Holz : Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt [2 ed.] 9783865813213

Überarbeitete und erweiterte Neuauflage Holz ist als Bau-, Werk- und Brennstoff unentbehrlich. Seine wechselvolle und

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German Pages 364 [366] Year 2012

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Holz : Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt [2 ed.]
 9783865813213

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Stoffgeschichten< Dr. Manuel Schneider (oekom e.V.)

Holz - Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt

in der Reihe >Stoffgeschichten< überarbeitete und erweiterte Neuauflage

© 2012, oekom verlag

Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH

Waltherstraße 29, 80337 München Visuelle Gestaltung, Satz, Herstellung: Ines Swoboda

Umschlaggestaltung: Sandra Filic

Titelbild: Marguerite Joos

Umschlagrückseite: pixelquelle.de/ Universität Bielefeld Druck: fgb. freiburger graphische betriebe Dieses Buch wurde auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt.

FSC® (Forest Stewardship Council) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozialverantwortliche Nutzung der Wälder unserer Erde einsetzt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-321-3

J3 FSC

MIX Papier aue varantwortunpavollan Quallen

FSC*C106847

Stoffgeschichten - Band 3 Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e.V.

Herausgegeben von Prof. Dr. Armin Reller und Dr. Jens Soentgen

Die Dinge und Materialien, mit denen wir täglich hantieren, haben oft weite Wege hinter sich, ehe sie zu uns gelangen. Ihre wechselvolle Vorgeschichte wird aber im fertigen Produkt ausgeblendet. Was wir an der Kasse kaufen, präsentiert sich uns als neu und geschichtslos. Wenn man seiner Vorge­ schichte nachgeht, stößt man auf Überraschendes und Erstaunliches. Auch Verdrängtes und Unbewusstes taucht auf. Gerade am Leitfaden der Stoffe zeigen sich die Konflikte unserer globalisierten Welt.

Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt. Sie sind die oftmals widerspenstigen Helden, die eigensinni­ gen Protagonisten unserer Geschichten. Ausgewählt und dargestellt werden Stoffe, die gesellschaftlich oder politisch relevant sind, Stoffe, die Geschich­ te schreiben oder geschrieben haben. Stoffgeschichten erzählen von den Land­ schaften, von den gesellschaftlichen Szenen, die jene Stoffe, mit denen wir täglich umgehen, durchquert haben. Sie berichten von den globalen Wegen, welche viele Stoffe hinter sich haben. Holz - Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt ist der dritte Band der Reihe. Holz ist als Bau-, Werk- und Brennstoff unentbehrlich. Seine wechselvolle und spannungsreiche Kulturgeschichte spiegelt die Beziehung zwischen dem Naturstoff Holz und seinem Nutznießer Mensch - von den Jägern der Steinzeit bis zur globalisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der das Holz eine vielfältige und unerwartete Renaissance erlebt.

Joachim Radkau Unter Mitarbeit von Ingrid Schäfer

Holz Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt

Vorwort

11

Zur Entstehung des Buches

14

____________________________ KAPITEL 1_______

Holzwege in die Geschichte Das »hölzerne Zeitalter«

Machen Stoffe Geschichte? Holz, Holz, Holz überall! Prähistorie: Am Anfang war das Feuer Antike: Die vermeintliche Krise des Waldes Abhängigkeit vom Holz: Zeitbombe oder Notbremse?

19 21 22 24 27

Mensch und Wald: Geschichten und Geschichte

Die wortreiche und die stumme Geschichte Wendezeiten der Wald- und Holzwirtschaft Was ist ein Wald - und besteht der Wald nur aus Holz?

30 34 36

Die Natur des Holzes im historischen Wandel

Gute Zeiten - schlechte Zeiten: Natur gegen Geschichte? Eigenschaften und wechselnder Nutzwert der Holzarten Klassifizierung der Holzarten Formen der Waldwirtschaft »Holzfehler«? - Technische Probleme mit dem Naturstoff Holz

38 39 40 46 49

____________________________ KAPITEL 2_______

Mittelalter und beginnende Neuzeit: Holzressourcen zwischen Ausschöpfung und Regelung Die mittelalterliche Gesellschaft stößt

an die Grenzen der Wälder

Von der Rodung zur Regulierung der Waldnutzung Markgenossen und Holzgerichte Der Kampf um das Waldeigentum Waren die Bauern die »Blutegel«, die Fürsten die »Retter« des Waldes?

57 58 60 64

Bau- und Nutzholz: Holz wird zur Handelsware

Eichen für den Schiffbau: Die Anfänge von Holzverknappung und Holzhandel Fachwerk: Von der Kunst der Holzverbindungen zur Kunst der Konstruktion Einheit und Ausdifferenzierung der Holzhandwerke

69

75 81

Der Aufstieg der Brennholz-CroBverbraucher und die erste Welle der Forstordnungen

Die »Feuergewerbe« und das Holz Expansionsrausch und »Holzbremse« im Montanwesen Holznot - für wen? Forstordnungen und Bergbauinteressen Nürnberger Nadelholzsaat und Siegerländer Haubergwirtschaft Flößerei und Trift: Der Wassertransport als Triebkraft der Holzwirtschaft Waldgewerbe im Zwielicht: Pottaschesieder, Pechbrenner, Glasmacher, Köhler Holzersparnis als Ziel von Erfindern

88 93 97 98 101 108 115 126

________________________________ KAPITEL 3_______ Im Vorfeld der Industriellen Revolution: Höhepunkt und Ende

des »hölzernen Zeitalters« Reform, Revolution und Holzwirtschaft

Handelsrevolution, Holzboom und Holländerflöße Kapitalismus und Protektionismus Staatsreform und Forstreform Die »Agrarrevolution« und die Grenze zwischen Wald und Feld

133 138 142 145

Das »Gespenst der Holznot«: Die Holzwirtschaft vor der Katastrophe?

