neuen Instruktionsordnung 66 . Aber gerade in dieser so wesentlichen Sache kommt wiederum der kritische Vorbehalt und die Frühjahr 1534 schreibt Luther noch einmal an einen Adligen, den er ebenfalls zu trösten versucht, da falsche Freunde nach dem Regierungswechsel zu Einfluß gekommen sind. Enders vermutet, daß dieser Adlige mit Joh. Riedesel identisch sei. In diesem Brief Luthers findet sich auch die sprichwörtliche Wendung „novus rex, nova lex", die auch in der Auslegung des 101. Psalms im Zusammenhang mit der Veränderung in der Erbfolge (meist zum Schlechteren) vorkommt. (WA 51, 209, 22). 62 Hinter „ D . C . " wird der Kanzler Doktor Christian Beyer vermutet, vgl. Anm.63 und H . Kunst, aaO., 279. 63 W A B r 6 , 1 9 6 7 , 3 7 7 v o m 17.10.1532. 64 Ebd., 378; vgl. H . Kunst, aaO., 279. 65 W A B r 6 , 347 vom 12. August 1532. 66 Vgl. WABr 6, 347. Schon 1524 hatte der Kurprinz Johann Friedrich mit seiner Bitte an Luther, eine Visitationsreise durch Thüringen zu unternehmen, zu den späteren Visitationsordnungen einen nicht unerheblichen Anstoß gegeben, vgl. WABr 3, 754, 309 f. (Weimar, 24.6. 1524), s. auch H . Kunst, aaO., 191 ff. und 278 und H.-W. Krumwiede, Zur Entstehung des landesherrl. Kirchenregiments, 60 ff.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Skepsis Luthers gegenüber Johann Friedrich zum Ausdruck. Er meint, es sei noch zu früh, mit dem neuen Kurfürsten von diesen Dingen zu reden, „quiaipse mukös secum habebit consiliarios; den wirdt er erstlich müssen lehrgelt geben, qui illum omnibus modis persuadere conabuntur, quidquid voluerint, den es werden viel hunde aldo bellen, das er wol tob mochte werden, und darmit andere nicht wirdt hören." 6 7 Uberblickt man insgesamt Luthers Urteile über Johann Friedrich besonders zur Zeit des Thronwechsels im Jahre 1532, so ist der kritisch-mahnende, z.T. auch skeptische Ausblick auf die neue Regentschaft unübersehbar. Aber die Skepsis kann doch niemals die Hoffnung auf entschlossenes Handeln in der Regierung und eine bessere Wahrnehmung der Verantwortung am Hof besiegen. Johann Friedrich ist freilich nicht Friedrich der Weise, das ist Luther durch eine langjährige Erfahrung bewußt geworden. Dennoch gibt es genug Anlaß, dankbar für eine Regierung zu sein, die durch eine Kritik aus dem Wort Gottes nur deshalb ermahnt werden kann, weil sie sich zu ihm bekennt. Daß die kritischen Töne Luthers gegenüber Johann Friedrich, wie sie in den Tischreden und Briefen zum Ausdruck kommen, nicht eine Distanz zum kurfürstlichen Hof geschaffen haben, dafür bietet gerade die Korrespondenz aus dem Frühjahr 1532 einen deutlichen Beleg. Es ist dies die intensive briefliche Diskussion der gesamtpolitischen Lage im Vorfeld des „Nürnberger Anstandes" vom 23. Juli 1532 (Verkündung durch kaiserliches Mandat am 3. August 1532). In diesen für die weitere Situation des Schmalkaldischen Bundes entscheidenden Verhandlungen halten Kurfürst und Kurprinz engen Kontakt mit Luther, der mit kühner Entschlossenheit zum Abschluß des vorläufigen Friedensvertrages drängt 6 8 . Schließlich gelingt es Luther, die Bedenken der Fürsten gegenüber den Bedingungen des Religionsfriedens auszuräumen. Ihm liegt alles daran, die ausgestreckte kaiserliche Friedenshand, d. h. eine Ubereinkunft mit den altgläubigen Ständen, als eine gnädige Hand Gottes in dieser günstigen Stunde zu ergreifen. Das Evangelium werde sich unaufhaltsam durchsetzen, so daß die Sicherungen überflüssig sind, auf die die evangelischen Fürsten, vor allem Landgraf Philipp von Hessen, beim Abschluß des Friedensvertrages nicht verzichten wollen. Der Einfluß Luthers am kursächsischen Hof und in Nürnberg, wo Johann Friedrich die Verhandlungen führt, ist so groß, daß Kurfürst Johann von seiner Forderung abrückt, daß die Gültigkeit des Friedens sich auch auf künftige Unterzeichner der C A erstrecken solle. Erst damit konnten die Verhandlungen endlich zum Abschluß gebracht werden. Seit dem Nürnberger Anstand vom Sommer 1532 hat sich die Reformation in Deutschland und Europa stetig ausgebreitet. Dieser „Siegeszug des Protestan-

W A T r 2 , 2 6 1 7 b , August 1532. Vgl. zu dieser Korrespondenz zwischen Luther und Kurfürst Johann und Kurprinz Johann Friedrich die Darstellung bei Kunst, aaO., 2 8 0 f f . 68

Charakter und Aufbau der Schrift

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tismus" 6 9 bzw. die „Glanzzeit des Schmalkaldischen Bundes" 7 0 , d.h. die Stärkung und Ausbreitung der Reformation in den einzelnen Territorien, geht parallel mit den Anfangsjahren der Regentschaft Johann Friedrichs. War für den Schmalkaldischen Bund seit 1532 infolge der Inanspruchnahme Karls V. durch kriegerische Verwicklungen mit Frankreich und den Türken nach außen hin eine gewisse Ruhe eingetreten, so konnte sich nun die Aufmerksamkeit in Kursachsen auf die innere Befestigung der Reformation richten. Für Luther bedeutete dies vor allem die Einlösung seiner Erwartungen gegenüber einer Obrigkeit, die sich der Kirchenangelegenheiten entschlossen annimmt und sich in ihrem weltlichen Regiment aus dem Wort Gottes raten läßt. In dieser Erwartung ist die Auslegung des 101. Psalms geschrieben, die mit ihren vielfältigen zeitgeschichtlichen Bezügen am Beispiel Davids das Bild eines gottesfürchtigen Regenten zeichnet, das als Spiegel nicht nur dem sächsischen Kurfürsten, sondern für jeden evangelischen Landesfürsten dienen soll. 3. Charakter und Aufbau der Schrift Die Schrift über den 101. Psalm ist nicht nur durch die geschichtliche Situation des Thronwechsels von 1532 bestimmt, sondern in sie gehen auch die vorausgegangenen langjährigen Erfahrungen ein, die Luther mit dem kursächsischen H o f unter Friedrich den Weisen und Johann den Beständigen sammeln konnte. Zur Zeit der Abfassung seiner Auslegung des 101. Psalms war es Luther möglich, alle drei Regierungen und Herrscher miteinander zu vergleichen, unter denen er in Kursachsen lebte und wirkte 7 1 . Insofern kann Luthers Schrift über den 101. Psalm als eine wichtige Quelle angesehen werden, die seine Auffassung von den Rechten und Pflichten eines Herrschers am Beispiel Davids insgesamt darlegt. Jedoch ist hier zur Gesamtcharakteristik der Schrift ein wesentlicher Vorbehalt zu machen. Die Bezeichnungen „Regentenspiegel" und „Exempel Davids" in Beziehung auf Luthers Auslegung des 101. Psalms können leicht zu der Ansicht führen, als ginge es darin vor allem um vorbildhaft-moralische Anwei-

6 9 So J. Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands II, Reihe Deutsche Geschichte, hg. von W . Hubatsch, Frankfurt/M. 1973, 84. 7 0 K. Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen " 1 9 5 7 , § 79, 307. F ü r die Ausbreitung der Reformation nach dem Nürnberger Anstand vgl. B. Moeller, Luthers Stellung zur Reformation in deutschen Territorien und Städten außerhalb der sächsischen Herrschaften, in: Leben und Werk Martin Luthers 1 5 2 6 - 1 5 4 6 , hg. von H . Junghans, Berlin 1983, Bd. 1 , 5 7 3 - 5 8 9 , 579 ff. 7 1 Für die Regierungszeit von Kurfürst Johann Friedrich gilt dies freilich nur eingeschränkt. Seine Haltung zur Zeit der Entstehung der Schmalkaldischen Artikel 1536/37, sodann während und vor allem nach dem Schmalkaldischen Krieg haben erst die Bewährung gebracht, mit der Johann Friedrich „Vorläufer - und Vorbild - des lutherischen Landesfürstentums (bleibt), das sich im 16. und 17. Jahrhundert bemüht, das A m t des,Landesvaters' gemäß den Weisungen des Evangeliums zu führen. " ( H . Kunst, aaO., 268), vgl. 2., Anm. 29.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

sungen für den weltlichen Stand bzw. das weltliche Regiment 72 . Gerade dies aber wäre das größte Mißverständnis, das man Luthers Schrift entgegenbringen könnte. Um ein solches Mißverständnis auszuschließen, ist es notwendig, den Grundcharakter dieser Psalm-Auslegung Luthers von vornherein deutlich ins Auge zu fassen. Luther stellt diesen Psalm konsequent in das Licht des ersten Gebotes. Es geht ihm in allem, was er an Davids Regiment preist, um die Souveränität Gottes und sein wunderbares Handeln in der Geschichte. Das Bekenntnis zur Gottheit Gottes in seinem Wirken in Welt und Geschichte ist das große Thema dieser Schrift. David ist der Vorsänger eines solchen Bekenntnisses, das in allem menschlichen Handeln allein die immer tätige und vergebende Gnade Gottes zu erkennen und zu loben vermag 73 . Damit ist Luthers theologische Deutung des 101.Psalms wesentlich durch sein Geschichtsverständnis charakterisiert, d.h. durch seine Auffassung vom geschichtlichen Handeln Gottes, seinem schöpferischen Wirken im menschlichen Leben und Tun und Lassen in der Welt. N u r in Wahrnehmung dieser breiten, das Ganze des menschlichen Lebens umfassenden Thematik wird man den Ausführungen Luthers in dieser Schrift gerecht werden können. Das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten dient ihm als Paradigma für das Geschichtshandeln Gottes überhaupt, mit dem es jeder Mensch in seinem Stand zu tun hat. Als grundlegendes Interpretament für Gottes schöpferisches Handeln in der Geschichte kommt Luthers Zwei-Reiche- bzw. Zwei-Regimentenlehre in dieser Psalm-Auslegung zum Ausdruck, durch die die ganze Schrift in ihrem äußeren Aufbau und ihrem vielgestaltigen Inhalt strukturiert ist. In der engen Verbindung von Luthers Zweireichelehre mit seinem Verständnis von Gottes Handeln in der Geschichte sehen wir das Besondere dieser Schrift. Sie akzentuiert damit aber das Thema der Unterscheidung und Zuordnung der beiden Reiche bzw. Regimente Gottes in einer Weise, die für das Verständnis von Luthers Zweireichelehre auch in seinen zahlreichen anderen Werken von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Fragt man nach der formalen Stellung, die die Auslegung des 101. Psalms durch Luther im Gesamtrahmen seines Werkes einnimmt, so wird man sie mit H . Bornkamm zu den politischen Schriften rechnen können. Ähnlich wie die Auslegung des Magnifikat ist sie damit zugleich in die Reihe von Luthers seelsorgerlichem Schrifttum eingeordnet, zu dem nach Bornkamm alle seine politischen Schriften gehören 74 . Insofern mit dieser Kennzeichnung zum Aus72

So schon bei J. Köstlin, aaO., 295. In der theologischen Literatur zu Luthers Auslegung des 101. Psalms ist es vor allem G. Merz, der diesen Grundcharakter der Schrift klar herausstellt: „Alles, was David singt, ist eine Umschreibung des Ersten Gebotes. So versteht Luther den ganzen Psalm. Er zeigt uns das Regiment in der Welt als ein Regiment unter der rechtfertigenden Gnade Gottes." (In der Münchner Lutherausgabe, 5. Bd., München 3 1952,444). 74 H . Bornkmann, Luther als Schriftsteller, in: Luther. Gestalt und Wirkungen, Gütersloh 1975, 57. 73

Charakter und Aufbau der Schrift

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druck kommen soll, daß Luthers politische Schriften keine staatstheoretischen oder sozialethischen Abhandlungen darstellen, sondern Gewissensratschläge in konkreten geschichtlichen Entscheidungssituationen 75 , ist dies gewiß eine zutreffende Bezeichnung. Jedoch ist der Oberbegriff „seelsorgerliches Schrifttum" für die das Thema der zwei Reiche beinhaltenden Werke Luthers vor Mißverständnissen zu wenig geschützt. Denn damit wird leicht der Zusammenhang übersehen, der Luthers grundsätzliche Reflexionen über das Handeln Gottes in der Welt mit seinen aus konkreten Anlässen kommenden und zu konkreter politischer Gewissensberatung führenden Darlegungen in diesen Schriften verbindet 7 6 . Einerseits zu allgemein - denn Luthers ganzes theologisches Werk kann als eine Gewissensberatung verstanden werden und zum anderen in die Gefahr einer falschen Alternative führend, die seelsorgerliche Beratung und theologische Lehre auseinander zu reißen droht, erscheint uns der Ausdruck „seelsorgerliches Schrifttum" wenig geeignet, die politischen Schriften Luthers insgesamt zu kennzeichnen. In ihnen versucht Luther auf dem Hintergrund konkreter zeitgeschichtlicher Situationen und persönlicher Erfahrungen die christliche Existenz inmitten der Weltwirklichkeit theologisch zu begründen und zu verantworten. Die Wirklichkeit der Welt ist ihm dabei stets die Wirklichkeit des in ihr handelnden, sich verbergenden, vergebenden und richtenden Gottes. Die Schöpferwirklichkeit Gottes in der Geschichte und sein erlösendes Werk in Jesus Christus ist in allen politischen Schriften Luthers das Grundthema, auch dort, wo nicht unmittelbar auf die zwei Reiche bzw. Regimente Bezug genommen wird. Die Auslegung des 101. Psalms kann somit als eine politische Schrift verstanden werden, in der das Thema der Zuordnung und Unterscheidung der beiden Reiche bzw. Regimente Gottes im Zusammenhang mit Luthers Geschichtsauffassung ausdrücklich zu Wort kommt. Die Akzentuierung der Zweireichelehre dieser Psalm-Auslegung (und in den anderen Psalm-Auslegungen Luthers nach 1530) in Richtung auf eine stärkere Verknüpfung mit Luthers Geschichtsauffassung - z.B. gegenüber der Obrigkeitsschrift von 1523 - sehen wir in dem immer reichhaltiger gewordenen 7 5 Schon in der Titelformulierung geben sie sich als solche zu erkennen: „Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor A u f r u h r und Empörung" (1522); „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" (1523); „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben" (1525); „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können" (1526). 7 6 Der fehlende Blick für diesen Zusammenhang kennzeichnet auch weite Strecken der Diskussion um Luthers Zweireichelehre in unserem Jahrhundert. Hermann Diem hat in seiner Arbeit „Luthers Predigt in den zwei Reichen", München 1947 (ThExh, N F 6) bestritten, daß es sich in Luthers Zweireichelehre überhaupt um eine Lehre handele. Damit nimmt er einseitig-verengend das Verständnis von Luthers Zweireichelehre als christliche Gewissensberatung für Fürsten und Untertanen bei seinem Bruder Harald Diem auf („Luthers Lehre von den zwei Reichen, untersucht von seinem Verständnis der Bergpredigt aus", München 1938). Der lebhaften Diskussion um Luthers Zweireichelehre nach dem 2. Weltkrieg wurde dadurch eine nachhaltige Akzentuierung gegeben, die sich bis in die Gegenwart hinein auswirkt. Vgl. auch F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen, Berlin 1 9 5 2 , 8 - 2 0 .

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

geschichtlichen Erfahrungshorizont begründet, in dem sich seit den frühen zwanziger Jahren die reformatorische Bewegung und nicht zuletzt Luthers eigenes Wirken bewähren und verantworten mußte. Dabei ist auffallend, daß gerade die Nähe Luthers zum kursächsischen H o f unter den Kurfürsten Johann und Johann Friedrich, d.h. seine mannigfaltigen konkreten Erfahrungen mit den Kirchenvisitationen und den Verhandlungen über die gesamtpolitische Lage, in eine theologisch-grundsätzliche Reflexion über Gottes Handeln in der Geschichte einmünden, die zwar der Konkretion nicht entbehrt, aber doch einen gewissen Abstand zu den gegenwärtigen Ereignissen voraussetzt. Es ist Kurfürst Friedrich der Weise, von dem Luther persönlich am weitesten entfernt war, der schon in seinen Vorlesungen über Kohelet und das Hohelied 7 7 und nun auch in der Schrift über den 101. Psalm konkretere geschichtliche Züge erhält, nicht aber Johann Friedrich, den er in seinem doch wesentlich ihm geltenden „Regentenspiegel" mit keinem Wort erwähnt. Schwerlich wird man dies mit politischer Vorsicht und Rücksichtnahme gegenüber dem herrschenden Regiment allein erklären können. Die Anspielungen auf die gegenwärtigen Zustände sind deutlich genug und haben ihren Eindruck auf die Zeitgenossen gewiß nicht verfehlt, wie es Luther am Schluß seiner Schrift auch selbst klar ausspricht 7 8 . Aber die theologische Interpretation der konkreten Zeitgeschichte setzte für Luther offenbar einen Abstand voraus, aus dem heraus erst die aktuelle Bedeutung der Zeitereignisse erkannt und in das rechte Licht gerückt werden kann. Dieses Licht ist das souveräne Handeln Gottes in der Geschichte. Auch Friedrich der Weise wird ja von Luther nicht als ethisches Vorbild gezeichnet, sondern als ein die Eitelkeit alles Irdischen erfahrender Regent, der sich demütig-weise unter die Führung Gottes stellte. So sieht Luther auch die Herrschaft Davids nicht im Rahmen einer Vorbild-Ethik, sondern unter dem Gesichtspunkt des immer neu in Erstaunen setzenden Eingreifens Gottes in den Lauf der Geschichte. Zu solcher admiratio, nicht imitatio soll der ausführliche geschichtstheologische Hinweis Luthers auf die Regentschaft Davids führen, an der er das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten exemplifiziert. N u r im Licht des Geschichtshandelns Gottes will somit dieser „Regentenspiegel" verstanden sein. Auch der Aufbau der Schrift läßt diese inhaltliche Charakteristik deutlich erkennen. In der Vorrede geht Luther vom Selbstzeugnis des Psalms aus, das „Gott lobt und danckt für den weltlichen stand." 7 9 Schon mit diesem Einsatz ist die Grundthematik der ganzen Psalmauslegung angesprochen. Es geht um das Vgl. W . Maurer, D e r kursächsische Salomo, aaO., 111. „Hie wil ichs beschliessen, H o f f e , ich habs gut gemacht. G u t heisse ich, w o es wenig leuten wol gefallen und viele leute ubel verdriessen wird. Das sol fast so ein gewis zeichen sein, als die krippen und windel den Hirten gewis zeichen waren. Gefellet es aber jederman, so ists gewislich eine böse, schendliche erbeit, die ich gethan habe, H o f f e aber, ich habe mich der fahr wol b e n o m m e n . " ( W A 51,264,10-15). 77 78

79 W A 5 1 , 2 0 0 , 1 8 , 1 9 .

Charakter und Aufbau der Schrift

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Bekenntnis zu Gottes Schöpferhandeln in seiner ganzen Schöpfung. Von zwei Seiten aus wird es mißbraucht und mißachtet. Einmal vonseiten der geistlichen Herren in der Kirche, die die alleinigen Herren auf Erden sein wollen, und zum anderen durch die „Rottengeister", die in ebenso überheblicher Weise in falschem Heiligkeitsdünkel die notwendige Verantwortung in der Welt verachten. Der selbstsüchtigen Vermessenheit gegenüber dem weltlichen Stand gilt beide Male Luthers scharfe und zugleich in anschaulich-humorvoller Weise vorgetragene Kritik 8 0 . Damit tritt wiederum die doppelte Front hervor, gegenüber der sich seit den frühen zwanziger Jahren Luthers Wirken vollzieht: die Uberordnung der geistlichen über die weltliche Gewalt und die daraus folgende Vermischung beider Gewalten in der mittelalterlich-katholischen Welt sowie die schwärmerische Diastase gegenüber jeglichen weltlichen Ordnungen. In dieser doppelten kritischen Absicherung der eigenen Bewertung des weltlichen Standes in Übereinstimmung mit dem Bekenntnis des Psalms setzt Luther aber nun bemerkenswerte Akzente. Mit dem „weltlichen Stand" sind die irdischen O r d nungen in der ganzen Breite des menschlichen Lebens umfaßt. Die „Rottengeister" „verdammen haushalten, ehestand, hoch und nider stand auff erden." 8 1 Demgegenüber lehrt und tröstet dieser Psalm die Menschen an ihrem jeweiligen Ort, an den sie durch die Schöpfung Gottes gewiesen sind 8 2 . Wenn der Psalm sich besonders an die hohen Stände, d.h. an die Regierenden richtet, so ist dies durch die geschichtliche Stellung Davids als König bestimmt. Er setzt sich selbst in seinem Stand anderen in diesen Ständen zum Exempel. Damit ist aber dieser „Regentenspiegel" nur ein besonderes Beispiel für die Verantwortung vor Gott und den Menschen in allen Ständen. Das geistliche und weltliche Regiment des gottesfürchtigen Regenten David gilt zwar durch die vorgegebene, besondere geschichtliche Situation der weltlichen Herrschaft vornehmlich den Regierenden, als solches ist es aber aller geschichtlichen Verantwortung der in der Welt Handelnden zugeordnet. Im Zusammenhang mit dem verantwortlichen Leben in allen irdischen Ordnungen kommt die besondere geschichtliche Verantwortung der Regenten zum Ausdruck 8 3 . 8 0 Das Singen und Beten des Psalms durch die selbstvermessenen und unwissenden Geistlichen vergleicht Luther mit der Eselin, durch die Gott mit dem törichten Propheten geredet hat. 81

WA 51,201,16,17.

Das ist nicht als „statische Ständeordnung" mißzuverstehen. Es geht um die jeweilige Verantwortung in einer existentiell-geschichtlichen Dimension. Gerade die Auslegung des 101. Psalms zeigt die ganze Dynamik in Luthers Geschichtsauffassung, die die geschichtlichen Gegebenheiten der Zeit keineswegs starr-beharrend „nur im Sein, und nicht im Werden" betrachtet. So die noch immer nachwirkende Ansicht von G. Wünsch, Der Zusammenbruch des Luthertums als Sozialgestaltung, Tübingen 1921, 15; auch bei H . Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung, 5 Leipzig 1918, 246. Vgl. auch E. Troeltsch, Soziallehren, Tübingen 1 9 1 2 , 1 . Bd., 504. Dagegen vgl. F. Lau, Äußerliche Ordnung, 53 f. 82

8 3 Ähnlich wie in der Auslegung des 127. Psalms, die in zeitlicher Nähe zu diesem „Regentenspiegel" steht ( 1 5 3 2 / 3 3 ; W A 40, III, 202ff.), gehört hier zum weltlichen Regiment nicht nur das „Schwert" der Obrigkeit, sondern die Gesamtheit der irdischen Ordnungen wie Ehe, Familie, Eigentum. Das politische und häusliche Wesen gehören eng zusmmen. Die Zweireiche- bzw.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Nachdem Luther somit die beiden Hauptformen der Mißachtung des weltlichen Standes in seiner Zeit abgewiesen hat, kann er das Selbstzeugnis des Psalms in konkreter kritischer Blickrichtung auf die Regentschaft und den Hof Johann Friedrichs, jedoch im Gesamtrahmen von Gottes Handeln in der Geschichte des menschlichen Handelns, entfalten. Die Erklärung der Unerfahrenheit am Hof dient ihm dazu, in umso größerem Maße seine persönliche und gelehrte Welterfahrenheit einzubringen und wirkungsvoll einzusetzen 84 . Uberblickt man die Ausführungen Luthers zu allen acht Versen in der Anordnung des Psalms, so sind die Verse 1 und 5 allein schon durch ihren größeren Umfang deutlich herausgehoben 8 5 . Durch diese beiden Verse wird die gesamte Psalmauslegung aber auch inhaltlich strukturiert. Im Vers 1 wird in der Anknüpfung an den Lobpreis Gottes durch David die alles aus Gottes Handeln empfangende Dankbarkeit gegen die selbstmächtige Vermessenheit gestellt. Die Ursünde des Menschen gegenüber dem 1. Gebot und Gottes dennoch unaufhörliches wunderbares Handeln am Menschen in seinem ihm aufgegebenen geschichtlichen Tun bilden das Grundthema, mit dem alle einzelnen Aspekte zusammengefaßt sind. Ab Vers 5 beginnt für Luther der andere Teil des Psalmes, d.h. die Zäsur, die das geistliche und weltliche Regiment Davids unterscheidet 86 . Bevor er aber des näheren auf ihn und damit auf das Handeln Davids im weltlichen Regiment eingeht, ist ein Abschnitt eingeschaltet, in dem Luther grundsätzliche Ausführungen zu dem Thema der Unterscheidung der beiden Reiche bzw. Regimente macht 8 7 . W i r sehen in diesem Mittelteil der Psalmauslegung, der in enger Verbindung mit Luthers Geschichtsauffassung steht, die inhaltliche Mitte der ganzen Schrift.

4. Das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen a) Die Ursünde des Menschen gegenüber in der Geschichte

Regenten

dem 1. Gebot und das Handeln Gottes

Das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten ist für Luthter allein dadurch ein „gut Regiment", daß Gottes alleiniges Wirken gepriesen und für seine Gabe gedankt wird. Das ist das Thema der Ausführungen Luthers zu Vers 1, die als inhaltliche Überschrift über der ganzen PsalmausleZweiregimentenlehre ist in dieser Schrift wie in der ganzen Psalm-Auslegung Luthers nach 1530 in die ganze Breite des v o r Gott zu verantwortenden Lebens in der W e l t hineingestellt. 8 4 W A 51, 201, 22 ff. Daß diese Unerfahrenheit am Hof nicht allzu wörtlich zu nehmen ist, machen seine Korrespondenz mit dem Hof und seine wiederholten Besuche bei und die Begegnungen mit Johann und Johann Friedrich in Torgau und Wittenberg deutlich. 8 5 Innerhalb der ganzen Schrift ( W A 5 1 , 2 0 0 - 2 6 4 ) gehören zu Vers 1 die Seiten 2 0 1 - 2 1 6 , zu Vers 5 die Seiten 2 3 8 - 2 5 4 . 8 6 In den Versen 2—4 handelt David in seinem geistlichen Regiment. In den Versen 5 - 8 in seinem weltlichen Regiment. 87 238-245,10.

Das geistliche und weltliche Regiment

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gung stehen. Damit steht das 1. Gebot vor und über allen Reflexionen Luthers in diesem Regentenspiegel, nicht anders als in allen seinen Handlungsratschlägen seit dem „Sermon von den guten Werken". Gleich zu Beginn wird den Regierenden die menschliche Ursünde der selbstsüchtigen Vermessenheit gegenüber dem 1. Gebot drastisch vor Augen gestellt. Die „Meister Klüglinge" pochen auf ihre eigene Vernunft und Weisheit, sie beherrschen das Feld der Politik. „Denn jnn der weit gehet es also zu, das keiner so grob oder ungeschickt ist, Er meinet, wo er im regiment were, Er wolts gar köstlich machen und lessts jm gar nichts gefallen, was andere im regiment machen" 8 8 . Luther wendet seine eigene Erfahrung des allgemeinen Auseinanderklaffens zwischen Plan und Verwirklichung eines Vorhabens sofort auf das Hofleben an, das er zwar nicht aus persönlicher Anschauung kennt noch zu kennen wünscht, aber das aus geschichtlichen Beispielen - sowohl vergangenen wie gegenwärtigen - gut vorzustellen ist. Der Wahrheit des Wortes Gottes aus Spr. Salomos 8, 14: „Mein ist beides, der Rat und die T a t " steht die allseits erfahrbare Wirklichkeit der menschlichen Vermessenheit gegenüber, die sich jedoch besonders im Regiment in Gestalt der vier Säulen des Königreichs oder Fürstentums hervortut: „Denn da sitzt der König oder Fürst für sich selbs weise und klug und hat die sache gefasset bey allen funff zipfeln. Dazu kompt denn ein Jurgist oder Jurist mit seinem buch und findet das Recht heuffig drinnen geschrieben gewis und klar, das nicht feilen kan. Darnach ein grosser Hans, dem das heubt viel zu klein ist für grosser vernunfft und Weisheit, der findets im natürlichen recht so fest gegründet und tieff gewurtzelt, das alle weit nicht könne umbreissen. Zu letzt leuten sie zu samen, und bombt die grosse glock mit zu, das ist ein Bischoff, Prelat, Theologus, er sey selbs gewachsen oder sonst gemacht, der bringt Gottes wort und die Heilige schrifft. Hie mus der teuffei selbs weichen und die sachen recht, billich, gut auch Göttlich dazu sein lassen." 8 9 Mit dieser Klagepredigt über die Vermessenheit kommt gleich am Anfang der Psalmauslegung Luthers Hauptanliegen zum Ausdruck: dem Wirken Gottes in der Welt dankbar Raum zu geben. Aus geschichtlicher und persönlicher Erfahrung 9 0 wird die „erste lere und vermanung aus diesem Psalm" für die 8 8 W A 5 1 , 2 0 1 , 3 4 - 3 6 . „Meister Klügel" oder „Klügling" ist ein Lieblingsthema Luthers, das er in Predigten, Auslegungen, Sendbriefen etc. vielfach streift bzw. behandelt, z. B. in der Auslegung des 117. Psalms ( 1 5 3 0 ) : „Denn es ist auch war, das solche halb gelehrte Leute die unnutzesten leute auff erden s i n d . . . Meister klugel heist man die selbigen, die das Ross am schwantz können zeymen." ( W A 3 1 , 1 , 2 2 6 , 2 ; 227,7 f.), auch im Sendbrief vom Dolmetschen ( W A 30 II, 6 3 4 , 6 ff.). 89

203,13-23.

In den in W A 53 mitgeteilten Bruchstücken aus Luthers Handschrift findet sich ein Abschnitt, in dem Luther ein persönliches Bekenntnis ablegt. Gerade mit seinem guten Recht gegen die Papisten möchte er darauf nicht pochen und alles Gott vor die Füße werfen. ( W A 53, 659, 5 - 6 6 0 , 17). In der Münchener Ausgabe ist dieser Abschnitt nach dem mit „Amen" abschließenden Eingang über die Vermessenheit ( W A 51, 205, 7) sinnvollerweise eingefügt. Man wird diesen Abschnitt als ein nicht unwichtiges Zeugnis über Luthers Urteile über sich selbst verstehen können, vgl. K. Holl, Luthers Urteile übersieh selbst, in: Ges. Aufs, zur K G , Bd. I, Tübingen 7 1 9 4 7 , 3 8 1 - 4 1 9 . 90

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Regenten untermauert, „das ein Fürst odder herre lerne und wisse, das from gesinde, trewe diener und gut regiment Gottes gäbe s e y . . . und Gotte dafür dancke mit bitte, das er jm solchen schätz erhalte und bessere." 9 1 Zu diesem Schatz eines guten Regimentes gehören auch das Recht und die Vernunft 9 2 , wenn sie als Gottesgaben, und nicht in vermessenem Eigendünkel gebraucht werden. Aber die Welt und die Menschen sind böse und falsch, besonders am Hof. Das Regiment eines Fürsten muß in der Finsternis bleiben, weil er mit und durch Menschen regieren muß, denen er nicht ins Herz sehen kann. Luther vergleicht das weltliche Regiment mit einem Wagen, der in der Nacht umherirrt, zuweilen umgeworfen wird und zerbricht. „Aber Christus Reich ist nicht also, der kennet alle hertzen, und welcher dem selben wil untrew sein, der betreugt sich selber und schadet seinem herrn nichts, Sondern der herr kan seines knechts bosheit zu seinem nutz und besten keren. Das kan im weltlichen Regiment, da die hertzen verborgen sind, nicht sein." 9 3 Nach der ersten Lehre für die Regenten und noch bevor mit Gnade und Recht die beiden Hauptaufgaben des Regierens in der Welt beschrieben werden, stellt Luther eine grundsätzliche Reflexion über das Verhältnis der „beiden Reiche" an. Der erfahrbaren Weltwirklichkeit steht das Reich Christi gegenüber, in dem die menschliche Bosheit ihre zerstörerische Kraft verloren hat. Schon in der Auslegung zu Vers 1, die wesentliche Aspekte von Luthers Welt- und Geschichtsverständnis zum Ausdruck bringt, wird somit das Thema der Unterscheidung und Zuordnung der beiden Reiche aufgenommen. Die geschichtliche Erfahrung läßt Luther vor allem die Andersartigkeit des Reiches Christi gegenüber dem weltlichen Regiment betonen, jedoch in einer Weise, die den Unterschied nicht jenseits des geschichtlichen Lebens markiert. Denn obwohl Luther mit den Metaphern „Finsternis" und „Nacht" das weltliche Regiment umschreibt, steht das Reich Christi diesem nicht als das weit- und geschichtslose Lichtreich gegenüber. Vielmehr geht es um den Unterschied des Sehvermögens bei der Herrschaft Christi und im weltlichen Regiment: für den Fürsten bleiben die Handlungsabsichten der Menschen grundsätzlich verborgen, während Christus die Herzen kennt und durchschaut. Und doch muß in der Welt regiert werden, wenn es auch oft nur ein Tappen im Dunkeln ist. In der Aufnahme des Psalmverses versucht Luther nun, dieses Regieren in der Welt näher zu umschreiben. Mit Gnade und Recht sind die beiden Handlungsweisen bezeichnet, in denen alle Aufgaben des weltlichen Regiments zusammenkommen. Ausdrücklich betont Luther, daß es hier nicht um Gottes Gnade und Recht geht, sondern um die „wolthat gegen die fromen und straffe gegen die bösen" im Regiment der weltlichen Obrigkeit 9 4 . Diese in der Geschichte des 91

205, 7 - 1 3 .

92

204, 7 f. WA 51,205,23-27.

93 94

2 0 5 , 2 8 ff., 36.

Das geistliche und weltliche Regiment

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Luthertums so breit aufgenommene und weitergeführte Aufgabenbeschreibung des Amtes der weltlichen Obrigkeit 9 5 steht bei Luther sogleich in der Dimension der rechten Verhältnisbestimmung zwischen göttlichem und weltlichem Regiment. Gnade und Recht im weltlichen Regiment sind grundsätzlich von der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes unterschieden und dürfen nicht miteinander vermischt, aber auch nicht voneinander getrennt werden. Denn wie nur im Zusammenwirken beider Handlungsweisen dem Chaos und der Tyrannei gewehrt werden kann, so ist das rechte Maßfinden zwischen Gnade und Recht in allen Dingen ohne die Gnade Gottes nicht möglich: „Masse ist jnn allen dingen gut. Da höret kunst ja Gottes gnade zu, das mans treffe." 9 6 Weil die rechte Mitte zwischen Gnade und Recht im menschlichen Handeln so schwer zu treffen ist, soll die Gnade den Vorrang vor der Strafe haben. Die Gründe, die Luther für die Priorität der Gnade vor der Härte des Gesetzes im Konfliktfall anführt, zeigen seine Achtung vor Gottes Schöpfung ebenso wie die Illusionslosigkeit in seinem Welt- und Menschenverständnis: „Denn zu viel gnade kan man wider einzihen und wenigem. Aber die straffe kan nicht wider zu rücke komen, sonderlich wo es leib und leben oder glidmas betrifft. Auch kan man nicht alles böse auff erden straffen, Sonderlich die heimliche bösen t ü c k e . . . " 9 7 D a der Regent doch nur das vor Augen Liegende sieht und somit nur die öffentlichen Übel strafen kann, aber auch dieses zuweilen übersehen muß, wenn aus der Bestrafung mehr Schaden als Nutzen hervorgeht 9 8 , zielen die aus der allgemeinen geschichtlichen Erfahrung gewonnenen und mit Beispielen aus dem A T angefüllten Reflexionen Luthers über das Regieren in der Welt mit Konsequenz auf die Frage nach dem rechten Handeln in der Geschichte. Sie stellt sich sofort als die Frage nach dem Handeln Gottes in ihr. Alles, was Luther nun folgend in einem langen Abschnitt über das nur staunend wahrzunehmende Handeln Gottes an seinen von ihm geschaffenen und getriebenen Wunderleuten in der Geschichte ausführt, will die Hauptlehre des Psalms unterstreichen, daß ein gutes Regiment allein Gottes Gnade ist. Bevor die einzelnen Taten Davids in seinem geistlichen und weltlichen Regiment in ihrer exemplarischen Bedeutung erkannt werden können, muß erst sein Bekenntnis wahrgenommen werden, „das ers nicht aus seiner hohen vernunfft und weisen gedancken habe gestifft und erhalten, Sondern aus Gottes mitwircken und treiben, der jm solchs alles eingegeben und mit glück und heil gefordert und gesegnet hat." 9 9 Der Regentenspiegel transzendiert somit von vornherein alle paränetischen Folgerungen in einer einfachen Beispielethik, vielmehr will er durch den Hinweis auf das 95

Vgl. vor allem die Landtagspredigten Polykarp Leysers d . Ä . über Psalm 101, s. Kap. III.

96

206, 7f.

97

2 06, 1 3 - 1 7 .

98

Die Strafe hat vor allem einen pädagogischen und friedeschaffenden Sinn: „So doch alle straffe

sol endlich dahin gericht sein, das sie zum schrecken und besserung der andern (wie S. Petrus und Paulus leren) und zum friede und Sicherheit der fromen geschehe." ( 2 0 7 , 2 - 4 ) . 99

215,36-216,1.

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D i e A u s l e g u n g des 1 0 1 . P s a l m s d u r c h M a r t i n L u t h e r

Staunen erregende Handeln Gottes in der Geschichte zur Dankbarkeit und Demut in der realistischen Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten und Grenzen führen. Mit prägnanten, thetischen Sätzen beschreibt Luther die Wunderleute Gottes in der Geschichte, die sein Verständnis der Geschichte Gottes mit den Menschen als ein ereignishaftes, schöpferisch-dynamisches Geschehen zeigen: „Gott hat zweierley leute auff erden jnn allerley Stenden. Etliche haben einen sonderlichen Sternen für Gott, welche er selbs leret und erweckt, wie er sie haben wil. Die selben haben auch als denn guten wind auff erden und, wie mans nennet, glfick und sieg. Was sie anfahen, das gehet fort, und wenn alle weit da wider streben solt, so mus es hinaus ungehindert. Denn Gott, ders jnen ins hertz gibt, jren sinn und mut treibt, der gibts jnen auch jnn die hende, das es geschehen und ausgericht werden m u s . . . Und nicht allein gibt er zu weilen solche leute unter seinem volck, sondern auch unter den Gottlosen und Heiden, und nicht allein jnn Fürstenstenden, sondern auch jnn Bürgern, baurn und handwercks Stenden... Solche leute heisse ich nicht gezogene oder gemachte, sondern geschaffene und von Gott getriebene Ffirsten oder herrn." 1 0 0 Der Unterschied zwischen den „gemachten" und „geschaffenen" Menschen liegt außerhalb jeder innerweltlichen Begründungsmöglichkeit; Grenzziehungen zwischen „heilig" und „profan", zwischen einem sog. geistlichen und weltlichen Bereich oder im Rahmen von Ständeordnungen haben hier keine Gültigkeit. Allein die schaffende Kraft Gottes, die sich dieser Menschen bedient, zeichnet sie vor anderen aus. Darum können sie sich auch nicht selber rühmen und über andere erheben, vielmehr sind sie genauso wie alle anderen der Schuld und Fragwürdigkeit alles irdischen Lebens verhaftet 1 0 1 . Was Luther mit den „homines heroici" 1 0 2 in der Geschichte zum Ausdruck bringen will, ist nicht das Gegenüber von übermenschlichem Genie und allgemeinmenschlicher N o r m in einer Art Genieethik, sondern der Unterschied zwischen natürlichem und geschriebenem Recht im menschlichen Handeln. Das natürliche Recht oder die Vernunft und Weisheit, die der Belehrung aus den geschriebenen Gesetzen, ja sogar aus dem Wort Gottes, nicht bedarf 1 0 3 , ist eine seltene Gabe Gottes, die

100

2 07,21-36.

101

V g l . 2 1 2 , 3 5 ff.

102 Y g j d a z u p . L a u , „ Ä u ß e r l i c h e O r d n u n g " , 5 0 f f . u n d die in diesem Z u s a m m e n h a n g a n g e f ü h r ten, weiteren L u t h e r z i t a t e . 103

D i e heidnischen Kriegshelden H a n n i b a l , A l e x a n d e r u n d Scipio stehen als Beispiele für die

W u n d e r l e u t e G o t t e s n e b e n D a v i d u n d K u r f ü r s t F r i e d r i c h d e m W e i s e n u n d seinem R a t F a b i a n v o n F e i l i t z s c h . D i e v o n ihnen g e r ü h m t e n T a t e n sind W e r k e der V e r n u n f t , aus einer letztlich unerklärlic h e n S p o n t a n e i t ä t h e r a u s entstanden. E r s t im L i c h t des W o r t e s G o t t e s w i r d das s c h ö p f e r i s c h e H a n d e l n G o t t e s in ihnen e r k a n n t . M e i s t e n s bleibt aber diese göttliche Inspiration in i h r e m Selbstbew u ß t s e i n dunkel, „ d a r u m b (sie) auch selten ein gut ende n e m e n , wie alle H i s t o r i e n z e u g e n . " ( 2 0 7 , 3 7 ff.; 4 2 , 2 0 8 , 1). Vgl. z u der F r a g e , o b es besser sei, n a c h der V e r n u n f t zu regieren o d e r n a c h geschriebenen G e s e t z e n W A T r 4 , 2 0 3 .

Das geistliche und weltliche Regiment

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nicht „in allen Köpfen steckt." 104 Das nicht erlernte und zu erlernende Handeln der Wenigen, die aus spontaner, göttlich inspirierter Folgerichtigkeit das jeweils Angemessene tun, verläßt auch mit seinem staunenswerten Erfolg nicht die Sphäre der Eitelkeit alles Irdischen. Vielmehr wird durch die persönliche Einmaligkeit dieser Wunderleute Gottes die Vergänglichkeit und innere Fragwürdigkeit des menschlichen Handelns erst vollends deutlich. Nicht nur, weil auch sie meist ein ungutes Ende nehmen, sondern vor allem, weil Gottes Wunder sich an den Menschen nicht vererben 105 . Hinter diesen Reflexionen Luthers steht die zwar unausgesprochene, aber deutliche konkret-geschichtliche Beziehung zur Regentschaft Johann Friedrichs. Hatte Luther in seinen Briefen und Tischreden z.Zt. des Thronwechsels 1532 die Weisheit Kurfürst Friedrichs als des „kursächsischen Salomo" direkt dem Eigensinn Johann Friedrichs gegenübergestellt, so wird auf sein Beispiel hier wiederum ausführlich hingewiesen und auf die vergeblichen Versuche, ihm in seiner Weisheit nachzufolgen 106 . Der Eindruck auf die Situation am Hof Johann Friedrichs konnte gerade damit kaum verfehlt werden. Besonders die N o t des Thronwechsels, wie sie in der Kohelet-Vorlesung zum Ausdruck kommt 1 0 7 , spiegelt sich in den Sätzen wider: „Haus und hof, land und gfitersind allezeit da. Aber erben oder Hausherrn und Fürsten sind nicht alle zeit gleich. Was einer gewonnen hat, das verleuret der nachfolgende. Und widerumb, ein ander nach folgender gewinnets wider, wo es Gott wil geben." 108 In einer kurzen, sprichwortartigen Sentenz faßt Luther diese auch im täglichen Leben zu machende Erfahrung zusammen: „Novus Rex, Novus Lex." 109 Da sich diese Wendung in zeitlicher Nähe mit der Psalmauslegung ebenfalls in einem Brief Luthers an einen Adligen findet, in dem es um den Trost bezüglich falscher Ratgeber nach dem Regierungswechsel 1532 geht, liegt der unmittelbare Bezug dieser Ausführungen zur Regentschaft Johann Friedrichs nahe 110 . Die besondere kritische Schärfe Luthers, bei der es auch an drastischem Humor nicht fehlt 111 , richtet sich gegen die „äffen" und „geuche", die die wenigen, von Gott Inspirierten in blinder Selbstüberschätzung nachzuahmen versuchen. Die auf die Person gerichtete Inspiration 112 schließt jede Imitation aus, die stets nur auf das aus der Person hervorgehende Werk bezogen ist. 104

212, 14. „Denn Gottes wunder erben nicht und sind auch nicht unser eigen noch uns unter worffen wie die guter, haus und hof. Gott will frey sein solcher wunderleute und Edel steine zu geben, wenn, wo und wem er wil." (209,23-26). 106 209, 38 ff. und 210, 29-37. Vgl. auch das zu Fabian von Feilitzsch und Kurfürst Friedrich Gesagte WATr 4,203. Vgl. Abschnitt 2. los 209,10-13. 109 209,22,23. 110 Vgl. Abschnitt 2., Anm. 61. 111 213,12-18. 112 „Denn es ligt an der person." (212, 10). 105

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Solche Imitation aber will die in Gottes Schöpfung gegründete Ungleichheit der Menschen negieren, weshalb Luther daraus auch nur Aufruhr und Chaos entstehen sieht. So ist gerade im Zusammenhang mit dieser dynamischen Geschichtsauffassung Luthers, die eine blinde Nachahmung innerhalb der bestehenden Ordnungen wegen der Einmaligkeit der in ihnen handelnden Personen verurteilt, seine Forderung nach dem Gehorsam gegenüber den Ordnungen Gottes die notwendige Folge. So wenig statisch er von diesen selbst auch denkt, so unmißverständlich ist doch seine Auffassung von den schöpfungsmäßigen Gegebenheiten des menschlichen Zusammenlebens: „Aber nu hats Gott also geschaffen, das die menschen ungleich sind und einer den andern regirn, einer dem andern gehorchen sol. Zween können miteinander singen (das ist Gott alle gleich loben), aber nicht mit einander reden (das ist regirn). Einer mus reden, der ander hören." 1 1 3 Allein im Gotteslob können sich die Menschen auf gleicher Ebene vereinen, im menschlichen Zusammenleben bleibt es immer bei dem Unterschied zwischen Regierenden (d.h. Redenden) und Regierten (d.h. Hörenden). Diese schöpfungsgemäße Grundbefindlichkeit des gemeinsamen menschlichen Lebens kommt in diesem „Regentenpsalm" in der ganzen Breite ihrer allgemeinen Bedeutung zum Ausdruck, nicht nur in Bezug auf die Herrschaft der Regenten. So wie die Wunderleute Gottes in allen Ständen wirken, so regieren in der Welt jedoch vornehmlich ihre Nachahmer, die Wunderleute des Teufels 1 1 4 , die nicht nur mit ihnen gleich sein, sondern auch noch über sie hinaus ihr vermessenes Wesen treiben wollen. Mit „Doctor Spies" und „Meister Klügel" hat Luther ihnen am Hof und anderswo treffende Namen gegeben; die Nichtachtung der natürlichen Unterschiede zwischen den Menschen und das Ubervorteilungsstreben ist aber letztlich das Gift der Erbsünde, das alle Menschen betrifft: „Aber das ist der Teufel und plage jnn der weit, das wir jnn allen dingen an leiblicher stercke, grosse, schöne, gfitern, gesicht, färbe etc. unternander ungleich sind Und allein jnn der Weisheit und Glfick alle wollen gleich sein, da wir doch am aller ungleichsten unternander sind. Und das noch wol erger ist, Ein jglicher wil hierin über den andern s e i n . . . Es ist die gifft der Erbsunde uns angeborn und der bisse vom apffel, dadurch uns der Teufel hat klug und Gotte gleich gemacht. Daher kompts, das narren nicht wollen narren sein, Und Doctor Spies der grosseste Doctor und Meister Klügel der gröste meister ist auff erden, diese regirn jnn der weit. Gott plagt uns mit solchen leuten." 1 1 5 Das illusionslose Welt- und Menschenbild Luthers hat aber nicht nur eine schöpfungstheologisch wie erfahrungsmäßig-analysierende Seite, sondern zielt wesentlich auf eine Aufforderung zum Handeln. Dem freien, immer neuen und auf die je eigene Person des Menschen gerichteten Handeln Gottes in der 113 114 115

212,19-22. 212,27. 214,1-13.

Das geistliche und weltliche Regiment

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Geschichte kann der Mensch in seinem eigenen Handeln nur so antworten, daß er die ihm gegebenen Gaben erkennt und auszuschöpfen versucht. Die besonders von Gott inspirierten Wunderleute sollen dadurch beispielhaft wirken, daß die Spontaneität und Angemessenheit ihrer Taten zur Dankbarkeit und Demut auffordern. In diesem Sinn haben diese geschichtstheologischen Reflexionen Luthers durchaus ethischen Charakter 1 1 6 . In ihrer Allgemeinheit lassen sie auch deutlich ihre eigentliche Zielrichtung erkennen: dem neuen Regiment Kurfürst Johann Friedrichs Weisung für die ihm mögliche und von ihm zu fordernde Herrschaft zu geben. Mit Hilfe einer sprichwörtlichen Wendung gibt Luther seinem Rat, das Handeln nach den je eigenen, tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten auszurichten, einen drastisch-kritischen Ausdruck: „Wer nicht Kalck hat, der mus mit Kot mauren, Und heisst dennoch auch gemauret und den Kalck meurern nach gefolget, aber nicht gleich gut gemacht." 1 1 7 Auch auf sich selbst bezieht Luther diese sprichtwörtlich-allgemeine Erfahrungswahrheit 1 1 8 , vor allem aber zielt sie auf eine sinnvolle Handhabung der Regierungsgeschäfte im Regiment 1 1 9 . Schon in der Kohelet-Vorlesung taucht das Sprichwort imZusammenhang mit den so schwer zu verwirklichenden Regimentstugenden inmitten der verderbten Welt auf 1 2 0 , so daß man nicht fehl gehen wird, das Bekenntnis zu den eigenen, eingeschränkten Verhältnissen auf die neue kursächsische Regierung zu beziehen. Darin kommt nicht nur Kritik an der töricht-vermessenen Ubersteigerung der vorhandenen Möglichkeiten zum Ausdruck, sondern damit soll auch zum nüchternen Wahrnehmen dessen, was ist, angeleitet werden, und zu einem dementsprechenden Handeln. Denn in der Welt muß regiert werden, erst recht dann - und das ist der gewöhnliche Weltlauf - , wenn die von Gott besonders inspirierten Wundermänner ausbleiben. Das schonungslose Urteil Luthers über die Welt als Spital, in dem alle krank sind und es besonders den Leitern, den Fürsten und allen Regierenden an Weisheit und Mut fehlt 1 2 1 , zielt 1 1 6 „Hie fragt sichs, Sol man denn nichts lernen oder nachfolgen guten exempeln der weisen und grossen l e u t e n ? . . . A n t w o r t : O , wer nur wol kundte. Freilich sol man nach folgen guten exempeln jnn allen Stenden, Aber so fern, das wir nicht zu äffen werden und äffen spiel treiben." (213, 6 - 7 , 9-11). 117

213,24-26.

„Also, wenn D o c t o r Martinus nicht so gute Epistel kan schreiben oder predigen als S. Paulus zu den R ö m e r n oder als S. Augustinus, So ists jm ehrlich, das er das Buch auff thut und bettelt eine parteken aus S. Paulo oder aus S. Augstino und predige jnen nach. O b ers nicht so gut macht noch jnen gleich thut, So sol er dencken, E r sey nicht S. Paulus noch Augustinus, die jm weit zuvor springen, und er jnen nach kreucht." (213, 2 8 - 3 4 ) . Ein nicht unwichtiges Urteil Luthers über sich selbst! (Vgl. W A 5 3 , 6 5 9 , 5 - 6 6 0 , 1 7 ) . 118

1 1 9 „ U n d wenn D o c t o r Spies nicht so weise und hoch vernünfftig sein kan als H . Friedrich oder Fabian von Feilitz, So stehets jm wol an, das er hin gehe und lasse sich leren oder lese die bucher der Rechten, die von den Helden der Weisheit gesetzt sind den klein verstendigen und schwach vernunfftigen zur lere und exempel, dem sie nach kriechen sollen, weil sie von sich selbs jnen nicht gleich nach lauffen oder springen können." ( 2 1 3 , 3 4 - 3 9 ) . 120 W A 2 0 , 1 7 4 , 1 9 . 121

„ N u ist die Welt ein kranck ding und eben ein solcher Peltz, da haut und har nicht gut an ist.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

nicht auf Fatalismus und Pessimismus. Vielmehr will es zu geduldigem, bescheidenem Lernen und Handeln im Regiment mit Hilfe der Rechtsbücher und allem verfügbaren politischen Erfahrungswissen anleiten, bis wieder ein von Gott erleuchteter Regent die Herrschaft übernimmt. Dann ist die Regierungsweisheit im Regiment nicht mehr eine mühsam-erlernte, kränkelnde, sondern eine kraftvolle, aus unmittelbarer Eingebung fließende Quelle, die das Land zum Blühen bringt. Uber allen Zeiten und Herrschern aber steht Gottes alleiniges, nicht aufrechenbares, die Welt vor ihrem Untergang bewahrendes Wirken in der Geschichte. Nach dieser, die Souveränität Gottes im geschichtlichen Handeln der Menschen bezeugenden theologischen Grundlegung zeigt Luther an konkreten biblisch-geschichtlichen Beispielen, wie David in seinem geistlichen und weltlichen Regiment als ein Wundermann Gottes regierte. Das Beispiel seiner Regierung im geistlichen und weltlichen Stand ist der ganze Psalm 122 . Die weitere Psalmauslegung ist somit in zwei Hauptteile gegliedert, die sich aus einem theologischen Doppelaspekt ergeben. Das Regieren im geistlichen Stand geschieht „im wort und dienst Gottes." 123 Im weltlichen Stand betrifft es die Regelung der zwischenmenschlichen Bezüge und der irdischen Güter in Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit vor dem Angesicht Gottes. Dieser Doppelaspekt, der die ganze Psalmauslegung strukturiert und der in der Mitte der Schrift eigens reflektiert wird 124 , kommt am Anfang des zweiten Teiles folgendermaßen zum Ausdruck: „Denn wie das geistlich Regiment oder ampt die leute sol über sich weisen gegen Gott recht zu thun und selig zu werden, also sol das weltlich regiment unter sich die leute regirn und schaffen, das leib, gut, ehr, weib, kind, haus, hof und allerley gfiter im friede und Sicherheit bleiben und auff erden selig sein mügen." 125 b) Das geistliche

Regiment

Die erste Tat in Davids geistlichem Regiment steht unter der göttlichen Bestätigung: „Deus loquitur in sanctuario suo." (Ps 60,8). In der Aufrichtung und Förderung des Gottesdienstes unter David zeigt sich die Gabe Gottes, daß das Wort Gottes in seinem Reich seinen Lauf nimmt und es vor falscher Lehre

Die gesunden Helden sind seltzam und Gott gibt sie theur und mus doch regirt sein, w o menschen nicht sollen wilde thier werden. Darumb bleibts jnn der w e h gemeiniglich eitel flickwerg und betteley, und ist ein rechter Spital, da es beide Fürsten und Herrn und allen regirenden feilet an Weisheit und mut, das ist an gluck und Gottes treiben wie den krancken an krafft und stercke." (214, 28-35 u. ff.). 122 216,15. 123 216, 13,14. 124 Wir werden auf diesen Abschnitt, der die Unterscheidung und Zuordnung der beiden Regimente thematisiert, im folgenden unter c) näher eingehen. 125 241,35-39.

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bewahrt bleibt 1 2 6 . So sehr Luther diesen freien Lauf des Wortes Gottes in Davids Reich herausstellt „zum Exempel allen Königen, Fürsten, Herrn als ein recht wunderwerck, dem sie folgen mügen, so weit ein jglicher k a n " 1 2 7 , so unmißverständlich weist er sogleich darauf hin, daß die Vernunft und das natürliche Recht dazu gänzlich unfähig sind. Mit scharfen, an die Obrigkeitsschrift erinnernden Worten 1 2 8 stellt er unter Berufung auf Psalm 2 die normale fürstliche Herrschaft dem von Gott selbst inspirierten Regiment als einer geschichtlichen Ausnahmesituation gegenüber: „Alle Könige und Fürsten, wenn sie der natur und der höhesten Weisheit folgen, müssen Gottes feinde werden und sein wort verfolgen... W o aber ein König oder Fürst oder Adel ist, die sich mit ernst (ja mit ernst, sage ich) umb Gott und sein wort annemen, die magstu. wol für Wunderleute Gottes halten und seltzam wilpret im Himelreich heissen." 1 2 9 Daß das Wort Gottes nicht aus fürstlicher Vernunft gefördert werden kann, verdeutlicht Luther auch mit einem zeitgeschichtlichen Argument. In den zurückliegenden zehn Jahren ist das wiederentdeckte Evangelium so deutlich und reichhaltig gepredigt worden, daß andere Zeiten, ja auch Davids Reich dagegen zurückbleiben. Und doch halten sich so viele Fürsten noch immer von diesem offenkundigen Bekenntnis zum reinen Wort Gottes fern, weil sie von Gott nicht erwählt sind. Das entschuldigt sie aber nicht. Denn sie müssen doch das Ihrige tun, keinesfalls aber dürfen sie den Lauf des Wortes Gottes hindern 1 3 0 . Die Förderung des Gottesdienstes in Davids Reich hat zur Voraussetzung, daß er auch für sich selbst und in seiner unmittelbaren Umgebung für ein Leben unter dem Wort Gottes einsteht. Das ist die zweite Tat in seinem geistlichen Regiment. N u r wenn das eigene gelebte Beispiel an seinem H o f mit seinem Gebot übereinstimmt, kann eine segensreiche Wirkung von der Regierung auf das ganze Land ausgehen. Welche heimtückischen Widerstände gegenüber einem gottesfürchtigen Regenten sich jedoch gerade hier, in der nächsten U m gebung des Fürsten, bei seinen Räten auftun, zeigt Luther in einer ausführlichen Hofkritik 1 3 1 . Mit alttestamentlichen und reichsgeschichtlichen Beispielen macht er deutlich, wie besonders fromme Herrscher ohnmächtig und blind den treulosen, falschen Räten ausgeliefert sind und sie selbst noch befördern müssen: „Es ist jnn gmein der Könige und Fürsten (sonderlich der fromen) die aller grösseste plage, das sie müssen untrewe, falsche, böse buben zum grössesten herrn im lande nicht allein leiden, sondern auch setzen und machen wie David 126

2 1 6 , 2 2 ff.

127

2 1 7,4-6.

128

Vgl. W A 1 1 , 2 6 7 , 3 0 - 2 6 8 , 1 4 .

129

W A 5 1 , 2 1 7 , 1 0 - 1 2 und 2 5 - 2 7 .

2 1 7 , 4 0 - 2 1 8 , 11. 1 3 1 Es ist der erste zusammenhängende Abschnitt einer Hofkritik in dieser Psalmauslegung, der weitere folgen. „Und wer kan die list und bosheit des loblichen gesindes zu H o f e und auff den Empten e r z e l e n ? . . . " (219, 3 9 - 2 2 2 , 8). 130

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

den Ahithophel, Salomo Eder E s e r . " 1 3 2 N u r die von Gott selbst inspirierte Tat, nicht aber das eigene Vermögen auch der gottesfürchtigen Regenten vermag sich gegen die „Hofschranzen" durchzusetzen. In solcher geschichtlichen Einkleidung hält diese Hofkritik auch der kursächsischen Regierung unter Johann Friedrich einen aktuellen, kritischen Spiegel entgegen. Wenn Luther am Schluß betont, daß jeder nach seinem Vermögen nachfolgen solle, „Ausgenommen, das ers ja nicht besser mache denn David und solch lied ja nicht höher singe" 1 3 3 , so wird er die Problematik der Thronfolge des Jahres 1532 und das Verhältnis Johann Friedrichs zu dem „kursächsischen David", Kurfürst Friedrich den Weisen, mit im Blick gehabt haben. Aus dem Wortlaut des 2. Psalmverses „Ich handle vorsichtig und redlich bei denen, die mir z u g e h ö r e n . . . " leitet Luther eine weitere „Wundertugend" Davids ab, der für die Psalmauslegung insgesamt und für ihre Wirkungsgeschichte im älteren Luthertum eine besondere Bedeutung zukommt. Sie lautet: „Warte des deinen, und was dir befolhen ist. Denn es ist ein gemein laster und schedliche untugend jnn aller weit, jnn allen Stenden, Wenn die gen Hofe kompt, ist sie auch nicht viel nütze, Und heisst auff Griechisch Polypragmosyne, Viel zu schaffen haben, da nichts befolhen ist, Und da lassen, da viel befolhen i s t . . . Ich wils die weil Faulwitz nennen" 1 3 4 . Das Geschäftigsein in fremden Sachen versteht Luther als Frucht der Erbsünde, allen Menschen angeboren 1 3 5 . Somit findet sich dieses Übel in allen drei Hauptständen, in der politia, ecclesia und oeconomia 1 3 6 , insbesondere auch unter den Kriegsleuten. Aber nicht auf die allgemeine Verbreitung dieses Unwesens hebt Luther letztlich ab, sondern vor allem auf die rechte Zuordnung der Aufgaben im geistlichen Amt und bei der weltlichen Obrigkeit. Mit dem Treiben des „Junker Faulwitz" hat Luther vorrangig die verhängnisvolle Vermischung des Geistlichen und Weltlichen in den oberen Ständen vor Augen, darum zeigt sich auch sein Unwesen gerade im Regiment und am H o f : „Und das ich am höhesten anfahe: Der Bapst, Bisschove und das gantze Bapstum solt wol des Euangelion und der seelen warten, So haben sie hie den faulen schelmen im rücken, mfisten dafür weltlich regirn, krieg ffiren, zeitlich reichthum suchen, Und das thun sie gern und sind klug. Widerumb, weltliche Könige solten des regiments warten, dafür musten sie jnn der kirchen stehen, Messe hören und gantz geistlich sein, Wie sie denn jetzt sich mengen jnn des Euangelion sache, verbieten, was Gott geboten hat, als beider gestalt des Sacraments, die Christliche freiheit, die Ehe, des Bapsts exempel nach." 1 3 7 N u r ein demütiger Regent wie David, der sich des Seinen mit Fleiß und Gehorsam annimmt, kann dem Faulwitz entgegentreten. 132

220, 3 1 - 3 4 .

133

221, 35 f. 222,15-21.

134 135 136 137

222,21-27. Sie folgen in dieser Reihe nacheinander. 222, 2 8 - 2 2 4 , 2. 222,28-35.

Das geistliche und weltliche Regiment

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Wenn Luther auf Davids geistliches Regiment als Beispiel für Fürsten im Kampf gegen den Faulwitz hinweist, dann ist dieses schon hier in einem wesentlichen Gesichtspunkt charakterisiert und vor einem Mißverständnis zu schützen. Denn Davids Sorge um Gottes Wort, seine cura religionis, vollzieht sich im Dienst und Gehorsam gegenüber seinem Gebot, nicht als ein Herrschen und Gebieten 138 . Im geistlichen Regiment eines gottesfürchtigen Regenten sind die geistlichen und die weltlichen Rechte und Pflichten nicht miteinander vermengt, ebenso nicht im weltlichen Regiment, vielmehr stehen beide Regimente im Gehorsam unter Gottes Wort, aus dem sich ohne Faulwitz das jeweils angemessene Handeln ergibt: „Gehorsam ist aller tugent kröne und ehre, Aber wenn faulwitz drinnen erfunden wird, so hat sie der melthaw oder (wie es Jsaias nennet) der faulregen verderbet 139 , und werden eitel Suddeler, Hümpeler, Söker draus, die viel verseumen und niemand nichts zu liebe oder danck machen noch thun können." 140 So steht hinter dieser besonderen Gabe Gottes in Davids geistlichem Regiment, daß er sich des Seinen annimmt, das Thema der Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regimentes. So wenig sich ein gottesfürchtiger Regent mit seinem geistlichen Regiment in die Befugnisse des geistlichen Amtes der Prediger einmischt, so wenig ist es diesen geboten, sich der weltlichen Regierung anzunehmen 141 . Doch auch diesen Abschnitt über den Faulwitz wird Luther nicht ohne kritischen Blick auf die neuen Verhältnisse am kursächsichen Hof geschrieben haben. In der Finanzwirtschaft geht es verschwenderisch zu: „Sie heben einen leffel und zutreten eine schfissel... da man einleffelt und ausscheffelt, macht grosse rechnung, da sie dem Könige einen gülden erfromet haben, der mus alle ohren und äugen füllen, wie gros rat da gestifft sey. Aber da viel tausend gülden dafür sind verfaulwitzt, da krehet kein han nach." 142 Diese Verschwendung am Hof wird in einer Tischrede aus dem Herbst 1533 dem klug-sparsamen Regiment Kurfürst Friedrichs des Weisen gegenübergestellt 143 . Die beiden Psalmverse 3 und 4 geben Luther Anlaß, ausführlich über den Kampf des geistlichen Regimentes gegen die listigen und offenkundigen Feinde des Wortes Gottes am Hof zu handeln. Am Beispiel Davids zeigt er, wie der Gehorsam gegenüber Gottes Wort eine ständig zu erneuernde Treue und Wachsamkeit verlangt, die sich von dem persönlichen Vorbild des Regenten ausgehend auf alle Räte am Hof und schließlich auf das ganze Reich erstrecken müssen. N u r mit Hilfe einer besonderen Gabe Gottes kann es gelingen, wenn den in weltlichen Angelegenheiten so nützlichen und geschickten Ratgebern 138

Vgl. den Abschnitt 239,31-240,6. Es ist wohl an die Stelle Jesaja 18,4 gedacht. 140 2 24, 10-14. Vgl. Spr. Sal. 26,10. 141 224,14-24. 142 223, 30-35. Die sprichwörtliche Redensart von dem Löffel und der Schüssel war sehr verbreitet, ebenso „einleffeln" und „ausscheffeln". 143 WATr i ; 653, vgl. Abschnitt 2., Anm. 48. 139

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

entgegengetreten wird, weil sie sich heimlich oder öffentlich gegen das Wort Gottes stellen 144 . Luther läßt freilich keinen Zweifel, daß die Regierung eines frommen Regenten niemals ohne gottlose Räte sein kann 1 4 5 , vielmehr weiß er, daß gerade darum „ein fromer König und Herr ein elender mensch ist, für den man wol billich beten sol." 1 4 6 Mit dem Bild der Hummeln und Bienen geißelt er scharf, daß sich am Hof immer wieder die schalkhaften, unnützen Günstlinge der Fürsten gegenüber den treuen, fleißigen Ratgebern durchsetzen und sie aus ihren Plätzen verdrängen 1 4 7 . Die Sorge Luthers vor dem zu großen Einfluß der adligen Höflinge im Regiment Johann Friedrichs, wie sie sich vor und nach dem Thronwechsel 1532 in den Tischreden niederschlägt 148 , bildet den Erfahrungshintergrund für diese Hofkritik. Der kritische Blick auf die eigene Regierung macht deutlich, wie gerade das geistliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten wachsam sein muß: „Denn der teuffei feyret und schleift nicht, also mus das geistlich regiment warlich auch nicht feyren noch schlaffen, Sonst ists verloren." 1 4 9 Diese Wachsamkeit im geistlichen Regiment richtet sich nicht nur nach außen, gegenüber den falschen Räten, sondern betrifft vor allem auch die selbstkritische Hörbereitschaft der Regenten, weil fromme Diener zumeist unbequeme Ratgeber sind. „Frome diener können offt nich alles billichen, was die Herrn furnehmen und mfissens widderraten... Und die warheit da zu unangeneme ist, und niemand sich gern straffen lesst." 1 5 0 Bei den gottlosen Königen haben die Heuchler und Lügner erst recht freies Spiel. Den alttestamentlichen Beispielen für Abgötterei stellt Luther in der Gegenwart den Kampf des Papsttums gegen Gottes Wort und Werk gegenüber 1 5 1 . Besonders im Anschluß an Vers 4 übt Luther scharfe Kritik an den „Jungherrn Papisten", sie wissen um ihre Lügen und gehören somit in das Reich des Antichrists 1 5 2 . Diese Papstkritik mit ihrer endgeschichtlich-eschatologi-

1 4 4 „Denn es haben oft die Gottlosen von Gott viel schöner, hoher gaben und geschickligkeit zu weltlichen Sachen, der man nicht wol emperen kan im hause oder im regiment, gegen welche die fromen nicht können schuler s e i n . . . D a r u m b , w o ein herr oder hauswirt solche nutzliche diener sol hassen und lassen, mus er gewislich ein Lewen hertz haben und ein wunder man jnn G o t t s e i n . . . " (226,26-29;40-42). 1 4 5 „Denn jnn der weit gehets also zu, sonderlich zu Herrn hofe, das wenig Naeman oder Joseph, sondern viel Ahitophel und Ziba da sind." (227, 8f.). 1 4 6 227,29 f.

147

2 28, 1-16.

Z . B . WATr 2, 1564, vgl. Abschnitt2., A n m . 4 2 . Hier heißt es sehr ähnlich von den adligen Günstlingen in einer sprichwörtlichen Wendung, von denen erst das Jüngste Gericht befreien wird: „Inn des müssen wir leiden, das die laus im grinde sich dicke weide und im alten peltz auff steltzen gehe." (228, 31 f.). 1 4 9 231, 15f. 1 5 0 230, 16-19. 151 229,24-38. 1 5 2 233, 14-38. 148

Das geistliche und weltliche Regiment

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sehen Dimension 153 zielt aber nicht nur auf das Papsttum selbst, sondern insbesondere auf den Mißbrauch der durch Luther und die Reformation erwirkten Freiheit vom päpstlichen Zwang aufseiten der geistlichen und weltlichen Herren: „Denn nu sie des Bepstlichen Zwangs und seiner manchfeltiger betriegerey los sind worden, dencken sie auch vollend frey und los zu sein von allem Gottes gehorsam und dienst, wolten auch wol gern aller weltlichen recht und Ordnung frey sein... Und sfichen, ja brauchen auch solcher freiheit vom Bapst, die am aller meisten, als Bisschove, Fürsten, Thumbheren, Adel, so andere leute mit grosser gwalt unter dem Bapst halten wollen, Denn sie umb alle Bepstliche lere nicht ein strohalm geben." 154 Die so beschriebene Frivolität führt zur grundsätzlichen Kritik am „Welschen regiment", das Luther nun von der italienischen Renaissance auf Deutschland übergreifen sieht 155 . Solchem Abfall von Gottes Gebot in Lehre und Leben stellt Luther wiederum das geistliche Regiment Davids als Beispiel gegenüber. Zu seinen Aufgaben gehört nicht nur die äußere Ermöglichung, sondern auch die aktive Beförderung des Wortes Gottes, worin der Kampf gegen die „Rottengeister" und Gotteslästerer eingeschlossen ist: David hat „allen fromen, trewen, rechten lerern nicht allein erleubt räum, freiheit, fried, schütz, schirm und Unterhaltung gegeben, Sondern auch allenthalben her für gesucht, gefoddert, beruffen, verordnet und befolhen, das wort Gottes rein und lauter zu predigen und Gotte rechtschaffen zu dinen." 156 Unter Berufung auf Jesus Sirach 10,2 hebt Luther erneut auf die Notwendigkeit des persönlichen Vorbildes des Regenten bei der Förderung und Ausbreitung des Wortes Gottes ab, womit freilich auch der Wandel oder gar Abfall von dem begonnenen Werk bei der Thronfolge eine häufige geschichtliche Erfahrung ist 157 . Mit einem eindringlichen Appell an alle Verantwortlichen, besonders an die Regenten, sich doch um der Jugend willen um Schulen und Pfarrer anzunehmen, endet der 1. Teil der Psalmauslegung 158 .

153 Von den „Jungherrn Papisten" heißt es: „Aber vor dem ende der weit und bis auff den Jüngsten tag mus der teuffei solche heiligen haben und Christum damit zwingen, das Jungst gericht deste ehe zu halten." (233, 36-38, vgl. auch 236, 7-19). Luther hat den Gedanken häufig vertreten, daß der Teufel das Kommen des Jüngsten Gerichts beschleunigen werde, so z. B. in einem Brief an Staupitz vom 27.6. 1522, WABr 2,567, 35 f. 154 235,29-36. 155 236,20-26. 156 234, 18-22, vgl. auch 235, 10-15. - Diese Aufgabenbeschreibung des geistlichen Regiments durch Luther entspricht durchaus der cura religionis der weltlichen Obrigkeit im orthodoxen Zeitalter. 157 2 34, 39-23 5 , 4. 158 237, 15-36.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

c) Der Unterschied und die Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regimentes Am Beginn des 2. Teiles seiner Homilie 1 5 9 über den 101. Psalm stellt Luther die Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regimentes in einer kurzen, zusammenfassenden und in sich geschlossenen Weise dar. Wir sehen in diesem Abschnitt die theologische Mitte und Hauptintention der Schrift 1 6 0 . Die grundsätzliche Reflexion Luthers über die zwei Reiche bzw. Regimente darf freilich nicht losgelöst von der ganzen Psalmauslegung gesehen werden, vielmehr bekommt diese gerade erst im Zusammenhang mit der konkreten Darstellung von Davids geistlichem und weltlichem Regiment, d.h. des sich darin manifestierenden Handelns Gottes in der Geschichte, ihr eigentliches Gepräge. Indem Luther hier eigens die Zäsur und die Zuordnung der beiden Teile der Schrift bedenkt, d.h. deutlich macht, wodurch das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten voneinander unterschieden und aufeinander bezogen ist, kommt - von diesem besonderen geschichtlichen Beispiel ausgehend - die Thematik des Verhältnisses der beiden Regimente Gottes in einer allgemeingültigen Dimension zum Ausdruck. Auch sonst ist der methodische Ausgang von Luthers sog. Zweireiche- bzw. Regimentenlehre stets geschichtlich-konkret, nicht spekulativ-abstrakt, d.h. von den irdischen „Vollzugsorgangen" des Schwertes oder Wortes bzw. der weltlichen und geistlichen „Oberkeit" ausgehend, kommt er auf das geistliche und weltliche Regiment Gottes zu sprechen 1 6 1 . Das Besondere an der Auslegung des 101. Psalms ist jedoch, daß das geistliche und weltliche Regiment, wodurch Gott auf je verschiedene Weise wirken will, hier in der Person Davids zusammenliegen 1 6 2 . Sind damit die beiden Regimente so weit aufeinander bezogen, daß ihre Unterscheidung kaum noch faßbar wird 1 6 3 ? Welche Gestalt gewinnt Luthers Verhältnisbestimmung der beiden Reiche in einer Zeit, in der sich die Konsolidierung der Reformation mit Hilfe des landesherrlichen Kirchenregimentes vollzieht 1 6 4 ? Wie sieht Luther konkret das Verhältnis von Obrigkeit und Predigt1 5 9 Mit diesem Begriff kommt man dem formalen Charakter dieser von Vers zu Vers fortschreitenden Psalmauslegung wohl am nächsten. 1 6 0 2 3 8 - 2 4 5 , 1 0 . Man wird diesen Abschnitt zu den zentralen Texten für Luthers Zweireichebzw. Zweiregimentenlehre rechnen müssen, dem neben den entsprechenden Stellen aus „Von weltlicher Obrigkeit", „ O b Kriegsleute..." und den Wochenpredigten über Mt 5 - 7 keine geringere Bedeutung zukommt. 1 6 1 E s sei nur auf folgende Stellen verwiesen: „Von weltlicher Obrigkeit", W A 11, 249ff. und in der Kriegsleuteschrift, W A 1 9 , 6 2 9 . 1 6 2 Auch in der Auslegung des 82. Psalms sieht Luther in ähnlicher Weise weltliche und geistliche Ordnung eng aufeinander bezogen ( W A 3 1 I, 183 ff.). 1 6 3 F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen, spricht bei der Auslegung des 101. Psalms von einer Schrift, „in der Luther im allgemeinen die beiden Reiche sehr eng einander zuordnet." (40, A n m . 9 2 ) . Lau betont auf diesem Hintergrund den sich auch hier zeigenden, je verschiedenen Abstand der beiden Reiche von Gott, 38 ff. 164

Vgl. G.Müller, Luthers Zwei-Reiche-Lehre in der deutschen Reformation, in: Denkender

Das geistliche und weltliche Regiment

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amt in der „geschichtlichen Verschwisterung der beiden Reiche in der Christenheit" 165 ? In welchem Maße gewinnen andere Vorstellungen neben der Thematik der beiden Reiche bei Luther Gewicht, in denen er von mehreren Regimenten bzw. Ständen spricht? Insbesondere wäre hier an das Miteinander von Kirche und Welt in Form der drei Stände oder Hierarchien zu denken 1 6 6 . Die Antworten auf diese Fragen haben nicht nur für das Verstehen von Luthers Auslegung des 101. Psalms erhebliches Gewicht, sondern auch für die Weiterwirkung dieser Schrift im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie. W i r wenden uns nun diesem Mittelteil der Psalmauslegung mit dem Versuch einer textimmanenten Interpretation zu. Denn nur, wenn der Gedankengang im Gesamtrahmen der Schrift fortschreitend wahrgenommen und bedacht wird, wird man die Intentionen Luthers einigermaßen aufnehmen und ihnen gerecht werden können 1 6 7 . Mit einem Rückblick und Vorausblick stellt Luther die beiden Teile des Psalms, d. h. Davids geistliches und weltliches Regiment, in der von ihm vorgenommenen Zweiteilung einander gegenüber. Schon am Anfang der Auslegung von Vers 2 hat er den ganzen Psalm in dieser Doppelheit strukturiert 1 6 8 , jetzt aber erhält die Einteilung erst ihre spezifische Prägung. Denn nun nennt Luther die beiden geschichtlichen Gestaltungsorte für das geistliche und weltliche Regiment Davids: die Kirche und das Rathaus. David hat mit dem Beispiel seines geistlichen Regimentes „frome Könige und Fürsten... recht und Christlich zur kirchen gefüret," damit sie „mit rechtem ernst und geist, die reine lere und Gottes Ordnung erhalten zu nutz der seelen Seligkeit." 169 Das weltliche Regiment aber soll zeigen, „wie ein from Fürst solle unter den leuten oder unterthanen handeln, einen iglichen für des anderen gewalt und frevel schützen, Glaube. Festschrift Carl Heinz Ratschow, Berlin 1976, 4 9 - 6 9 , 55 f. und die älteren Arbeiten von K. Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit; K. Holl, Luther und das landesherrliche Kirchenregiment und H . - W . Krumwiede, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments. 1 6 5 So eine Formulierung von F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen, 59. Vgl. W . Maurer, Die Entstehung des Landeskirchentums in der Reformation. 1 6 6 W . Maurer, Luthers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund. (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte, Jg. 1970, Heft 4), München 1970. - Bei dem Abschnitt über den „Faulwitz" dienten die drei Stände zur Beschreibung der Gesamtheit der Menschen, vgl. 222, 2 8 - 2 2 4 , 2 , s.Abschnitt b„ A n m . 9. 1 6 7 Es ist ja eine allgemeine, nicht nur auf diese Schrift bezogene Problematik in der verwirrenden Fülle der Interpretationen zu Luthers Zweireichelehre, daß die Stellen aus den verschiedensten Schriften weitgehend nur atomistisch herangezogen werden. 1 6 8 216, 1 2 - 1 5 . Der Blick Davids auf sich selbst und auf seine Nächsten in der je verschiedenen Verantwortung vor G o t t ist dabei das gewiß vom Text des Psalms nur notdürftig zu legitimierende Einteilungsschema. A b e r die Unterscheidung coram deo und coram hominibus („Christperson" und „Weltperson") ist für Luthers Zweireichelehre insgesamt grundlegend. Das hat vor allem Gerhard Ebeling in seinen zahlreichen Beiträgen zum Thema der Zweireichelehre Luthers herausgestellt. Es sei hier nur auf sein Buch „Luther. Einführung in sein Denken", hingeweisen, Tübingen 1 9 6 4 , 2 1 9 ff. 169

238,5-11.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

zum recht helffen und dabey erhalten, und füret jn auff das rechte Rat haus." 1 7 0 Mit diesen Formulierungen gibt Luther vor allem eine geschichtliche Ortsbestimmung für das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten. Man wird ihnen aber auch schon einen Hinweis auf das näher zu bestimmende inhaltliche Verhältnis zwischen obrigkeitlicher Kirchenpflege und Predigtamt sowie auf die allgemeine Verhältnisbestimmung zwischen der Verkündigung des Wortes Gottes und staatlicher Rechtsordnung entnehmen können. Das Hinführen zur Kirche im geistlichen Regiment versteht Luther als Erhaltung und Beförderung der reinen Lehre und der Ordnung Gottes, d. h. des rechten Gottesdienstes und des ihm entsprechenden Lebens. Ein Hineinregieren in die Kirche, d.h. die Vermischung der beiden Regimente in ihrer geschichtlichen Ausprägung, legt sich hier ebenso wenig nahe wie die kirchliche Bevormundung der im weltlichen Regiment zu leistenden Aufgaben. So ist es nicht unvermittelt, wenn Luther nach diesem Eingang einen längeren Abschnitt folgen läßt, in dem er den Unterschied der beiden Regimente scharf herausstellt 171 . Seit den zwanziger Jahren hat sich diese Erkenntnis und ihre Begründung endlich allgemein verbreitet, wie Luther erleichtert feststellt: „Es ist, Gott lob, nu aller weit wol offenbar gnug, wie die zwey regiment sollen unterscheiden sein. Denn auch das werck an jm selbs solch unterscheid reichlich gnug anzeigt, wenn schon kein gebot noch verbot von Christo darüber gethan were. Denn wir sehen ja wol, das Gott die weltliche herrschafft oder königreiche unter die Gottlosen strewet auff das aller herrlichst und mechtigest, gleich wie er die liebe Sonne und regen auch über und unter den Gottlosen lesst dienen, Und doch kein Gottes wort noch dienst unter sie stifftet... Dennoch heisst er solch weltlich regiment der Gottlosen seine Ordnung und geschepffe und lesst sie des selben misbrauchen, so ubel sie können, Dar aus man ja greiffen mus, das Weltlich reich ein anders ist und on Gottes Reich sein eigen wesen haben kan." 1 7 2 Nicht vom Schriftwort geht Luther diesmal unmittelbar aus 1 7 3 , sondern von einer Wirklichkeitserfahrung, die das Handeln Gottes in Geschichte und Schöpfung reflektiert. Die von Gott geschaffene und unter seiner fortdauernden Erhaltung stehende Weltwirklichkeit ist damit in ihrer göttlichen Würde qualifiziert, auch ohne daß sie von ihm mit einer besonderen Stiftung oder Weisung bedacht ist 1 7 4 . Vor allem kann diese im Schöpferhandeln Gottes gründende göttliche Würde der weltlichen Ordnungen nicht durch menschlichen Mißbrauch beeinträchtigt werden. Auf die vorfindliche Herrlichkeit und Mächtigkeit des „weltlichen Regiments der Gottlosen" hebt Luther hier insbesondere 238,12-15. 238,16-239,30. 1 7 2 238,16-29. 1 7 3 Wie in der Obrigkeitsschrift, WA 11, 247, 21 ff. Ein sachlicher Unterschied in der Argumentation ist damit jedoch nicht gegeben. 174 Vgl. über die Göttlichkeit der Ordnungen F. Lau, „Äußerliche Ordnung", 12ff. und die dort aufgeführten zahlreichen Belege aus Luthers Werken. 170

171

Das geistliche und weltliche Regiment

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ab, im zweiten Teil der Psalmauslegung wird dieser Aspekt noch weiter verstärkt. Nur von der göttlichen Würde aus, d.h. von dem Zugehörigsein zu Gott selbst, kann das weltliche Regiment bestehen und „sein eigen Wesen haben", nie jedoch aus sich selbst heraus. In der Schöpferwirklichkeit Gottes gründet somit das Besondere des weltlichen Regimentes, in dem Gott trotz der Sünde und des Mißbrauchs seiner Ordnungen durch die Menschen weiter mit ihnen handelt 175 . Damit zeigt aber auch schon die Schöpfungs- und Erhaltungsordnung Gottes in Natur und Geschichte den Unterschied an, mit dem Gott sein geistliches Reich von dem weltlichen scheidet. Denn das Kennzeichen derer, die zum geistlichen Reich gehören, ist nicht irdische Herrschaft und Macht, sondern Elend und Armut auf Erden 1 7 6 . Mit einem geschichtlichen Beispiel versucht Luther das gleichzeitige Widereinander der beiden Reiche deutlich zu machen, indem er die Regierung des Kaisers Nero dem Wirken Christi durch die Apostel Petrus und Paulus in Rom gegenüberstellt 177 . Dabei ist allerdings die A r t und Weise dieses Gegenübers zu beachten: hier Herrschaft und Macht in der Welt ohne Gotteswort - und doch nicht aus der Wirklichkeit Gottes als Schöpfer und Erhalter entlassen - , dort völlige Ohnmacht und irdisches Scheitern bis zum gewaltsamen Tod. Der dynamische Kampf und die apokalyptisch-eschatologische Perspektive, die Luthers Unterscheidung der beiden Reiche seit den frühen zwanziger Jahren insgesamt charakterisiert 178 , kommt in dieser Psalmauslegung aus der Mitte der dreißiger Jahre nicht weniger deutlich zum Ausdruck: „Noch waren zur selben zeit beide Reich zu Rom, Eines regirt der Keiser Nero wider Christum, Das ander Christus durch seine Apostelen Petrum und Paulum wider den teuffei. Und zu warzeichen, das Sanct Petrus und Paulus nicht zu Rom im 175 In seinen verschiedenen Psalmauslegungen nach 1530 betont Luther den schöpfungstheologischen Aspekt im Zusammenhang mit den zwei Reichen besonders stark, z.B. In Ps 1 und 82. Damit kommt das Positive der Erhaltung Gottes im weltlichen Regiment gegenüber der Eindämmungsordnung gegen die Sünde (Obrigkeitsschrift) stärker zum Ausdruck. E. Kinder hat auf denselben Tatbestand in seiner Arbeit über die weltliche Obrigkeit im 4. Gebot aufmerksam gemacht: „Wenn Luther die,weltliche Oberkeit' auch sonst meist negativ als,Anti-Sünden-Ordnung' begründet, als Anordnung Gottes, die den zerstörerischen Auswirkungen der Sünde von außen her entgegen wirkt, um die Menschheit trotz der Sünde zu bewahren, so liegt doch eben darin im Grunde das Positive der Erhaltung überhaupt! Gottes ,weltliches Regiment' i s t . . . Gottes unter der Sünde der Menschen weitergehendes Schöpferhandeln mit ihnen." (E. Kinder, Luthers Ableitung der geistlichen und weltlichen ,Oberkeit' aus dem 4. Gebot, in: Reich Gottes und Welt, 227).

238,30-32. 238,34-239, 7. 178 Zu der theologischen Kritik an dem angeblichen Mangel an eschatologischer Spannung in Luthers Zweireichelehre haben schon F. Lau, Luthers Lehre, und P. Althaus, Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, in: Reich Gottes und Welt, 120ff. das Nötige gesagt, d.h. vor allem aus den Quellen diese Kritik zurückgewiesen. Man wird aber auch im Anschluß an diese älteren Arbeiten die eschatologische Dimension in Luthers Zweireichelehre noch viel stärker und vor allem im Kontext seines ganzen sog. reformatorischen Wirkens betonen müssen, vgl. H . A. O berman, Martin Luther - Vorläufer der Reformation, in: Verifikationen. Festschrift für Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag, hg. von E.Jüngel, J. Wallmann, W . Werbeck, Tübingen 1982, 91-119. 176 177

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Reich regirten, ward der eine gecreutziget, der ander geköpfft. N u ist das ja kein regiment anfahen auff erden sich lassen creutzigen und köpffen. Widerumb zu warzeichen, das Nero nicht regirte im Reich Christi, lies er als ein feind solchs Reichs die ubersten Ffirsten des selben Reichs, Sanct Peter und Paulen hin richten, als werens seines weltlichen reichs feinde." 179 Dieses, schon für sich selbst sprechende Zeugnis für die Verschiedenheit der beiden Reiche, wie es Schöpfungswirklichkeit und geschichtliche Erfahrung anzeigen, wird freilich erst vollends klar durch das Wort Christi. Mit Lk 22,25 f. und Mt 8,20 stellt Luther die irdische Ohnmacht und Schutzlosigkeit Christi und der ihm Nachfolgenden heraus 180 . Der wesentliche Unterschied zwischen dem Reich Christi und dem weltlichen Regiment besteht in der Unabhängigkeit von allen innerweltlichen Sicherungen sowie in der Unvergänglichkeit auf der einen und in der Gebundenheit an die irdischen Lebensgesetze und ihre Vergänglichkeit auf der anderen Seite. Somit legt Luther mit diesem neutestamentlichen Zeugnis den Akzent auf die eschatologische Dimension des Reiches Christi auf Erden, die auch schon durch das geschichtliche Beispiel betont wurde. Am Schluß seiner wiederholten Herausstellung des Unterschiedes der beiden Reiche bringt sich Luther selbst ins Spiel, indem er sein immer wieder neu notwendig werdendes, unentwegtes Festhalten an dieser einmal erkannten Wahrheit als einen Kampf mit dem Satan versteht. Denn der Satan ist es, der die beiden Reiche durcheinandermischt und damit Chaos in Gottes Schöpfung bringt. Wie sehr Luthers Eintreten für die Unterscheidung der beiden Reiche mit seinem Selbstverständnis als Prediger des wiederentdeckten Evangeliums zusammenhängt, dessen Ausbreitung der Satan verhindern will, macht dieser Grundzug in Luthers Denken und Wirken deutlich 181 . Es ist auffallend, wie stark er sich gerade auch in diesem „Regentenspiegel" ausdrückt. In einer Zeit, in der die Kirchenvisitationen und das landesherrliche Kirchenregiment schon eine geschichtliche Wirklichkeit für die reformatorische Bewegung waren, ist offenbar der eschatologische Horizont in Luthers Kampf für eine rechte Unterscheidung der beiden Regimente nicht verblaßt 182 . Auch die konkrete Auswir179 238, 38-239, 7. Der hier anklingende (aber nicht mehr!) augustinische Dualismus zeigt an, wie stark Luther auch in dieser Zeit das apokalyptisch-eschatologische Motiv in seiner Unterscheidung der beiden Reiche betont. Die erhebliche Distanz Luthers zu Augustins Weltdeutung wird aus dem vorangehenden Abschnitt über das weltliche Regiment wie aus der ganzen Schrift deutlich. Vgl. zu Augustin und Luther im Zusammenhang der Zweireichelehre E. Kinder, Gottesreich und Weltreich bei Augustin und L u t h e r . . . , in: Reich Gottes und Welt, 40-69; H . Bornkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen, in: ebd., 165-195, bes. 179ff. •so 239,8-21. 181 Schon in der Obrigkeitsschrift begegnet der Gedanke, daß die Mischung der beiden Regimente das Werk des Teufels ist (WA 11, 270,3 f.). In dieser Psalmauslegung wird der Kampf des Satans gegen Gottes Wundermänner und das geistliche und weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten immer wieder hervorgehoben, z.B. 211, 6 f.; 245, 5-10. 182 Darauf macht besonders auch H . A . Oberman aufmerksam, Martin Luther - Vorläufer der Reformation, aaO., 111 ff.

Das geistliche und weltliche Regiment

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kung dieses Kampfes für die regierenden Herren in der klaren Anweisung der Zuständigkeiten im geistlichen und weltlichen Regiment hat nichts von ihrer Schärfe eingebüßt. So sehr Luther sich schon bei Kurfürst Johann und jetzt bei seinem Sohn Johann Friedrich für die Visitationen einsetzte 1 8 3 und die Regenten damit bei ihrem Herrschaftsauftrag behaftete, nicht nur Ordnung im weltlichen, sondern auch im geistlichen Regiment herbeizuführen, so sehr geht es ihm auch jetzt nach wie vor um den Kampf gegen die satanische Vermischung der beiden Regimente: „Ich mus jmer solch unterscheid diser zweier Reich ein blewen und ein kewen, ein treiben und ein keilen, obs wol so offt, das verdrieslich ist, geschrieben und gesagt ist. Denn der leidige teuffei höret auch nicht auff diese zwey Reich jnn einander zu kochen und zu brewen. Die weltlichen herrn wollen jns teufels namen jmer Christum leren und meistern, wie er seine kirche und geistlich Regiment sol fuhren. So wollen die falschen Pfaffen und Rottengeister nicht jnn Gottes namen jmer leren und meistern, wie man solle das weltliche Regiment ordenen, Und ist also der Teuffei zu beiden Seiten fast sehr unmfissig und hat viel zu thun. Gott wolt jm weren, Amen, so wirs werd sind." 1 8 4 Wie verhält sich jedoch diese grundsätzliche Reflexion über den Unterschied der beiden Reiche bzw. Regimente zu dem Zeugnis des Psalms und Luthers Auslegung? Liegt nicht gerade hier, in der Person und dem Wirken Davids, das geistliche und weltliche Regiment ineinander? Indem Luther diesen naheliegenden Einwand seiner Gegner direkt aufgreift und beantwortet, kommt das theologische Hauptmotiv in seinem Denken über die zwei Reiche, ihre Unterscheidung und Zuordnung, zum Ausdruck: die Achtung vor der Gottheit Gottes und der Gehorsam gegenüber dem 1. Gebot. Uber aller gegliederten Ordnung in Gottes Schöpfung, in der das Herrschen und Gebieten der Erhaltung dieser Ordnung dient, gilt es, die einzige „Oberkeit" Gottes als des Schöpfers und Erlösers anzuerkennen, der gegenüber alle Menschen in allen Ständen als „Unterkeit" im Dienst und Gehorsam einander zugeordnet und verbunden sind: „Es mus ja alle vernunfft, auch wol ein kind von sieben jaren sagen, das Gebieten und Gehorsam sein sey zweierley, gleich wie auch Herrschen und Dienen zweierley sind. Denn das Eine heisst Oberkeit, das Ander mügen wir heissen U n t e r k e i t . . . N u werden wir müssen Gott unsern herrn lassen sein die einige Oberkeit über alles, was geschaffen ist, Und wir alle gegen jm sein (wöllen wir nicht mit lieb, so müssen wir mit leid) eitel unterkeit, da wird (Gott lob) nicht anders aus." 1 8 5 Aus dieser, die Gottheit Gottes achtenden 1 8 3 Zur Vorgeschichte und Geschichte des landesherrl. Kirchenregiments s. die Arbeiten von H . W . Krumwiede und H . Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, 4 2 5 - 4 4 2 , sowie I. H ö ß , The Lutheran Church of the Reformation: Problems of its Formation and Organization in the Middle and N o r t h German Territories, in: The Social History of the Reformation, hg. von L. P. Buch; J. W . Zophy, Columbus, Ohio 1972, 3 1 7 - 3 3 9 .

184 2 3 9 , 2 2 - 3 0 . ' 8 5 239, 3 9 - 2 4 0 , 4 .

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Grundunterscheidung zwischen Gott und Menschen als creator et creatura, die dem Unterschied zwischen den zwei Reichen bzw. Regimenten Gottes gedanklich vorausliegt, kann sich nur eine gemeinsame Perspektive ohne Rangstreit untereinander ergeben: Dank, Gehorsam und Dienst gegenüber Gott als dem Herrn über alle. Weder mengt sich ein Prediger in weltliche Herrschaft, wenn er in seinem Amt die Regenten zu Gottesfurcht und Achtung seiner Gebote auffordert. Denn „das gantz geistlich Regiment (ist) nichts anders denn ein dienst gegen der Göttlichen O b e r k e i t . . . " 1 8 6 Noch greift ein Fürst in die Autorität des Wortes Gottes eigenmächtig ein, wenn er zur Gottesfurcht und zum Hören dieses Wortes aufruft. Denn er ist „nicht ein herr des selben worts, Sondern ein Diener" 1 8 7 . Die an die Adelsschrift erinnernde Herausstellung der Gemeinschaft aller an Gott Glaubenden und ihm Dienenden 1 8 8 , die den Unterschied zwischen Klerikern und Laien, zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt in der Christenheit hinter sich gelassen hat, unterstreicht Luther hier noch einmal mit deutlichen und bildhaften Worten: „Denn gegen Gott und im dienst seiner Oberkeit sol alles gleich und gemenget sein, es heisse geistlich oder weltlich, der Bapst so wol als der Keiser, der herr als der knecht, Und gilt hie kein unterscheid noch ansehen der person. Einer ist ffir Gott so gut als der a n d e r . . . Darumb sollen sie alle jnn gleichem gehorsam und gar jnn einander gemenget sein wie ein kuche und alle einer dem andern helffen gehorsam sein." 1 8 9 Solcher gemeinsame und einander zugeordnete Dienst kann niemals zum Aufruhr führen. Aber das eigenmächtige Herrschen und Gebieten zerstört immer erneut die Ordnung in Gottes Schöpfung 1 9 0 . Aus dieser Ursünde kommt das Ineinanderwerfen des geistlichen und weltlichen Regiments: „Wenn die hohen geister oder nase weisen gebietlicher und herrlicher weise wöllen das weltlich Recht endern und meistern, so sie desselben keinen befelh noch Oberkeit haben weder von Gott noch von menschen. Also auch wenn geistliche oder weltliche Ffirsten und herrn gebietlicher, herrlicher weise wollen Gottes wort endern und meistern, selbs heissen, was man leren und predigen solle, so jnen das eben so wol verboten ist als dem geringsten bettler." 1 9 1 Gerade diese zweite Art der Vermischung der beiden Regimente durch fürstliche Selbstherrlichkeit hat Luther in seinem „Regentenspiegel" besonders im Blick. Denn die Gefahr des Herrschens über das Wort Gottes und des Gebietens gegen seine ausdrücklichen Weisungen betrifft nicht nur die altgläubige, sondern auch die sich zur Reformation bekennende Obrigkeit. Die Wunderleute Gottes unter den Regenten sind zu allen Zeiten selten 192 , auch in der eigenen 186 187 188 189 190 191 192

2 40, lOf. 240,15. W A 6 , 4 0 7 , 1 0 f f . ; 408, 8 f f . 240, 1 7 - 2 3 . 240,23-26; 39-241,3. 240,28-34. Vgl. 2 1 7 , 1 9 - 3 1 .

Das geistliche und weltliche Regiment

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Gegenwart und erst recht in der Zukunft 1 9 3 . Als grundsätzliche Warnung vor einer solchen Verkehrung des Regiments spricht Luther an Hand seines Beispiels David von der Möglichkeit der Bevormundung des Wortes Gottes durch die weltliche Obrigkeit 1 9 4 . Dies ist bei einer durch das Evangelium wieder zu ihrem eigenen Recht gekommenen Obrigkeit jedoch schon gefahrvolle Wirklichkeit: „Es ist die weit ein distel kopff, wo man den selben hin keret, so reckt er die Stachel über sich. Ehe denn unser Euangelion kam, wüste niemand von der Oberkeit (wie sie ein guter stand were) zu predigen. Nu si durchs Euangelion gepreiset und erhöhet ist, wil sie auch über Gott und sein wort sein und gebieten, was man predigen und gleuben sol. Widerumb strafft man sie, So sol es auffrur heissen." 1 9 5 So ist die Wirklichkeit der Welt, in der die Vermischung der beiden Regimente niemals aufhören wird bis zum Jüngsten Tag. Und dennoch beschließt Luther diese grundsätzliche Reflexion mit der Gewißheit, an der einmal erkannten Wahrheit festzuhalten und in der Zuversicht: „Gott wird doch solchs gemenge nicht leiden..." 1 9 6

d) Das weltliche

Regiment

Bevor die Psalmauslegung im Anschluß an Vers 5 mit der ersten Tugend Davids im weltlichen Reich fortfährt, kommt Luther eigens auf die allgemeine Bedeutung des weltlichen Regimentes in der Geschichte Gottes mit den Menschen zu sprechen 197 . Nach der Hervorhebung des Unterschiedes zwischen geistlichem und weltlichem Regiment wird nun deutlich, daß solche Unterscheidung nicht zu einer Trennung des Geistlichen und Weltlichen in der geschichtlichen Wirklichkeit führen kann. Denn es ist die eine, nicht in zwei Bereiche aufzuteilende Wirklichkeit, in der Gott auf eine zweifache Art und Weise handelt: im geistlichen Regiment durch das gepredigte Wort und im weltlichen Regiment durch die Ordnungen im menschlichen Gemeinschaftsleben 1 9 8 . So sehr Luther den Unterschied in diesem Doppelaspekt immer wieder betont, so sehr geht es ihm doch stets um die göttliche Wirksamkeit in beiden Regimenten. Luthers Zweireichelehre ist insgesamt so konzipiert, „daß das 1 9 3 Vgl. die Vorrede zur Auslegung des 82. Psalms ( W A 31 1 , 1 8 9 , 2 1 - 1 9 0 , 3 6 , bes. l t « 3 ) u n d d i e Predigt am 23. Sonntag n . T r . vom 4. November 1537 ( W A 45, 254, 31 ff.). - Zur Aufnahme der Vorhersagen Luthers über das „Kaiserliche Papsttum" im älteren Luthertum s. die Untersuchung von M . Kruse, Speners Kritik, 5 3 - 5 7 . 194

241,21-28.

195

2 46, 3 - 8 .

196

241,29. 241,31-245,12.

197

1 9 8 Die zwei Grundaspekte des geistlichen und weltlichen Regiments Gottes in einer und derselben Wirklichkeit im Gesamtrahmen von Luthers theologischem Denken hat m. E. immer noch am klarsten G.Törnvall, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther, München 1947, 117 ff. herausgearbeitet. Auch seine Auseinandersetzung mit Troeltschs Lutherdeutung hat nach wie vor Aktualität.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

weltliche Reich zu seinem Bestand eigentlich keine Christen braucht, weder unter den Oberherren noch unter den Untertanen." 1 9 9 Aber damit sind die im weltlichen Regiment zusammengefaßten Ordnungen in der Welt nicht sich selbst überlassen, oder auch nur aus der Perspektive des christlichen Glaubens entrückt, vielmehr ist Gott als der Herr der Geschichte auch hier der entscheidend Handelnde, ohne dessen Wirken die Welt ins Chaos stürzen müßte. Daß das weltliche Regiment für Luther göttliche Wirksamkeit ist, kommt in dieser Schrift über den 101. Psalm besonders deutlich zum Ausdruck. Das ist auffallend. Denn daß gerade in dieser Psalmauslegung so ausführlich darüber gehandelt wird, legt sich weder vom Wortlaut des Psalms noch von der Grundintention in Luthers Auslegung nahe: das Regiment eines gottesfürchtigen Regenten am Beispiel Davids ausführlich darzustellen. Aber diese Darstellung ist offenbar nicht so angelegt, daß die Herrschaft eines christlich-frommen Regenten nur in den engen Grenzen eines konfessionell abgeschlossenen Landeskirchentums denkbar wäre 200 . Vielmehr rückt Luther das Regiment der Heiden, ihre Vernunft, Klugheit und Erfahrung in der Welt in ein so positives Licht, daß gerade ein christlicher Fürst in der Regelung der weltlichen Angelegenheiten nicht wenig von ihnen lernen kann: „Denn Gott ist ein milder, reicher herr, der wirfft gros Gold, Silber, Reichtum, Herrschafften, Königreiche unter die Gottlosen, als were es sprew oder sand. Also wirfft er auch unter sie hohe vernunfft, Weisheit, sprachen, Redekunst, das seine lieben Christen lauter kinder, narren und bettler gegen sie anzusehen sind." „Darumb wer im weltlichen Regiment wil lernen und klug werden, der mag die Heidnischen bücher und schrifften lesen." 201 Luthers Achtung vor der heidnischen Weisheit, wie er sie besonders im vorchristlichen Rom vorfindet 202 , trägt nicht die Spur einer christlichen Abwertung der Welt an sich. Weil das weltliche Regiment eines christlich-gottesfürchtigen Regenten mit derselben Weltwirklichkeit zu tun hat, in der auch das Regiment der Heiden stattfindet, geht es hier wie dort um die Ordnung und Erhaltung der gemeinsamen Lebensgrundlagen. Dazu bedarf es der allgemeinmenschlichen Vernunft, der Gott als Herr der Welt und Geschichte das weltliche Regiment übergeben hat. Denn hier geht es um zeitliche und leibliche Güter, nicht um das ewige Heil der Seelen. Doch vor dieser bekannten Unterscheidung hebt Luther einen Gesichtspunkt hervor 203 , bei dem das weltliche Regiment mit dem geistlichen Regiment Gottes sehr eng zusammen gesehen wird. Das göttliche Handeln im weltlichen Regi199

F. Lau, Luthers Lehre, 59. In diese Perspektive rückt Luthers Auslegung des 101. Psalms im älteren Luthertum fast durchgängig, s. unser II. und III. Kapitel. 242,15-19; 36f. 202 Luther stellt das kaiserliche Recht dem geistlichen Recht gegenüber und übt scharfe Kritik an ihm, 242,20-35. 203 Der Vorrang des Ganzheitsgesichtspunktes im Wirken Gottes vor dem Unterscheidungsgesichtspunkt bei der Übertragung des weltlichen Regiments an die menschliche Vernunft kommt auch durch das überleitende „Zwar" zum Ausdruck: „Zwar so hat Gott das weltlich Regiment der 200

Das geistliche und weltliche Regiment

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ment, das sich der menschlichen Vernunft bedient, läßt dieses zu einem Vorbild der ewigen Seligkeit und des Reiches Gottes werden: „Denn Gott wil der weit Regiment lassen sein ein furbild der rechten Seligkeit und seines himelreichs gleich wie ein gauckel spiel oder larven, Darin er auch seine grossen Heiligen lauffen lesst, einen besser denn den andern, aber David am aller besten." 2 0 4 Die Geschichtsanschauung im Zusammenhang der Wunderleute Gottes, die sich hier wieder zeigt, bringt den Ganzheitsgesichtspunkt zwischen weltlichem und geistlichem Regiment Gottes deutlich zum Ausdruck. Auch im weltlichen Regiment geht es um eine benedictio oder sanctitas, in der Gott seine Propheten, Apostel und Prediger hat 2 0 5 . Ohne den qualitativen Unterschied zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit in der Zielrichtung des weltlichen und geistlichen Regimentes zu verwischen, ist das weltliche Regiment kein „Vorhof" für das „eigentliche" Wirken Gottes in seinem geistlichen Regiment. Eine solche Voroder Nachordnung beider Regimente liegt Luthers Denken fern. In beiden Regimenten bedarf es vielmehr der Wunderleute Gottes, in denen Gott selbst tätig ist, so daß sie sich nicht der eigenen Kraft, sondern nur der Gabe Gottes rühmen können 2 0 6 . So können die heidnischen Helden auf dem politischen und geistigen Feld ¡Herkules, Alexander, Augustus oder Homer, Cicero und Äsop neben den frommen König David treten. Neben seinem weltlichen Regiment stehen die „Weltregenten" und „Weltweisen", die in dem Regentenspiegel nicht weniger zu ihrem Recht kommen, weil sich auch an ihnen Gottes Wirken in der einen Weltwirklichkeit bekundet. Auch sie sind von Gott in besonderer Weise inspiriert, ohne es jedoch zu wissen, so daß sich eine Strukturähnlichkeit der Wirksamkeit Gottes in seinem heiligen Volk und bei den heidnischen Völkern erkennen läßt: „Denn gleich wie Gott jnn seinem heiligen volck nicht alle gleich Propheten oder gelert macht noch gleich hoch begabt, So hat er auch unter den Heiden die edle steine nicht so gemein gemacht wie die kiesling auff der gassen, Sondern jnen auch selten einen feinen Held gegeben, wie er noch jmer fort also thut." 2 0 7 vernunfft unter worffen und befolhen, weil es nicht der seelen heil noch ewiges gut, sondern allein leiblich und zeitlich guter regieren sol, welche dem menschen Got unterwirfft." (242, 1-4). 204 241,39-42. 2 0 5 „Und ist mein gedancken, das Gott darumb gegeben und erhalten habe solche Heidnische bucher als der Poeten und Historien, Wie Homerum, Virgilium, Demosthenem, Livium Und hernach die alten feinen Juristen..., das die Heiden und Gottlosen auch haben solten jre Propheten, Aposteln und Theologen oder Prediger zum weltlichen Regiment." (242, 40-243, 3). Ohne auf Luthers Auslegung des 101.Psalms hierbei einzugehen, stellt G.Törnvall fest: „Es kann... nicht genug beachtet werden, was es für Luther bedeutet, daß geistliche und weltliche Macht zwei benedictiones oder sanctitates sind. Dies bedeutet, daß die beiden Regimente in erster Linie nicht in soziologischer Bedeutung gefaßt werden dürfen. Sie sind nicht zwei soziologische Funktionen einer höheren Einheit, sondern sie sind von einer religiösen Grundanschauung aus geprägt." „Die weltliche Ordnung hat... für Luther eo ipso religiös-ethischen Inhalt." (aaO., 134). 244,16-19. 2 44, 10-14. Luther übersieht bei diesen „Helden" ihre Sünden und Laster nicht, wovon aber auch die „Heiligen Gottes" nicht verschont sind (243, 26-28). 206

207

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

Ist somit das weltliche Regiment aller in der Welt tätigen und Verantwortung tragenden Menschen in seiner Ganzheit herausgestellt, so rückt das weltliche Regiment der christlichen Fürsten dennoch in eine besondere Perspektive. Denn da sie zugleich Gott dienen und die Menschen regieren müssen, ist ihnen der Satan mehr als den heidnischen Regenten feind. Gottes Kraft muß darum ganz besonders in ihnen wirksam sein. Das eigentlich Charakteristische an dieser Argumentation Luthers ist aber nicht die größere Feindschaft des Satans gegenüber dem geistlichen und weltlichen Regiment eines christlich-gottesfürchtigen Regenten, sondern die satanische Gegenmacht gegen alle weltliche Ordnung überhaupt. Damit kommt noch einmal das weltliche Regiment insgesamt als Ordnung Gottes und göttliche Wirksamkeit zum Ausdruck: „Denn wie wol der Teufel auch der Heiden weltlich regiment feind und wider ist, So hasset er doch viel grewlicher der Heiligen Gottes regiment auff erden... Und er lesst auch nimer mehr davon bis an den Jüngsten tag, da er ein mal auff hören mus." 2 0 8

e) Luthers

Hofkritik

Erst nach diesem Aufweis des weltlichen Regimentes als göttliche Schöpfungswirklichkeit bringt Luther seine Kritik an einigen zentralen Lastern am H o f zum Ausdruck. An erster Stelle steht hier das heimliche Verleumden, das „furnemest laster und ubel zu H o f e " 2 0 9 , dessen Bekämpfung auch Davids erste Tat im weltlichen Regiment ist. Unter Anspielung auf die zeitgenössische satirische Dichtung 2 1 0 und die antike griechische Literatur und Sage 211 zeichnet Luther ein plastisch-humorvolles Bild von Herrschern und Hofbeamten, die den Schmeichlern und Verleumdern zum Opfer gefallen sind. Dabei kommt ihm auch die eigene Versuchung und Erfahrung zu Hilfe, denn die falsche Zunge als das Kampfmittel der Verleumnder gibt es im geistlichen wie im weltlichen Regiment: „Denn ich sehe, das im weltlichen regiment auch Ketzer und Rotten geister sind, die nicht mit dem schwert (denn da sind sie viel zu verzagt), sondern mit der Zungen fechten und kriegen." 2 1 2 Das „schöne Ketzlin, genant Adulatio, gemalet zu Hofe, das den Fürsten und Herrn auff dem maule °8 245, 5-10. 2 47, 18. 2 1 0 „Der schändliche Niemand hats getan", 246, 23f. Die schalkhafte, neu belebte Gestalt des „Niemand", die auf den Homerischen Ohne, zurückgeht, begegnet bei verschiedenen Schriftstellern derZeit, am bekanntesten ist Ulrich von Huttens Schrift „Nemo", 1518. 2 1 1 Zu 246, 30-247, 8. Momus, der personifizierte Tadel. Die hier gemeinte Erzählung steht bei dem griechischen Schriftsteller Lucian (2.Jahrh. p. Chr.), in der Schrift Hermotimos 20. Zu 248, 6-22: Herkules, der der Heiden David gewesen ist, d. h. ein Wundermann, der aber auch wie David seine Schwächen zeigt: der spinnende Herkules im Weiberrock, von dem Lucian „Wie man Geschichte schreiben soll" solche alte Abbildungen erwähnt, bei denen Herkules von der Omphale, Königin in Lydien, mit dem Pantoffel geschlagen wird. (Pantoffelheld!). 2 ' 2 247, 33-35. 2

209

D a s geistliche und weltliche Regiment

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trumpelt" 2 1 3 , beschreibt Luther sowohl mit Hilfe der heidnischen Dichter wie mit biblischen Beispielen, vor allem mit dem Königtum Davids selbst. Auch David ist in seinem weltlichen Regiment von diesem Hauptlaster am H o f betroffen, weil alles Regieren in der Welt nichts anderes sein kann als das Flicken eines brüchigen, immer wieder aufreißenden Pelzes 2 1 4 . Nicht eine höhere moralische Qualität zeichnet das weltliche Regiment Davids gegenüber anderen weltlichen Regimenten aus, sondern das Wissen um den von der Sünde beherrschten, krankhaften Zustand aller Formen menschlichen Zusammenlebens. In dieser nüchternen, illusionslosen Wirklichkeitswahrnehmung tut David das Seine, d. h. er bekämpft dort, wo er es sieht und kann, das offenkundig gewordene Übel der Verleumdung. Damit gibt er ein Beispiel für alle Regenten, das nicht seine eigene Stärke zeigt, sondern den von Gott getriebenen, hohen Mut, geht es doch besonders um die Verleumder in den höchsten Amtern 2 1 5 . Die zerstörerische Kraft der Verleumdung kommt aus seiner Wurzel, dem Neid, so daß Luther in dem Hofjunker „Neidhart" nicht ein einzelnes Laster beschreibt, sondern alle aus der menschlichen Ursünde der Selbstsucht entstehenden Folgen, „den gantzen bäum mit allen seinen esten und früchten." 2 1 6 Einen eigenen Abschnitt in der Beschreibung des weltlichen Regimentes Davids - im Anschluß an Vers 5 b - widmet Luther dem Stolz und Hochmut in den Regimenten. Sogleich nimmt er die sozialen Auswirkungen dieser Herrscherwillkür in den Blick. Die persönliche Eitelkeit ist zwar gerade auch in den höheren Ständen ein weitverbreitetes Übel, doch der Hochmut im Herrscheramt betrifft sofort die Untertanen, die unter solcher Tyrannei zu leiden haben. Am Beispiel Davids gilt es zu sehen, daß Fürst und Hofbeamten sich von selbstüberhebender Willkür fernhalten und die Demut als eine Wundertat Gottes erkannt wird. Wie sehr Luther das weltliche Regiment von personalen Beziehungen bestimmt sieht, macht ein Vergleich mit dem Haus- oder Ehestand deutlich: „Es ist das weltlich Regiment gleich wie ein haus regiment oder Ehestand. D a findet man vierley unterscheid: Die erst, das sie sich beide, man und weib, lieb haben. Die ander, das sie beide ein ander feind sind. Die dritte, das der man sein weib lieb hat, und sie jm feind ist. Die Vierde, das die fraw den man liebt, und er ist jr gram." 2 1 7 Das Bild zweier aufeinander angewiesenen Menschen, die nur in gegenseitiger Liebe für- und miteinander bestehen können, bringt in seiner Übertragung auf das Verhältnis zwischen Fürst und Land die Kritik an der tyrannischen Willkür im weltlichen Regiment besonders 248,23 f. „Wer einen bösen Peltz hat, der wird nicht alle locher zu pletzen, viel weniger allen newen locher wehren können. Es bleibt wol dabey, Wo ein ungesunder leib ist, das daselbs auch blättern, eiter und ander unflat auch sey. Regiment aber ist ein solcher bettler peltz und blatterichtes kind, das die bockein und masern hat. D a r u m b müssen drinnen etliche frome Joseph, Naeman, Nathan, Zadoch sein, die es bey dem leben und wesen erhalten, das nicht gar zu grund gehe." (249,29-35). 213 214

215 216 217

250,9-15. 250,17f. 252, 15-19.

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

deutlich zum Ausdruck. Für alle vier Versionen gibt Luther geschichtliche Beispiele, denn dieser Vergleich zielt auf die Beurteilung der geschichtlichen Wirklichkeit, die in der ersten Form die bestmögliche und in der zweiten die schlechteste ist. Für Luthers Verständnis des weltlichen Regimentes ist aber erst die dritte und vierte Version besonders aufschlußreich. Denn hier greift er nicht nur auf die römischen Kaiser zurück, sondern zur Beschreibung des ungleichen Verhältnisses zwischen einem liebenden Fürsten und einem verstockten Land bzw. zwischen einem bösen Herrn und einem treuen Land wird auf die Wirklichkeit von Gottes eigenem Regiment und auf die unter einer tyrannischen Herrschaft leidenden Kinder Gottes verwiesen 218 . Wenn auch der Fürst in seiner liebenden Fürsorge bei den Menschen keine Gegenliebe findet, so soll er dennoch darin nicht nachlassen, denn in Gottes werbender Liebe um sein Volk hat er ein Gleichnis für den Langmut des Herrn aller Herren und den endlichen Sieg der Gerechten. Nach der ersten ist diese dritte Form des Verhältnisses zwischen Fürst und Volk für Luther die allerbeste. Das weltliche Regiment rückt in dieser personalen Beziehungsperspektive wiederum ganz nahe an das Geschichtshandeln Gottes. In der vierten Version sieht Luther vor allem den übermütigen Spott einer päpstlichen bzw. bischöflichen Obrigkeit über fromme Untertanen abgebildet. Der Kampf gegen die Tyrannei im weltlichen Regiment bezieht sich insbesondere auch auf die Hofbeamten. Mit Hinweisen auf Römer 13 und das Magnifikat hebt Luther noch einmal den Dienstcharakter gegenüber Gott in allem obrigkeitlichen Handeln hervor und bekräftigt seine kritische Unterscheidung zwischen Amt und Person aus der Schrift über die weltliche Obrigkeit von 1523: „Göttlich und recht sind die ampt, beide der Fürsten und Amptleute, Aber des Teufels sind sie gemeiniglich, die drinnen sind und brauchen. Und ist ein Fürst wilpret im himel, so werden freilich auch die Amptleute oder Hofegesinde viel mehr wilpret drinnen sein." 219 Wo aber finden sich die gerechten und treuen Diener, ohne die das weltliche Regiment eines gottesfürchtigen Regenten nicht bestehen kann? Im Anschluß an Vers 6 spricht Luhter wieder besonders in die Situation am kursächsischen Hof Johann Friedrichs hinein. Seine Kritik am Müßiggang der adligen Hofbeamten erinnert an das Laster des Faulwitzes, das nun in der Perspektive des weltlichen Regimentes die mühevolle Arbeit in den Regierungsgeschäften bedroht. Denn anstatt sich diesen zu widmen, ist der Adel am Hof nur allzu leicht geneigt, sich einem schwelgerischen Leben hinzugeben: „Ja, die Hof ehre, wirde, gewalt und höhe wolten sie wol gern haben, Aber die Hofe mühe und erbeit wollen sie nicht mit einem finger anrüren... Die Regiment wollen nicht auff dem polster ligen und rügen oder hinder dem ofen sitzen wie ein faulfressiger, schlefferiger rüde. Sie wollen geerbeitet haben... Denn Hofe gaul und 218 2,9

252, 31-253, 19. 254,10-13.

Das geistliche und weltliche Regiment

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Hofe maul ist gut zu sein, Aber Hof esel zu sein, ist mfihe und erbeit, unlust und uberdrus. Gleich wol wo Hof Esel thet, so würde Hofe gaul und H o f e maul nicht so uberflüssig fressen, sauffen, müssig gehen und spielen." 2 2 0 Die Wurzel für dieses ausschweifende, für die eigentlichen Regierungsaufgaben untaugliche Verhalten vieler Hofbeamten sieht Luther in der Erziehung der jungen Adligen 2 2 1 . Mit seiner kritischen Mahnung, den Adel von früh an durch gelehrte Studien auf die Regierungsarbeit vorzubereiten, setzt er einen Maßstab für das Leben und Wirken am H o f , auf den sich viele spätere Hofprediger berufen 2 2 2 . Die Thematik der Diener im Regiment Davids gibt Luther aber nicht nur Anlaß zur Kritik an ungelehrten adligen Hofbeamten, sondern hier zeigt sich auch sehr deutlich sein Traditionsbewußtsein in der Bewertung der politischen Angelegenheiten. Die Hoffnung auf eine Verbesserung des weltlichen Regimentes durch eine Auswechslung von Personen anderen Standes bedeutet eine trügerische Hoffnung, da Ändern und Bessern stets zweierlei sind. „Eines stehet jnn der menschen hende und Gottes verhengen, Das ander jnn Gottes henden und gnaden." 2 2 3 Luthers tiefe Abneigung vor „Änderungen der Regimente" gründet in seinem Vertrauen auf das freie, die Welt erhaltende Geschichtshandeln Gottes. Nicht durch die Vorzüge eines besonderen Standes oder die Reformpläne der „Meister Klüglinge" kann das weltliche Regiment erhalten und verbessert werden, sondern nur durch geduldiges Ausbessern eines alten bösen Pelzes, das dem immer erneuten, nicht erlahmenden Heilen eines Kranken durch den Arzt entspricht. Daß aus solcher Sicht nicht Resignation für die Situation des weltlichen Regimentes folgt, macht Luthers ganze Psalmauslegung deutlich. Ja, er bekennt sogar mit nicht geringem Selbstbewußtsein: „Wie wol mich auch zu weilen dünckt, das die Regiment und Juristen wol auch eines Luthers dürfften. Aber ich besorge, Sie möchten einen Müntzer kriegen. Denn Gott achtet nicht so gros das weltliche Regiment als sein eigen ewiges der Kirchen Regiment, darumb ich nicht hoffen kan noch wil, das sie einen Luther kriegen werden." 2 2 4 Durch einen schwärmerischen Geist wie Thomas Müntzer, der durch Veränderung im weltlichen Regiment auf eine grundlegende Erneuerung hofft, wird gerade das stetige, konkrete Raten und Helfen unmöglich, auf das doch alle Regierungen angewiesen sind. Wenn Luther hervorhebt, daß Gott das weltliche Regiment nicht so hoch achtet wie das geistliche, dann ist doch die göttliche Erhaltung der Regierungen und das Handeln Gottes an den regieren256,10-25. „Ich hab wol offt meinen jamer |esehen, welch gar feine, wol geschaffene von leib und seele unter dem jungen Adel ist, wie die schonen jungen beumlin, Und weil kein Gärtner da war, der sie zohe und verwaret, sind sie von Sewen zu wulet und jnn jrem safft verlassen und verdorret... Es ist aber jmer schade, das unter solchen Sewen solche feine menschen sollen zu tretten werden. Es schadet gleich wol dem gantzen Regiment, beide landen und leuten, wo die jugent verderbet wird." (256,36-257,4). 2 2 2 S. unser II. und III. Kapitel. 2 2 3 258,23f. 2 2 4 2 5 8 , 7-12. 220 221

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

den Personen das allein Entscheidende in der Politik: „Darumb gibt er offt Weisheit und tugent einem eddel man, die er dreien Fürsten nicht gibt, Und einem Bürger, das er sechs eddel leuten nicht gibt." „Inn des mag das Regiment, der böse Peltz, ein plumps Regiment bleiben und (die Personat ungemenget) Gott befolhen lassen sein, welchen er wil erfur zihen und erheben." 225 Mit Davids Kampf gegen die Lügner an seinem Hof (Vers 7) stellt Luther die alte deutsche Tugend von Treu und Glauben in den Regimenten heraus, die es zu erhalten und zu fördern gilt, weil nur auf dem Fundament des persönlichen Vertrauens und der Gültigkeit eines gegebenen Wortes ein Gemeinwesen erhalten werden kann. Aus eigener Erfahrung berichtet er von der Feindschaft und dem Zorn Friedrichs des Weisen und seines Bruders Johann gegenüber den Lügnern am kursächsischen Hof 2 2 6 , womit auch dem jetzt regierenden Kurfürsten Johann Friedrich der Weg einer auf Treu und Glauben beruhenden Politik eindeutig vorgegeben ist 227 . Luther hebt damit die ältere deutsche und insbesondere die kursächsische Politik von einer durch die Grundsätze der Staatsräson bestimmten politischen Denkweise deutlich ab, die von Italien nun auch nach Deutschland einzudringen droht. Seine Kritik an den politischen Intrigen in „Welschland" und an der Kurie in Rom wirkt in der Folgezeit im Luthertum noch lange fort, wo es gilt, sich gegen die Herrschtsansprüche des fürstlichen Absolutismus im Geist der Staatsräson zur Wehr zu setzen 228 . Der letzte Vers des Psalms gibt Luther Anlaß, noch einmal die Grundintention seiner Ratschläge und Mahnungen für die Regierung eines gottesfürchtigen Regenten herauszustellen. Die Aufdeckung der Sünden der Herrschenden und der Laster am Hof will Luther nicht als Lasterkatalog verstanden wissen, dem mit einer moralischen Regimentstugendlehre begegnet werden könnte. In allem konkreten Eingehen auf die besonders am kursächsischen Hof drohenden Gefahren geht es Luther um die Totalität der Bedrohung des geistlichen und weltlichen Regiments durch Gottlose und Übeltäter, die David alle vertilgen will. Scharf stellt Luther diesen Kampf Davids heraus: „Summa, Alle, Alle, Alle Gottlosen..., Alle ubertretter rotte ich aus. Das ist, ich leide weder Gottlosen im geistlichen Regiment noch ubelthetter im weltlichen." 229 Dieser Kampf läßt keinen „frommen Rest" übrig, in allen Ständen ist die Sünde der Gottlosigkeit und der frevelhaften Tat gleichermaßen groß. Am Ende seiner Auslegung des 225

2 5 5 , 37-39 ; 257,31-33. 2 59, 10-15. 227 Der weitere Fortgang seiner Politik im Schmalkaldischen Bund und die Katastrophe von 1547 zeigen ihn als einen Fürsten, der sich dieses Grundsatzes bewußt geblieben ist. Dagegen steht sein Vetter Moritz von Sachsen in der durch Machiavelli begründeten Politik der Staatsräson, vgl. H . Bornkamm, Kurfürst Moritz von Sachsen. Zwischen Reformation und Staatsräson, in: Das Jahrhundert der Reformation, Göttingen 1961,225-242. 228 Hier sei vor allem auf die Regentenpredigt des Hofpredigers Joachim Lütkemann in der Mitte des 17. Jahrhunderts verwiesen, s. unser Kapitel VI. Es ist zu vermuten, daß Luther mit dieser Kritik auch die verschiedenen Bündnispläne Landgraf Philipps von Hessen mit im Auge hat. 229 260,36-38. 226

Das geistliche und weltliche Regiment

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101. Psalms kommt die Hoffnung auf die neue Welt Gottes zum Ausdruck: „Aber unsers Herr Gotts rat ist der beste, das er gedenckt himel und erden jnn einen hauffen zu stossen und eine andere newe weit machen, denn diese weit taug nicht, der buben ist zu viel und der fromen zu wenig drinnen. Es wil und kan nirgent fort, wie auch das Vater unser uns leret beten." 230 Mit diesem eschatologischen Gerichtsernst und in dieser nüchternen Weltbetrachtung stellt Luther nun auch den „hoffertigen, rhumrettigen" König David zur Rede 231 . Wie verhält sich seine scharfe Anklage gegen falsche Lehrer und böse Regenten, die im Munde der Prediger als aufrührerisch gescholten und verdammt würde 232 , zur geschichtlichen Wirklichkeit seiner eigenen Herrschaft? Die ganze Armseligkeit dieser von Ehebruch, Mord und Verrat bestimmten Regentschaft Davids hebt Luther am Schluß betont heraus, um noch einmal auf das Besondere dieses uneigentlichen „Regentenspiegels" aufmerksam zu machen: „Lieber David, kom nu daher und rühme uns dein schönes Regiment und lobe Gott dafür. Ist doch des unseligen Herodes regiment nicht viel erger anzusehen oder der Heiden jnn Griechen land." 233 Nicht als moralisches Vorbild und Anleitung zu einer zu Erfolg und Sicherheit führenden Regimentsklugheitslehre ist dieser „Regentenspiegel" konzipiert, sondern als Hinweis auf die Gnade Gottes, unter der alle Regimente in der Welt stehen. An David und seinem Regiment ist in aller irdischen Schwachheit und Schuldhaftigkeit die Gnade Gottes in besonderer Weise wirksam geworden, denn David bekennt sich zu Gott als seinem Richter und gesteht seine Schuld ein. Anstelle des eigenen Rechtes und der Selbstverteidigung singt hier ein Herrscher ein Lob- und Danklied auf die Gnade Gottes, von der er alles in seinem geistlichen und weltlichen Regiment erwartet. Damit gibt David der Gottheit Gottes die Ehre und stellt sich unter das 1. Gebot, als dessen Umschreibung Luther den ganzen 101. Psalm versteht. Das Ernstnehmen des 1. Gebotes im Regiment führt weder in einen Moralismus noch in eine fatalistische Flucht aus der Welt, sondern in den Dienst in der Welt und in ein gutes Regiment, das freilich stets von Anfeindungen gefährdet ist: „Denn wer wol regirn wil oder sol, der wird den Teuffei zu gevattern haben müssen." 234 So lenkt Luther an den Anfang seiner Auslegung zurück mit der Herausstellung, daß ein weltlicher Herrscher „in seligem Stande sein kann" 235 . In dieser Weltlichkeit der Welt, die hier vor der Gottheit Gottes steht und von ihr her ihre Rechtfertigung erfährt, kann aber 230 261, 20-24, vgl. auch schon „Auslegung deutsch des Vaterunsers für die einfältigen Laien", 1519, (WA 2 (74) 80-130). 231 263,9. 232 261, 29-31. Daß man diesen Kampf rechtzeitig führen müsse am Beginn eines Regiments, ist der vom 8. Vers gebotene Anlaß für Luther, darauf näher einzugehen (262, 12-263, 8). Man wird auch hier eine Anspielung auf das neue Regiment Johann Friedrichs annehmen können. 233 2 63 , 24-26. 234 2 64, 6 f. 235 In Anlehnung an die Schrift von 1526: „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können?" (WA 19, (616) 623-662).

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Die Auslegung des 101. Psalms durch Martin Luther

nur so sinnvoll regiert werden, daß die offenkundigen Laster beim Namen genannt werden, auch wenn dies die Regierenden nur schwer ertragen. Mit aller Klarheit stellt Luther heraus: Es „hören warlich Könige und Herrn nicht gern, Hofgesinde viel ungerner, das man sie schilt und als die ungerechten und bösen strafft, weil solchs den ehren zu nahe scheinet." 236 Darum rechnet er auch bei seiner ganzen Psalmauslegung damit, daß sie nur wenigen Leuten gefallen wird und viele Leute daran Anstoß nehmen werden. In der Wirkung seiner Auslegung des 101. Psalms hat sich Luther darin nicht getäuscht 237 . Im Rückblick auf Luthers Auslegung des 101. Psalms stellt sich noch einmal die Frage, in welcher Beziehung sie zu seinen anderen Äußerungen über die Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regimentes steht. Wir greifen diese Frage anhand des kritischen Einwandes auf, den Luther selbst in seiner Schrift den Gegnern in den Mund legt: wie sich seine Unterscheidung der beiden Regimente mit dem Königspriestertum Davids und seiner Auslegung des 101. Psalms zusammenreime 238 . Die Spannung zwischen dem Königspriestertum des Alten Testamentes und seiner Regimentenlehre hat Luther deutlich empfunden. Darum hebt er im Mittelteil seiner Schrift auch so eindringlich auf den Unterschied der beiden Reiche und Regimente ab. Die Lösung dieser Schwierigkeit lag in der Einschärfung des 1. Gebotes und in der paradoxen Aussage, daß David tut, wie Gott geboten hat: „Da ist er nicht ein herr, sondern ein trewer diener seines Gottes, des ehre und herrschaft er untertheniglich sucht." 239 Diese zentrale Aussage in der Schrift über den 101. Psalm steht in inhaltlicher Verbindung zu Luthers Vorrede zu Melanchthons „Unterricht der Visitatoren" von 152 8 240 . Danach soll der Kurfürst die Einsetzung der Visitatoren nicht in Ausübung weltlicher Herrschaftsbefugnisse, sondern als christlicher Bruder aus einer allgemeinen christlichen Verantwortung vornehmen 241 . In Liebe, nicht mit Zwang soll das Visitationswerk geschehen 242 . Aber das schließt nicht aus, sondern gerade ein, daß die weltliche Obrigkeit schuldig ist, „darob zu halten, das nicht zwitracht, rotten und auffruhr sich unter den unterthanen erheben .. ." 243 Die Art und Weise der Unterscheidung und Zuordnung von Liebesamt und landesherrlicher Autorität in Luthers Vorrede zu Melanchthons Visi236

261,35-37. Am Hof Johann Friedrichs hat man offenbar sehr bald die vielen Anspielungen dieses „Regentenspiegels" erkannt und mit kritischer Distanz bedacht, s. die Einleitung WA 51,197-199, 198. 238 2 3 9, 31-36. 239 241, 19 f. 240 WA 26 (175) 195-201. Zur umstrittenen Vorreden-Interpretation und zu dem Verhältnis Vorrede - Instruktion s. H.-W. Krumwiede, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments, 91 ff. 241 WA 26,197,20 f. 242 26,200, 14 ff. 243 26,200,30 f. 237

D a s geistliche u n d weltliche Regiment

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tationsartikeln steht in Analogie zu dem Verhältnis von weltlichem und geistlichem Regiment Davids in seiner Auslegung des 101. Psalms. Schließlich sei auch noch einmal auf die Obrigkeitsschrift von 1523 hingewiesen. Daß Luther nach dem Hauptteil der Schrift, der die Grenzen der Macht weltlicher Obrigkeit absteckt, noch eigens in einem Fürstenspiegel aufzeigt, wie ein Fürst als Christ regieren kann, macht die Verbindung zur Auslegung des 101. Psalms deutlich. Alle vier Dimensionen, mit denen Luther im Fürstenspiegel von 1523 das Regiment eines christlichen Fürsten zusammenfaßt, sind in der Auslegung des 101. Psalms breit entfaltet 244 . Allerdings nun in einer Weise, die die Gattung der Fürstenspiegel transzendiert. Das Regiment Davids, auf das Luther auch im 3. Teil seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" hinweist 245 , ist ihm in seiner Schrift über den 101. Psalm vor allem ein Beispiel für das Wirken Gottes in der Geschichte und für die rechte Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regiments. Wenn wir uns nun dem Obrigkeitsverständnis im älteren Luthertum zuwenden, so begegnen wir einer erheblichen Ausstrahlung von Luthers Auslegung des 101. Psalms. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß nicht Luthers Obrigkeitsschrift von 1523, sonder seine Auslegung des 101. Psalms im älteren Luthertum auffallend stark nachwirkt. Der Grund dafür liegt wohl in der besseren Möglichkeit, diesen „Regentenspiegel" Davids in seinen konkreten Einzelzügen auf das jeweilige Herrscher- bzw. Herrschaftsbild zu übertragen und von hier aus in die jeweilige geschichtliche Situation - kritisch warnend oder bestätigend - hineinzuwirken.

244 245

W A 1 1 , 2 7 8 , 1 8 ff. 1 1 , 2 7 5 , 1 3 ff.

B. Fürstliche Territorialpolitik und theologische Verantwortung am kursächsischen Hof in Dresden in der 2. Hälfte des 16. und im frühen 17. Jahrhundert

II. Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker Als biblische Grundlage für die Lehre von der Obrigkeit und für die Verhältnisbestimmung zwischen kirchlichem Amt und weltlicher Obrigkeit kommt dem 101. Psalm im älteren Luthertum eine zentrale Bedeutung zu 1 . Anhand zweier ausgewählter Beispiele aus der Geschichte der Auslegung des 101. Psalms durch lutherische Theologen in der 2. Hälfte des 16. und in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts wollen wir versuchen, einen Einblick in das spannungsreiche Beziehungsgeflecht zwischen Kontinuität und Wandlung zu gewinnen, das für das altlutherische Obrigkeits- sowie das kirchliche Selbstverständnis dieser Zeit charakteristisch ist. Die Fragen nach Kontinuität und Wandlung im Obrigkeitsverständnis des älteren Luthertums haben ihren orientierenden Gesichtspunkt im Zeugnis desjenigen, in dessen Geist alle lutherischen Theologen den je verschiedenen geschichtlichen Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden versuchen: in Luthers eigenem Obrigkeitsverständnis, wie es besonders in seiner Auslegung des 101. Psalms zum Ausdruck kommt 2 . Die Auslegungsgeschichte des 101. Psalms im älteren Luthertum ist zugleich in hohem Maß Wirkungsgeschichte von Luthers Auslegung des „Regentenspiegels" Davids. Deshalb bietet ein Blick auf die Auslegungsgeschichte gerade dieses Psalms im älteren Luthertum im Gegenüber zu Luthers Auslegung des 101. Psalms eine gute Möglichkeit, den Fragen nach Kontinuität und Wandlung im Verhältnis zwischen Luther und dem nachreformatorischen Luthertum nachzugehen. Und zwar im Rahmen der thematischen Bezüge, die bis heute aktuell umstritten und quellenmäßig noch nicht genügend bearbeitet sind: im Verständnis der Obrigkeit und des kirchlichen Amtes. 1 Neben Psalm 101 sind der 2., 24., 82. und 85. Psalm sowie Jesaja 49,23 fundamentale alttestamentliche Grundbelege für die Lehre von der Obrigkeit im orthodoxen Zeitalter. 2 Unsere Ausführungen zur Auslegungsgeschichte von Psalm 101 im älteren Luthertum im Zusammenhang mit dem Obrigkeitsverständnis von Nikolaus Seinecker und Polykarp Leyser d. A . wollen als ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte Luthers im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie verstanden sein.

Zur Stellung Kursachsens im Reich

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Mit der Auslegung des 101. Psalms durch Nikolaus Seinecker in seinem Psalmenkommentar von 1563 3 begegnen wir einem lutherischen Theologen, der in der Geschichte der lutherischen Theologie und Kirche in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Stellung einnimmt. Sein Name ist vor allem mit der Entstehungsgeschichte des Einigungswerkes in der Zeit der lutherischen Lehrstreitigkeiten verbunden, der Konkordienformel von 1577 und dem Konkordienbuch von 1580 4 . Wir wenden uns im folgenden jedoch jenem Wirkungsbereich zu, in dem Seinecker nach seinem Studium in Wittenberg zuerst tätig war und der für sein ganzes weiteres Wirken wichtig blieb: seinem Amt als 3. Hofprediger am kursächsischen H o f in Dresden unter Kurfürst August.

1. Zur Stellung Kursachsens im Reich und zur Politik Kurfürst Augusts nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 Dem albertinischen Sachsen kam nach dem Schmalkaldischen Krieg und dem Ubergang der Kurwürde von Johann Friedrich auf Moritz jene führende Stellung im Protestantismus zu, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das ernestinische Sachsen eingenommen hatte. Die alten politischen Streitigkeiten zwischen den beiden wettinischen Herrscherhäusern, wie sie sich aus der unglücklichen Teilung des Landes 1485 entwickelt hatten und durch die Wittenberger Reformation auch in einen tiefen religiösen Gegensatz geführt wurden, waren durch die Niederlage Johann Friedrichs gegenüber dem Kaiser bei Mühlberg auf der Lochauer Heide am 2 4 . 4 . 1 5 4 7 und seine Gefangensetzung endgültig zugunsten des albertinischen Sachsen entschieden. Kurfürst Moritz von Sachsen 5 hatte durch seine geschickte Diplomatie und Politik aus dem Geist der Staatsräson in den wenigen Jahren seiner Regierung das Hauptziel aller seiner Unternehmungen schnell erreicht: die Schaffung eines zusammenhängenden, großen Elbstaates. Durch die Erwerbungen des nördlichen und östlichen Teiles des ernestinischen Staats mit der Universität Wittenberg, die Schutzherrschaft über die Bistümer Meißen, Naumburg und Magdeburg und schließlich durch die Eroberung der Stadt Magdeburg, des alten, wichtigen Handelsplatzes an der Elbe, war der Staat der Albertiner schon unter Kurfürst Moritz zu einem bedeutenden Territorialstaat im Deutschen Reich aufgestiegen. Auch der frühe Tod des Kurfürsten nach der Schlacht von Sievershausen am 11. Juli 1553 3 Seinecker hat das umfangreiche Werk in drei Büchern 1563 und 1564 in Nürnberg herausgebracht, vgl. unseren Abschnitt 3, Anm. 52. 4 Vgl. dazu jetzt: Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch. H g . im Auftrag der Sektion Kirchengeschichte der Wiss. Gesellschaft für Theologie von M. Brecht und R. Schwarz, Stuttgart 1980. 5 Vgl. neben dem Aufsatz von H . Bornkamm (s.u. Kap. I, e, Anm. 227) die neuere Arbeit von Karlheinz Blaschke, Moritz von Sachsen. Ein Reformationsfürst der zweiten Generation, Göttingen, Zürich 1983 (Persönlichkeit und Geschichte, Bd. 13).

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker

konnte den Aufstieg Kursachsens im Reich nicht hindern. Im Gegenteil: Gerade dieser letzte Kampf zwischen Kurfürst Moritz und Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach zeigte noch einmal, wie die für das protestantische Deutschland so neuartige, skrupellose Politik des sächsischen Kurfürsten über den Ausbau und die Befestigung der eigenen territorialpolitischen Macht hinauswuchs und von der Verantwortung für das Ganze des Reiches getragen war 6 . Dieses Erbe einer stets auf den eigenen Vorteil bedachten Politik, die die Machtverhältnisse im Reich realistisch einschätzte und die fürstliche Selbständigkeit mit einer Reichs- und Kaisertreue geschickt zu verbinden wußte, hat der jüngere Bruder August mit seinem Regierungsantritt 1553 übernommen und auf seine Weise fortgeführt. Lag schon für Moritz das politische Hauptinteresse in der Verständigung mit den Habsburgern, um die eigene Position zu sichern im Rahmen eines Kräfteausgleichs im Reich, so war der enge Anschluß an die habsburgische Macht erst recht der maßgebende Gesichtspunkt der sächsischen Politik unter Kurfürst August. Verdankte doch Maximilian seine Wahl zum Kaiser vor allem den Bemühungen des sächsischen Kurfürsten 7 . In der historischen Literatur zur sächsischen Geschichte wird die Politik Kurfürst Augusts darum auch zumeist in einer Gegenüberstellung zu dem ihm in der Regierung vorausgehenden Bruder Moritz zu charakterisieren versucht. Gemeinsamkeiten in der politischen Grundkonstellation und Interessenlage sowie die Besonderheiten im Charakter, vor allem aber auch der Hauptunterschied, wie er durch die lange Regierungszeit Kurfürst Augusts gegenüber Moritz gegeben ist, werden damit beleuchtet. C . W . Böttiger schreibt in seiner Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen: „Was Moritz auf seine Weise erworben und an äußerem Glänze seinem Staat hinzuzufügen gewusst hatte, suchte August durch seine weise und friedliche Regierung von innen 6 Vgl. den Bericht über das Sterben Kurfürst Moritz' von Sachsen, den Christoph von Carlowitz an Landgraf Philipp von Hessen sandte, abgedruckt bei M. Lenz, Kleine historische Schriften II, 1920, 76f. H . Bornkamm zitiert daraus Passagen, die die politische Gesamtverantwortung für das Reich aufzeigen. (aaO., 239). 7 Eine neuere Darstellung über Leben und Politik Kurfürst Augusts gibt es leider nicht. Vgl. jedoch zu dem Sohn Christian I. die aus den Quellen gut informierende Arbeit von Thomas Klein, Der Kampf um die zweite Reformation in Kursachsen 1586-1591. Mitteldeutsche Forschungen, hg. von R. Olesch, W.Schlesinger und L.E.Schmitt, Bd. 25, Köln-Graz 1962. Hier auch ein kurzer Überblick über die Regierungszeit Kurfürst Augusts, 1-6. Der Darstellung von Klein folgend s. auch den neuen Bericht von Karlheinz Blaschke, Religion und Politik in Kursachsen 1586-1591, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - Das Problem der „Zweiten Reformation", Schriften des Vereins f. Reformationsgeschichte N r . 195, hg. von H.Schilling, Gütersloh 1986, 79-97. Zu Kurfürst August vgl. die älteren Arbeiten: S. von Birken, Chur- und Fürstlicher HeldenSaal, Nürnberg 1677; C . W . Böttiger, Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen, Bd. 2, 1 ff., Hamburg 1831; C.Gretschel, Geschichte des sächsischen Volkes und Staates, Bd.2, 13ff., Leipzig 1847; O . Kaemmel, Sächsische Geschichte, Berlin und Leipzig 1912; R. Kötzschke, H . Kretzschmar, Sächsische Geschichte, Bd. 2, 12-33, Dresden 1935. Zur Bibliographie und Biographie vgl. R. Bemmann, J.Jatzwauck, Bibliographie der sächsischen Geschichte, Leipzig und Berlin 1918 ff. und Neue Deutsche Biographie 1,448 f.