Die Alarmrufe des 18. Jahrhunderts und die Historiker Holzverknappung - institutionelle oder ökologische Krise? Engpässe im Transportwesen Dezentrale Industrialisierung im 18. Jahrhundert Das Interesse an der Holzmangel-Klage und die Gegenstimmen Forstreform und ökologische Krise

150 151 153 154 157 159

Der Wald: Vom Lebensraum zum Kapital

Der Wald als Kunstprodukt und als Rechenexempel Die verordnete Holzknappheit »Freiheit« im Walde: Privateigentum und »Holzfrevel«

163 170 173

Förster und Holzhauer: Die Waldarbeit wird zum Beruf Die Waldarbeiter Der Widerstand der Holzfäller gegen die Säge Der Aufstieg der Sägemühle

179 183 187 190

Die Holzverbraucher: Haushälterische und expansive Sparsamkeit

Die Entzauberung des Feuers: Holz- und Zeitökonomie Macht Not erfinderisch? - »Menage des Holzes« und technischer Wandel Die Salinen Die Eisenindustrie Baubranche, Industrialisierung und Holz Der Holzschiffbau Kohle: Vom Holzsparmittel zum Motor industrieller Expansion

195 198 204 206 208 211 212

Die allmähliche Verdrängung des Holzes

Werkzeuge und Maschinen: Das Ende des »hölzernen Zeitalters« Die Eisenbahn: Ein neuer Typ von Technik

218 222

_________________________________ KAPITEL 4_______ Die Zeit der Hochindustrialisierung:

Denaturierung zum Rohstoff und Renaissance des Holzes Der Wald: Wirtschaftsfaktor im Industriezeitalter

»Waldschlächterwirtschaft« oder nachhaltiger Waldbau? Konkurrierende Visionen eines neuen »hölzernen Zeitalters« Die Forstwirtschaft vor dem Problem der Rentabilität Intensivierung der Waldwirtschaft: Übergang zum »Industrieholz« Rationalisierung durch Mechanisierung: Technologischer Wandel in der Waldarbeit

229 230 234 236

238

Die technische Revolution in der Holzindustrie

Die Verwandlung von Holz in einen Industrierohstoff Rohstoff für die Papierherstellung Die neuen Holzwerkstoffe (Sperrholz-, Span-, Faserplatten) Die späte Industrialisierung des Möbelbaus Rationalisierungs- und Mechanisierungsschübe in der Holzbearbeitung Fachwerk- und Holzleimbau: Von der Zimmermanns­ kunst zum Ingenieur-Holzbau

243 245 247 251 254 257

Spaltstoff und Bindemittel: Wald und Holz in der Öko-Ära

Die Anfänge der »ökologischen Revolution« Der ökologische und emotionale Blick auf den Wald Das Horrorszenario »Waldsterben« Wende in der Waldwirtschaft Die charismatische und die bürokratische Phase der Öko-Ära Experiment »Wildnis« - Schutzkonzepte in der Diskussion Klimawandel und Energiekrise: Entsteht eine große grüne Allianz?

261 263 264 266 267 270 272

_____________________________________ KAPITEL 5_______ Blick über die Grenzen: Holz- und Waldwirtschaft in außerwestlichen Kulturen Globale Perspektiven und Kontraste - Länderbeispiele aus Asien

Die Holzkultur par excellence: Japan China: Eine >große grüne Mauen gegen die vordringende Wüste Waldschutz in Indien: vom kolonialen Erbe zum Protest der Dorfgemeinschaft Nepal als Paradigma für die Dritte Welt

277 290

293 298

Konflikte und (vermeintliche) Lösungen

Waldvernichtung in den Tropen Plantagenwirtschaft und »Turbowälder« - das Beispiel Eukalyptus Brennholz: Nach wie vor eine Hauptenergieressource der Welt

302 304 307

Blick zurück nach vorn - sechs Schlaglichter

auf die Geschichte von Wald und Holz

309

_____________________________________ AN HANG_______ Postskript zum Geheimnis der Zertifikate, oder: Von der Schwierigkeit, nachhaltige Forstwirtschaft von Greenwash zu unterscheiden

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Holz-und Wald-Worte

319

Literaturverzeichnis

323

Bildquellen

353

Personen- und Sachregister

357

Vorwort

»Mich wundert, wo unser Gott Holz nimmet zu so mancherlei Brauch für

alle Menschen in der ganzen weiten Welt, als Bauholz, Brennholz, Tischlerholz,

Böttigerholz, Stellmacherholz, Holz zu Stuben, Schubkarn, Schaufeln, zu hölzern Kandeln, zu Fassen, Gelten etc. Und wer kann allen Brauch des Holzes

erzählen? In Summa, Holz ist der größten und nöthigsten Dinge eines in der Welt, des man bedarf und nicht entbehren kann.«

In einer seiner Tischreden hat Martin Luther am 30. August 1532 das Holz und seine große Bedeutung für das menschliche Leben zum Thema ge­ macht. Holz ist ein Naturstoff, der die Kultur des Menschen von Anfang an begleitet und prägt - nicht nur in der Vergangenheit, dem »hölzernen Zeit­ alter«, auch heute noch. Wir erleben momentan eine Renaissance von Holz als Baustoff und Energieträger, die noch vor wenigen Jahren kaum einer für möglich gehalten hätte. Umso erstaunlicher, dass es bislang kaum zusammenhängende »Stoffge­ schichten« über das Holz gibt. Aber ist »Holz« überhaupt ein historisches Thema? Waldwirtschaft, Aufforstung, Holzschlag, Köhlerei, Holztransport, Holzverteilungssysteme, Holzhandwerke, Bauwesen, Brennholzwirtschaft, Pech-, Teer- und Pottaschegewinnung, dazu in moderner Zeit die Holz­ schliff- und Zellstoffmdustrie: Viele dieser Themen werden in der Literatur meist getrennt voneinander behandelt. Ist es sinnvoll, sie in einen Zusam­ menhang bringen zu wollen? Von den Verhältnissen der vorindustriellen Zeit her ergibt sich die Ver­ bindung von selbst; denn viele Holzverbraucher standen in direkter Be­ ziehung zum Wald, und alle hatten es in irgendeiner Weise mit den natür­ lichen und stofflichen Eigenschaften des Holzes zu tun. Heute tritt dieser Zusammenhang oft nur verhüllt in Erscheinung: Durch die modernen Transport- und Verteilungssysteme ist der direkte Zusammenhang zwi­ schen Wald und Holzverwertung teilweise unterbrochen worden, und die natürlichen Eigenschaften des Holzes sind vielen industriellen Holzproduk­ ten nicht mehr anzusehen.

Vorwort

1 1

Mit Blick auf die Zukunft ist es dennoch wichtig, den Zusammenhang der verschiedenen Bereiche der Holznutzung wieder bewusst zu machen. Die Verbindung ergibt sich zunächst durch die gemeinsame Ressource, den Wald. Die weltweite Begrenztheit dieser Ressource steht heute deutlich vor Augen; die jahrhundertealte Furcht vor Holzverknappung, die lange in Vergessenheit geraten war, lebt wieder auf. Zusammenhänge ergeben sich aber auch durch die Entwicklung der Technik. Die modernen Technolo­ gien zur Nutzung bisheriger Holzabfälle ermöglichen neue Formen der Koppelung verschiedener Holznutzungsarten (Holz als Werkstoff, als Brennstoff und als Material für die Zellstoffproduktion). Schon in der frü­ hen Neuzeit gab es Bestrebungen, Holzabfälle zu nutzen und die Holzver­ wertung zu einem ineinander greifenden System zu machen; diese Bestre­ bungen sind heute zukunftsträchtig. Schon früher kamen jedoch die verschiedenen Arten der Wald- und Holznutzung einander häufig in die Quere. Auch heute und in Zukunft besteht die Gefahr, dass zwischen den verschiedenen Interessen - maximale Nutzung der regenerativen Ressource Holz, optimale Nutzung der natür­ lichen Eigenschaften des Holzes, Rückkehr zu einer ökologisch stabilen Waldwirtschaft - Zielkonflikte auftreten. Auch das unterstreicht die Not­ wendigkeit, den gesamten Sektor »Wald und Holz« mehr, als das bisher meist geschieht, im Zusammenhang zu sehen: Nur dann können gefähr­ liche Zielkonflikte rechtzeitig erkannt und bewältigt werden. Darin liegt der Reiz, aber auch die Schwierigkeit für eine Stoffgeschichte Holz: Man stößt auf einen großen Zusammenhang der Geschichte, der bis­ her weithin unter der Oberfläche lag und von den Historikern nur wenig beachtet wurde. Unser Wissen darüber, wie in früherer Zeit der Wald die menschliche Existenz prägte und wie er auf die Beanspruchung durch den Menschen reagierte, ist noch sehr lückenhaft. Zwar gibt es eine Fülle an forstgeschichtlichen Untersuchungen; aber diese stützen sich für die ältere Zeit vor allem auf die Masse der Forstord­ nungen. Was im Wald tatsächlich vor sich ging, ist damit noch nicht gesagt. Auch neigt die Forstgeschichtsschreibung dazu, frühere Waldzustände allein aus der Sicht der modernen Forstwirtschaft zu beurteilen, die den Wald fast nur als Holzproduzenten begreift. Der Zusammenhang der Forstgeschichte mit der allgemeinen Geschich­ te, die Wechselwirkung zwischen Wald und wirtschaftlich-technischer Entwicklung ist noch wenig geklärt. Man kennt den gewaltigen Holzver­ brauch mancher früheren Gewerbe, weiß aber noch nicht allzu viel über die Holzpolitik der Städte, über Strategien der Zukunftsvorsorge bei der Holzbeschaffung. Allgemeine Aussagen werden dadurch erschwert, dass gerade in der Holzwirtschaft die lokalen und regionalen Unterschiede ungewöhnlich groß sind.

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Vorwort

Sogar die moderne Geschichte der Wald- und Holzwirtschaft ist weniger bekannt, als man meinen möchte. Obwohl Holz nach wie vor einer der viel­ seitigsten Werkstoffe und ein sehr gewichtiger Faktor der Weltwirtschaft ist, wird es von Ökonomen und Technologen nur wenig beachtet. Die Holz­ technik ist keine »Spitzentechnologie«, die Holzindustrie keine spektakulä­ re Branche der Großindustrie - jedenfalls nicht in Mitteleuropa. Nach wie vor ist die Holznutzung ein unübersichtliches Gebiet, das sich über eine ganze Reihe von Branchen erstreckt. Nur eine Zusammenschau kann dem Faktor »Holz« sein volles Gewicht geben. So verfolgt das Buch vor allem zwei Ziele: Zum einen geht es um techni­ sche Entwicklungen in der Be- und Verarbeitung des Holzes, zum anderen aber auch darum, am Beispiel des Holzes die Materialgebundenheit der technischen Entwicklung, die Umwelt- und Ressourcengebundenheit der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte deutlich zu machen.