Zur Stellung Kursachsens im Reich

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heraus zu vereinigen, zu verschmelzen und immer höher emporzuheben." 8 Und auch Thomas Klein hebt die Kontinuität im Aufbau des albertinischen Staats unter beiden Kurfürsten hervor: „Was Moritz von Sachsen in den wenigen Jahren seiner Regierung mit großartigem Schwung und kaum überbietbarer Skrupellosigkeit begonnen hatte, das hatte der Bruder mit Hartnäckigkeit und zäher Stetigkeit zum Abschluß gebracht." 9 Die Andersartigkeit und Neuheit der albertinischen Politik unter den Kurfürsten Moritz und August gegenüber derjenigen des ernestinischen Sachsen kommt besonders im Urteil Gustav Droysens mit deutlich negativer Akzentuierung zum Ausdruck: „Von der schlichten Geradheit jener Ernestiner (gemeint ist Friedrich der Weise und Johann der Beständige) waren sie weit entfernt. Sie verstanden sich meisterlich auf ihren Vorteil, und man wäre in Verlegenheit, wenn man entscheiden sollte, ob Moritz oder August all die Listen und krummen Wege, um zu ihm zu gelangen, besser kannte. Jedenfalls steckte in jenem ein genialerer Zug, und er wagte es auch einmal mit der Kühnheit. Augusts kalter Verstand ging über das Kalkulieren und Finassieren nicht hinaus: er wagte nichts, aber er vergab sich auch nichts; er wußte stets genau, was er wollte und was sich erreichen ließ." 1 0 Dieses Urteil ist vor allem im Blick auf die Außenpolitik Kurfürst Augusts innerhalb und außerhalb des Reiches gesprochen, die mit ihrem ständigen Lavieren zwischen den katholischen Reichsständen und der eine einheitliche protestantische Politik anstrebenden Pfalz als eine „bis zur Charakterlosigkeit praktizierte Schaukelpolitik" 1 1 bezeichnet wird. Demgegenüber werden die Verdienste Kurfürst Augusts in der Innenpolitik stets lobend hervorgehoben, so daß der albertinische Staat unter „Vater" August und „Mutter" Anna mit seiner vorzüglichen Verwaltung als ein Musterbeispiel lutherisch-landesväterlicher Herrschaft im geschichtlichen Urteil fortlebt. Die Grundlage für die Erfolge in der Außenpolitik und die innere Festigung des Staates bildete eine Wirtschaftspolitik, die sich vor allem der Förderung der inländischen Betriebe widmete. Durch verbesserte Produktionsmethoden im Bergbau, den Ausbau der Handelswege mit dem Zentrum Leipzig, das an die oberdeutschen Märkte gut angeschlossen war, die Förderung des Münz- und Forstwesens, durch Ausfuhrverbot von Rohstoffen zugunsten der heimischen Industrie und eine verstärkte Ausnutzung der Kammergüter sowie eine erhebliche Steuerbelastung der Untertanen wurde Kursachsen in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts das wirtschaftlich am meisten entwickelte Land des Nordens 1 2 . Mit den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 (Landesgesetzbücher) schuf Kurfürst August eine Vereinheitlichung Vgl. o. A n m . 7, 5. Vgl. o. A n m . 7 , 1 . 1 0 G. Droysen, Geschichte der Gegenreformation, Leipzig 1934, 82. 1 1 Th. Klein, aaO, 3. 1 2 Vgl. J. Falke, Die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirtschaftlicher Beziehung, Leipzig 1868; O . Kaemmel, Sächsische Geschichte, Berlin und Leipzig 1912. 8

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und sichere Grundlage in der Rechtsprechung, die wegweisend für das Rechtswesen in späterer Zeit wurde 1 3 . Auch auf religionspolitischem Gebiet gilt, was für die gesamte Politik Kurfürst Augusts kennzeichnend ist: der Ausbau und die Festigung der territorialpolitischen Macht durch eine vorsichtig-vermittelnde Haltung zwischen den streitenden Parteien. Der Grund für die schwankende Haltung Augusts in den schwer umkämpften religionspolitischen Streitfragen nach dem Augsburger Religionsfrieden 1 4 liegt jedoch nicht nur in der Sicherung des eigenen Vorteils, dem Streben nach der Hegemonie Kursachsens über das protestantische Deutschland. Seine Religionspolitik ist auch in der Ahnungslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber theologischen Lehrfragen begründet, so daß ihm die unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Theologie zwischen Luther, Melanchthon und Calvin und in der Abendmahlslehre zwischen der C A von 1530 und 1540 verborgen blieben. In seinem Selbstverständnis als lutherischer Fürst fehlte ihm vor allem das innere Engagement in den religiösen Überzeugungen. Hier wird der Unterschied zwischen Kurfürst August und den ernestinischen Kurfürsten zu Lebzeiten Luthers, aber auch zu Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, besonders deutlich. Wie wenig der sächsische Kurfürst die innerprotestantischen Gegensätze wahrzunehmen und in ihnen einen klaren Standpunkt einzunehmen vermochte, zeigt schon seine Haltung auf dem Naumburger Fürstentag von 1561 1 5 . In den langen Verhandlungen, die diesem Konvent der protestantischen Fürsten vorangingen, hatte Kurfürst August seinem ernestinischen Vetter, Herzog Johann Friedrich von Sachsen, in einem Brief die Zusicherung gegeben, daß in Naumburg das Exemplar der Confessio Augustana von 1530 von neuem unterschrieben werden müsse, „weil die vorigen Friedstände und der jetzige Religionsfriede darauf gegründet" seien 1 6 . In Ubereinstimmung 1 3 Vgl. H . Schlette, Die Constitutionen Kurfürst Augusts von Sachsen vom Jahre 1572, Leipzig 1857; R. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 1. Abt. (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Neue Zeit, Bd. 18), München und Leipzig 1880. 1 4 Kurfürst August hat stets auf der strikten Durchführung des Religionsfriedens von 1555 bestanden. Daß die reformierten Stände außerhalb der Bestandsregelungen und rechtlichen Sicherungen blieben, bekümmerte ihn ebenso wenig wie die faktische Ubergehung des Religionsfriedens durch den Erwerb der drei Stifte Meißen, Merseburg und Naumburg und ihre Eingliederung in den Kurstaat. 1 5 Neuere Untersuchungen zum Naumburger Fürstentag existieren leider nicht. Siehe die älteren Arbeiten: H . H e p p e , Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1 5 5 5 - 1 5 8 1 , l . B d . , Marburg 1852,364—405; R. Calinich, Der Naumburger Fürstentag 1561. Ein Beitrag zur Geschichte des Luthertums und des Melanchthonismus, Gotha 1870; G. Droysen, Geschichte der Gegenreformation, Leipzig 1934, 6 2 - 6 8 ; K. Blaschke, Sachsen im Zeitalter der Reformation, Gütersloh 1970 (Schriften des Vereins f. Reformationsgeschichte 185, Jg. 75/76).

In Naumburg anwesend waren: Die Kurfürsten Friedrich von der Pfalz und August von Sachsen, die Herzöge Johann Friedrich von Sachsen, Christoph von Württemberg, Ulrich von Mecklenburg und Ernst von Braunschweig, Landgraf Philipp von Hessen und Markgraf Karl von Baden sowie Graf Georg Ernst von Henneberg. Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, Markgraf Hans von Küstrin, H e r z o g Barnim von Pommern u. a. hatten Gesandte geschickt. 16

A m 11. September 1560, vgl. Calinich, aaO., 83f.

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mit Kurfürst Friedrich von der Pfalz schlug August jedoch gleich auf der ersten Sitzung in Naumburg die Unterzeichnung der Ausgabe der C A von 1540 vor. Die Gründe für die Bevorzugung der C A Variata waren bei beiden Kurfürsten aber bezeichnenderweise verschiedene. Hatte Friedrich von der Pfalz vor allem die Abendmahlslehre des 10. Artikels vor Augen, die ihm nur in der geänderten Fassung von 1540 annehmbar erschien, so votierte August von Sachsen in Unkenntnis der verschiedenen Ausgaben des Augsburgischen Bekenntnisses allein deshalb für die C A von 1540, weil sie die Grundlage für die Visitation der Pfarrer in seinem Land bildete 1 7 . Die Anwesenheit auf dem Naumburger Fürstentag hielt den sächsischen Kurfürsten aber auch nicht davon ab, gleichzeitig Sympathien für den katholischen Landsberger Bund zu hegen. Die geschickte Schaukelpolitik Augusts von Sachsen inmitten der politischen und religiösen Streitigkeiten zwischen den katholischen und evangelischen Reichsständen sowie der innerevangelischen Gegensätze kam besonders auf dem Augsburger Reichstag von 1566 1 8 zum Ausdruck. Kurze Zeit nach dem Naumburger Fürstentag hatte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz die Umgestaltung der Kirche seines Landes im reformierten Sinn eingeleitet 19 . In den Jahren von 1562 bis 1564 war die Pfälzer Kirchenreform in rascher Folgerichtigkeit durchgeführt worden, im Februar 1563 erschien der Heidelberger Katechismus. Die Vorgänge in der Pfalz wurden nicht nur bei den katholischen Reichsständen, sondern auch unter den evangelischen Fürsten - sowohl bei den sich zum strengen Luthertum bekennenden als auch bei der Mehrzahl der die melanchthonische Richtung vertretenden Stände - mit großer Beunruhigung und Argwohn beobachtet. Vor allem Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken, der mit dem Kurfürsten ohnehin in Streit war, und Herzog Christoph von Würt1 7 Vgl. Calinich, aaO., 139. - Gewiß stand Kurfürst August von Sachsen mit seiner Unkenntnis über die verschiedenen Ausgaben der C A unter den Fürsten nicht allein. Die Tragweite der Änderungen vor allem des umstrittenen Abendmahlsartikels übersahen wohl nur Friedrich III. von der Pfalz und sein Schwiegersohn H e r z o g Johann Friedrich von Sachsen. - Schließlich wurde in Naumburg die von Melanchthon besorgte Oktavausgabe von 1531 unterschrieben; von der 1530 dem Kaiser übergebenen Konfession besaßen die Stände keinen authentischen Text mehr. Daneben aber wurde durch eine Vorrede auf die C A Variata von 1540 als eine sinnvolle Erläuterung des Textes hingewiesen. Diese, von den Kurfürsten von Sachsen und von der Pfalz abgefaßte „Präfation", nahmen die meisten Fürsten an, aber die Theologen um H e r z o g Johann Friedrich machten erneut Front gegen diese die Irrlehren nicht verdammende Vorrede. Neben den Ernestinern verweigerten auch einige andere Fürsten die Unterschrift unter den Naumburger Abschied, so daß gegenüber den konziliaren Bestrebungen des Kaisers und des Papstes die evangelischen Stände wiederum uneins waren. 1 8 Vgl. M . Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 1889f., Bd. 2, 2 7 8 f f . ; G. Droysen, Geschichte der Gegenreformation, aaO., 74 ff. 1 9 Vgl. zu den Vorgängen in der Kurpfalz die neue Darstellung von Volker Press, Die „Zweite Reformation" in der Kurpfalz, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland (s. Anm. 7), 1 0 4 - 1 2 9 . - P r e s s hebt hier heraus: „Der Reichstag von 1566 bedeutete eine tiefe Zäsur in der deutschen Konfessionsentwicklung." (108, Anm. 15).

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D a s V e r s t ä n d n i s der O b r i g k e i t bei N i k o l a u s Seinecker

temberg wollten mit dem angeblich calvinischen Kurfürsten keine gemeinsame Sache machen. Als Kaiser Maximilian II. seinen ersten Reichstag im Januar 1566 nach Augsburg ausschrieb, dachte er sogleich einen entscheidenden Schlag gegen den pfälzischen Kurfürsten zu führen, der in seinen Augen der gefährlichste Gegner des Hauses Habsburg unter den deutschen Fürsten war. So rückte er in der Proposition, mit der er am 25. März den Reichstag eröffnete, die Abschaffung der innerhalb der evangelischen Partei entstandenen „eingerissenen verführerischen Sekten" in den Mittelpunkt der Verhandlungen. Die evangelischen Stände waren nun aufgerufen, das gefährliche Ansinnen des Kaisers, ihre eigenen Uneinigkeiten vor das Forum des Reiches zu tragen, gemeinsam abzuwehren. Ohne das Eintreten Kurfürst Augusts von Sachsen für Friedrich III. wäre es dazu nicht gekommen. Er erreichte die Beteiligung des pfälzischen Kurfürsten an einer Supplikationsschrift der evangelischen Stände gegenüber dem Kaiser. Die Beschwerden Pfalzgraf Wolfgangs und Herzog Christophs gegenüber Kurfürst Friedrich wurden diesem durch den sächsischen Kurfürsten übermittelt. Friedrich antwortete am 25. April in einer wirkungsvollen Erklärung, daß er sich jederzeit zur Augsburgischen Konfession bekannt habe und daß die Uneinigkeiten unter ihren Bekennern nicht seine Schuld seien. Die beiden Widersacher Friedrichs zogen es vor, sich einstweilen zu fügen. Die Supplikationsschrift wurde noch am selben Tag unterzeichnet und dem Kaiser überreicht. So war vor allem durch die Vermittlung Kurfürst Augusts von Sachsen der geschickte kaiserliche Schachzug, Friedrich durch seine Gegner in den eigenen Reihen eine Niederlage zu bereiten, fehlgeschlagen. Kurze Zeit später aber, als der Kaiser seinen Angriff von dem theologischen auf das rechtliche Gebiet verlagerte und von Friedrich die unverzügliche Rücknahme der ihm vorgeworfenen Verletzungen des Religionsfriedens forderte, billigte Kurfürst August das kaiserliche Dekret gegen alle kirchlichen Neuerungen in der Pfalz (das sog. Kondemnierungsdekret vom 14. Mai). Vor einer Verurteilung Friedrichs schreckte er jedoch zurück, denn diese hätte Kursachsen in gefährliche Verwicklungen gestürzt. Dann hätte sich der pfälzische Kurfürst auf die Seite seines bedrohten Schwiegersohnes, Herzog Johann Friedrich von Sachsen, schlagen können, um dessen endgültige Ausschaltung im Zusammenhang mit den Grumbachschen Händeln 2 0 es Kurfürst August gerade auf diesem Reichstag ging. Auch würde die Gefahr einer Einmischung Frankreichs heraufbeschworen. Andererseits hätte ein Eintreten für Friedrich zur Folge gehabt, daß das bewährte, gute Einvernehmen mit dem Kaiser empfindlich gestört worden wäre und die kurz bevorstehende Bestrafungsaktion gegen Johann Friedrich nicht dem sächsischen Kurfürsten aufgetragen werden könnte. Nachdem August noch ein verschärftes Mandat gegen den Herausforderer des Reichsfriedens, Wilhelm von Grumbach, erreicht hatte, reiste er mitten in der Krise des Reichstages ab und entzog sich so einer klaren Stellungnahme gegenüber Friedrich. Seine Gesand-

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Vgl. d a z u G . D r o y s e n , a a O . , 8 2 - 8 8 .

Zur Stellung Kursachsens im Reich

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ten blieben ohne Weisungsauftrag zurück, lenkten aber nach der Abreise des Kurfürsten gegenüber Friedrich ein, dessen bedrohliche Lage sie als gefährlich für den gesamten Protestantismus erkannten. Der Augsburger Reichstag von 1566 zeigt mit aller Deutlichkeit die schwankende Haltung Kursachsens, die freilich auch nicht wenig dazu beitrug, daß der kaiserliche Angriff auf die protestantischen Stände sein Ziel verfehlte. Auch die bedeutendste und folgenreichste Maßnahme der Regierungszeit Kurfürst Augusts, die harte Strafaktion gegen die Kryptophilippisten und ihre Vertreibung aus Kursachsen im Jahre 157421, steht im Zeichen der politischen Opportunität und einer Verletzung der persönlichen Ehre, die die mangelnde theologische Bildung und leichte Beeinflußbarkeit des Kurfürsten in religiösen Angelegenheiten offenbarten. Der alte politische Gegensatz zwischen Kursachsen und dem Weimarer Hof der Ernestiner sowie die Abneigung Kurfürst Augusts gegenüber der Theologie der Flacianer hatte wesentlich dazu beigetragen, daß die theologische Richtung Melanchthons und seiner Schüler die Religionspolitik Kursachsens bestimmte. An den Universitäten Wittenberg und Leipzig herrschten die Philippisten, und auch persönlich war der Kurfürst von Ratgebern umgeben, die sich lange Zeit erfolgreiche Mühe gaben, die volle Ubereinstimmung in der Lehre zwischen Melanchthon und Luther zu betonen 22 . Zwar gab es am Hof auch die strengere Richtung des Luthertums, vor allem in der Umgebung der fürstlichen Damen; die Kurfürstin Anna selbst steht hier an der Spitze sowie ihre Mutter, die Königin Dorothea von Dänemark, und ihre Tante, die Herzogin Elisabeth von Mecklenburg. Mit der Dresdener Pfarrerschaft unterhielt dieses „Gynäceum" manche Verbindungen. Aber die Umstimmung des Kurfürsten und der Sturz des Philippismus in Kursachsen ist nicht als ein isolierter innerer Vorgang zu verstehen, sondern hing wesentlich mit den politischen Interessen Kurfürst Augusts im Reich zusammen. Die Vorgänge des Jahres 1574 sind eingerahmt von zwei Begegnungen Augusts mit 21

Hierzu: J.Moltmann, Christoph Pezel (1539-1604) und der Calvinismus in Bremen (= Hospitium Ecclesiae. Forschungen zur bremischen Kirchengeschichte, hg. im Auftrag der Kommission für bremische Kirchengeschichte von B.Heyne und K.Schulz 2), Bremen 1958, 60ff.; E. Koch, Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland (s. Anm. 7), 60-77, bes. 74 ff. Vgl. auch die älteren Arbeiten: G.J.Planck, Geschichte der protestantischen Theologie von Luther bis zu der Einführung der Konkordienformel, Leipzig 1799, 2. Bd., 2. Teil, 578-633; H . Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555-1581, 2. Bd., Marburg 1853, 403-445; R. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen 1570-1574, Leipzig 1866; A. Kluckhohn, Der Sturz der Kryptocalvinisten in Sachsen 1574, in: Historische Zeitschrift 18, 1867; O . Ritsehl, Dogmengeschichte des Protestantismus, Bd. 4, Göttingen 1927, 33-70. 22

Vor allem sind hier zu nennen: Caspar Peucer, Melanchthons Schwiegersohn, Professor der Mathematik und Geschichte in Wittenberg, der zum Leibarzt des Kurfürsten ernannt wurde. Der geheime Kammerrat Dr. Craco, Bugenhagens Schwiegersohn, und die Theologen Christian Schütz (Sagittarius), Hofprediger in Dresden, und Johann Stößel, Superintendent in Pirna. Vgl. die Darstellungen von E. Koch und K. Blaschke in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, 74ff., 79ff.

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker

Kaiser Maximilian II. U m die Gunst des Kaisers wiederzuerlangen, ging August bei seinem Besuch in Wien 1573 bereitwillig auf die Wünsche Maximilians ein, seinen ältesten Sohn Rudolf zu seinem Nachfolger gewählt zu sehen. Das neugewonnene Vertrauen des Kaisers konnte jedoch nur dann fortdauern, wenn der sächsische Kurfürst sich deutlich von den Pfälzern und ihrem angeblichen Calvinismus abgrenzte, gehörte doch Friedrich III. zu den entschiedensten Gegnern des Kaisers. Nach dem Sturz der „Kryptocalvinisten" in Kursachsen erschien der Kaiser zu einem Besuch in Dresden (April 1575), und Kurfürst August konnte ihm versichern, daß es nun keine Gemeinschaft mehr zwischen den beiden Kurhäusern Pfalz und Sachsen geben würde. Für die Konkordienbemühungen im Luthertum war jetzt der Weg in Kursachsen frei 23 , aber für den Gesamtprotestantismus bedeuteten die Folgen der Politik Kurfürst Augusts eine erhebliche politische Schwächung, und ein Ende der theologischen Richtungskämpfe war auch nach dem Konkordienbuch von 1580 nicht in Sicht.

2. Nikolaus Seinecker als Hofprediger

am kursächsischen Hof in Dresden

(1558-1565)

Das bewegte Leben und Wirken Nikolaus Selneckers 24 vollzog sich mit den wichtigsten Prägungen und Ereignissen vor allem in Kursachsen unter der Regierung Kurfürst Augusts. Unter den zahlreichen Wirkungsorten Selneckers ragen Wittenberg, Dresden und Leipzig hervor, und neben Herzog Julius von Braunschweig war es insbesondere der sächsische Kurfürst, in dessen Diensten Seinecker als Hofprediger, Professor und Kirchenführer tätig war und weitreichenden Einfluß in der kursächsischen Kirche und über sie hinaus gewonnen hatte 25 . 2 3 F ü r Sachsen brachte die Entwicklung zum Konkordienbuch die für andere lutherische T e r r i t o rien wegweisend gewordene, bedeutende Kirchen- und Schulordnung von 1580. 2 4 Vgl. dazu neuerdings: A . E c k e r t , Leben und Wirken Nikolaus Selneckers, in: Nikolaus Seinecker. Gedenkschrift zum 450. Geburtstag, hg. von A . Eckert und H . Süß, Evang.-Luth. Dekanat H e r s b r u c k 1980, 3 6 - 6 1 . Wichtige ältere biographische Q u e l l e : G e o r g Heinrich G ö t z e , Septenarius Dissertationem memoriam D . N i c o l a i Selnecceri, theologi sua aetate religiosissimi renovatum exhibens. Lubecae M D C C X X I I I . Ihnen geht voran eine oratio de vita S., als deren Verfasser Mag. Schröter, Pastor in Hildesheim, „praeceptor, collega, amicus, frater Selnecceri" genannt ist. F ü r die Dresdner Hofpredigerzeit ist vor allem die Arbeit von Franz Dibelius wichtig: „Zur Geschichte und Charakteristik Nikolaus Selneckers", in: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte I V , Leipzig 1888, 1 - 2 0 . D o r t die Aufstellung der 16 lateinischen Disserationen über Seinecker, 2. Vgl. auch J . A . W a g e n m a n n , F . D i b e l i u s , Art. Seinecker, in: R E , Leipzig 5 1906, Bd. 18,184-191. 2 5 M i t Martin C h e m n i t z und J a k o b Andreae gilt Nikolaus Seinecker als einer der Väter des Konkordienbuches. I m J a h r e 1586 hielt Seinecker zwei Leichenpredigten auf Kurfürst August und die Kurfürstin Anna, in denen der persönliche D a n k und das ungetrübte Vertrauen gegenüber dem Herrscherpaar in bekenntnishaften Wendungen beteuert wird: Nicolaus Seinecker, „Eine Christliche L e i c h p r e d i g t . . . Gethan zu Leipzig, den 20. Februarij 1586" (auf Kurfürst August im Vergleich

Nikolaus Seinecker als Hofprediger in Dresden

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Am 6. Dezember 1530 wurde Nikolaus Seinecker 26 als Sohn des Stadtschreibers Georg Seinecker in Hersbruck geboren. Schon bald nach seiner Geburt kam der Vater als erster Stadtschreiber in das nahe gelegene Nürnberg, wo Nikolaus Seinecker inmitten der regen geistig-kulturellen Atmosphäre der freien Reichsstadt seine Schulzeit bei bedeutenden Lehrern 2 7 verbrachte. Vor allem der Geist Melanchthons wurde durch diese Lehrer schon dem jungen Seinecker vertraut, auch der Vater war ein Freund Melanchthons. Aber auch die Lutherfreunde Wenzeslaus Linck und Veit Dietrich konnte Seinecker in seiner Nürnberger Schulzeit zu seinen geistlichen Vätern rechnen 28 . In späteren Rückblicken denkt er voll Dankbarkeit an Nürnberg als seine geistige Heimat, hier wurde der Grund für seine gelehrte Bildung im Geist des Humanismus und der Reformation gelegt und die musikalische Begabung fand ihre erste Betätigung als Verwalter des Organistenamtes an der Nürnberger Burgkapelle. Auf Wunsch des Vaters sollte Nikolaus Seinecker Jura studieren. Mit 19 Jahren kam er 1549 an die Universität Wittenberg, an der Melanchthon nach Luthers Tod die geistig führende Persönlichkeit war. Durch die nähere Beziehung, in der der Vater mit Melanchthon stand, fand der junge Seinecker sogleich eine freundschaftliche Aufnahme in dessen eigenem Haus. Die enge geistige Verbindung mit Melanchthon in seiner Wittenberger Studienzeit preist Seinecker noch später als einen der größten Schätze seines Lebens, „quod unum Philippum praeceptorem habere, audire, fere quotidie convenire, alloqui, consulere mihi contigit 29 . Das anfängliche Jurastudium wurde durch den Einfluß Melanchthons bald mit dem Theologiestudium vertauscht; zu seinen theologischen Lehrern zählt Seinecker in Wittenberg neben Melanchthon Bugenhagen, Johann Forster, Georg Major, Paul Eber und Sebastian Fröschel 3 0 . Nach dem Magisterexamen und den theologischen Studien begann Seinecker mit dem frommen König Josia), Signatur: 2 3 1 . 1 2 8 Theol. (9) H A B Wolfenbüttel und „Eine Christliche kurtze Leichpredigt... Gethan zu Leipzig, den 7. Oktober 1585" (auf Kurfürstin A n n a : „Wir haben warlich ein grostheil/ der Gotteßfurcht in diesen Landen / zu Hoff / und anderstwo mit dieser frommen Churfürstin verlohren."). Signatur: 2 3 1 . 1 2 8 Theol. (8) H A B Wolfenbüttel, 13. Mit der Kurfürstin A n n a stand Seinecker seit seiner Dresdner Hofpredigerzeit in besonders engem Kontakt. Eigentlich Schellenecker, lat. Selneccerus. Unter ihnen waren: Leonhard Culmann, von 1 5 2 3 ^ 9 erster protestantischer Rektor an der Schule zum hl. Geist, Johannes Rauschacher, Michael Roting, Johannes Schöner, Nicolaus Agricola und Johannes Ketzmann, vgl. A . Eckert, 3 7 ff. 2 8 O f f e n b a r war Seinecker einer der 12 Chorschüler der Stadt Nürnberg, wobei er mit den beiden evangelischen Predigern häufig zusammen getroffen ist (vgl. Eckert, 39). In seiner W i d mungsvorrede des 1. Buches seiner Psalterauslegung auf Kurfürst August, Nürnberg 1563, nennt Seinecker für die Nürnberger Zeit folgende Lehrer: Wenzeslaus Linck, Veit Dietrich, Culmann, Rauschacher und Nikolaus Agricola, Vorrede V a . Das 3. Buch (Ps 1 0 1 - 1 5 0 ) , Nürnberg 1564, widmet er dem Rat der Reichsstadt Nürnberg. 26

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Zitiert nach F. Dibelius, aaO., 5. Widmungsvorrede der Psalterauslegung, Nürnberg 1563, V a .

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker

auch schon in Wittenberg mit eigenen philologischen, philosophischen und theologischen Vorlesungen 31 . Wenn Nikolaus Seinecker in seinem ganzen, von den theologischen Richtungskämpfen mehrfach schwer belasteten Wirken als ein besonders treuer Schüler Melanchthons gilt 32 , so hat sich diese sein Leben hindurchziehende und immer wieder dankbar bekannte geistige Verbindung zu dessen irenischem Geist vor allem während seiner Wittenberger Studienzeit gebildet. An dem consensus Lutheri et Melanchthonis habe er niemals den mindesten Zweifel gehabt, bekennt Seinecker in einem späteren Rückblick 33 , und seine Werke bezeugen auch nicht nur die Vertrautheit mit Melanchthons Schriften, sondern auch die Kenntnis Luthers besonders in seinen exegetischen Abhandlungen und Kommentaren 34 . Als Kurfürst August 1557 sich mit seinem Wunsch nach einem frommen und tüchtigen Prediger für den Dresdner Hof an Melanchthon wandte 35 , wurde Seinecker auf dessen Empfehlung in das Amt eines dritten Hofpredigers nach Dresden berufen. Nach einer Vorstellungspredigt zu Weihnachten 1557 trat er die Stelle im Januar 1558 an 36 . Von der Universität Wittenberg verabschiedete sich Seinecker mit einer Rede „de vita académica aulicae praeferenda", eine vorausschauende Ahnung der Beschwerlichkeiten des Hofpredigeramtes, die sich vor allem bei seinem Weggang aus Dresden bewahrheiten sollte. In den ersten Jahren seiner Dresdner Wirksamkeit konnte sich Seinecker aber schon sehr bald der besonderen Gunst des Herrscherpaares, insbesondere von Seiten der Kurfürstin Anna, erfreuen. Zu seinem Hofpredigeramt wurden ihm nacheinander noch zwei weitere Ämter übertragen, die die schon in Nürnberg und Wittenberg glücklich entwickelten Begabungen Selneckers sowie das Vertrauen zeigen, das er sich offenbar am Dresdner Hof in kurzer Zeit erwerben konnte. Nach einem reichlichen Jahr seit seinem Amtsantritt als Hofprediger wurde ihm zusätzlich die oberste Leitung der Hofkantorei übertragen (4. April 1559) und bald darauf die spezielle Erziehung des damals sechsjährigen Kur31

Vgl. die Darstellung bei F. Dibelius, aaO., 5. Z.B. W. Eiert, Morphologie des Luthertums, 2. Bd., München 1958, 312 und E. Beyreuther, Nikolaus Seinecker und die Mächte seiner Zeit, in: Gedenkschrift zum 450. Geburtstag, aaO., 84. 33 Nach F. Dibelius, aaO., 5. 34 Vgl. die Werkangaben in dem Art. „Seinecker" von Wagenmann und F. Dibelius, RE 3 , Bd., 18,189f. 35 Für die zahlreichen Gutachten und Empfehlungen Melanchthons für Kirchen- und Schulämter in Dresden vgl. F. Dibelius, aaO., 5f. Melanchthon sei „im eigentlichsten Sinne des Wortes Dresdens geheimer Rat" gewesen. 36 Nach A.Eckert fand die Ordination Selneckers am 1.Februar 1558 in der Wittenberger Stadtkirche statt, aaO., 43. Uber seine Berufung nach Dresden schreibt Seinecker in seiner Widmungsvorrede auf Kurfürst August im Eingang seiner Psalterauslegung: „biß ich auff seltzame/ unuersehene und wunderbarliche weiß und mittel/ derer ich mich mein lebenlang nimmermehr hette versehen/ sintemal ich/ wie Gott weiß/ mich die tage meines lebens nach hohen und grossen orthen/ nie nicht gesehnet/ sondern allezeyt dafür ein eckel und abschew gehabt/ und zwar noch habe/ bin gen Dresen an Hofe gefordert/ und berufen w o r d e n . . . " (Vorrede Va, s.u. 3. Abschnitt Anm. 52). 32

Nikolaus Seinecker als Hofprediger in Dresden

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prinzen Alexander (14. Februar 1560). Die Anerkennung am H o f zeigt sich auch darin, daß Seinecker beim T o d des Vaters der Kurfürstin Anna, König Christian von Dänemark, mit der Trauerpredigt in der Dresdner Schloßkirche beauftragt wurde, obwohl er der jüngste Hofprediger war und hierdurch die beiden älteren Hofprediger - Christian Schütz (Sagittarius) und Ambrosius Keil (Claviger) - übergangen wurden. Auf Reisen konnte er das kurfürstliche Paar begleiten, und schon in Dresden widmete Seinecker seine Predigten der Kurfürstin Anna 3 7 . Die Dresdner Hofpredigerzeit stellt die erste sehr fruchtbare Periode in Selneckers vielfältigem wissenschaftlichen Schaffen dar. Nicht nur praktischtheologische Schriften gab er in Dresden zum Druck, wie die aus Predigten entstandene umfangreiche Psalterauslegung von 1563 f. sowie die Paedagogia christiana, 1564, sondern auch philosophische, dogmatische und exegetische Werke, die den fortwirkenden Einfluß Melanchthons, aber auch das Bekenntnis zum lutherischen Abendmahlsverständnis zeigen 3 8 . Mit seinen reichhaltigen amtlichen Verpflichtungen, die Seinecker mit wissenschaftlicher Arbeit zu verbinden wußte, seinem schnell gewonnenen und wachsenden Vertrauen und Einfluß am H o f sowie seit seiner Heirat mit der Tochter des Dresdner Stadtsuperintendenten Daniel Greiser 1559 konnte ein längerer, segensreicher Aufenthalt Selneckers in Dresden durchaus erwartet werden. Daß sich Seinecker allmählich in das Leben in der sächsischen Residenz einlebte und in Dresden nicht unwohl fühlte, kommt auch im Rückblick aus späterer, unruhiger Zeit zum Ausdruck. Nach schweren Wanderjahren und inmitten heftiger theologischer Anfeindungen schreibt er von Wolfenbüttel an den sächsischen Kurfürsten, „er wolle, wenn es anginge, von Herzen gern auf allen Vieren nach Dresden kriechen." 3 9 Aber im Sommer 1564 kommt es dann doch wohl nicht zufällig zu jenen Ereignissen, die schließlich zur Entlassung Selneckers aus seinem Hofpredigeramt führten. Nach der Darstellung von F. Dibelius spielt hierbei der Einfluß eine entscheidende Rolle, den der Dresdner Stadtsuperintendent Daniel Greiser 4 0 auf Seinecker gewonnen hatte. Mit dem ebenfalls von Melanchthon geprägten, auf die Einigkeit in der lutherischen Theologie und Kirche hinwirkenden ersten Superintendenten des Kurfürstentums und Führer der Dresdner Pfarrerschaft kam Seinecker schon bald in nähere Verbindung. Dibelius schreibt über den Einfluß Vgl. F. Dibelius, aaO., 9. Aus der Dresdner Zeit stammen die später oft wieder aufgelegten und überarbeiteten Abhandlungen über das Abendmahl: „Libellus brevis et utilis de Coena Domini" und „Vera et invicta doctrina de Coena contra Sacramentarios." Vgl. die Werkaufstellung bei F. Dibelius, 9, (Anm. 2 4 ) ; A . Eckert, 44. 37 38

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Nach F. Dibelius, aaO., 8.

Außer Greiser finden sich noch die Formen Greser, Greyser und Gretser. Vgl. zu ihm die älteres Archivmaterial auswertende Arbeit von Georg Müller, Quellenstudien zur Geschichte der sächsischen Hofprediger, in: Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches Leben, hg. von C h r . E . Luthardt, Leipzig 1 8 8 7 , 1 8 0 - 1 9 7 . 40

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker

Greisers auf Seinecker: „ . . .dieser Magister Daniel, ein Mann von stark ausgeprägtem cholerischem Temperament, dazu mit der besonderen Fähigkeit ausgerüstet, Einfluß auf andere auszuüben, hat wohl mit seinem strengen, herrschsüchtigen W e s e n . . . Seinecker einen schlechten Dienst geleistet und den im innersten Herzensgrunde so mild gesinnten Mann zu einer äußerlichen, oft recht peinlichen Schärfe verleitet." Seit der Dresdner Zeit ringe in Seinecker „der milde Schüler Melanchthons mit dem zornerfüllten Schwiegersohn Greisers." 41 Uber die unterschiedliche Art des Temperamentes und Charakters Selneckers gegenüber Greiser, auf die Dibelius abhebt, wird ein gesichertes Urteil schwer zu gewinnen sein. Viel bedeutsamer als diese Erwägungen aber ist der Vorgang selbst, den Dibelius aus ihm noch zur Verfügung gestandenen, im 2. Weltkrieg verloren gegangenen Quellen berichtet 42 . Denn hier handelt es sich um den aufschlußreichen Umgang eines jungen Hofpredigers mit seinem Fürsten, der aus der Pflicht seines Amtes heraus dem Laster seines Herrn, der maßlosen Jagdleidenschaft Kurfürst Augusts, entgegentritt. Im Sommer 1564 hatte der erste Stadtprediger an der Frauenkirche, Martin Hofmann, in Vertretung Selneckers, der „etwas schwach gewesen", in der Schloßkirche gepredigt. In dieser Predigt wurde das Unwesen der Jagden großer Herren offen gerügt und auf die Klagen des Volkes über die Folgen der fürstlichen Jagden hingewiesen. Es kam zu einem Verhör des Predigers vor den Kammer- und Hofräten, und nach dem verweigerten Widerruf wurde Hofmann angewiesen, die Stadt unverzüglich zu verlassen. Daniel Greiser und verschiedene Dresdner Pfarrer, auch der städtische Rat traten für Hofmann ein und erbaten Fürbitte für ihn beim Kurfürsten. Unmittelbar nach jener anstoßerregenden Predigt Hofmanns stand aber auch Seinecker wieder auf der Kanzel der Dresdner Schloßkirche und hatte an zwei Sonntagen nacheinander dieselbe Angelegenheit nicht weniger deutlich zur Sprache gebracht. Die Räte berichteten an den Kurfürsten, daß er „es des Jagens halber etwas heftiger gemacht und unter anderem diese Worte gebraucht, wenn man davon nicht abstünde, so würden Herr und Knecht zum Teufel fahren." 4 3 Nun wurde auch Seinecker zur Stellungnahme aufgefordert. Zu seiner Rechtfertigung reichte er die repetitio einer der gehaltenen Predigten ein, die die christliche Buße zum Thema hatte. In dieser heißt es nach dem Hinweis auf die Klagen des Volkes über die Wildschäden: „Wenn wir unter einer vorchristlichen Obrigkeit wären, so sollten und müssten wirs ohn mittel leiden solche und dergleichen leibliche Beschwernisse, bis Gott selbst darein sehe, und müssten Gott noch dazu billig und von Herzen danken, dass wir sein Wort haben, predigen, hören und lernen können. Weil wir aber unter einer christlichen Obrigkeit sind, die Gottes Wort rein und lauter Dibelius, aaO., 12. Aus dem Dresdner Rats- und Hauptstaatsarchiv; vgl. Dibelius, aaO., 13ff. - W i r werden deshalb die Quellen nach Dibelius ausführlicher zitieren. 4 3 AaO., 14. 41

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hat, so ist es destomehr zu erbarmen. Das ist aber der einige Rat, dass fromme Unterthanen ihre Sünde erkennen und mit Ernst bitten, er wolle selbst unsers Herrn Herz, Mut und Sinn erleuchten, dass Seine Kurfürstl. Gnaden auf ihr von Gott auferlegtes Amt sehen und wir unter Ihrem Schutz ein stilles, ruhiges Leben führen mögen." 4 4 Welch hohe Auffassung Seinecker von Amt und Person einer christlichen Obrigkeit hatte - ganz im Sinne seines Lehrers Melanchthon - kommt auch in weiteren Rechtfertigungsschreiben an den Kurfürsten zum Ausdruck. Ein christlicher Fürst sei „ein handhaber und erneurer... der kirchen Christi Jesu." Er bezeugt seine aufrichtige Dankbarkeit gegenüber der kurfürstlichen Familie, die ihm mit so viel persönlichem Wohlwollen begegnet. „Denn ich habe sonst so guten stern zu hofe nicht leuchten, der mich verursachen könnte, gern zu bleiben." 4 5 Aber gegenüber dem Vorwurf, daß er solche Strafpredigt nicht vor der versammelten Gemeinde halten dürfe, diese vielmehr in ein persönliches Beichtgespräch mit dem Kurfürsten gehöre, weist er darauf hin, daß er nicht der Beichtvater des Kurfürsten sei. Was der Hofprediger seinem Kurfürsten in diesem Schreiben weiterhin darlegt, läßt ebenfalls an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Erstlich ist wahr und unleugbar, dass mein gnedigster Herr durch das stetige jagen Sein von Gott befohlen und übergeben ambt versäumet und hindansetzet. Wer nu aus gottes wort die gelegenheit unseres berufs und die lere von eines jeden, sonderlich aber der obrigkeit ampt weis und gelernt hat, und gönnt unserm Gnedigsten Herrn Gottes Segen, schütz, schirm und langes Leben, und wil die zukünftigen straffen und den zorn Gottes vermeiden, der kan nicht anders, er mus sagen, das Mein gnedigster Herr für Gott keineswegs kan entschuldigt werden, so E.K.Gn. ires hohen ampts eigner Person nicht abwartet, wie ausdrücklich geschrieben steht: Verflucht sei, der des Herrn werck lessig thut. - Man gönnt den Herrn ir lust und freud, ergetzung und fröligkeit gar wol, und ist Got nicht so hart, dass er ire jagen und rennen nicht zugeben solte. Wenn sie aber irem ampt nach ir Unterthanen selbst warten, hören und versorgen solten (wie es ihnen ir Got befohlen, und sie derwegen und keiner andern Ursachen halber herren sind), so würde er sich selbst wol leren, wie weit solche lust sich erstrecket, und würde manches jagen und dergleichen wol nachbleiben. Das ampt muss in summa vorgehen. Denn was von Got befohlen und übergeben ist, und warumb man Got dem Herrn heut oder morgen sol rechenschaft geben, das kan man mit gutem gewissen nicht hindansetzen noch andern, sie sind wer sie wollen, befehlen. Es soll ein jeder Herr, der ein Christ ist, teglich mit ernst diese zwei stücklin bedenken: 1. Wer ihn in dies hohe ambt gesetzt habe, von wem er es habe; 2. Es sol auch ein jeder christlicher Herr diss bedenken, warumb er in solchem ampt und stand sei. Dass aber viel Herrn irer wollusten mit Versäumniss ires ampts abwarten und pflegen, ist eine gewisse anzeigung, dass sie dieser 44 45

Zitiert nach Dibelius, aaO., 15. Ebd., 15f.

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker

stücke noch keines jemals zu herzen genommen. - Ich wil es auch nicht leugnen, dass ich etlichsmal auf den jagtreisen in diese gedanken geraten, ob ich, der ich ein lerer Gottes worts bin, mit gutem reinen gewissen mit herumbziehen oder reisen könne, dieweil es geschehen, dass solche reisen zur Versäumniss des hohen und göttlichen ambts meines gnedigsten Herrn Gn. gereichen und unser keiner nicht, der gotteswillen und befehl ansihet, solchs entschuldigen und beschönen kann." Als Unterschrift setzte Seinecker nicht seinen Namen oder Titel, sondern den Satz: „Herr Christe, dein ist die ehr, lob und preis. Mehr kann ich nicht." 4 6 Dieses beachtenswerte Bekenntnis eines Hofpredigers vor seinem Fürsten beleuchtet nicht nur den Freimut und Gewissensernst Selneckers in einer einzelnen Zeitfrage 4 7 , sondern steht im Zusammenhang mit weiteren Zeugnissen einer Obrigkeitskritik, die die Ehrfurcht vor dem hohen Amt der Regenten nur in Verbindung mit ihrer nicht weniger großen Verpflichtung zu sehen vermag. Daß die Ereignisse um die „Anti-Jagd-Predigt" Selneckers nicht als ein isoliertes Geschehen anzusehen sind, dafür bietet vor allem seine Auslegung des 101. Psalms ein weiteres, aufschlußreiches Beispiel. Die Dresdner Hofpredigerzeit Selneckers und die Anfeindungen, die er hier erfuhr, haben noch lange in seinem Leben und Wirken fortgewirkt. Von Jena aus schrieb er mehrere Verteidigungsschriften über sein Verhalten in der Jagdangelegenheit. Aufschlußreich ist besonders die Schrift „Kurtzer Bericht M. Nicolai Selneckers auff die unwarhafftige anklage/ Das er von denen vom Adel/ nichts oder gar wenig halte/ Und spötlich davon in seinen Psalmen/ und anderswo solle geprediget und geschrieben haben", Jena 1566 4 8 . D o r t heißt es in der Vorrede: „Da gehet das geschrey/ sihe der hat die laster gerüret/ Ergo/ er ist ein auffruhrer/ ein Herrnfeind/ ein Edelmans feind/ ein feind aller H ö f f i s c h e n . . . " Seinecker verteidigt sich mit Luther: „Höret aber ein wenig lieben Junckern/ die jr so sehr zornig seid/ und sagt mir doch/ was habe ich gelert oder geschrieben/ das nicht zuvor alles durch trewe Lerer mit warheit/ nicht geschrieben sey? Sehet doch ein wenig meine wort an/ und sagt mir/ ob sie nicht fast alle... aus den grossen un viel verursachte klagen des trewen Gottseligen Mannes Doctor Lutherus... genome." 4 9 Das Selbstverständnis eines Hofpredigers, der sich neben Luther vor allem Melanchthon verpflichtet weiß, und seine Auffassung von Amt und Person 4 6 Ebd., 16 f. Seinecker bezieht sich hier zwar nicht ausdrücklich, aber deutlich auf Luther im 3. Teil seiner Obrigkeitsschrift von 1523, vgl. W A 11, 2 7 4 , 1 - 6 . 4 7 F ü r Dibelius dient dieses Zeugnis Selneckers vor dem Kurfürsten vor allem zum Beweis seiner Charakterstärke, gerade auch als ein Theologe, der zwischen verschiedenen Richtungen vermitteln wollte: „Ein Vermittlungstheologe, wie Seinecker, spricht energisch und ohne Scheu sein protestierendes Nein aus gegenüber dem, was seiner Überzeugung nach ein Unrecht ist." man wird die

Härte und Strenge des Ausdrucks hier und da tadeln, aber man wird trotzdem diesem Aufschrei eines christlichen Gewissens, dieser Beleuchtung einer Zeitfrage mit der Fackel des göttlichen Wortes die Anerkennung nicht versagen dürfen." (aaO., 17). 48

Signatur: Db 4330, H A B Wolfenbüttel. CHI.

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einer christlichen Obrigkeit k o m m e n in Selneckers Dresdner Predigten sehr deutlich und oft in polemischer Zuspitzung gegenüber seinen Gegnern zum Ausdruck. Die Widerstände in seinem amtlichen Wirken erfuhr Seinecker besonders vonseiten der adligen Räte am H o f , die sich durch seine oft schonungslose Kritik in ihrer Stellung bedroht fühlten. O b Seinecker auch schon in Dresden von seinen beiden Kollegen im Hofpredigeramt aus theologischen Motiven angefeindet wurde, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen 5 0 . Die kritischen Auslassungen über die Jagd hatten zunächst zur Folge, daß Kurfürst August Seinecker aufforderte, sich nach einer anderen Stellung umzusehen. E r bat um seine Entlassung, und der Kurfürst gewährte sie ihm „in Gnaden". V o n einem direkten Zerwürfnis zwischen dem Kurfürsten und seinem Hofprediger kann man nicht sprechen, wohl aber war eine Verstimmung eingetreten, die ein weiteres Verbleiben Selneckers am Dresdner H o f nicht zuließ. A m 2 6 . 3 . 1565 wurde Seinecker Professor an der Universität J e n a 5 1 . D o c h schon 1568 rief ihn Kurfürst August von dort nach einer unerfreulichen und von persönlichen Anfeindungen reich angefüllten Zeit zurück nach Leipzig in kursächsische Dienste.

3. Das Verständnis der Obrigkeit bei Nikolaus Seinecker in seiner Psalmen-Auslegung von 1563/64 Während seiner Dresdner Hofpredigerzeit gab Nikolaus Seinecker in drei Büchern eine Auslegung des gesamten Psalters heraus 5 2 . Wie wichtig ihm diese Psalterauslegung auch in seinem späteren Leben und Wirken gewesen ist, zeigen weitere Überarbeitungen und Drucklegungen des umfangreichen W e r k e s 5 3 . 5 0 E c k e r t , a a O . , 49, nimmt dies an. Christian Schütz wirkte zwar später ganz im Sinne des Wittenberger Philippismus bzw. Kryptocalvinismus am Dresdner H o f und war seit 1574 viele J a h r e in Haft. In seiner Widmungsvorrede zu seiner Psalterauslegung an Kurfürst August, N ü r n b e r g 1563, gibt Seinecker aber für seine Dresdner Zeit neben Daniel Greiser als Lehrer auch die beiden Hofprediger Christian Schütz und Ambrosius Keil an, denen er seine Dankbarkeit bezeugt. ( V a ) . 5 1 Z u r J e n a e r Zeit Selneckers vgl. R . H e r r m a n n , Thüringische Kirchengeschichte, Bd. I I , Weimar 1 9 4 7 , 1 4 0 ff., 158 f. 5 2 „Das Erst Buch, des Psalters Davidis/ N e m l i c h / die ersten Fünffzig Psalmen/ ordentlichen nach einander/ dem gemeinen Mann/ und F r o m m e n / einfältigen Christen zu gut/ und in dieser elenden zeit zu T r o s t und Unterricht/ außgelegt und geprediget/ Durch M . N i c o l a u m Selneccerum/ Noribergensem, Churfürstlichen Sächsischen Hofpredigern. Gedruckt zu N ü r n b e r g / durch C h r i stoff H e u ß l e r 1563." M i t einer Widmungsvorrede auf Kurfürst August und Kurfürstin Anna. (Auslegung der Psalmen 1 - 5 0 ) .

„Das Ander Buch des Psalters D a v i d s . . . " ; N ü r n b e r g 1564. Gewidmet der Stadt Breslau. (Auslegung der Psalmen 5 1 - 1 0 0 ) . „Das Dritt Buch und letzte Theil des Psalters Davids/ Außgelegt durch Nicolaum Selneccerum, Churfürstlichen Sächsischen Hofpredicanten." N ü r n b e r g 1564. Mit einer Widmungsvorrede an die Bürgermeister und den Rat der Stadt Nürnberg. (Auslegung der Psalmen 1 0 1 - 1 5 0 ) . Signatur: C 147.2° Heimst. H A B Wolfenbüttel. Aus dieser ersten Ausgabe wird im folgenden die Auslegung des 101. Psalms zitiert. 53

In Leipzig erschien die erste Gesamtausgabe mit einer Widmungsvorrede an H e r z o g Christian

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Über die Entstehung der Psalterpredigten äußert er sich in der Widmungsvorrede an Kurfürst August: „...dieweil ich zu Hofe den kleinen Kindercatechismum Lutheri... prediget/und doch der gemeinen raisen halben bißweilen den selben muste anstehen lassen/und etwas anders für mich nemen, und tractirn/ habe ich im namen Gottes das erste mal auff dem Marienberg Anno 1561 den 23. Septembris/den ersten Psalm angefangen zu predigen." 54 Als eine katechismusartige Zusammenfassung der Hauptinhalte des christlichen Glaubens will Seinecker mit seiner Psalterauslegung vor allem einen Beitrag zur Einigkeit und zur rechten Lehre in der Zeit der lutherischen Lehrstreitigkeiten geben 55 . Er beklagt die vielen Bücher und Streitschriften, die mit ihrer Sucht nach Neuem nur weitere Verwirrung stiften und vor allem aus Eitelkeit geschrieben werden. Demgegenüber will Seinecker nichts Neues bieten, nur das, was er predigt, auch schreiben dürfen 56 . Der stark apologetische Ton der Vorrede läßt schon für die Dresdner Zeit Selneckers seine tiefe Abneigung gegenüber den Streitigkeiten in Theologie und Kirche erkennen. Auch Anfeindungen stehen im Hintergrund, unter denen er leidet. Seinecker bekennt : „ . . . ich bin gut Lutherisch" 57 , und für seine Psalmauslegung beruft er sich auf die Schriften Luthers, Bugenhagens, Melanchthons, Forsters und Hieronymus Wellers, so daß er kein „selbstgewachsener" Lehrer sei 58 . Daß die Psalterpredigten Selneckers am Hof gehalten worden sind und auch Leute hohen Standes sie gehört haben, wird ausdrücklich hervorgehoben 59 . Für das Verständnis der Auslegung des 101. Psalmes, der wir uns nun zuwenden, ist dies von nicht geringer Bedeutung. Luthers Auslegung des 101. Psalms ist für Seinecker so meisterhaft gültig und bleibend aktuell, daß es ihm fast nicht nötig erscheint, noch einmal diesen Psalm seiner Zeit vor Augen zu halten. Am Anfang seiner Auslegung steht das Bekenntnis zu seinem Meister: „ . . . d a ß der Thewre Man D.Lutherus diesen von Sachsen und Herzog Heinrich Julius von Braunschweig: „Der gantze Psalter Davids ausgelegt.. .", Leipzig 1571 (Berwaldt), Signatur: Th 4° 61 H A B Wolfenbüttel. In der Vorrede zu dieser Ausgabe heißt es: „... und ich alle Psalmen von newen ubersehen/ und newlich zu Gandersheim auff ein jeden Psalm ein kurtzes Gebetlein gestellet..." (II). Ein Jahr nach Selneckers Tod erschien noch einmal eine von ihm durchgesehene Ausgabe: „Der gantze Psalter Davids/ zu trost und Unterricht frommen Christen außgelegt/ Durch D. Nicolaum Selneccerum. Jetzt auffs new vom Autore, kurtz vor seinem seligen ende/ selbst übersehen/ gebessert und gemehret...", Leipzig 1593/94 (Michael Lautrenberger). Mit einer Vorrede von dem Sohn Selneckers, Georg Seinecker. Signatur: C 152.2° Heimst. H A B Wolfenbüttel. 54 Vorrede zum 1. Buch, IV a. 55 „Ein Band der Christlichen verbündnis und hertzlichen einigkeit in warem Glauben/ rechter Lehr und Bekentnis." (Vorrede zur Ausgabe Leipzig 1571, II). Die Psalterauslegung nennt Selnekker auch öfters im Zusammenhang mit seiner „Christiana paedagogia" (Vorrede Va). 56 Vorrede zur Ausgabe Nürnberg 1563, III b. 57 Ebd., IVb. 58 Ebd. 59 Ebd. Seinecker erwähnt im Zusammenhang seines Bekenntnisses der reinen lutherischen Lehre die Kurfürstin Anna, mit der er bis zu ihrem Tod 1585 in besonders engem Kontakt stand.

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Psalm also erkleret/und Meisterlich gegeben hat/daß es ein unnötige arbeyt nun mehr scheinet/auff ein newes etwas wollen von disem Psalm handeln." 6 0 In einzelnen Wendungen und längeren Zitaten kommt die Vertrautheit Selneckers mit Luthers Schrift über den 101. Psalm auch mehrfach zum Ausdruck 6 1 . Wie wichtig es aber Seinecker dennoch ist, sich selbst gerade über diesen Psalm zu Wort zu melden, zeigt sich gleich zu Beginn seiner Auslegung. Der 101. Psalm ist ihm mit Luther „ein herrlicher schöner Lehrpsalm für die Oberkeyt/wie sie sich gegen Gott/ und gegen den Unterthanen in ihrem Regiment und leben halten s o l l e . . . " 6 2 Als eine Lehre über das Amt der Obrigkeit in einzelnen Punkten - gegenüber Luthers Auslegung jedoch in charakteristischer moralisierender Engführung - trägt Seinecker auch seine ganze Psalmauslegung vor. Aber die Zeit Selneckers ist eine andere als die Luthers. Der Hofprediger in der Zeit nach dem Augsburger Religionsfrieden, als sich die Fürsten in ihrer Machtund Interessenpolitik längst nicht mehr nur an die ihnen von Luther wie Melanchthon zugewiesenen Aufgaben im Rahmen des landesherrlichen Kirchenregiments zu halten gedachten, hatte vielfachen Grund, die Obrigkeit an ihre Pflichten zu erinnern und ihre Versäumnisse in der Regierung anzuklagen. So kritisiert Seinecker schon im Eingang seiner Auslegung das Verhalten der Obrigkeit, und die konkrete Kritik und Ermahnung gegenüber ihrem Handeln spricht sich in einer einzigen langen Strafpredigt aus, deren Erfahrungshintergrund einer der großen protestantischen Fürstenhöfe Deutschlands bildete. Eigentlich hätten die Regenten an Luthers Auslegung des lOl.Psalmes genug Weisung: „Denn er hat ja gesagt/was von nöten/ und die warheit ist/ allein daß es etlichen sehr wehe thut/daß ihnen die warheit gesagt ist/und rümpffen sich sehr darob." 6 3 Aber das Hauptübel ist ja gerade, daß sich die Fürsten von den Theologen nichts mehr sagen lassen wollen. Seinecker beklagt die Gleichgültigkeit bei den Regierenden gegenüber der Bibel 6 4 und denjenigen, die sie zu verkündigen haben: „ . . . d a ß nu langst gewiß und weit erschollen ist/daß die Weltlichen Herrn/und jr Gesind/Juristen und grosse Hansen/sich von den Pfaffen/wie sie reden/nicht wollen weisen lassen.. . " 6 5 Schon dieser Eingang zeigt die unterschiedliche Akzentsetzung Selneckers gegenüber Luthers Auslegung des 101. Psalms. Ging es Luther zuerst darum, den weltlichen Stand gegenüber der Unterordnung im Papsttum und der Verachtung bei den „Rottengeistern" als einen gottwohlgefälligen Stand zu erweisen, in dem man Gott recht dienen könne, so hat Seinecker eine protestantische Ib. So zitiert Seinecker die häufige Bekräftigungsformel Luthers „et factum est ita" und mehrere der von Luther gebrauchten Sprichwörter, z . B . : „Denn da sitzet der König oder Fürst für sich selbs weise und k l u g . . . " (II a). 60 61

« I. "

64 65

Ib. Wer David nicht hören will, „bleibe ein wüster, sicherer Wanst." (I). Ib.

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Obrigkeit vor Augen, die unangefochten im Selbstbewußtsein ihrer Macht und Interessen handelt und eine geistliche Ermahnung als eine ungeziemende Einmischung in ihre politischen Rechte versteht. Seinecker läßt freilich keinen Zweifel, daß er seine Kritik an der Obrigkeit auf dem Fundament Luthers vorträgt: „auff daß wir den Weltlichen Stand nach Gottes befelh ehren/und nicht lestern/ wie die Geistlichen im Bapsthumb/und die Widerteuffer thun." 6 6 Aber für die Obrigkeit, mit der es Seinecker zu tun hat, hat die nicht zuletzt durch Luther erkämpfte Befreiung von kirchlicher Bevormundung und schwärmerischer Infragestellung nur noch die Bedeutung einer verblassenden geschichtlichen Erinnerung. Was die Verantwortung vor Gott und den Menschen im Regierungsamt und persönlichen Leben der Fürsten betrifft, herrscht die Auffassung vor, daß sie vom Hofprediger nicht öffentlich einzufordern ist. Insoweit sich hier Gewissensnöte einstellen, hat der Theologe am Hof seinen Platz in privater geistlicher Beratung und im Beichtgespräch. Der Wandel der geschichtlichen Situation inmitten freilich auch vieler gleichbleibender menschlicher Verhaltensweisen! zeigt sich deutlich im Selbstverständnis der Obrigkeit zur Zeit Luthers und Selneckers. Aber auch im theologischen Verständnis des obrigkeitlichen Amtes haben sich die Schwerpunkte nicht unwesentlich verlagert. So setzt Seinecker gegenüber Luther gleich zu Beginn einen anderen Akzent: Hatte Luther das unverrechenbare schöpferische Handeln Gottes in der Welt ins Zentrum gerückt, mit dem er seine Schöpfung erhält und sich dazu des obrigkeitlichen Amtes bedient, so geht es Seinecker zuerst um das persönliche Verhalten der Fürsten, die er durch Strafpredigten an ihre eigentlichen Amtspflichten zu erinnern versucht: „Es liegt uns mehr an einer frommen Oberkeyt/denn sonst an allen dingen/die das vergengkliche leben angehen." 67 Nach diesem Eingang, der die inhaltliche Grundrichtung von Selneckers Auslegung des 101. Psalms schon klar erkennen läßt, geht er zunächst auf die beiden ersten Psalmverse kurz ein 68 , um sodann in einem langen Mittelteil sein eigentliches Thema zu entfalten. Hier formuliert Seinecker sein Anliegen, das von den Erfahrungen am Hof geprägt ist und für dessen Ausführung ihm der 101. Psalm eine willkommene Gelegenheit bietet: die Haltung der Fürsten gegenüber den Theologen, die Notwendigkeit der Strafpredigten und die Auseinandersetzung mit den gegen sie erhobenen Einwänden 69 . Es folgt der ausführliche Unterricht für die Obrigkeit in sechs Lehrpunkten, in dem sich nach Seinecker der „Lehrpsalm für die Oberkeyt" zusammenfaßt: 1. „Was der Fürsten und Herren Standt sey", 2. „Wie man sich in diesen Standt schicken sol", 3. „Von dem Ampt grosser Herrn", 4. „Was der Herren Gewalt sey", 5. „Wol-

lab. Ib. 68 Von I b bis III a. 69 IIIa bis V i l l a . 67

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lust der Herren ist Armer Leut unlust", 6. „Was die Herren für leut umb sich haben solln." 7 0 Erst am Schluß wird auf die Psalmverse zurückgelenkt 7 1 . Seinecker eröffnet seine „Psalmerklärung" mit der allgemeinen Erfahrung: „was one Gott für genommen wirdt/das gehet den Krebsgang." 7 2 Dafür bietet das Leben am H o f eine besonders reiche Anschauung. Denn hier herrscht die Vermessenheit und Verachtung Gottes. Die Obrigkeit soll aber lernen, daß sie Glück, Heil und Wohlfahrt nur von Gott erbitten kann. Ihr Amt ist Gnade und Recht 7 3 . In nüchternen Feststellungen und Belehrungen zählt Seinecker die Aufgaben einer frommen Obrigkeit auf: „Fürsichtig handeln/in via immaculata, ist nichts anders/denn nach dem Wort Gottes regieren und leben/keine Abgötterey/keine Secten/Ketzerey/Rotten und Spaltung dulden/Sondern bey dem Wort Gottes bleiben/und rechte Lehre in Kirchen und Schulen/zu Hauß und Hofe handhaben..." Die ganzheitliche Verantwortung der Regenten im amtlichen Handeln wie im persönlichen Leben wird deutlich herausgestellt: „Redlich handeln heyst unstreflich leben/beyde was die Lehre und das leben belanget.. , " 7 4 Seinecker hat bei dieser Anweisung sowohl die Ausschweifungen des Lebens am H o f (Fressen und Saufen!) wie die Versäumnisse des Amtes (Tyrannei und Aussaugung der Armen) vor Augen. Wer sich davon frei hält, d.h. unsträflich lebt und handelt, ist ein Wundermann Gottes! Im charakteristischen Unterschied zu Luther verzichtet Seinecker bei diesem Begriff auf geschichtsttheologische Reflexionen. Der „Wundermann Gottes", der bei Luther ein staunenerregender Hinweis auf das unnachahmbare, unverrechenbare Handeln Gottes in der Geschichte war, wird bei Seinecker zu einem unsträflich handelnden und lebenden frommen Fürsten. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß die Regenten sich um eine solche Einschärfung der Pflichten für ihr Leben und Handeln aus dem Munde der Theologen nicht kümmern. In bitteren Worten beklagt Seinecker die Arroganz und den Spott der Fürsten gegenüber den Theologen, die auch seine eigenen Erfahrungen als Hofprediger am Dresdner H o f zum Hintergrund haben: „Denn sonst/ wie der erfarung gibet/sindt grosse Herrn gemeinlich Feinde Gottes/Und ist ihr art/nach Gottes Wort nichts oder wenig fragen. Was? sprechen sie/was gehet uns die Pfafferey an? Wie? Wollen uns das die Pfaffen w e h r e n ? . . . David hat auff der Harpffen ein Tentzlein gemacht/und hat sich mit seiner Berseba erlüstiget/ was fragen wir nach ihme? Peulichen und Peterlein sindt gute Zigeuner/Landtfahrer und Warsager gewesen/ wie die umbfahrenden Schuler/und haben gern gute Bratfische geessen. Was solts mit jhnen sein? Man lasse uns nur zu frieden/ und rede uns inn diesem handel nichts ein/es muß fort gehen/wie wirs wollen haben /und Sölten alle Pfaffen im Lande auff einander sitzen/und auß der haut 7

° V i l l a bis X X X V I I I .

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„Wir wollen nun zum ende eilen." ( X X X V I I b , X X X V I I I a ) .

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IIa.

73

Hab.

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IIb.

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faren/Wir wollen jnen wol das Maul stopffen/und/wo sie nicht schweygen/sie zum Lande hinauß jagen. Wer wil sich von jhnen lassen reformieren/und registrieren? Sindts doch selber uneinig untereinander/und arme leute. Was ist ein Pfaff? Wolt ich doch lieber ein Schelm sein/denn daß ich mich von jnen solt erschrecken lassen." Eine bemerkenswerte Rede, die der Hofprediger hier den Fürsten in den Mund legt! Nicht als Ausnahme sieht Seinecker ein derartiges fürstliches Selbstverständnis : „Solche und dergleiche reden sindt nun sehr gemein und breuchlich worden bey den Herren/die doch wollen gute Christen sein/und haben den namen/daß sie Handhaber der rechten Lehre Christi sein." 7 5 In drastischer, prophetischer Strafpredigt geißelt Seinecker die heuchlerische Anmaßung der Regenten: „Wolan/lieben Herren/liebe Getrewen/und liebeJunckherrn/wie jhr heysset/faret jmmer fort/und machet wie jhr wöllet/weyl ihr doch nicht hören wolt. Ihr seyt doch ein Heuchelvolck/und nicht werdt/das jhr Christen heyssen solt. Last sehen/und harret ein weil/ihr sollet zetter und mordio über euch schreyen/Denn der Herr Zebaoth wirdt unter euch/die jhr yetzt fett/sicher/ rhumretig/gewaltig/starck und frisch seyt/die Darr schicken/und ewer Herrligkeit anzünden/daß sie brennen soll/wie Fewer/und die Herrligkeit ewrer Weide und ewers Feldes sol zu nichte werden/von den Seelen bis auffs Fleysch/Und der Zorn des Herrn wirdt nicht ablassen/sondern Kopff und Schwantz/Ast und Strumpff abhawen... und euch und eweren Samen vertilgen." 7 6 D e r strafende Zorn Selneckers, der auch den ungetreuen Untertanen gilt, unterscheidet dennoch einige wenige Fürsten, die Gottes Wort lieb haben, von der großen Mehrzahl, die es verachten: „Solches sage ich darumb/daß nun langst bekandt und offenbar ist/daß gar wenig Herren sindt/die Gottes Wort lieb haben/und sich darnach richten/und sich stellen als Kinder Gottes. Der mehrer theyl leben/ wie die lebendigen Teufel/ohn alle Gottes forcht/nach jrem eygen willen und wollust/und wie sie wöllen/so muß es gehen/es gefalle Gott oder nicht.. . " 7 7 Die Verlagerung der Schwerpunkte gegenüber Luther wird auch hier deutlich. Gottes Wunderleute, die es bei Christen und Heiden gibt, sind bei Luther die von Gott selbst erweckten Helden. Von Natur und aus eigenem vernünftigen Vermögen sind alle Fürsten Gottes Feinde (Psalm 2) 7 8 . Seinecker hat demgegenüber eine christliche Obrigkeit vor Augen, die ihren Selbstanspruch mehrheitlich durch schuldhaftes Handeln und Versäumnis ihrer Amtspflichten verfehlt. Nur wenige Fürsten machen hiervon eine Ausnahme. Die Kritik an der Obrigkeit wächst aus der Erfahrung des Hofpredigers, nicht aus Neid oder falscher Mißachtung des von Gott verordneten obrigkeitlichen

75 76

IV a. » Vgl. auch W A 5 1 , 2 1 7 , 1 9 - 3 1 .

77 7

Diese ganze Rede, III a. IIIb.

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Amtes 7 9 . Aber gerade deshalb muß sie gegenüber verschiedenen Einwänden gerechtfertigt werden. Die Apologie der Strafpredigten, mit denen den Fürsten öffentlich ins Gewissen geredet werden muß, ist ein Hauptanliegen in Selnekkers Psalmenkommentar und der Ausgangspunkt für seinen „Unterricht" für die Obrigkeit. Viele falsche, gewohnheitsmäßig-entschuldigende Vorstellungen über Amt und Person der Regenten gilt es hier abzuwehren und richtigzustellen. Die Weltweisen und auch einige Theologen meinen: Herren sind Herren wegen der Ehre Gottes (unter Berufung auf Römer 13). Die Obrigkeit hat viel Gelegenheit zu sündigen. Deshalb müsse man Geduld mit den Herren haben. Man macht sie nur zorniger, wenn man sie straft. Strafpredigten förderten den Aufruhr, machten die Obrigkeit bei den Untertanen verächtlich. W o sollen die fürstlichen Freuden bleiben? 8 0 Behutsam-abwägend, aber doch unmißverständlich deutlich geht Seinecker diesen Einwänden nach und versucht sie zu entkräften. Nicht um Unbedeutsames haben sich die Prediger zu kümmern: „Wenn aber wichtige grosse Ursachen fürfallen/die trewe Seelsorger nicht können noch sollen in wind schlagen/da ist es zeyt/das maul redlich auff zu thun/zu vermanen/und zu straffen ohne schew/so lieb als einem yeden Prediger ist sein Seel seligkeyt." 8 1 Wichtige Anlässe für Strafpredigten ergeben sich sowohl aus dem amtlichen Handeln wie aus dem persönlichen Leben der Regenten. Für Seinecker sind das vor allem: das Handeln gegen das ausdrückliche Wort Gottes, d.h. die Gleichgültigkeit gegenüber Kirchen und Schulen, aber auch das Aussaugen der Untertanen, das sichere, wilde Leben in Schwelgerei, Prassen und das unmäßige Jagen. Orientiert an dem Vorbild Nathans vor David sollen die Strafpredigten nach Seinecker zu einer Einschärfung der Gewissen und zur Selbsteinsicht der Regenten führen. Ihre Vollmacht gewinnen sie aus der dem Predigtamt aufgetragenen Verkündigung des Wortes Gottes gegenüber jedermann, der sich die Prediger nur bei Gefahr des Verlustes der ewigen Seligkeit entziehen können 8 2 . Die richtungweisende, mahnende und strafende Verkündigung des Wortes Gottes an die Obrigkeit gilt vor allem ihrer Verantwortung für die reine Lehre, den rechten Gebrauch der Sakramente und ein gottesfürchtiges Leben der Regenten: „Denn das heyst fürsichtig/redlich und trewlich handeln/und wandeln/daß man Gott und die Unterthanen zum Freund behelt in rechtem Glau79 Seinecker hebt hervor, daß rechte Lehrer die Obrigkeit immer hochgehalten haben wie Christus, Johannes der Täufer und Paulus, IV a. 80 V a f f .

81 va.

8 2 „Es sol die Weltlich Oberkeit unter Gott/ und unter seinem W o r t so wol sein/ als andere Menschen/ und als der geringste Betler auff erden." (VI b). Den Widerstand bei der Obrigkeit haben die Prediger nicht zu fürchten: „Thut sie es nicht/ so sol man freudig und kecklich jr sagen/ was sie ungern höret/ und gar nichts danach fragen/ ob sie gleich darumb maulet/ zürnet/ oder die Klingen zucket." „Wollen die Leut nicht hören/ so sind wir entschludiget/ und haben das unsere gethan/ und unser A m p t außgericht..." (VIb). Freilich haben die Pfarrer, besonders die Hofprediger, damit eine schwere Bürde.

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ben und gutem Gewissen/Weichs denn also geschicht/wenn fromme Herren allen jhren sinn dahin richten/das sie erstlich reine wäre Lehre des heyligen Evangelii/und rechten brauch der Tauff und des Abentmals Christi in jren Landen haben/anrichten/fördern/handhaben und beschützen/und sindt auch selbst für jr person G o t t s f ü r c h t i g . . . " 8 3 Bei dem nun folgenden Unterricht für die Obrigkeit, der weniger lehrhaften als vielmehr konkret-ermahnenden Charakter hat, geht es Seinecker auch in erster Linie um Gewissensberatung für die Regenten, die es mit ihrem christlichen Selbstverständnis ernst meinen. Nüchtern stellt er fest: „Wiewol wir nicht hoffen/daß solches weltliche Herren leichtlich werden billichen und annemen/ Doch ob irgent einer were/der auch gern ein Christ were/und wissen wolt/wie er heut oder morgen faren sol/dem kan dieser Unterricht dienen." 8 4 Anlaß und Ausgangspunkt für diese den Regenten anempfohlene Gewissensberatung des Hofpredigers bilden die vermeintlich unverzichtbaren fürstlichen Freuden, die es gilt, in das rechte Verhältnis zu Würde und Pflichten des Amtes zu setzen. Gleich im ersten Punkt „Was der Fürsten und Herren Standt sey" hebt Selnekker die schwere Verantwortung im Regierungsamt hervor, das kein Rosengarten sei 8 5 . Dem von Gott geordneten, eingesetzten und bestätigten Amt der Obrigkeit gebührt die Ehre, der Amtsträger aber erfährt schonungslose Kritik, wenn er sich in seinem Verhalten unwürdig erweist: „Auff du fauler Wanst/ nimme dich deines Ampts an/ruffe Gott an/schrey umb hulffe/sihe dich umb/es ist Tag/es thut not/höre arme Leut/fürchte Gott/du must sonst ewig verloren sein." 8 6 Drastisch hält Seinecker den Fürsten angesichts ihrer jetzigen Pracht ihre menschliche Vergänglichkeit vor Augen. Die Herren sollen selbst erkennen, „wer sie gewest/was sie jetzt sind/und was sie endtlich werden sollen/-

8 3 VII b. - Seinecker folgt in der Hervorhebung der Verantwortung der christlichen Obrigkeit für die reine Lehre seinem Lehrer Melanchthon, der in den Begriffen der „cura religionis" und der „custodia utriusque tabulae Christiani Magistratus" das kirchliche Amt der christlichen Obrigkeit beschrieben hat und damit zum geistigen Vater des landesherrlichen Kirchenregiments geworden ist. Vgl. dazu J.Heckel, Cura religionis, ius in sacra, ius circa sacra, Reihe „Libelli", B d . X L I X , Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt 2 1 % 2 , 6 - 2 4 und M. Honecker, Cura religionis magistratus Christiani. Studien zum Kirchenrecht im Luthertum des 17. Jahrhunderts, insbesondere bei Johann Gerhard. Jus ecclesiasticum, Bd. 7, München 1968, 160 ff. Nach Honecker kennt Seinecker jedoch nur eine potestas ecclesiastica, nämlich die geistliche Gewalt des Predigtamtes, und verwendet die melanchthonischen termini technici nicht, sondern begnügt sich mit der Feststellung: „Deinde magistratus purae et syncerae doctrinae sit defensor et propugnator et idolatriae destructor." (Institutionis Christianae religionis, Pars II, p. 583, zitiert nach Honecker, 162). Diese Formulierung kommt auch der Aufgabenbeschreibung der christlich-frommen Obrigkeit in den Psalterpredigten nahe.

»4 V i l l a . 85 Ebd. 8 6 X I a. Auch hier hat Seinecker das ausschweifende Leben der Fürsten im Auge, die nächtlichen Trinkgelage, das Prassen und unmäßige Jagen.

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nemlich/Erden/schleim/sterblich/schwach/und wieder zur Erden/den Würmern zur Speise/da sie ubel stincken.. ." 87 In seiner mahnenden Kritik am ausschweifenden Leben der Regenten redet Seinecker auch vom „Faulwitz", jener Geschäftigkeit in fremden Sachen, die Luther in seiner Auslegung des 101. Psalms anprangerte. Doch jetzt geht es nicht mehr um die Verkehrung des Weltlichen ins Geistliche und umgekehrt im amtlichen Handeln der Obrigkeit, sondern um den persönlichen Müßiggang und die Wollust der Fürsten, während sich andere um das Regiment sorgen müssen: „Man sihet doch/daß die Herren von faulwitz am lengsten leben/die daheim sitzen/oder sonst jrer wollust pflegen/und lassen alles gut wetter sein/ und andere sorgen umb das Regiment." 88 Als Strafpredigt gegen die Wollust im Leben der Fürsten, die ihre eigentliche Aufgabe, das Regieren, vernachlässigen, ist der ganze „Unterricht" für die Obrigkeit gemeint. Unter der Uberschrift: „Wie man sich in diesen Standt schicken sol" läßt Seinecker ein langes Gebet folgen, dessen Sündenbekenntnis mit den Worten beginnt: „Ich armer elender Sünder/der ich staub kot und erden bin.. ," 89 Die demütige Gesinnung im fürstlichen Selbstverständnis spricht sich am angemessensten im Gebet aus, in dem für Seinecker die Summe des ganzen 101. Psalms zum Ausdruck kommt 9 0 . Zum Handeln im obrigkeitlichen Amt gehört aber auch das aus eigenem Studium hervorgegangene Wissen und das Verständnis für künstlerische, rechtliche und vor allem theologische Sachverhalte. In Übereinstimmung mit Luther geht es Seinecker um den gelehrten Fürsten, der selbst studiert hat und sich auf die Sprachen versteht 91 . Er schilt wie Luther die ungelehrten, groben Esel, die nicht wissen, was um sie vorgeht und was sie zu tun haben. Freilich will auch Seinecker damit nicht der eingebildeten, selbstgenügsamen Gelehrsamkeit das Wort reden, sondern die Fürsten zur vernünftigen Verantwortung ermahnen, die sie selbst wahrzunehmen haben 92 . Im Zusammenhang mit diesem Fürstenbild, das in der Kontinuität mit demjenigen Luthers steht, geht es Seinecker für seine Zeit nach dem Augsburger Religionsfrieden vor allem darum, daß die christliche Obrigkeit ihren Ver87

XII a. XI b. 89 X H I a ; das Gebet ist in Sündenbekenntnis, Versöhnung und Dank gegliedert (XHIa-XVIb). 90 Dieses Gebet trägt einen sehr anderen Charakter als die beiden Obrigkeitsgebete im Paradiesgärtlein Johann Arndts. Von der sündlichen Natur, dem Fleisch und Blut, das zu faul und sicher ist, redet Arndt nicht. S.u. Kap. IV, 2d., 153. 91 „Es sol aber ein feiner Herr auch gestudiert haben/ und mit Sprachen/ guten Künsten/ und verstandt im Rechten gefasset sein/ das er erstlich selbs die Christliche lehr wisse und verstehe/ davon reden und recht urteilen k ö n n e . . . " (XVI b). 92 Mit Beispielen aus dem Alten Testament und aus der Kirchengeschichte unterstreicht Selnekker diese nötige Eigenverantwortung der Regenten, zu der die „Handhabung" der christlichen Lehre und Abschaffung der Abgötterei gehören. Die Herren sollen nicht „stumme Ziffern" sein. Sonst gibt es viel Unheil und Verführungen. (XIX af.). 88

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pflichtungen gegenüber Schule und Kirche weiter nachkommt. Der Lehrpunkt „Von dem Ampt grosser Herren" handelt ausführlich darüber. „Es gehöret aber zu diesem Ampt auch dieses stück/daß Christliche Herrn jnen Schule und Kirchen lassen angelegen sein/und dieselbigen versorgen mit nottürfftigen Stipendiis und Einkommen/und haben gut acht auff eine feine disciplin/sehen daß sie gelerte/feine Männer haben/auffziehen und behalten/und wenden die Kirchengüter zur erhaltung der Kirchen und S c h u l e n . . . " 9 3 Ausdrücklich lobt Seinecker die Universitäten von Wittenberg, Leipzig, Tübingen, Rostock und Jena. Aber dieses L o b geht schnell in Ermahnung und scharfe Kritik an der Verschwendung und dem Raub des Kirchengutes über. Hier erreicht die Strafpredigt Selneckers gegenüber der Obrigkeit in seiner Auslegung des 101. Psalms ihren Höhepunkt. Die in der lutherischen Orthodoxie so reichlich verwandte Belegstelle Jes 49,23 für das Amt einer christlichen Obrigkeit bezieht Seinecker direkt auf die notwendige wirtschaftliche Versorgung der Pfarrer. Nicht kirchliche Rechte, sondern die Verpflichtungen der Obrigkeit gegenüber der Kirche werden herausgestellt: „Es sol ja die Oberkeit jr Predigstul/Kirchen/und Schulen lassen befolhen sein/und sie versorgen und erhalten. Denn wo die not leiden/so wird sichs fürwar unglücklich regieren. Darumb nennet Gott die Könige und Fürsten/Pfleger und Seugammen seiner Kirchen/Esaie 49. 0 wee/und aber wee aller Oberkeit/die Kirchen und Schulen lest not leyden. Item/die zu sich reisset/was zun Kirchen und Schulen von den Alten gemacht ist/und wendets nicht wider zur erhaltung der Kirchen und Schulen. Item/die ihre Prediger umb der warheit willen hasset/ihnen nichts gibt verjaget und verfolget sie." 9 4 Seinecker begnügt sich aber nicht nur mit Klagen über die fürstliche Anmaßung den Predigern gegenüber, sondern stellt unmißverständlich fest, daß das Kirchengut allein zur Erhaltung des Predigtamtes dienen müsse: „Man sol aber all h i e . . . auch das wissen/daß das dominium unnd gebiet über die Kirchengüter nicht gehört zu den Bischoffen/noch zu Weltlichen Herren/noch zu dem Volck/Sondern gehöret schlecht unnd ohne mittel zu der Kirchen/Das ist/Fürsten/Bischoffe/und andere/haben keines weges die macht/daß sie das Einkommen der Kirchen anderstwo hinwenden/denn allein zu erhaltung des Predigampts/oder des gantzen ministerii, und der Studien, die zu erhaltung der Kirchen gehören." 9 5 Der Raub des Kirchengutes ist ein ver93

X X I b.

X X I I a. X X I I a. - Diese Kritik am Raub des Kirchengutes findet sich auch in der mit den Psalterpredigten etwa gleichzeitigen „Pädagogia christiana". In diesen Katechismuspredigten, die Seinecker am Dresdner H o f gehalten hat, gibt er auf die Frage zum 7. Gebot „ W e m die Herrschaft über die Kirchengüter/ Allmosen und Einkommen gehöre?" folgende A n t w o r t : „Sie gehöret weder den Bepstischen Bischoffen/ noch den Weltlichen Fürsten/ noch dem gemeinen Volck/ sondern gehöret der Kirchen Gottes/ das ist/ E s haben weder die Bischoffe/ noch die Fürsten/ noch das Volck/ macht/ solches einkommen an andern gebrauch zuverwenden/ denn nur zu erhaltung des Predigampts und studirens." „Zu unsern Zeiten/ nach dem/ durch Gottes gnade/ die reine lehr des Gesetz und Evangelii wider erfuhr bracht/ haben ihr viel hierinnen gar zu viel nachgelassen/ der Weltlichen 95

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hängnisvoller Mißbrauch der evangelischen Freiheit durch Fürsten, die sich nur äußerlich zum Evangelium bekennen und damit ihre fleischliche Freiheit suchen. Unter Berufung auf Luther, der von den weltlichen Eseln und Säuen sprach, die an die Stelle der geistlichen traten, stellt Seinecker fest, daß es schon fast zu spät sei, dagegen anzugehen: „wie denn auch auß vielen Klöstern im Teutschlande Zeugheuser und Hundsstell worden sind/gleich wie auß dem Tempel Baal ein Cloack warde." 9 6 Mit dieser scharfen Kritik gegenüber der mißbräuchlichen Verwendung des Kirchengutes durch die Obrigkeit geht es Seinecker nicht nur um die geordnete wirtschaftliche Sicherung des Pfarrerstandes, sondern um ein nicht unwesentliches Stück kirchlicher Eigenständigkeit im nachreformatorischen, protestantischen Staatswesen. In seiner Lehre vom Amt einer christlichen Obrigkeit steht diese Kritik unter dem ersten Aspekt des Schutzes und der Verteidigung der reinen Lehre und der Verantwortung gegenüber Kirche und Schule. Der Raub des Kirchengutes stellt deshalb eine grobe Verletzung dieser Verantwortung dar. Die christliche Freiheit der Kirche beruht freilich nicht auf leiblichen Gütern: „Darneben sollen wir auch rechte Lehre/und waren Trost behalten/als daß unser Christliche Freyheyt stehe nit im Einkomen/Gelt/Zinß/und andern leiblichen Gütern/Sondern in rechter reiner Lehre des Evangelii/und inn rechtem brauch der Sakrament/im glauben an Christum/in hoffnung der Erlösung/ inn Gedult des Creutzes/und in wahrer bestendigkeit." 9 7 Aber für Seinecker hat diese geistliche Freiheit, in der die Kirche Gott zum Speisemeister hat, auch eine sichtbare Seite. In den geordneten Gütern bewahrt sich die Kirche ihre Freiheit gegenüber obrigkeitlichen Zugriffen. Deshalb ist hier eine Ermahnung nötig: „Es sollen aber alle Christliche Herren von jren Seelsorgern trewlich vermanet werden/daß sie nicht zu weit greiffen/noch hand anlegen an den R o c k Christi...98 Den anderen Teil des Amtes einer christlichen Obrigkeit, in dem es um das „gut Regiment bestellen" geht, stellt Seinecker unter die Dreiheit „Consilium bonum, Disciplina und Oculus Domini". Mit ausführlichen Ermahnungen appelliert er an das Gewissen christlicher Regenten, vor allem Zucht und Disziplin im eigenen Leben walten zu lassen, den Rat treuer Räte nicht zu verschmähen, die Untertanen zu lieben und den Armen und Bedrängten Recht zu verschaffen, in allem aber selbst sich des Regimentes unter den Augen Gottes anzunehmen. Das Amt großer Herren in seiner zweifachen Ausrichtung faßt Obrigkeit/ und denen vom Adel/ welche die Kirchengüter zu sich gerissen/ und zu ihrem pracht und Verschwendung eingezogen habe." („Pädagogia christiana... Unterweisung in den Heubtstücken der gantzen Christlichen L e h r e . . . nach Ordnung des heiligen C a t e c h i s m i . . . Geschrieben und am Churfürstlichen Sechsischen Hoff geprediget...", Leipzig 1569, 1.Auflage 1564, 183b—184b). Signatur: 194.12 Theol. 4°(1), H A B Wolfenbüttel. 96

X X V a.

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X X V a.

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X X V b.

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Seinecker folgendermaßen zusammen: „1. Daß sie Gottsfürchtig sein/auff Gott trawen und bawen/sein Wort lieb haben/seine Lehr beschützen und verteidigen/Kirchen und Schulen versorgen und erhalten/und die Kirchengüter wol anwenden. 2. Das sie gut Regiment bestellen/haben lust und liebe zu zucht und erbarkeit/sehen sich umb nach trewen Rethen und Amptleuten/lieben ihr land/Leut und Unterthanen/und verschaffen Recht und Gerechtigkeit den Armen/Witwen/Weisen/und anderen bedrengten leuten/seind auch bestendig und warhafftig/gütig und freundlich/und nemen sich des Regiments selbs mit trewen und fleiß an." 99 In dieser zweifachen Ausrichtung des Amtes einer christlichen Obrigkeit wirkt deutlich Luthers Auslegung des 101. Psalms nach. Man wird bei Seinecker von der Unterscheidung zweier Aspekte des obrigkeitlichen Handelns sprechen können: die Verantwortung gegenüber der Lehre und die „weltlichen" Regimentspflichten, die er unter dem Aspekt „gut Regiment bestellen" zusammenfaßt. Luthers Unterscheidung zwischen dem Handeln der Obrigkeit nach dem geistlichen und weltlichen Stand bzw. Regiment in seiner Auslegung des 101. Psalms hält Seinecker in der Sache in diesem 3. Lehrpunkt „Von dem Ampt grosser Herren" durchaus aufrecht, ohne daß freilich diese Unterscheidung seine gesamte Auslegung - wie bei Luther - strukturiert und inhaltlich bestimmt. Die ganzheitliche Verantwortung der christlichen Obrigkeit für beide Tafeln des Gesetzes zeigt auch besonders der 4. Punkt dieser Obrigkeitslehre „Was der Herren Gewalt sey". Die Regenten haben sich selbst an die Gesetze zu halten, die das äußere Gemeinwesen vernünftig regeln. Aber die Gesetze, die zur Aufrechterhaltung der Ordnungen des gemeinschaftlichen Lebens notwendig sind, dürfen nicht dem Wort und Gebot Gottes entgegengesetzt sein. Gegenüber allen Formen der Tyrannei gilt es, der clausula Petri zu folgen: „Die Gesetz aber sollen dem Wort und Gebot Gottes/und der vernunfft/id est, legi naturae ehnlich sein. Denn was denselbigen entgegen ist/das heyst kein Gesetz/und ist jme niemand schuldig gehorsam zu leisten/nach der Regel: Man mus Gott mehr gehorchen/als den Menschen." 100 Im 5. Punkt „Wollust der Herren ist Armer Leut unlust" prangert Seinecker wiederum vor allem das unmäßige fürstliche Jagen an und erst im 6. Lehrstück nimmt er das vom Psalmtext gebotene Thema auf: „Was die Herren für leut umb sich haben sollen." 101 Das Regiment einer christlichen Obrigkeit schließt den gottesfürchtigen Regenten mit seinen frommen Dienern zusammen, denn nur in ihrer gemeinsamen Gottesfurcht liegt der Bestand eines Gemeinwesens und sind die Laster fernzuhalten, die es immer wieder bedrohen. Selneckers Unterricht für eine christliche Obrigkeit endet mit einem Appell zur Besserung ihres Verhaltens. 99

XXXII b. XXXIII b. >01 XXXVII bf. 100

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Auch noch an verschiedenen weiteren Stellen der umfangreichen Psalterauslegung des Dresdner Hofpredigers findet sich bemerkenswerte Obrigkeitskritik. So z . B . bei der Auslegung des 112. Psalms: „Zwar was den Adel belanget ist es vast dahin kommen/ daß alle Christen wissen/ daß der mehrer theil... verechter Gottes Worts sindt/ Epicurer/ garstige Sew/ frech und stoltz/ die nicht wissen/ ob sie auff dem heupt gehen sollen/ Gotteslesterer/ Scharrhansen/ unzüchtige Wenst/ Fresser und seuffer/ voller Frantzosen und unlust/ und zu allen untugenden und Lastern geneigt und willigt." 1 0 2 Eine weitere wichtige Q u e l l e für Selneckers Obrigkeitsverständnis stellt neben der Psalterauslegung seine Prophetenauslegung dar 1 0 3 . Auch diese Prophetenpredigten stammen z . T . aus der Dresdner Hofpredigerzeit Selneckers. In der Vorrede heißt es: „Ich habe auch vor etlichen Jaren/ da ich noch ein armer Hoffprediger war/ angefangen/ die P r o p h e t e n . . . öffentlich zu Predigen/ sonderlich den Propheten J e r e m i a m . " 1 0 4 Besonders die Vorrede in die Klagelieder des Propheten Jeremia k o m m t in Inhalt und T o n der Psalterauslegung Selnekkers sehr nahe. D o r t heißt es über das Verhältnis der Pfarrer zur Obrigkeit: „Wenn wir der Obrigkeit alles guts von Hertzen gönnen/ mehr/ denn irgend andere leut/ sie heissen die getrewen/ oder wie sie wollen/ und lassen uns jr A m p t und Seelen Seligkeit angelegen sein/ und predigen von jrem beruff und A m p t nach Gottes Wort und befehl/ das mus so bald ein auffrührische Predigt heissen. D a kommen denn die Ohrenkrawer/ und sprechen/ das stehet den Herrn nicht zu leiden/ sollen sie sich also lassen öffentlich von der Cantzel außtragen/ sol man da zu sehen und still schweigen/ und diesen Bachanten/ Pfaffen/ Leckern/ und unruigen K ö p f f e n jre rede gestatten? N e i n gar N i c h t . " „Wenn wir eins theils denen v o m Adel jre unadeliche stücke fürhalten/ so wollen sie aus der H a u t faren/ schreien/ poltern/ fluchen und schelten wider die Pfaffen/ verjagen jre Predicanten/ und wollen Priester haben/ die zugleich jre Schösser und Schreiber sind/ oder die mit jnen sauffen/ spielen und fressen/ oder die zu allen jren bösen stücken still schweigen/ und mucken nicht/ und lassen jnen alles gefallen/ was sie nur fürnehmen." 1 0 5 Die Prediger üben ihr Wächteramt gegenüber der Obrigkeit nicht nur hinsichtlich der Sorge für die reine Lehre aus, sondern auch in bezug auf das dieser Lehre zu entsprechende Leben. Seinecker weist mit dem Vorwurf der „Maulchristen" folgende Einrede gegen die Strafpredigten zurück: „Man soll lehren/ was zu lehren ist/ nemlich die Artickel des glaubens/ und sol den Catechismum fleissig treiben/ sonderlich weil wir nu Gott lob/ ein gewisse form der lehre CXCIIIb. Die Propehten/ Allen frommen und einfeltigen Christen und hausuätern zum Unterricht und trost in diesen sorglichen letzten Zeiten/ mit kurzter Summari/ und Außlegung verfertiget/ Durch Nicolaum Selneccerum, Leipzig 1579 (Jacob Berwalds Erben). Signatur: T C 4° 35, H A B Wolfenbüttel. 1 0 4 Vorrede, 4. 1 0 5 3 1 6. 102 103

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haben/ darnach man sich halten sol. Was das ander ist des lebens halben/ sol man ungerürt lassen/ und sich desselben nicht annemen/ es sey nicht von nöten/ sonderlich richte man damit zu Hoffe und anderßwo wenig/ oder wol gar nichts aus." 1 0 6 Dagegen setzt Seinecker: „Und sol allhie ein jeder Prediger gedencken/ was für ein untreglich gericht und urteil heut oder morgen unter uns möchte ergehen/ so wir der Welt jre Laster nicht redlich und deutlich auffdecken und anzeigen... Wes were denn die schuld/ und wer würde inn ewigkeit müssen schamrot werden? Wir/ wir/ wir Prediger." „Gott behüte einen jeden trewen Lehrer/ und gebe uns mut/ sinn/ hertz und freidigkeit/ wie seine liebe Propheten und Apostel gehabt haben/ das wir nicht allein in Wind hinein vergebens predigen/ und werffen die Perlen für die Sew/ sondern treffen auch den Teuffei und seine Schuppen und Hoffgesinde/ das jnen wehe thut/ und das sie brüllen..."107 Es sind nicht weltliche Sachen, die auf sich beruhen könnten, um die sich die Prediger kümmern müssen, sondern Gewissenssachen: „Ey/ sprechen etliche/ die Pfaffen solten bey ihrer lehre bleiben/ und sich nicht Weltlicher hendel annemen. Antwort: Wenn diese Weltliche ding nicht wider Gott/ und sein Wort gehen/ so werden sie nicht angefochten. Wenn sie aber wider Gott/ und sein Wort/ wider dein Beruff und Ampt/ und deinem Nechsten zu schaden/ deinem Gewissen zur beschwernis/ und sonst zu gemeinem ergernis erreichen/ als denn/ so sol man das Maul auffthun/ und bey Leib und leben nicht still schweigen." 1 0 8 Uberblicken wir zusammenfassend die Obrigkeitspredigten Selneckers in seiner Psalter- und Prophetenauslegung besonders im Blick auf seine Auslegung des 101. Psalms, so lassen sich folgende charakteristische Grundzüge herausstellen. Im Verständnis der christlichen Obrigkeit versteht sich Seinecker in Kontinuität zu Luther wie Melanchthon. Diese Beziehung zu beiden Reformatoren ist nicht nur eine gedankliche. Als Schwiegersohn des Dresdner Stadtsuperintendenten Daniel Greiser, mit dem Luther im Jahre 1543 einen Briefwechsel über das landesherrliche Kirchenregiment führte 1 0 9 , steht Seinecker auch lebensgeschichtlich in Verbindung zu den Auffassungen des späten Luther. Unter Melanchthons persönlicher Führung wurde Seinecker Theologe, in dessem Geist er lebte und wirkte. Das Lehrhaft-Pädagogische, die Einschärfung der von Gott gewirkten Buße, die zum Glauben führt, aus dem ein neuer und freudig geleisteter Gehorsam hervorbricht - diese theologische Ausrichtung im Geist Melanchthons charakterisiert auch Selneckers Obrigkeitspredigten. Die neue Würde der weltlichen Obrigkeit in Abgrenzung zur Papstkirche und den Schwärmern ist der selbstverständliche Ausgangspunkt in Selneckers Obrig330. 330b. 108 3 3 1 b . 107

1 0 9 W A Br 10; Nr. 3930, S. 436. Luther an Daniel Greiser vom 2 2 . 1 0 . 1 5 4 3 . Luther übt in diesem Brief scharfe Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment.

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keitsVerständnis. Von diesem gemeinsamen Boden der lutherischen Reformation ausgehend versucht er als lutherischer Hofprediger in der Zeit nach dem Augsburger Religionsfrieden, die weltliche Obrigkeit an ihre kirchlichen und christlichen Pflichten im amtlichen Handeln wie im persönlichen Leben nachdrücklich zu erinnern. Aus konkreter, persönlicher Erfahrung am kursächsischen Hof in Dresden erwachsen, zielt die Kritik Selneckers an der Obrigkeit in Form von Strafpredigten, Gewissensappellen und moralischer Belehrung auf eine umfassende Besserung ihres Verhaltens und Handelns. In der Form scharf und in der Sache deutlich und bestimmt ist die Obrigkeitskritik Selneckers ein bedeutsames Zeugnis für den kritischen Geist, mit dem das nachreformatorische Luthertum die Politik des protestantisch-frühneuzeitlichen Staats begleitet hat. In seiner kritischen, oft auch polemischen Strafpredigt gegenüber der Obrigkeit beruft sich Seinecker immer wieder vor allem auf Luther. Seine Auslegung des 101. Psalms läßt die bis in kleinste Einzelheiten gehende Vertrautheit mit derjenigen Luthers deutlich erkennen. Selneckers Bestimmung der cura religionis der Fürsten und seine Forderung nach Selbständigkeit der Kirche haben die Struktur der Zweiregimentenlehre Luthers, ohne daß dies ausgeführt wird. Doch die Art und Weise, wie Luther und Seinecker mit Hilfe des 101. Psalms ihren jeweiligen Obrigkeiten kritisch begegnen, zeigt Unterschiede, die nicht nur aus der veränderten geschichtlichen Situation zu verstehen sind. Den im Zentrum von Luthers Auslegung des 101. Psalms stehenden leidenschaftlichen Hinweis auf das alle Begründungen im menschlichen Verhalten sprengende, schöpferische Handeln Gottes in der Welt, mit dem er seine Schöpfung erhält und sich dazu des obrigkeitlichen Amtes bedient, sucht man bei Seinecker vergebens. An seine Stelle ist der Appell an das in Lehrpunkten aufzählbare, richtige und in vernünftig-praktischer Zielrichtung sich bewährende Handeln einer christlich-frommen Obrigkeit getreten. Die für Luthers Auslegung des 101. Psalms so charakteristische Verbindung von einer die Alleinwirksamkeit Gottes betonenden Geschichtsanschauung mit der Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regiments eines christlichen Fürsten spielt bei Seinecker keine Rolle mehr. Die christliche Obrigkeit hat die Verantwortung für den Schutz und die Verteidigung der reinen Lehre sowie für die Gestaltung eines guten Regiments. Daran müssen die Theologen sie nachdrücklich erinnern, besonders die Hofprediger, auch wenn sie keinen Dank, sondern nur Unwillen und Hochmut zu erwarten haben. Gerade hier, bei der Verachtung des kirchlichen Amtes von seiten der Obrigkeit, setzt Selneckers Strafpredigt an. Allen obrigkeitlich angemaßten Ansprüchen gegenüber Kirche und Prediger versucht Seinecker mit oft scharfer Polemik zu wehren, und in diesem seinem Kampf um die Eigenständigkeit der Kirche im frühneuzeitlichen Staat beruft er sich durchaus zu Recht auf Luthers Intentionen. Selneckers Obrigkeitskritik ist ein nicht unwesentliches Zeugnis dafür, wie sehr sich das sowohl in der Kontinuität zu Luther wie Melanchthon stehende Luthertum in der

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2. Hälfte des 16. Jahrhunderts für die Eigenständigkeit der Kirche gegenüber wachsenden Ansprüchen des frühneuzeitlichen Staates eingesetzt hat.

III. Das Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser d . Ä . 1. Zur Situation Kursachsens nach der Regierung Kurfürst Christians I.

(1586-1591)

Am 25. September (5. Oktober) 1591 starb Kurfürst Christian I. von Sachsen, der Sohn Kurfürst Augusts, im Alter von erst 31 Jahren. Sein Tod stellt für die Innen- und Außenpolitik Kursachsens und damit für das ganze protestantische Deutschland am Ende des 16. Jahrhunderts eine wichtige und folgenreiche Zäsur dar. Denn unter seiner Regierung war auch im Kernland der Reformation Luthers der Anschluß an jene große Bewegung vollzogen worden, die man die „Zweite Reformation" genannt hat 1 . Mit dem frühzeitigen Ende der Regierung Kurfürst Christians I. wurde eine Entwicklung jäh unterbrochen, die auf die kirchliche und politische Einigkeit der beiden wichtigsten protestantischen Territorien, Kursachsen und Kurpfalz, zulief und damit den Protestantismus in einer Zeit wachsender innerer und äußerer Bedrohung zu stärken vermochte. Nicht nur für die sächsische Geschichte, sondern für das gesamte konfessionelle Kräfteverhältnis der Stände im Reich am Ausgang des Jahrhunderts war mit dem auf den Tod Christians folgenden inneren und äußeren Umschwung in Kursachsen eine grundlegend veränderte politische Lage entstanden. Die Regierungszeit Kurfürst Christians I. faßt Thomas Klein, dem wir eine eingehende Darstellung mit Biographien der an der kursächsischen Zweiten Reformation beteiligten führenden Persönlichkeiten verdanken 2 , folgenderma1 Vgl. dazu den sehr instruktiven Berichtsband des 5. Symposions des Vereins für Reformationsgeschichte vom O k t o b e r 1985: D i e reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - Das Problem der „Zweiten R e f o r m a t i o n " , Gütersloh 1986, s . K a p . I I , A n m . 7. Z u m Begriffsproblem „Zweite R e f o r m a t i o n " s. vor allem das V o r w o r t von H . S c h i l l i n g , 7 - 9 und den I V . A b s c h n i t t : „Zweite R e f o r m a t i o n " als Forschungskontroverse mit den Beiträgen von W . H . N e u s e r und H . S c h i l l i n g , 379-437. 2 T h . Klein, D e r K a m p f um die Zweite Reformation in Kursachsen 1 5 8 6 - 1 5 9 1 , K ö l n / G r a z 1962, s. auch K . Blaschke, Religion und Politik in Kursachsen 1 5 8 6 - 1 5 9 1 , vgl. Kap. I I , A n m . 7. Ü b e r die Vorgänge der Hinwendung zum reformierten Bekenntnis bzw. dessen Einführung in einem lutherisch bestimmten Kirchen- und Staatswesen auf der Wende des 16. Jahrhunderts begann nach dem Zweiten Weltkrieg eine bis in die Gegenwart lebhaft anhaltende Forschungsdiskussion. J . M o l t m a n n hat in seiner Arbeit über Christoph Pezel und den Calvinismus in Bremen eine theologiegeschichtliche Interpretation jener Vorgänge gegeben, die die Differenzierung in verschiedene Strömungen und Akzentsetzungen dieser Abwendung vom Luthertum in einem K i r c h e n - und Staatswesen einschloß. T h . Klein führte die geistes- bzw. theologiegeschichtliche Deutung des Phänomens „Zweite R e f o r m a t i o n " fort, indem er die Politik Kurfürst Christians I. vor allem im Zusammenhang einer theologisch-pädagogischen Richtungsänderung und des neuen Selbstverständnisses christlicher Obrigkeit (Krell-Bibel) interpretierte. Demgegenüber hat F . Lau die vor-

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ßen zusammen: „Der Überblick über die kurze Regierung Kurfürst Christians I. von Sachsen zeigt deutlich, daß von ihrem Beginn an eine klare Linie (zuerst von einer Minderheit kurfürstlicher Räte unter Duldung des Landesherrn, dann von diesem selbst) verfolgt wurde, die allerdings, entsprechend den Widerständen, die sie fand, taktisch bedingte Modifikationen erlitt. Stillschweigende Aufhebung der Verpflichtung zur Subskription der Konkordienformel, Verzicht auf den Visitationsmechanismus der früheren Jahre, ,Reformation' der Fürstenschulen, Universitäten, Konsistorien und oberen Gerichte Kursachsens, eine Personalpolitik mit dem Ziel, die Vertreter der lutherischen Orthodoxie und der damit verbundenen Politik aus den wichtigsten kirchlichen und staatlichen Amtern zu verdrängen, Promulgierung eines Ediktes gegen die theologische Polemik, Verschärfung der Bücherzensur, Publikation eines Gebetbuches, Gesangbuches und eines ,Katechismus', eine veränderte, höchst aktive, wenn auch zunächst nur Defensivbündnisse innerhalb des Reiches und Hilfeleistung für außerdeutsche Protestanten anstrebende Außenpolitik, Abschaffung des Exorzismus bei der Kindertaufe, Arbeit an einem umfassenden, kommentierten Bibelwerk und verbreitete Änderung der Liturgie und der Kirchenausstattung erscheinen als Teile eines einzigen großen und umfassenden Reformplanes, dessen Stichwort in der Krell-Bibel gegeben wird: Reformation in Kirche, Schule und Staat, konsequenter Abschluß des von Luther begonnenen Werkes, eine ,Zweite Reformation' auf dem Grund eines neuen Selbstverständnisses christlicher Obrigkeit, durchaus nicht bloß Wiedererweckung des 1574 in Sachsen unterdrückten Philippismus. Was 1586-91 in Kursachsen geschah, gehört eindeutig in den Zusammenhang deutscher reformierter Kirchenund Staatswesen am Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts." 3 Die Arbeit von Thomas Klein macht deutlich, wie alle hier treffend charakterisierten inneren und äußeren Maßnahmen unter der Regierung Christians I. an der Persönlichkeit dieses Kurfürsten hingen. Bei seinem Tod hinterließ Christian fünf minderjährige Kinder, die aus seiner Ehe mit Sophia, der Tochter des wiegend politischen Interessen des Landesherrn hervorgehoben. (Die Zweite Reformation in Kursachsen, Neue Forschungen zum sog. sächsischen Kryptocalvinismus, in: Verantwortung, Festschrift für G. Noth, Berlin 1964, 137-154). Auch die marxistische Forschung betont bei der Zweiten Reformation als einer besonderen Form der sog. „Fürstenreformation" die politischen Faktoren, die eine Zentralisierung und Befestigung territorialpolitischer Macht als notwendig erscheinen ließen, die von dem Beamtentum und Stadtbürgertum unterstützt wurde (G. Zschäbitz, Zur Problematik der sog. „Zweiten Reformation" in Deutschland, in: Wissenschaftl. Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 14, 1965, 505-509.). Diese, gegenwärtig lebhafte Diskussion unter Historikern zeigt, daß das Phänomen „Zweite Reformation" zwar unterschiedlich interpretiert, aber als ein zusammenhängendes Geschehen an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert verstanden wird. Zum derzeitigen Diskussionsstand vgl. die Arbeit von H . Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe. Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Band XLVIII, Gütersloh 1981, 47-50 und den in Anm. 1 angegebenen Berichtsband. 3 Th. Klein, aaO., 185.

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Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, hervorgingen: den erst achtjährigen Kurprinzen Christian (II.), geb. 1583, und die jüngeren Brüder Johann Georg und August sowie die beiden Prinzessinnen Sophia und Dorothea. Die Vormundschaft über den Kurprinzen und dessen jüngere Geschwister kam zusammen mit der Regentschaft an das verwandte Haus der Ernestiner, an den Herzog Friedrich Wilhelm von Weimar, den späteren Stifter der altenburgischen Linie. Das bedeutete nicht zuletzt auch konfessionspolitisch einen erheblichen Umschwung. Denn nun sollte für ein Jahrzehnt der streng lutherische Herzog Friedrich Wilhelm, der Sohn Johann Wilhelms und Enkel des Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen, als Administrator die weiteren kursächsischen Geschicke bestimmen. U m seinen Einfluß bei der Erziehung des Kurprinzen und in der Regierung abzuschwächen, hatte Christian zwar noch den Kurfürsten von Brandenburg, den Großvater des Thronerben mütterlicherseits, als Mitvormund bestellt, jedoch kamen die beiden Fürsten überein, daß Herzog Friedrich Wilhelm die kursächsischen Angelegenheiten als Administrator des Landes allein führen sollte. Der Kurfürst von Brandenburg wollte sich nur bei wichtigen Fragen mit seinem Rat einschalten. Die von den führenden Persönlichkeiten am Dresdner Hof unter Kurfürst Christian I. betriebene Politik, vor allem die innenpolitischen Maßnahmen des zu entscheidendem Einfluß gekommenen Kanzlers Nicolaus Krell 4 , erregten bei den Landständen nicht geringen Widerstand 5 . Es lag nahe, daß die Kreise des Adels, die in Konfrontation zu Krell und der von ihm betriebenen Politik standen, nun wieder ihre Stunde gekommen sahen. Sie wurden von der Kurfürstin Sophia unterstützt, die eine wichtige Rolle bei der Verhaftung Krells und dem langwierigen Prozeß gegen ihn spielte 6 . Über die ganze Regierungszeit des Administrators Friedrich Wilhelm zog sich dieser Prozeß hin. Auf Drängen des landständischen Adels ließ Friedrich Wilhelm noch im Oktober 1591, kurz nach dem Tod des Kurfürsten, Krell zusammen mit zwei Räten verhaften. Gegenüber dem Rat des Landgrafen Wilhelm von Hessen, der sich vergeblich um die Freilassung der Gefangenen, besonders Krells bemühte, hat der Administrator 4 Schon Kurfürst August hatte Krell 1580 nach Dresden als Hofrat berufen, w o er dann auf den jungen Kurprinzen Christian als dessen Berater und Sekretär erheblichen Einfluß gewann. A m Anfang der Regierung Christians I. wurde Krell in den Geheimen Rat aufgenommen. Vgl. zu Krell und der zahlreichen älteren Literatur über ihn jetzt die Darstellung von Th. Klein, aaO., 2 0 - 3 6 . Neben Krell ist aber auch auf Andreas Pauli als einflußreichen Ratgeber am Hof Kurfürst Christians I. hinzuweisen (s. Th. Klein, aaO., 36-67). 5 „Unter Kurfürst Christian I änderten sich nicht nur die Außen-, sondern auch die Schul-, Personal- und Religionspolitik in einer vom Adel für höchst gefährlich angesehenen und seine Feindschaft erregenden Weise. A b e r nicht aus einer mit dem Calvinismus des Landesherrn und seiner Ratgeber erwachten landesherrlichen Aktivität als solcher, sondern aus ihrer neuen Richtung ergab sich der Widerstand der Landstände." (Th. Klein, aaO., 189f.). 6 Zur Rolle der Kurfürstin Sophia, die ähnlich wie die Kurfürstin A n n a ihre Gesinnungsfreunde bei der oppositionellen Hofpartei und den orthodox-lutherischen Theologen fand, vgl. Th. Klein, aaO., 32 ff.

Kursachsen nach der Regierung Kurfürst Christians I.

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dann später erklärt, nicht er habe die Verhaftung Krells veranlaßt, sondern es seien vielmehr der Adel und die kurfürstliche Witwe die treibenden Kräfte gewesen 7 . Doch nicht nur am Schicksal des Kanzlers Krell zeigt sich die gravierende Veränderung der inneren Verhältnisse in Kursachsen nach dem Tod Kurfürst Christians I. Die Theologen, die unter der Kanzlerschaft Krells einflußreiche Ämter in der kursächsischen Kirche eingenommen hatten, sahen sich plötzlich der Verhaftung und Verfolgung ausgesetzt. Nur wenige Beispiele seien genannt. So wurde der Leipziger Professor und Pfarrer an St.Thomae, M.Christoph Gundermann, im November 1591 verhaftet. Er hatte an der Universität die calvinistischen Tendenzen des Kurfürsten und Krells deutlich unterstützt und erfuhr nun den unter den Studenten und Bürgern Leipzigs auflodernden Haß besonders krass. Auch der Wittenberger „Erzcalvinist", Urban Pierius 8 , der in den Ämtern als Superintendent von Dresden (in der Nachfolge Daniel Greisers) und Professor und Generalsuperintendent in Wittenberg in den Jahren der Regierung Christians I. großen Einfluß hatte und eine ausgesprochen polemisch-antilutherische, reformierte Theologie vertrat, wurde zu dieser Zeit verhaftet und kam erst nach wiederholten Interventionen Elisabeths I. im Februar 1593 wieder frei. Besonders waren natürlich die beiden Hofprediger Kurfürst Christians in den Jahren nach 1591 der Welle des Unmuts und der Verfolgung durch die neue Herrschaft ausgesetzt: Johann Salmuth, 1589 zum Ersten Hofprediger ernannt, nachdem die lutherischen Hofprediger Martin Mirus und Tobias Beuther endgültig verdrängt waren, und David Steinbach, im gleichen Jahr von Krell zum Hofpredigeramt berufen. Diese beiden Hofprediger, die an der Entstehung der Krell-Bibel wesentlichen Anteil hatten und großen Einfluß auf die Geistlichkeit des Landes ausübten, u.a. im Kampf gegen den lutherischen Widerstand bei der Abschaffung des Exorzismus, wurden ebenfalls im November 1591 verhaftet. Das Jahr 1592 brachte dann diesen Theologen nach z.T. schwerer Haft in der Festung Stolpen und der Unter7 So die Darstellung bei Th. Klein, aaO., 33. Sie deckt sich im wesentlichen mit der älteren Darstellung bei C . W . B ö t t i g e r , Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen, Hamburg 1831, 2. Bd., 6 5 f f . Friedrich Wilhelm forderte nach der Verhaftung Krells auf einem Landtag zu Torgau (Februar 1592) die Landschaft auf, förmliche Anklage gegen ihn zu erheben. Es zeigte sich jedoch, daß nur eine Minderheit überhaupt damit einverstanden war. Lange Zeit gelang es den Gegnern nicht, eine Klage gegen Krell zustande zu bringen. Doch schließlich, nach vergeblichen Bemühungen um Freilassung Krells durch führende Herrscher (Elisabeth I., Heinrich IV. von Frankreich und Landgraf Wilhelm III. von Hessen) und der Mißachtung eines Freilassungsbefehls durch das Reichskammergericht, sprach die böhmische Appellationskammer in Prag aufgrund eines durch Befragung des Angeklagten zusammengestellten Belastungsmaterials das Todesurteil aus. In den ersten Tagen der Regierung Christians II. wurde er auf dem Marktplatz in Dresden hingerichtet (29.9./9.10. 1601). 8 Th. Klein urteilt: „Pierius dürfte der begabteste reformierte Theologe Sachsens dieser Jahre gewesen sein." (aaO., 97). Zu ihm und zu der gesamten kursächsischen Personalpolitik von 1 5 8 6 - 9 1 vgl. Th. Klein, aaO., 9 3 - 1 2 9 .

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Zeichnung von verschiedenen Reserven die Freiheit und die Möglichkeit des Exils in reformierten Territorien. Demgegenüber konnten die Gegner der unter Kurfürst Christian betriebenen Kirchenpolitik und von Krell beargwöhnten und vertriebenen Theologen wieder in ihre alten Positionen zurückkehren. Den Umschwung in Kursachsen erlebte noch kurz vor seinem Tod Nikolaus Seinecker, der als Leipziger Superintendent und Pfarrer an St. Thomae wegen Verweigerung des Mandats gegen die Kanzelpolemik 1589 entlassen worden war und schließlich in Hildesheim sein letztes Exil als Superintendent an St. Andreas gefunden hatte. Im Frühjahr 1592 wurde er von Herzog Friedrich Wilhelm nach Kursachsen in die Leipziger Superintendentur zurückberufen, um an der bevorstehenden Kirchenvisitation mitzuwirken. Seinecker versagte sich trotz Krankheit diesem Ruf nicht, doch schon am 25. Mai 1592 starb er in Leipzig und wurde in der Thomaskirche beigesetzt 9 . Mit der Durchführung der von dem Administrator Friedrich Wilhelm veranlaßten Kirchenvisitation zur Reinigung der sächsischen Kirche vom Kryptocalvinismus 1 0 wurde Martin Mirus als Generalvisitator beauftragt. Er konnte bald nach dem Tod Kurfürst Christians auf Betreiben der KurfürstinWitwe Sophia wieder in sein Hofpredigeramt zurückkehren, aus dem er unter dramatischen Umständen 1588 vertrieben worden war 1 1 . Nach dem Tod von Martin Mirus am 24. August 1593 wurde Polykarp Leyser Erster Hofprediger in Dresden. Auch Leyser hatte seit dem Regierungsantritt Kurfürst Christians in seinen einflußreichen Wittenberger Ämtern als Generalsuperintendent, Theologieprofessor und Assessor des Konsistoriums unter A n feindungen von seiten des Dresdner Hofes und der Gesinnungsfreunde Krells 9 J . A . Gleich, Annales ecclesiastici, oder Gründliche Nachrichten der Reformations-Historie, C h u r = S ä c h s ß . Albertinischer L i n i e . . . , Dresden und Leipzig 1730, Bd. 1, 151 ff. und A . E c k e r t , Leben und W i r k e n N i k o l a u s Selneckers, in: N i k o l a u s Seinecker. Gedenkschrift z u m 450. Geburtstag, H e r s b r u c k 1980, 58 f. 10 U b e r diese, sich bis 1593 erstreckende allgemeine Kirchenvisitation z u r Ausscheidung calvinischer Ansichten w i r d berichtet, daß in Leipzig selbst der T u r m k n o p f der N i k o l a i k i r c h e untersucht w o r d e n sei, weil man calvinische Schriften in ihm vermutete. ( C . W . Böttiger, aaO., Bd. 2, 71). Zu einem Religionseid auf das Konkordienbuch k a m es erst unter Christian II. 1602. Die Grundlage f ü r die Kirchenvisitation bildeten die 4 Artikel, über die schon 1586 J a k o b Andreae u n d T h e o d o r Beza in M ö m p e l g a r d disputiert hatten. 11 Der Sturz des lutherischen H o f p r e d i g e r s M a r t i n M i r u s stellt einen wichtigen Schritt in der fortschreitenden N e u o r i e n t i e r u n g der Politik unter Kurfürst Christian dar. W a r doch damit das alte M o n o p o l der Lutheraner auf die Hofpredigerstellen gebrochen und mit der Ernennung J o h a n n Salmuths z u m Ersten H o f p r e d i g e r ein Sieg Krells und Paulis auch in der unmittelbaren U m g e b u n g des Kurfürsten erreicht. M i r u s w u r d e im Sommer 1588 nach Auseinandersetzungen mit dem Kurfürsten und von langer H a n d geschürten Intrigen seiner calvinistischen Gegner beurlaubt und f ü r k u r z e Zeit auf der Festung Königstein festgesetzt, an demselben Ort, an dem dann später Krell so lange ausharren mußte. Er lebte danach in J e n a im Exil und w a r vor seiner R ü c k b e r u f u n g nach Dresden D o m p r e d i g e r in Halberstadt. Zu Martin M i r u s vgl. J . A. Gleich, Annales ecclesiastici, Bd. 1, 305ff., 3 2 7 f f . ; G . L . Z e i ß l e r , Geschichte der sächsischen O b e r h o f p r e d i g e r und deren Vorgänger in gleicher Stellung von der Reformation an bis auf die gegenwärtige Zeit, Leipzig 1856, 16ff., 1 8 f . ; T h . Klein, aaO., 115ff.

Kursachsen nach der Regierung Kurfürst Christians I.

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zu leiden. Seine bedeutende Wirksamkeit als Dresdner Hofprediger begann erst nach dem Tod Kurfürst Christians I. unter der Regierung des Administrators Friedrich Wilhelm und Kurfürst Christians II. Dem Wandel der kirchlichen Verhältnisse, wie er sich in den Schicksalen dieser Theologen widerspiegelt, entsprach eine Wendung in der gesamten sächsischen Politik, die wieder in die Bahnen der letzten Regierungszeit Kurfürst Augusts zurücklenkte. Vor allem die vorsichtig unternommene, aber dann doch erreichte Verbindung zwischen Kursachsen und Kurpfalz, wie sie unter Christian I. und Johann Casimir in Torgau 1591 zustande kam und schon zu weitreichenden protestantischen Bündnisabsprachen und zur Hilfeleistung für die Hugenotten geführt hatte, schlug unter dem Administrator Friedrich Wilhelm, nachhaltig von den Ständen unterstützt, wieder in einen heftigen Gegensatz um. Statt dessen suchte Kursachsen erneut gute Beziehungen zu dem habsburgischen Kaiserhaus herzustellen. Auf den Reichstagen von Regensburg 1594 und 1598, auf denen der Kaiser erhebliche Hilfen zur Abwendung der Türkengefahr von allen Ständen des Reiches forderte, war Kursachsen nicht gewillt, die Bewilligung der Türkensteuer - wie Kurpfalz es wollte - von der Abstellung der Beschwerden um den geistlichen Vorbehalt abhängig zu machen. Das kaiserliche Ansehen und die Verteidigung des Reiches gegen äußere Feinde waren für Kursachsen wieder die höheren Güter, die unter keinen Umständen durch innere Angelegenheiten beeinträchtigt werden durften. Der alte Gegensatz zwischen Sachsen und der Pfalz machte sich besonders auf dem Regensburger Reichstag von 1594 geltend. In zwei unterschiedlichen Entwürfen zu Beschwerdeschriften an den Kaiser - einem energischen kurpfälzischen und einem zahmen kursächsischen - lag die Uneinigkeit unter den evangelischen Ständen und der Rangstreit zwischen Kurpfalz und Kursachsen um die Leitung ihrer Interessen gleichsam urkundlich vor. Die Zerrissenheit im eigenen Lager konnte den Forderungen der Evangelischen auf den Reichstagen keine Kraft verleihen. Am 23. September 1601, am Tag seines 18. Geburtstags, ging die Regentschaft in Kursachsen auf Christian II. über. Am Anfang seiner Regierung wurde der ehemalige Kanzler seines Vaters, Nicolaus Krell, in Dresden hingerichtet. Auch wenn die Weichen zu dieser an der Person Krells vollzogenen öffentlichen Abrechnung mit dem sächsischen Calvinismus längst gestellt waren, so konnte doch dieses Ereignis auf die weitere Politik Kursachsens und seine Stellung zu den anderen evangelischen Ständen nicht ohne nachhaltige Folgen bleiben. Die Kluft zwischen den sich zu Kursachsen haltenden Lutheranern und den reformierten Ständen, die durch neue Ubertritte wie z.B. den des Markgrafen Ernst Friedrich von Baden-Durlach gewachsen war, wurde noch weiter vertieft. Der junge albertinische Kurfürst setzte dann auch im Inneren wie im Äußeren ohne wesentlich neue Akzente die Politik des ernestinischen Administrators fort. Der im Geist einer strengen Bindung an Luther und die Konkordienformel, vor allem unter dem Einfluß der Kurfürstin Sophia erzogene junge Regent

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser d. Ä .

wurde von den Zeitgenossen das „fromme H e r z " genannt 1 2 . Auf dem ersten Landtag zu Torgau nach seinem Regierungsantritt im Dezember 1601 war die Verpflichtung auf die reine Religion und der Eid auf das Konkordienbuch verbindlich erklärt worden. Der Erste Hofprediger in Dresden, Polykarp Leyser, hatte auf diesem Landtag durch eine bedeutende Landtagspredigt 13 die Grundsätze einer lutherischen Regentschaft ausführlich dargestellt, die von Christian II. durchaus akzeptiert wurden. Die Visitation der Universität Wittenberg und die Errichtung des Kirchenrates 1602, die Wiedererrichtung des Oberkonsistoriums in Dresden 1607 und verschiedene Verordnungen 1 4 zeigen das Bemühen des Kurfürsten, mit Gottesfurcht und Gerechtigkeit sein Regiment zu führen. D e m steht nicht entgegen, daß die Vorliebe zu ausschweifenden Festen und Turnieren, Jagdunternehmungen und die ausgesprochene Trunksucht Christians II. nicht weniger seine kurze Regierungszeit kennzeichnen. Durch ein Unglück während eines Festes auf der Elbe war er schon 1602 gerade noch mit dem Leben davongekommen. Aber es ist verständlich, wenn schon Böttiger über Christian II. urteilt, daß seine ihm zugesprochene Frömmigkeit mehr Gutmütigkeit und Friedfertigkeit gewesen sei, und er nicht der tüchtige und kräftige Fürst war, den Kursachsen am Anfang des 17. Jahrhunderts so nötig gehabt hätte 1 5 . In der Außenpolitik nahm Kursachsen unter Christian II. weiterhin eine habsburgfreundliche, reichstreue Haltung ein. Bei dem sich immer mehr verschärfenden Kampf der Parteien im Reich im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, in dem es nicht nur um kirchliche Interessen zwischen den katholischen und evangelischen Ständen, sondern um die Grundlagen der Reichsverfassung ging, berief sich Kursachsen immer wieder auf den Religionsfrieden und die trotz aller Spannungen zu bewahrende Einheit des Reiches. Doch gerade der Religionsfriede und das Reichsrecht waren durch die juristischen Ubergriffe des parteiischen Reichshofrates gegenüber den evangelischen Ständen und die Hofprozesse aufs stärkste gefährdet. Auf dem Reichstag von Regensburg 1603 kam es zwar noch einmal zu einem Reichstagsabschied, der die vom Kaiser geforderte Türkenhilfe betraf. Nur durch das Mittel der D r o hung, notfalls den Reichstag zu verlassen und damit zu sprengen, hatten vor allem die Pfalz und Kurbrandenburg erreicht, daß die gravamina bezüglich des Justizwesens nicht auf einem Deputationstag, sondern auf einem ordentlichen 12 13

C . W . B ö t t i g e r , aaO., 74. Auf diese Landtagspredigt wird unter 2. näher eingegangen.

1 4 „Appellationsordnung/ wie es forthin in deroselben Appellationsgericht gehalten werden sol", Dresden 1605. Unter Rückgriff auf die Verordnungen Kurfürst Augusts und mit Betonung der reinen Lehre soll nach dieser Ordnung das Appellationsgericht zweimal im Jahr tagen. Die „Chursächsische Policey- und Kleiderordnung", Leipzig 1612, stellt nach dem Tod Christians II. verschiedene Verordnungen zusammen, die auf Landtagen während seiner Regierungszeit gefordert wurden. Sie enthält strenge Maßnahmen zur Kirchenbuße und richtet sich in den Festordnungen (Hochzeit und Kindtaufe) gegen den Kleiderluxus und die ausschweifenden Festgelage. 15

C . W . B ö t t i g e r , aaO., 74.

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Polykarp Leyser - Erster Hofprediger in Dresden

Reichstag demnächst endlich verhandelt werden sollten. Waren auf diesem Reichstag die evangelischen Stände noch immer in eine kursächsische und pfälzische Richtung gespalten, so brachten die weiteren, den gegenseitigen Konfessionsstreit schürenden Ereignisse, vor allem die Katastrophe von Donauwörth, die Evangelischen auf dem Reichstag von Regensburg 1608 wieder näher zusammen. Nun erkannte man auch am Dresdner Hof, daß sich das Reich in einer sehr gefährlichen Situation befinde. Die Sorge Christians II. richtete sich vor allem auf die Jesuiten und ihren zunehmenden Einfluß am kaiserlichen Hof in Prag. Mehrfach hatte er sich an Kaiser Rudolf gewandt und bei Besuchen in Prag versucht, ihn vor den von den Jesuiten drohenden Gefahren für den Frieden des Reiches zu warnen. Angesichts des kriegerischen Vorgehens gegen einen evangelischen Reichsstand und die damit offenkundige Verletzung des Religionsfriedens ging es ihm um Maßnahmen und Garantien zu seiner Wiederaufrichtung und Sicherung. Doch als der Reichstag wiederholt drohte, sich aufzulösen, weil über die Reihenfolge der Verhandlungspunkte keine Einigung erzielt werden konnte 16 , versuchte Kursachsen erneut zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln, jedoch ohne Erfolg. Der Reichstag endete ohne Abschied, er war zerrissen so wie das Reich, dessen Einheit er darstellen sollte. Durch den engen Anschluß an das habsburgische Kaiserhaus und seine erfolglosen Vermittlungsbemühungen wurde Kursachsen auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert immer mehr vom übrigen protestantischen Deutschland sowohl geistig wie politisch isoliert 17 . Als die protestantische Union unter Führung Friedrichs IV. von der Pfalz am 4. Mai 1608 zusammentrat, war der sächsische Kurfürst um keinen Preis zum Beitritt zu bewegen, teils aus Haß gegen die Reformierten, teils aus Friedensliebe, was aber vor allem hieß, daß er es nicht mit dem Kaiser verderben wollte. Christian II. sah darum auch der Bildung der katholischen Liga 1609 ruhig zu. Noch bevor sich die religiösen und politischen Gegensätze im Dreißigjährigen Krieg entluden, starb Christian II. am 23. Juni 1611, noch nicht 28 Jahre alt 18 .

2. Polykarp Leyser - Erster Hofprediger

in Dresden

(1594-1610)

Zur Zeit der Regierung des Administrators Friedrich Wilhelm und Kurfürst Christians II. in Kursachsen auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert war Polykarp Leyser Erster Hofprediger in Dresden. Bevor wir uns seinem „Regen1 6 Der pfälzischen Forderung, vor der Türkenhilfe über die Justizangelegenheiten zu verhandeln, wollte Kursachsen sich nicht anschließen. 1 7 Zu dieser Isolation und politischen Zurücksetzung trug auch der seit 1609 aufgebrochene Erbfolgestreit um Jülich und Kleve bei, bei dem Kursachsen seine älteren Rechte (Kurfürst Johann Friedrich war mit der clevischen Sibylle verheiratet gewesen) zugunsten vor allem Kurbrandenburgs verspielte. 1 8 Seine Ehe mit Hedwig von Dänemark (seit 1602) blieb kinderlos, die Regentschaft in Kursachsen ging auf seinen Bruder Johann Georg (I.) über.

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tenspiegel" von 1605 näher zuwenden, werden wir zunächst seinen Weg, der ihn ins Dresdner Hofpredigeramt führte, kurz darstellen. Sodann wollen wir versuchen, anhand einiger Regenten- und Landtagspredigten Leysers seine Dresdner Hofpredigerzeit in ihrer Hauptintention zu charakterisieren. Von hier aus ergibt sich dann der Zugang zum Verständnis seines „Regentenspiegels", in dem Leyser sein Selbstverständnis als Hofprediger und seine zentralen theologischen, kirchlichen und politischen Anliegen zusammengefaßt hat. A m 18. März 1552 wurde Polykarp Leyser 1 9 in Winnenden im Herzogtum Württemberg als Sohn des dortigen Pfarrers und Superintendenten, M. Caspar Leyser, geboren. Bald nach der Geburt des Sohnes wurde der Vater als Superintendent nach Nördlingen versetzt, wo er schon 1554 starb. Die Mutter Margarete, geb. Entringer aus Tübingen, eine Schwägerin Jakob Andreaes, verheiratete sich in zweiter Ehe mit Lukas Osiander d. A., dem Sohn von Andreas Osiander. Nach dem Besuch der Klosterschule von Blaubeuren und des Pädagogiums in Stuttgart kam er 1566, noch nicht 15 Jahre alt, auf die Universität Tübingen, wo er mit Hilfe eines herzoglichen Stipendiums studierte und 1570 zum Magister promovierte. Während seiner theologischen Studien in Tübingen, bei denen Jakob Andreae, Jakob Heerbrand und Theodor Schnepf seine Lehrer waren, verband ihn mit seinem Landsmann Aegidius Hunnius (geb. 1550 in Winnenden) eine enge Freundschaft. Im Jahre 1573 zum Predigtamt ordiniert, wurde Leyser von dem kaiserlichen Rat und Erbtruchseß Michael Ludwig von Puchheim nach Gellersdorf in Niederösterreich als Pfarrer berufen. Seine besondere Predigtbegabung zeigte sich offenbar schon in dieser ersten Stelle, so daß er von hier aus öfters nach Wien als Prediger gerufen wurde. Zusammen mit Aegidius Hunnius erwarb Leyser in Tübingen 1576 den theologischen Doktorgrad. In demselben Jahr rief ihn Kurfürst August von Sachsen nach Wittenberg als Generalsuperintendent, Theologieprofessor und Assessor des Konsistoriums. Im Verlauf des Jahres 1577 trat Leyser nach längerem Zögern diese Amter an, für die er sich aufgrund seines noch jugendlichen Alters kaum gewachsen fühlte. Nach dem Sturz des Kryptocalvinismus in Kursachsen 1574 stand Leyser vor der schwierigen Aufgabe, in dem noch keineswegs befriedeten Wittenberg mitzuhelfen, der Konkordienformel den Weg zu bahnen und die Universität zu reorganisieren. Unterstützt von seinem Onkel Jakob Andreae hat sich Leyser mit Geschick den vielfältigen Anforderungen gestellt. Beim Abschluß des Konkordienwerkes 1577-80 nahm er an mehreren Beratungen 2 0 teil und war neben Andreae und Seinecker Mitglied der Kommission, die die Unterschrift unter die Konkordienformel an verschiedenen Orten in Kursachsen zu betreiben hatte. 1 9 In den älteren Quellen meist in den Formen „Leiser" bzw. „Lyser" wiedergegeben. W i r richten uns hier nach der Schreibweise der RE' bzw. R G G ' . 2 0 Von den zahlreichen theologischen Konventen bei der Entstehung des Konkordienwerkes und der Verteidigung der FC, an denen Leyser während seiner Wittenberger Zeit teilnahm, sei v o r allem das Kolloquium von Quedlinburg genannt, auf dem er zusammen mit Seinecker im Dezember 1582 die Konkordienformel gegen Tilemann Heßhusen verteidigte.

Polykarp L e y s e r - Erster Hofprediger in Dresden

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Im Jahr 1580 verheiratete sich Leyser mit Elisabeth Cranach, der Tochter des Malers und Bürgermeisters Lukas Cranach d. J. Doch Leysers Wirken in Wittenberg blieb nicht ohne Anfeindungen. Besonders nach dem Tod Kurfürst Augusts 1586 nahm der Widerstand der calvinisch Gesinnten gegen den entschiedenen und unermüdlich tätigen Streiter für die Konkordienformel in Kirche und Universität zu. Sie suchten Leyser aus seinen Amtern zu verdrängen, wozu ihnen auch bald eine erwünschte Gelegenheit geboten wurde. Der Stadtrat von Braunschweig hatte schon 1585 an Leyser den Antrag zur Übernahme des dortigen Superintendentenamtes in der Nachfolge von Martin Chemnitz gestellt, der schwer erkrankt war. Doch Leyser schlug diese Berufung zunächst aus und Johann Heidenreich wurde Superintendent von Braunschweig. Im Sommer 1587 erging an Leyser erneut ein Ruf aus Braunschweig zur Übernahme des Koadjutoramtes. Diesmal glaubte er, die Entscheidung dem neuen Kurfürsten Christian I. überlassen zu sollen, jedoch in der Meinung, daß der Kurfürst ihn nicht aus Wittenberg ziehen lassen werde. Entgegen seiner Annahme kam aus Dresden aber der bereitwillig erteilte Entlassungsbescheid 21 . So ging Leyser, von verschiedenen Anschlägen und Anfeindungen seiner Gegner begleitet, aber auch zum Bedauern seiner zahlreichen Freunde, von Wittenberg nach Braunschweig und hielt dort im Dezember 1587 seine Antrittspredigt. Bald entstand auch in Braunschweig ein Streit zwischen ihm und dem Superintendenten Heidenreich über die Ubiquitätslehre der Kon-

2 1 Ü b e r den ganzen Verlauf der Verhandlungen im Zusammenhang mit Leysers A b z u g von Wittenberg nach Braunschweig berichtet er selbst in seinem ausführlichen biographisch-apologetischen Traktat „Rettung der Ehren und Unschuld D . P o l y c a r p i L e i s e r s . . . " , die der kurfürstlich-sächsische Rat und Historiograph W . E . Tentzel in Dresden hundert J a h r e später vollständig veröffentlicht hat, in: W . E . T e n t z e l , Curieuse Bibliothec, B d . 2 , Frankfurt und Leipzig 1705, 6 7 5 - 7 3 5 . Leyser wehrt sich gegen die Beschuldigungen durch die Freunde Krells, daß er einen Aufruhr in Braunschweig inszeniert hätte. Interessant ist dieser Traktat vor allem durch das hier deutlich zutage tretende Verhältnis Leysers zu Kurfürst Christian I. N a c h seiner V o kation nach Braunschweig hat Leyser demnach einen Brief an den Kurfürsten geschrieben (698 f.), den Krell und seine Freunde am H o f ihm gar nicht ausgehändigt, sondern die Sache so dargestellt haben, als o b Leyser um U r l a u b gebeten hätte und mit seiner Bestallung unzufrieden sei. D e r fromme Kurfürst Christian I. sei schändlich betrogen worden. Leyser ruft aus: „ O f r o m m e r / seeliger C h u r = F ü r s t Christiane, wie offt hastu unwissend deinen theuren N a h men und treue H a n d herleihen müssen/ diesen G o t t l o s e n / arglistigen und verschlagenen Leuten/ daß sie ihre böse fürgenommene Händel haben fortsetzen k ö n n e n . " „ G e w i ß ist es/ daß dieser H e r r dem Calvinismo nie gut/ sonderlich aber im Anfange gantz gram gewesen sey." (706). D a ß Christian I. freilich Krell in den Rat aufgenommen hat, sei schlimm, „von dem man wüste/ daß er in der Religion nicht just war/ auch sonsten etliche Stücke an sich hatte/ die nichts taugeten" (707). Als allgemeine Warnung fügt Leyser hinzu: „Welcher Fürst nun Lust darzu hat/ daß er begehret in Verwirrung und U n r u h e gesetzet zu werden/ da er doch selbst nicht w e i ß / wie er darein k o m m e n sey/ oder wie er wieder heraus k o m m e n wolle/ der behänge sich mit Calvinischen R a t h e n . . . " (713).

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kordienformel 2 2 . Infolge dieses Streites verlor Heidenreich, dazu auch in seiner Lebensweise angefeindet, sein Amt, und Leyser wurde 1589 Superintendent in Braunschweig 2 3 . Der Umschwung, der auf den Tod Christians I. in Kursachsen folgte, brachte eine erneute Wendung im Leben und Wirken Polykarp Leysers. Der kursächsische Rat Georg Mylius kam schon im Oktober 1591 im Auftrag des Administrators Friedrich Wilhelm nach Braunschweig mit der Anfrage, ob Leyser nicht wieder in den kursächsischen Kirchendienst zurückkehren wolle. Leyser wurde zunächst eine Berufung nach Leipzig als Superintendent und Pfarrer an St. Nikolai angetragen 24 . Doch dann begannen ab Sommer 1592 langwierige Verhandlungen zwischen Wittenberg und Braunschweig, an deren Ende schließlich unter tumultartigen Umständen seine Entlassung vom Braunschweiger Rat im April 1593 ausgesprochen wurde 2 5 . Nur für kurze Zeit kam Leyser wieder zurück nach Wittenberg 2 6 . Als im August 1593 der Erste Hofprediger in Dresden, Martin Mirus, starb, war es vor allem die Kurfürstin Sophia, die Leyser in der Nachfolge dieses Amtes sehen wollte. Nach nochmaligen Verhandlungen mit Rat und Ministerium von Braunschweig und nachdem Leyser gerade von seiner schweren Erkrankung genesen war 2 7 , konnte er sein Braunschweiger Superintendentenamt endgültig aufgeben und trat das Dresdner Hofpredigeramt im Juni 1594 an, in dem er bis zu seinem Tod am 22. Februar 1610 wirkte. Als im Herbst 1601 Christian II. seine Regentschaft in Kursachsen antrat, konnte Polykarp Leyser schon auf eine siebenjährige Amtszeit als Erster Hofprediger in Dresden zurückblicken. Der fast fünfzig Jahre alte, in vielen Kämpfen bewährte und erfahrene lutherische Theologe stand dem jungen, achtzehnjährigen Kurfürsten als Ratgeber in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten 2 2 Vgl. Ph.J. Rehtmeyer, Braunschweiger Kirchenhistorie, 1715, Bd. IV, 2 9 f f . und Beilagen des 4. Teiles, Nr. 6 , 1 4 ff. 2 3 Uber Leysers Braunschweiger Zeit und den Streit mit dem Helmstedter Professor Daniel Hofmann, s. Ph.J. Rehtmeyer (wie A n m . 2 2 ) , 2 3 f f . , 5 5 - 1 4 9 . Vgl. auch J . A . Gleich, Annales ecclesiastici, Bd. 1, 4 9 9 - 6 0 9 ; G . L . Zeißler, Geschichte der sächs. Oberhofprediger, 2 3 - 3 4 ; A . Tholuck, Der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs, 4 - 1 4 . 2 4 Nikolaus Seinecker hatte Leyser noch zur Übernahme dieses Amtes geraten, das er schon einmal innehatte und dann selbst noch einmal übernehmen sollte. Doch durch den Tod Selneckers kam es dazu nicht mehr. 2 5 Diese Verhandlungen zeigen die erheblichen Spannungen, die zwischen dem Rat und der Bürgerschaft in Braunschweig herrschten. Auch in Braunschweig gab es nicht wenige, die Leyser anfeindeten. Der Rat willigte nur unter der Bedingung ein, daß Leyser für zwei Jahre befristet nach Wittenberg ginge und auch in einem halbjährigen Abstand von Wittenberg aus nach Braunschweig käme, um dort Katechismuspredigt und Schulvisitation vorzunehmen. Leyser hat sich daran bis zu den neuen Verhandlungen nach dem Tod von Martin Mirus gehalten. 2 6 In Wittenberg wurde Leyser in den Streit mit Samuel Huber über die Gnadenwahl verwickelt, der noch bis in die Anfangsjahre seiner Dresdner Hofpredigerzeit reichte. 2 7 Leyser sagt über diese Situation: „Denn es hätte das Ansehen/ weil die Braunschweiger mich nicht wolten nach Dreßden folgen lassen/ so wolte mich auch Gott nicht den Braunschweigern lassen/ sondern ehe durch den zeitlichen Tod hinwegnehmen." („Rettung der Ehren...", Tentzel, 732).

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nicht ohne begründetes Selbstbewußtsein gegenüber. Die Predigten, die Leyser am Anfang der Regierung Kurfürst Christians II. in Dresden und Torgau hielt, zeigen das zielstrebige Bemühen des Hofpredigers, den Stempel seines Geistes dem jungen Regenten und seiner Herrschaft aufzuprägen 28 . In seiner „Glückwünschungspredigt" 29 über den 20. Psalm hebt Leyser am Anfang den Unterschied zwischen einer christlichen und heidnischen Obrigkeit hervor. Eine christliche Obrigkeit sorgt nicht nur für Frieden, Ruhe und Gerechtigkeit ihrer Untertanen, sondern „richtet es doch eigentlich dahin/das solches geschehe in wahrer Gottseligkeit unnd Frömmigkeit... zur beforderung nicht allein der zeitlichen Wolfart jrer Unterthanen/sondern viel mehr jrer ewigen Seligkeit." 30 Die ganze Welt ist eine Schule zum ewigen Leben. Das weltliche Regiment leitet seine Notwendigkeit von der Bosheit der Menschen her, gegen die es ankämpfen muß, weil das Hausregiment es mit der Rute nicht schafft 31 . Die sich anschließende Darlegung einer christlichen Regimentsführung gliedert Leyser in zwei Teile: in Gebet (Lehre) und Ermahnung. Am Anfang steht das Gebet der Untertanen für die Obrigkeit, die in ihrem „mühseligen, beschwerlichen und gefährlichen Stand" ohne den göttlichen Beistand ihre Aufgaben nicht erfüllen kann 32 . Die christliche Obrigkeit muß sich vor allem gegenüber drei satanischen Anfeindungen erwehren: dem Eindringen der falschen Lehre in die Kirche, dem Einfluß, den ein „Machiavellisch ingenium" oder ein „Calvinischer Wirbelgeist" in der Politik gewinnen kann und den Gefahren eines lasterhaften Lebens 33 . Dieser Verantwortung der christlichen Obrigkeit für das Ganze des in ecclesia, politia und oeconomia gegliederten Gemeinwesens vor Gott wollen die Grundsätze des Hofpredigers Leyser für eine christliche Regentschaft dienen. Die vier ersten Lehrpunkte für eine christliche Obrigkeit betreffen die persönliche Gottesfurcht des Fürsten wie die seiner Beamten und Ratgeber: 1. Der Fürst soll sein Regiment mit Gebet beginnen. 2. An Gottes Wort, d.h. an der reinen Religion festhalten. 3. Nicht nur für die eigene Person fromm sein, sondern Kirchen und Schule mit gottesfürchtigen 28 Während der Wirksamkeit Leysers in Dresden unter Christian II. bereitet sich der große Einfluß vor, den der Oberhofprediger Matthias Höe von Höenegg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges auf die sächsische Politik ausübte. Vgl. zu Höe von Höenegg H . - D . Hertrampf, H ö e von Höenegg - sächsischer Oberhofprediger 1613-1645, in: Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte 1969, Berlin 1970, 129-148. 29 „Eine Glückwünschungs Predigt/ zu unterthenigsten Ehren/ Dem Durchlauchtigsten/ Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Christiano II Gehalten von D. Polycarpo Leisem... den 23. Septemb. Anno Christi 1601 in Dresden.", Signatur: G - A 2723, N L B Hannover. AaO., A U I b . 31 AaO., AIV. Die Obrigkeit ist hiernach eine postlapsarische Notordnung, nicht schon mit der Schöpfung gesetzte Ordnung als die zweite der drei Hierarchien, wie z. B. später in den Predigten des Straßburger Theologen J. C. Dannhauer. Leyser begnügt sich auch sonst mit der Feststellung, daß die weltliche Obrigkeit wegen der Bosheit der Menschen von Gott nach dem Fall geordnet sei. 32 „Es ist fast kein mühseliger/ beschwerlicher und gefehrlicher Stand nicht/ in deme einer leichter und ehe in N o t h geraten kan/ denn eben der Stand der Hohen Oberkeit." (AaO., B.). 33 AaO., Bb.

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und tüchtigen Lehrern bestellen (der Fürst solle ein „nervus religionis" sein) und 4. in Kanzlei und Rathaus fromme Räte und Diener beauftragen. Hier ist nicht die eigene Weisheit und „Weltgescheidigkeit", sondern die göttliche Weisheit nötig. Erst in den beiden letzten Anweisungen kommt Leyser auf das „Zeitliche" in der Regierung zu sprechen, auf Steuererhebung und rechtmäßige Kriegführung. Mit scharfen Worten geißelt er das Aussaugen der Armen durch überhöhte Steuern und die Anbetung des Geldgottes am Hof. Die Landschaft gibt in der Not gern Steuern, aber nicht zur prunkvollen Selbstdarstellung der Regenten. In der Stellung zum Krieg bekräftigt der lutherische Hofprediger den Ratschlag Luthers, daß nur der Verteidigungskrieg erlaubt sei. Nur, wenn ein christlicher Regent angegriffen wird, darf er sich wehren 3 4 . Diese Grundsätze für eine christliche Regimentsführung, die Leyser dem neuen Kurfürsten eindringlich vor Augen hält, bekräftigt er geschickt mit einem abschreckenden Beispiel: den Ratschlägen des Kanzlers Krell an Kurfürst Christian I. Die kurz bevorstehende Hinrichtung Krells dient Leyser dazu, noch einmal vor diesem „Machiavellisch ingenium" und „Calvinischen Wirbelgeist" öffentlich zu warnen und an seinem schmachvollen Geschick die Richtigkeit des eigenen Standpunktes zu demonstrieren. Indem der lutherische Hofprediger seinen Rat mit dem des Kanzlers Krell kontrastiert, stehen sich zwei Regierungsweisen unversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite die persönliche Verantwortung und damit die schwere Bürde des obrigkeitlichen Amtes in der Gottesfurcht, die aber auf die Hilfe Gottes fest vertrauen kann, und auf der anderen Seite die Leichtfertigkeit und der berechnende Eigennutz im Regiment, die ins Verhängnis führen. Diese von Leyser vollzogene Kontrastierung nimmt schon jene Unvereinbarkeit von Gottesfurcht und Staatsräson vorweg, mit der vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg lutherische Theologen gegen die zerstörerischen Kräfte im Herrschaftsverständnis des frühabsolutistischen Staates ankämpfen 3 5 . Der Weg Krells und seiner Gesinnungsgenossen ist für den Hofprediger der verabscheuungswürdige Versuch, den Rat der Theologen in den Wind zu schlagen und das Regiment den ehrgeizigen Juristen zu überlassen. Warnend stellt er den Rat Krells an Christian I. heraus, ohne seinen Namen direkt zu nennen: „Wie jener Hoffschrantz (der Gott wol bekant ist) seinen gnedigsten Fürsten und Herrn gratulirete... Er wolte aber S. F. G. diese Lehr geben: 1. Sie solten dem Weiber Regiment nichts verstatten. 2. Sölten sie sich nicht viel in die Pfaffen hendel mengen. Denn was habe den Herrn Vatter vor der zeit graw/alt/schwach gemacht/ unnd zu letzt gantz unter die Erden gebracht/denn daß er sich der Pfaffen Sachen zu viel angenommen h a b e . . . S. F. G. hetten die R ä t h e . . . die solten sie regieren lassen... Sie solten sich unterdessen Fürstlich halten/das ist/mit Jagen/Ringrenen und andern Ritterspielen (viel3 4 „Den ein Fürst und Herr sol sich ja vorsehen/ daß er nit unnötige Kriege anfange." ( C l l b ) . Leyser weist hier auf das Vorbild Kurfürst Augusts hin. 3 5 Ein bedeutendes Beispiel hierfür stellt die „Regentenpredigt" des Wolfenbütteler Hofpredigersjoachim Lütkemann dar, s. unser Kapitel VI.

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leicht auch mit Sauffen) umbgehen/und sich darinnen üben." 3 6 Mit dem Hinweis auf diese abschreckende, verführerische Stimme spricht Leyser nicht zuletzt sein Selbstbewußtsein als lutherischer Hofprediger aus, dessen Hauptaufgabe gerade ist, den Regenten in seinem schweren Amt aus Gottes Wort zu beraten und zu warnen. Die Ermahnung beruht jedoch auf der Gewißheit, daß Christian II. ein ordentlich Gesalbter des Herrn ist, „den Gott zu diesem Ampt beruffen und eingesetzt habe/ daß er in diesen Landen Custos utriusque tabulae sein/ und darauff achtung geben/sol/ut religio et iustitia f l o r e a t . . . " 3 7 Diese schwere Verantwortung gilt es, dem jungen Regenten in der konkreten Situation seines Regierungsantrittes bewußt zu machen: „So heist nun in dem Namen des Herrn seine Regierung anfangen/allerhand gemeine gedancken/die einem wegen der Jugent anhangen/ablegen/ auch andere feil und gebrechen/die ein Regent an sich fühlet und mercket/hinweg t h u n . . . " 3 8 So versucht Leyser schon mit dieser ersten Predigt beim Regierungsantritt Christians II., durch Lehre und Ermahnung dem jungen Kurfürsten seine Grundsätze einer gottesfürchtigen Regierung der christlichen Obrigkeit einzuprägen und damit die Kontinuität in der kursächsischen Herrschaft seit Kurfürst August zu sichern. Mit dem Dank gegenüber Gott für das gute Regiment des Administrators und der mütterlichen Fürsorge der kurfürstlichen Witwe, für einen gnädig gewogenen Kaiser im Reich und in der Hoffnung, daß das geistliche und weltliche Regiment in Zukunft gut bestellt werden möge, beschließt er seine Glückwünschungspredigt. Ein Jahr später, im September 1602, hält Leyser eine Hochzeitspredigt bei der Vermählung Christians II. mit der dänischen Prinzessin Hedwig 3 9 . Das ausführliche Lob auf Kurfürst August und insbesondere auf die Kurfürstin Anna 4 0 3 6 A a O . , C I V . Diese Warnung hatte f ü r Christian II. geradezu prophetische Bedeutung, denn in Festgelagen, im Jagen und übermäßigen Trinken fand der junge Kurfürst seine besonderen Freuden. Der Hofprediger Leyser hat zwar dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden („Zwar/ ein Fürst und Herr muß seine ergetzligkeit haben", C I V ) , aber diese Belustigungen dürfen den Regenten nicht von seiner persönlichen Verantwortung im Regierungsamt abhalten. 3 7 A a O . , D l l b . Denn „S. Churf. Gn. haben das Fundament der waren seligmachenden Religion auß ihrem Catechismo Lutheri, der heiligen Bibel Göttlichs Wort/ Altes und Newes Testaments/ auß der ungeenderten Augspurgischen Confession und dem christlichen Concordienbuch gestudirt/ haben keine gemeinschafft/ kein lust noch gefallen/ weder an dem Papistischen Irrthume/ noch an den Calvinischen Gotteslesterungen/ sondern alle falsche Lehr ist derselbigen ein Grewel." (DIU). 3 8 A a O . , D U I b . Daß Christian II. solche Ermahnungen durchaus willig annahm, bezeugt die nicht unkritische Charakterisierung des Kurfürsten bei Sigmund von Birken, C h u r - und Fürstlicher Sächsischer Helden-Saal..., Nürnberg 1677: „Er ließe sich gern straffen/ vermahnte allemal den Hofprediger zu fernerem Eifer und befahle ihm die Sorge über seine und seiner Unterthanen Seelen." (625). 3 9 Gehalten in Dresden am 23. September 1602, gedruckt zu Jena 1602, über Ps 45. Signatur: G 729 Heimst (11), H A B Wolfenbüttel. 40 welche über der reinen Lehr steiff und fest gehalten/ wider allerley Rotten und Secten

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soll dem neuen kurfürstlichen Paar eindeutig die Richtung weisen, in der es im öffentlichen Leben zu wirken hat. Auch in dieser Predigt belehrt und ermahnt der Hofprediger die Obrigkeit, nicht bei den gegenwärtigen Freuden in Selbstgenügsamkeit zu verharren 41 . Gerade eine solche Festpredigt nimmt Leyser zum Anlaß, ohne Schmeichelei auf die Vergänglichkeit des Königsstuhls auf Erden hinzuweisen und unterstreicht damit die Verantwortung der Obrigkeit, in der Gegenwart vor dem himmlischen Richter für das Wohl des ganzen Landes tätig zu sein. Auf dem 1. Landtag in Torgau unter der neuen Regierung Kurfürst Christians II. im Dezember 1601 hielt Polykarp Leyser eine Predigt, mit der der Hofprediger seine Grundauffassungen über eine christlich-gottesfürchtige Regimentsführung noch einmal ausführlich darlegt, zugleich aber auch mit konkreten Vorstellungen und Empfehlungen für die Organisation insbesondere der Kirche sich unmißverständlich zu Wort meldet 4 2 . Aus dieser Predigt geht das Hauptanliegen Leysers in seinem Hofpredigeramt besonders deutlich hervor: mit grundsätzlicher Belehrung und konkreter Ermahnung auf die Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten maßgeblich Einfluß zu nehmen. Auch diese Landtagspredigt ist durch die drei Stände gegliedert, insofern die christliche Obrigkeit nach dem Vorbild der frommen Könige des ATs ihr ganzes Bemühen auf die reine Religion, die Gerechtigkeit und den Unterhalt der Untertanen sowie den Landfrieden zu richten hat 4 3 . So wenig Leyser daran zweifelt, daß Christian II. sein Regiment in allen drei Richtungen zum Wohl des ganzen Landes führen wird, so wenig begnügt er sich doch nur mit solchen allgemeinen Erwägungen. Mit dem Satz: „Beschert gott etwas guts/so sehe man auch zu/das man es erhalten möge" 4 4 beginnt er im 2. Teil seiner Predigt eine ausführliche Erörterung über die Mittel, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung notwendig sind. Sie betreffen zunächst nur den Kirchenstand als denjenistarck geeyfert/ aller Unzucht und Leichtfertigkeit spinnen feind/ in Summa/ ein Spiegel aller Christlichen Tugenden/ und also eine rechte Landes Mutter gewesen ist." (aaO., B III). 4 1 „Daß wir nicht so sehr sehen auff die Herrligkeit dieser gegenwertigen Churfürstlichen Hochzeit/ als wir uns sehnen nach der Herrligkeit der Himlischen Heimführung." (FIII). 4 2 „Landtagßpredigt/ Gehalten zu Torgaw/ den 9. Decembris 1601, gedruckt zu Leipzig 1602", Signatur: G 146 Heimst (13), H A B Wolfenbüttel. Das Motto aus Römer 13 lautet: „Die Obrigkeit tregt das Schwerd nicht umb sonst/ Sie ist Gottes Dienerin." Als Textgrundlage dienen ausgewählte Kapitel aus 2. Chronik. 4 3 „Denn sie haben gesehen auff die drey Häuptseulen/ auff welchen aus Göttlicher Ordnung/ die gantze Welt ruhet/ Nemlich/ auff den Geistlichen/ Weltlichen und Häußlichen Stand/ damit dieselbe in flore sein/ blühen unnd grünen möge." ( D U I b ) . Unter dem 3. Gesichtspunkt kritisiert Leyser scharf den Uberfluß und die Verschwendung im Essen, Trinken, Kleidung und bei Festen, genau diejenigen Erscheinungen, die den Unterschied zur sparsamen Wirtschaftspolitik Kurfürst Augusts bezeichnen. Sie dient ihm zum Vorbild bei der jetzigen Verschwendung: „ W o kommen doch die schöne newe Thaler hin/ die uns Gott noch aus den Bergwercken bescheret... un sich doch also aus dem Lande verlieren/ das man sich schwerlich biß weile etliche wenige wider sehen kan." ( D I I b - D I I I ) . Durch Verschwendung wird ein Land ausgesaugt, nicht durch rechtmäßige Steuern. 44

DUIbff.

Polykarp Leyser - Erster Hofprediger in Dresden

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gen, der dem Hofprediger am nächsten steht. Danach sollen seine Empfehlungen sinngemäß auch auf die anderen Stände angewandt werden. Daß sich Leyser aber in dieser Landtagspredigt so deutlich über die Ordnung der Kirche ausspricht, ist in der willkommenen Gelegenheit begründet, die sich dem erfahrenen Hofprediger auf dem ersten Landtag unter der neuen Regierung bietet. Hier ist ihm von Amts wegen die Möglichkeit gegeben, seine eigenen Vorstellungen und Ratschläge nicht nur vor den versammelten Ständen und Räten vorzutragen, sondern mit ihnen auch Einfluß auf die Beschlüsse des Landtags zu nehmen. Für eine sinnvolle Kirchenordnung empfiehlt Leyser drei Mittel: 1. Inspektionen, 2. Visitationen, 3. einen ausreichenden Unterhalt für die Pfarrer. Mit Beispielen aus dem Alten und Neuen Testament begründet er die Notwendigkeit von Aufsehern für das Kirchen- und Schulwesen, die in persönlicher Verantwortung über Lehre und Leben der Pfarrer und Lehrer wachen: „Darumb soll das Kirchen und Schulwesen ein guten bestand haben/so bedarff es einer fleissigen Inspection, man muß Generales und Speciales Superintendentes . . . haben/welche nicht warte/wie die Consistoria, biß jnen eine sache angetragen werde/sondern welche wachende Augen h a b e n . . . sehen auff die Personen des Ministerii, wie sie die Lehre führen/wie sie sich im Leben verhalten/forschen bey andern nach/unnd w o sie das geringste vermercken/das es in Lehr oder Leben nicht richtig sein wolte/fordern die Personen für/und ordnen allenthalben an/was geschehen soll/damit also mit schew und fleiß/ein jeder das seine verrichte." 4 5 Die deutliche Kritik Leysers an den aus weltlichen und geistlichen Räten gemischt zusammengesetzten Konsistorien, über die viel Klagen geführt werden, zeigt sich auch bei seiner Forderung von Visitationen. Sie müssen auch wirklich zur Ausführung gelangen, und zwar im ganzen Land bei Kirchen, Schulen, Akademien und Konsistorien. Zeigt schon dieser Hinweis auf die Notwendigkeit von Inspektion und Visitation in der Kirche und die kritische Distanz gegenüber den Konsistorien das deutliche Interesse Leysers, durch theologisch-geistliche Aufsicht die Kirchenordnung zu gewährleisten bzw. zu erneuern, so scheut er sich auch nicht, auf das so schwer umkämpfte Feld der kirchlichen Eigenständigkeit mit klarem Standpunkt direkt einzugehen. Das kurz zurückliegende schmähliche Ende des Kanzlers Krell und die unter ihm betriebene Kirchenpolitik dienen Leyser dabei wirkungsvoll als dunkle Folie, auf deren Hintergrund er seine Warnungen vor einem Hineinregieren der „Weltlichen" in die Kirche vorträgt: „Es weiset aber auch unser Text/durch wen solche Inspektion und Visitation verrichtet werden sollen. In der Welt thut immer einer dem andern ein eingriff in sein Ampt/und lest unter dessen sein eignes anstehen. Im Bapsthumb wolten die Geistliche Herrn alle Weltliche Empter bedienen/sie waren Cantzler/Hoffrichter/Stadthalter/ja mengeten sich auch ins Kriegswesen e i n . . . Bey uns unter dem Euange45

A a O . , E.

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D a s Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser d. Ä.

lio/wollen immerzu die Weltlichen das Directorium haben/in Religionssachen. Aber mich bedünckt/diese Land soltens schier weiß worde sein/was es für nutz und fromen bringe/wenn ein Politischer Krell das directorium in Kirche und Schulsache helt. O wie kä doch ein solcher heimischer und verschlagner K o p f f / der sein lebtag nie öffentlich vor der Gemein sich in Religionssache hören lesset/ in den winckeln und in geheimbd so grossen schaden thü/ehe man derselben gewar wird/das hernach/wenns endlich außbricht/man schier nicht mehr weiß/ wie den Sachen zu helffen oder zu rathen stehe." 4 6 Indem Leyser hier auf jene Umkehrung im Verhältnis des Weltlichen zum Geistlichen hinweist, die in der Formel von der Ablösung der Papocaesarie durch die Caesaropapie während der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in der lutherischen Orthodoxie vor allem von den Gnesiolutheranern aufgegriffen wurde und bis hin zu Spener eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt 4 7 , hält er der christlichen Obrigkeit und ihrem Kirchenregiment ein kritisches Warnungszeichen entgegen. Sie darf ihre Macht nicht mißbrauchen und die Kirche nicht dem politischen Kalkül unterwefen, wie es unter dem Kanzler Krell in Kursachsen der Fall war. Bei diesem „Machiavellisch ingenium" und „Calvinischen Wirbelgeist" ist die Caesaropapie Wirklichkeit geworden, vor der der lutherische Hofprediger seine Obrigkeit grundsätzlich und eindringlich zu warnen versucht. In seiner Kritik vor ungerechtfertigten Machtansprüchen der Obrigkeit gegenüber der Kirche greift Leyser aber auch direkt auf Luther und seine Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regimentes zurück: „Das ist/ weil das geistliche und weltliche Regiment unterschieden sind/so solle auch zu eine jeden seine besondere und unterschiedne Persone gebraucht werde/ also das Geistliche sachen/Geistliche Personen/und Weltliche Sachen auch weltliche Personen führe." 4 8 Von einer feststehenden, von Christus begründeten Tatsache 4 9 geht Leyser aus. Mit der Unterscheidung der beiden Regimente wird ein Verhältnis zwischen Obrigkeit und Kirche beschrieben, das eine Beherrschung und Bevormundung der Kirche und ihrer Amtsträger durch die Obrigkeit ausschließt. In dieser Akzentuierung bei der Gegenüberstellung der beiden Regimente hält der sich auf Luther berufende Hofprediger der Obrigkeit eine A a O . , E I I I b - E IV. Die Ablösung der Papocaesarie durch die Caesaropapie verstehen die strengen lutherischen Theologen in der 2. Halte des 16. Jahrhunderts (vor allem J. Wigand und J . Lapäus) als Erfüllung der Prophezeiungen Luthers von einem „Keyserlich Bapsthumb." Dieses prophetisch-geschichts-theologische Verständnis in der Herrschaft des Weltlichen über das Geistliche verliert sich seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts immer mehr, auch bei Leyser ist davon nichts mehr zu spüren. Aber dieses „Schema" hat damit seine obrigkeitskritische Kraft nicht verloren, werden die protestantischen Obrigkeiten doch mit dieser Gegenüberstellung auf eine Stufe mit den Machtansprüchen der mittelalterlichen Papstkirche gestellt. Vgl. zu den Prophezeiungen Luthers über ein „Kaiserliches Papsttum" und deren Aufnahme in der lutherischen Orthodoxie: M. Kruse, Speners Kritik, 53 ff. 46

47

"8 A a O . , E I V . 4 9 Er weist auf L k 20,20 ff. hin, w o Christus die Sache des Herrn und des Königs fein unterschieden hat.

Polykarp Leyser - Erster Hofprediger in Dresden

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Kirche vor Augen, die sich ihres eigenen Auftrags bewußt ist und diesem auch mit den ihr eigenen Personen und Mitteln gerecht werden will. Daß die Unterscheidung des weltlichen und geistlichen Regiments in der Landtagspredigt des Hofpredigers Leyser als ein Instrument im Kampf um die Eigenständigkeit der Kirche erscheint, ist u.E. ein wichtiger Hinweis auf die kritische Funktion, die die lutherische Zweiregimentenlehre im älteren Luthertum einnimmt. Gerade auf dem Hintergrund der so betont herausgestellten cura religionis der christlich-gottesfürchtigen Obrigkeit gewinnen diese Äußerungen erst ihr eigentliches Gewicht. Einer sich in der praktischen Politik so leicht aufdrängenden Grenzüberschreitung von der Verantwortung der Obrigkeit gegenüber der reinen Lehre zur Durchsetzung fürstlicher Interessenpolitik in der Kirche mittels juristischer Ratgeber ist damit der Boden entzogen. Aber die Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regimentes darf nicht zu einer falschen Trennung führen, sondern zu einer sinnvollen Zuordnung bei Wahrung der je eigenen Aufgabenbereiche und ihrer Ausführung durch unterschiedliche, dafür geeignete Personen. An der Harmonie und dem Zusammenwirken aller Stände ist Leyser gelegen: „Jedoch hat es nicht die meinung/daß sie gantz vö einander getrent sein solle/den die zwey Regiment solle sich zusamen halten/ ja nach fürfallenden sache/müssen sie wol neben einander antretten/nur das in der expedition und Verrichtung einem jedem nach unterschied des Standes auffgetragen werde/was seinem Stande gemeß sey. Denn wenn ein Prediger anzunemen ist/wer kan ihn besser examinirn, denn auch ein Prediger? Wenn allerhand bericht von Kirchensachen/Lehr und Ceremonien einkomet/wer kan besser dauon urtteilen/denn die Prediger? Wenn eim Prediger/der in Lehr und Leben Verstössen hat/sein unrechtmessigs beginen verweiset sol werden/wer kan es mit grösserm ernst oder auch glimpff... thun/ den ein Prediger? Denn wie ein Jurist am besten von Rechtssachen/und wie ein Kriegs Oberster an besten von Kriegswesen reden/urtheilen/ und dasselbe führen kan/eben ein gleiche meinung hat es auch mit dem Kirchenwesen/welche niemand besser fürstehe kan/den einer/der tag und nacht alle seine studia, sein tichten und trachten dahin wendet/das Gottes Ehr in Kirchen und Schulen möge fortgepflanzt werden/dessen öffentlich Bekentniß man fast täglich für der Gemeine höret un man deßwegen gesichert sein kan/das er nicht werde verschlagener weiß/falsche Lehre oder andere jrrungen einführen." 5 0 Nicht ohne Grund greift Leyser die Vokation der Pfarrer auf, an der sich immer wieder ein Hauptstreitpunkt in den Auseinandersetzungen um Recht und Grenze der obrigkeitlichen Gewalt in der Kirche im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie entzündete 5 1 . Die Begründung der Eigenverantwortung des Predigtamtes für alle mit diesem Amt verbundenen sachlichen und personaAaO., EIVf. Die Magedeburger und Augsburger Streitigkeiten um das ius vocationis in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts stellt ausführlich M. Kruse dar, aaO., 6 3 - 7 8 . 50 51

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len Angelegenheiten ist denkbar einfach und einleuchtend: nur derjenige, der selbst zu diesem Amt ausgebildet wurde und es ausübt, kann hier aus einer eigenen Kenntnis und Erfahrung heraus sinnvoll entscheiden und handeln. Mit diesem Argument der Angemessenheit und funktionalen Zweckmäßigkeit ergreift Leyser aber vor allem geschickt Partei für die Eigenständigkeit der Kirche, die nicht durch Juristen bevormundet werden darf, sondern in der durch verantwortliche Theologen das reine Wort Gottes verkündigt wird, so daß es sich im Leben jedes einzelnen und im Zusammenwirken aller Stände bewähren kann. Vor allem in seinem 3. Punkt zur Kirchenordnung kommt ein Notstand zum Ausdruck, um dessen Beseitigung es Leyser besonders zu tun ist: die schlechte wirtschaftliche Situation der Pfarrer. Alle anderen Stände haben bei der Teuerung ihr gutes Auskommen. „Allein die arme Prediger (in der S t a d t ) . . . , die könen das ihre nicht steigern." 5 2 „Wo nu nicht diesem mangel geholffe wird/so ist nicht zu vermuten/das es umb das Kirchenwesen einen guten bestand haben werde." 5 3 Leyser befürchtet, daß keiner mehr Theologie studieren wird, noch schlimmer steht es beim Schulwesen. Mit einem Aufruf an Christian II., dem Vorbild Kurfürst Augusts nachzufolgen, der einen Kirchenkasten für alte und unvermögende Prediger gestiftet hat, und mit der Forderung, von den Steuern und Strafgeldern die Kirche zu unterstützen, setzt sich Leyser auch von der wirtschaftlichen Seite her für eine Kirche ein, die ihren eigenen Aufgaben gerecht werden kann. Mit dieser beachtenswerten Landtagspredigt erweist sich Leyser als ein lutherischer Hofprediger, der in seinem einflußreichen Amt seiner Obrigkeit ehrerbietig und selbstbewußt gegenübertritt, indem er sie in Lehre und Ermahnung an ihre hohe Verantwortung vor Gott und den Menschen erinnert. Zugleich aber errichtet er in seinen Anweisungen zur Kirchenordnung ein deutliches Signal, mit dem er für die Eigenständigkeit der Kirche eintritt und sie vor unrechtmäßigen Eingriffen zu bewahren sucht. W i r wenden uns nun Leysers „Regentenspiegel" aus dem Jahre 1605 zu, in dem das Vermächtnis dieses bedeutenden Hofpredigers am Anfang des 17. Jahrhunderts besonders deutlich zum Ausdruck kommt. 3. Das Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser in seinem Regentenspiegel von 1605 Polykarp Leyser eröffnet als Erster Hofprediger in Dresden die Reihe bedeutender Hofprediger des 17. Jahrhunderts im höchsten kirchlichen Amt des lutherischen Deutschland 5 4 . In ihm haben viele das Vorbild eines lutherischen A a O . , F. AaO.,Fb. 5 4 Nach Leyser wirkte für lange Zeit mit großem politischen Einfluß Höe von Höenegg ( 1 6 1 3 - 1 6 4 5 ) , das „geistliche Orakel" Kurfürst Johann Georgs I., sodann Jakob Weller ( 1 6 4 5 - 1 6 6 4 ) , 52

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Hofpredigers im Zeitalter der Orthodoxie gesehen. Man hat sich dabei besonders auf Leysers „Regentenspiegel" bezogen, auf die vier Landtagspredigten über den 101. Psalm, die mit einem ausführlichen Selbstzeugnis über seine Amtsführung als Hofprediger beginnen. Diesem „Hofpredigerspiegel" vordem „Regentenspiegel", wie Tholuck im 19. Jahrhundert die Rechenschaftsablegung Leysers in 9 Punkten genannt hat 55 , wollen wir uns zunächst zuwenden. Der Anlaß für diese Selbstrechtfertigungs- und Verteidigungsrede liegt in einer Kette heimlicher und offener Vorwürfe und Verleumdungen gegenüber seinem amtlichen Wirken als Hofprediger, die in dem Titel des „Dresdnischen Papstes" gipfeln. Bis hin zu Spener sind die Klagen nicht verstummt, die die Hofprediger über die Fülle der besonderen Gefahren und Anfeindungen gerade in ihrem Amt erheben. Zu Beginn steht die Versicherung, daß das Wort Gottes rein und unverfälscht nach dem Konkordienbuch gepredigt werde, die reine Lehre, die mit einem ehrlichen christlichen Leben verbunden sein muß, „damit ich nicht mit der andern hand selbst wider abbreche/was ich mit der einen gebawet hette" 5 6 . Die Betonung der reinen Lehre in Schrift und Bekenntnis bleibt nicht theoretisch-abstrakt, sondern hat die praktische Konsequenz, daß Leyser gegen die „sünden... ohne ansehen der personen/wie es Gott selbst erfordert jedoch mit gebührender Bescheidenheit straffen wolle." 5 7 Bei der Abweisung des Vorwurfs von angeblichem Reichtum im Hofpredigeramt kommt Leysers soziales Wirken zum Ausdruck. Er hat dem von Kurfürst August gestifteten, in Vergessenheit geratenen Kirchenkasten durch Strafgelder wieder aufhelfen wollen, um den vielen notleidenden Predigerwitwen und -waisen helfen zu können. Durch Errichtung eines eigenen Schulkastens, für den er beim Kurfürsten 20 000 Gulden erlangte, hat er dem Notstand entgegenwirken wollen, daß die so nötigen Schuldiener nur deshalb ins geistliche Amt überwechseln, weil dann die Versorgung ihrer Familien nach ihrem Tod durch den Kirchenkasten wenigstens einigermaßen gewährleistet ist. Doch niemals habe er sich bei seiner Herrschaft ungebührlich eingeschlichen und immer die ehrerbietige Distanz gewahrt. Eine weitere selbstgesetzte Regel betrifft die Unabhängigkeit des geistlichen Amtes. „Daß ich meines Beruffs einig und allein abwarten/ nach frembden Sachen nicht fürwitzig grüblen/nachforschen/ auch in frembde Händel mich nicht stecken wolle." 5 8 Dahinter steht der vielfach erhobene Vorwurf besonders gegen die Hofprediger, sie wollten in ihrem Amt Einfluß auf die politischen der scharfe Gegner von Calixt, und Martin Geier (1665-1680), der stark von der Frömmigkeit Johann Arndts geprägt war. Für kurze Jahre hatte J. A . Lucius das Oberhofpredigeramt inne, bis 1686 Philipp Jakob Spener dem Ruf nach Dresden folgte. 5 5 „Regenten Spiegel/ geprediget aus dem 101. Psalm/ des Königlichen Propheten Davids/ auff gehaltenem Landtage zu Torgaw/ dieses 1605. Jahres/ im Iunio, Leipzig 1605", Signatur: 1 1 6 Politica, H A B Wolfenbüttel. - A . Tholuck, Der Geist der lutherischen Theologen, 10. 5 6 Vorrede, 10. 5 7 Ebd., 8. 58 Ebd., 23 f.

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Angelegenheiten nehmen. Weil die Verrichtung der Kirchen- und Schulsachen oft vermischte Gegenstände betreffen, halb geistlich und halb weltlich, sei es so schwer, sich ihrer sinnvoll anzunehmen und ohne gegenseitige Vorwürfe zwischen weltlichem und geistlichem Stand gar nicht durchzuführen. Deshalb dankt Leyser auch dafür, daß er dieser Last wieder entnommen wurde und sich ganz seinem Predigerberuf widmen könne. Mit der strikten Einhaltung der überkommenen Kirchenordnungen charakterisiert sich Leyser als ein Theologe jener älteren Richtung der lutherischen Orthodoxie, die in der Kirchenzucht das Hauptmittel zur Sicherung und Förderung des sittlichen Lebens sah. Ausführlich werden die Kämpfe vor allem mit dem Landadel geschildert, dem Leyser selbstbewußt und unbeirrt mit seinen Forderungen gegenübertritt: „Ich weis es gar woll/daß ich ein grossen teil des Adels auff dem land darmit erzürnet und mir abgünstig gemacht habe/daß ich so steiff über der Ordnung halten wölle(n)/daß niemands zu seiner Kindstauff mehr als drey Gefattern erbitten soll/da hat man mich tin Dreßnischen Papst g e s c h o l t e n . . . " 5 9 Sein Versuch, den älteren Kirchenordnungen wieder neues Gewicht zu geben, läßt ihn die Erfahrung machen, „daß manchem auf dem Landtage mehr an seiner Hasenjagt/daß Er dieselbe erhalte/denn an aller Kirchen- und Schulordnung gelegen." 6 0 In der ersten Landtagspredigt rügt Leyser auch in diesem Zusammenhang, daß der Gelehrtenstand nicht mehr wie früher dem Adel gleichgeachtet würde: „Zu unsern zeiten/wil schier der gelarten Stand von dem andern gar vernichtet und verachtet werden/müssen schimpfflich ihre Blackscheitter und Dintenfresser genennet sein. Dieses sollen Fürsten und Herrn weder selbst thun/noch von andern leiden. Denn durch eine solche Verachtung kan man bald Gott Ursach geben/das der gelahrten anzahl gering gnug/und eine solche barbaries und Viehisch Leben eingeführt wird/wie bey den Tartern/da man wenig Doctores, und der gierigen Bluthummeln gnug hat." 6 1 Weiterhin versichert Leyser, sich aller Geschenke und Beeinflussung durch Gaben in seiner Amtsführung enthalten zu haben und daß er einem jeden sein Recht und seine Ehre zukommen ließ. „Daß ich auch einen andern in seinem thun/und Verrichtung seines diensts unreformirt und ungehoffmeistert lassen wolte/ausgenommen was Gottes wordt strafft/und die gelegenheit deß Textes an die handt g e b e . . . " 6 2 Der Hofpredigerspiegel endet mit der Gewißheit, daß der Prediger sich nur mit Geduld in die Leiden dieses Amtes schicken könne. Leyser will mit diesen Regeln bewußt einen allgemeinen Maßstab für Hofprediger setzen, für das Amt, in dem man doppelt beten und fromm sein muß: „ . . . daß ich an meinem Exempel jungen Predigern weise, wie ein Hoffprediger so einen beschwerlichen sorglichen standt habe in seinem beruff/wenn er sich 59 60 61 62

Ebd., 2 8 ; „tin" ist wohl zu korrigieren in „ten". Ebd., 2 7 f . Regentenspiegel, 22 f. Vorrede, 34.

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gleich auff das beste und fleissigste für sihet/und mit Gottes hülfe seinen dienst auff das getreueste zu bedienen sich bemühet." 6 3 Daß dies aber keineswegs die N o r m ist, zeigt die scharfe Kritik, mit der Leyser die aufschlußreiche Präfation zu den Landtagspredigten beschließt: „Wie sol es denn denen gehen/die so blindlingen in die Hoffpredicatur hinein platzen/bedencken nicht einmahl/was für ein sorglich thun es sey/sitzen von einer mitternacht biß zur andern/liegen unten und oben mit der Gesellschafft/und machen es so unsöde daß einem die Ohren wehe thun/der es nur höret?" 6 4 Im Ganzen bietet dieses Selbstzeugnis das Bild eines lutherischen Hofpredigers, der um die notwendige Unabhängigkeit seines Amtes weiß und sie gegenüber den besonderen Gefahren am H o f zu verteidigen versucht. Mut, Standfestigkeit und Besonnenheit sind wohl die wichtigsten persönlichen Eigenschaften dieses Mannes, mit denen er sein Amt führt und im politischen und sozialen Leben seinen Einfluß geltend macht. Wie sieht nun der Regentenspiegel aus, in dem die weltliche Obrigkeit die Richtschnur für ihr Handeln und persönliches Leben nach Meinung des H o f predigers finden soll? Polykarp Leysers vier Predigten über den 101. Psalm haben in Luthers Auslegung dieses von ihm sogenannten Regentenpsalms ihr unzweifelhaftes Vorbild 6 5 . Mehrfach beruft er sich auf Luther und in vielen Wendungen und Beispielen scheint die lutherische Vorlage durch. V o r allem die diesem Psalm zugeordnete Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment in der vorbildhaft hingestellten Regentschaft Davids übernimmt Leyser von Luther, indem die beiden ersten Predigten Amt und Person Davids beschreiben in bezug auf die geistlichen Aufgaben des weltlichen Regiments, also die obrigkeitliche Kirchenpflege, und die beiden anderen Davids Verhältnis zu seinen Dienern und Räten und ihre Beziehung untereinander, was die eigentlich weltlichen Regierungsaufgaben umschreiben soll. Unter Hinweis auf Luther, der den Stand der Obrigkeit herrlich herausgestrichen und aus der Verachtung im Papsttum errettet und seiner eigentlichen Bestimmung übergeben habe, betont Leyser, daß er „ein Christlicher und Gott wohlgefälliger Stand sey/darinnen man nicht nur der Welt/sondern auch Gott diene/dessen Stadthalter fromme Oberkeiten sind." 6 6 Gott selbst hat diesen Stand nach der Sintflut, also nach dem Fall des Menschen, als Ordnungsmacht gestiftet: „Und wie wolte doch dieser stand Gott nicht gefallen/so er doch von niemands denn von ihme selbs eingesetzt ist? Denn bald nach der Sündflut/da Gott sahe/das das Vater Regiment im Hauß zu schwach were/der verderbten Boßheit der Menschen zu stewren und zu wehren/da sagt er: Wer Menschen Blut vergeust/des Blut sol auch durch Menschen vergossen werden." 6 7 Diese 63

Ebd., 39.

64

Ebd. - Mit dieser Kritik sind vermutlich vor allem calvinistische Hofprediger gemeint.

«

W A 5 1 , 2 0 0 - 2 6 4 , s.o. Kapitell.

66

Regentenspiegel, 157, vgl. auch 13.

67

Ebd., 9.

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antipäpstliche und sodann vor allem antischwärmerisch gemeinte Standortklärung der weltlichen Obrigkeit ist gemeinsamer Grundzug der gesamten lutherisch-orthodoxen Obrigkeitslehre. Von hier aus gehen aber durchaus verschiedene Linien weiter. Martin Kruse ist in seiner Untersuchung „Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte" einem geschichtstheologisch orientierten Schema in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nachgegangen, das die Caesaropapie als Umschlag der mittelalterlichen Papocaesarie versteht 6 8 . Unter Aufnahme der Prophezeiungen Luthers vom wiedererstehenden „Keyserlichen Bapsthumb" 6 9 ist in den Kreisen des strengen Luthertums von hier aus gezielte und scharfe Obrigkeitskritik geübt worden, die sich in einem Traditionsstrom bis zu Spener mit unterschiedlichem Gewicht verfolgen läßt. Kruse umreißt die Grundform dieses Schemas folgendermaßen: „Vor der Reformation herrschte jene gottlose Papocaesarie, die Vermischung der Regimente, als nämlich der Papst alle geistliche und weltliche Gewalt an sich gerissen hatte. Gottes Eingreifen aber hat durch Luther die weltliche Obrigkeit wieder in ihren gottgewollten Stand gebracht. Statt sich nun der Reformation dankbar zu erweisen, verfiel die Obrigkeit bald in die von Luther prophetisch vorausgesagte Caesaropapie, in das „Keyserliche Bapsthumb", das nun die Kirche zerstört, wie vor dem die Papocaesarie." 7 0 Aufschlußreich an diesem sogenannten Schema ist vor allem, daß es sich im Bereich des mystischen Spiritualismus des 17. Jahrhunderts nicht findet, wo die Spitze der Kritik nicht der weltlichen Obrigkeit, sondern dem unerleuchteten Predigerstand gilt, und daß es bald nach Spener im beginnenden Pietismus seine Kraft verbraucht zu haben scheint. Wir werden sehen, daß auch in diesem Regentenspiegel durchaus caesaropapistische Vorwürfe gegen die Obrigkeit laut werden, allerdings ohne Bezug auf solche geschichtstheologischen Erörterungen. Zunächst aber wird das Amt einer christlichen Obrigkeit mit dem Eingang des Psalms „Von Gnade und Recht will ich s i n g e n . . . " traditionell in dieser zweifachen Richtung beschrieben: „ . . . d a ß man nach unterscheid der Personen/ den Frommen gnad/guts/und alle beförderung erzeige... Das böse aber soll gestrafft werden/nicht nach affecten, oder unserem eigenen gutdüncken/ sondern nach dem Rechten/damit niemandes zu klagen." 7 1 Beides ist notwendig, aber die Gnade soll vor dem Recht stehen in Widerspiegelung der göttlichen Gnadenspendung an jedermann; Recht und Billigkeit sollen vor dem Mißbrauch des Schwertes schützen. Der Maßstab der Unterscheidung zwischen Gnade und Recht, also das Kriterium des Handelns der christlichen Obrigkeit in dieser geläufigen Aufgabenbeschreibung ist nicht die eigene Klugheit, sondern das fürstliche L o b Gottes, der alles allein wirkt. Leyser setzt das Regiment Salomos von demjenigen Nebukadnezars ab und hebt hervor: „Was nun ein 68

AaO., 48-81.

69

W A 46, 736, 22 ff., vgl. bei Kruse, aaO., 55 f. Kruse, aaO., 51.

70 71

Regentenspiegel, 157f.

Die Obrigkeit bei Polykarp Leyser

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Oberkeit in irem Amt guts/löblichs und erbarlichs außrichtet/das soll sie nicht ihr selbs/oder ihrer Geschickligkeit zuschreiben/Sondern dem Herrn lob sagen." 7 2 Hier wirkt - zu einer Lehre unter anderen herabgestuft - Luthers leidenschaftliche Betonung der Souveränität Gottes in der Konzentrierung auf das 1. Gebot bei seiner Auslegung des 101. Psalmes nach. Die fromme Haltung des Fürsten, die sich im Begriff der Gottesfurcht zusammenfaßt und die die O r t h o doxie als Quelle einer wahren christlichen Regierung ansieht, erhält im Verlauf des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts eine stärker ethische Akzentuierung, gegenüber dem streng theologischen, in der Souveränität Gottes begründeten Verständnis der Gottesfurcht bei Luther. Bei Leyser treten die moralischen Appelle zu einer frommen Lebensführung der Fürsten jedoch auffallend zurück, so sehr er die notwendige Einheit von Leben und Handeln im öffentlichen Amt betont und das Maßstab setzende Beispiel der Regenten für alle Untertanen hervorhebt. Erst nach dieser Darlegung über Ursprung und Aufgaben der weltlichen Obrigkeit kommt Leyser in der 2. Predigt auf die cura religionis der Regenten zu sprechen. In dieser Anordnung kommt zum Ausdruck, daß Leyser für das weltliche Amt einer christlichen Obrigkeit durchaus ein von ihren geistlichen Pflichten gesondertes Interesse zeigt, so sehr die Gottesfurcht die zentrale Orientierungs- und Kraftquelle für alle persönlichen und amtlichen Handlungen der Fürsten darstellt. Die Aufgaben der Obrigkeit in Religionssachen stehen bei Leyser unter dem Obersatz: „Es sol auch ein fromme getrewe Oberkeit ihr die reine Religion zum höchsten und für allen dingen angelegen sein lassen." 7 3 Daß die christliche Obrigkeit nicht nur das äußere Wohl ihrer Untertanen, sondern auch ihr Seelenheil befördern muß, so daß die Regenten sich als custodes utriusque tabulae verstehen, ist seit Melanchthon allgemein gültiger Grundsatz lutherischen Obrigkeitsverständnisses. Dieser allgemeine Rahmen läßt jedoch genügend Raum für recht unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Leyser bringt gerade in diesem Zusammenhang sein Selbstverständnis von der Unabhängigkeit des geistlichen Amtes ein und übt unter Betonung von Luthers Unterscheidung des weltlichen und geistlichen Regiments nicht unerhebliche Obrigkeitskritik. Die Kämpfe um die Freiheit der Lehre gegen fürstliche Willkür und um das ius vocationis, um das Recht der Bestellung und Entlassung der Pfarrer, wie sie in den Auseinandersetzungen der Gnesiolutheraner mit dem landesherrlichen Kirchenregiment am Ende des 16. Jahrhunderts zum Ausdruck kamen 7 4 , spiegeln sich in den Worten Leysers zwar in verhaltener Weise, jedoch deutlich genug wider. Am Vorbild Davids hebt Leyser hervor, „daß ob er wol die Kirchen bestellet/und gute Ordnungen darinnen gemacht/dennoch er seinen 72

Ebd., 159.

73

Ebd.

74

S. Kruse, aaO., 4 8 - 8 1 .

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Priestern und Propheten nicht fürgeschrieben/wie und was sie lehren und predigen sollen/viel weniger ihnen einen weltlichen Uber-Aufseher fürgesetzt/ Sondern sagt: Deus loquitur in sanctuario suo. Gott redet in seinem Heiligthumb/des bin ich fro. Er wüste wol/daß Gott das Geistliche und weltliche Regiment weit und fern unterschieden hette/und haben wolte/ daß jedes von seines theils Personen geführt werden sol. Er wußte/daß in der Kirchen niemands gebühre zu lehren/und zu gebieten/denn Gott dem Herrn/dessen Geheis und Gebot sollen Prediger folgen/nach seinem Gesetz und Zeugnis die Lehr führen/sonsten sollen sie die Morgenröte nicht haben/und dem Fleisch unterworffen sein/wenn es auch ein Engel von Himmel were." 7 5 Die Obrigkeit hat aber nicht nur die Verpflichtung, die Freiheit der kirchlichen Verkündigung zu schützen und sich selbst wie alle anderen als Adressat dieser Verkündigung zu verstehen, sondern auch die besondere Verantwortung für die Aufrechterhaltung der reinen Religion. Dies ist der Unterschied einer christlichen von einer türkischen Obrigkeit. Das Verhältnis der weltlichen Obrigkeit zum geistlichen Ministerium will Leyser also vor einer Verzerrung in eine Caesaropapie ebenso bewahren wie in eine Papocaesarie. Die Harmonie der sozialen Ordnung im Rahmen der überkommenen Dreiständelehre, wo jeder Stand dem anderen seine ihm zugewiesene besondere Verantwortung vor Gott belassen und notfalls ihn daran erinnern sollte zum Wohle des Ganzen, ist nicht nur das Ideal Leysers, sondern das des ganzen älteren Luthertums. J e nach der politischen Lage und der theologischen Richtung der Prediger werden die Akzente nur jeweils verschoben. Leyser sieht die Gefahren nach beiden Seiten in gleicher Weise. Die Regenten sollen die Prediger „das Wort frey/sicher und ungehindert führen lassen/wie sie es aus dem Mund deß Herrn empfangen haben. Welches doch nicht also verstanden werden sol/als wenn wir Prediger gar exempt sein wolten/das uns kein Mensch/auch unser Oberkeit nicht/zu rede setzen dörffte/wie wir predigten/oder unser Ampt führten. Nein gar nicht. Sondern wie im Hausregiment ein Knecht den andern anspricht/dasjenige ins Werck zu setzen/was der Hausherr befohlen hat. Also hat in Gottes haußhaltung/ein Stand den andern macht zu erinnern/Das das jenige geschehe/was Gott haben wil. Und sonderlich hat Gott der Oberkeit eingebunden die sorg/das sie sey custos utriusque tabulae, und zusehe/das die Religion rein erhalten werde. Denn hierinnen ist sie auch Gottes dienerin. Denn es muß je ein unterscheid sein/zwischen einer Christlichen und einer Türckischen Oberkeit. Aber solches sol nicht geschehen/nach irem gutdüncken und eignen gefallen/sondern nach dem Wort G o t t e s . " 7 6 Im Rahmen dieser von der Haushaltung Gottes umfaßten Sozialordnung hat die Strafpredigt des Hofpredigers auch gegenüber einem persönlichen Fehltritt des Regenten ihren festen Platz. Angesichts tyrannischer Selbstherrlichkeit der 75

Regentenspiegel, 44. Ebd., 49 f.

Die Obrigkeit bei Polykarp Leyser

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Fürsten übt Leyser konkret-anschauliche Kritik: „Wo auch ein Regent einen feiltritt thut/sol er es ihme nicht zuwider sein lassen/das ihme solches aus Gottes Wort verweiset/und er zu einem bessern angemahnet werde. Wie man viel Junckern findet/die ire Pfarrer todt haben wöllen/darumb das sie ihnen die Wahrheit sagen." 7 7 „ . . . Sündigen ist menschlich/Aber nach der sünde sich nicht wieder zu recht wollen bringen lassen/das ist Teuffelisch." 7 8 „Ja/spricht einer/ ich bin die Oberkeit deß Orts/man sol billich meiner schonen/sonsten werden die Bauren nichts mehr von mir halten. Antwort/Bistu ein Oberkeit/so schone deiner selbs/sündige nicht/sondern gehe deinen Bürgern und Bawren mit gutem Exempel für: Thustu aber dieses nicht/sondern sündigest/so gedencke nur/wie du über die Bawren gesetzt bist/dieselben mit Gefengnüß und andern zu straffen/wenn sie freuein: Also ist Gottes Wort über dich und über alle Menschen gesetzt/sie damit zu straffen/wenn sie sündigen." 7 9 Leyser bezieht sich auf Luthers schonungsloses Fürstenbild und fährt fort: „Unser lieber Lutherus hat pflegen zu sagen: Es stecke allen Fürsten und grossen Herren in der Art/daß wenn sie ihrer Natur und Vernunfft folgen/sie Gottes Feind werden/und sein Wort verfolgen. Denn sie lassen sich immer bedüncken/Gottes Wort thue ihnen einhält in ihrer Gewalt/daß sie nicht thun dörffen/was ihnen gelüstet... Sie sprechen: . . . Was sollen uns die Pfaffen binden? daß wir es machen solten/wie sies uns fürschreiben?" 8 0 Darum sind die wenigen, dem Wort Gottes treuen und frommen Fürsten so besonders zu loben. Der hohe ethische Anspruch an die Obrigkeit kommt darin zum Ausdruck, daß sie nicht nur die äußere Ermöglichung, sondern auch die persönliche Bewährung eines christlichen Lebens als ständige Verpflichtung vor Augen haben muß. Als Regel für verantwortliche Hofprediger fordert Leyser: „Darumb so sol man Fürsten/Herren/Regenten/ und alle Oberkeit dahin aus Gottes Wort weisen/daß sie nicht allein gute Satzungen geben und machen/sondern auch sie selbs/mit ihrem H o f f gesind dieselben halten." 8 1 Das ethische Vorbild der Fürsten kann aber nur dann eingeschärft werden, wenn insbesondere die Hofprediger ihr Amt gewissenhaft ausüben. N o c h vor dem Lasterleben der Regenten wird die Nachlässigkeit der Prediger gerügt, die sich der Unbesorgtheit ihrer Herren anschließen oder selbst ein schlechtes Beispiel geben. „Und sonderlich können bißweilen die Domini pastores fein darzu helffen und ursach geben/wenn sie das Ministerium mit fressen/sauffen/ spielen/doppeln/unnötigem zancken/und anderer leichtfertigkeit selbs prostituirn und in schimpff setzen. Denn wenn der Pfarrer auff der Cantzel stehet/ und selbs saget: Es gehet nun die Ernd herbey/so wollen wir hinfüro die wochenpredigt einstellen... Diß ist dem grössern theil eine liebliche Predigt... 77 78 79 80 81

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

52. 45. 52 f. 48. 67.

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Das Verständnis der Obrigkeit bei Polykarp Leyser d. Ä .

O das sind schädliche Leut/welche Fürsten und Herrn so viel fürsagen... als wenn sie an kein Gesetz gebunden weren/Sondern möchten anordnen/was und wie es ihnen beliebet. Ach das ist ein solch Gesang/der in der Herrn ohren lieblicher klinget/denn wenn ein Capellmeister eine Muteten/oder gros C o n cert/von sechzehn Stimmen componirte." 8 2 Die Maßstab setzende, beispielhafte Verkündigung am Hof, wie Leyser seine Auslegung des 101. Psalms versteht, scheut sich hingegen nicht, die Wirklichkeit beim Namen zu nennen: „Je grösser und höher die Person ist/Je scheußlicher und heßlicher stehet es ihr auch an/wenn sie mit Lastern behafftet ist. Es stehet grewlich ubel/wenn grosse Herrn mit ihren Dienern die Sacramenta lestern/stets im Luder liegen/gestatten Wucher/Unzucht/schlagen/reuffen/beschweren arme Leut/mit ubermessigen Frohndiensten/schlagen die Bawren/wie die H u n d . . . Wider solche sind die Propheten sehr scharff gewesen/heissen sie Fürsten von Sodoma/Wölff/Tyrannen/und dergleichen." 8 3 Solche Strafpredigt steht aber unter dem Vorwurf der Anmaßung und der Einmischung in Gebiete, die ihr angeblich nicht zukommen. Leyser antwortet auf diese Kritik und hebt zunächst in Anlehnung an die Wendung im Psalm von Davids Regierungsvorhaben in seinem eigenen Haus die Tugend der Selbstbescheidung hervor und folgert daraus, „daß ein jeder seines thuns abwarten/sich nicht in frembde Händel stecken/noch/was ihn nicht brennet/leschen s o l . " 8 4 Das Laster der Geschäftigkeit in fremden Angelegenheiten findet sich in allen Ständen. Unter Hinweis auf Luther, der hier von „Faulwitz" sprach, und in Aufnahme seiner Akzentuierung bezieht Leyser dieses Laster vorwiegend auf das Verhältnis zwischen geistlichem und weltlichem Regiment 8 5 . Die Vermischung von Kanzel und Kanzlei kann und will der lutherische Hofprediger nicht gutheißen, aber das Besondere seiner Argumentation ist, daß er sich durch die Unterscheidung der beiden Regimente nicht aus der sozialpolitischen Verantwortung seines Wirkens entnommen weiß, vielmehr dadurch eine sinnvolle, dem Wohl des Ganzen dienende politische Predigt begründet sieht. Wie schon die Lasterkataloge der Regenten persönliche Vergehen und politisch-soziale Notstände zugleich aufführen, so ist die Strafpredigt keineswegs auf den innerlich-persönlichen Frömmigkeitsbereich begrenzt, sondern mit nicht geringerer Kritik auf die sozialen Zustände bezogen. Dem Vorwurf der Einmischung in die Politik begegnet Leyser mit folgenden, für das von ihm vertretene ältere Luthertum insgesamt bedeutungsvollen Sätzen: „Uns Prediger beschuldigt man offt dieses Lasters/als wenn wir den einen Fuß auff der Cantzel/den andern in der Cantzley oder auff dem Rathaus haben/und uns der weltlichen Regierung gern auch unternemen wolten. Wer es thut/der thut unrecht... Wir Prediger Ebd., 6 7 , 6 9 . Ebd., 71 f. 8 4 Ebd., 72. 8 5 „Lutherus sagt/ dieses Laster sey sonderlich bey den Reichßtägen und grossen Zusammenkünften sehr geschäfftig: Da wil mancher die Cantzel: mancher die C a n t z l e y . . . " , 75. 82

83

Die Obrigkeit bei Polykarp Leyser

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wissen wol/was uns S.Paulus gesagt hat: Lehret jemand/so warte er der Lehr e . . . So wenig als sich ein Kriegsmann in die Händel der Nahrung flicht/so wenig flicht sich ein Prediger in weltliche H ä n d e l . . . Aber gleichwol/weil Gottes Wort über alles/was in der Welt ist/gehet/so geschieht fürwar offt/das ein Prediger/zumal wenn es der text und Gottes Wort mit sich bringen/straffen mus sünd und laster/die im weltlichen und häußlichen Regiment/in den Cantzleyen/auff den Rathhäusern/oder auch in andern Häusern/fürlauffen. Damit aber greifft er nicht in ein frembd Ampt/unterwindet sich auch nicht der Weltligkeit/sondern thut was seines Ampts eigen ist. Und wenn er mercket/das an einem ort schaden geschehen wölle/warumb wolte er nicht/seine liebe Oberkeit/oder seinen lieben Nachbar/als ein getrewer Diener Jesu Christi warnen? Oder/Woher solte einem Prediger verboten sein/einrathen helffen/wie das Kirchen und Schulwesen ordentlich/nach Gottes wolgefallen sol geführet werden? Da wandelt er nicht in einem frembden Hauß/es werde verrichtet auf der Cantzley/oder anderswo/sondern er wandelt in Gottes Hauß/darein er eigentlich bestellet ist." 8 6 In der so formulierten politischen Verantwortung des Hofpredigers muß die Kritik insbesondere auch den Beamten und Hofdienern gelten, die ihr Amt zur Unterdrückung der Armen mißbrauchen. Leyser bleibt hier nicht bei der Verurteilung ihrer vielfältigen persönlichen Laster und Unzulänglichkeiten stehen, sondern greift die Hofintrigen als Strukturphänomene der nur weltklugen Beamtenschaft an. Allein die Gottesfurcht kann hier ebenso wie bei dem Fürsten selbst der Eigensucht ein Stück weit wehren. Die Obrigkeit braucht fromme, treue Diener. „ D a m i t . . . nit bey den armen unterthanen klag fürfalle/über die ubermachte beschwerung der Beamten und Hoffdiener/daß arme Leut außgesogen/und wider billigkeit untergedruckt werden/und niemands sey/der sich des armut anneme. W o sie auch gleich ir not anbringen und klagen/da sey schon fürgebawet/die Beampten hengen an einander wie eine Ketten/Ein Schalck reiche dem andern die Hand/Kein Krah hacke der andern ein Aug aus/ Einer trage den andern uberrück/unnd schieben alle Rigel für/damit armer Leut anliegen nicht recht für die Herrschafft k o m m e . . . " 8 7 Stolz und Hochmut gehören zur Natur der Hofdiener. Leyser führt dazu aus: „ . . . da einer bey Hoff zu ehrlichen Amptern und grossen digniteten k o m m e t . . . mißbraucht aber dasselbige zu unterdruckung der Armen/achtet armer Leut nicht mehr als der unuernünfftigen H u n d . . . Lesset auch niemand zur antwort kommen/sondern fehret die Leut an/wie die Saw einen Bettelsack... Schindet/schabet/und nimmets w o ers findet/wendet noch für/es geschehe aus Fürstlichen Befehl.. ." 8 8 Die Kritik an solchem Verhalten der Beamtenschaft, die die mangelnde Gottesfurcht als Quelle der Übel versteht, muß natürlich bei den Fürsten darauf 86 87 88

Ebd., 76 f. Ebd., 133f. Ebd., 121 f.

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dringen, daß sie vor allem fromme, d.h. der reinen Lehre zugetane Diener haben 8 9 . Wie wenig aber diese frommen Diener von Leyser als in den Willen und die Handlungen der Fürsten stets einwilligende verstanden werden, zeigt auch die Predigt „im Beschluß des angstellten Landtags" über J o h . d . Täufer 9 0 . Die Strafpredigt des Täufers hat Herodes mit seiner Vernichtung beantwortet. Leyser läßt zwei Chöre das dramatische Geschehen begleiten, wobei der 2. Chor der Johannesjünger die angemessene Reaktion zeigt: „Der erste ist der Obersten/Hauptleut und Fürnembsten in gantz Galilaea, die sind Silentiarii, sitzen bey dem König über der Taffel/hören wie das Bluturtheil über den Johannem gefeilet wird/und schweigen alle stockstill d a r z u . . . da red keiner ein/ sondern lassens bey der meinung bleiben/Was grosse Herrn befehlen/das sol man zu werck richten/und sich niemandes darwider setzen... Dergleichen J a Herrn findet man noch viel in der Welt/die eins theils aus furcht grossen Herrn nicht einreden dürffen/einstheils für eine besondere Weißheit halten/daß man Fürsten und Herrn ihren willen lasse. Aber es ist nicht recht. U n d sonderlich sündigen hierinen diejenigen/welche ihre Rahtsbestallung darzu verbindet/daß sie der Herren frommen und nutzen befördern/sie aber für ihren Schaden warnen sollen. Wenn sie nun das Maul halten/aus Furcht der ungnad/da sie es auffthun sollen/so find sich zuletzt der Herrn schaden: Sie aber habens mit schwerem Gewissen gegen Gott zu uerantWorten." 91 Uberblicken wir noch einmal insgesamt die politische Predigt des Hofpredigers Polykarp Leyser am Anfang des 17. Jahrhunderts, so treten folgende charakteristische Grundzüge heraus, mit denen Leyser eine wichtige Stellung in der Geschichte des älteren Luthertums einnimmt. In seinem Obrigkeitsverständnis kommen die Hauptintentionen der Obrigkeitslehre des älteren Luthertums besonders klar und umfassend zum Ausdruck. Göttliche Würde und Verantwortung des obrigkeitlichen Amtes sind so tief miteinander verbunden, daß eine einseitige Akzentsetzung auf den einen oder anderen Aspekt im Obrigkeitsverständnis Leysers unmöglich erscheint. N u r von diesem Zusammenhang aus ist auch seine nicht unerhebliche Kritik an dem konkreten Handeln der Obrigkeit zu verstehen. Leyser geht es hierbei vor allem - wie auch schon vor ihm Nikolaus Seinecker - um die Eigenständigkeit der Kirche und des geistlichen Amtes im frühneuzeitlichen Territorialstaat. In seinem Hofpredigeramt versucht er mit grundsätzlicher Belehrung und konkreter Ermahnung auf die 8 9 Den Vorwurf, damit den Religionsfrieden zu stören, weist Leyser mit folgenden Worten ab, die seinen Sinn für eine Unterscheidung zwischen Religion und Politik zeigen: „Allhier aber werffen uns etliche für/ wenn wir Prediger also darauff dringen/ daß die hohe Oberkeit nicht sol solche Diener und Unterthanen leiden/ welche nicht reiner lehr zugethan/ so geben wir den Papisten ursach zu den Verfolgungen/ daß sie hinwiederumb die Euangelischen auch nicht leiden/ sie nicht allein zum Land außjagen/ sondern mit Brand und Mord verfolgen... Antwort. Den Oberkeiten haben wir Prediger weder ziel noch maß zu geben. Sondern zeigen allein Gottes willen an/ da wird ein jede Oberkeit in ihrem Gewissen wol finden/ wie sie folgen soll." (111). 9

° Ebd., 247-303. Ebd., 280-283.

91

Die Obrigkeit bei Polykarp Leyser

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Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten, vor allem auf die Kirchenordnung, maßgeblich Einfluß zu nehmen. Mit Hilfe des Vorwurfs der Caesaropapie und vor allem der sich ausdrücklich auf Luther berufenden Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regiments - hierin über Seinecker hinausgehend - weist Leyser die ungerechtfertigten Machtansprüche der Obrigkeit gegenüber der Kirche zurück und nimmt für sich das Mittel der Strafpredigten konsequent in Anspruch. In der konkreten Aufnahme von Luthers Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regiments in Verbindung mit der Dreiständelehre versucht Leyser sein Hofpredigeramt mit Selbstbewußtsein, Mut, Standfestigkeit und Besonnenheit wahrzunehmen. Die Eigenart und Bedeutung dieses lutherischen Hofpredigers kommt besonders in seinem Regentenspiegel von 1605 zum Ausdruck. In ihm sehen wir ein bedeutendes, bisher kaum beachtetes Zeugnis für die kirchliche und politische Verantwortung eines lutherischen Hofpredigers in der Geschichte des Luthertums vor Spener. Dieser lutherische Regentenspiegel ist zugleich ein H o f - und insbesondere ein Hofpredigerspiegel 92 . Der Kritik an der Obrigkeit, die sich nicht nur auf das persönliche Verhalten, sondern auch auf die politische und vor allem soziale Verantwortung der Regenten und ihrer Hofbeamten erstreckt, entspricht der strenge Maßstab, den Leyser für sich selbst und für alle Prediger, insbesondere für die Hofprediger, aufstellt. Daß der Hofpredigerspiegel immer wieder den eigentlichen Regentenspiegel überlagert, darf allerdings nicht dahingehend mißverstanden werden, als habe Leyser der Vermischung der beiden Regimente das Wort geredet. Ihre Unterscheidung war vielmehr ein deutliches Anliegen in seinen Predigten. Aber es wird daraus erkennbar, mit welch hohem Anspruch der Hofprediger der Obrigkeit gegenübertritt und mit welchem ausgeprägten Selbstbewußtsein er ihr Handeln an diesem Anspruch mißt. Wie nah die Kritik an der Obrigkeit eines lutherischen Territorialstaates um 1600 liegen muß, wenn sie an der Gottesfurcht der frommen Könige des Alten Testamentes gemessen wird, ist offenkundig. Von hieraus stellt sich aber eine kritische Rückfrage an diesen lutherischen Regentenspiegel ein, die das Grundproblem der politischen Predigt der lutherischen Orthodoxie betrifft. Inwieweit wird das Kriterium dieser Obrigkeitskritik der politisch-sozialen Wirklichkeit eines Territorialstaates am Beginn des 17.Jahrhunderts gerecht? Vor allem: Ist nicht das deutlich am theokratischen Modell ausgerichtete Denken des Hofpredigers geeignet, seine zwar festgehaltene Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment dennoch der in ihr liegenden sozialpolitischen Sprengkraft letztlich zu berauben? Die theologische Verantwortung des Hofpredigers Leyser konzen9 2 „Denn ich diesen Psalmen zwar einen Regenten Psalmen intituliret habe/ aber er mag auch wol ein H o f f Psalm genennet werden/ sintemal die Laster und Untugend/ so in diesem Psalm gerührt werden/ nirgends mehr denn bei H o f f im schwang g e h e n . . . " , Vorrede, 2.

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triert sich vor allem auf die Unabhängigkeit seines Amtes und die Eigenständigkeit der Kirche, die er gegenüber dem landesherrlichen Kirchenregiment der Kanzlei verteidigt. Das ist gewiß kein Nebenschauplatz im spannungsreichen Verhältnis zwischen Obrigkeit und Kirche im Zeitalter der altprotestantischen Orthodoxie. Aber die Verschiebung vom streng theologisch begründeten Verständnis der Gottesfurcht bei Luther zu einem mehr ethisch bestimmten in der lutherischen Orthodoxie in Verbindung mit dem theokratischen Denken gibt der Obrigkeitskritik des lutherischen Hofpredigers Grenzen, die auch seine Berufung auf Luther und dessen Zweiregimentenlehre nicht zu überschreiten vermag. Dennoch bleibt ihre kritische Funktion in den Obrigkeitspredigten Leysers beachtlich. Wenn wir uns nun dem Obrigkeitsverständnis des Generalsuperintendenten des Fürstentums Lüneburg, Johann Arndt, zuwenden, so begegnet uns ein Theologe, in dessen Grundintentionen wir - neben vielen Gemeinsamkeiten mit Leyser und Seinecker - eine andere theologische Denkstruktur und Predigtweise im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie erkennen.

C. Johann Arndt und das Fürstentum Lüneburg am Anfang des 17. Jahrhunderts IV. Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts 1. Johann Arndt in der älteren und neueren

Forschung

Johann Arndt findet in der Erforschung der frühneuzeitlichen Kirchen-, Theologie-, Geistes- und Literaturgeschichte gegenwärtig ein großes Interesse. Der Hauptanstoß zu dieser wachsenden Aufmerksamkeit kommt aus der Einsicht in die immer deutlicher werdende Spannung, die zwischen seiner gerühmten Bedeutung und der geringen wissenschaftlichen Kenntnis von ihm besteht. Der kaum zu hoch gegriffenen Einschätzung eines schwedischen Theologen unserer Zeit, „daß Johann Arndt die einflußreichste Gestalt der lutherischen Christenheit seit den Tagen der Reformation ist" 1 , steht die ebenfalls nicht zu bestreitende Feststellung Johannes Wallmanns gegenüber: „Nun stehen wir in der Arndtforschung noch immer in den Anfängen." 2 Das Forschungsinteresse hat sich bisher verständlicherweise auf die „Vier Bücher vom wahren Christentum" konzentriert, jenes Werk Arndts, das in der nachreformatorischen Theologie-, Geistes- und Frömmigkeitsgeschichte durch seine vielfältigen Wirkungen einen einmaligen Platz beanspruchen kann 3 . Dieses Hauptwerk Arndts 1 H . Pleijel, Die Bedeutung J o h a n n Arndts für das schwedische Frömmigkeitsleben, in: D e r Pietismus in Gestalten und Wirkungen. Festschrift für Martin Schmidt, A G P 14, Bielefeld 1975, 383 ff., 394. 2 J . Wallmann, H e r z o g August zu Braunschweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. U n t e r besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu J o h a n n Arndt, in: J G P 6 , 1 9 8 0 , 9 - 3 2 , 17. Vgl. auch die grundsätzlichen Ausführungen Wallmanns zu J o h a n n Arndt in der gegenwärtigen Pietismusforschung: Die Anfänge des Pietismus, in: J G P 4 , 1 9 7 7 / 7 8 , 1 1 - 5 3 , 4 4 f f . In seiner SpenerArbeit sagt Wallmann über Arndt, daß sein „Einfluß auf Frömmigkeit und Gedankenbildung des protestantischen D e u t s c h l a n d s . . . größer gewesen sein dürfte als der Einfluß irgendeines Theologen seit Martin L u t h e r . " (Wallmann, Spener, 13). 3 Aus der älteren Arndtliteratur seien hier nur genannt: F . Arndt, J o h a n n Arndt. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838; O . F . Wehrhan, Lebensgeschichte J o h a n n Arndts, H a m b u r g 1848; F . W . B o d e m a n n , Leben J o h a n n Arndts, Bielefeld 3 1871; F . J . W i n t e r , J o h a n n Arndt, der Verfasser des „Wahren C h r i s t e n t u m s " , Schriften des Vereins f. Reformationsgeschichte, 20. J g . , N r . 101, Leipzig 1911.

Seit der Untersuchung von W . Koepp ( s . A n m . 4 ) sind folgende W e r k e hervorzuheben: H . J . Schwager, J o h a n n Arndts Bemühen um die rechte Gestaltung des Neuen Lebens der Gläubigen, T h e o l . Diss. Münster 1961; E . W e b e r , J o h a n n Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung,

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

steht auch im Mittelpunkt der letzten umfassenden Arndt-Monographie von Wilhelm Koepp, die den charakteristischen Untertitel trägt: „Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum." 4 Wenn die heutige Arndtforschung in biographischer und bibliographischer Hinsicht über diese aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg stammende Untersuchung noch nicht wesentlich hinausgedrungen ist, so liegt das wohl bei aller dankenswerten historischen Detailforschung Koepps vor allem an der Gesamtblickrichtung, in der Arndt hier gesehen wurde. Im Bann der Theologie Albrecht Ritschis und der religionsgeschichtlichen Schule war das Interesse an Arndt wesentlich religionsphilosophisch und -psychologisch ausgerichtet, um ein Urteil über die Bedeutung der Mystik im Protestantismus zu gewinnen. Von daher war es folgerichtig, daß dieses Werk in einer leidenschaftlichen theologischen Ablehnung der „mystischen Sonderreligion" Johann Arndts gipfelte: „diese können w i r . . . doch nur als Trug verwerfen und mit Ernst hinauswerfen aus Luthertum und Christentum." 5 Es ist nicht verwunderlich, daß in der theologischen Situation nach dem ersten Weltkrieg ein solches Urteil nicht zu weiterer, vertiefter historischer Erforschung von Johann Arndt Anlaß gab. Johann Arndt erfuhr hier in der theologischen Forschungsgeschichte unseres Jahrhunderts ein ähnliches Schicksal wie Friedrich Schleiermacher. War einmal das Stichwort „Mystik" zur wirkungsvollen W a f f e in der theologischen Polemik ausgegeben, mußte auf längere Zeit die Nichtbeachtung nach Ende des Streites die notwendige Folge sein 6 . Erst mit der neueren lebhaften Pietismus- und vor allem Spenerforschung hat Marburg 1969 (Hildesheim '1978). Dieses Werk stellt nach Koepp erstaunlicherweise die erste intensive quellenkritische Untersuchung zu den Vier Büchern vom wahren Christentum dar, die freilich die weiteren notwendigen Forschungen über das Quellenproblem des „Wahren Christentums" erst eigentlich eröffnet hat. (Vgl. die gute Skizze über den Stand der quellenkritischen Erforschung der Vier Bücher vom wahren Christentum bei H. Schneider, Johann Arndt und die makarianischen Homilien. In: Makarios-Symposion über das Böse. Hg. von W . Strothmann, Wiesbaden 1983, 186-222, 200ff.); E. Lund, Johann Arndt and the development of a Lutheran Spiritual tradition, Diss. phil., Yale University, Connecticut 1979; Christian Braw, Bücher im Staube. Die Theologie Johann Arndts in ihrem Verhältnis zur Mystik, Leiden 1986. Das schwierige Problem des Verhältnisses Arndts zur mystischen Tradition, vor allem zu Tauler, ist in diesem Werk des schwedischen Theologen in neuer, anregender Weise beleuchtet worden. Für das neuere literaturwissenschaftliche Interesse an Johann Arndt sei hier nur auf die Arbeit von H. Kimmel hingewiesen: Sprachliche Verständigung als Voraussetzung des „Wahren Christentums". Untersuchungen zur Funktion der Sprache im Erbauungsbuch Johann Arndts (Kasseler Arbeiten zur Sprache und Literatur, Bd. 10, Frankfurt/Bern 1981). 4 W . Koepp, Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum (= NSGTK 13), Berlin 1912. Neudruck Aalen 1973. 5 AaO., 296. Wie stark die Auseinandersetzung mit Ritsehl die Arndtliteratur am Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte, zeigt auch die einleitende Monographie von Fr. Hashagen zu Johann Arndt, Ausgewählte Predigten, in: Die Predigt der Kirche. Klassikerbibliothek der christlichen Predigtliteratur, Leipzig 1894, V - L V I . Vgl. auch F . W . Schubart, Johann Arndt, in: NKZ, I X . J g . , 1898,456 ff. 6 Vgl. für die Geschichte der Schleiermacherforschung das W e r k E. Brunners, Die M y s t i k und

Johann Arndt in der älteren und neueren Forschung

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sich die Frage nach der Stellung und Bedeutung Johann Arndts in der Theologiegeschichte des 17. Jahrhunderts unter neuen Voraussetzungen eindringlich gestellt. Sie nimmt damit in der gegenwärtigen Pietismusforschung besonders in der Frage nach den Anfängen des Pietismus eine entscheidende Rolle ein. Die herkömmliche Perspektive, daß der Beginn des Pietismus mit der Veröffentlichung von Speners Pia desideria 1675 anzusetzen sei 7 , ist in der neuesten Pietismusforschung durch namhafte Vertreter gerade inbezug auf Johann Arndt erheblich modifiziert worden: Johannes Wallmann unterscheidet zwischen Pietismus im weiteren und engeren Sinn: letzterer habe mit Philipp Jakob Spener und den Frankfurter Collegia pietatis seinen kirchengeschichtlichen Anfang genommen, während der weitere theologiegeschichtlich bedeutsame pietistische Frömmigkeitstyp schon durch Johann Arndt begründet worden sei 8 . In die gleiche Richtung des schon mit Arndt beginnenden Pietismus weisen die Arbeiten von F.Ernest Stoeffler 9 und Martin Brecht 10 , der den Begriff „Frühpietismus" für die durch Johann Arndt charakterisierte Frömmigkeitsbewegung aufnahm 1 1 . Daß mit den Intentionen Johann Arndts in Verbindung mit anderen Theologen, vor allem Philipp Nicolai und Valerius Herberger, auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert eine „neue Frömmigkeit" ihren Anfang nahm, durch die die „Frömmigkeitskrise" der lutherischen Orthodoxie überwunden worden sei, hat Winfried Zeller in mehreren Arbeiten herausgestellt 12 . Schon damit war die Aufmerksamkeit auf das Wort. Der Gegensatz zwischen moderner Religionsauffassung und christlichem Glauben dargestellt an der Theologie Schleiermachers, Tübingen 1924. 7 Vgl. M.Schmidt, Art. „Pietismus", in: RGG 3 , B d . V , 370-381, 373: „Als Beginn des Pietismus muß die Veröffentlichung von Speners Pia Desideria gelten." Vgl. dazu und zur genauen Datierung K. Alands in das Jahr 1675 J . Wallmann, Die Anfänge des Pietismus, in: J G P 4, 1977/ 7 8 , 1 1 - 5 3 , 3 1 ff. und 36 ff. 8 Die These ist schon in dem Spener-Buch Wallmanns ausgesprochen (aaO., 14 mit A n m . 5 1 ) , vgl. seine weiteren Arbeiten: Reformation, Orthodoxie, Pietismus, in: J G N K G 70, 1972, 179-200; Die Anfänge des Pietismus (wie A n m . 7), 46-48, 53 und Pietismus und Chiliasmus. Zur Kontroverse um Philipp Jakob Speners „Hoffnung besserer Zeiten", in: ZThK 78, 1981, 235-266,238 f. 9 F. Ernest Stoeffler, The rise of evangelical Pietism, Leiden 1965, 2 1971,202f. 10 M . B r e c h t , Philipp Jakob Spener und das Wahre Christentum, in: J G P 4, 1977/78, 119-154,148 ff., 153 f. 11 Der Begriff „Frühpietismus" wurde schon für Arndt von Paul Schattenmann vorgeschlagen. P. Schattenmann, Eigenart und Geschichte des deutschen Frühpietismus, in: BWKG 40, 1936,1-32. 12 W . Zeller, Der Protestantismus des 17. Jahrhunderts (= Klassiker des Protestantismus 5), Bremen 1962 (Wiederabdruck der Einleitung zu dieser Quellensammlung in: W . Zeller, Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, hg. von B.Jaspert (Marburger theol. Studien 8), Marburg 1971, 85-116; ders., Die „alternde Welt" und die „Morgenröte im Aufgang." Zum Begriff der „Frömmigkeitskrise" in der Kirchengeschichte, in: Theologie und Frömmigkeit, Bd.2, hg. von B.Jaspert (Marburger theol. Studien 15), Marburg 1978, 1-13. Vgl. die Aufnahme und Erweiterung der Zellerschen Überlegungen zur „großen Krise des 17. Jahrhunderts" und die

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den Anfang des 17. Jahrhunderts gelenkt, auf die Frömmigkeitsbewegung innerhalb der lutherischen Orthodoxie, in der man sich in zunehmendem Maße der Krise in Theologie und Kirche bewußt wurde 1 3 . Wie stark der Pietismus Speners und Franckes 14 im geschichtlichen Zusammenhang mit der vor allem durch den Namen Johann Arndt bezeichneten Frömmigkeitsbewegung des 17. Jahrhunderts gesehen werden muß, ist mit diesen Arbeiten der neuesten Pietismusforschung deutlich geworden 1 5 . Johann Arndt nur als Wiederbeleber neuplatonischer und mittelalterlich-katholischer Mystik im nachreformatorischen Luthertum anzusehen, ohne näher nach seinen Intentionen und deren Bezügen zur Situation in Kirche, Theologie und Frömmigkeit seiner, der vorhergehenden und nachfolgenden Zeit zu fragen, ist seit diesen Forschungen nicht mehr möglich. Doch so sehr die Diskussion um die Anfänge des Pietismus noch im Fluß ist, so wenig ist erst recht über die nähere Bestimmung der Intentionen Arndts in theologiegeschichtlicher und systematischer Hinsicht schon hinreichend Klarheit erzielt worden. Es handelt sich vor allem um die offene Frage, in welchem Verhältnis die orthodox-lutherischen bzw. die orthodox-kirchlichen Elemente in seinem Denken zu denen stehen, die sich der spiritualistischen und mystischen Tradition verdanken 16 . Martin Schmidt hatte die Arndtsche Frömmigkeitsbewegung als einen Zweig des kirchenkritischen mystischen Spiritualismus verstanden, in dessen Nachbarschaft er auch die theologische Eigenart Speners historische Krisendiskussion bei H. Lehmann, Das Zeitalter des Absolutismus, Stuttgart 1980, 105-169,114 ff. 13 Inwieweit es sich hier mehr um eine Krise im Sinne eigener erlittener Not oder um ein Krisenbewußtsein handelt, das vorwiegend aus Informationen über das Leiden anderer entstanden ist, bleibt freilich offen. Die Diskussion um die Krise in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts hat zahlreiche Aspekte hervorgehoben, sie wird auch in der theologiegeschichtlichen Erforschung des 17. Jahrhunderts, vor allem hinsichtlich der umfangreichen Erbauungsliteratur und in der Leichenpredigtenforschung weiter zu führen sein, vgl. R. Lenz (Hrsg.), Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 1, Köln/Wien 1975, Bd. 2, Marburg 1979, Bd. 3, Marburg 1984; R. Mohr, Der unverhoffte Tod. Theologie- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu außergewöhnlichen Todesfällen in Leichenpredigten (Marburger Personalschriften-Forschungen, hg. von R. Lenz, Bd. 5), Marburg 1982. 14 Zu A . H . Francke vgl. E. Peschke, Bekehrung und Reform. Ansatz und Wurzeln der Theologie August Hermann Franckes, A G P 15, Bielefeld 1977, bes. 38 ff. 15 Neben den schon genannten Arbeiten sei hier nur noch auf folgende hingewiesen: H. Reimer, Die orthodoxen Wurzeln der Theologie Philipp Jakob Speners. Ein Beitrag zur Einordnung des lutherischen Pietismus in die deutsche Theologiegeschichte. Diss. Theol. Erlangen 1969 (Masch.); J . O. Rüttgardt, Heiliges Leben in der Welt. Grundzüge christlicher Sittlichkeit nach Philipp Jakob Spener, A G P 16, Bielefeld 1978; D. Blaufuß, Spener-Arbeiten. Quellenstudien und Untersuchungen zu Philipp Jakob Spener und zur frühen Wirkung des lutherischen Pietismus, Frankfurt/M. 2 1980, X I X f . Vgl. auch M. Brecht, Der Pietismus als Epoche der Neuzeit, in: VF 21,1976/1, 46-84. 16 Vgl. zu dieser Grundproblematik in der gegenwärtigen Arndtforschung und im Blick auf Spener: M.Brecht, Philipp Jakob Spener und das Wahre Christentum (s.Anm. 10), 145ff. und B. Hamm, Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus, in: J G P 8, 1982,43-73, bes. 59ff. Für das Problem der Arndtschen Mystik s. Christian Braw (Anm. 3).

Johann A r n d t in der älteren und neueren Forschung

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zu erfassen versuchte 17 . Speners besondere Bedeutung in der nachreformatorischen Kirchengeschichte sah Schmidt dann vor allem darin, daß er den Spiritualismus mit seiner Kirchenkritik verkirchlicht habe, was allerdings nur um den Preis der Separation des radikalen Pietismus möglich war. Demgegenüber ist mit Recht hervorgehoben worden, daß schon bei Johann Arndt „Verkirchlichung" spiritualistischer Anliegen stattfindet, eine Intention, die Spener aufgenommen und weitergeführt hat 1 8 . Aber die Integration spiritualistischer Impulse in Theologie und Kirche im orthodoxen Zeitalter kann nur von einem theologischen Ansatz aus gedacht werden, der zwischen lutherisch-orthodoxer Theologie und Kirchlichkeit und dem Anliegen des mystischen Spiritualismus keine unversöhnlichen Gegensätze zu sehen vermag. Die Hervorhebung der theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Kontinuität zwischen Arndt und Spener wird gewiß auch die Unterschiede nicht übersehen können, die im Verhältnis beider Theologen zur orthodoxen Tradition bestehen 19 . Darüber hinaus wird erst eine weitere Erforschung der Wirkungsgeschichte Arndts Klarheit darüber bringen können, mit welchem Recht der kirchenkritische mystische Spiritualismus (z.B. eines Christian Hoburg) sich auf Johann Arndt berufen hat 2 0 . Die Versuche einer theologischen Charakterisierung Johann Arndts zwischen Orthodoxie und Spiritualismus haben bisher nur zu unterschiedlichen, wechselnden Akzentuierungen geführt, womit sie über die Positionen in den Arndtschen Streitigkeiten noch nicht wesentlich hinausführten 2 1 . Der kurze Überblick über die mit Johann Arndt zusammenhängenden Problemkreise in der gegenwärtigen Pietismusforschung zeigt somit, wie sehr die Frage nach einem angemessenen Verständnis Johann Arndts in der Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jahrhunderts mit der noch immer zentralen Frage nach dem Herauswachsen des Pietismus aus der lutherischen Orthodoxie zusammenhängt. Im Rahmen der starken Einbindung Johann Arndts in diese Verhältnisbestimmung wird Arndt vorwiegend theologiegeschichtlich bzw. frömmigkeitsgeschichtlich gesehen; eine wichtige Seite 1 7 In seinen die neuere Spenerforschung nach dem 2. Weltkrieg einleitenden und sie für lange Zeit bestimmenden Arbeiten: Speners Wiedergeburtslehre, in: ThLZ 76 (1951), Sp. 1 7 - 3 0 . Uberarbeitete und erweiterte Fassung in: Wiedergeburt und neuer Mensch, A G P 2, Witten 1 9 6 9 , 1 6 9 - 1 9 4 und Speners Pia Desideria, in: ebd., 1 2 9 - 1 6 8 . 1 8 Vgl. M. Brecht, Philipp Jakob Spener und das Wahre Christentum, aaO., 1 4 5 f f . , 148. 1 9 Dies hat M. Brecht anhand von Speners Ausgabe des Wahren Christentums in seinem oben (s.Anm. 18) genannten Aufsatz deutlich gemacht, indem die große Breite von Speners Theologie gegenüber den ihm vorgegebenen theologischen Traditionen sichtbar wird. Vgl. zu dem Verhältnis A r n d t - Spener vor allem auch die Arbeiten J. Wallmanns, s. A n m . 8, und sein Aufsatz: Wiedergeburt und Erneuerung bei Philipp Jakob Spener, in: J G P 3 , 1 9 7 7 , 7 - 3 1 . 2 0 Zum Verhältnis Christian Hoburgs zu A r n d t und Spener, s. M.Brecht, aaO., (Anm. 10), 150 ff. 2 1 Das zeigt sich m. E. auch an dem Versuch B. Hamms, das theologische Denken Arndts anhand seines Wortverständnisses zu charakterisieren, vgl. A n m . 16.

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seines Lebens und Wirkens tritt dabei jedoch zurück: seine kirchenleitende Tätigkeit als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg. Wir meinen, daß diese Seite für ein angemessenes geschichtliches Verständnis Johann Arndts unverzichtbar ist 2 2 . Daß Johann Arndt über das Problem des Verhältnisses von Orthodoxie und Pietismus hinaus für Geschichte und Gegenwart der Frömmigkeit im Raum des Protestantismus und auch im gegenwärtigen ökumenischen Dialog von weitreichender Bedeutung ist, ist unbestritten 23 . U m s o erstaunlicher stellt sich jedoch die Situation dar, wenn man genauer nach der Struktur dieser Frömmigkeit fragt und nach den Quellen, aus denen sie bisher zu erheben versucht wurde. Die theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Interpretation Arndts orientierte sich stets nur bis heute an seinen „Vier Büchern vom wahren Christentum" und dem „Paradiesgärtlein" 2 4 . Durch die einzigartige Wirkungsgeschichte dieser bedeutsamen Werke ist aber der Blick auf die großen Predigtwerke verdrängt worden, die man mit nicht geringerem Recht als die Hauptwerke Arndts bezeichnen kann: die „Evangelienpostille" (1616), die „Katechismuspredigten" (1616) und „Der ganze Psalter Davids in 451 Predigten" (1617), das umfangreichste Werk Arndts überhaupt 2 5 . Bekanntlich hat Spener seine berühmten „Pia desideria" der Ausgabe der Arndtschen Postille von 1675 vorangestellt, die bis dahin und auch noch im 18. Jahrhundert weite Verbreitung gefunden hat. Freilich mußte schon Koepp zu diesen Predigtwerken aus derZeit des Höhepunktes der Wirksamkeit Arndts als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg feststellen, daß sie „nicht als Vertreter einer ausgesprochenen Verbindung von Luthertum und Mystik (da)stehen", und „im Durchschnitt die Töne der mystisch gefärbten Erbauungsschriften auffallend zurücktreten" lassen 2 6 . Mit diesen Predigtwerken scheint Arndt nicht aus dem Rahmen der lutherisch-orthodoxen Theologie herauszufallen, deshalb hat man ihnen wohl auch bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dagegen stehen die Bücher vom wahren Christentum schon in den letzten Lebensjahren Arndts und dann vor allem in den Jahren nach seinem Tod im Zentrum der sog. Arndtschen Streitigkeiten 27 . Durch dieses Interesse am „Wahren Christentum" ist das Arndtbild bis heute so stark geprägt worden, daß Arndt vor allem als wirkungsvoller Erbauungsschriftsteller, kaum jedoch als im kirchenleitenden Amt stehender Prediger gesehen wird. Es ist daher für die künftige Arndtforschung 22 S . A b s c h n i t t 2 . Zur Bedeutung Arndts für die protestantische Frömmigkeit s. J. Wallmann, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum, in: Chloe. Beihefte zum Daphnis, B d . 2 : Frömmigkeit in der frühen Neuzeit, hg. von D . B r e u e r , Amsterdam 1984, 50-74. 2 4 Vgl. die in Anm. 3 genannte Literatur. 2 5 S. dazu Abschnitt 2 d), S. 162 ff. 2 * A a O . , 76f. 2 7 Zur Literatur über die Arndtschen Streitigkeiten s. J . Wallmann, H e r z o g August als Gestalt der Kirchengeschichte (s. Anm. 2), 23, Anm. 37. 23

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wichtig, die Quellenbasis zu erweitern und neben den Büchern vom wahren Christentum auch seine Predigten heranzuziehen. Wir stehen hier vor allem in der Tat noch ganz im Anfang 2 8 . Mit dem Versuch der Charakterisierung des Obrigkeitsverständnisses von Johann Arndt in seinen Predigten befinden wir uns zwar in einer begrenzten, aber u.E. in verschiedener Hinsicht wesentlichen Thematik. Zunächst kann diese Fragestellung den Zugang zu Arndts Selbstverständnis als Prediger und Theologe in erstaunlicher Breite erschließen. Fast alle wichtigen Fragen nach seinem Verständnis von Kirche, Predigtamt, christlichem Glauben, Welt und Mensch stehen im Zentrum seiner Obrigkeitspredigten, so daß von hier aus für die Struktur seiner Theologie und Frömmigkeit insgesamt der Blick geöffnet werden kann. Sodann aber bietet das Obrigkeitsverständnis Arndts auch eine gute Möglichkeit, im Vergleich mit anderen Obrigkeitsanschauungen nach dem gegenseitigen Verhältnis der verschiedenen Richtungen innerhalb der lutherischen Theologie seiner, der vorhergehenden und der nachfolgenden Zeit zu fragen. Die für das Obrigkeitsverständnis in der Theologie vor Spener bis jetzt maßgebende Untersuchung von Martin Kruse 2 9 hat Arndt nicht näher berücksichtigt, jedoch am Schluß einen wichtigen Hinweis auf seine Obrigkeitspredigten gegeben. Kruse stellt hier im Blick auf Arndt fest: „Zu den theologischen Kritikern des landesherrlichen Kirchenregiments wird man ihn nicht rechnen können." 3 0 Welche Bedeutung einer solchen Beurteilung - angenommen, sie ließe sich bestätigen - für die von Arndt ausgehende Frömmigkeits- und Reformbewegung im 17. Jahrhundert einschließlich Speners zukommt, ist nicht schwer zu ermessen. Sie kann schließlich zu einer weiteren Frage Anlaß geben. Johannes Wallmann hat am Beispiel des Verhältnisses Herzog Augusts von Braunschweig-Lüneburg zu Johann Arndt historisch-konkret einsichtig gemacht, daß den Schriften und Bestrebungen Arndts obrigkeitlicher Schutz gewährt wurde. Zu den Arndtschen Streitigkeiten stellt er fest: „Fürstlichen Schutz haben jedenfalls allein die Arndtverteidiger genossen." 31 Sollte diese auffällige, bisher zwar schon gesehene 32 , aber noch nicht genauer untersuchte Tatsache von weitreichender kirchengeschichtlicher Bedeutung evtl. auch mit den Besonderheiten von Arndts Obrigkeitsverständnis zusammenhängen? Bevor wir uns dem Obrigkeitsverständnis Arndts in seiner Evangelienpostille und in den beiden Landtagspredigten zuwenden, die den Charakter politischer Lehrpredigten tragen, soll das Wirken Arndts als Generalsuperintendent des J. Wallmann, ebd., 23. M. Kruse, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, A G P 10, Witten 1971. 3 0 A a O . , 173 f., A n m . 208. 3 1 J. Wallmann, Herzog August, aaO., 31. 3 2 J . J . B e r n s , Herzog August und die Frömmigkeit, in: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1 5 7 9 - 1 6 6 6 , Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Nr. 27, Braunschweig 1979, 365. Berns spricht hier in bezug auf Herzog August vom „Schutzherrn des wahren Christentums." 28

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Fürstentums Lüneburg unter der Regierung Herzog Christians d . Ä . von Braunschweig-Lüneburg dargestellt werden. Nur im Zusammenhang mit der konkreten geschichtlichen Situation im Fürstentum Lüneburg am Anfang des 17. Jahrhunderts und insbesondere in der Wahrnehmung der engen Verbindung, in der der Generalsuperintendent Arndt zu seinem Landesherrn, Herzog Christian d.Ä., stand, können die Predigten Arndts und sein Obrigkeitsverständnis angemessen interpretiert werden.

2. Johann Arndts Wirken in Celle als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg und Herzog Christian d.Ä. von Braunschweig-Lüneburg Uber das letzte Jahrzehnt im Leben und Wirken Johann Arndts als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg gibt es in der älteren Arndtforschung ausführliche Darstellungen 3 3 . Sie stimmen darin überein, daß sie Arndt im kirchenleitenden Amt in Celle „auf der Höhe des Lebens und des Erfolges" 3 4 sehen. Im Vergleich mit den vorangehenden Wirkungsstätten Arndts im Fürstentum Anhalt, Quedlinburg und Braunschweig heben sich die Jahre seines Wirkens im Fürstentum Lüneburg ohne Frage besonders heraus, insofern ihm hier das einflußreiche Amt und die Erfahrungen eines schon durch viele Kämpfe hindurchgegangenen Pfarrerlebens eine weitreichende Tätigkeit ermöglichten. Die näheren Umstände seines Uberganges von Eisleben nach Celle zeigen auch, wie sehr der Ruf Herzog Emsts II. in die Generalsuperintendentur von Celle den persönlichen Neigungen und Interessen Arndts entgegenkam 3 5 . Nicht weniger deutlich geht aus ihnen aber auch hervor, mit welcher Intensität und Entschlossenheit die Obrigkeit im Fürstentum Braunschweig-Lüneburg bestrebt war, gerade Johann Arndt in das wichtige kirchenleitende Amt zu berufen 3 6 . Die zurückliegenden Braunschweiger Kämpfe und die Anfeindungen 3 3 Vgl. F . A r n d t , aaO., 1 2 2 - 1 9 7 ; F . J . W i n t e r , aaO., 46 ff., 5 0 - 7 8 ; W . Koepp, aaO., 67 ff.; R. Steinmetz, Die Generalsuperintendenten von Lüneburg-Celle, Sonderdruck aus der Zeitschrift der Gesellschaft f. niedersächs. Kirchengeschichte, 1915, 7 6 - 8 6 . 3 4 Koepp beginnt mit dieser Uberschrift das 2. Kapitel seiner Arndtmonographie „Die Zeit der großen Wirkungen." „Aus den Tiefen der Trübsal und der Erfolglosigkeit in Braunschweig kam Arndt über Eisleben hinweg auf die H ö h e seines Wirkens und seiner Erfolge in Celle", 67. 35

Vgl. die Darstellung bei F. Arndt, aaO., 1 1 2 - 1 2 1 ; Winter, 46ff. und Koepp, 69ff.

Zunächst war das Amt Johann Gerhard, dem damaligen Superintendenten in Heldburg, angetragen worden. E r lehnte jedoch ab und schlug Superintendent Schröder in Schweinfurt, Generalsuperintendent Dr. Schleupner, der mit Arndt aus seiner Eislebener Zeit in freundschaftlicher Verbindung stand, und Arndt vor. (vgl. Winter, 46). H e r z o g Ernst II. entschied sich für den an 3. Stelle stehenden Arndt und beauftragte seinen Kanzler Hildebrand mit den Berufungsverhandlungen. Nach dem T o d H e r z o g E m s t s II. am 2. März 1611 versuchten sowohl der Kanzler wie der neue Herzog Christian an dem einmal gefaßten Entschluß, Arndt nach Celle zu bekommen, mit aller Energie festzuhalten. In einem langen Schreiben an den Grafen Bruno von Mansfeld stellt H e r z o g Christian die Berufung Arndts nach Celle als einen Vorgang dar, der den besonderen Willen Gottes zeige, dem Arndt Gehorsam schuldig sei und dem sich auch die Grafen von Mansfeld nicht entziehen könnten, (vgl. Winter, 49). 36

Johann Arndts Wirken in Celle

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gegenüber dem Verfasser der Bücher vom wahren Christentum 3 7 hatten sehr bald auch die Verteidiger von Arndts Bestrebungen und seine Gesinnungsfreunde auf den Plan gerufen 38 . Daß die lüneburgischen Herzöge sich so frühzeitig für Arndt eingesetzt haben und während seiner Amtszeit und vor allem bei den erst nach seinem Tod voll einsetzenden Arndtschen Streitigkeiten ganz auf seiner Seite standen, ist eine Tatsache, der eine erhebliche Bedeutung für die ganze Frömmigkeitsbewegung zukommt, die mit Johann Arndt am Beginn des 17. Jahrhunderts ihren Ausgang genommen hatte 39 . Wir werden diese Tatsache auch zu bedenken haben, wenn wir das Obrigkeitsverständnis in der Evangelienpostille zu bestimmen versuchen, die Arndt als Lüneburger Generalsuperintendent herausgegeben hat. Dabei ist besonders die Person und das Wirken Herzog Christians d. A. von Braunschweig-Lüneburg von Bedeutung, der regierende Herzog zur Zeit von Arndts Tätigkeit als Generalsuperintendent und noch ein gutes Jahrzehnt nach dessen Tod zur Zeit der entscheidenden literarischen Kämpfe um sein Werk (1611-33). Nach dem plötzlichen Tod Herzog Emsts II. am 2. März 1611 war sein Bruder und Nachfolger in der Regierung, Herzog Christian, fest entschlossen, den an Arndt ergangenen Ruf in die Celler Generalsuperintendentur gegen erhebliche Widerstände vonseiten der Mansfelder Grafen in die Tat umzusetzen. Der ehrenvollen Bitte des Celler Hofes, noch vor seinem Amtsantritt für den verstorbenen Fürsten in der Pfarrkirche die Leichenpredigt zu halten 40 , entzog sich Arndt nicht. Am 10. April 1611 hielt er über Psalm 85,10-14 die Leichenpredigt auf Ernst II., das erste Zeugnis der Beziehungen zwischen Arndt und dem Fürstentum Lüneburg 41 . Schon diese Predigt ist für das Obrigkeitsverständnis des zukünftigen Generalsuperintendenten aufschlußreich. Sie zeigt den erfahrenen Prediger, der Leh37 Der Erstdruck des ersten Buches erschien 1605 in Frankfurt/M. bei Jonas Rose, die übrigen drei Bücher erschienen 1610 in Magdeburg bei Johann Francke, vgl. die den neuesten Forschungsstand wiedergebenden Angaben bei B . H a m m , Johann Arndts Wortverständnis, aaO., (s. 1., Anm. 16), 44, Anm.3. 38 Vor allem ist hier Johann Gerhard zu nennen und dessen Einsatz zur Veröffentlichung der Bücher vom wahren Christentum, vgl. Koepp, 59 ff. 39 J. Wallmann hat diesen fürstlichen Schutz für die Arndtverteidigung besonderrs an dem Verhältnis Herzog Augusts d.J. zu Johann Arndt aufgewiesen, s. 1., Anm. 2. 40 Winter berichtet aus dem Schreiben des Kanzlers Hildebrand an Arndt, „der Hofprediger getraue sich solches vor einer so großen Gemeinde, wie dabei zu erwarten wäre, nicht, und die drei anderen Prediger der Stadt brauchten sich alle der sächsischen Sprache und seien der hochdeutschen Sprache nicht gewohnt, in welcher doch bei solcher stattlicher Versammlung die Predigt gehalten werden müßte." (aaO., 47). Nach J.Meyer, Kirchengeschichte Niedersachsens, Göttingen 1939, stellt dies „ein Zeichen des damaligen Vordringens des Hochdeutschen in der niedersächsischen Kirchensprache" dar. (115). Auch wurde Arndt gebeten, am Sonntag vorher, Miserikordias Domini, die Probepredigt zu halten, die er ebenfalls übernommen hatte, vgl. Koepp, 70. 41 „Bey der Fürstlichen Leichbestattung des Weylandt Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Ernsten/ Hertzogen zu Braunschweigk und Lüneburgk... Gehalten zu Zelle in der Pfarrkirchen: am 10.Aprilis... Durch Johannem Arndten der Kirchen im Fürstenthumb Lüneburgk Generali Superintendenten", Stadthagen 1611, Signatur: C 1 0 125 N L B Hannover.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

re, Ermahnung und Trost geschickt zu verbinden weiß. Arndt entwirft unter dem alles zusammenfassenden Thema der Gottesfurcht das Bild einer christlichfrommen Obrigkeit, die bei dem verstorbenen Fürsten Wirklichkeit war und auch dem neuen Fürsten als Verpflichtung und Verheißung vor Augen steht. Die „zwey regiment seulen" für eine gottesfürchtige Regierung sind vera religio und pia iustitia 42 . In drei Lehrpunkten entfaltet Arndt die Wohlfahrt und Ehre des Fürstentums in Vergangenheit und Zukunft: „1- Worin die Wohlfahrt und Ehre dieses Fürstentums bisher gestanden. 2. Worin künftig der Wohlstand und die Ehre dieses Fürstentums bestehen wird. 3. Was der Nutzen sei, wenn solche göttliche Tugenden im Lande wohnen." 4 3 Der Blick in die Vergangenheit des Fürstentums Lüneburg zeigt, wie auf die Gottesfurcht die Hilfe Gottes und die Ehre des Landes folgten. Arndt weist auf den Großvater des verstorbenen Fürsten, Herzog Ernst den Bekenner, hin, der auf dem Augsburger Reichstag 1530 die CA mitunterzeichnete, auf den Reformator und Kirchenorganisator Urbanus Rhegius, auf den Vater, den frommen Herzog Wilhelm d. J., sowie die Beförderung der Konkordienformel durch Martin Chemnitz und David Chyträus. Die Gottesfurcht dieser Männer war ein Vertrauen auf die alleinige Hilfe Gottes, ein Glauben und Bekennen der Rettungstat Gottes in Christus 44 . In dem wahren, reinen Gottesdienst lag und liegt die Ehre des Landes 45 . Bei der Beschreibung des künftigen Wohlstandes des Fürstentums benutzt Arndt die alte Dreiständelehre. Der Güte Gottes verdankt sich alles Wohlergehen; sie ereignet sich geistlich, politisch und ökonomisch 46 , so daß die Frucht der neuen Geburt, das neue Leben, sich in allen drei Weisen entfaltet. Hier zeigt sich besonders das für die Predigten Arndts immer wieder charakteristische Ineinandergreifen von Elementen traditioneller und eigengeprägter Predigtsprache. Von dem Psalmtext Ps 85,11 ausgehend, beschreibt Arndt zunächst die geistliche Weise der Begegnung Gottes mit dem Menschen, den „Kuß der Barmherzigkeit Gottes mit dem Glauben in einen jeden gläubigen Herzen." 4 7 In der politischen Weise dieser Begegnung rückt Arndt das weltliche Regiment so nahe an das göttliche heran, daß er sogar von der gottgewollten Gleichheit der beiden Regimente reden kann: „Weill nu Gott der Herr auch seinen gericht und Regimentstuel auff Erden hatt... (Ps 82), so will er auch das/die weltlichen Regiment auff erden seinem Regiment im Himmell gleich sein sollen/das hie 42 B II. « B II f. 44 Der Gottesfurcht stellt Arndt hier die Gottlosigkeit gegenüber. Die Reihenfolge: Gottesfurcht, Gottes Hilfe, Ehre des Landes läßt auch das Verständnis offen, daß auf die fromme Haltung des Menschen die Hilfe Gottes erst antwortet. Doch umfaßt „Gottesfurcht" bei Arndt stets das ganzheitliche Geschehen des von Gott gewirkten Glaubens und Vertrauens des Menschen, dem die Verheißung und Erfüllung des Geglaubten und Erhofften innewohnt. 45 „die höchste Ehre des Landes ist die wäre Religion." (C III). 46 Arndt setzt hinzu: „besser ,physice'". 47 Dff.

J o h a n n Arndts Wirken in Celle

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nieder auch gerechtigkeit und friede sich küssen." 4 8 Die „weltliche" Gerechtigkeit im irdischen Regiment ist nicht nur auf die göttliche Gerechtigkeit bezogen und ausgerichtet, sondern in ihr will sich die Wirklichkeit Gottes im Irdischen bewahrheiten und Gestalt annehmen. Das geschieht nach Arndt besonders in dem Eintreten für die Armen. Wir werden diese, dem Psalmtext nachempfundene poetische Ausdrucksweise nicht außer acht lassen können; dennoch wird doch schon hier deutlich, daß für Arndt das weltliche Regiment eine Präfiguration des himmlischen ist. Eine Richtung zeichnet sich ab, die für das gesamte Obrigkeitsverständnis Arndts von wesentlicher Bedeutung ist 49 . Auch der 3. Lehrpunkt „Von dem hohen Nutzen der göttlichen Tugenden für das Land" zeigt die Güte Gottes in dreifacher Hinsicht auf: als göttlicher Segen im Leben und im Tod, als politischer Segen in beständiger Gerechtigkeit und als häuslicher Segen in der Fruchtbarkeit der Erde 5 0 . Mit der Historia Ernesti, die Ernst als den durch Studien in Wittenberg und Leipzig für sein hohes Amt wohl vorbereiteten, gottesfürchtigen Fürsten zeigt, endet diese Leichenpredigt. Nach der Reise Arndts nach Celle vergingen jedoch noch einige Wochen, bevor er das neue Amt im Fürstentum Lüneburg antreten konnte. Vor allem galt es, den Widerstand des Grafen Bruno zu überwinden, der an Herzog Christian schrieb, daß er nicht gewillt sei, Arndt zu entlassen 51 . In dieser Situation erbat sich Arndt von der Wittenberger theologischen Fakultät ein Gutachten, ob er der Berufung nach Celle folgen dürfe. Die Auskunft aus Wittenberg war wenig geeignet, dem Lauf der Ereignisse noch eine neue Richtung zu geben 52 . Aus einem langen Brief Arndts an den Kanzler Hildebrand 53 geht hervor, wie sehr "s D I U . 49

A u f die häusliche Sphäre, die dritte Weise der Begegnung der Güte Gottes im Irdischen, geht

Arndt erst bei dem 3. Lehrpunkt „Von dem hohen N u t z e n . . . " ein. 50

E . Arndt betont mehrfach, daß durch Gottesfurcht die ganze Natur gütig wird. I m Eingang zu

dieser Leichenpredigt hat sich Arndt zur Beschreibung der Trauer verschiedener Naturbilder bedient; die ganze Natur, Sonne, M o n d und Sterne, trauern mit, wenn die Saite zerspringt und G o t t aus dem zeitlichen einen Himmelsfürsten gemacht hat. Viele Naturbilder enthält auch die Leichenpredigt auf D o r o t h e a , die Gemahlin Wilhelms d . J . , die Arndt 1617 in der Pfarrkirche in Celle gehalten hat. ( „ T r o s t S p i e g e l . . . " , Lüneburg 1617, Signatur: C 1 0 0 8 3 N L B Hannover). 51

A m 21. April 1611, vgl. F . Arndt, 116 f.; Winter, 48.

52

A m 9. Mai erteilte man Arndt den Rat, „es müsse die Entscheidung in dieser Angelegenheit

lediglich den Verhandlungen des Herzogs und der Grafen überlassen, sonst aber alles im G e b e t e G o t t anheim gestellt werden", zitiert nach F . W . Bodemann, Leben Arndts, Bielefeld 3 1871; Winter, 48 f. 53

D e r Brief wird mitgeteilt bei F . Arndt, 1 1 7 - 1 2 0 , vgl. auch Winter, 49. In 13 Punkten legt hier

Arndt seinen Standpunkt in der Berufungsangelegenheit dar, der keinen Zweifel über seine E n t schlossenheit läßt, der Berufung nach Celle zu folgen. I m 9. und 10. Punkt k o m m t das Selbstverständnis Arndts besonders deutlich zum Ausdruck, wenn er in seinem R u f nach Celle eine Berufung durch G o t t erblickt, der sich die christliche Obrigkeit nicht entgegenstellen dürfe: „ . . . eine jegliche christliche Obrigkeit schuldig ist, G o t t der höchsten Obrigkeit auch zu gehorsamen, und das Reich Christi in der werthen Christenheit nicht allein in ihren Landen, sondern auch in andern Landen zu befördern, . . . auch G o t t der H e r r die G a b e n seiner Diener nicht unterworfen haben will der weltlichen Gewalt, sondern er will sie frei haben, zu gebrauchen wann und w o es N o t h ist zur

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D i e christliche Obrigkeit in den Predigten J o h a n n Arndts

Arndt in der Berufung nach Celle ein Werk göttlicher Fügung erblickte, indem es ihm die Möglichkeit eröffnet, die ihm verliehenen Gaben und Kräfte zur Entfaltung zu bringen, während man ihn in Eisleben wohl ohne Schaden entbehren könne. Schließlich führten die Verhandlungen zu der Einwilligung der Grafen von Mansfeld in den Übergang Arndts von Eisleben nach Celle. Eine für beide Seiten glückliche und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Herzog und Generalsuperintendent sollte nun ihren Anfang nehmen. Wie hoch es Arndt schätzte, unter dieser seiner theologischen und kirchlichen Uberzeugungen wohlgesonnenen und so entgegenkommenden Obrigkeit wirken zu können, geht aus einem Brief an seinen Freund Johann Gerhard aus dem Anfang seiner Celler Zeit hervor. Arndt beglückwünscht sich darin selbst zu des Fürsten gütiger Gesinnung, so daß er nun unter Gottes und des Fürsten Obhut ein ruhiges Leben genießen könne 5 4 . In der Arndtliteratur ist immer wieder auf den frommen und gottesfürchtigen Herzog Christian hingewiesen worden, allerdings nur in allgemeinen Wendungen 5 5 . Verschiedene, unter der Regierung Herzog Christians ausgegangene Ordnungen und Erlasse zeigen ihn in der Tat als einen Regenten, der es mit seinem weltlichen und geistlichen Regiment sehr ernst nahm 5 6 . Vor der Übernahme der Regierung 1611 war er durch HerkomErbauung der K i r c h e . " ( F . A r n d t , 119). Die christliche Obrigkeit kann einer göttlichen vocatio keine eigensüchtigen Interessen entgegenstellen. Sie ist genauso zum Gehorsam gegenüber G o t t verpflichtet wie die Prediger. Voraussetzung ist allerdings, daß es sich wirklich um eine Berufung durch G o t t handelt. D a ß Arndt daran nicht zweifelt, muß nicht schon an sich selbstsüchtigen Motiven entspringen, wie K o e p p meint (70). G e w i ß erhoffte sich Arndt in Celle eine günstigere Wirksamkeit als in Eisleben und allen seinen vorhergehenden Wirkungsstätten. 5 4 A m 13. Juli 1612, nach Winter, 51, A n m . 6 5 . D e m n a c h befand sich dieser Brief zur Zeit Winters im Original in der Herzoglichen Bibliothek zu G o t h a . - D a ß die Ruhe, die Arndt nun zu genießen vorgibt, nichts mit quietistischer Innerlichkeit und Abschließung von der Welt zu tun hat, zeigen die von pfarramtlicher, kirchenregimentlicher und schriftstellerischer Arbeit reich angefüllten Celler Jahre Arndts. Vgl. auch das Bestallungsdekret Arndts als Generalsuperintendent, mit dem ihm die Oberaufsicht über die Kirchen des Fürstentums und beider dazugehörenden G r a f schaften wie über die Schulen übertragen wurde, abgedruckt bei Winter, 108, A n m . 64. 5 5 So bei F . Arndt, 123: Winter, 51; K o e p p , 71. In der erbaulichen Darstellung von Arndts Leben von F . W . Bodemann heißt es: „ D e r H e r z o g war nämlich ein frommer, gottesfürchtiger Fürst, dem das W o h l der Kirche Christi aufrichtig am Herzen lag, und dem es ein wirkliches Bedürfniß war, allezeit den Tag des Herrn heilig zu halten, und ihn nicht blos durch Betrachtung der göttlichen Wahrheiten daheim für sich, sondern auch durch einen fleißigen Besuch des Hauses Gottes öffentlich zu f e i e r n . . . Zugleich that er nach besten Kräften alles, den äußeren Gottesdienst nicht blos zu regeln und zu ordnen, sondern auch zu heben, und den Dienern der Kirche möglichst aufzuhelfen." (65f.). 5 6 Es seien hier nur folgende genannt: Hofordnung H e r z o g Christians, 1612, vgl. W . Havemann, Geschichte des Landes Braunschweig und Lüneburg, Lüneburg 1838, 3. Bd., 1 0 f f . ; Verordnung H e r z o g Christians wegen R u h e und Ordnung in den Straßen Celles, 1616 (handschriftlich, Stadtarchiv Celle, Signatur: 1 A 59); Regimentsordnung, 1618, abedruckt in: Neues Göttingisches historisches Magazin, hg. von C . Meiners und L . T . Spittler, 3. Bd., H a n n o v e r 1794, 4 8 6 - 5 1 6 . Sie enthält eine genaue Beschreibung der ganzen Organisation der damaligen Regierung im H e r z o g t u m L ü n e burg, „die Grundlage für die Verwaltung des Fürstentums Lüneburg im 17. J a h r h u n d e r t " , so H . J . v o n der O h e , D i e Zentral- und Hofverwaltung des Fürstentums Lüneburg (Celle) und ihre

Johann Arndts Wirken in Celle

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men und Erziehung, mehrere Reisen und frühe Mitverantwortung in der Regierung auf sein fürstliches A m t im Geist eines verantwortungsbewußten Luthertums vorbereitet worden. Von dem Nachfolger Arndts im A m t des Generalsuperintendenten, Johannes Wezel, ist uns ein „Historischer Bericht" über das Leben und Wirken Herzog Christians überliefert, dem wir einige wenige Hinweise auf seinen Lebensgang entnehmen 57 . Als einer der Söhne des weisen und gottesfürchtigen Regenten Herzog Wilhelms d.J. 5 8 , verheiratet seit 1561 mit Dorothea, der Tochter Christians III. von Dänemark, wurde Christian am 19. November 1566 geboren und in der reinen Lehre auf der Grundlage der unveränderten Augsburgischen Konfession erzogen 59 . Seine Bildung erfuhr durch einen längeren Aufenthalt in Preußen bei seinem Schwager, Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, und Reisen nach Straßburg, den Niederlanden und Dänemark weitere Förderung. Da Herzog Wilhelm seit 1581 durch ein schweres Gemütsleiden zeitweilig unfähig war, die Regierung zu führen, hatten ab 1590 seine beiden ältesten Söhne Ernst und Christian die Regierung mitgeführt. Nach dem Tod Herzog Wilhelms d.J. 1592 wurde Ernst sein Nachfolger 6 0 . Ein wichtiges Ereignis im Leben Christians vor der Übernahme der Regierung war seine Wahl zum Bischof des Stifts Minden 1599 6 1 . Wezel hebt hervor, daß Christian „das reine göttliche W o r t darinnen (im Stift Minden) fortgepflanzet", aber auch „beide Religionen geschützt" habe 62 . Beamten 1520-1648, Celle 1955, 49f.; Polizeiordnung, Celle 1618; Kirchenordnung, Celle 1619; Herzog Christian an die Stadt Celle wegen Ausübung des Gottesdienstes, 1618 (handschriftlich, Stadtarchiv Celle, Signatur: 1 A 63); Herzog Christians Buß-Bet und Fasttags-Ordnung, 1632, Signatur: C 1528, N L B Hannover. 57 „Historischer Bericht/ Von des in Gott ruhenden Landes Fürsten und Herrn Leben und Abschied", am Schluß der Leichenpredigt Wezeis auf Herzog Christian, gedruckt zu Lüneburg, Sterne, 1634,22ff., Signatur: C I , 10, Stadtarchiv Celle. 58 Zur Zeit der Regierung Herzog Wilhelms d . J . (1569-1592) wurde unter seiner Anweisung die Schloßkapelle Celle als einer der nach Torgau ältesten protestantischen Kirchenräume neu ausgestaltet (vgl. H . Reuther, Kunstgeschichte. Baukunst von der Renaissance bis zum Anfang des Klassizismus, in: Geschichte Niedersachsens, hg. von H. Patze, Bd. 3, 2, Hildesheim 1983, 686f., 746ff.). - 1576 kam das nach ihm benannte Corpus doctrinae Wilhelminum heraus. 22 b. 6 0 Die sieben Söhne Herzog Wilhelms d . J . einigten sich dahingehend, daß zunächst der älteste von ihnen, Ernst, allein regieren sollte, die anderen begnügten sich mit bescheidenen Jahresgeldern. Die noch immer hohe Schuldenlast des Landes hätte eine Teilung nicht vertragen. Diesen freiwilligen Verzicht auf die Herrschaft erneuerten die Brüder in einem Vertrag vom 3.12. 1610, der ausdrücklich die Unteilbarkeit des Fürstentums festlegte. 6 1 1597 wurde Christian zu einem Koadjutor und künftigen Bischof des Stifts Minden deklariert und nach dem Tod Bischof Antons von Schaumburg 1599 zum Bischof des Stifts Minden gewählt. Er hat die Bischofswürde über das Stift Minden auch nach seinem Regierungsantritt 1611 bis zu seinem Tode 1633 innegehabt. 62 23 b. - Uber angebliche Konversionsabsichten Herzog Christians berichtet Joseph Schmidlin, Die kirchlichen Zustände in Deutschland vor dem Dreißigjährigen Kriege nach den bischöflichen Diözesanberichten an den heiligen Stuhl (Bd. VII der Erläuterungen und Ergänzungen zu J . J a n s sens Geschichte des Deutschen Volkes, 3. Teil, Freiburg i.Br. 1910, 227-230). Auf diese historisch

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

A n der Regierung Herzog Christians lobt Wezel die verantwortungsvolle, fromme Regimentsführung, die besonders in seiner Polizei- und Kirchenordnung, in der Hebung des Münzwesens 6 3 und in der Anordnung von wöchentlichen Betstunden und bestimmter, über das ganze Jahr verteilter Büß-, Bet- und Fasttage zum Ausdruck kommt. Damit habe man einen Spiegel und ein Vorbild eines gottesfürchtigen und verständigen Regenten 64 . Sowohl Wezel wie sein unzuverlässigen sog. Mindener Erklärungen Christians an den Papst wird hier nur deshalb hingewiesen, da Johannes Meyer in seiner Kirchengeschichte Niedersachsens in diesem Zusammenhang die Vermutung ausgesprochen hat, daß sie möglicherweise mit Philipp Kegel, dem Verfasser verschiedener, die jesuitische Mystik aufnehmender Erbauungsbücher in Zusammenhang stehen könnten. Er schreibt: „Wenn es zutrifft, daß dieser Christian wie sein Bruder August ein Zögling Kegels gewesen ist, könnte man aus einer ihm von Kegel übermittelten mystischen Religiosität die mangelnde konfessionelle Energie ableiten, die seine Mindener Erklärungen an den Papst von 1599 kennzeichnet. Jedenfalls stand er mit seinem Generalsuperintendenten Arndt bis zu dessen Tode 1621 in ungetrübtem Einvernehmen." (aaO., 116). Der letzten Ausage können wir voll zustimmen, nur scheint es doch sehr zweifelhaft, daß das gute Einvernehmen Herzog Christians mit Arndt über die „mystische Religiosität" eines Philipp Kegel vermittelt worden sei. Meyers Vermutung stützt sich wahrscheinlich auf Koepp, der Herzog August d. J., nicht den Bruder Christians, August d. Ä., in Verbindung mit Kegel bringt: „Sein (Arndts) späterer Herzog, der Herzog August, ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Arndts Geistesverwandten, Philipp Kegel, erzogen worden. So hat er seinen Generalsuperintendenten sicher ebenso ausgedehnt und energisch unterstützt, wie in späteren Jahren Andreae, Lütkemann und sogar einen Hohburg." (Koepp, 71). Diese Äußerungen Koepps aber sind in mehrerer Hinsicht schief. Einmal war Arndt nicht Generalsuperintendent Herzog Augusts d. J., sondern Herzog Christians d. Ä. (August d. J. war zur Zeit des Generalsuperintendenten Arndt in Hitzacker, ab 1635 regierender Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel (über Herzog August d . J . und Arndt s. Wallmann, aaO., s.o. 1. Abschnitt, A n m . 2 ) . Zum anderen ist der angenommene erzieherische Einfluß Kegels auf August d . J . und nach M e y e r auch auf Christian höchst fraglich. Er stützt sich nur darauf, daß sich Kegel in einigen seiner Erbauungsschriften „weylandt Fürstlichen Lüneburgischen Praeceptorem" nennt. So in seinem Betbuch, Hamburg 1592 (vgl. P. Althaus d . Ä . , Forschungen zur evang. Gebetsliteratur, Gütersloh 1927, 136, und schon früher H . B e c k , Die Erbauungsliteratur der evangelischen Kirche Deutschlands, Erlangen 1883, 209ff., auf den sich Koepp bezieht.). Koepp hat freilich übersehen, daß Becks Darstellung der Erbauungsschriften Kegels mit einer Herausstellung des Unterschiedes zu Arndt schließt: „So ernst auch K e g e l . . . der Sünde zu Leibe geht und so tröstlich er von der Gnade Gottes in Christo zu sagen weiß, wir vermissen an ihm wie an seinen Zeitgenossen die tiefe Innerlichkeit, das Anfassen des Übels in seiner letzten Wurzel, die Betonung des Gegensatzes zwischen dem alten und neuen Menschen, wie wir dies bei Johann Arndt finden werden." (aaO., 216). Beck stellt das Fehlen näherer Nachrichten über Kegel fest. Er teilt nur mit, daß Kegel in Heckstadt im Mansfeldischen geboren wurde, eine Zeit lang Prinzen-Informator in Lüneburg war und später in Lübeck noch 1611 als Privatmann lebte. Sein Todesjahr ist nicht bekannt. Er war theologisch gebildet, jedoch hat er kein geistliches A m t bekleidet (aaO., 209 m . A n m . 2 ) . Es wird der weiteren so wichtigen Erforschung der Erbauungsliteratur überlassen bleiben müssen, über das Verhältnis Philipp Kegels zu Arndt nähere Aufklärung zu bekommen. 63 1617 mußte der Wolfenbütteler Vetter Friedrich Ulrich das 1596 nach dem Erlöschen der Grubenhagener Linie eingezogene Fürstentum Grubenhagen aufgrund einer Entscheidung des Reichskammergerichts an Herzog Christian abtreten. Damit fielen ihm die Erträge der dortigen Silbergruben zu, und er eröffnete sofort in Clausthal eine Münzstätte, um eigenes Geld prägen zu können. 6 4 AaO., 24. - 1613 stiftete Herzog Christian den noch heute in der Stadtkirche Celle befindlichen Renaissance-Altar.

Johann Arndts Wirken in Celle

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Vorgänger Arndt sahen in der Gottesfurcht dieses lutherischen Fürsten, dessen Bild keine herausragenden Züge aufweist, die glückliche Ubereinstimmung zwischen der von ihm voll in Anspruch genommenen bischöflichen Kirchengewalt und dem persönlichen Leben des Herzogs.

a) Die Generalkirchenvisitation

von 1615

Wie gut das Einvernehmen zwischen dem Herzog und seinem Generalsuperintendenten war, zeigt vor allem die die Generalkirchenvisitation, die Arndt im Jahre 1615 auf Anordnung Herzog Christians zusammen mit den Spezialsuperintendenten und einigen weltlichen Räten wiederaufgenommen hat 6 5 . Von dieser Visitation sind noch die eigenhändigen Protokollnotizen Arndts erhalten, aus denen in der älteren Literatur kürzere Zusammenfassungen mitgeteilt werden 6 6 . Der Herzog nahm an der Visitation regen Anteil, sah die Protokolle selbst ein, die ihm einen guten Einblick in die Situation des kirchlichen Lebens im Fürstentum gewährten. Sie haben auch bei der Abfassung der neu bearbeiteten Kirchenordnung von 1619 vorgelegen 6 7 . Bei den Pfarrern stellt Arndt oft ihren Fleiß und ihre Frömmigkeit fest, mit denen sie ihr Amt verrichten, weniger erfreulich wird der sittliche Zustand der Gemeinden gefunden 6 8 . Die Visitationsprotokolle Arndts sind jedoch vor allem deshalb eine interessante Quelle, weil sie uns anschaulich den Widerstand schildern, den einige Patrone der Visitation entgegensetzen. Die Art und Weise, wie Arndt darüber berichtet, gibt auch einigen Aufschluß über sein Selbstverständnis als fürstlicher Generalsuperintendent. Ein symptomatischer Vorfall wird von Arndt ausführlich geschildert, den wir hier aus dem Visitationsprotokoll mitteilen: Der Patron Bartold von Rautenberg wollte die Visitation in Rethmar, Amt Ilten, nicht zulassen, u. a. mit dem Argument, weil dort bisher keine Visitation vorgenommen wurde. Von den Visitatoren wurde ihm folgender Bescheid gegeben: „Solche Sachen: Ordiniren, examiniren, introduciren gehören unter fürstliche Bischöffliche Hoheit, welche 6 5 Arndts Vorgänger, Christoph Silbermann, hatte 1 6 1 0 mit einer allgemeinen Visitation begonnen, die aber infolge seines bald darauf erfolgten Todes nicht weit gediehen war. Vgl. R. Steinmetz, aaO., 6 0 - 7 1 , 70. 6 6 Archiv der Generalsuperintendentur Celle, 9. General-Visitationen 1 6 1 5 - 1 6 2 5 , Bl. 1 - 1 0 . Die Mitteilungen darüber in der älteren Arndtliteratur fußen auf Schlegel, der die Protokolle wohl noch selbst eingesehen hat (J.K.F.Schlegel, Kirchen- und Reformationsgeschichte von Norddeutschland und den Hannoverschen Staaten, Hannover 1829, Bd. II, 403^105; 466-469). Vgl. auch F. Arndt, 1 2 4 - 1 2 6 ; Winter, 5 2 f . ; Steinmetz, 77; Koepp, 71 f. 6 7 In der Vorrede „Fürstlicher Befehl" zu der unter Herzog Christian neu bearbeiteten Kirchenordnung, Celle 1619, heißt es, daß seit der unter Herzog Wilhelm d.J. 1564 publizierten Kirchenordnung „alle/ sieder der zeit/ bei denen von unsern vorigen Superintendenten/ und gedachtem jetzige Generalissimo mit getrewen fleiß angestellten Visitatione/ gehaltene Protocolla/ uii umbstendlich eingebrachte Relationes/ zur hand genomen/ in pleno Consitorio/ lange/ sorgfeltig/ reifflich/und wol erwegen..." (7f.). 68

So auch schon Schlegel, aaO., 405.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Beschöffliche gewalt alle Reichsstände, aus dem Passauischen Religionsfrieden bekommen haben. Weil er aber kein Stand des Reiches, muß er mit seinem Jus patronatus unter einer Bischöfflichen Hoheit sein.. ," 6 9 An dieser Auskunft der Visitationskommission wird die Auseinandersetzung deutlich, die zwischen dem Landesherrn und dem niederen Adel mit Hilfe der Episkopaltheorie in verschiedenen Territorien im frühen 17. Jahrhundert geführt wurde. Die von den evangelischen Juristen ausgebildete episkopalistische Theorie 7 0 , wonach durch den Religionsfrieden reichsrechtlich die iura episcopalia auf den Landesherrn übergegangen sind, ist für den Generalsuperintendenten Arndt im Fürstentum Lüneburg eine offenkundig feststehende, sein amtliches Wirken im Kampf mit den widerstrebenden Patronen bekräftigende Position. Wie stark Arndt die kirchlichen Rechte der Obrigkeit aus der landesfürstlichen Hoheit selbst ableitet, zeigt der ausführliche Bericht, den er in den Visitationsprotokollen über die Schwierigkeiten mitteilt, die sich der Visitation in Rethmar entgegenstellten. Die bischöfliche oder geistliche Kirchengewalt wird unmittelbar mit der fürstlichen Jurisdiktion und landesfürstlichen Hoheit zusammengebracht, so daß man nicht nur von einem episkopalistischen, sondern auch frühterritorialistischen Vorstellungshorizont 7 1 sprechen muß, der sich im Fürstentum Lüneburg unter Herzog Christian ausbildete. Die Art der Berichterstattung durch Arndt zeigt deutlich die völlige Ubereinstimmung zwischen dem Landesherrn und seinem Generalsuperintendenten. Wegen der Bedeutung für das Obrigkeitsverständnis Arndts 7 2 bringen wir diesen Visitationsbericht in vollem Wortlaut: „Nach volendeter Visitation in den Emptern Burchtorff, Meinersen, und in den beiden Vogteien, Borchwedell und Ilten in den freien, hab ich den 29. Junii den Verlauff und Beschaffenheit dieser 24 Kirchen, unsern g. f. und Herrn, Herrn Christiano... unterthenig referirt. Und weill Bartoltt von Rautenbergk sich der Visitation zu Rethmar geweigert, fürwendende, das niemals daselbst Archiv der Generalsuperintendentur Celle (wie A n m . 66), Bl. 6. Zur Episkopaltheorie in den Werken der evangelischen Juristen im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert, v o r allem bei den Brüdern Joachim und Matthias Stephani, vgl. M. Heckel, Staat und Kirche, 79 ff., 107 ff. 71 Daß für territorialistische Gedanken nicht erst in der Aufklärung der Boden bereitet wurde, sondern sich bereits in den ersten Dezennien des 17. Jahrhunderts typisch territorialistische Begriffe finden, zeigt ebenfalls M. Heckel, aaO., 109 ff. Heckel spricht vom Frühterritorialismus oder historischen Territorialismus, der sich im Unterschied zu der späteren absolutistischen Territorialstaatsgewalt durchaus in verschiedenen Formen mit episkopalistischen Gedanken verbinden konnte. Freilich ist die These Heckeis von einem „frühen" Territorialismus in der Forschung umstritten und auch vor Mißverständnissen nicht ganz geschützt, da sich die territorialistische Argumentation schon im Reformationsjahrhundert findet, vgl. dazu M. Honecker, Cura religionis, 150 f. Mit „Frühterritorialismus" meinen wir hier den älteren historisch-pragmatischen Vorstellungshorizont gegenüber der späteren absolutistischen Staatsauffassung. 69

70

7 2 Die in der älteren Arndtliteratur mitgeteilten Auszüge über diese Visitation heben nur auf die anschauliche, teils recht amüsante Szene ab, in der sich der Kampf mit den Landständen abspielt, so Schlegel, aaO., 404 f. und F . A r n d t , 1 2 4 f . ; Winter, 52.

Johann Arndts Wirken in Celle

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visitirt were, haben s.f.g. befholen, wieder dahin zu reisen und zu visitieren, auch auff den widrigen fall, die Kirche eröffnen zu lassen. Bin demnach den 7. Juliy auff einen freitag, frühe vor 6 uhren zu Rethmar ankommen, neben den Superintendenten zu Burchtroff, und Wilhelm Schlütern, dem Vogte in den freien. Als ich den Pastor gefragt, warumb er nicht die gewönliche wochenpredigt auff selbigen freitagh hielte, antwortet er, es were ihm vom Junkern verbotten, die Kirche zu öffnen, auch nicht in die Kirche zu kommen, ernstlich gebotten. Wir Hessen also bald furm hause unsere ankunfft und die ursach der selben anmelden, darauff die von Rautenbergk anzeigen ließ, Ihr Junker were nicht einheimisch, sie durffte sich nichts unterstehen, bete, sie mit diesem werke zu verschonen, in abwesend Ihres Junkern. Wir ließen ihr beides durch ihren Schreiber, und durch den Pastor zu unterschiedlichen mahlen zu gemüd fhüren, was für ein unterscheid were, unter ihrm Juro patronatus, und landesfürstlicher hoheit, und Bischofflicher Kirchengewalt und Jurisdiktion, und were gar ein schwaches nichtiges fundament, das sie furgeben, es were nie geschehen, oder also herbracht, sintemall unser gnediger regierender landesfürst, solches tragendes fürstliches ampts, nicht mehr wollen passieren lassen. Richteten aber nichts aus, wiewoll wir von 6 uhr bis zu 8 auff und ab santen. Sie blieb dabei, Ihr Junker were nicht zu hauß, hatte auch befholen die Kirche nicht zu öffnen, wollten wir gewalt thun, mußt sies geschehen lassen. Wir erinnerten, sie thete Ihrem Landesfürsten gewalt, in dem sie die Kirche sperrten, solte uns mitt den worten verschonen. Endlich ließ sie bitten, nach dem der Junker ein Schreiben dieser Visitation halber an hochgedachten unsern g. fürsten und herrn, dieselbe nacht abgehen lassen, und sich gewis einer gnedigen antwort getröstete, wir wolten so lange in ruhe stehen, biß die resolution in Zelle ankomme, welches wir endlich auff ihr instendig bitten eingewilliget, doch mit dem bescheid, das wir also in loco auf ihre Unkosten verharren wolten und müßten. Darauff sie uns diese antwort geben, wenn wir anderer gestalt und meinung angelangt wehren, solte es umb futter und mahl nicht zu kommen. Dieser gestalt aber konte sie uns nichts reichen. Darauff haben wir endlich die Kirchthür, durch einen schlösser, welchen wir mitgenommen, mit einem eisern Haken lassen auffmachen, welches also bald angangen, als were sie mit einem Schlüssel auffgemacht. Haben etliche von den Schulzen, mit langen rören, so wir mit aus den freien zu uns genommen, für die Kirchthuren gestellt, und also bald lassen läuten. Die von Rautenbergk aber hatte zuvor ihren leuten, auch Pastori und Custor, ernstlich verbotten, in die Kirche zu kommen, wir ließen sie erinnern, es were unrecht, sie thete der Sachen zu viell, den die leute weren eben sowoll hochgedachter fürstlicher, Bischofflicher Jurisdiktion, und geistlicher Kirchengewalt unterworffen, und weren derselben eben sowoll georsam schuldig, als den weltlichen gerichten, so sie, die von Rautenbergk, über die leute hetten. Richteten aber nichts aus, die leute blieben aussen, und erschienen allein

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D i e christliche Obrigkeit in den Predigten J o h a n n Arndts

unsers g. fürsten und herrn leute, 30 Personen, und nachdem dieselbe verharret und ermahnet, sind wir wieder von dannen nach Burchtorff gefharen. Ich fandt aber gleichwoll die fürstliche Lüneburgische Kirchenordnung auf dem althar liegen, welche ich in die hand nam, und deme anwesenden volk zeigete, mit der erklärung, wessen die Kirchenordnung were, dessen were auch die Visitation. Und das were ein grosses stück der landesfürstlichen Hoheit, den sonsten niemands Kirchenordnung zu machen und einzufhuren gebürt." 7 3 b) Die Lüneburger

Kirchenordnung

von 1619

Wenige Jahre nach dieser Generalkirchenvisitation von 1615 sind zwei wichtige Ordnungen für das Fürstentum Lüneburg erarbeitet worden, an denen sowohl Herzog Christian wie Johann Arndt persönlich beteiligt waren: die Polizeiordnung von 1618 7 4 und die Kirchenordnung von 1619 7 5 . Beide Ordnungen müssen ihrer Intention und ihrem Inhalt nach eng zusammengesehen werden, geht es doch beide Male um ernsthafte und entschlossene Maßnahmen, die die Förderung des sittlichen und religiösen Lebens im Fürstentum zum Ziel haben 76 . Herzog Christian beauftragte im Jahre 1618 seinen Generalsuperintendenten Arndt mit der Aufgabe, auf der Grundlage der bisherigen Kirchenordnung 77 Archiv der Generalsuperintendentur Celle, Bl. 8 und 9. P o l i c e y - O r d n u n g , Celle 1618, Signatur: 493 T h e o l . H A B Wolfenbüttel (mit Kirchenordnung von 1619). 73 74

7 5 „ D e ß H o c h w ü r d i g e n / Durchleuchtigen/ H o c h g e b o r n e n Fürsten und H e r r n / H e r r n C h r i stians/ Erwählten Bischoffen deß Stiffts Minden/ Hertzogen zu Braunschweig und L ü n e b u r g k / etc. Kirchenordnung und B e f e h l . . . " , Sebastian Schmuck, Celle 1619, Signatur: L b 170, K M B Celle. Sie ist auch für das Fürstentum Grubenhagen erlassen, das seit 1617 zum Fürstentum Lüneburg gehörte. 7 6 In der Kirchenordnung von 1619 wird deshalb auch mehrfach auf die Polizeiordnung von 1618 hingewiesen, z . B . 1 1 9 , 1 5 7 u . ö . 7 7 D i e beiden jüngeren Söhne H e r z o g Ernst des Bekenners, Heinrich und Wilhelm, haben die erste eigentliche Kirchenordnung des Fürstentums Lüneburg 1564 herausgebracht. D e r damalige oberste Superintendent des Fürstentums, Martin O n d e r m a r c k , wird an dieser Kirchenordnung maßgeblich beteiligt gewesen sein. D i e Kirchenordnung von 1564 enthält erstmalig agendarische Anordnungen. Zu gleicher Zeit wurde in Celle ein Konsistorium eingerichtet, das, aus weltlichen Räten und Geistlichen bestehend, viermal im J a h r zusammentreten sollte und vor allem Lehrstreitigkeiten, E h e - sowie Klageangelegenheiten der Kirchen- und Schuldiener zu entscheiden hatte, (vgl. Schlegel I I , 395 ff.). Die Lüneburger Kirchenordnung von 1564 wurde Vorbild für die Kirchenordnung des Herzogs Julius für Wolfenbüttel 1569. U n t e r H e r z o g Ernst II., dem Sohn H e r z o g Wilhelms d . J . , wurde 1598 ein N e u d r u c k dieser Kirchenordnung veranstaltet, der Inhalt wurde jedoch unverändert gelassen, nur in der Vorrede bemerkt, daß nun noch die Schmalkaldischen Artikel und die Formula Concordiae zu den Bekenntnisschriften hinzuzurechnen seien. Vgl. dazu die instruktive Einleitung von A. Sprengler-Ruppenthal zu den „Braunschweig-Lüneburgischen Kirchenordnungen für das Fürstentum Lüneburg und für die Stadt L ü n e b u r g " , in: D i e evangelischen Kirchenordnungen des X V I . Jahrhunderts, hg. von Emil Sehling, 6. Band N i e d e r sachsen, I. Hälfte, D i e Weifischen Lande, 1. H a l b b a n d : D i e Fürstentümer Wolfenbüttel und L ü n e burg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg, Tübingen 1955, 4 8 6 f.

J o h a n n Arndts Wirken in Celle

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und der durch die letzte Visitation gewonnenen Erfahrungen und Einsichten eine neue Kirchenordnung auszuarbeiten. Diesem Auftrag hat sich Arndt mit großer Intensität gewidmet. In dem „Fürstlichen Befehl" beim Eingang zu der neuen, schon 1619 in Celle gedruckten Kirchenordnung heißt es: „Damit auch solche unsere Christliche/schuldige/guete Intentio/desto baß fortgestellet werde/So habe wir mit Rhat/un zuthuen unseres Generalissimi Superintendenten/ Ehrn Johan Arndtes/als eines vornemen Werckzeugs/uñ anderer unserer Consistorial Rhäte/Geist: und weltlichen Standes/zu erhalt: uñ fortpflantzung/ oberwehnter einmal erkandten/und bekandten wahren Religion... alles was nötig... verfassen lassen." 7 8 Im engen Zusammenwirken mit dem Konsistorium hat Arndt dieser Kirchenordnung von 1619 den Stempel seines Geistes aufgedrückt, so daß uns in diesem Dokument das theologische, seelsorgerliche und kirchenleitende Wirken des Generalsuperintendenten am Ende seines Lebens in besonderer Verdichtung entgegentritt 79 . Den besonderen Charakter der Kirchenordnung von 1619 kann man nur durch eine Gegenüberstellung mit der bisherigen von 1564 erkennen. Dadurch wird sowohl die Kontinuität wie auch die besondere Akzentsetzung sichtbar, die sie durch das theologische Denken und kirchenleitende Handeln Arndts erfahren hat. Die bisherige Gliederung nach vier Stücken, auf denen eine christliche Ordnung beruht (1. Pflanzung und Erkenntnis der rechten Lehre, 2. Erhaltung des Z u r Reformationsgeschichte im Fürstentum Lüneburg mit einem Ü b e r b l i c k über die Bekenntnisbildung s. H . - W . Krumwiede, Kirchengeschichte Niedersachsens von der Reformation bis 1803, in: Geschichte Niedersachsens, Bd. I I I , 2., Hildesheim 1983, 2 9 - 3 3 . H i e r auch Hinweise auf die weitere Literatur. Z u m Vergleich mit der Kirchenordnung von 1619 lagen mir außerdem zwei D r u c k e v o r : D r u c k von 1564 bei G e o r g R h a w e n (Rhaus) E r b e n , Wittenberg 1564, Signatur: 4 Y 527 K M B Celle und D r u c k von 1598 bei Michael K r ö n e r , Ulssen (Ülzen) 1598, Signatur: 5 L b 166, K M B Celle. Dieses Exemplar enthält im Anhang eigenhändige Einträge J o h a n n Arndts (Handschriftenvergleich mit den Visitationsprotokollen) mit verschiedenen Visitationsartikeln: „Punkten und fundamenta der Introduktion der P a s t o r n " , „Anweisung der Pastorn, an den specialem superintendentem." Vermutlich handelt es sich hierbei um das Handexemplar Arndts der gültigen Kirchenordnung. Diese handschriftlichen Visitationsartikel sind in die Kirchenordnung von 1619, 2 2 f f . eingegangen, ein weiterer Beleg, daß Arndt die Kirchenordnung von 1619 im wesentlichen selbst verfaßt hat. 6 f. In der älteren Arndtforschung wird auf die Kirchenordnung von 1619 zwar gelegentlich Bezug genommen, jedoch ihre Bedeutung im Zusammenhang des theologischen und kirchenregimentlichen Wirkens Arndts kaum eingehender gewürdigt. Koepp sagt zwar: „Es ist sehr interessant, hier Arndts Drängen auf praktisches Christentum sich in feste F o r m e n umsetzen zu sehen" (72), aber beschränkt sich dann nur auf kürzere inhaltliche Zusammenfassungen. Ausführlicher und genauer Winter, 5 3 f . („Sie ist v o m Geiste eines seelsorgerlichen Ernstes durchzogen, dem alles an der Erweckung und Förderung lebendigen Christentums gelegen ist", 53.). F . A r n d t bringt längere inhaltliche Auszüge, vor allem über den Kirchenbann ( 1 3 8 f f . , 141 ff.), jedoch nur zum Zweck der D o k u m e n t a t i o n eines merkwürdigen, vergangenen Geistes. 78

79

U n t e r H e r z o g Friedrich wurde die Kirchenordnung von 1619 im Jahre 1643 zwar einer Revision unterzogen, jedoch ist der Inhalt der gleiche geblieben (vgl. Sehling, aaO., 487).

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Kirchenamts oder ministerii verbi Dei mit Verordnung über die Kirchengüter und Unterhaltung der Prediger und Schullehrer, 3. die äußerlichen Zeremonien und 4. die Erhaltung christlicher Schulen und Studien) 8 0 , wird in der Kirchenordnung von 1619 durch eine Aufteilung in 20 Kapitel wesentlich erweitert 8 1 . In welcher Richtung diese Erweiterung erfolgt, wird gleich in dem 2. Kapitel: „Von dem Beruff/und Ordination der Pastorn zum Predigt A m p t . . . " deutlich: es geht um das Patronatsrecht, das auch im Fürstentum Lüneburg zu verschiedenen Auseinandersetzungen geführt hatte 8 2 . Mit einem deutlichen Zusatz in dem Abschnitt über das ministerium verbi wird vor dem Mißbrauch des Patronatsrechts gewarnt: „Und als uns hierbei glaublich anlanget/das etzliche sich ihres habenden Iuris patronatus fast mißbrauchen/In deme sie entweder die Pfarren umb geldt verkauffen/oder den praesentandis andere beschwerliche conditiones zu ihrem willen anzumuthen und auffzutringen understehen/So sollen sie sich dessen hinführo gentzlich bei ernster straff enthalten/und ermahnet sein/hierinnen vielmehr Gottes Ehr und die Ewige Säligkeit/dan ihren zeitlichen gewin/nutz und vorthel zu suchen." 8 3 In dieser Kritik an den Patronatsherren wirken nicht zuletzt auch die Erfahrungen nach, die Arndt während der Visitation von 1615 mit verschiedenen Patronen gemacht hatte. Zwischen die Abschnitte „Von dem ministerio verbi D e i " und „Von kirchengericht und Visitation" in der Kirchenordnung von 1564 8 4 wird nun ein neuer, charakteristischer Teil eingeschoben: „Von dem Ampte/Lehre und Leben der Prediger: Und von deren Jährlichem Synodo oder conventu/einer jeglichen Superintendentz." 8 5 Diese erweiterten und konkretisierenden Anordnungen über die notwendige Ubereinstimmung zwischen Lehre und Leben der Pfarrer mit besonderer Betonung eines einwandfreien, fleißigen Lebenswandels gehen in der Kirchenordnung von 1619 zwar teilweise schon auf ältere, die kirchlichen 80

Kirchenordnung von 1564 (s. Anm. 77), Sehling II, 534.