Joachim Radkau

Zur Entstehung des Buches

Auch dieses Buch hat bereits seine eigene Geschichte. Sein Ursprung liegt in einem von der VW-Stiftung geförderten Forschungsprojekt Technologi­ sche Auswirkungen der Holzverknappung in der frühen Neuzeit, das ich von 1980 bis 1983 zusammen mit Uta Betzhold, Siegfried Menze und Ingrid Schäfer durchführte. Die Ergebnisse dieser Forschung erschienen 1987 unter dem Titel Holz - Ein Naturstoff in der Technikgeschichte in der Schriftenreihe Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik des Deutschen Museums. Das Buch ist seit langem vergriffen und wird hiermit in einer überarbeiteten, erweiterten und aktualisierten Fassung erneut veröffentlicht. Zahlreiche Hinweise auf neuere Entwicklungen in der Wald- und Holzwirtschaft verdanke ich Josef Krauhausen, der eine erste Fassung des neuen Manuskriptes ebenso kritisch wie konstruktiv und kundig kommentiert hat. Meine damalige Mitarbeiterin Ingrid Schäfer hatte die Kapitel über Wald und Holz im Industriezeitalter verfasst, und auch vieles in den an­ deren Teilen des Buches entstammt dem wechselseitigen Gedankenaus­ tausch. Für mich war die Arbeit an dem Buch seinerzeit ein neugieriger Vorstoß in ein unbekanntes Gefilde der Geschichte, in dem ich einen Geheimschlüssel zur Weltgeschichte vermutete (nicht ganz zu Unrecht, wie mir noch heute scheint). Auf historischen Holzwegen geriet ich in einen förmlichen Entdeckerrausch - ohne mich an dem Spitznamen »Holz­ wurm« zu stören, den mir meine Fachkollegen inzwischen angedichtet hat­ ten. Auch nach Fertigstellung der früheren Fassung des Buches verfiel meine Lesewut immer wieder - oft ohne Absicht, jedoch durch Wanderun­ gen und Radtouren inspiriert - auf Wald und Holz. Vor allem die Regional­ literatur erwies sich als eine unerschöpfliche Fundgrube von Denk- und Merkwürdigkeiten. Durch meine Forschungen in der Technik-, Umweltund Mentalitätengeschichte in den vergangenen zwei Jahrzehnten ordnet sich vieles für mich mehr als früher in weitere Zusammenhänge ein. Aber schon damals war klar: Man versteht die Holz-Geschichte nicht, wenn man nur auf das Holz schaut.

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Zur Entstehung des Buches

Obwohl Ingrid Schäfer und ich für Waldromantik sehr empfänglich sind, lautete doch unser Leitmotiv bei der Wald- und Holz-Geschichte: Ra­ tionalisierung. Und in der Tat lässt sich der menschliche Umgang mit Wald und Holz in der Neuzeit als eine Abfolge von Rationalisierungsschüben schreiben. Unbewusst standen wir in der Nachfolge Max Webers, genauer gesagt: jenes Rationalisierungs-Monomanen Weber, der üblicherweise in den Seminaren verehrt wird. In meiner Biographie Max Webers (2005) habe ich dagegen einen ganz anderen Weber entdeckt, und auch der hat seine Spuren in der Neufassung dieses Buches hinterlassen. Denn der Umgang mit dem Wald lässt sich nicht konsequent rationalisieren; und Emotionen spielen auch in die menschliche Beziehung zum Holz hinein: heute mehr als vor einigen Jahrzehnten. Vor zwanzig Jahren war die Holz-Geschichte ein Holzweg im Sinne Heideggers: ein im Dickicht endender Pfad, wo der Spaziergänger enttäuscht umkehrt und nur der Waldarbeiter etwas zu tun hat. Durch den neuerlichen Holzboom dagegen bekommt die Geschichte jetzt ihr dramatisches Finale: Der Kreis scheint sich zu schließen, manche Phänomene des alten »hölzer­ nen Zeitalters« kehren zurück. Aber Vorsicht: Wir stehen nicht am Ende der Geschichte, auch wenn der Geschichtenerzähler nur zu gern diesen trüge­ rischen Eindruck erweckt.

_____________________________________ KAPITEL 1_______ Holzwege in die Geschichte

»Holz lautet ein alter Name für Wald. Im Holz sind Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Sie heißen Holzwege.

Jeder verläuft gesondert, aber im selben Wald. Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen. Doch es scheint nur so.« Martin Heidegger: Holzwege (1949).

Das »hölzerne Zeitalter«

Machen Stoffe Geschichte?

Holz ist ein Stoff besonderer Art. Seit Urzeiten hat sich die Geschicklichkeit der menschlichen Hand an der Arbeit mit Holz entwickelt, so sehr, dass man sagen kann: Die Beziehung zum Holz gehört zur menschlichen Natur; die Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Holz ist ein Grundelement der menschlichen Körpergeschichte ebenso wie der Geschichte menschlicher Kunstfertigkeit. Im niedersächsischen Schöningen wurden erst 1997 sieben hölzerne Wurfspeere entdeckt, die an die 400000 Jahre alt sind: die bei weitem ältes­ ten bislang bekannten Holzgeräte der Welt (Abb. 1). Diese Funde, äußerlich unscheinbar, sind in ihrer Aussagekraft sensationeller als alle Entdeckungen in Troja. Sie zeugen von einem erstaunlichen handwerklichen Geschick in der Holzbearbeitung und machen deutlich, wie unvorstellbar früh der Mensch eine Perfektion im Umgang mit dem Werkstoff Holz zu entwickeln vermochte. Das mit dem Holz verbundene Know-how gehört gleichsam zur »Natur des Menschen«, zu einem anthropologischen Urbestand der Menschheit. Hartmut Thieme schreibt im Hinblick auf die gefundenen Wurfspeere: »Die technische Vollkommenheit dieser ballistisch ausbalancierten Fernwaffen lässt auf eine lange Tradition in der Verwendung derartiger Geräte schließen«; daraus lässt sich die aufregende Schlussfolgerung ziehen, dass der Mensch Jahrhunderttausende früher als bislang angenommen zur Großwildjagd fähig war (Thieme 2007, S. 85). Auch in der Ausrüstung des »Ötzi«, der 1991 in den Ötztaler Alpen gefundenen 5 300 Jahre alten Gletschermumie, fanden sich nicht weniger als 17 verschiedene Holzarten, jede je nach ihren spezi­ fischen Eigenschaften zweckmäßig verwendet (Spindler 1993, S. 247-256). Da hölzerne Geräte aus früher Zeit viel seltener erhalten sind als stei­ nerne und metallene Gegenstände, hatten wir die hölzerne Grundlage der Menschheitsgeschichte lange Zeit unterschätzt. Am Holz hängt eine ganze Kultur der Arbeit, von der Altsteinzeit bis in die Moderne. Zwischen dem