In dem 1. Kapitel „Von der F o r m a und Richtschnur der Lehre/ oder corpore doctrinae" wird nun auch noch auf das Corpus doctrinae Wilhelminum von 1576 Bezug genommen. In unserem Vergleich zwischen der Kirchenordnung von 1564 und der von 1619 können wir nur auf einige wenige verschiedene Akzentsetzungen hinweisen. 81

8 2 In der Einleitung zu den Kirchenordnungen für das Fürstentum Lüneburg (Sehling II, 488 f.) führt A . Sprengler-Ruppenthal darüber aus: „Die Bestallung der Generalsuperintendenten behielten sich die Herzöge v o r . . . Die Bestallung der übrigen Geistlichkeit lag in der Hand der Patronatsherren. Das Patronatsrecht ließ sich die Landschaft nicht beschränken. Auf dem Landtag v o m 17.Juni 1 5 9 1 . . . wurde u.a. darüber verhandelt. Die Landschaft bzw. die Patronatsherren hatten sich beschwert, daß der Superintendent - wohl der Generalsuperintendent - nicht immer den von ihnen vorgeschlagenen Pfarrer bestätigt hatte, sondern dafür einen ihm gefälligen verordnete. Sie erreichten auch, daß dem Superintendenten eingeschärft wurde, das Patronatsrecht nicht zu beeinträchtigen." Auch noch weiterhin „versuchten die Landstände, auf das landesherrliche Kirchenregiment einzuwirken. 1592 ließen sie sich die fortdauernde Geltung der Kirchenordnung und des Corpus doctrinae Wilhelminum bestätigen." Vgl. auch H . - W . Krumwiede, aaO., 33. 83

Kirchenordnung 1619, 4.

84

Sehling II, 535 ff.

85

Kapitel 3 , 1 0 - 1 6 .

Johann Arndts Wirken in Celle

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Verhältnisse straff regelnde Verordnungen zurück 8 6 , lassen aber an mehreren Stellen auch die besondere Handschrift Johann Arndts deutlich erkennen. So wird z . B . verfügt, daß die Pfarrer nicht ohne Billigung des Generalsuperintendenten etwas veröffentlichen dürfen 8 7 , und auf die Vorbereitung und Durchführung der Predigten gewissenhaft achten sollen 8 8 . Auf die Dienstaufsicht der Pfarrer durch die Superintendenten bzw. durch den Generalsuperintendenten und das Konsistorium wird ganz besonderer Wert gelegt. Dafür werden Einrichtungen geschaffen, die in den bisherigen Lüneburgischen Kirchenordnungen nicht vorgesehen waren. Jedes Jahr soll durch die Superintendenten jeder Inspektion ein Konvent aller Pfarrer einberufen werden 8 9 , bei dem das amtliche Wirken und die Privatstudien jedes einzelnen Pfarrers im Zentrum der Beratungen stehen. Im Falle vorgefundener Mängel und ihrer - nach brüderlich erteilter Mahnung - ausbleibenden Abstellung muß dem Generalsuperintendenten oder dem Konsistorium Mitteilung gemacht werden 9 0 . Auch hier wird auf die Art und Weise der Predigten und der Sakramentsverwaltung der Pfarrer genauestens geachtet 9 1 . Eine ganz neue, beträchtlich ausgeweitete Bearbeitung erfuhr vor allem der Abschnitt „Von der Visitation". Die straffere kirchliche Dienstaufsicht brachte es schon mit sich, daß das bisher viermal im Jahr tagende Konsistorium seine jährlichen Sitzungen auf acht erhöhte 9 2 . Darüber hinaus wird festgelegt, daß mindestens alle zehn Jahre eine Generalvisitation durch den Generalsuperintendenten in allen Kirchen des Fürstentums, und alle drei Jahre eine Visitation durch Spezialsuperintendenten und den Generalsuperintendenten im Fürsten-

8 6 Vgl. A . Sprengler-Ruppenthal, Sehling II, 4 8 9 und B. Lange, Zur Geschichte der Einführung der Konfirmation im Fürstentum Lüneburg, Sonderdruck aus J G N K G , 60. Bd., 1962. Lange hebt besonders die Grubenhagener Kirchenordnung von 1581 hervor, die in die Kirchenordnung von 1619 eingegangen ist. 8 7 „Auch wollen wir nicht gestatten/ daß unserer Prediger einer/ ohne wissen/ bewilligung/ und approbation, unsers jetzigen Generalissimi Superintendentis Ehrn Johannis Arndten/ und dessen nachfolgers am A m p t / etwas öffentlich spargieren/ oder in Druck außgehen lassen sol/ wie solches auch sein/ oder mit was gutem Schein es geschehen mag/ bey ernster straffe." (12). 8 8 „Sollen derhalben Faule/ Unachtsambe/ die auff keine Predigt studieren/ ohn alle Ordnung confuse/ was ihnen nur einfellet/ reden/ oder nur aus dem Buch ihre Predigten ablesen... gantz und gar nicht geduldet werden." (11 f.). 89

Im Fürstentum Grubenhagen haben diese Konvente schon vorher bestanden.

13 f. U b e r die Privatstudien der Pfarrer heißt es: „ O b er auch täglich die heilige Biblia lese/ und darneben Lutheri/ und andere reine nützliche Schrifften/ und sol den einfeltigen Predigern/ und Pfarherrn/ der Jesuiten/ Sacramentirer/ und anderer jrrigen Lehrer Bücher/ zu haben/ und zu lesen/ verbotten sein." (14). 90

91 14 ff. U b e r Predigten und Sakramente handelt ausführlich auch das 5. und 6. Kapitel, 2 6 - 5 9 . Die Superintendenten haben die einzureichenden Konzepte oder Dispositionen ihrer Pfarrer daraufhin durchzusehen, „was ein jeder für eine rationem docendi habe/ und wie er sich ad captum auditorum a c c o m o d i e r e . . . " (15). 92

17.

156

D i e christliche O b r i g k e i t in den Predigten J o h a n n A r n d t s

tum Grubenhagen durchgeführt werden soll 9 3 . Auch im Artikel über die Visitation werden genauere Anordnungen über die Ausübung des Patronatsrechts getroffen, die dem Mißbrauch in diesem, die einheitliche Kirchendisziplin so besonders gefährdenden Bereich wehren sollen. Die Jurisdiktion der landesfürstlichen Obrigkeit, auf die sich Arndt in der Generalkirchenvisitation von 1615 merhfach berief, darf durch das ius patronatus nicht behindert werden: „Und sollen die Patroni sich Ihres juris patronatus zu schmelerung/unser zustehenden/und hergebrachten Geistlichen/der hohen Landes Fürstlichen Obrigkeit anhangenden Jurisdiction/durch die Introduction/oder in einigerlei andere wege/nicht mißbrauchen/oder dasselbe weiter/als sich seiner art/und eigenschafft nach zuthun gebüret/extendieren." 9 4 In fünfzehn Visitationspunkten wird das ganze innere und äußere Leben der Kirche zu erfassen versucht 9 5 . Wie schon in diesen Visitationsartikeln ein besonderer Akzent auf die Katechismuslehre gelegt wird, so handelt in dem Kapitel über die Predigten ein eigener Abschnitt „Von der Übung des Catechismi." 9 6 Jeden Sonntagmittag soll in den Dörfern von den Pfarrern selbst der Katechismus ausgelegt werden, damit möglichst viele, Erwachsene wie Kinder, an dieser „hochnötige(n) nützliche(n) Lehre/und übunge/welche ohne das für der Welt ein geringes ansehen hat", teilnehmen können 9 7 . Der Katechismus ist auch die Grundlage für die Beichte; keiner soll zum Abendmahl gehen, ohne zuvor gebeichet und die Absolution empfangen zu haben 9 8 . Die Kirchenordnung sieht darum auch eine besondere Ordnung für die Kinder vor, die zum ersten Mal zur Beichte und zum Abendmahl gehen sollen. Von ihren Eltern sollen sie acht oder vierzehn Tage zuvor zu ihrem Beichtvater ins Haus geschickt werden, damit sie dort in den Grundlagen des Glaubens unterrichtet werden können 9 9 . Auch mit den Erwachsenen ist das Beichtgespräch in Art eines Examens zu führen, so daß diejenigen freundlich aber bestimmt vom Abendmahlsbesuch auszuschließen sind, die sich in den Hauptstücken des Katechismus als unwissend erweisen. 9 3 20. In der K i r c h e n o r d n u n g von 1564 heißt es demgegenüber nur: „ S o sol je zu Zeiten, wenn es von nöten oder gelegen sein wil, Visitation geschehen." (Seling II, 538). 9 4 21. Bei der B e s e t z u n g von Stellen soll die Präsentation von möglichst „wohlqualifizierten L a n d k i n d e r n " innerhalb von drei Monaten erfolgen, sonst geht das Präsentierungs- u n d N o m i n i e rungsrecht verloren. (21). 95 22-26. - Sie schließen sich inhaltlich an die Visitationsartikel von 1583 an, die der Generalsuperintendent C h r i s t o p h Fischer für die im gleichen J a h r durchgeführte Generalvisitation aufgestellt hat. (Vgl. Sehling II, 487, 5 8 0 f f . ; R. Steinmetz, a a O . , 57ff.). G e g e n ü b e r diesen älteren Visitationsartikeln im F ü r s t e n t u m L ü n e b u r g sind die von 1619 jedoch nicht mehr in gesonderte F r a g e n an die Pastoren, Juraten und K ü s t e r aufgeteilt und insgesamt ausführlicher u n d detaillierter gehalten.

28-31. 28. 9 8 D i e Beichte (privata absolutio) wird ein hochnotwendiges D i n g in der Kirche genannt, „dadurch einem J e d e n die Wolthaten G o t t e s applicirt w e r d e n . " (50). Vgl. d a z u B. L a n g e , Z u r Geschichte der E i n f ü h r u n g der K o n f i r m a t i o n im F ü r s t e n t u m L ü n e b u r g , s. A n m . 86. 96

97

9 9 52. - D e r Beicht- b z w . Admissionsunterricht der E r s t k o m m u n i k a n t e n wird in der F o r m eines fürstlichen Befehls eingeführt. Er ist neu gegenüber den vorherigen Kirchenordnungen.

Johann Arndts Wirken in Celle

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In der älteren Arndtliteratur wird die Kirchenordnung von 1619 meist wegen der in ihr enthaltenen strengen Kirchendisziplinmaßnahmen erwähnt 100 . In der Tat ist das Kapitel 9 „Von der Kirchendisciplin/und Exommunication/Auch Absolution vom Bann" 101 für den Gesamtcharakter dieser Kirchenordnung von erheblichem Interesse. Jedoch nicht nur der Geist der sittlichen Strenge, den die Kirchenordnung insgesamt zeigt, kommt hier in besonderer Schärfe zum Ausdruck, sondern vor allem auch die Auffassung von der Kirche, ihrer Ordnung und Verfassung im Zusammenwirken mit dem Konsistorium und der landesfürstlichen Obrigkeit 102 . Die Kirchendisziplin geht auf Befehl und Ordnung Jesu Christi selbst zurück und ist nicht dazu erdacht, die Menschen damit zu unterdrücken 103 . Insgesamt wird auf den seelsorgerlichen Charakter aller Kirchenzuchtmaßnahmen abgehoben und damit ihr Unterschied zur weltlichen Strafe hervorzuheben versucht 104 . In drei Schritten sind die Zuchtmaßnahmen geordnet: Zunächst werden „alle grobe eusserliche Laster und beharliche Unbußfertigkeit" in Form eines langen Lasterkataloges aufgeführt, so daß „eine jede Christliche Obrigkeit sich ihres Amptes gebrauchen/und solche Laster gebürlicher weise weltlich straffen/und darnach gleichwol die sündige gefallene Person/auch mit Gott/und seiner Kirchen/nach erkentnuß Unseres Geistlichen Consistorii/billig außgesönet werden sol/und muß." 1 0 5 Sodann geht es um die eigentlichen Kirchenstrafen, die gegenüber den unbußfertigen, halsstarrigen Sündern den nichtöffentlichen Ausschluß von der Absolution in der Beichte, vom Abendmahl, Taufe, Trauung und kirchlichen Rechten (z.B. Patenschaft) umfassen 106 . Von diesen allgemeinen Kirchenstrafen wird 3. die Exkommunikation oder der Bann unterschieden: „Denn die öffentliche Straffe der offenbaren Sünder/sampt der heimblichen abweisung vom Sacrament/so in der Beicht/ oder sonst geschicht/ist keine Excommunicatio/oder Bann/Sondern eine erinnerung zur Busse/und wan dieselbe öffentlich erfolget/eine hinlegung der gegebenen Ergernuß: Der Bann aber/ist eine endliche außschliessung der verstock100

F. Arndt, 141 ff. Hier wird die Exkommunikations- und Absolutionsformel wörtlich wiedergegeben als Dokument der Merkwürdigkeit, „weil sie unserer Zeit ganz fremd geworden." (142). Vgl. auch Winter, 53f.; Koepp, 72. 101 72_97. 102 Ahnlich wie bei Johann Gerhard, der die Fragen der Kirchenordnung und Kirchenverfassung in seinen „Loci theologici" nicht in der Ekklesiologie selbst behandelt, ist darüber auch bei Johann Arndt in diesem Abschnitt der wesentlich von ihm mitverfaßten Kirchenordnung näherer Aufschluß zu erwarten. 103 72, unter Berufung auf Mt 18,15 ff., 1. Kor 5 und 2. Kor 13. 104 Auch die ausdrückliche Verhängung des Bannes soll der Besserung und Bekehrung des Sünders dienen, sie ist poena medicinalis. Damit wird ein wichtiges Anliegen der Kirchenzucht in den reformatorischen Kirchenordnungen zu wahren versucht, vgl. Chr. Link, Art. Bann V, 2, in: T R E . B d . V , 1980,186 ff. 105 73 f. 106 74 _ £)i e s e dem Pfarrer selbst in seiner Seelsorge und anderen Vertrauten in der Gemeinde überantwortete Kirchenstrafe wird auch als „kleiner Bann" bezeichnet, gegenüber dem „großen Bann", der Exkommunikation.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

ten/von der Christlichen Gemeine/und ubergebung dem Satan/zum verderben des fleisches/auff daß der Geist selig w e r d e . . ." 1 0 7 In besonderen Anweisungen werden die Pfarrer ermahnt, die Sache gründlich zu erforschen, nicht im Affekt zu strafen oder den Sünder öffentlich bloß zu stellen. Sie sollen zunächst unter vier Augen den Sünder ermahnen und bei ausbleibender Besserung weitere Zeugen hinzuziehen und ihre Vermahnung wiederholen. Hat auch dieses keinen Erfolg, so fährt die Kirchenordnung bezeichnenderweise fort: „ . . . s o sol man endlich solches alles dem Consistorio anzeigen/und demselben die Sache eröffnen: Worauff das Consistorium den Sünder für sich foderen/des Lasters sich gründlich erkundigen/und wo er sich noch nicht wil weisen lassen/und bessern/so sol über ihn der Bann vom Consistorio befohlen werden: Und so lang sol ein Prediger davon auff der Cantzel mit außtrücklicher benennung des Namens einhalten/Sondern erst des Consistorii urtheil/und bescheid erwarten/ und mitler zeit/nur ins gemein/pro concione das Laster ernstlich straffen." 1 0 8 Damit tritt ein charakteristischer Zug dieser und vergleichbarer anderer Kirchenordnungen in der 1. Hälfte des 17.Jahrhunderts 1 0 9 hervor: So sehr der seelsorgerliche Charakter aller Kirchenzuchtmaßnahmen betont wird und die biblische Begründung mit Mt 18,15ff., Titus 3, 1. Kor 5 und 2. Kor 13 angegeben wird, so ist doch im praktischen Vollzug die Kirchenzucht weder Angelegenheit des Pfarrers noch der Gemeinde, sondern einer landesfürstlichen Behörde, des Konsistoriums. Der Pfarrer hat nur noch den vom Konsistorium gefällten Bannspruch bzw. die Aussöhnung mit der Kirche öffentlich zu verkündigen. Dementsprechend sind auch die agendarischen Formen der Exkommunikation und der Absolution gestaltet 110 . Wie bei Johann Gerhard in der Casimirianischen Kirchenordnung wird auch in der Lüneburgischen Kirchenordnung betont, daß die Kirchenzucht eine Angelegenheit der Gesamtkirche 107

74.

76. Die Lüneburger Kirchenordnung von 1619 kann wohl in ihrer Hauptintention am ehesten mit der von Johann Gerhard verfaßten sog. Casimirianischen Kirchenordnung von 1626 für CoburgGotha verglichen werden. Auch sie ist im wesentlichen durch eine Generalkirchenvisitation für Coburg-Gotha aus dem Jahre 1613 veranlaßt. (Zu dieser Visitation sowie zu der „Casimiriana" vgl. G . K . B . B e r b i g , D.Johann Gerhards Visitationswerk in Thüringen und Franken, Theol. Diss. Leipzig 1896 und v o r allem M. Honecker, Cura religionis, 4 1 - 5 0 ) . Gegenüber der Kirchenordnung Kurfürst Augusts ist das 26. Kapitel „Von der Kirchen Disciplin..." neu hinzugekommen, und die Notwendigkeit einer Verschärfung der Kirchenzucht wird mit dem Uberhandnehmen grober Sünden begründet (vgl. Honecker, 48). Honecker hebt den seelsorgerlichen Charakter der Kirchenzucht in dieser Kirchenordnung hervor (49) und stellt fest: „Der Unterschied von weltlicher Rechtssetzung und geistlicher Ordnung bleibt im Inhaltlichen gewahrt." (50). Entgegen dieser Intention läuft aber auch hier der praktische Vollzug der Kirchenzucht, die weitgehend in der Kompetenz des Konsistoriums liegt. In der Casimiriana wird ausdrücklich die gleiche Behandlung aller Gemeindeglieder bei der Kirchenbuße hervorgehoben (vgl. Honecker, 48). Zu diesem besonders sensiblen Punkt der Kirchenzucht gegenüber hochgestellten Personen findet sich in der Lüneburger Kirchenordnung kein Hinweis. 108

109

uo 88-97.

Johann Arndts Wirken in Celle

159

ist. Diese aber wird repräsentiert durch die drei Stände. Die Berufung auf die drei Stände erfolgt hier jedoch vor allem im kritischen Gegenüber zu der Selbstherrlichkeit der Pastoren 1 1 1 : „Wann dann allhie Ecclesia nicht heist/oder ist/der Pastor allein/viel weniger der unverständige Cromneshauffe/Sondern zusammen/Prediger/Obrigkeit/und der Außschuß Ehrlicher/Gottseliger/und verstendiger Christen/aus der Gemeine." 1 1 2 Daß das Konsistorium die eigentliche Entscheidungsinstanz ist, wird damit begründet, daß es die ganze Kirche repräsentiert: „So sol unser Geistlich Consistorium/so wegen der gantzen Kirchen/da sitzet/den Bann/und Excomunication/ über ihn (den verstockten Sünder) seinem Pfarherrn befehlen/und ergehen lassen." 113 Aber das Konsistorium ist auch Organ der landesherrlichen Obrigkeit 1 1 4 . Faktisch wird die Ausübung der Kirchengewalt allein dieser Behörde des landesherrlichen Kirchenregimentes übertragen. Wie schon das Patronatsrecht weitgehend beschränkt wurde durch das ius episcopale des Landesherrn 115 , so haben auch die Kirchenzuchtbestimmungen in der Lüneburger Kirchenordnung vor allem in ihrem praktischen Vollzug eine Stärkung der landesherrlichen Kirchenhoheit zur Folge. Eine weitere Besonderheit der Kirchenordnung von 1619 liegt in den ausführlichen Bestimmungen, die sie dem Schulwesen widmet. Auch in ihnen spricht sich der Geist Arndts deutlich aus, hat er doch in seinen Predigten mehrfach auf die Bedeutung der Schulen hingewiesen 116 . Zwar war auch schon in den früheren Kirchenordnungen die Notwendigkeit der Erhaltung christlicher Schulen und Studien betont worden 1 1 7 , doch erst jetzt finden sich in einem eigenen 111 Die Dreiständelehre konnte sich in der lutherischen Orthodoxie aber auch gegen die Übermacht der Obrigkeit in der Kirche wenden, wie sie überhaupt die um die Alleinherrschaft in der Kirche ringenden Mächte begrenzen wollte und somit als kirchliches Verfassungsprinzip der ecclesia particularis eine wichtige Rolle spielte. Vgl. zur orthodoxen Dreiständelehre, ihrer U m wandlung vom Einteilungsprinzip der bürgerlichen Ordnung insgesamt bei Luther und Melanchthon zu ihrer Beziehung auf die Verfassung der ecclesia particularis im deutschen Territorium M. Heckel, Staat und Kirche, 139-163. Zu Luther und Melanchthon vgl. auch W . Eiert, Morphologie des Luthertums, B d . 2 , 4 9 f f .

» 2 84. 113 Ebd. 114 Dieses schillernde Verständnis des Konsistoriums als Repräsentation der Gesamtkirche wie auch als Organ des Landesherrn teilt die Lüneburger Kirchenordnung mit der Auffassung bei Johann Gerhard, vgl. Honecker, aaO., 91. 115 Auch an der Verhängung des Kirchenbannes ist der Patron nicht beteiligt. Vgl. die vorangegangenen Ausführungen zu dem 2. Kapitel der Lüneburger Kirchenordnung „Von dem Beruff/ und Ordination der Pastorn zum Predigt Ampt" und zu dem Visitationsartikel. 1 1 6 So z.B. in seiner Landtagspredigt über Psalm 82, s.u. Abschnitt 4. 1 1 7 In der Kirchenordnung von 1564 wird in der Vorrede die Erhaltung christlicher Schulen und Studien als viertes Stück einer christlichen guten Ordnung aufgeführt, ohne jedoch in der Ausführung dann näher darauf einzugehen, vgl. Sehling II, 534. Vgl. auch die Visitationsartikel für das Fürstentum Lüneburg von 1583, in denen den custodes „vleisig schul halten" verordnet wird, Sehling II, 584. - In der Wolfenbütteler Kirchenordnung von 1569 gibt es ebenfalls einen eigenen Abschnitt „Von den Schulen", der aber besonders den Lateinschulen gewidmet ist, vgl. Sehling I, 225 ff.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Kapitel nähere Anweisungen dazu 118 . Nicht nur in den Städten und Flecken, sondern auch in größeren Dörfern sollen christliche Kinderschulen erhalten bzw. neu errichtet werden, auch für Mädchen 119 . Auf die Visitation der Schulen (zweimal im Jahr) und auf die Achtung der Schuldiener vor dem Predigtamt und ihre Lebensführung wird besonderer Wert gelegt. Die Bestimmungen über die Schulen in der Kirchenordnung entsprechen den Anweisungen in der Polizeiordnung von 1618120. In dem strengen sittlichen Geist sowie ihrer sozialen Grundhaltung stimmen beide Ordnungen völlig überein, so daß nicht nur die Kirchenordnung, sondern auch die Polizeiordnung nicht ohne das Wirken des Generalsuperintendenten Arndt zu denken ist. Das gute Einvernehmen zwischen Herzog und Generalsuperintendent sowie sein erheblicher Einfluß auf die Gestaltung des sittlichen Lebens im Fürstentum kommt auch in der Ubereinstimmung dieser beiden Ordnungen zum Ausdruck. Das zeigt sich u. a. besonders auf dem Gebiet, das zwischen Kirche und weltlicher Obrigkeit in den protestantischen Territorien des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts keineswegs unumstritten war, bei der Erhaltung der Kirchengüter und der Versorgung der Pfarrer und Kirchendiener. Gegenüber den früheren Kirchenordnungen hat die Lüneburger Kirchenordnung von 1619 das Kapitel „Vom Unterhalt der Pastorn..." erheblich erweitert und ein eigenes Kapitel „Von den Kirchengütern und Einkommen..." aufgenommen, das auf die äußere Gestaltung, Bewahrung und Verbesserung des Kirchenwesens in vielen Einzelbestimmungen große Aufmerksamkeit richtet 121 . Dem entspricht das 3. Kapitel in der Polizeiordnung „Von Unterhaltung der Gottesheuser/auch Kirchen/und Schuldiener", in dem die alleinige Verwendung der geistlichen Güter für die Kirche, die Unterhaltung der Gotteshäuser, der Schulen und die Versorgung der Pfarrer bestimmt wird 122 . 118 KapitelX „Von den Schulen/ und Schuldienern...", 98-103. Die ausführlichen Schulbestimmungen sind wesentlich aus der Grubenhagener Kirchenordnung übernommen. 119 99. - Koepp meint, auf F.Arndt fußend (aaO., 139), daß auf die Errichtung deutscher Landschulen hier womöglich zuerst in der Geschichte der Kirchenordnungen gesehen worden sei. (72). Dagegen Winter, aaO., 54: „Schon nach der seitherigen Kirchenordnung mußten nicht nur in den Städten und Flecken, sondern auch in größeren Dörfern Schulen gehalten w e r d e n . . . , eine Anordnung, die von neuem eingeschärft und weiter ausgeführt wurde." Dies entspricht auch dem Wortlaut in der Kirchenordnung von 1619. 120 „So sol unser geistlich Consistorium die Verordnung thun/ daß / so viel immer müglich/ bey allen/ und jeden Pfarren/ auff dem Lande/ Schulen gehalten/ auch die Prediger/ und Cüster/ die Jugent zu unterweisen/ und die Haußwirte ihre Kinder/ wann sie zum lengsten f ü n f f / oder sechs Jahr alt seyen/ die Schulen fleissig zu besuchen..." (Policey-Ordnung, Celle 1618, 9). 121 In dem 12. Kapitel „Vom Unterhalt der Pastorn..." (112ff.) wird über die Intraden der Pastoren und Küster, ihre Verschonung vor unrechtmäßigen Abgaben und über die Versorgung der Pfarrwitwen ausführlich gehandelt, und in dem Kapitel über die Kirchengüter eindringlich vor ihrem Mißbrauch gewarnt. (135 ff.). 122 „So wollen wir/ daß die Kirchengüter/ hinfüro/ ohne rechtmessige uhrsache/ und unsere Specialbeliebung/ nicht sollen vereussert/ sondern den Kirchen zum besten behalten... werden." (13).

161

Johann Arndts Wirken in Celle

In der Lüneburger Kirchenordnung von 1619, die auch durch einen umfangreichen agendarischen Teil mit Notenbeispielen 1 2 3 für die Gestaltung der Gottesdienste im Fürstentum für lange Zeit bedeutsam wurde, spiegelt sich somit das amtliche Wirken Arndts als Generalsuperintendent besonders deutlich wider. Neben den großen Predigtwerken kommt ihr eine wichtige, in der Anrdtforschung viel zu wenig beachtete Bedeutung zu, wenn Arndts Stellung in seiner Zeit und seine Wirkung als Prediger und Organisator des Kirchenwesens, nicht nur als Erbauungschriftsteller, richtig erfaßt sein will. Eine Vernachlässigung der äußeren Gestalt der Kirche wird man Arndt aufgrund dieser Dokumente seines amtlichen Wirkens schwerlich nachsagen können. Für sein kirchenleitendes Wirken in Celle hatte Arndt freilich eine besonders günstige Situation in dem weitgehenden gegenseitigen Einvernehmen, das zwischen ihm und der weltlichen Obrigkeit bestand.

c) Aus der Amtspraxis des Generalsuperintendenten

Arndt in Celle

Aus der Amtspraxis des Generalsuperintendenten Arndt sind zwei Briefe an ihm unterstellte Pfarrer überliefert, die eine Vorstellung von der eingehenden geistlichen Beratung vermitteln, in der Arndt sein Aufsichtsamt verstand. Es handelt sich um geplante Veröffentlichungen, die die Pfarrer Arndt zur Begutachtung vorgelegt hatten 1 2 4 . In seinen Antwortschreiben zeigt sich Arndt sowohl als selbstbewußter wie einfühlsamer Generalsuperintendent. Franz Heermann, Hofprediger in Winsen an der Luhe, hatte weitläufig abgefaßte Predigten über den 45. Psalm eingereicht. Ihm rät Arndt vor einer Drucklegung aus mehreren Gründen ab. Er sei noch ein zu junger Prediger, es gebe zu viele Büchermacher und bei seinem Vorhaben, eine „Postille der N a t u r " zu schreiben, wäre er zu leichtgläubig vorgegangen. Arndt warnt vor falschen Stimmen in der Naturdeutung unter Berufung auf sein eigenes langjähriges Naturstudium 1 2 5 . In ausführli123

2 2 8-432. In der Kirchenordnung 1619 wird diese Zensurbestimmung für Pfarrer festgelegt, s. Abschnitt b), Anm. 87. 125 Seit seinem Basler Studium hatte sich Arndt fortwährend mit Medizin und Naturstudien befaßt, vgl. Koepp, 17, 22 f. und Weber, 29 ff. In dem lateinisch abgefaßten Brief vom Advent 1612 heißt es: „Crede mihi, non indiligens fui ab ineunte aetate naturae investigator, et Semper volupe mihi fuit lumen gratiae et naturae conjungere, sed pleraque illa, quae vel in antiquissimis libris vel recentioribus legi, de rerum proprietate, dubia esse, ne dicam falsa compertus sum." (In den von H . P h . Guden handschriftlich mitgeteilten Briefen Arndts im Anschluß an die handschriftliche Lebensbeschreibung Arndts, in: Acta ecclesiastica, Signatur: Z 105:2, KMB Celle, 42). Die Abschrift Gudens ist wohl aus G.Wernsdorfs Dissertatio de Arndtii de vero christanismo libris, 1714, entnommen, in der dieser Brief lateinisch abgedruckt ist. In deutscher Ubersetzung findet er sich bei J.J. Rambach, Werke Arndts, 3. Teil, Leipzig und Görlitz 1736, 610. (Guden war Generalsuperintendent in Celle von 1735-1742). 124

Dieser Brief an den Hofprediger Heermann ist auch ein interessantes Selbstzeugnis Arndts zum Verständnis des 4. Buches vom wahren Christentum, des über naturae, in dem er den Zusammenhang des christlichen Lebens mit der Erschaffung der Welt und der ursprünglichen Bestimmung des

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

chen beigefügten Korrekturen zu einzelnen Textstellen versucht Arndt, auf den jungen Prediger behutsam einzuwirken 126 . Der andere Adressat Arndts ist Christoph Friccius in Bardowick, der eine „Musicae historia" herausgeben wollte. Hier zeigt sich Arndt voller Verständnis für dieses Vorhaben und gibt nur zu bedenken, ob nicht auch Philipp Nicolai mit aufzuführen sei, der kurz vor seinem Tod drei herrliche deutsche „Cantiones" herausgegeben habe 127 . d) Die Veröffentlichungen werke)

Arndts in Celle (vor allem die drei großen

Predigt-

In die Zeit der kirchenleitenden Wirksamkeit Arndts in Celle, wie sie in Visitationen, in der Mitwirkung an einer Neufassung der Kirchenordnung und in persönlicher Beratung der Pfarrer zum Ausdruck kommt, fällt eine erstaunlich reiche literarische Tätigkeit. Das erste Werk, das Arndt während seiner Zeit in Celle veröffentlichte und das mit und neben den Büchern vom wahren Christentum eine überaus weite Verbreitung fand, ist das „Paradiß-Gärtlein/ Voller christlicher Tugenden...", das er den Grafen von Mansfeld widmete. In Eisleben entstanden, kam es 1612 das erste Mal in Leipzig und Magdeburg heraus 128 . Dieses nach seiner Wertschätzung und Wirkung herausragende, in Menschen herauszustellen versucht. E r verstand es nur als Anhang zu den vorausgehenden drei Büchern. Die vier Bücher vom wahren Christentum waren zwei Jahre zuvor erstmals vollständig in Magdeburg 1610 erschienen. Vgl. dazu Keopp, 23, 72 f. und Winter, 54. In dem ebenfalls lateinischen Brief vom 7. Juli 1615 heißt es: „Unicum restat, quod moneo, inseras T u o encomio tres egregias cantiones germánicas, mira verborum dulcedine composuit, quibus angustias suas, morbique gravitatem emolliit et emulsit." (handschriftlich mitgeteilt von Guden, Acta ecclesiastica, Signatur: Z 105:2, K M B Celle, 47). D e r Brief ist auch abgedruckt in: H . J . Bytemeister, Commentarius historicus de Vita, Scriptis et Meritis Supremorum Praesulum in Ducatu Lunaeburgensi, Helmstedt 1728, 133 f. Nach Koepp sei dieser Brief „die einzige Berührung Arndts mit Nicolai." (72). 126

127

1 2 8 A m Schluß des 3. Buches vom wahren Christentum (in der ersten, alle vier Bücher enthaltenden Ausgabe, Magdeburg 1610) werden schon drei Gebete mitgeteilt und in der Vorrede auf ein dazu kommendes Betbüchlein hingewiesen. W i r gehen mit Koepp von der Identität dieses Betbüchleins mit dem 1612 erstmals erschienenen Paradiesgärtlein aus, gegen Winter, der ein eigenes schon 1610 mit dem vollständigen „Wahren Christentum" herausgegebenes Betbüchlein annahm, ohne doch ein solches Exemplar angeben zu können, aaO., 56f. Das Paradiesgärtlein kam 1615 in Magdeburg zum zweiten Mal heraus („die ander edition", gedruckt zu Magdeburg bei Joachim Schmidt, verlegt bei Johann Franck). Uns lag dieses Exemplar vor, das an das 3. und 4. Buch vom wahren Christentum angebunden ist (3. Buch, Magdeburg 1618, 4. Buch, Magdeburg 1615). Es ist in der Staatsbibliothek Berlin (West) vorhanden unter der Signatur: an: E 7518. Nach der verdienstvollen, jedoch noch längst nicht genügend gesicherten und erweiterungsfähigen Erscheinungsliste der Hauptschriften Arndts bei Koepp, 302 ff., kam das Paradiesgärtlein im 17. Jahrhundert weiterhin in Jena 1617, Magdeburg 1620, Lüneburg 1621, Straßburg 1623, Lüneburg 1625, Nürnberg 1630, Leipzig 1631, Lüneburg 1632, Lüneburg 1644, Amsterdam 1669 (niederländisch), Braunschweig 1671, Riga 1679? Leipzig 1696? Lüneburg 1697, Frankfurt/M. 1698, Halberstadt 1699 heraus. Zu den noch weit umfangreicheren Ausgaben des „Wahren Christentums" vgl. ebenfalls die

Johann Arndts Wirken in Celle

163

viele Sprachen übersetzte Gebetbuch, um das sich schon sehr bald Geschichten wunderbarer Errettung ranken 129 , steht mit seinem gesamten Titel und nach Arndts eigener Auskunft in der Vorrede in enger Verbindung mit den Büchern vom wahren Christentum. Wie die Bücher vom wahren Christentum den Irrtum und die Blindheit strafen wollen, daß ein Christ ohne christliches Leben, der Glaube ohne Glaubensfrucht bleiben könne, so streitet dieses Gebetbuch gegen die Trennung von Beten und Leben, von Worten und Taten. Gegen das nur äußerliche gewohnheitsmäßige Gebet stellt Arndt das wahre innere, den ganzen Menschen bewegende Gebet, mit dem sich der Mensch gegenüber Gott öffnet in der Erkenntnis seiner Schuld und in der Gewißheit der Vergebung mit dem Ziel des gottseligen Lebens 130 . In fünf Teile hat Arndt diese Mustergebete eingeteilt: 1. Tugendgebete nach den zehn Geboten, 2. Dankgebete für die Wohltaten Gottes nach dem Apostolikum, 3. Kreuz- und Trostgebete (u.a. Auslegung der Bitten des Vaterunsers), 4. die Berufs- und Amtsgebete, 5. die Lob- und Freudengebete 131 . Unter diesen Gebeten finden sich auch zwei, die das wechselseitige Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen betreffen. Sie sind den Gebeten nach dem 4. Gebot zugeordnet, im Register erscheinen sie auch unter den Amtsgebeten 132 . Das Thema der Obrigkeit erscheint bei Arndt in seinen Katechismuspredigten ebenfalls im Zusammenhang des 4. Gebotes, womit er in der auf Luther zurückgehenden Tradition steht. Die beiden Gebete, das Gebet der Untertanen für die Obrigkeit und der Obrigkeit für die Untertanen, lassen die gleiche Grundrichtung des Obrigkeitsverständnisses Arndts erkennen, wie es dann in der Evangelienpostille ausführlich zum Ausdruck kommt. Das zeigen besonders die den Gebeten zugrundeliegenden Bibelstellen, die mit den wichtigsten und meist zitierten biblischen Belegstellen für die Beschreibung des obrigkeitlichen Amtes in der Frühorthodoxie übereinstimListe bei Koepp als Ausgangspunkt zu neuen Editionsforschungen. N u r für die Urausgabe und die ersten Auflagen des „Wahren Christentums" ist durch die Untersuchung von E. Weber, aaO., 4ff., Klarheit geschaffen, von der jedoch leider M. Schmidt in seinem Arndt-Artikel in der TRE keine N o t i z nimmt (TRE, Bd. IV, 1979, 121-129). Für die gewiß schwierige Situation der Erfassung des literarischen Werkes Arndts ist dieser Artikel unzureichend. Eine neuere, zuverlässige Arndtbibliographie existiert leider nicht. 129 Uber die zahlreichen Legenden der wunderbaren Errettung des Paradiesgärtleins gibt Guden handschriftlich ausführliche Mitteilung, in: Biographien der Celler Generalsuperintendenten, Acta ecclesiastica, Signatur: Z 105:2, KMB Celle, 20ff. 130 Aus der Gewißheit der Vergebung wird das Beten ein Werk des neuen, wiedergeborenen Menschen. - Über den Charakter dieser Gebetschule Arndts und vor allem über die von ihm verwandten Quellen ist in der Arndtforschung noch längst nicht genügend Klarheit geschaffen. Wir können hier nur auf die ältere Literatur verweisen: F.Arndt, passim; H . B e c k , Die religiöse Volksliteratur, 119 ff.; Winter, 55 ff.; Koepp, 73 ff. Für die Bücher vom wahren Christentum s. E. Weber und für die Anleihen Arndts aus der mittelalterlichen Mystik H.J. Schwager, aaO., (s.u. 1. Abschnitt, A n m . 3 ) . 131 Paradißgärtlein / Voller Christlicher T u g e n d e n . . . , Lüneburg (Sterne) 1621, Vorrede (b) 4f. Signatur: Th. thet. I 456/39 U B Göttingen. 132 In derselben Ausgabe, 67-71.

164

D i e christliche O b r i g k e i t in den Predigten J o h a n n A r n d t s

m e n 1 3 3 , in der A r t ihres Gebrauches aber durchaus auch die besondere A k z e n tuierung Arndts hervortreten lassen. In dem Gebet der Untertanen für die Obrigkeit k o m m t der Stelle Jesaja 4 9 , 2 3 eine besondere Bedeutung zu, jener Stelle, die als biblischer Hauptbeleg für das landesherrliche Kirchenregiment in der lutherischen O r t h o d o x i e diente 1 3 4 . U b e r die kirchlichen Rechte und Pflichten heißt es in Übereinstimmung mit den Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille: „Laß meiner Lande Fundament seyn die z w o starcken Seulen/ Veram Religionem et justitiam, die wahre Religion und Gerechtigkeit/ und daß dein heiliger Gottesdienst eine Zierde/ Schmuck und höchstes edelstes Kleinot sey meiner Lande/ darüber du mich gesetzt h a s t . . . " 1 3 5 N a c h verschiedenen kleineren Schriften 1 3 6 hat Johann Arndt als Celler Gene133

E s sind dies v o r allem alttestamentliche Belegstellen wie Ps 2 4 , 8 2 , 8 5 , 1 0 1 und J e s 4 9 , 2 3 . A n

neutestamentlichen Stellen w e r d e n n u r U m s c h r e i b u n g e n von R ö m e r 13,1 und 2 s o w i e l . T i m 2 , 2 gebraucht. 134 135 136

V g l . h i e r z u M . K r u s e , Speners K r i t i k , 19, A n m . 2 5 . AaO.,69. N a c h K o e p p , a a O . , 71, soll A r n d t gleich i m 1. C e l l e r J a h r einen A u s z u g aus den K i r c h e n v ä -

tern gesammelt h a b e n für den G e b r a u c h in der Schule. E r stützt sich dabei auf A n g a b e n v o n F . A r n d t , a a O . , 123 f. E s handelt sich u m die „ A x i o m a t a selectoria ac insigniora S a n c t o r u m p a t r u m , c o n t i n e n t i a regulas fidei et vitae christianae, ad vitam spiritualem c o m p a r a n d a m

accomodata,

explicata et praelata in schola Cellensi, 1 6 1 1 . Z u r Zeit F r i e d r i c h A r n d t s ( 1 8 3 8 ) soll sich diese H a n d s c h r i f t n o c h in G o t h a b e f u n d e n h a b e n , K o e p p k o n n t e sie aber n i c h t m e h r auffinden. F ü r die V e r ö f f e n t l i c h u n g e n A r n d t s in seiner C e l l e r Z e i t sei n u r n o c h auf folgende Schriften hingewiesen ( o h n e V o l l s t ä n d i g k e i t z u b e a n s p r u c h e n ) : S u m m a und Inhalt der gantzen H e i l i g e n Schrifft, H a l b e r s t a d t 1 6 1 3 ; T r o s t s c h r e i b e n an D . J o h a n n R o e h r h a n d , O b e r s y n d i c u m der Stadt B r a u n s c h w e i g , B r a u n s c h w e i g 1 6 1 3 ; D i a l o g u m Valentini W e i g e l i i d e C h r i s t i a n i s m o , H a l l e 1 6 1 5 ; D i e L e i c h e n p r e d i g t e n f ü r H e r z o g E r n s t , Stadthagen 1611 (s. 2., A n m . 4 1 ) und f ü r H e r z o g i n D o r o t h e a , L ü n e b u r g 1 6 1 7 (s. A n m . 5 0 ) ; D i e H u l d i g u n g s p r e d i g t f ü r das F ü r s t e n t u m G r u b e n h a g e n , C e l l e 1 6 1 7 , und die Landtagspredigt z u O s t e r o d e 1 6 1 7 , C e l l e 1 6 1 8 (s. A b s c h n i t t 4 ) ; N e u a b d r u c k e der „ D e u t schen T h e o l o g i e " u n d der „ I m i t a t i o C h r i s t i " (zuerst herausgegeben H a l b e r s t a d t 1 5 9 7 u n d M a g d e b u r g 1 6 0 5 ) in den J a h r e n 1 6 1 7 und 1 6 2 1 ; V o r r e d e n z u r „ R e f o r m a t i o p a p a t u s " , G o s l a r 1621 und z u einer A u s g a b e v o n T a u l e r s Postille, H a m b u r g 1 6 2 1 , (zu einer S a m m l u n g der T r a k t a t e des S t e p h a n P r ä t o r i u s , G o s l a r 1 6 2 2 ) . D i e verschiedenen S c h r i f t e n , B r i e f e und S e n d s c h r e i b e n im Z u s a m m e n h a n g mit d e m „ W a h r e n C h r i s t e n t u m " sind v o n J . J . R a m b a c h in seiner A u s g a b e v o n A r n d t s W e r k e n ( J o h a n n A r n d t , G e i s t r e i c h e S c h r i f t e n u n d W e r k e , B d . I I I , L e i p z i g und G ö r l i t z 1 7 3 6 ) a u f g e n o m m e n und als 5. B u c h des „ W a h r e n C h r i s t e n t u m s " später z u s a m m e n g e s t e l l t w o r d e n . E s sind dies: „ L e h r und T r o s t B ü c h l e i n / V o m G l a u b e n und heiligen L e b e n / Z u m w a h r e n C h r i s t e n t h u m b g e h ö r i g . " G e d r u c k t z u G o s l a r ( J o h a n n V o g t ) , verlegt in L ü n e b u r g (Sterne) 1 6 2 0 ; „ D e u n i o n e c r e d e n t i u m , c u m C h r i s t o J e s u " , L ü n e b u r g 1 6 2 0 ; „ D i e Süsse/ A n m u t h i g e L e h r e / V o n der H o c h w u n d e r l i c h e n G n a d e n r e i c h e n Vereinigung der C h r i s t g l e u b i g e n mit d e m A l l e r m e c h t i g s t e n . . . " (deutsche F a s s u n g v o n „ D e u n i o n e c r e d e n t i u m " ) , M a g d e b u r g 1620 ( J o h a n n F r a n c k ) ; „ R e p e t i t o A p o l o g e t i c a . D a s ist: W i e d e r h o l u n g und V e r a n t w o r t u n g der L e h r e v o m w a h r e n C h r i s t e n t h u m b " , M a g d e b u r g

1620

(Johann Franck), Lüneburg 1621; „Zwey Sendschreiben H . J o h a n Arendts", Magdeburg

1620

( J o h a n n F r a n c k ) . D i e B r i e f e A r n d t s i m Z u s a m m e n h a n g m i t den Streitigkeiten um das „ W a h r e C h r i s t e n t u m " sind zuerst v o n seinem leidenschaftlichen A p o l o g e t e n M e l c h i o r B r e i e r herausgegeben w o r d e n : „ W a r h a f f t i g e r , G l a u b w i r d i g e r u n d G r ü n d l i c h e r B e r i c h t v o n den vier B ü c h e r n v o m W a h r e n C h r i s t e n t h u m b H e r r n J o h a n n i s A r n d t e n auß den gefundenen brieflichen V r k u n d e n z u s a m m e n g e t r a g e n . . . " , L ü n e b u r g (Sterne) 1625. S i g n a t u r : C s 3 0 6 0 , S t a a t s b i b l i o t h e k B e r l i n ( W e s t ) ,

Johann Arndts Wirken in Celle

165

ralsuperintendent aber vor allem den reichen Ertrag seines langjährigen Berufslebens als Prediger in der Veröffentlichung von drei großen Predigtwerken zusammengefaßt und für einen breiten Leserkreis erschlossen. Kurz hintereinander erscheinen die Evangelienpostille, die Katechismuspredigten und die Psalterpredigten, nicht nur äußerlich umfangreiche, wichtige Werke, die man zusammen mit den Büchern vom wahren Christentum und dem Paradiesgärtlein als seine Hauptwerke bezeichnen muß. In der älteren und auch neueren Arndtforschung ist diese Bezeichnung jedoch nur auf die beiden letzten Schriften bezogen, mit denen der Name Arndts seit dem frühen 17. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart stets aufs engste verbunden ist. Der Grund für diesen etwas verengten Blick gegenüber dem Gesamtwerk Arndts liegt gewiß in der geradezu einmaligen Wirkung und Verbreitung, die vor allem die Bücher vom wahren Christentum gefunden haben. In ihnen war das Bestreben Arndts wie in einem Programm zusammengefaßt, auf der Grundlage der reformatorischen Rechtfertigungslehre das Zentrum des christlichen Lebens in der „Gottseligkeit" zu beschreiben. Für die Zeitgenossen Arndts wie für die unmittelbar nachfolgenden Generationen war damit ein neues Selbstverständnis in Kirche, Theologie und Frömmigkeit eröffnet, um das in leidenschaftlicher Zustimmung wie A b lehnung gerungen wurde. Gerade diese Leidenschaft, die in den Streitigkeiten um das „wahre Christentum" ausbricht, weist auf das Neue hin, das sich inmitten des Alten anbahnt. Demgegenüber reihen sich die Predigtwerke Arndts in die Fülle der Postillenbände ein, mit denen schon in der 2. Hälfte des 16.Jahrhunderts und über das ganze 17. Jahrhundert hindurch der Büchermarkt überschwemmt wurde 1 3 7 . Gerade aber diese große Zahl zeigt, welche Bedeutung im Selbstverständnis der Theologen die Herausgabe einer Postille hatte und wie groß die Aufnahmefähigkeit dafür auf seiten der Leser war. Wenn Arndt sich zur Herausgabe seiner Predigten entschloß, so konnte er auch im Verein mit den zahlreichen, etwa gleichzeitig erschienenen Postillen 1 3 8 von vornherein mit einem großen Leserkreis rechnen. Die Postillen wurden ja nicht nur von Pfarrern, sondern vor allem auch von Laien gelesen, sie waren seit der Reformation das Hauptfundament der theologischen Laienbildung. In der Erforschung des Zeitalters der lutherischen Orthodoxie ist den Postillenbänden jedoch nur sehr geringe Aufmerksamkeit zugewandt worden 1 3 9 . Das gilt insbevorhanden auch in H A B , Wolfenbüttel. Eine 2. Auflage erschien Rostock 1688 und als „Apologetica Arndiana", Leipzig 1706 (hg. von M. C . Günther). Später wurden sie in das 6. Buch vom wahren Christentum aufgenommen. Vgl. zu Breier, dem Leibarzt H e r z o g Augusts d . J . , J. Wallmann, H e r z o g August (s.u. 1. Abschn., A n m . 2 ) , 19ff. 137

Vgl. dazu die Aufstellung der Postillenausgaben bei Kruse, aaO., 32 f., Anm. 95.

Z . B . Johann Gerhards Postille, Jena 1613 und die Herzpostille von Valerius Herberger, Leipzig 1613. 138

1 3 9 Erst mit der neu belebten Spenerforschung ist hier ein Wandel eingetreten. J . Wallmann hat schon in seinem Spener-Buch wiederholt auf die große Bedeutung der Predigten für die Theologieund Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jahrhunderts hingewiesen, so bei Johann Schmidt, J . C . Dannhauer und bei Spener selbst, vgl. auch Kruse, Speners Kritik.

166

Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

sondere für Johann Arndt, dessen Predigtwerke in der Arndtforschung bisher fast ganz unbeachtet geblieben sind 140 . Im Gegensatz dazu legte Arndt selbst seinen veröffentlichten Predigten offenbar eine erhebliche Bedeutung bei. In seinem letzten Testament kommt Arndt auf seine drei Predigtwerke als öffentliche Zeugnisse seines allein auf dem Fundament der heiligen Schrift stehenden Glaubens zu sprechen 141 . Und auch in den Verteidigungsschreiben gegen die Angriffe auf die Bücher vom wahren Christentum weist er verschiedentlich auf seine Predigten hin 142 . Im Selbstverständnis Arndts erscheinen die Predigten somit als die öffentlichen Bekundungen seiner Rechtgläubigkeit, auf deren Grund auch die Bücher vom wahren Christentum stehen. Diese Selbsteinschätzung Arndts muß zunächst wahrgenommen werden und ihre kritische Uberprüfung kann sich nur an seinem gesamten Werk orientieren, zu dem die Predigtbände wesentlich hinzugehören. Eine Verhältnisbestimmung zwischen den Predigtwerken und den Büchern vom wahren Christentum im Sinne überwiegend reiner Orthodoxie auf der einen und weitgehend heterodoxer Mystik auf der anderen Seite kann schwerlich überzeugen. Eine solche Aufteilung wäre gegenüber den Hauptwerken Arndts völlig unzureichend, und auch Wilhelm Koepp, dem es erklärtermaßen bei Arndt um das Hereinströmen der Mystik ins Luthertum ging, hat hier schon differenzierter urteilen müssen 143 . Wenn die Predigtwerke Arndts in Zukunft nicht mehr weitgehend außerhalb der Blickrichtung in der Anrdtinterpretation bleiben können, so können sie nur im Zusammenhang mit den vier Büchern 140 In der älteren Arndtforschung geht Winter auf die Predigten etwas ein, aaO., 60 ff.; Koepp nur ganz nebenbei, aaO., 76f. - Auch wir können hier nur einen ersten Schritt in diese, für die zukünftige Arndtforschung wichtige Quellenbasis tun. 141 In dem Testament vom 28.Januar 1616 heißt es: „Und weil viel Rotten und Secten zu dieser Zeit eingerissen sein, derer Lehre wider die heilige Schrift streitet, vornehmlich aber des Bapsts, Jesuiter, Calvini und der Wiedrtäufer Lehre: so thue ich dieselbe hiemit als falsche Lehre, so dem Wort Gottes zuwider läuft, ausdrücklich verwerfen, wie meine ausgegangene öffentliche Schriften, die Postilla, der Psalter und Catechismus etc. genugsam und überflüssig bezeugen." (zitiert nach F. Arndt, aaO., 274). 142 So in dem Brief an Wolfgang Frantz, Theologieprofessor in Wittenberg, am 29. März 1620: „Meine Postill/ Psalter/ Catechismus/ und Außlegung der Passion seynd öffentliche Zeugnuß und Verantwortung meiner Unschuld/ wider meine Lästerer...", in: (M.Breier), Gründlicher Bericht..., Lüneburg 1625, 82; der Brief ist auch als erstes Sendschreiben im 6.Buch vom wahren Christentum, Halle 1763, abgedruckt, 935ff. Und im Brief an Balthasar Mentzer, Theologieprofessor in Gießen, vom 29. Oktober 1620, weist Arndt den Vorwurf der schwenckfeldischen Irrtümer mit Hilfe seiner „evangelischen Predigten, welche im öffentlichen Drucke sind", von sich (im 6. Buch vom wahren Christentum, Halle 1763, 952). Auch die Korrespondenten Arndts nennen die Predigtwerke mit dem „Wahren Christentum" zusammen, so Conrad Wedemeyer im Brief an Arndt, Tag Egydii 1617, in: (M. Breier), Gründlicher Bericht..., 45 f. 143 Koepp hebt zwar hervor, daß die Predigten „im Durchschnitt die Töne der mystisch gefärbten Erbauungsschriften auffallend zurücktreten (lassen)," stellt aber dann für die Psalterpredigten vielfach die Verbindungen mit dem 4. Buch des wahren Christentums fest und urteilt insgsamt: „Doch findet sich hin und her, mehr noch in der stark allegorisch arbeitenden Postille, auch durchaus mystisches Gut." (77).

J o h a n n Arndts Wirken in Celle

167

vom wahren Christentum gesehen und zu den Hauptwerken Arndts hinzugerechnet werden 1 4 4 . Zuerst erschien Johann Arndts „Postilla: Das ist: Außlegung und Erklärung der Evangelischen Text, so durchs gantze Jahr an den Sontagen und vornehmen Festen, auch der Apostel Tagen gepredigt werden..." in Jena 1616 bei Tobias Steinmann 145 . In seiner Widmungsvorrede an die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg stellt Arndt selbst heraus, daß die Fürsten, insbesondere der regierende Herzog Christian, an seinen Predigten „eine sondere Lust gewonnen" und ihn zur Herausgabe dieser Postille aufgefordert habe 1 4 6 . Dies bestätigt 144

Natürlich muß hierbei die unterschiedliche Gattung und Intention zwischen Erbauungs-

schriften und Postillenbänden beachtet werden. V o r allem beteht zwischen den Gesamtsituationen in Braunschweig bzw. schon Quedlinburg und Celle als Entstehungshintergrund von Arndts Schriften ein erheblicher Unterschied. D e r durch die Braunschweiger Situation aufs stärkste herausgeforderte Prediger mußte andere Akzente setzen als der im Fürstentum Lüneburg allseits geachtete, predigende Generalsuperintendent. A b e r die Leser waren doch weitgehend dieselben. N a c h P h . J . R e h t m e y e r , Kirchengeschichte Braunschweigs, I V . Band, Braunschweig 1715, 312 ff. gingen auch die B ü c h e r vom wahren Christentum aus Wochenpredigten hervor. In der Leichenpredigt auf J o h a n n Arndt durch Wilhelm Storch, seinen Beichtvater, werden als seine Bücher „der Psalter, die Postille, die Vier Bücher vom wahren Christenthumb, Paradiesgärtlein" genannt (in dieser Reihenfolge). „Christliche L e i c h = P r e d i g t / U b e r den Spruch S.Pauli 2 . T i m 4. Ich werde schon g e o p f f e r t . . . " , Lüneburg 1621, Signatur: D b 109, H A B Wolfenbüttel, 65. In dieser frühesten biographischen N o t i z über Arndt werden als von ihm besuchte hohe Schulen Helmstedt, Wittenberg, Basel und Straßburg aufgeführt („sonderlich in den beyden letzten eine geraume zeit auffgehalten," 62). W i r fügen das hier nur an, da E . W e b e r neuerdings auf die Schwierigkeiten hinsichtlich eines Wittenberger Studienaufenthaltes Arndts hingewiesen hat, ja ihn letztlich in Zweifel zog ( a a O . , 23 ff.). Diese sind auch nach wie vor (vor allem in zeitlicher Hinsicht) nicht leicht auszuräumen. S e i t J . J . Rambach und P h . J . R e h t m e y e r werden Zweifel am Studienort Wittenberg in Arndts Bildungsgang geäußert. Aber schon der Generalsuperintendent Guden in Celle (von 1 7 3 5 - 1 7 4 2 ) versucht sie in seinen handschriftlichen „Annotationes Historicae ad vitam Arndii" zu beseitigen, indem er auch die persönliche Bekanntschaft Arndts mit Polykarp Leyser d . Ä . in Wittenberg nicht anzweifelt, vgl. Acta ecclesiastica, Signatur: Z 105:2, K M B Celle, 116 f. 145

Seit F . Arndt wird für die Erstausgabe der Postille auch immer wieder das J a h r 1615 genannt

(aaO., 199). Das scheint durch die Zuschriften Arndts an die männlichen und weiblichen Glieder des Braunschweig-Lüneburgischen Fürstenhauses veranlaßt zu sein, die vom Johannistag 1614 datiert sind. F . Arndt nennt den Erscheinungsort der angeblichen Ausgabe von 1615 nicht, K o e p p gibt Leipzig 1615 an (67, 302) und M . Schmidt läßt die Postille erstmals in Leipzig 1616 erscheinen (in seinem Arndt-Artikel in der T R E , a a O . , 124). Eine Ausgabe der Postille 1615 erscheint uns unwahrscheinlich, wie auch W i n t e r bereits konstatierte ( a a O . , 109 f.). F ü r die Erstausgabe von J e n a 1616 hat J o h a n n Gerhard ein empfehlendes V o r w o r t geschrieben, datiert vom 1 7 . 9 . 1615. Sie enthält keinen Hinweis für eine schon vorausgegangene Ausgabe. O f f e n b a r hat sich die D r u c k l e gung des umfangreichen Werkes in vier Teilen über längere Zeit hingezogen. In seinem zweiten Testament v o m 28. Januar 1616 nennt Arndt die Postille zwar schon als bereits ausgegangene Schrift, aber dies wird man im Sinne einer in Arbeit befindlichen bzw. unmittelbar bevorstehenden Veröffentlichung verstehen können. Denn auch die mitaufgeführten Psalterpredigten sind erstmals in J e n a 1617 herausgekommen. D i e Erstausgabe der Postille enthält als Anhang zum I V . Teil auch die Katechismuspredigten: „Der gantze Catechismus, erstlich in sechtzig Predigten außgelegt und e r k l e r e t . . . Darnach kürtzer in acht P r e d i g t e n . . . b e g r i f f e n . . . Item die Haußtafel", J e n a 1616. 146

„Weil ich dann befunden/ daß E . Fürst. G n . zu diesen meinen geringen Auslegungen/ und

Bereitungen des Evangelischen Himmelbrodts eine sondere Lust gewonnen/ mich offt gnädig

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

auch Johann Gerhard in seiner Vorrede 1 4 7 . Die umfangreichen Widmungsvorreden an die fürstlichen Herrschaften zur Arndtschen Postille geben darüber hinaus aber auch einen wichtigen Aufschluß über das Selbstverständnis Johann Arndts als Prediger und Theologe. Man wird sie als ein bekenntnishaftes Vermächtnis für sein gesamtes Wirken, seinen persönlichen Glauben und seine Schriften, verstehen können. Gegenüber allen Abirrungen vom wahren, allein in der Hl. Schrift gegründeten Glauben stellt sich Arndt als lutherischer Schriftausleger vor, der die Schrift von der Mitte ihres eigenen Zeugnisses aus verstehen will. In der Vorrede an die Herzöge grenzt er sich besonders von allen Schwärmern und Sektierern ab, während in der Vorrede an die Herzoginnen in einzelnen aufgeführten Lehrpunkten die Irrtümer der Katholiken und Calvinisten abgewiesen werden. Aber auch der besondere Akzent, den Arndt auf der Grundlage der reinen lutherischen Lehre in seinen Predigten setzen will, wird schon in den Vorreden nicht verschwiegen 148 . Anders als die Streittheologen will Arndt nicht durch konfessionelle Polemik und Disputation, sondern vor allem durch die Predigt des Wortes Gottes und durch das Gebet überzeugen 149 . A m Schluß seiner Vorrede an die Herzoginnen faßt Arndt mit einem persönlichen Bekenntnis seinen Glaubensweg in der Stille, in Demut, Liebe und Gebet zusammen. Wenn alle diesen Weg gingen, würde bald die Einigkeit in der Lehre folgen. Unter Berufung auf Augustin und Bernhard von Clairvaux, den in den Postillenpredigten meist zitierten Vätern, stellt er auch das Ziel seiner eigenen Schriften in diesen über die Konfessionsgrenzen letztlich hinausführenden geermahnet/ und ermahnen lassen/ dieselbe öffentlich mitzutheilen/ in gnädiger Meynung/ daß manchem Menschen damit gedienet seyn/ und des Guten nicht zu viel geschehen köndte. Als habe E. Fürst. Gnaden ich zu unterthänigen Ehren gegenwertige Postill publiciren/ und E. Fürstl. Gn. dediciren wollen/ auff daß auch jetziger Zeit ein öffentlich Zeugnis am Tage wäre/ was für eine Lehre in E. Fürstl. Gnaden Landen schalle und im Schwang gehe/ und welcher gestalt das reine Evangelische Bekäntnis... in E.Fürstl. Gn. Landen unverfälschet/ und forgepflantzet werde." (Postilla Oder Außlegung der Sontages und aller Festen Evangelien, Lüneburg 1645, Signatur: Ld 334, KMB Celle, Bl. a (5) v). Nach dieser Ausgabe im folgenden alle Angaben. 1 4 7 Neben seiner eigenen Aufforderung an Arndt zur Herausgabe der Postille stellt Johann Gerhard fest: „Hierzu ist ferner kommen hoher Fürstlicher gottseliger Personen/ die ihn in Predigten gehöret haben/ inständiges Begehren und Anhalten/ dadurch Er endlich bewogen worden/ gegenwertige Arbeit zu verfertigen/ unnd durch offenen Druck der Christlichen Kirchen mitzutheilen." (ebd., Bl. b (4) v). 1 4 8 Immer wieder hebt Arndt auf die Einheit von Lehre und Leben ab: „Es hat aber Gott der Herr die Schrifft durch die Propheten und Apostel/ ja durch seinen lieben Sohn selbsten gnädiglich geoffenbaret/ zu seinem und des Menschen selbst wahren Erkäntnis/ zu seinen göttlichen Ehren/ zu unserem Trost/ und ewigem Heil und Seligkeit/ auch zu unserer Besserung/ und Liebe des Nehesten/ derhalben so muß auch unser Glaube/ Lehr und Leben zu diesem Ende und Ziel gerichtet seyn." ( B l . b r ) . 149 „ . . . m u ß man die Gründe und Fundamenta aus Gottes Wort fleißig t r e i b e n . . . und die Rechtgläubigen in ihrem Glauben s t ä r c k e n . . . Doch solle dieses ohne Bitterkeit geschehen/ denn durch viel Schelten wird nichts gebawet/ aber mit Gottes Wort und guten Fundamentis wird viel e r b a w e t . . . Falsche Geister muß man nicht allein mit disputiren überwinden/ sondern durchs kräfftige gläubige Gebet." (Bl. b (3) v).

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samtchristlichen Rahmen. Und neben seinem „Buchlein vom wahren Christenthumb" und dem Paradiesgärtlein stehen selbstverständlich auch die Postillenund Psalterpredigten 150 . Uber seine eigene Predigtweise und theologischen Leitsätze in den Postillenpredigten gibt Arndt in seiner Vorrede an den christlichen Leser ausführlich Auskunft. In diesen homiletischen Grundlinien Arndts kommt die eigentümliche, auf die individuelle Erfahrung und Frömmigkeit von Prediger und Predigthörer gerichtete Predigtweise ebenso deutlich zum Ausdruck wie die völlige lehrmäßige Ubereinstimmung mit den Fundamenten lutherisch-orthodoxer Dogmatik. Daß es Arndt vor allem um eine neue, eindringlichere Form der Applikation der lutherischen Theologie 151 ging, nicht um deren lehrmäßige Ergänzung oder gar Korrektur, geht auch daraus hervor, daß er die Herausgabe seiner Postille inmitten der vielen anderen durch die individuelle A r t eines jeden Predigers zu rechtfertigen versucht. Es geht darum, daß das rein gepredigte W o r t Gottes möglichst viele erreicht, nicht nur äußerlich, sondern als Anklage und Trost der Gewissen. Für dieses Ziel aber können nie genug, im persönlichen Ton unterschiedene Prediger wirken, entsprechend der mannigfaltigen Gegebenheiten auf Seiten der Hörer, wenn sie nur in den Grundlagen des wahren Glaubens übereinstimmen. Daß auch die Predigt im Pietismus, insbesondere Speners Predigttätigkeit, ähnliche Intentionen verfolgt, ist offensichtlich 152 . Die Arndtsche Postille kann somit - predigt- und frömmigkeitsgeschichtlich betrachtet - als ein eindrückliches Beispiel für den schon in der lutherischen Orthodoxie am Anfang des 17. Jahrhunderts breit angelegten Pietismus gelten 1 5 3 . 150 „Wenig können glauben/ welch ein sanfft stilles Leben sey in der Derfiuth... welch eine grosse Frewde sey im täglichen Lob G o t t e s . . . was für eine grosse Liebligkeit sey im täglichen ernsten Gebet/ das erquicket Leib und Seele/ und bin gewiß/ wenn wir alle diesen Weg gingen/ wir würden bald einig in der Lehre. Daher die heiligen Väter Augustinus und Bernhardus sich endlich von dem Gezänck und Unruhe der Welt gar abgewandt/ und sich auff ihre Soliloquia b e g e b e n . . . und haben des Hertzens Lust am innerlichen, geistlichen, göttlichen Leben gehabt/ sich in der Liebe Christi ergetzet und erquicket. Dahin muß es doch alles endlich kommen/ zu einem seligen Beschluß unserer Mühseligkeit auff Erden/ das ist auch endlich mein Hertz/ darzu ich denn Anleitung geben habe in meinem Büchlein vom wahren Christenthumb/ und in meinem Paradyßgärtlein/ auch in diesen Evangelischen Predigten/ und in meinen Auslegungen über den Psalter." (Bl. b (4) r).

Arndt spricht meist von ganzer und wahrer Theologie bzw. wahrer Religion. Zu Speners Predigttätigkeit s. J . Wallmann, Spener, 200ff. Die Eigenart der Spenerschen Predigtweise ähnelt in vielem derjenigen Arndts, so in der ernsten Bemühung um den Wortsinn des Textes, seiner Aufgliederung in verschiedene Lehrpunkte, der nüchternen, allen rhetorischen Schmuck entbehrenden, logischen Gedankenführung mit dem Ziel der inneren Erbauung und Anwendung im alltäglichen Leben. 153 Das zeigt besonders auch die Vorrede Johann Gerhards zu Arndts Postille, der Johann Arndt als seinen geistlichen Vater seit über sechzehn Jahren bezeichnet und die besondere Predigtweise Arndts unter Berufung auf seine eigene Postille als einen „Modus docendi mysticus" für die jetzige Zeit als „hochnötig" empfiehlt: „Christliebender guthertziger Leser/ Du hast dich freundlich und günstig zu erinnern/ daß in der Vorrede meiner Postill unter den mancherleyen Arten in der 151

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Die christliche O b r i g k e i t in den Predigten J o h a n n A r n d t s

Der erste der sieben Gesichtspunkte, von denen sich Arndt bei seiner Auslegung der Evangelien leiten läßt, betrifft die strenge Orientierung seiner Predigten am Text. Das Ziel dieser engen Anlehnung an den biblischen Text ist letztlich ein katechetisch-didaktisches. Die Predigthörer bzw. -leser sollen die Erklärungen mit den bekannten Textstellen verbinden können, so daß sie sich ihnen besser einprägen 154 . Dem gleichen Ziel dient auch die Disposition der Predigten, indem die Hauptlehren aus dem fortlaufenden Text folgerichtig deduziert werden, so daß der Text zugleich „continuiret" wird 155 . Unter dem dritten Gesichtspunkt führt Arndt die „fünff wichtigsten und nötigsten Punct der gantzen Theologia und Christlichen Religion" auf, „die in diesen Predigten getrieben werden." 156 Es sind dies: 1. die Erkenntnis der Sünde, d.h. die Selbsterkenntnis, worunter Arndt „die rechte wahre Busse" versteht, 2. die Erkenntnis der menschlichen Nichtigkeit, die Blindheit gegenüber Gott und Mensch durch Adams Fall, 3. die Erkenntnis der Gnade Gottes in Christus, 4. das Verständnis des Glaubens im Artikel der Rechtfertigung vor Gott allein aus Gnaden, 5. das Erkennen der reinen Nächstenliebe aufgrund der Erschaffung des Menschen zur göttlichen Ehre und als Werkzeug seiner Gnade 157 . Der Erweis der Ubereinstimmung des Alten und Neuen Testaments ist ein weiterer Gesichtspunkt, den Arndt in seinen Predigten ständig vor Augen hat. Mit Hilfe der allegorischen und typologischen Methode wird das ganzheitliche Gemeine G o t t e s zu lehren/ einer sonderbahren A r t u n d Weise ist gedacht w o r d e n / welche genennet M o d u s docendi mysticus, da m a n nemblich insonderheit auff die E r b a w u n g des innerlichen M e n schen sihet/ mit bequemen Allegoriis u n d geistlichen D e u t u n g e n / die Historien des alten Testaments mit dem newen Testament vergleichet/ dieselbe auff C h r i s t u m z e u c h t / und in den L e h r p u n c ten vornemblich darauff bedacht ist/ daß man die wahre Erkäntnis der innerlichen V e r d e r b u n g unserer N a t u r / den wahren lebendigen Glauben an C h r i s t u m / die brünstige Liebe G o t t e s u n d des N e h e s t e n / Verschmähung des Irdischen/ Verlangen nach d e m Himlischen/ demütige F u r c h t G o t tes/ innigliche Gelassenheit/ gründliche D e m u t / u n d dergleichen Christliche T u g e n d e n ins H e r t z pflantze/ D a r b e y auch dieses erinnert w o r d e n / daß solche A r t zu lehren heutiges Tages/ da bey d e m meisten Theil der Menschen der Glaube erloschen/ u n d die Liebe erkaltet/ h o c h n ö t i g wäre/ w o r a u f f . . . i c h . . . z u m ö f f t e r n . . . H e r r n J o h a n n A r n d t . . . Schrifftlich erinnert/ daß er der lieben Kirchen z u m Besten diese M ü h e w a l t u n g auff sich n e h m e n / u n d eine solche Postill verfertigen wolle." (Bl. b (4) v). A u c h in den weiteren Partien ist diese Vorrede Gerhards ein treffender K o m m e n t a r zu der Intention von A r n d t s Predigten u n d seiner Theologie. J o h a n n G e r h a r d sah in den Predigten A r n d t s das H a u p t z e u g n i s seines Glaubens u n d Wirkens f ü r seine Zeit, wie seine V o r w o r t e z u r Postille u n d den Psalterpredigten zeigen. 154 „Erstlich sind diese Außlegung aus den W o r t e n des Textes g e n o m m e n / u n d die K r a f f t u n d Safft der W ö r t e r als aus einem G e w ä c h ß heraus gepresset w o r d e n / welches darzu dienet/ daß man die Erklärung mit d e m bekandten Text zugleich fasse/ u n d desto leichter behalte." (Bl. b (7) v). 155 Ebd. 156 E b d . - Die Aufgabe, die ganze Theologie in Predigten darzustellen, verbindet A r n d t mit zahlreichen lutherischen Theologen des 17. Jahrhunderts, einschließlich Speners. 157 A a O . , Bl. b (7) v u n d b (8) r. - Die A u f z ä h l u n g dieser L e h r p u n k t e erinnert an die ersten Artikel der Confessio Augustana. D e r Anklang an die Artikel 2 bis 6 der C A ist sicher gewollt. Allerdings beginnt A r n d t charakteristischerweise nicht mit der Trinitätslehre, sondern mit der Lehre von der Buße, u n d auch in den anderen L e h r p u n k t e n spricht sich deutlich die soteriologische A k z e n t u i e r u n g u n d die Betonung der Heilsaneignung aus.

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Zeugnis der Schrift von Christus in jeder Predigt aufgewiesen. Arndt sieht in dieser umfassenden Ausrichtung aller Schrifterklärung auf Christus, in der sich Mose, die Propheten und Psalmen erfüllen, eine mächtige Stärkung des Glaubens 158 . Waren bei allen bisherigen Gesichtspunkten die Adressaten der Predigten schon immer im Blick, so gibt der 5. Punkt über das homiletische Ziel der Arndtschen Predigten noch einmal zusammenfassende, charakteristische Auskunft: „Zum fünfften/sind die eingeführten Lehr- und Trostpuncten auff eines jeden Menschen Gewissen/sonderlich auff die innerliche Erfahrung/im Glauben/Anfechtungen und Gebet geübter Christen gerichtet. Was nun das Zeugnis des Gewissens für einen Nachdruck hat/und für einen grossen Beyfall gibt/wird ein jeglicher gottfürchtiger Mensch bekennen müssen." 159 Die Predigten Arndts sind auf das Gewissen aller Menschen gerichtet, aber sie sind keine Missionspredigten, sondern sie wenden sich vor allem an die schon im christlichen Glauben erfahrenen Christen, wie ja auch seine Bücher vom wahren Christentum nicht den Ungläubigen, sondern den schon Gläubigen gelten 160 . Im 6. Punkt versichert Arndt, daß er die gegenüber dem Papsttum und Calvinismus strittigen Lehrartikel wahrheitsgemäß verantworten will, jedoch „ohn alles Schelten und Bitterkeit" 161 , wie schon die Vorreden an die Fürsten zeigten. Schließlich hofft Arndt, daß seine Predigten darum „erbauen" werden, weil sie auf Fundamenten gründen, die für alle Schrifterklärungen bedacht sein wollen. Es sind dies: „Verborum pondera, rationum spiritualium consequentia, scripturae consonantia, interioris hominis experientia, salus hominum et Dei Gloria, quae est finis scripturae." 162 In dieser Zusammenstellung der homiletischtheologischen Grundsätze für seine Predigten 163 kommt in prägnanter Kürze 158 „Zum vierdten/ so ist/ in allen diesen Evangelischen Predigten gezeiget die schöne Consonantz, Harmonia, und Ubereinstimmung altes und Newes Testaments/ nicht allein in Sprüchen und Weissagungen/ sondern auch in den wünderlichen/ lieblichen/ denckwürdigen Figuren und Vorbildern/ in welchen man sihet/ wie wünderlich Moses und die Propheten von Christo zeugen... In Christi Jesu ist die Schrifft/ nemblich Moses/ Propheten und Psalmen klärlich und Augenscheinlich erfüllet... Wie mächtig nun dieses unsern Glauben stärcke/ wird ein jeder frommer Christ im Werck erfahren/ der fleißig achtung darauff geben wird." (Bl. b (8) r und v). Zu diesem Zweck hat Arndt auch die unterschiedlichen, aus dem Alten Testament genommenen Exordien zu den Evangeliumspredigten gestaltet bzw. am Predigtende die Zusammenstimmungen mit dem Alten Testament aufgewiesen.

Bl. b (8) v. So im Beschluß zum 4. Buch vom wahren Christentum: „Ich habe nicht geschrieben den Ungläubigen, sondern den Gläubigen: nicht denen, die noch erst sollen gerechtfertiget werden, sondern denen, die da schon gerechtfertiget sind." (Ausgabe Halle 1763, 768). 161 Bl. b (8) v. 162 Ebd. 163 Sie gelten auch für das Schriftverständnis in den Vier Büchern vom wahren Christentum, nur daß hier die Schrift mit Hilfe der Konkordanzmethode noch in einen weiteren Horizont gestellt wird, so daß die Ganzheit von Schrift, Christus, Mensch und Welt (Natur) hervorgehoben wird. Aber auch diese kosmische Dimension, die bei Arndt immer im Dienst der Soteriologie steht, fehlt in den Predigten nicht, wie besonders die Psalterpredigten zeigen. 160

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Arndts Verständnis von „Erbauung" zum Ausdruck, mit dem sein gesamtes Werk immer wieder zusammenfassend bezeichnet wird, ohne daß jedoch auf dieses Selbstzeugnis bisher genügend geachtet wurde. Erbauung im Sinne Arndts ist streng auf den biblischen Text bezogen, in seiner vorfindlichen Gestalt wie in der logischen Folgerichtigkeit des aus ihm ermittelten gedanklichen Inhalts. Die Konkordanz des ganzheitlich verstandenen Schriftzeugnisses führt zum Gewissenszeugnis des inneren Menschen, und das Ziel der Schrift liegt im Heil des Menschen und in der Ehre Gottes. In der ganzheitlichen Ausrichtung der Schrift auf Christus in wesentlich soteriologischer Akzentuierung, in ihrem existentiellen Bezug, kann somit die charakteristische Predigtweise Johann Arndts gesehen werden, wie er es selbst in seinen wichtigen Vorreden zur Postille zum Ausdruck gebracht hat. An dem orthodoxen Predigtschema der Dreiteilung in Exordium, Erklärung des Textes und Hauptlehre hält Arndt durchgängig fest. Welcher individuellen Gestaltungsmöglichkeit diese Aufteilung dennoch fähig war, zeigen nicht zuletzt Arndts Postillen- und Psalterpredigten. Auch an dem Perikopenzwang, d. h. an der vorgeschriebenen jährlichen Wiederholung der gleichen Perikopenreihe, nimmt Arndt offenbar keinen Anstoß. Im Unterschied zu den Bemühungen Speners, die einseitige Textgrundlage der Predigten in den Evangelienperikopen zugunsten der Epistelperikopen zu überwinden 1 6 4 , findet Arndt genügend Möglichkeiten, in mehreren Predigten über das gleiche Evangelium sein Hauptziel der Erbauung auf unterschiedliche Weise zu erreichen 165 . Nach Wilhelm Beste kommt den Predigten Johann Arndts eine epochemachende Bedeutung zu. Für ihn gehört Arndt an die Spitze der gesamten Entwicklungsgeschichte der Predigt im 17. Jahrhundert 1 6 6 . Diese hohe Einschätzung der Predigten Arndts findet ihre Bestätigung in den zahlreichen Auflagen, die seine Postille im 17. Jahrhundert, aber auch noch in der ersten Hälfte des 18. und im 19. Jahrhundert gefunden hat 167 . 1 6 4 Zu Speners Kritik am Perikopenzwang und seiner Bevorzugung der Epistelperikopen vgl. J. Wallmann, Spener, 2 0 2 f f . Dabei sei auf einen bedeutungsvollen Satz Wallmanns hingewiesen: „Der Übergang von der Orthodoxie zum Pietismus ist, wenn man Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift versteht, vielleicht an diesem Punkt, an der Schwerpunktverlagerung von den Evangelien zu den Episteln am deutlichsten zu fassen." (208). 1 6 5 Die verschiedenen Predigten über die gleichen Evangelientexte (meist 2 oder 3) rechtfertigt A r n d t auf folgende Weise: „Daß ich aber etliche Predigten biß weilen zwo/ biß weilen drey auf ein Evangelium gestellet habe/ ist geschehen/ erstlich umb der gewißheit willen/ zum andern umb mehrer Erleuterung und Erklärung willen/ zum dritten umb der Ergetzligkeit willen/ zum vierdten umb der mancherleyen artigen Vorbilder willen des alten Testaments/ zum fünfften umb der Umbwechselung willen/ auff daß ein jeglicher nach seiner geistlichen Lust dieses geistlichen Himmel Brodts geniessen könne." (Bl. b (8) v). 1 6 6 W . Beste, Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts, von A r n d t bis Spener, III. Band, Dresden 1886, 23 f. 1 6 7 Uber die Auflagen der Postille Johann Arndts finden sich in der Arndtforschung allerdings recht divergierende Angaben. W i r führen hier die uns als gesichert erscheinenden Ausgaben in chronologischer Reihenfolge an, die die erhebliche Wirkungsgeschichte der Postille Arndts im

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Kurz nach der Evangelienpostille erschien Arndts zweites großes Predigtwerk, die „Auslegung des gantzen Psalter Davids des Königlichen Propheten/ Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn...", gedruckt und verlegt in Jena 1617 bei Tobias Steinmann 168 . Auch für 17. Jahrhundert deutlich belegen. Bei den nicht eindeutig bestimmbaren bzw. in der Arndtforschung divergierend angegebenen Ausgaben wird dies eigens vermerkt. Die Erstausgabe erschien in Jena 1616 bei Tobias Steinmann, vgl. Anm. 145. Ob im gleichen Jahr (1616) auch eine Ausgabe in Leipzig herauskam, wie H . W . Rotermund, Das gelehrte Hannover, l . B d . , Bremen 1823, 57 und M . Schmidt in seinem Arndt-Artikel in der TRE angeben, muß offenbleiben. Koepp (302) kennt diese Ausgabe nicht, und auch ich habe sie nicht verifizieren können. Noch zu Lebzeiten Arndts erschien eine 2. Ausgabe, ebenfalls in Jena 1620 bei Tobias Steinmann. Weitere Ausgaben sind: Jena 1621, Frankfurt/M. 1624 (nach Koepp und F. Arndt, aaO., 199, auch in Jena 1624), Frankfurt/M. 1630 (bei Koepp nicht aufgeführt), Frankfurt/M. 1636, ebd. 1643 (4. Frankfurter Auflage bei Matth. Merian), Lüneburg 1644/45 ( T e i l l : 1645, die anderen Teile 1644), ebd. 1656 (zumindest T e i l l und 3), ebd. 1666, Frankfurt/M. 1670 (nach M.Lipenius, Bibliotheca realis theologica, Frankfurt/M. 1685,246), ebd. 1674 (ebenfalls nach Lipenius, 517), Frankfurt/M. 1675 (mit Speners Pia desideria als Vorwort), Lüneburg 1680 (vermutlich nicht alle vier Teile, bei Koepp nicht aufgeführt), Frankfurt/M. 1693, ebd. 1712 (mit Vorrede von J.G.Pritius), ebd. 1733, Leipzig und Görlitz 1734-36 (Johann Arndts Gesammelte Schriften hg. von J . J . Rambach), Erfurt 1747, Reutlingen 1769 (nach Koepp , 305, 1768), Mannheim 1771. Im 19. Jahrhundert kam die Postille Arndts in Stuttgart 1848, in 3. Auflage Stuttgart 1865 heraus, hg. von S . C . Kapff und in Gütersloh 1852; am Beginn des 20. Jahrhunderts noch einmal in Hermannsburg 1909, hg. von Clemens Bartels. Diese Aufstellung der Ausgaben von Arndts Postille allein für das 17. Jahrhundert wird zwar von den Ausgaben des „Wahren Christentums" erheblich übertroffen, dokumentiert aber doch deutlich, wie weit die Evangeliumspredigten Arndts in der deutschen lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts verbreitet waren. Von hier aus tritt auch erst das für die neuere Kirchen- und Theologiegeschichte so bedeutsame Ereignis, das Vorwort Philipp Jakob Speners zu der Ausgabe von Arndts Postille, Frankfurt 1675, seine berühmten „Pia desideria", in die richtige zeitgeschichtliche Perspektive. Innere, sachliche Nähe zwischen den Intentionen Speners und denjenigen Arndts, wie sie vor allem in seinen Predigten zum Ausdruck kommen, waren an dieser, von Spener gern befolgten Aufforderung des Verlegers zur Abfassung eines Vorwortes zur Arndtschen Postille ebenso beteiligt wie deren weite Verbreitung und hohe Wertschätzung bei Theologen und Laien. 168 Arndt hat über jeden Psalm meist mehrere kurze, über einige Psalmen ganze Reihenpredigten gehalten (über den 18., 22., 27., 37., 45., 106., und 119.), so daß dieses Werk mit 451 Predigten sein umfangreichstes Werk überhaupt ist. Die Predigten stammen aus verschiedenen Wirkungsstätten Arndts, wohl vorwiegend aus seiner Quedlinburger Zeit, wie aus seinem Brief vom 6. Juli 1599 an die Äbtissin des Quedlinburger Stiftes, Gräfin Anna zu Stolberg-Wernigerode, bei seinem Abschied hervorgeht. Dort heißt es im Zusammenhang mit einem schweren Pestjahr, er habe von Trinitatis bis nach Michaelis alle Tage gepredigt und den ganzen Psalter durch und durch kurz erkläret. (Arndts Schriften, hg. von J . J . Rambach, III. Band, Leipzig und Görlitz 1736, 601). Aus der Vorrede Johann Gerhards zu den Psalterpredigten vom 1. April 1617 geht weiterhin hervor, daß Arndt den Psalter „in öffentlichen Versamlungen der Kirchen an unterschiedenen Orten" erklärt habe, so daß man für die späteren Wirkungsorte Arndts ebenfalls Psalterpredigten bzw. traktatartige Erklärungen einzelner Psalmen annehmen kann. (Vorrede Gerhards, Psalterauslegung, Lüneburg 1643, Signatur: 75. 4 Theol. H A B Wolfenbüttel, Bl. a l V b ) . Dies könnte auch die Notiz Arndts in der Vorrede zum ersten Buch vom wahren Christentum, Braunschweig 1606, verständlich machen, w o es heißt: „wie ich solches im 121. Psalm notdürftig erkläret." (zitiert nach Winter, 110, A n m . 77). Winter hat hieraus sowie aus der Erwähnung des Psalters bei den „ausgegangenen öffentlichen Schriften" in Arndts zweitem Testament vom Jahre 1616 geschlossen, daß schon vor

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

dieses umfangreiche W e r k hat Johann Gerhard eine empfehlende Vorrede geschrieben, die die „geistreiche Erklärung" und „heilige Betrachtung" der Psalmen durch Arndt hervorhebt 1 6 9 . Den Charakter der Psalterpredigten Arndts hat Gerhard damit treffend umschrieben, denn sie sind - im ganzen noch stärker als die Postillenpredigten - auf die Erbauung des inneren Menschen gerichtet, auf die geistliche Andacht jedes einzelnen im Reich Christi 1 7 0 . Das geht auch sehr deutlich aus der Vorrede Arndts selbst hervor. In ihr entfaltet er eine „Lehre von der heiligen christlichen Kirche", zunächst nach ihrer äußeren Gestalt unter Hervorhebung von W o r t und Sakrament und mit Hinweis auf die Glaubensartikel, sodann aber auch nach ihrer inneren, tief verborgenen Gestalt. Diese inwendige Gestalt der Kirche als Braut Christi sieht Arndt im Psalter abgebildet 1 7 1 . Damit beschreibt der Psalter „den gantzen geistlichen innerlichen M e n s c h e n . " 1 7 2 Die Ausrichtung auf Christus und sein Reich sowie auf die gläubigen Seelen bestimmt somit die Psalterauslegung Arndts. E s ist für die Frömmigkeit Arndts jedoch charakteristisch, daß die Psalterpredigten mit ihrer Applikation auf das Innere des Menschen, auf das H e r z 1 7 3 mit allen seinen geistlichen Affekten und Bewegungen, und mit ihrer Abbildung der inneren Gestalt der Kirche nicht einer von der Welt abgekapselten, selbstgenüg1617 eine Psalmenerklärung Arndts erschienen sein müsse. J e d o c h schon K o e p p hat diese Annahme zu Recht als sehr unwahrscheinlich zurückgewiesen (76, A n m . 1). In den Vorreden J o h a n n G e r hards und Arndts in der Erstausgabe der Psalterpredigten von 1617 wäre auf eine vorherige, eigenständig veröffentlichte Psalterauslegung gewiß ein Hinweis erfolgt. 1 6 9 „Dazu den der Ehrwirdige und Hochgelahrte H e r r J o h a n n A r n d t . . . mein sonderbarer vielgeliebter H e r r und in Christo Vater/ männiglich gute Anleitung geben wollen/ in deme er nicht allein ermeldten Psalter in öffentlichen Versamlungen der Kirchen an unterschiedenen O r t e n . . . herrlich und deutlich erklären/ sondern auch solche seine geistreiche Erklärung durch den öffentlichen D r u c k auff vielfältiges Anhalten vieler Christliche und zum Himelreich gelehrten Personen/ der Kirchen Gottes mittheilen wollen/ was für herrlichen/ ewiges R u h m s und D a n c k s wirdigen Fleiß er an solche Arbeit gewendet/ wie manche heilige Betrachtung darinnen zu befinden/ wie genaw und fleissig er den Adern des köstlichen Goldes göttlicher W e i ß h e i t . . . nach g e s u c h e t . . . dasselbe wird ein jeder befinden/ welcher diese Erklärung für die Hand nehmen/ und mit gebührender Andacht lesen wird/ da denn das W e r c k den Meister selbst genugsam l o b e n . . . wird." (Vorrede, 1. April 1617, Psalterauslegung, Lüneburg 1643, Bl. a I V b). 1 7 0 Schon im Titel heißt es ja auch ausdrücklich „Meditationes". Man wird an Gerhards eigene Erbauungsbücher denken können, an seine „Meditationes sacrae ad veram pietatem excitandam et interiorem hominis profectum p r o m o v e n d u m " , C o b u r g 1606, oder sein „Exercitium pietatis", C o b u r g 1612. 171 „Denn der Psalter ist anders nichts/ als eine Beschreibung des Reiches Christi mit allen seinen Wolthaten/ und ein lebendiges Contrafect der Kirchen G o t t e s / eine stetige Weissagung v o m Zustand der streitenden Kirche und ihrer Verfolgung unter dem Antichristischen H a u f f e n . " (Vorrede Arndts vom 1. J a n u a r 1617, Psalterpredigten, Lüneburg 1643, Bl. a (6) r). 172

Ebd.

„Sage demnach/ was das H e r t z im Menschen ist/ das ist der Psalter in der Bibel/ denn in keinem Buche der Schrifft das H e r t z der Gläubigen mit allen innerlichen geistlichen Affekten und Bewegungen/ in Liebe und Leid/ in guten und bösen Tagen also abgemahlet uh beschrieben ist als im P s a l t e r . . . Wolte G o t es erkenneten alle Gläubigen ihr H e r t z aus dem Psalter/ und reformirten dasselbe nach diesem C o n t r a f e c t ! " (Vorrede Arndts, a a O . , Bl. b 2 f . ) . 173

J o h a n n Arndts Wirken in Celle

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samen Erbauung das Wort reden. Arndt hat sie vielmehr den Bürgermeistern und Räten der Städte Lübeck, Bremen, Hamburg, Magdeburg und Lüneburg gewidmet 174 . Die am Psalter sich erbauende, innerliche Frömmigkeit drängt nach außen, zur Gestaltung der äußeren Verhältnisse beim Zusammenleben der Menschen im Geist Christi. So entfaltet Arndt in mehreren Predigten das Bild einer wahrhaft christlichen Obrigkeit 1 7 5 , die sich persönlich mit ihrem von Gott gewollten Amt am Vorbild Christi und seinem Reich ausrichtet und im harmonischen Zusammenwirken mit der Kirche die Durchdringung aller gemeinschaftlichen Lebenssituationen mit dem Geist Christi zu ihrer Hauptaufgabe macht. Zu der von Johann Gerhard gerühmten „geistreichen Erklärung" einzelner Psalmen gehört auch die Einbeziehung von Naturbetrachtungen, wie z.B. beim 104. Psalm, womit sich die Psalterpredigten mehrfach mit Betrachtungen aus dem „über naturae" des „Wahren Christentums" verbinden. Auch dieses umfangreichste Werk Arndts erlebte im 17. Jahrhundert verschiedene Auflagen und wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein wiederholt, z . T . in Auszügen, nachgedruckt 1 7 6 . Zu den gesammelten Predigtausgaben Arndts während seiner Celler Zeit gehören schließlich noch die Katechismuspredigten, die zuerst als Anhang zum 4. Teil der Postille in Jena 1616 erschienen sind 177 . Im Vergleich mit den Postillen- und Psalterpredigten zeigen die Katechismuspredigten keinerlei per1 7 4 Arndt begründet dies in seiner Vorrede folgendermaßen: „weil die heilige Christliche Kirche im Psalter einer schönen/ herrlichen/ volckreichen/ wolerbawten/ festen/ weitberühmten Stadt verglichen wird/ da Christus unser König seine Residentz hat." (aaO., Bl. b 2 r ) . „ D a r u m b h a b e . . . ich mit dieser Dedication, den höchsten R u m / E h r e / Zierde/ Schutz und Wolfart löblicher Städte aus den Psalmen wollen zu G e m ü t h führen/ mit herzlicher Bitte zu G o t t / seine göttliche Allmacht wolle alle diese Zierde unnd Herrligkeit des himlischen Jerusalems/ an ewern und allen Christlichen Städten und C o m m u n e n / leiblich und geistlich/ zeitlich und ewig erfüllen. A m e n . " ( a a O . , Bl. b 3 r ) . 1 7 5 In den Psalterpredigten sind es vor allem die Predigten über den 2., 20., 82., 85. und 101. Psalm, die das Bild einer am Vorbild Christi ausgerichteten christlichen Obrigkeit entfalten. 1 7 6 N a c h der Erstausgabe, J e n a 1617, erschienen die Psalterpredigten weiterhin in J e n a 1622 (nach H . W . R o t e r m u n d , Das gelehrte Hannover, l . B d . , 1823, 57, bei K o e p p nicht aufgeführt), 1624 und 1634 (ebenfalls nach Rotermund, a a O . ; bei Koepp nicht aufgeführt), sodann in Lüneburg 1636, 1 6 4 3 / 4 4 (zusammen mit den Katechismuspredigten), 1654, F r a n k f u r t / M . 1665, Lüneburg 1666, 1699, 1710, Frankfurt 1719 (zusammen mit den Katechismuspredigten), Leipzig und G ö r l i t z 1 7 3 4 - 3 6 , Erfurt 1749/50. I m 19. Jahrhundert erschienen sie auszugsweise in F r a n k f u r t / M . 1 8 4 6 / 4 7 (hg. von A . H u t h ) und in Berlin 1858. 1 7 7 Vgl. A n m . 145. - A u c h die Katechismuspredigten sind an mehreren O r t e n gehalten worden, vor allem in Braunschweig und Eisleben. E s handelt sich bei ihnen um drei Predigtreihen, eine längere mit sechzig bzw. siebzig (mit den Predigten über die Haustafel) und zwei kürzere mit je acht Predigten, vermehrt noch mit zehn anderen Predigten. N o c h zu Lebzeiten Arndts erschien eine 2. Ausgabe in Leipzig 1620. Weitere Ausgaben: J e n a 1624 (nach Lipenius, Bibliotheca realis theologica, Frankfurt 1685, 246), 1628, 1630, Lüneburg 1644, F r a n k f u r t / M . 1665, 1670 (nach Lipenius, aaO., 2 4 6 , zusammen mit der Postille) Lüneburg 1709, Frankfurt 1719, Leipzig und Görlitz 1 7 3 4 - 3 6 , Erfurt 1749/50 (zusammen mit den Psalterpredigten), Stuttgart 1771, Frankfurt 1858, Stralsund 1859.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

sönliche Akzentuierungen, weder im Stil noch im Inhalt. Hier kann man von keinem „Modus docendi mysticus" sprechen, wie es Johann Gerhard mit Recht bei den Postillenpredigten getan hat. Diese von der anderen Zielsetzung aus leicht zu erklärende unterschiedliche Predigtweise ist auch für das zeitgeschichtliche Verständnis Johann Arndts als Prediger und Theologe von Bedeutung. Denn wo es vornehmlich um die Vermittlung kirchlich-christlicher Lehre, nicht nur an Kinder, sondern auch an Erwachsene geht, wie es sich die Katechismuspredigten in der Zeit der lutherischen Orthodoxie zur Aufgabe machen, ist Arndt ein lutherisch-orthodoxer Prediger ganz in der lehrhaft-dozierenden Predigtweise der Zeit. Es geht ihm hier zuerst um die möglichst faßliche Darbietung des Lehrstoffs, um die Wissensgrundlage des Glaubens, und diese Zielrichtung ist ganz von der Ubereinstimmung mit der lutherischen Dogmatik bestimmt. Erst wenn diese Grundlage gelegt ist, kann es darum gehen, auch den inneren Menschen anzusprechen, so daß der Glaubensinhalt in einem persönlichen Glaubensleben Gestalt gewinnen kann 1 7 8 . Im Jahre 1617 bestand für Arndt Anlaß, noch eine besondere Lehre grundsätzlich darzubieten, nämlich die Lehre von der Obrigkeit. Herzog Christian hatte in diesem Jahr durch ein Urteil des Reichskammergerichts das Fürstentum Grubenhagen in Besitz genommen 1 7 9 . Die daraufhin zu erfolgende Erbhuldigung wurde in Clausthal, Andreasberg und Lauterberg von Abgeordneten des Herzogs, in Osterode von Herzog Christian selbst eingenommen. Dabei hielt Arndt am 16. September 1617 die Erbhuldigungspredigt in Einbeck und am 19. September die Landtagspredigt in Osterode 1 8 0 . Im Jahre 1618 wurden beide Predigten erstmals zusammen in Celle gedruckt und mit einer ausführlichen, für das Obrigkeitsverständnis Arndts aufschlußreichen Dedikation an Herzog Christian versehen 181 . 1 7 8 Daß es sich hierbei natürlich um eine Wechselwirkung handelt, so daß von der Glaubenserfahrung auch Rückwirkungen auf den Glaubensinhalt ausgehen, ist selbstverständlich. Das Selbstverständnis Arndts als orthodox-lutherischer Theologe gründet aber gewiß in dieser im strengen Sinn zeitlichen Vorordnung der „Lehre" vor dem „Leben". Ein frommes, gottesfürchtiges Leben ohne Lehrgrundlage ist für A r n d t ebenso undenkbar wie eine richtige Lehre ohne praktisches Handeln. - Auch in den Postillen- und Psalterpredigten erfolgt das „docere" in einer logischdeduzierenden A r t und Weise. Während diese aber dann vom Text zu den Hauptlehren der Theologie fortschreiten mit dem Ziel der Erbauung des inneren Menschen, der Applikation an das persönliche Gewissen jedes einzelnen, tragen die Katechismuspredigten den Lehrstoff in knapper, klarer Disposition vor, ergänzt von einer Fülle biblischer Verweise, um ihr Ziel in einer möglichst leicht faßbaren, gedanklichen Aufnahme zu finden. 1 7 9 Nach dem Aussterben der Grubenhagenschen Linie 1596 fiel das Fürstentum zunächst an Herzog Heinrich Julius von Wolfenbüttel, 1 6 1 7 an das Fürstentum Lüneburg (s.u. Abschnitt2, Anm. 63). Herzog Christian beauftragte Johann A r n d t zur Durchführung einer Generalvisitation. Vgl. F. Spanuth, Die Generalvisitation von 1617, in: J G N K G 5 3 , 1 9 5 5 , 4 9 - 7 0 . Die Kirchenordnung von 1581 wurde aufgehoben und durch die Lüneburger Kirchenordnung von 1 6 1 9 ersetzt. 1 8 0 Die Erbhuldigungspredigt hielt A r n d t über Ps 89 und die Landtagspredigt über Ps 82. W i r werden auf diese beiden Predigten unter 4. näher eingehen. 1 8 1 Die beiden Obrigkeitspredigten wurden auch noch in: Johann Arndt, Geistliches Brodtkörb-

Johann Arndts Wirken in Celle

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In unmittelbare zeitliche Nähe zu diesen politischen Predigten Arndts anläßlich des Übergangs des Fürstentums Grubenhagen an das Fürstentum Lüneburg fällt im Herbst 1 6 1 7 ein Ereignis, das die Evangelischen inmitten einer für sie immer bedrohlicher werdenden Lage am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges an die Reformation Martin Luthers erinnern sollte: das Reformationsjubiläum von 1617 1 8 2 . Herzog Christian von Braunschweig-Lüneburg gehört zu den lutherischen Fürsten, denen das Gedenken an den Thesenanschlag Luthers vor hundert Jahren ein besonders wichtiges Anliegen war 1 8 3 . Von Herzog Johann Casimir von Sachsen-Coburg war Herzog Christian über die Festpläne des sächsischen Kurfürsten und der Ernestiner informiert worden. Uber das geplante Vorgehen in seinen Landen gab er in einem Schreiben an Johann Casimir Auskunft 1 8 4 . Schon am 15. Oktober 1 6 1 7 hatte Herzog Christian an Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel 1 8 5 eine aufmunternde Anfrage hinsichtlich des Reformationsgedenkens gerichtet und in gleichlautenden Schreiben auch die Stände des Niedersächsischen Kreises zu diesbezüglichen Aktivitäten aufgerufen. Aus diesen brieflichen Dokumenten geht das ernsthafte Bemühen Herzog Christians hervor, angesichts der von ihm als gefährlich eingeschätzten politischen Gesamtsituation das Reformationsjubiläum nicht in triumphaler Selbstsicherheit, sondern im Sinne eines Büß- und Bettages zu begehen 186 . Die Reaktionen auf die Initiative Herzog Christians waren jedoch nicht sehr ermutigend 187 . lein, Straßburg 1625, abgedruckt und der Ausgabe der Postille, Frankfurt/M. 1675, als Anhang beigegeben. - Vgl. zu den Landtagspredigten F. Arndt, aaO., 129 ff. 182 Vgl. dazu H.-J. Schönstädt, Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 88, Wiesbaden 1978; ders., Das Reformationsjubiläum 1617, in: ZKG, 93. Bd., 1982, Heft 1 (Themenheft Reformationsjubiläen). 183 Der Anstoß zu einem gemeinsamen offiziellen Gedenken der Reformation ging aus konfessionspolitischen Gründen von Pfalzgraf Friedrich V. aus, der damit vor allem den Anspruch der deutschen Reformierten auf gleiche Rechte sichern wollte, da nach den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens nur den Lutheranern die reichsrechtliche Anerkennung als Augsburgische Konfessionsverwandte zugebilligt worden war. Vgl. dazu Schönstädt, Das Reformationsjubiläum 1617, aaO., 6. 184 St A C o b u r g : Kons. 401, fol. 1 a: Christian von Braunschweig-Lüneburg an Johann Casimir von Sachsen-Coburg vom 30.10. 1617, nach Schönstädt, Das Reformationsjubiläum 1617, 16, Anm. 81. 185 L A Braunschweig: Akten des Konsistoriums Wolfenbüttel S 1439, fol. 36f.: Christian von Braunschweig-Lüneburg an Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel vom 15.10. 1617, nach Schönstädt, Antichrist, aaO., 70. - Bei Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel handelt es sich jedoch nicht, wie Schönstädt irrtümlich annimmt (aaO., 70 und „Das Reformationsjubiläum", aaO., 17) um den Sohn Herzog Christians, sondern um den Sohn von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel. 186 Sinn des Jubiläums sei es, Gott zu bitten, „bei solchem gefährlichen zustande, seine Christliche Kirche, seiner Göttlichen Versprechung nach, wieder des laidigen Teuffels und seines anhangs grimmiges wueten und toben, Ihme zu Preiß, Lob und ehren, in guter stille und ruhe, bis an das ende der Welt ferner gnediglich zuerhalten." Zitiert nach Schönstädt, Antichrist, aaO., 70, Anm. 319. 1 8 7 Zu den Antwortschreiben an Herzog Christian vgl.: HStA Hannover: Celle Br. 48a Nr. 14.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Überblicken wir die Predigtwerke, die Johann Arndt als Celler Generalsuperintendent herausgab, so wird aus ihrem historischen Entstehungshintergrund die enge Verbindung deutlich, die zwischen ihm und seinem Herzog bestanden hatte. Nicht nur bei der Generalkirchenvisitation und der Neuausgabe der Kirchenordnung, sondern auch bei der Zusammenfassung des Lebenswerkes Arndts in seinen großen Predigtwerken kann sich das Wirken Arndts unter dem fürstlichen Schutz und der allseitigen Beförderung durch Herzog Christian voll entfalten. Zumindest die Herausgabe der Postille und die beiden politischen Predigten Arndts sind von Herzog Christian direkt beeinflußt. Aber nicht nur zu Lebzeiten Arndts hat sich Herzog Christian für dessen Werk eingesetzt; auch in den erst nach seinem Tod voll ausbrechenden Arndtschen Streitigkeiten 1 8 8 hat sich der Celler Herzog zu seinem ehemaligen Generalsuperintendenten bekannt. Johannes Wallmann hat die kräftige Unterstützung Johann Arndts durch Herzog August d.J. zu Braunschweig-Lüneburg während des schon durch die Danziger Streitigkeiten bestimmten letzten Lebensjahres Arndts und dann vor allem z.Zt. der Arndtschen Streitigkeiten 1 6 2 3 - 1 6 2 5 historisch konkretisiert und die Formel vom „Schutzherrn des wahren Christentums" in bezug auf Herzog August „glücklich und treffend" genannt 189 . In einem weiteren Sinn hatte J.J. Berns 1 9 0 mit diesem Begriff die Haltung der vielen Arndtbewunderer gegenüber Herzog August - Andreae 1 9 1 , Saubert, Dilherr, Gesenius, Auch die Städte Braunschweig und Lüneburg sowie Bremen haben weitgehend ausweichend auf die Jubiläumsinitiative Herzog Christians reagiert. Vgl. Schönstädt, Antichrist, aaO., 83 und Das Reformationsjubiläum 1617, aaO., 17ff. 1 8 8 Zu den Arndtschen Streitigkeiten vgl. Koepp, 101 ff. Die ältere Literatur bei J . G . W a l c h , Historische und Theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Bd. III, 1735,171-241; vgl. jetzt die Hinweise von J. Wallmann, Herzog August als Gestalt der Kirchengeschichte, aaO., 23 f., Anm. 37. 1 8 9 Wallmann, Herzog August, aaO., 23. 190 J . J . B e r n s , Herzog August und die Frömmigkeit, in: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579-1666, Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek Nr. 27, Braunschweig 1979, 365. 191 Noch in die letzten Lebensjahre Arndts geht die für das Werk Johann Valentin Andreaes so wichtige Beziehung zu Johann Arndt zurück. Schon 1615 hat Andreae einen summarischen Auszug aus dem „Wahren Christentum" angefertigt und Arndt mit einem Schreiben zugesandt. („Christianismus g e n u i n u s . . . " , Straßburg 1615 und „Similia ex Christianismo genuino J o h . A r n d i i . . . " , Straßburg 1621). Die berühmte „Christianopolis", Straßburg 1619, hatte Andreae Arndt gewidmet. Zum Obrigkeitsverständnis Andreaes, das sich mit demjenigen Arndts vielfach berührt, vgl. M . K r u s e , Speners Kritik, 82-117. Aus der in letzter Zeit reichlich angewachsenen AndreaeForschung (für die Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jahrhunderts einschließlich der Wirkungsgeschichte von Arndts Schriften kommt J. V. Andreae ja auch eine besondere Bedeutung zu) sei hier nur auf die Ausgabe der „Christianopolis" durch Richard van Dülmen, Stuttgart 1972 (Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte, Bd. 4, hg. von M. Brecht und G. Schäfer), vor allem 13 f., hingewiesen sowie auf M. Brecht, Kirchenordnung und Kirchenzucht in Württemberg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen z. Württ. KG, Bd. 1), Stuttgart 1967 und ders., Philipp Jakob Spener und das Wahre Christentum, aaO., bes. 149 und seine biographische Darstellung Andreaes in den Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 7,121-135.

Johann Arndts Wirken in Celle

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Hoburg und Lütkemann - umschrieben. Wallmann machte deutlich, daß die Verfasser von zwei umfangreichen und wirkungskräftigen Verteidigungsschriften für Arndt als Entgegnung zu dem Arndt-Angriff durch Lucas Osiander II. 1 9 2 in unmittelbarer Beziehung zu Herzog August standen: Heinrich Varenius war sein Hofprediger in Hitzacker und Melchior Breier sein Leibarzt 1 9 3 .

e) Herzog Christian als „Schutzherr" Johann

Arndts

Auch bei Herzog Christian wird man von einem besonderen fürstlichen Schutz sprechen können, den er dem umstrittenen und doch so kräftig weiterwirkenden Werk Johann Arndts angedeihen ließ. Das für die Rezeption Arndts in der lutherischen Orthodoxie und im Pietismus (vor allem in der Theologie Speners) bedeutendste Werk stellt die Apologie des Heinrich Varenius dar 1 9 4 . Der 1. Teil dieses umfangreichen Werkes wird eingeleitet mit einer Widmung an Herzog Christian und seine Brüder; die Vorrede zum 2. Teil ist Herzog August gewidmet. Den Auftrag zur Verteidigung Arndts gegenüber den Angriffen Osianders erhielt Varenius von den lüneburgischen Herzögen, die sich der Bedeutung Arndts vollauf bewußt waren und für sein Werk ihren fürstlichen Einfluß geltend machten. In seiner Vorrede weist Varenius auf die empfehlende Vorrede Johann Gerhards zu Arndts Postille hin 1 9 5 und nimmt Bezug auf das Generalsuperintendentenamt Arndts im Fürstentum Lüneburg 1 9 6 . Die Bücher vom wahren Christentum haben „mächtige und ansehnliche Patronos von nöthen", die sie „in ihr hochansehnliches Fürstliches patrocinium gnädig auffnehmen." 1 9 7 Neben Herzog August hat sich dieser Aufgabe auch der regierende Fürst im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, Herzog Christian, tatkräftig angenommen. Er beauftragte am 24. Mai 1624 den Superintendenten Christoph Friccius in Bardowick, den Arndt persönlich gekannt hatte 1 9 8 , mit der Widerlegung der Schrift Osianders. Es kam auch zur Ausfüh1 9 2 Lucas Osiander, Theologisches Bedencken Vnd Christliche Treuhertzige Erinnerung welcher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb nach Anleitung deß H . W o r t s Gottes vund der reinen Evangelischen Lehr vund Bekandtnüsse anzusehen, Tübingen 1623. 1 9 3 S. Wallmann, H e r z o g August, aaO., 24. Zu Breier s. auch H . Schneider, Johann Arndt und die makarianischen Homilien, in: Makarios-Symposion, hg. von W . Strothmann, Wiesbaden 1 9 8 3 , 1 9 6 , A n m . 62. 1 9 4 „Christliche/ Schrifftmässige/ wolgegründete Rettung der Vier Bücher v o m wahren Christenthumb des seligen... Theologi H.Johannis A r n d t e n . . . D . L u c a e Osiandri Theologischem Bedencken entgegengesetzt", Lüneburg 1624. 8° 624 + 430, Signatur: Th 2708, H A B Wolfenbüttel. Zu dieser umfangreichen Arndt-Apologie vgl. J. Wallmann, Herzog August, 28ff. und M . Brecht, Ph. J. Spener und das Wahre Christentum, aaO.

i « Vorrede, Bl. b 5 f. 1 9 6 „ . . . i s t auch der seliger H e r r J o h . A r n d t e n . . . E . F . G . sämptlicher und getrewer diener gewest." (Bl. cj.). 197

Bl. c 2 .

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E r ist derselbe, mit dem Arndt 1615 einen Briefwechsel hatte, s.u. S. 162, A n m . 127.

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D i e christliche Obrigkeit in den Predigten J o h a n n Arndts

rung des herzoglichen Auftrags, jedoch nicht zur Drucklegung dieser Verteidigung Arndts. Der Grund dafür lag vermutlich in den vorsichtigen, zurückhaltenden Äußerungen, die Friccius hinsichtlich bestimmter dunkler und mißverständlicher Wendungen Arndts machte, obwohl er die Angriffe Osianders auf Arndt insgesamt deutlich abwies und die Selbstverteidigung Arndts in seiner Repetitio Apologetica vollauf ausreichend fand 199 . Herzog Christian hatte schon vorher eine andere Initiative für Arndt ergriffen, die seinen Generalsuperintendenten in der ganzen Breite der theologischen Öffentlichkeit zugänglich machen sollte: eine lateinische Ausgabe der Bücher vom wahren Christentum. Dieses Unternehmen, zu dem der Herzog bei der theologischen Fakultät in Jena um Druckerlaubnis bat, führte jedoch zunächst dazu, daß die Jenaer Fakultät in der Antwortzensur vom 10.7. 1623 zum Aufschub geraten hat 2 0 0 . Johann Gerhard mag hierbei wohl die treibende Kraft gewesen sein; der Schutz Arndts vor falscher Berufung auf ihn ist das Motiv für 1 9 9 Vgl. auch K o e p p , 117 und J . Wallmann, H e r z o g August, 29. - Auch K o e p p , der die vorsichtige Distanzierung gegenüber Arndt hier wie auch bei dem Nachfolger Arndts in Celle, Johannes Wezel, besonders hervorhebt - m . E . überzeichnend und in der Grundtendenz nicht richtig interpretiert, - muß zugeben: „ D e r H e r z o g Christian selbst suchte den verstorbenen Generalsuperintendenten seines L a n d e s . . . auf jede Weise zu schützen." (117). O f f e n b a r waren schon vorsichtig-zurückhaltende Wendungen gegenüber Arndt für den H e r z o g ein A n l a ß , von einer Drucklegung Abstand zu nehmen, um Mißverständnissen vorzubeugen. Die Schrift von Friccius „Bedencken über des sei. Herrn Johannis Arndten Bücher vom wahren Christenthumb, und D . L u c a e Osiandri Bedencken über solche B ü c h e r " , wurde aus dem Manuskript erst gut hundert Jahre später gedruckt von H . J . Bytemeister, Commentarius Historicus de Vita, Scriptis et Meritis Supremorum Praesulum in Ducatu Lunaeburgensi, Helmstedt 1728, 9 8 - 1 2 1 .

Die etwas zurückhaltenden Äußerungen gegenüber Arndt bei Friccius sind nach K o e p p auch bei Johannes Wezel zu finden. Dieser fand sich gleich bei seinem Amtsantritt in Celle in die Streitigkeiten hineinversetzt, die sich an die Bücher vom wahren Christentum seines Vorgängers anschlössen. V o n seiner Stellungnahme gegenüber Arndt hing nicht wenig ab, denn sowohl für die Arndtgegner wie Arndtfreunde war das Urteil über Arndt in seinem eigentlichen Wirkungsbereich von erheblicher Bedeutung. Die schon im Todesjahr Arndts begonnene, sich in mehreren Apologien fortsetzende, lebhafte Verteidigung seines Werkes durch den Lieblingsschüler des alten Arndt und Nichttheologen Melchior Breier fand offenbar bei Wezel wenig Sympathie (gl. K o e p p , 117; Zu M . Breier vgl. Wallmann, H e r z o g August, 24 ff.). Das aber heißt nicht, daß sich W e z e l von seinem Vorgänger Arndt inhaltlich distanzierte. I m Gegenteil. An der A r t der Verteidigung Arndts durch Breier nahm W e z e l A n s t o ß , noch mehr aber an den Angriffen Osianders auf Arndt. A m 11. D e z e m ber 1623 sandte Wezel Osianders Angriffe an J o h a n n Affelmann, Theologieprofessor in R o s t o c k , mit dem Befehl des H e r z o g s Christian, die Anklagen genau zu begutachten. Hier wie in verschiedenen weiteren Briefen zwischen 1622 und 1624 spricht sich Wezel deutlich für Arndt aus, wenn er auch bedauert, daß Arndt öfters neuartige Redewendungen benutze, die Mißverständnisse auslösen können. An der rechten Lehre habe aber Arndt zeit seines Lebens immer festgehalten. Vgl. auch R . Steinmetz, D i e Generalsuperintendenten von Lüneburg-Celle, Sonderbuch aus Z G N K G , 1915, 89 f. 2 0 0 Koepp, 119, spricht von Verweigerung der Druckerlaubnis, was unrichtig ist. D a s Jenaer Gutachten stellt Arndt ein voll mit der orthodoxen lutherischen Theologie übereinstimmendes Lehrzeugnis aus. N u r bei bestimmten Redensarten im 3. Buch vom wahren Christentum wird die Sorge zum Ausdruck gebracht, daß die lateinische Ubersetzung Mißverständnisse hervorrufen und falsche Berufungen auf Arndt bewirken könne, die gegen seine Intentionen gerichtet sind.

Johann Arndts Wirken in Celle

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die vorsichtige Zurückhaltung gegenüber der mißverständlichen lateinischen Übersetzung des wahren Christentums 2 0 1 . Schließlich gibt es noch ein weiteres Zeugnis für die tatkräftige Unterstützung, die Herzog Christian dem Werk Arndts entgegenbrachte. Im Jahre 1624 hatte der Rat der Stadt Lüneburg den Druck der Arndt-Apologie des Varenius im Sternverlag untersagt. Die Gebrüder Stern wandten sich daraufhin direkt an den Landesherrn. Herzog Christian antwortete am 14. April 1624 mit einem Mandat, so daß das Werk erscheinen konnte 2 0 2 . Das Wirken Johann Arndts als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg stand von Anfang an unter dem Stern besonderer fürstlicher Gunst. Auch gerade in der Zeit der sogenannten Arndt'schen Streitigkeiten haben die Braunschweig-Lüneburgischen Herzöge, insbesondere Herzog August und Herzog Christian, ihr „patrocinium" über das Werk Arndts ausgeübt und damit nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß sich die an Arndt anschließende Frömmigkeitsbewegung wirkungskräftig weiterentfalten 203 und ihren Platz innerhalb des lutherischen Landeskirchentums wie in der Theologie der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts behaupten konnte. Auf diesem Fundament konnte dann der Pietismus Philipp Jakob Speners und der lutherische Pietismus nach ihm aufbauen und mit neuen Akzenten die Impulse Arndts einer neuen Zeit weitergeben.

201 Von einer ersten deutlichen Absetzung Johann Gerhards gegenüber Johann Arndt wird man aufgrund dieses Jenaer Gutachtens über die lateinische Übersetzung des „Wahren Christentums" m. E. nicht sprechen können, wie Wallmann bemerkt, Herzog August, 29, A n m . 70. Erst in dem Brief Gerhards vom 2 . 2 . 1625 an Nikolaus Hunnius (E.R.Fischer, Vita Johannis Gerhardi, 1723, 14 ff.) findet sich deutliche Kritik an der subjektivistischen Tendenz der Schriften Arndts. Schließlich kam es dann doch 1625 zu der von Herzog Christian gewünschten lateinischen Ausgabe: (M. Breier), Rev. D.Johannis Arnd, de Vero Christianismo Libri Quatuor, Nunc primum Latine editi, in gratiam exterorum id efflagitantiam, Lüneburg (Sterne) 1625. 12° 358 + 416 + 127 + 211 S. 2 0 2 In der Antwort Herzog Christians an den Rat der Stadt Lüneburg vom 14.4. 1624 heißt es: „Wir wurden glaubhaft berichtet, daß ihr nicht zugeben oder verstatten wollet, daß die Sterne Magistri Henrici Varenii scriptum, darinnen Dt. Lucae Osiandri wider unsers gewesenen Generalsuperintendenten, Herrn Johann A r n d t s . . . wahrem Christenthumb, in offenem druck puclicirtes buch, refutiret, drucken sollen. Nun wissen wir nicht, was ihr diesemwege Bedenken undt uhrsache habet, zumahl, weill es zu erhaltung seiner inn unsern Landen öffentlich geführeten Lehre und zu unsern eigenen reputation und respect gereichet... Und begehren demnach hiermit gnediglich, Ihr wollet gedachten Stern an Druck und Verfertigung solcher refutation keine Verhinderung thun." ( N L B Hannover, Ms. XXIII, 902: Lüneburgische Stadtnachrichten, Bd. 5: Apologia undt Schutzschrifft der Sterne, 1644, Beilage 4). Vgl. auch Wallmann, Herzog August, 31, Anm. 79 und Horst Heuer, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert und seine Eingliederung in den Fürstenstaat, Phil. Diss. Hamburg 1969, Masch., 127f. 2 0 3 Für die Wirkungsgeschichte Arndts in der Kirchenmusik, inbesondere im Blick auf das Werk Johann Sebastian Bachs, s. M. Petzoldt (Hrsg.), Bach als Ausleger der Bibel, Göttingen 1985.

182

Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

3. Die Obrigkeitspredigten

in der

a) Das Fundament und Amt der Obrigkeit Obrigkeitsverständnis

Evangelienpostille

- Die Grundrichtung

von Arndts

In den Evangelienpostillen des 16. und 17. Jahrhunderts ist es vor allem das Evangelium vom Zinsgroschen (Mt 22,15-23) für den 23. Sonntag p.Tr., das traditionell die biblisch-neutestamentliche Grundlage für die Lehre von der Obrigkeit darstellt 204 . Zu dieser Perikope enthält die Arndtsche Postille 2 0 5 drei Predigten. Schon das Exordium zu der ersten Predigt läßt erkennen, welch hohe Bedeutung Arndt der weltlichen Obrigkeit zumißt: „Unter allen Straffen/so Gott der Allmächtige hat ergehen lassen über die Boßheit der Welt/sind fast die schrecklichsten/damit Gott der Herr den Frevel und Ungehorsam/und Auffruhr wider die Obrigkeit gestrafft hat." 2 0 6 Dieser Auftakt zu einer Predigt über das Evangelium vom Zinsgroschen zeigt auch bereits die Richtung an, in der Arndt sein gesamtes Obrigkeitsverständnis entfaltet. Gott als die höchste Obrigkeit und die weltliche Obrigkeit werden ganz besonders eng aufeinander bezogen. Der göttliche Beistand ist zunächst darin begründet, daß die Obrigkeit Gottes Ordnung und Mittel seiner Herrschaft in der Welt ist. Diese Standortbestimmung der Obrigkeit im Rahmen von Gottes Schöpfung und Erhaltung der Welt findet bei Arndt ihren traditionell-lutherischen Ausdruck gerade auch bei diesem Text: „Allhie hat nun der Herr bestetiget die weltliche Obrigkeit. Und diß ist das Fundament dieses Standes/daß die Unterthanen erkennen/daß die Obrigkeit aus Gott/durch Gott/und von Gott s e y . . . Wer diesen Grund/Gottes Ordnung umbstossen sol/der muß mehr seyn denn Gott." 2 0 7 Aber nicht nur durch die göttliche Herkunft und Herrschaft ist der obrigkeitliche Stand bestätigt und geschützt. Er erhält seine besondere Würde bei Arndt vor allem durch den Schutzherrn Christus. Die Aufstände und Anschläge gegen David werden typologisch auf den listigen Anschlag der Pharisäer und der Leute um Herodes gegen Christus bezogen. Indem Christus seine Feinde aus dem Feld schlägt, macht er auch die Anschläge gegen die Obrigkeit zunichte und erweist sich als „der Obrigkeit ihr Advocat und Patron." 2 0 8 Dieser Ausdruck weist sehr deutlich auf die bedeutsame Funktion hin, die die Obrigkeit im Denken Arndts einnimmt. Nicht nur in dem Schöpfungs- und Erhaltungswillen Gottes hat die Obrigkeit ihr unumstößliches Fundament, sondern vor allem in 2 0 4 Vgl. die Übersicht, die M. Kruse, Speners Kritik, 33, A n m . 95, über die Fülle der Postillenausgaben des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts gibt. M t 2 2 , 1 5 - 2 2 spielt auch in den Predigten Luthers eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung und Anwendung seiner Lehre von den zwei Regimenten, vgl. W A 10 III, 4 2 8 ^ 3 2 ; 1 1 , 2 0 0 - 2 0 3 ; 1 7 1 , 4 6 4 - 4 6 9 ; 2 0 , 5 3 5 - 5 3 9 ; 2 7 , 6 4 - 6 8 , 4 1 2 - 4 1 9 ; 29, 5 9 8 - 6 0 5 ; 32, 1 7 8 - 1 8 7 ; 3 7 , 1 9 5 - 1 9 7 , 5 3 8 - 6 0 4 . 2 0 5 W i r benutzen im folgenden die Ausgabe Lüneburg 1644/45.

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451 f.

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Die Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille

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der Herrschaft Christi. Christus und die weltliche Obrigkeit stehen in gemeinsamer Abwehr gegen die Bosheit der Welt und die listigen Machenschaften im Reich des Teufels. Die Obrigkeit empfängt von Christus in diesem Kampf die entscheidende Hilfe. Es ist wichtig, diesen Ansatz im Obrigkeitsverständnis Arndts schon jetzt wahrzunehmen, denn von hier aus ist die Grundrichtung bestimmt, von der die einzelnen Teilaspekte zusammengehalten werden. Die Bestätigung der Obrigkeit als ein Stand, in dem man Gott recht dienen kann, erfolgt seit Luther in der reformatorischen Theologie gegen eine zweifache Front: gegen die mittelalterlich-katholischen Ansprüche in der Papstkirche und gegen die Infragestellung der weltlichen Obrigkeit durch die sog. Schwärmer, insbesondere die Täufer. Auch bei Arndt spielt diese doppelte Abwehrhaltung in seinem Obrigkeitsverständnis eine Rolle. Aber es ist bezeichnend, daß diese in der älteren lutherischen Theologie sonst breit geführte polemische Absicherung der Obrigkeit bei ihm auffallend zurücktritt. Er geht vielmehr von dieser ihm gesichert erscheinenden Ausgangslage aus und von hieraus einen entscheidenden Schritt weiter. Nicht nur als Ordnungsmacht gegen Chaos und Willkür, sondern vor allem als Gestaltungskraft des christlichen Lebens und Stärkung der von Christi Geist erfüllten Menschen, hat die Obrigkeit ihre von Gott gewollte Bestimmung. In dem Kampf Christi gegen die widergöttlichen Mächte kommt der weltlichen Obrigkeit eine besondere Bedeutung zu. D a dieser Kampf nicht mit weltlicher Macht, sondern mit geistlichen Mitteln geführt wird, steht an der Spitze aller ihrer Pflichten die cura religionis. Die Predigten über das Evangelium vom Zinsgroschen, aber auch die anderen Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille zeigen deutlich, wie sehr Arndt an der Zuordnung und am Zusammenwirken, nicht an der Unterscheidung der weltlichen und göttlichen Obrigkeit interessiert ist. Das darf freilich nicht dahingehend mißverstanden werden, als habe Arndt die Grenze zwischen Gott/ Christus und Welt/Mensch verwischen wollen. Die weltliche Obrigkeit ist ja nur insofern ein Mittel für die Herrschaft Christi in der Welt, als diese sich ihr gegenüber zutiefst dankbar und gehorsam erweist. Gerade der hohe Anspruch an die Obrigkeit impliziert ihre Abhängigkeit von dem göttlichen Auftrag und die Gefahr ihres rettungslosen Sturzes, sobald sie sich eigenmächtig gegen ihre Indienstnahme zur Wehr setzen sollte. Die Zuordnung hat also ihre Voraussetzung in einer strengen Unterordnung der weltlichen unter die göttliche Gewalt. Ihr entspricht die sich durch alle Obrigkeitspredigten Arndts hindurchziehende intensive Gehorsamsforderung sowohl an die Obrigkeit wie an die Untertanen. Mit dieser allgemeinen, umrißhaften Kennzeichnung von Fundament und Amt der Obrigkeit im Sinne Arndts ist die Grundrichtung anvisiert, in der sich sein Obrigkeitsverständnis nun im einzelnen entfaltet.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

b) Gottesfurcht Regiment

und Gerechtigkeit

- die beiden Hauptsäulen

für ein gutes

Religio und j u s t i t i a - auf diesen beiden Hauptsäulen ruht ein gutes Regiment. Arndt kann diese Doppelheit auch in eine Vierheit fassen: Gottseligkeit, Gerechtigkeit, Gnade und Barmherzigkeit und Friedfertigkeit 2 0 9 . Die Gottesfurcht bzw. Gottseligkeit steht bei allen Beschreibungen obrigkeitlicher Amtspflichten stets an erster Stelle. Was versteht Arndt unter dieser obersten Pflicht der Obrigkeit? In Berufung auf ausschließlich alttestamentliche Belegstellen faßt er sie in drei Schwerpunkten zusammen: „1. Die reine Lehr und Schutz der Kirchen (in Berufung auf Ps. 2 und Jesaja 49,23); 2. das Exempel der Gottseligkeit/dadurch die Unterthanen zur Gottesfurcht bewogen werden ( 2 . K ö n . 23, Erneuerung des Bundes mit Gott durch Josia) und 3. Gehöret zur Religion/das die Obrigkeit fleissig und unauffhörlich bete/und ihr Regiment und Ampt mehr durch beten führe und außrichte/den durch menschlichen Verstand." 2 1 0 Arndt beschreibt hier einen für ihn feststehenden Tatbestand, d.h. den Umfang und Inhalt des obrigkeitlichen Amtes, wie er sich auf die eine Säule des Regimentes, die Religion, bezieht. Es geht ihm um die Lehre 2 1 1 vom Amt der Obrigkeit, von der aus er seine Hörer erinnert und ermahnt. Diese Aufzählung macht bereits deutlich, welches Gewicht Arndt dem religiös-kirchlichen Aufgabengebiet der weltlichen Obrigkeit beilegt. Es ist durchaus möglich, in den Formulierungen dieser Predigtsprache die Begriffe der lutherischen Dogmatik wiederzuerkennen, in denen vor und zur Zeit Arndts die cura religionis der Obrigkeit beschrieben wird. Beide seit Melanchthon in diesen Begriff aufgenommene Vorstellungen von der Obrigkeit als „custos utriusque tabulae" und „membrum praecipuum ecclesiae" können in diesen drei Aufgabenbeschreibungen des obrigkeitlichen Amtes wiedergefunden werden 2 1 2 . Aber Arndt braucht sich dieser, von den Notwendigkeiten der theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der Zeit bestimmten Begrifflichkeit in seinen Obrigkeitspredigten nicht zu bedienen 2 1 3 , wenn er seine „Politische L e h r e " 2 1 4 über Obrigkeit und Untertanen vorträgt. Sie steht ja ganz im Dienst der Ermahnung und Erbauung der Gemeinde. In diesem Zu209

4 52 und 455 (Religio und Justitia in der 1. und 2. Predigt über Mt 22).

210

4 5 5 f . mit Beispielen von Mose, Josua, Hiskia, David und Salomo.

211 „Weil denn diß Evangelium die weltliche Obrigkeit herrlich bestetiget/ wollen wir auff dißmal die Lehre vom A m p t der Obrigkeit und Unterthanen kurtz wiederholen." (2. Predigt über Mt 2 2 , 1 5 - 2 2 , 4 5 3 ) . 2 1 2 Für Johann Gerhards Loci theologici vgl. F. Schenke, Der Kirchengedanke Johann Gerhards und seiner Zeit, Gütersloh 1931 und M . Honecker, Cura religionis, vor allem 105ff. Zu Melanchthons Obrigkeitslehre s. J . H e c k e l , Cura religionis - Ius in sacra - Ius circa sacra, Nachdruck Darmstadt 1 9 6 2 , 6 - 3 2 . 2 1 3 E r tut es auch faktisch nicht, im Gegensatz zu vielen orthodoxen Obrigkeitspredigten, in denen oft auf die „custodia utriusque tabulae" Bezug genommen wird. 2 1 4 In der 1. Predigt über das Ev. vom Zinsgroschen heißt es lapidar: „Bescheidentlich und weißlich handelt der H e r r / daß er ihm die Müntze zeigen lasset/ uii gibt uns allhie eine Politische

Die Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille

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sammenhang muß der stark betonte Beispielcharakter der persönlichen Gottesfurcht des Regenten gesehen werden: „Gesetze sind Gut/aber Exempel ist ein lebendig Buch." 2 1 5 Die persönlich gelebte Gottesfurcht der Regenten ist in ihrer Ausstrahlungskraft auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens die wichtigste politische Tugend der Obrigkeit. Sie schließt die Forderungen des Verstandes selbstverständlich ein, der aber nicht aus sich selbst, sondern erst dann hilfreich für das Ganze wird, wenn er vom Vertrauen auf Gott erleuchtet ist. Mit dem großen Anliegen einer Einheit von Gedanke und Tat im Verständnis der Gottesfurcht kann Arndt natürlich „die reine Lehr und Schutz der Kirchen" durch die Obrigkeit nicht als eine nur äußerliche, passive Ermöglichungshaltung verstehen. Wie weit bei solcher Einschärfung der Pflichten einer frommen Obrigkeit dann auch ihre möglichen Rechte gehen, vor allem im Blick auf das Predigtamt und dessen Rechte und Pflichten, ist eine unserer Hauptfragen an das Obrigkeitsverständnis Arndts. Wir wollen sie aber hier noch zurückstellen, um zuvor die anderen Amtspflichten der Obrigkeit unter dem Stichwort der justitia zu bedenken. Was für die Gottesfurcht gilt, gilt auch für die sog. andere Säule des Regiments, die Gerechtigkeit. Mit Ps 85 und 101 wird die persönlich verantwortete Gerechtigkeit hervorgehoben 2 1 6 . Sie ist bei Arndt vor allem auf die sozialen Verhältnisse bezogen, so daß die Thematik der Obrigkeit nicht nur bei den Landtagspredigten 2 1 7 , sondern auch in der Evangelienpostille stets mit einer beachtlichen Sozialkritik verbunden ist. Als persönliche Gewissensforderung an den einzelnen Fürsten versteht er die Gerechtigkeit: „Gleich wie auff einer Wage Gold und Silber gewogen wird/und ein Pfund Bley so schwer ist als ein Pfund Goldes: So sol bey dir das Recht der Armen so schwer seyn/als des Reichen/die Gerechtigkeit begreifft die weltlichen Gericht in sich/un die Straffe derer/so unrecht thun" 2 1 8 . Bei der traditionell lutherisch-orthodoxen Fassung der Gerechtigkeit als Schutz der Frommen und Strafe der Bösen im Pflichtenkatalog der Obrigkeit geht es bei Arndt um eine Verantwortung, die es mit der Hilfe für die Frommen und politisch Schwachen sehr ernst meint. In der 15. Passionspredigt (Jesus und Pilatus) heißt es: „Eine Obrigkeit ist nicht allein schuldig/die Bösen zu straffen/sondern auch die Unschuldigen zu erretten/und für Gewalt zu schützen. Wenn eine Obrigkeit weis/daß einer unschuldig ist/ und errettet ihn nicht/so ist sie der Mörder/der ist nicht allein ein Mörder der Blut vergeust/sondern der einen nicht errettet/wen ers thun kan/der ist auch ein

Lehre/ wer in einem Lande oder Stadt müntzet/ der ist Herr drinnen/ und Obrigkeit/ und denselben ist man Gehorsam und Schoß schuldig." (451). 2 1 5 456. 2 1 6 „Da muß die Obrigkeit nun sehen/ daß sie nicht allein das Recht habe/ sondern selbst practicire/ und sich durch Geschenck nicht bewegen lasse." (452). 2 1 7 S. u. 4. Abschnitt. 2 ] S 452.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Mörder." 2 1 9 Diese am Vorbild des Propheten Nathan gegenüber David ausgerichtete Obrigkeitskritik beruft sich oft auf die prophetische Anklage: „Die Propheten klage darüber/daß man nit habe den elenden/Armen/den Untergedruckten/den Witwen/Waisen/Fremblingen geholffen/sie errettet/unnd ihnen Recht verschaffet. Und das sind die rechten Verwüstungen der Länder." 2 2 0 Die Aufforderung zur Gerechtigkeit im obrigkeitlichen Amt bleibt bei Arndt aber nicht bei einer bloßen Anklage stehen, sondern hat ihren Zielpunkt in der Verheißung des erfahrbaren göttlichen Schutzes: „Wann nun die liebe Obrigkeit ihren Unterthanen getrewen Schutz leistet/so schützet sie unser lieber Gott wieder gantz wunderlich/daß sie spüren können/Gott erhalte un regiere sie durch seine Weißheit und Gerechtigkeit... Auff daß die Obrigkeit sehe solle/ daß nicht durch ihre menschliche Weißheit un Stärcke die Regimente erhalten werden/sondern durch Gottes Weißheit und Schutz.. ," 2 2 1 Neben die so verstandene Gerechtigkeit treten die Regimentstugenden der Gnade und Barmherzigkeit, Gütigkeit und Friedfertigkeit. In ihnen erst erfährt das Amt der Obrigkeit unter dem Oberbegriff der justitia seine eigentliche Bestimmung. Arndt steht hierin ganz in der altlutherischen Tradition eines patriarchalischen Obrigkeitsverständnisses, bei dem das Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen nur in lebendigen persönlichen Beziehungen gesehen wird 2 2 2 . Die auf den einzelnen ausgerichtete, persönliche Regierungstätigkeit der Regenten in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hält dennoch das Ganze der aus bestimmten Verhaltensweisen bestehenden Beziehungen wie in einem großen Familienverband zusammen, so daß jeder an seiner Stelle den Sinn solcher Ordnung erfahren kann. Das Effektive dieser notwendigen Verbindung von Gerechtigkeit und Gütigkeit für das Gemeinwohl wird mehrfach hervorgehoben: „Dabey nicht wenig Nutz schaffet/daß Obrigkeit den Unterthanen mit Freundligkeit begegnet/sie gerne höret." 2 2 3 Vor allem in der Förderung des Gehorsams der Untertanen und der Einigkeit des Staatswesens sieht Arndt den Nutzen der durch die Barmherzigkeit zum Ziel kommenden Gerechtigkeit. Aber diese mit Ps 85 herausgestellte Zuordnung von Gerechtigkeit und Frieden bzw. Güte ist weit entfernt von einem etwa nur funktional-pragmatischen Verständnis obrigkeitlicher Pflichten im Dienste eines abstrakten Staatsganzen. Von dieser einer späteren Zeit angehörenden Denkweise aus ist Arndt nicht zu verstehen. Vielmehr hat die Vereinigung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in der Amtsführung einer from219

611. 4 56. 2 2 1 Ebd. 2 2 2 „Eine gute Obrigkeit ist nichts anders/ den ein guter Hausvater." (452). „Bruder/ ja Vater und Kinder sind Obrigkeit und Unterthanen..." (460). Mit dieser rein personalen Auffassung steht A r n d t neben Johann Gerhard, s. auch F. Schenke, Der Kirchengedanke, 60. 2 2 3 4 5 7. - A r n d t steht hierbei in der Tradition von „Billigkeit" in der reformatorischen Sozialethik. 220

Die Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille

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men Obrigkeit ihren Zielpunkt in der gläubigen Gewißheit der Einheit des Leibes Christi. Hier erst kommt das Hauptanliegen Arndts bei den Amtspflichten der Obrigkeit unter dem Oberbegriff der justitia zum eigentlichen Ausdruck. In der zweiten Predigt über Mt 22 heißt es gegen Ende der Lehre vom Amt der Obrigkeit: „Was ist ein Leib ohne Häupt? Was ist ein Leib ohne Auge? Das dienet dazu/daß sich das Häupt mit den Gliedern vereiniget/sonst werde die Glieder vom Häupt getrennet/un wird der gantze Leib zunichte. Stehet nicht unser höchster Trost darin/daß unser Häupt Jesus Christus gesagt: Ich bin alle Tage bey euch/biß an der Welt Ende. Dessen erfrewet sich der gantze Leib der Christlichen K i r c h e . . . Davon sollen Obrigkeiten ein Exempel nehmen/und Gottes Regiment nachohmen/denn es kan kein besser Regiment angestellet werden/denn wen man Gottes Exempel folget/beydes in der Gerechtigkeit und in der Barmhertzigkeit." 2 2 4 Von diesen aufschlußreichen Sätzen aus stellt sich nun die wichtige Frage nach dem Verhältnis, in dem die beiden Säulen eines guten Regimentes zueinander stehen, auf welchen somit das ganze Amt der Obrigkeit nach Arndt aufruht. Die Zuordnung von Haupt und Gliedern am Leib Christi dient Arndt dazu, die sog. weltlichen Amtspflichten der Obrigkeit gegenüber den Untertanen an diesem Beispiel auszurichten. Aber kann die Unterscheidung der potestas ecclesiastica und politica im Amt der Obrigkeit, wie sie die lutherische Dogmatik vor allem seit Johann Gerhards Loci theologici ausgebildet hat 225 , für das Verständnis der Amtspflichten einer gottesfürchtigen Obrigkeit im Sinne Arndts überhaupt hilfreich sein? Gottesfurcht und Gerechtigkeit sind in seinem Obrigkeitsverständnis so stark aufeinander bezogen, daß von hier aus nicht Unterscheidungen oder gar Abgrenzungen ganz bestimmter geistlicher bzw. eigentlich weltlicher Rechte und Pflichten im Amt der Obrigkeit möglich sind. Vielmehr gilt es, dem Regiment der höchsten Obrigkeit auf allen Gebieten obrigkeitlicher Tätigkeiten nachzufolgen. Die schwere Last der Verantwortung, die aus dieser unmittelbar verstandenen Beauftragung durch Gott hervorgeht, kann nur durch die Gewißheit des göttlichen Beistandes getragen werden. Deshalb schließt sich an die Ausführungen über das Amt der Obrigkeit in den Predigten Arndts auch meist eine ausführliche Trostrede an 226 . Natürlich betrifft dies alles nur die Amtsführung einer christlich-frommen Obrigkeit. Die heidnische Obrigkeit nimmt Arndt nur dann in den Blick, wenn durch das Vorbild Christi vor Pilatus die Gehorsamsforderung vor der Ord-

22t Ebd. 2 2 5 Die weitere wichtige Unterscheidung in eine potestas ecclesiastica externa und interna wird erst im Verhältnis Obrigkeit - Kirche bzw. Predigtamt im Rahmen der Dreiständelehre bedeutsam. Vgl. M. Heckel, Staat und Kirche, 1 3 1 - 1 6 3 und die Angaben in u. A n m . 212. 226 Besonders ausführlich in der 2. Predigt über das Ev. v o m Zinsgroschen, 456 f. Mit dem LehreVermahnung-Trost-Schema steht A r n d t in der orthodoxen Predigttradition, s. Wallmann, Spener, 202.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

nung Gottes besonders eingeschärft werden soll 227 . Nie jedoch gewinnt die heidnisch-weltliche Obrigkeit in den Obrigkeitspredigten Arndts eine eigenständige Bedeutung. Es ist nicht schwer zu ermessen, was diese Konzentration auf die Aufgaben einer dem Regiment Gottes nachfolgenden christlich-gottesfürchtigen Obrigkeit für das Ganze der Bestrebungen Arndts bedeutet. Hier wird der christlichen Obrigkeit zugedacht, Vorbild der sich in der Nachfolge Christi übenden und in der Gottesfurcht vereinten Gläubigen zu sein. Das Amt der Obrigkeit hat somit bei den Bemühungen Arndts um eine das wahre Christentum in Lehre und Leben verkündigende Kirche eine herausragende Bedeutung. Das ganzheitlich verstandene Regieramt der Obrigkeit in Gottesfurcht und Gerechtigkeit bezieht sich auf alle Bereiche des zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Das äußere Leben in der Gerechtigkeit ist Schale und Frucht des inneren Lebens des Glaubens in der Gottesfurcht. N u r im Rahmen dieser gegenseitigen Beziehung von einem Außen- und Innenaspekt akzentuiert Arndt die beiden Säulen eines guten Regimentes. Was für jeden Gläubigen gilt, hat bei der christlichen Obrigkeit insofern eine besondere Bedeutung, als sie vor Gott für eine Vielzahl von Menschen verantwortlich ist. Nicht strukturell, wohl aber potentiell ist somit die Gottesfurcht im Amt der Obrigkeit von derjenigen im Amt der Untertanen im Gesamtgefüge der Ordnungen Gottes unterschieden. c) Obrigkeit und

Untertanen

Das Amt der Obrigkeit kann nicht ohne das Amt der Untertanen beschrieben werden. In beiden „Ämtern" kommt erst das ganze Obrigkeitsverständnis Arndts zum Ausdruck 2 2 8 . Wir wenden uns nun diesem „ander Stück" zu, d.h. den Verpflichtungen der Untertanen gegenüber der Obrigkeit. Die beiden Amter kann Arndt auch einfach so bezeichnen, daß er von der „Lehre von der weltlichen Obrigkeit/und vom Gehorsam der Unterthanen" spricht 229 . In dem Begriff Gehorsam und seinem breit ausgeführten Inhalt ist tatsächlich alles umfaßt, was das Amt der Untertanen gegenüber der Obrigkeit ausmacht 2 3 0 . So sehr Arndt damit vor jeglichem Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit zu warnen versucht, so sehr geht es ihm nicht nur um einen nur äußerlichen, sondern um den aus Liebe und Ehre hervorgehenden Gehorsam 2 3 1 . Der Grund für die gebotene Liebe gegenüber der Obrigkeit ist die ihr von Gott selbst 227

„Weltliche" und „heidnische" Obrigkeit werden bei Arndt oft synonym gebraucht: „Ist doch unser Erlöser und Seligmacher der weltlichen Obrigkeit gehorsam gewest umb der Ordnung Gottes willen/ und ist dir mit seinem Exempel fürgangen... N ü war Pilatus eine heydnische Obrigkeit un ein ungläubiger Tyrann/ dennoch sagt der Herr/ er habe seine Gewalt von oben herab." (458). 228 So heißt es in der 2. Predigt über Mt 22 wie auch an vielen anderen Stellen: „wollen wir auff dißmal die Lehre vom Ampt der Obrigkeit und Unterthanen kurtz wiederholen..." (455). 229 In der 1. Predigt über Mt 22,451. 250 Vgl. das Exordium zur 1. Predigt über Mt 22,448. 231 Das Amt der Obrigkeit stellt Arndt unter diesen drei Gesichtspunkten dar: „In Liebe/ Ehre

D i e O b r i g k e i t s p r e d i g t e n in der Evangelienpostille

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aufgetragene Erhaltung seiner Ordnung in der Welt. Es ist charakteristisch, daß Arndt diese Grundanschauung in der lutherischen Tradition vom Regieramt der weltlichen Obrigkeit sofort auf die fromme Obrigkeit bezieht ohne weitere Differenzierung: „ U n d ist fromme Obrigkeit eine sondere Gabe Gottes/dadurch Gott der Welt viel guts thut/sonst köndte menschliche Gesellschaft nicht bestehen/und würde eitel Unordnung und Frevel überhand nehmen. Wie nun alle Gaben und Wolthaten Gottes zu lieben seyn/und Gott dafür zu dancken/ Also vornemblich die von Gott verordnete und bescherte Obrigkeit." 2 3 2 Die Aufrechterhaltung der Ordnungen im menschlichen Zusammenleben durch Gericht und Gerechtigkeit kann nur durch eine ganzheitlich verstandene Verantwortung vor Gott, d. h. in der Gottesfurcht der Obrigkeit gewährleistet sein. Zur Liebe gehören auch Geduld, Mitleiden und Fürbitte für die Regierenden im Falle des Mißlingens ihrer wohlgemeinten Vorhaben. Dies ist nicht nur ein allgemeines Geschick aller menschlichen Arbeit, sondern das Amt der Obrigkeit wird immer schwerer, die Regimente werden immer baufälliger, weil sich alles zum Ende naht. Arndt teilt mit Luhter und der lutherischen Orthodoxie im 17. Jahrhundert den Glauben an das nahe Ende der Welt 2 3 3 . Aber dieser Glaube lähmt nicht die Hoffnung, daß Gott insbesondere durch die gottesfürchtige Obrigkeit die äußere Ordnung erhalten und sie auch mit wahrhaft christlichem Leben erfüllen wird. Der Ausblick auf das Ende der baufällig gewordenen Welt dient Arndt vor allem dazu, die Obrigkeit bei ihrer schweren Arbeit vor ungerechtfertigter Kritik zu schützen. Mit deutlichen Worten warnt Arndt bei der den Untertanen gebotenen Liebe gegenüber der Obrigkeit vor dem Haß einiger, die sich sogar nicht scheuen würden, die regierenden Herrscher zu töten, wenn sie es könnten. Das ist das Werk des Satans, der der eigentliche Regimentszerstörer ist 2 3 4 . Das obrigkeitliche Amt erhält seine besondere Würde und Hoheit durch seinen Kampf mit dem Satan, der eine übergeschichtliche u n d G e h o r s a m / denn also f o l g e t s auff e i n a n d e r / A u s L i e b e f o l g e t E h r e / u n d aus der E h r e G e h o r s a m . " (457). 232

457f.

„ D i e R e g i m e n t w e r d e n i m m e r b a w f ä l l i g e r / die R e g i e r u n g wird imer s c h w e r e r / die B o ß h e i t wird i m m e r g r ö s s e r / es nahet alles z u m E n d e / u n d eilet mit G e w a l t z u m U n t e r g a n g / d a gehöret n u n guter R a h t u n d viel M ü h e u n d A r b e i t z u / die R e g i m e n t a in esse, (im Stande) zu halten/ daß sie nicht in H a u f f e n f a l l e n . " (458). „ D i e anxietates, u n d B a n g i g k e i t e n der letzten Z e i t / d a v o n der H e r r g e w e i s s a g e t / gehen mit H a u f f e n an/ u n d w e r j e t z o ein regiment in seinen W ü r d e n erhalten s o l / wie ers v o n seinen V o r f a h r e n e m p f a n g e n hat/ d e m wird s o b a n g e / als eine G e b ä r e r i n in K i n d e s n ö t h e n / d a s glaubet der gemeine M a n n i c h t . " (453). H . L e u b e belegt u m f ä n g l i c h f ü r die lutherische O r t h o d o x i e des 17. J a h r h u n d e r t s den G l a u b e n an d a s E n d e der Zeiten ( D i e R e f o r m i d e e n , 152 ff., s. auch W a l l m a n n , S p e n e r , 31, S t r a ß b u r g e r R e f o r m g u t a c h t e n , u n d sein A u f s a t z in der E b e l i n g - F e s t s c h r i f t , Z w i s c h e n R e f o r m a t i o n u n d P i e t i s m u s , a a O . , 196.). 233

234 „ M a n c h e r ist so bitters H a s s e s / N e i d s / u n d F e i n d s c h a f f t w i d e r die O b r i g k e i t / u n d regierende P e r s o n e n / k ö n t e er/ er t ö d e t e sie/ u n d d a s thun L e u t e / die sich k l u g d ü n c k e n lassen/ die sollen wissen u n d sich berichten lassen/ daß der leidige Satan jnen solchen ins H e r t z g i b t . " (458). Warhscheinlich haben sich hier auch A r n d t s p e r s ö n l i c h e E r f a h r u n g e n w ä h r e n d der g e w a l t s a m e n B r a u n s c h w e i g e r U n r u h e n u m H e n n i n g B r a b a n t niedergeschlagen, (vgl. K o e p p , 2 7 f . ) .

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Dimension aufreißt. Arndt vergleicht den Kampf des Satans gegen Gott im Himmel mit dem auf Erden gegen die Obrigkeit: „Denn gleich wie er im Himmel der alleröbersten und höchsten Obrigkeit/dem Herrscher über den Erdenkreiß nach der Kronen und Scepter gegriffen/also thut er auch auff Erden/ und setzet sonderlich den Regimentspersonen am härtesten zu/welche Gott auf seinen Stuel und an seine Stat auff Erden/als seines Reichs Amptleute und Stadthalter gesetzet hat/Da wolt der Teuffei gern auch auff Erden auff Gottes Stuel sitzen/gleich wie er sich unterstund im Himmel." 2 3 5 Arndt geht es bei diesem Vergleich um die Einschärfung des ehrfürchtigen Gehorsams gegenüber den regierenden Herrschern, nicht nur um eine allgemeine Achtung vor dem die Ordnung in der Welt bewahrenden, vor dem Chaos schützenden Regieramt im Auftrag Gottes. Denn durch die mit der höchsten Obrigkeit gemeinsame Bedrohung von Seiten der antigöttlichen Macht haben die Regenten dort, wo durch sie auf Erden Gottes Wille sich durchsetzen soll, auch besonderen Anteil an Gottes Würde, Macht und Herrlichkeit. Als Gottes Statthalter auf Erden gebührt der Obrigkeit die Ehre nach dem 4. Gebot. Ihre Ordnungen, besonders ihre Strafen und Vermahnungen, sind als Gottes Ordnungen anzunehmen und strikt zu befolgen. Dies gilt für alle obrigkeitlichen Verfügungen in der Kanzlei wie im Konsistorium. Die Gleichordnung des geforderten Gehorsams gegenüber Kanzlei und Konsistorium sowie die besondere Warnung vor Ungehorsam gegenüber den Entscheidungen des Konsistoriums läßt erkennen, wie sehr Arndt auf die Unterordnung unter die Obrigkeit insgesamt abhebt, auch im Verständnis seines eigenen Kirchenregiments als Generalsuperintendent. Einem eventuellen Widerstand der Geistlichen gegenüber den Beschlüssen des Konsistoriums, bei dem der Einfluß der fürstlichen Räte ein nicht geringer ist, kann nur die Strafe Gottes folgen 236 . Indem der Gehorsam gegenüber jeglicher Obrigkeit nicht ein menschlicher, sondern ein göttlicher Gehorsam ist, der von allen gefordert ist, kann es einen Konflikt zwischen dem Gehorsam gegenüber Gott und den Menschen auf der Ebene der Ordnungen und Ämter in der Welt eigentlich nicht geben. Ein Gegeneinander der Gehorsamsforderung zwischen weltlichen und geistlichen Autoritäten, die sich auf einen nur menschlichen bzw. göttlichen Gehorsam berufen, ist in dem Obrigkeitsverständnis Arndts nicht angelegt 237 . Dennoch 235

4 5 8. „Also begreifft die Ehre der Obrigkeit in sich die Furcht und Demuth/ Darumb sol man die Befehlich/ Urtheil und Abschiede/ so in der Cantzley und Consistorio geben werden/ annehmen als Gottes Urtheil/ und denselben gehorsamen/ dieselbe nicht lästern und schmähen/ Wenn ein Abschied im Consistorio geben wird/ so ist er niemand gerecht/ wil sich niemand genügen lassen/ meynet sein Kopff sey der beste/ und hütet sich nicht für der Straffe Gottes/ die gewiß auff dem Fuß folget/ daß man hernach beklaget." (458). Vgl. auch unsere Ausführungen zur Kirchenordnung von 1619, Abschnitt 2 b). 237 „Wen du der Obrigkeit gehorsam bist/ darfstu nicht dencken/ daß du Menschen gehorsam bist/ sondern Gott/ du must nicht die Personen der Obrigkeit ansehen/ sondern ihr Ampt/ Wenn du das thust/ so wirstu wol erkerien/ daß du zu gehorsamen schüldig bist/ und daß es nicht ein 236

Die Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille

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nimmt Arndt mit Luther die Unterscheidung zwischen Amt und Person vor, so daß er von hier aus auch auf die Klausula Petri (Acta 5/29) hinweisen kann. Man kann allerdings nicht übersehen, daß dieser Vers nur als eine beiläufige, traditionelle Wendung zitiert wird, die sich im Gesamtduktus seines Gehorsamsverständnisses wie ein Fremdkörper ausnimmt 2 3 8 . Immerhin ist durch die Möglichkeit des persönlichen Ungehorsams gegenüber Gott im obrigkeitlichen Amt auch die Kritik an dem Verhalten der Obrigkeit herausgefordert. Zum Gehorsam der Untertanen gegenüber der Obrigkeit gehören auch Steuern und Abgaben nach den jeweiligen Gesetzen des Landes. Sie dienen dem Schutz vor äußeren Gefahren und sind deshalb in Dankbarkeit zu entrichten. Stets betont Arndt beim Thema der Obrigkeit in seinen Predigten, nicht nur in den Landtagspredigten, diese wirtschaftliche Seite in den Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens. Die Schwere der Belastungen für die breite Mehrheit der Bevölkerung übersieht Arndt dabei keineswegs, vielmehr scheinen der Unwille gegenüber zu großem Steuerdruck und seine Ermahnungen zur durchhaltenden Geduld mit Erfahrungen aus wirtschaftlichen Engpässen in Zusammenhang zu stehen 239 . Wenn für die Untertanen in wirtschaftlichen Notzeiten auch nichts anderes als geduldiges Leiden infrage kommt und die Bedrückungen als Zeichen für den jüngsten Tag gedeutet werden 2 4 0 , so kann Arndt doch auch von solchen Erfahrungen ausgehend, eine scharfe soziale Anklage gegen die Obrigkeit erheben 241 . So haben die Untertanen die hohe göttliche Würde der Obrigkeit stets vor Augen, ihr Befehl ist Gottes Befehl, ihre Strafe Gottes Strafe, ein Angriff auf sie ist ein Angriff auf Gott 242 . Aber die ihr gebührende Ehre gewährt den menschlicher Gehorsam sey/ den du leistest/ sondern ein göttlicher Gehorsam/ und wirst allezeit von Gott den Segen des vierdten Gebots erlangen." (458 f.). 2 3 8 „Also muß man in allen Dingen der Obrigkeit gehorsamen/ ausgenommen das/ was wider Gott und sein W o r t ist/ den da heissets/ man muß Gott mehr gehorsam seyn/ denn den Menschen." (459). 2 3 9 Uber die „Krise des 17. Jahrhunderts" diskutieren die Historiker in jüngster Zeit lebhaft. Für das frühe 17.Jahrhundert stellt H.Lehmann angesichts mancher Divergenzen in der Forschung.fest: „Keine Frage kann e s . . . sein, daß zu Beginn des 17.Jahrhunderts die für das ganze 16. Jahrhundert bestimmende ökonomische Expansion aufhörte und auf die lange Phase einer Landwirtschaft, Handel und Gewerbe bestimmenden Konjunktur eine lange Phase der wirtschaftlichen Schwankungen und der Depression folgte." (Das Zeitalter des Absolutismus, 109f.). 2 4 0 „Und ob wol die Beschwerungen und Pressuren der Länder immer grösser werden/ so muß und sol mans doch gedültig leiden/ denn es sind Zeichen f ü r dem jüngsten Tage/ auff Erden wird den Leuten bange seyn." (459). 2 4 1 S. den 4. Abschnitt über die Landtagspredigten. 2 4 2 Der strikte Gehorsam der Untertanen gegenüber der Obrigkeit wird auch direkt von der Regel Christi abgeleitet: ,Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen' (Mt 26,52): „Es gebühret keinem Unterthanen nach dem Schwerdt zu greiffen. G o t t hats ihm bei seinem höchsten Verderben v e r b o t e n . . . Thut die Obrigkeit nicht recht/ so ists darumb den Unterthanen nicht befohlen/ sich wider die Obrigkeit auffzulehnen/ und sich selbst zu rächen..." (453).

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Untertanen auch den einzig wirksamen und dauerhaften Schutz, die Ehre und den Segen Gottes: „Gott ist die höchste Obrigkeit/wer nun Gottes Ordnung ehret/der ehret Gott selbst/und Gott wird ihn ehren." 2 4 3

d) Obrigkeit und Predigtamt - Gottes Wirken durch das weltliche und geistliche Regiment Die Perikope vom Zinsgroschen dient seit Luthers Predigten über diesen Text 2 4 4 in den Evangelienpostillen des 16. und 17. Jahrhunderts stets als zentrale neutestamentliche Textgrundlage zur Darlegung des Verhältnisses zwischen Gottes weltlichem und geistlichem Regiment. Anhand von Arndts Predigten über diese Perikope 2 4 5 wollen wir uns nun dem Verständnis dieses Verhältnisses in seinem Denken zuwenden. Den listigen Anschlag der Pharisäer und der Diener des Herodes auf Christus in Mt 22 stellt Arndt in Parallele mit dem Aufruhr der Rotte Korah gegen Moses und Aaron in Numeri 16. Wie dort die Aufrührer von der Erde verschlungen werden und Gott Moses und Aaron schützt, so bestätigt der Herr in seiner Antwort auf die Fangfrage seiner Widersacher das geistliche und weltliche Regiment 2 4 6 . Bevor Arndt jedoch von den „zwei heiligen Ständen" handelt, ohne die die Welt nicht bestehen kann, wird ausführlich das Reich des Teufels beschrieben, in dem mit List und Macht gegen Christus und die an ihn Glaubenden gewütet wird. Dieser Kampf zwischen Gott und Teufel findet in den Herzen der Menschen statt 2 4 7 . Schon der Aufbau, erst recht aber die inhaltliche Argumentation der Predigten Arndts über das Evangelium vom Zinsgroschen 243

4 5 9.

244

S. die Aufstellung von Luthers Predigten über M t 2 2 , 1 5 - 2 2 in Abschnitt 3. a), A n m . 2 0 4 .

In der Arndtschen Postille sind es vor allem die 1. und die 3. Predigt über M t 2 2 , 1 5 - 2 2 , in denen Arndt auf das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Predigtamt eingeht. In unserer Ausgabe von 1644/45 sind es im 3. Teil die Seiten 4 6 0 - 4 6 6 . A b e r wir müssen für diese Thematik auch weitere Predigten in der Postille heranziehen, besonders die Predigten an den Aposteltagen. Aus dem 4. Teil der Postille sind hier folgende Predigten berücksichtigt: D i e 1. Predigt am Tage Johannes des Evangelisten ( 5 5 7 - 5 6 0 ) , D i e 3. Predigt am Tage J o h a n n e s des Evangelisten ( 5 6 3 - 5 6 6 ) , D i e 1. Predigt am Tage S. Bartholomäi ( 6 5 7 - 6 6 2 ) . 245

2 4 6 „Hie ist beyde das geistliche und weltliche Regiment b e s t e t i g e t . . . denn ohne Obrigkeit und geistlich Regiment kan die W e l t nicht bestehen. Sind zweene heilige Stände/ un Gottes W e r c k / A m p t und Ordnung. D a r u m b die Aufrührer von der Erden verschlungen/ dargegen G o t t Mosen und Aaron mit der W o l c k e n bedecket und vertheidiget." (460). Moses vertritt das weltliche, Aaron das geistliche Regiment. In dem harmonischen Verhältnis zwischen Moses und Aaron haben viele orthodox-lutherische Prediger des 17. Jahrhunderts das ideale Verhältnis zwischen „Staat" und „ K i r c h e " abgebildet gesehen, so vor allem J . C . Dannhauer in seiner „Katechismusmilch". Vgl. dazu M . Kruse, Speners Kritik, 118 ff., bes. 1 2 5 - 1 2 7 . 2 4 7 „Wie nun G o t t in seinen Heiligen seine Werckstat hat/ darinn er guten R a h t und G e d a n c k e n / Andacht und G e b e t / L o b und Preiß wircket: Also suchet der Teuffei/ o b er einen Menschen zu seinem Werckzeuge finden m ö c h t e / in dem wircket er bösen R a h t / böse G e d a n c k e n / Gotteslästerung unnd Feindseligkeit wider G o t t und Menschen. Das sind die beyde widerwertige Reiche/ Gottes und des T e u f f e l s / b e y d e in der Menschen H e r t z e . " (460 f.). In der 1. Predigt über M t 22 wird

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machen deutlich, wie sehr das Gegeneinander der „beiden wiederwärtigen Reiche" und die daraus folgenden unvermeidlichen Anfechtungen für die Christen im Zentrum des Arndtschen Denkens stehen. Wir können schon jetzt feststellen: nicht die beiden Regimente, mit denen Gott in der Welt handelt, finden in ihrer Unterscheidung und Zuordnung das Interesse Arndts, sondern der Kampf zwischen dem regnum dei und diaboli, wie er in der Welt, vorwiegend im Herzen der Menschen, geführt wird. Vor allem in den Ungläubigen und Gottlosen kämpft der Teufel gegen Christus und die Gläubigen 2 4 8 . In der Verbindung der Pharisäer mit den Dienern des Herodes sieht Arndt einen Spiegel, in dem man auch in der Gegenwart sehen kann, wie sich geistliche und weltliche Herren gegen Christus verbinden: „Hie habt ihr einen Spiegel/wie sich Geistliche und Weltliche wider Christum versamlen und verbinden... Wenn ihr das sehet/daß Geistliche und Weltliche wider ihn seyn/so gedencket hieran/die Phariseer und Herodis Diener halten sich zusammen/Also werden über Christo die unversöhnlichsten Feinde eins." 2 4 9 Diese Vermischung von geistlicher Heuchelei und weltlicher Gewalt dient Arndt zunächst dazu, das widergöttliche Reich allgemein zu beschreiben, von hier aus übt er aber vor allem scharfe Kritik an der „falschen Kirche". Die „falsche Kirche" mit ihren Lügenpredigern ist die Erscheinung des Antichrists in der Gegenwart, mit der Gott Land und Leute straft: „Mit diesem brachio seculari... stärcket sich die falsche Kirche/und ihre Propheten. List und Schwerdt ist ein Kennzeichen des Antichrists und falschen Kirche." 2 5 0 „Es kan keine grössere Straffe seyn/denn wenn Lügenprediger seyn/die den Weg Gottes verkehren/und predigen/nach dem jeden die Ohren jucken/damit strafft Gott jetzo Land und Leut." 2 5 1 Welche Kirche hat Arndt hier konkret vor Augen, die als falsche Kirche „die wahren Schäflein Christi" verfolgt und bedroht 2 5 2 ? Zunächst natürlich die Papstkirche, die in ihrer Verblendung viel unschuldig Blut vergossen hat 2 5 3 . Aber die Kirchenkritik Arndts bleibt nicht auf die Papstkirche beschränkt, sondern sie hebt grundsätzlich die wahre Kirche von der weltförmigen ab, in der die Unwahrheit, Heuchelei und Gewalt regieren. Die bösen Prediger gibt es in das Reich des Teufels mit drei Eigenschaften beschrieben: „insidiae sanguinolentae (Blutdürstige Nachstellungen); brachium seculare (Weltliche Macht); labia dolosa (listige Mäuler)." (449f.). 2 4 8 „Sonderlich aber tobet der Teuffei wider Christum in den Hertzen der Ungläubigen/ darumb darffstu nicht dencken/ daß des Teuffels Reich ausser den Menschen ist/ in den Gottlosen wütet er wider C h r i s t u m . . . " (461). 2 « 462. 250 449, 45 0. „Die wahren Schäflein C h r i s t i . . . verfolge niemand/ sie tödte auch niemand: Den sie sind Schafe und nicht Wölffe." (449). 2 5 3 In der 15. Passionspredigt J e s u s und Pilatus' heißt es zur Todesforderung Jesu durch die Juden im Blick auf die Papstkirche: „ D a haben wir ein Bilde der falschen K i r c h e n . . . Das ist eine N o t a der falschen Kirchen/ daß sie unschüldig Blut vergeust/ denn falsche Lehr und Lügen geburet M o r d . . . J a sie meynen/ sie thun Gott einen Dienst daran/ und sind die rechte uii catholische Kirche/ Hilff G o t t / was hat der Bapst und Spanier viel unschuldig Blut vergossen!" (611). 251

252

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

allen Kirchen, auch in der eigenen, bei denen das Ansehen der Menschen höher steht als die Wahrheit Gottes 2 5 4 . So konzentriert sich bei Arndt der Kampf zwischen dem Reich Gottes und des Teufels wesentlich auf das Gegeneinander der wahren und der falschen Kirche. Folgenreich ist dabei vor allem, daß die falsche Kirche die wichtigsten Merkmale dessen trägt, was Arndt unter „Welt" versteht. Die Prediger der wahren Kirche müssen die Feindschaft der Welt auf sich laden, die bösen Prediger aber reden der Welt nach dem Munde. Unwahrhaftigkeit, List und Gewalt herrschen in der Welt mit ihrer falschen Kirche, während Wahrhaftigkeit, Anfechtung und Verfolgung die Erkennungszeichen der wahren Kirche sind. Aus solcher Entgegensetzung wird die Spiritualisierungstendenz im Kirchenverständnis Arndts verständlich. Die ecclesia vera verflüchtigt sich gewiß nicht in eine reine Geistkirche, die jenseits aller äußeren Kirchlichkeit existierte, aber sie muß doch - soweit sie in der ecclesia visibilis zur Geltung kommt - prinzipiell von aller weltlichen Macht Abstand nehmen. Ihr eigentliches Wirkungsfeld ist das innere Reich der Seele, in dem die Prediger Buße und Vergebung der Sünden zu predigen haben. Wie gestaltet sich nun unter dem Gesichtspunkt der beiden gegeneinander kämpfenden Reiche das Verhältnis von Obrigkeit und Predigtamt, d.h. des weltlichen und geistlichen Regimentes innerhalb der verfaßten Kirche 2 5 5 im Sinne Arndts? Mit den Predigten über das Evangelium vom Zinsgroschen können wir diese Frage nur zu einer vorbereitenden, indirekten Antwort führen, indem wir zunächst die Richtung aufzeigen, in der wir sie näher zu bestimmen haben 2 5 6 . In der Antwort Jesu auf die listige Bosheit seiner Feinde: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist" hat der Herr beide Regimente bestätigt und fordert in beiden Gehorsam 2 5 7 . Die strikte Anerkennung der Ordnung Gottes in seinen beiden Regimenten ist aber nur der Ausgangspunkt für eine aufschlußreiche Unterscheidung, die Arndt bei den Adressaten der Gehorsamsforderung vornimmt. Die Unterordnung unter die Obrigkeit repräsentiert die Goldmünze des Kaisers, Gehorsam und Demut vor Gott aber richten sich auf die Seele der Menschen, der die Münze Gottes ist. Arndt malt die Bildseite in der Antwort Jesu plastisch aus: „Gleich wie nun der Herr fraget: Weß ist das Bilde/und die Überschrifft? Unnd sie sprachen: Des Keysers. Also 254 „Es kan keine grössere Straffe auff Erden seyn/ den ein böser Prediger/ dadurch werden alle Menschen/ Obrigkeit und Unterthanen/ Grosse und Kleine/ Arme und Reiche/ biß in den Grund verderbet." (462). 2 5 5 Erst Johann Gerhard hat in den Loci theologici, Jena 1620, Bd. V, p. 670, zu den bisherigen Teilen der Lehre von der Kirche (regnum Christi, ecclesia vera, ecclesia visibilis) die ecclesia particularis im Sinn der verfaßten Kirche des Landes eingearbeitet. D e r Sache nach ist die ecclesia particularis aber schon bei Arndt vorauszusetzen. Sie ist der äußere Rahmen für seine Bestimmung des Verhältnisses von weltlichem und geistlichem Regiment. Vgl. auch J . Heckel, Cura religionis, 50 f. 256

Vor allem mit Hilfe der 1. Predigt am Tage S. Bartholomäi über Lk 22,657ff.

257

463.

Die Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille

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fraget uns der Herr heut: Weß Bilde bistu: So antworte: Gottes. Weß ist den die Überschrifft? So sprich: Christi/Nach welches Namen ich genennet bin/ein Christ. So antwortet der Herr: So gib nun Gott und Christo/was sein ist/du bist Gottes Müntze/Gott hat sein Bilde in dein Hertz gepräget/und die Überschrifft mit Christi Blut geschrieben. Moneta Caesaris aurum, moneta Dei h o m o . " 2 5 8 Es ist deutlich, daß sich solche Aufteilung zwischen Goldmünze und Menschd.h. Seelenmünze an einem alten Einteilungsprinzip orientiert: dem Gegensatzpaar „äußerlich - innerlich." 2 5 9 Ihm korrespondiert der Gegensatz: „sichtbarunsichtbar", denn das Kriterium für diese Unterscheidung ist die sinnliche Wahrnehmbarkeit. Was Arndt jedem einzelnen Menschen einzuschärfen versucht, daß seine Seele, der innere Mensch, sich ganz auf Gott ausrichten soll und sein Leib, der äußere Mensch, der Goldmünze des Kaisers bedarf, wodurch er erhalten und geschützt wird - das hat Konsequenzen vor allem auch für die Gestaltung des sozialen Lebens in einem Gemeinwesen. Denn von hieraus ergeben sich die beiden Herrschaftslinien auf ganz „natürliche" Weise: für die Seele, d. h. für die inneren Angelegenheiten, ist Gott der unmittelbar regierende Herr; für den Leib, d.h. für die äußeren Angelegenheiten, hat Gott der Obrigkeit die Herrschaft übertragen 2 6 0 . Arndt geht es bei seiner Ausdeutung der Doppelantwort Jesu zunächst freilich nur um die Zuordnung des ganzen Menschen auf die Herrschaft Gottes. Die Auseinanderreißung des äußeren und inneren Menschen wie überhaupt des Äußeren und Inneren in zwei Bereiche liegt gerade nicht in seiner Intention. Äußeres und Inneres verhalten sich vielmehr beim einzelnen Menschen wie im menschlichen Zusammenleben wie Schale und Kern bei einer Frucht. Als Schöpfung Gottes gehört der Mensch ganz Gott, aber in die Seele des Menschen als seinem inneren Kern hat Gott sein Bild eingeprägt, darum will Gott hier in einer Tiefendimension herrschen, die mit seiner Wirksamkeit in den „Schalen" der äußeren Geschöpflichkeit nicht auf einer Stufe steht. An die Aufforderung „Wir sollen aber Gott geben was Gottes ist" 2 6 1 schließt Arndt ein „Seelenpreislied" an, das in sechs Ursachen aufzeigt, daß unsere Seele Gottes Bild in sich 258

454.

259 F ü r einen Vergleich Arndts mit Luthers Gebrauch dieses Gegensatzpaares in der theologischen Anthropologie ist noch immer der Aufsatz Heinrich Bornkamms aufschlußreich: „Äußerer und innerer Mensch bei Luther und den Spiritualisten", in: Imago Dei. Festschrift für Gustav Krüger, Gießen 1932, 8 5 - 1 0 9 . In der A r t und Weise, wie die Spiritualisten (Paracelsus, Franck und Schwenckfeld) die Innerlichkeit als Besitz des Menschen verstehen, steht die Seelenauffassung Arndts ihnen zweifellos nahe und wird der Abstand zu Luther deutlich. 2 6 0 Mit dieser Unterscheidung berührt sich Arndt womöglich mit Thomas Erastus, der als Naturforscher den Aufbau des Gemeinwesens nach inneren und äußeren Angelegenheiten entsprechend dem Reich der Seele und Sinne gliederte. Vgl. zu Thomas Erastus und seinem staatskirchlichen Denken J . Heckel, Cura religionis, 67ff. Erastus starb 1580 in Basel. Es ist nicht undenkbar, daß Arndt während seiner medizinischen Studien in Basel auf Schriften des Erastus gestoßen ist. Ihn selbst wird er in Basel kaum noch erlebt haben. 261

A m Ende der 1. Predigt, 454.

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D i e christliche Obrigkeit in den Predigten J o h a n n Arndts

trägt 2 6 2 . Wir stehen hier vor einer der Stellen in der Postille Arndts, die im Anschluß an Augustin und Bernhard von Clairvaux mystisches Gedankengut unmittelbar aufnimmt 263 . Die Seele des Menschen ist aber auch der Ort, an dem sich das Bild Gottes in das des Teufels verkehren kann. Hier ist der eigentliche Kampfplatz der beiden miteinander kämpfenden Reiche 2 6 4 . Die ethischen Appelle Arndts und die Formulierungen des „Seelenpreisliedes" machen deutlich, daß die Herrschaft Gottes im Inneren des Menschen als eine Einwohnung verstanden wird, als ein vorhandener Seelenschatz, der dem äußeren Münzschatz der Obrigkeit gegenübergestellt wird. Wenn somit innere und äußere Herrschaft Gottes auf die beiden Regimente bezogen werden, die der Herr in dem Evangelium vom Zinsgroschen nach Arndt bestätigt, so stellt sich das geistliche Regiment als die innere Herrschaft Gottes in der Seele des Menschen dar, während das weltliche Regiment auf das äußere Leben des Menschen ausgerichtet ist. Dieses geschieht durch die Obrigkeit im Auftrag Gottes. Vom Predigtamt als Auftrag Gottes in seinem geistlichen Regiment ist in den Predigten über Mt 22 expressis verbis nicht die Rede. Es hat vielmehr den Anschein, als könne Arndt auf die sichtbare Kirche und ihr Amt verzichten, wenn Gott „unmittelbar" in der Seele des Menschen herrschen will. Aber auch das Wirken Gottes in dem Inneren des Menschen bedarf der äußeren Unterstützung. In der 3. Predigt zu diesem Evangelium fordert Arndt zur Erhaltung des Gottesdienstes und zur Unterstützung der Kirche mit Geld auf. Er deutet das Wort Jesu: „Gebt Gott, was Gottes ist" in einem inneren und äußeren Sinn: Wir sollen Gott unser ganzes Herz geben und ihn ehren nach der ersten Tafel der 262 „Es sind sechs Ursachen/ warumb wir offt bedencken sollen/ daß unsere Seele Gottes Bild traget: l . D a ß wir uns selbst erkennen lernen, was unsere Seele s e y . . . 2 . D e n n unsere Seligkeit stehet in dem Bilde G o t t e s / und in der Gleichheit G o t t e s . . . 3. D a ß wir G o t t desto mehr und brünstiger lieben sollen/ denn jedes gleiche liebet seines g l e i c h e n . . . 4 . D a ß dadurch der Sünde gewehret w e r d e . . . 5. D a ß wir uns befleissigen/ dem gleich zu werden in der Herrlichkeit/ dem wir hie gleich seyn von G n a d e n . . . 6. D a ß wir dadurch zur Danckbarkeit bewogen werden/ daß er uns zu seinem Bilde anfänglich erschaffen/ un hernach durch den H . Geist ernewret hat/ zu seinem heiligen Tempel geheiliget/ darinne die H . Dreyfaltigkeit w o h n e t . " (454). D i e drei Seelenkräfte, in denen die Dreifaltigkeit leuchtet, umschreibt Arndt im Anschluß an Bernhard: das Gedächtnis als das Bild Gottes des Vaters, der Verstand und Weisheit als das Bild des Sohnes Gottes und der Wille und die Liebe als das Bild des heiligen Geistes. 2 6 3 D i e gedankliche N ä h e zu den ersten Kapiteln des ersten Buches vom wahren Christentum ist hier besonders deutlich. Aber nicht der Gegensatz Adam - Christus, alter - neuer Mensch, alte und neue G e b u r t ist hier gezeichnet, sondern nur die Erneuerung des Menschen durch den Heiligen Geist. Vgl. die wichtigsten Textstellen für den Heilsweg in Arndts „Wahrem C h r i s t e n t u m " bei E . Peschke, Bekehrung und R e f o r m , 1 7 - 3 0 . U b e r Arndts Seelenverständnis in mystischer Prägung s. auch die Predigt am Sonntag Lätare, 421—429. 264 „Wenn du aber in Unbußfertigkeit/ Schande und Sünde lebest/ und man fraget den: W e ß ist das Bilde un Überschrifft? So kan man nichts anders antworten/ den des Teuffels. Derwegen so ist nü der des Teuffels Unterthan/ der ihn in seinem Hertzen müntzen lässet. Wie aber nun die M ü n t z e des Keysers und der Obrigkeit Schatz ist/ Also ein gläubig H e r t z / das Christi Bild träget ist Gottes Schatz/ der wirds wol auffheben/ und zum ewigen Leben bewahren." (454).

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Gebote, dann aber im besonderen zur Erhaltung des Gottesdienstes auch mit Geldmitteln beitragen nach dem jüdischen Vorbild; von dieser Verpflichtung ist auch der Arme nicht ausgenommen 2 6 5 . Diese äußere Seite an der Kirche ist Arndt also keineswegs unwichtig. In seinen wiederholten Warnungen vor einem Mißbrauch der Kirchengüter meldet sich vor allem der soziale Gerechtigkeitssinn Arndts zu Wort 2 6 6 . Es ist jedoch zu fragen, welche Bedeutung dieser Aspekt auch für das Verständnis der Kirche als äußere Organisation hat. Wir wollen diese Frage in die Arndt'sche Verhältnisbestimmung zwischen Obrigkeit und Predigtamt einbringen, der wir uns nun unmittelbar zuwenden. In den Predigten über das Evangelium vom Zinsgroschen stellt sich somit das Verhältnis des geistlichen und weltlichen Regiments als die innere und äußere Herrschaftsweise Gottes dar, die auf das seelische und leibliche Leben des Menschen ausgerichtet ist. Gottes inneres Regiment in der Seele wird seinem äußeren Regiment in dem Herrschaftsauftrag an die Obrigkeit gegenübergestellt. Das Amt der Obrigkeit besteht aber vor allem darin, den inneren Gehorsam der Seele gegenüber Gott äußerlich zu ermöglichen, zu beschützen und zu befördern. Der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit ist damit nicht nur durch einen äußeren Herrschaftsauftrag Gottes legitimiert, sondern durch das geistliche Regiment Gottes selbst, auf das das Handeln der Obrigkeit zentral - wenn auch mittelbar - bezogen ist. Wenn das Amt der Obrigkeit somit im Mittelpunkt der Beziehung zwischen weltlichem und geistlichem Regiment Gottes steht, indem es die äußeren Angelegenheiten eines Gemeinwesens im Herrschaftsauftrag Gottes ordnet mit dem Ziel der unmittelbaren Herrschaft Gottes im Inneren des Menschen - dann ist die Frage nach der besonderen Funktion und Struktur des Predigtamtes im Gegenüber zum obrigkeitlichen Amt gestellt. Es liegt in der Konsequenz dieses Denkens und dieses Einteilungsprinzips zwischen „Innen" und „Außen", daß es nur zwei Regierungen bzw. Herrschaften gibt: eine göttliche innere und eine menschliche äußere im Auftrag Gottes. Gott als die höchste Obrigkeit und die weltliche Obrigkeit sind somit die aufeinander bezogenen Herrschaftsträger im geistlichen und weltlichen Regiment. Bezogen auf ein Gemeinwesen kann es also nur eine Regierung geben, die der weltlichen Obrigkeit. Diese Grundkonzeption kann mit Hilfe einer Predigt konkretisiert werden, die das Verhältnis zwischen weltlichem und geistlichem Regiment direkt zum Thema erhebt. Es handelt sich um die 1. Predigt am Tage S. Bartholomäi über

2 6 5 „ G o t t sollen wir geben den rechten geistlichen Seckel des Heiligthumbs/ nach der ersten Taffei des Gesetzes/ Furcht/ Liebe und Glauben über alle Ding/ Demut und ein zubrochenes H e r t z . . . Summa das gantze H e r t z . . . Sonderlich aber redet der Herr hie von Erhaltung des Gottesdiensts/ es sind alle Menschen schüldig/ so arm sie auch seyn/ von dem Ihren helffen den Gottesdienst zu erhalten." (463 f.). 2 6 6 „Kirchen Güter sind der Armen Schätze/ wehe dem/ der sie r a u b e t . . . " (466).

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Lk 22 2 6 7 . Allein der weltlichen Obrigkeit steht die Herrschaft zu, die sie direkt von Gott übertragen bekommt 2 6 8 . Als Gottes Amtleute und Statthalter sind die Regenten unmittelbar ihrem obersten Lehnsherrn verantwortlich 2 6 9 . Daß diese, jede Papocaesarie scharf verurteilende, von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bestimmte Herrschaft der weltlichen Obrigkeit jedoch in einer besonders engen Beziehung zu der Herrschaft Christi steht, macht gerade diese Predigt deutlich, die von dem Unterschied des weltlichen und geistlichen Regimentes handelt. Es ist die schon in den Predigten über das Evangelium vom Zinsgroschen deutlich hervortretende Ausrichtung des obrigkeitlichen Amtes auf das Vorbild Christi, die Arndt besonders auch dort betont, wo es um den Versuch der unterschiedlichen Aufgabenbeschreibung im weltlichen und geistlichen Regiment geht 2 7 0 . Das Herrschen der Obrigkeit ist nicht nur theokratisch, durch Beauftragung durch Gott und Verantwortung vor ihm qualifiziert, sondern wesentlich christokratisch 2 7 1 . Die „weltliche" Herrschaft der „weltlichen" Obrigkeit erhält damit einen spezifischen Sinn. Hat „Welt" und „weltliches Reich" in den Predigten Arndts vielfach einen betont theologisch abwertenden Klang, indem Weltreich und Teufelsreich nicht selten identifiziert werden, so ist das weltliche Regiment der Obrigkeit davon zu unterscheiden. „Welt" bedeutet hier vor allem das „Äußere" eines christlichen Gemeinwesens, in dem die Gerechtigkeit „herrschen" soll. U m die für Arndts ganzes Denken so charakteristische Verhältnisbestimmung zwischen weltlichem und geistlichem Regiment zu verstehen, gilt es die Spannung zu erfassen, die mit seinem Verständnis von „Herrschaft" verbunden ist. D a alles Handeln im obrigkeitlichen Amt unter dem direkten Auftrag Gottes geschieht und vor ihm verantwortet werden muß, steht das Herrschen der weltlichen Obrigkeit zunächst im scharfen Gegensatz zu jeder Eigenmächtigkeit und Selbstgefälligkeit der Regierenden. Hier hat Arndts erhebliche O b rigkeitskritik ihren O r t , die mit ihrem Maßstab ganz auf das gottesfürchtige Verhalten der im Regierungsamt stehenden Personen ausgerichtet ist. Sodann aber gewinnt das Herrschen der weltlichen Obrigkeit seine konkreten Maßstäbe wesentlich durch die Herrschaft Christi. Die Christokratie, die der eigentliche 2 6 7 S . A n m . 2 4 5 . Im 2.Teil dieser Predigt heißt das Thema: „Vom Unterscheid geistliches und weltliches Regiments", ( 6 5 9 - 6 6 1 ) . 2 6 8 „Die Weltlichen Könige r i c h t e n . . . Damit bestetiget der H e r r die weltliche Obrigkeit/ und gibt ihnen als der oberste Lehnherr ihre Herrschaften/ denn er ists/ der Könige einsetzet." (669). 2 6 9 „Diß soll die Obrigkeit auch erkennen/ wissen/ sie sind Gottes Amptleute/ uii halten G o t t das Gericht/ der ist mit ihnen im Gericht/ darumb sollen sie Gottes Statt verwalte/ Gottes Blutrecher s e y n . . . " (660). 2 7 0 „So begreifft nun dieses W o r t Herrschen/in sich die Gerechtigkeit... dem Exempel Christi nach sollen Obrigkeit herrschen mit Gerechtigkeit... Gleich wie Christus in seinem geistlichen Reich wol regieret/ also sollen weltliche Herren im weltlichen Reich mit Gerechtigkeit regieren."^!)). 271 „Christokratisch" meint hier imitatio Christi durch die Obrigkeit in ihrer Ausübung von Gerechtigkeit und Frieden, nicht die dominierende Stellung der Kirche gegenüber dem Staat.

Die Obrigkeitspredigten in der Evangelienpostille

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Zielpunkt im Obrigkeitsverständnis Arndts darstellt, steht aber in Spannung zu den Aufgaben und Notwendigkeiten weltlicher Herrschaft, die mit dem Ausdruck „im weltlichen Reich mit Gerechtigkeit regieren" zusammengefaßt sind. Wenn Arndt einerseits auch alles Handeln der Obrigkeit am Vorbild Christi zu orientieren versucht, so daß ihre eigentliche Aufgabe nicht eine weltliche, sondern eine christliche ist, so ist er doch andererseits sehr daran interessiert, daß das Predigtamt sich von jeder Form weltlicher Herrschaft frei hält. "Was aber meint hier „weltliche Herrschaft", von der sich das Predigtamt fernhalten soll, wenn die Herrschaft der weltlichen Obrigkeit keine eigentlich weltliche, sondern eine christliche ist? An einem für das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Predigtamt bei Arndt charakteristischen Abschnitt aus der Predigt über den Jüngerstreit (Lk 22) kann gezeigt werden, wie die Akzente des Gemeinsamen und Unterschiedenen im weltlichen und geistlichen Regiment gesetzt werden. Zugleich wird hier deutlich, vor welcher Art von Herrschaft Arndt den geistlichen Stand bewahrt wissen will. Uber das Christuswort an die Jünger: „Die weltlichen Könige herrschen. Ihr aber nicht also!" führt Arndt aus: „Mit diesen Wort hat nun der Herr dem geistlichen Stande alle weltliche Herrschafft ab erkandt/wie er den selbst Krön un Scepter f l e u c h t . . . sein Himmelreich und Kirche aber hat er dem geistlichen Regiment befohle. Gleich wie er zu den weltlichen Herren sagt: Herrschet und seyd gnedige Herren/also spricht er zu den geistlichen: Prediget Busse und Vergebung der Sünden in meinem Namen/ Wir sollen für die Seele wachen/wie die Obrigkeit für den Leib/dazu hat uns Gott Wort und Sacrament gegeben: Die auch nicht unser eigen seyn/ja die Seelen sind auch Gottes Eigenthumb/Erbtheil/Herde/darumb wir auch keine Bottmessigkeit darüber haben/es sey denn daß sie des Bannes werth seyn/ welcher aber aus Gottes Befehl geschieht... Was man nu mit dem Schwerdt des Geistes nicht erheben kan/sol man mit dem Eisern Schwerdt ligen lahn/darumb aus dem geistlichen Stande durch aus keine Herrschafft zu machen/wie der Bapst das Häupt und oberste Bischoff seyn wil über die gantze Christenheit... Es ist eine grosse Sünde/wer des Predigtamts zu seinen eigenen Affecten und Muthwillen mißbrauchet/andern Leuten damit wehe zu thun/das heisset ex spiritu carnis... reden/nicht ex spiritu Dei." 2 7 2 Das Herrschen im Sinne der Papocaesarie im Papsttum, aber auch die eigenmächtige, affektgeladene Herrschaft allgemein, die jedoch insbesondere den geistlichen Stand als große Versuchung bedroht, das ist die eigentliche Gefahr für die je eigenen Aufgaben der Obrigkeit und des Predigtamtes. Es ist aufschlußreich, daß Arndt die Hauptgefahr für das Predigtamt nicht in der herrscherlichen Bevormundung durch die Obrigkeit sieht, also in der Caesaropapie, sondern in dem „weltlichen" Herrschen der Prediger 2 7 3 . Eigenmächtige 1. Predigt am Tage S. Bartholomäi, 660 f. Angesichts der in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts geführten schweren Auseinandersetzungen um Recht und Grenze der obrigkeitlichen Gewalt in der Kirche (wie in Jena, Magdeburg und Augsburg), ist diese Sichtweise Arndts im Verhältnis zwischen Obrigkeit und Predigtamt durchaus 272

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Herrschsucht ist somit im Sinne Arndts wesentlich gemeint, wenn nach L k 22 dem geistlichen Stand alle „weltliche" Herrschaft aberkannt ist. „Weltliche" Herrschaft hat im Zusammenhang mit Arndts theologisch abwertendem Weltverständnis einen betont negativen Sinn. Sie bedroht Obrigkeit wie Predigtamt. Insofern ist die Herrschaft der weltlichen Obrigkeit von dieser weltlich-eigenmächtigen Herrschaft grundsätzlich zu unterscheiden. Der Dienst am Menschen als Geschöpf Gottes, über das niemals eigenmächtig verfügt werden darf, ist das Gemeinsame im Aufgabenbereich sowohl der Obrigkeit als auch des Predigtamtes. Von hier aus ist der Unterschied zwischen dem weltlichen und geistlichen Regiment ins Auge zu fassen. Wir begegnen bei dieser Bestimmung der je eigenen Verantwortung für den Menschen als Gottes Eigentum im Regieramt wie im Predigtamt wiederum der Zuordnung und Einteilung in einen Außen- und einen Innenaspekt. Die Obrigkeit wacht für den Leib und das Predigtamt für die Seele des Menschen. Welche Bedeutung hat diese alte Unterscheidung des Menschen in Leib und Seele bei Arndt in Beziehung auf sein Verständnis von Obrigkeit und Predigtamt? Leib und Seele bezeichnen den ganzen Menschen, der mit seinem sichtbaren und unsichtbaren Teil als Ganzer Gottes Geschöpf, d. h. sein Eigentum ist. Eine gottesfürchtig-christliche Obrigkeit - und eine andere kommt bei Arndt praktisch nicht in den Blick - kann wohl in Verfehlung ihres Auftrages von eigenmächtiger Herrscherwillkür bedroht werden, in der rechten Ausübung ihres Amtes aber herrscht sie über das Leibliche der Menschen im Bewußtsein, daß ihr Gottes Eigentum anvertraut ist. In diesem positiven Sinn kommt der weltlichen Obrigkeit allein die Aufgabe der Herrschaft zu, das Predigtamt muß sich dagegen von jeder Form von Herrschaft fernhalten. Während es für die Obrigkeit gilt, die falsche Herrschaft von der rechten Herrschaft auszuschließen, hat demgegenüber das Predigtamt gerade keinen Herrschaftsauftrag. Daß aber besonders hier, im Predigtamt, die Gefahr der Herrschsucht über die Seelen lauert, wird in den Predigten Arndts immer wieder stark betont. In den sich mehrfach wiederholenden, warnenden Wendungen Arndts: „auch die Seelen sind Gottes Eigentum" und in dem sich selbst miteinbeziehenden „wir" kommt seine persönliche Auffassung über die Amtspflichten der Prediger eindringlich zum Ausdruck. Sie sind allein an die Seele der Menschen gewiesen, indem sie durch Wort und Sakrament Gericht und Gnade zu predigen haben in Christi Namen. Der Auftrag der Obrigkeit aber richtet sich auf den Leib der Menschen, der mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit regiert werden soll. Die erhebliche Tragweite dieser Unterscheidung wird erst dann recht deutlich, wenn man sieht, daß für Arndt Leib und Seele die beiden Seiten des als eine bedeutsame Akzentverlagerung zu verstehen. Sie wird auch von den eigenen Erfahrungen Arndts mit einer herrschsüchtigen Geistlichkeit wie z . B . in Braunschweig mit verursacht sein. Die Nähe Speners zu Arndt wird an diesem wichtigen Punkt wiederum sehr deutlich. Zu den Auseinandersetzungen um Recht und Grenze der Obrigkeiten gegenüber der Kirche vgl. Kruse, Speners Kritik, 5 7 - 8 1 .

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frommen Menschen bezeichnen, d. h. sein Äußerlich-Sichtbares und sein Innerlich-Unsichtbares. Im Bereich des Sichtbaren, d.h. in allen Angelegenheiten, die den äußeren Menschen in seiner persönlichen Lebensgrundlage sowie in den Ordnungen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens betreffen, steht allein der Obrigkeit die Herrschaft zu. Es handelt sich hier aber um die sichtbare Seite der Frömmigkeit, d.h. um die Äußerungen des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens in der Gottesfurcht. In der unsichtbaren Innenseite des gottesfürchtigen Lebens hat demgegenüber das Predigtamt seinen Auftrag, wodurch der innere Mensch Weisung und Zuspruch erfährt. Mit dieser Unterscheidung sind somit sowohl für das Amt der Obrigkeit selbst wie für das Verhältnis von Obrigkeit und Predigtamt nicht die weltlichen und die christlichen Pflichten gegenübergestellt, sondern die beiden Seiten des christlichfrommen Lebens beschrieben, die in ihrer Zuordnung auf Obrigkeit und Predigtamt das Ganze einer menschlichen Gemeinschaft umfassen. Gegenüber Luthers Obrigkeitsverständnis ist diese Aufteilung wesentlich unterschieden. Diente bei Luther die Verantwortung der Obrigkeit für Leib und Gut vor allem dazu, um ihre weltlichen Pflichten als gottgewollt vor papistischen und schwärmerischen Angriffen zu sichern, so bedeutet die Verantwortung der Obrigkeit für den Leib des Menschen bei Anrdt, daß ihr Handeln die äußere Ermöglichung für die Herrschaft Christi im Inneren des Menschen darstellt. Auch das Leiblich-Äußere muß aber vom Leib Christi durchdrungen sein, um das Ganze des Menschseins unter die Herrschaft Christi zu stellen. Es werden also gerade ihre christlichen Aufgaben damit betont. Hat Luther mit der Unterscheidung von Leib und Seele in seinem Obrigkeitsverständnis vor allem die Grenze der obrigkeitlichen Gewalt gegenüber dem Evangelium markieren wollen, so wird bei Arndt die Ganzheit eines christlichen Gemeinwesens betont, in der das Äußere und Innere sich wie Schale und Kern zueinander verhalten 2 7 4 . Innerhalb des ganzheitlich verstandenen gemeinschaftlichen Lebens im Geist Christi kommt nun aber auch dem Unterschied zwischen dem Leiblich-Äußeren und dem Seelisch-Inneren eine eigene Bedeutung zu. Deutlich will Arndt das eiserne Schwert von dem Schwert des Geistes unterschieden wissen. Wenn er auch besonders vor der Verkehrung des geistigen Schwertes in das eiserne Schwert auf Seiten des Predigtamtes warnt, so ist doch auch die umgekehrte Gefahr einer Amtsüberschreitung der Obrigkeit nicht übersehen: „Und gleich wie wir den Weltlichen nach ihrem Schwerdt nicht greiffen sollen/also sollen sie auch uns in unser Ampt nicht greiffen/wie Saul/Usia/Chore/etc." 2 7 5 N u r im 2 7 4 Das wird bei einem Vergleich der Predigten Luthers und Arndts über M t 2 2 , 1 5 - 2 2 deutlich, vgl. Abschnitt 3. a), Anm. 204 und d) Anm. 259. 2 7 5 660. Daß es sich bei den „Weltlichen" hier aber gar nicht nur um die Obrigkeit handeln muß, macht ein Abschnitt aus der 1. Predigt am Tage Johannes des Evangelisten deutlich. (1. Predigt über J o h 2 1 , 5 5 7 f . ) . Im 2.Teil dieser Predigt mit der Überschrift „De vocatione cuiusque", die von der Treue im jeweiligen Beruf handelt, heißt es: „Unser lieber Gott hat die gantze Natur in eine

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Zusammenhang mit der Abgrenzung des Predigtamtes von einer Amtsüberschreitung in den äußeren Regierbereich kommt auch die Gefahr eines Hineinregierens in den inneren Bezirk der Predigt- und Sakramentsverwaltung von Seiten der Obrigkeit ganz am Rande in den Blick. Daß jedoch diese, von der lutherischen Orthodoxie so vielfach und vehement heraufbeschworene Gefahr und beklagte Tatsache bei Arndt praktisch keine Rolle spielt, ist von seinem Denkansatz verständlich. W o es sich um die Außen- und Innenseite einer an der Gottesfurcht und an der Herrschaft Christi ausgerichteten frommen Praxis eines christlichen Gemeinwesens handelt, kann es sich bei einem auftretenden Konflikt nur um die auf persönlicher Verfehlung beruhende Ausnahme handeln. Es ist freilich nicht zu übersehen, welche Spannung im Herrschaftsverständnis der Obrigkeit auf der Grundlage dieses Denkens waltet. Die Notwendigkeiten des Schwertes im äußeren Leben des Menschen stehen unausgeglichen neben einem Amtsverständnis, das sich ganz an der Nachfolge Christi zu orientieren versucht 276 . Den Grund hierfür sehen wir in dem Bemühen Arndts, den Herrschaftsauftrag Gottes an die Obrigkeit konsequent mit einer christokratisch verstandenen Amtsführung zu verbinden. Gegenüber dem Predigtamt kann es bei einem so verstandenen, das Reich Christi mit äußeren Mitteln fördernden Regiment der Obrigkeit keinen strukturellen, die eigene Kompetenz überschreitenden Gegensatz geben. A n einer charakteristischen Stelle jedoch könnte er sich auch innerhalb dieses Rahmens ergeben, dort nämlich, w o das Predigtamt in das äußere Leben ausnahmsweise hinübergreift: beim Kirchenbann. Daß zum Predigtamt der Binde- und Löseschlüssel wesentlich hinzugehört, hat Arndt mehrfach ausführlich dargestellt und begründet 277 . Auf ausdrücklichen Ordnung gefasset/ daß alle Element/ Himmel/ Wasser/ Fewer/ Erde/ Sonne/ Sternen/ Bäume/ Berge in ihrem Circkel bleiben/ so sollen Menschen in ihrem Beruff auch bleiben/ denen er Gaben gegeben hat/ sollen sie brauchen zum gemeinen Nutz/ als die guten Haußhalter der mancherley Gaben G o t t e s . . . Mancher Jurist und Klügling last sich düncken/ er wolle Gottes Wort baß herausstreichen/ und fähet an/ das ihm nicht befohlen ist/ wie die Weltweisen jetzo die Theologiam und Gottes Wort reformiren wollen/ aber wie gings Saul/ Usia/ und Chore/ und seiner Rotte?" (560). Was für die je besonderen Aufgaben der Obrigkeit und des Predigtamtes hinsichtlich des Leib-Seele-Organismus gilt, gilt für die ganze Ordnung der Natur und des Kosmos. Diese naturhafte Ordnung ist für Arndt charakteristischerweise der Hintergrund seiner Warnung vor dem Geschäftigsein in fremden Sachen, was Luther „Faulwitz" nannte (s.u. S.42ff.). Bei Luther dagegen sind es geschichtliche Erfahrungen und Dimensionen, in denen er seine Kritik vorträgt. 2 7 6 In der 3. Predigt am Tage Johannis des Evangelisten, die im 2. Teil „Von eines jeden Menschen Beruff und Creutz" handelt nach der Ordnung der Dreiständelehre, heißt es vom A m t der Obrigkeit: „Also sol die Obrigkeit in ihrem Ampt auch weiden die Lämmer Christi/ und dem Herrn folgen in ihrem Ampt/ die Last ihres Ampts Christo nachtragen/ der sie beruffen hat/ und sich den Herrn gürten lassen/ und führen w o er hin wil. Mancher gürtete sich wol gern selbst/ das ist/ er wäre gerne sein eigen/ und wartete des seinen/ wil nit gerne anderer Leute Last tragen/ aber der Herr hat dich gegürtet/ und wil dich einen andern Weg führen/ darumb folge ihm trewlich." (565). Das Weiden der Schafe durch Predigtamt und Obrigkeit unterscheidet sich nur dadurch, daß es von den Predigern zusätzlich heißt, sie müßten auch mit dem Verlust ihres Leibes und Gutes rechnen. 2 7 7 In der Postille z.B. die Predigten am Sonntag Quasimodogeniti über Joh 20, Postille, 2. Teil,

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Befehl Gottes hat hier auch das Predigtamt eine äußerlich-sichtbare Gewalt, die den Ausschluß aus der Kirchengemeinschaft bewirken kann. Für den Bindeschlüssel des Predigtamtes gibt Arndt vor allem alttestamentliche Beispiele aus der prophetischen Strafpredigt (Samuel-Saul, Nathan-David), aber auch neutestamentliche und kirchengeschichtliche wie Ambrosius gegenüber Kaiser Theodosius 2 7 8 . Durch Büß- und Strafpredigten, die zum Kirchenbann führen können, hat das Predigtamt auch ein äußerliches Strafmittel, das aber selbst wiederum sein wesentliches Motiv und Ziel in einem innerlich-geistlichen Vorgang hat, der wahren Herzensreue und der Vergebung der Sünde durch Christus. So sehr es Arndt hiermit um eine strenge Kirchenzucht in der Verwirklichung wahren Christentums zu tun ist, so wenig ist doch der Binde- und Löseschlüssel des Predigtamtes gegenüber einer Obrigkeit anzuwenden, die in der Gottesfurcht und Christusnachfolge die wichtigsten Aufgaben ihres Amtes sieht. Das schließt freilich die persönliche Erinnerung und Ermahnung gegenüber den Regenten an diese Hauptaufgabe ihres Amtes mittels Strafpredigten durchaus ein, aber der ganze Denkansatz im Rahmen eines Innen und Außen der Frömmigkeit ist nicht auf ein kritisches Gegenüber, sondern auf ein harmonisches Zusammenwirken von Predigtamt und Obrigkeit ausgerichtet, das durch persönliche Verfehlung wohl gestört, aber gerade mit den zu wahrenden jeweiligen Unterschieden der Rechte und Pflichten beider Ämter noch einmal unterstrichen wird. So stellt Arndt an das Ende dieses Abschnittes, der vom Unterschied des weltlichen und geistlichen Regimentes handelt, ein Summarium: „Dreyerley unterscheid ist der weltlichen Obrigkeit und des Predigtampts: 1. Obrigkeit straffet eusserliche Sünde leiblich/Predigtampt eusserlich und innerlich. 2. O b rigkeit hat Macht newe weltliche ehrliche Gesetz zu machen/Predigtampt hat nicht Macht newe Artickel des Glaubens zu stifften. 3. Obrigkeit hat das Schwert/Predigtampt das Schwerdt des Geistes/damit sol es streiten." 2 7 9 Beide Ämter stehen in der gemeinsamen Abwehr der Sünde, die ihre äußere und innere Erscheinungsweise hat und der darum auch mit äußeren und inneren Mitteln begegnet werden muß. Die in der Eigenart des jeweiligen Amtes begründete Zuordnung der äußeren und inneren Strafe auf Obrigkeit und Predigtamt umfaßt somit den ganzen Menschen. Beim Kirchenbann hat das auf die Seele des Menschen ausgerichtete Predigtamt auch eine äußerliche Strafgewalt aufgrund eines göttlichen Befehls. Der zweite Punkt fügt sich ebenfalls in die Unterscheidung einer Außen- und Innenseite im menschlichen Zusammenleben ein, insofern weltliche Gesetze und Artikel des Glaubens gegenübergestellt werden. Die Obrigkeit hat Macht, im Auftrag Gottes zu herrschen, und das heißt auch: die Grundlagen dieser Herrschaft den jeweiligen Notwendigkeiten Von Ostern bis Trinitatis, vor allem die 1. Predigt, 2. Teil, 6 1 - 6 4 und die 3. Predigt, 2. Teil „Was zum heiligen Predigampt gehöre/ worinn dasselbe bestehe," 73 ff., 75 f. Siehe auch den Abschnitt „Von dem Bann" in der Kirchenordnung von 1619, u. Abschnitt2b), 157ff. 278

1. Predigt am Sonntag Quasimodogeniti, 63.

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661.

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anzupassen. Dem Predigtamt kommt kein Herrschaftsauftrag zu, d.h. es soll den in der Schrift geoffenbarten gerechten und gnädigen Willen Gottes verkündigen und sich nicht anmaßen, darüber hinaus mit menschlicher Willkür zu regieren. Das Streiten allein mit dem geistigen Schwert ist seine Aufgabe. Welche Folgerungen ergeben sich nun aus dieser Verhältnisbestimmung? Es ist zunächst wichtig festzuhalten, daß das weltliche und geistliche Regiment Gottes bei Arndt vor allem in der Beziehung auf Obrigkeit und Predigtamt gesehen, d.h. in den jeweiligen irdisch-menschlichen Erscheinungsweisen reflektiert wird. Insofern Arndt von zwei Herrschaftsweisen Gottes spricht und sie seinem weltlichen und geistlichen Regiment zuordnet, ist er doch stets an deren Wirkungsweise beim Menschen interessiert. Nur vom Menschen aus ist auch das Haupteinteilungsprinzip zu verstehen, aus dem sich die besondere Akzentuierung in seinem Obrigkeits- und Predigtamtsverständnis ergibt: das Äußerlich-Leiblich-Sichtbare und das Innerlich-Seelisch-Unsichtbare. Das weltliche und geistliche Regiment Gottes wird zu einem äußeren und inneren Handeln Gottes am Menschen gemäß den zwei Seiten seines Wesens: im Herrschaftsauftrag an die Obrigkeit, die das äußerlich-leibliche Leben in Gottesfurcht und Christusnachfolge zu ordnen hat, und im inneren Regiment Gottes in der Seele, auf das sich das Predigtamt mit seinem Verkündigungsauftrag allein zu beziehen hat. Damit ist deutlich, daß es hier nicht um die Zuordnung und Unterscheidung von Reich Gottes und Welt bzw. um die beiden Regimente Gottes im Sinne Luthers geht, sondern um die äußere und innere Gestalt der Antwort des gläubigen Menschen auf das äußere und innere Handeln Gottes. Die Unterscheidung der beiden Regimente bei Arndt hat damit eine anthropozentrische Akzentuierung erhalten gegenüber der theozentrisch ausgerichteten bei Luther. Mit dem Verständnis von „Welt" als äußerer Gestalt der Frömmigkeit ist das ganze leiblich-sichtbare Leben der Menschen umfaßt, so daß dem Amt der Obrigkeit eine besonders große Bedeutung und Verantwortung bei der Verwirklichung des christlichen Lebens zukommt. Das Predigtamt hat sich dagegen ganz auf den inneren Bezirk der Seele des Menschen zu konzentrieren und sich von jeglicher Macht und Herrschaft fernzuhalten. Daß Arndt vor allem die Papocaesarie, nicht aber die Caesaropapie als eine Gefährdung für das Predigtamt ansieht, ist von diesem Denkansatz aus konsequent. Damit ist ein folgenreicher Akzent in der Verhältnisbestimmung zwischen Obrigkeit und Predigtamt gesetzt, der in der weiteren Geschichte dieses Verhältnisses im 17. Jahrhundert von erheblicher Bedeutung ist. Das Gewicht der Verantwortung, das der gottesfürchtigen Obrigkeit bei Arndt zukommt, kann diese nur so lange tragen, als sie bereit ist, sich ganz auf ihre christliche Aufgabe zu besinnen. Die Geschichte des 17. Jahrhunderts zwischen Arndt und Spener aber zeigt, wie wenig sie dazu willens und in der Lage war. Indem bei Arndt die „Welt" nur entweder als äußere Gestalt der Frömmigkeit oder als christusfeindliche Gegenmacht verstanden wird, wird der Handlungsspielraum für die Ob-

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rigkeit allein von der Alternative Gottesfurcht oder Gottesferne bestimmt. In diesen engen Rahmen wollten sich die Obrigkeiten jedoch schon im Verlauf des 17. Jahrhunderts immer weniger einspannen lassen. Das Predigtamt aber, das sich nach dem Verständnis Arndts ganz auf den inneren Bereich der Seele zu konzentrieren hat, ist dem Herrschaftsanspruch von seiten der Obrigkeit schutzlos preisgegeben, sobald sich diese in ihrem Selbstverständnis nicht primär von der Herrschaft Christi, sondern von den eigenen Herrschaftsmaßstäben leiten läßt. Darüber hinaus ist das Predigtamt bei Arndt nicht nur durch seinen Handlungsrahmen beschränkt, sondern auch durch den Gedanken der inneren Einwohnung Gottes in der Seele in seinem Auftrag selbst gefährdet. Gewiß hat Arndt das Predigtamt als Institution der sichtbaren Kirche nicht infrage gestellt, sondern ganz im Auftrag Christi begründet gesehen. Aber das Wort Gottes, das es dem inneren Menschen verkündigt, hat auch ohne diese äußere Vermittlung schon Eingang in die Seele gefunden. So wie eine Spannung im Herrschaftsverständnis der Obrigkeit waltet zwischen der Herrschaft Christi und der des eisernen Schwertes, so durchzieht auch das Predigtamtsverständnis Arndts eine Spannung zwischen äußerer Wortverkündigung, deren die Seele bedürftig ist, und einer unmittelbaren Einwohnung Gottes im Inneren des Menschen. Wie wenig dieser Denkansatz in der Verhältnisbestimmung zwischen Obrigkeit und Predigtamt geeignet war, bei den schweren Kämpfen der Theologen und Kirchenjuristen um die Eigenständigkeit der Kirche im frühabsolutistischen Territorialstaat eine hilfreiche Rolle zu spielen, ist verständlich. Im Rahmen der breiten Wirkungsgeschichte Arndts im Luthertum des 17. Jahrhunderts kommt es zu keiner eigenständigen, grundsätzlichen Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment, wohl aber zu denkwürdigen Zeugnissen einer Obrigkeits- und Sozialkritik, die sich wesentlich am persönlichen Verhalten der Obrigkeiten ausrichtet. Wir werden diese Kritik in der Nachwirkung Arndts vor allem am Beispiel des Hofpredigers Joachim Lütkemann aufzuzeigen versuchen, der mit seiner politischen Predigt in der Mitte des 17. Jahrhunderts gegen den immer mächtiger werdenden Geist der Staatsräson ankämpft. Bevor wir uns zum Abschluß unseres Arndt-Kapitels seinen Landtagspredigten zuwenden, wollen wir in einem Exkurs auf das Obrigkeits- und Predigtamtsverständnis des Dresdner Oberhofpredigers Philipp Jakob Spener blicken. Es wird sich zeigen, in welcher Nähe zu Arndt das Verständnis der Obrigkeit und die Verhältnisbestimmung zwischen Obrigkeit und Predigtamt bei Spener konzipiert sind.

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Exkurs: Zwei Predigten des Oberhofpredigers Philipp Jakob Spener über die Treue der Obrigkeit und des Predigtamtes Am Sonntag Misericordias Domini 1688 predigt Spener in Dresden über die „Treue der obrigkeit." 2 8 0 Als Textgrundlage dient ihm Johannes 10,11-16. Wir vergegenwärtigen uns zunächst den Gedankengang dieser Predigt und vergleichen sie sodann mit der Predigt, die er zwei Wochen später am Sonntag Kantate über die Treue des Predigtamtes gehalten hat. Im Eingang geht Spener von einer vierfachen Bedeutung des Hirtenamtes in der Hl. Schrift aus: Von Hirten redet die Bibel 1. als Viehhirten, 2. als Lehrer, Prediger und Pfarrer, 3. als weltliche Hirten oder Obrigkeiten und 4. wird auch Gott und Christus ein Hirt genannt 281 . Das Hirtenamt Christi umfaßt das priesterliche, prophetische und königliche Amt, das Spener in dem Evangelium Joh 10 besonders deutlich ausgeführt sieht. Diesmal aber hat er sich vorgenommen „von der pflicht und treue der obrigkeit gegen ihre unterthanen" zu handeln 282 . Die Schwierigkeiten Speners mit dem Perikopenzwang kommen in der folgenden charakteristischen Bemerkung zum Ausdruck: „Nach dem wir aber dieses jähr nicht so wol von glaubens-articuln handeln/als vielmehr von den lebens-Pflichten/so Hesse sich zwar sehr bequeme auch aus demselben handeln/ von der pflicht und treue der prediger/wie sie hirten in ihrem amt sind; weil aber dieselbe noch bequemern platz bey anderm evangelio nächst finden wird/so wollen wir eine pflicht vor die hand nehmen/zu dero wir sonsten nirgends bequemere gelegenheit finden können/nemlich von der pflicht und treue der obrigkeiten gegen ihre unterthanen. Welch gleichwol billich zu erwegen ist/und dannoch kein evangelium außtrücklich von derselben handelt." 283 Aus dieser Bemerkung Speners geht aber auch deutlich hervor, daß er von Joh 10 ausgehend sowohl von den Pflichten der Obrigkeit wie von denjenigen des Predigtamtes sinnvoll zu handeln weiß 2 8 4 . Für sein Thema der Obrigkeitspflichten 280 J5¡ e Evangelische Lebens-Pflichten. In einem Jahrgang der Predigten..., Frankfurt/M. 1692, I, 5 5 3 - 5 7 4 . Vgl. Kruse, Speners Kritik, 32—41, 4 0 f . - Da es uns hier nur um einen Ausblick auf das Obrigkeits- und Predigtamtsverständnis Speners von der Arndtschen Postille aus geht, greifen wir aus der Fülle der Obrigkeitspredigten Speners im Rahmen der vier geschlossenen Predigtjahrgänge über die Sonntagsevangelien, die zu Lebzeiten Speners erschienen sind, nur diese zwei heraus. W i r meinen allerdings, daß sie die Grundintention in Speners Obrigkeits- und Predigtamtsverständnis insgesamt sinnvoll verdeutlichen können. Vgl. zu Speners Predigttätigkeit und Homiletik Grünberg, II, 3 1 - 5 8 und Wallmann, Spener, 2 0 0 f f . W i r zitieren nach der Ausgabe Frankfurt 1707. 553 f. 5 55. 2 8 3 Ebd. Vgl. zu Speners Kritik am Perikopenzwang Wallmann, Spener, 205 ff. 2 8 4 Schon 1677 hat Spener J o h 10 als Verhaltensspiegel für die weltlichen und geistlichen Hirten ausgelegt (Deß thätigen Christentums Nothwendigkeit und Möglichkeit, Frankfurt 1 6 8 0 , 1 , 789). Und 1680 und 1687 predigt er am Sonntag Misericordias Domini „Vom predigtamt." (Die Evangelische Glaubens-Lehre, II, Kürtzerer Auszug, Frankfurt 1688, 1 0 3 - 1 0 9 (1680) und Glaubenslehre I, 5 2 1 - 5 4 1 (1687)). Auch in seiner Predigt über die Treue des Predigtamtes am Kantatesonntag 1688, 281

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findet Spener von allen evangelischen Texten in Joh 10 die geeignetste biblische Grundlage. Mit dieser biblischen Textwahl ist schon die Hauptrichtung sowohl von Speners Obrigkeits- wie Predigtamtsverständnis charakterisiert: dem Hirtenamt Christi gilt es in beiden Amtern nachzufolgen. Das christokratische Denken Speners erfordert es, die beiden Hirtenämter an dem Hirtenamt Christi unmittelbar auszurichten, so daß beide in ihrer Struktur ganz nahe zusammenrücken. Spener geht somit bei seiner Darlegung der Treue, d. h. der Amtspflichten der Obrigkeit, von einer Betrachtung der Hirtentreue Jesu Christi aus, die „das bild seyn solle/nach dem sich auch alle treue der weltlichen hirten oder obrigkeiten richten muß." 2 8 5 Das Vorbild Christi für die Obrigkeit wird in drei Hauptgesichtspunkten entfaltet, die den gedanklichen Aufbau der Predigt strukturieren: das Fundament, die Art und Frucht der Hirtentreue Christi, die in den „Lehrpunkten" auf die Grundlagen der obrigkeitlichen Herrschaft und ihre Pflichten bezogen werden. Bevor aber Spener die einzelnen Pflichten der Obrigkeit unter dem Vorbild des guten Hirten Christus erläutert, stellt er das Besondere des Hirtenamtes Christi heraus. Christus weidet die ihm selbst gehörenden Schafe, während alle Obrigkeiten nur als Verwalter und Beauftragte von Gott den Hirtendienst an den Untertanen versehen. Unter Berufung auf Sap Sal 6,5; Ps 82,1 und Römer 13,4 betont Spener: „Also bestehet alles recht der obrigkeiten allein darinne/daß sie Gottes Statthalter sind/seines reichs amt-leute." 2 8 6 Das aber heißt, „daß sie auch niemal absolut sind/oder eine solche gewalt haben/mit den unterthanen und dem ihrigen/nach belieben umzugehen." 2 8 7 An dieser Verantwortung vor Gott haben sich alle Obrigkeiten auszurichten, auch Kurfürsten, Könige und Kaiser, wie Spener ausdrücklich hervorhebt. Gegenüber seiner Obrigkeit in Dresden ist damit ein nicht geringer kritischer Akzent gesetzt 288 . Die Untertanen sind nicht um der Obrigkeiten willen da, „daß so viele leute einem mann dienen und unterworffen seyn müsten/damit derselbe in grosser herrlichkeit sein leben fuhren könte/welches wider Gottes upartheyische liebe gegen alle menschen streitet: sondern die obrigkeiten sind umb der unterthanen willen/ auf die w i r noch eingehen, kommt er auf J o h 10 zu sprechen. Zu der erheblichen Bedeutung von Joh 10 in der reformatorischen Tradition des Kirchenverständnisses s. H . - W . Krumwiede, Kirchliches Bekenntnis und die Freiheit des Christen. Exkurs: 1. Die Kennzeichen der wahren Kirche nach dem Johannesevangelium Kapitel 10, Sonderdruck aus J G N K G 1980,19-31. 5 55. 5 5 8. 2 8 7 Ebd. 2 8 8 Uber die Vorgänge in Dresden und Speners Konflikt mit Kurfürst Johann Georg III. im Frühjahr 1689, die schließlich zu seinem Weggang nach Berlin führten, s. Letzte Theologische Bedencken, Halle 1 7 1 1 , 3, 2 6 5 f f . und 3 9 9 f f . Vgl. jetzt E. Beyreuther, Einleitung zu Ph.J. Spener, Schriften, Bd. IV, Hildesheim 1 9 8 4 , 9 3 ff. 285

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und daher ist einem man/oder ihrer mehrern/so viel sorge/last und mfihe auffgeleget/hingegen auch so viel ehr und würde/auch macht gegeben/damit durch ihn ihrer viel hundert oder tausenden wohl seyn möchten." 2 8 9 Nachdem dieses Fundament aller obrigkeitlichen Herrschaft unter Gott zum Wohl der ihr anvertrauten Untertanen herausgestellt ist, ist nun aber auch der Weg frei, auf dem die Obrigkeiten im Sinne Speners der Hirtentreue Christi in ihren Amtspflichten nachfolgen sollen. In direkter Entsprechung zu den Eigenschaften des guten Hirten Christus entfaltet Spener die Pflichten der Obrigkeit. Wie Christus seine Schafe, d.h. die gläubigen Christen, nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich kennt und sie ihm von Herzen vertrauen, so soll auch ein weltlicher Hirt seine Untergebenen genau kennen und wissen, „worinnen ihr zeitliches und ewiges heyl bestehe." 2 9 0 Die Untertanen aber müssen ebenfalls wissen, „wie treu ihre obrigkeiten gegen sie gesinnet seyen/damit sie darauß ein hertzliches vertrauen gegen sie s c h ö p f f e n . . . " 2 9 1 Als zweite Hirtenpflicht gilt Spener die echte Liebe gegenüber Land und Leuten, die im Notfall sogar über die natürliche Selbstliebe gestellt werden muß. Der hohe Anspruch an die Obrigkeit und die dementsprechend besonders naheliegende Kritik an ihrem Verhalten 2 9 2 zeigt sich gerade an diesem Punkt, der den Umgang der Regierenden und ihrer Beamten mit den Untertanen beschreibt. Da ein Regent nicht eigentlich Herr, sondern nur Verwalter der ihm von Gott Anvertrauten ist, „da muß nun in seiner gantzen regierung die ehre Gottes seine haupt-regel seyn/nach dero er alles richtet: der ehre Gottes aber ligt mehr an der erhaltung und wohlseyn eines gantzen landes und vieler tausend unterthanen/als an dem weltlichen nutzen/respect und mehrer hoheit eines mannes." 2 9 3 „Daher es durch Gottes gnade auch unterschiedliche mal solche Christliche und löbliche regenten gegeben hat/die mit worten und in der that bezeuget haben/daß sie der unterthanen wolfarth der ihrigen vorziehen: welche auch allein gottgefällige regenten/hirten und nicht miedlinge sind." 2 9 4 Das Weiden, Regieren und Führen ist die dritte Pflicht des Hirten. Durch Gesetze und gute Ordnungen, die strikt einzuhalten sind, durch Gericht und Gerechtigkeit, vor allem aber durch 2 8 9 5 59. - Die Verantwortung des obrigkeitlichen Amtes ist vor allem Mühe und Last, erst danach spricht Spener von Ehre, Würde und Macht der Obrigkeit. 2 9 0 561. - Deshalb legt Spener auch auf eine gute Erziehung und Bildung der jungen Regenten wie alle Hofprediger im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie großen Wert. 29

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Spener kritisiert besonders das wirtschaftliche Aussaugen der Untertanen: „Wie ich dan einen raub begehe/ w o ich einem andern das seinige/ dazu ich nicht recht habe/ entziehe/ so begehen auch herren und alle obrigkeiten einen so viel unverantwortlichem raub/ w o sie von den unterthanen zu viel nehmen/ so viel unziemlicher es ist/ weil sie solches in Gottes namen thun/ und als auß obrigkeitlichem recht fordern/ daher Gottes namen darüber entheiligen." (563). „Nach dem gleichnüß des hirten kommt demselben nicht zu/ daß er den schaafen mit der wolle auch die haut gar abziehen/ oder sie so plage und offt beschere/ daß sie sich nicht dabey behalten können." (ebd.). 292

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562. Ebd.

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das gute Vorbild sollen die Obrigkeiten regieren und für das geistliche und leibliche Wohl der Untertanen sorgen 2 9 5 . Die vierte Pflicht ist schließlich, „daß der hirt sein leben vor die schaafe lassen muß/also auch eine obrigkeit." 2 9 6 Spener versteht darunter zunächst die fleissige Aufopferung für die Untertanen in den Regierungsgeschäften, die die Regenten selbst ausüben bzw. verantworten müssen. Sodann aber auch im direkten Sinn, wenn eine äußere oder innere Gefahr für die Untertanen droht. Dann gilt es, dem Wolf entgegenzutreten und nicht wie ein Mietling zu fliehen 2 9 7 . Diese Pflichten der Obrigkeit haben bei gewissenhafter Einhaltung die T u genden der Redlichkeit, Gottesfurcht, Wahrhaftigkeit und Geizfeindschaft zur Folge 2 9 8 . Als Frucht, die aus der Treue der Obrigkeit hervorgeht, stellt Spener den ganzheitlichen Segen für ein Gemeinwesen heraus. Interessant ist dabei, in welcher Weise er den Segen für die Kirche durch eine gottesfürchtige Obrigkeit betont: „Es ist aber nicht nur der leibliche Wohlstand eine frucht einer obrigkeit/ sondern auch in der kirchen geths gemeiniglich auch wohl/wo obrigkeiten sind/ die ihre oberauffsicht auff die kirche ihnen lassen angelegen seyn/und eine vätterliche Vorsorge tragen/da ist friede/ruhe/und aller segen.. . " 2 " Am Schluß der Predigt werden die Mittel genannt, die zu einer gottesfürchtigen Regierung führen sowie die Haupthindernisse, die ihr im Weg stehen. Es sind ausschließlich geistliche Mittel, die Spener der Obrigkeit empfiehlt und die er auch zur rechten Führung des Predigtamtes angibt 3 0 0 . An erster Stelle steht das Wort Gottes: „Also wo einer ein löblicher regent zu werden und zu seyn verlangt/ dem ist nichts besser zu recommandiren/als fleissige lesung der bibel; worinnen ein fleissiger leser/alles was zu einer rechtschaffenen regierung gehöret und ein wahre gegründete politic finden kan: daß ob ihm wol auch andere bficher etwas nutzen mögen/dannoch dieses den Vorzug vor allen auch zu dem zweck seiner 295 564. 296

Ebd.

„Es heisset aber der wolff alle öffentliche ärgernüssen/ wodurch die geistliche und leibliche wolfahrth der unterthanen gehindert wird." (565). 297

2 9 8 In Anlehnung an 2. Mose 18,21,565f. Besonders gegen den Geiz wendet sich Speners scharfe Kritik in Ubereinstimmung mit der Obrigkeits- und Sozialkritik der lutherischen O r t h o d o xie, vor allem Johann Arndts. 2 9 9 5 6 7. - Interessant ist diese Stelle insofern, als sie deutlich zeigt, daß Spener längst vor den Hamburger Streitigkeiten (1690) und der „Leipziger Inquisition" (1693), die zu den heftigen Vorwürfen des Danziger Pfarrers Samuel Schelwig gegenüber Spener führten, nicht in der Caesaropapie das eigentliche Übel gesehen hat. Die angebliche „Inkosequenz im praktischen Verhalten" Speners, insofern er anfangs in den Pia desideria gegen die Caesaropapie votierte, dann aber einen allmählichen Frontwechsel vollzog, indem er immer mehr in der Papocaesarie der Orthodoxie die eigentliche Gefahr für sein Reformprogramm erblickte, erklärt m . E . M. Kruse gegenüber M . H o necker richtig: „In seinem Grundanliegen aber ist Spener sich immer treu geblieben. Daran gemessen war die Inkonsequenz seines Handelns geradezu konsequent. Das Leben aus der Wiedergeburt, die Sammlung der wahren Gläubigen sollte ermöglicht werden. So gewichtig das V o t u m gegen die Caesaropapie scheinen mag, hier lag in Wirklichkeit nicht das Schwergewicht der A k t i o n . " (M. Kruse, Speners Kritik, 46). 300

In der Predigt über die „Treue des Predig-Ampts", 600ff., 614f.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

regierung bey ihm behalten solle." 301 Aus der Heiligen Schrift können die Regenten vor allem das Fundament aller Obrigkeitspflichten erkennen: „wie sie nicht eigenthums-herren/sondern nur Gottes Statthalter seyen/und zwar wiederum nicht zu ihren/sondern der unterthanen nutzen." 302 Sodann sind Taufe und Abendmahl wichtige Mittel zur Regimentsführung. Sie schließen Obrigkeiten und Untertanen als Glieder an dem einen Leib Christi zusammen, so daß Selbstherrlichkeit der Herren und Verachtung der Untertanen unmöglich sind 303 . Ein Regent, der sich seiner Taufe bewußt ist, wird „nicht sein Christenthum nach seinem regenten-stand sondern seinen regenten-stand nach seinem Christenthum richten/denn das Christenthum ist an sich höher als die regenden-wfirde." 304 Vor allem haben die Obrigkeiten das Gebet für die Ausübung ihres Amtes so besonders nötig, weil ihr Stand durch viele Gefahren bedroht ist 305 . Weil Gott ihnen mehr als anderen anvertraut hat, wird er auch von ihnen mehr fordern (Lk 12,48); der Teufel setzt ihnen besonders zu und die Gelegenheiten zur Sünde sind bei ihnen zahlreicher als anderswo. Deshalb müssen sie alle ihre Anliegen im Gebet vor Gott bringen, die Verantwortung im Gericht stets vor Augen haben und sich vor Sünden hüten, denn ihre Sünden wiegen schwerer als die anderer Menschen 306 . Mit der Aufzählung der Hindernisse für eine gottesfürchtige Regierung warnt Spener noch einmal nachdrücklich vor Selbstherrlichkeit, Geiz, Hochmut und vor allem Schmeichelei am Hof. Er zitiert Ps 101, mit dem er dieses Grundübel anprangert 307 . Die Untertanen aber haben sich gegenüber einer unrechtmäßig handelnden Obrigkeit nicht aufzulehnen, sondern zu gehorchen. Sie sollen Gott bitten, daß er die Regenten auf den rechten Weg führe. Wir haben diese Predigt Speners über die Treue der Obrigkeit ausführlich vorgestellt, weil sie die Grundtendenz in seinem Obrigkeitsverständnis besonders deutlich wiedergibt 308 . Wie sieht er nun Wesen und Aufgaben des Predigtamtes, in dem er selbst jahrzehntelang stand? Ein großer Teil seines literarischen Werkes besteht ja aus Predigten 309 , und von der Erneuerung der Verkündigung 301 5 67. - Gegenüber Luthers Auslegung des 101. Psalms stellt dies eine deutliche Akzentverlagerung dar! 302 Ebd. 303 Der christliche Regent soll immer daran denken, „er habe mit Gott in der tauff eben den bund gemacht/ welchen der baur mit Gott machet..." (568). 304 5 67 f. 305 N u r der Predigerstand ist noch gefährdeter als der Obrigkeitsstand : „ . . . wie dann nächst dem prediger-stand kein anderer so gefährlich ist/ wie der ihrige." (568). 306 „Weil sie auch von Gott mit seinem bild gezieret und geheiliget sind/ müssen sie gedencken/ daß sie mit ihren sünden solches bild an sich entheiligen/ darüber auch ihre sünden so viel schwerer werden." (570). 307 571 f. 308 Zu den Obrigkeitspredigten in seinen geschlossenen Predigtjahrgängen vgl. die Aufstellung bei Kruse, Speners Kritik, 37, Anm. 111. 309 Vgl. Grünberg III, Bibliographie der Predigten Speners, 215-233. Die immense Fülle von

Zwei Predigten Philipp J a k o b Speners

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im Predigtamt erhoffte er sich die Erneuerung der Kirche. Vor allem in Form von Predigten hat Spener seine theologischen Einsichten vorgetragen, so daß man von der Predigt als dem wichtigsten theologischen Erkenntnis- wie Ausdrucksmittel Speners sprechen kann. In der Predigt über die „Treue des PredigA m t s " gibt Spener in zeitlicher Nähe zu der vorgestellten Obrigkeitspredigt exemplarisch Auskunft über Fundament und Pflichten des Predigtamtes 3 1 0 . Gleich im Eingang wird ein falsches Verständnis des geistlichen Standes in der Papstkirche abgewehrt. Alle Christen sind geistlich, insofern Christi Geist bei ihnen ist, die Pfarrer stehen nicht als Kleriker den Laien gegenüber, sondern sind nur durch bestimmte Funktionen von den anderen Christen in der Gemeinde unterschieden 311 . Der gedankliche Aufbau der folgenden Predigt zeigt dieselbe Struktur wie die Predigt über die Treue der Obrigkeit. In der Erklärung des Evangeliums wie in den Lehrpunkten handelt Spener von dem Fundament, den Pflichten und der Frucht des Predigtamtes. Das Wirken des Hl. Geistes ist das Fundament aller Tätigkeiten im Predigtamt 3 1 2 . Die Pflichten sind das Lehren und Vermahnen, das Strafen 3 1 3 und Trösten sowie das gute Vorbild im Leben 3 1 4 . Als Frucht des Predigtamtes stellt Spener die Ausbreitung der in Christus vollendeten Gotteserkenntnis über die ganze Erde und das Lehren und Handeln der Menschen in der Kraft der Wahrheit Christi heraus. Doch damit ist das Thema der Treue des Predigtamtes für Spener noch nicht genügend akzentuiert. Die biblische Textvorgabe im Evangelium für den Sonntag Kantate (Joh 16) ist ihm offenbar für sein Thema zu eng, deshalb greift er auf das Evangelium für den Sonntag Misericordias Domini zurück, auf J o h 10, das ihm schon als Grundlage für die Thematik der Obrigkeitspflichten diente. D a Spener seine Themapredigten im Korsett der Sonntagsevangelien vortragen muß 3 1 5 , gibt er der Gemeinde folgende charakteristische Erklärung: „Dieses ist Speners Predigten wird deutlich, wenn man den nach seinem T o d erschienenen Katalog einsieht: „Vollständiger Catalogus Aller derjenigen Predigten, Welche von H n . D . P h i l i p p J a c o b S p e n e r . . . sind gehalten w o r d e n . . . , " Leipzig 1716. 3 1 0 Lebenspflichten I, 600-621, Text: J o h 16,5-15. 3 1 1 Der Ausgang vom allgemeinen Priestertum charakterisiert das Predigtamts- und Kirchenverständnis nicht nur Speners, sondern das des gesamten Pietismus. Spener hat gegenüber der lutherischen Orthodoxie zuerst mit Nachdruck auf die Gemeinde hingewiesen, vor allem in seiner Schrift „Der Klagen über das verdorbene Christenthum Mißbrauch und rechter Gebrauch," 1684; vgl. M. Honecker, Cura religionis, 209 ff. 3 1 2 602f. - Der Geist wird von Spener im Anschluß an J o h 16 in engster Verbindung mit dem Vater und dem Sohn gesehen. 3 1 3 Das Strafamt gehört auch bei Spener wie durchgängig in der lutherischen Orthodoxie zu den zentralen Aufgaben des Predigtamtes. Ausdrücklich hebt er hervor, daß die Prediger alles, was in der Welt G o t t zuwider ist, strafen sollen ohne Ansehen der Person: „ . . . g r o ß und kleine/ die höchste potentaten in der weit so wol als die geringste..." (603). Alles Strafen aber soll zur inneren Einkehr und zur Buße führen.

603 f. Es wird hier nur besonders deutlich, was auch sonst bei Spener gilt, daß er sein Thema dem Text anzugleichen versucht, nicht aber eigentlich aus dem Text heraus entwickelt. 314

315

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

also/was wir auß dem Evangelio (Joh 16) selbs hieher gehöriges finden: weil aber auch in dem neulichen Evangelio auff Misericord. D o m . hätte von der hirtentreue der Prediger gehandelt werden können/da wir aber vielmehr von der treue der weltlichen hirten oder obrigkeiten gehandelt haben/und gleichwol diese unsere materie auch sehr fein auß demselben könte erkläret werden/wollen wir mit wenigem auch auß solchem J o h 10. miteinander was hieher gehöret/besehen." 3 1 6 Hier wird deutlich, daß Spener Obrigkeit und Predigtamt als strukturell vergleichbare Hirtenämter einander sehr eng zuordnet, weil es in beiden vor allem um die Nachfolge des einen Erzhirten, des guten Hirten Christus, geht. Das Fundament, die Pflichten und die Frucht des Predigtamtes entsprechen im wesentlichen denjenigen des obrigkeitlichen Amtes 3 1 7 . Der vergleichende Blick auf die einzelnen Pflichten im Hirtenamt der Regenten und Prediger zeigt ihre strukturelle Gleichheit auch gerade im Zusammenhang der geringen Akzentverlagerungen, die hier wahrzunehmen sind. Ging es bei dem Kennen der „Schafe" sowohl auf Seiten der Obrigkeit wie des Predigtamtes vor allem um ein innerliches Erfassen ihrer je eigenen Art, so ist das Weiden im Predigtamt eine geistliche Weide, „daß die Prediger die zuhörer mit der speise des worts und der heiligen sacramenten stärcken: dann die zu dem ewigen leben und himmlischer Seligkeit verordnet sind/bedorffen auch himmlische und ewige speise." 3 1 8 Die Obrigkeiten haben demgegenüber nur allgemein dafür zu sorgen, daß die Untertanen „ihre weide/das ist/ihre geistliche und leibliche nothdurfft/haben mögen." 3 1 9 Immer jedoch ist auch ihnen die Sorge nicht nur für das zeitliche, sondern auch für das ewige Heil aufgegeben 3 2 0 . Das gute Vorbild im Leben, die Bereitschaft, das Leben für die „Schafe" einzusetzen (im übertragenen und direkten Sinn) 321 sowie der Kampf mit dem „Wolf" 3 2 2 sind die gemeinsamen Pflichten der Obrigkeit wie des Predigtamtes. In der „Hauptlehre" über das Predigtamt stellt Spener sehr betont das Amt des Geistes heraus. Ohne die Erleuchtung durch den Hl. Geist können die Prediger das Wort Gottes nicht recht erkennen und verkündigen: „Es muß also billig der Prediger erstlich eine wohnstätte des Heiligen Geistes werden/damit 605. 605f. - N u r die 2. Pflicht der Obrigkeit, das nötige Achten und Lieben der Untertanen, hat hier keine direkte Entsprechung, darüber handelt Spener aber noch später ausführlich. (609 f.). 3 1 8 605. 3 1 » 564. 3 2 0 A n der custodia utriusque tabulae der weltlichen Obrigkeit hält mit der ganzen lutherischen Orthodoxie selbstverständlich auch Spener fest. 3 2 1 Spener läßt freilich keinen Zweifel über die Einmaligkeit des Todes Christ. Er hat „eine andere art/ wie er vor seine schaafe das leben lässet/ daran es ihm kein ander hirt nachthun kan/ oder solle/ daß er nemlich warhafftig sein leben zu einer Versöhnung vor seine schaafe dahin giebet/ und mit seinem tode ihnen das leben erwirbet." (Treue der Obrigkeit, 557). Deshalb ist es auch die besondere Frucht des Predigtamtes, diese geistlichen Güter, die uns Christus durch seinen T o d erworben hat und durch seinen Geist schenkt, zu empfangen. (Treue des Predigtamtes, 606). 316

317

3 2 2 „Wolf" bedeutet öffentliche Ärgernisse im Leben und Lehren, vom Satan gesteuert, die das geistliche und leibliche Wohl der Menschen hindern.

Zwei Predigten Philipp Jakob Speners

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er auch nachmal dessen Werkzeug werde." 3 2 3 Spener grenzt dies aber deutlich gegenüber möglichen schwärmerischen bzw. donatistischen Mißverständnissen ab 3 2 4 . Dasselbe Bemühen zeigen seine Ausführungen über die ordentliche Berufung der Prediger. Die geordnete kirchliche Vokation der Pfarrer ist nicht abhängig von der persönlichen Qualität der zu Berufenden, dennoch lastet hier eine schwere Verantwortung und es ist viel besser, wenn der „innerliche ber u f f . . . mit dabey ist/das ist/wo die person wahrhafftig von Gott mit seinem Heiligen Geist zu solches amts heilsamer Verrichtung außgerüstet ist/und selbs in ihrer seelen einen innerlichen trieb dazu hat/nicht aber sich allein zu dem amt deßwegen bestellen lisset/damit man sein stück brod haben möge." 3 2 5 Freilich kann Gott auch in seinem Zorn untaugliche Personen in das Regier- wie Predigtamt berufen. Das Hauptaugenmerk Speners ist aber auf die Pflichten der ordentlich berufenen Prediger gerichtet. Alle Frucht im Predigtamt kommt aus Glaube und Liebe, die Selbstherrlichkeit zerstört den Leib Christ. Die lehrmäßige Wiederholung der Pflichten im Predigtamt, die er schon nach dem Zeugnis des Evangeliums als Lehren, Vermahnen, Strafen und Trösten beschrieben hat, bringt einige charakteristische Zusätze für das Kirchenreformverständnis Speners. Die gegenwärtige Ordnung, nach der das Wort Gottes ohne Beachtung der Aufnahmefähigkeit der Gemeindeglieder unterschiedslos verkündigt wird, so daß „Milch und starke Speise" an alle, jung und alt, ausgeteilt werden, sieht er als wenig glücklich, ja als eine „ziemliche unordnung" an, die er gern geändert hätte. E r wünscht, „daß wir eine bessere Verfassung und Ordnung in unsern kirchen hätten/die lehren der noch unwissenden/und derer die weiter gekommen sind/recht voneinander zu unterscheiden/und also jeglichem das seinige vorsichtiger geben zu k ö n n e n . . , " 3 2 6 Die bald von Spener nach seinem Amtsantritt in Dresden begonnene Kinderkatechese, die ihm Unverständnis und Widerwillen von Seiten der Pfarrerschaft und des Hofes einbrachte, hat diese Erkenntnis in die Tat umgesetzt. Auch bei der Austeilung der Sakramente als Spiegel des Wortes Gottes wünscht er sich eine bessere Ordnung in der Kirche, die der Verantwortung gegenüber Christus und den Gemeindegliedern mehr gerecht wird. Besonderes Gewicht legt Spener auf das vorbildliche Leben der Prediger, damit ihr Leben nicht ihrer Lehre widerspricht. Hier sieht er die schwersten Gebrechen des gegenwärtigen Predigtamtes und damit der ganzen Kirche, und im Zusammenhang mit dem weitverbreiteten unwürdigen Leben der Prediger gibt er den Klagen über den verdorbenen Zustand der Kirche beredten Ausdruck: „Gewißlich wo die kranckheit selbs das hertz eingenom323

6 07.

6 0 7. Dies in Ubereinstimmung mit den Pia desideria, 1 7 , 3 2 ff. und seiner Schrift „Der Klagen über das verdorbene C h r i s t e n t h u m . . . " , 1684, passim. 324

325

6 08.

6 1 0. - Spener kann aber auch in seiner stets vorsichtigen Weise der gegenwärtigen Situation einen Sinn zuerkennen, indem der Heilige Geist auch die Unmündigen zu erleuchten vermag. 326

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

men hat/wie dann das predig-amt als das hertz der kirchen ist/so kans nicht dran fehlen/daß nicht auch der gantze leib solte davon matt und schwach werden." 3 2 7 Das lasterhafte Leben eines Predigers gibt den Christen Anlaß, zu Atheisten zu werden! 3 2 8 Den notwendigen Zusammenhang von Leben und Lehre der Prediger bezieht Spener nicht nur auf ihr öffentliches Wirken in der ganzen Gemeinde, sondern auch auf die Seelsorge an ihren einzelnen Gliedern 3 2 9 . Wie weit die Gemeinsamkeit der Hirtentreue im Predigtamt wie im Amt der Obrigkeit reicht, wird neben den Pflichten vor allem auch an den Mitteln deutlich, womit die rechte Amtsführung in beiden Ämtern gefördert werden kann. D a es hier wie dort dem Erzhirten Christus nachzufolgen gilt, sind es die gleichen Mittel, wodurch die Treue der Obrigkeit und des Predigtamtes befestigt wird: das Wort Gottes, Taufe und Abendmahl sowie das Gebet 3 3 0 . Beiden Sakramenten Taufe und Abendmahl hebt Spener jeweils die Gemeinschaft am Leibe Christi heraus, in der Regenten wie Prediger mit ihren Untertanen bzw. Gemeindegliedern stehen. In der Besinnung auf diese Sakramente kann der in beiden Ämtern so naheliegenden Gefahr der Selbstüberhebung gewehrt werden. Das Predigtamt hat noch ein besonderes Mittel zur rechten Amtsführung: das Kreuz und die Anfechtung. „In den ersten verfolgungen/da lauter gefahr/ leiden und quaal täglich ihnen vor äugen schwebte/gab es die beste Christen und die beste Prediger." 3 3 1 Auch in der schweren Verantwortung vor Gott und seinem Gericht sind Obrigkeit und Predigtamt verbunden. Das zeigt Spener am Schluß beider Predigten, indem er die Haupthindernisse benennt, die der Hirtentreue in beiden Ämtern entgegenstehen. Für das Predigtamt sind diese vor allem eine einseitige Amtsführung nach menschlicher Vernunft und fleischlicher Weisheit und die Liebe zur Welt 3 3 2 . In der abschließenden admonitio kommt schließlich Speners scharfe Kritik am Zustand von Kirche und Obrigkeit seiner Zeit zum Ausdruck. Nachdem er Fundament, Pflichten und Frucht der Treue in beiden Hirtenämtern dargelegt hat, beklagt er bitter die traurige Wirklichkeit in den beiden „oberen Ständen": „Hingegen wie hertzlich wehe es mir thut/so kan ich doch nicht anders erkenen/ als daß das allgemeine verderben unsrer evangelischen kirchen herkommet auch von den hirten in beyden obern ständen/sonderlich von uns predigern." 3 3 3 Die notvolle Situation der Kirche hat ihre Wurzel vor allem in dem Mietlingsgeist 617. 612. 3 2 9 6 1 3. - Unter solcher Seelsorge versteht Spener, daß die Prediger gesprächsweise „ihren Zuhörern selbs nachgehen/ um sie zu erbauen/ zu stärcken/ zu bessern/ und da sie auff unrechtem wege wären/ sie wiederum zu recht zu bringen." (ebd.). Die Seelsorge gehört somit notwendig zum Amt der Verkündigung des Wortes Gottes. 3 3 0 6 1 4f. und Treue der Obrigkeit, 567f. 3 3 1 615. - D e m entspricht die Verheißung Gottes, auf die die treuen Prediger hoffen können, 616. 3 3 2 6 1 6. - Spener sieht in der weit vorherrschenden Liebe zur Welt im Pfarrerstand die Hauptursache seines Verderbens. 3 3 3 Ebd., vgl. Pia desideria, 15, 20 ff. 327

Zwei Predigten Philipp Jakob Speners

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ihrer Prediger, die Spener eigentlich in einer harten Rede verklagen möchte wie der Prophet Jeremia die Priesterschaft seiner Zeit, aber er besinnt sich auf seine Zuhörer, denen er nur die offenkundigen Gebrechen des Pfarrerstandes - in die er sich stets mit einem „wir" einschließt - demütig vor Augen stellen kann: „Dann gewißlich/wie der H. Geist durch uns das straffamt führen soll/so muß ers erst an uns anfangen: und wo wirs nicht selbs thun/un mit eyfer und gutem willen uns reformiren werden/so... dörffte eine reformation auff eine gar unbeliebige und so wol uns als unsern gemeinden schmertzliche art folgen." 3 3 4 Für den schlechten Zustand in der evangelischen Kirche macht Spener nach dem Pfarrerstand auch die Obrigkeit verantwortlich. Auch sie hat „vieler orten grosse schuld/und wie sie neben dem predigtamt die haupt-ursach deß Verderbens in der Christlichen kirchen ist/also ist sie selbs eine grosse ursach/daß es in dem predig-amt so gar nicht forgehet/wie es solte." 3 3 5 Zwei Versäumnisse wirft er der Obrigkeit konkret vor, die charakteristischerweise ihre Fürsorgepflicht für das Predigtamt betreffen: die schlechte Ausbildungssituation für angehende Prediger auf den Schulen und Universitäten und die mangelnde Bereitstellung von Mitteln für ein angemessenes Auskommen einer genügenden Zahl von Pfarrern 3 3 6 . Nur am Rande taucht auch die Kritik auf, daß Obrigkeiten kirchliche Rechte wie ihre Regalien betrachten und damit alles geistliche Handeln in der Kirche erschwert bzw. unfruchtbar wird 3 3 7 . Aber auch der dritte Stand, die Gemeinde, ist nicht ohne Schuld. Sie muß sich würdig erweisen für den Dienst treuer Prediger, durch die der Hl. Geist zum Segen der ihnen anvertrauten Menschen wirken kann. Wenn wir von diesen beiden Predigten Speners über die Treue der Obrigkeit und des Predigtamtes zurück auf Johann Arndt blicken, so wird vor allem das christokratische Denken beider Theologen in ihrem Obrigkeits- wie Predigtamtsverständnis deutlich. Die Nachfolge Christi ist Aufgabe aller Glieder eines christlichen Gemeinwesens, aber im Regier- wie Predigtamt kommt ihr eine ganz besondere Bedeutung zu. Denn Gott hat Regenten wie Predigern sein kostbarstes Gut anvertraut, das irdische Wohl und ewige Heil der Menschen. Sie zu Christus zu führen, mit beispielhaftem Leben und Handeln auf dem Weg zu Christus voranzugehen, ist ihre vornehmste Pflicht. Was Spener mit der Hirtentreue in der Nachfolge des Erzhirten Christus in beiden Amtern zum 6 1 7, vgl. Pia desideria, 1 6 , 1 8 ff. Ebd. 3 3 6 618. - Spener beruft sich wie in den Pia desideria, 14, lOff. auf Jes 49,23. - „Wir haben die anstalten nicht/ wie sie billig seyn solten/ diejenige zu prüfen/ so zu dem predigt=amt befördert werden sollen..." (ebd.) A u f den bisherigen Ausbildungsstätten wird fast nur auf „menschliche erudition und äusserliche gaben" geblickt, (ebd.). Bei seiner Betonung einer persönlichen Seelsorge liegt Spener verständlicherweise alles daran, daß überschaubare, kleine Gemeinden von Pfarrern betreut werden, die ihre Gemeindeglieder auch wirklich kennen und für ihren Dienst frei sind. 334

335

3 3 7 618. - Spener denkt hier wohl an obrigkeitliche Kirchenzuchtmaßnahmen, denen er stets höchst skeptisch gegenüberstand, vgl. sein Gutachten zum Problem der Kirchenzucht, Theol. Bedencken III, Halle 1 7 0 2 , 6 1 3 .

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

Ausdruck bringt, hat Arndt mit dem Innen- und Außenaspekt der Frömmigkeit umschrieben, d. h. eines ganzheitlichen Lebens in der Gottesfurcht. Die eigentliche Aufgabe im obrigkeitlichen Amt ist bei Arndt und Spener nicht eine weltliche, sondern eine christliche. In ihrer Christusnachfolge haben die Regenten der Ausbreitung und Intensivierung des Reiches Christi zu dienen, das durch die Mächte der Welt, vor allem Selbstherrlichkeit und Geiz, bedroht ist. Das Predigtamt hat die gleiche Zielrichtung und wird ebenfalls durch die „Liebe zur Welt", d.h. Selbstüberhebung, Herrschsucht und lasterhaftes Leben gefährdet. Der Dienstcharakter der Obrigkeit hat für Arndt und Spener erhebliche ethische Konsequenzen für ihr jeweiliges Verhalten, mit dem sie vor Gott in einer besonders hohen Verantwortung stehen. Hier hat ihre oft scharfe, schonungslose Obrigkeitskritik ihren Grund, die sich besonders gegen Ungerechtigkeit und Geiz in ihrer Herrschaft gegenüber den Armen richtet. Es ist deutlich: Luthers Unterscheidung und Zuordnung der beiden Regimente, in denen Gott durch verschiedene Mittel handelt, um einerseits das menschliche Zusammenleben vor den zerstörerischen Auswirkungen der Sünde zu bewahren und andererseits inmitten dieser Welt das Evangelium zu verkündigen - diese weitreichende theologische Denkstruktur Luthers blieb sowohl Arndt wie Spener fremd 3 3 8 . Die Kritik am Verhalten der Obrigkeit wird aber bei Arndt wie Spener noch übertroffen durch ihre Kritik am unwürdigen Leben der Prediger. Das Predigtamt ist das gefährlichste Amt überhaupt. Denn wenn in diesem Amt den Mächten der Welt verfallene Prediger tätig sind, dann ist die Kirche in ihrem Zentrum bedroht. Sie steht dann in Gefahr, mit den Mitteln der Welt eine christusfeindliche Herrschaft auszuüben, die die Christusnachfolge der Christen in allen Ständen behindert. Es ist darum konsequent, wenn Arndt und Spener auf der Grundlage ihres christokratischen Denkansatzes vor allem in der Papocaesarie des geistlichen Standes, nicht aber in der Caesaropapie die Hauptgefahr für das wahre Christentum erkennen. Inmitten der sehr weitgehenden Gemeinsamkeiten im Obrigkeits- und Predigtamtverständnis bei Arndt und Spener sind aber auch einige Akzentunterschiede nicht unwichtig. Die besondere Denkweise Arndts in der Perspektive einer Außen- und Innenseite der Frömmigkeit, bei der die Zielrichtung die Tiefendimension einer erfahrbaren Einwohnung Gottes im Inneren der menschlichen Seele ist, gibt seinem Predigtamtsverständnis - wie wir sahen eine Spannung, die Spener so nicht kennt. Obwohl Spener in der Grundintention einer notwendigen Erneuerung des inneren Menschen Arndt durchaus zustimmt, hat er hier doch die Anklänge einer mystischen Unmittelbarkeit der 3 3 8 Das zeigt sich bei Spener auch in der Landtagspredigt vom 2 6 . 1 0 . 1687 über Mt 2 2 , 1 5 - 2 2 am 23. Sonntag n . T r . (Die Evangelische Glaubens-Lehre, Frankfurt/M. 1688, I, 1333). Hier zitiert er zustimmend Luthers Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" (nach der Altenburger Lutherausgabe, T o m . 2, pag. 2 1 7 a , W A 11, 273, 9 - 1 4 ) , doch ist für Spener nur der 3.Teil, der Fürstenspiegel, interessant. Der entscheidende 1. und 2. Teil der Schrift Luthers bleibt völlig unerwähnt.

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Seele zu Gott vermieden. Auch in der Beurteilung der Rolle, die die kirchlichen Rechte und Pflichten der Obrigkeit betreffen, ergeben sich Unterschiede zwischen Arndt und Spener. Sie haben ihren Grund vor allem in der durch den Dreißigjährigen Krieg veränderten politischen Lage in den deutschen Territorialstaaten. Die erhebliche Zuversicht, mit der Arndt besonders von der christlichen Obrigkeit die entscheidende Hilfe bei der Uberwindung der Schäden in der Gestaltung christlichen Lebens erhoffte und - wie wir hinzusetzen können auch erfuhr! - sie hat sich bei Spener merklich vermindert. Der Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Ausübung des Amtes der Obrigkeiten ist im Erfahrungsbereich Speners, vor allem in Dresden, erheblich größer als zur Zeit Arndts im Fürstentum Lüneburg. Zwischen Arndt und Spener liegt der Ausbau und die Festigung des frühabsolutistischen Staates, wie er vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg von den politischen Mächten zielstrebig in Angriff genommen wurde. So gibt Spener - anders als Arndt - der Obrigkeit eine erhebliche Mitschuld am beklagenswerten Zustand der Christenheit seiner Zeit. In seinen Pia desideria hatte er auf die Mitwirkung der Obrigkeit bei seinem kirchlichen Reformwerk sogar verzichten wollen, da er bei seiner kritischen Zeitanalyse und im geschichtlichen Rückblick zu dem Ergebnis kam, daß Gott eine Erneuerung der Kirche meist nicht von oben, sondern durch gottes-fürchtige und geisterfüllte Menschen in ihrer Mitte entstehen ließ. Aber im praktischen Verhalten Speners vollzog sich allmählich doch immer deutlicher ein Frontwechsel 3 3 9 . Nicht in der Caesaropapie, sondern in der Papocaesarie erblickte er die eigentliche Gefahr für seine kirchlichen Reformanliegen. Hier wird deutlich, wie stark Spener inmitten einer veränderten Zeitlage mit anderen Akzenten in der Tradition Johann Arndts steht, der stets im unerleuchteten, den Weltmächten verfallenen Predigerstand die eigentliche Gefahr für die Kirche erkannte. Wenn wir an diesem, für die theologische und kirchliche Bedeutung von Speners Reformprogramm so entscheidenden Punkt auf die Kontinuität zu Arndt verweisen, so wird auch das für Spener charakteristische Zusammentreffen von gemäßigt-spiritualistischen und orthodox-kirchlichen Anliegen verständlich. Denn Speners besondere Sorge galt stets - entgegen der radikalen Kirchenkritik des Spiritualismus - der kirchlichen Separation. Spiritualistisch gefärbte Kirchenkritik im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis orthodoxer Theologie und Kirchlichkeit aber fand Spener in der Tradition vor, die Johann Arndt schon längst vor ihm als orthodoxen und kirchlich unangefochtenen Theologen integriert hatte 3 4 0 . Damit kommt der Frömmigkeitsbewegung Johann Arndts in ihrer vom landesherrlichen Kirchenregiment wie von der Orthodoxie integrierten Gestalt - was, wie die Arndtschen Streitigkeiten zei339 y g j Kruse, 46. In Speners Obrigkeitspredigten ist dieser Wechsel nicht zu erkennen. Hier bleibt die Grundauffassung über Fundament und Pflichten der christlichen Obrigkeit die gleiche. 340 w i r sehen uns in dieser Perspektive im Einklang mit M. Brecht, Philipp J a k o b Spener und das Wahre Christentum, in: J G P , Bd. 4 Göttingen 1979, 120ff., 150.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

gen, zunächst nicht ohne erhebliche Kämpfe möglich war - eine wesentliche Bedeutung für Entstehung und Ausbreitung des Spenerschen Pietismus zu. Diese Sicht wird auch von den Obrigkeitspredigten Speners bestätigt. In seinem ersten geschlossenen Predigtjahrgang, der die Predigten des Kirchenjahres 1676/77 enthält, die also in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Pia desideria stehen 341 , entfaltet Spener ein Obrigkeitsverständnis, das sich ganz mit dem hier vorgestellten deckt. Es stimmt in allen wesentlichen Grundzügen mit demjenigen von Johann Arndt überein. Schließlich werden auch die zahlreichen direkten Hinweise Speners auf Arndt in ihrer Bedeutung ernst genommen werden müssen, nicht nur am Schluß der Pia desideria 342 , sondern auch aus seiner Dresdner 3 4 3 und Berliner Zeit 344 . An Johann Arndt hatte Spener das Vorbild eines rechten Hirten, auf dessen Weide die Menschen zum wahren Christentum geführt wurden. Ihm fühlte er sich verbunden, wenn er für seine Zeit eine Erneuerung der Kirche erstrebte.

4. Die Huldigungs-

und

Landtagspredigt

Das Obrigkeitsverständnis Johann Arndts, das wir auf der Grundlage seiner Predigten in der Evangelienpostille dargestellt haben, kommt im Reformationsjubiläumsjahr 1617 in zwei im engeren Sinn politischen Predigten zum Ausdruck, die durch den Ubergang des Fürstentums Grubenhagen an das Fürstentum Lüneburg veranlaßt sind 3 4 5 . Wir wollen uns diesen beiden Predigten abschließend zuwenden, da in ihnen die Grundintentionen im Denken Arndts über Obrigkeit und soziales Leben besonders deutlich hervortreten. Erstmals wurden sie im Jahre 1618 in Celle gedruckt 3 4 6 . Später sind sie an die Arndtsche Postille angehängt worden, so auch an die Ausgabe von 1675, für die Spener sein berühmtes Vorwort zur Kirchenverbesserung schrieb. Im Zusammenhang mit der Postille müssen diese beiden Obrigkeitspredigten auch gesehen werden. Die politische Predigt des Generalsuperintendenten Arndt zeigt 3 4 1 Deß thätigen Christenthums N o t w e n d i g k e i t und Möglichkeit, Frankfurt 1680, s. dazu Kruse, 32 ff. 3 4 2 Pia desideria 8 0 , 3 3 f f . S. dazu M. Brecht, aaO., 1 2 0 f f . 343 Yg] (]ie Aussagen Speners über A r n d t in: Letzte Theologische Bedencken, Halle 1 7 1 1 , 3 , 3 0 6 . Hier spricht Spener von A r n d t als „seligem(r) Lehrer", „unsern werthesten Arnd" (30. Juli 1689), er lobt die sanftmütige und doch durchdringende A r t von Arndt, den er nach Luther als seinen wichtigsten theologischen Lehrer bezeichnet: theuren Arndii, welchen ich nechst Luthero allen anderen Theologis vorziehe." (3, 196, 6. Juni 1687). 3 4 4 Spener predigte von 1 6 9 8 - 1 7 0 4 über Arndts „Wahres Christentum", s. Grünberg III, 224, Nr. 68. 3 4 5 Vgl. unsere Ausführungen in Abschnitt2d), S. 176 mit A n m . 1 7 9 - 1 8 1 . 3 4 6 Eine Huldigungs Predigt/ Als der Hochwürdiger/ Durchlauchtiger/ Hochgeborner Fürst und Herr/ Herr Christian... die Erbhuldigung am 16.Septembris/ A n n o 1617. glücklich eingenommen/ Gehalten zu Einbeck in der Stifft Kirchen. Auch Eine Landtages Predigt/ A u f f dem Landtage zu Osterroda am 19. Septembris gehalten... Gedruckt in der Fürstlichen Stadt Zell/ durch Sebastianum Schmuck. Im Jahr 1618. Signatur: Da 583 (22), Mischband H A B Wolfenbüttel.

Die Huldigungs- und Landtagspredigt

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keine anderen Tendenzen als seine Predigten vor der gottesdienstlichen Gemeinde, wenn auch durch den konkreten Anlaß bestimmte Aussagen deutlicher herausgestellt werden, die in der Postille zwar angelegt sind, aber nicht in gleicher Akzentuierung zum Ausdruck kommen. In der Vorrede zu den zwei Predigten erklärt Arndt, daß er „summarischer Weise" eine „kurtze Politicam" bieten wolle. „Zur Publication dieser zwo Predigten/ bin ich verursacht/ weil ich sorge/ Es sein viel Leute so einfältig/ mag nicht sagen so grob/ die nicht verstehen noch bedencken/ die dignitet, Hoheit und Würdigkeit der hohen Obrigkeit. Darnach auch nicht erkennen/ welche Trewe/ Pflicht/ Liebe/ Ehre/ Gehorsam und Gebet/ sie göttliches und natürliches Rechtes wegen/ ihrer hohen Obrigkeit schuldig sein/ Zum dritten/ auch nicht bedencken/ mit was Gehorsam gegen göttliche natürliche und weltliche Gesetze und Ordnungen eine Christliche und Ehrliche Commun in Städten und Dörffern müssen verbunden seyn/ und gleichwol in Gottes Wort solches alles so trefflichen Grund hat/ wie in diesen beyden Predigten Summarischer Weise erkläret wird/ und gleichsam in eine kurtze Politicam gefasset ist/ weil dieselbe auf diesen dreyen Häupt Puncten beruhet." 347 Schon diese Vorrede läßt ähnlich wie das Exordium zu den Predigten über das Evangelium vom Zinsgroschen die Zielrichtung im Obrigkeitsverständnis Arndts erkennen: die hohe Dignität der Obrigkeit und die daraus folgende strenge Gehorsamsforderung an die Untertanen 348 . Textgrundlage für die politischen Predigten Arndts sind Verse aus dem 89. Psalm und vor allem Psalm 82/6, jene Kardinalstelle für die Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments in der lutherischen Orthodoxie. Die cura religionis steht an der Spitze aller Amtspflichten einer christlichen Obrigkeit: „Denn wenn Obrigkeit und Unterthanen/ als das Haupt und Glieder des Landes/ durch und mit dem reinen Gottesdienst... mit Liebe/ Trew und Gehorsam unter einander verbunden seyn/ das ist Gottes Ehre und Preiß/ Lob und Ruhm der Obrigkeit/ Heyl und gedeyen des Volckes." 349 Die Sorge um die reine Religion wird so stark als vornehmste Pflicht der Obrigkeit wie als Garant für die Harmonie und das Wohl des Gemeinwesens angesehen, daß Arndt auf andere, eigentliche Regierungsaufgaben der Regenten, wie z.B. ihr Verhältnis zu den Beamten, kaum näher zu sprechen kommt. Dem entspricht, daß die Unterscheidung zwischen dem geistlichen und weltlichen Regiment eines Fürsten in den politischen Predigten Arndts weder sachlich noch formal eine Rolle spielt und auch jeglicher dies bezügliche Hinweis auf Luther fehlt. Das Verhält347

Vorrede, A 2 a-b. Auch in der Psalterauslegung Arndts wird dies deutlich, z.B. in seiner Auslegung des 101. Psalms, die ganz auf das Verhalten der Untertanen gegenüber der Obrigkeit ausgerichtet ist: „Die Unterthanen sollen hie lernen/ sich der Gerechtigkeit Gottes und den Gesetzen der Obrigkeit gerne unterwerffen/ denn das Ampt ist nicht ihr/ sondern Gottes/ und die rechtschaffenen Gesetz sind alle aus Gottes Weißheit und Gerechtigkeit hergeflossen/ durch solche Leute/ die entweder dazu geboren seyn ein Regiment zu fassen/ oder von Gott sonderlich dazu beruften." (Auslegung des gantzen Psalters Davids, Lüneburg 1643, 2. Teil, 5). 349 Vorrede, A 2 b. 348

Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

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nis zwischen Obrigkeit und Untertanen wird vielmehr im Sinne einer alttestamentlichen Bundestheologie reflektiert, die die göttliche Würde der Obrigkeit dadurch sichert, daß der Bund Gottes mit seinen Auserwählten, den Gesalbten des Herrn im Volk Israel, auf die regierenden Fürsten problemlos übertragen wird. Nicht die Tatsache allein, daß das Anschauungsmaterial für die Regenten fast nur aus dem Alten Testament genommen wird, kennzeichnet die politische Predigt Johann Arndts - das hat sie mit praktisch allen politischen Predigten orthodoxer Theologen gemeinsam - , sondern die einseitige Betonung auf den Bund Gottes, der nicht die Pflichten, sondern vor allem die göttliche Würde der Obrigkeit hervorhebt. Der Bund Gottes mit David weist auf den Messias hin, und so wird eine letzte Steigerungsmöglichkeit erreicht: „Wie nu Gott der Herr den Messiam/ Davids Sohn/ auff seines Vaters Davids Stuel gesetzt hat/ also setzet Gott heutiges Tages noch/ Königliche und Fürstliche Nachkommen und Söhne/ auff den Regiment Stuel ihrer Väter und Anherrn.. , " 3 5 0 Von hier aus ist die eindringliche, in verschiedenen Wendungen sich stets wiederholende Aufforderung Arndts zu Gehorsam und Gottesfurcht zu verstehen. Gott will seinen Bund halten, „wenn wir denselben nur nicht verhindern/ und brechen/ mit gottlosem und unbußfertigem L e b e n . . ." 3 5 1 Am Vorbild Moses zeigt Arndt das Entgegenkommen Gottes, das auf das menschliche Verhalten entsprechend reagiert: „Siehe hie/ O Mensch/ wie du Gott haben wilt/ so hastu ihn/ wandelstu ihm entgegen/ so wandelt er dir auch entgegen/ Bekennestu aber deine Missethat/ und gedenckest an seine Barmherzigkeit/ so gedencket er an seinen ewigen Gnadenbund." 3 5 2 . Die Huldigungspredigt gliedert Arndt somit in drei Punkte: „1. Wie Gott der Herr den Anfang der Huldigung gemacht/ das ist/ sich mit Menschen durch gewisse Zusage und Eyd verbunden/ und der Mensch hinwieder mit Gott. 2. Wie sich nach Gottes Exempel/ durch Eydliche Zusage die Obrigkeit und Unterthanen von Anfang her verbunden haben/ welches das Fundament ist/ gebürlicher und rechtmessiger Huldigung... 3. Was der Huldigungs Eyd der Unterthanen in sich begreiffe..." 3 5 3 Auf das Ernstnehmen der Bundesverpflichtung von seiten der Untertanen legt Arndt alles Gewicht: „es kan ein ungetrewer und ungehorsamer Unterthan/ der seiner von Gott vorgesetzten Obrigkeit nicht von Hertzen hold ist/ und dieselbe lieb hat/ niemmermehr ein gut Gewissen haben/ denn Gottes Wort/ Ordnung und Befehl bindet das Gewissen.. , " 3 5 4 Der ganze Mensch ist im Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gefordert, denn der Huldigungseid begreift in sich: getreues Herz, getreuen Mund und getreue Hand: „denn wie man mit dem Hertzen / aus welchem man schwehret/ nichts böses wider die Obrigkeit gedencken sol/ und mit dem 350 351

Huldigungspredigt, A 4 b . Ebenda B 2 a.

Ebenda B 2 b. " 3 Ebenda A 4 b . 352

354

Ebenda C 2 b.

Die Huldigungs- und Landtagspredigt

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Munde/ damit man schwert/ nichts böses wider die Obrigkeit reden sol/ also sol man auch mit der Hand/ dadurch man schwehret nichts böses wider die Obrigkeit thun und handeln..." 3 5 5 Es ist charakteristisch, daß Arndt hier wie auch sonst auf die Unterscheidung einer christlichen von einer heidnischen Obrigkeit nicht abzielt und auch die Regula Petri (Acta 5/29) nicht erwähnt, auf die in den lutherischen Obrigkeitspredigten sonst stets verwiesen wird. Den Gehorsam gegenüber jeglicher Obrigkeit betont er vielmehr mit dem Beispiel Christi vor Pilatus, seiner Verurteilung zum Tode durch ein weltlich rechtmäßiges, von Gott bestätigtes Gericht, und folgert daraus: „Ja ob gleich die Obrigkeit bißweilen den Sachen zu viel thete/ sol man sich doch nicht wider sie aufflehnen und empören/ sondern das Creutz gedultig tragen/ umb Linderung/ und umb Abwendung derselben Rathschläge und Straffe bitten/ das hat Gott befohlen/ und nicht Auffruhr anzurichten." 3 5 6 Kann von diesem Verständnis weltlicher Obrigkeit bei Arndt überhaupt ein Weg zu Ansätzen von Obrigkeits- und Sozialkritik führen? Auf diese Frage gibt uns die Landtagspredigt über den 82. Psalm einigen Aufschluß. In ihm sieht Arndt „einen schönen Regentenspiegel, in welchem wir sehen: „1. Der weltlichen Gerichte Hoheit/ Weil Gott Richter ist unter den Göttern. 2. Die Würdigkeit der Obrigkeit/ weil sie Götter genennet werden. 3. Der göttlichen Herrschaft alle Gewaltigkeit/ weil Gott Erbherr ist über alle Heyden." 3 5 7 Aus diesem Predigtmotto ergeben sich zwei notwendige Lehrstücke: „1. Von der Würdigkeit und Hochansehnlichkeit der hohen weltlichen Obrigkeit/ Weil sie Götter genandt werden. 2. Was ein Landtag sey/ und was auff vornehmen Landtagsversamblungen solle nach anleitung göttliches Worts tractiret werden/ weil unser Psalm sagt/ Gott sey Richter in der Gemeine Gottes." 3 5 8 Die Ausführungen zur Würdigkeit der Obrigkeit berühren sich vielfach mit den Darlegungen der Huldigungspredigt. Sie kann man zusammenfassen mit dem Satz: „Gleich wie die Welt finster wehre ohne Sonne/ also ist ein Volck tunckel und finster ohne Obrigkeit." 3 5 9 Die traditionell-orthodoxen Lehrpunkte politischer Predigt stehen unter dem Hauptaspekt der göttlichen Würde der Obrigkeit und nicht unter dem der Pflicht gegenüber dem Gemeinwohl. Immerhin folgert Arndt hier aber aus dem Text Ps 82, „daß sich auch die Obrigkeit selbst für der göttlichen Gewalt fürchten s o l . . . daß sie nicht allein nach menschlicher Weißheit und Klugheit ihr Ampt führen sol/ sondern vornemblich durchs Gebet..."360 Zur Würde der Obrigkeit gehört auch die Ausschreibung von Landtagen. An der Spitze der zehn Ratschläge, die Arndt hier folgen läßt, steht selbstverständEbenda C 4 a. 356 Ebenda C 3 b. 3 5 7 Landtagspredigt, D 2 b. 3 5 8 Ebenda D 3 b - D 4 a. 3 5 9 Ebenda E 3 a. 3 6 0 Ebenda D 3 b. 355

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

lieh die Sorge um die vera religio: „Die Erste Berathschlagung auff Landtagen sol sein von der Religion nach dem Exempel Josuae." 3 6 1 Die Könige David, Salomo, Hiskia und Josia sind die Hauptbeispiele. „Nach diesen Exempeln muß der Gottesdienst das Fundament sein einer guten Policey/ Land und StadtRegiments." 3 6 2 Wichtig ist aber nun, daß Arndt in den folgenden Punkten offensichtlich erwachsen aus den Erfahrungen seines eigenen Kirchenregiments im Fürstentum Lüneburg - zu einer deutlichen und konkreten Kritik an den kirchlichen Zuständen übergeht. Da die Kirchenpflege der weltlichen Obrigkeit bei Arndt im Zentrum aller Angelegenheiten des Staates steht, trifft diese Kritik als Sozial- und Obrigkeitskritik auch die zentralen Belange der Gesellschaft. Mit der Forderung nach einem ordentlichen Ministerium, das für den Unterhalt des äußeren Kirchenwesens in der Lage sein muß, verbindet Arndt seine Kritik an dem schlechten Sozialstatus der Pfarrer: „Jetzo wils leider am Unterhalt der Diener göttliches Worts mangeln/ und ist den Heiligen der güldene Rock so gar außgezogen/ daß sie kaum einen zurissenen Kittel behalten haben. Der Prediger beste Besoldung ist Armuth und Verachtung. Diese letzte zeiten correspondiren nicht mehr mit denen/ so für 80. 90. 100. Jahren gewest. Mit einem Groschen hat man vor Alters so viel außrichten können/ als jetzo mit einem gülden/ darumb die Fragmenta oder uberbliebenden Bröcklein von den reichen Kirchengütern/ jetzo viel zu geringe seyn/ zu nothdürfftigem Unterhalt der Kirchen und Schulen/ daher manche Seufftzen und Threnen gen Himmel steigen und schreyen/ die das Land drucken/ straffen und Landplagen verursac h e n . . . " 3 6 3 „ . . . m i t solchem Undanck spottet man G o t t . . . als wenn man einem reichen und milden Herrn für sein allerbestes Kleinod/ eine Hand voll Kots geben wolte/ so verächtlich und unwerth wird jetzo Christus mit seinem Evangelio gehalten/ Aber irret euch nicht/ Gott lesset sich nicht spotten." 3 6 4 „Einen Gesandten eines Königs oder Fürsten pflegt man hoch zu respectiren/ Nu sagt aber S. Paulus: W i r sind Botschafften an Christus Stadt/ Gott vermehret euch durch uns." 3 6 5 Den Niedergang der Schulen beklagt Arndt ebenso deutlich, da aus den Klosterschulen Bacchushäuser geworden sind. „Es ist der Kirchen Gottes von den Tyrannen mit Verfolgungen und Erwürgungen vieler tausend Märtyrer so grosser schade nicht geschehen/ als durch den Untergang und tägliche Abnehmung der Schulen geschieht." 3 6 6 „Wird die Obrigkeit hieher nicht die Augen wenden/ so ists mit den Kirchen/ und mit allen Regimenten geschehen. Leset

361 362 363 364 365 366

Ebenda F l a . Ebenda F l b . Ebenda F l b - F 2 a. Ebenda F 2 a. Ebenda. Ebenda F 3 a.

Die Huldigungs- und Landtagspredigt

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Lutherum/ wer lesen kan/ von Auffrichtung der Schulen. Mägdlein Schulen haben sehr grossen Nutz des H . Ehestandes und O e c o n o m y halben." 3 6 7 Diese Kritik am Kirchen- und Schulwesen weitet sich aus zu einer Klage über alle Bedrückten und Armen im Staat. Unter Hinweis auf die prophetische Strafpredigt führt Arndt aus: „Insonderheit straffen die Propheten/ daß denen/ so mit Gewalt untergedruckt werden/ keine Erettung geschieht/ und machen sonderlich namhafftig fünfferley Sachen und Person/ Elende/ die niemand haben/ der sich ihrer annimbt: Arme/ die von jedermann verachtet und verlassen werden/ Witwen/ Weisen und Frembdlinge. Diese beleidigen/ oder ihn nicht helffen/ sind die Sünden/ die in Himmel schreyen/ sind Gemitus pauperum, und lacrymae miserorum, Seufftzen der Armen/ und Threnen der Elenden/ wie von dem grossen Frevel der ersten Welt/ und der Sodomiter geschrieben ist." 3 6 8 Arndt sieht durchaus Möglichkeiten zur konkreten Hilfe, und zwar in der Verwendung der geistlichen Güter zur Armenpflege: Eine gute Polizei kann nicht gesegnet sein von Gott, „Wo nicht Barmhertzigkeit/ Gütigkeit/ Müdigkeit gegen die Armen Notdürfftigen/ Elenden und Krancken geübet w i r d . . . Hieher gehören auch stifftung der beneficien, und milden Gaben. Vorzeiten waren die geistlichen Güter Schätze der A r m e n . . . Von diesen Schätzen solt man nehmen/ und arme Weisen/ Vater- und Mutterlose Kinder davon erziehen lassen: Waisenhäußlein bawen/ dadurch würde manches Kind vom Bettelstab/ von vielem bösen/ vom Galgen und Schwert erlöset/ und würde ihnen an Leib und Seele geholfen.. , " 3 6 9 Diese sozialen Forderungen Arndts entspringen aus seinem ethischen Grundappell zu einem Leben in der Gottesfurcht. Arndt folgert das gottesfürchtige Leben aller als Voraussetzung des Gemeinwohls aus der Wirklichkeit, ja aus der Natur des Menschen. In seinem Gewissen hat der Mensch die Möglichkeit, Gott und seinen Nächsten zu lieben. Dieses „christliche und ehrliche Leben" in der Gottesfurcht macht auch die politische Predigt Arndts zu einer Erbauungspredigt, die bei aller konkreten Klage über die sozialen Zustände nicht die Verantwortlichen bei ihrer Pflicht behaften oder gar die Unabhängigkeit des geistlichen Amtes gegenüber der weltlichen Obrigkeit verteidigen will. Vielmehr möchte sie zu einer die Gewissen aller erweckenden, aufbauenden Haltung in der Gottesfurcht anleiten, die das Fundament des einzelnen wie des gemeinsamen Lebens ist. Die Obrigkeitspredigten Johann Arndts lassen somit insgesamt erkennen, daß dieser einflußreiche Prediger des wahren Christentums nicht in die Reihe der Kritiker am landesherrlichen Kirchenregiment gehört. Den Grund für diese auffallende Tatsache sehen wir vor allem in der theologischen Grundrichtung Arndts, die vorwiegend an der Aufweisbarkeit des wiedergeborenen, geheilig367

Ebenda.

368

Ebenda G l a - b .

369

Ebenda G 2 b - G 3 a. - Diese Forderung wurde von Spener und Francke und in der Geschichte

des Pietismus in die Tat umgesetzt.

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Die christliche Obrigkeit in den Predigten Johann Arndts

ten Lebens interessiert ist. Bezogen auf das Leben im Staat heißt das, daß die Gottesfurcht als innere Frömmigkeitshaltung Fürsten und Untertanen in einem heiligen Bund zusammenschließt, der durch Achtung vor der göttlichen Würde der Obrigkeit und durch Gehorsamsforderung und -leistung aufrecht erhalten wird. In diesem theologischen Kontext ist es verständlich, daß Arndt auf Luthers Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment nicht rekurriert. Dies gilt nicht nur für Arndt selbst, sondern für den größten Teil des von ihm beeinflußten Luthertums im 17. Jahrhundert bis zum Pietismus Speners und Franckes. Anders als bei Luther und dem von Leyser charakterisierten Luthertum hat man hier keinen Zugang zum weltlichen Amt der Obrigkeit gefunden. Was Martin Kruse für Spener als Ergebnis seiner Untersuchung über die Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment feststellt, gilt u. E. schon für Johann Arndt: „Die eigentliche' Aufgabe der Obrigkeit i s t . . . die Förderung des Reiches Christi. Da sich aber die Obrigkeit in diese Rolle je länger desto weniger fügen kann, wird die Welt des Politischen zum ,Draußen', zur Welt im negativen Sinne." 3 7 0 Schon das von Arndt beeinflußte Luthertum der inneren Erbauung zeigt kein theologisches Interesse an einer Unterscheidung der beiden Regierweisen Gottes in seinem geistlichen und weltlichen Regiment. Diese Unterscheidung und Zuordnung Luthers hat sich vielmehr verlagert in die Innen- und Außenseite der frommen Praxis des Menschen. So können wir das Urteil Kruses vor allem im Blick auf Arndt bekräftigen: „Nicht Luthers ZweiReiche-Lehre, sondern vielmehr ihren Verlust wird man u. E. dafür verantwortlich machen müssen, wenn es der lutherischen Theologie im 17. Jahrhundert so schwer fiel, die veränderte Wirklichkeit des Staates theologisch zu begreifen." 3 7 1

370 371

Kruse, Speners Kritik, 175. Ebenda, 176.

D. Gottesfurcht und obrigkeitliches Regiment im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts

V. Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel 1. Uberblick über die kirchliche und theologische Situation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel zur Zeit Sattlers In der noch ungeschriebenen Geschichte der lutherischen Hofprediger nimmt im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie der Wolfenbütteler Hofprediger Basilius Sattler (1549-1624) einen hervorragenden Platz ein. Mit seinem jahrzehntelangen Wirken und seinem erheblichen Einfluß am H o f kann er nur noch mit einem ähnlich bedeutenden Hofprediger im älteren Luthertum verglichen werden: mit dem eine Generation später wirkenden sächsischen Oberhofprediger Matthias H ö e von Höenegg 1 . Was H ö e von Höenegg für das Kurfürstentum Sachsen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bedeutete, das stellte Basilius Sattler für das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel in einer Zeit dar, in der sich dieses Land von der gerade erst durch Herzog Julius (1568-1589) eingeführten Reformation zum wichtigsten lutherischen Territorium in Norddeutschland entwickelte. Basilius Sattler und Matthias H ö e von Höenegg wenn diese beiden lutherischen Hofprediger hier zusammengenannt werden, dann vor allem deshalb, weil sie für Jahrzehnte die Geschicke ihrer Staaten, die beide um die Führung des deutschen Luthertums im konfessionellen Zeitalter wetteiferten, wesentlich mitgeprägt haben. Waren zunächst vom Wolfenbütteler H o f unter Herzog Julius alle entscheidenden Initiativen für das Einigungswerk im deutschen Luthertum ausgegangen, das Herzog Christoph von Württemberg (1550-1568) angestoßen hatte und das nun Herzog Julius mit seinen theologischen Beratern Jakob Andreae und Martin Chemnitz am eifrigsten förderte, so nahm sich seit dem Sturz des kursächsischen Philippismus 1574 Kurfürst August von Sachsen (1553-1586) immer nachhaltiger des Konkordienwerkes an. U m die lutherische Rechtgläubigkeit in Kursachsen zu demonstrieren, wurde Kurfürst August schließlich zum eigentlichen Förderer der lu1 Zu H ö e von Höenegg s. H . - D . Hertrampf, H ö e von Höenegg - sächsischer Oberhofprediger 1 6 1 3 - 1 6 4 5 , in: Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte 1969, Berlin 1970,129-148.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

therischen Einigungsbestrebungen, die 1577 zur Konkordienformel und 1580 zum Konkordienbuch führten 2 . Damit aber vollzog sich eine Schwerpunktverlagerung im deutschen Luthertum vom Wolfenbütteler auf den Dresdner Hof, eine Entwicklung, die nicht ohne Rivalität zwischen den beiden Höfen noch bis in die synkretistischen Streitigkeiten im 17. Jahrhundert hineinwirkte 3 . Bald nach dem Abschluß der Konkordienformel 1577 kam es im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel zu jener überraschenden folgenreichen Wendung, bei der Herzog Julius schließlich ganz vom Konkordienwerk zurücktrat und den Kontakt zu seinem engsten theologischen Berater, Martin Chemnitz, abbrach 4 . Doch auch nach dem Abrücken des Herzogs Julius vom Konkordienwerk blieb das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel - vor allem durch die aufstrebende, von Herzog Julius 1576 gegründete Universität Helmstedt 5 - ein H o r t des strengen Luthertums, wo zunächst vier Theologen im Geist einer kompromißlosen lutherischen Orthodoxie wirkten 6 . Basilius Sattler hat unter ihnen vor allem deshalb einen besonderen Rang, weil er als Hofprediger dreier Herzöge und oberster Generalsuperintendent am längsten und an einflußreichster Stelle die kirchlich-theologische Entwicklung in Braunschweig-Wolfenbüttel mitgestalten konnte. In seine Amtszeit fälltauch 2 Zur Geschichte des Konkordienwerkes ist immer noch wichtig die ältere Darstellung bei H . H e p p e , Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1 5 5 5 - 1 5 8 1 , B d . 2, Marburg 1853, 2 4 7 f f . , Bd. 3, Marburg 1857, B d . 4, Marburg 1859. Vgl. auch D i e Bekenntnisschriften der evang.-lutherischen Kirche, s Göttingen 1963, X X X I I f f . - F ü r die Situation in N o r d - und Mitteldeutschland s. jetzt die Darstellung von I. Mager, Aufnahme und Ablehnung des K o n k o r d i e n b u ches in N o r d - , Mittel- und Ostdeutschland, in: Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, hg. von M . Brecht und R . Schwarz, Stuttgart 1980, 2 7 1 - 3 0 2 . 3 Vgl. J . Wallmann, Zwischen Reformation und Humanismus. Eigenart und Wirkungen H e l m stedter Theologie unter besonderer Berücksichtigung G e o r g Calixts, in: Z T h K , 7 4 . J g . 1977, 3 4 4 - 3 7 0 , 347. 4 Zu diesem A b r ü c k e n des Herzogs Julius vom Konkordienwerk s. I. Mager, Reformatorische Theologie und Reformationsverständnis an der Universität Helmstedt im 16. und 17. Jahrhundert, in: J G N K G 74, 1976, 1 1 - 3 3 , 1 7 f . D i e Darstellung in der älteren Literatur h o b vor allem das persönliche Motiv der Verärgerung bei H e r z o g Julius hervor, das durch vielfältige Kritik entstand, als er seinen ältesten Sohn wegen der Anwartschaft auf das A m t des Bischofs von Halberstadt nach katholischem Ritus weihen und zwei andere Söhne tonsurieren ließ. ( Z . B . C . G . H . L e n t z , D i e Concordienformel im H e r z o g t u m Braunschweig, in: Zeitschrift f. historische Theologie 1848, 2 6 5 f f . ; E . B o d e m a n n , Die Weihe und Einführung des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig als B i s c h o f von Halberstadt und die damit verbundenen Schwierigkeiten, in: Z H V N S 1878, 2 3 9 - 2 9 7 ; J . Beste, Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche, Wolfenbüttel 1889, 73 ff.). 5 Vgl. H . H o f m e i s t e r , Die Gründung der Universität Helmstedt, H a n n o v e r 1904; J . Beste, Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche, 8 3 - 9 0 und die in den A n m . 3 und 4 angegebenen Arbeiten von J . Wallmann und I. Mager. Vgl. auch I. Mager, Bibliographie zur Geschichte der Universität Helmstedt (mit besonderer Berücksichtigung der theologischen Fakultät), in: J G N K G 74,1976,237-242. 6 Timotheus Kirchner ( 1 5 3 3 - 1 5 8 7 ) ; Tilemann Heshusius ( 1 5 2 7 - 1 5 8 8 ) ; Daniel H o f m a n n ( 1 5 3 8 - 1 6 1 1 ) und Basilius Sattler ( 1 5 4 9 - 1 6 2 4 ) . Vgl. I. Mager, Lutherische Theologie und aristotelische Philosophie an der Universität Helmstedt im 16. Jahrhundert. Z u r Vorgeschichte des H o f mannschen Streites im J a h r e 1598, in: J G N K G 73, 1975, 8 3 - 9 8 .

Die Situation im H e r z o g t u m Braunschweig-Wolfenbüttel

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jene besondere Konstellation an der Universität Helmstedt, bei der sich seit der Regierungsübernahme durch Herzog Heinrich Julius (1589-1613) der aristotelische Humanismus gegenüber der lutherischen Orthodoxie immer stärker durchsetzte, so daß es in Helmstedt zu einer eigentümlichen Spätblüte des Humanismus um 1600 kam, die die Academia Julia von den anderen deutschen Universitäten immer deutlicher unterschied 7 . Der von humanistischen und juristischen Studien und Interessen geprägte, der Baukunst, Literatur und Musik zugewandte Herzog Heinrich Julius 8 hatte gleich nach seinem Regierungsantritt den berühmten Humanisten Johannes Caselius (1533-1613) 9 an die Universität Helmstedt berufen können, bald darauf erfolgte auch die Berufung des jungen Philosophen Cornelius Martini (1568—1621)'° und anderer Gelehrter, so daß sich das geistige Klima in Helmstedt gegenüber den Anfangsjahren der Universität deutlich veränderte. Diese Veränderung liegt vor allem in dem sichtbaren Hervortreten jener Spannung zwischen gnesiolutherischen und humanistisch-philosophischen Gedankenrichtungen, die schon in die Gründungsjahre der Helmstedter Universität zurückreichen 1 1 . Im sog. Hofmannschen Streit 1 2 kam der Konflikt zwischen aristotelischer Metaphysik und lutherischorthodoxer Theologie zum offenen Ausbruch, mit dem Ergebnis, daß sich in Helmstedt zum ersten Mal in Deutschland die Philosophie aus ihrer jahrhundertealten Rolle als ancilla theologiae befreite und die philosophische Fakultät die Führung an der Universität übernahm. Die orthodox-lutherische Partei hatte jedoch auch nach dem Hofmannschen Streit ihr nicht unerhebliches Gewicht in Helmstedt erhalten können, der Herzog rehabilitierte sogar den entschiedenen lutherischen Antiaristoteliker Daniel Hofmann und stellte die Veröffentlichungen der Professoren unter verschärfte Zensurbestimmungen 1 3 . Diese Maßnahmen, die im Zusammenhang auch anderer Änderungen der herzoglichen Politik stehen 1 4 , gingen vor allem auf den Einfluß des Hofpredigers Basilius Sattler zurück. Solange er im Konsistorium und am H o f in Wolfenbüttel die Kirchen- und Universitätspolitik im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel wesentlich bestimmte, war die Position des orthodoxen Luthertums stark und gefestigt. Allerdings gelangte auch der Helmstedter Humanismus nach der 7 Vgl. I. Mager, Lutherische Theologie ( A n m . 6 ) ; H . D r e i t z e l , Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat ( V I E G 55), Wiesbaden 1 9 7 0 , 2 7 f f . 8 Uber ihn s. F. A. Ludewig, Heinrich Julius. Ein biographischer Versuch, Helmstedt 1833; H . Dreitzel, aaO., 4 0 f f . ; J . Beste, Geschichte, 163ff.; F. Spehr, in: A D B 11, 500ff. 9 Vgl. über ihn P.Zimmermann, Album Acad. Helmstadiensis, B d . I , Hannover 1926, 430ff. und I. Mager, Lutherische Theologie, 85. 10

Vgl. über ihn P. Zimmermann, a a O . ; 432 ff. und I. Mager, Lutherische Theologie, 86.

11

Darauf macht besonders I. Mager aufmerksam, Reformatorische Theologie ( A n m . 4 ) , 1 4 , 1 6 f.