Das »hölzerne Zeitalter«

19

Menschen und dem Werkstoff Holz bestand stets eine Wechselbeziehung: Hand, Muskulatur, Gestaltungskraft des Menschen wurden von der Auseinandersetzung mit dem Holz geprägt, und zugleich trug das hölzerne Werk­ zeug die Spuren der Hand, die mit ihm arbeitete. Noch die hölzernen Maschinen der frühen Indus­ trialisierung, mochten sie bei ihrer Herstellung auch genormt sein, bekamen über kurz oder lang durch die Menschen, die an ihnen arbeiteten, einen individuellen Charakter - weshalb die Arbeiter an hölzernen Mecha­ nismen schlechter austauschbar waren als die an stähler­ nen Maschinen. An hölzernen Maschinen musste häu­ fig etwas ausgebessert werden; die Arbeiter mussten sich selbst auf die Reparatur verstehen. Das Holz setzte auch der Temposteigerung Grenzen. Die natürliche Faser­ struktur der verschiedenen Holzarten prägte die Tech­ nikgeschichte des Holzes; aber mehr noch: Bis in die Sozialgeschichte und das Selbstbewusstsein der Arbeit hinein erstrecken sich die Wirkungen des Werkstoffs Holz.

1 In einem Braunkohletagebau in Schöningen, im Vorland des Harzes gelegen, wurden 1997 hölzerne Wurf­ speere gefunden. Mit einem Alter von 400 000 Jahren sind es die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Die Wurfspeere fanden sich auf einem Jagdlagerplatz inmitten zahlreicher Knochen von mindestens 15 Pferden, die vermutlich mit diesen Waffen an einem Seeufer gejagt worden sind. Sie belegen eindeutig, dass der Urmensch (und erst recht der später lebende Neandertaler) bereits ein ge­ schickter Jäger war und nicht allein auf Aas angewiesen war. Sie belegen aber auch die weit entwickelten technischen Fertigkeiten in der Holzbearbeitung.

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Kapitel 1 - Holzweqe in die Geschichte

Holz, Holz, Holz überall!

Werner Sombart (1863-1941) gehörte zu jenen Gründervätern der moder­ nen Sozialwissenschaften, die - sehr im Unterschied zu vielen Nachfol­ gern - nie vergaßen, dass die Natur die Grundlage des Lebens ist und dass die menschliche Kultur durch ihren Umgang mit den natürlichen Ressour­ cen geprägt wird. Für ihn besitzt die gesamte Kultur der vorindustriellen Zeit untergründig eine innere Einheit, die erst aus der Rückschau erkennbar wird und doch von den Historikern nie beachtet wurde: eine Einheit in ihrem »ausgesprochen hölzernen Gepräge« (Sombart 1928 II/2, S. 1138). In der Nachfolge Sombarts wurde das »hölzerne Zeitalter« mit seiner »hölzernen Kultur« - eine Ära, die über Jahrtausende, von der Steinzeit bis zum 18. Jahrhundert reicht - zum stehenden Begriff und zum Stichwort für ein kunterbuntes Panorama der vormodernen Welt. Holz, Holz, Holz überall! Holz war über Jahrtausende der allerwichtigste, ja oft der einzige Brenn-, Bau- und Werkstoff, dazu der Grundstoff für Vorläufer der chemi­ schen Industrie. Im Zeichen des Holzes kann man eine ganze Welt Revue passieren lassen: angefangen mit den Holzhauern, den Flößern, den Köh­ lern, den Pottaschesiedern und den Glasmachern im Walde, weiter zu den Salzsiedern, den Hüttenleuten und Schmieden, den Zimmerern, Wagen­ bauern, Küfern, Furniersägern bis hin zu der hohen Kunst der Bildschnitzer und Schiffbauer. In der frühen Neuzeit wurde die Lobrede auf den vielfäl­ tigen Nutzen des Holzes förmlich zu einer rhetorischen Figur, die umso eindringlicher klang, je mehr man sich um die Holzversorgung sorgte. Wolf Helmhard von Hohberg, Verfasser eines der bedeutendsten Werke über die Landwirtschaft seiner Zeit, schreibt 1682: »Hätten wir das Holz nicht, dann hätten wir auch kein Feuer; dann müßten wir alle Speisen roh essen und im Winter erfrieren; wir hätten keine Häuser, hätten auch weder Kalk noch Ziegel, kein Glas, keine Metalle. Wir hätten weder Tische noch Türen, weder Sessel noch andere Hausgeräte« (Hauser 1966, S. 38). Holz als Brennstoff rangierte noch vor Holz als Werkstoff; schätzungsweise neun Zehntel des Holzes wurden bis zum 19. Jahrhundert als Brennholz ver­ braucht; »Kohle« bedeutete bis zu jener Zeit fast immer Holzkohle. Der Venezianer Griselini nannte das Holz 1768 das »kostbarste und für die Be­ dürfnisse der Menschheit am meisten notwendige Gut« (Vecchio 1974, S. 58). Das gleiche gilt für den Wald: Nicht nur durch sein Holz war er den Menschen lebenswichtig, sondern - noch wichtiger in vielen Fällen - auch als Weide. Der Wald war das einzige Weidegebiet, bevor die Anlage bewäs­ serter Wiesen zu einer Technik eigener Art wurde. Wer in der Geschichte nach Wald und Holz sucht, wird leicht zum Monomanen: Überall wird er fündig, in Europa und in vielen anderen Welt­ regionen. Die hölzerne Basis von Leben, Wirtschaft und Kultur ist allgegen­