Vgl. E. Schlee, D e r Streit des Daniel Hofmann über das Verhältnis der Philosophie zur Theologie, Marburg 1862 und I. Mager, Lutherische Theologie, 8 3 - 9 8 . 12

1 3 Vgl. den Visitationsabschied vom 1 8 . 1 . 1603 (Niedersächs. Staatsarchiv. Wolfenbüttel 37 Alt 21, Bl. 1 3 6 - 1 4 3 ) . Beleg von I. Mager, Reformatorische Theologie, 15, Anm. 26. 14

H . Dreitzel, a a O . , 4 7 f f .

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

Regierungsübernahme durch Herzog Friedrich Ulrich (1613-1634) zu immer größerer Bedeutung, so daß die Universität Helmstedt zwischen 1613 und den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Krieges ihre Blütezeit erlebte 15 . Die in Helmstedt schon lange angebahnte Entwicklung in Richtung auf eine weltzugewandte, das gemeinsame reformatorische Erbe bei Luther und Melanchthon betonende, dem Humanismus gegenüber offene Theologie war seit dem Ausgang des Hofmannschen Streites nicht mehr aufzuhalten gewesen. Freilich konnten auch orthodoxe Lutheraner an der Universität Helmstedt weiter ungestört wirken 1 6 , aber auch von ihnen war inzwischen die noch bei Hofmann deutlich gewordene, schroffe Philosophiefeindlichkeit nicht mehr vertreten worden 1 7 . Somit führt die Entwicklung an der Helmstedter Universität folgerichtig zu der Berufung jenes Mannes, mit dessen Name sie im ganzen 17. Jahrhundert aufs engste verbunden ist: Georg Calixt (1585-1656) 1 8 . Der seit 1603 in Helmstedt bei Caselius und vor allem Martini studierende Calixt, der von seinem Elternhaus das theologische und humanistische Erbe Melanchthons mitbrachte 1 9 , wurde 1615 zum Theologieprofessor in Helmstedt ernannt 2 0 . Im Verlauf seines jahrzehntelangen Wirkens in Helmstedt konnte sich die von ihm gelehrte Theologie den ersten Rang unter den Wissenschaften zurückerobern, allerdings eine Theologie, die sich nicht im theologischen Schulstreit und konfessionellen Gegensatz zu erschöpfen gedachte, sondern das reformatorischlutherische Erbe in der Begegnung mit den philosophisch-humanistischen Geistesströmungen des Zeitalters der beginnenden Aufklärung zu bewahren und weiterzuentwickeln versuchte 21 . Im Konsistorium in Wolfenbüttel unter Basilius Sattler hatte man jedoch der Entwicklung an der Helmstedter Universität, insbesondere seit der Berufung von Georg Calixt, mit nicht geringem Mißtrauen gegenübergestanden. Die ersten Jahre der Helmstedter Wirksamkeit von Calixt fallen in die letzte LebensDers.,51. Z.B. Caspar Pfaffrad ( 1 5 9 2 - 1 6 2 2 ) und H. J. Strube ( 1 6 1 5 - 1 6 2 9 ) . 1 7 Das wird deutlich an ihrer Stellung zu dem Außenseiter J. A . Werdenhagen ( 1 5 8 1 - 1 6 5 2 ) , der seinen Kampf gegen die Aristoteliker mit einem verinnerlichten Verständnis des Christentums im Sinne Jakob Böhmes verband. Vgl. über ihn P. Zimmermann, A l b u m Acad. Helmstadiensis, 437 ff. 1 8 Das ältere, umfassende W e r k von E. L.Th. Henke, Georg Calixt und seine Zeit, Bde. I und II, Halle 1 8 5 3 - 5 6 ist noch immer unentbehrlich. Vgl. weiterhin: H. Schüssler, Georg Calixt. Theologie und Kirchenpolitik (VIEG 25), Wiesbaden 1 9 6 1 ; J. Wallmann, Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt (BHTh 30), Tübingen 1 9 6 1 ; I. Mager, Georg Calixts theologische Ethik und ihre Nachwirkungen, S K G N S 1 9 , Göttingen 1969; Georg Calixt: Werke in Auswahl, hg. von I. Mager, Bde. 1 bis 4, Göttingen 1 9 7 1 - 1 9 8 2 . 15 16

Der Vater, Johannes Calixt, Pfarrer in Medelby in Holstein, studierte noch bei Melanchthon. Durch eine Disputation mit einem Jesuiten auf dem Schloß Hämelschenburg bei Hameln hatte sich Calixt die Gunst des neuen Herzogs Friedrich Ulrich erworben. Vgl. Henke, aaO., Bd. I, 156-184. 2 1 J. Wallmann hat die Theologie Calixts zusammenfassend definiert „als eine das reformatorische Erbe bewahrende, pietistische Anliegen berücksichtigende Weiterbildung lutherischer Theologie im Geist des Humanismus." (Zwischen Reformation und Humanismus, aaO., (Anm. 3), 355.). 19

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Die Situation im H e r z o g t u m Braunschweig-Wolfenbüttel

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und Amtszeit von Basilius Sattler, dem Hüter der lutherischen Orthodoxie im Herzogtum. E r erreichte es noch 1624 kurz vor seinem Tod, daß ein Generalkonsistorium stattfand, bei dem auch gegenüber den Helmstedter Humanisten erhebliche Vorwürfe erhoben wurden 2 2 . Im Rückblick auf seine Anfangsjahre an der Helmstedter Universität hat Calixt in einem Brief an den Kanzler Schwartzkopff von Sattler als einem „pater et patronus ignorantiae" gesprochen 2 3 . Als Sattler am 9. November 1624 starb, ging im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel eine Epoche zu Ende 2 4 . Die Herrschaft der zwar nicht unangefochtenen, aber doch in Kirche und Universität einflußreichen älteren lutherisch-orthodoxen Theologie ging auf Calixt und seine Schüler über, so daß der Calixtinismus die weitere Geschichte des Herzogtums in der Zeit während und nach dem Dreißigjährigen Krieg bis weit ins 18. Jahrhundert hinein wesentlich bestimmte. Die kirchlich-theologische Situation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel z.Zt. des Wirkens von Basilius Sattler, die wir im Uberblick darstellten, erstreckt sich somit von der Zeit der Einführung der Reformation unter Herzog Julius 1569 bis in die Anfangsjahre des Dreißigjährigen Krieges. In diesem guten halben Jahrhundert stand er in den Diensten dreier Herzöge als Beichtvater, theologischer Berater und Hofprediger in einer Zeit schwerer theologischer Auseinandersetzungen und sich anbahnender neuer Orientierung der fürstlichen Politik. Bevor wir uns dem Obrigkeitsverständnis Sattlers in seinen Leichenpredigten auf die Herzöge Julius und Heinrich Julius sowie seiner Stellung gegenüber Herzog Friedrich Ulrich in den ersten Jahren seiner Regierung zuwenden, verfolgen wir einige wichtige Stationen und Ereignisse in seinem Leben und Wirken. '

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Vgl. J . Beste, Geschichte, 1 8 0 f . ; Henke, Bd. 1 , 1 7 8 f f . ; Schlegel, Bd. 2, 494ff.

23

Brief v o m 1 0 . 3 . 1 6 5 1 , in: Georg Calixtus' Briefwechsel, hg. von E . L . T h . Henke, Halle 1833,

232. 2 4 Das schließt nicht aus, daß es auch Kontinuitätsmerkmale zwischen den älteren Helmstedter Lutheranern und Georg Calixt gibt, worauf besonders I. Mager hinweist, Reformatorische Theologie, aaO., ( A n m . 4 ) . - H . Reiler läßt die erste Phase der Helmstedter Theologie mit dem Tode Sattlers enden, vgl. seinen instruktiven Aufsatz über „Die Auswirkungen der Universität Helmstedt auf Pfarrer und Gemeinden in Niedersachsen", in: J G N K G 74, 1976, 3 5 - 5 2 , 41 ff.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

2. Zur Biographie Sattlers und wichtigen Ereignissen im Umkreis seines Lebens und Wirkens Basilius Sattler 25 wurde am 15. September 1549 als Sohn nichtwohlhabender Eltern in Neustadt an der Linde in Württemberg geboren. Nach dem Besuch der Klosterschule in Maulbronn bezog er 1564 die Universität Tübingen 26 . Als Herzog Julius den Tübinger Universitätskanzler Jakob Andreae beauftragte, im Herzogtum Württemberg nach jungen, gelehrten und tüchtigen Theologen Ausschau zu halten, um sie für den braunschweigischen Kirchendienst zu gewinnen, folgte Sattler im Januar 1569 dem an ihn ergangenen Ruf 2 7 . Im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde zu dieser Zeit unter der Regentschaft von Herzog Julius die Reformation endgültig zum Siege geführt. Die theologischen Ratgeber des Herzogs, Jakob Andreae und der Braunschweiger Stadtsuperintendent, Martin Chemnitz, führten im Herbst 1568 eine Generalkirchenvisitation durch und verfaßten eine Kirchenordnung, die BraunschweigWolfenbüttelsche Kirchenordnung von 1569 2 8 . Der Beginn von Sattlers Wirken im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel fällt somit genau in diese Umgestaltung der kirchlichen und politischen Verhältnisse, die Herzog Julius veranlaß te. Sehr bald gewann Sattler die Gunst seines neuen Landesherrn 29 . Nach einer kurzen Zeit als Diakon an der Marienkirche in Wolfenbüttel tätig, hatte Herzog 2 5 Über Leben und Wirken Sattlers vgl. die Leichenpredigt seines Nachfolgers im Amt des Superintendens generalissimus, Peter Tuckermann, Wolfenbüttel, 1624, 4 8 - 6 0 ; Ph.J. Rehtmeyer, Historiae ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae, Pars IV oder: der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie Vierter Theil, Braunschweig 1715, 193f.; ].K.F.Schlegel, Kirchen- und Reformationsgeschichte, Bd. 2, Hannover 1829, 277-501 an zahlreichen Stellen; E . L . T h . Henke, Georg Calixt, l . B d . , Halle 1853, 34-330 an zahlreichen Stellen; W.Havemann, Geschichte des Landes Braunschweig und Lüneburg, Bd. III, Göttingen 1857, 39 ff.; J . Beste, Geschichte, 121-131 u.ö. (die einzige zusammenhängende und ausführlichere Darstellung von Leben und Wirken Sattlers in der älteren Literatur, die das seit Calixt und dessen Schwager, dem Kanzler Schwartzkopff, polemisch-einseitig gezeichnete Bild Sattlers zurechtzurücken versucht), vgl. auch den Aufsatz J . Bestes in den Evang.-luth. Monatsblättern für Kirche, Schule und Innere Mission im Lande Braunschweig, V . J g . , 1885, Nr. 16-18; P.Zimmermann, Album, Bd. I, 371 f.; A.Sattler, Zur Erinnerung an den Ahnherrn der Familie Sattler, Hannover 1927; J.Meyer, Kirchengeschichte Niedersachsens, Göttingen 1939, 105 ff. - In der neueren Literatur zur Geschichte der Universität Helmstedt s. die Hinweise zu Sattler bei I. Mager, aaO., (s. u. Anm. 4 und 6) und H . - W . Krumwiede; Geschichte der evang. Kirche von der Reformation bis 1803, in: Geschichte Niedersachsens, hg. von H. Patze, 3. Bd., Teil 2, Hildesheim 1983.

Uber die Eintragungen in die Tübinger Matrikel s. P. Zimmermann, aaO., 371, Anm. 1. Vgl. Henke, aaO., 34; Beste schreibt: „Die meisten scheuten die weite Reise mit Weib und Kind, auch wollten sie nicht aus einem Weinlande in ein Bierland ziehen." (aaO., 122). 2 8 Zur Kirchenordnung 1569 vgl. J . Beste, Geschichte, 64—83 und H . - W . Krumwiede, Kirchengeschichte Niedersachsens, aaO., 39 f. 2 9 Beste formuliert pathetisch über den erst 20 Jahre alten Sattler: „Durch die würdevolle Haltung seiner königlich-priesterlichen Gestalt, die eines Hauptes länger war, denn alles Volk, durch seine feurige Beredtsamkeit, vor allem aber durch die Energie und Treue seines Charakters eroberte er im Sturm die Gunst seines neuen Landesvaters..." (aaO., 123). 26 17

Zur Biographie Sattlers

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Julius den jungen Sattler schon im Oktober 1571 für die Generalsuperintendentur in Gandersheim vorgesehen. Doch dieses Vorhaben scheiterte an dem Widerspruch des selbstbewußten Reichsstifts Gandersheim 3 0 . Dafür wurde er 1572 erster Prediger an der Marienkirche in Wolfenbüttel und 1574 zum Konsistorialrat ernannt. Im Gründungsjahr der Universität Helmstedt 1576 wechselte Sattler von Wolfenbüttel nach Helmstedt, wohin er als Stadtprediger und Generalsuperintendent berufen wurde. Als neuer Generalsuperintendent von Helmstedt nahm Sattler an der Eröffnung der Universität teil. Im November 1576 wurde er auch zum außerordentlichen Professor der Theologie ernannt 3 1 . Für zehn Jahre war jetzt Helmstedt die Wirkungsstätte Sattlers, wo er nicht nur an der Universität als Theologieprofessor und 1579 als Prorektor wirkte, sondern auch als Mitglied im Konsistorium, das im Jahre 1579 von Wolfenbüttel nach Helmstedt verlegt wurde 3 2 . In diese Jahre von Sattlers Wirken an der Universität Helmstedt fallen die Vorgänge, die Herzog Julius von den übrigen Fürsten des Konkordienwerkes isolierten, den Bruch mit seinem theologischen Berater, Martin Chemnitz, bewirkten 3 3 und schließlich zum Scheitern der Konkordienformel in Braunschweig-Wolfenbüttel führten. Das Interesse des Herzogs galt seitdem noch stärker der neuen Universität Helmstedt 3 4 , insbesondere den Theologieprofessoren Basilius Sattler und seinen beiden Kollegen Tilemann Heshusius und Daniel Hofmann, die bald auch mit theologischen Gründen das Abrücken des Herzogs vom Konkordienwerk begründeten. Es war der Streit um die Ubiquität Christi, der zwischen den Lutheranern der Konkordienformel und den Helmstedter Lutheranern schon im Erscheinungsjahr des Konkordienbuches 1580 ausbrach und die nun gebotene kritische Distanz zu der schon 1577 unterschriebenen Konkordienformel rechtfertigen sollte. Die Wurzeln für diesen christologischen Streit, bei dem die Helmstedter den Württemberger und Wittenberger Theologen gegenüberstanden, reichen jedoch weiter in eine eigene niedersächsische Tradition zurück, die auf Martin Chemnitz zurückgeht 3 5 . 3 0 Das Reichsstift Gandersheim wurde erst 1589 evangelisch. Über die Schwierigkeiten des Herzogs mit dem Stift, u. a. auch bezüglich des schon in der Kirchenordnung von 1569 bekundeten Willens, ein Pädagogium in Gandersheim zu gründen, s. K. Kronenberg, Die Reformation des Reichsstifts Gandersheim durch Herzog Julius von Braunschweig, in: J G N K G 66, 1968, 8 1 - 1 0 6 . 3 1 P. Zimmermann berichtet auch von einer kurzen Tätigkeit Sattlers in der philosophischen Fakultät, bis er zum ordentlichen Professor der Theologie ernannt wurde, Album, 321. 3 2 Vgl. V. Dettmer, Das Konsistorium zu Wolfenbüttel, Braunschweig 1922. 3 3 Uber die freimütige, sachliche Kritik von Martin Chemnitz gegenüber seinem Landesherrn vgl. Beste, Geschichte, 74 ff. und v o r allem E. Bodemann, Die Weihe und Einführung des Herzogs Heinrich Julius (s. u. Abschnitt 1., A n m . 4). 3 4 Von der neuen Universität Helmstedt pflegte man zu sagen, der Herzog gehe mit ihr zu Bett und stehe mit ihr auf. (vgl. J. Wagenmann, Die Julius-Universität Helmstedt und ihre Bedeutung für die Geschichte der Theologie und Kirche, in: Jahrbücher f ü r deutsche Theologie 2 1 , 1 8 7 6 , 2 2 9 ) . 3 5 Martin Chemnitz, De duabus naturis in Christo, de hypostatica eorum unione, de communicatione idiomatum et de aliis questionibus inde dependentibus, 1570. Vgl. dazu I. Mager, Lutherische Theologie (s. 1., A n m . 6), 89 ff. und Reformatorische Theologie (s. 1., A n m . 4), 1 7 f f .

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

Gegenüber der von Brenz gelehrten Omnipräsenz des Leibes Christi wollte Chemnitz nur eine auf der Macht und dem Willen Gottes basierende Ubivolipräsenz gelten lassen. Die Helmstedter Theologen verstanden sich als strenge Interpreten der Position von Chemnitz, die sie in der Konkordienformel nicht genügend vertreten sahen, so daß sie sich übergangen fühlten 3 6 . Daß Sattler zusammen mit Heshusius und Hofmann die Ubiquitätslehre scharf ablehnte, zeigt das Kolloquium in Quedlinburg, das Herzog Julius im Januar 1583 zum Versuch einer Beilegung des Streites einberief. Auf ihm konnten die verhärteten Fronten nicht mehr überbrückt werden 3 7 . Eine weitere christologische Kontroverse, die sich vor allem zu einem Streit um das Verständnis des Abendmahls zuspitzte, führte schließlich zum Weggang Sattlers aus Helmstedt und zu seiner Berufung als Hofprediger in Wolfenbüttel im Jahre 1586. Der bisherige Hofprediger von Herzog Julius, Johann Malsius, mußte sich vor den Helmstedter Theologen, besonders gegenüber dem ihn herausfordernden Heshusius, aber auch gegenüber Sattler und Hofmann verantworten mit dem Vorwurf, er lehre nicht lutherisch, sondern calvinisch. Der Herzog schaltete sich selbst in diesen Streit ein und brachte seine Erbitterung über die Lehrabweichungen seines Hofpredigers auf einem Generalkonsistorium im Jahre 1584 mit den Worten zum Ausdruck: „Derjenige, welcher mit seiner Kirchenordnung nicht friedlich sey, solle weder in Academia Julia noch sonst geduldet werden. Es sey besser, dieselben fahren hin zum Teufel, als daß sie seine Kirchen und Schulen verunreinen und beflecken... S . F . G . wolle keinen Calvinisten dulden, ja wenn S . F . G . einen Sohn hätte, der ein Calvinist wäre, der solle S. F. G. Erbe nicht seyn, ja S. F. G. wollte sagen, er wäre S. F. G. Kind nicht, sondern der Teufel hätte ihn gezeugt." 3 8 Mit dem an die Stelle des Malsius tretenden Basilius Sattler bekam Herzog Julius einen Hofprediger, der ihm in seiner orthodox-lutherischen Gesinnung und frommen Lebensführung vollauf entsprach. Aber diese lutherische, alle calvinisierenden Tendenzen abweisende Haltung Sattlers war durchaus der besonderen Helmstedter Tradition verpflichtet, in der man hier Luther in einer nüchternen, nicht heroisierenden und antispekulativen Weise zu folgen versuchte 39 . Mit der grundsätzlichen 3 6 Timotheus Kirchner, Martin Chemnitz und Nikolaus Seinecker, Apologia oder Verantwortung deß Christlichen Concordien Buchs, cap. IX, Heidelberg 1583, 1 7 0 f f . - I. Mager stellt zu Recht fest: „Dieses war wohl auch einer der Gründe, weshalb die Helmstedter das endgültige Konkordienwerk nicht akzeptierten und Herzog Julius endgültig bei seiner eigenen Lehrschriftensammlung ohne Konkordienformel blieb." (Lutherische Theologie, aaO., 90). 3 7 Vgl. Acta und Schrifften zum Concordien-Buch gehörig und nötig. Darinnen zwischen den Fürst. Braunschw. und Württemberg. Theologen gestritten wirdt, O b die Ubiquität im Concordienbuch statuirt und begriffen, und ob solche L e h r e . . . in Gottes W o r t grund habe. (Verfasser sind: Heshusius, Hofmann, Sattierund Boethius), 1585. 3 8 Zitiert nach Schlegel, 2. Bd., 2 9 4 f . , 296. - Zu dieser Kontroverse und schließlichen Absetzung und Festungshaft des Hofpredigers Malsius, zu dem der Herzog sonst ein gutes Verhältnis hatte, s. Schlegel, aaO., 2 9 4 - 3 0 4 und Henke, Bd. 1, 36; Beste, aaO., 79f. 3 9 Daß sich die Helmstedter Lutheraner im Streit um die Ubiquität eigentlich auf Melanchthon

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theologischen Überzeugung ging die Zustimmung zu der besonderen kirchlichen Situation im Herzogtum nach dem Abrücken des Herzogs vom Konkordienwerk konform, was das Einvernehmen zwischen Herzog Julius und Basilius Sattler nur bestärken konnte 4 0 . Im Zusammenhang mit dem Streit um den Hofprediger Malsius ist eine Schrift Sattlers zu sehen, aus der sein antirationalistisches Abendmahlsverständnis deutlich hervorgeht, in dem er sich mit Luther und der Lehre der F C verbunden weiß 41 . Nach dem Erwerb des Fürstentums Calenberg wurde das Konsistorium im Jahre 1589 wieder zurück nach Wolfenbüttel verlegt, womit die oberste kirchliche Behörde mehr in der Mitte des Landes lag. Neben seinem Hofpredigeramt kam Sattler nun in die beiden höchsten kirchlichen Amter, in denen er bis zu seinem Tod fünfunddreißig Jahre lang seinen bestimmenden Einfluß geltend machte: Als Konsistorialdirektor und einflußreichstes Mitglied im Konsistorium und als Superintendens generalissimus hat er der Kirche und der Universität den Stempel seines Geistes aufzudrücken versucht. Am 3. Mai 1589 starb Herzog Julius; Sattler hielt ihm drei Leichenpredigten, auf die wir noch näher eingehen werden 4 2 . Mit dem Regierungsantritt seines Sohnes Herzog Heinrich Julius begann erst eigentlich die Epoche von Sattlers einflußreicher kirchlicher Tätigkeit im Herzogtum. Daß mit dem neuen Herrscher auch ein neuer Geist immer deutlicher hervortrat, zeigt besonders die Entwicklung an der Universität Helmstedt im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. In der philosophischen gründen, und nicht auf Luther, hat I. Mager hervorgehoben. Ihre Ausführungen zur kritischen Lutherrezeption, die für die Helmstedter Lutheraner von Anfang an charakteristisch ist, und die damit auch gegebene theologische Kontinuität in Helmstedt sind für die Gesamtbeurteilung des Calixtinismus von erheblicher Bedeutung. (Vgl. I. Mager, Reformatorische Theologie, aaO., 17ff., 31 ff.). 4 0 Gegen die Darstellung bei Beste, a a O . , 7 7 f . , der bei den Helmstedter Theologen in ihrer Auseinandersetzung mit den Lutheranern des Konkordienwerkes nur einen V o r w a n d sieht, mit dem sie sich um die Gunst des Herzogs bemühten. 4 1 Kurtzer bericht und anleitung/ wie sich ein einfeltiger C h r i s t / in den jetzigen geschwinden Streit von dem heiligen Nachtmahl Christi/ so sich zwischen den Lutherischen und Calvinischen (wie man sie nennet) erhebt/ schicken sol, Helmstedt 1590, Signatur: K 57. 8° Heimst. (1) H A B Wolfenbüttel. H i e r heißt es zur 8. Frage „Erhöhung zur göttlichen M a y e s t e t " : „Was sonsten andere Fragen belanget/ und sonderlich von der allgegenwart oder allenthalbenheit der Menschheit Christi/ in und bey allen und jeden Creaturen/ gehöret dieselbige zur Lehr vom H . Nachtmahl n i c h t . . . U n d setzen wir dieselbe weitleufftige disputation auß wichtigen Ursachen nach Lutheri raht abseits/ und lassen es dabey wenden/ wie die Sechsische bekentnis und F o r m u l a concordiae reden/ das unrecht und falsch sey/ wer da lehret/ dz die Menschliche natur in Christo ein ewiges unendtliches wesen worden sey/ und da sie durch solche ihre unendlicheit gleich wie die Gottheit allenthalben sey/ etc. U n t e r des aber bekennen w i r / das C h r i s t u s . . . mit seinem heiligen Leib sey und sein k ö n n e / w o er will/ sonderlich aber bey seiner Kirchen und Gemein auff E r d e n . " ( E II f.). - Sattler hat dieses, ganz mit Martin C h e m n i t z übereinstimmende Abendmahlsverständnis und seine diesbezügliche christologische Position der Ubivolipräsenz des Leibes Christi (gegenüber der Omnipräsenz) später auf W u n s c h H e r z o g Friedrich Ulrichs erneut herausgegeben: Zwen kurtze gründtliche und einfältige Bericht. V o n dem H . N a c h t m a h l . V o n der Person und Majestet Christi, Wolfenbüttel 1616, Signatur: 863. 16 Theol. 8° (8) H A B Wolfenbüttel. 42

S. unter 3.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

Fakultät war es freilich nur die ursprüngliche, den melanchthonischen Humanismus betonende Geisteshaltung, die nach den Statuten für die Universität Helmstedt von Anfang an kennzeichnend war 4 3 , und die nun mit den Berufungen von Johannes Caselius und Cornelius Martini in der ganzen Universität zur Vorherrschaft gelangte. Auch in der theologischen Fakultät vollzog sich nach dem Regierungsantritt des neuen Herzogs eine Veränderung. Der alte, orthodox-lutherische Geist der ersten Helmstedter Theologieprofessoren lebte zwar u.a. in Caspar Pfaffrad (1592-1622) und Daniel Hofmann (bis 1611) weiter, später auch bei H . J . Strube (1615-29), jedoch nicht mehr unangefochten. Auch hier wirkten nun Professoren, die sich der humanistischen Richtung öffneten, z . B . Heinrich Boethius (1593-1622) und Lorenz Scheuerle (1593-1613). Die Spannungen entluden sich schließlich im sogenannten Hofmannschen Streit 1598, der die Universität Helmstedt mehrere Jahre belastete und aus der die philosophischen Kontrahenten Hofmanns siegreich hervorgingen 4 4 . O b w o h l Hofmann mit seinen immer schärfer herausgestellten Unterscheidungen zwischen Vernunft- und Offenbarungswahrheit und seiner Sorge um eine unerlaubte Einmischung der Philosophie in theologische Angelegenheiten mit den Helmstedter Philosophen eigentlich nicht in Konflikt kommen mußte, da diese sich als reine Metaphysiker verstanden und um die Grenzen zwischen Philosophie und Theologie wohl wußten 4 5 , haben doch auch Vorgänge an der Helmstedter Universität selbst diesen Streit mitverursacht. Neben Mißstimmungen zwischen den immer mehr Anklang findenden philosophischen Gelehrten und Hofmann waren 1592 und 1597 herzogliche Edikte erlassen worden, die sich gegen die Philosophie des Petrus Ramus an der Universität Helmstedt richteten und somit dem Aristotelismus vollends zum Siege verhalfen. Auch der neue Kanzler in Wolfenbüttel, der humanistisch gesonnene Johann Jagemann 4 6 , trug nicht wenig dazu bei, daß Daniel Hofmann seine philosophiefeindlichen Thesen widerrufen mußte und am 16.2. 1601 verurteilt und aus seinem Amt entlassen wurde. Basilius Sattler hat in diesem Streit erstaunlicherweise nicht für seinen früheren Kollegen Hofmann Partei ergriffen. Das hatte jedoch weitgehend Gründe, die außerhalb der in Helmstedt aufgebrochenen Streitigkeiten lagen. Schon bei Hofmanns früheren Auseinandersetzungen um die Frage der Ubiquität, insbesondere mit Polykarp Leyser 4 7 , hatte er Kritik von Sattler erfahren. Die Helm4 3 Vgl. Die Statuten der Universität Helmstedt, hg. von P. Baumgart und E. Pitz, Göttingen 1963; P. Baumgart, David Chyträus und die Gründung der Universität Helmstedt, in: Braunschweigisches Jahrbuch 4 2 , 1 9 6 1 , 36 ff. 4 4 Vgl. die in 1., Anm. 6 und 12 genannte Literatur und H . Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus, aaO., 7 4 - 7 9 . Ältere Darstellung außer E. Schlee vgl. auch Henke, Bd. I, 6 7 - 7 8 . 4 5 Darauf macht I. Mager in ihrem Aufsatz über die Vorgeschichte des Hofmannschen Streites aufmerksam (s. 1., Anm. 6), 96. 4 6 D e r Jurist Johann Jagemann ( 1 5 5 2 - 1 6 0 4 ) war 1586 zum Vizekanzler und 1594 zum Kanzler ernannt worden. Vgl. Henke, aaO., 88 f. 47

S. Rehtmeyer, Kirchengeschichte Braunschweigs, Braunschweig 1715, V. Teil, 95 ff.

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Stecher Theologen, vor allem Hofmann, haben aber auch Sattler angegriffen, als er nach 1591 den Exorzismus bei den Taufen weggelassen hatte 48 . Sattler sah sich dadurch gewiß zunächst wenig veranlaßt, die Vorgänge in Helmstedt zugunsten Hofmanns zu lenken. Doch schon bald nach dem Hofmannschen Streit begann jener langandauernde Kampf des Wolfenbütteler Generalissimus gegen den humanistischen Geist an der Universität Helmstedt, durch den er die Orthodoxie gefährdet sah, wobei er aber die bereits begonnene Entwicklung in Richtung auf eine protestantisch-aristotelische Schulphilosophie und eine freiere, dem Humanismus Melanchthons verpflichtete Theologie nicht mehr aufzuhalten vermochte. Die Befürchtung Sattlers wurde nicht erst mit der Berufung Calixts an die Helmstedter Universität bestätigt, daß „die Academia ihm zum Haupte wachse." 49 Zunächst jedoch konnte er seinen Einfluß bei Herzog Heinrich Julius geltend machen und die Professoren an der Universität Helmstedt unter strengere Aufsicht des Konsistoriums stellen. Der Herzog erließ im Januar 1603 einen Visitationsabschied mit verschärften Zensurbestimmungen, die alle Veröffentlichungen der Professoren betrafen, der aber auch viel Tadel gegenüber ihren Amtspflichten und dem sittlichen Leben an der Universität enthielt 50 . Offenbar war Herzog Heinrich Julius zu dieser Zeit dem Drängen seines Hofpredigers Sattler besonders zugänglich, war doch am 21. Oktober 1602 48 Sattler kam mit den Helmstedtern, besonders mit Hofmann, auch durch eine Predigt über den Spruch M k 10,14 „Lasset die Kindlein zu mir kommen" in Konflikt. Er bezog ihn auch auf diejenigen, die geistlicher Weise wie Kinder würden, aber auch auf alle getauften Kinder in ihrer Kindheit. Daraufhin wurde ihm wiedertäuferischer und Schwenckfeldischer Irrtum in der Tauflehre vorgeworfen. Sattler wehrte den Mißbrauch der Wiedertäufer und Schwenckfeldianer bei der Auslegung dieser Stelle entschieden ab, bestand jedoch darauf, daß die Kinder, da sie nicht malitiose widerständen, die Segnungen der Taufe auch erfahren müßten. Vgl. Rehtmeyer, Kirchengeschichte Braunschweigs, IV.Teil, 193f.; Schlegel, aaO., 351; Beste, aaO., 128.

In einer Leichenpredigt Sattlers auf Sabina Catharina aus dem Jahre 1593 ist dieser Streit noch nachwirkend erkennbar. Er predigt ebenfalls über M k 10 und bemerkt nun zu dem Wort Jesu an die Kinder „solcher ist das Reich Gottes": „Das sol aber keines weges also verstanden werden/ als wenn die Kinder an sich selber und jrer art unnd Natur halber besser weren als andere Menschen." (Leichenpredigt, Helmstedt 1593, Signatur: G - A 2725:15 N L B Hannover). In dieser Predigt geht er ausführlich auf die Lehre von der Erbsünde ein. Uber den Exorzismus äußert sich Sattler näher in der Taufpredigt auf Friedrich Ulrich über Titus 3 , 1 - 7 am 18. April 1591, gedruckt in Wolfenbüttel 1593, Signatur: C 10189:1, N L B Hannover. Er meint, daß man den Exorzismus nicht als für die Taufe nötig verteidigen solle, denn Gott hat ihn nicht befohlen, aber mit guten Gründen (wegen der Einschärfung der Erbsündenlehre) dulden könne. „Also brauchen wir den Exorzismum/ das wir unser Bekentnis thun von der heiligen Tauffe/ das es ein Mittel sey/ dadurch uns Gott aus dem Reich des Teuffels in das Reich Christi versetzet." ( D i l ) . In dieser Predigt meint er, daß die Abschaffung des Exorzismus die Erbsündenlehre gefährde. Ob Sattler wirklich 1591 den Exorzismus bei den Taufen weggelassen hat, möchte ich offen lassen. Henke, aaO., 331. Vgl. 1. Abschnitt, Anm. 13; Henke, aaO., 92ff.; Beste, aaO., 158f. - Im Zusammenhang dieser Visitation wurde auch Hofmann rehabilitiert; an der Universität fand er jedoch keinen Anhang mehr, so daß er sich nach Wolfenbüttel zurückzog, w o er 1611 starb. 49

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seine fromme, wohltätige Mutter, die Herzogin Hedwig, gestorben 51 . Auch eine Reise nach Dänemark zu seinem Schwager, König Christian IV., im Jahre 1603 wird bei dem Herzog eine ungünstige Stimmung gegenüber dem vorherrschenden Geist an der Universität und gegenüber dem Kanzler Jagemann mitbewirkt haben, war doch dieser im Verein mit Caselius ein besonderer Förderer der Humanisten in Helmstedt. Kurz danach erhielt der Kanzler seinen Abschied, woraufhin er sehr bald starb 52 . Nach dem Tod der Herzogin Hedwig war am Wolfenbütteler Hof das strenge Luthertum nicht allein von dem Hofprediger Sattler vertreten worden. Besonders die zweite Gemahlin von Herzog Heinrich Julius, die Herzogin Elisabeth, die Tochter König Friedrichs II. von Dänemark, war eine besondere Gönnerin Sattlers, ebenso der oft in Wolfenbüttel weilende Bruder des Herzogs, Philipp Sigismund, Bischof von Verden und Osnabrück. Diese sog. dänische Partei versuchte nicht ohne Erfolg, ihre Anliegen in Kirche und Universität geltend zu machen. Dies konnte sie umso mehr, als sich Herzog Heinrich Julius seit 1607 immer öfter am kaiserlichen Hof in Prag aufhielt. Hier fand er im Vertrauen mit Kaiser Rudolf II. ein weites Betätigungsfeld in der Reichspolitik 5 3 ; sie bedeutete einen willkommenen Ausgleich für die wachsenden Schwierigkeiten im eigenen Land, die ihm seinen Aufenthalt in Wolfenbüttel mehr und mehr verleidet hatten 54 . So lagen bei der Herzogin Elisabeth und Sattler vor allem in kirchlicher Hinsicht alle wesentlichen Entscheidungen, die sie voll zu nutzen wußten 5 5 . Der frühe Tod Herzog Heinrich Julius' im Jahre 1613 stellte nicht nur für das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, sondern auch für den Protestantismus im Reich einen nicht geringen Verlust dar. Das hebt auch Sattler in seiner Leichenpredigt hervor 5 6 , in der er seine Sorge um die Änderung im Regiment deutlich bekundet. Sie war wohl begründet, denn mit dem jungen, erst zweiundzwanzigjährigen Herzog Friedrich Ulrich kam ein Fürst an die Regierung, 5 1 Sattler hielt die Leichenpredigt am 1 9 . 1 1 . 1602, gedruckt in Wolfenbüttel 1602. Signatur: T 826 b 4° Heimst. (3) H A B Wolfenbüttel. D o r t heißt es kritisch zur fürstlichen Selbstherrlichkeit: „Grosse Herrn sind auch Menschen/ und weil sie grosse Gewalt haben/ sind sie/ wenn sie biß weilen worauff kommen/ oder zu Zorn bewogen werden/ schwerlich davon abzubringen." (J II). 5 2 S. Henke, aaO., 89 ff. Der Sturz des Kanzlers Jagemann war freilich durch mehrere Faktoren verursacht, vor allem durch seine Gegnerschaft zu den Landständen. 5 3 V o r allem auf den Rat von Herzog Heinrich Julius hin stellte Kaiser Rudolf II. den sog. Majestätsbrief aus, mit dem er den Protestanten in Böhmen die Religionsfreiheit zusicherte. Vgl. zu dem Pragaufenthalt des Herzogs Beste, aaO., 165. 5 4 Die Schwierigkeiten betrafen u.a. die vergeblichen Bemühungen des Herzogs, die Stadt Braunschweig unter seine Herrschaft zu bringen, aber auch finanzielle Lasten, die durch die aufwendige Hofhaltung in Wolfenbüttel und die rege Bautätigkeit entstanden waren. Hinzu kamen Streitigkeiten mit den Ständen, die auf ihren Privilegien beharrten, als im Jahre 1597 Herzog und Kanzler für die Erblichkeit des Besitzes auf den Meierhöfen eintraten. 5 5 Vgl. Beste, aaO., 168 und Henke, aaO., 97. 5 6 Leichenpredigt vom 4. Oktober 1613, Wolfenbüttel 1613. Signatur: 372. Rhet. (1) H A B Wolfenbüttel. W i r werden auf diese bedeutsame Predigt mit dem Titel „Von der Oberkeit" im folgenden noch näher eingehen.

Zur Biographie Sattlers

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der den schwierigen Aufgaben im Inneren des Landes sowie in der äußeren Politik vor und während des Dreißigjährigen Krieges nicht gewachsen war. Als ältester Sohn von Herzog Heinrich Julius hatte Friedrich Ulrich unter Caselius und Martini in Helmstedt eine humanistische Bildung erhalten 57 . Der junge Herzog war darum auch zunächst bestrebt, den humanistischen Geist an der Universität zu fördern und damit wieder an die ersten Regierungsjähre seines Vaters anzuknüpfen. Die Berufung von Calixt an die Universität Helmstedt ist dafür das deutliche Zeichen, die bald nach jener Disputation mit einem Jesuiten auf Schloß Hämelschenburg stattfand, durch die sich Calixt die Gunst des neuen Regenten erworben und viel Aufsehen erregt hatte 58 . Aber die inneren, durch große Schulden belasteten Landesverhältnisse entwickelten sich unter dem gutmütigen, jedoch schwachen und beeinflußbaren Herzog Friedrich Ulrich so ungünstig 5 9 , daß schließlich ein Ministerium unter Anton von Streithorst eingesetzt wurde, das alle wichtigen Regierungsangelegenheiten in seiner Hand hatte. Damit wurde die Lage noch schlimmer, da der zum Statthalter ernannte Streithorst das Regiment gänzlich an sich riß und ihm ergebene Landdrosten um sich scharte. Dieses sog. Landdrostenregiment versuchte mit rücksichtslosen Bereicherungsmethoden der großen Finanznot zu begegnen, indem die Kammerund Klostergüter verschleudert und Münzstätten verpachtet wurden, aus denen sich die fürstlichen Kassen das dort geschlagene minderwertige Geld besorgten, während die Untertanen ihre Zahlungen weiter mit altem Geld leisten mußten. Die Folgen waren erhebliche Preissteigerungen, wirtschaftliche Not und das fast völlige Erliegen des auswärtigen Handels 6 0 . Am Hof von Wolfenbüttel war es die alte dänische Partei, die sich gegen diese Mißregierung stellte: die Herzogin Elisabeth, ihr Bruder König Christian IV. von Dänemark, Bischof Philipp Sigismund, und nicht zuletzt Basilius Sattler 61 . Vgl. Henke, aaO., 1 5 7 f . S . l . Abschnitt, A n m . 2 0 . 5 9 Die besondere, an den damaligen Fürstenhöfen häufige Trunkleidenschaft des Herzogs, der auch Herzog Julius und Herzog Heinrich Julius zugetan waren, mußte seine Abhängigkeit von verschiedener Seite bestärken. So wurde der Herzog auch zu einer raschen Einnahme der sich noch immer der Huldigung verweigernden, unter Reichsacht stehenden Stadt Braunschweig ermuntert, die nach verlustreichen Kämpfen und mit Unterstützung von außen scheiterte. Nach dem am 2 1 . 1 2 . 1615 geschlossenen Frieden leistete die Stadt zwar die Huldigung, konnte aber ihre alten Freiheiten behalten; die Reichsacht über sie wurde aufgehoben. Sattler hielt dabei eine Friedenspredigt am 1 1 . 2 . 1616, gedruckt in Wolfenbüttel 1616. Signatur: T 732. 4° Heimst. (10) H A B Wolfenbüttel. 57 58

Vgl. dazu Schlegel, aaO., 3 7 7 f f . und Beste, aaO., 1 6 8 f f . A u s den Konsistorialakten hat Schlegel einen längeren Bericht eines Pastors namens Gabriel Cüsterus abgedruckt, den dieser dem Konsistorium über die Geisterscheinung eines alten Mannes gegeben hat. Dieses Gesicht hat deutliche Weissagungen ausgesprochen, womit die Herzogin Elisabeth aufgefordert wird, gegen die Mißstände im Lande unter der Regentschaft ihres Sohnes anzugehen. Sattler soll diesen Bericht an die Herzogin geschickt haben mit der Aufforderung, ihrem Sohn ins Gewissen zu reden. Daraufhin hat die Herzogin Elisabeth in einem Schreiben vom 8. Juni 1 6 1 7 ihren Sohn ermahnt, er solle sich ernsthaft prüfen, ob sein Regiment so geführt wird, „daß zuforderst Gott dadurch geehret, Kirchen und Schulen erhalten, die Gerechtigkeit befurdert, die A r m u h t geschützet, und männiglich gleich und recht wiederfahre." (Schlegel, aaO., Beilage 60

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Zwar war das Ministerium Streithorst von der Herzogin Elisabeth und König Christan selbst berufen worden in der Hoffnung, damit dem Lande eine brauchbare Regierung zu geben. Nun aber, nachdem sich dies als verhängnisvoller Mißgriff erwies, versuchte man, die gerufenen Geister wieder loszuwerden und das verderbliche Regiment zu stürzen 62 . Es dauerte aber noch bis zum Jahre 1622, als schließlich die Herzogin Elisabeth ihrem Sohn die vielfachen Beschwerden so verdeutlichen konnte, daß der Herzog seinen Statthalter gefangen nehmen ließ. Nach dem Sturz von Streithorst und dem Sieg der dänischen Partei kam es noch einmal zu einem Aufschwung des lutherisch-orthodoxen Einflusses um Sattler. Unter dem „theologischen Regiment" des Statthalters Ernst von Steinbach und dem Kanzler Eberhard von Weye 6 3 wurde die volle Selbständigkeit für das unterdrückte Konsistorium wiederhergestellt. Und an der Universität Helmstedt konnte eine Berufung für die theologische Fakultät ausgesprochen werden, die unter dem Ministerium Streithorst undenkbar war: als Gegengewicht zu Calixt wurde gegen Ende des Jahres 1622 an Johann Gerhard die Bitte gerichtet, nach Helmstedt zu kommen 6 4 . Auch wenn diese Hoffnung nicht in Erfüllung ging, so war doch für Sattler und die lutherisch-orthodoxe N r . X X V I I I ) . H e r z o g Friedrich Ulrich bedankte sich für diese „mütterliche W a r n u n g " in einem Schreiben vom 17. J u n i 1617, in dem er verspricht, B u ß e zu tun und auf das geistliche und weltliche Regiment ein wachsames Auge zu richten und gegen jedermann Gerechtigkeit zu üben. ( a a O . , Beilage N r . X X I X ) . Diese Vorgänge sind die Vorbereitung für einen ausführlichen Brief Sattlers an den H e r z o g . In diesem bittet er, nachdem er schon 50 J a h r e seinen beiden Vorgängern gedient habe, nun aus Alters- und Schwachheitsgründen seine Hofpredigerstelle niederlegen und nur ab und zu einmal noch predigen zu dürfen. Seine Aufgaben im Konsistorium wolle er jedoch weiterführen. Z u m Nachfolger im Oberhofpredigeramt empfiehlt Sattler den andern Hofprediger Petrus T u c k e r mann. N a c h dieser Einleitung richtet Sattler an H e r z o g Friedrich Ulrich deutliche Mahnungen, sich des Regiments selbst anzunehmen, nicht einzelnen Stimmen, sondern nur mehreren treuen Ratgebern zu folgen. Seine Kritik an der Regierung k o m m t konkret in der Mißbilligung gegenüber der willkürlichen Verwendung der Klostergüter zum Ausdruck, aber auch darin, daß der H e r z o g gegenüber den Juden zu frei verfahre und in der Neustadt Hannover eine Synagoge erlaube. An die Herzogin Elisabeth richtete er ebenfalls dieses Schreiben mit noch verschärfter Kritik an dem Regiment Friedrich Ulrichs, (vgl. Schlegel, aaO., 3 7 8 - 3 8 2 ) . Zu der gewünschten Entlassung aus dem Hofpredigeramt kam es jeodch nicht. D i e Vorgänge beleuchten aber deutlich, welche wichtige Rolle der Hofprediger Sattler bei der sich mehr und mehr verstärkenden Kritik gegenüber dem H e r z o g spielte. 6 2 König Christian I V . richtete an H e r z o g Friedrich Ulrich ein eindringliches Mahnschreiben vom 23. D e z e m b e r 1620, vgl. Schlegel, aaO., 491 und Beste, aaO., 685, A n m . 224. 6 3 Eine Bezeichnung von L . T . Spittler, die Beste zitiert, aaO., 172. - D e r Landtagsabschied von 1619 verpflichtete erneut alle Pastoren, die weltlichen und geistlichen Räte sowie die Helmstedter Professoren auf die C A invariata und das Corpus doctrinae Julium. 6 4 Das Berufungsschreiben wurde von Michael Walther an J o h a n n Gerhard in J e n a gerichtet. Es ist abgedruckt in: E . R . Fischer, Vita Johannis Gerhardi, Leipzig 1723, 223 f. Walther war seit 1618 Hofprediger bei der Herzogin Elisabeth in Schöningen. Gerhard sagte jedoch ab, und Michael Walther übernahm selbst die Professur in Helmstedt. Zu Michael Walther s. W . S o m m e r , G o t t e s furcht und Fürstenherrschaft. Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten von Justus Gesenius und Michael Walther, in: J G P , Bd. 6 - 1980, Göttingen 1981, 3 3 - 5 1 , 4 3 f f . Zu der Berufung Gerhards vgl. H e n k e , aaO., 3 2 3 f f .

Zur Biographie Sattlers

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Partei in Wolfenbüttel noch einmal die Situation günstig, dem ungeliebten humanistischen Geist an der Universität Helmstedt entgegenzutreten. Im Juli 1624 fand unter Sattler ein Generalkonsistorium statt, bei dem verschiedene Vorwürfe gegenüber den Predigern und der kirchlichen Situation, vor allem aber gegenüber den Professoren an der Universität laut wurden. Eine Generalvisitation für das ganze Land wurde als dringend notwendig empfunden 6 5 . Die Universität Helmstedt wurde schon bald darauf visitiert, doch war Sattler selbst dabei nicht mehr anwesend, sondern sein späterer Nachfolger im Amt des Hofpredigers, Peter Tuckermann. Unter ihm unterblieben alle vorgesehenen, strengeren Maßregeln des Konsistoriums gegenüber der Universität. A m 9. November 1624 starb Sattler, er wurde am 15. November in der Marienkirche in Wolfenbüttel beigesetzt. In seiner Leichenpredigt auf Sattler berichtet Tuckermann, daß Herzog Friedrich Ulrich selbst seinem Sarg gefolgt sei 66 . Daß die Herrschaft der lutherischen Orthodoxie im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel mit dem Tode Sattlers endet und die bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts hineinwirkende Epoche der Vorherrschaft des Calixtinismus damit beginnt, hat Henke in seinem zusammenfassenden, distanzierenden Urteil über Sattler besonders deutlich gemacht: „Basilius Sattler, ein Mann welcher fast ein halbes Jahrhundert mit grossem Uebergewicht leitend neben der entstehenden braunschweigischen Landeskirche gestanden, und ihr nach Kräften das Gepräge jener auf seine Landsleute Brenz, Andreä und Hunnius zurückgehenden Doctrinen, Rechtgläubigkeit der Concordienformel in der Lehre, und Prälatenkirchenregiment mit möglichst geringer Mitwirkung von weltlichen Räthen und von Gemeinen in der Kirchenverfassung, aufzudrücken versucht hatte, welchem es aber in ersterer Hinsicht gar nicht, in letzterer nur theilweise gelang diese Richtung in diesem Lande zu einer bleibenden zu ma6 5 Vgl. oben S.229. Im Zusammenhang mit diesem Generalkonsistorium hat Jakob Weller ( 1 6 0 2 - 1 6 6 4 ) , Oberhofprediger in Dresden, fast dreißig Jahre später von einer Zurechtweisung Calixts vonseiten des Konsistoriums in Wolfenbüttel wissen wollen, insbesondere durch Sattler. Sattler habe Calixt im Konsistorium ermahnt, „er möge bei seiner Profession, und, wenn er im Druck etwas ausgehen ließe, sich dem Corpori Julio und der Kirche konform erweisen." Darauf soll Calixt gesagt haben: „Hätten wir einerlei Köpfe, so trügen wir auch einerlei Hüte", worauf Sattler erwiderte: „Wenn man wolle im Lande lehren, so müsse man einerlei K ö p f e und Hüte tragen, denn hier seien einerlei Glaubensbekenntnisse." Calixt habe dann auf Befehl Herzog Friedrich Ulrichs einen Revers unterschreiben müssen, in dem er versprochen habe, keinerlei Neuerungen in der Lehre künftig vorzunehmen. (Bericht nach Beste, aaO., 180 f.). Sowohl Henke wie Beste stellen die historische Zuverlässigkeit dieses Vorgangs mit Recht infrage, jedenfalls für diesen Zeitpunkt im Jahre 1624; kurz vor der Berufung Calixts nach Helmstedt hält Henke einen solchen Disput zwischen den beiden schon altersmäßig so verschiedenen Theologen f ü r möglich, vgl. seine A u s f ü h rungen über die Anstellung Calixts in Helmstedt und seine erste Wirksamkeit, aaO., 172, 179 ff., 238, 240. - Hier bezeichnet Henke in seiner Calixt gegenüber so wohlgesonnenen Darstellung Sattler als einen Mann „von geringer theologischer Bildung und von großer zerstreuender Geschäftslast und Vielgeschäftigkeit." (aaO., 238). Dieses Urteil trifft jedoch weder Sattlers Persönlichkeit noch seine Theologie.

66 p e t e r Tuckermann, Leichenpredigt auf Basilius Sattler, Wolfenbüttel 1624, 59.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

chen. Mit ihm schloß vielmehr eine Periode der braunschweigischen Kirchengeschichte seit der Reformation; der Fortgang der auf ihn zurückgehenden Tradition ward unterbrochen, und eine andere Ueberlieferung, die der gemässigten philippistischen Theologie, trat aus der Stellung der Opposition in die der Vorherrschaft." 6 7 Der in diesem Urteil vorsichtig, aber doch deutlich genug zum Ausdruck kommende kritische Vorbehalt gegenüber Sattlers „Prälatenkirchenregiment" hat eine lange Geschichte. Er wird letztlich auf jene denkwürdige Denkschrift des Kanzlers Johann Schwartzkopff an Herzog August aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgehen, in der dieser argwöhnisch auf die Wolfenbütteler Hofprediger seit Basilius Sattler blickt, weil sie für die Selbständigkeit im Kirchenregiment eintreten und gegenüber der weltlichen Obrigkeit deutliche, kritische Töne anschlagen 68 . Welche Vorstellungen der Hofprediger Sattler über Rechte und Pflichten der Obrigkeit hat und wie sich das Verhältnis der Kirche zum frühneuzeitlichen Staat in seinen Augen darstellt, wollen wir nun anhand seiner Predigten näher untersuchen.

3. Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten

Sattlers

Das fast vierzigjährige Wirken Sattlers als Hofprediger im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel unter drei Herzögen erlaubt es uns, das jeweilige Gegenüber des Hofpredigers zu den in der Regierung aufeinanderfolgenden Regenten sowohl in den Kontinuitäts- wie auch Wandlungselementen wahrzunehmen. Mit den Regierungsantritten der Herzöge Heinrich Julius und Friedrich Ulrich entwickelt sich das politische und kirchlich-religiöse Leben im Herzogtum mit bestimmten Akzentsetzungen weiter, wobei, wie wir sahen, die Schwerpunktverlagerungen im geistigen Spannungsfeld zwischen lutherischer Orthodoxie und aristotelischem Humanismus wesentlich von der Persönlichkeit der beiden Fürsten mitbestimmt sind, die auf die Regierungszeit von Herzog Julius folgten. In den Jahren 1589 und 1613 hat Sattler Leichenpredigten auf die Herzöge Julius und Heinrich Julius gehalten, die für die Beziehungen des Hofpredigers zu diesen beiden Fürsten sowie für seine grundsätzlichen Anschauungen über Rechte und Pflichten der weltlichen Obrigkeit, aber auch für die Grundzüge seiner Theologie und Frömmigkeit eine aufschlußreiche Quelle darstellen. Für die Regierungszeit von Friedrich Ulrich stützen wir uns ebenfalls auf Leichenpredigten Sattlers, die er anläßlich des Todes verschiedener Glieder der herzoglichen Familie gehalten hat sowie auf die „Friedpredigt", die er bei den Huldigungsfeierlichkeiten der Stadt Braunschweig im Jahre 1616 hielt. Bei der Bestattung von Herzog Julius, der am 3. Mai 1589 starb, hielt Sattler 6 7 Henke, aaO., 3 3 0 f . - I. Mager hat für die Universität Helmstedt demgegenüber auch auf die Kontinuitätsmerkmale aufmerksam gemacht, die zwischen dem Calixtinismus und der früheren Helmstedter Tradition bestehen, s. 1., A n m . 4. 6 8 W i r werden auf diese Denkschrift noch unter VI. 2 b), 2 8 7 f f . eingehen.

Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten Sattlers

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drei Predigten, die noch im selben Jahr zusammen veröffentlicht wurden 6 9 . In der ersten Predigt über Joh 16 richtet der Hofprediger den Blick voller Trauer zum Dankgebet für die besonderen Wohltaten, die Gott durch Herzog Julius dem ganzen Land angedeihen ließ. Die dankbare Gesinnung gilt vor allem der Wiederaufrichtung des Wortes Gottes in der Einführung der Reformation, aber auch dem durch Gerechtigkeit und Friedenswillen bestimmten Regiment 7 0 . Ist der Rückblick auf Herzog Julius von dem Dank für seine segensreiche, einundzwanzigjährige Regierungszeit erfüllt, so ist die Gegenwart von Not und Unsicherheit bestimmt, die die Änderung im Regiment mit sich bringt: „Es ist eine grosse enderung/und keine enderung pflegt ohne nott und gefahr abzugehn." 7 1 Für die Zukunft erhofft sich deshalb Sattler, daß das Leben auch weiterhin unter dem Regiment einer christlichen und gottseligen Obrigkeit stehen möge: „Wir Underthanen alle mit einander sollen bitten/das Gott auch künfftiglich/uns mit einer Christlichen und Gottseligen Oberkeit wolle versehen/darunter wir auch den thewren Schatz des Seligmachenden Worts Gottes/den rechten gebrauch der heiligen Sakramente/und denn Gericht/Gerechtigkeit/und zeitlichen Frieden haben." 7 2 In der Schloßkapelle 7 3 hielt Sattler eine zweite Predigt über Psalm 90, die die Gleichheit aller Menschen in allen drei Ständen als arme, elende Kreaturen mit drastischen Worten beschreibt. In deutlichem Kontrast zum humanistischen Menschenbild stellt der Hofprediger in einer an Luther erinnernden Radikalität den von der Sünde vollkommen beherrschten Menschen heraus, der den Zorn Gottes hervorruft. Das menschliche Leben ist nichts als eine baufällige Hütte und ein Schweinestall 74 , und der Mensch gleicht einem Pfau 7 5 , der mit seinen bunten Federn vor Gott und den Menschen Eindruck machen will. Aber es ist alles ganz eitel, auch das Gold und Silber des Herzogs Julius. Sattler will damit vor dem Hochmut und der Eitelkeit warnen, die besonders bei den hohen 6 9 Drey Predigten/ Gethan bey der Leich und Begrebnis/ Weilandt des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn / H. Julii, Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg. Die Erste/ Den 4.Maij/ als S: F: G : den 3. desselbigen Monats in Gott seliglich entschlaffen. Die Ander/ Den 8.Junij/ als die Fürstliche Leich in die Schloß Capell gebracht. Die Dritte/ Den l l . J u n i j / bey der Fürstlichen Begrebnis. Heinrichstadt, gedruckt durch Conrad Horn 1589. Signatur: G n Kapsel 8 (12) H A B Wolfenbüttel. 7 0 Sattler will in seiner Trostpredigt die Lehre vom Gebet auf den Tod des Herzogs anwenden, bei dem er von allem Übel erlöst wurde, und ruft die Untertanen auf, daß sie sich alle auf die segensreiche Zeit seiner Regierung besinnen: „Wir alle/ den Fürsten/ unter dessen schütz wir 2 1 . Jar Gottes Wort/ gericht und Gerechtigkeit/ auch den Frieden/ und sonsten viel guts gehabt." (D). 7 1 D. 72 D r . 7 3 Diese Kapelle hat Herzog Julius nicht nur äußerlich gebessert und geziert, „sondern auch das unuerfelschte W o r t Gottes/ und den rechten gebrauch der heiligen Sakramente darein gebracht/ und die Papistischen grewel ausgefeget." (E). 7 4 G. - Auch das Leben von Herzog Julius ist nur Mühe und Arbeit gewesen, besonders seit er ins Regiment gekommen ist. (Gr). 75 Fr.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

Standespersonen vorherrschen, vor den Lebensidealen Geld, Gut, Ehre, Gewalt und Wollust 7 6 . Mit den allein von Gott geschenkten Gaben und Gütern kann sich der Mensch nicht rühmen: „Wenn uns Gott hohe Gaben gibt/Oder uns in ein hohes Ampt setzet/Wenn er uns viel gibt/so gelten wir viel. Wenn er uns aber auffnimpt (wie er uns denn alle zu letzt auffnimpt) und zwar ehe wir uns vermuthen/so gelten wir nichts." 7 7 Der Mensch nach dem Sündenfall hat die Gottebenbildlichkeit verloren und gleicht dem Teufel: „Das ist ein elender und betrübter zustand/das wir in Geistlichen Sachen nicht mehr tragen Gottes Ebenbild/Sondern dem Teuffei sehen wir gleich." 7 8 Bei dieser Hervorhebung der Allgemeinheit des menschlichen Verderbens trifft der Zorn Gottes den König wie alle anderen Menschen: „ . . . was ist ein König/ja alle Menschen gegen Gott? Wie ein tröpflein Wassers/das im Eimer blieben ist/und wie ein scherfflein so in der Wage bleibet... Gottes Zorn der gehet durch/der ist unendlich und allmechtig..." 7 9 Sattler will mit der Lehre von der Erbsünde zur Buße führen, aus der allein die nötige Selbst- und Gotteserkenntnis hervorgehen kann. Nur im Gebet um Vergebung der Sünde und Abwendung des Zornes Gottes kann es Hilfe geben, wovon die Vernunft nichts weiß und alle heidnische Weisheit schweigen muß: „Und weil im Geistlichen und Weltlichen Stande unser thun vergeblich ist/wo du nicht das gedeyen gibst/So gib gnad/das wir im Predigamt/im Weltlichen Regiment/und in der Haushaltung viel guts schaffen. Dauon weis die Vernunfft nichts/da schweigen alle Heiden Bücher stille/Aber Gottes Wort lehrets uns." 8 0 Am Schluß der Predigt erinnert Sattler an die biblischen Strafpredigten der Propheten und Apostel, die alle das Ziel der Buße und Bekehrung hatten. In diesem Geist will auch er sein eigenes Wirken als Hofprediger verstanden wissen. Gegenüber Herzog Julius aber kann Sattler feststellen, daß er sich zu seiner Sünde bekannt und alleinigen Trost in der Erlösung durch Christus gefunden hat: „Also hat unser Gnediger Fürst und Herr erkant seine noth und Sünde/darüber hertzlich geseufftzet: Daneben aber sich Christi und seiner Wolthaten getröstet/und gesagt/Christus würde sein Leiden an ihm nicht lassen verloren sein." 8 1 Die lutherische Theologie der Rechtfertigung allein aus Gnaden, die die Leichenpredigt des Hofpredigers bestimmt, stellt nüchtern den bußfertigen Sünder im Landesfürsten heraus. Es ist das höchste Lob, das Sattler gegenüber einem Regenten ausspricht. Von hier aus können auch erst das Werk und die Person dieses Fürsten in das rechte Licht treten. In der dritten Predigt über 2. Chron 35 kommt Sattler näher auf das Leben F2. Fr. „Heut König/ morgen Tod/ und wenn der Mensch todt ist/ so fressen ihn die Schlangen und Würme." (F2). 78 G 3 r . 76

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G4r.



H4. J4.

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Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten Sattlers

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und Wirken des Herzogs zu sprechen. Nicht in der Art eines Helden, sondern wie über einen bußbereiten Sünder wird über seine Taten berichtet. Mit der Einführung der Reformation, der Kirchenordnung und dem Corpus doctrinae, der Beförderung des Konkordienwerkes und der Gründung der Universität Helmstedt hat Herzog Julius die papistischen Irrtümer aus dem Tempel Gottes ausgefegt und dem Wort Gottes wieder freien Lauf gelassen. Als biblisches Vorbild dient Sattler das Wirken des alttestamentlichen Königs Josia 8 2 . Die Ubereinstimmung zwischen Hofprediger und Herzog in den theologischen Auseinandersetzungen um das Konkordienwerk kommt in der knappen Bemerkung zum Ausdruck, daß der Herzog über „de ubiquitate" zu sagen pflegte: „Es bawet nicht." 8 3 Von diesem segensreichen, durch Gottes Gnade ermöglichten Wirken hebt Sattler das persönliche Leben des Fürsten ab, über das der Hofprediger bemerkenswert freimütig, aber auch in innerer menschlicher und anerkennender Verbundenheit berichtet: „S.F. G . Person belangend/sein sie zwar ein grosser Sünder gewesen/und haben/wie wir alle mit einander/wie auch die löbliche König in Juda/ihre sonderliche mengel gehabt/Wie wir denn dieselbigen allezeit an andern wol/an uns aber ubel sehen/als das sie dem zeitlichen Gut und Zorn unterweilen etwas zu sehr nachgehangen." 8 4 Es sind aber auch viele große Tugenden zu erwähnen, die die Mängel überdeckt haben. Für das Verhältnis des Hofpredigers Sattler zu dem ihm eng verbundenen Herzog Julius ist es besonders charakteristisch, daß er dabei an erster Stelle dessen Duldung, ja Aufforderung zu Strafpredigten gegen seine eigene wie anderer Leute Sünde nennt: „Wie denn das hiebey sehr rhümlich ist/das S. F. G. leiden können/ das so wol ihre als anderer leute Sünden die Prediger ohne schew straffen mögen/Also/das sie auch selber solches befohlen/und gesagt/Sie wollen ihren Predigern den Mund nicht zubinden." 8 5 Auf diese Freiheit des kirchlichen Amtes zu Strafpredigten, in der der Hofprediger mit Herzog Julius übereinstimmt, hat sich Sattler auch gegenüber seinen Nachfolgern im Regiment stets berufen. Wenn sein Verhältnis zu ihnen auch längst nicht mehr so eng war wie zu Julius, so haben doch die Herzöge Heinrich Julius und Friedrich Ulrich diesen Anspruch des Predigtamtes nie bestritten. In dem persönlichen Fleiß, der eigenständigen Regierungs8 2 N 4 f. - Sattler erwähnt weiterhin für die Regierungszeit von H e r z o g Julius das Hofgericht und die Errichtung des Konsistoriums. 83

02r.

0 4 . - Vermutlich spielt die Kritik am Begehren nach irdischem Reichtum auf die alchimistischen Neigungen des Herzogs an. E r stand mehrere Jahre im Banne der Alchimisten Sömmering in der Hoffnung, aus unedlen Metallen Gold machen zu können, (vgl. Beste, aaO., 82). 84

8 5 0 4 r . - Diese Feststellung Sattlers wird durch die kirchenpolitischen Vorgänge nicht beeinträchtigt, bei denen H e r z o g Julius durch die Kritik von seiten lutherischer Theologen und Fürsten an seinem Verhalten bei der katholischen Weihe seines Sohnes in eine zeitweilige Verstimmung zu den Mitarbeitern am Konkordienwerk geriet, (vgl. 1. Abschnitt, A n m . 4). Julius entschuldigte sich bald danach und suchte schon 1579 die Beziehungen zu den Mitarbeitern des Konkordienwerkes wieder herzustellen.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

Verantwortung und in der Sparsamkeit sieht Sattler die weiteren Vorzüge dieses Fürsten, die sich in seinem Symbol wahrheitsgemäß zusammenfassen: „aliis inserviendo consumor." 8 6 Kommen wir von diesen Leichenpredigten auf Herzog Julius zu der Predigt, die Sattler beim Tod von Herzog Heinrich Julius im Jahre 1613 hielt 8 7 , so haben wir ein recht verändertes Bild vor uns, in dem sich die neuen Akzentsetzungen in der Regierung des Sohnes und seine andere Persönlichkeit aus der Sicht des Hofpredigers deutlich widerspiegeln. Nicht ohne Grund trägt der Hofprediger in dieser Predigt eine ausführliche Lehre von der Obrigkeit vor, in der sich sein kritischer Rückblick auf die Regierung von Herzog Heinrich Julius mit seiner Sorge und seinen Warnungen gegenüber dem Regiment des jungen Nachfolgers Friedrich Ulrich in grundsätzlichen Ausführungen über das obrigkeitliche Amt verdichten. Als Text liegt der Predigt 1. Tim 2 zugrunde, und so stellt Sattler vor die Lehre „Von der Oberkeit und ihrem A m b t " 8 8 das Gebet für die Obrigkeit, die Gott uns zugute verordnet hat. Doch schon die vier Fragestellungen, mit denen die Lehre von der Obrigkeit entfaltet wird, lassen die besondere kritische Zielrichtung dieser Predigt erkennen, die den Gesamtrahmen der Obrigkeitspredigten zur Zeit der lutherischen Orthodoxie gewiß nicht verläßt, aber doch darin einen besonderen Platz beanspruchen darf. Sattler fragt: „ 1. ob der Stande der Oberkeit Gott gefalle, 2. was der Oberkeit Ampt sey/und was wir von derselben für gutthaten empfangen. 3. wie man zum guten und glückseligen Regiment kommen könne. 4. ob Gott die Oberkeit auch wolle selig machen/und im Himmel haben." 8 9 Auf der 4. Frage liegt das Hauptgewicht, sie nimmt Sattler zum Anlaß, grundsätzliche und geistreiche Obrigkeitskritik vorzutragen, in der sich seine langjährigen Erfahrungen am Wolfenbütteler H o f unter der Regierung von Herzog Heinrich Julius niederschlagen. Daß der Stand der Obrigkeit von Gott selbst verordnet ist, in dem man ihm zu dienen habe, wird gegen die Wiedertäufer und den falschen Anspruch der Mönche vor allem mit Paulus begründet (Römer 13, aber auch mit Psalm 82 und Proverbia 8,15). Der Akzent liegt auf Römer 13,4ff., auf der Obrigkeit als Gottes Dienerin 9 0 . Durch die Obrigkeit erweist uns Gott auch in diesem vergänglichen Leben viel Gnade und Wohltaten, die sich im Schutz der Frommen und in der Strafe der Bösen zusammenfassen. Daß die Obrigkeit in ihrem Stand Gott dient, bedeutet Trost und Warnung zugleich: Sattler hebt charakte86

p

Eine Predigt/ Von der Oberkeit/ Gethan bey der Begräbnuß des Weiland Hochwürdigen/ Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten und H e r r n / Herrn Heinrich J u l i j . . . (gehalten am 4. O k tober 1613, gedruckt in Wolfenbüttel 1613). Signatur: 37. 2 Rhet. (1), H A B Wolfenbüttel. 87

88 Bff.

89 Br.

„Ein Christlich Oberkeit aber weis gewiß/ aus Gottes W o r t / das sie in einem solchen Stand ist/ den Gott verordnet/ darin sie G o t t dienet." ( B 3 ) . Sattler weist auch auf die alttestamentlichen Könige David, Asa, Josaphat, Hiskia und Josia hin, die alle Gott gedient haben. 90

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ristischerweise gleich zu Anfang seiner Obrigkeitslehre, die sich eng an Luther anlehnt 91 , hervor: Christus hat auch die Obrigkeit erlöst, das Angebot von der Vergebung der Sünden richtet sich auch (!) an die Obrigkeit 9 2 . Nicht auf der Würde und Hoheit des obrigkeitlichen Amtes durch Gottes Ordnung und Beauftragung liegt der Hauptakzent wie bei Johann Arndt 9 3 , sondern auf dem Trost durch die Erlösung Jesu Christi, in dem die Obrigkeit ihr schweres und verantwortungsvolles A m t führen kann. Das aber schließt die Warnung ein, daß die Obrigkeit ihr A m t in der Achtung vor dem W o r t Gottes führen soll, „nicht ihrem eigenen Kopff und affecten folgen/und ex plenitudine potestatis verfahren..". 9 4 darf. Diese Warnung konkretisiert Sattler in einem ausführlichen Pflichtenkatalog, mit dem er das A m t der Obrigkeit näher darstellt. Unter dem Aspekt von 1. Tim 2,2: „daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottesfurcht und Ehrbarkeit" wird die Verpflichtung der Obrigkeit gegenüber den Untertanen herausgestellt und ihre herrschaftliche Selbstgenügsamkeit kritisiert: „Es meinen offt die im Oberkeit Ampt sind/es sey genug/das sie nur den Namen haben/das sie sich stattlich halten/ihren Standt herrlich führen/ein grosses ansehen unnd allerley lust haben/darzu denn etliche Schmeichler trewlich rahten und helffen/und von Regimentsachen die Herrn abhalten.. ." 95 Die Regenten sollen aber nach Gottes Willen in persönlicher Verantwortung das Beste für die Untertanen bedenken. In sieben Punkten führt Sattler die wichtigsten Amtspflichten der Obrigkeit auf, die vornehmlich Aufgaben ihres weltlichen Regiments betreffen und in denen das Vorbild Luthers in seiner Auslegung des 101. Psalms deutlich erkennbar ist 96 . Der Pflichtenkatalog gipfelt in der Es sei nur an seine Auslegung des 101. Psalms erinnert. Br. 93 Diese Begründung des obrigkeitlichen Amtes dient bei Sattler im Anschluß an Luther vor allem der Apologie der weltlichen Obrigkeit gegenüber ihrer Infragestellung von Seiten der Wiedertäufer und Mönche. 94 B 3 r . 9 5 B4. 9 6 Im einzelnen umfaßt die Lehre von der Obrigkeit nach Sattler folgende Amtspflichten: 1. Die mit der Tat bewiesene, väterliche Liebe gegenüber den Untertanen. Schon der Heide Xenophon machte keinen Unterschied zwischen einem guten Fürsten und einem guten Vater. 2. Das Anliegen der Leute hören, besonders der Armen. 3. Die Fürsten sollen als scuta terrae die Untertanen mit der Tat schützen und helfen. 4. Gegenüber den Gottlosen und Frevlern sollen sie nicht durch die Finger sehen, sondern sie mit Ernst strafen. Die reichen Übeltäter sind ebenso wie die armen zu strafen. 5. Die Obrigkeit muß sich nach gottesfürchtigen Dienern umsehen. Nicht das vornehme Geschlecht ist wichtig, sondern „frömmigkeit/ geschicklichkeit/ trew/ erfahrung." ( C 2 r ) . Hierbei beruft sich Sattler vor allem auf Ps 101 und bemerkt kritisch: „Denn was Gottlose und böse Diener für Schaden thun/ zeuget leider auch an diesem/ wie auch andern örtern/ die erfahrung." ( C 3 ) . 6. Die Regenten müssen selbt ein Auge auf die Haushaltung werfen. „Hie wird viel versehen von grossen Herrn/ stultitiam patiuntur opes: Etliche verbawens/ da es nicht noth/ etliche verspielens/ etliche verpankketierens/ etliche verwarlosens/ etliche verkriegens ohne noth. Aber das ist Sünde und Schadt." ( C 3 ) . Sattler beruft sich in seiner Kritik an einer verschwenderischen Hofhaltung, die nicht ohne Anspielung auf das Regiment von Herzog Heinrich Julius ist, auf verschiedene Sprichwörter: Durch Faulheit stinken die Balken. Wenn man das Huhn aufschneidet, legt es keine Eier mehr. Das 91

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Aufforderung an die Obrigkeit, Gottseligkeit zu befördern. Mit diesem zentralen Anliegen der orthodox-lutherischen Obrigkeitslehre geht Sattler selbstverständlich völlig konform, auch seine biblischen Belegstellen sind die gleichen, die für die cura religionis der weltlichen Obrigkeit in der lutherischen Orthodoxie immer wieder herangezogen werden: Ps 2,24,82,85,101, Jesaja 49,23, Daniel 4. Aber im Blickpunkt dieser höchsten Pflicht kommen doch gerade die sog. „weltlichen" Regierungsaufgaben voll zur Geltung, bei denen es um äußeren Schutz, Gerechtigkeit und persönliche Verantwortung der Regenten gegenüber dem Leben der Untertanen geht. Erst in der Gottesfurcht einer christlichen Obrigkeit kommen diese Regimentspflichten zu ihrer eigentlichen Erfüllung, und in dieser Steigerung wird auch das Gut des äußeren Friedens anerkannt, den eine heidnische Obrigkeit gewähren kann: „ O b nun wol auch darzu etwas geholffen hat/wen die Heidnische Oberkeit einem jeden Schutz gehalten/das man ohn hindernuß Gott-seliglich leben können/so ist doch ein viel herrlicher Wolthat/die ein Christlich Oberkeit den Unterthanen erzeigen kan unnd sol/ das sie über Gottes Wort helt/und den waren Gottesdienst befordert und festsetzet/das die Unterthanen Gott ihren Schöpffer und Seligmacher recht erkennen/an ihn gleuben/ihn anruffen/ihn loben/und ihm dienen in ihrem gantzen leben." 9 7 Die Verantwortung der christlichen Obrigkeit gegenüber der Beförderung des Wortes Gottes in allen Lebensbezügen schärft der lutherische Hofprediger gegen die Einreden der „Welt" ein, die diese Mahnungen als Einmischung der Pfaffen abtut: „Darbey nu kan ein Christlich Oberkeit viel guts thun: Das sol ihr auch zum höchsten angelegen seyn/das Gottes Wort im schwang gehe/und rein und lauter geprediget/und die H. Sakramenta nach Christi einsetzung verreicht werden. Die Welt mags vernichten/wie sie wil/und es Pfaffenwerk heissen (den das ist dem Teuffei ein Dorn in Augen) so ists doch das edelste Werck/das ein Oberkeit auff Erden thun k a n . " 9 8 Mit diesen Pflichten der Regenten gegenüber den Untertanen faßt Sattler die ganze Lehre von der Obrigkeit und ihrem Amt zusammen: „Diese gantze Lehr von der Oberkeit unnd ihrem Ambt/sol den Auge des Herrn macht das Pferd fett. 7. Die Beförderung der Gottseligkeit, daß die Untertanen ungehindert Gott dienen können. »7 C 3 . 9 8 C 4 . - Bei den Einreden der „Welt" denkt Sattler wohl vor allem an die Lehren Machiavellis und an das Ansehen, das er bei den „gottlosen Weltkindern" zu seiner Zeit fand. In einer Leichenpredigt auf H e r z o g Julius August, den 4. Sohn von H e r z o g Julius, wendet er sich scharf gegen Machiavelli und seinesgleichen, die nicht nach Recht oder Unrecht fragen, sondern nur den Eigennutz im Sinn haben. Dagegen stellt er die Notwendigkeit, daß die Prediger die Obrigkeit an ihre Amtspflichten erinnern müssen, „aber nicht weiter gehen sollen/ alß Gottes W o r t gehet." (Leichenpredigt auf Julius August, Wolfenbüttel 1617, Signatur: C 1 0 3 7 9 , N L B Hannover, F.). Vgl. F . Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, 'München und Berlin 1929 und H . Lehmann, Das Zeitalter des Absolutismus, aaO., 2 3 - 3 5 . Auf den Kampf vieler lutherischer Theologen, nicht zuletzt der Hofprediger, gegen die Staatsräson schon vor dem Dreißigjährigen Krieg wird aber in der Literatur kaum eingegangen.

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Regenten... darzu dienen/das sie nicht das ihre suchen... das den Unterthanen Friedt und Ruhe geschaffet/Zucht und Erbarkeit erhalten/Frevel/Schandt und Laster abgeschafft werden/und die wäre Gottseligkeit ihm schwang gehe/und allerley Rotten/Secten unnd Ergernissen gewehret werde." 9 9 Schließlich werden auch die Unterthanen - wesentlich kürzer - ermahnt, hoch von der Obrigkeit zu denken, weil sie Gottes Ordnung und Dienerin ist. Der Dank der Untertanen gilt der Obrigkeit, die im Auftrag Gottes das äußere Leben schützt und bewahrt und die Bedingungen dafür schafft, daß das Wort Gottes verkündigt und gehört werden kann: „ . . .und könen unserer Nahrung und Handthierung warten/unser Leib/Leben/Weib/Kinder/Haab und Gut/ Ehre und guten Namen verthedingen... das wir ungehindert können in die Kirch gehen/Gottes Wort hören/die H.Sakramenta gebrauchen/Gott recht anruffen/die unsern in der furcht und waren erkendniß Gottes aufferziehen/ unnd mit ihnen selig werden." 1 0 0 Die gegenseitige Angewiesenheit von Obrigkeit und Untertanen inmitten der von der Sünde bestimmten, gefallenen Menschheit verdeutlicht Sattler am Gleichnis vom Blinden und Lahmen. Jeder für sich allein kann sich nicht fortbewegen, aber wenn der Blinde den Lahmen trägt, d. h. die Untertanen die Obrigkeit stützen und diese ihnen den Weg zeigt, dann kann der gemeinsame beschwerliche Gang weitergehen 1 0 1 ; für das Selbstverständnis der regierenden Herrschaft am Wolfenbütteler H o f ein gewiß wenig schmeichelhaftes Bild! Die dritte Lehre „wie man zum guten und glückseligen Regiment kommen könne" hebt angesichts der bevorstehenden gefährlichen Änderung im Regiment das Gebet hervor, mit dem Obrigkeit und Untertanen Gott um Verstand, Weisheit und Gottesfurcht bitten sollen. Diese Gaben gibt Gott allein zum guten Regiment und die Bitten darum sind umso nötiger, je schlechter es um die Obrigkeit bestellt ist: „Denn wenn schon die Oberkeit nicht eben ist/wie sie seyn soll/sol man darumb ihr nicht das Gebett verwegern/sondern desto fleissiger bitten/das es Gott endern und bessern wolle." 1 0 2 Aber erst mit der vierten Lehre kommt Sattler zum Ziel und Hauptanliegen seiner Predigt, das er ausdrücklich auf die konkrete, gegenwärtige Situation bezogen wissen will: „Die letzte und fürnembste Lehr ist diese mit/So sich auff gegenwertigen Fall wol schickt/Ob die Herrn und gewaltige auch in Himmel kommen/und Gott sie selig machen wolle." 1 0 3 Zur Beantwortung dieser, für eine fürstliche Leichenpredigt recht ungewöhnlichen Fragestellung läßt sich der Hofprediger geschickt Zeit, um anhand des biblischen Zeugnisses zunächst das göttliche Gericht über den Reichtum und die Selbstgefälligkeit der Könige

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Dr.

100 D2. D3. E. '03 E r . 102

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auszumalen 1 0 4 . Danach sieht es durchaus so aus, daß sie nicht selig werden! Aber nach 1. Tim 2,4 will Gott, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Weil Christus für alle Menschen gestorben ist, so gilt die Gnade den Herren und Untertanen, Gott nimmt die Obrigkeit nicht aus! Das Angebot der Gnade gilt allen, doch das Gericht über die Sünde des Hochmuts ergeht vor allem über die Regenten, die Gottes Wort mißachten und nur auf ihre eigene Macht bauen: „Das aber wenig selig werden/das rühret eigendlich nicht von Gott her/welcher so wol von Herrn als andern sagt: So war ich lebe/hab ich nicht gefallen am todt des Gottlosen/sondern das er sich bekehre und l e b e . . . Sondern der mangel ist bey ihnen/den Königen und Herrn selber. Den sie sich offt ihrer Gewalt überheben/Gottes/Wort/dadurch gott allein selig machet/nicht achten/es nicht annemen/sich nicht bekeren/sondern meinen/weil sie hier auff Erden keinen Oberherrn haben/so mögen sie thun was sie selber wollen." 1 0 5 In scharfen Worten beklagt Sattler die selbstherrliche Verblendung der Obrigkeit und ihre Verführung durch schmeichlerische Höflinge, die von der warnenden Predigt des Wortes Gottes durch die Pfarrer nichts wissen wollen: „So gehets noch offtmals her/das die Herrn ihnen auch mit Gottes Wort nicht wollen einreden lassen/und sprechen/wie Psalm 2 steht: Lasset uns zerreißen ihre Bande/und von uns werfen ihre Seyle: Darzu den etliche Schmeichler redlich helffen/E. Gn. müssen sich die Pfaffen nicht regieren lassen/sondern sie auff die Finger klopffen." 1 0 6 Sattlers Bußpredigt „Von der Oberkeit" kommt im „Beschluß" nochmals auf die Notwendigkeit der Ermahnung der Regenten durch Gottes Wort in Strafpredigten zu sprechen, mit der sie zu ihrem Ziel gelangt und in der sich das wichtigste Anliegen im Selbstverständnis des Hofpredigers ausdrückt. Gegenüber Herzog Heinrich Julius sind mehrfach „scharfe Erinnerungen" geschehen, aber Sattler kann feststellen, daß dies nicht zur fürstlichen Ungnade geführt hat: „So viel sonst S . F . G . privat belanget/haben sie Gottes W o r t . . . mit fleiß gehört... und ob wol bißweilen scharffe erinnerungen geschehen/wie bekandt/ haben doch S. F. G. zur Ungnade und Verfolgung sich nicht bewegen lassen/ sondern alles in Gnaden auffgenommen." 1 0 7 In diesen Wendungen kommt nicht ein grundsätzlicher Wandel, aber doch ein Unterschied in der persönlichen Beziehung zum Ausdruck, in der Sattler zu den beiden Herzögen Julius und Heinrich Julius steht. Konnte er bei Julius noch dessen Selbstverständnis als gerechtfertigter Sünder loben, indem er sich durch Gottes Wort stets ermahnen 1 0 4 Dabei beruft sich Sattler sowohl auf das Alte wiedas Neue Testament. (1. Könige 21, Weisheit Salomonis 6 und 1. K o r 1). Das W o r t Luthers, daß die großen Herren Wildbret im Himmel sind, ist fast zu einem Sprichwort gworden. 105 E3f.

°i E3r.

1 0 7 G. - Weiter heißt es über das Verhältnis von Herzog Heinrich Julius zu den Einreden der Theologen: „Wenn man sich an Predigern vergriffe/ pflege es keinen langen lauff zu haben," meinte Herzog Heinrich Julius. (G); „obwohl S . F . G n . zu vielen unterschiedlichen malen eben scharff erinnert/ sie gleichwol die Prediger/ so sie gewarnet/ nicht beungnadet..." ( G 2 r ) .

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und leiten lassen wollte, so stellt er bei Heinrich Julius nur noch die Duldung fest, die der Herzog gegenüber den Predigern zu üben bereit ist. Die bedeutende Persönlichkeit von Herzog Heinrich Julius, wie sie sein Leben und Wirken zeigt, vermag der Hofprediger jedoch durchaus zu würdigen. Sattler hebt seine gute Erziehung und besondere Begabung hervor 1 0 8 , die Beförderung der christlichen Religion 109 und sein Eintreten gegen die Juden 1 1 0 , erwähnt seinen Gerechtigkeitssinn und den Streit des Herzogs mit der Stadt Braunschweig, bei dem er ihn vor unrechtmäßigen Vorwürfen in Schutz nimmt 1 1 1 . Im Lob meldet sich aber auch verschiedentlich verhaltene Kritik an, 1 0 8 „ U n d weil G o t t S . F . G . mit einem schönen Ingenio, und sehr richtigem Iudicio begäbet/ haben sie sich bald in der jugend sehr wol angelassen/ und im 12. J a r ihres Alters bey einführung der Julius Universitet ein latinam orationem gar zierlich recitiret." ( F r ) . 1 0 9 „ D e n so viel die Christlich Religion belanget/ seyn S. F . G n . darbey bestendig biß an ihr seligs Ende verharret/ unangesehen S . F . G n . für etlichen Jahren von einem und andern ein anders zugemuthet werden wollen." ( F 1 r). W o r a u f Sattler bei dieser „Zumutung" anspielt, ist nicht recht deutlich. Ich vermute, daß es sich um die Vorgänge beim Sturz des Kanzlers Jagemann im J a h r e 1603 handelt. In dieser Zeit hatte sich der Einfluß Sattlers auf den H e r z o g auch an der Universität Helmstedt erheblich verstärkt. 1603 hatte Heinrich Julius auch eine neue Ausgabe des Corpus doctrinae Julium veranlaßt, wie er auch um die Einführung der Kirchenordnung seines Vaters in den neuerworbenen Gebieten sehr bemüht war (Einführung der evangelischen Lehre im Bistum Halberstadt). Schon 1597 auf dem Landtag zu Salzdahlum hatte der H e r z o g die sog. Religionsassekuration ausgestellt, in der er den Landständen die alleinige Verpflichtung auf das Corpus doctrinae Julium zugestand, sie von dem fürstlichen ius episkopale freisprach für den Fall, daß ihnen andere Lehre aufgedrungen werden sollte. Es ist dies ein bemerkenswert frühes Abrücken v o m Prinzip des cuius regio, eius religio, das bis Ende des 18. Jahrhunderts von jedem Fürsten nach Regierungsantritt wiederholt wurde. Vgl. J . Wallmann, H e r z o g August, aaO., 11. 110

und alßbald zum guten anfang/ die Gotteslesterliche verfluchte Juden aus ihrem gantzen

Landt/ ihrem H e r r n und Heylandt J e s u C h r i s t o zu ehren/ mit höchsten S . F . G . R u h m abgeschaffet." ( F l ) . - Sattlers Verhältnis zu den Juden muß ein sehr kritisches gewesen sein. A b e r daß er mit seiner religiös und sozial motivierten Judenkritik über das übliche M a ß seiner Zeit hinausging, ist kaum anzunehmen. U n t e r H e r z o g Heinrich dem Jüngeren waren die Juden aus dem H e r z o g t u m unter dem V o r w u r f der Münzfälschung und des Wuchers vertrieben worden. H e r z o g Julius dagegen nahm sie unter dem heftigen Protest des Braunschweiger Magistrats wieder ins Land auf. A m Anfang seiner Regierung erließ H e r z o g Heinrich Julius ein neues Edikt gegen die Juden (23. N o v e m b e r 1589), das aber später wieder zurückgenommen wurde, was Sattler beklagt und dem unguten Einfluß in der U m g e b u n g des Fürsten zuschiebt. A u c h gegenüber H e r z o g Friedrich Ulrich hat Sattler auf strengere Juden vorschriften gedrängt, nicht als einzelner, sondern in Verbindung mit den Landständen, die den Juden Münzverfälschungen vorwarfen. Vgl. auch J . Beste, aaO., 126 ff. 1 1 1 Sattler steht bei den schweren Kämpfen zwischen den H e r z ö g e n Heinrich Julius und Friedrich Ulrich und der Stadt Braunschweig auf Seiten der fürstlichen Obrigkeit. V o n seinem O b r i g keitsverständnis aus lag dies nahe, mußte er doch in den oft willkürlich gehandhabten Selbständigkeitsbestrebungen des Braunschweiger Magistrats Ungehorsam gegenüber der von G o t t verordneten Obrigkeit erblicken. In seiner Friedpredigt anläßlich der Huldigungsfeiern der Stadt Braunschweig an H e r z o g Friedrich Ulrich heißt es: „Eben das führet D . L u t h e r im Büchlein/ das Kriegsleute in einem seligen standt sind/ weitleufftig auß/ und setzet unter andern diese merkliche W o r t / Das wider Oberpersonen (wie der Landesfürst ist) kein fechten und streiten recht sey." (Fried Predigt/ Gethan zu Wolfenbüttel am Sonntag Estomihi, 11. Februar 1616, Helmstedt 1616, Signatur: C 4 8 0 8 : 3, N L B Hannover, A I I I ) .

Wie prinzipiell sich Braunschweig gegen den H e r z o g stellte, wird an der Judenfrage deutlich. Hatte

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wie z.B. bei der Bedrückung der Armen 1 1 2 . Über die Universität Helmstedt, die seit der Regierungsübernahme durch Herzog Heinrich Julius einen so glänzenden Aufstieg nahm, berichtet Sattler nichts. In diesem Schweigen zeigt sich die erhebliche Distanz, in der der Wolfenbütteler Hofprediger zu dem aufblühenden humanistischen Geist an der neuen Hochschule gestanden hat. Die Leichenpredigt Sattlers „Von der Oberkeit" ist ein bedeutendes Dokument innerhalb der Geschichte der Obrigkeitspredigten im älteren Luthertum. In ihr hat Sattler die Hauptintentionen der orthodox-lutherischen Obrigkeitslehre zusammengefaßt, aber auch sehr eigene Akzente gesetzt, die nicht nur im Rückblick auf das Regiment von Herzog Heinrich Julius, sondern auch für die zukünftige Regierung unter Herzog Friedrich Ulrich ein besonderes Gewicht erhalten. Welche vielfachen Ursachen Sattler veranlaßten, im Jahre 1613 und in den ersten Jahren der Regierung von Herzog Friedrich Ulrich mit erheblicher Sorge auf die politische und kirchliche Situation im Herzogtum zu blicken, haben wir bereits näher ausgeführt. Im Jahre 1617, zu einer Zeit, als die Mahnungen der Herzogin Elisabeth und des Hofpredigers Sattler an den jungen Regenten immer stärker wurden 1 1 3 , hielt Sattler eine Leichenpredigt auf Julius August, den vierten Sohn von Herzog Julius 1 1 4 . In dieser Predigt finden sich sehr deutliche kritische Anspielungen auf die gegenwärtige notvolle Lage unter dem Regiment von Herzog Friedrich Ulrich. Kurz zuvor sind zwei weitere Mitglieder der herzoglichen Familie in jungen Jahren gestorben, denen Sattler ebenfalls Leichenpredigten hielt 115 . Im Zusammentreffen dieser unglücklichen sich die Stadt unter Herzog Julius gegen die Juden erklärt, so sprach sie sich nach dem Judenedikt Herzog Heinrich Julius' vom November 1585 für die Juden aus. 1 1 2 Sattler erklärt: „Und ob wol den armen Leuten Schaden zugefüget/ haben sie doch durch Gottes Gnadt/ weil sie ja kein Ursach darzu geben/ und durch Gottes segen/ es wieder überwunden." ( G 2 r ) . Die unter Herzog Heinrich Julius - im Gegensatz zu seinem Vater - recht häufig auftretenden Hexenverfolgungen erwähnt Sattler nicht. Die Prediger wurden ermahnt, gegenüber Zauberei scharf, aber nicht willkürlich vorzugehen. 1 1 3 Vgl. Abschnitt 2, Anm. 61. 1 1 4 Eine Predigt/ gehalten bey der Begrebnus/ Des Weyland/ Hochwürdigen/ Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Julii Augusti..., Wolfenbüttel 1617, s.o. Anm.98. Julius August war Abt des Klosters Michelstein und Dompropst zu St. Blasii in Braunschweig. Er wurde 1578 geboren und starb im Alter von vierzig Jahren am 30. August 1617. Vgl. H . Büntingund J.Letzner, Braunschweig - Lüneburgische Chronica, hg. von Ph.J. Rehtmeier, Braunschweig 1722,3. Teil, 1086,1254. 1 1 5 Ein Predigt/ Gethan bey dem Begrebnis/ Des Weyland Hochwürdigen/ Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Heinrich C a r o l i . . . , Wolfenbüttel 1615. Signatur: C 10357 : 3, N L B Hannover. - Heinrich Carl wurde als 5. Sohn von Herzog Heinrich Julius am 4 . 9 . 1609 geboren und starb schon im Alter von sechs Jahren am 11. Juni 1615. Vgl. Braunschw.Lüneburg. Chronica, aaO., 3. Teil, 1192. Eine Predigt/ gehalten zu Wolfenbüttel bey der Begängnuß des Weylandt Hochwürdigen/ Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Rudolphen..., Wolfenbüttel 1616. Signatur: C 10472, N L B Hannover. Rudolph wurde als 4. Sohn von Herzog Heinrich Julius am 15. Juni 1602 geboren und starb mit vierzehn Jahren am 13. Juni 1616. Vgl. Chronica, aaO., 1192.

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Ereignisse sieht er eine besondere Strafe Gottes für das Fürstenhaus: „ . . . d a ß dieser Fürstliche Uralte hochlöbliche Stamm nun mehr auff schwachen Beinen stehet/uh es sich schier an lest/alß wolte er gar außgehen/darfür ja der allmechtige barmhertzige Gott gnediglich behüten wolle... Denn eben solche Schwachheit ist auch von Gott/und Gottes Straff." 1 1 6 N u r mit wahrer Buße kann dem Unheil gewehrt werden, und Sattler richtet seine besondere Aufmerksamkeit auf die Regimentsangelegenheiten, damit nicht alles zugrunde gehe: „Darumb mögen wir wol mit ernst darauff gedencken/wie wir solchem grossen Unglück mit wahrer Büß vor bawen/unnd unser sach/und in Sonderheit auch das Regiment/also anstellen/daß nicht alles über einen hauffen falle." 1 1 7 Mit Ps 2 wehrt der Hofprediger entschieden den Einwand ab, der dem Theologen das Recht zur Erinnerung an die Amtspflichten im Regiment und zu Strafpredigten gegenüber der Obrigkeit streitig zu machen versucht. Diese alte Disputation ist bereits vor langer Zeit von Gott entschieden: „Aber da meinen etliche Leute/ daß gehöre auff die Cantzel gar nicht/daß man da sagen wolte/wie mä Regieren sol. Und ist das ein alte disputation die albereit fast für 2500. Jahren moviret und von Gott entscheiden ist." 1 1 8 Sattler beruft sich weiterhin auf Deuteronomium 17 und Ps 82 und 119, wenn er für die Gegenwart feststellt: „Deswegen die Prediger noch heutiges Tages/die Oberkeit ihres Ampts erinnern/aber weiter nicht gehen wollen/alß Gottes Wort gehet." 1 1 9 Für die konkrete Situation im derzeitigen Regiment weist er auf die Spruchweisheit des frommen Königs Salomo hin, auf pietas und justitia als die zwei Pfeiler, die des Königs Stuhl befestigen. Die Gottesfurcht soll nicht nur den König selbst leiten, sondern auch seine Umgebung bestimmen, wie der 101. Psalm lehrt 120 . Besonders scharf geht Sattler wieder gegen die Bereicherung im Regiment und die Ungerechtigkeit gegenüber den Armen vor, ihre Aussaugung und unrechtmäßige Behandlung 1 2 1 . Hinter dieser Obrigkeitskritik, mit der Sattler die salomonischen Regimentstugenden von Güte bzw. Frömmigkeit und Wahrheit gegen die eigennützige Macht- und Bereicherungspolitik eines Machiavelli und seinesgleichen stellt 122 , stehen die immer deutlicher werdenden Mißstände unter dem Ministe1 1 6 Leichenpredigt auf Julius August, E I V . Auch in der Leichenpredigt auf Heinrich Carl heißt es: „es ist diesem Fürstlichen H a u s e und Stamm ein straff/ daß ein schon Zweig und Ast abgebrochen/ und dieser Stamm geschwechet/ zeigt also Gott an/ wie er es bald geringer machen könte/ der getrewe Vater wolle es ja hiebey bewenden l a s s e n . . . " (D III). 1 1 7 Leichenpredigt auf Julius August, E I V . » 8 Ebd.,EIV.

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ElVr. p

„Ja es mus des Königs Stuel über einen hauffen fallen/ da man Gottloß ist/ öffentlich Sünd und Laster ungestrafft lest/ andern gewalt und Unrecht thut/ nicht traw und glauben helt/ und mit armen Leuten / Witwen/ Waisen uii dergleichen kein mitleiden hat/ sondern mit ihne unbarmhertziglich verfert." (FI). 1 2 2 „Damit ist nun MachiaVelluß nicht einig/ sonder ehr und seines gleichen sagen/ mä sol nur darnach aus seyn/ daß mä seinen beutel vol kriege/ es geschehe mit recht oder unrecht/ mä sol auch dz man seine eigen nutzen schaffe weder traw noch glaube halte... U n dz hat nü bey gottlosen 121

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rium Streithorst. In der Ermahnung des Herzogs, sich seiner Amtspflichten selbst zu erinnern und gegen die offenkundigen skandalösen Zustände, besonders im wirtschaftlichen Leben 1 2 3 , anzugehen, sieht der Hofprediger seine vornehmste Pflicht. Gott hat das Unheil mit verschiedenen Zeichen angedeutet, die man nicht in den Wind schlagen darf: „Derowegen sollen wir uns für Gottlosen wesen und Ungerechtigkeit hüten/und die beyde Wächter des Königlichen Stuels frobkeit un Warheit ja nicht abschaffen/sonst ka es nicht gut werde/wie uns den Gott mit unterschiedliche Zeiche gedrewet/die solle wir ja nicht in den wind schlage/wie die gottlose Egypter thaten/denen es endlich ubel bekomen ist." 1 2 4 Mit dem Aufruf zu rascher Umkehr beschließt Sattler seine Leichenpredigt auf den frommen Herzog Julius August, dessen Tod ihm zum Anlaß wurde, dem regierenden Herzog Friedrich Ulrich deutlich ins Gewissen zu reden 1 2 5 . Offenbar hat sich Sattler mit dieser Leichenpredigt angesichts der gegenwärtigen Regimentsnöte auch an die Vergangenheit erinnert, an das Regiment des frommen Herzogs Julius, dessen Sohn er hier die Grabrede hielt. In dem Bericht über das persönliche Leben von Julius August ist das Bild eines wahrhaft gottesfürchtigen Fürsten gezeichnet, in dessen einzelnen Zügen sich die Gottesfurcht seines Vaters widerspiegelt, zu dessen Persönlichkeit und Regiment der Hofprediger Sattler stets in einer besonders tiefen Beziehung stand. Der Kontrast zwischen der herausgestellten persönlichen Gottesfurcht von Julius August 1 2 6 und der nachfolgenden, scharfen Obrigkeitskritik ist sehr auffällig. Sattler konnte damit der gegenwärtigen Hofgesellschaft einen warnenden Spiegel vorhalten und an die Zeit des guten Regimentes von Herzog Julius erinnern, der der wahren Gottesfurcht im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel den Weg bereitet hatte. Sein Vermächtnis gilt es für die Zukunft zu bewahren. Uberblicken wir noch einmal zusammenfassend die politische Predigt des Hofpredigers Basilius Sattler während der Regierung dreier Herzöge im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, so können folgende Grundzüge herausWeltkindern ein ziemliches ansehe/ dadurch köne man zu grosser auffnä komen. Den wo man alle zeit wälle rechtthun/ so werde man nimmermehr R e i c h . . . " ( F r ) . Vgl. auch o . A n m . 98. 1 2 3 Dahinter steht besonders die Münzfälschung und das Kipper- und Wipperwesen, vgl. dazu Braunschw.-Lüneburg. Chronica, aaO., 3. Teil, 1255ff. 124

F I . Vgl. auch o . A n m . 61.

Daß Gott durch den frühen Tod dieses frommen Fürsten vor allem die Lebenden zur Buße führen will, macht Sattler mit den W o r t e n deutlich: „Gott schlegt den sack und meint denn E s e l . . . Es ist zeit daß das Gericht anfange vö Hause Gottes." ( E H I r ) . 125

1 2 6 „Die Prediger und Diener göttliches Worts haben S . F . G . alß Väter geehret auch ihnen/ welches sonst auch bey hohen Personen offt fehlet/ nach Gottes W o r t g e f o l g e t . . . " „ S . F . G . sind mitleidig gewesen/ armen Leuten nach ihrer gelegenheit gerne gedienet/ und sich nicht geschewet/ alte Diener in ihrer Kranckheit zu besuchen." „Es haben aber S . F . G . sich einreden lassen/ daß beste/ wie gemeldet/ ist an S. F. G. gewesen/ daß sie mit den gottseligen Königen ein verlangen nach Christo gehabt/ und nach der Seligkeit getrachtet... ( E l l r f . ) . N u r beim Trinken habe der H e r z o g zuweilen zu viel getan: „Aber da haben offtmahls die umb die Herrn sind schuld/ daß sie zum Trunck anlaß geben/ daß sie billig davon abmahnen solten." ( E I I I ) .

Das Verständnis der Obrigkeit in Predigten Sattlers

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gestellt werden, mit denen er eine bedeutende Stellung innerhalb der Geschichte der Obrigkeitspredigten im älteren Luthertum einnimmt. Im Mittelpunkt seines Wirkens als Hofprediger steht die unverkürzte Verkündigung des Wortes Gottes an die Obrigkeit, aus dem sie Richtung und Weisung für das persönliche Leben wie amtliche Handeln empfängt. In der Lehre von der Erbsünde und der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden sieht Sattler die Mitte der Heiligen Schrift, die allen drei Ständen als der Gesamtheit der Menschen zu verkündigen ist 1 2 7 . Nur im Gebet um Vergebung der Sünde und Abwendung des Zornes Gottes kann darum auch die Obrigkeit Trost und Zuversicht in ihrem schweren Amt gewinnen. Diesen Weg weist ihr allein das Wort Gottes, die menschliche Vernunft vermag es nicht, denn der Mensch hat nach dem Fall die Gottebenbildlichkeit verloren. Indem Sattler seine Lehre von der Obrigkeit auf dieses allgemeinmenschliche Verderben durch die Erbsünde und die Angewiesenheit aller auf die Vergebung in Christus gründet, ist jeder Selbstherrlichkeit im Stand der Obrigkeit - wie in den anderen Ständen - von vornherein der Boden entzogen. Die Obrigkeit kann sich nicht auf traditionelle, besondere menschliche Vorzüge, aber auf den Willen Gottes gründen, durch den sie ihren besonderen Platz in seiner Schöpfung angewiesen bekommt, an dem sie ihm zu dienen hat. Als Gottes Ordnung und Dienerin hat die Obrigkeit Anteil am Erhaltungswillen Gottes, indem sie durch Schutz und Strafe die Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens regelt. In Ubereinstimmung mit der Obrigkeitslehre in der lutherischen Orthodoxie und mit der gleichen biblischen Begründung hebt Sattler die zwei Säulen des obrigkeitlichen Amtes „pietas" und „justitia" hervor. Die Gottesfurcht ist die höchste Tugend eines Regenten, der sich väterlich um das Wohl der ihm von Gott anvertrauten Untertanen annimmt. In der Ermahnung der Obrigkeit aus dem Wort Gottes, ihre Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, sieht der Hofprediger seine vornehmste Pflicht. Inmitten dieser traditionellen Züge von Sattlers Obrigkeitslehre ist jedoch auch der besondere Akzent nicht zu übersehen, mit dem er sein Hofpredigeramt ausübt: Die in allen seinen Obrigkeitspredigten immer wieder betonte Erbsündenlehre gibt ihm die Möglichkeit, von einer streng theologischen Position aus sein Hofpredigeramt zu verstehen und wahrzunehmen. Denn die Erinnerung, Ermahnung und Gewissenseinschärfung, die Sattler so freimütig gegenüber der Obrigkeit übt, will allein zur Buße führen, in der er die Grundhaltung allen menschlichen Lebens und Handelns erblickt. Die Freiheit des Predigtamtes gegenüber den politischen Herausforderungen seiner Zeit gründet in der Freiheit des Wortes Gottes, das alle Menschen zur Buße ruft. Sattler hat diese Freiheit konsequent auf sein Amt als Hofprediger angewandt; sie wurde ihm 1 2 7 Sattler benutzt die drei Stände als Einteilungsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit, sie sind noch nicht wie bei Johann Gerhard vorwiegend auf die Kirche bezogen. Vgl. zur Dreiständelehre im älteren Luthertum, W . Eiert, Morphologie des Luthertums 2. Bd., 49ff.

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Basilius Sattler als Hofprediger in Wolfenbüttel

zur Verpflichtung, am H o f das Wort Gottes unerschrocken zu verkündigen. Damit hat dieser lutherische Hofprediger das Erbe Martin Luthers in einer Zeit zu bewahren versucht, in der sich die Repräsentanten des frühneuzeitlichen Staates anschickten, die Fesseln kirchlicher Weisungen immer mehr abzulegen. In seinen Obrigkeitspredigten beruft sich Sattler auf das biblische Zeugnis des Alten wie Neuen Testamentes, besonders aber auf die Psalmen 1 2 8 . In den Psalmauslegungen Luthers 1 2 9 , vor allem des 2., 82. und 101. Psalms 1 3 0 , hat er das Vorbild für seine eigene Verkündigung als Hofprediger gesehen. Die Thematik der Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regimentes eines gottesfürchtigen Regenten, wie sie Luthers Auslegung des 101. Psalms bestimmte, wird in Sattlers Predigten jedoch nicht eigens reflektiert. Die Säulen des Regimentes, pietas und justitia, werden vielmehr summarisch nebeneinandergestellt, ohne daß das Problem der rechten Beziehung zwischen einem geistlichen und weltlichen Regiment zum Thema erhoben wird. Aber das theologische Hauptmotiv für Luthers Unterscheidung und Zuordnung der beiden Reiche und Regimente ist auch für den lutherischen Hofprediger das theologische Fundament seiner Obrigkeitspredigten: die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden und der Gehorsam gegenüber dem 1. Gebot. Weil alle Menschen unter dem Wort Gottes stehen und Gott die alleinige Ehre zu geben haben, nimmt sich Sattler in seinem Hofpredigeramt die Freiheit, die Regenten zur Gottesfurcht und Achtung der Gebote Gottes aufzufordern. Aus demselben Grund kann Sattler aber auch die Gerechtigkeit im Zusammenleben der Menschen als wichtige Amtspflicht der Regenten herausstellen. In seinen Obrigkeitspredigten ist es gerade diese „weltliche" Seite bei den Regimentspflichten einer christlichen Obrigkeit, auf die sich seine besondere Aufmerksamkeit richtet und der angesichts der hier zutage tretenden vielfältigen Versäumnisse seine scharfe Kritik gilt 1 3 1 . So ist es das Erbe der Theologie Luthers, 1 2 8 Sattler hat auch eigene kurze Psalmauslegungen verfaßt, die unter dem Titel: „Medulla Davidica. Das ist gründliche und Summarische Außlegung über die Psalmen des Königlichen Propheten D a v i d s . . . " von den Erben Sattlers nach seinem Tod herausgegeben wurden. (Wolfenbüttel 1625). 1 2 9 Die deutschen Psalmauslegungen Luthers hat Sattler in zwei Bänden herausgegeben: Siebentzig Deudscher Psalmen. D u r c h . . . M. Luther zu unterschiedlichen Zeiten außgelegt, Wolfenbüttel 1600. Die Einleitungen hierzu zeigen die besondere Nähe Sattlers zur Theologie Luthers, insbesondere zu seiner Rechtfertigungslehre. 1 3 0 In Sattlers Predigt „Von der Oberkeit" ist der Bezug zu Luthers Auslegung des 101. Psalms besonders deutlich, (vgl. Anm. 87). 1 3 1 Der Abstand zwischen Luther und Sattler hinsichtlich der Würdigung des weltlichen Regiments eines gottesfürchtigen Regenten wie überhaupt der weltlichen Vernunft ist jedoch beträchtlich. Konnte Luther noch aufgrund der Herrschaft Gottes in Welt und Geschichte die heidnische Vernunft ganz unbefangen würdigen (vgl. den 2. Teil seiner Auslegung des 101. Psalms!), so verengt sich bei Sattler wie ganz allgemein im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie der Blick auf die Herrschaft eines gottesfürchtigen Regenten in den engen Grenzen eines konfessionell abgeschlossenen Territorialstaates. D o c h Sattler kann - innerhalb dieses Rahmens - durchaus noch den heidnischen, von der Vernunft geleiteten Staat als eigene Wohltat anerkennen.

Braunschweig-Wolfenbüttel nach dem Dreißigjährigen Krieg

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insbesondere seiner Rechtfertigungslehre, die den Hofprediger Sattler veranlaßt, die Freiheit der Kirche und ihres Auftrages zu bewahren und zu verteidigen in einer Zeit, die immer stärker durch den Geist des Humanismus und der Frühaufklärung geprägt wurde 1 3 2 .

VI. Herzog August d. J. zu Braunschweig und Lüneburg und sein Hofprediger Joachim Lütkemann (1649-1655) 1. Zur Situation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und nach dem Dreißigjährigen Krieg

während

Im Vergleich mit dem jahrzehntelangen Wirken Sattlers als Oberhofprediger in Wolfenbüttel sind die sechs Jahre, die sein dritter Nachfolger Joachim Lütkemann dieses Amt innehatte, eine nur sehr kurze Zeit. Als Erbauungsschriftsteller und Prediger hat Lütkemann jedoch eine Bedeutung erlangt, die weit über die wenigen Jahre seines Wolfenbütteler Wirkungskreises in der Mitte des 17. Jahrhunderts hinausreicht. Der geistige Spannungsbogen, der die Entstehung seiner Schriften und ihre Verbreitung charakterisiert, reicht über das ganze 17. Jahrhundert von den Nachwirkungen Johann Arndts bis zu Philipp Jakob Spener und in die Frömmigkeitsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert hinein 1 . Daß Lütkemann das Erbe Johann Arndts in seiner Frömmigkeit und seinen kirchlichen Reformbestrebungen angetreten und an seine Schüler Heinrich Müller (1631-1675) und Christian Skriver (1629-1693) weitergegeben habe, ist schon von diesen selbst ausgesprochen worden 2 und war die Auffassung Spe1 3 2 Daß in Helmstedt am Anfang des 17. Jahrhunderts durchaus schon „aufklärerische" Gedanken laut wurden, zeigen die Geschichte des Hofmannschen Streites und die Äußerungen des Philosophen Owen Günter, der in der Philosophie den wahren Weg des Gebildeten zu Gott sah, in Glaube und Theologie jedoch den Weg der Ungebildeten. Vgl. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus, 74. 1 Das zeigen die Auflagen, die Lütkemanns Erbauungsbuch „Vorschmack göttlicher Güte" (Wolfenbüttel 1653) und seine Epistelpredigten „Apostolische Auffmunterung zum Lebendigen Glauben in Christo J e s u . . . " , Frankfurt/M. und Rostock 1652, in der 2.Hälfte des ^ . J a h r h u n derts, im 18. und 19. Jahrhundert gefunden haben. Vgl. zu den verschiedenen Ausgaben und Auflagen der Epistelpredigten die Aufstellung bei H. Lütkemann, D.Joachim Lütkemann. Sein Leben und sein Wirken. Braunschweig und Leipzig 3 1908, 267f., Anm. 129. In dem Vorwort zu seiner Ausgabe der Epistelpredigten Lütkemanns (Neu-Ruppin 1862) hat F.W.Bodemann ebenfalls eine umfassende (jedoch nicht vollständige) Liste der Ausgaben und Auflagen zusammengestellt. 2 Vgl. die Zuschrift Heinrich Müllers zur 2. Auflage von Lütkemanns „Harpffe von zehen Seyten" an Voß: „In des hocherleuchteten Johann Arnds Fußstapfen ist getreten unser weyland hochgeliebter, nunmehr seliger Seelen-Vater, der hochteure Gottes-Mann, D . J . L ü t k e m a n n . . . " , zitiert nach H . Lütkemann, Joachim Lütkemann, Braunschweig und Leipzig 1908, 176. Lütkemanns „Harpffe..." erschien in der 2. Auflage Nordhausen 1725. Christian Scriver hat wie Spener über Arndts „Wahres Christentum" gepredigt in seinem „Seelenschatz" 1675-1692. (Ausgabe von J.G.Pritius, Magdeburg und Leipzig 1723). Vgl. dazu

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ners 3 und anderer in der Zeit des Pietismus um 1700 4 . Aber auch in unserer Zeit ist die Nähe Lütkemanns zu Arndt betont worden und hat man sich seiner, wenn überhaupt, vor allem als eines einflußreichen Erbauungsschriftstellers erinnert 5 . Sein in Wolfenbüttel entstandenes Erbauungsbuch „Der Vorschmack göttlicher Güte" 6 wurde Arndts Büchern vom wahren Christentum oft zur Seite gestellt 7 , wie auch Lütkemanns kleine Schrift „Vom irdischen Paradies" im Zusammenhang mit Arndt veröffentlicht wurde 8 . In die Frühgeschichte des Spenerschen Pietismus hat Lütkemann ebenfalls hineingewirkt. Zur ersten Lektüre des Frankfurter Collegium pietatis gehörte Lütkemanns „Vorschmack göttlicher Güte" 9 . Diese starke Einbindung Lütkemanns in die Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jahrhunderts mit ihren Nachwirkungen kann nicht außer Betracht bleiben, wenn sein Wirken als Hofprediger am Wolfenbütteler Hof nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bedacht werden soll. In der Geschichte der lutherischen Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie hat sich Lütkemann durch eine einzige Predigt einen Namen gemacht, durch seine bis zum Ende des 18. Jahrhunderts viel beachtete sog. „Regentenpredigt" 10 . Johannes Wallmann, dem wir den neuerlichen Hinweis auf diese Predigt Lütkemanns M . Schmidt, Christian Scrivers „Seelenschatz". Ein Beispiel vorpietistischer Predigtweise, in: W i e dergeburt und neuer Mensch, A G P 2, Witten 1969, 112ff., 128. Zu dem Kreis der Rostocker Reformtheologen s, H . Leube, Die Reformideen, 63 ff. 3 Theol. Bedencken, 1. Teil, Halle 1700,298 und 3. Teil, Halle 1 7 0 2 , 2 0 4 , 6 0 5 . 4 Z . B . P h . J . R e h t m e y e r , Das Leben des seligen H e r r n Joachimi L ü t k e m a n n s ( V o r w o r t zu einer A u s g a b e des Vorschmacks göttlicher Güte, Braunschweig 1720, 8). 5 J . B e s t e , Geschichte, 252; W . D i l t h e y , Art. L ü t k e m a n n , in: RE, ^Leipzig 1902, 1 1 . B d . , 681 f. und W . Zeller, Einleitung zu dem Band Der Protestantismus des 17. Jahrhunderts, S a m m l u n g Dieterich, B d . 2 7 0 , Bremen 1962, X L I X f.; R . M o h r , Art. Erbauungsliteratur III, in: T R E , Bd. 10, 1 9 8 2 , 5 9 f. 6 „Der Vorschmack Göttlicher güte durch Gottes gnade." Wolfenbüttel 1653, gedruckt bei J o h a n n Bißmarck. Signatur: Th 1680, H A B Wolfenbüttel. A l s Erscheinungsjahr taucht in der Literatur verschiedentlich das falsche D a t u m 1643 auf (so schon bei R e h t m e y e r , dann bei D i l t h e y , Beste, Leube und auch im Artikel von M . Schmidt in R G G 3 und H . - W . K r u m w i e d e , Krichengeschichte Niedersachsens, aaO., 139). 7 M . Schmidt spricht sogar von dem nach Arndts Büchern vom w a h r e n C h r i s t e n t u m meistverbreiteten Erbauungsbuch im L u t h e r t u m . So in seinem Art. L ü t k e m a n n , RGG 3 , Bd. IV, 471 u n d H . W . K r u m w i e d e , s.o., 139. Diese Einschätzung scheint mir allerdings angesichts der Massenübersetzungen englischer Erbauungsbücher im deutschen L u t h e r t u m zu hoch gegriffen zu sein. S. jetzt U . Sträter, Sonthom, B a y l y , D y k e und H a l l , Tübingen 1987. - A u c h J o h a n n Gerhards „Meditationes sacrae" hatten eine weitere Verbreitung als L ü t k e m a n n s „Vorschmack" gefunden. 8 In: J o h a n n A r n d t , Sonderbahre Schrifften z u m w a h r e n Christenthum gehörig, F r a n k f u r t u n d Leipzig 1698. - In einer naiven Geschichte des 17. J a h r h u n d e r t s w i r d erzählt, daß der Teufel einem J ü n g l i n g nur z w e i Bücher außer der Bibel verbietet: Arndts „Wahres C h r i s t e n t u m " u n d dieses Erbauungsbuch Lütkemanns, vgl. J . Beste, aaO., 252. 9 P h . J . Spener, Eines vornehmen Theologi Wahrhafftige und gründliche Historische Erzehlung alles dessen/ w a s zwischen denen heute zu Tage genanten Pietisten geschehn und vorgegangen ist, Lichtenberg 1 7 1 3 , 2 0 ; vgl. J . W a l l m a n n , Spener, 6 , 2 6 4 , 2 7 8 f. 10 W i r werden auf sie unter 3. näher eingehen.

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verdanken 1 1 , hat sie das „sicherlich bedeutendste(n) Beispiel politischer Predigt im älteren Luthertum" genannt 1 2 . Allein für die Erhellung des geistigen und kirchenpolitischen Hintergrundes dieser einstmals berühmten Regentenpredigt Lütkemanns ist es erforderlich, die Situation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel unter der Regierung Herzog Augusts d . J . unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg näher in den Blick zu nehmen. Denn diese Regentenpredigt als ein bedeutsames Dokument lutherischer Obrigkeits- und Sozialkritik aus der Mitte des 17. Jahrhunderts steht nicht vereinzelt da; sie ist das Schlußglied einer Kette vielfältiger Aktivitäten, die Lütkemann als Oberhofprediger und oberster Generalsuperintendent des Herzogtums und Abt des Klosters Riddagshausen in enger Verbindung mit Herzog August in den Jahren 1649 bis 1655 entfaltet hatte. Ihnen wollen wir uns nun zuwenden. Als Herzog August d . J . zu Braunschweig und Lüneburg 1 3 die Regierung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel 1635 antrat, stand das Land ganz im Zeichen der schweren Schäden und Verwüstungen durch den Dreißigjährigen Krieg. Gerade im Fürstentum Wolfenbüttel kam es zwischen 1622 und 1630 zu schweren Kämpfen zwischen dem streitbaren Herzog Christian d.J. 1 4 und dem katholischen Ligaheer unter Tilly und zum Eingreifen Dänemarks und Schwedens in die Kriegshandlungen 1 5 . Die erste Zeit seiner Regierung, während der Herzog August in Braunschweig residierte, da Wolfenbüttel noch in der Hand der Kaiserlichen war, ist von der Schlußphase des Dreißigjährigen Krieges geprägt und auch in den folgenden Jahrzehnten seiner langen Regierungszeit bis 1666 hat der große Krieg mit seinen Auswirkungen seine Entscheidungen auf politischem und kirchlichem Gebiet wesentlich bestimmt. „Unordnung durch Kriegsunruhen" - so lautet regelmäßig die Begründung für die Herausgabe verschiedener fürstlicher Ordnungen, mit denen Herzog August in den letzten Kriegsjahren und in der Nachkriegszeit die eingetretenen Schäden des gesamten gesellschaftlichen Lebens zu beheben versucht. Schon in den ersten Jahren seiner Braunschweiger Regierungszeit zeigt sich der zielstrebige Wille des Herzogs, die Möglichkeiten eines friedlichen Wiederaufbaus im ganzen Fürstentum, besonders nach dem

J. Wallmann, Zwischen Reformation und Humanismus, ZThK 7 4 , 1 9 7 7 , 3 4 4 - 3 6 9 , 3 6 4 ff. J. Wallmann, Herzog August, J G P , Bd. 6 1980, Göttingen 1 9 8 1 , 9 , A n m . 1. 1 3 Zu Herzog August vgl. jetzt die gründlichen Informationen und Belege in dem Ausstellungskatalog: Sammler, Fürst, Gelehrter. Ausstellungskataloge der H A B Wolfenbüttel Nr. 27, Braunschweig 1979. 1 4 Herzog Christian d.J. ( 1 5 9 9 - 1 6 2 6 ) , seit 1 6 1 7 postulierter Bischof des Bistums Halberstadt und Bruder Herzog Friedrich Ulrichs, wurde der „tolle Christian" bzw. der „tolle Halberstädter" genannt. 1 5 Vgl. dazu W . A r n o l d , Reich und Territorium, in: Ausstellungskatalog Herzog August, 83 ff. 11

12

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Goslaer Separatfrieden von 1642, zu nutzen 1 6 . Vor allem aber wird dies deutlich, nachdem Herzog August endlich im September 1643 in Wolfenbüttel einziehen und die alte Residenz in Besitz nehmen konnte 1 7 . Mit Hilfe dieser zahlreichen fürstlichen Ordnungen und Edikte hat man nicht nur im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, sondern auch in anderen Territorien des Reiches ab der Mitte des 17. Jahrhunderts versucht, die schlimmsten Kriegsschäden zu beseitigen. Im Vollzug dieser Wiederaufbauarbeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, die wesentlich von den Fürsten selbst ausging 18 , beschleunigt sich eine Entwicklung, die nicht erst mit dem Westfälischen Frieden einsetzte, jedoch nach ihm das persönliche Regiment der deutschen Territorialfürsten erheblich zu stärken vermochte und zum Ausbau des frühabsolutistischen Staates führte 1 9 . Im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel läßt sich dieser Prozeß besonders an den Ordnungen erkennen, die Herzog August für das Kirchen- und Schulwesen erlassen hat. Die Reihe dieser Ordnungen beginnt mit der „Verlöbnis- Hochzeits- Kindtaufs- und Begräbnis-Ordnung" von 164 6 20 und führt dann zu den beiden wichtigen Ordnungen, die in die Amtszeit Joachim Lütkemanns als oberster Geistlicher des Landes fallen und unterdessen Mitwirkung herauskamen: der Schulordnung von 1651 2 1 und der Klosterordnung von 1655 2 2 . Nach dem Tod Lütkemanns kam noch der 1. Teil einer nur die Gottesdienstagende enthaltenden Kirchenordnung von 1657 heraus 23 . Weitere allgemeine Ordnungen, die nicht nur das politische, sondern auch das kirchliche Leben mit strengen Vorschriften zu regeln versuchen, sind die Allgemeine

16 Vgl. C h r . R ö m e r u.a., Landesfürst in Braunschweig und Wolfenbüttel 1635-1666, in: Ausstellungskatalog Herzog August, 115 ff. 17 Der Hof und die Regierungskollegien wurden erst 1644 von Braunschweig nach Wolfenbüttel verlegt. 18 Neben Herzog August ist vor allem Herzog Ernst I., der Fromme, von Sachsen-GothaAltenburg zu nennen, aber auch der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der mehrmals bei Herzog August in Wolfenbüttel weilte. 19 Ich schließe mich hier der Auffassung von H. O . Meisner an, der innerhalb der Absolutismusforschung die allmähliche Entwicklung und Steigerung des Absolutismus im alten Reich betont, die freilich Gegen- und Rückläufigkeiten einschließt, ähnlich wie O. F. Härtung. Vgl. H . O . Meisner, Staats- und Regierungsformen in Deutschland seit dem 16.Jahrhundert, in: Archiv des öffentl. Rechts 77, 1951/52, 225-265. 232; F. Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, in: H Z 180, 1955, 15-42. 2 0 Des Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten/ und Herrn/ Herrn A u g u s t i . . . Verlöbnis/ Hochzeichts- Kindtaufs- und Begräbnis-Ordnung, Wolfenbüttel 1646, Signatur: Gn 494, H A B Wolfenbüttel. 2 1 Des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herren/ Herren A u g u s t i . . . Schul-Ordnung, Wolfenbüttel 1651, Signatur: T 514 Heimst. (13) H A B Wolfenbüttel. 2 2 Unsers/ von Gottes Gnaden Augusti, . . . Verordnung/ W y es mit Besez= und Verfassung der Clöster/ auch administration und inspection über deren G ü t e r . . . , Wolfenbüttel 1655, Signatur: Gn 496 H A B Wolfenbüttel. - Zur Schul- und Klosterordnung vgl. J . Beste, 237ff. 2 3 Agenda Oder Erster Teyl der Kirchen O r d n u n g . . . , Wolfenbüttel 1657. Signatur: Gn 460, H A B Wolfenbüttel.

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Landesordnung von 1647 2 4 , das Edikt gegen den Aberglauben (1648) 2 5 und die Kanzleiordnung von 165 1 2 6 . Der in diesem Ordnungswillen zum Ausdruck kommende frühabsolutistische Regierungsstil Herzog Augusts ist auf alle Bereiche des gemeinschaftlichen und individuellen Lebens ausgerichtet. Die Verbesserung aller Zustände im gesamten Gemeinwesen nach den großen Kriegsschäden ist das in allen Ordnungen angestrebte Ziel 27 . Wie weit die Anordnungen in das familiäre Leben der Angehörigen jeden sozialen Standes hineinreichen, macht die „Verlöbnis-, Hochzeits- und Taufordnung" besonders deutlich. Hier wird verfügt, wie sich der Kirchgang zu vollziehen habe, welche Speisen zu welchen Zeiten unter Beteiligung wievieler Gäste bei den Familienfeiern einzunehmen sind, je nach dem, um welchen sozialen Rang es sich bei den Feiernden handelt. Für evtl. Zuwiderhandlungen werden genau fixierte Strafen angedroht 2 8 . Alle diese Maßnahmen stehen unter dem Gesichtspunkt, den die Landesordnung von 1647 mit den Worten zusammenfaßt: „Gott fürchten/ und die Sünde vermeyden/ ist das einige Mittel/ zu der Erlangung alles Segens/ und Wolergehens." 2 9 Bezeichnenderweise wird in der Landesordnung auch gleich zu Anfang der Besuch des Gottesdienstes eingeschärft und der Schulunterricht für alle Kinder vorgeschrieben, „bis daß sie den Catechismum verstehen/ und gedrükte Skrift lesen könen." 3 0 Mit dieser Verkündigung der allgemeinen Schulpflicht war im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel nach Thüringen (Weimar seit 1619, Gotha seit 1642) eine Entwicklung 2 4 Des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Augusti... Allgemeine Landes-Ordnung, Wolfenbüttel 1647. Signatur: Gn 468 H A B Wolfenbüttel. 2 5 Edikt Herzog Augusts „wider dy Waarsager und Crystallen-Gukker", Wolfenbüttel 1648. Signatur: W A 1800 H A B Wolfenbüttel. 2 6 Des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Augusti... Canzlei-Ordnung, Wolfenbüttel 1651. Signatur: W A 1800 H A B Wolfenbüttel. 2 7 J . Wallmann sagt zu diesen Ordnungen Herzog Augusts treffend: „Kirchenhistorisch von Belang ist, daß Herzog August mit der Reihe dieser Ordnungen ganz der Zeit angehört, die wir die Zeit der Reformbestrebungen der Orthodoxie nennen, einer Zeit, die die Besserung des ganzen Volkes durch obrigkeitliche Sitten- und Zuchtordnungen sucht und sich dabei in besonderem Maße der Besserung der Unfrommen und Bösen durch Zucht- und Strafmittel annimmt." (Herzog August, aaO., 12). - G.Oestreich spricht in diesem Zusammenhang von „Sozialdisziplinierung", vgl. G.Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, 179ff.; s. auch Wallmann, aaO., 12, Anm. 4. 2 8 AaO., 5ff. - Ein Vergleich dieser Anordnungen Herzog Augusts mit einem Erlaß Herzog Emsts von Gotha vom 15. April 1643, „wie es hinführo in Herzog Emsts Landen auf Verlöbnissen, Hochzeiten, Kindtaufen, Begräbnissen und sonst anderen Zusammenkünften gehalten werden sollte" (vgl. A.Beck, Ernst der Fromme, I.Teil, Weimar 1865, 420f), zeigt weitgehende Ubereinstimmung solcher fürstlichen Bestimmungen in beiden Territorien. Herzog August steht mit diesen Ordnungen ganz im Rahmen der Reformbemühungen in verschiedenen Ländern und Städten des Reiches in der Mitte des 17. Jahrhunderts. 29 30

AaO., 6. AaO., 7.

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eingeleitet worden, die zur Verbesserung der allgemeinen Verhältnisse, insbesondere der wirtschaftlichen, führte und ganz dem gelehrten und frommen Sinn des Herzogs entsprach. Schon in der Wolfenbütteler Kirchenordnung des Herzogs Julius von 1569 war dem Schulwesen besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden 3 1 . Daß Herzog August hier wie auch bei den Klosterverhältnissen in den Jahren nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges neue Akzente setzte, hat Gründe, die sowohl in den notvollen Gegebenheiten wie aber auch in den persönlichen Intentionen des Herzogs und in seiner Auffassung von einem patriarchalischen landesherrlichen Kirchenregiment liegen. In der Schulordnung von 1651 heißt es gleich zu Anfang, noch bevor die beklagenswerten Zustände im bisherigen, durch den Krieg zerrütteten Schulwesen beschrieben werden: Zwei Hauptmittel gibt es für die zeitliche und ewige Glückseligkeit. Einmal muß die Jugend mit Behutsamkeit und Strenge erzogen, vom Bösen abgehalten und zum Guten geführt werden. Sodann ist darauf zu achten, daß die Älteren keine eigenen Wege gehen und sich nach der Obrigkeit ausrichten 32 . In der Erziehung der Jugend sieht der „fromme Regent" das Wichtigste für ein Gemeinwesen 3 3 . Daß hiermit nicht nur theoretische, allgemeine Grundsätze ausgesprochen werden, sondern konkrete Wirklichkeit im planvollen Auf- und Ausbau eines Gemeinwesens gestaltet wird, macht diese Schulordnung sehr deutlich. In ihr haben sich wie in der Klosterordnung von 1655 sowohl die persönliche Frömmigkeit und Gelehrsamkeit des Herzogs wie auch eine kluge, die Staatsinteressen befördernde Bildungspolitik einen einheitlichen Ausdruck verschafft. Drei Arten von Schulen sieht die neue Schulordnung vor: In allen Dörfern 3 4 sollten Elementarschulen bestehen, in denen das Lesen, Schreiben und der Anfang der lateinischen Sprache unterrichtet werden 3 5 . Die Grundlage der Leseübungen, die auch zu einem ersten Verstehen des Gelesenen führen sollen, sind der Katechismus, die Psalmen Davids, die Evangelien und die „Kirchen-

3 1 Vgl. E. Sehling (Hg.), Die evang. Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bd. 6 1/1, Tübingen 1955, 83-280. Im Jahre 1649 war ein Neudruck dieser Kirchenordnung herausgekommen, die bis zu einer neuen Abfassung in allen Landesteilen gelten sollte. 3 2 A a O . , (Anm. 21), 1 f. 3 3 A a O . , 2 f. 3 4 „In allen und jeden Dörffern und Flekken/ unserer Fürstentum und Lande/ kein einiges davon ausgenommen." (8ff.). 3 5 J. Beste gibt hier keine ganz zutreffenden Angaben, wenn er für diese Elementarschulen den Unterricht in Lesen, Schreiben und v o r allem in Religion hervorhebt (Geschichte, 238). Ihm folgend H. Lütkemann, D.Joachim Lütkemann, aaO., 118. Gegenüber dem Gothaischen Schulmethodus von 1642, der die Fernhaltung des Lateinischen v o m Unterricht in den untersten Klassen aller Schulen im Sinne des Comenius vorsieht, hält die Schulordnung Herzog Augusts an der Erlernung der Anfänge der lateinischen Sprache in den Elementarschulen fest. Vgl. F. Koldewey, Die Schulgesetzgebung des Herzogs August des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel, Braunschweig 1887; ders., Beiträge zur Kirchen- und Schulgeschichte des Herzogtums Braunschweig, W o l f e n büttel 1888.

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psalmbücher" (Gesangbücher) 36 . Die Schulmeister, denen eine höhere Besoldung zugesichert wird, sollten die Küster und Opferleute der jeweiligen Orte sein, keine Handwerker. Der Ortspfarrer muß einmal in der Woche die Schule besuchen und hat in der sonntäglichen Katechismuslehre die Kinder in der Kirche zu examinieren. Die Spezial- und Generalsuperintendenten haben zweimal im Jahr zu Ostern und Michaelis bei der Kirchenvisitation die Schulen zu besuchen und bei ihren Examina auf „besondere ingenia" zu achten, die besondere Förderung verdienen 37 . In den kleineren Städten ist eine mittlere Art von Stadtschulen vorgesehen, in denen die Unterrichtsinhalte der Elementarschulen weitergeführt werden nach derselben Methode, jedoch nun mehr auf die lateinische Sprache ausgerichtet 38 . In Wolfenbüttel, Helmstedt und Gandersheim wird die dritte Art der sog. drei oberen Schulen errichtet, zu denen noch das von der verwitweten Herzogin Anna Sophia, der kinderlosen Gemahlin Herzog Friedrich Ulrichs, im Jahre 1638 gestiftete Anna-Sophianeum in Schöningen trat 3 9 . Das eigentlich Neue dieser Schulordnung gegenüber derjenigen in der Kirchenordnung von 1569 zeigt sich erst in dem Schlußabschnitt „Von dem Ober-Inspektor der Schulen dieses Fürstentums." 4 0 Schon im Jahre 1648 hatte Herzog August den bedeutenden Philologen an der Universität Helmstedt, Christoph Schräder (1601-1680) 4 1 , zum Generalschulinspektor des Fürstentums BraunschweigWolfenbüttel ernannt. Damit war bereits die Beaufsichtigung und Einflußnahme des Konsistoriums, vor allem hinsichtlich der Lateinschulen 42 , erheblich 3 6 „Und dieweil es nicht genug/ daß dy Kinder nur dy Wörter des Catechismi verstähen/ sollen inen dieselbe fein deutlich vorgebildet/ und dadurch zu dero/ vermüge unser Fürstl. Kirchen Ordnung/ in der Kirchen zu halten verordnete Kinderleere/ als wohin diese institutio eigentlich gehöret/ der Weg gebauet werden." (9).

lOf. 12 f. - In diesen Schulen soll auf die Universität vorbereitet, auch Rechnen, Musik und die Anfänge des Griechischen unterrichtet werden. 37 38

3 9 13 f. An der Fundation dieser Schule hat Lütkemann besonderen Anteil, vgl. H . Lütkemann, aaO., 119. Die Verordnung für das Anna-Sophianeum in Schöningen ist in 5 Kapitel eingeteilt: D e sacris studiis, de morum censura, de latina lingua, de lingua Graeca, de bonarum artium rudimentis et memoriae exercitio. (aaO., 13f.).

29 ff. Christoph Schräder war neben Georg Calixt und Hermann Conring der Gelehrte an der Universität Helmstedt, mit dem Herzog August in besonders engem Kontakt stand. Nach seinem Studium in Helmstedt, wo er im Hause von Calixt wohnte, wurde er 1635 Prof. der Beredsamkeit, 1640 Universitätsbibliothekar an der Akademia Julia. Als einer der führenden klassischen Philologen seiner Zeit, der als erster Gelehrter in Deutschland Vorlesungen in seiner Muttersprache hielt, wirkte er bis zu seinem T o d 1680 in Helmstedt. Vgl. P.Zimmermann, in: A D B , 32, 4 2 2 - 2 5 ; P. Raabe, Herzog Augusts Beziehungen zu den Gelehrten, in: Ausstellungskatalog Herzog August, aaO., (Anm. 13), 151 ff. 40 41

4 2 J . Beste gibt an, daß Schräder bereits 1646 zum Generalinspektor über die Latein- oder Partikularschulen ernannt wurde, aaO., 238, ebenso J . J . Berns in seiner Einleitung zum 3. Teil im Ausstellungskatalog, 347, auch I. Mager, Die Beziehung Herzog Augusts von BraunschweigWolfenbüttel zu den Theologen Georg Calixt und Johann Valentin Andreae, in: J G P , Bd. 6 1980,

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eingeschränkt worden. Nun stellt die Schulordnung von 1651 noch einmal diese wichtige Neuerung fest: „So verordnen wir hirmit zu einem General-Inspectoren alle vorgedachten Schulen dises unsers Fürstentums/ den Hochgelarten unsern lieben getreue Ehrn M.Christophorum Schradern..." 4 3 Mindestens einmal im Jahr soll dieser weltliche Schulinspektor die drei höheren Schulen inspizieren, aber auch die anderen Schulen. Das Konsistorium erhält darüber nur Bescheid. An den mittleren und höheren Schulen kann kein Rektor oder Konrektor ohne das Einverständnis des Schulinspektors ernannt werden. Die Examina finden unter ihm statt und sein Votum in Kirchen- und Schulsachen soll die Synode hören, in der über die Visitationen ausführlich berichtet wird 4 4 . Die erheblichen Kompetenzen des neuen Schulinspektoramtes gehen jedoch noch weiter. Erst ein Gutachten des Schulinspektors 45 entschied darüber, wer nach erfolgreicher Absolvierung der höheren Schulen die Universität besuchen dürfe, und auch noch während der Universitätsstudien waren die Studenten an der Landesuniversität Helmstedt der Inspektion Schräders unterworfen, insofern sie nur bei Befolgung seiner Anordnungen und Beachtung seines Rates auf Beförderung rechnen und somit in die angestrebten höheren Stellungen gelangen konnten 4 6 . J . J . B e r n s hat die einheitliche Oberaufsicht über das gesamte Schulwesen im Fürstentum durch den Generalschulinspektor eine „Steuerung des Intelligenzpotentials" genannt und einen „Akt der Säkularisierung, die dem autokratischen Interesse Augusts entsprach." 4 7 Daß diese bildungspolitischen Maßnahmen eine Einschränkung der Kompetenzen des Konsistoriums zur Folge hatten, ist offensichtlich 48 . Die Schulordnung von 1651 stellt somit ein wichtiges Dokument aus der Zeit jener Umbruchsjahre dar, in denen vor allem auf Betreiben des Kanzlers Johannes Schwartzkopff 4 9 schon länger die Macht 7 6 - 9 8 , 91. O b Schräder erst mit der neuen Schulordnung zum Generalinspektor über alle Schulen ernannt wurde, ist nicht ganz ersichtlich. 4 3 29. 4 4 30. 4 5 „Fürsichtiger selectus ingeniorum" - ein abiturähnliches Examen, das die Universitätsreife festzustellen hatte. (31). 4 6 32. 4 7 Einleitung zum 3. Teil des Ausstellungskatalogs „Hezog August - Frömmigkeit und kirchliche Tradition", 347. Der Begriff „Akt der Säkularisierung" erscheint mir wenig glücklich bzw. mißverständlich, wenn man auf den auf Herzog August selbst zurückgehenden patriarchalischen Frömmigkeitsstil dieser Schulordnung blickt. Sie gehört ganz zu dem patriarchalisch-landesherrlichen Kirchenregiment des Herzogs. 4 8 Zu den das Konsistorium betreffenden Veränderungen im Zuge der immer strafferen Kirchenpolitik unter dem Vizekanzler und Kanzler Schwartzkopff vgl. V. Dettmer, Das Konsistorium zu Wolfenbüttel, Braunschweig 1922, 4 4 - 7 5 . - W i e J. Beste sagen kann, daß die Oberleitung des gesamten Schulwesens weiterhin in den Händen des Konsistoriums bleibt, ist mir unerfindlich. (aaO., 238, ebenso H. Lütkemann, aaO., 119.). 4 9 Dr. Johann Schwartzkopf(f) ( 1 5 9 6 - 1 6 5 8 ) ist die zentrale Gestalt der Regierungszeit Herzog Augusts, der wichtigste Beförderer eines zentralistisch geführten Kirchenregiments, der die Macht des Konsistoriums zurückzudrängen bzw. auszuschalten versucht. Der Schwager Calixts studierte Jura an der Universität Helmstedt, wurde 1627 Landsyndikus, 1637 H o f - und Kanzleirat, 1639

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des Konsistoriums zu beschneiden versucht wurde. Mit diesem Rückgang des kirchlichen Einflusses im Konsistorium entwickelt sich die kirchenpolitische Situation immer deutlicher zum Territorialsystem. Blicken wir von dieser Neuordnung des Schulwesens im Herzogtum Wolfenbüttel auf die ihr sachlich und zeitlich am nächsten stehende Ernestinische Schulreform unter Herzog Ernst dem Frommen von Sachsen-Gotha und Altenburg, so kann das Urteil der älteren Forschung bestätigt werden, wonach die Schulordnung Herzog Augusts inhaltlich nichts Neues bietet und zeitgenössische pädagogisch-didaktische Reformideen keine Berücksichtigung fanden 50 . Waren in Gotha die Reformforderungen von Wolfgang Ratke 51 und Johann Arnos Comenius 5 2 nach einem lateinlosen Anfang der Schulbildung, nach Anschaulichkeit und der Aufnahme der Realien in den Unterricht weitgehend verwirklicht worden 5 3 , so blieb die Wolfenbütteler Schulordnung dahinter zurück 5 4 . Die Oberaufsicht über das aufblühende Gothaer Gymnasium und die anderen Schulen wurde dem neu gebildeten Konsistorium (1641) unterstellt 55 . Auch in Gotha versuchte man durch strenge Schulgesetze die durch den Krieg verursachten Schäden im Schulwesen zu beseitigen. U m die Universität vor Vizekanzler und Geheimer Kammerrat, 1646 schließlich Kanzler und Geheimer Rat, D i r e k t o r der Kanzlei und des Konsistoriums, somit der mächtigste Beamte im H e r z o g t u m . In seinen Anschauungen über das Verhältnis von Kirche und Staat steht er denen des Helmstedter Mediziners und Philosophen Henning Arnisaeus (ca. 1 5 7 5 - 1 6 3 6 ) offenkundig sehr nahe, der das landesherrliche Kirchenregiment aus einer natürlichen Staatslehre heraus begründete und das Bild einer Staatskirche entwarf, das ganz einem konsequent durchgeführten Souveränitätsgedanken und den Prinzipien der Staatsräson entsprach. Vgl. zu Arnisaeus H . D r e i t z e l , Protestant. Aristotelismus, 3 6 4 - 3 9 2 . In dem 2. Teil der neuen Kirchenagende (er blieb unvollendet, nur 120 Seiten wurden gedruckt) k o m m t Schwartzkopffs Auffassung eines ganz in der Hand des Fürsten liegenden Kirchenregiments besonders deutlich zum Ausdruck. Vgl. J . C h r . Stübner, Historische Beschreibung der Kirchenverfassung in den Herzogl. Braunschw.-Lüneburg. Landen, Goslar 1800, 97; I. Mager hebt den U n t e r schied zwischen Calixt und seinem Schwager Schwartzkopff hervor: „Man kann keineswegs sagen, Schwartzkopfs Maßnahmen seien als Ausfluß calixtinischen Denkens zu werten. I m Gegenteil, Calixt blieb hier h e m m e n d . " (Die Beziehung H e r z o g Augusts, aaO., 98.). 5 0 F . Koldewey, Die Schulgesetzgebung ( s . A n m . 3 5 ) , 27. S. auch J . J . B e r n s , Das Kirchenregiment H e r z o g Augusts in der kirchlichen Tradition, Ausstellungskatalog (s. A n m . 13), 359. 5 1 Wolfgang Ratke, lat. Ratichius, ( 1 5 7 1 - 1 6 3 5 ) gilt mit seiner Betonung des Wertes der Muttersprache sowie eines geordneten Stufenganges für den gesamten Schulunterricht und eine die L e r n freudigkeit fördernde M e t h o d e als ein Vorläufer der neueren Didaktik. H e r z o g Ernst stand mit ihm in persönlicher Verbindung. 5 2 U b e r die pädagogische Bedeutung des Comenius vgl. J . D o l c h , Lehrplan des Abendlandes, Darmstadt 1982, 285 ff. 5 3 V o r allem durch den R e k t o r des G o t h a e r Gymnasiums, M . A n d r e a s R e y h e r , auf den auch der berühmte Gothaische Schulmethodus von 1642 zurückgeht. Vgl. zu R e y h e r und die Ernestinische Schulreform K . Schmidt, Gothas Stellung in der Bildungsgeschichte des 17. Jahrhunderts, in: G o t h a und sein Gymnasium, hg. von H . A n z , G o t h a und Stuttgart 1924, 4 2 - 5 2 . 5 4 Dies ist umso bemerkenswerter, als H e r z o g August mit Gelehrten wie J . G . Schottelius und J . V . Andreae verkehrte, die diese Reformforderungen ebenfalls erhoben. 5 5 Vgl. A . B e c k , Ernst der F r o m m e , H e r z o g zu Sachsen-Gotha und Altenburg. Ein Beitrag zur Geschichte des 17. Jahrhunderts, Weimar 1 8 6 5 , 1 . Teil, 491 ff., 515.