Das »hölzerne Zeitalter«

21

wärtig; immer wieder stößt man auf sie, sofern man nur ein wenig bohrt und zwischen den Zeilen der Quellen zu lesen versteht. Ein Teil der Wechselbeziehung Mensch - Holz ist wohl eine überhistori­ sche Konstante in der Geschichte der Menschheit; ein anderer Teil jedoch gehört der wechselnden Geschichte an. Denn natürlich hat es in der Holz­ bearbeitung und Holzverwertung historische Entwicklungen gegeben, ge­ waltige sogar. Überall machen sich natürliche Eigenschaften der verschie­ denen Holzarten bemerkbar; aber diese stellen doch als solche lediglich Potentiale dar, die in verschiedenen Kulturen und Epochen unterschiedlich genutzt und unterschiedlich wahrgenommen werden. Gäbe es nur ein ein­ ziges »hölzernes Zeitalter«, eine einzige »hölzerne Kultur«, die von der Alt­ steinzeit bis um 1800 reichte, könnte der Historiker damit nicht viel an­ fangen: Da müsste er den Neandertaler mit dem Menschen der Goethezeit unter einen Begriff bringen, und so würde das Hölzerne zu jener Nacht, in der alle Katzen grau sind. Aber so ist es nicht. Genauer besehen, gibt es in der Geschichte eine Vielzahl hölzerner Kulturen und hölzerner Epochen. Diese beginnt bereits in der Ur- und Frühgeschichte, wie der folgende Ex­ kurs an einigen markanten Beispielen aufzeigt.

Prähistorie: Am Anfang war das Feuer

»Wer behauptet, die Menschen in urgeschichtlicher Zeit hätten im Einklang mit der Natur gelebt, hat keine Ahnung, was wirklich geschah«, spottet Eberhard Zangger, ein Querdenker der Archäologie. »Welches Gebiet man auch betrachtet, die erste Phase der vom Menschen verursachten Instabili­ tät war immer auch die verheerendste, weil gleich zu Beginn der meiste Boden verlorenging.« (Zangger 1998, S. 173) Zangger stützt sich auf Be­ funde der Bodenarchäologie in Griechenland. Aber nicht nur dort deuten archäologische Indizien daraufhin, dass es Umweltkrisen gegeben hat, von denen keine schriftliche Quelle zeugt. Auf den sandigen Böden der Lausitz führte - einige Jahrhunderte später - die großflächige Waldrodung schon im vierten nachchristlichen Jahrhundert zu einer Winderosion von Aus­ maßen, die für den Ackerbau verheerend wurden. Um 400 n. Chr. gaben die Bewohner eines Dorfes am Teufelsberg bei Briesnig »den Kampf auf und verließen die Siedlung, über der sich im Verlauf von etwa 100 Jahren noch Sandschichten von bis zu 4 m Mächtigkeit ablagerten« (Spuren 2002, S. 278). Nicht durch Naturinstinkt, sondern erst durch Erfahrungen der Not und im Zuge der Sesshaftwerdung gelangte der Mensch, wenn überhaupt, zu einem einigermaßen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Res­ sourcen. Am Anfang steht die pure Beutewirtschaft, und immer wieder droht der Mensch in diese zurückzufallen. Beim Ackerbau und beim Vieh -

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Kapitel I - Holzwege in die Geschichte

den beiden wichtigsten Gütern des Bauern - macht sich eine schlechte Wirtschaft relativ rasch empfindlich bemerkbar. Beim Wald dauert es län­ ger; daher ist dort die Verführung zur »Raubwirtschaft« besonders groß. Und zur anschließenden Regeneration braucht es Generationen. Aber sollte der Wald überhaupt wieder hochkommen? Mit der Verbreitung des Acker­ baus war der Impetus der Rodung zunächst viel stärker als die Sorge um Walderhaltung. Die Kehrtwende zum Waldschutz erforderte demgegenüber einen Wandel im Wirtschaftsstil. Von daher kann man annehmen, dass die menschliche Beziehung zum Wald dramatische Züge annahm - aber wann, wo, wodurch und in welcher Weise? Lange hat man geglaubt, in waldreichen Gebieten hätten die Menschen der Frühzeit ganz von selbst im Einklang mit dem Wald gelebt, da sie mit ihren primitiven Äxten gar nicht imstande gewesen seien, größere Wald­ flächen zu roden. Aber da hatte man die Fähigkeiten der prähistorischen Menschen offenbar unterschätzt, wie durch Experimente mit Steinäxten ge­ zeigt werden konnte. Ein finnischer Pionier der experimentellen Archäologie demonstrierte 1953, dass man eine mittelgroße Eiche selbst mit einer neo­ lithischen Steinaxt in einer halben Stunde fällen kann (Radkau 2002, S. 59). Lange Zeit hat man überdies zu wenig bedacht, mit welch flächen­ deckender Wirkung sich die Menschen schon früh das Feuer dienstbar zu machen wussten. Erst seit den 1960er Jahren wurde durch Kombination paläobotanischer und ethnologischer Forschungen klargestellt, in welchem Maße Formen der Brandwirtschaft weltweit am Anfang der Kultur stehen: Feuerlegen für Jagdzwecke und Wanderfeldbau (englisch: »slash-and-burn cultivation«), wobei abgebrannte Waldgebiete, deren Boden in den ersten Jahren sehr fruchtbar ist, beackert und nach Erschöpfung des Bodens wieder aufgegeben werden. Unter mitteleuropäischen Bedingungen kehrte der Wald wieder zurück, wenn die abgebrannten Gebiete sich selbst überlas­ sen wurden; in dürreanfälligen Gebieten nicht so leicht. Manche Savannen Australiens sind durch das Feuersetzen der Aborigines entstanden; als diese Praktiken eingeschränkt wurden, kehrte der Wald allmählich zurück (Goldammer et al., in: Schulte/Schöne 1996, S. 172). Vor allem durch das Feuer bekam die menschliche Beziehung zur Natur schon früh dramatische Züge. Wenn das Feuer nicht den Humus im Boden zerstört hat, entfaltet sich auf vielen abgebrannten Flächen rasch eine üppi­ ge und artenreiche Vegetation. Aber wieweit vermochten die Menschen die Brände unter Kontrolle zu halten, wenn unversehens der Wind umschlug oder stärker wurde? Stephen J. Pyne, der wie kein anderer mit pyromanischer Begeisterung überall auf der Welt die feurigen Anfänge der Kultur entdeckt hat, gelangt zu dem Gesamteindruck, dass zwar das Feuer allein wohl selten eine Land­ schaft zerstört habe; »aber Feuer und Huf, Feuer und Axt, Feuer und Pflug,

Das »hölzerne Zeitalter»

23

Feuer und Schwert«, all dies zusammen könne sehr wohl schwere ökologi­ sche Schäden hervorrufen, zumal in erosionsanfälligen Weltregionen (Pyne 1997, S. 39). Der gebirgige Mittelmeerraum mit seinen leichten Böden und trockenen Sommern, traditionell ein »Reich des Feuers«, wo Schafe und Ziegen dem Feuer folgten, gehört gewiss dazu. Damit geraten wir nun geo­ graphisch in die Welt der klassischen Antike.