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ungeeigneten Studenten zu bewahren, war der Übergang der Schüler zur Hochschule von der Erteilung eines Zeugnisses abhängig gemacht worden, das der Generalsuperintendent in Verbindung mit dem Rektor und unter Berücksichtigung des Urteils der anderen Lehrer ausstellte 56 . In enger Beratung zwischen Herzog, Generalsuperintendent 57 , Rektor und Hofprediger vollzog sich hier ein schulreformerischer Aufbruch, dem in Deutschland bis ins 18. Jahrhundert hinein nichts Gleichwertiges zur Seite gestellt werden konnte 5 8 . In enger Beziehung zu den Neuerungen in der Schulordnung steht die Neuordnung des Klosterwesens in der Klosterordnung von 1655 5 9 . Auch hier werden die einschneidenden Maßnahmen mit dem Verfall und den sittenlosen Zuständen begründet, die der Dreißigjährige Krieg in vielen Klöstern hinterlassen hatte. Mit der Devise, daß der Arzt einen Kranken heilen müsse, beruft sich nun der Landesfürst auf seine jura episcopalia, wenn die Klöster einer zentralen staatlichen Lenkung unterzogen werden. Stand bisher den Prälaten nach der Klosterordnung in der Kirchenordnung von 1569 die selbständige Verwaltung der weltlichen Einkünfte ihrer Klöster zu 6 0 , so wird ihnen diese nun entzogen und einer staatlichen Zentralverwaltung, der sog. Klosterratsstube, übertragen. Gleich zu Anfang der neuen Klosterordnung heißt es jedoch, daß dies allein zum Zweck einer besseren Verwaltung geschieht, und die geistlichen Güter keineswegs profaniert, sondern nur ad pias causas verwandt werden sollen 61 . Nachdrücklich wird aber die uneingeschränkte Macht des Landesfürsten kraft seines landesherrlichen Kirchenregiments über die Klöster unterstrichen 62 . Die

5 6 Eine Vorstufe zu dem A n f a n g des 18. J a h r h u n d e r t s eingeführten Abiturientenexamen. Vgl. K. Schmidt, Gothas Stellung (wie A n m . 53), 43 f. 5 7 Salomon Glassius (1593-1656) w u r d e 1640 mit dem Regierungsantritt H e r z o g E m s t s in Gotha Generalsuperintendent, ein bedeutender, von praktischer F r ö m m i g k e i t geprägter Theologe. Vgl. über ihn H . Leube, Die Reformideen, passim. 5 8 Ü b e r die weitere Bildungsgeschichte Gothas vom W i r k e n V . L . v o n Seckendorffs zu A . H . Francke vgl. K. Schmidt ( A n m . 53), 48 ff. 5 9 Vgl. A n m . 22. - Ü b e r die Klosterordnung s. Beste, aaO., 238ff. u n d V. Dettmer, aaO., 51 f. 6 0 Vgl. E.Sehling (Hrsg.), Die evang. Kirchenordnungen des X V I . Jahrhunderts, Bd. 61/1, Tübingen 1955, 256 f. 6 1 „Weil dise unsere V e r o r d n u n g keines weges dahin gemeinet/ daß d y Geistliche Güter und Stiftung prophaniret/ v y l w e n i g e r zu C a m m e r - G ü t e r n gemachet/ mit denenselben v e r m i s c h e t . . . sondern vylmeer/ in einem rechten Gott wolgefälligen Zustand gesezzet/ besser als bis dahero v e r w a l t e t . . . sintemal solche G ü t e r . . . deposita pietatis seynd/ deren Eigentum einig und allein dem eifrigen gerechten Gott/ dessen Kirchen und A r m e n angehörig s e y n d : Dannenhero auch d y davon a u f k o m m e n d e proventus zo keinen andern/ als geistlichen Sachen und Ausgaben/ w o z u sy g e w i d met/ verwendet w e r d e n m ö g e n . " (Klosterordnung, w i e A n m . 22, 1 f.). Das entsprach der Tradition im H e r z o g t u m B r a u n s c h w e i g - W o l f e n b ü t t e l . H i n z u w e i s e n ist hier besonders auf Sattlers scharfe W a r n u n g e n vor unrechtmäßiger V e r w e n d u n g der Klostergüter. 6 2 „Das hingegen U n s dem Landes-Fürsten und Episcopo dyjenige völlige Macht b y den C l ö stern und deren Gütern ohn einige Beschrenkkung gelassen werde/ welche U n s hirin nach Inhalt der alten Clöster Verfassungen zustehet." (2). - Ü b e r die Klostergüter, ihre fürstliche Bestätigung und V e r w a l t u n g (jedem Kloster soll ein Verwalter vorgesetzt werden), s. Klosterordnung, 53 ff.

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Äbte und Pröpste werden „als Unsers Fürstentums einverleibte Glieder" 6 3 bezeichnet und die Einsetzung der Prälaten nur noch vom Landesherrn vorgenommen, dem sie allein zusteht 6 4 . Damit beginnt jene Entwicklung, in deren Zuge die verschiedenen Klosterwürden landesweit um die Kirche verdienten Persönlichkeiten übertragen werden 6 5 . Die Würde eines Abtes von Riddagshausen erhielt fast regelmäßig der oberste Generalsuperintendent in Wolfenbüttel. Nach dem Tode des letzten vom Konvent gewählten Abtes von Riddagshausen, Peter Tuckermann, wurde Joachim Lütkemann noch vor der neuen Klosterordnung im Jahre 1653 Abt und Prälat dieses Klosters 6 6 . Die neue Klosterordnung will in drei Hauptpunkten über die Situation der Klöster handeln: über ihren früheren glücklichen Zustand, die gegenwärtige Zerrüttung und über die Frage, „wy dy Clöster aus solchem üblen Stande hinwider zu erretten." 6 7 N u r der dritte Punkt wird jedoch verhandelt; die hier getroffenen Anordnungen sollen damit aber nicht als eigentliche Neuerungen, sondern nur als Beseitigung eingerissener Schäden und als Wiederherstellung eines alten, für die Klöster glücklichen Zustandes erscheinen. Daß sie de facto aber einen erheblichen landesherrlichen Eingriff in die Selbständigkeit der Klöster darstellen, ist nicht zu übersehen. Wenn die Prälaten ermahnt werden, sich von der Weltüppigkeit freizuhalten, eine Ausnahmeregelung für die Geistlichen bei weltlichen Gerichten verboten oder gegen die Ausdehnung der Rechte der Präsentation eines Klosters bei der Pfarrereinsetzung polemisiert wird, so dient dies erklärtermaßen der „Befestigung des Fürstl. estats in Ecclesiasticis et Politicis." 6 8 Auch soll der Gottesdienst in den Klöstern wie in den anderen Kirchen gestaltet sein, worüber genaue Anweisungen ergehen 6 9 . Die schwerwiegendste Neuerung betraf jedoch die Aufhebung der lateinischen Klosterschulen 7 0 . In den Klöstern dürfen nur noch Kinderschulen gehalten werden, für deren Unterhalt die Klöster selbst aufzukommen haben und in denen neben den für die 63 64

2. 6. - Bisher wurden die Prälaten in der Regel vom Konvent gewählt.

6 5 Vgl. die Aufstellung bei Beste, aaO., 2 4 0 f . - In der Klosterordnung wird genau geregelt, wer in welchem Kloster Prior, Subprior und Konventuale ist. (20 f.). 6 6 Vgl das die zukünftigen Einkünfte regelnde Schreiben H e r z o g Augusts vom 2. Februar 1653 an Lütkemann, der schon am 28. Mai 1651 ein Gesuch an den H e r z o g gerichtet hatte, (s. H . Lütkemann, aaO., 135 f.). 6 7 3. Die drei Hauptpunkte lauten: „Nemlich voors Erste/ von dem uuralten Zustande der Stift und Clöster/ worinnen sich diselbe wol und glücklich befunden. Voors Andere/ auf was weise diselbige in Abgang des Zustandes/ so wol der Geistlichen Personen/ als der Güter und Intraden geraten. Voors Dritte/ w y dy Clöster aus solchem üblen Stande hinwider zu erretten." (3).

68

7

13 ff. 70

„Und sollen dergleichen Schulen in den Clöstern hinfüro nicht mehr gehalten werden." (10).

Auch diese erhebliche Neuerung in dem Abschnitt über die „Scholae in den Manns-Clöstern" wird mit dem verdorbenen Zustand dieser Schulen begründet. Die bisher für die Klosterschulen aufgewendeten Mittel sollen den drei höheren Schulen des Fürstentums in Wolfenbüttel, Helmstedt und Gandersheim zugute kommen (10f.).

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täglichen Gottesdienste wirkenden Chorschülern auch die Kinder des Ortes unterrichtet werden. Arme, aber begabte Schüler konnten auf diese Weise zunächst von den Klöstern gefördert und nach Prüfung vor dem Schulinspektor und dem Konsistorium zum Besuch einer höheren Schule angehalten werden 7 1 . Die einschneidenden Neuerungen in der Klosterordnung begegneten nicht wenigen, kritischen Bedenken 7 2 . U m sie zu beseitigen, verfaßte Schwartzkopff noch kurz vor seinem Tode 1658 einen „Bericht Von dem U u r s p r u n g . . . Der Stift: und Clöster" 7 3 , in dem er die eingeleiteten Maßnahmen als notwendige Schritte zur Uberwindung der eingerissenen Schäden verteidigt unter besonderer Hervorhebung der jura episcopalia des Landesherrn. Nach dem Tode des Kanzlers Schwartzkopff blühten jedoch die Klosterschulen in Amelungsborn, Riddagshausen, Marienthal und Michaelstein wieder auf 7 4 . Die Schul- und Klosterordnung sowie die Konzeption einer neuen Kirchenordnung stellen eine Einheit dar, in der sich der Summepiskopat Herzog Augusts in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg, der Wirkungszeit Lütkemanns in Wolfenbüttel, deutlich widerspiegelt. Das summepiskopale Selbstbewußtsein des Herzogs hatte sich jedoch schon vor diesen Ordnungen gezeigt. Die bis in die frühe Zeit in Hitzacker zurückreichenden Arbeiten Herzog Augusts zur Revision des deutschen Bibeltextes wurden während seines Braunschweiger Aufenthaltes verstärkt fortgesetzt 7 5 . Nachdem die neue Bibelversion des Herzogs, die 1638 schon kurz vor der Veröffentlichung stand, auf verschiedene kritische und ablehnende Reaktionen von Seiten der Theologen stieß, wollte August, wenn schon nicht das größere Werk, so doch wenigstens einen Teil seiner langjährigen Bibelstudien der Öffentlichkeit präsentieren. So kam 1640 in Lüneburg die aus den vier Evangelien harmonisierte und paraphrasierte Passionsgeschichte Jesu heraus, zu der Calixt eine Vorrede schrieb 7 6 . Durch die 71 11 f. - In den Jungfrauenklöstern sollen Mädchenschulen gehalten werden, an denen Lehrerinnen unterrichten. (22ff., 27ff.). 7 2 Zu den Kritikern der Klosterordnung gehörten vor allem die Landstände, die nun zunehmend funktionsloser wurden. Auch Georg Calixt bekundete hier wie schon bei der Einführung der Kirchenharmonie seine kritische Besorgnis vgl. I. Mager, Die Beziehung H e r z o g Augusts, aaO., 97. ( s . A n m . 4 2 ) . 7 3 Wolfenbüttel 1658. Signatur: 102.31 Judica (2) H A B Wolfenbüttel. In dem Ausstellungskatalog Herzog August wird unter der N r . 748 dieser Bericht aufgeführt, aber fälschlich mit der Klosterordnung von 1655 identifiziert (359). 74

Vgl. H . - W . Krumwiede, Kirchengeschichte Niedersachsens, aaO., 140.

Zu H e r z o g Augusts Bibelarbeiten insgesamt vgl. die instruktive Darstellung von W . - D . Otte, Religiöse Schriften, in: Ausstellungskatalog H e r z o g August, 193ff. Neuerdings: H . Reinitzer, Auch in Psalmis ex Bubonibus ranas gemachet. H e r z o g August d. J. von Braunschweig-Lüneburg und seine Revision der Lutherbibel, in: Vestigia Bibliae, Bd. 4, Hamburg 1982, 4 2 - 6 9 . 75

7 6 Hier hat Calixt versucht, dem W e r k „den Anstrich einer Privatarbeit zu geben, die August für die religiöse Erziehung seiner Kinder verfaßt habe." (vgl. W . - D . Otte, aaO., 201 zu N r . 401). Das Werk trägt den Titel: „Die Geschichte Von des H e r r n Jesu des Gesalbten Leyden/ Sterben und Begräbnisse: Auß der Evangelisten Schrifften/ von newen ordentlich zusammen getragen," Lüneburg 1640. Signatur: T h 2980, H A B Wolfenbüttel.

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günstige Aufnahme dieser Bibelparaphrase bei den gelehrten Korrespondenten des Herzogs, besonders durch das von J . V . Andreae gespendete Lob, wurde August ermuntert, auf dem begonnenen Wege fortzufahren. Nach einer zweiten, vermehrten Auflage der Passionsgeschichte schon im folgenden Jahr erarbeitete Herzog August schließlich eine vollständige Evangelienharmonie, die unter dem Titel „Evangelische Kirchenharmonie" 1645 in zwei Teilen herauskam 7 7 . Wie sehr Herzog August mit seinen intensiven Bibelstudien nicht nur seiner privaten Frömmigkeit und seinen eigenen gelehrten Neigungen folgte 78 , sondern zugleich die religiöse Sorge für die Untertanen und die Beförderung der Kirche seines Landes im Blick hatte, zeigt seine Liturgiereform, die er schon 1646 anordnete. Anstelle der allsonntäglich am Altar verlesenen Evangelienund Epistelperikopen sollten nun die Texte aus seiner Kirchenharmonie in allen Kirchen vorgelesen werden. Wir sehen hierin den Ausdruck eines summepiskopalen Selbstbewußtseins, mit dem sich der fromme und gelehrte Fürst einer Aufgabe widmete, zu der er sich durch seine langjährigen theologischen Studien in besonderer Weise berechtigt und verpflichtet fühlte 79 . Auch die sogleich einsetzende erhebliche theologische Kritik gegen die Einführung der Kirchenharmonie in den öffentlichen Gottesdienst konnte Herzog August nicht von seinem Vorhaben abbringen 80 . Er erließ vielmehr eine Instruktion, wie es mit dem Gebrauch seines Werkes im Gottesdienst gehalten werden sollte 81 . Zu den Kritikern der Kirchenharmonie gehörte auch Peter Tuckermann, der 7 7 1646 folgte eine zweite, sehr viel prächtigere Ausgabe, ebenfalls in zwei Teilen (Teil 1 enthält alle Sonn- und Festtagsevangelien und Episteln des Kirchenjahres vom 1. Advent bis zum 27. Sonntag n. T r . , Teil 2 die übrigen Lesungen für die besonderen Festtage, vor allem Marien- und Apostelgedenktage). 7 8 W . - D . O t t e sagt von den religiösen Schriften H e r z o g Augusts treffend: „Sie haben alle in einem intensiven und über mehrere Jahrhzehnte betriebenen Bibelstudium und dem Bemühen um die Beförderung des Schriftverständnisses ihren Ursprung. D e n n H e r z o g August war kein E r b a u ungsschriftsteller, seinen gelehrten Neigungen blieb er auch auf religiösem Gebiet treu." ( a a O . , 193). 7 9 D a m i t möchten wir die von J . Wallmann aufgeworfenen Fragen an die Bibelarbeiten H e r z o g Augusts dahingehend beantworten, daß sie nicht in erster Linie die Privatbeschäftigung eines theologisch interessierten Fürsten sind, sondern sich seinem ausgeprägten, schon lange vorbereiteten landesväterlich-bischöflichen Selbstbewußtsein verdanken, auch ihre Einführung in den öffentlichen Gottesdienst nicht wesentlich von außen beeinflußt ist. S. den interessanten Vergleich der Kirchenharmonie Augusts mit der Liturgiereform Friedrich Wilhelms I I I . und dem preußischen Agendenstreit bei J . Wallmann, H e r z o g August, aaO., 14ff. 8 0 Die theologische Fakultät der Universität Helmstedt unter Führung von G e o r g Calixt hat sich in einem Gutachten vom 3 0 . 6 . 1646 gegen die Neuerung der Kirchenharmonie ausgesprochen, vor allem sah man hierin einen Verstoß gegen das reformatorische Schriftprinzip (vgl. I. Mager, D i e Beziehung H e r z o g Augusts, a a O . , 95, A n m . 120). Schärfer und grundsätzlicher hat die theologische Fakultät in Leipzig Kritik an der Wolfenbütteler R e f o r m in einem Gutachten vom 2 4 . 1 1 . 1646 angemeldet. Darin wurde zur Gehorsamsverweigerung gegenüber diesen herzoglichen Eigenmächtigkeiten aufgefordert und die Kirchenharmonie auch selbst kritisiert, (vgl. J . Wallmann, H e r z o g August, a a O . , 15, A n m . 11 und W . - D . O t t e , aaO., 194ff.). 8 1 Instruktion vom 2 8 . 1 1 . 1 6 4 7 . 1 6 4 8 erschien eine Ausgabe der Kirchenharmonie für die Pfarrer auf dem Lande. D i e Kirchenharmonie war bis 1709 in den Kirchen des Herzogtums in Gebrauch.

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in den ersten Regierungsjahren Herzog Augusts als Nachfolger Basilius Sattlers das Amt des obersten Generalsuperintendenten und Oberhofpredigers in Wolfenbüttel innehatte. Im Zuge der sich immer mehr auf das Territorialsystem hinentwickelnden Verhältnisse im Herzogtum fühlte sich dieser Vertreter der altlutherischen Orthodoxie immer weniger der schwierigen Situation gewachsen, die sich ihm im höchsten geistlichen Amt entgegenstellte. Die langjährige briefliche und persönliche Verbindung zwischen Herzog August und Georg Calixt, dessen theologische Kompetenz für August bei seinen eigenen religiösen Schriften wie bei der Besprechung kirchlicher Angelegenheiten besonders wichtig war 8 2 , vor allem aber der sich ständig vergrößernde Einfluß des Kanzlers Schwartzkopff gegenüber dem immer schwächer werdenden Konsistorium, führten schließlich dazu, daß der alternde Tuckermann sein Entlassungsgesuch einreichte. Am 30. Oktober 1647 wurde der bisherige Generalsuperintendent Heinrich Wideburg Nachfolger Tuckermanns als oberster Generalsuperintendent des Landes. Daß mit Wideburg noch einmal ein Mann des älteren Luthertums in diese wichtige Stelle berufen wurde, hat Gründe, die nicht zuletzt wiederum mit der persönlichen Situation des Herzogs bei den Vorgängen um die Einführung seiner Kirchenharmonie zusammenhängen. Denn durch den Protest der Helmstedter theologischen Fakultät gegenüber dem Gebrauch der Kirchenharmonie im Gottesdienst war Herzog August nicht geneigt, einen Helmstedter Theologen in das höchste kirchliche Amt zu berufen. Wie sehr der Kanzler darüber verärgert war, geht aus einem Brief hervor, den Schwartzkopff an Calixt und Hornejus 8 3 am 5. Oktober 1647 schrieb. Kurz vor der Entscheidung fordert er hierin die Helmstedter auf, daß einer aus ihrer Schule, Balthasar Cellarius 8 4 oder Christoph Schräder, sich schnellstens um diese Stelle bewerben möge 8 5 . Doch der schließlich berufene, in langen Amtsjahren bewährte Wolfenbütteler Generalsuperintendent Wideburg, für den sich auch die Herzogin Sophie Elisabeth verwandte, starb im neuen Amt schon nach wenigen Monaten am 15. Juni 1648. Nun mußte sich Herzog August erneut nach einem Theologen umsehen, der ihm für dieses hohe Amt geeignet erschien. Nach den Enttäuschungen im Zusammenhang mit der Kirchenharmonie wünschte er sich verständlicherweise einen Mann, der mit seiner persönlichen Frömmigkeit, seinen gelehrten Bibelstudien und seinem ausgesprochenen summepiskopalen Selbstbewußtsein inVgl. I. Mager, Die Beziehung H e r z o g Augusts, aaO., 79 ff. Konrad H o r n (Hornejus) ( 1 5 9 0 - 1 6 4 9 ) war seit 1619 Professor für Ethik, später auch für Logik in Helmstedt, ab 1629 neben Calixt Theologieprofessor, vgl. F. Lau, Art. H o r n , R G G 3 , III, 452. 82 83

8 4 Balthasar Cellarius ( 1 6 1 4 - 1 6 7 1 ) war Superintendent und Theologieprofessor in Helmstedt, Schüler Calixts, vgl. Henke, Bd. 11,2, 64 f. 8 5 Schwartzkopff bezeichnet die Versuche des Konsistoriums, während seiner Abwesenheit verschiedene Kandidaten für die Stelle vorzuschlagen (allerdings keinen Helmstedter), folgendermaßen: „Werden durch diese Conatus allhier uns ins Land böse Leute, Ignoranten, osores bonae eruditionis et tyrannidem in academiam, praesertim theologicam facultatem affectantes eingeführt." (zitiert nach Henke, Calixt, Bd. II, 2, 58f., Anm. 2).

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nerlich übereinzustimmen vermochte. In seiner jetzigen Umgebung in Wolfenbüttel oder Helmstedt fand das religiöse Streben und der kirchliche Eifer des Herzogs bisher keine ungeteilte Zustimmung, von dem selbstbewußten lutherisch-orthodoxen Braunschweig ganz zu schweigen. In Hitzacker war das anders gewesen; in dieser frühen Zeit im Leben Augusts vor seinem Regierungsantritt war er durch seinen Hofmedicus Melchior Breier und seinen Hofprediger Heinrich Varenius von jener Frömmigkeitsanschauung umgeben, für die die Schriften Johann Arndts repräsentativ sind 8 6 . Schon damals blickten diese Arndtverehrer und -Verteidiger voller Hoffnung auf den frommen Fürsten, in dem sie nicht ohne Grund den rechten „Schutzherrn des wahren Christentums" sahen 8 7 . Inzwischen hatte Herzog August mit dem wohl bedeutendsten Arndtverehrer im 17. Jahrhundert vor Spener, mit J . V . Andreae, dem Stuttgarter Hofprediger und Konsistorialrat, einen umfangreichen Briefwechsel begonnen 8 8 . Er setzt zu jener Zeit ein, als die Passionsgeschichte Jesu herauskam und Herzog August an seiner schon lange geplanten Evangelienharmonie weiterarbeitete 8 9 . Während dieser intensiven Bibelstudien Augusts war Andreae sein wichtigster theologischer Berater, der in den Vorreden zu den verschiedenen Ausgaben der Kirchenharmonie immer erneute Lobeshymnen auf seinen fürstlichen Freund anstimmte 9 0 . In einem Brief Andreaes an Herzog August vom 17. Januar 1649 kann er auch von einem anderen, ihm sehr nahe stehenden Theologen berichten, der sich recht positiv zu der Kirchenharmonie geäußert hat: es ist der Straßburger Kirchenpräsident Johann Schmidt 9 1 . Daraufhin schreibt Herzog August an Andreae am 13. März 1649: „Wie H . D r . Schmidt zu Straßburg ist, dergleichen möchte ich mir allhie auch wohl wünschen zum generalissimo superattend. und künftig Abt zu Riddagshausen." 9 2 Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen. Denn mit der Berufung Joachim Lütkemanns an den Wolfenbütteler H o f kam ein Theologe in enge Beziehung zu Herzog Vgl. J. Wallmann, H e r z o g August, aaO., 16ff. Der Ausdruck „Schutzherr des ,wahren Christentums'" ist von J. J . Berns geprägt worden (Herzog August und die Frömmigkeit, Ausstellungskatalog, aaO., 365). J. Wallmann hat ihn aufgenommen und historisch konkretisiert, indem er die Interventionen H e r z o g Augusts zugunsten Arndts während der Arndtschen Streitigkeiten aufzeigte, vgl. seinen obigen Aufsatz, aaO., 23 ff. 86 87

88

E r wartet noch auf Auswertung, C o d . Guelf. 6 5 , 1 und 2, H A B Wolfenbüttel.

U b e r diesen Briefwechsel vgl. I. Mager, Die Beziehung H e r z o g Augusts, aaO., 85 ff. 9 0 I. Mager sagt dazu m . E . zutreffend: „Andreae war tief davon überzeugt, in August dem frömmsten und gelehrtesten deutschen Fürsten sowie einem von Gott gesandten Erneuerer der durch Theologengezänk und Kriegswirren innerlich und äußerlich verwüsteten Kirche begegnet zu sein." (aaO., 86f.). 89

9 1 Zu Johann Schmidt (1594—1658) und die Reformbestrebungen des Straßburger Luthertums in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts s. die ausführliche Darstellung bei J . Wallmann, Spener, 4 - 3 4 . In dem Brief Andreaes an August sagt er von Schmidt: „quem theologum centum aliis praefero et ex animo a m o " und weiter, daß Schmidt „ihm jederzeit die harmonia evangeliorum wohl gefallen lassen, und vor anderen honorifice und aequanimiter davon judicirt," „daß ihm die harmonia illustris herzlich lieb" sei. (zitiert nach Henke, Calixt, Bd. II. 2 , 3 3 , Anm. 1 und 59, Anm. 1). 92

Henke, aaO., 59, A n m . 1.

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Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger J o a c h i m Lütkemann

August, der ein besonders dankbarer und kongenialer Schüler Johann Schmidts gewesen ist 93 . Und über Johann Schmidt, der von der Frömmigkeitsanschauung Johann Arndts neben puritanischen Erbauungsschriften entscheidend geprägt wurde, pflanzte sich die Arndt'sche Frömmigkeit u. a. weiter auf Lütkemann und bald danach auf den jungen Spener fort 9 4 . Daß das Augenmerk Herzog Augusts auf Joachim Lütkemann fiel, hat somit tiefere, im Lebensgang und in der Frömmigkeit des Herzogs selbst liegende Gründe 9 5 , wozu nun auch noch weitere Anknüpfungspunkte kamen, die eine 9 3 Lütkemann bekennt im R ü c k b l i c k auf seinen Straßburger Studienaufenthalt, daß er von J o h a n n Schmidt „den Samen der F r ö m m i g k e i t " empfangen habe, und wenn sich die F r ö m m i g k e i t durch seinen Dienst weiter fortpflanze, so gebühre der R u h m nächst G o t t J o h a n n Schmidt. ( H . Lütkemann, J o a c h i m Lütkemann. Ein Gedenkblatt zu seinem 300jährigen Geburtstage, in: N K Z 19, 1908, 1 0 0 3 - 1 0 1 5 , 1 0 0 4 ) . Vgl. J . Wallmann, Spener, 6 f „ A n m . 19. - Wallmann charakterisiert Schmidt angesichts der zeitgenössischen Zeugnisse folgendermaßen: „Tatsächlich m u ß sich in der Gestalt J o h a n n Schmidts in einzigartiger Weise das Ideal lutherisch-orthodoxer Gelehrsamkeit mit dem Ideal ungeheuchelter Herzensfrömmigkeit verbunden haben. A b e r nun so, daß, im Unterschied zu J o h a n n Gerhard, den man einen frommen Gelehrten nennen wird, dessen W i r k u n gen überwiegend in das Feld der theologischen Gelehrsamkeit einfließen, J o h a n n Schmidt ein gelehrter F r o m m e r genannt werden muß, der seiner Wirkung nach in die Frömmigkeitsgeschichte des Luthertums gehört." ( a a O . , 7). - V o r allem von der Predigtweise Schmidts, dessen Predigten sich eines riesigen Zulaufs erfreuten, hat Lütkemann entscheidende Anregungen empfangen. In seiner R o s t o c k e r Antrittspredigt sagt er: „Ich wil lieber eine Seele sehlig machen/ als tausend gelehrt." (J. Lütkemann, Sonderbahre Predigten, Wolfenbüttel 1690, 14). Dieses M o t t o Lütkemanns verdankt sich vor allem der Frömmigkeit J o h a n n Schmidts. Zu Schmidt und Lütkemann s. auch H . Lütkemann, aaO., 1 8 f . 9 4 In den Pia desideria nennt Spener Schmidt seinen in Christo geliebten Vater ( P D , 6 9 , 9 f f . ) . Zu dem Verhältnis Schmidt - Spener und den anderen Straßburger Lehrern Speners, J . C . Dannhauer und Sebastian Schmidt, s. Wallmann, Spener, 91 ff. 9 5 Dies kritisch gegenüber der Darstellung bei J . Beste, der nur von einer zeitweiligen Vorliebe des Herzogs für die „mild-lutherische, herzlich f r o m m e Arndtsche R i c h t u n g " spricht. (Geschichte, aaO., 248). - A u c h die Deutung, die J . J . Berns der Zuneigung Augusts zur Arndtschen F r ö m m i g keit neben dem Calixtinismus gibt, erscheint mir zu abstrakt und die Hitzacker-Zeit Augusts zu wenig zu berücksichtigen (wenngleich hier auch noch manches im Dunkeln liegt, s. jedoch M . von Katte, Fürst und Gelehrter in Hitzacker 1 6 0 4 - 1 6 3 4 , Ausstellungskatalog H e r z o g August, a a O . , 71 ff.). Berns spricht von zwei Oppositionsformen gegenüber der strengen lutherischen O r t h o d o xie, denen August personalpolitisch und publizistisch Geltung verschaffte als G e b o t staatsmännischer Klugheit: „Denn hätte er sich voll und ganz auf eine Seite geschlagen, so hätte er damit seine landes- und reichspolitischen Aktionsmöglichkeiten eingeengt. E r hätte in Handlungszwänge geraten können, die seiner absoluten Position, die nur durch äquilibristischen Interessenausgleich zu erhalten war, gefährlich werden k o n n t e n . " ( J . J . B e r n s , Frömmigkeit und kirchl. Tradition, Ausstellungskatalog H e r z o g August, aaO., 349). H e r z o g August handelte gewiß in selbstbewußter Unabhängigkeit gegenüber den theologischen Richtungen seiner Zeit, wie er es schon vor der Berufung Lütkemanns bei Christian H o b u r g bewiesen hatte. (Vgl. zur Anstellung Christian H o burgs in B o r n u m bei Königslutter, einer unter landesherrlichem Patronat stehenden Pfarrstelle, M . Kruse, D e r mystische Spiritualist Christian H o b u r g ( 1 6 0 7 - 1 6 7 5 ) als lutherischer Pfarrer in B o r n u m bei Königslutter, in: J G N K G 69, 1971, 1 0 3 - 1 2 5 ; Ders., Speners Kritik, 1 4 1 - 1 7 3 . ) . A u c h H o b u r g war ein Anhänger J o h a n n Arndts und lobt H e r z o g August, er sei „ein sonderlicher Liebhaber Methodi Arndianae, und (habe) mit dem S. Mann Gottes J o h . Arndt weyland grosse vertrawliche Freundschafft gehalten." (Vorrede zu „Christ-Fürstlicher Jugend-Spiegel," den H o burg als Neujahrsgabe 1645 den Söhnen H e r z o g Augusts gewidmet hat, F r a n k f u r t / M . 1645, 10f.).

Braunschweig-Wolfenbüttel nach dem Dreißigjährigen Krieg

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Berufung Lütkemanns nach Wolfenbüttel nahelegten. Durch die Herzogin Sophie Elisabeth 96 , Herzog Augusts dritte Gemahlin, die als mecklenburgische Prinzessin in Verbindung mit ihrer Heimat stand, wurde August auf Lütkemann aufmerksam, der in Rostock gerade in einen schweren Konflikt verstrickt war 9 7 . Die Folge dieses Streites an der Rostocker Universität war schließlich, daß Lütkemann von dem lutherischen Herzog Adolph Friedrich von Mecklenburg zur Unterschrift unter zwei Reverse aufgefordert wurde, andernfalls er binnen acht Tagen Stadt und Land ohne sicheres Geleit verlassen müsse. Dem in seinem Gewissen Gebundenen war es nicht möglich, dieser Aufforderung nachzukommen. Doch schon kurz vor diesem herzoglichen Befehl war durch die Vermittlung der Brüder Johann und Heinrich Stern in Lüneburg an Lütkemann die Anfrage ergangen, ob er bereit sei, einer eventuellen Berufung durch Herzog August nach Wolfenbüttel zu folgen 98 . Nach längerer Bedenkzeit und einer wiederholten Anfrage erklärte Lütkemann seine Bereitschaft, in den Dienst Herzog Augusts zu treten 9 9 . Am 7. August 1649 erging die Vokation Herzog Augusts an Lütkemann zum Amt des obersten Generalsuperintendenten des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel 100 . Wir werden auf diesen Fürstenspiegel Hoburgs bei der Darstellung der Regentenpredigt Lütkemanns noch zurückkommen; offenbar sah Herzog August in der von Johann Arndt geprägten Frömmigkeitsanschauung eine seinen eigenen Intentionen besonders nahe kommende Möglichkeit, die persönlichen und institutionellen Dimensionen in seinem Selbstbewußtsein als christlich-frommer Fürst zu verwirklichen. 9 6 Zu der musikalisch und literarisch reich begabten, frommen Herzogin Sophie Elisabeth (1613-1676), Tochter Herzog Albrechts II. von Mecklenburg-Güstrow, s. jetzt Ausstellungskatalog Herzog August, passim. 9 7 In diesem Konflikt ging es um die spezielle Frage, ob Christus während seines Todes zwischen Karfreitag und Ostern wahrer Mensch gewesen sei oder nicht. Lütkemann verneinte dies in dem Sinne, in welchem er das Wesen des Menschen qualifizierte: die Existenz von Leib und Seele und die Form ihres Zusammenseins, ihre Einheit. Diese war bei Christus während seines Todes nicht gegeben. W e r behaupte, sie sei geblieben, müsse die Wahrheit des Todes Christi aufheben und zugleich lehren, Christus sei nur scheinbar gestorben. Dann aber ist auch die Erlösung nur eine scheinbare. U b e r diese, schon in der mittelalterlichen Theologie bekannte Argumentation und Fragestellung, über die in der lutherisch-orthodoxen Theologie vielfach gestritten wurde, vgl. die ausführliche Darstellung von H . Lütkemann, Joachim Lütkemann, aaO., 65ff., 2 5 7 f f . ; W . D i l they, Art. Lütkemann, in R E , ^Leipzig 1902, Bd. 11, 681 f. Vgl. Gottfried Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie, Schaffhausen 1741, Teil 2, Buch 17, Kap. 6, § 4 7 , 108f. 9 8 Diese Anfrage erging am 2. Juli 1649 über den Rostocker Buchhändler Joachim Wilcke, H . Lütkemann, aaO., 9 8 , 2 5 0 f.

In einem Schreiben vom 28. Juli 1649, s. H . Lütkemann, aaO., 98 f. 100 Abgedruckt bei H . Lütkemann, aaO., 9 9 f . - Am 16. August 1649, neun Tage vor dem ihn treffenden Ausweisungsbefehl aus Mecklenburg, nimmt Lütkemann in einem Schreiben an Herzog August die Vokation an und stellt sein Kommen um Michaelis in Aussicht. (H. Lütkemann, aaO., 101 f.). A m 15. September verließ er Rostock und hielt auf einem Hügel nahe der Stadt unter freiem Himmel eine denkwürdige „Valetrede", die Lütkemann kurz vor seinem T o d nach dem Zeugnis seiner Witwe zusammen mit seiner ersten und letzten Predigt in Rostock seiner geliebten Jakobigemeinde zugeeignet wissen wollte. In der Ausgabe von J . Lütkemann, Sonderbahre Predigten, Wolfenbüttel 1690, ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen, (dort 43ff.). Zu der „Valetrede" s. 99

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Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger Joachim Lütkemann

2. Joachim Lütkemann

als Hofprediger und Erbauungsschriftsteller hei Herzog August d.J.

Joachim Lütkemann stand im 41. Lebensjahr, als er nach Wolfenbüttel berufen wurde. A m 15. Dezember 1608 wurde er in Demmin in Pommern als Sohn eines Apothekers und Bürgermeisters geboren 1 0 1 . Nach dem Besuch der Schule in seiner Vaterstadt und Privatunterricht im Elternhaus ging Lütkemann zunächst 1624 an die Universität Greifswald, wo er sich vor allem physischen und metaphysischen Studien widmete 1 0 2 . Die Studienzeit Lütkemanns ist von immer mehr zunehmenden Kriegsunruhen begleitet; nach zwei Jahren wechselt er an das herzogliche Pädagogium in Stettin, eine derzeit angesehene Bildungsstätte, aus der viele bedeutende Gelehrte Pommerns hervorgegangen sind 103 . Für den geistigen Entwicklungsgang Lütkemanns und die Prägung seiner Persönlichkeit war der sich anschließende Aufenthalt an der Straßburger Universität von besonderer Bedeutung. Von 1629 bis 1634 1 0 4 studierte Lütkemann in Straßburg bei Johann Conrad Dannhauer und Johann Schmidt, jenen beiden bedeutenden Theologen des Straßburger Luthertums in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts, die gut zwei Jahrzehnte später auch die theologischen Lehrer Speners wurden 1 0 5 . Zwischen 1634 und 1636 unternahm er Bildungsreisen A. Tholuck, Lebenszeugen der lutherischen Kirche aus allen Ständen vor und während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Berlin 1859, 381 und H . Lütkemann, aaO., 103ff., 252. 1 0 1 Die biographischen Angaben entnehme ich folgenden Werken: P h . J . Rehtmeyer, Das Leben des seligen Herrn Joachimi Lütkemans, als Vorrede zu einer Ausgabe des „Vorschmacks göttlicher G ü t e " , Braunschweig 1 7 2 0 , 1 - 3 2 ; H . R . Märtens, Herrn Philipp Julii R e h t m e y e r s . . . Nachricht von den Schicksalen, Schriften und Gaben des um die Ev. Kirche Hochverdienten Theologen, D . J o achim Lütkemann(s), Braunschweig 1740; A. Tholuck, Das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts, Halle 1853/54, 2. Abt., 109ff.; H . Lütkemann, D . J o a c h i m Lütkemann, Braunschweig und Leipzig '1908 (auf diese, schon mehrfach herangezogene, aus älteren Quellen dargestellte Biographie sei besonders hingewiesen). Vgl. auch J . Beste, Geschichte, 248 ff. H . Lütkemann, aaO., 6 ff. O b der Wechsel von Greifswald nach Stettin durch die Kriegsunruhen oder privat verursacht ist, ist unbekannt. Es kam häufig vor, daß Studenten aus Greifswald, Rostock oder Frankfurt/Oder für einige Zeit nach Stettin kamen, um danach wieder an die Universität zurückzukehren. Im Stettiner Pädagogium bestand eine weitgehend akademische Lehrweise, es wurden Rhetorik, die alten Sprachen, Mathematik, Geschichte, Moral- und Naturphilosophie gelehrt sowie die biblischen Bücher ausgelegt. Lütkemann war in den Jahren 1628/29 in Stettin, bald danach kam Joachim Stoll ( 1 6 1 5 - 1 6 7 8 ) an das Pädagogium (1630). Ü b e r Stoll, der für Speners Arndtstudium in Straßburg wichtige Vermittlerdienste leistete, s. J . Wallmann, Spener, 49 ff. - Stoll war Schüler von Daniel Cramer (1568-1637), der wohl auch während des Studienaufenthaltes von Lütkemann in Stettin lehrte. Cramer schrieb sowohl ein Lehrbuch der aristotelischen Metaphysik wie eine „Biblische A u ß l e g u n g . . . " , Straßburg 1627, in der er die biblischen Bücher in einfacher Weise erklärt, s. zu Cramer, Wallmann, Spener, 49. Mit Cramer ist Herzog Augusts erste biblische Arbeit verbunden. 1624 gab er in Lüneburg die mit eigenen Zusätzen vermehrten Summarien und Kommentare heraus, die Cramer seiner 1619/20 erschienenen Ausgabe der Lutherbibel beigefügt hatte. 102

103

1 0 4 Am 1. Juli 1629 hat sich Lütkemann unter dem Rektorat des Theologieprofessors J . Froereisen an der philosophischen Fakultät der Universität immatrikuliert, (s. H . Lütkemann, aaO., 13). 105 Neben Dannhauer und Schmidt war auch J . G . D o r s c h e ( 1 5 9 7 - 1 6 5 9 ) theologischer Lehrer Lütkemanns in Straßburg; jenes Dreigestirn, auf das das Ansehen von Straßburgs theologischer

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durch Frankreich und Italien und kehrte danach wieder in seine Heimat zurück, um ab 1637 an der Universität Rostock seine Studien fortzusetzen 1 0 6 . Es waren vor allem philosophische Studien, die Lütkemann in Rostock beschäftigten, wie die Themen seiner Disputationen der Jahre 1638/39 zeigen 107 . Mit der Disputation „Über die Natur der Philosophie" vom 12. Juni 1639 nahm die philosophische Fakultät Lütkemann unter ihre magistri legentes auf. Im gleichen Jahr begann auch die reiche Predigttätigkeit Lütkemanns in Rostock, die er neben seinem Wirken an der Universität ein Jahrzehnt lang ausübte; im Herbst 1639 wurde er zum Archidiakon an St. Jakobi gewählt 108 . Vor allem als Prediger hat Lütkemann in Rostock nachhaltig gewirkt, nicht zuletzt durch tiefe Einflüsse auf seine Schüler Heinrich Müller, Christian Scriver und Johann Jakob Fabricius 109 . Die Rostocker Predigten Lütkemanns 1 1 0 , Fakultät zur Studienzeit Speners in der Jahrhundertmitte beruhte, begann zur Studienzeit Lütkemanns gerade seine reiche Wirksamkeit zu entfalten. Zu dem tiefen Einfluß Schmidts auf Lütkemann s.o., Anm. 93. Dannhauer nennt Lütkemann in seiner „Hodosophia Christiana seu Theologia Positiva in certam, plenam et cohaerentem methodum redacta...", Straßburg 1649, „ein Wunder von Menschen, weil er durch eine seltene Verbindung mit der höchsten Gelehrsamkeit die höchste Frömmigkeit vereinigte", mit Gregor von Nazianz lasse sich von ihm sagen, „ihn loben, heißt die Tugend selbst loben." (zitiert nach J . Beste, Geschichte, 248). Zu Dannhauer, s. J. Wallmann, Spener, 96 ff., vgl. auch H. Lütkemann, aaO., 13 ff. 1630 wurde Lütkemann in die Matrikel der candidati magisterii seu doctoratus philosophiae aufgenommen. Unter Dannhauers und Schmidts Vorsitz hielt er philosophische und theologische Disputationen. 106 Im November 1637 wurde Lütkemann unter dem Rektorat des Juristen J. Kleinschmidt als M.Joachimus Lütkeman, Demmino-Pomeranus in das Album der Universität eingetragen, (vgl. H. Lütkemann, aaO., 24). 107 Es ging um die Begriffe des Wahren und Guten, des Seins und des Nichtseins, vgl. H. Lütkemann, aaO., 25. 1 0 8 S. seine Antrittspredigt in Rostock über Mt 9,9-10, in der er sein Selbstverständnis als Prediger eindrücklich schildert: „Creutz und Anfechtung ist zwar allen Christen gemein/ insonderheit aber müssen dadurch geprobiret und geleutert werden/ Theologi/ Lehrer und Prediger. Das studieren allein macht keinen Theologum, sondern das Gebet und die Anfechtung." (Sonderbahre Predigten, aaO., 10). „Es sol uns das Leyden nicht frembd vorkommen/ unser vocation bringt es mit sich. W i r wollen auch nicht müde werden die Anfechtung zu erdulden." (aaO., 17). „Für das Creutz trag ich keinen Scheu/ dazu bin ich schon verhärtet. Für der Welt Ungunst und Spott trag ich keine S o r g . . . " (23). Der Gesamtton dieser Predigt klingt wie eine Vorausschau auf die mannigfaltigen Anfechtungen, die Lütkemann in Rostock erleiden mußte und die schließlich zu seinem Weggang führten. Zu dieser Zeit verheiratete sich Lütkemann mit der verwitweten Dorothea von Lewetzow. 109 Vgl H . L e u b e , Reformideen, 70f., über das Reformluthertum in Rostock im 17.Jahrhundert, 63ff.; s. auch H. Lütkemann, aaO., 23ff. 110 Von Lütkemanns Rostocker Predigten sind in dem Band „Sonderbahre Predigten", Wolfenbüttel 1690, folgende Predigten abgedruckt: Die Antrittspredigt in Rostock (1-24), die letzte, in Rostock gehaltene Predigt (25-43) und seine Valetrede (43^18), dazu drei Leichenpredigten (149-243). A u s der Rostocker Zeit lag mir noch eine besondere Predigt gegen die Trunkenheit vor: „Die Bestraffte Fastnachts-Lust," Goslar 1709. Diese Predigt ist ein eindrückliches Beispiel für die scharfe Sozialkritik Lütkemanns gegenüber allen Ständen. - Schließlich enthält das Predigthauptwerk Lütkemanns, seine „Apostolische Auffmunterung zum Lebendigen Glauben in Christo Jesu", Rostock und Frankfurt 1652, vor allem Predigten aus seinen frühen Rostocker Jahren.

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am Ende des Dreißigjährigen Krieges gehalten, zeigen einen Prediger, der in klarer, kräftiger und bildhafter Sprache den ganzen Ernst des Gerichts für alle sozialen Schichten einschärft, um einer echten, tätigen Christusnachfolge mit dem Evangelium von der vergebenden Liebe und Güte Gottes den Weg zu bahnen 111 . Die direkte, zupackende Predigtsprache, die auf fast alles gelehrte Beiwerk verzichtet, kann sich dabei oft mit einem tiefempfundenen, seelsorgerlichen Eingehen auf die konkreten Nöte der Hörer verbinden, wie es besonders Lütkemanns Leichenpredigten zeigen, die aus seiner Rostocker Zeit überliefert sind 112 . Neben der bildhaften Sprache und der seelsorgerlichen Einstellung auf 1 1 1 Ü b e r die Predigtsprache Lütkemanns äußert sich A . T h o l u c k geradezu begeistert: „Wir kennen keinen Prediger in diesem Jahrhundert, dessen Predigten, in dem Grade von homiletischen Auswüchsen und Geschmacklosigkeiten frei sind, mit solch edler Frömmigkeit und solchem biblischen Ernste das Evangelium predigte." (Das kirchliche L e b e n des 1 7 . J a h r h . , I I , 113). Sogar über J o h a n n Schmidt und Andreae stellt er Lütkemann: „ N o c h höher steht Lütkemann, der nach G e s c h m a c k und Geist den besten neueren Mustern nahe k o m m t . " (Lebenszeugen, 382). A u c h Dilthey rühmt die schlichte Predigtart Lütkemanns, „in einem für jene Zeit bewundernswerten D e u t s c h . " (Art. Lütkemann, in R E 3 , Leipzig 1902, Bd. 11, 682). K . H o l l stellt die an Luther geschulte Sprache Lütkemanns heraus. „Leute wie Großgebauer und Lütkemann schreiben ein vortreffliches, ein wirkliches Deutsch. H i e r ist Bildhaftigkeit des Ausdrucks, Gefühl für deutschen Satzbau, Lebendigkeit der Gedankenentwicklung - lauter Dinge, die man im sonstigen Schrifttum der Zeit vergeblich sucht. Wie sticht das Deutsch von Leibniz dagegen a b ! " ( D i e Bedeutung der großen Kriege für das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des Protestantismus, Ges. Aufs, zur K G I I I , Tübingen 1928, 3 0 2 - 3 8 4 , 3 3 1 . ) .

F ü r die drastische Sprache Lütkemanns und seine schonungslose Kritik gegenüber dem gesellschaftlichen Grundübel seiner Zeit, der Trunksucht in allen Ständen, bietet die Predigt über die bestrafte Fastnachtslust besonders reiche Anschauung. Die maßvollen Lebensfreuden finden durchaus sein Verständnis, insbesondere die M u s i k : „Die Musica ist nützlich und schicket sich wol zum G o t t e s dienst/ wann man sie mit Davids Hertzen g e b r a u c h e t . . . so sie aber zu fleischlicher Wollust gezogen wird/ das ist nicht wol gethan." (aaO., s . A n m . 110, 10). I m Gericht Gottes aber findet die große Abrechnung für die Säufer und Schlemmer statt: „ D a folget dan daß nicht allein der gemeine Pöbel für Hunger und D u r s t verschmachtet; sondern auch die Gewaltigen/ die vorhin haben prächtige Pancketen angestellet/ müssen H u n g e r = Leider werden. Ich meyne wir haben dieses in gantz Teutschland wol erfahren; da die H o h e n gebücket/ und die Niedrigen bey viel tausenden verschmacht darnieder gefallen. D o c h ist das nicht genug/ es m u ß auch die H ö l l e ihre Seele weit aufsperren/ und den Rachen aufthun ohn alle M a ß e / daß hinunter fahren beyde die Herrlichen und P ö b e l / beyde ihre Reichen und Frölichen." ( a a O . , 14). An der Erniedrigung und Demütigung besonders der J u n k e r erkennt man Gottes Gerechtigkeit (16). Sie aber fahren fort wie Menschen, die sich „so voll freßen und sauffen/ daß kein Bißlein mehr hinein will/ und sie so rund und bund werden daß sie weder gehen noch stehen k ö n n e n . " (19). „Wehe denen so Helden sind Wein zu sauffen/ und Krieger in V ö l l e r e y . . . Aber den A r m e n und Dürfftigen helffen sie nicht." (22). Wenige J a h r e vor Lütkemann kam J o h a n n Balthasar Schupp nach R o s t o c k (als Magister legens 1631), um allerdings bald darauf nach Marburg und später H a m b u r g (ab 1649) zu gehen. Mit ihm läßt sich die drastische, das soziale Gewissen aufrüttelnde Predigtsprache Lütkemanns am E n d e des Dreißigjährigen Krieges wohl am ehesten vergleichen, wenn auch im T o n wie in der K o n k r e t i o n (Schupp nahm am Wirtschaftsleben seiner Zeit eine viel stärkere Anteilnahme als Lütkemann) nicht geringe Unterschiede bestehen. Vgl. zu Schupp, H . Leube, Reformideen, 80 ff. und H . W a l z , Wider das Zechen und Schlemmen. Die Trunkenheitsliteratur des 17. Jahrhunderts, in: Daphnis, B d . 13, H e f t 1 - 2 (1984), 1 6 7 - 1 8 5 . 112

So z . B . in der Vorrede zu der Leichenpredigt auf den Studenten Heinrich B r o k e s aus dem

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seine Hörer beruht die Wirkung der Predigten Lütkemanns vor allem auf seiner drastischen Paränese. Der paränetische Grundzug kontrastiert das innere Leben des Glaubens schroff mit allen äußerlich-welthaften Lebensbezügen, so daß zusammen mit dem allseits gegenwärtigen Todes- und Vergänglichkeitsbew u ß t s e i n - d a s „Weltliche" einen theologisch abwertenden Klang erhält 1 1 3 . Wir werden diesen für Lütkemann und seine Zeitgenossen charakteristischen A k zent in der Predigt, der die Angelegenheit der Welt keineswegs als gleichgültig betrachtet, im Auge behalten müssen, wenn wir die Aussagen in seiner politischen Predigt bedenken. Seine Obrigkeits- und Sozialkritik wird man nur im Zusammenhang mit seiner theologischen Abwertung des „Weltwesens" als

Jahre 1644, in der Lütkemann auf die Trauer des Vaters, eines Bürgermeisters in Lübeck, ausführlich eingeht und ihn mit Beispielen biblischer Trauererfahrung und der Auferstehungshoffnung zu stärken versucht. (Sonderbahre Predigten, 149-154). - Die folgende Leichenpredigt über Galater 2,20 zeigt den Zusammenhang von Sünde, Tod und Gericht auf, um sodann den Tod Christi als Bezahlung für unsere Sünden und das Leben durch den Glauben an Christus zu verkündigen. Die Wiedergeburt im Glauben an Christus ist hier in das Rechtfertigungsgeschehen ganz hineingenommen. Die Predigt steht durchaus auf dem Fundament lutherischer Rechtfertigungstheologie, aber die reformatorische Spannung zwischen dem Leben im Glauben und dem Leben in der „Welt" verwandelt sich in scharfe Antithetik: „So lasset nun nicht zu/ daß der Satan durch die verführische Welt/ euch einen blauen Dunst für die Augen mache/ und euch den guten Sinn den ihr durch Christum in der Tauffe empfangen/ schwäche und verderbe/ haltet das nicht für das rechte Leben/ daß die Welt führet/ Augen-Lust/ Fleisches-Lust/ hoffärtiges Leben/ ob es schon ein fein Ansehen hat/ und euch erfreulich ist. Der rechte Sinn in Christo erkennet wol/ daß dieses alles todt Ding i s t . . . " „wer in der Welt lebet/ der lebet nicht in Christo. Denn daß Leben des Fleisches/ und das Leben des Glaubens stossen sich einander umb." (aaO., 185). - In der Ausdeutung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen berührt sich Lütkemann eng mit Johann Arndt (in dieser Leichenpredigt z.B. 163). Im Gegensatz zu Großgebauer hält Lütkemann an der Lehre von der Taufwiedergeburt fest. 113 Besonders deutlich in der Leichenpredigt über Psalm 90 auf den fürstlich-mecklenburgischen Landrat und ehemaligen Kanzler unter der Wallensteinschen Regierung in Mecklenburg, Gebhard von Moltke, 1645, aaO., 189ff. - Die Leichenpredigt auf den Studenten Conrad Fincken von 1647 hat den Titel „Vom blauen Dunst der Welt", in der den Gläubigen „die greuliche Verführung und schändlichen Betrug des Weltwesens" ausführlich als das Werk des Satans ausgemalt wird. (aaO., 214 ff., 223). Vor allem „den grossen Herren" hält Lütkemann ihre eingebildete, närrische Reputation vor Augen: „Ihr grossen Herren wollet ja weise seyn/ und alles besser wissen als unser Herr Gott. Denn was Gott von euch fodert/ ist euch lauter Thorheit; ich wil euch aber/ lieben Herren/ nicht verhelen/ daß der Fürst dieser Welt mit einen blauen Dunst eure Augen beschmitzen/ daß ihr für Thorheit achtet/ was Gott mit seinem Befehl geheiliget hat. Darumb gebe ich euch den R a h t . . . werdet Thoren in der Welt/ und lasset fahren die eingebildete närrische Reputation, so werdet ihr recht weise werden; geschieht solches nicht/ so sage ich euch ihr seyd Thoren und bleibet Thoren." (233). - Auch in den Leichenpredigten aus der Wolfenbütteler Zeit Lütkemanns bleibt dieser Grundton vorherrschend. In der Leichenpredigt auf den Obristen Wilhelm Weinbach von 1650 kontrastiert er scharf die Lust in Christo mit der Weltlust: „So du dich nur ein wenig vertieffest in weltlichen Händeln und Geschäften/ wird das Hertz leichtlich verunruhiget/ und von der himmlischen Liebe gezogen." (244ff., 254). Der obrigkeitskritische Akzent tritt immer wieder hervor: „Erhebet euch nicht zu sehr/ ihr Könige und Richter auff Erden/ daß ihr hie Kronen traget/ was soll euch die vergängliche/ befleckte und verwelckliche Krone/ so ihr nicht gelanget zu der unvergänglichen/ unbefleckten/ und unverwdicklichen." (262).

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eines „Schattenwerkes" recht verstehen können 114 . Im Jahre 1643 wurde Lütkemann zum Professer der Physik und Methaphysik an der Universität Rostock ernannt. Ab Herbst 1646 erhielt er auch von der theologischen Fakultät die Erlaubnis, theologische Vorlesungen zu halten, nachdem er an der theologischen Fakultät der Universität Greifswald das examen rigorosum bestand und pro licentia disputierte. Unmittelbar darauf wurde er für das Jahr 1647 zum Rektor magnificus der Universität gewählt. Am 27. September 1647 erwarb Lütkemann an der Universität Greifswald den theologischen Doktorgrad mit der Disputation „de baptismo" 115 . Auf die Rostocker Jahre im Doppelamt als Prediger und Universitätsprofessor hat Lütkemann bis zum Ende seines Lebens dankbar zurückgeblickt 116 . Im Herbst 1649 trat er nun in die Dienste Herzog Augusts, der selbst seine Studien an der Rostocker Universität begonnen hatte und Rektor der Universität gewesen war 117 . Schon bald nach Lütkemanns Amtsantritt in Wolfenbüttel wurde deutlich, wie gut sich das gegenseitige Einvernehmen zwischen dem Herzog und dem neuen obersten Geistlichen des Landes gestaltete. Am 25. September 1649 schrieb Herzog August an Andreae: „Diese Tage ist D. Joach. Lütkemann wol angelangt, Gott helfe ihm weiter. Künftigen Samstag wird er die erste Predigt allhie verrichten und folgenden Tages werden ihm die 4 generales und 14 speciales superintendentes in Wolfenbüttel angewiesen werden, Gott gebe ihnen allen seines Geistes Kraft." 1 1 8 Offenbar haben bereits die ersten Predigten Lütkemanns am Wolfenbütteler Hof auf Herzog August einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er an Herzog Adolph Friedrich von Mecklenburg seinen besonderen Dank für die Überlassung dieses Theologen abstatten ließ „mit Bitte, wann Ihro Liebden mehr solcher Männer hätten, Sie selbige Ihro nur wolten zukommen lassen." 119 Aber nicht nur die Predigten, auch ein deutliches Eintreten für die Kirchenharmonie, an der dem Herzog so viel gelegen war, haben Lütkemann das besondere Wohlwollen Augusts eingebracht. Es sollte seine ganze Wirksamkeit als Oberhofprediger und oberster Generalsuperintendent in Wolfenbüttel be114

Vgl. die Leichenpredigt auf Gebhard von Moltke, aaO., 212. Lütkemann war somit an der Universität Rostock Philosophieprofessor, zeitweise Dekan der philosophischen Fakultät und Rektor, dem es auch gestattet war, theologische Vorlesungen zu halten. Zu den akademischen Ä m t e r n in Rostock vgl. H . Lütkemann, aaO., 58 ff. 116 Vor allem war er mit seiner Gemeinde St. Jakobi bis zuletzt verbunden, vgl. A n m . 100. 117 Vgl. M. von Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre 1579-1603 im Ausstellungskatalog H e r z o g August, a a O . , 4 9 f f . , 5 9 f . 118 Zitiert nach H e n k e , Calixt, Bd. II, 2. Abt., 55, A n m . 2. Vgl. auch J. Beste, Geschichte, 249f. und H . Lütkemann, aaO., 110. Andreae antwortet am 10. O k t o b e r 1649: „Gott gebe dass durch ihn viel Gutes geschafft, vornehmlich aber consonantia doctrinae ad F. C. erhalten." (Henke, aaO.). Seine erste Predigt hielt Lütkemann am Michaelistag 1649 in der Marienkirche B . M . V . , am folgenden Mittwoch predigte er in der Schloßkapelle, „zum großen Vergnügen der Fürstlichen und anderer Zuhörer." (Rehtmeyer, Das Leben Lütkemanns, aaO., 19). 119 Rehtmeyer, aaO., 19, vgl. auch Beste, aaO., 250 und H . Lütkemann, aaO., 111. 115

Hofprediger und Erbauungsschriftsteller

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gleiten. Die Art und Weise, in der sich Lütkemann zu Beginn seiner Wolfenbütteler Zeit in einem vom Herzog angeforderten Gutachten über seine Kirchenharmonie äußert, läßt auch erkennen, in welcher Weise er sein amtliches Wirken als Hofprediger verstanden wissen wollte. Das als Widerlegung der Einwände der Leipziger theologischen Fakultät 1 2 0 von Lütkemann erstellte Gutachten vom 20. November 1649 1 2 1 tritt für Erbauung auf der Grundlage des Wortes Gottes und Bekanntmachung der ganzen Bibel durch die liturgischen Lesungen im Gottesdienst ein. Diesem berechtigten Ziel diene allein die landesherrliche Kirchenharmonie: „Ists denn Sünde, ausserhalb des blossen Wortes etwas anderes und zur Erbauung dienendes fürm Altar ablesen?" Auf den Einwand, daß dies zwar gestattet sei, aber in der Kirche seit altersher die evangelischen und epistolischen Texte als reines Wort Gottes verlesen würden, fragt Lütkemann kritisch gegenüber den selbsternannten Zensoren in Leipzig und Wittenberg zurück: „Hat ein evangelischer Fürst nicht Macht in diesen ceremonialibus eine nützliche erbauliche Veränderung zu machen? Was sollts verhindern dass dieselben Texte etwas deutlicher ausgeführt gelesen werden, wie in der Harmonia geschieht?... Was sollts verhindern dass anstatt derselbigen Texte andere Capita ordentlich ex libris biblicis gelesen würden wie in Frankreich? welches meines Erachtens kein ungereimtes Ding, denn auf solche Weise der Gemeine die Bibel bekannt gemacht wird, unter welcher viele sein die nicht wissen was die Bibel ist, auch nicht, daß die Evangelia oder Episteln aus der Bibel genommen sein." 1 2 2 Die „deutlicher ausgeführte" Lektüre und Kenntnis der Bibel, die Lütkemann mit der Kirchenharmonie Herzog Augusts befördert sah, wollte er seinerseits durch Predigten und Erbauungsschriften, durch theologische Lehre und Seelsorge zu stärken versuchen, so daß die Harmonie in der Verfolgung des gleichen Zieles zwischen Landesherr und Hofprediger - wenn auch in unterschiedlicher Weise - von Anfang an einen tragfähigen Grund hatte. Die von tiefer Dankbarkeit und Hochachtung geprägte Beziehung Lütkemanns zu Herzog August, die keine Spuren von Servilität trug, gründete vor allem in der gemeinsamen Ausrichtung auf die Beförderung der Gottseligkeit. 120

Leipziger Gutachten v o m 2 4 . 1 1 . 1 6 4 6 , vgl. 1. Abschnitt, A n m . 80.

Das handschriftliche Original konnte ich nicht einsehen; Henke, aaO., 55f. bringt daraus einige Auszüge. 121

1 2 2 Henke, aaO., 55 f., A n m . 3. - Diese Aussagen Lütkemanns zeigen deutlich, wie auch noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts die Bibel kein Jedermannsbuch ist. „Erst der Pietismus hat die Bibel in die Häuser gebracht." (J. Wallmann, H e r z o g August, aaO., 15). Darüber hinaus bekräftigt Lütkemann hiermit das Selbstverständnis H e r z o g Augusts, der die Einführung der Kirchenharmonie in den öffentlichen Gottesdienst zweifellos mit seinem summepiskopalen ius liturgicum begründete. (Vgl. unsere Darstellung oben und 1., Anm. 79). Henke sieht eine Distanz zwischen Lütkemann und H e r z o g August („nicht ganz befriedigt durch die Art wie H e r z o g August reformirte", aaO., 55, A n m . 2 ) , die u . E . nicht zu erkennen ist. - Uber die scharfe Kritik der Leipziger an der Veränderung des Luther-Deutsch in der Kirchenharmonie hat Lütkemann nur Spott übrig: „Die Fürsten haben ius episcopale, aber die academici zu Leipzig und Wittenberg das ius papale." (Henke, aaO., 55f., Anm. 3).

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Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger Joachim Lütkemann

Daß der Fürst sich sein Leben lang vor allem mit solchen Büchern beschäftigt hat, die einen Menschen zur Gottseligkeit führen, darin sieht Lütkemann den besonderen Erweis der Gnade Gottes. Die Kirchenharmonie des Herzogs ist ihm ein deutliches, bleibendes Zeugnis dafür. In der Dedikation zu seinem großen Predigtwerk, der „Apostolische(n) Auffmunterung zum Lebendigen Glauben in Christo Jesu", das Lütkemann im Jahre 1652 herausgab 123 und Herzog August und der Herzogin Sophie Elisabeth widmete 1 2 4 , kommt diese, in einer ähnlich gestimmten Frömmigkeit wurzelnde Beziehung Lütkemanns zu Herzog August und seiner Gemahlin mit begeisternden Worten zum Ausdruck: „Es fliessen Gott Lob die Ströme deß lebendigen Wassers von E.E.F.F. Gn. Gn. Fürstlichen Leibern/ mit solchem Geräusch und Geruch das Teutschland damit erfüllet ist/daß sie eben dieser Auffmunterung nicht von nöthen haben/dennoch eben darum weil ich weiß/daß durch Gottes Gnade die Quelle deß Lebens in E.E.F.F. G n . G n . Gemüthern sich reget und beweget/bin ich gewiß/daß auch diese Auffmunterung... E. E. F. F. Gn. Gn. nicht werde unangenehm seyn/als welche mit fleissiger Lesung und Betrachtung solcher Bücher/ so einen Menschen zur Gottseligkeit leyten/ihr Lebe lang viel umbgangen/unnd sich darinn sonderlich belüstiget haben. Die Evangelisch Kirchenharmonia wirdt davon zeugen/so lang die Welt stehet/unnd köndte wol ein mehrers

123 Apostolische Auffmunterung zum Lebendigen Glauben in Christo Jesu: Nach dem Sinn und Anleytung der gewöhnlichen Episteln durch Gottes Gnade in öffentlichen Predigten angestellet (Th 1 und 2), Frankfurt und Rostock 1652, Joachim Wilden. Signatur: 148.15 Theol. H A B Wolfenbüttel. Diese Erstausgabe enthält eine handschriftliche und gedruckte Widmung (lateinisch und deutsch) an Herzog August sowie einen eingeklebten Brief Lütkemanns an ihn vom 6. Juli 1652: „aus unterthäniger Lieb, Treue und Dankbarkeit übergebe ich dieses in tiefster Demut." - Diese Epistelpredigten Lütkemanns haben im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche Auflagen erlebt, vgl. die Aufstellung von H. Lütkemann, aaO., 267f., der für die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts sieben und für das 18. Jahrhundert insgesamt achtzehn Auflagen ermittelt. Die Ausgabe Frankfurt und Rostock 1668 enthält die Zuschrift Heinrich Müllers. Rehtmeyer spricht in seinem Leben Lütkemanns, 1720, von der Verbreitung dieser Epistelpredigten: „ . . . womit die Druck-Pressen an verschiedenen Orten bisher so oft beschäftiget gewesen." (aaO., 32). Im 19.Jahrhundert wurden sie unter Heinrich Müllers Namen im Rauhen Hause zu Hamburg ab 1847 bis 1882 verschiedentlich aufgelegt; 1862 hat F . W . Bodemann die Epistelpredigten Lütkemanns in Neu-Ruppin herausgegeben (m. E. die letzte Gesamtausgabe). 124 Der erste Teil ist Herzog August und der Herzogin Sophie Elisabeth, der zweite Herzog Christian von Mecklenburg und der Herzogin Christina Margaretha gewidmet. Der Anstoß zur Veröffentlichung der Predigten Lütkemanns geht vor allem auf die Herzogin Sophie Elisabeth zurück. Er spielt darauf in der Dedikation mit bescheidener Zurückhaltung an: „Ich köndte noch etwas anders herfür bringen/ daß mich anfänglich zu diesem Fürnehmen bewogen: Aber ich verschweige es/ damit es nicht das Ansehen habe/ als wolte ich mich selbst rühmen/ da ich doch nur das Lob meines Gottes zu rühmen begierig bin." (Dedikation, 11). Aus der Dedikation geht ferner hervor, daß Lütkemann in dem einzigen, von ihm herausgegebenen Predigtband vor allem seine Rostocker Predigten aus der Anfangszeit veröffentlich hat. - Sein Sohn Anastasius Lütkemann hat aus dem Nachlaß noch eine weitere Predigtsammlung herausgegeben mit dem Titel: Evangelische Aufmunterung zum lebendigen Glauben in Christo Jesu, Hannover und Wolfenbüttel 1699 und 1712.

Hofprediger und Erbauungsschriftsteller

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sagen/wann es mir wol anstünde." 1 2 5 Lütkemann sah in der Frömmigkeit Herzog Augusts die Gnade Gottes wirken; durch seine Berufung nach Wolfenbüttel und die ihm zuteil gewordene besondere Gunst des Herzogs hatte er sie auch ganz persönlich erfahren dürfen. Im Rückblick auf die schweren persönlichen Anfeindungen während der Rostocker Streitigkeiten, aus denen er durch den Ruf Herzog Augusts wunderbar befreit wurde, preist er ein Jahr nach seinem Dienstantritt in Wolfenbüttel den Herzog als ein Werkzeug Gottes 1 2 6 und verfaßt verschiedene lateinische Epigramme auf ihn 1 2 7 . Herzog August betraute seinen neuen Hofprediger auch sehr bald mit ehrenvollen Amtshandlungen in der eigenen Familie. Am 10. November 1650 hielt Lütkemann die Traurede bei der Vermählung des Erbprinzen Rudolph August mit der Gräfin Christiana Elisabeth von Barby und Mühlingen 128 . In den Mittelpunkt dieser Festpredigt stellt er das Leben in der Gottseligkeit, bei dem allein der göttliche Ehesegen gedeihen kann. Wie aber steht es damit bei Fürsten und Herren? Den obrigkeitskritischen Ton hält Lütkemann auch bei einer solchen höfischen Festpredigt nicht zurück: „Wie sollen nun Fürsten und Herren sich verhalten/daß der gewünschte Segen bey ihnen und ihren Nachkommen klebe? Kürtzlich/an der Gottseligkeit ist alles gelegen... Es wird leyder nirgends weniger Gottsehligkeit gefunden/als bey den Hohen und Gewaltigen/die schämen sich wahrer hertzlicher Gottsehligkeit." 1 2 9 Mit Mahnungen und Verheißungen aus den Psalmen versucht er den Weg zur wahren 1 2 5 Dedikation vom 20. Januar 1652 (14f.). Lütkemann stand besonders der frommen H e r z o g i n Sophie Elisabeth und ihrer Lied- und Gebetsdichtung nahe. V o n hier aus sah er auch die Bibelarbeiten H e r z o g Augusts, die jedoch von ihrer Intention her über den privaten Frömmigkeitsbereich hinausdrängten, wiewohl sie selbstverständlich nicht von diesem losgelöst gedacht werden dürfen. 1 2 6 In der Dedikation seiner Schrift „ D e vero homine, dissertatio physico-theologica", W o l f e n büttel 1650 an H e r z o g August. I m Anhang: „ D e mundo intelligibili, exercitatio académica" und „ D e paradiso, primi hominis habitáculo primo, exerc. academ". Letztere Schrift ist in deutscher Ubersetzung in J o h a n n Arndts sonderbare Schriften zum wahren Christentum gehörig eingegangen. (Frankfurt und Leipzig 1698, s. 1. Abschn. A n m . 8). - In dieser Schrift faßt Lütkemann noch einmal die R o s t o c k e r Streitfrage zur Rechtfertigung seiner O r t h o d o x i e zusammen, vgl. H . Lütkemann, a a O . , 9 5 f . , 112, 2 5 6 f f . D i e lateinische Dedikation an H e r z o g August beginnt mit folgenden W o r t e n : „Per D e i gratiam jam annum transegi in Sereniss. Tuae Celsitudinis servitio, clementiam nihil sensi imminutam, sed augmenta cepisse in dies. Dei id opus esse profiteor. N u n q u a m intueor Celsitudinis tuae faciem tarn serenam quam Augustam, quin divinam intus laudem providentiam, quae sola tanti Principis mihi conciliavit gratiam. N u m q u a m Tuae Clementiae solatio fruor, quin in propensa tua benignitate superni amoris r e c o r d e r . . . " (3f.). 1 2 7 S. M . G o s k y , Arbustum vel A r b o r e t u m Augustaeum, Aeternitate ac domui Augustae Selenianae s a c r u m . . . , Wolfenbüttel 1 6 5 0 , 1 8 9 , 385, 5 4 0 ; vgl. auch H . Lütkemann, aaO., 2 5 5 f . 1 2 8 „Fürstlicher E h e = S e g e n / Das ist: Ein H o c h z e i t = S e r m o n / G e n o m m e n auß dem Hochzeitlichen W u n s c h so über die wunderbahre Heiraht des gottfürchtigen Isaacs/ und der Holdsehligen Rebecca außgesprochen im 1. B u c h Mosis am 2 4 / 6 0 . " (Sonderbahre Predigten, 95ff.). 1 2 9 A a o . , 105. Dabei formuliert Lütkemann knapp das Wesen der Gottseligkeit: „ G o t t fürchten/ und auff seine G ü t e hoffen/ ist die rechte Gottsehligkeit." (ebd.). „Denn Gottesfurcht ist der G r u n d aller Glückseligkeit. Kein R e i c h t h u m / kein Ansehen/ keine Freundschafft/ hat die Verheissung der wahren Glückseligkeit/ aber von der Gottesfurcht ist gesagt: Sie ist zu allen Dinge nütze/ und hat die Verheissung dieses und des zukünfftigen L e b e n s . " (aaO., 110).

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Braunschweig und L ü n e b u r g : H o f p r e d i g e r J o a c h i m L ü t k e m a n n

Gottseligkeit aufzuzeigen, wobei er auch auf das Wort aus dem 37. Psalm V. 34 hinweist, das die Textgrundlage für seine spätere Regentenpredigt von 1655 wurde 1 3 0 . Daß Lütkemann als Hofprediger auch ein bedeutender Erbauungsschriftsteller ist, wird besonders an einer Traupredigt sichtbar, die er anläßlich der Vermählung des Herzogs Manfred zu Württemberg mit der Gräfin Juliana zu Oldenburg am 31. Oktober 1652 in der Wolfenbütteler Schloßkirche gehalten hat 1 3 1 . Die Predigt berührt sich in ihrer knapp-klaren und doch zugleich erbaulich-hymnischen Sprache mit einigen der zahlreichen Betrachtungen aus seinem Erbauungsbuch „Vorschmack göttlicher Güte", das im Jahre 1653 in Wolfenbüttel zuerst erschien 132 . Die fürstliche Vermählung ist ihm ein Anlaß, nicht ohne kritischen Blick auf die „eusserliche Lust und Ergetzlichkeit" einer solchen Feier ein anschauliches Bild allein von der „wunder-herrliche(n) Pracht einer geistlichen Vermählung" zu zeichnen 133 . Ausgehend von der Textstelle Epheser 5,32 leitet Lütkemann die Beschreibung dieser Vermählung mit den Worten ein: „Wer Braut und Bräutigam ist/ist unnöthig zu sagen/ihr wissets daß es Christus ist und seine Gemeine." 1 3 4 Im Geist bernhardinischer Frömmigkeit wird jedoch die ganze Predigt sogleich zu einem einzigen Lobgesang auf die innige Verbindung zwischen Christus und der gläubigen Seele. In drei Schritten entfaltet Lütkemann die alle äußerlich-welthaften Vorstellungen umkehrende, letztlich unaussagbare göttliche Liebe in der geistlichen Hochzeit: Die Hinneigung des unendlichen Königs aller Welt auf die nichtige, verderbte Kreatur, sein Liebeswerben um die abtrünnige Seele. Sodann ihre neue göttliche Schönheit, die Verwandlung der armen Seele in eine Königin, angetan mit dem Glanz Christi, nachdem der Bräutigam bei der gläubigen Seele Einzug hielt. Der 1 3 0 „ H a r r e auff den H e r r n / und halt seinen W e g / so wird er dich erhöhen/ daß du das L a n d erbest/ du wirst sehen/ daß die G o t t l o s e n außgerottet w e r d e n . " ( a a O . , 106). D i e Predigt klingt mit einem zuversichtlichen Segenswunsch auf das fürstliche Paar aus und auf den „ a u f f w a c h s e n d e n A u g u s t u s - B a u m . " ( a a O . , 1 1 6 ) . - I m J a h r e 1653 wurde die Tochter H e r z o g A u g u s t s , C l a r a A u g u s t e , mit d e m H e r z o g Friedrich von W ü r t t e m b e r g - N e u s t a d t vermählt. A u c h hierbei hielt L ü t k e m a n n die Traupredigt, in deren Mittelpunkt die Darstellung eines von Gottseligkeit erfüllten H a u s e s steht: „ D a s gesegnete H a u ß / A u s d e m A n f a n g des 112. P s a l m s , " 7. J u n i 1653, Wolfenbüttel 1653. Signatur: D a 585 H A B Wolfenbüttel. 1 3 1 „ D i e L u s t und Pracht einer Fürstlichen doch geistlichen V e r m ä h l u n g , " Sonderbahre Predigten, 117ff. 1 3 2 V o r s c h m a c k göttlicher G ü t e , A u s g a b e Leipzig 1872, 2. Teil, N r . 15. V o n der Vereinigung der Seele mit G o t t , 4 1 9 f f . , 4 2 5 , 4 3 2 u n d N r . 16 V o n der gläubigen Seele Schönheit, 4 3 4 f f . , 4 4 0 , 4 4 6 f . 1 3 3 In A n l e h n u n g an das Evangelium des T a g e s M t 22,2 ff. und Epheser 5 lenkt L ü t k e m a n n zu dieser geistlichen Vermählung hin, nachdem er z u v o r den Unterschied zwischen einer heidnischen und einer christlichen E h e herausgestellt hat. In einer christlichen E h e verehelichen sich die Christen im H e r r n , sie ist eine geistliche Vermählung, die durch das W o r t G o t t e s und das G e b e t geheiligt wird. ( a a O . , 118 f.). L ü t k e m a n n will somit das fürstliche Brautpaar und die Festgemeinde auf das Wesen einer christlich geführten E h e hinweisen. Er wendet das Allgemein-Gültige auf den besonderen Fall an, wobei die Gegenüberstellung der äußerlich-fürstlichen Pracht mit der innerlichgeistlichen Vermählung und Liebe als kritische H e r a u s f o r d e r u n g die ganze Predigt durchzieht. 134

A a O . , 120.

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Höhepunkt ist die unaussprechliche, nur zu empfindende gegenseitige Liebe in der geistlichen Vermählung 135 . Wir sehen in dieser Predigt ein besonders charakteristisches Beispiel für die Frömmigkeit Lütkemanns, die nicht nur in eigenen Erbauungsschriften 136 , sondern gerade auch in seinem amtlichen Wirken als Hofprediger zum Ausdruck kommt. Im Mittelpunkt dieser Frömmigkeit steht das staunend-demütige Betrachten der Liebe und Güte Gottes, der Lobpreis auf seine Gnade und Barmherzigkeit, die sich unentwegt dem verlorenen und liebensunwerten Menschen zuneigt. Das Ziel der göttlichen Liebe ist das ewige Heil für die menschliche Seele. Dies ereignet sich, wenn die Seele Christus, die angebotene Gnade Gottes, wie einen lang erwarteten Bräutigam in Glaube und Liebe aufnimmt. Der Ausgang des Sohnes vom Vater geschah allein darum, „daß Christus der Seelen... möchte anhangen." 137 Die Freude über das Heil für die Seele, ihre Erlösung, wird mit Bildern der Brautmystik umschrie135 Für diesen Dreischritt in der Bewegung der geistlichen Vermählung zwischen Christus und der gläubigen Seele gebe ich einige Textbeispiele: 1. „Das ist nun zuvorauß zu verwundern in der geistlichen Vermählung/ daß der unendlicher König aller Welt/ sich hat verlieben können an so eine nichtige verderbte Creatur... Wo hat man jemahls gehöret/ daß ein mächtiger/ verständiger Herr sich solte verlieben/ in ein geringes/ nichtswürdiges/ heßliches/ unzüchtiges Weibesstück?... Wie brennt er gegen die abtrünnige Seele? Wie arbeitet er umb ihr? Wie geht er ihr nach/ und versucht auff allerley weise sie zu seiner Liebe zu bringen? Wie schmücket er sich aber seiner Liebsten zu gefallen? Wie stavirt er sich? von Herode läßt er ihm anziehen ein weisses Kleid/ von Pilato läst er ihm anlegen den roten Purpur Mantel/ dieses läst er alles verschammeriren mit den gülden Schnüren seines Blutes/ an seinem Leibe ist er umgeben mit den Ketten vieler Striemen/ an seinen Händen und Füssen läst er sehen köstliche Handschue und Stiefeln/ nemlich die Nägelmahl an Händen und Füssen/ auff seinem Hertzen traget er das Kleinod einer tieffen Wunden/ und sein Haupt läst er kröhnen mit einer Dornen Krohn/ das laß mir seyn ein wol außgestafirten Bräutigam." 2. „So bist du nun eine Königin/ du gläubige Seele/ und eine reiche Königin... Wer kan aber den Reichthum des Himmels begreiffen?... Sie ist nicht nur außwendig außgeschmückt/ sie ist schöne inwendig/ durch und durch/ und ihre Schöne ist eine göttliche Schönheit... Sie ist erfüllet mit dem Glantz Christi... Sie ist bekleidet mit dem Rock der Unschuld... Auff ihrem Haupt trägt sie die Krohne eines reinen Gewissens." 3. „Nun treten wir näher/ und sehen zu/ was für Lust und Freude bey der geistlichen Hochzeit zu finden... Ich sage aber... wer zusehen wil/ muß ein verliebtes Hertze haben... Die Braut/ für Liebe kranck/ wartet auff ihren Hertzliebsten/ wie froh wird sie/ wenn sie ihn ersiehet/ wenn sie ihn siehet einher fahren in seinem Schmuck... Es ist nicht außzusprechen was die Seele durch die Hertzerquickende Ankunfft ihres Liebhabers empfindet. Das Hertz kans wol fühlen/ aber der Mund kans nicht außsprechen... Der Liebhaber durchscheußt das Hertz durch seinen Anblick mit feurigen Pfeilen... Da werden die Begierde brünstig/ da fliessen Thränen der Liebe. O keuscher Liebes=Kuß/ O treuhertziges Umfagen/ O holdseliges Gespräch. Da redet die Weißheit des Vaters/ da umfahen sich Treu und Glaube/ da küssen sich Holdseligkeit und Demuht. O süsser Kuß für die Braut! O süsser Kuß für den Bräutigam..." (aaO., 120-127).

136 Neben dem „Vorschmack göttlicher Güte" ist auch die Lieder- und Psalmenauslegungen enthaltende „Harpffe von Zehen Seyten" ein wichtiges Erbauungsbuch Lütkemanns. Es kam erst nach seinem Tod in Wolfenbüttel erstmals heraus: „Harpffe von Zehen Seyten/ Das ist Gründliche Erklärung Zehen Psalmen Davids", Wolfenbüttel 1658. 137

„Der Sohn Gottes neiget sich zu der Seelen mit seiner Gnade und Barmhertzigkeit/ die Seele richtet sich auff durch den Glauben/ und hält sich an der angebohtenen Gnade/ also hangen Christus und die Seele zusammen/ im Glauben und in der Liebe/ und daß Christus der Seelen also möchte anhangen/ hat er sich nicht geweigert/ den Schoß seines Vaters zu verlassen." (125).

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B r a u n s c h w e i g und L ü n e b u r g : H o f p r e d i g e r J o a c h i m L ü t k e m a n n

ben, wie sie vor allem seit den kommentierenden, unvollendeten Predigten Bernhards von Clairvaux über das H o h e l i e d 1 3 8 in der mittelalterlichen Mystik weiterlebten, aber auch schon früh in die evangelische Frömmigkeit Einzug hielten 1 3 9 . 138

S e r m o n e s in C a n t i c a ( 1 1 2 6 - 1 1 5 3 ) , M P L 183, 7 8 5 - 1 1 9 8 , Paris 1 8 5 4 . - Z u B e r n h a r d s. j e t z t die

n e u e r e n A r b e i t e n : J . L e c l e r c q , T R E 5, 1 9 8 0 , 6 4 4 - 6 5 1 ; H . - D . K a h l , G e s t a l t e n der K G , M i t t e l a l t e r I , Stuttgart 1 9 8 3 , 1 7 3 - 1 9 1 ; U . K ö p f , R e l i g i ö s e E r f a h r u n g in der T h e o l o g i e B e r n h a r d s v o n Clairvaux, T ü b i n g e n 1 9 8 0 ; Z u r A u s l e g u n g s g e s c h i c h t e des H o h e n l i e d e s : D . L e r s c h , Z u r G e s c h i c h t e der A u s l e gung des H o h e n l i e d e s , Z T h K 5 4 , 1 9 5 7 , 2 5 7 - 2 7 7 . 139

U b e r die B e d e u t u n g B e r n h a r d s in der evangelischen F r ö m m i g k e i t s g e s c h i c h t e n a c h L u t h e r

k a n n b e i m gegenwärtigen Stand der F o r s c h u n g n o c h keine befriedigende A n t w o r t gegeben w e r d e n . H i e r sind im Z u g e der nötigen weiteren q u e l l e n k r i t i s c h e n E r f o r s c h u n g der E r b a u u n g s l i t e r a t u r i m 16. und 17. J a h r h u n d e r t n o c h viele F r a g e n z u klären. N u r eines ist i n z w i s c h e n n i c h t m e h r zu ü b e r s e h e n : B e r n h a r d v o n C l a i r v a u x g e h ö r t zu den wichtigsten T h e o l o g e n , aus denen J o h a n n A r n d t in seinen so überaus einflußreichen und verbreiteten Schriften geschöpft hat. D a s gilt n i c h t n u r f ü r das Paradiesgärtlein (s. K o e p p , 75), s o n d e r n v o r allem für seine g r o ß e n P r e d i g t w e r k e aus seiner C e l l e r Zeit, die ebenfalls weite V e r b r e i t u n g fanden (s. unser K a p i t e l I V ) . J . W a l l m a n n hat z u der Evangelienpostille J o h a n n A r n d t s gesagt, daß B e r n h a r d hier unter den zitierten A u t o r e n bei w e i t e m am häufigsten genannt ist, was ich aus m e i n e n Studien zur Postille A r n d t s voll bestätigen k a n n . „ I c h wage die B e h a u p t u n g , daß w i r in A r n d t s g r o ß e n P r e d i g t b ä n d e n eine H a u p t q u e l l e für das E i n f l i e ß e n der b e r n h a r d i n i s c h e n J e s u s m y s t i k in den P r o t e s t a n t i s m u s des 17. J a h r h u n d e r t s h a b e n . " ( J . W a l l m a n n , J o h a n n A r n d t und die p r o t e s t a n t i s c h e F r ö m m i g k e i t , a a O . , 6 9 ) . - A b e r auch für den V e r f a s s e r der B ü c h e r v o m w a h r e n C h r i s t e n t u m hat B e r n h a r d eine n i c h t geringe B e d e u t u n g . D a r a u f hat z u l e t z t H . S c h n e i d e r h i n g e w i e s e n , der den Spuren der M a k a r i o s - K e n n t n i s A r n d t s nachgegangen ist. ( J o hann A r n d t und die m a k a r i a n i s c h e n H o m i l i e n , i n : M a k a r i o s - S y m p o s i o n ( G o s l a r 1 9 8 0 ) , hg. v o n W . S t r o t h m a n n , W i e s b a d e n 1 9 8 3 , 1 6 8 - 2 2 2 ) . F ü r die B ü c h e r v o m w a h r e n C h r i s t e n t u m hat S c h n e i der z w a r nur vier n a m e n t l i c h e B e r n h a r d - Z i t a t e k e n n t l i c h g e m a c h t ( 2 0 5 , A n m . 1 1 4 ) , h e b t aber darüber hinaus m i t R e c h t die N o t w e n d i g k e i t weiterer, v o r allem m o t i v g e s c h i c h t l i c h e r N a c h f o r schungen m i t B l i c k auf B e r n h a r d u n d andere m ö g l i c h e Q u e l l e n des „ W a h r e n C h r i s t e n t u m s " h e r v o r . D a ß A r n d t s c h o n v o r der A b f a s s u n g des ersten B u c h e s v o m w a h r e n C h r i s t e n t u m ( 1 6 0 5 ) den T h e o l o g e n B e r n h a r d b e s o n d e r s schätzt, geht aus seinem B r i e f an den j u n g e n J o h a n n G e r h a r d v o m 15. M ä r z 1603 h e r v o r , in dem er für sein T h e o l o g i e s t u d i u m E m p f e h l u n g e n für b e s t i m m t e A u t o r e n b e i m B ü c h e r k a u f g i b t : B e r n h a r d steht hier an erster Stelle v o n den T h e o l o g e n , die „ex s p i r i t u " s c h r e i b e n , und n i c h t „ex c a r n e " (dies A r n d t s A u s w a h l k r i t e r i u m ) : „ B e r n h a r d u s ex spiritu scripsit: & K e m p i s i u s & M a k a r i u s : Spinaeus: & q i d a m G r a n a t e n s i s : sed postillam eius n o n m a g n i f a c i o . & A u g u s t i n i q u a e d a m . " (zitiert nach E . R . F i s c h e r , V i t a I o a n n i s G e r h a r d i , L e i p z i g 1 7 2 3 , 2 3 f . ; s. S c h n e i d e r , a a O . , 195, A n m . 5 7 , 1 9 7 f . , 2 0 5 ) . N i c h t u n w i c h t i g ist schließlich, d a ß A r n d t ein B e r n h a r d - Z i t a t auf das T i t e l b l a t t der U r a u s g a b e des I . B u c h e s v o m w a h r e n C h r i s t e n t u m gesetzt h a t : „ B e r n h a r d u s . C h r i s t u m s e q u e n d o citius apprehendas q u a m l e g e n d o . "

(Schneider, a a O . ,

205,

A n m . 1 1 5 ; W e b e r , a a O . , 13). D o c h s c h o n lange v o r A r n d t w a r B e r n h a r d in T h e o l o g i e und F r ö m m i g k e i t des f r ü h e n L u t h e r t u m s kein U n b e k a n n t e r . M a n wird w o h l bis auf die Spiritualisten der R e f o r m a t i o n s z e i t selbst z u r ü c k g e hen m ü s s e n , u m auf N a c h w i r k u n g e n B e r n h a r d s i m Z u s a m m e n h a n g mit anderen m y s t i s c h e n T h e o logen des Mittelalters, v o r allem M e i s t e r E c k h a r t u n d J o h a n n e s T a u l e r , zu s t o ß e n . I c h m ö c h t e hier n u r auf folgende T h e o l o g e n v o r A r n d t h i n w e i s e n : Sebastian F r a n c k , A n d r e a s M u s c u l u s , M i c h a e l N e a n d e r , Valentin W e i g e l , M a r t i n M o l l e r , Philipp N i c o l a i . V g l . b e s o n d e r s z u M i c h a e l N e a n d e r und dessen m ö g l i c h e E i n w i r k u n g auf A r n d t den o . g . A u f s a t z von H . S c h n e i d e r , a a O . , 1 9 2 f . , 1 9 9 f . ( N e a n d e r s „ T h e o l o g i a B e r n h a r d i ac T a u l e r i " , W i t t e n b e r g 1 5 8 4 , w i r d v o n A r n d t in der V o r r e d e zu seiner A u s g a b e v o n T a u l e r s Postille, H a m b u r g 1 6 2 1 , zitiert, vgl. S c h n e i d e r , a a O . , 2 0 0 , A n m . 84 und W a l l m a n n , A r n d t und die Protestant. F r ö m m i g k e i t , a a O . , 6 3 , A n m . 3 2 ) . E i n i g e w e i t e r z u v e r -

Hofprediger und Erbauungsschriftsteller

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Lütkemann steht mit seiner Frömmigkeit besonders in der Tradition Johann Arndts und Johann Gerhards. Neben den Büchern vom wahren Christentum 1 4 0 haben die Meditationes sacrae des jungen Gerhard 1 4 1 eine große Affinität zu den folgende Hinweise gibt W . Zeller, Luthertum und Mystik, in: Theologie und Frömmigkeit 2, hg. von B.Jaspert, Marburg 1978, 35-54, 42; ders., Meister Eckhart bei Valentin Weigel, ebd. 55-88. Immer noch wichtig: H. Bornkamm, Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum, Gießen 1926 und P. Althaus d . Ä . , Forschungen z. evang. Gebetsliteratur des 16. Jahrhunderts, Gütersloh 1927, Neudruck Hildesheim 1966. 140 N u r in bezug auf diese Traupredigt Lütkemanns möchte ich auf einige verwandte Stellen in den Büchern vom wahren Christentum hinweisen: Buch III, Kap. 3 und 6 (vgl. dazu Weber, aaO., 77ff., 104) und vor allem Buch V, 2. Traktat: „Süsse und anmuthige Lehre/von der Vereinigung der Gläubigen mit Christo Jesu", Kap. 7 und 8. Das 7. Kapitel dieses zweiten Traktates aus dem V. Buch trägt den Titel: „Durch die geistliche Ehe und Vermählung geschieht die Vereinigung des Herrn Christi mit der gläubigen Seelen." (Mir lag die Ausgabe: Fünff Bücher vom wahren Christent h u m . . . , Lüneburg 1685, vor mit Kommentaren von J . G . Dorsche und H. Varenius, offenbar eine 2. Auflage der von Spener mit diesen beiden Kommentatoren besorgten Ausgabe, Frankfurt und Leipzig 1674, auf dem Titelblatt des 2. und 3. Buches übrigens mit dem Bernhard-Zitat, s. zu der Ausgabe von 1674 M.Brecht, Ph.J.Spener und das Wahre Christentum, J G P 4 (1979), 119-154). Bis in die sprachlichen Formulierungen hinein geht hier die Verbindung zwischen Arndt und Lütkemann, z . B . bei der Schilderung der „geistlichen Vermählung": Arndt: „O wie ein keuscher Kuß! O welch ein feuriges Verlangen! O welche liebreiche Gespräche!" (96); Lütkemann: „O keuscher Liebes=Kuß! O treuhertziges Umfagen! O holdseliges Gespräch!" (127) Neben vielen inhaltlich ähnlich gestalteten Motiven betont Lütkemann aber stärker die werbende Hinneigung Christi zu der unwürdigen Seelenbraut, die unkeusch und gottlos ist und durch Christi Aktivität umgekehrt wird. Arndt setzt gleich mit der Freude der Seele bei der Ankunft des Bräutigams ein, schmückt sie wesentlich bild- und wortreicher aus und spricht mehr von der Haltung als von dem Zustand der Seele: „sich selber vor nichts a c h t e n . . . , und für ein stinckendes Aaß halten." (99). S. zu dem Verhältnis Arndt - Lütkemann: W . Sommer, Johann Arndt und Joachim Lütkemann - zwei Klassiker der lutherischen Erbauungsliteratur in Niedersachsen, in: J G N K G , 84. Bd., 1986, 123-144. 141 Meditationes sacrae ad veram pietatem excitandam et interioris hominis profectum promovendum accomodatae. Jena 1606. Der Einfluß Arndts und die Nähe zu seiner Frömmigkeit in diesem Erstlingswerk Gerhards zeigt sich schon an diesen Untertiteln: „wahre Frömmigkeit", „Wachstum des inneren Menschen." Auch der Inhalt bestätigt dies, wenn auch schon eigene Töne Gerhards deutlich werden. Die Meditationen Gerhards sind aus seinen frühen eigenen schweren Erfahrungen erwachsen, darum wohl auch zunächst an die eigene Seele gerichtet. Sie haben eine große Verbreitung gefunden und wurden in viele Sprachen übersetzt, deutsch zuerst 1607. Seine spätere Schola pietatis (1622/23) zeigt gegenüber den Meditationes andere Akzente; in diesem umfangreichen Werk ist die ganze Außenwelt im Blick, auf die sich die Gottseligkeit richtet. Aus einem endzeitlichen Bewußtsein heraus führt die fromme Betrachtung hier zu erheblicher Sozialkritik. Den Unterschied dieses christlichen Gestaltungswillens in der Schola pietatis zu den Meditationen mit ihrer viel stärker individualistisch-subjektivistischen Ausrichtung möchte ich nicht mit der Distanzierung Gerhards von Arndt in Verbindung bringen, sie wird erst deutlich in dem Brief Gerhards an N . Hunnius vom 2 . 2 . 1625 (wegen Anlehnungen an V. Weigel im „Wahren Christentum"), vgl. E.R.Fischer, Vita Gerhardi, aaO., 514, 16. W i r sahen an den Predigten Arndts, wie stark sich auch bei ihm individuelle Frömmigkeit mit ethischen Themen und vor allem einer starken Sozialkritik verbinden konnte. - Zu Gerhard und seinen Meditationen s. J . Baur, Johann Gerhard, Gestalten der KG, Bd. 7 (1982), 99-119, 104 f. und M. Honecker, Art. Gerhard, TRE 12 (1984), 448-453. Zu Gerhard und Lütkemann als Erbauungsschriftsteller s. R . M o h r , Erbauungsliteratur III, TRE 10 (1982), 59 f.

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Predigten und Erbauungsbüchern Lütkemanns. Wie bei Gerhard das „für uns" geschehene Heil im Zentrum seiner Meditationen steht, so hebt auch Lütkemann in anschaulichen Bildern die Leiden des Bräutigam-Christus heraus, damit die Seele gerettet werde. Von dieser soteriologischen Mitte aus erhält die ganze Schilderung der geistlichen Vermählung zwischen Christus und der gläubigen Seele ihre entscheidende theologische bzw. christologische Konturierung. Mit Gerhard verbindet Lütkemann - damit zusammenhängend - auch das starke Sündenbewußtsein der Seele, ihre völlige Verlorenheit ohne Christus. Bezeichnenderweise hat die Traupredigt Lütkemanns ihren Höhepunkt im an den „fröhlichen Wechsel" bei Luther 1 4 2 erinnernden „Verwechseln der R i n g e " : „Dann geben sich Braut und Bräutigam die Hände/und verwechseln die Ringe. Der Bräutigam nimmt von der Braut an/Armuht/Jammer und Sünde; und schencket ihr hingegen die Heiligkeit seines Geistes/mit welchem wir versiegelt werden." 1 4 3 Die Bildhaftigkeit des Ausdrucks verdeckt nicht den alleinigen Grund der himmlischen Festfreude: die sola gratia geschehene Erlösung. Vielmehr macht sie den existentiellen Bezug des göttlichen Heilshandelns in plastischen Bildern anschaulich. Daß diese Traupredigt, auf die wir hier als Beispiel für Lütkemanns Frömmigkeit aufmerksam machen wollen, durchaus über den individuellen Gesichtspunkt im Verhältnis zwischen Christus und der Einzelseele hinauswirken will, zeigen die zahlreichen Kontrastierungen zwischen der irdischen und der himmlischen Freude und Liebe. Der Hofprediger, der seine Traupredigt für ein fürstliches Paar im Rahmen einer höfischen Festgesellschaft hält, spricht nur von der geistlichen Liebe. Sie aber bleibt nicht im Refugium privater Erbauung mit dem tröstlichen Ausblick auf die jenseitige Vollendung, sondern sie wird als das Wesensmerkmal jeder in dieser Welt geführten christlichen Ehe im Gegenüber zu der heidnischen hingestellt 1 4 4 . Damit ist ein erheblicher ethischer Anspruch erhoben, besonders im Blick auf die Lust und Freude bei fürstlichen Hochzeiten. Lütkemann ist sich freilich bewußt, daß er mit der alleinigen 1 4 2 Vgl. zu dieser bekannten Stelle aus Luthers „Freiheit eines Christenmenschen", 1520, W A 7, 25, und deren Vorgeschichte in der mittelalterl. Frömmigkeit A . Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte, B d . I I , Berlin 1973, 2 0 9 f . ; M . B r e c h t , Martin Luther. Sein W e g zur Reformation 1 4 8 3 - 1 5 2 1 , Stuttgart 1981, 389. 1 4 3 A a O . , 128. „Es hat der Sohn Gottes sich darüber erfreuet/ daß er gewust/ daß unedel edel/ daß arm reich/ daß heßlich schön/ daß unheilige heilig zu machen/ darum hat er auch keiner Arbeit geschonet... E r hat so viel Blut vergossen/ daß es all genug gewesen zu einem Bade/ für die Seele/ darinnen sie von ihrem Aussatz gereiniget werde." (121). - Im Buch III, Kap. 3 des „Wahren Christentums" findet sich ebenfalls dieser Güteraustausch zwischen Christus und der Seele in der Sprache der Brautmystik; in diesem Kapitel könnte durchaus Luthers Freiheitsschrift zugrundegelegt sein, worauf Wallmann aufmerksam machte (vgl. B. H a m m , Johann Arndts Wortverständnis, aaO., 4 3 - 7 3 , 54, Anm. 51). - Die Anklänge zwischen Arndt und Lütkemann sind wiederum bis in den sprachlichen Ausdruck hinein auffallend. 1 4 4 Dies jedenfalls ist die Intention Lütkemanns; daß sich hier erhebliche Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieser ethischen Absicht einstellen, hängt mit der besonderen Struktur seiner Frömmigkeit zusammen. Dazu s. den Aufsatz von W . Sommer, s. Anm. 140.

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Herausstellung der geistlichen Liebe, der Freude über die in Christus geschenkte Erlösung vor der Welt und ihrer Lustbarkeit zum Narren werden muß, gerade vor einer höfischen Festversammlung: „Man möchte mich für närrisch halten/daß bey gegenwertiger prächtigen Versamlung ich so viel mit geistlicher Liebe zu thun habe. Ich bekenne es/ich bin zum Narren für der Welt geworden über der Liebe Jesus/und weiß mich über nichts mehr zu ergetzen/als über der Liebe meines Herrn Jesus. Ich wolt daß der Narren viel in der Welt wären. Denn was solte unsern Seelen liebers seyn/als daß der Sohn des Hochgelobten Gottes zu unser Seelen spricht: Siehe meine Freundin/liebe Braut/du bist mein/mein bistu... Das dienet uns auch dazu/daß wir in schuldiger Pflicht verbleiben." 145 Aus der Liebe Christi erwächst die gegenseitige Hilfe in der Anfechtung: „Die in der geheiligten Ehe leben/können sich freuen/daß sie in ihrem Stande ein Fürbilde Christi seyn/und seiner Gemeine; sie können es sich auch zu nütze machen/wenn das Creutz kompt/und können gedencken: Wenn ich mein Weib oder meinen Mann mit meinem Blut helffen köndte/ich würde es nicht lassen; Solte denn Christus kein Hertz haben mir zu helffen/da er sich doch erklähret/ der Bräutigam meiner Seelen zu seyn/gewißlich/wie getreuer Christus ist/als wir armen Sünder/je begieriger wird er seyn/uns gutes zu thun/und zu helffen." 146 Die Predigt klingt aus mit einem Segenswunsch auf das fürstliche Paar, das Lütkemann Anlaß zu diesen Gedanken gegeben hat.

3. Das kirchenorganisatorische Wirken des Generalsuperintendenten Lütkemann in Wolfenbüttel und das Gutachten des Kanzlers Schwartzkopff Bevor wir uns dem Obrigkeitsverständnis Lütkemanns zuwenden, soll die organisatorische Seite in seinem Wirken als Generalsuperintendent in Wolfenbüttel dargestellt werden. In den Jahren zwischen 1650 und 1653 wurde er vom Herzog beauftragt, eine Generalkirchenvisitation im ganzen Land durchzuführen 147 . Sowohl die äußeren Verhältnisse im kirchlichen Leben wie auch die Einstellungen und Verhaltensweisen der visitierten Pastoren, adligen Patronatsherren und der Gemeindeglieder zeigen unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg verständlicherweise ein wesentlich düstereres Bild als die Zustände, die Arndt im Herzogtum Lüneburg vor dem großen Krieg vorfand. Doch die Hauptprobleme sind im wesentlichen die gleichen. Mit großer Gewissenhaftigkeit, in ständigem brieflichen Verkehr mit Herzog August ist Lütkemann bemüht, der schwierigen Aufgabe gerecht zu werden. Als eben erst von außen nach Wolfenbüttel berufener Generalsuperintendent, dessen Berufung zudem 145

1 29 f. 130f. 147 Vgl. dazu die ausführliche Schilderung der Verhältnisse, die Lütkemann antraf, bei H . Lütkemann, aaO., 119ff. Weiterhin: Chr. Oberhey, Die Generalkirchenvisitation im Herzogtum Braunschweig unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Kriege, Braunschweigisches Magazin, Bd. 74 (1861), 1. Stück, 4 ff. und J. Beste, Geschichte, 250,396 ff. 146

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nicht im Sinne des mächtigen Kanzlers Schwartzkopff erfolgt war, mußte er sich den neuen Aufgaben sowohl am Hof in Wolfenbüttel wie im ganzen Lande stellen. Aber die enge Verbindung zu Herzog August und die Gewißheit seines Wohlwollens ließen ihn mannigfaltige Schwierigkeiten überwinden. Besonders im Vorgehen gegen den Widerstand der Gutsherren, die sich der Visitation auf mancherlei Weise entgegenstellten, wußte sich Lütkemann stets der Hilfe Herzog Augusts versichert 148 . Bei den äußeren Zuständen rügt Lütkemann vor allem die Veruntreuung des Kirchengutes und das oft äußerst schlechte Einkommen der Pfarrer. Im Glaubensleben in den Gemeinden und ihrer Pfarrer trifft er zuweilen auch Lobenswertes an, doch überwiegt weitgehende Unkenntnis in einfachsten Grundlagen des Glaubens, viel Aberglauben, und im besten Fall findet sich nur eine rein äußerliche „Information". Gegen diese Mißstände, zu denen noch die Sittenlosigkeit in den Nachwirkungen des Krieges kommt, setzt Lütkemann unermüdlich das Mittel der Katechismusexamina, auch dies in vollem Einvernehmen mit dem Herzog. Aus dieser Arbeit entstand das bedeutende katechetische Werk Lütkemanns, das „Corpus doctrinae caticheticae Augustum oder Anleitung zur Katechismuslehre", das jedoch erst nach seinem Tod durch den Helmstedter Professor Balthasar Cellarius herauskam 149 . Nicht umsonst erscheint Herzog August im Titel. Noch kurz vor seinem Tode hat Lütkemann nach Auskunft seiner Witwe die Veröffentlichung angeordnet, zum Zeichen seines großen Dankes an den Herzog 1 5 0 . Dieser Katechismus Lütkemanns nimmt im Rahmen der katechetischen Literatur des 17. Jahrhunderts 151 einen gewichtigen Platz ein, indem er auf dem Fundament der lu1 4 8 In einem Brief schreibt Lütkemann an Herzog August: „Es wollen die Gutsherren mit Gewalt Bischöfe sein." Bei der Visitation in Duttenstedt hat sich der Herzog auch selbst - wie öfters schriftlich an den Gutsherrn gewandt, mit der freundlichen, jedoch deutlichen Aufforderung, den Anweisungen des Generalsuperintendenten Folge zu leisten. Als dies noch zu keinem Erfolg führte, schlägt Lütkemann dem Herzog vor, „ad nobilem abermals ein mandat abgehen zu lassen" und nimmt auch eine Gerichtsabordnung für seine Visitation in Anspruch, (zitiert nach H . Lütkemann, aaO., 121). 1 4 9 Lüneburg 1656. Signatur: T h 1675 H A B Wolfenbüttel. Das Werk erlebte noch mehrere Auflagen und wirkte auch außerhalb dès Wolfenbütteler Herzogtums weiter in Hannover und im Herzogtum Bremen-Verden. Folgende weitere Ausgaben konnte ich ermitteln: Lüneburg 1680, 1688 ; 1711 ; Hermannsburg 1893 (zusammen mit „Vorschmack göttlicher G ü t e " ) ; 1898. 1 5 0 Zuschrift der Witwe und Kinder an Herzog August vom 15. März 1656: „ N a c h d e m . . . unser Seel. E h e = H e r r und Vater gegenwertige Catechismus=Fragen/ der Christlichen Jugend und den Einfältigen zum Besten auffgesetzet/ hat er auff seinem S i e g = B e t t e uns befohlen/ daß solche E . F . G n . Sölten zugeschrieben werden/ und zwar zu dem Ende/ daß er auch im Tode sein unterthänig und danckbares Gemüthe vor die vielfältigen hohen Wolthaten/ damit E . F. Gn. nunmehr ins siebende Jahr ihn mildiglich begäbet/ in etwas an den Tag geben möchte. " (zit. nach H . Lütkemann, aaO., 266). Herzog August nahm ja auch an dieser Visitation erheblichen persönlichen Anteil. 1 5 1 Es sei auf die „Kleine Katechismus-Schule" des Justus Gesenius hingewiesen, die zuerst 1631 anonym in Lüneburg erschien, ab 1635 auch mit seinem Namen und sodann eine langanhaltende Wirkung entfaltete, an die das Lütkemannsche Werk allerdings nicht heranreicht. 1639 wurde dieser Katechismus als erster hannoverscher Landeskatechismus in allen Kirchen und Schulen Calenbergs

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therischen Rechtfertigungslehre um die Umsetzung der Lehre in ein lebendiges, vom einzelnen Gläubigen innerlich anzueignendes Glaubensgut bemüht ist 1 5 2 . Im Zusammenhang mit dieser Generalkirchenvisitation und dem kirchenorganisatorischen Wirken Lütkemanns steht ein Bedenken, das der Kanzler Schwartzkopff nach Lütkemanns Tod Herzog August auf dessen Anforderung erstattete: „Des Cantzlers Schwartzkopffs zu Braunschweig Bedencken von Einrichtung des Juris circa sacra." 1 5 3 In diesem Bedenken faßt der Kanzler seine kirchenpolitischen Auffassungen im Rückblick auf das Kirchenregiment im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel seit Basilius Sattler in bemerkenswerter Deutlichkeit zusammen. Die Summe seiner Erfahrungen, Beobachtungen und Schlußfolgerungen dient vor allem dem eindringlichen Rat an der Herzog, in Zukunft das Kirchenregiment fest in den Händen der Fürsten zu verankern. Unter dem Eindruck der englischen Revolution und den Wirren des Dreißigjährigen Krieges ist er besorgt, „was daraus erfolge, wenn der Regent den Zügel in geistlichen Sachen nicht in seinen Händen hat, sondern den Geistlichen denselben lässet." 1 5 4 Die puritanischen Prediger haben ihre „irrigen opiniones" so lange vorgetragen, „bis der gemeine Mann durch die gemeine Predigt eingenom-

und (Hannovers) eingeführt. Weiterhin hat Michael Walther, der Celler Generalsuperintendent, einen Katechismus herausgebracht, der 1653 eingeführt wurde. Vgl. F . Ehrenfeuchter, Z u r G e schichte des Katechismus mit besonderer Berücksichtigung der Hannoverschen Landeskirche, Göttingen 1857. 1 5 2 Die T e n d e n z ist durchaus mit seinem Erbauungsbuch gleichgerichtet ( z . B . wird in der Auslegung des 1. G e b o t e s in ähnlich scharfer Kontrastierung die Gottesliebe der Liebe zur W e l t gegenübergestellt), wenngleich die Sprache eine wesentlich andere ist, gemäß der anderen Z w e c k b e stimmung bei den Adressaten. 1 5 3 I n : Christian Thomasius, Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Gedancken und Erinnerungen über allerhand auserlesene Juristische Händel, I I , Halle 1724, X I . Handel, 3 4 0 - 3 7 3 . Thomasius berichtet darüber, daß er dieses Bedenken „von vertrauter Hand communiciret b e k o m m e n . " (Vorrede, B d . II). D e r nicht ganz vollständige D r u c k ist zu vergleichen mit dem handschriftlichen Original, das in drei Fassungen in Wolfenbüttel vorhanden ist: „Sentiment eines furnehmen fürstl. Ministri über denen in dem Fürstenthumb Braunschweig-Wolfenb. bey dem Kirchen Staat eingerissenen Mängeln, und wie denselben abzuhelfen." ( H A B Wolfenbüttel, M s . extravag. N r . 16, 2 7 9 ff.). Eine weitere Abschrift: „Politisch bedenken welcher gestalt sich ein Regent absonderlich circa jura ecclesiastica zu verwahren", in: C o d . Guelf. 17 extravag., Bl. 3 1 9 - 3 3 3 . - I m Niedersächs. Staatsarchiv Wolfenbüttel befindet sich ebenfalls eine handschriftliche Fassung: „Des Canzlers Schwarzkopf Consilium die vorsichtige Bestellung des regiminis ecclesiastici et consistorialis zu Verhütung des dominats der Geistlichen betr." (Signatur: 2 Alt, 3547). H i e r findet sich die N o t i z „während der Ausfertigung der K i r c h e n - O r d n u n g H e r z . Augusti aufgesetzt." D e r 1. Teil der neuen Kirchenordnung mit der Gottesdienstagende kam 1657 heraus, zur Vollendung des W e r k e s im 2. Teil kam es nicht mehr, da Schwartzkopff 1658 starb. A b e r die Vorarbeiten dazu machen deutlich, daß diese Kirchenordnung in ihrem 2. Teil das fest in der Hand des Fürsten liegende Kirchenregiment vorsahen, derselbe territorialistische Geist, wie er in dieser Denkschrift des Kanzlers Schwartzkopff, seinem kirchenpolitischen Vermächtnis, zum Ausdruck k o m m t . D i e Denkschrift wird somit in das J a h r 1657, evtl. auch in das Todesjahr Schwartzkopffs 1658 fallen. Vgl. zu dieser Denkschrift J . Wallmann, Zwischen Reformation und Humanismus, aaO., 365. 154

A a O . , 340.

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men, und endlich dem gantzen estat den Garaus gemacht." 1 5 5 Auch in Deutschland sind die Gemüter gegen die Obrigkeit aufgebracht worden, wie leicht kann sich das Feuer wieder entzünden! Besonders von den Geistlichen droht Gefahr, „weil der gemeine Mann vermeinet, alles was der Prediger sagt, es sey was es wolle, das rede der Heil. Geist, und kan durch solche Mittel ein gantzes Land Zusehens... aufgewiegelt werden." 1 5 6 Schwartzkopffs Invektive richtet sich besonders gegen die sog. „Regentenpredigt" Lütkemanns, auf die wir im folgenden näher eingehen werden 1 5 7 . In deutlicher Anspielung auf diese Predigt Lütkemanns stellt er in einer aufschlußreichen Nebenbemerkung die Gefahren heraus, die von solcher Predigtweise ausgehen können: „Ich wil vor dises mahl nicht berühren, was dasjenige für ein äußerst gefahr und effect nach sich ziehen kan, wann der Prediger in offentl. predigt für dem ganzen v o l k . . . den gantzen stand der obrigkeit und daß ichs deutlicher mache den Regentenstand auf das allerärgste abgemahlet, öffentlich dieses morden den regenten vorziehet, die Regentes für solche thir helt denen an hoffart, ehrgeiz, eußerl. scheinheiligkeit, ja innerlicher bosheit, blutgierigkeit dürste nach fremds geld und g u t . . . kein ander thier gleich s e i . . . hindangesetzt aller graduum admonitionis..., daß ein jeder solches mit Händen greifen kan, und es zu nichts als Verachtung des Regenten hinaus lauffen mus." 1 5 8 Die geschichtlichen Reminiszenzen des Kanzlers über das Kirchenregiment im Herzogtum wollen auf gefährliche, schleichende Veränderungen der ursprünglichen Ordnung aufmerksam machen, wofür die Fundamente schon gelegt seien. Es ist verständlich, daß sich die kritischen Vorbehalte Schwartzkopffs besonders gegen die Person und das Wirken Sattlers richten. Geschickt stellt er die weit zurückliegenden Kontroversen des Wolfenbütteler Generalsuperintendenten mit der Helmstedter Universität erneut heraus, um auf die Eigenmächtigkeiten hinzuweisen, die von einem selbstbewußten Kirchenregiment des obersten Geistlichen drohen. Mit dem wirksamen Vorwurf der gefährlichen Neuerungen sieht der Kanzler in der Amtsführung Sattlers eine Entwicklung beginnnen, der nun entschieden Einhalt geboten werden muß. Sattler habe im Konsistorium „als ein Episcopus praesidiren und neue leges et statuta Ecclesiastica machen wollen." 1 5 9 Das Konsistorium aber ist nach Schwartzkopff 341. 347. 1 5 7 S.u. Abschnitt4. 1 5 8 Handschriftliche Fassung, C o d . Guelf. 17, Bl. 322. Der Druck bei Thomasius bringt nur eine gekürzte Form dieser Stelle, aaO., 347f. 1 5 9 351. Es geht vor allem um die Fragen der Ubiquität und des Exorzismus und ihre kirchenamtlichen Konsequenzen. Zwar betont auch Schwartzkopff, daß die theologischen Sachen Angelegenheiten der Theologen seien, aber „es ist das quis et q u o m o d o . . . in arbitrio legilatoris, und wenn sich die Geistlichen dazu vor sich s e l b s t . . . eindringen wollen, so greiffen sie in ein frembd Amt, arrogiren ihnen die weltliche Macht, und wollen mit dem Landes-Fürsten auf einem Stuhl sitzen." (350). „Der Regent muß sich das Regale legum ferendarum weder in dogmatibus noch ceremonialibus von seinen Theologis nicht nehmen lassen." (349). - Neben den theologischen Fragen wendet 155 156

Generalsuperintendent in Wolfenbüttel

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„kein eigenes Collegium, sondern ein appendix der Fürstlichen Rathstube." 160 Als Sattler von Helmstedt nach Wolfenbüttel als Hofprediger berufen wurde, sei es zu jener unglücklichen Herrschaft des obersten Generalsuperintendenten über das Konsistorium gekommen 1 6 1 . A n Titel und A m t dieses Generalissimus superintendens nimmt der Kanzler darum auch den größten Anstoß. Es sei ein „monstrum vocabuli", ein „Episcopus Episcoporum" 162 , dem keineswegs die oberste Visitationsbefugnis und die Direktion im Konsistorium zukomme. Vielmehr gebe es nur Spezial- und Generalsuperintendenten und über ihnen keinen obersten Geistlichen 163 . „Die direction im Consistorio gebühret allein einem Politico." 164 Damit ist nun der Punkt angesprochen, an dem der Kanzler auch gegenüber der Amtsführung Lütkemanns verschiedene Vorwürfe erhebt. Zwar stellt Schwartzkopff fest: „mir ist die direction so wenig von D. Wiedenburg, als D. Lütkemann seel. niemahls streitig gemachet, ich hätte es auch nicht gelitten, oder mich ihrer direction unterworffen." 1 6 5 Aber nach dem Tod des Kanzlers Möring habe sich Lütkemann in Abwesenheit Schwartzkopffs die Direktion angemaßt, „wolte das W o r t bey den Parthey-Sachen und sonsten führen, war aber solcher Sachen nicht allein nicht gewachsen, sondern konte auch so wenig der Patheyen Vortrag, als der Assessorum vota propter vitium auditus nicht einnehmen." Darum sei es „confuse und elend" hergegangen 166 . Besonders der Generalkirchenvisitation gilt des Kanzlers Argwohn, schon Sattler habe sich

sich Schwartzkopff heftig gegen Sattlers Vokationen. Das Land sei mit „ignoranten und simplicisten" angefüllt worden! (351). Mit Hilfe der Prüfungen vor dem gesamten Konsistorium könne der Fürst versichert sein, „er bekomme keine Prediger ins Land, als die from, gelahrt, friedfertig, mit keinen irrigen o p i n i o n e n . . . die auch dannenhero nicht aufrührisch s i n d . . . " (346f.). 160 356. 161 Die historische Entwicklung ist damit freilich nicht zutreffend beschrieben. Vgl. V. Dettmer, Das Konsistorium zu Wolfenbüttel, Braunschweig 1922. 162 358. 163 3 55. Die Oberinspektion liege mittelbar allein beim Fürsten und dem ganzen Konsistorium, d.h. bei dem Statthalter, dem Kanzler und dem Generalsuperintendenten von Wolfenbüttel (als dem Superintendenten am Regierungssitz). 164 359. Das sei an allen Höfen der normale Brauch. Da es im Konsistorium vornehmlich um politische Angelegenheiten und Entscheidungen gehe, sei die politische Direktion zwingend, denn die Geistlichen hätten davon keine Ahnung. - Interessant ist der Seitenblick Schwartzkopffs nach Celle: „Am Fürstlichen Zellischen Hofe hat sich niemand, sogar der fürtrefliche Herr Johann Arnd so wenig des Nahmens Generalissimi, als einer solchen angemaßten Gewalt, gebrauchet, sondern ist mit dem Titel eines General-Superintendenten zu frieden gewesen. Er hat im Consistorio nebest seinen Collegen das seinige gethan, und sich keiner mehrern Gewalt angemasset vor denselben." (357). Im Fürstentum Lüneburg war das Hofpredigeramt freilich nie mit dem Generalsuperintendentenamt verbunden. Der Reihe bedeutender Celler Generalsuperintendenten im 16. und 17. Jahrhundert steht die Reihe der wenig hervortretenden Hofprediger gegenüber. 359. 360. Lütkemann habe die Konsistorialbescheide allein unterzeichnet, so daß „alle expeditionis in seine Hände allein gerathen." (360). 166

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Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger Joachim Lütkemann

damit die Herrschaft über die Politiker angemaßt 1 6 7 . Als Landesunkundiger wäre Lütkemann einer solchen Aufgabe nicht gewachsen gewesen: „weil er aber gantz fremd war, und um des gantzen Landes Beschaffenheit das geringste nicht wüste, auch keine informationes annehmen wolte, so nahm er ihm vor, daß er einmahl die Kirchen im Lande besehen, und sich erkundigen wolle, welches ich denn selbst für hochnöthig hielte, und mit rathen halff. Es ward aber alsobald ein grosser Mißbrauch daraus, und solte die Besichtigung den Nahmen einer General Visitation haben, wider die deutliche disposition der Kirchen O r d n u n g . . . dadurch ward den Special- auch General-Superintendenten eingegriffen, es geriethe aber in eine grosse Confusion, und ward noch ärger, als es vor diesem nie gewesen war." 1 6 8 Wie Sattler wirft der Kanzler auch Lütkemann ungebührliche Eigenmächtigkeiten vor: es sei „unläugbar, daß D . Lütkemann seel. nicht allein Winckel- und privat-Consistoria im Hause gehalten, . . . sondern auch, wenn er auf die Visitationes gezogen, hat er ihm unternommen, in Ehe und andern Sachen, die Partheyen für sich selbst, gerade als wenn e r . . . ein Cathedram episcopalem... hätte, zu verhören, Zeugen zu examinieren.. , " 1 6 9 Für das immer stärker werdende absolutistische Denken nach dem Dreißigjährigen Krieg gibt es kaum ein deutlicheres Zeugnis als dieses Bedenken des Kanzlers Schwartzkopff an Herzog August, mit dem das fürstliche Kirchenregiment befestigt und damit die Macht des Staates insgesamt gestärkt werden sollte 1 7 0 . Daß aus dem Blickwinkel des Kanzlers zwei führende Theologen des Herzogtums zusammenrücken, die zeitlich, persönlich und theologisch erheblich voneinander unterschieden sind, macht die Dominanz des territorialistischen Denkens deutlich, das hinter allen eigenständigen theologischen und kirchlichen Intentionen nur Ignoranz oder persönliche Herrschsucht zu sehen vermag. Der eigentliche Gegner Schwartzkopffs in seinem Bedenken ist der theologische und kirchliche Geist der alten lutherischen Orthodoxie, wie er in der Person des Hofpredigers Basilius Sattler verkörpert ist, dem es vor allem um die Eigenständigkeit der Kirche und ihrer Pfarrer gegenüber fürstlicher Selbstherrlichkeit und dem Selbstbewußtsein gelehrter Theologen ging. Von hier aus blickt Schwartzkopff auf Lütkemann, in dessen Wirken er nur die Fortsetzung der von Sattler begonnenen „Neuerungen" erkennen kann. Was 167

362.

362 f. - Natürlich übersieht Schwartzkopff geflissentlich, daß Lütkemann die Generalkirchenvisitation in direktem Auftrag des Herzogs und in ständigem engen Kontakt mit ihm durchführte, wie es die Briefe zwischen H e r z o g August und Lütkemann ausweisen. Diese Vorwürfe haben schon Chr. Oberhey, Die Generalkirchenvisitation, aaO., J . Beste, Geschichte, 250, 396 f. und H . Lütkemann, aaO., 120ff. aus der historischen Situation zurückgewiesen. 168

365. Gleich im Eingang des Bedenkens wird festgestellt, daß der Regent die Ecclesiastica, Civilia und Militaria fest in seinen Händen haben müsse. Aber dabei „hat keines unter solchen dreyen eine grössere Macht, einem Statum zu conserviren, als die Ecclesiastica, Religio, oder KirchenSachen." (340). 170

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Die sog. „Regentenpredigt"

er an konkreten Vorwürfen gegenüber Lütkemann anführt, betrifft seine U n kenntnis in den Angelegenheiten des Landes und das theologische Selbstbewußtsein dieses in den kirchenregimentlichen Aufgaben gewiß nicht selten überforderten Hofpredigers, der zudem in einem besonders engen persönlichen und theologischen Kontakt zu Herzog August stand, was den Argwohn des Kanzlers noch besonders herausforderte. Daß Lütkemann weder in das territorialistische Denken des Kanzlers einzuordnen noch aber auch mit dem Kirchenund Obrigkeitsverständnis der alten lutherischen Orthodoxie im Sinne Sattlers gleichzusetzen ist, zeigt seine „Regentenpredigt", der wir uns nun zuwenden.

4. Die sog. „Regentenpredigt"

Joachim

Lütkemanns

Wir haben schon eingangs darauf hingewiesen, daß in der Geschichte der lutherischen Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie der Name Lütkemann mit einer einzigen Predigt verbunden wurde, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre Wirkung nicht verfehlte und am Ende des 18. Jahrhunderts noch einmal vollständig abgedruckt wurde: seine sog. „Regentenpredigt" „Von der höchsten Tugend Hoher Obrigkeit" über Psalm 37,34 aus dem Jahre 1655 1 7 1 . Auch am Anfang unseres Jahrhunderts und in unserer Gegenwart hat sie erneut Aufmerksamkeit gefunden 1 7 2 . Im Rahmen unserer 171 Regenten-Predigt so in Wolfenbüttel von Herrn D.Joach. Lütkemann den 14.Septembr. Anno 1655 gehalten worden. Hiebevor Unterschiedliches mahles gedrucket/ und nunmehro/ vermittelst Collationirung eines geschriebenen Exemplars/ wiederholet. In: Drey Auserlesene Predigten/ Den Regiments- und Obrigkeits- wie auch den Prediger- und Haus-Stand betreffend/ Voll Bitteres/ jedoch Heilsamen Wermuths der W a r h e i t . . . Magdeburg 1671. Signatur: Th 1982 H A B Wolfenbüttel, (zusammen mit einer Predigt von Konrad Schlüsselburg und von Johann Pistorius). Danach ist dies nicht der erste Druck, zuvor habe ich aber nur eine handschriftliche Fassung der Regentenpredigt Lütkemanns ausfindig machen können, H A B Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 17, extrav, 2°, Bl. 247-254. Sie entspricht dem Druck von 1671, so daß es sich hier um das „geschriebene Exemplar" handeln könnte. Rehtmeyer gibt an, daß die Regentenpredigt 1679 in Dresden zum 3. Mal gedruckt wurde (Braunschweig-Lüneburgische Chronika, Braunschweig 1722, 1464); H . Lütkemann setzt den 3. Druck in das Jahr 1676 (aaO., 154). Der Magdeburger Druck ist danach offenbar der zweite. Die Regentenpredigt wurde auch in J . Lütkemann, Sonderbahre Predigten, Wolfenbüttel 1690, abgedruckt (132-148), nach diesem Abdruck zitiere ich. (Er unterscheidet sich nicht von dem Magdeburger 1671). A m Ende des 18. Jahrhunderts hat der Darmstädter Minister Friedrich Karl von Moser die Regentenpredigt Lütkemanns vollständig abgedruckt (Politische Wahrheiten I, Zürich 1796, 287-311). Die Motivation hierfür wäre eine eigene Studie wert! 172 H. Lütkemann hat sie in seiner Biographie Joachim Lütkemanns teilweise abgedruckt, ohne jedoch die charakteristische Beschreibung eines nach der Staatsräson handelnden Fürsten im Bild eines Tieres zu bringen (aaO., 150-154), und W . Holborn, Also sprach Joachim Lütkemann, 1925. Nach langer Pause hat 1977 J . Wallmann auf die Regentenpredigt Lütkemanns wieder aufmerksam gemacht (Zwischen Reformation und Humanismus, ZThK 74, 1977, 344-370, 366 ff.), s. auch H . W . Krumwiede, Niedersächs. Kirchengeschichte, aaO., 139, und H . R e l l e r , Lutherische Mystik und Sozialkritik im 17. J a h r h u n d e r t - eine Predigt Joachim Lütkemanns an die Regenten (1655), in: Herausforderung: religiöse Erfahrung, hg. von H . Reiler und M. Seitz, Göttingen 1980, 126-139, 133 ff. (auf einen Vortrag Johannes Wallmanns zurückgehend).

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Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger Joachim Lütkemann

Studien zur politischen Predigt im älteren Luthertum liegt es darum nahe, auf sie näher einzugehen 173 . Es ist ein eigenartiges Geschick, daß diese „besondere Predigt" 1 7 4 Lütkemanns die letzte ist, die von ihm überliefert wurde. Nur wenige Wochen, nachdem er sie am 14. September 1655 in Wolfenbüttel 175 hielt, ist er am 18. Oktober 1655 nach einer rasch aufgetretenen Krankheit kurz vor Vollendung seines 47. Lebensjahres gestorben 176 . Datum und Anlaß dieser Regentenpredigt Lütkemanns führen zurück in das Jahr 1643, in die Zeit nach dem Goslaer Separatfrieden, als Herzog August am 14. September 1643 endlich in Wolfenbüttel einziehen konnte und Stadt und Festung Wolfenbüttel wieder ihrem „rechtmäßigen Erbherren" übergeben worden war 1 7 7 . Seitdem wurde alljährlich am 14. September in Erinnerung an jenes Ereignis ein Dankfest begangen 178 . Am 12. Jahrestag der Wiedererrichtung der herzoglichen Residenz Wolfenbüttel hatte somit der oberste Geistliche des Landes eine Festpredigt zu halten, die ihm eine besondere Möglichkeit gab, neben dem Dank gegenüber gutem Regiment auch die Verpflichtung der Obrigkeit, ihre Verantwortung vor Gott und den Menschen, ausführlich öffentlich darzulegen. Daß der Hofprediger Lütkemann dabei durch seine eigengeprägte Persönlichkeit und theologische Grundrichtung im Herzogtum Wolfenbüttel nach dem Dreißigjährigen Krieg stark herausgefordert war, zeigt diese denkwürdige Predigt. Die Regentenpredigt Lütkemanns ist verhältnismäßig kurz und wie alle seine Predigten gedanklich klar aufgebaut. Sie beginnt mit einem emblematischen 1 7 3 W i r werden sie ausführlich zitieren und paraphrasieren, um bei unserer Interpretation einen möglichst textnahen Gesamteindruck vermitteln zu können. 174

So die Titelbezeichnung im A b d r u c k „Sonderbahre Predigten", 132.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hielt Lütkemann die Regentenpredigt in der Wolfenbütteler Marienkirche B . M . V . , also im öffentlichen Gottesdienst, nicht in der Schloßkapelle des W o l f e n bütteler Schlosses (so H . Reller, a a O . , 133). Herzogliche Beamte werden möglicherweise anwesend gewesen sein, nicht jedoch der H e r z o g selbst, der die Predigt näher einsah, nachdem sie Mißbilligung und Verdächtigungen bei „einigen hohen Bedienten" hervorgerufen hatte. H e r z o g August aber hatte sie „völlig approbiret, und D . Lütkemann wider seine ungegründete Angeber treflich beschützet, auch zu f e r n e m ernstlichen und geziemenden Straf-Predigten angewiesen." (zitiert nach Rehtmeyer, L e b e n Lütkemanns, Braunschweig 1720, 31). R e h t m e y e r bezieht dies zwar auf eine Predigt namens „ R e g i e r - T h i r " von 1654, doch ist diese mit der Regentenpredigt von 1655 identisch (s. auch H . Lütkemann, aaO., 2 7 5 , A n m . 150). W i r werden auf die Stellung H e r z o g Augusts zu dieser Predigt noch z u r ü c k k o m m e n . 175

176

E r wurde in der Klosterkirche Riddagshausen beigesetzt.

„Den 1 4 . S e p t e m b . feierte der H e r z o g nach G e w o n h e i t sein K r e u z - E r h ö h u n g s - F e s t , und danckte nebst seinen Unterthanen dem grossen G o t t , daß an demselbigen Tage nun vor zwölf Jahren die Stadt und Festung Wolfenbüttel ihrem rechtmäßigen E r b - H e r r e n übergeben, und aus der H a n d gewaltsamer und fremder Regierung gehoben sey." (Rehtmeyer, Braunschweig-Lüneburgische C h r o n i k a , Braunschweig 1722, 1464). Lütkemanns Predigt wird bei diesem Anlaß eine „schöne Regenten-Predigt" genannt, ebd. 177

1 7 8 Z u m letzten Mal wurde dieses Dankfest 1656 begangen (vgl. J . Beste, Geschichte, 6 8 9 f . , A n m . 90).

D i e sog. „Regentenpredigt"

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Verweis 1 7 9 : „Die Biene ist ein kleines Thier/doch hat die Natur in demselbigen gar artig abgebildet die Policey unter den Menschen-Kindern." 1 8 0 Mit einem Vergleichsbild aus der Natur, dem Zusammenleben der Bienen in einem „Bienenstaat", lenkt Lütkemann sogleich auf die geordnete menschliche Gemeinschaft über, die in dem Begriff der „Policey" zusammengefaßt ist. Für die Gesamtcharakteristik dieser Predigt ist es aufschlußreich, daß schon in ihrem ersten Satz der bedeutungsgeschichtlich reichhaltig geprägte Polizeibegriff auftaucht, und zwar in einer ähnlichen Weise, wie er zwei Jahre vor Lütkemanns Regentenpredigt in der „Biblischen Policey" des Dietrich Reinking umfassend zum Ausdruck kommt 1 8 1 . Mit Hilfe des natürlichen Zusammenlebens der Bienen will Lütkemann im Vergleich mit einem geordneten menschlichen Gemeinwesen zunächst auf drei charakteristische Phänomene hinweisen, die eine solche Ordnung zum „Zeichen einer glückseligen Policey" 1 8 2 werden lassen: im „Bienenstaat" bildet sich der natürliche Gemeinschaftstrieb der Menschen ab, sodann der Segen gemeinsamer Arbeit und die Verurteilung des Müßigganges. Schließlich kann man bei den Bienen die Eintracht bewundern, mit der sie beim Eindringen eines äußeren Feindes zusammenhalten 183 . Aber mit diesen Vergleichsmomenten ist noch 1 7 9 Z u m emblematischen Weltverständnis im Barockzeitalter vgl. das Standardwerk „Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts". H g . von A . H e n k e l und A. Schöne, Stuttgart 1967; s. auch W . H a r m s , Art. E m b l e m / E m b l e m a t i k , T R E 9 (1982), 5 5 2 - 5 5 8 . 180

132.

Dietrich Reinking(k), Biblische Policey. In drey Stände: Als Geistlich-Weltlich- und H a u ß stand a b g e t h e i l e t . . . , F r a n k f u r t / M . 1653. Wie schon der Titel dieses berühmten Werkes zeigt, in dem die sog. christliche Polizeiliteratur im 17. Jahrhundert ihren H ö h e p u n k t erreicht, bedeutet „Policey" hier die gute O r d n u n g der Stände. A u f die Stände k o m m t Lütkemann zwar in der Regentenpredigt nicht ausdrücklich zu sprechen, dafür jedoch in den Epistelpredigten vielfach. „Policey" meint bei Lütkemann ähnlich wie bei Reinking das geordnete Gemeinwesen, also den „Staat". Allerdings spiegeln sich in der Ständelehre Reinkings und bei Lütkemann schon deutlich die neuen Gegebenheiten des frühneuzeitlichen protestantischen Territorialstaates. Aus dem auf G e genseitigkeit beruhenden Herrschaftsverständnis der alten Ständeordnung entwickelt sich, verstärkt nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, immer mehr die auf den Landesherrn als alleiniger „hoher O b r i g k e i t " konzentrierte O r d n u n g des Gemeinwesens. D e n Rechten und Pflichten der Obrigkeit als „Gottes D i e n e r i n " stehen nur noch Respekt und Loyalität der Untertanen gegenüber. 181

U b e r den Polizeibegriff hinaus ist dieses W e r k Reinkings mit Lütkemanns Regentenpredigt aber vor allem durch eine gemeiname polemische F r o n t verbunden: die leidenschaftliche A b w e h r der machiavellischen „Staatsräson". D u r c h das ganze umfangreiche B u c h zieht sich der K a m p f gegen die „Ratio Status" hindurch. Mit seiner „Biblischen P o l i c e y " will Reinking eine Politik aus der Bibel der machiavellischen „Betriegkunst" gegenüberstellen. Zu Reinking und der Polizeiliteratur im 17.Jahrhundert bis zum Deutschen Fürstenstaat V . L . von Seckendorffs vgl. H . M a i e r , D i e ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, München 2 1980, 9 2 f f . , 105ff., 131 ff.; M . S t o l l e i s (Hg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, F r a n k f u r t / M . 1977, 7 8 f f . ; F . - L . K n e m e y e r , Art. Polizei, Geschichtl. Grundbegriffe, B d . 4, Stuttgart 1978, 875 ff. 182

1 33.

„Die Bienen halten sich zusammen/ also werden die Menschen von Natur getrieben/ daß sie nicht zustreuet hin und her lauffen/ wie das Wild/ sondern daß sie in einer Gemeinschaft leben. D i e 183

Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger Joachim Lütkemann

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nicht das eigentliche Ziel erreicht, auf das Lütkemann mit seinem Bienengleichnis zusteuert. Es ist ihm vor allem deshalb wichtig, weil er an ihm die Notwendigkeit des obrigkeitlichen Regimentes im menschlichen Zusammenleben einsichtig machen kann. Die Art und Weise, wie Lütkemann dies tut, zeigt schon am Eingang dieser Predigt, daß dieser Hofprediger ganz und gar auf dem Fundament orthodoxer Obrigkeitslehre steht, ja auf Respekt und Gehorsam gegenüber dem obrigkeitlichen Amt von Seiten der Untertanen besonderes Gewicht legt: „Bey den Bienen findet man auch die Ordnung/daß eine regieret un die andern gehorsahm seyn. Sie haben ihren König/denselben versorgen sie/ un denselben folgen sie/wo der König hinnziehet/da folget der Schwärm; Wenn bey den Menschen kein Regiment ist/oder die Regenten bey den Unterthanen keine respect oder Gehorsam finden/da ist es unmöglich/daß es wol zugehen könne/und ist nothwendig/daß unter dem Hauffen der Menschen etliche sind die regieren/etliche die gehorchen und folgen." 1 8 4 Auf das rechte jeweilige Verhalten kommt es bei Obrigkeit und Untertanen an, wenn ein Gemeinwesen gedeihen soll: „Wenn nun die zum Regiment gesetzt seyn/wol regieren/und die so folgen sollen/gehorsahmlich folgen/da gehet es wol z u . " 1 8 5 Als ein Appell zum richtigen Verhalten im obrigkeitlichen Amt wie bei den Untertanen will Lütkemanns gesamte Predigt verstanden sein. Im Naturgleichnis des „Bienenstaates" bildet sich somit in Gottes Schöpfungsplan die Ordnung der menschlichen Gemeinschaft ab, die unter einem Regiment stehen muß, das Gottes Werk ist: „Wenn denn das Policey-Wesen unter den Menschen-Kindern so artig in dem Regiment der Bienen von Gott abgebildet ist/sollen wir gedencken/daß es auch Gottes Werck ist/wenn gut Regiment unter den Menschen gehalten wird 1 8 6 . Das Regiment der Obrigkeit ist Gottes Schöpfungswerk, Gottes gute Ordnung, mit der das menschliche Zusammenleben geregelt wird 1 8 7 . N o c h auf einen letzten Punkt weist Lütkemann bei seinem Bienengleichnis

Bienen sind arbeitsahme Thierlein/ daß man auch ihre kunstreiche Arbeit und Fleiß mit Verwunderung ansehen m u ß . . . also stehet es auch fein in einer Policey/ wenn die Leute nicht den Müßiggang lieben/ sondern zur Arbeit gehalten werden/ daß sie etwas nützliches schaffen/ ein jeglicher nach seinem Beruff. Bey den Bienen mercket man auch eine Einträchtigkeit/ sie halten sich z u s a m m e n . . . komt man ihnen zu nahe/ so setzen sie sich alle zur Wehre. Wann also auch in einer Gemeine die Gemühter zusammen halten/ das ist ein Zeichen einer glückseligen Policey." (132f.). Beim letzten Beispiel wird auf den Turmbau zu Babel verwiesen. ist 133. 185

Ebd.

1 33 f. 1 8 7 Die Obrigkeit ist also nicht etwa eine postlapsarische Notordnung, wie es die Anschauung des französischen Juristen Jean Bodin w a r ; diese gute Ordnung wurde auch nach dem Fall von G o t t bewahrt. Mit dieser Auffassung steht Lütkemann inmitten des Hauptstromes lutherisch-orthodoxer Obrigkeitslehre, er berührt sich hierbei z . B . besonders mit dem Obrigkeitsverständnis J . C . Dannhauers (s. dazu M. Kruse, Speners Kritik, 118 ff., 123). 186

Die sog. „Regentenpredigt"

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hin, der für sein Obrigkeitsverständnis wichtig ist. Der König 1 8 8 unter den Bienen hat eine besonders große und ansehnliche Gestalt, ebenso unter den Menschen: „Der Natur nach ist ein Mensch nicht besser als der ander/wir sind alle eines Fleisches und eines Geblüts/doch ziehet Gott unter viel Tausenden einen herfür/und gibt ihm ein solches Ansehen/daß die andern alle ihn fürchten müssen. Gott hat mit seinen Geboten sie also umzeunet und verwahret/daß die Unterthanen sie/als Gottes Ordnung ehren und fürchten müssen/damit beweiset Gott Gnade und Güte/beydes den Regenten und Unterthanen." 1 8 9 Die besondere Stellung der Regenten beruht nicht auf einer natürlichen Hervorhebung gegenüber anderen Menschen, etwa aufgrund besonderer, vorgegebener ethischer Qualität ihrer Handlungen, sondern allein in den durch Gott verliehenen Gaben, mit denen sie Gottes Ordnung zu bewahren haben. Die hohe göttliche Würde der Obrigkeit, ihre Begabung „mit Ehre und Reichthum" ist unmitelbar mit ihrer Funktion verbunden, daß sie über viele Menschen herrschen und ihnen Schutz bieten soll 1 9 0 . Wenn Lütkemann somit sagen kann: „Je mächtiger der Regente/je mehr sich dessen das Volck zu erfreuen hat" 1 9 1 , so ist vor allem auf die große Verantwortung und Verpflichtung dieser Macht abgehoben. In dem hohen Anspruch liegt schon der Ansatz zu einer Betrachtung, die zum kritischen Vergleich der vorhandenen Wirklichkeit mit diesem Maßstab herausfordert. Mit einer Aufforderung zum Dank auf Seiten der Obrigkeit und Untertanen, „daß Gott ein gut Regiment gibt und erhalte" 192 , endet das Exordium der Predigt 193 . 188 Daß es sich bei den Bienen eigentlich um eine Königin handelt, spielt natürlich bei diesem Vergleich keine Rolle. 1 8 9 1 34. 190 Ebd. 191 Ebd. U m das rechte Verständnis dieser Macht geht es Lütkemann, was ihre faktische Gegebenheit voraussetzt. 192 Ebd. 193 Daß Lütkemann in seiner Einleitung so ausführlich auf das Bienengleichnis eingeht, in dem die Grundlinien seines Obrigkeitsverständnisses schon deutlich erkennbar sind, wird über die verbreitete emblematische Denkweise der Zeit hinaus möglicherweise noch einen weiteren Sinn haben. In dem zeitlich und inhaltlich mit Lütkemanns Regentenpredigt benachbarten Traktat des Johann Balthasar Schupp „Salomo Oder Vorbild eines guten R e g e n t e n . . . " , Hamburg 1657 (Signatur: 152.10 (1) Eth. H A B Wolfenbüttel) taucht ein ähnliches Naturbild auf. Gegenüber der „weltlichen", vernunftmäßigen Staatslehre weist Schupp auf den Sperling hin, jenen kleinen Vogel mit einem kleinen Kopf und winzigen Gehirn, der klüger ist als Plato und Sokrates ( A X v ) . Denn er baut sich sein eigenes Nest, versorgt und beschützt es als Grundlage eines sinnvollen, gattungsmäßigen Zusammenlebens. Wenn schon die Natur solches lehrt, wie viel mehr die Bibel, aus der Schupp die alleinigen Anweisungen für das politische Leben finden w i l l : „Ich halte dafür/ daß keine vollkomenere Politic zu finde sey/ als in der Bibel." (Vorrede, A III). Das Werk Schupps ist eng mit dem seines Schwiegervaters Reinking verbunden, vor allem in dem leidenschaftlichen Kampf gegen die machiavellische ratio status. Auch in Lütkemanns Regentenpredigt steht im Mittelpunkt diese Abwehr. Man kann darum schon in diesem Bienengleichnis ein Präludium des Kampfes gegen die ratio status sehen. Vgl. zu Schupp H . L e u b e , Staatsgesinnung und Staatsgestaltung, in: Festschrift für Ludwig Ihmels, hg. von R. Jelke, Leipzig 1928,135-164 und ders., Reformideen, 80 ff.