Antike: Die vermeintliche Krise des Waldes

George P. Marsh, der 1864 als amerikanischer Botschafter in Florenz mit seinem Buch Man and Nature die erste weitbeachtete amerikanische Brand­ schrift gegen Waldzerstörung verfasste, glaubte zu wissen, der »brutale und aussaugende Despotismus« des antiken Rom, der die Natur ebenso wie die Menschen ausgeplündert habe, sei die »causa causarum« der mediterranen Verödung (Radkau 2002, S. 183). Noch heute wird man von Reiseführern belehrt, der antike Schiffbau habe die Waldarmut des Mittelmeerraums ver­ schuldet. Aber könnte nicht auch umgekehrt gerade durch den Schiffbau und seine damalige Bedeutung der Schutz hochwertiger Wälder besonders früh zum Politikum geworden sein? Was beweisen die antiken Quellen? Für den, der von der Waldgeschich­ te der Neuzeit herkommt, besteht die große Überraschung darin, dass man jene Klagen über Waldzerstörung und jene Sorgen über den Niedergang der Wälder, von denen die forstlichen Quellen seit dem 16. Jahrhundert wim­ meln, in der literarischen Überlieferung der Antike fast gar nicht findet (Meiggs 1982, S. 377). Befunde der Bodenarchäologie deuten darauf hin, dass ein erster an Berghängen durch Entwaldung hervorgerufener Erosions­ schub in die Zeit vordem Einsetzen der literarischen Quellen fällt, während sich die mediterrane Ökologie in der Zeit der klassischen Antike wieder einigermaßen stabilisiert hatte, nicht zuletzt durch die Terrassenkultur der Fruchtbäume, jene »Ehe von Weinstock und Olive«, die seither den Charme der mediterranen Hügel ausmacht. Gewiss waren die Menschen der Antike nicht dümmer als der »Ötzi«, sondern wussten über den vielfältigen Wert des Holzes bestens Bescheid. Und natürlich wussten sie auch, dass Bäume nicht von heute auf morgen wachsen und die jungen Bäume gegen Weidetiere geschützt werden müs­ sen, um hochzukommen. Aristoteles, der berühmteste Universalgelehrte der Antike, kennt bereits so etwas wie »Forstaufseher« - aber er hält es nicht für wichtig, bei dieser Einrichtung zu verweilen (Radkau 2002, S. 164). Der römische Senat ernannte den aus Spanien zurückgekehrten Cäsar zum Auf­ seher über Wälder und öffentliche Ländereien - aber das war wohl mehr ein Versuch, den ehrgeizigen Emporkömmling politisch kaltzustellen (Meiggs

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Kapitel 1 - Holzwege in die Geschichte

1982, S. 328). Der Geograph Strabo berichtet, die Erze der Insel Elba (damals Aithalia) müssten, anscheinend wegen Erschöpfung der dortigen Wälder, zur Verhüttung aufs Festland befördert werden - aber er erwähnt das nur kurz als eine Besonderheit der Insel (Strabo V/2 § 6). Eine der ganz wenigen Hinweise auf umfangreiche Abholzung von Wäl­ dern zu gewerblichen Zwecken (Kupferverhüttung und Schiffbau) stammt von Eratosthenes, dem anderen großen Geographen der Antike, und be­ zieht sich auf Zypern; aber am Ende ergibt sich, dass der Mensch, so fleißig er auch abholzt, gegen die unablässig nachwachsenden Wälder nicht an­ kommt. So habe man schließlich sogar, um den Ackerbau hochzubringen, die Rodung freigegeben und das gerodete Land den Siedlern als steuerfreies Eigentum zugesprochen (Strabo XIV/6). John McNeill, der detaillierte Feld­ forschungen zur Waldgeschichte in fünf auseinanderliegenden mediterra­ nen Gebirgsregionen betrieb, stellte fest, dass eine großflächige Entwaldung überall erst seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar wird (McNeill 1992). Die modernen Griechen haben die Schuld an der Kahlheit weiter Teile ihrer Gebirge gerne auf die Türkenherrschaff geschoben; aber selbst Kolokotronis, der griechische Freiheitsheld, klagte darüber, dass Berge auf der Peloponnes, die zur Türkenzeit noch bewaldet waren, nach der Befreiung binnen kurzer Zeit zu Kahlhängen geworden seien (Radkau 2002, S. 163). Solche Schlaglichter enthalten vermutlich nicht die ganze Geschichte; darauf deuten archäologische Befunde. Als in den 1950er Jahren spätantike Bauten der Stadt Trier mit modernen archäologischen Methoden unter­ sucht wurden, studierte man auch die dort verwendeten Baumarten. Das Ergebnis überraschte: Ganz wider Erwarten war die Eiche in der spätanti­ ken Bischofskirche und in der kaiserlichen Palastaula (sog. Basilika) kaum vertreten; dafür gab es Tannenholz und sogar solche »Holzarten, die andernorts kaum je beim Hochbau verwendet wurden: Erle, Haselnuß, Pappel, Birke und roter Hartriegel« (Hollstein 1980, S. 155). Manche schlossen daraus, dass es in jener Gegend am Ende der Antike infolge jahrhundertelanger Übernutzung zu einer allgemeinen Eichenholz­ verknappung gekommen sein musste - selbst in dem für seine Eichen berühmten Germanien. Im Zuge der modernen ökologischen Krisenstim­ mung hat man sogar eine generelle Umweltkrise im spätantiken römischen Germanien gewittert. Vielleicht haben die antiken Bauleute jedoch in Trier aus praktischen Gründen Holzarten bevorzugt, die später als geringerwertig galten. Eine lokale Verknappung bestimmter Baumarten bedeutet noch keine Krise. Manche Archäologen wunderten sich, wie bereits die Römer Balken aus zerstörten Bauwerken bei Neubauten wiederverwendeten. Ein Zeichen für Holzverknappung? Nicht unbedingt; denn damals wie später empfahl sich Holz aus Altbauten dadurch, dass es bestens abgelagert war und »seine Qualität schon unter Beweis gestellt« hatte (Zwerger 1997, S. 11).

Das »hölzerne Zeitalter»

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Anders war die Situation in Nordafrika, dem Nahen Osten, in Süd- und Ostasien. Ein ägyptischer Papyrustext von 217 v. Chr. enthält eine Klage, wie man sie im europäischen Mittelmeerraum der Antike kaum je findet: »Überall haben wir Holz gesucht, kaum haben wir eine Akazie gefunden« (Nenninger 2001, S. 63). Aber in Weltregionen ohne kalte Winter war es keine elementare Lebensnotwendigkeit, mit großen Brennholzstapeln vor­ zusorgen. Und in den großen Bewässerungsregionen waren die Bauern auf keine Waldweide angewiesen. Holz besaß für diese Kulturen nicht im glei­ chen Maße eine strategische Bedeutung wie für die Kulturen des nördlichen Europa; man konnte sich viel mehr Waldarmut leisten. Herrschaft manifes­ tierte sich dort bis weit in die Neuzeit in der Regel durch Rodung von Wald, nicht durch Waldschutz wie seit dem 16. Jahrhundert in vielen europäi­ schen Regionen. Als Buddha starb (483 v. Chr.), erwies es sich als schwierig, die zur Ver­ brennung seines Leichnams erforderliche Menge Holz zusammenzukaufen (Schumann 1982, S. 285 ff.). Aus mittelalterlichen arabischen Städten wird berichtet, die Hausverwalter hätten Acht geben müssen, dass die Mieter beim Auszug nicht die Türen mitnahmen - so kostbar war das Holz (Cahen 1968, S. 62). Ein deutscher Apotheker, der von 1587 bis 1589 die Türkei bereiste, berichtete verwundert, »das wol in viel Tausent Heusern in Constantinopel kein Feur das gantze Jahr über gemachet wirdt, auch nichtes gekochet, sondern alles aus der Gahrkuchen geholet wegen groser Theuerung des Holtzes. Und dieselben Gahrküche haben ihre eingemauerte Kes­ sel und Pfannen, das sie über die Massen sparsam mit dem Holtz wissen umzugehen.« (Koder 1984, S. 53 f.) In eben jene Zeit fallen in Deutschland die ersten Anfänge einer Holzspar-Literatur, die auch den Deutschen eine holzsparende Kultur beizubringen versuchte - bis zum 18. Jahrhundert anscheinend nur mit wenig Erfolg. Im weltweiten Überblick wird klar, dass gerade Europa, wo seit dem 16. Jahrhundert die mit weitem Abstand meisten Klagen über Holzmangel überliefert sind, im Vergleich zu den meisten anderen Kulturen der Welt über reiche Holzressourcen verfügte. Der Holzreichtum West- und Mittel­ europas, ursprünglich ein Element kultureller Rückständigkeit, wurde im Laufe der Geschichte mehr und mehr zu einem Wohlstands- und Macht­ faktor ersten Ranges. Schon in der klassischen Antike gehörten die makedonischen Könige, die Vorgänger Alexanders des Großen, zu denen, die die machtpolitische Bedeutung der Wälder erkannten. Sie machten das Holz zu einem könig­ lichen Monopol (Meiggs 1982, S. 126). An der Verfügbarkeit großer Holz­ massen hingen Schiffbau und Metallverarbeitung, die beiden Schlüssel zur Macht. Im Großen und Ganzen erkennt man, wie im Umkreis des Mittel­ meers die Verschiebung der Machtzentren vom alten Babylonien über

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Kapitel 1 - Holzwege in die Geschichte

Makedonien und Rom nach Spanien, Frankreich und schließlich zum bri­ tischen Empire den Waldressourcen folgt. Im neuzeitlichen Europa wurde die Verbindung von Wald und Macht so bewusst und zielstrebig wie noch nie in der Geschichte perfektioniert und in Institutionen verankert: auch das ein bedeutsamer, wenn auch bislang wenig beachteter Aspekt des neu­ zeitlichen Aufstiegs Europas.

Abhängigkeit vom Holz: Zeitbombe oder Notbremse?

Der bereits eingangs zitierte Werner Sombart bot zum Holz eine Geschich­ te großen Stils, nichts weniger als eine Neuinterpretation der Weltgeschich­ te: Er charakterisierte den Übergang vom »hölzernen Zeitalter« zur Ära der Kohle, der Metalle und der Kunststoffe als große Wende von der »organi­ schen« zur »anorganischen« Welt: eine Wende, die er in seiner späteren Zeit, als er sich zum Fortschrittsskeptiker wandelte, tief bedauerte. Er glaubte zu erkennen, dass die gesamte Kultur vor dem 19. Jahrhundert ein »hölzernes Gepräge« in einem mehr als äußerlichen Sinne trage: Sie sei »auch in ihrer stofflich-sinnlichen Eigenart eine >organischel guten unb ((Nennig anlt>a$(enb, alb anbern Htwii*ftij unt>niiBII4eli'(i, gängige unbabgen(ebene£>016 WnNrciwi, ipi.tyt unb BKtvrnm bcl$rcia« befagtc«i)olfc für ©aainrn trage, unb wie man mit frrmbbcn £aiw®r> würfen f«h ju orrhaltrn, ferner wie bai ^)oi| ju fallen, ju verfohlen, ju dfebern unb fonjl ju nuftn.

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