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Danach geht Lütkemann auf den besonderen Anlaß ein: „An diesem O r t thun wir solches ordentlich auff diesen Tag/und erinnern uns/daß an demselbigen nun vor zwölff Jahren diese Stadt und Vestung ihrem rechtmäßigen Erb-Herrn übergeben/und auß der Hand gewaltsahmer und frembder Regierung gehoben ist. D e m höchsten Gott sey Preiß und Ehre/daß er uns Christliche Obrigkeit gegeben/und biß daher in grossen Gnaden erhalten h a t . " 1 9 4 Für das weitere Verständnis der Regentenpredigt ist es u . E . wichtig, festzuhalten, daß Lütkemann zunächst den Dank gegenüber Gott für die vorhandene und bis jetzt erhaltene christliche Obrigkeit abstattet. Erst danach folgt der Hinweis auf Text und Thema der Predigt. Darin kommt mehr als nur die übliche rhetorische Verbeugung vor der regierenden Herrschaft zum Ausdruck. Wir sehen hier vielmehr deutlich die Richtung angezeigt, in die das Folgende gesprochen ist. Zuerst stellt Lütkemann dankbar fest, daß die gegebene christliche Obrigkeit, das Regiment Herzog Augusts, sich dazu bekennt, „daß sie ihre Regierung von Gott hat/und daß Gottseligkeit zur glücklichen Regierung viel helffe." 1 9 5 Dann folgt die Textverlesung und danach die Themaformulierung: „Es ist aber nicht undienlich nachzudencken/was doch die Gottesfurcht bey der Regierung thue" bzw. „wie sich mit einem Regenten die Gottesfurcht reime." 1 9 6 Diese Thematik ist allein durch die Ansichten und Bewertungen verursacht, die über die Verhaltensweisen eines Fürsten umlaufen: „Wenn man einen Fürsten lobet/daß er klug und verschmitzet/daß er tapfer/großmühtig/und behertzet/das lässet sich hören. Wenn man aber saget/das ist ein frommer Herr/das klinget eben nicht so herrlich in der W e l t . " 1 9 7 Gewiß taucht hier nicht ohne Grund die Bezeichnung „frommer H e r r " auf, mit der sich Lütkemanns eigene Zielvorstellung einer „christlichen Obrigkeit" mit dem allseits bekannten Selbstverständnis des regierenden Herzogs August verbindet. Demgegenüber und angesichts der geringen Anerkennung eines „frommen Herrn" in der Welt ist aber auch die jetzt vorherrschende Meinung über die rechten Verhaltensweisen eines Fürsten klar bezeichnet: die weltkluge, listige „Macht oder Regierkunst" der machiavellischen ratio status, der Staatsräson. Der leidenschaftlichen Kampfansage gegen diese Statisten und den von ihnen beherrschten Fürsten widmet sich Lütkemanns Regentenpredigt. Damit steht sie inmitten jenes Kampfes des deutschen Luthertums des 17. Jahrhunderts gegen die Staatstheorie Machiavellis und seiner verschiedenen Rezeptoren vor allem in Italien und Frankreich, aber auch im Deutschen Reich, von dem Hans Leube sagte: „In seinen großen juristischen, dogmatischen und 1 9 4 1 34 f. In dieser Formulierung kommt auch eine Reverenz gegenüber dem Regiment H e r z o g Augusts im faktisch-juristischen Sinn zum Ausdruck, die dann nach der inhaltlichen A r t und Weise dieses Regiments ergänzt wird. 195 135. Das geschieht auch dadurch, daß sie Psalm 3 7 / 3 4 „zu einem Ordinarien T e x t auff gegenwärtiges Danckfest verordnet" hat (135). 196

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ethischen Werken, in der Predigt- und Erbauungsliteratur, überall, wohin man auch blickt, tobt dieser erbitterte Kampf gegen die Lehre von der ratio status, zu deren Kennzeichnung als ein fremdes undeutsches Gebilde man oft und gern die französische Bezeichnung: raison d' Estat gebraucht. Bei der Anwendung der Staatsräson wird die christlich-ethische Haltung dem vermeintlichen Staatsinteresse geopfert; ... der Fürst lebt nicht mehr seinem Volk, sondern sich selbst; es herrscht der schnöde Eigennutz." 198 Der Begriff der Staatsräson, ragion di stato, ist noch nicht von Machiavelli selbst geprägt worden, doch schließt er sich an seine vom 16. bis zum 18. Jahrhundert vieldiskutierten und zahllose Kontroversen auslösenden Werke 1 9 9 an, in denen der entscheidende Schritt von der Tugend- und Pflichtenlehre der Fürstenspiegelliteratur 200 zur autonomen Staatskunst als Herrschaftstechnik vollzogen wurde 2 0 1 . Indem Machiavelli nach den Bedingungen fragte, unter denen Herrschaft erworben und gesichert werden könne - vom Blickwinkel des Herrschenden, des Fürsten aus gesehen bereitete er einer Auffassung den Boden, die in dem Begriff der Staatsräson den politischen Bereich zum autonomen, nur seinen eigenen Zwecken folgenden Herrschaftsbereich erklärte. Vor allem in Italien entstand in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts eine verbreitete Literatur, die sich mit den A n schauungen Machiavellis unter den veränderten Gegebenheiten des Zeitalters der Gegenreformation auseinandersetzte. Friedrich Meinecke, der ihre charakteristischen Züge dargestellt hat 202 , sagt zu dieser italienischen Staatsräsonliteratur: „Machiavelli galt jetzt als verruchter Heide, aber die Praxis der Höfe und Staatsmänner folgte seinen Spuren... So fühlte man sich hin und her gerissen 193 H. Leube, Ideen und Taten im deutschen Protestantismus nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Orthodoxie und Pietismus, A G P 13, Bielefeld 1975, hg. von D. Blaufuß, 89-112, 93. Man wird über diesen Kampf des deutschen Luthertums gegenüber der Staatsräsonliteratur heute allerdings etwas differenzierter urteilen müssen als noch zur Zeit Leubes. Die Arbeiten zur Geschichte der politischen Wissenschaft in der frühen Neuzeit, z. B. von G. Oestreich und H. Dreitzel, setzen neue Akzente. Der sog. politische Neuaristotelismus an der Universität Helmstedt (Henning Arnisaeus und später Hermann Conring) zeigt, wie sich auf dem Boden des Luthertums die erste ganz weltliche Staatslehre entwickeln konnte (H. Dreitzel, Protestant. Aristotelismus, 428). 1 9 9 Vor allem an Machiavellis kleine Schrift „II Principe"; sie entstand zwischen 1512 und 1517, wurde aber erst nach seinem Tod im Jahre 1532 gedruckt. Auch seine „Discorsi sopra la Prima Deca di Tito Livio", 1531, lösten erhebliche Kontroversen aus, da er hierin die Nützlichkeit der Religion für den Staat allein unter dem Zweckgesichtspunkt der staatlichen Herrschaftssicherung als instrumentum regni verhandelte. Aus der umfangreichen Machiavelli- und Staatsräsonliteratur sei hier nur auf Folgendes hingewiesen: F. Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, Berlin '1929; P. L. Weinacht, Staat. Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 2), 1968, 139-151; M. Stolleis, Arcana imperii und Ratio status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen ^ . J a h r h u n derts. Veröffentlichungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg Nr. 39, Göttingen 1980; s. auch V.Sellin, Art. Politik, Geschichtl. Grundbegriffe, B d . 4 , Stuttgart 1978, 808 ff. 200 201 202

S. Bruno Singer, Art. Fürstenspiegel, TRE 11 (1983), 707-711. Vgl. H. Dreitzel, aaO., 148. Die Idee der Staatsräson, aaO., 147-160.

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zwischen den Erfordernissen der praktischen Politik, die in Machiavellis Bahnen drängten, und den Lehren der Kanzel und des Beichtstuhls, die Lüge, Betrug und Untreue verdammten. Man half sich... mit der Aufstellung einer gereinigten und entgifteten, einer ,guten' Staatsräson... Die ganze ungeheure Spannung zwischen den überlieferten und neu belebten Idealen der kirchlichen Weltanschauung und dem aufsteigenden modernen Staat spiegelt sich in ihnen." 2 0 3 Auch in Deutschland zieht sich durch das ganze 17. Jahrhundert die Literatur der Staatsräson und ist die ratio status „das Hauptschlagwort der politischen Publizistik... und nach dem Dreißigjährigen Krieg Leitidee der den frühabsolutistischen Staat aufbauenden Kräfte." 2 0 4 In welcher Weise steht nun Lütkemann als Wolfenbütteler Hofprediger inmitten dieses Stromes der verschiedenartigen Aneignung und Abweisung der Ideen der Staatsräson in der Mitte des 17. Jahrhunderts? Nach der Darstellung der Akzente, die Lütkemann in seiner Regentenpredigt setzt, wollen wir versuchen, seinen Standort im Rahmen des lutherischen Kampfes gegen die Staatsräson etwas näher zu bestimmen. Gottesfurcht und Staatsräson als die jetzt herrschende egoistische „Macht und Regierkunst" - das ist der scharfe Gegensatz, unter den Lütkemann seine Regentenpredigt thematisch stellt. Zu diesem vorfindlichen Kontrast führt ihn seine Ausgangsfrage, inwiefern die Gottesfurcht zur Regierungstätigkeit von Nutzen sei bzw. wie ein Regent in seiner Herrschaftsausübung mit den Intentionen der Gottesfurcht zusammenstimmt. Daß Gottesfurcht und Fürstenherrschaft prinzipiell zutiefst zusammengehören, ist die selbstverständliche Voraussetzung vor der wahrgenommenen Wirklichkeit, die Wahrheit des Sollens vor 2 0 3 A a O . , 147f. Als Mittel, die alten Rechtsideen des Ständestaates beharrlich und zielstrebig aufzulösen, sieht Meinecke die Idee der Staatsräson in der neueren europäischen Geschichte: „Die Idee der Staatsräson gehört so zu den allerwichtigsten Merkmalen und Fermenten dessen, was man die neuere Geschichte nennt." (160). 204 J . Wallmann, Zwischen Reformation und Humanismus, a a O . , 366. Sie stand zunächst unter dem starken Einfluß der italienischen und nimmt ihren Anfang mit dem W e r k des Arnold Clapmarius (seit 1600 Professor der Geschichte und der Politik in Altdorf): „ D e arcanis rerum publicarum libri sex", Bremen 1605; bis 1673 wurde es dreizehnmal aufgelegt. Vgl. F . Meinecke, a a O . , 163ff. und H . Dreitzel, a a O . , 149f. - D e r Begriff ratio status, der keinen gleichwertigen deutschen Ausdruck finden konnte, wurde schon bei Clapmarius zu einem Rechtsbegriff, zum jus dominationis, das dem b o n u m publicum zu dienen hat. V o n Clapmarius wurde auch der Helmstedter Arnisaeus beeinflußt und geht der W e g der deutschen Staatsräsonliteratur zu dem Tübinger Juristen Christoph Besold, zu Bogislav C h e m n i t z und seinem „Hippolithus a Lapide" und zu H e r m a n n Conring, der seine Staatsräsonlehre in der Mitte des 17. Jahrhunderts in der dem Markgrafen von Brandenburg gewidmeten „Dissertatio de ratione status", 1651, dargestellt hat. Vgl. zu C o n r i n g W . Lang, Staat und Souveränität bei H e r m a n n Conring, Jurist. Diss., München 1970. D a ß auch in der lutherischen Welt die Gedanken der Staatsräson nicht nur ausschließlich polemisch Eingang finden konnten, hat F . Meinecke am Beispiel des Fürstlich-Ottingischen Hofrates J o h a n n Elias Keßler gezeigt. D i e heftige Polemik gegen Machiavelli und vor allem gegen seine Behandlung der Religion ließ ihn doch an die Gottgewolltheit der Staatsräson glauben, die zu gewissen moralischen und religiösen Zugeständnissen gegenüber dem Staatsinteresse führen kann, wenn es dem G e m e i n wohl dient. Vgl. zu ihm F . Meinecke, a a O . , 170ff.

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dem Sein 2 0 5 . In dieser Thematik und inhaltlichen Kontrastierung stehen sich zwei Verhaltensweisen, zwei ethische Grundmaximen des Handelns gegenüber, die von zwei grundverschiedenen Arten von Regenten repräsentiert werden: den gottseligen Fürsten und den gewissenlosen Statisten 2 0 6 . Durch die Art und Weise des persönlichen Handelns wird sichtbar, wohin dieser oder jener Fürst und seine Ratgeber gehören. Bevor jedoch Lütkemann zu dieser Unterscheidung kommt 2 0 7 , stellt er zunächst allgemein heraus, was die Aufgabe eines Regenten sein soll: „Ein Regente solte ja billich seyn eine Creatur die über ein Land gesetzt und über das gemeine Beste wachen solte. Das gemein Beste heist man jetzo auff Latein/Ratio Status." 2 0 8 Mit dieser begrifflichen Gleichsetzung von ratio status mit dem Gemeinwohl, dem der Regent zu dienen habe, steht Lütkemann in der verbreiteten deutschen Tradition des Antimachiavellismus 2 0 9 , der dem italienisch-französischen Fremdwort wenn nicht direkt polemisch, so doch nur im Rahmen der christlichen Obrigkeits- bzw. Regentenlehre des patriarchalischen Territorialstaates begegnete. Der princeps christianus hat als Amtmann Gottes für die „gemeine Wohlfahrt" 2 1 0 , für das bonum commune zu sorgen, das auch der ursprüngliche Sinn des neuen Modewortes ratio status ist. D o c h dieser gute, alte Sinn von Fürstenherrschaft hat sich nun in das schreckliche Gegenteil verkehrt, das nur mit der Herrschaft des Teufels und der Entfesselung des Bösen schlechthin verglichen werden kann 2 1 1 . Die ganze Wucht des Einbruchs der machiavellistischen Gedanken der Abtrennung der Politik von der Religion und ihres Gebrauchs als Herrschaftssicherung in den deutschen lutherischen Territorialstaat ist noch nachzuspüren, wenn der lutherische Hofprediger Lütkemann diesen ungeheuerlichen Vorgang mit dem 2 0 5 „Die Gottesfurcht ist zu allen Dingen nütz und gut/ diß bezeuget die Schrift. So solte die Gottesfurcht ja auch zur Regierung gut s e y n . . . " Lütkemann ist vorwiegend an dem „Daß" dieses Zusammenhanges und seines Gegensatzes zur vorfindlichen Wirklichkeit interessiert, nicht an dem „Wie" und damit an möglichen differenzierenden Unterscheidungen. 206

145.

Sie erscheint erst gegen Ende der Predigt, hat aber zu ihrem rechten Verständnis grundlegende Bedeutung. Allein gegen die gewissenlosen Statisten (und gegen diese wahrhaftig in aller Schärfe!) richtet sich Lütkemanns Regentenpredigt. Ein gottseliger Regent dagegen kann nicht genug gepriesen werden. Auf dem Verhalten der Regenten liegt der entscheidende Akzent in Lütkemanns Obrigkeitsverständnis. 207

208 135 f. - Das Sollen dominiert über dem Sein - ein deutlicher gedanklicher Gegenzug gegenüber der machiavellistischen Perspektive, die den Menschen betrachtet wie er ist, nicht wie er sein soll. 2 0 9 Vgl. zu dem deutschen Antimachiavellismus des 17. Jahrhunderts in den Regierungshandbüchern, Flugschriften und literarischen Werken M . Stolleis, Arcana imperii, aaO., 23 ff. 2 1 0 Dies der Grundgedanke des nur ein Jahr nach Lütkemanns Regentenpredigt erstmals erschienenen Deutschen Fürstenstaates Veit Ludwig von Seckendorffs, der für die ältere deutsche Staatsund Verwaltunglehre von größter Bedeutung gewesen ist. Vgl. dazu M. Stolleis, V. L. von Seckendorf^ in: Stolleis (Hg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1 9 7 7 , 1 4 8 f f . 2 1 1 Daß dies natürlich eine Sinnumkehrung der historischen Tatsachen bedeutet, gehört zu der besonderen F o r m der Aneignung dieses Fremdwortes, gegen dessen machiavellistisches Verständnis man nur im Rahmen eines nachträglichen Sündenfalles polemisieren konnte.

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Sündenfall selbst vergleicht: „Adam war von Anfang erschaffen nach dem Bilde Gottes/und hatte ein schönes/treffliches und Göttliches Ansehen. Wann Gott Adam ansahe/so sähe er sein Bild/und war der Mensch wie ein kleiner Gott in der Welt. Es kam aber der Teuffei darzu/und verkehrete solches herrliche Bild gantz in den Grund/also daß der Mensch/der vorher Gott ähnlich war/itzt dem grausahmen Teuffei gleich und ein junger Teuffei in der Welt ward. Ratio Status ist ihrem Ursprung nach ein herrlich/trefflich und Göttlich Ding/daß einer wer über das gemeine Beste/daß man die Unschuld schützte/dem Bösen wehrete/ und alles in guter Ordnung halte/das ist ein Göttlich Ding. Eine Obrigkeit ist Gottes Dienerin und Fürbilde/Ein Fürst ist wie ein Gott in der Welt/aber was kan der Teuffei nicht thun? Der hat sich auch zu Ratio Status gesellet/und dieselbe also verkehret/daß sie nun nicht mehr/als die gröste Schelmerey von der Welt ist. Daß ein Regent/der Ratio Status in acht nimt/unter desselben Nahmen frey thun mag alles was ihm gelüstet/und kan ich nicht anders sagen/als daß das herrliche Bild Gottes im Regiment in ein schändlich Bild des Satans verwandelt sey." 2 1 2 Die Beanspruchung des Teufels im leidenschaftlichen Kampf gegen die machiavellistische ratio status hat freilich schon eine lange Tradition 2 1 3 , und auch im zeitgeschichtlichen Kontext der Regentenpredigt Lütkemanns erscheint die Staatsräson als die Ursache für alle Übel, die sich seit Anbeginn der Welt ereignet haben 2 1 4 . Doch die Art und Weise, wie Lütkemann nun das Bild eines nach der Staatsräson handelnden Fürsten vor die Augen seiner Hörer und 212

136.

Michael Stolleis bemerkt dazu, daß der Antimachiavellismus schon vor der Drucklegung des „Principe" eingesetzt hat, und zwar unter ausdrücklichem Hinweis auf den Teufel. D e r englische Kardinal Reginald Pole ( 1 5 0 0 - 1 5 5 8 ) , ein Verwandter und erbitterter Gegner Heinrichs V I I I . , habe bei der Lektüre des „Principe" gesagt ( 1 5 2 7 / 2 8 ) : „Kaum begann ich es zu lesen, so erkannte ich, daß es - obwohl es den N a m e n und den Stil eines Menschen vorweist - doch von der H a n d eines Teufels geschrieben ist." (zitiert nach M . Stolleis, Arcana imperii, a a O . , 9 f . ) . H i e r seien schon alle wichtigen Argumente des folgenden antimachiavellistischen literarischen Feldzuges genannt. D i e V o r würfe des Atheismus und der Ketzerei machten die Bekämpfung Machiavellis zu einem Stück Gegenreformation. 213

2 1 4 I m deutschen Luthertum zur Zeit Lütkemanns sei auf die schon genannte „Biblische P o l i c e y " des Dietrich Reinking hingewiesen, die die Staatsräson ebenfalls als die Ursache des Abfalls der Stammeltern, als das Grundübel vom Anfang der Welt, bekämpft. R a t i o status ist schuld, daß Kain Abel erschlägt, sie ist der älteste A b g o t t , des Teufels Dekalog. D i e Staatsräson zerstört alle göttliche und menschliche O r d n u n g . Auch die Verbindung mit dem Atheismus taucht bei Reinking auf: „Cain war der erste Atheist und der Mann von Estat, nach ihme sind viel gewesen und noch werden auch bleiben biß an der Welt E n d e . " (Biblische Policey, F r a n k f u r t / M . 1701, 5. Aufl., 106f.). A n Reinking schließt sich J . B . S c h u p p mit seinem „Salomo oder Vorbild eines guten R e g e n t e n " , H a m b u r g 1657, an: „Die Machiavellische Ratio Status ist nichts newes/ sondern ein alt W e r c k / das von Anfang der Welt gewehret h a t . . . " , sie ist der „inversus Decalogus" ( a a O . , A X I v , s.u. A n m . 193). U n d Seckendorff setzt die Staatsräson mit Arglistigkeit, Untreue, Schandtat und Leichtfertigkeit gleich (Vorrede zum Teutschen Fürstentstaat, 3. Aufl. 1664). Z u m Atheismusvorwurf s. H . M . Barth, Atheismus, und O r t h o d o x i e . Analysen und Modelle christlicher Apologetik im 17. Jahrhundert, Göttingen 1971.

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späteren Leser malt, hat in der Anschaulichkeit und Direktheit kaum etwas Vergleichbares in der umfangreichen und vielgestaltigen antimachiavellistischen Literatur der Zeit. Das Besondere liegt gewiß nicht zuletzt darin, daß hier von der Kanzel im öffentlichen Gottesdienst der machiavellistische Geist als egoistische „Macht- und Regierkunst" an Höfen und in fürstlichen Ratsstuben gebrandmarkt wird. Hier nimmt ein lutherischer Hofprediger und oberster Generalsuperintendent in der Predigt das seit Luthers Zeiten geübte Strafamt wahr, nun aber in einer Zeit, in der nach dem Dreißigjährigen Krieg im Vollzug der Konsolidierung des frühabsolutistischen Staates die Kritik an solcher öffentlichen politischen Predigt immer stärker w u r d e 2 1 5 . Im Bild eines Tieres 2 1 6 veranschaulicht Lütkemann einen solchen nach der Staatsräson handelnden Regenten, bei dem an die Stelle der Sorge für das Gemeinwohl der nackte Eigennutz getreten ist. Zunächst werden sechs verabscheuungswürdige Verhaltensweisen dieses „Regiertieres" vorgestellt: „Zum Ersten ist ein solcher Regent ein Regiersüchtiges Thier/es wil sich mit einer Regierung nicht begnügen lassen/je mehr Landes er hat/je mehr Landes er suchet." A m Beispiel des „regiersüchtigen" Alexander des Großen wird die 2 1 5 D e r Zeitgeist und die „normale" Praxis wird besonders deutlich in dem Traktat „ S a l o m o " J . B . Schupps: „ O f f t bemühen sich die Politici/ daß ein H e r r zu einem Hoffprediger annehme einen guten M a n n / der gute G a b e n hat aus einer Postill zu predigen/ und im übrigen fünffe last gerad seyn/ un ihn nicht in die Charte g u c k t . " ( a a O . , E I X , s.u. A n m . 193). „Die Politici geben vor/ es sey Unrecht daß ein Prediger auff der Cantzel grosser Herren Laster berühre/ und straffe öffentlich was an ihrem H o f e v o r g e h e . . . " ( B V I I I v ) . Dagegen setzt der lutherische H a m b u r g e r Pastor Schupp und frühere Hofprediger beim Landgrafen von Hessen-Rheinfels: „Es ist nicht genug daß ein Prediger auff der Cantzel stehe/ und ein Stund lang daher schwatze/ worin sich die Unterthanen gegen ihre Obrigkeit versündigen, sondern er muß auch der Obrigkeit sagen/ was ihr zu sagen ist." ( B I X v ) . Was Schupp in diesem Traktat fordert, verwirklicht Lütkemann in seiner Regentenpredigt. 2 1 6 N a c h d e m Lütkemann die Verkehrung des herrlichen Bildes Gottes im Regiment in das Bild des Satans beklagt hat, liegt es nahe, daß sich seine Rede vom Regiertier als Bild des von der Staatsräson beherrschten Regenten an A p k 13 anschließt. Ein gutes Jahrzehnt vor der Regentenpredigt Lütkemanns wird die weltliche Obrigkeit schon einmal im Bild des Tieres kritisiert: bei Christian H o b u r g . In seinem „Spiegel der Mißbräuche beym Predig-Ampt im heutigen Christent h u m b " , o. O . 1644 (Signatur: 6 9 8 . 6 T h e o l . H A B Wolfenbüttel) heißt es: „ D e r M u n d deß Tiers der Weltlichen Anti-Christischen Obrigkeit regieret jetzunder im Reich Christi." (13). H o b u r g wurde von orthodoxer Seite scharf angegriffen, da er die Obrigkeit vom widergöttlichen, antichristlichen Drachen der Apokalypse hergeleitet habe. In seinem Fürstenspiegel von 1645, den er den Söhnen H e r z o g Augusts widmete, ist er bemüht, dieser Kritik entgegenzutreten. W e d e r H o b u r g noch erst recht Lütkemann dachten mit einer solchen Rede im entferntesten daran, die göttliche Stiftung des obrigkeitlichen Amtes in Frage zu stellen. Eine Berührung Lütkemanns mit H o b u r g fällt auch an anderen Stellen der Regentenpredigt auf, so daß man eine Kenntnis der W e r k e H o b u r g s bei Lütkemann annehmen kann. D i e Obrigkeitskritik Hoburgs geht jedoch in eine sehr andere R i c h tung als diejenige Lütkemanns. D e m fleischlichen Wesen der nicht wiedergeborenen Prediger gilt vor allem H o b u r g s Kritik. D i e Obrigkeit ist in ihrem antichristlichen Regiment nur Erfüllungsgehilfe der „weltlichen" Prediger. (Vgl. zur Obrigkeitskritik H o b u r g s M . Kruse, Speners Kritik, 1 4 1 - 1 6 8 ) . I m frömmigkeitlichen Verständnis der „ W e l t " und der daraus folgenden schroffen Gegenüberstellung der „weltlichen" und frommen Regenten sehen wir jedoch nicht wenige inhaltliche Berührungsmomente zwischen Lütkemann und H o b u r g . Auch H o b u r g ist Arndtverehrer und. ein leidenschaftlicher Kämpfer gegen die ratio status.

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Eroberungspolitik verurteilt, die auch die heutigen statistischen Regenten betreiben: „Ja gewißlich/viel Regenten möchten still und geruhig leben/wenn sie sich mit dem könten begnügen lassen/das ihnen Gott gegeben hat. Aber wenn sie im Frieden solten besitzen allein was sie haben/das achten sie vor großen Schaden." 2 1 7 In engem Zusammenhang mit der gewaltsamen Herrschaftsausdehnung steht die Ruhmsucht, um sich als Kriegsheld bei der Nachwelt berühmt zu machen: „Zum andern ist ein Regent nach der heutigen Beschreibung/ ein Ruhmsüchtig Thier/das begehret in aller Welt und bey den Nachkommen einen grossen Nahmen zu haben." Unter Anführung eines römischen Sprichwortes, wonach man entweder durch die Feder oder durch das Schwert berühmt werden könne, heißt es: „Wenn denn die Regenten nicht groß drauff geben/sich mit der Feder berühmt zu machen/so greiffen sie zum Schwerdt/und gedencken sich damit berühmt zu machen/damit auch die Nachwelt weiß/daß sie Regenten gewesen seyn." 2 1 8 Neben Ehrgeiz und kriegerische Ruhmsucht tritt die Geldgier: „Zum dritten ist auch ein Regent ein Geldsüchtiges Thier. Wenn einer ein Fündlein erdencken kan/groß Geld auffzubringen/der ist ihm der liebste Diener. J e mehr sie bekommen/je mehr sie s u c h e n . . . je mehr Länder sie bekommen/je ärmer sie werden/ daß auch niemand mehr Schulden hinter sich lässet/als die mächtigsten Potentaten. Also erwecket der Mangel die Begierde/und die Begierde häuffet den Mangel." 2 1 9 Der schlimme Geiz führt bei einem Regenten, der sich nach der ratio status ausrichtet, zu einem räuberischen Handeln, das alles mit allen Mitteln an sich zu reißen sucht: „Zum vierdten ist ein Statistischer Regent ein Räuberisch unrechtfertiges T h i e r . . . Er muß an sich ziehen/alles was er nur kan/ es geschehe durch Recht oder durch Unrecht/es gereichet alles zu dem gemeinen Besten. Solte wol jener Seeräuber nicht recht gesaget haben? Er/der Seeräuber wäre nur ein kleiner Räuber/aber der grosse Alexander wäre ein grosser Räuber/ welcher zu Wasser und Lande die gantze Welt beraubete." 2 2 0 Aber alle schändlichen Handlungsweisen des „Regiertieres" werden mit List und Täuschung zu verdecken versucht: „Zum fünfften ist ein Regent/wie er von 217 137. - Auch H o b u r g polemisiert gegen das Bestreben der Fürsten, immer mehr Land zu besitzen, statt sich mit dem vorfindlichen zu begnügen. „ O wie wird mancher Regent an jenem Tag bestehen/ der umb Erweiterung seiner Herrschaft viel Blut vergossen/ da er doch dasjenige Land unnd die Leute/ so er schon hatte/ recht zu regieren nicht sufficient war." (Christ-Fürstlicher Jugend-Spiegel, Frankfurt/M. 1645. Signatur: E 720 Calvörsche Bibliothek Clausthal Zellerfeld, 7 9 ; s. auch 5 9 , 6 2 , 78f.). 218 137. - Seit Luthers Auslegung des 101. Psalms zieht sich durch die ganze lutherische O r t h o doxie die Bemühung der Hofprediger, die Regenten, vor allem die jungen Prinzen, zu den Studien anzuhalten. 219 137f. - D e r unersättliche Durst der „Weltleute" war auch ein wichtiges Gegenmotiv gegenüber der wahren Gottesliebe in seinem Erbauungsbuch „Vorschmack göttlicher Güte." Das Geld und Gut der Reichen und Mächtigen führt zu immer neuer Begierde und neuem Mangel. (Vorschmack, aaO., 1/13). 2 2 0 1 38. Das Beispiel vom kleinen Seeräuber und großen Räuber Alexander dient in der orthodoxen Obrigkeitskritik häufig zur Veranschaulichung der großen Habsucht bei den Regenten.

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uns verstanden wird/ein listiges Thier. Es weiß wol/daß es nicht alles recht ist was es thut/es weiß aber auch seinen Wesen eine solche Farbe zu geben/daß man meinen muß/es thue recht. Und in dem Fall vergleiche ich sie einen Mörder." 2 2 1 „Es ist kein Potentat/der den andern angreifft/und unrecht haben wil. Da muß ein öffentliches Manifest in die Welt/das muß beweisen/daß sie nicht ohne Ursach Blut vergiessen und rauben." 2 2 2 Schließlich prangert Lütkemann die grausame Aussaugung der Armen an: „Zum sechsten ist ein Regent nach der Statischen Beschreibung ein grausahm unbarmhertzig Thier. Das weisen die grausamen Auflagen/damit das arme Volck/die Kinder des lebendigen Gottes gedränget werden. Wenn schon ein armer Mann mit seinen Kindern nicht solte ein Bißlein Brodt vor sich behalten/ das beweget sie nicht: Es beweisets die unmenschliche Begierde Krieg zu führen." 2 2 3 Die heftige Anklage Lütkemanns kommt hier, bei der Unterdrükkung der Armen in Verbindung mit dem Kriegsunwesen, zu ihrem Höhepunkt. Die furchtbaren Erfahrungen während des großen Krieges, die sein Leben und Wirken entscheidend bestimmten, führen ihn zu bitterer, scharfer Kritik an der noch immer nicht erlahmten, ja neu erwachten Kriegslust der Fürsten: „Die Alten haben dafür gehalten/wenn man Krieg nenne/so nenne man alles Unglück. Denn wer kan auch erzehlen alle den Jammer/so man im vorigen Teutschen Kriege an Menschen und Viehe gesehen? Noch haben unsere Herren Lust dazu/und vergiessen Blut/ja Menschen Blut/ja Christen Blut häuffiger weise/ um Sand und Land/umb ein geringes Wort/um eigene Ehre/umb eine geringe personal injuria. Eines einigen Christen Blut ist von Gott theurer geachtet/als ein gantz Königreich/aber diesen Leuten grauet nicht Christen Blut zu vergiessen ohne Maaß/umb eines einigen Dorffs/oder einer einigen Stadt willen/ sondern rüsten Menschen wider Menschen/Christen wider Christen/und geben ihnen mördliche Waffen in die Hand/sich einander bey Hunderten und Tausenden auffzureiben/da nicht allein der Leib getödtet wird/sondern manches tausend Seelen zu ewigen Verdamniß geführet w i r d . . . Siehe das ist die Gestalt eines Regenten/wie ihn die Statisten haben wollen. In Summa/es ist ein solches Thier/dem fast alle Laster anstehen." 224 Diese schonungslose Antikriegspredigt eines lutherischen Hofpredigers in der Nachkriegszeit des Dreißigjährigen Krieges ragt in ihrer eindeutigen Sprache und vor allem in dem äußeren Rahmen ihrer Kritik gewiß über die Anklagen der Zeit gegen die Staatsräson hinaus 2 2 5 . Denn nicht im Winkel ergeht diese 2 2 1 138. - In einer Beispielgeschichte berichtet Lütkemann von einem Mörder, der einen Wanderer in der Herberge wegen seines Geldes in einen Streit zieht, um so einen V o r w a n d für Raub und Totschlag zu haben. 2 2 2 1 39. 22> Ebd. 2 2 4 1 39 f. Bei Hoburg heißt es: die Christen beißen und fressen sich untereinander wie wilde Tiere (Jugendspiegel, 85). 2 2 5 Darauf weist auch J. Wallmann hin (Zwischen Reformation und Humanismus, aaO., 368).

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Kritik, sondern von der Kanzel im öffentlichen Gottesdienst an einem großen, politisch wie geistig-kulturell bedeutsamen protestantischen Fürstenhof in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Fragt man jedoch, wo sich im zeitlichen und räumlichen Umfeld dieser Regentenpredigt Lütkemanns eine ähnliche Kritik an der Kriegslust der Fürsten in Verbindung mit der Anklage gegen die Unterdrükkung der Armen findet, so wird man zu dem in Wolfenbüttel ja schon bekannten Christian Hoburg geführt. In seinem „Christ-Fürstlichen Jugendspiegel" von 1645 und in seinen anderen Werken 2 2 6 hat er am Ende des Dreißigjährigen Krieges in scharfer Polemik und bitterer Ironie das fortwährende Kriegstreiben der deutschen Fürsten auf Kosten der Armen gegeißelt, oft in direkter Anrede an die Regenten 2 2 7 . Die schreckliche Ungerechtigkeit der statistischen Regenten in ihrem U m gang mit dem einfachen Volk prangert Lütkemann mit den Worten an: „Hurerey und Ehebruch wird an dem gemeinen Mann von ihnen gestrafft/bey ihnen selbst wird es nicht geachtet. Diebe lassen sie hencken/Ihnen stehet jedermans Beutel offen. Mörder werden getödtet: Sie selbst haben Lust unschuldig Blut zu vergiessen." 228 Angesichts dieser schändlichen Handlungsweisen wird nun noch einmal auf die thematische Ausgangsfrage zurückgelenkt: „wie mit solchen Regenten die Gottesfurcht sich reime." 2 2 9 Die Antwort liegt auf der Hand, aber die Art und Weise, wie Lütkemann die Unvereinbarkeit der Gottesfurcht mit der Staatsräson dieser „Regiertiere" zum Ausdruck bringt, setzt einen weiteren, charakteristischen Akzent seiner Obrigkeitskritik. Denn das Schlimmste an diesem unvereinbaren Gegensatz ist die vielfältig praktizierte, geheuchelte Gottesfurcht: „Denn die solche Regenten unterweisen/schreiben ihnen diese Regel für/daß er sich der Gottesfurcht annehme/sich zur Kirchen fleissig halte/von Gottes Wort gerne rede/über die Religion eyfere. Denn sie wissen/daß kein Teuffei so böse ist/er kan sich in einen Engel des Lichts verstellen... Da muß denn niemand mercken/daß diß so ein böses Thier sey/da heist es denn eine Christliche Obrigkeit/eben wie der Teuffei ein heiliger Teuffei ist/also reimet sich ja die Gottesfurcht in Regenten-Stande gar wol/aber als ein Deckel ihrer fleischlichen

2 2 6 Vor allem: „Spiegel der Mißbräuche...", 1644; „Teutsch-Evangelisches Judenthumb", Frankfurt/M. 1644 und „Heutiger langwieriger verwirreter Teutscher Krieg", Lüneburg 1644. 227 Vg] ¿Je Beispiele bei Kruse, Speners Kritik, 154 ff. - A n einer Stelle des „Christ-Fürstlichen Jugend-Spiegels" heißt es in der Auslegung des 101. Psalms, V. 3 (Ich nehme mir keine böse Sache vor): „Unnötige Kriege umb Personal-Injurien/ Titul/ ein Hand voll Landes/ oder Sandes/ Ehre oder Reputation willen/ anfängt." (aaO., 41, s.u. Anm. 217). Das stimmt fast wörtlich mit Lütkemann überein, wenn er die Fürsten anklagt, daß sie noch immer Krieg führen, „um Sand und Land/ umb ein geringes Wort/ um eigene Ehre/ umb eine geringe personal injuria." (s. Anm. 224). 228 1 40. 2 2 9 141. - A n dieser Stelle definiert Lütkemann kurz sein Verständnis von Gottesfurcht: „ . . . daß sie solche Augen erfordere/ die auff Gott sehen/ und daran gedencken/ daß sie ihres Thuns Rechenschafft dermahleins müssen für Gott ablegen..." (141).

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Begierde." 2 3 0 Die inhaltliche Argumentation der Regentenpredigt ist hier an ihren Zielpunkt gelangt. Lütkemann gibt selbst die Antwort auf seine Themafrage, die den schneidenden Gegensatz zwischen Staatsräson und wahrer Gottesfurcht in Gestalt der frommen Heuchelei der Statisten zum Ausdruck bringt: „Ich habe meinem Vorhaben ein gnügen gethan/denn ich mir vorgenommen zusagen/wie sich die Gottesfurcht reime mit einem Regenten/der nach der heutigen Statischen Art sein Regiment führet... Das habe ich nur gethan/und habe gezeiget/es reime mit solchen Regenten die Gottesfurcht sich nicht anders/ als so ferne sie ist ein Deckel der fleischlichen Lüste und Boßheit." 2 3 1 Als Warnung zur Umkehr kündigt Lütkemann den Regenten ein strenges Gericht an: „Ich besorge/es werde ein strenges Gericht über sie ergehen. Denn dieweil sie andere gerichtet haben/sich aber selbsten nicht haben richten wollen/ so wird der höchste Richter auffstehen/und über sie das Gerichte halten. Wem viel vertrauet ist/von dem wird auch viel gefordert werden. Wem ist aber mehr vertrauet als Regenten?" 2 3 2 Die Anklage der Armen im Gericht gegen die Unbarmherzigkeit der Regenten wird in Anlehnung an das Gleichnis vom Weltgericht Mt 25,31 ff. konkret anschaulich gemacht: „Einer wird daselbst aufftreten und sagen: Ich habe noch ein Bißlein Brodt gehabt für mich/und meine Kinder/aber die Regenten haben mir es auß dem Maule gezogen. Die Regenten/die Regenten haben mich drum bracht. Ein ander wird sagen: Ich hatte noch ein eintziges Kühlein/die mit ihrer Milch mich und meine Kinder erlabete/Ich habe sie aber müssen verkauffen/und das Geld den Regenten geben/die Regenten haben mich drum gebracht. Der dritte wird sagen: Ich hatte 2 3 0 141 f. - Der Hauptstoß der Kritik Lütkemanns richtet sich gegen die fürstlichen Ratgeber in den Kanzleien. Das wird hier und an vielen anderen Stellen der Regentenpredigt deutlich. Auch bei der Zeichnung des „Regiertieres" ging es ihm vor allem um die „Beschreibung" eines solchen nach der Staatsräson handelnden Regenten (137, 139, 145f.). Im Antimachiavellismus des 16. und 17. Jahrhunderts war es stets der schändliche Gebrauch der Religion als instrumentum regni, der besonderen Zorn erregte. Bei Lütkemann steht die individuelle Perspektive im Vordergrund: die vorgetäuschte Gottesfurcht bei den Regenten, damit sie umso kräftiger ihren fleischlichen Begierden leben können. 2 3 1 142. - Auch die scharfe Verurteilung des Krieges steht unter dem Zeichen der geheuchelten Religion: „Man sehe nur an/ was grosse Potentaten thun/ wenn sie Krieg führen/ können sie es dahin bringen/ daß die Welt meine/ es gehe die Religion an/ so haben sie schon halb gewonnen." (142). Besonders Hoburg ist es wiederum, der die vorgetäuschte Gottesfurcht bei den nach der Staatsräson handelnden Regenten in ähnlicher Weise aufzeigt. Bei der Auslegung von Ps 2 sagt er in seinem Jugendspiegel: „...meynen, wann sie nur zur Kirchen gegangen/ so hätten sie Gott den rechten Dienst gethan/ hernach aber leben sie ohne Furcht Gottes/ in aller Gottlosigkeit..." (aaO., II, 169). 2 3 2 1 42. - Die Gerichtsandrohung wird mit Jakobus 2,13 und mit Sap Sal 6 begründet, aber auch in Anlehnung an Mt 25,31 ff. Die hohen, von Gott verliehenen Aufgaben fordern von der Obrigkeit eine entsprechend hohe Verantwortung. Dies gehört zur Grundargumentation orthodoxer Obrigkeitskritik in allen Richtungen. Bei Hoburg lautet der zusammenfassende Satz ähnlich knapp wie bei Lütkemann: „viel ist den Regenten anvertrauet/ viel müssen sie auch verantworten. "(Jugendspiegel, aaO., 116). Auch Hoburg spricht ausführlich vom schlimmen Ergehen der bösen Regenten im Jüngsten Gericht (im Zusammenhang mit ihrer Unbarmherzigkeit gegenüber den Armen, ebd. 120, II, 167ff.).

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noch eine Decke/damit ich meinen nackten Leib bedecken konte/ich habe sie aber müssen dahin geben/die Regenten haben mich drum bracht. O das schwere Gericht/das darauff folgen wird/es wird ein unbarmhertzig Gericht gehen über den/der nicht Barmhertzigkeit gethan." 2 3 3 Die Gerichtspredigt Lütkemanns deckt nicht nur die offenkundige, sondern auch die scheinheilige Unbarmherzigkeit und Aussaugung der Armen auf: „Man möchte sagen: E y die Regenten sind gleichwol so unbarmhertzig nicht/daß sie sich der Armen nicht solten annehmen/sie wenden ja groß Geld an die liebe Armuht? Ich gebe es zu/aber was ists? Wenn einer den armen Leuten viel tausend Thaler abgedrungen hat/ und wendet hernach etwan zehen oder zwantzig Thaler an die Armen. Ich fürchte gar zu sehr die Gewaltigen werden gewaltig gestrafft werden." 2 3 4 U m jedes Mißverständnis auszuräumen, daß Lütkemann mit dieser scharfen Obrigkeits- und Sozialkritik ein „Majestätsschänder" sei, faßt er am Schluß seiner Predigt in drei Punkten sein orthodoxes Bekenntnis zum gottgewollten Amt der Obrigkeit zusammen: „Fürs 1. halte ich die Obrigkeit für eine herrliche heilsahme Ordnung Gottes/und ehre dieselbe als Gottes Diener/denen Gott selbst das Schwerd und die Macht in die Hände gegeben h a t . . . Zum 2. zweiffeie ich nicht/daß unter den Regenten viel seyn/die wol wissen und bedencken/daß sie unter G o t t seyn/und deswegen ihr Gewissen in der Regierung wol in acht nehmen. Solche gottsehlige Regenten achte ich sehr h o c h . . . Gewiß ist es/daß ein gottseliger Regent nicht genug kan gepreiset werden. Was ich aber zum 3. hie geprediget habe/gehet die Gewissenlosen Statisten an/und deren Rathgeb e r . . . " 2 3 5 Von dieser unmißverständlichen Position aus wird der Zweck der gesamten Predigt noch einmal eigens thematisiert: als eindringliche Gewissensschärfung für alle im obrigkeitlichen Amt stehenden Personen und für die Untertanen. Denn wenn die Kritik auch nur den gewissenlosen Regenten und ihren Ratgebern gilt, so hat sich doch jeder zu prüfen, wie er im Gericht bestehen und seine Handlungen vor Gott verantworten kann. Der Prediger ist sich sicher, daß seine Kritik bei den „gottseligen Regenten" kein Ärgernis 143 f. 1 44. - Diese Scheinheiligkeit wie überhaupt die schonungslose Kritik gegen die Aussaugungspolitik der statistischen Regenten gegenüber den Armen hat wiederum bei H o b u r g eine kräftige Parallele: Im Zusammenhang von Ps 9 spricht Hoburg von der „Ratio status, die armen zu plagen und zu pressen." Große Herren „gehen auch unterdessen fein ordentlich zur Kirchen/ lassen sich fein tröstlich absolviren unnd commucirn/ meynen es stehe nun gar wol mit ihrer S a c h e . . . ja begeben sich endlich/ wenn sie beyde Kisten und Kasten voll/ und sie so viel den armen Leuthen abgeraubet/ abgeschunden/ abgepresset und abgestohlen h a b e n . . . w e g . . . von H o f an sichere Oerter u n d . . . geben grosse A l m o s e n . . . lassen in der Kirchen ein gedächtnuß machen/ und bringen also das Sünde Gelt ins Heiligthumb vor G o t t : O so sind sie die besten Christen/ werden auch fein absolviret: Unterdessen schreyet der arme Mann/ dem seine Notturfft genommen/ gehet herumb/ winselt und b e t t e l t . . . " (Jugendspiegel, aaO., II, 179f.). Der „Deckel der fleischlischen Lüste und Bosheit" der statistischen Regenten wird hier noch einmal scharf unterstrichen, allerdings mit für Hoburg charakteristischen kritischen Spitzen gegen die Geistlichen, die mit dieser bösen Obrigkeit gemeinsame Sache machen. Dieser Aspekt taucht bei Lütkemann nirgends auf. 234

144 f.

Die sog. „Regentenpredigt"

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findet: „Verständige und gottselige Regenten wissen selbst wol/wie ungleich es im Regiment daher gehet/und können es mit billigen. Es gedencket aber ein jeder/daß er Fleisch und Blut an sich habe. Leichte ist es geschehen/daß derselbe der grosse Gewalt hat/seine Gewalt mißbrauche. Da erforsche sich nun ein jeglicher/der mit den Regenten zuthun hat/wie er sein Gewissen in acht genommen?" 236 Die Gewissensermahnung Lütkemanns richtet sich ganz besonders an die „Herren-Diener", von denen das größte Unheil ausgeht, wenn sie das Wohl ihrer Fürsten auf Kosten der Untertanen zu befördern suchen: „Insonderheit ermahne ich euch Herren-Diener/sehet euch wol für/gedenckt nicht/daß ihr alsdenn eures Herrn Bestes gesucht habt/wenn ihr es suchet mit der Unterthanen Verderben. Unser gnädigster Landes-Fürst und Herr ist von der hohen Majestät Gottes über ihre Unterthanen gesetzt/als ein Hirte unter die Schafe/als ein Vater über die Kinder des lebendigen G o t t e s . . . 2 3 7 Man muß bekennen/daß an Herrn-Höfen der Diener viel gefunden werden/die ihres Herren Nutzen/ Hoheit und Ratio Status also wissen in acht zu nehmen/daß allerley Ungerechtigkeit/und Unbarmhertzigkeit geübet/und der armen Leute Schweiß und Blut herauß gepresset w e r d e . . . Ein Amptmann und Herrn-Diener ist schuldig so wol der Unterthanen Bestes als ihrer Herren zu befördern." 238 Schließlich wendet sich Lütkemann an die Untertanen, denen eine solche politische Predigt auch Wesentliches zu sagen habe. Zunächst werden sie aufgefordert, weiß und schwarz zu unterscheiden, „einen Unterscheid zu machen zwischen der herrlichen Ordnung Gottes und dem Mißbrauch/so solcher O r d 2 3 6 145. - Die Reaktion Herzog Augusts auf diese Regentenpredigt Lütkemanns sollte ihm in dieser Annahme voll Recht geben. Rehtmeyer berichtet in seiner „Nachricht von den Schicksalen... d e s . . . D.Joachim Lütkemann", Braunschweig 1737, vermehrt von Martens 1740, darüber: „Zuletzt ward der fromme und gewissenhafte L ü t k e m a n n . . . bey des regierenden Herzogs Augusti Durchl. von einigen Fürstlichen Bedienten angegeben/ als ob er in einer Predigt/ darinn er das Regier-Thier vorgestellet/ anzügliche Dinge vorgetragen hätte. Als aber der Wahrheit und Gerechtigkeit liebende Fürst die von D. Lütkemann abgeforderte/ und von demselben nach seinem besten Wissen und Gewissen eingesandte Predigt selbst gelesen und geprüfet hatte/ that er einen solchen Ausspruch/ daß Lütkemanns Angeber und Feinde höchst beschämet/ und derselbe in seiner AmtsTreue und gerechten Eifer kräftig gestärket wurde." (aaO., 85). Schon in der Lebensbeschreibung Rehtmeyers 1720 hieß es von Herzog Augusts Reaktion auf die Regentenpredigt, daß „dieser dieselbe völlig approbiret, und D. Lütkemann wider seine ungegründete Angeber treflich beschützt, auch zu fernem ernstlichen und geziemenden Straf-Predigten angewiesen." (Leben Lütkemanns, Braunschweig 1720, 31). In beiden Berichten wird auf die Regentenpredigt von 1655 Bezug genommen, nicht auf eine angeblich 1654 gehaltene Predigt. Vgl. H. Lütkemann, aaO., 154 ff., 275. 2 3 7 Das Hirten- und Vateramt der Regenten für die Untertanen wird in der lutherisch-orthodoxen Obrigkeitsanschauung aller Schattierungen und theologischen Richtungen immer wieder hervorgehoben bis zu Spener. Die Untertanen sind nicht um der Obrigkeit willen in der Welt, sondern die Obrigkeit um der Untertanen willen. (Vgl. zu Spener vor allem seine Predigt „Treue der Obrigkeit", die er 1688 in Dresden über Joh 10/11-16 hielt, s.u. Exkurs.). 2 3 8 1 46. - Der Abschnitt über die „Herren-Diener" läßt in der Allgemeinheit seiner Aussage für die Hörer durchaus die Möglichkeit offen, daß solche statistische Ratgeber auch am Wolfenbütteler Hof zu finden sind.

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nung anhanget/und daß sie umb des Mißbrauchs willen nicht die Ordnung selbst verwerffen und verlästern." Wenn Regenten ihren Stand mißbrauchen und den Untertanen Leid zufügen, so sollen sie „doch umb des Gewissens willen das übel vertragen/und nichts destoweniger die Obrigkeit lieben und e h r e n . . . " Gemeinsame Hilfe in der Not, Mitleid mit den Bedrängten und die rechte Erkenntnis über den Sinn solchen Leides sind die christlich gemäßen Verhaltensweisen: „Wenn ihr von unbilliger unbarmhertziger Gewalt der Regenten höret/so gedencket/daß es eine Straffe von Gott sey/und habt Mitleiden mit demselben die von solcher unbilligen Gewalt gedrücket w e r d e n . . . Christen sind Glieder eines Leibes. Was dem einen wehe thut/soll auch der ander fühlen/ und einer soll dem andern in seiner Last zu Hülffe kommen/mit seufftzen und mit beten." 2 3 9 Der Dank ist dann um so größer, „wenn uns Gott eine Gewissenhafte recht Christliche Obrigkeit bescheret/und daß wir desto mehr und hefftiger für dieselbigen zu Gott beten." 2 4 0 Im abschließenden Gebet wird der Dank für die heilsame Ordnung der Obrigkeit, die Fürbitte für die Schwachheit der Menschen im Regieramt und ihre Angewiesenheit auf die göttliche Hilfe zum Ausdruck gebracht. Besonders wird der regierende Herzog August der göttlichen Gnade empfohlen 2 4 1 . Im Rückblick auf diese denkwürdige Regentenpredigt stellen wir nun noch einmal die Frage nach dem Profil des lutherischen Hofpredigers Joachim Lütkemann und seiner zeitgeschichtlichen Bezüge im Rahmen des Antimachiavellismus in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Hatte der Hofprediger Basilius Sattler am Anfang des Jahrhunderts gegenüber dem Geist des Späthumanismus an der Universität Helmstedt und den absolutistischen Neigungen seines Herzogs Heinrich Julius die Grundsätze der strengen lutherischen Orthodoxie und des eigenständigen, zentralistisch geleiteten Kirchenregiments konsequent vertreten, so ist der Hofprediger Joachim Lütkemann eine gute Generation später durch die geistig-politische Konstellation nach dem Dreißigjährigen Krieg in wesentlich höherem Maße herausgefordert. Die Geschichte des politischen Denkens im 17. Jahrhundert wurde immer stärker vom Aristotelismus im Sinne einer „natürlichen Staatslehre" bestimmt, d.h. vorwiegend oder bewußt untheologisch begründeter Staatsauffassungen, die mit der Aufnahme des Gedankens der Staatsräson die Förderung des Staatscharakters als souveräne Herrschaftsorganisation zum Ziel hatten 242 . Besonders nach dem Westfälischen Frieden, als die Souveränität der einzelnen Territorien und ihre Entwicklung zu 147. Ebd. 2 4 1 148. 2 4 2 Den Begriff „natürliche Staatslehre" übernehme ich von H. Dreitzel, Protestant. Aristotelismus, aaO., 426, A n m . 70. Er möchte für die vorwiegend untheologisch begründeten Staatsauffassungen den Begriff „naturrechtlich" vermeiden, da f ü r ihn vor allem die Lehren der Volkssouveränität und des Herrschaftsvertrages vorzubehalten sind, aber auch z. B. die bundestheologisch-naturrechtliche Staatslehre des Johannes Althusius. 240

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frühneuzeitlichen Staaten mit eigenen Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und eigenem Militär auch rechtlich anerkannt war, wurde die These von der eigenen territorialen Raison immer einleuchtender 243 . Im Zuge dieser geschichtlichen Entwicklung und ihrer theoretischen Kommentierung hat sich zur Zeit des Wirkens Lütkemanns in Wolfenbüttel vor allem der Polyhistor Hermann Conring im nahen Helmstedt um eine sachliche Auseinandersetzung mit Machiavelli und den Gedanken der Staatsräson bemüht 244 . Ihm ging es um eine Abweisung der falschen Vorstellungen über Machiavelli in Deutschland, aber auch um sachliche Kritik an den Herrschaftsmaximen des Italieners 245 . Der Maßstab für die politische Beurteilung Machiavellis und des Gedankens der Staatsräson ist für Conring nicht eine bestimmte theologisch-ethische Grundüberzeugung, sondern allein der Zweck staatlicher Herrschaft. Wenn auch Conring keineswegs Politik nur als Technik des Machterwerbs verstand, und die ratio status bei ihm kein Freibrief für die Machtinteressen der Fürsten war 2 4 6 , so zeigt doch sein aristotelisch-politikwissenschaftliches Denken genügend „rationalistische" Elemente, die sich mit der alleinigen Ausrichtung aller Regentenpflichten an der Gottesfurcht im Sinne Lütkemanns erheblich reiben mußten 2 4 7 . Fragt man, von woher die „Beschreibung" 248 eines statistischen Regenten und seiner Ratgeber in der Regentenpredigt Lütkemanns in ihrem 2 4 3 Das zeigt auch die ab 1650 einsetzende Welle von juristischen Dissertationen über die ratio status. Der Begriff wird verschiedentlich verarbeitet und immer mehr zu einem Rechtsbegriff. Hermann Conring in Helmstedt legt in seiner „Dissertatio de ratione status", 1651, seine Staatsräsonlehre dar. (vgl. u. Anm. 204). Der Ursprung der ratio status liegt in der Entstehung des Staates, der stets auf ein bestimmtes Staatsziel ausgerichtet ist, eben seine „ratio". Staatliche Herrschaft und ratio status hängen so eng miteinander zusammen. Ratio status erscheint bedeutungsgleich mit reipublicae ratio oder commodum publicum civitatis, vel reipublicae. Ratio status ist das dem Staatszweck Gemeinwohl gemäße Handeln der Obrigkeit. Vgl. zu Conring W . Lang, Staat und Souveränität bei Hermann Conring, aaO., 16ff. und D . W i l l o w e i t , Conring, in: M. Stolleis (Hg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, aaO., 133f. 2 4 4 Conring hat viel für die Verbreitung der Schriften des Italieners in Deutschland getan. 1660 erschien seine Ausgabe des „Principe" in lateinischer Ubersetzung mit ausführlicher Kommentierung. 1661 seine „Animadversiones politicae in Nicolai Machiavelli librum de Principe" (Signatur: 0134. 4" Heimst. (5) H A B Wolfenbüttel). Vgl. zu Conring und Machiavelli W . Lang, aaO., 18 ff. Zu Person und Werk s. auch Hermann Conring (1606-1681). Ein Gelehrter der Universität Helmstedt. Ausstellungskatalog der H A B Wolfenbüttel, Nr. 33, 1981. 2 4 5 In seinem Kommentar zum „Principe" weist Conring auf den politischen Charakter dieses Buches hin. Das sei in der bisherigen Machiavellikritik nicht genügend beachtet worden. Ungerechte Herrschaftsmittel seien für „schlechte Staaten" erlaubt, da sie Wirklichkeit sind und die Politik nicht nur die Lehre vom besten Staat beinhalte. Conring kritisiert aber an Machiavelli, daß dieser Ratschläge für alle Fürsten gegeben habe, die doch nur für Tyrannen gültig seien. Darin liege auch der Unterschied zu Aristoteles, der im 5. Buch seiner Politik nur tyrannische Herrschaft behandelt habe.

Im „guten Staat" ist sie ja mit dem Gemeinwohl identisch. Es sei nur auf die Rechtfertigung der eigennützigen despotischen Herrschaftsform durch Conring und die Begründung seiner Eroberungstheorie hingewiesen. Vgl. W . Lang, aaO., 78 ff. 2 4 8 Die Kritik Lütkemanns richtet sich vor allem gegen die seinerzeitige Beschreibung eines statistischen Regenten, vgl. u. Anm. 230. 246 247

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zeitgeschichtlichen Hintergrund mitveranlaßt sein könnte, so liegt die Vermutung durchaus nahe, an die benachbarte Universität Helmstedt und das umfangreiche Wirken Hermann Conrings 2 4 9 zu denken, der mit seinen politischen Dissertationen und Vorlesungen den politischen Zeitgeist im Herzogtum wesentlich beeinflußte 2 5 0 . Aber wichtiger als die möglichen Adressaten sind die eigenen Intentionen Lütkemanns in seinem leidenschaftlichen Kampf gegen den Geist der Staatsräson. Hier befindet sich Lütkemann mitten im breiten Strom des Antimachiavellismus, der nicht nur bei den lutherischen Theologen vorherrschte, sondern sich auch als allgemeine Stimmungslage in vielen literarischen Zeugnissen und in zahlreichen Flugschriften ausdrückte 2 5 1 . Wir haben schon auf Reinking, Schupp und Hoburg hingewiesen, aber es ist auch auf Johann Arnos Comenius und Johann Valentin Andreae zu verweisen, die ähnlich wie Lütkemann durch die Ideen der Staatsräson vor allem in ihrem sozialen Gewissen herausgefordert wurden. Sie alle kämpfen gegen einen gemeinsamen Feind, jedoch jeder in der ihm eigenen Art und Weise. Die unterschiedliche Struktur ihrer Denkweisen im Kampf gegen die Staatsräson entwickelt sich neben mannigfaltigen äußeren und inneren eigengeprägten Bedingungsfaktoren nicht zuletzt auch aus einer bestimmten theologischen Grundeinstellung heraus. Bei Lütkemann sehen wir eine solche in seinem frömmigkeitlich geprägten Weltverständnis, wie es in seinen Predigten vor der Hofgesellschaft, vor allem aber in seinem „Vorschmack göttlicher Güte" zum Ausdruck kommt. Der schroffe Gegensatz zwischen Gottesfurcht und Staatsräson, wie ihn die Regentenpredigt charakterisiert, korrespondiert mit der vielgestaltigen Kontrastierung zwischen der gottesfürchtigen Existenz im „Vorschmack des ewigen Lebens" und dem Leben im Bannkreis der „Welt" und ihrer Mächte in Lütkemanns Erbauungsbuch. Das „Regiertier" eines von der Staatsräson beherrschten Regenten ist das veranschaulichte Sinnbild einer der Welt und ihren fleischlichen Begierden verfalle1650 wurde Conring neben der Medizin die Professur für Politik verliehen. Freilich wird es mehr dieser Zeitgeist des aristotelisch-politischen Denkens an der Universität Helmstedt gewesen sein, dem Lütkemann kritisch gegenüberstand, kaum die Person Conrings selbst. Dieser Geist wirkte ja vor allem in den juristischen Räten weiter, die in Helmstedt studierten und der v o m mächtigsten Beamten des Herzogtums, dem Kanzler Schwartzkopff, besonders repräsentiert wurde. - Nicht undenkbar ist es auch, daß Lütkemann auf seiner gelehrten Reise durch Italien und Frankreich 1 6 3 4 - 1 6 3 6 die Staatsräsonliteratur kennenlernte. 249 250

2 5 1 Z . B . „Alamodischer Politicus, welcher heutiger Statisten machiavellische Griff und Arcana status sonnenklar an Tag gibt," Cölln 1647. Vgl. zu den literarischen Zeugnissen des Antimachiavellismus M . Stolleis, Arcana imperii, aaO., 29 und F. Meinecke, Die Idee der Staatsräson, aaO., 180f. - M. Stolleis kennzeichnet die Lage hinsichtlich der Staatsräson im 17. Jahrhundert in dreifacher Ausrichtung. Neben der herrschenden Meinung des Antimachiavellismus gab es die machiavellistische Gegenströmung, die in ihren theoretischen Äußerungen nur knapp ihre Standpunkte darlegte und ihre Zustimmung zu Machiavelli meist nur unter dem Deckmantel generell ablehnender Wendungen zum Ausdruck brachte. Die größte Gruppe bilden die Kompromißbereiten unter den Politikern und Juristen, die den von Lipsius gewiesenen Mittelweg der prudentia mixta verfolgten, (vgl. M. Stolleis, Arcana imperii, aaO., 29 ff.).

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nen Existenz, die allgemein-menschliche sündige Verhaltensweisen zeigt, die aber in Gestalt der Obrigkeit so besonders verabscheuungswürdig sind, weil sie in diesem hohen Amt so besonders großen Schaden anrichten. Wenn wir das theologisch bzw. frömmigkeitlich geprägte Weltverständnis Lütkemanns hier wesentlich zur Interpretation des kontradiktorischen Gegenübers von Gottesfurcht und Staatsräson in Anschlag bringen, so entzieht dies der Argumentation Lütkemanns nicht ihre obrigkeits- und sozialkritische K o n kretion. Im Gegenteil: nur durch die klare, standortbezogene Predigtweise, die durch konkrete Glaubenserfahrung, seelsorgerliche Praxis und theologische Reflexion geprägt ist, gewinnt die Regentenpredigt ihre so eindrücklichen K o n turen. Seine eigenen Glaubenserfahrungen haben Lütkemann zusammen mit den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges erst richtig die Augen geöffnet für die großen Gefährdungen, die von einem politischen Denken und Handeln ausgehen, das sich von religiösen und ethischen Uberzeugungen immer mehr emanzipierte. An der Regentenpredigt wird konkret anschaulich, was „Verschmähung der Welt" bei Lütkemann bedeutet: Nicht resignativ-passiver Rückzug aus der äußeren Welt in eine fromme Innerlichkeit, sondern vielmehr klare Kriterien für ein verantwortliches Handeln inmitten der Welt als einer Kampfstätte zwischen den zerstörerischen, sündlichen Leidenschaften und den aufbauenden Impulsen der Gottesfurcht. Gerade die starke Verinnerlichungstendenz in seinem Verständnis von Gottesfurcht, die innere Uberwindung der „weltlichen" Begierden macht den Weg frei zur ethischen Applikation gegenüber „weltlichen" Belangen, für die kritische Aufmerksamkeit gegenüber dem Handeln der Obrigkeit in ihrem Regiment. Aber die Anführungszeichen deuten schon die Schwierigkeiten in der Fasssung des Weltverständnisses an, sie weisen darauf hin, daß es bei Lütkemann wie auch bei Arndt in ihrem frömmigkeitstheologischen Denken um zwei unterschiedliche Dimensionen von „Welt" geht. Einmal ist es die Perspektive der sündlichen Welt und ihrer Mächte, die es zu meiden gilt und die unter scharfer theologischer Ablehnung steht. Zum anderen ist es die äußere Lebens- und Handlungsstätte zur Bewährung des Glaubens inmitten von Gottes Schöpfung im ganzheitlichen Sinn. Hier gibt es keine Grenzziehung zwischen „geistlich" und „weltlich", zwischen einem unter eigener Sachlogik stehenden politischen Bereich und einem davon prinzipiell unterschiedenen individuellen oder gemeinschaftlichen Bezirk der Gottesfurcht. Die Intentionen der Gottesfurcht beziehen sich vielmehr auf die Gesamtheit der Welt als dem Raum des irdisch-menschlichen Lebens 2 5 2 . Dieser findet seine Gliederung in den Ständen 2 5 3 , steht aber als ganzer unter dem 2 5 2 Das Zugleich von innerer Überwindung der weltlichen Begierden und einer tätigen Pilgerschaft inmitten der Welt k o m m t thematisch besonders klar in einer Predigt Lütkemanns über 1. Petr 2 / 1 1 - 1 8 zum Audruck. (Predigt am 3. Sonntag nach Ostern. „Wie ein Christlicher Pilger unter den Leuten und Güthern dieser Welt sich recht verhalten solle." Apostolische Auffmunterung zum lebendigen G l a u b e n . . . , Hannover und Wolfenbüttel 1706, 5 6 8 - 5 8 3 , bes. 581 ff.). 253

In den Epistelpredigten Lütkemanns begegnet zwar noch gelegentlich die Gliederung der

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göttlichen Gebot. Die Verantwortung vor Gott und den Menschen bemißt sich nach dem Maß der von Gott verliehenen Aufgaben. So kommt der Obrigkeit die höchste Verantwortung zu, da sie das Zusammenleben der Menschen insgesamt in einem größeren Rahmen zu regeln hat. Nur eine gottesfürchtige Obrigkeit vermag dieser Aufgabe gerecht zu werden, weil nur sie von solcher Verantwortung weiß. Lütkemanns Kampf gegen die ratio status ist somit ein Kampf gegen die offene und versteckte Verabschiedung Gottes in politicis, die leidenschaftliche Absage gegenüber einem rein zweckrationalen, weltlich-immanenten Politikverständnis, wie es nicht nur in der theoretischen Reflexion, sondern vor allem in der politischen Praxis nach dem Dreißigjährigen Krieg immer deutlicher zum Ausdruck kam. Seine Perspektive ist allein durch den scharfen Kontrast: Gottesfurcht und Staatsräson, bzw. durch den Gegensatz zwischen guten und bösen Regenten bestimmt. In dieser grundlegenden Unterscheidung berührt sich die Regentenpredigt Lütkemanns durchaus zentral mit der Obrigkeitskritik Christian Hoburgs, wie sie z. B. in seinem, den Söhnen Herzog Augusts gewidmeten Fürstenspiegel zum Ausdruck kommt 2 5 4 . Eine solche Berührung kann auch kaum überraschen: sind doch sowohl Hoburg wie Lütkemann erklärte Verehrer Johann Arndts gewesen und haben beide zudem im näheren und weiteren Umkreis Herzog Augusts gewirkt, eines „frommen Herrn", in dem nicht nur Lütkemann das Vorbild eines guten, im Geist Arndtscher Frömmigkeit regierenden Fürsten gesehen hatte! War an der Gottesfurcht einer regierenden christlichen Obrigkeit kein Zweifel möglich, so interessierten sich weder Hoburg noch Lütkemann für eine weitere differenzierte Verhältnisbestimmung zwischen den Rechten und Pflichten der Obrigkeit in der Kirche und denen des kirchlichen Amtes, d.h. das Problem des landesherrlichen Kirchenregimentes taucht weder bei Hoburg noch in der Regentenpredigt Lütkemanns auf! Diese, gegenüber der älteren lutherischen Obrigkeitslehre und -kritik charakteristisch abweichende, auffallende Tatsache muß man im Blick haben, wenn man bei der Regentenpredigt Lütkemanns mit Recht von dem bedeutendsten Dokument lutherischer Obrigkeits- und Sozialkritik im 17. Jahrhundert spricht. So scharf diese Kritik hier auch öffentlich zum Ausdruck kommt, so wenig ist doch zweifelhaft, daß sie als Gewissensermahnung für alle Fürsten und ihre Berater gerade das Selbstverständnis einer gottesfürchtig-christlichen Obrigkeit in ihrem gesamten Handeln zu stärken vermochte, nicht zuletzt gegenüber der Kirche und ihren noch verbliebenen eigenen Rechten und Aufgaben. Jedenfalls konnte sich die Obrigkeitskritik Lütkemanns ohne Schwierigkeiten mit der Unterstützung der frühabsolutistischen Kirchenpolitik Herzog Augusts vermenschlichen Gemeinschaft nach den traditionellen drei Ständen, meist jedoch spricht Lütkemann nur noch von der Gliederung in hohe und niedrige Stände, Obrigkeit und Untertanen als der guten Ordnung in der Welt. (z. B. Predigt über 1. Petr 2/18 „Von Gedult in unverschuldeter Schmach und Leiden", Apostolische Auffmunter, aaO., 551-568). 254

Vgl. M. Kruse, Speners Kritik, aaO., 160 ff.

Die sog. „Regentenpredigt"

313

binden, wie es besonders die von uns dargestellten Maßnahmen in der Schulund Klosterordnung zeigen. Dieser Sicht widerspricht u . E . das Bedenken des Kanzlers Schwartzkopff nicht, das wir im Zusammenhang mit der Generalkirchenvisitation Lütkemanns aufgezeigt haben. Denn der scharfen Zurückweisung der Regentenpredigt Lütkemanns durch Schwartzkopff steht die ausdrückliche Billigung und Aufmunterung durch Herzog August gegenüber. Nicht der eifersüchtig auf seinen Einfluß bedachte Kanzler, mit dessen territorialistischem Denken die Regentenpredigt sich gewiß nicht vereinbaren läßt, sondern Herzog August hatte die Intentionen im Obrigkeitsverständnis Lütkemanns verstanden und sie in seinem Herrschaftsbewußtsein voll gebilligt. Wenn Martin Kruse für den sog. mystischen Spiritualismus am Beispiel von Hoburg, Weigel, Felgenhauer und Betke zu dem Ergebnis kommt, daß dieser es „nicht zu einer eigenständigen Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment gebracht h a t " 2 5 5 , so gilt dies auch für die Grundintentionen im Obrigkeitsverständnis Joachim Lütkemanns. D o c h wie die hier benannten Theologen in ihrem Obrigkeitsverständnis nur darin übereinstimmen, daß sie „in der Obrigkeit einen verführten Erfüllungsgehilfen des verdorbenen Predigerstandes" 2 5 6 erblicken, darüber hinaus aber jeder einzelne ein jeweils sehr eigen geprägtes Denken zeigt, so gehört es gerade zur besonderen Struktur von Lütkemanns Obrigkeitsverständnis, daß es mit dieser mystisch-spiritualistischen Kritik nicht übereinstimmt. Weder in der Regentenpredigt noch in den Epistelpredigten Lütkemanns finden sich auch nur Anklänge zu jener Polemik gegen das fleischlich-weltliche, unwiedergeborene Leben und Lehren der Prediger, wie es Christian Hoburg als die Hauptursache für das Unheil in der Christenheit angesehen hatte 2 5 7 . Das hat gewiß auch mit der unterschiedlichen Erfahrung und beruflichen Stellung von Lütkemann und Hoburg zu tun, wurzelt aber letztlich in der unterschiedlichen theologischen Haltung, die beide gegenüber der „Welt" einnehmen. „Verschmähung der Welt" - um diesen Lütkemannschen Ausdruck aufzunehmen - hat bei dem Wolfenbütteler Hofprediger eine andere Dimension als bei Hoburg und im Raum des mystischen radikal-kirchenkritischen Spiritualismus. Bedeutete hier der Kampf gegen das fleischliche Weltwesen in Kirche und Obrigkeit eine völlige Entwertung alles nur Äußerlichen, Mittelbaren 2 3 8 zugunsten erleuchteter Einzelner, die unmittelbar durch den Heiligen Geist wiedergeboren waren, so hatte die Gottesfurcht im Sinne 2

"

2

E b d . , 173.

Ebd., 168ff., 173.

2 5 7 Vor allem in seinem „Spiegel der Mißbräuche beym Predig-Amt im heutigen Christent h u m b . . . " , 1644. Die nicht v o m heiligen Geist berufenen Prediger „unter allen Secten und Religionen" führen einen „Anti-christischen(r) Beruff, indem die also beruffne Prediger deß Anti-Christs Lehr und Leben am allermeisten befördern/ und vor den armen sanfftmütigen demütigen Christum/ einen ansehnlichen/ alamodeschen/ prächtigen/ reichen und Cavallierischen Christum predigen." (aaO., 12f.,vgl. auch die drei Fragen, die sich jeder Prediger beantworten soll, 16ff.). 258

An der mittelbaren Berufung durch unerleuchtete Prediger und weltliche Obrigkeiten übte

314

Braunschweig und Lüneburg: Hofprediger Joachim Lütkemann

Lütkemanns durchaus gemeinschaftsbildende, ethische Konsequenzen inmitten der Welt und ihrer Ordnungen 2 5 9 . Mit Hilfe seines eigenen, hohen kirchlichen Amtes und aller kirchlichen Ämter und Dienste in der kirchlichen Gemeinschaft, erst recht aber durch eine gottesfürchtig-christliche Obrigkeit, die ihre Legitimität nicht durch eine innerliche Geistbegabung, sondern durch ihre Verantwortung vor Gott und den Menschen findet, wollte Lütkemann für eine in der Gottesfurcht gegründete, christliche Ordnung des Gemeinwesens wirken. Seine Zielvorstellungen sind dabei denen von Johann Arndt sehr verwandt, der am Anfang des Jahrhunderts ebenfalls in der gelebten Frömmigkeit der Fürsten und in der allseitigen Beförderung des Reiches Christi ihre wichtigste, für das christliche Gemeinwesen so unentbehrliche Aufgabe erblickte. Daß beide, Lütkemann wie Hoburg, von der Frömmigkeitswelt Arndts geprägt sind, aber jeder in unterschiedlicher Weise, unterstreicht die vielgestaltige Wirkungsgeschichte Johann Arndts im 17. Jahrhundert 2 6 0 . Im Grunde wird mit dem Verhältnis Lütkemanns zu Hoburg in der Mitte des Jahrhunderts schon jene Konstellation vorweggenommen, die für die Anfänge des Frankfurter Pietismus unter Spener und Johann Jakob Schütz charakteristisch ist. Johann Arndt wirkte sowohl im Pietismus Speners und Franckes wie im radikalen kirchenkritischen Spiritualismus weiter. Wir sehen somit im Obrigkeitsverständnis Joachim Lütkemanns ein wichtiges Element der Kontinuität in der Stellung des älteren Luthertums zur Obrigkeit zwischen Arndt und Spener. In der Förderung des Reiches Christi sahen sowohl Arndt wie Lütkemann - und in Kontinuität zu ihnen auch Spener - die Hauptaufgabe der christlich-gottesfürchtigen Obrigkeit 2 6 1 .

H o b u r g vor allem Kritik, die er in breiten moralischen Ermahnungen vorträgt. Auch dies ist ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber Lütkemann. 2 5 9 Vgl. zum Weltverständnis in Lütkemanns Erbauungsbuch „Vorschmack göttlicher Güte" W . Sommer, Arndt und Lütkemann, S. Anm. 140. 260 Vgl J. Wallmann, Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit, aaO., 55. - Auch hinsichtlich des Chiliasmus unterscheidet sich Lütkemann von H o b u r g . Zum Chiliasmus Hoburgs s. Wallmann, Spener, aaO., 324. Z u m Problem des Chiliasmus zwischen Arndt und Spener s. auch W . Sommer, Arndt und Lütkemann, aaO. 2 6 1 Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment in seinen Pia desideria und sein Verzicht auf die Obrigkeit bei der Verwirklichung des pietistischen Reformprogramms widerspricht diesem wesentlich von Arndt bestimmten Denkhorizont keineswegs. Unsere Studien zum Obrigkeitsverständnis im älteren Luthertum stimmen mit der Untersuchung Martin Kruses überein, nach der Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment nicht mehr als eine „Hilfsfunktion im Gesamtkonzept Speners" zukommt (aaO., 175). Kruse machte bei den von ihm untersuchten Theologen deutlich, daß „der Kampf gegen die Caesaropapie eh und je ein deutlich von der strengen Richtung der Orthodoxie geprägtes Anliegen war." (47). Diesem Urteil können wir angesichts unseres Quellenmaterials der politischen Predigten im älteren Luthertum voll zustimmen. Zu Speners „konsequenter Inkonsequenz" in seiner Stellung zur Obrigkeit s. Kruse, aaO., 41 ff. und unser Spener-Exkurs.

Ergebnis der Untersuchung

315

VII. Ergebnis der Untersuchung Gottesfurcht und Fürstenherrschaft - unter diesen thematischen Gesamtrahmen haben wir unsere Studien zum Obrigkeitsverständnis im älteren Luthertum gestellt. Die sich im Begriff der Gottesfurcht zusammenfassende politische Ethik der lutherischen Theologie im konfessionellen Zeitalter ist auf alle konkreten Ausprägungsformen von fürstlicher Herrschaft im frühneuzeitlichen Territorialstaat bezogen. In dieser Beziehung ist die Würde und Achtung des obrigkeitlichen Amtes als einer gottgewollten Ordnung ebenso begründet wie die nicht unerhebliche Kritik, die die Prediger gegenüber den Regenten in ihrem persönlichen Leben und der Ausübung ihres Amtes wahrnehmen. Denn Gottesfurcht bedeutet ganzheitliche Inanspruchnahme durch den Herrn aller Herren, den zu fürchten für alle Menschen, besonders aber für die „Oberherren", geboten ist. Indem die Predigt, insbesondere die politische Predigt der lutherischen Orthodoxie, in diesem Verständnis von Gottesfurcht ihre Mitte hat, steht sie auf dem Fundament der Theologie Martin Luthers. Die Kontinuität zu der das biblische Zeugnis von der Gottheit Gottes und der Geschöpflichkeit des Menschen wieder neu herausgestellten Theologie Luthers ist das bestimmende Element im Selbstverständnis vieler lutherischer Prediger im nachreformatorischen Zeitalter. In seiner Auslegung des 101. Psalms als „Regentenpsalm Davids" kommen Luthers Grundintentionen gegenüber dem obrigkeitlichen Amt in Gestalt einer konkreten Erörterung der Situation im weltlichen und geistlichen Regiment eines christlichen Fürsten in Verbindung mit einer theologischen Reflexion auf das Wirken Gottes in der Geschichte prägnant zum Ausdruck. Besonders mit dieser Schrift wirkt Luther in das Obrigkeitsverständnis der lutherischen Orthodoxie hinein, so daß viele Theologen, vor allem die Hofprediger, sich an diesem Vorbild orientieren und ihre Regenten- und Landtagspredigten auf den 101. Psalm gründen. Die Momente der Kontinuität und Wandlung im Obrigkeitsverständnis zwischen Luther und dem nachreformatorischen Luthertum können darum gerade an der Auslegungsgeschichte dieses Psalms im 16. und 17. Jahrhundert wahrgenommen werden. Die Befreiung des weltlichen Standes von päpstlicher Unterordnung und schwärmerischer Infragestellung, für die Luther in seiner Auslegung des 101. Psalms in Form einer theologisch-grundsätzlichen und konkreten Unterrichtung gegenüber seiner kursächsischen Obrigkeit Zeugnis ablegt, ist die gemeinsame Grundlage, von der aus sich das Obrigkeitsverständnis aller lutherisch-orthodoxen Theologen gestaltet. Das weltliche Regiment eines Fürsten und seiner Hofbeamten erweist sich nicht nur als ein Stand, in dem man Gott recht dienen kann, sondern in ihm handelt Gott selbst, der die weltlichen Amter und Ordnungen geschaffen hat und durch sie zeitlichen Frieden und Recht im Zusammenleben der Menschen erhält. Hierin liegt der alleinige Grund für die

316

Ergebnis der Untersuchung

hohe Würde des obrigkeitlichen Amtes, aber auch für die Schwere der Verantwortung derer, die es ausüben. Die tiefe Zusammengehörigkeit der in Gottes schöpferischem Handeln begründeten Würde mit der schweren Verantwortlichkeit des obrigkeitlichen Amtes gegenüber Gott und den Menschen ist das gemeinsame Fundament im Obrigkeitsverständnis Luthers und des nachreformatorischen Luthertums. Nur von diesem Zusammenhang aus ist die beachtenswerte Kritik zu verstehen, mit der die lutherischen Hofprediger ihren Obrigkeiten gegenübertreten und in das politische und kirchliche Leben ihrer Zeit mahnend und gestaltend einwirken. Aber dieser Zusammenhang hat die Obrigkeitskritik der lutherischen Theologen auch nicht stumpf werden lassen bzw. zur geschichtlichen Bedeutungslosigkeit verurteilt, wie es das Schicksal der schwärmerischen Obrigkeitskritik unter den Bedingungen des Landeskirchentums nicht anders sein konnte. Daß inmitten des nachreformatorischen Luthertums nicht ein solcher unkritischer Geist gegenüber den politischen und kirchlichen Vorgegebenheiten der Zeitsituation waltete, von dem die Meinungsbilder über „das" Luthertum bis in die Gegenwart ausgehen, haben unsere Studien zur politischen Predigt im älteren Luthertum mit einigen charakteristischen Beispielen aufzuzeigen versucht. Im Obrigkeitsverständnis und in der Obrigkeitskritik der von uns dargestellten Theologen begegnet uns vielmehr ein sehr differenziertes Bild von der theologischen Verantwortung der Prediger im frühneuzeitlichen Territorialstaat. Ihre Obrigkeitspredigten dienen der Verkündigung des Evangeliums mit einer konkreten Schärfung der Gewissen in einer Intensität, die sich der Freiheit des Wortes Gottes in allen Situationen bewußt ist, so daß sie in der Geschichte des Protestantismus bis heute einen würdigen Platz einnehmen. Die Obrigkeitskritik der orthodoxen Prediger hat neben der prophetischen Strafpredigt des Alten Testamentes vor allem in derjenigen Luthers ihr unangreifbares Vorbild, auch wenn nicht immer direkt auf ihn Bezug genommen wird. Es ist jedoch eine bemerkenswerte Tatsache, daß in den Obrigkeitspredigten der lutherischen Hofprediger immer dann auf das Beispiel Luthers hingelenkt wird, wenn sie zu dem Mittel der Strafpredigten greifen. Man wird dies nicht nur als formale Autoritätsabsicherung, sondern auch als ein nicht unerhebliches Kontinuitätsbewußtsein gegenüber dem Reformator im Selbstverständnis der Hofprediger verstehen müssen. Als Sachwalter der lutherischen Reformation in einer Zeit, in der die lutherische Kirche vor großen politischen und kirchlichen Herausforderungen steht, berufen sich die Hofprediger am Dresdner und Wolfenbütteler Hof nicht selten gerade auf das kritische Potential in Luthers Obrigkeitsverständnis, um mit ihm vor inneren und äußeren Gefahren in ihren Territorien nachdrücklich zu warnen. In dem Freimut der lutherischen Prediger, mit dem sie ihre Strafpredigten gegenüber den persönlichen Lastern der Regenten und den offenkundigen Schäden des Gemeinwesens hal-

Ergebnis der Untersuchung

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ten, wirkt der Geist Luthers fort, der zu den Aufgaben der Kirche und ihres Predigtamtes rechnete, alle weltlichen Amter und Stände zu unterrichten 1 . Aber die geschichtlichen Bedingungen, unter denen die Hofprediger während der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert wirken, sind andere, als es diejenigen zur Zeit Luthers waren. Die nicht zuletzt durch Luther erkämpfte Befreiung der weltlichen Obrigkeit von kirchlicher Bevormundung und schwärmerischer Verachtung ist längst zu einer geschichtlichen Selbstverständlichkeit geworden. Der Wandel der geschichtlichen Situation zeigt sich deutlich im Selbstverständnis der Obrigkeit zur Zeit Luthers und der lutherischen H o f prediger. Für die sächsischen Kurfürsten war die vielfältige Beratung Luthers in den Fragen des persönlichen Glaubens wie des kirchlichen und politischen Lebens eine Art öffentliche Institution, die keiner Rechenschaft bedurfte, so sehr sich oft auch die Konflikte zwischen dem Reformator und seinen Landesherren auftürmten 2 . Demgegenüber haben die Hofprediger Nikolaus Seinecker, Polykarp Leyser d . Ä . und Basilius Sattler eine protestantische Obrigkeit vor Augen, die weithin unangefochten im Selbstbewußtsein ihrer Macht und Interessen handelt und eine geistliche Ermahnung nicht selten als eine ungeziemende Einmischung in ihre politischen und kirchlichen Rechte versteht. Auch wenn sich besonders Seinecker und Leyser über die Regenten und ihre Beamten beklagen, die von den Theologen keine Weisungen annehmen wollen, so ist doch der Grad ihrer Ansprechbarkeit stark von der jeweiligen Persönlichkeit des Fürsten abhängig, die für das Obrigkeitsverständnis der Hofprediger eine wesentliche Bedeutung bekommt. Der wachsame, kritische Geist bei den lutherischen Predigern traf nicht nur auf Widerstand und Ablehnung, sondern auch auf tiefes Verständnis wie z . B . bei Herzog Julius und Herzog August d.J., die ihre Hofprediger - mit unterschiedlichen Motiven - sogar zu Strafpredigten ermunterten. So verschieden sich jedoch das Verhältnis zwischen Hofprediger und Regent unter den persönlichen und zeitgeschichtlichen Bedingungen gestalten kann, so ähnlich sind doch die Herausforderungen, denen die Theologen im frühneuzeitlichen Territorialstaat gegenüberstehen. In ihren Obrigkeitspredigten spiegelt sich jener spannungsvolle geschichtliche Prozeß wider, in dem es um den stetig wachsenden Anspruch und Einfluß der weltlichen Obrigkeiten auf die Kirche und ihre Einordnung in die Zielsetzungen des Staates geht. In der Art und Weise, wie die Theologen dieser schweren Herausforderung im Kampf um die Eigenständigkeit der Kirche im Gesamtgefüge des politischen Lebens ihrer Territorien begegnen, sehen wir charakteristische Unterschiede, die über die verschiedenartigen persönlichen und zeitgeschichtlichen Bedingungsfaktoren hinausreichen. In ihnen wirken sich vielmehr vorwiegend unterschiedliche 1

Neben der Auslegung des 101. Psalms sei noch auf folgende Stellen hingewiesen: W A 30 II, 537,

4-538,3; 572,6-12. 2

Dazu s. H . Kunst, Evangelischer Glaube und politische Verantwortung, Stuttgart 1976.

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Ergebnis der Untersuchung

theologische Denkstrukturen aus, die das Obrigkeitsverständnis der lutherischen Orthodoxie als ein differenziertes theologisches Reflexionsfeld erkennen lassen. In zwei Hauptrichtungen entwickeln sich die Grundintentionen im Obrigkeitsverständnis des orthodoxen Luthertums. Die Hofprediger Nikolaus Seinecker und Polykarp Leyser d. A. am Dresdner und Basilius Sattler am Wolfenbütteler Hof verkörpern in ihrer Stellung zur weltlichen Obrigkeit einen Typus des orthodoxen Luthertums, der bei allen eigengeprägten individuellen und situationsbedingten Zügen gemeinsame Strukturelemente besitzt. Sie treten besonders dort hervor, wo der jeweilige Zielpunkt ihrer Obrigkeitspredigten liegt: in ihrer Kritik an der Art und Weise, wie die Regenten das landesherrliche Kirchenregiment handhaben. Alle drei Hofprediger kämpfen auf ihre Weise um die Bewahrung der Eigenständigkeit der Kirche und ihres Predigtamtes in den protestantischen Staaten, deren politische Entwicklung wie im ganzen Reich vom fürstlichen Absolutismus bestimmt ist. Mit Mut und Selbstbewußtsein und im Wissen um die besondere Verpflichtung des kirchlichen Amtes lassen sich die Hofprediger ihre politische Verantwortung gegenüber fürstlichen Beanspruchungen nicht streitig machen. Ihre Obrigkeitskritik ist nicht nur auf das persönliche Verhalten der Regenten und ihrer Beamten ausgerichtet, sondern sie wehrt dem staatlichen Zugriff auf die Kirche auch mit grundsätzlichen Reflexionen über das Verhältnis von weltlicher Obrigkeit und Predigtamt. Besonders deutlich wird dies bei dem Hofprediger Polykarp Leyser d.Ä., der mit Hilfe des Vorwurfs der Caesaropapie und der sich auf Luther berufenden Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regiments die ungerechtfertigten Machtansprüche der Obrigkeit gegenüber der Kirche zurückweist und für eine eigenverantwortliche Kirchenordnung streitet. Aber auch in den Strafpredigten Nikolaus Selneckers gegen den Raub des Kirchengutes und in den Obrigkeitspredigten Basilius Sattlers geht es zentral um die Freiheit der Kirche und ihres Auftrages. Damit versuchen die Hofprediger das Erbe Luthers in ihrer Zeit zur Geltung zu bringen. In ihren kritischen, oft auch polemisch-sarkastischen Belehrungen, Ermahnungen und Gewissensappellen gegenüber der weltlichen Obrigkeit verstehen sie sich als in seinem Geist wirkende Prediger, auch dort, wo sie sich nicht direkt auf ihn berufen. Dieses Selbstverständnis der lutherischen Hofprediger gilt es ernst zu nehmen, wenn ihre geschichtliche Situation im nachreformatorischen Zeitalter wahrgenommen werden soll. Freilich hat sich das theologische Profil zwischen der Obrigkeitskritik Luthers und der der lutherischen Hofprediger nicht unwesentlich gewandelt. Im Blick auf Luthers Auslegung des 101. Psalms, die für Seinecker und Leyser eine so große Bedeutung gewonnen hat, läßt sich inmitten der wörtlichen Zitierungen aus Luthers Schrift nicht die unterschiedliche Schwerpunktsetzung übersehen. Luther hatte seine Auslegung nicht als moralisches Vorbild, nicht als Regimentsklugheitslehre oder Anweisung zum frommen Verhalten eines christlichen Fürsten konzipiert, sondern als eindringlichen Hinweis auf die Gnade Gottes und sein schöpferisches Handeln

Ergebnis der Untersuchung

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in der Geschichte, das alle Begründungen im menschlichen Verhalten sprengt. Besonders bei Seinecker, aber auch bei Leyser wird dieser Regentenpsalm vorwiegend als Appell an das in Lehrpunkten aufzählbare, richtige und dem Gemeinwohl dienende Handeln einer christlichen Obrigkeit verstanden. Darin drückt sich nicht zuletzt auch der lehrhafte Zug des orthodoxen Zeitalters aus, der die akademische Theologie und die Predigt der Kirche bestimmte. Dennoch wirkt das theologische Denken Luthers auch in dieser lehrhaft-pragmatischen Gestalt in den Obrigkeitspredigten der Hofprediger weiter. Für Leyser ist Luthers Unterscheidung und Zuordnung des geistlichen und weltlichen Regiments in Verbindung mit der Dreiständelehre ein wichtiger theologischer Ansatz in seinem Kampf um die Eigenständigkeit der Kirche. Und die scharfe Obrigkeitskritik Sattlers gründet ihre Freiheit auf das theologische Fundament Luthers: die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden und den Gehorsam gegenüber dem 1. Gebot. In den Predigten des Generalsuperintendenten Arndt und in denen der von ihm bestimmten Theologen sehen wir die andere Hauptströmung orthodoxlutherischer Obrigkeitslehre und -kritik. An der Verhältnisbestimmung zwischen Obrigkeit und Predigtamt, wie sie bei Arndt konzipiert ist, haben wir charakteristische Grundzüge seines theologischen Denkens aufzuzeigen versucht, bei denen die neu gesetzten Akzente deutlich gegenüber den traditionellen überwiegen. In der vom landesherrlichen Kirchenregiment wie von der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts integrierten bzw. beförderten Gestalt gehörte den Intentionen Arndts die Zukunft bis weit in die Geschichte des Pietismus hinein. Die einzigartige Wirkungsgeschichte Johann Arndts in der neueren Kirchengeschichte läßt sich nicht auf die Frömmigkeitsgeschichte und die immense Verbreitung seiner Bücher vom wahren Christentum isolieren. Vielmehr muß in ihrem Zusammenhang seine geschichtliche und theologische Stellung zur Obrigkeit wahrgenommen werden, die für die Geschichte des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche und die kirchlichen Reformbestrebungen der Folgezeit eine erhebliche Bedeutung gewonnen hat. D a sich die Wirkungsgeschichte des Arndtschen Denkens nicht als diejenige eines einzelnen darstellt, sondern im Bereich einer verzweigten Frömmigkeitsbewegung stattfindet, haben die Intentionen Arndts gewiß in mancherlei Brechungen und eigenständigen Akzentuierungen, aber doch in strukturähnlicher Weise fortgewirkt. Im Rahmen unserer Untersuchung kommen sie im Wirken des Hofpredigers Joachim Lütkemann in der Mitte und im Ausblick auf den Oberhofprediger Spener am Ende des 17. Jahrhunderts zum Ausdruck. Das Verhältnis des geistlichen und weltlichen Regiments stellt sich bei Arndt als die innere und äußere Herrschaftsweise Gottes dar, die auf das seelische und leibliche Leben des Menschen ausgerichtet ist. Durch das alte, vom Neuplatonismus überlieferte, anthropologisch orientierte Einteilungsprinzip: äußerlichleiblich-sichtbar und innerlich-seelisch-unsichtbar wird das Obrigkeits- und Predigtamtsverständnis Arndts akzentuiert. Das weltliche und geistliche Regi-

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Ergebnis der Untersuchung

ment Gottes wird zu einem äußeren und inneren Handeln Gottes am Menschen gemäß den zwei Seiten seines Wesens: im Herrschaftsauftrag an die Obrigkeit, die das äußerlich-leibliche Leben in Gottesfurcht und Christusnachfolge zu ordnen hat, und im inneren Regiment Gottes in der Seele, auf das das Predigtamt bezogen ist. Die erhebliche Tragweite dieser Unterscheidung im Sinne Arndts ergibt sich aus seinem ganzheitlichen Verständnis von Frömmigkeit mit einem äußeren und inneren Aspekt. Leib und Seele bezeichnen für Arndt die beiden Seiten des frommen Menschen, d.h. sein Äußerlich-Sichtbares und sein Innerlich-Unsichtbares. Im Bereich des Sichtbaren, d.h. in allen Angelegenheiten, die den äußeren Menschen in seinem persönlichen Leben wie in den Ordnungen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens betreffen, steht allein der Obrigkeit die Herrschaft zu. Es handelt sich hier aber um die sichtbare Seite der Frömmigkeit, d.h. um die Äußerungen des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens in der Gottesfurcht und Christusnachfolge. In der unsichtbaren Innenseite des gottesfürchtigen Lebens hat demgegenüber das Predigtamt seinen Auftrag, wodurch der innere Mensch Weisung und Zuspruch erfährt. Die Ferne dieses Denkens zum Obrigkeitsverständnis Luthers ist offenkundig. Diente bei Luther die Verantwortung der Obrigkeit für Leib und Seele vor allem dazu, um ihre weltlichen Pflichten als gottgewollt vor papistischen und schwärmerischen Angriffen zu sichern, so bedeutet die Verantwortung der Obrigkeit für den Leib des Menschen bei Arndt, daß ihr Handeln die äußere Ermöglichung für die Herrschaft Christi im Inneren des Menschen darstellt. Auch das Leiblich-Äußere muß aber vom Leib Christi durchdrungen sein, um das Ganze des Menschseins unter die Herrschaft Christi zu stellen. Es werden also gerade die christlichen Aufgaben im Amt der Obrigkeit betont. Hat Luther mit der Unterscheidung von Leib und Seele in seinem Obrigkeitsverständnis vor allem die Grenze der obrigkeitlichen Gewalt gegenüber dem Evangelium markieren wollen, so wird bei Arndt die Ganzheit eines christlichen Gemeinwesens hervorgehoben, in der sich das Äußere und Innere wie Schale und Kern zueinander verhalten. Mit dem Verständnis von „Welt" als äußere Gestalt der Frömmigkeit ist bei Arndt das ganze leiblich-sichtbare menschliche Leben umfaßt, so daß dem Amt der Obrigkeit eine besonders große Bedeutung und Verantwortung bei der Verwirklichung des christlichen Lebens zukommt. Die Christokratie ist der eigentliche Zielpunkt im Obrigkeitsverständnis Arndts. Da sich das Predigtamt ganz auf den inneren Bezirk der Seele des Menschen zu konzentrieren und sich von jeglicher Macht und Herrschaft fernzuhalten hat, ist es konsequent, wenn Arndt vor allem die Papocaesarie, nicht aber die Caesaropapie als die eigentliche Gefährdung für das Predigtamt ansieht. Damit ist deutlich, daß Johann Arndt mit seinem theologischen Denken und kirchlichen Wirken nicht in die Reihe der Kritiker am landesherrlichen Kirchenregiment im frühabsolutistischen Staat hineingehört. Auch im Rahmen der breiten Wirkungsgeschichte Arndts im Luthertum des 17. Jahrhunderts kommt es zu keiner eigenständigen, grundsätz-

Ergebnis der Untersuchung

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liehen Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment. Daß die Gründe für diese folgenreiche Tatsache nicht nur im theologischen Denken Arndts zu suchen sind, sondern auch in den geschichtlichen Konstellationen und persönlichen Ausdrucksformen der Frömmigkeit, haben wir durch das konkrete Gegenüber zu seinem ihm wohlgesonnenen, frommen Herzog Christian aufzuzeigen versucht. In ähnlich persönlicher Weise gestaltet sich später das Verhältnis zwischen dem Hofprediger Joachim Lütkemann und Herzog August d.J. in Wolfenbüttel. Die persönliche, maßstabsetzende Frömmigkeit dieser Fürsten kam durchaus dem Arndtschen Frömmigkeitsverständnis wechselseitig entgegen, d.h. sie hat eine politische Funktion, die mit der zielstrebigen, einheitlichen Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten des frühabsolutistischen Staates in Zusammenhang steht 3 . Nicht von ungefähr haben sich gerade Herzog Christian d . Ä . und Herzog August d.J. als Schutzpatrone für das literarische Werk Arndts eingesetzt. Das Gewicht der Verantwortung, das der gottesfürchtigen Obrigkeit bei Arndt zukommt, kann diese jedoch nur so lange tragen, als sie bereit und willens ist, der Frömmigkeit in ihrer inneren und äußerlich-politischen Gestalt eine so zentrale Stellung einzuräumen. Indem bei Arndt die „Welt" nur als äußere Gestalt der Frömmigkeit oder als christusfeindliche Gegenmacht verstanden wird, ist der Handlungsspielraum für die Obrigkeit allein von der Alternative Gottesfurcht oder Gottesferne bestimmt. In dieser Perspektive bewegt sich auch die Regentenpredigt Joachim Lütkemanns. Je weiter die politische Entwicklung im 17. Jahrhundert fortschreitet, umso weniger wollten und konnten sich jedoch die Obrigkeiten in diesen engen Rahmen einspannen lassen. Schon bei Speners Wirken als Oberhofprediger in Dresden zeigt sich, wie wenig sein von Arndt bestimmtes christokratisches Obrigkeitsverständnis mit der W i r k lichkeit am Dresdner Hof übereinstimmte 4 . Wenn somit bei Arndt und in seinem vielgestaltigen Einflußbereich keine grundsätzliche Kritik an der zunehmenden Einflußnahme der Obrigkeiten auf die Kirche stattfindet, so kommt es doch schon bei ihm selbst und den von ihm bestimmten Theologen zu denkwürdigen Zeugnissen einer Obrigkeits- und 3 Ich stimme hier im wesentlichen D. Breuer zu, der auf die politische Funktion der Frömmigkeit im frühabsolutistischen Staat hinweist und die strukturellen Gemeinsamkeiten über die Konfessionsgrenzen hinweg herausstellt, indem er den Münchner Hof unter Kurfürst Maximilian I. mit dem Wolfenbütteler Hof unter Herzog August d.J. vergleicht. (D. Breuer, Absolutistische Staatsreform und neue Frömmigkeitsformen. Vorüberlegungen zu einer Frömmigkeitsgeschichte der frühen Neuzeit aus literaturhistorischer Sicht, In: Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 2. Hg. von D.Breuer, Frömmigkeit in der frühen Neuzeit, Amsterdam 1984, 5-25). S. auch ders., Der Prediger als Erfolgsautor. Zur Funktion der Predigtim 17. Jahrhundert, in: Vestigia 3, 1981, 31—48. Breuer spricht von der „Pietas als Grundwert absolutistischer Herrschaft" (35) und weist auf Entsprechungen zwischen dem Jesuiten Jeremias Drexel und Johann A r n d t als Erfolgsautoren in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts hin, 38 ff. In der Bestimmung der „Pietas als G r u n d w e r t absolutistischer Herrschaft" müßte m. E. aber etwas differenzierter geurteilt werden. 4

Zum Verhältnis A r n d t - Spener s. den Exkurs in unserem Arndt-Kapitel.

322

Ergebnis der Untersuchung

Sozialkritik, die sich wesentlich am persönlichen Verhalten der Obrigkeiten ausrichtet. Das bedeutendste Beispiel hierfür stellt die Regentenpredigt Joachim Lütkemanns dar. Hier hat sich besonders deutlich gezeigt, daß die wesentlich von Arndt geprägte Frömmigkeit und theologische Reflexion nicht mit einem resignativ-passiven Rückzug aus der äußeren Welt in eine fromme Innerlichkeit gleichzusetzen ist. Vielmehr ist Lütkemanns Kampf gegen die ratio status ein Kampf gegen die offene und versteckte Verabschiedung Gottes in politicis, die leidenschaftliche Absage gegenüber einem rein zweckrationalen, weltlich-immanenten Politikverständnis, wie es nicht nur in der theoretischen Reflexion, sondern vor allem in der politischen Praxis nach dem Dreißigjährigen Krieg immer deutlicher zum Ausdruck kam. Das Obrigkeitsverständnis Lütkemanns kommt von Arndt her und weist auf Spener hin. Vor allem in der Förderung des Reiches Christi sehen sowohl Arndt wie Lütkemann - und in Kontinuität zu ihnen auch Spener - die Hauptaufgabe der gottesfürchtigen Obrigkeit. Unsere Studien zur politischen Predigt im älteren Luthertum zeigen somit ein bewegtes Bild, in dem wir die jeweiligen strukturähnlichen Elemente in zwei Hauptströmungen zugeordnet sehen. Sie sind nicht im Sinne eines wirklichkeitsfernen Schematismus zu verstehen, sondern als Versuch, die differenzierte Geschichte des älteren Luthertums am Beispiel des Obrigkeitsverständnisses bedeutender lutherischer Theologen und Hofprediger etwas deutlicher und konturierter wahrzunehmen, als es bisher z.T. geschehen ist 5 . Vor allem gilt es, 5 D i e Erforschung der Geschichte der Hofprediger in der Frühneuzeit ist durch eine neue sozialgeschichtlich orientierte Untersuchung von Luise Schorn-Schütte einen wesentlichen Schritt vorangekommen: Prediger an protestantischen H ö f e n der Frühneuzeit. Zur politischen und sozialen Stellung einer neuen bürgerlichen Führungsgruppe in der höfischen Gesellschaft des 17. J a h r hunderts, dargestellt am Beispiel von Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und B r a u n s c h w e i g - W o l fenbüttel, in: H . Schilling/ H . Diedericks (Hgg.), Städtische Eliten in Deutschland und den Niederlanden vom 1 6 . - 1 9 . Jahrhundert, K ö l n / W i e n 1985, 2 7 5 - 3 3 6 .

Diese detaillierte Darstellung, die dem Standesbildungsprozeß der Pfarrerschaft am Beispiel der Hofprediger nachgeht in der Zusammenschau dreier Territorien (der reformierten Landgrafschaft Hessen-Kassel, der lutherischen Hessen-Darmstadt und Braunschweig-Wolfenbüttel am Ende des 16. und während des 17. Jahrhunderts), k o m m t auf der sozialgeschichtlichen Ebene zu Ergebnissen, die sich mit den unsrigen vielfach berühren, freilich auch manchen anderen A k z e n t hervorheben. Die Gegenüberstellung der politischen Wirksamkeit der Hofprediger in Hessel-Kassel ( z . B . der calvinistische Hofprediger Paul Stein) und Braunschweig-Wolfenbüttel (hier vor allem der o r t h o dox-lutherische Basilius Sattler) läßt den Unterschied im Verständnis des landesherrlichen Kirchenregiments deutlich werden: Während die Hofprediger „in Hessen-Kassel im wesentlichen im Interesse des Landesherrn agierten, bestand die politische Funktion der braunschweig-wolfenbüttelschen Hofprediger über weite Strecken geradezu in ihrer Opposition zum Landesherrn." (298). Auch die Herausstellung des Funktionswandels des Hofpredigeramtes seit der Mitte des 17. J a h r hunderts: „der politische Berater wird abgelöst vom im Hintergrund ohne unmittelbare politische Konsequenz agierenden M a h n e r " (306) ist für die Beurteilung des Obrigkeitsverständnisses z . B . des Hofpredigers Lütkemann und des Pietismus von nicht geringer Bedeutung: „Die pietistische Entlassung christlicher Obrigkeit aus der cura religionis führte in der Praxis zur Aufgabe des kirchlichen Autonomieanspruches und damit zur Stärkung landesherrlicher O b r i g k e i t . " (ebd.).

Ergebnis der Untersuchung

323

die besondere Stellung Johann Arndts in dem weiten geschichtlichen und theologischen Horizont zwischen Luther und Spener und seine bedeutende Wirkungsgeschichte in der neueren Kirchengeschichte in den Blick zu nehmen. Wir sehen in seinem theologischen Denken und in seinem Obrigkeits- und Frömmigkeitsverständnis eine wichtige Zäsur im nachreformatorischen Luthertum und in der Geschichte des Protestantismus.

Unsere Herausstellung zweier Hauptströmungen im Obrigkeitsverständnis des älteren Luthertums kann im Zusammenhang mit dem von Schorn-Schütte gezeichneten Bild eines Funktionswandels des Hofpredigeramtes nach dem Dreißigjährigen Krieg gesehen werden, wenn wir auch die Akzente z . T . etwas anders setzen ( z . B . im Blick auf Lütkemann und Spener; ist es sinnvoll, von pietistischer „Entlassung" christlicher Obrigkeit aus der cura religionis zu sprechen?). D e m geschichtlichen Wandel in der Ausbildung und Festigung des absolutistischen Staates im Verlauf des 17. Jahrhunderts korrespondieren die neuen theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Elemente der Theologen und Herrscher ( H e r z o g August!), auf die wir den Hauptakzent legten. In der noch weitgehend am Anfang stehenden Erforschung der Geschichte der Hofprediger und evangelischen Pfarrer in der frühen Neuzeit sind sozial- und theologiegeschichtlich orientierte Forschungsrichtungen ganz besonders aufeinander angewiesen.

A. Quellen 1. Ungedruckte

Quellen

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2. Gedruckte

Quellen

Es werden hier nur die Hauptquellen aufgeführt. Für die einzelnen Predigtdrucke, die politischen Ordnungen der Herzöge und Kurfürsten, die Kirchenordnungen, Gutachten, Vorreden, Widmungen, Briefe, Bibliothekskataloge und Biographien siehe die Fundortangaben bei den Anmerkungen. Arndt, Johann, Postilla: Das ist Außlegung und Erklärung der Evangelischen Text, so durchs gantze Jahr an Sontagen und vornehmen Festen, auch der Apostel Tagen gepredigt w e r d e n . . . , Jena 1616 und Lüneburg 1645. - Der gantze Catechismus, erstlich in sechtzig Predigten außgelegt und erkleret... Danach kürtzer in acht Predigten... begriffen... Item die Haußtafel, Jena 1616. - Auslegung des gantzen Psalter Davids des Königlichen Propheten/ Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet s e y . . . , Jena 1617. - Eine Huldigungs Predigt... Auch eine Landtages Predigt..., Celle 1618. - Deß Hochwürdigen/ Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Christians... Kirchenordnung... (unter Mitwirkung Arndts), Celle 1619. - Fünff Bücher vom wahren Christenthum, Lüneburg 1685. - Paradißgärtlein/Voller Christlicher Tugenden..., Lüneburg 1621. Bünting, H . und Letzner, J., Braunschweig-Lüneburgische Chronica oder: Historische Beschreibung der Durchlauchtigsten Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg... 3 Teile, hg. von Ph.J. Rehtmeier, Braunschweig 1722. Bytemeister, H., Commentarius historicus de Vita, Scriptis et Meritis Supremorum Praesulum in Ducatu Lunaeburgensi, Helmstedt 1728. Fischer, E.R., Vita Ioanis Gerhardi, Leipzig 1723.

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Register Personenregister Aaron 192 Adam, A. 284 Adolph Friedrich, Herzog von Mecklenburg 271,276 Affelmann, J. 180 Agricola, J. 83 Ahitophel 52,54 Aland, K. 137 Albrecht Alcibiades, Markgraf von Brandenburg-Kulmbach 76 Albrecht II., Herzog von Mecklenburg-Güstrow 271 Aleander, H. 29 Alexander d. Gr. 46,65,301 f. Alexander, Kurprinz von Sachsen 85 Althaus d. Ä„ P. 148,283 Althaus, P. 17,26,59 Althusius, J. 308 Ambrosius 203 Andreae, J. 82,108,112,225,230,239 Andreae, J. V., 148,178,261,263,267,269, 274,276,310 Andresen, C. 12 Anna Sophia, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg 261 Anna, Kurfürstin von Sachsen 77,81-85,89f., 106,117 Anna, Gräfin zu Stolberg-Wernigerode 173 Anton, Bischof von Schaumburg 147 Anz, H. 263 Aristoteles 309 Arndt, F. 135,142,145f„ 149f„ 153,157,160, 163f.,166f., 173,176 Arndt, J. 13,15,20-22,97,123,134,135-205, 215-224,245,255 f., 269 f., 272,275,279, 282-285,289,301,311 f., 314,319-321, 322 f. Arnisaeus, H. 263,297f. Arnold, G. 271 Arnold, W. 257 Asa, König 244

Äsop 65 August, Kurfürst von Sachsen 75-82,83 f., 86, 89 f., 104,106,109f„ 112f„ 116ff„ 122f„ 158,225 August d. J., Herzog von Braunschweig-Lüneburg20,135,140f„ 143,148,165,178-181, 240,249,255-314,317,321,323 August, Kurprinz von Sachsen 106 August, d. A., Herzog von Braunschw.-Lüneburg 148 Augustinus, A. 49,60,168f., 196,282 Augustus, Caesar 65 Bach.J.S. 181 Barnim, Herzog von Pommern 78 Bartels, C. 173 Barth, H. M. 300 Barth, K. 17 Bathseba 93 Baumgart, P. 234 Baur, J. 283 Beck, A. 259,263 Beck, H. 148 Bemmann, R. 76 Benzing, J. 23 Berbig, G. K. B. 158 Bernhard von Clairvaux 168 f., 196,282 Berns, J . J . 141,178,261-263,269f. Berwaldt, J. 90,101 Besold, Chr. 298 Beste, J. 226 f., 229-233,235-239,249,256, 258,260 ff., 264 f., 270,272 f., 276,285,290, 292 Beste, W. 172 Betke, J . 313 Beuther, T. 107 Beyer, Chr. 35 Beyreuther, E. 84,207 Beza, Th. 108 Birken, S. von 76,117 Bißmarck, J. 256

342

Personenregister

Blaschke, K. 75 f., 78, 81,104 Blaufuß, D. 11,138,297 Bodemann, E. 226,231 Bodemann, F. W. 135,145f., 255,278 Bodiq, J. 294 Boehmer, H. 41 Boethius, H. 232 f. Bofinger, W.F. 16 Böhme, J. 228 Borcherdt, H. H. 27 Bornkamm, H. 18,25,27,33,38,60f., 70, 75 f., 195,283 Bornkamm, K. 25 Bötticher, G. 27 Böttiger, C. W. 76,107f.,110 Brabant, H. 189 Bräuer, S. 24 Braw, Chr. 136,138 Brecht, M. 11 f.,25,75,137-139,178f.,217f„ 226,283 f. Breier, M. 164-166,179-181,269 Brenner, 0 . 3 1 Brenz, J. 232,239 Breuer, D. 20,140,321 Brokes, H. 274 Brunner, E. 136 Bruno, Graf von Mansfeld 145 Buch, L. P. 61 Bugenhagen, J. 83,90 Bünting, H. 250 Bytemeister, H. J. 162,180 Calinich, R. 78f., 81 Calixt, G. 12,14,19,123,226,228 f., 230,235, 237-239,261-263,266f., 268 Calixt, J. 228 Calvin, J. 78,166 Caiov, A. 12 Carlowitz, Chr. von 76 Caselius, J. 227f., 234,236f. Cellarius, B. 268,286 Chemnitz, B. 298 Chemnitz, M. 82,113,144,225f., 230-233 Christian (II.), Kurprinz u. Kurfürst von Sachsen 106-111,114f., 117f., 122 Christian d. A., Herzog von BraunschweigLüneburg 142-181,218,321 Christian d. J., Herzog von Braunschweig-Lüneburg 257 Christian I., Kurfürst von Sachsen 76,104-109, 113f., 116 Christian III., König von Dänemark 85 Christian IV., König von Dänemark 236 ff.

Christian, Herzog von Sachsen 89 Christian, Herzog von Mecklenburg 278 Christiana Elisabeth, Gräfin von Barby und Mühlingen 279 Christiana Margarethe, Herzogin von Mecklenburg 278 Christoph, Herzog von Württemberg 78-80, 225 Chyträus, D. 144,234 Cicero 65 Clapmarius, A. 298 Clara Auguste, Prinzessin von BraunschweigLüneburg 280 Comenius, J. A. 260,263,310 Conring, H. 261,297f., 309f. Cramer, D. 272 Cranach d. J. L., 113 Cranach, E. 113 Cruziger, K. 23 Culmann, L. 83 Cüsterus, G. 237 Daniel, Prophet 30 f. Dannhauer, J. C. 115,165,192,270,272f., 294 David, König 28-73,74,91,93,95,125,127, 130,140,173,182,184,186,203,219f.,222, 244,254,260,274,281,315 Demosthenes 65 Deppermann, K. 16 Deitmer, V. 231,262,264,289 Dibelius, F. 82-88 Diedericks, H. 322 Diem, Harald 39 Diem, Hermann 39 Dietrich, V. 83 Dilthey, W. 256,271,274 Dolch, J. 263 Dorothea, Königin von Dänemark 81 Dorothea, Prinzessin von Sachsen 106 Dorothea, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg 145,147,164 Dorsche, J. G. 272,283 Draudius, G. 14 Dreitzel, H. 227,234,255,263,297f., 308 Dreß, W. 33 Drews, P. 15 Drexel, J. 321 Droysen, G. 77-80 Dülmen, R. van 178 Ebeling, G. 57,59,189 Eber, P. 83 Eckert, A. 82-85,89,108

Personenregister Eiert, W. 12,14,17,84,159,253 Ehrenfeuchter, F. 287 Elisabeth I., Königin von England 107 Elisabeth, Herzogin von Mecklenburg 81 Elisabeth, Herzogin von Braunschw.-Lüneburg 236-238,250 Enders, L. 35 Entringer, M. 112 Erastus, Th. 195 Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 144,152 Ernst Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach 109 Ernst I., der Fromme, Herzog von SachsenGotha-Altenburg 258,263 f. Ernst II., Herzog von Braunschweig-Lüneburg 142 f., 145,147,152,164 Ernst, Herzog von Braunschweig 78 Fabricius, J. J. 273 Falke, J. 77 Feilitzsch, F. von 33,46 f., 49 Felgenhauer, P. 313 Fincken, C. 275 Fischer, E. R. 181,238,282f. Fischer, Chr. 156 Forster, J. 83,90 Franck, S. 195,282 Francke, A. H. 138,223f„ 264,314 Francke, J., Buchhändler, 143,162,164 Frantz, W. 166 Friccius, Chr. 162,179f. Friedrich Wilhelm, Herzog von Sachsen-Weimar 106-109,111,114 Friedrich II., König von Dänemark 236 Friedrich III. Kurfürst von der Pfalz 78-82 Friedrich III., der Weise, Kurfürst von Sachsen 26,28ff., 32f., 36f., 40,46f„ 49,52f„ 70, 77 Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz 111 Friedrich Ulrich Herzog von Braunschw.-Lüneburg 148,177,228 f., 233,235-240,243 f., 249f., 252,261 Friedrich V., Pfalzgraf 177 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 258 Friedrich, Herzog von Braunschw.-Lüneburg 153 Friedrich, Herzog von Württemberg-Neustadt 280 Froereisen, J. 272 Fröschel, S. 83 Fuchs, W . P . 18

343

Geier, M. 123 Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen 31 Georg Ernst, Graf von Henneberg-Schleusingen 78 Georg Friedrich, Markgraf von BrandenburgAnsbach 147 Gerhard. J. 96,142 f., 146,157-159,165-170, 173-176,179 ff., 184,186f„ 194,228,238, 253,256,270,282 ff. Gesenius, J. 19,238,286 Glassius, S. 264 Gleich, J . A . 108,114 Gosky, M. 279 Götze, G. H. 82 Gregor von Nazianz 273 Greiser, D. 85 f., 89,102,107 Greschat, M, 13,20 Gretschel, C. 76 Großgebauer, Th. 274 f. Grumbach, W. von 80 Grünberg, P. 206,210,218 Guden, H. Ph. 161-163,167 Gundermann, Chr. 107 Günther, M. C. 165 Günther, O. 255 Hamm, B. 138f., 143,284 Hannibal 46 Hans, Markgraf von Brandenburg-Küstrin 78 Harms, W. 293 Härtung, O. F. 258 Hashagen, F. 136 Havemann, W. 146,230 Heckel, J. 96,184,194f. Heckel.M. 150,159,187 Hedwig, Kurfürstin von Sachsen 111,117 Hedwig, Herzogin von Braunschw.-Lüneburg 236 Heerbrand, J. 112 Heermann, F. 161 Heidenreich, J. 113 f. Heinrich Carl, Prinz von Braunschweig-Lüneburg 250 Heinrich d. J., Herzog von Braunschweig-Lüneburg 249 Heinrich IV., König von Frankreich 107 Heinrich Julius, Herzog von BraunschweigLüneburg 90,176,226 f., 229,231,233, 235-237,240,243 f., 245,248 ff., 308 Heinrich VIII., König von England 300 Heinrich, Herzog von Braunschw.-Lüneburg 152 Helt, G. 24

344

Personenregister

Henke, E. L. Th. 228-230,232,234-240,268 f., 276 f. Henkel, A. 293 Heppe, H. 78,81,226 Herberger, V. 137,165 Herodes, König 132,182,192f. Herold, T. 19 Herrmann, R. 89 Hertrampf, H.-D. 115,225 Heßhusen, T. 112,226,231 f. Heuer, H. 181 Heußler, Chr. 89 Heussi, K. 37 Heyme, B. 81 Hildebrand, Kanzler des Fürstentums Lüneburg, 142 f., 145 Hinrichs, C. 29 Hirsch, E. 17 Hiskia 184,222,244 Hoburg, Chr. 19,139,148,270f„ 301-306, 310,312 ff. Höenegg, M. Höe v. 115,122,225 Hoffmann, K. 15 Hofmann, D., 114,226-228,231 f., 234 f. Hofmann, M. 86 Hofmeister, H. 226 Hohlwein, H. 15 Holborn, W. 291 Holl, K. 11,17,24,43,57,274 Homer 65 Honecker, M. 15,96,150,158 f., 184,209,211, 283 Horn, C. 241 Hornejus, K. 268 Hornig, G. 12 Höß, 1.61 Hubatsch, W. 37 Huber, S. 114 Hunnius, A. 112 Hunnius, N. 181,239,283 Huth, A. 175 Hutten, U. von 66 Ihmels, L. 18,295 Isaak 279 Jagemann, J. 234,236,249 Janssen,J.147 Jaspert, B. 137,283 Jatzwauck, J. 76 Jelke, R. 18,295 Jeremia 101,215 Jesaja 53,98,184,246

Jesus Sirach 55 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 78 Joachimsen, P. 24 Joest, W. 26 Johann der Beständige, Kurfürst von Sachsen 29-37,40,42,61,70, 77 Johann Casimir, Pfalzgraf 109 Johann Casimir, Herzog von Sachsen-Coburg 177 Johann Friedrich I., der Großmütige, Kurfürst von Sachsen 22,23-73, 75,106,111 Johann Friedrich II., der Mittlere, Herzog von Sachsen 78-80 Johann Georg (I.), Kurprinz und Kurfürst von Sachsen 106,111,122 Johann Georg III., Kurfürst von Sachsen 207 Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg 106 Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen-Weimar 106 Johannes d. T. 95,132 Jonas, J. 35 Jordan,H. 24 Josaphat 244 Joseph 54,67 Josia 184,222,243,244 Josua184,222 Juliana, Gräfin von Oldenburg 280 Julius August, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 246,250-252 Julius, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 82,152,225 f., 229-233,237,240-244, 248-250,252,260,317 Jüngel, E. 59 Junghans, H. 24 f., 37 Kaemmel, O. 76 f. Kahl, H.-D. 282 Kaiser, 0 . 2 4 Kalkhoff, P. 29 Kantzenbach, F. W. 16 Kapff, S. C. 173 Karl II., Markgraf von Baden 78 Karl V., deutscher Kaiser 37 Katte, M. von 270,276 Kawerau, G. 23,27 Kegel, Ph. 148 Keil, A. (Claviger) 85, 89 Keßler, J. E. 298 Ketzmann, J. 83 Kimmel, H. 136 Kinder, E. 59 f. Kinzel, K. 27 Kirchner, T. 226,232

Personenregister Klein, Th. 76 f., 104-107,108 Kleinschmidt, J. 273 Kluckhohn, A. 81 Knemeyer, F.-L. 293 Knolle, Th. 27 Koch, E. 81 Koepp, W. 135 f., 142 f., 146,148f., 153,157, 160-164,166,173,175,178,180,189,282 Koldewey, F. 260,263 Köpf, U. 282 Köstlin, J. 23,27,38 Kötzschke, R. 76 Krause, R. 14 Krell, N„ Kanzler 104-109,113,116,119 Kretschmar, H. 76 Kronenberg, K. 231 Kröner, M. 153 Krüger, G. 195 Krumwiede, H.-W. 18,27,36,57,61,72, 153 f.,207,230,256,266,291 Kruse, M. 14,18f.,63,120f., 126 f., 141,164 f., 178,182,192,200,206,209f.,217f.,224, 270,294,301,304,312 f., 314 Kunst, H. 26,28f., 34-37, 317 Lang, W. 298,309 Lange, B. 155 f. Lapäus, J. 120 Lau, F. 25 f., 39,41,46,56-59,64,104,268 Lautrenberger, M. 90 Leclercq, J. 282 Lehmann, H. 15f., 138,191,246 Leibniz, G. W. 274 Lentz, C. G. H. 226 Lenz, M. 76 Lenz, R. 138 Lersch, D. 282 Letzner.J. 250 Leube, H. 11,14,16,18,189,256,264,273 f., 295-297 Lewetzow, D. v. 273 Leyser d. Ä., P. 19f., 45,74,104-134,167,224, 234,317ff. Leyser, C. 112 Lilje, H. 27 Linck, W. 83 Link, Chr. 157 Lipenius, M. 173,175 Lipsius, J. 310 Livius, T. 65 Loewenich, W. von 25 Lohse, B. 25 Lucian 66

345

Lucius, J. A. 123 Ludewig, F. A. 227 Lufft, H. 23 Lund, E. 136 Luthardt Chr. E. 85 Luther, M. 17f., 19,21 f., 23-73,74,78,81,84, 88,90-94,97,99,100-104,120,125-127, 129,130,133-135,155,159,163,177,182f„ 189,191 f., 195,201 f., 204,210,216,219, 223 f., 228,232 f., 241,245,248 f., 254,274, 282,284,301 f., 315-320 Lütkemann, A. 278 Lütkemann, H. 255,260 ff., 265,270-273,276, 278 f., 285 f., 290 ff., 307 Lütkemann, J. 20,70,116,148,205,255-314, 319,321 ff. Machiavelli, N. 70,246,251,296f., 309f. Mager, I. 226-234,240,261,263,266,268f. Maier, H. 293 Major, G. 83 Makarios 136,179,282 Malsius, J. 232 f. Manfred, Herzog von Württemberg 280 Martens, H. R. 272 Martini, C. 227f., 234,237 Mathesius, J. 23 Matthes, K. 24 Maurer, W. 18,33,40,57 Maximilian I., Kurfürst von Bayern 321 Maximilian II., deutscher Kaiser 76, 80, 82 Mehlhausen, J. 12 f. Meinecke, F. 246,297 f. 310 Meiners, C. 146 Meisner, H. 0 . 2 5 8 Meister Eckhart 282 f. Melanchthon, Ph. 23,78 f., 81,83 f., 85-88, 90 f., 96,102,127,159,184,228,232,235 Mentzer, B. 166 Merian, M. 173 Merz, G. 27,38 Meyer, J. 143,148,230 Mirus, M. 107f., 114 Moeller, B. 17,22,25,37 Mohr, R. 138,256,283 Moller, M. 282 Moltke, G. von 275 f. Moltmann, J. 81,104 Möring, Kanzler 289 Moritz, Kurfürst von Sachsen 70, 75-77 Mose 171,184,192,220 Moser, Fr. K. von 291 Mülhaupt, E. 27

346

Personenregister

Müller, Gerhard 24,56 Müller, Georg 85 Müller, Heinrich 255,273,278 Müller, Karl 24, 57 Müntzer, Th. 29,69 Musculus, A. 282 Mylius.G. 114 Nathan, Prophet 76,95,186,203 Neander, M. 282 Nebukadnezar 126 Nero 59 f. Neubauer, R. 27 Neuser, W . H . 104 Nicolai, Ph. 137,162,282 Niebergall, A. 14 Noth, G. 105 Nowak, K. 24 Oberhey, Chr. 285,290 Oberman, H. A. 59 f. Oestreich, G. 259,297 Ohe, H . J . v o n der 146 Olesch, R. 76 Ondermarck, M. 152 Osiander d. Ä . , L . 112,179 Osianderll., L. 179 f. Osiander, A. 112 Otte, W.-D. 266 f. Paracelsus 195 Patze, H. 147,230 Pauli, A. 106,108 Pauls, Th. 24 Paulus, Apostel 45,49,59f., 95,131,222,244 Peschke, E. 138,196 Petrus, Apostel 45, 59 f., 221 Petzoldt, M. 181 Peucer, C. 81 Pezel, Chr. 81,104 Pfaffrad, C. 228,234 Philipp Sigismund, Bischof von Verden und Osnabrück 236 f. Philipp, Landgraf von Hessen 33,36,70, 76, 78 Pierius, U. 107 Pilatus 185,187f., 193,221 Pistorius, J. 291 Pitz, E. 234 Planck, G . J . 81 Plato 295 Pleijel, H. 135 Pole, R. 300 Prätorius, St. 164

Press, V. 79 Pritius, J. G. 173,255 Puchheim, M. L. von 112 Raabe, P. 261 Rambach, J. J. 161,164,167,173 Ramus, P. 234 Ratke, W. 263 Ratschow, C. H. 24, 57 Rauschacher, J. 83 Rautenberg, B. von 149 Rebecca 279 Rehermann, E. H. 14 Rehtmeyer.Ph.J. 114,167,230,234f.,250, 256,272,276,278 Reimer, H. 138 Reinhard, F . V . 14 Reinitzer, H. 266 Reinking, D. 293,295,300,310 Reiler, H. 229,291 f. Reuther, H. 147 Reyher, A. 263 Rhawen, G. 153 Rhegius, U. 144 Riedesel, J. 34 f. Ritsehl, A. 136 Ritsehl, O. 81 Ritter, M. 79 Rödinger, Chr. 24 Roehrhand, J. 164 Römer, Chr. 258 Rose, J., Buchhändler 143 Rotermund, H. W. 173,175 Roth, St. 24 Roting, M. 83 Rückert, H. 16 Rudolf II., deutscher Kaiser 82,111,236 Rudolph August, Erbprinz von BraunschweigLüneburg 279 Rudolph, Prinz von Braunschweig-Lüneburg 250 Ruhbach, G. 17 Rüttgardt, J. 0 . 1 3 8 Salmuth, J. 107 f. Salomo, König 33,40,52,126,184,222,251 Samuel, Prophet 203 Sattler, A. 230 Sattler, B. 20,225-255,264,268,287ff„ 290, 308,317ff., 322 Saul, König 201 f., 203 Schäfer, G. 178 Schattenmann, P. 137

Personenregister Schelwig, S. 209 Schenke, F. 184,186 Scheuerle, L. 234 Schian, M. 14 Schilling, H. 76,104f„ 322 Schlee, E. 227,234 Schlegel, J. K. F. 149f.,l 52,229 f., 232,235, 237 f. Schleiermacher, F. 136 f. Schlesinger, W. 76 Schiene, H. 78 Schleupner, Chr. 142 Schlüsselburg, K. 291 Schmidlin.J. 147 Schmidt, Joachim 162 Schmidtjohann 165,269 f., 272 ff. Schmidt, Karl 263 f. Schmidt, Martin 18,27,135,137ff., 163,167, 173,256 Schmidt, Sebastian 270 Schmitt, L. E. 76 Schmuck, S. 152,218 Schneider, H. 136,179,282 Schnepf, Th. 112 Schöne, A. 293 Schöner, J. 83 Schönstädt, H.-J. 177 f. Schorn-Schütte, L. 322 Schott, Chr.-E. 14 SchotteliusJ. G. 263 Schräder, Chr. 261 f., 268 Schrey, H.-H. 25 Schubert, F. W. 136 Schulz, K. 81 Schupp, J. B. 274,295,300f„ 310 Schüssler, H. 228 Schütz, J.J. 314 Schütz, Chr. (Sagittarius), 81, 85, 89 Schwager, H . J . 135,163 Schwartzkopff,J., Kanzler 229f., 240,262 f., 266,268,285-290,310,313 Schwarz, R. 75,226 Schwenckfeld, K. von 195 Scipio 46 Seckendorff, V. L. von 24,264,293,299 f. Sehling, E. 152-156,159f., 264 Seitz, M. 291 Sellin, V. 297 Seinecker, G. (Vater von N. Seinecker) 83 Seinecker, Georg (Sohn von N. Seinecker) 90 Seinecker, N. 19,20,74-104,108,112,114, 132 ff., 232,317ff. Silbermann, Chr. 149

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Singer, B. 19,297 Skriver, Chr. 255,273 Sohra, R. 15 Sokrates 295 Sommer, W. 19,33,238,283 f., 314 Sömmering 243 Sophia, Kurfürstin von Sachsen 105 f., 108f., 114 Sophia, Prinzessin von Sachsen 106 Sophie Elisabeth, Herzogin von BraunschweigLüneburg 268,271,278 f. Spalatin, G. 35 Spanuth, F. 176 Spehr, F. 227 Spener, Ph.J. 13-15,18-21,63,120,123,126, 135-139,141,164 f., 169f„ 172f„ 178f., 181 f., 187,189,192,200,205,206-218,219, 223 f., 255 f., 269 f., 272 f., 283,294,301,304, 307,312,314,319,321-323 Spittler, L. T. 146,238 Sprengler-Ruppenthal, A. 152,154 f. Staupitz, J. von 55 Stein, P. 322 Steinbach, D. 107 Steinbach, E. von 238 Steinhausen, G. 15 Steinmann, T. 167,173 Steinmetz, R. 142,149,156,180 Stephani,J. 150 Stephani, M. 150 Stern, H. und J., Buchhändler 181,271 Stintzing, R. 78 Stoeffel, F. E. 137 Stoll, J. 272 Stolleis, M. 293,297,299f„ 309f. Storch, W. 167 Stößel, J. 81 Sträter, U. 256 Strecker, G. 12 Streithorst, A. von 237f., 252 Strothmann, W. 136,179,282 Strube, H. J. 228,234 Stübner, J. Chr. 263 Süß, H. 82 Tauler.J. 136,164,282 Tentzel, W. E. 113 f. Thadden, R. von 16 Theodosius, Kaiser 203 Thiele, E. 31 Tholuck, A. 114,123,272,274 Thomasius, Chr. 287f. Tilly.J. T., Graf von 257

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Personenregister

Törnvall, G. 26,63,65 Troeltsch, E. 16f.,41,63 Tuckermann, P. 230,238f., 265,267f. Ulrich, Herzog von Mecklenburg 78 Varenius, H. 179,181,269,283 Vergil 65 Wagenmann, J. A. 82, 84,231 Walch, J. G. 178 Wallmann, J. 12,13,15,20,37,59,135,137, 139-141,143,165,169,172,178-181,187, 189,206,226,228,249,256f., 259,267, 269 f., 272 f., 277,282,284,287,291,298, 303,314 Walther, M. 19,238,286 Walz, H. 274 Weber, E. 135,161,163,167,282f. Weber, H. E. 12 Weber, M. 16 Wedemeyer, C. 166 Weigel, V. 164,282 f., 313 Weihe, E. von 238 Weinacht, P. L. 297 Weinbach, W. 275 Weller, H. 90 Weller, J. 122,239 Werbeck, W. 59

Werdenhagen, J. A. 228 Werhan, O. F. 135 Wernsdorf, G. 161 Wezel, J. 147f„ 180 Wideburg, H. 268 f., 289 Wigand, J. 120 Wilcke, J. 271 Wilde, J. 278 Wilhelm d. J., Herzog von Braunschweig-Lüneburgl44,147,149,152 Wilhelm III., Landgraf von Hessen 106 f. Willoweit, D. 309 Winckelmann, J. 16 Winter, F. J. 135,142f„ 145f„ 149f., 153,157, 160,162f., 166 f., 173 Wittram, R. 17 Wolf, G. 24 Wolfgang, Pfalzgraf von Zweibrücken 79 f. Wünsch, G. 41 Xenophon 245 Zadoch 67 Zeißler.G.L. 15,108,114 Zeller, W. 137,256,283 Zimmermann, G. 18 Zimmermann, P. 227f., 230f., 261 Zophy, J. W. 61 Zschäbitz, G. 105

Sachregister

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Sachregister Abendmahl, auch allgemein Sakramente 78,85, 156,210,214,232 f. Absolutismus, absolutistisch, s. auch Staat 70, 258,290, 308,312,318,321 Antimachiavellismus, s. auch Staatsräson 299-301,305,308-310,322 Aristotelismus, aristotelische Schulphilosophie 13,226-229,234 f., 240,250,255,263,297, 308,310 Arndtsche Streitigkeiten 139,141 ff., 165f., 178,181,218,269 Atheismus 300 Aufklärung, Aufklärungspredigt 14,228,255 Augsburger Reichstag 1530 25,144 Augsburger Reichstag 1566 79-81 Augsburger Religionsfrieden 1555 13,78,91, 97,103, llOf.,177 Beamtenkritik Polykarp Leysers 131 f. Bibelarbeiten Herzog Augusts 266-269,279 Bundestheologie Arndts 220 Cäsaropapie, s. auch Papocäsarie 18,120,126, 128, 133,199,204,209,216f„ 314,318,320 Calixtinismus, calixtinisch 229,233,239 f., 263, 270 Calvinismus, calvinisch, s. auch Philippismus 104-109,113,116f., 171,232 Chiliasmus, s. auch Ende der Zeiten 314 Christentum, Vier Bücher vom wahren 20, 135 f., 140f„ 143,161-167,169,171,173, 175,178 f., 181,196,218,255 f., 282-284, 319 Christokratie, christokratisch 198 f., 202, 207f.,215f.,314,320 ff. Collegium pietatis 256 Confessio Augustana 36, 78f., 117,144,170 Corpus doctrinae Julium 249 Cura religionis, custodia utriusque tabulae 55, 96,100,103,117,121,127,183 f.,212,219, 246,322 f. Dreißigjähriger Krieg 111,115 f., 217,228 f., 237,246,255 ff., 257f„ 260,264,266,274, 285,287,290,292 f., 301,304,308,311 f., 322 f. Dreistände s. Stände Emblematik 292-295 Ende der Zeiten, s. auch Chiliasmus 189,191

Englische Erbauungsliteratur s. Erbauungsliteratur Englische Revolution 287f. Episkopaltheorie, s. auch Territorialsystem 150 Erbauung, erbaulich, s. auch Erbauungsliteratur 22, 169,171 f., 174,223 f.,277,284 Erbauungsliteratur 20,140,148,163,166, 255 f., 270,272,277,280 ff., 282-285,287, 296,302,310 Evangelienpostille Arndts 167-173,175f., 182-205,218 f., 282 Exorzismus 107,235,288 „Faulwitz" (Geschäftigsein in fremden Sachen) 52f.,97,130,202 Frömmigkeitskrise 137f., 191 Frühabsolutismus, s. Absolutismus Frühneuzeit, s. Staat, frühneuzeitlicher Fürstenspiegel 19, 73,297 Geschichtsverständnis Luthers 19,27,38-41, 42-66,68, 71, 7 3 , 9 2 f „ 103,315f. Grumbachsche Händel 80 Heidelberger Katechismus 79 Hexenverfolgungen 250 Hofmannscher Streit 227f„ 234 f., 255 Hofpredigerkritik Polykarp Leysers 129f., 133 Humanismus, s. Aristotelismus Jagdleidenschaft Kurfürst Augusts 86-89 Jesuiten, jesuitische Mystik 111,148,228,237 Juden 238,249 f. Katechismus, Katechismuslehre, s. auch Schulwesen 114, 156,163,165,167,170,213, 260f.,286f. Katechismuspredigten Arndts 175 f. Kirchenbann, s. auch Kirchenzucht 202 f. Kirchengüter 98f., 154,160,197,286, 318 Kirchenkritik Arndts 193f., 199,216,222f. Kirchenkritik Speners 214ff. Kirchenvisitationen s. Visitationen Kirchenzucht 110,124,157-159,203,215 Klausula Petril91,221 Konkordienwerk, Konkordienformel und Konkordienbuch 13,75,82,108-110, 112-114,117,123,144,152,225f., 231-233, 239,243 Krell-Bibel 105,107

350

Sachregister

Krise des 17. Jahrhunderts s. Frömmigkeitskrise Kryptocalvinismus s. Philippismus Landesherrliches Kirchenregiment 18,24,56f., 60f.,91,96,102,127,134,141,159,164, 205,217,219,223,260,262 f., 264,290/ 312ff., 316,318-322 Landeskirchentum s. Landesherrliches Kirchenregiment Landtagspredigt Polykarp Leysers von 1601/ 1602 118-122 Leichenpredigt Arndts auf Herzog Ernst II. 143-145 Leichenpredigt Basilius Sattlers auf Herzog Heinrich Julius 244—252 Liturgiereform Herzog Augusts 267f., 277f. Luther, Schriften: Adelsschrift 62 Briefe 28 f., 34-36 Hohelied-Auslegung 25 f., 33 Kohelet-Vorlesung 33,47,49 Kriegsleuteschrift 23,39,56,71 Leichenpredigten 29 Magnifikat 30,38 Obrigkeitsschrift 23,25,39,51,56,58-60,68, 73 Psalm-Auslegungen 2 6 , 4 1 , 5 9 , 6 3 Sermon von den guten Werken 43 Tischreden 31 f., 34,36,47,54 Übersetzung des Propheten Daniel 30 f. Vorrede zu Melanchthons Unterricht der Visitatoren 72 Wochenpredigten über Mt 5-7 25,56 Mystik bei Arndt 136,138,140,166,169f„ 176, 195 f., 217,282 ff. Mystischer Spiritualismus s. Spiritualismus Naumburger Fürstentag 78 f. Nürnberger Anstand 36 Ordnungen Herzog Augusts 257-266 Ordnungen Herzog Christians d. Ä. 146ff., 152 ff., 160 Papocäsarie 18,120,126,128,198 f., 204,209, 216f., 318 Papstkritik Luthers 54 f. Paradiesgärtlein Arndts 162-164,165,169 Patronatsrecht s. auch Vokation der Pfarrer 154,156,159 Perikopenzwang 172,206

Pfarrerkritik s. Kirchenkritik Philippismus in Kursachsen 81 f., 89,105-109, 112,225 Pia desideria Speners 13,20,137,140,209,213, 217f., 270,314 Pietismus, Pietismusforschung 12-14,16,126, 135-140,169,179,181,218,223f., 256,314, 319,322 Polizei 293 f., 300 Postillen 13 f., 161,165,182 Predigten Lütkemanns a) Rostocker 273-276,278 b) Wolfenbütteler 279 ff. Predigten Speners 206-218 Predigtgeschichte 14,17 Predigtmethode 21 f., 172 Predigtwerke Arndts, s. auch Evangelienpostille und Psalterpredigten 140f., 161,162-179 Psalterpredigten Arndts 169,172,173-175, 176,219 Quedlinburg, Kolloquium von 112,232 Reformierte s. Calvinismus Reformationsjubiläum 1617 176-178,218 Rostocker Streitigkeiten 271,273,279 Sakramente s. Abendmahl Schmalkaldischer Bund 36 f., 70 Schulphilosophie, aristotelische, s. Aristotelismus Schulwesen, s. auch Katechismus 98 f., 119, 123 f., 152,154,159f.,222f„ 259-266 „Sozialdisziplinierung" 259 Sozialkritik Arndts 185f., 191,197,205, 221-224,322 Sozialkritik Lütkemanns 257,273,301-308, 312 Sozialkritik Speners 208 f. Spiritualismus, mystischer 126,138f., 195,217, 282f.,313f. Staat, frühneuzeitlicher, frühabsolutistischer 116,132,150,205,217,240,254,258 f., 293, 301, 315f., 317,321,323 Staatsräson 70,75-77,116,205,246,263,293, 295-310 Stände, drei, Dreiständelehre 52,57,115,118, 121,128,133,144,159,187,253,293,311 f., 319 Strafpredigten Polykarp Leysers 128-132 Strafpredigten Basilius Sattlers 242ff., 248 f., 251

Sachregister Strafpredigten Nikolaus Selneckers 87-89,91, 94-103,318 Straßburger Luthertum 269 f., 272 Synkretistische Streitigkeiten 20,226 Territorialismus, Territorialsystem 150,263, 268,287,290f. Ubiquitätslehre 113,231 f., 233 f., 243,288 Universität Helmstedt 226-229,231-239,243, 249 f., 261-263,267,288,297,308-310 Visitationen: Kurfürst Johann Friedrichs 35f., 60 f. Kurfürst Augusts 79 Friedrich Wilhelms, Administrator in Kursachsen 108 Herzog Augusts 285-290,313

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Herzog Christians d. Ä. 149-152,155 f. Herzog Julius' 230,239 Visitationsprotokolle Arndts 149-152,153 Vokation der Pfarrer, s. auch Patronatsrecht 121 f., 127,154,213,289 Weltverständnis Arndts 194,198,200,204,314, 320 f. Westfälischer Friede 13,258,308 Wirtschaftspolitik Kurfürst Augusts 77 f. Zweireiche-, Zweiregimentenlehre Luthers 16, 19,24-27,38 f., 41 f., 42,44 f., 53,56-66, 72 f., 182,192,201,315,320 Zweireiche, Zweiregimente im Luthertum 100, 103,120 f., 123-125,127f., 130f., 133f., 187, 192-205,216,219,224,254,311,318-320 Zweite Reformation 76, 79,104 f.

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Eine Titelauswahl 40 Michael Heymel - Das Humane lernen Glaube und Erziehung bei Sören Kierkegaard. 1988.286 Seiten, kart. 39 Ernst Feil Antithetik neuzeitlicher Vernunft „Autonomie - Heteronomie" und „ration a l - irrational". 1987. 205 Seiten, kart. 38 Ruth Albrecht • Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Tnekla-Traditionen Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jh. in Kleinasien. 1986. 473 Seiten, geb. 37 Dorothea Wendebourg Reformation und Orthodoxie Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573-1581. 1986. 425 Seiten, kart. 36 Ernst Feil • Religio Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation. 1986. 290 Seiten, kart. 35 Samuel Vollenweider Neuplatonische und christliche Theologie bei Synesios von Kyrene 1985.234 Seiten, kart. 33 Wilhelm-Ludwig Federlin Vom Nutzen des Geistlichen Amtes Ein Beitrag zur Interpretation und Rezeption Johann Gottfried Herders. 1982. 281 Seiten, kart. 32 Jan Badewien - Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Salvians von Marseille 1980.211 Seiten, kart.

31 Rudolf Lorenz • Arius judaizans? Untersuchungen zur dogmengeschichtlichen Einordnung des Arius. 1979. 227 Seiten, kart. 30 Henning Graf Reventlow Bibelautorität und Geist der Moderne Die Bedeutung des Bibelverständnisses für die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung. 1980. 716 Seiten, geb. 27 Johann Ch. Emmelius Tendenzkritik und Formengeschichte Der Beitrag Franz Overbecks zur Auslegung der Apostelgeschichte im 19. Jahrhundert. 1975. 321 Seiten, kart. 26 Martin Schloemann Siegmund Jacob Baumgarten System und Geschichte in der Theologie des Übergangs zum Neuprotestantismus. 1974. 302 Seiten, kart. 25 Adolf Martin Ritter Charisma im Verständnis des Johannes Chrysostomos und seiner Zeit Ein Beitrag zur Erforschung der griechischorientalischen Ekklesiologie in der Frühzeit der Reichskirche. 1972. 232 Seiten, kart. 23 Ekkehard Mühlenberg Apollinaris von Laodicea 1970. 257 Seiten, kart. 22 Werner Affeldt Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese Römer 13,1 — 7 in den Römerbriefkommentaren der lateinischen Kirche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. 1969. 317 Seiten, kart. 21 Helmut Roscher Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge 1969. 323 Seiten, kart.

Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich