Hinwendung zu Gott: Funktionen der Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher [1 ed.] 9783666540615, 9783525540619


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Hinwendung zu Gott: Funktionen der Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher [1 ed.]
 9783666540615, 9783525540619

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Matthias Jendrek

Hinwendung zu Gott Funktionen der Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ismo Dunderberg, Jan Christian Gertz, Hermut Löhr, Joachim Schaper, David Andrew Teeter und Christopher Tuckett Band 269

Vandenhoeck & Ruprecht

Matthias Jendrek

Hinwendung zu Gott Funktionen der Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 7 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-0939 ISBN 978-3-666-54061-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen

Meinen Eltern und meinem Bruder

Vorwort

Ich kann nicht alle Menschen, denen ich danken möchte, an dieser Stelle namentlich aufführen. Die Liste wäre womöglich länger als dieses Buch selbst. Ich bin in Vielem von vielen abhängig, und auf einer langen Reise merke ich das so deutlich wie nur selten sonst. Wenn ich also im Folgenden einige wenige Namen nenne, bin ich mir vollauf bewusst, dass ich niemals vollständig allen werde vergelten können, was ich erhalten habe. Darum vorweg die Bitte an alle – vor allem jene, die sich hier wiederzufinden hofften und nicht namentlich genannt werden  – meinen Wunsch anzunehmen: Möge Gott vergelten! Einige wenige Namen möchte ich aber durchaus aufführen, und es gibt in einer solchen Liste des Dankes stets Ehrenplätze zu vergeben. Der erste derselben gebührt dem Doktorvater dieser Arbeit, Dr. Thomas Hieke, Professor für Altes Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er hatte nicht nur die Idee zum Thema, sondern stand mir auch während der Umsetzung stets mit Rat und Tat zur Seite. Ich staune noch immer, wie es möglich ist, selbst auf nächtlich verschickte neue Textversionen bereits am nächsten Morgen zu antworten. Darüber hinaus besaß Professor Hieke die Ausdauer und Geduld, mich von der Sinnhaftigkeit meines Tuns immer wieder neu zu überzeugen, selbst dann, wenn ich selbst nicht mehr so recht daran glauben mochte. Inmitten der Arbeiten holte mich Professor Dr. Michael Konkel als wissenschaftlichen Mitarbeiter an die Theologische Fakultät nach Paderborn. Ich verdanke ihm und der Fakultät mehr, als er und die Paderborner Kolleginnen und Kollegen vielleicht vermuten. Dazu gehören technische Dinge wie die zum Arbeiten benötigte „Geschäftsausstattung“, aber auch die Möglichkeit, einfach unter dem Jahr für volle sechs Wochen vom heimischen Schreibtisch zu verschwinden und sich auf den Höhenzügen des Heiligen Landes, die mich auch zu die­sen Zeilen inspirieren, ganz dem Abschluss eines eigenen, dieses, Projektes zu widmen. Bevor ich nach Paderborn ging, war ich eine Zeit lang wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Dr. Christian Frevel an der Ruhr-Universität Bochum. Er sorgte dafür, dass ich nach zwei Jahren Ausbildung in einem ganz anderen Tätigkeitsfeld nahtlos zu einer ersten Finanzierung für das Dissertationsprojekt kam. Außerdem eröffnete mir das Käte Hamburger Kolleg „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“ Einblicke in den größeren Kontext der Forschung, in dem auch die Theologie sich bewegt. Ohne die Zeit in B ­ ochum wäre ich um viele Perspektiven ärmer. Zudem gehörten Professor Frevel und meine Bochumer Kolleginnen Katharina Pyschny, Kirsten Schäfers und all die anderen aus dem Oberseminar zu den ersten und mithin wichtigsten ­Kritikern

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Vorwort

meines Tuns. Gerade in der Anfangszeit waren ihre Anfragen und ja, auch In­ frage­stellungen und Korrekturen, eine wichtige Hilfe. Ich habe mich bei meinem Dank bis hierher aus rein pragmatischen Gründen auf die akademischen Größen und Institutionen beschränkt, die mir auf meinem Weg begegnet sind. Doch der zweite Ehrenplatz, und es ist der höchste, den ich zu vergeben habe, gebührt jenen drei Menschen, denen diese Arbeit auch gewidmet sein soll. Es wäre wiederum sinnlos, aufzählen zu wollen, was sie alles für mich getan haben. Der letzte Dank in diesem Vorwort geht an meine Eltern und meinen Bruder. Matthias Jendrek

Jerusalem École Biblique et Archéologique Française Bibliothèque St Étienne



am Fest des Apostels Matthias 24. Februar 2015

Was ich ein halbes Jahr vor der Abgabe der Arbeit noch nicht wissen konnte, war, dass sie im Januar 2016 tatsächlich von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen werden würde. Und nicht einmal ahnen konnte ich, dass Professor Dr. Jan ­Christian Gertz (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) und seine Kollegen im Herausgeberkreis der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“ so freundlich sein würden, diese Arbeit in ihre renommierte Reihe aufzunehmen. Ich verstehe beides als großzügige Unterstützung und will darum nicht versäumen, hierfür Dank zu sagen. Die in Mainz abgegebene Fassung habe ich für den Druck leicht überarbeitet. In diesem Zusammenhang geht ein großer Dank an Moritz Reissing, Lektor beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, und die mir namentlich leider unbekannte Setzerin. Sie haben mir viel Arbeit bei der Registererstellung abgenommen und insbesondere beim Satz der Tabellen gute Arbeit geleistet. Matthias Jendrek

Bad Lippspringe, 2016 am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel Patronatsfest des Bistums Speyer

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Kapitel 1: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Die Suche nach Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Forschungsstand und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Zur Methode „leserorientierte Funktionsanalyse“ . . . . . . . . . . . . 23 3.1 Intertextualität und Leseprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Intertextualität und Sprechaktanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.3 Probleme der Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4. Auswahl der untersuchten Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Kapitel 2: Einzelanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Jabez’ Bittgebet (1Chr 4,10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1.2 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.2 Aussage- und Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.3 Literarische, gesellschaftliche und theologische Funktion . . . . . 42 2. Befragung Gottes im Philisterkrieg (1Chr 14,10) . . . . . . . . . . . . . 43 2.1 Abgrenzung und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2 Aussage- und Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36) . . . . . . . . . . . . 46 3.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1.2 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

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Inhalt

4. Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ (1Chr 17,16–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.1.2 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5. Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17) . . 67 5.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.1.2 Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.1.3 Anmerkungen zu Text und Übersetzung . . . . . . . . . . 68 5.1.4 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 5.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5.3 Literarische und theologische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 73 6. Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19) . . . . . . . . 76 6.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 6.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 6.1.2 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 6.1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 6.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 6.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 7. Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10) . . 85 7.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 7.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 7.1.2 Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 7.1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Inhalt

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7.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 7.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 7.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 7.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 8. Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 8.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 8.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 8.1.2 Anmerkungen zum Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 8.1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 8.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 8.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 8.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 106 8.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 9. Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10) . . . . . . . . . . . 109 9.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.1.2 Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 9.1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 9.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 9.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 9.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 9.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 9.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 9.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 10. Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon (2Chr 20,6–12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 10.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 10.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 10.1.2 Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 10.1.3 Anmerkungen zu Text und Übersetzung . . . . . . . . . . 121 10.1.4 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 10.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 10.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 10.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

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Inhalt

10.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 10.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 10.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 131 10.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 11. Secharja ben Jojadas Sterbebitte (2Chr 24,22) . . . . . . . . . . . . . . . 133 11.1 Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 11.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 11.1.2 Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 11.2 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 11.2.1 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 11.2.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 11.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 11.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 11.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 137 11.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 12. Hiskijas Bittgebet zum Pessach (2Chr 30,18–19) . . . . . . . . . . . . . 139 12.1 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 12.1.1 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 12.1.2 Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 12.1.3 Anmerkungen zu Text und Übersetzung . . . . . . . . . . 141 12.1.4 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 12.2 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 12.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 12.3.1 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 12.3.2 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 146 12.3.3 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 13. Abbreviaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 13.1 Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 13.2 „Lobpreist JHWH: Ja, er ist gut!“: Der Jubelruf . . . . . . . . . . . 150 13.2.1 Text und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 13.2.2 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 13.2.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 13.3 „gerecht ist JHWH“: Rehabeams Stoßgebet . . . . . . . . . . . . . 156 13.3.1 Text und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 13.3.2 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 13.4 Die Formel „Gepriesen sei JHWH, der…“ . . . . . . . . . . . . . . 160 13.4.1 Text und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 13.4.2 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 13.4.3 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Inhalt

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14. Unrecorded Prayers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 14.1 Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 14.2 ‫ ברך‬Piel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 14.2.1 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 14.2.2 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 14.2.3 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 14.3 ‫ הלל‬Piel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 14.3.1 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 14.3.2 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 14.4 ‫זעק‬/‫ צעק‬Qal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 14.4.1 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 14.4.2 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 14.5 ‫ פלל‬Hitpael und die Nomen ‫ תפלה‬und ‫ תחנה‬. . . . . . . . . . . . . . 179 14.5.1 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 14.5.2 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 14.6 ‫ שאל‬Qal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 14.6.1 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 14.6.2 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 14.7 ‫ קרא‬Qal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 15. „Implizite Gebete“ und nichtsprachliche Hinwendung zu Gott – Gebetsgesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 15.1 Terminologie: Unterschiede zwischen unrecorded prayer und Gebetsgeste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 15.2 ‫ בקש‬Piel/‫ דרש‬Qal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.3 ‫ חוה‬Hištafel und ‫ קדד‬Qal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 15.4 ‫ כנע‬Nifal (und ‫ חלה‬Piel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 15.5 ‫ עמד‬Qal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 15.6 ‫ שוב‬Qal und Hifil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 15.7 ‫ שען‬Nifal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Exkurs: Die Oratio Manasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Formale Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Textgrundlage und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Sprechhandlungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literarische Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Gesellschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

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Inhalt

Kapitel 3: Synthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Sprache und Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Das Charakterbild der Figuren mit und ohne ihre Gebete . . . . . . . . 210 3. Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.1 Literarischer Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.2 Gesellschaftliche Implikationen und soziale Pragmatik . . . . . . 225 3.3 Die theologische Botschaft der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Kapitel 4: Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

Kapitel 1: Einführung 1. Die Suche nach Gott „Wenn du ihn suchst, wird er sich von dir finden lassen,“1 sagt David der Erzählung der Chronik2 nach seinem Sohn Salomo zu. Er spricht damit eine theologische Kernaussage der Chronik aus. Die hebräische Verbalwurzel ‫ דרש‬ließe sich auch ein wenig anders übertragen: „Wenn du dich zu ihm hinwendest, wird er sich von dir finden lassen.“ Der Adressat dieser Hinwendung ist Gott. Die Botschaft der Chronik wäre nun völlig missverstanden, wenn der Eindruck entstünde, dass die Bewegung zu Gott hin, der Anstoß zur Suche, zuerst vom Menschen als Gegenüber Gottes ausginge. „Hinwendung zu Gott“, wie die Chro­ nik sie versteht, erschöpft sich nicht in einem formalen do ut des. Was aber heißt „Gott suchen“ dann? Letztlich ist die Chronik eine große Erzählung, die genau dieser Frage nachgeht. Doch äußert sich „Hinwendung zu Gott“ immer verbal? Darüber hinaus thematisiert die Chronik auch, was es im Anschluss an die „Suche“ heißt, wenn „Gott sich finden lässt“. Wie nun füllt die Chronik den Begriff der „Suche“ (‫ ;דרש‬bisweilen auch ‫?)בקש‬ Bei der Antwort auf diese Frage kann unterschieden werden zwischen der Ebene der Erzählung und der Phänomenologie der „Hinwendung zu Gott“ im Einzelnen. Mit welchen Geschichten, Motiven und Bildern einerseits und mit welchen sprachlichen Eigenarten andererseits redet die Chronik über „Hinwendung zu Gott“? Dass hier der Ausdruck „beten“ vermieden wird, hat seinen Grund darin, dass er im aktuellen Sprachgebrauch vorrangig (aber auch nicht ausschließlich) sprachliche Hinwendung insinuiert, also gesprochene Gebete. Tatsächlich spielen ausformulierte Gebete eine prominente Rolle im Erzählverlauf der Chronik. Neben dieser textlich ausgestalteten „Hinwendung“ nimmt die Chronik die Suche nach Gott aber auch noch auf andere Weise in den Blick. Mit einem fein abgestuften System von Verweisen spielt sie immer wieder auf­ Gebete an und deren Inhalte (Sinnpotentiale) in Erzählungen ein, ohne längere „Gebete“ zu formulieren. Diese Verweise sind nicht auf die Chronik beschränkt. 1 ‫( אם־תדרשנו ימצא לך‬1Chr 28,9). 2 Obwohl in die Ausgaben der BHS als Textgrundlage dieser Arbeit die Unterscheidung in zwei Chronikbücher natürlich längst eingetragen ist (vgl. Steins, Bücher der Chronik, 315) wird auf das Gesamtwerk mit der Bezeichnung „die Chronik“ Bezug genommen. Das ist im Wesentlichen eine pragmatische Entscheidung: Es ist kürzer als etwa „1 und 2 Chronik“ und leichter lesbar als Abkürzungen wie „Chr“ oder gar „1/2Chr“. Eine Aussage über Autorschaft, Textkohärenz oder gar den Zusammenhang mit anderen biblischen Büchern ist damit nicht­ getroffen.

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Kapitel 1: Einführung

Sie knüpfen ein Netz, das die Erzählungen untereinander und mit dem gesamten Kanon verbindet. Die Palette reicht von direkten Zitaten über Anspielungen auf einzelne Verse (Abbreviaturen) bis hin zu Schlüsselwörtern, die Gebetssituationen markieren (Phänomene der unrecorded prayers und der impliziten G ­ ebete). Damit ist ein Bogen geschlagen von der Phänomenologie des „Redens über das Beten“ zur Frage, was diese Rede für das Erzählen der Chronik bedeutet. Beides will vorliegende Arbeit untersuchen, mit dem Ziel, einen Beitrag zum besseren Verständnis der Theologie der Chronikbücher zu leisten. Im Hintergrund steht dabei eine literaturästhetische Theorie, die auch Fragen nach der Interpretation eines Werkes und seiner Wirkung auf Leser und Leserin einschließt.3 Sechs Fragen leiten die folgende Untersuchung: – Welche literarischen Funktionen erfüllt „Hinwendung zu Gott“ im narrativen Kontext? – Was lässt sich daraus für die grundsätzliche Bedeutung des „Redens über das Beten“ ableiten? – Welche soziale und theologische Pragmatik ist der „Gebetssprache“ der Chronik eigen? – Wie verankert und verteilt die spezifische Semantik dieser „Sprache“ Sinnpotentiale im Kontext? – An wen richtet sich Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronik, über ihren textlichen, zeitlichen und räumlichen Nahkontext hinaus, – und was bedeutet das für das Gesamt der Chronikbücher und ihre Theologie? In diesem ersten Kapitel der Arbeit soll zunächst der Stand der Chronikforschung im Allgemeinen und zum Untersuchungsgegenstand im Besonderen skizziert werden (Abschnitt 2). Darauf folgt eine Einführung in die angewandte Methode (Abschnitt 3), aus der sich die Gliederung der nachfolgenden Teile dieser Arbeit ergibt. Am Ende dieses ersten, einführenden Kapitels steht eine Übersicht über die relevanten Textstellen (Abschnitt 4).

2. Forschungsstand und Einordnung Eine sehr weit gehende Idee zu Deutung und Bedeutung der Chronikbücher hat 2005/2007 Steven J. Schweitzer beschrieben: Er versteht die Chronik als utopischen Gegenentwurf zur Realität ihrer Autoren und Adressaten.4 Für die hier leitende Frage nach der Pragmatik bestimmter Ausschnitte hat dieser Vorschlag 3 Vgl. Eco, Grenzen, 30 f; Iser, Akt, 52 ff. 4 Schweitzer, Utopia (Dissertation ursprünglich 2005); hier: 29 f.

Forschungsstand und Einordnung

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ganz erhebliche Konsequenzen, denn die Kreise möglicher Adressaten der Chronik, mithin die denkbaren Funktionen von „Hinwendung zu Gott“, weiten sich mit diesem Vorschlag beträchtlich aus. Um das Neue in Schweitzers Vorschlag zu verdeutlichen, ist ein kurzer Überblick über die neueste Chronikforschung und ihren Stand erforderlich. Die in jüngerer Zeit erschienenen Monographien zur Chronik bieten ihrerseits meist einen Abriss der Forschungsgeschichte und Literaturverweise.5 Die dedizierten Forschungsüberblicke sind demgegenüber bereits etwas älter.6 Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – die „Einleitungsfragen“ zur Chronik besonders umfassend diskutiert wurden und werden, hat sich nur bei einigen Problemkreisen ein Konsens herausgebildet. Im Sinne des intertextuellen Gedankens wären die bisherigen Ergebnisse mit Georg Steins die „Enzyklopädie“ des Textes zu nennen.7 Es ist mittlerweile Mehrheitsmeinung, dass die Chronik ein eigenständiges Werk und unabhängig von Esra/Nehemia entstanden ist.8 Ferner gilt die Chronik als in sich relativ einheitlich,9 wobei sämtliche Modelle zur Entstehungsgeschichte von einer eher umfangreichen Grundschrift ausgehen, die verschiedentlich erweitert wurde.10 Einige zentrale Themen lassen sich klar benennen, vor allem Königtum (David und Salomo), Kult und Tempel sowie die Leviten; außerdem die Geschichtsdarstellung als solche.11 Uneins ist die Forschung hingegen bis heute bei der Datierung sowie in der Deutung der Themen. Vorschläge zur Entstehungszeit reichen vom Regierungsantritt des Perserkönigs Kyrus II. im Jahr 539 vor Christus bis in die hellenistische 5 Thematisch dieser Arbeit am nächsten verwandt ist die Dissertation von Royar, Denn der Herr, auf die gleich näher einzugehen sein wird. Chronologisch etwas jünger bis gleich alt sind die Dissertationen von Lynch, Monotheism (ursprünglich 2012); Tiňo, King and T ­ emple; Schweitzer, Utopia (ursprünglich 2005); Bae, Vereinte Suche; die Habilitationsschrift von Labahn, Herrschaftsanspruch sowie die Kommentarbände Klein, 2 Chronicles (mit dem ersten Teil  Klein, 1 Chronicles) und Willi, Chronik. Insbesondere Klein bietet in den seinen Bänden vorangestellten „Introductions“ jeweils eine Übersicht über die existierenden Auffassungen zu diskutierten Fragen, zur Forschungsgeschichte und Literaturangaben. Eine Zusammenfassung des Stands der Dinge liefert ebenfalls Steins, Bücher der Chronik. Vgl. ferner den Beitrag Labahn, Chronikbücher. 6 Für die Anfänge der neueren Chronikforschung immer noch beachtenswert ist die einschlägige Bibliographie von Isaac Kalimi (Kalimi, Books of Chronicles); einen jüngeren Beitrag lieferte Rodney Duke (Duke, Research in Chronicles). Die erwähnten Kommentare von Klein enthalten ebenfalls umfängliche Bibliographien. 7 Vgl. Steins, Bibelkanon, 191. 8 Vgl. Steins, Bücher der Chronik, 320 f. 9 Vgl. Steins, Bücher der Chronik, 322–325; Klein, 1 Chronicles, 11 ff. 10 Vgl. Labahn, Chronikbücher, Abschnitt 5 mit Exkurs. 11 Vgl. Labahn, Chronikbücher, Abschnitt 10; Klein, 1 Chronicles, 44–48; Klein, 2 Chronicles, 6–12. Das Schlagwort von der „Geschichtsdarstellung“ prägte Peter Welten bereits 1973 in seiner Habilitationsschrift: Welten, Geschichtsdarstellung.

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Kapitel 1: Einführung

Zeit, rund 200 vor Christus – eine Spanne von mehr als 300 Jahren.12 Damit bleiben das genaue diachrone Verhältnis zu Esra-Nehemia und den übrigen Büchern des hebräischen (wie auch des christlichen) Kanons und der außerkanonischen Literatur der Zeit, die Wahl des Modells zur Entstehungsgeschichte sowie das exakte Verhältnis der theologischen Gehalte zu ihrem Entstehungshorizont offen. Ebenso gibt es keine Festlegung auf einen Autor; oft wird auch eine Gruppe angenommen. Wie sie aussah, hängt vom gewählten Modell der Entstehung ab.13 Die vorliegende Untersuchung setzt auch darum bei der Deutung des Textes als literarischem Kunstwerk an, das für seine Entstehung nur sehr wenige Anhaltspunkte liefert und darum hinsichtlich einer genaueren Deutung vielfach offen ist. Eine solche Nicht-Festlegung ermöglicht erst einige der Sinnpotentiale, die eine leserorientierte Funktionsanalyse aufzeigt. Gerade die Redeanteile der Chronikbücher standen seit den Arbeiten von­ Julius Wellhausen im Fokus der Forschung. Von Anfang an wurde um Deutung und Bedeutung intensiv gestritten, wie zwei kleine Beiträge von Samuel R. Driver von 1895 zeigen. Er setzt sich gegen einen Kritiker namens Valpy French vehement für die „Eigenständigkeit“ der chronistischen Rede- und Gebetstexte gegenüber der umgebenden Prosa-Erzählung ein, im Gegensatz zu einer offensichtlich von French verfochtenen gemeinsamen Autorschaft.14 Die besondere Aufmerksamkeit für diese Art Text zieht eine Fülle von Einzelstudien zu einzelnen Reden, Gebeten und prophetischen Worten nach sich, die nicht in jedem Fall gänzlich berücksichtigt werden kann. Eine der jüngeren Arbeiten speziell zu den Gebetstexten der Chronik legte 2008 Dietmar Mathias vor.15 In diesem Aufsatz stellt er fest, dass Gebetstexte nur von Königen wiedergegeben würden, die in der Wertung der Chronik positiv erscheinen (die Ausnahmen Jabez in 1Chr  4,10 und Secharja ben ­Jojada in 2Chr 24,22, die keine Könige sind, übergeht Mathias). Er folgert daraus, dass der Chronist diese Könige, besonders David und Salomo, als Vorbilder und Vorbeter charakterisieren wollte.16 Ferner sieht Mathias in den Gebeten die Geschichts-

12 Vgl. Labahn, Chronikbücher, Abschnitt 7; Klein, 1 Chronicles, 13–16 mit einer Sortierung der bisherigen Literatur S. 13 f. Israel Finkelstein will mindestens die Genealogien 1Chr 1–9 sogar in die Hasmonäerzeit, näherhin in die Zeit Johannes Hyrkans I., datieren und deutet an, dass ihm auch eine Datierung der gesamten Chronik in diese Zeit unter Umständen plausibel erscheinen würde, vgl. Finkelstein, Historical Reality, 82 f. 13 Vgl. Labahn, Chronikbücher, Abschnitt 5; Steins, Bücher der Chronik, 320–325. 14 Driver, Speeches in Chronicles; Driver, Speeches in the Chronicles; vgl. den ersten­ Titel, S. 241. 15 Mathias, König. Neuer: Rösel, dann will ich hören; allerdings mit Schwerpunkt auf 2Chr 20; und älter Beentjes, Psalms and Prayers, der S. 10 f eine Übersicht über die Gebete und „Psalmen“ bietet, im Weiteren aber nur die ausformulierten Gebete und die Abbreviatur „lobpreist JHWH…“ berücksichtigt. 16 Vgl. Mathias, König, 186.

Forschungsstand und Einordnung

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sicht des Chronisten verdichtet, wonach sich am Gebet nicht nur die ­Könige, sondern auch die Geschichte Israels messen lässt. Die Glanzzeiten I­ sraels zeichneten sich durch häufige und intensive Anrufung JHWHs aus, während in dunklen Zeiten nicht oder nicht zu JHWH gebetet würde.17 Schließlich lässt ­Mathias den Chronisten den Schluss ziehen, „dass die Brücke des Gebets trägt, dass Gott hört und erhört.“18 Mit der ersten und letzten dieser Beobachtungen liefert­ Mathias einen Ansatz, über die Frage nach der Wertung der Geschichte in der oder durch die Chronik hinauszukommen. Diese Wertung gehört zu den in der Forschung besonders umstrittenen Themen. Alle Erkenntnisse von Mathias beziehen sich auf einen „Chronisten“ als Autor der Chronik. – Neben den Beobachtungen zu den Gebeten fällt im Übrigen auf, dass Mathias mit einem Zitat Gerhard von Rads beginnt, das eine negative Sicht der Forschung auf die Chronik belegen soll.19 Ähnliche Beobachtungen zu Funktion und Verteilung der Gebete in den Chronikbüchern stammen von Samuel Balentine. Er skizziert 1997 drei Funktionen für die Gebete in ihren jeweiligen Kontexten: 1. Die Gebete geben jene Weltsicht vor, auf deren Hintergrund die Geschichtsdarstellung der Chronikbücher bedeutsam wird. 2. Sie beschreiben, wie diese Weltsicht in David und Salomon konkrete Gestalt gewinnt 3. und liefern Hinweise darauf, wie diese Weltsicht die Zeit Salomos überdauern kann.20 Balentine stellt aufgrund seiner Beobachtungen außerdem die These auf, dass die Gebete textstrategisch platziert sind.21 Nur drei Jahre älter als Mathias’ Aufsatz ist die Monographie von Stefan Royar.22 Nach einer ausführlichen Vorstellung und Abgrenzung der einzelnen Gebetstexte23 erhebt Royar zusätzlich eine Liste mit Signalwörtern, die un­ recorded prayers anzeigen:24 Begriffe, die im Erzählgang der Chronik ein Gebet implizieren, dessen Text aber nicht wiedergegeben wird. Als weiteres Element 17 Vgl. Mathias, König, 185 f. 18 Mathias, König, 186. 19 Vgl. Rad, Theologie, 362 in Mathias, König, 171. 20 Vgl. Balentine, Pray a Lie, 261. 21 Vgl. Balentine, Pray a Lie, 263. 22 Royar, Denn der Herr. 23 Vgl. Royar, Denn der Herr, 10–15; Royars Abgrenzung ist relativ kleinteilig und nur teilweise deckungsgleich mit derjenigen dieser Arbeit. 24 Vgl.  Royar, Denn der Herr, 14 f; 168–173. Die Bezeichnung unrecorded prayer übernimmt er aus Balentine, Pray a Lie, 251, Fußnote 16. Siehe auch die ausführliche Erläuterung in Kapitel 2 im Abschnitt Nr. 14.1.

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Kapitel 1: Einführung

schließt Royar die von ihm als „Lobpreisformel“ bezeichnete Wendung ‫כי טוב‬ ‫ כי לעולם חסדו‬25 ebenfalls in seine Arbeit ein. In dieser Arbeit wird die Wendung „Abbreviatur“ genannt. Das ist funktional die verkürzte Wiedergabe eines als bekannt vorausgesetzten Texts, die „Auffüllung aus einem anderen Reservoir“26 verlangt. Dies geschieht in der Chronik außer beim gerade genannten, aus 1Chr 16,34.41 zitierten Vers noch am Schluss von 1Chr 12,6 mit ‫צדיק יהוה‬, sowie in abgewandelter Form mit der Segensformel ‫ ברוך יהוה‬beziehungsweise „(Name) ‫“ברוך‬. Die Fragen, die Royars Interesse leiten, fasst er in der Einleitung zusammen: Es sind jene 1. nach der Autorschaft der Chronik, 2. nach der diachronen Entstehung der Texte (Literarkritik), 3. nach der intentio auctoris (vor allem im Vergleich zu Samuel und Könige), 4. nach der Bedeutung der Gebetstexte für die Antwort auf diese Fragen und 5. nach der Datierung der Chronik.27 Die Antworten, die Royar gibt, stellen sich kurz gefasst so dar:28 1. Autor der Chronik ist eine Gruppe aus der „Jerusalemer Kultgemeinde“, die (in Absetzung zu den Forschungen im Gefolge von Rads) nicht nur aus Leviten besteht. 2. Eine nennenswerte diachrone Entwicklung gibt es nicht, der masoretische Text der Chronik ist weitgehend auch der „ursprüngliche“. 3. Die Absicht der Autoren ist hermeneutisch und theologisch begründet, sie übersetzen die Geschichte Israels neu für die Gemeinde ihrer Zeit. Sie bringen dabei keine neuen theologischen Bestimmungen ein, sondern verdeutlichen das bereits etablierte Verhältnis Israels zu JHWH. 4. Die Gebete erfüllen die doppelte Aufgabe des Ausdrucks der Beziehung des Menschen zu Gott und des (inhaltlichen) Bekenntnisses. 5. Der Prozess, der zur Niederschrift der Chronik geführt hat, vollzieht sich Mitte des vierten Jahrhunderts vor Christus. 25 Hier: 2Chr  5,13; vgl. Royar, Denn der Herr, 173–177. Andere Bezeichnungen in der­ Literatur für diesen Vers sind „Refrain“ nach dem Auftreten in mehreren Psalmen, beispielsweise Ps  136 (Japhet, 1 Chronik, 306; Klein, 1 Chronicles, 369; Berlin, Psalms, 22* und andere); „Aufruf zum Dank“ nach der Funktion innerhalb des Textes (Kleinig, Song, 28; Throntveit, Songs, 168) sowie vereinzelt andere. Formgeschichtliche Untersuchungen gingen auch davon aus, dass es sich um einen abgeschlossenen Text handelt; vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 44. 26 Hieke, Horizonte, 69; 71. 27 Vgl. Royar, Denn der Herr, 9. 28 Vgl. zu den folgenden fünf Punkten Royar, Denn der Herr, 178 ff.

Forschungsstand und Einordnung

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An die genannten Vorarbeiten von Balentine, Mathias und Royar knüpft diese Arbeit hauptsächlich an. Im Übrigen beginnt auch Stefan Royar seine Arbeit mit einem negativ wertenden Zitat Gerhard von Rads: „Der Eindruck von einer gewissen geistigen Erschöpfung – mindestens hinsichtlich der darstellerischen Gestaltung – läßt sich nicht abweisen.“29 Lange Zeit war das Werk Gerhard von Rads maßgeblich, und bis zum Jahr 2000 erfolgte die Untersuchung der „Gebete“ zumeist zusammen mit den anderen Redeanteilen der Chronik.30 Das gilt auch noch für die Zeit nach Otto­ Plöger, der schon 1957 dafür plädierte, Reden und Gebete bei der Untersuchung zu trennen.31 Ein Argument dafür ist der funktionale Unterschied zwischen Gebet und Predigt, den Plöger anführt: Beide Textarten „bekennen“ Gott, aber das Gebet enthält darüber hinaus eine (konkrete) Bitte und den Glauben an die Verwirklichung des Erbetenen.32 Weiterhin kamen die Gebete im Horizont der allgemeinen Chronikforschung in den Blick, vor allem unter der Rücksicht, wie sie zu den Absichten der Autoren stehen, sowie im Rahmen gattungs- und form­ kritischer Arbeiten zu Gebeten und Redeanteilen in biblischer Literatur. Es fällt auf, dass Dietmar Mathias und Stefan Royar es noch im vergange­ nen Jahrzehnt für nötig hielten, auf die „negative Wertung der Chronik in der Forschung“ hinzuweisen und sich dieser Sicht zu erwehren. Es scheint fast so, als habe sich der Gedanke, dass man „den Chr-Büchern und ihrer eigenständigen Komposition einen angemesseneren Platz innerhalb der altt. Historiographie“33 einräumen müsse, zu einem Topos verfestigt. Ausgangspunkt ist immer die vormals negative Einschätzung der Chronik,34 die in gewissem Sinne schon mit der Bezeichnung παραλειπομένων βασιλέων ’Ιουδά, „das Übergangene der Könige Judas“, in der Septuaginta begann.35 Tatsächlich aber änderte sich die Wertung der Chronik schon mit den ersten Arbeiten Sara Japhets.36 Mittlerweile haben die Annahmen von Julius ­Wellhausen und Gerhard von Rad ihre uneingeschränkte Geltung verloren. Mindestens werden den Autoren der Chronik eigener theologischer Anspruch und dem Werk

29 Rad, Theologie, 360; vgl. Royar, Denn der Herr, 8. 30 Vgl.  beispielsweise Throntveit, When Kings Speak; Throntveit, Speeches. Einen ersten Überblick über die Forschung auf diesem Gebiet bietet Japhet, 2 Chronik, 63 ff. 31 Vgl. Plöger, Reden und Gebete, 60; die Fassung ist ein Nachdruck der Erstauflage von 1957. 32 Vgl. Plöger, Reden und Gebete, 63. 33 Royar, Denn der Herr, 8. 34 Vgl. Throntveit, When Kings Speak, 1. Dort findet sich im Übrigen noch ein weiteres Zitat eines der „Altvorderen“ der alttestamentlichen Exegese, das die Chronik abwertet. Diesmal stammt es aus Wellhausen, Prolegomena. Throntveit zitiert eine englische Übersetzung von 1957. 35 Vgl. Labahn, Chronikbücher, Abschnitt 2.2.2. 36 Japhet, Common Authorship.

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Kapitel 1: Einführung

lite­rarische Eigenständigkeit zugebilligt. Umgekehrt scheint gerade die Frage nach der Autorschaft die Chronikforschung in den letzten Jahrzehnten begrenzt zu haben; die Leitfrage lautete: Welches Geschichtsbild wollten die Chronisten vermitteln, und welche Theologie vertraten sie damit? Besonderes Augenmerk lag dabei – methodisch naheliegend – auf dem (literarkritischen, form- und gattungskritischen) Vergleich mit der „Vorlage“ Samuel-Könige. Dabei mag trotz­ anderslautender Vorsätze im Hintergrund die in der Literaturforschung lange gehegte Abwertung des „beeinflussten“ Werkes gegenüber dem „originären“ oder „genialen“ noch nachgewirkt haben.37 – Dem steht freilich gegenüber, dass die Chronikbücher offensichtlich in einer bestimmten Abhängigkeit zu jenem Kanonteil stehen, der gemeinhin „deuteronomistisches Geschichtswerk“ genannt wird; spezieller zu den Büchern Samuel und Könige. Thomas Willi argumentiert in seiner Dissertation von 1972 dahingehend, dass die Chronik die Samuel- und Königsbücher zum Verständnis sogar (notwendig) voraussetzt.38 Die Frage, in wie weit diese Abhängigkeit für die vorliegende Untersuchung relevant ist, verbindet sich mit dem unten diskutierten Problem des Zusammenhangs funktionaler Analyse und diachroner Aussagen. Die Arbeiten von Mathias und Royar sind ebenfalls von diesen Forschungsinteressen geprägt. Royar widmet sich beispielsweise sehr ausführlich der Frage der Intention(en) des Autors oder der Autoren, diskutiert die bisher vorgeschlagenen (Intentions-)Hypothesen und ihre Auswirkungen auf eine Untersuchung.39 Er selbst entscheidet sich dann für die „hermeneutische Intentionshypothese“.40 Darunter fasst Royar das zusammen, was die Umkehrung der Fragestellung dieser Arbeit sein könnte: Er vertritt die These, dass bereits „der Chronist“ oder „die Chronisten“ intertextuell arbeiteten und die Chronik das Ergebnis eines „kanonischen Leseprozesses“ ist.41 Mit diesem Ergebnis ordnet sich Royar in die Nachfolge von Georg Steins ein, der in seiner Dissertation 1995 die These von der „Chronik als kanonischem Abschlussphänomen“ aufgestellt hat.42 In der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends ist die Diskussion um die­ Quellen der Bücher Samuel bis 2 Chronik noch einmal aufgeflammt.43 Zudem kommt die Chronik im Zusammenhang mit Pentateuch- und Psalmenforschung 37 Vgl. Gillmayr-Bucher, Intertextualität, Abschnitt 2. 38 Vgl. Willi, Auslegung, 56–59; ähnlich Steins, Geschichtsbild, 154 f; dagegen Mitchell, Dialogism, 326. 39 Vgl. Royar, Denn der Herr, 46–72. 40 Vgl. Royar, Denn der Herr, 179. 41 Vgl. zum Begriff des Leseprozesses Gillmayr-Bucher, Intertextualität, Abschnitt 3. 42 Steins, Abschlußphänomen. 43 Bereits Throntveit, When Kings Speak, 1 hatte konstatiert, dass die Frage nach der „Vorlage“ geklärt sei, namentlich in Gestalt eines älteren Textbestandes von Sam/Kön, der nicht erhalten ist; diese These hat A. Graeme Auld weiter ausgeführt (zuletzt Auld, Census; ausführlich Auld, Main Source). Zum Stand dieser Diskussion vgl. Klein, 1 Chronicles, 30–37; Klein,

Zur Methode „leserorientierte Funktionsanalyse“

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unter dem Schlagwort „Leviten“ verstärkt in den Blick.44 Es ist daher tatsächlich ein interessanter Neuansatz, wenn Steven J. Schweitzer von der Frage nach der Historizität der Chronik abrückt und das Gedankenexperiment wagt, die Chronik als utopische Literatur zu verstehen, statt in immer neuer Perspektive nach der Historizität der Geschichtsschreibung zu fragen.45

3. Zur Methode „leserorientierte Funktionsanalyse“ 3.1 Intertextualität und Leseprozess Diese Arbeit verlässt ebenfalls den Horizont der Historizitäts- und Quellendiskussion. Die Suche nach Sinnpotentialen erfolgt werkimmanent und rezeptionsorientiert. Es geht um den Versuch, einen kanonischen Leseprozess für klar abgrenzbare Teile der Chronik nachzuvollziehen,46 und nicht um die Suche nach einem „Chronisten“, der das Ergebnis eines solchen Prozesses präsentiert. Das, was Thomas Hieke „historische Rückfrage“47 und Georg Steins „Enzyklopädie“48 nennen und was Helmut Utzschneider der intentio auctoris zuordnet,49 bleibt dabei nicht außen vor. Auf diesem Fragenkomplex liegt aber kein Schwerpunkt. Wie die Bezeichnung „leserorientiert“ vermuten lässt, wechselt diese Arbeit zu dem Interpretationsschema, das im Modell von Utzschneider/Eco intentio lec­ toris heißt, und das untrennbar mit intentio operis und intentio auctoris verbunden ist. Im Hintergrund dieser Methode stehen die literaturwissenschaftlichphilosophischen Überlegungen zur Intertextualität.50 Zur Anwendung dieser Überlegungen reicht ein einfaches Modell für intertextuelle Bezüge aus, das sich so beschreiben lässt: Der zu Grunde gelegte Text (Hypertext im weiteren Sinn) weist aus sich selbst heraus (intentio operis nach Utzschneider51) durch bestimmbare Indikatoren, die Hypertexte im engeren Sinn, auf andere Texte hin (die dann

2 Chronicles, 1 f und Kalimi, Textparallelen. Kalimi zeichnet auch die Forschungsgeschichte zu diesem speziellen Punkt noch einmal nach. Da, wie unten gezeigt, der Zusammenhang für diese Arbeit nicht relevant ist, darf der von Kalimi und Klein beschriebene Konsens gelten, dass Chr auf Sam/Kön beruht. Das schließt nicht aus, dass an Sam/Kön noch Änderungen vorgenommen wurden (oder Textverderbnis die Überlieferung beeinflusste), nachdem Chr sie als Vorlage nutzte. 44 Vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch. 45 Vgl. Schweitzer, Utopia, 30. 46 Vgl. Hieke, Biblische Texte, 345. 47 Vgl. Hieke, Verhältnis, 266 f. 48 Vgl. Steins, Bibelkanon, 191. 49 Vgl. Utzschneider, Text – Leser – Autor, 226 f. 50 Vgl. zum Begriff allgemein Gillmayr-Bucher, Intertextualität. 51 Vgl. Utzschneider, Text – Leser – Autor, 229–233.

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Hypotexte heißen).52 Die Suche zuerst nach Hinweisen aus dem Text selbst he­ raus (intentio operis) ermöglicht es schließlich, eine begründete Vermutung über die Leserschaft und ihr Textverständnis aufzustellen. Der Text konstruiert sich so seine Leserschaft, und diese Konstruktion wird nachvollzogen. Mit Umberto Eco gesprochen wird dem Text eine intentio lectoris „aufgezwungen“.53 Was die Figur des Lesers dabei betrifft, gilt: „Der Leserbegriff ist in der Literaturwissenschaft ein kontrovers verhandelter Terminus. Es geht hier weder um historische Erstleser des Textes noch dediziert um den modernen Leser des 21. Jahrhunderts, sondern um eine ideale Leserfigur, die sich anhand der Anforderungen des Textes profiliert: Der Text selbst fordert ein großes Maß an Vorwissen und Kompetenz ein und bezieht sich ständig – explizit und implizit – auf andere Texte.“54

Nach der intentio operis zu suchen heißt zu fragen, auf welche Weise die Indikatoren und die durch sie einbezogenen Hypotexte die Bedeutung des Ausgangstexts verändern.55 Die einfachste Probe für diese Frage ist, die Hypertexte, sprich: Gebetstexte, Abbreviaturen und Signalworte für unrecorded prayers wegzulassen. Anders formuliert fragt leserorientierte Funktionsanalyse, wie die Lesung eines Textes (der Chronik) mit und ohne Hypertexte den Sinn der Erzählung verändert. Für die Suche nach intertextuellen Indikatoren gibt es weiterhin verschiedene Fragestellungen, die methodisch leitend sein können. Die folgende Übersicht schließt sich an die von Tobias Nicklas formulierten „Leitfragen prozeduraler Interpretation“ an,56 wobei jeweils kurz erläutert wird, wie sich aus der jeweiligen Leitfrage ein Kriterium ergibt, einen „Hypertext“ als solchen zu bestimmen: 52 Vgl. Steins, Kanonisch lesen, 59, der allerdings nicht in „Hypertexte“ im engeren und weiteren Sinn unterscheidet. Die Idee, von intertextuellen Indikatoren als „Hypertexten im engeren Sinn“ zu sprechen, ist eine Übertragung aus der Welt der Informationstechnologie und des Internet. Den intertextuellen Indikatoren in einem Hypertext, die auf einen Hypotext verweisen, entsprechen Hyperlinks auf Internet-Seiten (die tatsächlich auch als Hypertexte bezeichnet werden, denn sie werden in der „Hypertext Markup Language (HTML)“ programmiert und per „Hypertext Transfer Protocol (http)“ zwischen Rechnern ausgetauscht). Sie spielen Informationen aus dem globalen Internet, das dann einem großen Intertext entspräche, ein. Einzelne „Seiten“ aus diesem Internet, auf die die Hyperlinks verweisen, sind die Hypotexte. 53 Vgl. Eco, Grenzen, 35. 54 Hieke, Verstehen, 74. Da es sich beim „Leser“ also um eine Idealkonstruktion handelt, nicht um wirkliche Menschen, erübrigt sich im Weiteren eine geschlechtsneutrale Formulierung. „Der Leser“ im Sinne dieser Arbeit und ihrer Methodik ist kein Mensch, sondern eine konstruierte Figur. 55 Mit Umberto Eco formuliert hieße es, „…im Text nach dem suchen, was er in bezug auf seine eigene kontextuelle Kohärenz und die Signifikationssysteme sagt, auf die er sich bezieht“ (Eco, Grenzen, 35). 56 Die Fragen sind im Folgenden zitiert aus Nicklas, Leitfragen, 53–61 und dort unter­ ihren jeweiligen Nummern zu finden.

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1. „Welche Ausschnitte aus der ‚Enzyklopädie‘ sind zu aktualisieren, welche zu ‚narkotisieren‘?“ – Verknüpfungen innerhalb der biblischen Textwelt können beispielsweise durch lexikalische und motivische Wiederaufnahme, Stilmittel wie Parallelismen, Inklusionen und Chiasmen, oder über größere Räume hinweg über direkte Zitate und Paraphrasen erfolgen. 2. „An welchen Stellen ist vom Leser gefordert, implizite oder explizite Informationen umzusetzen, und welche Möglichkeiten werden ihm dabei zur Verfügung gestellt?“  – Insofern Textverständnis die Kenntnis der Sprache des Textes voraussetzt, namentlich ihrer Lexeme, könnten theoretisch alle Lexeme als „Hypertexte“ aufgefasst werden. Um nicht ins Uferlose abzugleiten, kann sich eine leserorientierte Funktionsanalyse auf jene Begriffe beschränken, die eine textliche Spannung verursachen. Nicklas spricht von „Kohärenzstörungen“, aber mit Blick auf die Methoden der Literar- und Redaktionskritik ist dieser Begriff missverständlich. Solche Störungen können dabei auf allen der im Folgenden getrennt analysierten Bereiche (Form und Inhalt) und auf allen Ebenen (Wort, Satz, Text, Erzählung, Buch…) auftreten. Die „Weglassprobe“ ist ein Werkzeug zur Erkennung eingeforderten Hintergrundwissens: Wenn eine „Störung“ nicht einfach ausfallen kann, ohne den Sinn des Kontextes zu verändern, verweist sie womöglich auf das zum Verständnis des Kon­ textes notwendige und als Hypotext einzuspielende Wissen. Umgekehrt handelt es sich bei einem Textteil wahrscheinlich nicht um einen Hypertext, wenn ein bloßes „Weglassen“ den Kontext nicht verändert. 3. „Wo ist eine Kooperation des Lesers durch Aktivieren einer Szenographie erwartet?“  – In ein allgemeineres Bild übersetzt könnte die Suche nach einer „Szenographie“ umschrieben werden als die Suche nach den Bildern und Film-Sets für das „Kino im Kopf “ eines Rezipienten, der den untersuchten Text liest. Hypertexte sind in diesem Zusammenhang vor allem durch Vergleich zu finden: Wo weicht der Text von dem ab, was nach seiner Form (zum Beispiel der Psalmen-„Gattung“ nach) erwartbar wäre? Wird eine Form gebraucht, die in ihrem Kontext nicht erwartbar ist – oder im Gegenteil, die Erwartungen in besonderer Weise erfüllt? 4. „Wie erzeugt der Text beim Leser welche Erwartungen, und wie wirken sich diese auf die Lektüre aus?“ – Die Hypertexte dieses Typs sind bisweilen nicht als Vers oder Satz anzugeben. Ein ganzer Text kann als Hypertext gelten, inso­ fern er aufgrund seiner Form und seines Inhalts bestimme Erwartungen weckt. Für die Chronik gilt hier das, was Tobias Nicklas für die Offenbarung des­ Johannes festhält, „…die an keiner einzigen Stelle ausgewiesene Zitate bietet, die aber so intensiv in den Bildern, Ideen und Vorstellungen biblischer Texte zu Hause ist, dass ohne dauernde ‚inferentielle Spaziergänge‘ in biblische In­ tertexte ein Verständnis ausgeschlossen scheint.“57 In der Chronik ist die Lage 57 Nicklas, Leitfragen, 59.

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insofern einfacher, als dass beispielsweise klare Zitate vorliegen: 2Chr 5,13 zitiert 1Chr 16,34; 1Chr 16,8–36 greift Teile mehrerer Psalmen auf.58 5. „Wie und durch welche Strategien kann der Leser sich dem ‚Thema‘ des Textes nähern?“ – Neben den von Nicklas vorgeschlagenen Suchmustern eignet sich die Sprechaktanalyse, um die Strategie eines Textes zu erheben und f­ormal­ abzubilden. 6. „Wie weit entwickelt der Leser sein Bild von den Charakteren der erzählten Welt des Textes?“ – Diese Frage dient weniger der Bestimmung von Hyper­ texten als vielmehr der Auswertung derselben. 7. „Auf welche Weise wird dem Leser der ‚Point of View‘ der Erzählung mitgeteilt bzw. vorenthalten? Auf welche Weise wird der Leser vom ‚Point of View‘ der Erzählung überzeugt?“ – Entscheidend ist dabei die Überlegung, dass die Funktion eines Textes in der Textwelt (zum Beispiel „Schuldbekenntnis“) sich von jener für den Rezipienten (zum Beispiel „Paränese: So sollst du beten!“) deutlich unterscheiden kann.59 Der Wechsel der Perspektive lässt sich an den Ergebnissen des Artikels von Dietmar Mathias60 beispielhaft verdeutlichen: Mathias deutet die königlichen Gebete in der Chronik so, dass es die Absicht des Chronisten war, mit ihrer Hilfe eine Brücke zu Gott zu schlagen.61 Diesen Eindruck kann ein Leser der Chronik aber auch dann gewinnen, wenn dies zu verdeutlichen nicht die Absicht des Chronisten war. Der Text lenkt den Leser zu den königlichen Vorbildern hin und lädt zur Nachahmung ein;62 gleichzeitig verbindet er sich schon im Theologumenon der Wirksamkeit von Gebeten mit vielen anderen Bibeltexten.63 Die Scheidung „Textwelt“ und „Rezipient/Leser“ in der Analyse ist erste Voraus­ setzung zur funktionalen Beschreibung der intertextuellen Indikatoren. Zunächst steht daher der Text für sich selbst.64 Ferner ist es zweckmäßig, die Betrachtung seiner formalen Gestalt (Abgrenzung, Textdarbietung, Struktur) und seiner In 58 Im Zusammenhang mit einer synchronen Betrachtung ist „zitieren“ ein problematischer Begriff, denn damit ist eine Leserichtung angegeben. Mindestens im Sinne eines kanonischen Leseprozesses der BHS, in der die Psalmen vor der Chronik zu stehen kommen, stimmt aber die Aussage, dass die Chronik Psalmen zitiert und nicht umgekehrt. 59 Vgl. Hieke, Verstehen, 82 f; Nielsen, Intertextuality, 18. 60 Mathias, König. 61 Vgl. Mathias, König, 186. 62 Vgl.  Mathias, König, 186; Ein Beispiel bietet das Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36). 63 Beispielsweise mit Esr 9,6–15; Neh 9,6–37; vgl. Hogewood, Speech Act, 69 ff. 64 Steins, Kanonisch lesen, 59 beschreibt einen „Vierer-Schritt“, um Sinnpotentiale zu „ermitteln, beschreiben, integrieren, kritisieren“. Das „ermitteln“ entspricht in dieser Arbeit weitgehend dem zweiten Kapitel dieser Arbeit, eine erste Beschreibung von Sinnpotentialen liefern im selben Teil die Inhalts- und Funktionsanalysen der Einzelstellen. Integration oder Synthese erfolgen im dritten Kapitel, das auch die Kritik der Sinnpotentiale enthält.

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halte zu trennen. So lassen sich mit den beschriebenen „Heuristiken“ Indikatoren auf allen Ebenen systematisch auffinden. Die Abbreviaturen und die Fälle von unrecorded prayer stellen einen Sonderfall dar, weil sie von vornherein als Gan­ zes intertextuelle Indikatoren sind und nicht noch einmal eingebettete Indikatoren enthalten. Daraus ergibt sich die Gliederung der Arbeit: Am Beginn steht die Untersuchung von Einzeltexten (Kapitel 2), getrennt nach Form und Inhalt. Diese Untersuchungen ermöglichen erste Erkenntnisse zur literarischen, sozialen und theologischen Funktion der Bibelstellen. Allen Stellen gemeinsame Gehalte werden in Kapitel 3 dieser Arbeit zusammengeführt, wobei sprachlich-formale, inhaltliche und funktionale Ebene aufeinander bezogen, aber der Darstellung­ wegen getrennt präsentiert werden. In diesem Abschnitt wird nachfolgend der Methodenschritt der Sprechaktanalyse eigens vorgestellt und begründet (Abschnitt  3.2). Im Anschluss daran werden die Probleme der gewählten Methodik besprochen (Abschnitt 3.3). Im Anschluss an die Begründung für die Auswahl der Texte, auf die die Methodik angewandt werden soll (Abschnitt 4) leitet eine Zusammenfassung (Abschnitt 5) zu den Textanalysen über.

3.2 Intertextualität und Sprechaktanalyse Die Methode der Sprechaktanalyse stammt in ihren Wurzeln von John Austin und John Searle.65 In der biblischen Exegese ist diese Methode seit rund 25 Jahren im Einsatz; sie darf daher als eingeführt gelten.66 Es geht in diesem Abschnitt vorrangig darum, die nötigen Begrifflichkeiten in Erinnerung zu rufen, um den Zusammenhang mit der intertextuellen Fragestellung darzustellen.67 Austin und Searle gehen in ihren Werken zu Sprechakten (speech acts, zuweilen auch als „Sprechhandlung“ übersetzt) davon aus, dass jedes Sprechen, genauer jede sprachliche Äußerung, auch beispielsweise ein Satz in einer Zeichensprache, ein menschliches Handeln ist. Dabei geschieht mehr, als dass nur Luft unter bestimmten Modulationen ausgestoßen wird oder Gesten vollführt werden. 65 Vgl. Hieke, Psalm 80, 172. Die wichtigsten Werke der beiden geistigen Väter sind in den hier verwendeten deutschen Übersetzungen Austin, Sprechakte und Searle, Sprechakte. 66 Vgl. zur Grundlegung Hieke, Psalm 80, 172–176 nebst der dort gegebenen Literaturhinweise sowie Wagner, Sprechakte; neuer und für den englischen Sprachraum H ­ ogewood, Speech Act, 70, Fußnote 3.  Eines der ersten Grundlagenwerke in deutscher Sprache war­ Irsigler, Psalm-Rede. 67 Die Zusammenfassung ist so knapp, dass auf Einzelnachweise in den Werken von­ Austin und Searle verzichtet werden muss. Die folgend verwendete Terminologie stammt von Irsigler, Psalm-Rede, 91 f, angewandt in der Adaption nach Hieke, Psalm 80, 172–176. Zum Problem der Klassifikation von Sprechakten und damit zu einem Problem der Methode vgl. Wagner, Sprechakte, 20–27.

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Jeder Sprecher, jeder Handelnde, verfolgt einen bestimmten Zweck, will eine bestimmte Wirkung erzielen. Seine Äußerungen haben daher bestimmte Funktio­ nen. Ein einzelner Sprechakt kann abhängig vom Kontext durchaus verschiedene Funktionen erfüllen und mehrere gleichzeitig. Ein Sprechakt (oder „Äußerungseinheit“, „Sinneinheit“68) ist dabei oft, aber nicht notwendig mit einem grammatischen „Satz“ identisch. Die Einteilung der Texte in solche Äußerungseinheiten oder einzelne Sprechakte, die den Struktur- und Sprechaktanalysen dieser Arbeit zu Grunde liegt, folgt der Biblia Hebraica Transcripta von Wolfang Richter aus dem Jahr 1993.69 Es ist nicht möglich, aus den Sprechakten Rückschlüsse auf die tatsächlichen Intentionen eines Sprechers zu ziehen. Dies haben Sprechhandlungsanalyse und leserorientierte intertextuelle Methoden gemeinsam. Die Sprechintentionen (oder Schreibintentionen) sind im Geiste des handelnden Sprechers (oder Autors) verborgen und prinzipiell unzugänglich.70 Die Sprechaktanalyse muss sich daher auf die Untersuchung möglicher Intentionen, besser: Funktionen, grammatischer Äußerungseinheiten beschränken. Wie für intertextuelle Bezüge gibt es für die Funktionen im Text verankerte Indikatoren, die sie kenntlich machen. Ein Beispiel ist der Befehl: Das grammatische Merkmal, um einen Befehl zu erkennen, ist die Verwendung der Befehlsform, also des Jussivs oder Imperativs. Natürlich kann unter diesen Voraussetzungen das, was die Sprechaktanalyse feststellt, von der Intention des Sprech-Handelnden abweichen oder über diese hinausgehen, wie es auch für intertextuelle Bezüge gilt. Tatsächlich können genau solche i­ ntertextuellen Bezüge ein Hinweis auf die eigentliche Funktion eines Sprechaktes sein, die nicht mit der Aussage der grammatischen Struktur identisch ist. Als Hilfestellung lassen sich die verschiedenen Funktionen eines Sprechaktes fünf „Kommunikationsebenen“ zuweisen:71 Die erste ist die syntaktische Ebene, auf der sich die Funktion einer Sprechhandlung durch grammatische Indikatoren ergibt (zum Beispiel die Funktion des Befehls durch die Jussiv-Form). Auf der zweiten, satzsemantischen Ebene werden zusätzlich die Bedeutung einzelner Begriffe und die logischen Konnektoren zu anderen Sätzen berücksichtigt.

68 Ursprünglich bei Austin/Searle: „Illokution“ beziehungsweise „illocutionary act“. 69 Richter (Hg.), BHT Chr. Abweichend von der üblichen Verseinteilung nach den masoretischen Akzenten bezeichnet Richter die Äußerungseinheiten mit lateinischen Kleinbuchstaben. Um Verwechslungen mit Stellenangaben zu vermeiden, bei denen die herkömmliche Vers­ einteilung verwendet wird (etwa in Zitaten), werden bei indirekter Zitation die Versangaben auf die Richter-Zählung umgestellt. In wörtlichen Zitaten bleiben die Angaben der Quelle unverändert stehen. 70 Das Problem der nicht zugänglichen Intention ist aus dem Kontext der Ethik bekannt und dort vielfach bedacht worden. Die Intentionen eines Menschen sind anderen unzugänglich. Vgl. zu den Sinnebenen menschlichen Handelns einführend Anzenbacher, Einführung, 115 ff. 71 Vgl. Hieke, Psalm 80, 175.

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Auf dieser Ebene können übertragene Bedeutungen erfasst werden, wie „Aufmerksamkeit erregen“ als Funktion einer rhetorischen Frage. Die drei weiteren Ebenen, die in diesem System unterschieden werden, beziehen in unterschiedlichen Graden den Kontext mit ein, bis hinauf zur Bedeutung eines Satzes im Gesamttext oder eines Textes im Intertext. Am Ende einer solchen Analyse steht eine Beschreibung der Sprech-Handlungen eines Textes, die es erlaubt, Sprechakte zu vergleichen und Muster zu erkennen. Daraus lassen sich Schlüsse über die Gesamtfunktion (die Argumentation oder, mit ­Nicklas, die „Strategie“72) eines Textes ziehen. In der Analyse der Bedeutungsebenen oberhalb der Satzsemantik ist die Sprechaktanalyse genuin intertextuell, denn sie stützt sich auf Hypotexte, um die Funktion des Hypertextes zu beschreiben. Soweit irgend möglich, wird bei den Analysen der Einzeltexte in dieser Arbeit auf die unübersichtliche Darstellung der Analyse der ersten beiden Kommunikationsebenen verzichtet, zumal sich das Schreibsystem, das von Hubert Irsigler zu diesem Zweck entwickelt wurde,73 nicht durchsetzen konnte. Das Ergebnis einer Sprechhandlungsanalyse, die Beschreibung von Sinnebenen (in der hier eingeführten Terminologie: Sinnpotentialen) und ihrer Abfolge, kann auch direkt präsentiert werden.74

3.3 Probleme der Methodik Drei Gefahren gilt es bei einer leserorientierten Funktionsanalyse zu vermeiden. Der klassische Vorwurf an leserorientierte Methoden ist Beliebigkeit. Dieser Beliebigkeit beugen exakte Textbeschreibung und Orientierung am Text vor. Die Textbeschreibung erleichtert bei intertextuellen Analysen die Bestimmung vor allem der Qualität der Hypertexte. Die Quantität, erkennbar an Zahl und Dichte der Hypotexte, spielt bei der Beurteilung der Verbindung zweier Texte eine nachgeordnete Rolle.75 Mit Hilfe von qualitativen Merkmalen lassen sich intertextuelle Verbindungen plausibilisieren und kategorisieren. Die nachstehenden Merkmale, die Stefan Seiler und Manfred Pfister auflisten,76 sind lediglich Beispiele:

72 Nicklas, Leitfragen, 59. 73 Irsigler, Psalm-Rede. 74 Das paradigmatische Beispiel für dieses Vorgehen liefert anhand von 1Chr  16,8–36­ Carmen Diller: Diller, Kompositpsalm. Siehe dazu eingehender Kapitel  2, Abschnitt Nr.  3. Beispiele für die hier ausgesparte ausführliche Darstellung solcher Analysen, die einem Flussdiagramm ähneln, bietet Hieke, Psalm 80. 75 Nichtsdestoweniger ist sie beachtenswert; vgl. Pfister, Konzepte, 30. 76 Seiler, Text-Beziehungen, 25 f, passt die Kriterien an die Erfordernisse der Exegese an. Die ursprüngliche Aufzählung, aufbereitet für die Anglistik, bietet Pfister, Konzepte, 26–30.

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– Referentialität – Wie deutlich ist ein Hypertext als Indikator gekennzeichnet? – Kommunikativität – Wie bewusst ist dem Autor und/oder Rezipienten die Referenz? Hier kann im Zuge der Leserorientierung gefragt werden, welche Strategie ein Text verfolgt, um dem idealen Leser die Referentialität bewusst zu machen. Dieses Kriterium stellt zugleich die Schnittfläche zu autorzentrierten Methoden der Exegese dar. Der Grad der Kommunikativität ist am höchsten, wenn ein Autor bewusst intertextuelle Bezüge „einbaut“.77 – Autoreflexivität – Wird die Intertextualität selbst zum Thema? – Strukturalität – Wie weit orientieren sich die Texte an der Struktur ihrer Hypotexte? Dies wird sich als das bedeutendste Merkmal der Intertextualität der hier untersuchten Texte erweisen. „Je umfassender der Prätext zur struktu­ rellen Folie des Folgetextes wird, desto größer ist die Intensität der intertextuellen Beziehung.“78 – Selektivität – Wird pauschal auf mehrere oder einen Hypotext verwiesen, oder gezielt auf einen bestimmten Abschnitt oder eine Aussage? Gibt es für mehrere Hypotexte einen verbindenden „Referenzrahmen“, etwa einen Kanon? Wie groß ist die „Streubreite“? – Dialogizität – Dient der intertextuelle Verweis zur Unterstützung eines Arguments oder zu dessen kritischer Hinterfragung?79 Endgültig beweisen oder widerlegen lassen sich intertextuelle Verbindungen nicht; auch kann keine „Skala“ erstellt werden, auf der ein „Grad intertextueller Vernetzung“ angezeigt werden könnte. Es geht um eine Heuristik, die Verbindungen zu entdecken und zu plausibilisieren vermag – auch, wenn sie letztlich durch Zufall entstanden wären.80 Der Methodenschritt der Sprechaktanalyse ist dabei ein Werkzeug, das den Grad der Formalisierung der inhaltlichen Analysen erhöht und damit exaktere Beschreibungen und Vergleiche ermöglicht. Dem bleibenden Einwand, dass die Strukturen eines Textes den Leser zwar lenken, aber das Lesen nicht vollkom 77 Vgl. Pfister, Konzepte, 27. 78 Seiler, Text-Beziehungen, 25. 79 Es geht hierbei um einen Begriff von „Dialogizität“, wie ihn beispielsweise Christine Mitchell auf die Chronik angewandt hat (Mitchell, Dialogism): Sie versteht unter Dialogizität den Dialog von Texten untereinander (S. 311 f). In wie weit sich das hier verwendete Verständnis dem annähert, was Mitchell mit Michail Bakhtin „heteroglossia“ nennt (S. 315), kann hier in der gebotenen Kürze nicht diskutiert werden. Zur Abgrenzung der hier vorliegenden Arbeit von bisheriger Forschung zur Chronik, die diesen intertextuellen Dialog vor allem mit dem „deuteronomistischen Geschichtswerk“ geführt sieht, siehe Abschnitt Nr.  2. Im Zusammenhang mit „leserorientierter Funktionsanalyse“ geht es eher um einen Dialog der am Verstehensprozess Beteiligten. Um mit dem Titel eines Methodenaufsatzes von Helmut Utzschneider zu sprechen, sind dies „Text – Leser – Autor“ (Utzschneider, Text – Leser – Autor). 80 Vgl. Pfister, Konzepte, 30, der sich dagegen verwahrt, dass die von ihm benannten Kriterien zur „Skalierung“ von Intertextualität als positivistische „Messung“ verstanden werden.

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men kontrollieren, lässt sich mit Wolfgang Iser entgegnen, dass es einer gewissen Freiheit für den Leser notwendig bedarf, um überhaupt „Lesen“, also rezipieren zu können. Andererseits setzt jede Kommunikation einen Konsens zwischen Text und Leser darüber voraus, auf welcher Basis die Kommunikation ablaufen soll.81 Ebenso benötigt der Text einen Bezug zum „Weltwissen“ des Empfängers (Lesers).82 Genau diesem „Weltwissen“, der „Enzyklopädie“ (im Sinne Nicklas’) gilt die Suche leserorientierter Textanalyse. Weiterhin droht jeder intertextuellen Methode eine Art infiniter Regress, wenn hypertextuelle Indikatoren im Sinne einer der ersten Theoretikerinnen der Intertextualität, Julia Kristeva, auf einen allumfassenden Intertext verweisen.83 In der praktischen Anwendung ist diese Universalität eine Schwäche der Theorie. Auch hier droht in der Folge Beliebigkeit der referentiellen Bezüge. Sie wird in diesem Fall durch einen Referenzrahmen verhindert.84 Für die Chronik bietet sich im Sinne einer „biblischen Analyse“85 dazu der Überlieferungskontext an, hier die „Hebräische Bibel“ – also die konkrete Ausprägung des kanonischen Kontexts, wie ihn die BHS bietet.86 Der „Kanon“ wird zum „privilegierten Intertext“, zur „Leitplanke“, der Beliebigkeit zu verhindern hilft.87 Um die ideologische Überlastung des mit diesem Kontext verbundenen Terminus „kanonische Exegese“ zu vermeiden, ist „biblische Auslegung“ als Bezeichnung vorzuziehen.88 In den Druckausgaben der BHS stehen die Chronikbücher am Ende des Kanon-Arrangements, gegen den der Ausgabe zu Grunde liegenden Codex Lenin­ gradensis, der die Chronikbücher an den Beginn der „Schriften“ stellt.89 Die besondere Stellung der Chronikbücher am Ende des Kanon-Arrangements bezeugt die rabbinische Tradition im babylonischen Talmud (bBB  14b).90 Georg Steins hat auch von daher 1995 die These von der „Chronik als kanonischem Abschlussphänomen“ aufgestellt.91 Wenn demnach die Chronik selbst schon eine Manifestation eines intertextuellen Leseprozesses ist, mithin der Chronist ein Le 81 Vgl. Iser, Akt, 44 ff. 82 Vgl. Finnern, Narratologie, 57. 83 Vgl. Seiler, Intertextualität, 275 f; Gillmayr-Bucher, Intertextualität, Abschnitt 1.2. 84 Anders als der Referenzrahmen, nach dem das Kriterium der „Selektivität“ nach Seiler/ Pfister sucht, wird er aber von außen, durch die Exegese (oder die Glaubensgemeinschaft), an den zu untersuchenden Text herangetragen. 85 Hieke, Verhältnis, 266 f. 86 Vgl. Hieke, Verstehen, 76–81; zur Unterscheidung von „Bibel“ und „Kanon“ vgl. Hieke, Verhältnis, 266 f. 87 (Vgl.) Hieke, Biblische Texte, 336 f. 88 Vgl. Hieke, Verhältnis; Hieke, Biblische Texte, 344 f. 89 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 2. 90 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 2; Labahn, Chronikbücher, Abschnitt 3. Kalimi, Retelling of  Chronicles, 32 f, fasst, nach breiter Diskussion, den Forschungsstand darüber zusammen, warum die Chronik so eingeordnet worden sein könnte. 91 Steins, Abschlußphänomen.

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Kapitel 1: Einführung

ser war,92 hat dies durchaus Konsequenzen für die Frage, welche Voraussetzun­gen der Text der Chronik bei seinem Leser fordert. Namentlich steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Bezüge in alle Teile des Kanons, wie er in der BHS vorliegt, bestehen. Steins’ Arbeit von 1995 zielt auf die diachrone Fragestellung der Datierung: Wann kann die Chronik „Auslegungen“ und Einflüsse in dieser Weise frühestens geboten haben?93 Mit dem Schlagwort Diachronie ist das dritte Problem angesprochen. Die Ergebnisse einer intertextuellen Beobachtung liefern nicht notwendig Aussagen über die Reihenfolge der literarischen Abhängigkeit von Texten, und damit auch nicht über ihre zeitliche Reihenfolge. Es sind intertextuelle Bezüge auch zu später entstandenen Werken möglich. Darüber hinaus sind Textfunktionen und Sinnpotentiale denkbar, die weder eine Autorschaft noch eine Redaktion intendiert hatten.94 Aus diesem Grund eignet sich beispielsweise die „Weglassprobe“ nicht, um literar- oder redaktionskritische Entscheidungen zu treffen. Die Probe scheidet nicht „Einfügung“ aus „Original“ oder „Redaktion“ aus „Grundtext“, sondern kontrastierendes Material nur zu Untersuchungs­ zwecken aus einem als einheitlich vorgestellten Text. In diesen Zusammenhang gehört als Spezialproblem der Chronikforschung die Frage, in wie weit eine Abhängigkeit der Chronikbücher vom „deuteronomistischen Geschichtswerk“ für eine solche Untersuchung eine Rolle spielen muss oder auch nur kann. Tatsächlich eignet sich die leserorientierte Funktionsanalyse kaum, um diese Frage bei zwei Texten, die derart eng verzahnt sind wie Samuel/ Könige und Chronik, zu beantworten. Im Grunde spiegeln die beiden möglichen Extrempositionen den Forschungsstreit über die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Überlieferungen des „deuteronomistischen Geschichtswerks“ und der Chronik wieder: Entweder sind die Texte als im Ganzen aufeinander bezogen zu lesen, was einem textgeschichtlichen Modell des „Nacheinander“ entspräche. Dann hätte die Chronik von Samuel/Könige „abgeschrieben“, da sie mit einiger Wahrscheinlichkeit jünger ist. Oder es handelt sich um zwei Überlieferungen des­ selben Textes. Das entspräche dem Modell eines gemeinsamen Urtextes, von dem sich, wenn auch abhängig voneinander, so doch getrennt, Samuel/Könige und Chronikbücher entwickelt hätten.95 Im ersten Fall wäre eine intertextuelle Analyse schlicht sinnlos, da das Modell bereits ein Abhängigkeitsverhältnis voraussetzt, bei dem Samuel/Könige Hypotext der Chronikbücher sind; im zweiten Fall wäre jede noch so geringe Abweichung auf ihre Signifikanz hin zu untersuchen – 92 Steins diskutiert ausführlich die hierzu bis zum Erscheinen seiner Dissertation 1995 vorgelegten Ansätze (vgl. vor allem Steins, Abschlußphänomen, 39 f; 46 ff; 100–106 und öfter). 93 Vgl. Steins, Abschlußphänomen, 27; 417. 94 Vgl. Gillmayr-Bucher, Intertextualität, Abschnitt 3; Hieke, Verstehen, 75. 95 Wie bei der Darstellung des Forschungsstandes erwähnt, ist diese Frage jüngst wieder aufgegriffen worden. Auf Graeme Auld, der diese These auch gegen Widerstände verteidigt, antwortete zuletzt polemisch Isaac Kalimi. Siehe dazu oben Fußnote Nr. 43.

Auswahl der untersuchten Texte

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ein Unterfangen, das faktisch nicht mehr intertextuelle Analyse, sondern Textkritik wäre. Thomas Willi beschreibt diesen kritischen Vorgang so: „Wie verläuft das Gefälle zwischen deuteronomistischem und chronistischem Geschichtswerk? Eine sichere Basis für die Beantwortung dieser Frage bietet eine durchgehende Feststellung und kritische Sichtung der Unterschiede in parallel laufenden Texten.“96

Die Lösung des Dilemmas liegt, nicht ohne Ironie, in der bisherigen Konzentration der Chronikforschung gerade auf die Text- und Überlieferungsgeschichte. Es existieren bereits mehrere detaillierte Studien und ganze Kommentarbände, die sehr genau Differenzen zwischen „deuteronomistischem Geschichtswerk“ und Chronikbüchern aufzeigen.97 Wo immer erforderlich, wird daher im Folgenden auf entsprechende Fundstellen verwiesen. Aus pragmatischen Gründen konzentriert sich die aktive Suche nach Hypotexten auf Kanonteile außerhalb der Samuel- und Königsbücher, was aber nicht heißt, dass das „deuteronomistische Geschichtswerk“ außer Acht gelassen wird.

4. Auswahl der untersuchten Texte Das grundlegende Kriterium ist die Hinwendung zu Gott selbst – „Gebet“ im weitesten Sinne. Zunächst geht es um ausformulierte Texte, die als Gebet gekennzeichnet sind. Sei es, dass sie sich durch direkte Anrede an Gott (JHWH) richten, was gegebenenfalls entsprechende Signalworte anzeigen (etwa ‫ פלל‬Hitpael beten, ‫ כנע‬Nifal rufen und andere98); oder dass sie durch Gesten und Körperhaltung auf der Textwelt-Ebene als Gebet kenntlich gemacht werden;99 oder dass sonst eine Hinwendung zu Gott deutlich wird. Es geht um ein „anthropologisches Grundphänomen“,100 für das es im Alten Testament (noch) keinen einheitlichen, abstrakten Namen wie das deutsche Wort „Gebet“ gibt.101 Im Fall des Bittgebets Salomos zur Tempelweihe ist auch die göttliche Reaktion von Interesse, ebenso bei Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Ammon und Moab, zumal im Kontext dieses Kapitels (2Chr 20) ein Gebet, eine Abbreviatur und unrecorded prayers in nächster Nähe zueinander auftreten. Eine Ausnahme bildet zudem die Oratio Manasse. Selbst nicht in der Chronik enthalten, wurde sie aufgrund von Indikatoren im Text von 2Chr 33 dieser Erzählung zugeordnet. 96 Willi, Auslegung, 66. 97 Bibliographiert von Kalimi, Textparallelen, 27–30. 98 Eine Übersicht über die hier relevanten Signalworte bieten die Tabellen Nr. 3 und 4. 99 Vgl. Leuenberger, Gebet, Abschnitt 1.2 f; Albertz, Gebet, TRE 12, 34; zu den Termini speziell in der Chronik vgl. auch die Liste bei Royar, Denn der Herr, 15. 100 Leuenberger, Gebet, Abschnitt 1.1. 101 Vgl. Leuenberger, Gebet, Abschnitt 1.2 und andere.

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Kapitel 1: Einführung

Diesen klar ausgezeichneten Texten gesellen sich in der Chronik Stellen hinzu, die keinen ausgeführten Gebetstext bieten, die aber – entweder durch eine prägnante Wendung auf Gebetstexte intertextuell ver­ weisen – die Abbreviaturen;102 – oder durch ein Signalwort auf ein Gebet hinweisen, den Text aber nicht überliefern – die Fälle von unrecorded prayers;103 – sowie solche, die ein Gebet nur implizieren. Es wird sich zeigen, dass die Funktion von Gebetsgesten und impliziten Gebeten jener der Signalworte für unrecorded prayers ähnlich ist. Dennoch erweist sie sich als so unterschiedlich, dass den Gesten und impliziten Gebeten ein eigener Abschnitt gewidmet werden wird. Im Gegensatz zu den Gebetstexten sind implizite Gebete intertextuelle Verweise, die nur auf der Ebene der Test-Leser-Kommunikation als solche funktionieren. Die Suche gilt den vernetzten Hypotexten und den dadurch in den Kontext der Hypertexte eingetragenen Sinnpotentialen. Die nachfolgenden Tabellen bieten eine Übersicht über die damit bestimmten Textstellen.104 Tabelle  1 listet die ausformulierten Gebetstexte mit ihrer­ Stellenangabe, einer Kurzbezeichnung und dem Betenden auf. Zur leichteren Orientierung ist angegeben, wer auf Textebene als Sprecher gekennzeichnet ist, und welcher Abschnitt in Kapitel 2 sich mit der Textstelle befasst. Tabelle 2 verfährt ähnlich für die Abbreviaturen, listet jedoch statt einer Kurzbezeichnung den Kontext und die Wendung direkt auf. Die Abbreviaturen behandelt das zweite Kapitel in Abschnitt  13. Tabelle  3 bietet eine Übersicht über die Bibelstellen mit unrecorded prayer in der Chronik (Kapitel 2, Abschnitt Nr. 14) und Tabelle 4 schließlich eine über die impliziten Gebete, die im zweiten Kapitel in Abschnitt 15 behandelt werden.105 Die Synthese der Beobachtungen zu den einzelnen Textstellen steht in Kapitel 3. Textgrundlage für die Analyse ist der Text der BHS. Wo die Textkritik Einspruch gegen deren Textbestand erhebt, werden diese Probleme an jenen Stellen erörtert, an denen die Entscheidung für die Analyse von Bedeutung ist; dies gilt für alle Textzeugen, insbesondere die Septuaginta.106

102 Zur Definition siehe Kapitel 2, Abschnitt Nr. 13.1. 103 Zur Definition siehe Kapitel 2, Abschnitt Nr. 14.1. 104 Die Abweichungen zu den von Beentjes, Psalms and Prayers, 10 f, aufgestellten Übersichten ergeben sich durch die größere Zahl der in dieser Arbeit berücksichtigten Wurzeln und durch die abweichende Einteilung (auch die „Psalmen“ fallen unter die Kategorie „Hinwendung zu Gott“ und sind in dieser Eigenschaft nicht von anderen Gebeten unterschieden). 105 Vgl. zu den Listen der Signalworte auch die Liste mit „Gebetshandlungen“ bei Rösel, dann will ich hören, 361, Fußnote 25. 106 Vgl. Utzschneider, Text – Leser – Autor, 229 f.

35

Auswahl der untersuchten Texte

Tabelle 1: Übersicht über die ausformulierten Gebetstexte Stelle

Kurzbezeichnung

Beter

Nr.

1Chr 4,10

Jabez’ Bittgebet

Jabez

1

1Chr 14,10

Befragung Gottes im Philisterkrieg

David

2

1Chr 16,8–36

Dankgebet zur Ladeüberführung

Leviten

3

1Chr 17,16–27

Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „NatanVerheißung“

David

4

1Chr 21,8.17

Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung

David

5

1Chr 29,10–19

Davids Dankgebet zu Salomos Krönung

David

6

2Chr 1,8–10

Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon

Salomo

7

2Chr 6,1–2

Salomos Reaktion auf Gottes Erscheinen

2Chr 6,14–42

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe

Salomo

8

2Chr 7,12–22

Göttliche Antwort

2Chr 14,10

Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch

Asa

9

2Chr 20,6–12

Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und ­ Ammon

Joschafat

10

2Chr 20,15–17

Prophetisches Orakel in Antwort

2Chr 24,22

Secharja ben Jojadas Sterbebitte

Secharja

11

2Chr 30,18–19

Hiskijas Bittgebet zum Pessach

Hiskija

12

OrMan

Manasses (Sünden)Bekenntnis (zu JHWH)

Manasse

K.3:3.

Tabelle 2: Übersicht über die Abbreviaturen und die Formeln außerhalb ausformulierter Gebetstexte (Formeln in der Tabelle grau hinterlegt) Stelle

Situation/Kontext

Text

Beter

1Chr 16,41 Kultische Bestimmung Davids

‫להדות ליהוה‬

2Chr 2,11

Brief an Salomo

‫ישראל אלהי יהוה ברוך‬

2Chr 5,13

Tempelweihe

2Chr 6,4

Rede Salomos zur Tempelweihe

2Chr 7,3

Tempelweihe

2Chr 7,6

Tempelweihe

‫להדות ליהוה‬

2Chr 9,8

Rede an Salomo

‫ברוך אלהיך יהוה יהי‬

Königin von Saba

2Chr 12,6

Bittgebet im Kampf

‫יהוה צדיק‬

Rehabeam, Fürsten

2Chr 20,21 Bekenntnis zu JHWH im Kampf

‫הברורים אשר נקבו בשמות כי לעולם חסדו‬ Huram von Tyrus

‫ כי לעולם חסדו כי טוב ובהלל ליהוה‬Leviten ‫ברוך יהוה אלהי ישראל‬

Salomo

‫ כי לעולם חסדו  כי טוב  והודות ליהוה‬Söhne Israel

‫הודו ליהוה‬

‫ לעולם חסדו כי‬Leviten

‫ כי לעולם חסדו‬Sänger

36

Kapitel 1: Einführung

Tabelle 3: Übersicht über die Bibelstellen mit unrecorded prayer in der Chronik107 Stelle

‫ברך‬ Piel

‫הלל‬ Piel

1Chr 5,20

‫זעק‬/‫צ‬ ‫פלל‬ Qal Hitpael 

die Nomen ‫ תפלה‬ und ‫ תחנה‬

‫שאל‬ Qal

Beter

Heer



1Chr 14,14



David

1Chr 16,2



David

1Chr 16,43



David

1Chr 23,13



Aaron und Söhne

1Chr 29,20



Gemeinde

2Chr 6,3



Salomo   …    …

2Chr 6–7 2Chr 13,14



Heer

2Chr 18,31



Joschafat

2Chr 20,18–19 2Chr 20,26

Volk



2Chr 23,13 2Chr 29,28–30 2Chr 30,21 2Chr 30,27



2Chr 31,8



2Chr 32,20

Joschafat, Leviten





Sänger

107

Leviten, Volk



Leviten 

Leviten Hiskija, Obere



Hiskija, Jesaja

2Chr 32,24



Hiskija

2Chr 33,12–13



2Chr 33,18–19





Manasse



Manasse

107 Die Wurzel kommt zwei Mal vor, doch das erste Vorkommen ist kein Signal für unrecor­ ded prayer, sondern die Aufforderung zum Gebet, der das unrecorded prayer dann nachkommt.

37

Zusammenfassung

Tabelle 4: Übersicht über die Vorkommen der Schlüsselbegriffe für implizite Gebete (ohne die Belege für ‫ ברך‬und ‫)הלל‬ Stelle

‫ חוה‬Hištafel  ‫ כנע‬Nifal  und ‫ קדד‬Qal  (und ‫ חלה‬Piel )

‫עמד‬ Qal

‫קרא‬ ‫ שען‬sich rufen, stützen anrufen auf

1Chr 21,26 1Chr 29,20

Beter

David



Gemeinde



2Chr 6–7 2Chr 7,6



Volk

2Chr 9,7



Volk

2Chr 13,18



Söhne Juda

2Chr 16,8



Asa

2Chr 20,13 2Chr 20,18–19



Joschafat, Leviten



2Chr 29,11 2Chr 29,28–30

Volk



Volk Leviten, Volk



2Chr 30,11



Männer

2Chr 32,26



Hiskija, Jerusalemer

2Chr 33,12–13



Manasse

2Chr 33,18–19



Manasse

5. Zusammenfassung In den narrativen Faden der Chronikbücher sind Gebete eingebettet. Sie zeichnen sich durch direkte Hinwendung zu Gott aus. Im Fall der ausformulierten­ Gebete grenzen sie sich durch stärkere sprachlich-stilistische Überformung von ihrem Rahmen ab. Diese Texte sind besonders reich an Bezügen zu anderen Texten des hebräischen Kanons. Diese Arbeit fragt mit Hilfe rezeptionsorientierter Methoden, was diese Gebete durch intertextuelle Bezüge bei einem Modell-­Leser voraussetzen und/oder auslösen, das heißt, die Kenntnis welcher weiteren Texte („Hypotexte“) aus dem Kanon der Hebräischen Bibel neue Sinnpotentiale ergänzt.

38

Kapitel 1: Einführung

Dazu werden zunächst aus den Texten selbst literarische, gesellschaftliche und theologische Funktionen erhoben. Dabei werden durch genaue Textbeschreibung in ihnen sprachliche Zeichen („Hypertexte“) als Indikatoren für potentielle Hypotexte bestimmt. Die Textauswahl wird um jene Stellen erweitert, die in formelhaften Wendungen Teile von Gebeten aufgreifen („Abbreviaturen“). Dazu kommen Stellen, die im Textverlauf der Chronik Gebete anzeigen, deren Text aber nicht überliefert ist (unrecorded prayers). Im nächsten Schritt werden die Funktionen all dieser­ Formen der Beschreibung von Hinwendung zu Gott verglichen, besonders in Bezug auf ihre Funktion(en) als Hypertexte. Dies weist auf, wie das Wissen um zuvor gelesene Texte die Deutung der Chronikpassagen verändert, die Chronik also den Leseprozess steuert. Diese Arbeit zeigt, dass sowohl Abbreviaturen wie Signalworte für unrecorded prayers ähnliche Funktionen wie die ausformulierten Gebete erfüllen: Sie erschließen den Chronikbüchern Sinnpotentiale, die ohne sie nicht gegeben wären. Ein Exkurs zur Oratio Manasse im Kontext der Septuaginta als weiterer Kanonausprägung belegt, dass die durch Intertextualität entstehenden Sinnpotentiale im Laufe der Rezeptionsgeschichte tatsächlich aufgegriffen und weiterentwickelt wurden und sich dies wiederum textlich niedergeschlagen hat. Abschließend­ lassen sich aus der Gesamtschau Rückschlüsse auf Pragmatik und Theologie der Chronikbücher als Ganzes ziehen.

Kapitel 2: Einzelanalysen 1. Jabez’ Bittgebet (1Chr 4,10) 1.1 Formale Gestalt 1.1.1 Abgrenzung Das Gebet des Jabez ist eines von nur zwei in der Chronik wiedergegebenen Gebeten, die nicht einem König zugeordnet sind. Zudem steht es nicht in einem größeren narrativen Rahmen, sondern in den Genealogien im ersten Teil von 1Chr, genauer: in der Genealogie des Juda.1 Die Abgrenzung des Gebets wie der Geschichte fällt leicht: Die Episode beginnt mit dem Erzählanfang ‫( ויהי‬1Chr 4,9a); das Gebet mit einer Redeeinleitung in Vers 10a.aI. 1Chr 4,11 setzt übergangslos die Genealogie fort, die in 1Chr 4,8 der Jabez-Episode vorangeht. Es scheint, als sei das Gebet nicht in den Kontext eingebunden.2

1.1.2 Übersetzung Und Jabez war angesehener3 als seine Brüder. Und seine Mutter nannte ihn „Jabez“ und sagte: „Denn ich habe in Schmerz geboren.“ 10a Und Jabez rief zum Gott Israels 10aI und sagte:4 10b „Wenn du mich doch segnen, ja segnen würdest, 10c Und wenn du mein Gebiet vergrößertest, 10d und deine Hand mit mir wäre, 10e und wenn du vom Bösen5 bewirktest, 10eI dass es mich nicht schmerzt!“ 10f Und Gott gewährte 10g das, was er erbeten hatte.

9

1 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 35; 133. Die Verbindung der Verse zu den Genealogien stellt vor einige Probleme, vgl. Heard, Echoes, Rn. 2.1. Die Verse 1Chr 4,9–10 sind eine von mehreren „narrativen Inseln“ in den Genealogien, vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 12. 2 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 129 f. Vgl. aber auch Pratt, Chronicles, 99 f, der vorschlägt, das Gebet als Rettung der Ehre der Linie des Perez zu verstehen, zu der Jabez gehört. 3 Wörtlicher könnte auch „gewichtiger“ stehen, aber „angesehen“ entspricht wahrscheinlich eher dem Sinn. 4 Hier und im Folgenden werden die erzählenden Textteile, in die ein Gebet eingebettet ist, in den Übersetzungen kursiv dargestellt. 5 R. Christopher Heard hat für ‫ ועשית מרעה לבלתי עצבי‬eine alternative Übersetzung vorgeschlagen, die auf dem reinen Konsonantentext beruht: „wenn du mir Weideland (‫)מרעה‬ verschafftest, ohne dass ich Schmerz verursache (Suffix am Infinitiv als Akkusativ)“ (Heard, Echoes, Rn. 2.10, in Übersetzung). Diese Lesart würde in der Tat einige Probleme lösen; sie wird aber nur von einigen (mittelalterlichen) Manuskripten geboten.

40

Kapitel 2: Einzelanalysen

1.1.3 Struktur Den Ausführungen von Sara Japhet zur Struktur des kleinen Abschnitts kann auch in ihren Wertungen zugestimmt werden: „Die Ausgewogenheit der literarischen Struktur ist eindrucksvoll… Das kunstreichste Element in der Erzählung ist das Gebet (V 10a).“6 Eingefügt in die von ihr übernommene Gliederung des Abschnitts ist die Feingliederung von Vers 10 (mit Thomas Willi):7 Exposition, Spannung zwischen Name und Position des Trägers Worte der Mutter (direkte Rede mit Wortspiel) 10a–eI Jabez’ Gebet (direkte Rede mit Wortspiel) 10a.aI Redeeinleitung 10b Thema: Segen Gottes (allgemein) 10c 1. Realisierung: Gebietserweiterung (konkret) 10d 2. Realisierung: Göttliche Unterstützung (allgemein) 10e.eI 3. Realisierung: Erlösung von dem Bösen (konkret) 10fg Abschluss mit Begründung für Ausgangspunkt 9a

9b–c

Das Gebet ist eine Reihung von vier Wünschen (10b–eI), deren letzte drei ein sich steigerndes Trikolon bilden. Thomas Willi beschreibt ausführlich die „Kunsthaftigkeit“ des Texts und hebt die Möglichkeit hervor, die Formulierung „‫ אם‬und Perfekt“ grammatisch als Wunsch zu verstehen („Protasis ohne Apodosis als Wunsch“).8 Wenn er auch Vers 9 nicht weiter unterteilt,9 stellt er ebenfalls fest: „Bei diesem Aufbau kommt alles Gewicht auf das Gebet von Jabez und seine göttliche Erhörung zu liegen.“10 Die Struktur der Exposition erinnert ihn zudem an Gen 4,2 und die Geschichte von Kain und Abel, die des Gebets an Psalmen.11

1.2 Aussage- und Sprechhandlungsgehalt Jabez’ Bittgebet und sein Kontext spielen mit Erwartungen an Textabläufe. Der Satzanfang mit ‫ אם‬weckt die Erwartung einer Folge: „Wenn du mich segnest, dann…“ Diese Folge ist aber nicht ausgedrückt. Solche Konstruktionen begegnen 6 Japhet, 1 Chronik, 134. 7 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 134. Zur Feingliederung vgl. Willi, Chronik, 127 f. 8 Vgl. Willi, Chronik, 127 f; ähnlich Beentjes, Psalms and Prayers, 13: „supplication“. 9 Willi, Chronik, 127 beschreibt die Struktur der „Insel“-Verse mit dem Dreierschema Exposition (Vers 9), Durchführung (10a–eI) und Conclusio (10fg). 10 Willi, Chronik, 127. 11 Vgl. Willi, Chronik, 127; zu den Psalmen schreibt Willi an derselben Stelle: „‫ אם‬statt des häufigeren ‫ לו‬als Einleitung zu einer solchen Protasis ohne nachfolgende Apodosis im Sinne eines Wunsches […] begegnet auch in Ps 81,9; 139,19; Spr 24,11 u. ö.“

Jabez’ Bittgebet (1Chr 4,10)

41

außerhalb der Chronik in den Psalmen; Willi nennt Ps 81,9; 139,9 als Beispiele.12 In beiden Fällen geht es um göttliche Rettung. Die Parallele der Handlungen von Mutter (9b) und Sohn (10a) verstärkt die Erwartungshaltung noch.13 Weiterhin hat Willi eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen der Einleitung zu diesem Gebet (Vers 9) und Gen 4,2 festgestellt: Die grammatische Konstruktion mit dem Chiasmus ‫ו‬-Verbform/Subjekt im ersten und ‫ו‬-Subjekt/Verbform im zweiten Versteil14 erscheint ihm prägnant genug, um eine Verbindung zwischen Jabez und Kain herzustellen. Das Wortspiel mit dem Namen Jabez und der Erklärung dafür (1Chr 4,9) ist schließlich eine klare Anspielung auf Gen 3,16 und das Schicksal der Frauen nach dem „Sündenfall“.15 Gen 3,16 und 1Chr 4,9 sind die einzigen Vorkommen der Wurzel ‫ עצב‬als Nomen verbunden mit der Präposition ‫ב‬.16 Dazu kommt der Gebrauch der Wurzel ‫ברך‬, für deren Imperfekt Gerhard Wehmeier 1970 konstatiert: „Offenbar wurden Segensformeln ursprünglich im Indikativ gesprochen: die in ihnen beschriebene glückliche Zukunft wurde als eine schon in Kraft getretene Wirklichkeit zugesagt (z. B. Dt 28,3–6; Nu 24,5–9).“17 Das Motiv einer Gebietserweiterung (10c) ist in dieser Form der Verbindung von ‫„( גבול‬Gebiet, Grenze“) mit der Verbalwurzel ‫„( רבה‬vermehren“) singulär. Sehr ähnlich, mit der Wurzel ‫„( רחב‬erweitern, vergrößern“) konstruiert, findet es sich in Ex 34,24; Dtn 12,20; 19,8 und Am 1,13.18 Bei Amos werden die „Söhne Amon“ für ihr Verhalten getadelt. Es sind nicht JHWH oder Israel, die handeln. In Dtn 12,20; 19,8 ist die Rede von der Gebietserweiterung bereits textlich als „Rückblende“ markiert (12,20: „wie er zu dir geredet hat“; 19,8: „wie er deinen Vätern geschworen hat“); es ist möglich, die Verse ihrerseits als Rückverweis auf Ex 34 zu lesen.19 Der Wunsch nach einem „weit(er)en Land“ ist ferner verwandt mit dem Motiv des „(guten und) weiten Landes“ (‫)ארץ טובה ורחבה‬ aus Ex 3,8 (Neh 9,35; Jes 22,18), das nur wenig später in 1Chr 4,40 direkt aufgegriffen wird.

12 Vgl. Willi, Chronik, 127. 13 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 132. 14 1Chr 4,9: ‫ו = ויהי יעבץ נכבד מאחיו‬-Verbform/Subjekt = Gen 4,2: ‫;ויהי הבל רעה צאן‬ 1Chr 4,9: ‫ו = ואמו קראה שמו יעבץ‬-Subjekt/Verbform = Gen 4,2: ‫ וקין היה עבד אדמה‬. 15 Vgl. Willi, Chronik, 126; Japhet, 1 Chronik, 133. 16 Vgl. Heard, Echoes, Rn. 2.7. 17 Wehmeier, Segen, 140 f. 18 Vgl. Halbe, Privilegrecht, 163. 19 Vgl. Konkel, Sünde, 228 f.

42

Kapitel 2: Einzelanalysen

1.3 Literarische, gesellschaftliche und theologische Funktion Das erste Gebet, das die Chronik wiedergibt, gehört als Gebet eines „Nicht-Königs“ und mit seiner scheinbaren Isolation innerhalb des Kontextes zu den Ausnahmen. Umso stärker treten Entsprechungen zu den übrigen Gebetstexten in den Vordergrund. Der Jabez-Abschnitt schließt mit der Notiz, dass Gott der Bitte stattgegeben habe (Vers 10f.g). Eine solche „Schicksalswende“ durch Gott gibt es mindestens einmal zuvor im Kanon:20 Thomas Willi verbindet das Schicksal des Jabez, das Gott auf dessen Bitte hin ändert, mit jenem Kains (Gen 4). Kains Leben steht nach dem Brudermord an Abel unter einem schlechten Vorzeichen, dennoch setzt sich seine Abstammungslinie bis zur Sintflut fort (Gen 4,17).21 Ein auffälliger Unterschied zwischen den Gottesanreden Kains (Gen 4,9.13–14) und Jabez’ liegt darin, dass Kain klagt und Jabez bittet beziehungsweise wünscht,22 jeweils ohne das andere Element; in beiden Fällen aber handelt Gott hernach, in Erhörung der unausgesprochenen Bitte Kains wie in Erfüllung der Wünsche des Jabez. Willi deutet die Möglichkeit der Wende des Schicksals im Fall der Chronik auf das Schicksal Judas: Auch für dessen Weg ist durch göttliches Eingreifen ein positiver Wandel möglich.23 Der Text spricht den Leser noch auf einer anderen Ebene an: Die Wünsche sprechen in eine Zeit, da Juda faktisch nur noch ein unbedeutendes Anhängsel größerer Reiche ist.24 Was Jabez ausspricht, ist im Sinne einer Utopie25 der manifeste Wunsch nach mehr Raum. Spätestens in der Makkabäerzeit versuchen potentielle reale Leser des Textes, tatsächlich Gebietserweiterungen durchzusetzen (vgl. beispielsweise 1Makk  2). Der Verweis auf die Genesis spielt einen Wunsch nach „Erlösung“ des durch das „Böse“ verursachten Schmerzes in eine Zeit der politischen Bedeutungslosigkeit Judas ein. Das könnte als Ausdruck eines Wunsches nach Befreiung von Besatzung oder Annexion durch fremde Mächte gelesen werden – ohne diesen Wunsch explizit zu machen. Dazu passt die Formulierung des Wunsches nach der „Gebietserweiterung“, die das Privilegrecht Ex 34,10–26 einspielt. Jörn Halbe nennt diese Verse so,26 weil es in Exodus um wechselseitige Ansprüche (oder eben Privilegien) für JHWH und Israel

20 Und noch mehrfach in der Chronik; etwa beim Eingreifen Gottes zur Rettung Israels im Kampf gegen Moab und Ammon unter Joschafat, nach Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon in 2Chr 20,6–12. 21 Vgl. Willi, Chronik, 128. 22 Vgl. Willi, Chronik, 127. 23 Vgl. Willi, Chronik, 128. 24 Vgl. Frevel, Grundriss, 309. 25 Durchaus im Sinne Steven Schweitzers, vgl. Schweitzer, Utopia, 14 ff. 26 Vgl. Halbe, Privilegrecht, 226.

Befragung Gottes im Philisterkrieg (1Chr 14,10)

43

geht: JHWH gewährt Israel Zugriff auf Land und erhebt im Gegenzug Anspruch darauf, (allein) Gott Israels zu sein.27 Für den Bezug des Textes auf eine Epoche äußerer Bedrängnis spricht neben dem abermaligen Aufgreifen des Motivs „weiten Lebensraumes“ im näheren Umfeld (vgl. 1Chr 4,40) zudem die selbstvergewissernde Funktion des Phänomens der Genealogien im Allgemeinen, die Hans-Peter Mathys wie folgt zusammenfasst: „Die Genealogien setzen mit Adam und also der Menschheit ein, zielen aber auf das ‚auserwählte Volk‘ Israel und seine Gesalbten, angefangen bei David: Bei ihnen gelangt Gottes Handeln gleichsam zu seinem Ziel – und gleichzeitig neuem Ausgangspunkt. Die dürre Abfolge von Namen – allerdings immer wieder von andersartigen Elementen unterbrochen – enthält in sich also eine steile theologische Aussage, die in karger Zeit Israel zeigt, was und wie bedeutend es ist.“28

Insofern ist Jabez’ Bittgebet doch in den Kontext eingebunden: Es verschränkt die Vergangenheit (in der Ätiologie des Namens wie den umgebenden Genealogien) und die Gegenwart seiner Leser. Es steht wie eine Überschrift über den übrigen Gebetstexten in der Chronik; das ist seine literarische „Funktion“.29 Der Mensch betet, aber stets ist es Gott, der eine Entscheidung trifft. Die Hoffnung, die sich darin für den Leser verbirgt, ist, dass auch sein Schicksal von Gott gewendet werden kann. Der Verweis von 1Chr 4,9bc auf Gen 3,16 schärft dieses Profil von 1Chr 4,10 nochmals deutlich an: Es ist Gott, der Gen 3 zufolge den Schmerz als Strafe für die Übertretung seines Gebotes (Gen  2,16–17) einsetzt. Und er selbst ist es, der auf Bitten (oder Klagen, im Falle Kains) hin dieses Schicksal auch wieder wendet. Ähnlich ist auch das Verhältnis von Israel und seinem Gott in Ex 34,24 (10–26) zu lesen, das durch 1Chr 4,10c anklingt. JHWH schafft die Voraussetzungen für Israel, und damit für seine eigene Verehrung.

2. Befragung Gottes im Philisterkrieg (1Chr 14,10) 2.1 Abgrenzung und Struktur Vers 1Chr 14,10 gibt ein Gespräch zwischen David und JHWH wieder. Davids Orakelanfrage 10bc ist formal ein Gebet. Inhaltlich geht es um eine Anfrage oder Befragung Gottes im Krieg gegen die Philister. Jenseits eines jeweiligen ‫ אמר‬zur Einleitung der wörtlichen Reden Davids und Gottes gibt es in diesem Fall aber keine Signale, die eine „Abgrenzung“ vom Kontext erlauben würden; im Gegen 27 Vgl. Halbe, Privilegrecht, 225–228. 28 Mathys, Numeri und Chronik, 563 f. Ähnlich Oeming, Israel, 211–217. 29 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 14. In dieser Funktion ordnet sich das Gebet hervorragend in die Genealogien der Kapitel 1Chr 1–9 ein, vgl. Oeming, Israel, 216 ff.

44

Kapitel 2: Einzelanalysen

teil steht der Vers völlig eingebunden in einer erzählenden Satzfolge (‫ וישאל‬in 10a und ‫ ויאמר‬in 10d sind Narrative). ‫ונתתם בידי‬ 10c

‫האעלה על פלשתיים‬ 10b

‫לאמר‬ 10aI

‫ונתתים בידך‬ 10f

‫עלה‬ 10e

‫ויאמר לו יהוה‬ 10d

10a Und

David befragte Gott

10aI und

sagte:

10d und JHWH sagte zu ihm:

10b „Soll

‫וישאל דויד באלהים‬ 10a

ich hin­ aufsteigen zu den Philistern,

10c und

10e „Zieh

10f Und ich werde sie in deine Hand geben.“

hinauf!

wirst du sie in meine Hand geben?“

An der Konstruktion des Zwiegesprächs fällt auf, dass die beiden wörtlichen Reden Davids und Gottes einander sehr ähnlich sind. Frage und Antwort bilden einen synthetischen Parallelismus, wobei sie aus vergleichsweise „gewöhnlichen“ militärischen Begriffen bestehen.30 Die Gottesrede erspart lediglich den Hinweis auf die Philister und die grammatischen Formen sind verschieden.

2.2 Aussage- und Sprechhandlungsgehalt Besondere Beachtung verdient die in der Einleitung in Vers 10a verwendete Wurzel ‫שאל‬. Klassisch gilt diese Wurzel als terminus technicus im JHWH-Krieg.31 Die Kombination aus der Befragung JHWHs (‫ שאל‬Qal32) mit dem „Hinaufziehen und in die Hand geben“ (‫ )עלה ונתתים בידך‬prägt dabei besonders das Buch Richter. Gleich zu Beginn (Ri 1,1) „befragen“ die Israeliten Gott nach dem Nachfolger Josuas, dessen Aufgabe das „Hinaufziehen“ ist, in dessen Folge JHWH den Israeliten das Land „in die Hand gibt“. „In die Hand geben“ als Ziel eines Feldzuges durch Gott ist ein fester Topos, ebenso wie die Landgabe. Wiederholte Befragung Gottes und eine im Wortlaut sehr ähnliche Antwort erzählt Ri 20 (vgl. Vers 28) in der Geschichte der „Untat von Gibea“, beziehungsweise des israelitischen Feldzugs in Antwort darauf. Die meisten Sprechakte in 1Chr 14,10 sind auch bei näherer Betrachtung das, was sie der Grammatik nach zu sein scheinen: einfache Aussagen und Fragen. Ein interessantes Detail bietet 10f: Gott gibt ein Versprechen an David ab und übernimmt die Initiative. David hat zwar noch die Aufgabe, seine Leute gegen die Philister anzuführen, aber der Text legt Gott selbst die Aussage in den Mund, dass JHWH für den Sieg verantwortlich ist, nicht David. David erkennt das auch an, denn er fragt gleich, ob Gott ihm die Feinde „in die Hand gibt“. 30 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 284; Willi, Auslegung, 147. 31 Vgl. Westermann, Fragen und Suchen, 170. 32 Zu Statistik und Bedeutung dieses einzelnen Wortes siehe Abschnitt Nr. 14.6.

Befragung Gottes im Philisterkrieg (1Chr 14,10)

45

„Die Gottesbefragung ist eine Seite des Vorgangs, der Frage und Antwort umfasst. Die Antwort enthält die Zusage (Ich gebe in deine Hand), die die Fragenden des Beistandes Gottes gewiss macht.“33

Ergänzend zu dieser Einsicht von Westermann nimmt hier einerseits die Frage die Antwort schon vorweg; andererseits liegt in der Zusage immer noch der Hinweis auf die Handlungsmacht Gottes. 1Chr 14,10 nimmt eine „Zwischenposition“ ein, wie Westermann sie beispielhaft an 1Sam  23,9–13 erläutert:34 David fragt Gott, aber die Frage ist nicht offen.

2.3 Funktionsanalyse Der Text überführt die Frage Davids in eine Aussage, die zugleich noch ein Versprechen Gottes beinhaltet – eine Selbstverpflichtung, die die Zusagen Gottes in 1Chr 17 und 2Chr 7 vorwegnimmt. Dadurch ändert sich die Bedeutung der kleinen Geschichte, denn der Sieg, von dem 1Chr 14,11 berichtet, kann entgegen dem ersten Anschein nicht David angerechnet werden. Ohne die „Befragung“ und die Antwort wäre Vers 11 im Extremfall sogar dahingehend missverständlich, dass Davids (militärische, politische) Macht den Sieg bringt: „Durch meine Hand (‫ )בידי‬hat Gott durchbrochen“. Funktionieren würde die Geschichte auch ohne das Gebet; seine Bedeutung liegt also weniger auf der textweltlichen Ebene als auf jener der Text-Leser-Kommunikation. Bekräftigt wird das Thema der Führung durch Gott durch die Wiederholung der Befragung, als von einem zweiten Angriff der Philister die Rede ist (1Chr 14,14). Vers 16 stellt darüber hinaus ausdrücklich fest, dass David in seinem militärischen Handeln nur das ausführt, was „Gott ihm befohlen“ hatte (‫)כאשר צוהו האלהים‬. Das Gespräch zwischen David und Gott, mithin Davids betender Redeanteil, dient literarisch und theologisch also dazu, die Souveränität Gottes zum Ausdruck zu bringen. Darüber stellt der Text David aber mit den Topoi der Gottesbefragung und des JHWH-Krieges noch in die Tradition der charismatischen Führer der Richterzeit. Entsprechend kontrastiert die Episode David mit Saul: Sich an Gott zu wenden ist genau das, was Saul unterließ (1Chr 10,13–14; ‫ )לא דרש‬und weswegen Gott ihn verwarf.35 David dagegen verhält sich beispielhaft.36 Ergänzt wird der paradigmatische Charakter durch den Auftritt der „Philister“. Dieses Thema ist

33 Westermann, Fragen und Suchen, 171. 34 Vgl. Westermann, Fragen und Suchen, 171 f. 35 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 341. 36 Vgl. Williamson, Chronicles, 116.

46

Kapitel 2: Einzelanalysen

hier zum Topos geworden.37 Dem Beispiel Davids folgen dann andere Könige: Asa und Joschafat; allerdings fragen sie tatsächlich nicht mehr, sondern äußern in ihren Gebeten ausdrücklich konkrete Bitten.38

3. Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36) 3.1 Formale Gestalt 3.1.1 Abgrenzung Der Text von 1Chr 16,8–36 hat bereits viele Bezeichnungen erhalten: Ohne Bezug auf die vermutete Entstehung ist er „(Davids) Dankpsalm“39, ohne Bezug auf den Inhalt ein „Kompositpsalm“40, ein „Medley“41 oder anderes. Das liegt womöglich an den nicht ganz klaren formalen Kennzeichen: Es gibt keine Redeeinleitung, die die Verse auf Textebene als wörtliche Rede kennzeichnen würde. Ebenso wenig wird Gott in der zweiten Person angesprochen. Damit ist die Klassifikation als „Gebet“ zunächst nicht so offensichtlich wie bei den übrigen Texten dieser Arbeit. Immerhin sind sich die Textausgaben und bislang erschienenen Untersuchungen weitgehend darin einig, die Verse im Unterschied zu den sie umgebenden Teilen als Poesie aufzufassen. Diese relative Einigkeit besteht schon seit Abfassung des Codex Leningradensis: Er gibt genau diese Verse in Halbversen geschrieben als „Lied“ und damit als poetischen Text wieder. Ihm folgen die BHS und weitere Textausgaben. Diese Auffassung liegt nahe, weil die Verse vollständig aus (fast) wortgetreuen Psalm-Zitaten zusammengesetzt sind. James Watts nennt außerdem die Imperative am Anfang des Textes (Verse 8–9) als Kennzeichen, das häufiger den Beginn poetischer Teile von Prosa abhebt.42 Damit ist der „Kernbestand“ des Textes abgesteckt. Wesentlich weniger einig sind sich die Exegeten, was die Ein- und Ausleitung des poetischen Teils, die Verse 7 und 36b–d, betrifft. Das 16. Kapitel des ersten Teils der Chronik ist wohl einer der am besten untersuchten Abschnitte der gesamten Chronik; entsprechend viele Ansichten gibt es zur Frage der Einbettung. Eine Übersicht über die bis 2003 gemachten Vorschläge, die eine detaillierte Darstellung an dieser Stelle überflüssig macht, hat Mark Throntveit vorgelegt.43 Un 37 Vgl. Mosis, Untersuchungen, 59–77; als Beispiele für eine vergleichbare Verwendung in der Chronik nennt Roddy Braun 2Chr 21,16; 26,6 (vgl. Braun, Chronicles, 179). 38 Siehe zu Asa Abschnitt Nr. 9 und zu Joschafat Abschnitt Nr. 10.; vgl. Klein, 1 Chronicles, 339. 39 Japhet, 1 Chronik, 302. 40 Diller, Kompositpsalm. 41 Watts, Psalm and Story, 155; Balentine, Pray a Lie, 255. 42 Vgl. Watts, Song, 347. 43 Throntveit, Songs.

Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36)

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ter den neueren Untersuchungen sind vor allem jene von Adele Berlin und William Doan/Terry Giles sowie der Kommentar von Ralph Klein zu nennen.44 Als wichtigstes Kriterium zur Abgrenzung und Strukturierung erscheinen bei Throntveit neben der Zitation der Psalmen (deren Beginn und Ende sich leicht feststellen lässt) Verbformen und Inklusionen.45 Vers 6 steht noch im Perfekt und der dritten Person. Das ist die gleichzeitige Fortsetzung der narrativen Reihe aus Vers 4. Vers 8 setzt dann mit einer Imperativ-Form ein.46 In Vers 36b steht wieder eine Narrativ-Form. Die Kriterien „Verbform“ und „Inklusion“ lassen noch Spielraum bei der Interpretation zu: Zwar steht in Vers 7 ebenfalls noch ein Perfekt, und der Vers kann durchaus als logische Folge der Reihe der Verse 4–6 aufgefasst werden;47 ebenso lässt sich aber der Satzanfang ‫ ביום ההוא‬als Bruch verstehen.48 Watts zieht aus der Mehrdeutigkeit von Vers 7 in Verbindung mit der Stellung der Verse 8–36 zwischen Namenslisten noch weiter gehende Konsequenzen: „The medley’s position in the sequence of events in chs. 15–16 is ambiguous.“49 Eine Analyse von Vers 37 bringt auch keine Lösung; Japhet schlägt diesen Vers wegen der Wiederholung von „jeder Tag“ noch dem „Einschub“ zu.50 Für Throntveit gehört schon Vers 36 nicht mehr zum Gebet.51 Dafür, Vers 36 noch als Teil des Gebets zu verstehen, spricht eine der Deutungsmöglichkeiten für den Infinitivus absolutus der Wurzel ‫ הלל‬in diesem Vers. Die Aussage des Volkes: „Lobet den Herrn“ (im Kontext „Und das ganze Volk sagte ‚Amen‘ und ‚Lobet den Herrn‘“) vollzieht gleichzeitig dieses Lob. Der Infinitiv ließe sich aber auch als eigener Satz auflösen,52 mit der Übersetzung: „Das ganze Volk sagte ‚Amen‘ und lobte den Herrn.“ Im ersten Fall könnte gemeint sein, dass mit der Aussage oder dem Ruf „Amen! Lobet den Herrn!“ das Gebet beendet ist; zumindest das „Amen“ und das „Lobet den Herrn“ würden dann noch zum Gebet dazugehören. Für diese Option scheint die Situation im „Quelltext“, Ps 106,48, zu sprechen („und das ganze Volk sage: ‚Amen! Lobet den Herrn!‘“). Die zweite Übersetzungsmöglichkeit würde eher andeuten, dass das Volk nach seinem „Amen“ zum Gebet noch mit einem neuen Gotteslob einsteigt, zwischen Vers 35 und 36 läge eine kleine Zäsur. In diesem letzteren Fall läge auch ein Fall von unrecorded prayer vor. Mehrere inhaltliche Merkmale, zum Beispiel die Imperative, machen es wahrscheinlich, dass der Text von 1Chr 16,8–36 auch als Aufforderung an den Leser 44 Berlin, Psalms; Doan/Giles, Song of Asaph. 45 Vgl. Throntveit, Songs, 166, in Zusammenfassung der von ihm zuvor vorgestellten Positionen. 46 Vgl. auch Japhet, 1 Chronik, 301. 47 Vgl. Throntveit, Songs, 169. 48 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 301. 49 Watts, Psalm and Story, 156. 50 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 301. 51 Vgl. Throntveit, Songs, 168. 52 Vgl. Gesenius, Grammatik, § 113.1.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

verstanden werden will, in das Gotteslob einzufallen. Dazu gehört, dass das Volk in die Tätigkeit des Lobes einbezogen wird. Eine Parallele dazu bietet 2Chr 20 im Anschluss an Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon. Wenn weiterhin 1Chr 16,7 als verkappte Redeeinleitung zu verstehen ist, geben die folgenden Verse den Inhalt des durch David beauftragten Lobpreises wieder. Dann würde die Ambivalenz in Vers 36 eine Folge davon sein, dass der Text erzählerisch den Leviten in den Mund gelegt und als von David beauftragt dargestellt wird, zugleich aber ein „Mustertext“ für den Leser sein soll, den er „mitbeten“ kann. In jedem Fall erscheint 1Chr 16,8–36 mit dem Nahkontext eng verzahnt.

3.1.2 Struktur Nach Darstellung Throntveits sind sich die Ausleger einig, dass die Übergänge zwischen den zitierten Psalmen für die Einteilung eine Rolle spielen – allerdings nicht darüber, welches Gewicht diesen Übergängen beigemessen wird. Zu letzterem gibt es eine Ausnahme: Zwischen den Zitaten aus Psalm 105 (zitiert in 1Chr 16,8– 22) und jenen aus Psalm 96 (ab Vers 23) sehen alle Ausleger eine stärkere Zäsur.53 Throntveit schlägt die nachfolgend wiedergegebene Gliederung vor.54 In der Übersicht sind für die Verse 8–13 die Bezüge zur Einleitung ergänzt; die Imperative dieses Abschnittes nehmen wörtlich die Aufforderungen aus Vers 4 wieder auf. Vers 4:

‫ ליהוה אלהי ישראל‬3‫ ולהלל‬2‫ ולהודות‬1‫ויתן לפני ארון יהוה מן הלוים משרתים ולהזכיר‬ Und er setzte vor dem Angesicht der Lade JHWHs von den Leviten Diener ein, um zu gedenken1 und zu lobpreisen2 und zu loben3 JHWH, den Gott Israels.

Vers 7:

‫ביום ההוא אז נתן דויד בראש להדות ליהוה ביד אסף ואחיו‬ An jenem Tag, da gab David zum ersten Mal auf, JHWH zu lobpreisen durch die Hand Asafs und seiner Brüder:

I

8–34

Danklied

 A

8–13

Einleitende Aufrufe zum Dank

‫הודו ליהוה‬ ‫)ב(כל הארץ‬

8–9; 8a 2‫ ;הודו‬10–11; 10a 3‫ ;התהללו‬12–13; 12a 1‫זכרו‬   B

14–22

Dank für vergangene Rechtsentscheide

   C

23–29

Dank für gegenwärtige Regentschaft

‫כל הארץ‬, ‫שירו‬

  B’

30–33

Dank für künftige Rechtsentscheide

‫כל הארץ‬

 A’

34

Abschließender Aufruf zum Dank

II

35–36a

Schlussliturgie

 A

35a–d

Liturgische Einladung

  B

35dI1–dI2

Bitte

  B’

36a

Segen

 A’

36b–d

Antwort des Volkes

53 Vgl. stellvertretend Throntveit, Songs, 167. 54 Throntveit, Songs, 167 f.

‫הודו ליהוה‬ ‫ואמרו‬

‫ויאמרו‬

Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36)

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3.2 Inhaltsanalyse 3.2.1 Aussagegehalt Direkte Psalmzitate spielen eine ganze Reihe von Themen in 1Chr 16 ein. Nachstehende Liste zählt Topoi, Themen und Themenbereiche auf, die für die Vernetzung des Abschnitts in die Chronik hinein eine größere Rolle spielen. Themen, die in 1Chr 16 neu in die Chronik eingeführt werden, sind mit (1) markiert. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. – Der ewige Bund (‫ )ברית עולם‬JHWHs mit den Israeliten und der Israeliten mit JHWH wird vor allem durch 1Chr 16,15.17 und Ps 105 eingetragen.55 (1) – Mit dem Thema des Bundes verbindet sich der Topos der Landgabe (Vers 18),56 – und in diesem Zusammenhang steht, teils auch als Kontrastfolie, wenn Israel als „fremd“ beschrieben wird (Vers 20), die Idee der „Fremde“ und der fremden Völker (‫ ;גוים‬Verse 20.24.31.35).57 – Das Thema der (ewigen) Gnade (‫חסד עולם‬, ‫ )חסד‬Gottes58 wird in der Abbreviatur „Lobpreist JHWH…“ über das Stichwort ‫ חסד‬direkt aufgenommen. Es steht durch seine Bearbeitung in den Psalmen 105–106; 136 in enger Verbindung zu dem Thema der ‫ברית‬.59 (1) – Die Ehre (‫ )כבוד‬Gottes60 wird über Epitheta zum Gottesnamen und zu ‫אלוהים‬ sowie Tätigkeitsbeschreibungen mit der Gerechtigkeit (‫ )צדקה‬und der Herrschaft (‫ )ממלכה‬verbunden. – Eng verwandt damit ist der Komplex der „Macht“ Gottes; wobei Vers 28 die Grenzen zwischen Ehre und Macht verwischt (‫עז‬, Verse 11.28; ‫הוד והדר‬, 27; vgl. Verse 26–27.30). – Beide Themen ließen sich auch unter dem Stichwort der „Souveränität Gottes“ zusammenfassen, die ein Leitthema der Chronikbücher überhaupt ist.61 – Das erste Auftreten62 von ‫ פניו בקש‬in 1Chr 16,11, zusätzlich in Verbindung mit ‫דרש‬, bringt mit dem Gedanken einer möglichen „Wiederbelebung“63 das Gegenstück zur Vergeltung nach dem „Retributionsschema“64 auf. (1) – Das Thema „verkündigen“ (‫בשר‬, Vers 23) spielt für die Sprechaktanalyse eine große Rolle. 55 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 318. 56 Vgl. Van den Eynde, Usage, 428. 57 Zur Feststellung, dass ‫ גוי‬ein Schlüsselwort in 1Chr 16,8–36 ist, vgl. Street, Ark Narrative, 26. 58 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 319; 328. 59 Vgl. Gosse, Alliance, 127. 60 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 324 f. 61 Vgl.  Lynch, Monotheism, 156–165, zu einer detaillierten Aufschlüsselung der Umschreibung der „supremacy“. 62 Vgl. Murray, Retribution, 88. 63 „revival motif “: Murray, Retribution, 78–81. 64 Steins, Bücher der Chronik, 319 f.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Carmen Diller fasst diese Themen zum theologischen Programm zusammen: Israel ist das von JHWH erwählte Volk,65 darum kann es sich (in Jabez’ Bittgebet, aber auch in 1Chr 16,35) den Beistand Gottes wünschen, ja ihn geradezu einfordern. Entsprechend gelten die Fremdvölker als minderwertig.66 Diese Vorstellung ließ in 1Chr 4,10 Jabez stellvertretend für Juda oder Yehud den Wunsch äußern, die Fremdvölker zu erobern. In diesen Zusammenhang reiht sich der Inhalt des von Carmen Diller als „politisch“ eingestuften Rufes ‫והצילנו‬ ‫מן הגוים‬, „rette uns aus den Nationen“ (1Chr 16,35d).67 Er ist dann wörtlich zu verstehen. JHWH ist der eigentliche „Machthaber“ in Israel,68 der schon Jabez’ Wünsche erfüllt hat und in der Lage ist, dies für ganz Israel zu tun. In den Zusammenhang der „Macht“ gehört außerdem das Thema der Herrlichkeit Gottes, das in 1Chr 16 eingeführt wird.69 Ein wichtiger Aspekt des Textes zeigt sich inhaltlich in 1Chr 16,35: Die Bitte, die Singenden „aus den Nationen einzusammeln“ ist aus Davids Mund anachronistisch. Aus nachexilischer Sicht bittet David also um etwas, das aus seiner Sicht noch gar nicht passieren kann; Israel ist zu Davids Zeit nicht „zerstreut“. David blickt gleichsam in die Zukunft.70 „Thus, David in this depiction of a crucial, formative, celebratory event (the bringing of the ark) is portrayed as someone who identifies himself with, reflects and reinforces the identification of Israel of his time with postmonarchic Israel (notice the ‚gather and rescue us‘). Conversely, from the perspective of these readers, the reference allows them to identify with David closely, especially with David’s Israel and, accordingly, to participate vicariously and rejoice with the Israelites at the time of bringing the ark. The gap between the Israel for whom Chronicles was composed and the Israel of David’s time is thus bridged.“71

Ehud Ben Zvi nimmt damit aus nur einem Vers vorweg, was sich als wesentliche literarische Funktion von 1Chr 16,8–36 erweisen wird: Die zeitliche Entgrenzung dessen, was vermittelt werden soll. Interessant an der strukturellen Zweiteilung des Dankgebets ist die Abfolge von Dank und Bitte. Die Stellung einer Bitte (fast) am Schluss wird sich in 1Chr 29,10–19 wiederholen. Zudem ist gerade die Bitte 65 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 191 ff. 66 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 193. 67 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 196 ff, wobei die Datierung mit Vorsicht zu genießen ist, denn einen Hinweis auf ein konkretes Volk gibt es nicht. Entsprechend bleiben alle Versuche, den Text auf eine konkrete historische Situation zu beziehen, spekulativ. Immerhin spricht einiges dafür, dass die Verschleierung Absicht ist und der Text zwar gerade nicht einen konkreten Namen nennen will, aber der ideale Leser diesen sofort präsent hat: Die politische Dimension erscheint in 1Chr 16,8–36 „versteckt“ (S. 198). 68 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 194 ff. 69 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 328 ff. 70 Vgl. Ben Zvi, Who Knew What, 350. 71 Ben Zvi, Who Knew What, 351. Hervorhebung von Ben Zvi.

Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36)

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über das Stichwort „Rettung“ (‫ )ישע‬mit einem Thema verbunden, das sonst im Text eher indirekt angesprochen wird, das sich aber über das Thema der „Wiederbelebung“ weit in die Chronikbücher hinein vernetzt. Hier hat John Kleinig nicht Recht, wenn er „Lobpreis“ und Bitte trennt;72 vielmehr erscheint die Anerkennung der Möglichkeiten Gottes als Voraussetzung, eine Bitte überhaupt zu äußern.73

3.2.2 Sprechhandlungsgehalt Ein Hinweis auf die Sprechhandlungen des Gebets ergibt sich aus der Einbettung in den Kontext. Die Imperative, vor allem der Verse 8–13 (Abschnitt A) bezeichnen die Aufforderung(en), die der Text beinhaltet und entsprechen darin dem Auftrag Davids, wie Vers 4 ihn wiedergibt. Allerdings spezifiziert der Text die Aufforderung(en) noch weiter als „Verkündigung“, namentlich in Vers 23 – wo auch noch „alle Länder“ als Ziel der Aufforderung benannt werden, der Text also schon aus sich selbst heraus auf eine höhere Kommunikationsebene wechselt. Eine Übersicht darüber, wer in 1Chr 16,8–36 wozu aufgefordert wird, bietet Matthew Lynch. Textweltlich sind die Adressaten „Israel“ (Verse 8–12), „alle Nationen“ (23–24.28–30), „Himmel und Erde“ (31–33).74 Zusammen mit dem „Erzählen“ (‫ ספר‬Piel) in Vers 24, das in „allen Nationen“ geschehen soll, und dem „Sagen“ (‫ אמר‬Qal) in Vers 31, wiederum „bei den Nationen“ (‫)בגוים‬, ist diese Verkündigung derart allumfassend, dass John Kleinig „proclamation“ als Hauptfunktion des Textes benennt.75 Die Kommunikationsebenen lassen sich dabei nicht ganz klar trennen: Der Text ist zunächst auf grammatischer Ebene Aufforderung; er wird aber durch seinen Inhalt selbst schon zu Verkündigung. Der Unterschied zwischen Aufforderung und Verkündigung liegt darin, dass die Verkündigung davon ausgeht, dass der Zustand, der beim Empfänger erreicht werden soll, beim Sender bereits existiert oder anders: Der „Verkünder“ hält das, was er verkündigt, für wahr – bei einem bloßen Befehl ist die Haltung des Senders zur intendierten Handlung nachrangig. Für diese „verkündende“ Funktion findet sich noch ein indirekter Beleg in Offb 14, wenn dort der Text aufgenommen wird, wie 1Chr 16 ihn wiedergibt (und nicht etwa wie er in den Psalmen steht).76

72 Vgl. Kleinig, Song, 148. 73 Vgl. Hieke, Grundzüge, 20. 74 Vgl. Lynch, Monotheism, 156. 75 Vgl. Kleinig, Song, 146. 76 Vgl. Altink, 1 Chronicles 16:8–36.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

3.3 Funktionsanalyse 3.3.1 Literarische Eigenart Als „Zitatensammlung“ verweist 1Chr 16,8–36 nicht nur auf Psalmen und ihre Sprache, sondern ist selbst eine Art Psalm, aufgebaut aus Teilen des Psalters. Sehr oft wurde bislang die Rückwirkung der Verwendung der Psalmen 96; 105; 106 in der Chronik auf die Psalmen und den Psalter selbst untersucht. Auf die Abweichung77 von Ps 105,8 ‫( זכר‬Qal Perfekt 3. Person) zu 1Chr 16,15 ‫( זכרו‬Qal Imperativ)78 und Ps 105,12 ‫( בהיותם‬Qal Infinitiv constructus mit enklitischer Personalpartikel der 2. Person Maskulinum Plural) zu 1Chr 16,19 ‫( בהיותכם‬Suffix der 3. Person)79 wurde mehrfach hingewiesen und der Unterschied jeweils als Änderung von den Psalmen zur Chronik gedeutet; entsprechend wird die Lesart des Psalms bevorzugt. Gleiches gilt für die Differenz von Ps 106,48 ‫( ואמר‬und das Volk sage „Amen“, Qal Perfekt 3. Person, mit Jussiv-Unterton) zu 1Chr 16,36b ‫( ויאמרו‬und das Volk sagte „Amen“, Narrativ; eine einfache Feststellung). Vor allem die Änderung von „er gedenkt“ (Ps 105,8) zu „gedenket“ (1Chr 16,15) macht aus 1Chr 16,8–36 eine durchgängige Aufforderung.80 Die Chronik bindet diese Aufforderung zum Gotteslob legitimierend an David zurück und fordert zugleich zur Fortsetzung der entsprechenden Liturgie auf. Statt von einem „Paradigma“81 für einen Lobgesang ließe sich auch von einer Richtschnur sprechen. David wird insofern zum Vorbild, als dass er zum „Herold Gottes“ wird, der JHWHs Präsenz verkündet beziehungsweise verkünden lässt.82 Carmen Diller unterscheidet anhand der Struktur und der Bezüge von 1Chr  16,8–36 zu den zitierten Psalmen vier Redeebenen. Sie beantwortet die Frage nach der Leistung der Gebetssprache im Kontext von 1Chr 15–16 in ihrem Aufsatz von 200283 aus der Perspektive der intentio auctoris. Die Ergebnisse lassen sich aber auch unter Rücksicht auf die Leserlenkung deuten. Die erste Redeoder Kommunikationsebene ist die (fiktive) Ebene der erzählten oder erinnerten Vergangenheit, aus der Zitate (zum Beispiel aus der Verheißung an Abraham, 1Chr 16,15–16) übernommen werden. Die zweite ist die Haupt-Redeebene sowohl der Psalmen als auch des Texts in 1Chr 16; ihr gehören die Imperative des Textes und ihr „Sprecher“ an. Es ist die Text-Ebene oder Textwelt-Ebene; die 77 Eine detaillierte Beschreibung und Analyse der Differenzen zwischen dem Text der Chronik und den Psalmen in deutscher Sprache bietet Diller, Kompositpsalm. Eine neuere Übersicht dazu ist zu finden bei Doan/Giles, Song of Asaph, 38. 78 Vgl. Throntveit, Songs, 157; Japhet, 1 Chronik, 302. 79 Vgl. Throntveit, Songs, 157; Japhet, 1 Chronik, 305. 80 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 302. 81 Vgl. Watts, Psalm and Story, 161. 82 Vgl. Kleinig, Song, 146 f. 83 Diller, Kompositpsalm.

Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36)

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Adressaten sind hier benannt. Dabei fällt auf, dass die angesprochene Gruppe im Lauf des Textes stark vergrößert wird: Zuerst sind nur die Nachkommen Israels (Vers 13aV1.aV2), dann die „Bewohner des Landes“ (Israel/Kanaan; Verse 18– 19) und schließlich die „Bewohner der Erde“ (Verse 23aV.28aV.30aV) genannt. Die dritte Redeebene ist die des Kontextes: Auf dieser Ebene ist 1Chr 16,8–36 ein Lied Asafs, das zur Überführung der Lade gesungen wurde.84 Die letzten Imperative des Textes haben keine bezeichneten Adressaten mehr, was zur Überleitung auf die vierte Redeebene führt:85 Es ist die Kommunikationsebene, auf der Text und Leser interagieren. Der Text spricht nunmehr seine Leser direkt an – und holt die Aufforderung damit aus der Textwelt heraus und in die Welt des Lesers hinein. Aus den Redeebenen lässt sich die Funktion des Textes ableiten: Der Text holt den Leser in seinem ihm bekannten Umfeld ab (Zitation gut bekannter Psalmen) und nimmt ihn mit zurück zur Ladeüberführung und zum Kult Davids.86 Zugleich fordert er ihn auf, die kultischen Handlungen zu vollziehen (Imperative), und bietet gleich in sich noch eine „Textvorlage“ dafür. Die durchaus wichtige Frage, ob der Text damit einen bereits vorhandenen Kult (am zweiten Tempel) stützen will oder ein Ideal beschreibt, das er sich für diesen Kult wünscht, muss an dieser Stelle offen bleiben. Es finden sich im Text keine Hinweise darauf, ob der Leser den Kult, um den es geht, nur kennen muss, oder ob er angehalten wird, ihn auch zu verändern, um ein beschriebenes Ideal zu erfüllen. Die erste Option würde die Frage aufwerfen, was genau an einem Kult gestützt werden soll, in dem es keine Lade und keine Lade-Überführung mehr gibt. Die zweite Option führt zu Überlegungen bezüglich der Adressaten: An wen kann sich der Aufruf, einem bestimmten Kultideal zu entsprechen, sinnvoller Weise richten?

3.3.2 Gesellschaftliche Implikationen James W. Watts gliedert die vielen Einzelbeobachtungen, die ihn zu dem Schluss führen, dass 1Chr 16,8–36 ein Paradigma für den israelitischen Gottesdienst ist,87 in zwei Bereiche: Beziehungen von 1Chr 16,8–36 zur Handlung der Kapitel 15– 16 (Einbindung durch die Verse 7 und 36;88 Wiederholung der Wendung „lobpreist den Herrn“89) und semantische beziehungsweise thematische Verbindungen (liturgisches Vokabular, Aufnahme der Themen „Ladeüberführung“ und

84 Vgl. zu den Redeebenen insgesamt Diller, Kompositpsalm, 183 f. 85 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 182 f. 86 Vgl. Nielsen, Song of Praise, 336; Diller, Kompositpsalm, 190 f. 87 Vgl. Watts, Psalm and Story, 161. 88 Vgl. Watts, Psalm and Story, 156. 89 Vgl. Watts, Psalm and Story, 157 f. Diese Textleistung untersucht der Abschnitt Nr. 13.2 dieser Arbeit zur Abbreviatur „lobpreist den Herrn…“.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

„Leviten“, Bestrebungen zur korrekten Durchführung der liturgischen Anordnungen90). Zu den von Watts beobachteten Parallelen kommt eine ganze Reihe weiterer Ähnlichkeiten zu Texten der Chronik. Ob die Geschichte in 1Chr  15–16 wirklich die „Gründung der Jerusalemer Tempelmusik“ (bzw. die Vorstellung des Chronisten davon) wiedergibt,91 sei dahingestellt. Es gilt, dass letztlich keine der Deutungsmöglichkeiten, von wie auch immer veränderter und idealisierter Wiedergabe historischer Ereignisse bis hin zu freier Utopie, völlig ausgeschlossen werden kann.92 Entscheidend ist, dass der Text sich über das, was auf der Ebene des Erzählten gesagt ist, hinaus an einen Leser wendet und diesen geradezu auffordert, mitzusingen: „Lobpreist JHWH, ruft seinen Namen an, kündet bei den Völkern seine Taten! Singt ihm, spielt ihm, rühmt alle seine Wunder!“ (1Chr  16,8–9); „Singt JHWH!“ (1Chr  16,23a). Dabei bleibt jede Suche nach einem konkreten Leser freilich erfolglos, gerade weil es mehrere Deutungs- und Adressatenmöglichkeiten gibt.93 Zusammengenommen mit den Beobachtungen von Japhet zu 2Chr  194 lässt sich ein Erzählmuster beschreiben, das die Elemente göttliche Initiative (1Chr  15,26),95 menschliches Handeln (1Chr  16,1–3), Erfüllung (1Chr  16,4– 7.37–38) und Dank (1Chr  16,8–36) enthält. Die Wiedergabe des „Komposit­ psalms“ an dieser Stelle erhält unter anderem den Sinn, den Leser an seine „Dankpflicht“ zu erinnern und ihm gleichzeitig einen dafür geeigneten Text an die Hand zu geben. Außerdem verkündigt der Text dem Leser die Macht Gottes – völlig unabhängig von dessen konkreter Situation. Im doppelten Sinn spannend ist dann, dass 1Chr 16,8–36 bei all dem Lob und Dank eben auch eine Bitte enthält, die ebenfalls durch alle Ebenen getragen wird – was für die Aufforderungen wie „Lobpreist JHWH“ und die übrigen gilt, gilt schließlich auch für „sprecht“ in 1Chr 16,35. Das wird umso deutlicher, wenn Throntveit mit der Deutung dieser

90 Vgl. Watts, Psalm and Story, 158 f. 91 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. 92 Vgl. Watts, Psalm and Story, 156. Einen Überblick der Forschungspositionen zur Kontextualisierung von 1Chr 16 bietet Street, Ark Narrative, 26. 93 Traditionell wird an dieser Stelle auch nach einer Datierung gesucht. Die Überlegung ist, dass sich mit Hilfe der Bestimmung zeitgenössischer Leser auch eine zeitliche Einordnung des Textes vornehmen ließe; vgl. Butler, Forgotten Passage, der zunächst aus literarkritischem Blickwinkel die (heute nicht mehr in Frage gestellte) „Einheitlichkeit“ von 1Chr 16,8–36 und 1Chr nachzuweisen sucht. Dann argumentiert er mit Hilfe der Unterschiede zwischen den Psalmen und 1Chr 16,8–36 für eine Anpassung der Psalmen an die Situation Judas kurz nach dem Ende des Perserreichs um 300 vor Christus. Diese Überlegungen sind weder rundweg „falsch“ noch obsolet; allein aus dem Text heraus lässt sich zwar das notwendige Wissen eines ModellLesers erheben, nicht aber eine konkret vorzustellende Gruppe Menschen in einer tatsächlichen historischen Situation. 94 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 25 ff. 95 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303.

Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36)

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Aufforderung als „liturgische Einladung“96 Recht hat, denn damit kommt eine theologische Dimension ins Spiel. Die Verbindung der Elemente göttliches und menschliches Handeln, Lob, Dank und Bitte in 1Chr 16 wird sich als paradigmatisch für die übrigen „Gebetstexte“ und ihre Einbettung erweisen.

3.3.3 Theologie William Doan und Terry Giles weisen in ihrer „performanzkritischen“ Untersuchung des Dankgebets darauf hin, dass die Frage der Historizität sowohl der chronistischen Geschichtsdarstellung wie der in 1Chr 16,8–36 besungenen Ereignisse möglicher Weise sogar für ein zeitgenössisches Publikum nicht eindeutig zu klären war. Sie gehen noch weiter und schließen, dass der Text die Wahrnehmung seiner Leser absichtlich so steuert, dass die zeitlichen Ebenen verschwimmen. Die „Pause“, die durch das Lied in poetisch durchformter Gebetssprache im Gang der Erzählung entsteht, ist nicht nur eine Unterbrechung in der erzählten Zeit, sondern auch in der Zeit des Lesers.97 Tamara Eskenazi beschreibt das, was dadurch in 1Chr 16 geschieht, als „reenactment“;98 Doan und Giles lösen diesen Begriff so auf: Die Änderungen an den Texten, auf die 1Chr 16,8–36 verweist, seien „intended to help shape a social identity by moving the spectator into the role of a character“.99 Für die Stiftung von Identität durch kollektive Vergegenwärtigung eines „Urgeschehens“ gibt es in der Theologie auch den Begriff der Anamnese.100 Diese ist mehr als die Summe aus gesellschaftlicher Dimension (Aufruf zum Mitfeiern – Paränese) und historisch-erinnerndem Nachvollziehen („reenactment“). Nach dem entsprechenden Denkmodell würde das Geschehen, dessen anamnetisch gedacht wird, für die Feiernden („liturgische Einleitung“, 1Chr 16,35, Throntveit), unabhängig von der historischen Qualität, bedeutsam: „It is quite probable that the Chronicler’s readers and listeners knew the psalms that are now borrowed by the Chronicler. In this case, the audience would have been able to ‚sing along‘ and so become part actor (reader of the song) as well as audience. Further, by means of strategic changes made by the Chronicler, the members 96 Vgl. Throntveit, Songs, 167 f. 97 Vgl. Doan/Giles, Song of Asaph, 40 f. 98 Eskenazi, Literary Approach, 269. 99 Doan/Giles, Song of Asaph, 36. 100 Zur Definition von „Anamnese“ vgl. Messner, Einführung, 160 ff und Fabry, Anamnese, LThK3 1, 590. Für die kultischen Texte der Chronikbücher beschreibt offensichtlich Shaul Zalewski den Vorgang sehr genau. Leider ist seine 1968 an der Universität Melbourne ein­gereichte Dissertation (Zalewski, Cultic Officials) wohl unpubliziert geblieben und in Deutschland nicht verfügbar. Seine Erkenntnisse sind daher nur in der summarischen Zusammenfassung von Kleinig, Song, 19 f, zugänglich. Zum Schlagwort „Anamnese“ siehe auch die Synthesen in Kapitel 3 und Steins, Kanon und Anamnese.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

of his audience would have recognized themselves as character within the song. The song establishes a fluid dynamic in which the reader/listener becomes all three: Performer – Audience – Character.“101

Diese Verschmelzung textlicher Ebenen gilt in 1Chr  16 dann sowohl für die Hauptfunktion des Dankes an JHWH als auch für die Bitte um Rettung, und nicht nur für die zeitgenössischen „Leser und Hörer des Chronisten“, sondern für alle Leser der Chronik, denn die beschriebenen Funktionen setzen nicht notwendig einen bestimmten historischen Referenzrahmen voraus.

4. Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ (1Chr 17,16–27) 4.1 Formale Gestalt 4.1.1 Abgrenzung Davids Gebet in 1Chr 17,16–27 bildet den zweiten Teil des Kapitels 17 und den Abschluss der Erzählung über die Einrichtung des Gottesdienstes oder Tempels in Jerusalem unter David.102 Der erste Teil des Kapitels handelt von der „Natan-Verheißung“, der Zusicherung des Heils für David und seine Nachkommen durch JHWH. Redesituation und Adressat des Gebets, das Davids Antwort auf die Verheißung ist, sind durch 1Chr 17,16a–c klar: David wendet sich an Gott. Das Ende ist ebenso deutlich, denn in Vers 18,1 beginnt mit der Einleitung ‫ויהי‬ ein völlig neues Thema. Dass das Gebet eine Antwort auf Gottes Verheißung ist, wird schon dadurch deutlich, dass fast alle Motive aus der Gottesbotschaft von David wieder aufgenommen werden.103

4.1.2 Übersetzung Und König David ging 16b und setzte sich vor das Angesicht JHWHs 16c und sagte: „Wer bin ich, 16dV JHWH, Gott, 16e und was/wer ist mein Haus, 16f dass du mich hierher gebracht hast? 17a  Und dies war gering in deinen Augen, 17aV Gott, 17b und du sprachst über das Haus deines Knechts auf Zukunft104 hin, 17c  und sahst mich an auf die Weise eines hohen Menschen, 17cV JHWH, Gott. 16a  16d 

101 Doan/Giles, Song of Asaph, 40. 102 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 37. 103 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 319. 104 Wörtlich steht „du sprachst … auf von fern her hin“ mit einem Adjektiv und zwei Präpositionen. Diese Konstruktion lässt sich nur durch sinngemäße Übertragung, nicht durch Übersetzung, wiedergeben.

Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“



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Was kann David noch dir hinzufügen an Ehre – deinen Knecht?105 Du kennst deinen Knecht.

18a  18b 

JHWH, 19a  um deines Knechtes willen und nach deinem Herzen hast du all diese Größe getan, 19aI um ihn all diese großen Dinge verkünden zu lassen. 20aV JHWH, 20a keiner ist wie du, 20b und es gibt keinen Gott außer dir, nach allem, 20bR was wir gehört haben mit unseren Ohren. 21a  Und wer ist wie dein Volk Israel, das einzige Volk auf der Erde, 21aR für das Gott gegangen ist, 21aRI1  um es für sich als Volk loszukaufen, 21aRI2  um für dich einen Namen zu setzen (durch) große furchtgebietende Taten; 21aRI3  um vor dem Angesicht deines Volkes, 21aRI3R das du aus Ägypten losgekauft hast, die Nationen zu vertreiben. 22a  Und du hast dir dein Volk Israel zum Volk bestimmt in Ewigkeit, 22b  und du, 22bV JHWH, bist für sie zum Gott geworden. 19aV 

Und jetzt, 23aV JHWH, (23a) das Wort, 23aR das du über deinen Knecht und sein Haus gesprochen hast, (23a) erweise sich als zuverlässig in Ewigkeit! 23b Und tu, 23c  wie du gesprochen hast! 24a  Und es erweise sich als zuverlässig 24b  und (es) sei groß dein Name in Ewigkeit, 24bI damit man sage: 24c ‚JHWH der Heerscharen, der Gott Israels, ist Gott für Israel, 24d  und das Haus Davids, deines Knechts, ist fest gegründet vor deinem Angesicht.‘ 25a  Denn du, 25aV mein Gott, (25a) hast dem Ohr deines Knechts eröffnet, 25aI dass du ihm ein Haus bauen willst. 25b Darum hat dein Knecht gewagt, 25bI vor deinem Angesicht zu beten. 26a  Und jetzt,106 26aV  JHWH, 26a*  du bist Gott, 26b  und du sprachst zu deinem Knecht dieses Gute. 27a  Und jetzt hast du dich entschlossen, 27aI  das Haus deines Knechts zu segnen, 27aII damit es in Ewigkeit vor deinem Angesicht ist. 27b  Denn du, 27bV JHWH, hast gesegnet, 27c und du bist gepriesen in Ewigkeit.“ 23a 

105 Für die Ergänzung ‫ את עבדך ידעת‬schlägt die BHS vor, sie mit LXX als Homoioteleuton wegzulassen. In der Tat ist nicht klar, ob Sara Japhet (Vgl. Japhet, 1 Chronik, 311 f; 321) mit der Auffassung, dass es sich um ein zweites Objekt zu ‫ יוסיף‬handelt, Recht hat; ihr Vorschlag, es entsprechend aufzufassen, erscheint jedoch weniger radikal als eine Streichung. 106 Richter (Hg.), BHT Chr, 1735 f geht von einer Pendens-Konstruktion aus. Wenn ‫אתה‬ jedoch Subjekt und ‫ הוא האלהים‬das Prädikat ist, ist die Wortstellung nicht ungewöhnlich.

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4.1.3 Struktur Der entscheidende Punkt, um Davids Bekenntnis (1Chr 17,16–27) von der sogenannten Natan-Verheißung (1Chr 17,3–15) her zu gliedern, sind die Leitworte Haus (‫)בית‬, Volk (‫ )עם‬und Segen (‫)ברך‬.107 Sie werden aus der Verheißung übernommen. Davids Selbstbezeichnung gegenüber JHWH als „dein Knecht“ (‫)עבדך‬ tritt neu hinzu. Unter Berücksichtigung der Themen Dank, Verkündigung und Bitte, die ebenfalls auf die „Natan-Verheißung“ Bezug nehmen,108 ergibt sich eine Gliederung, in der drei Absätze auf die Einleitung (Verse 16a–c) folgen. Der erste Absatz109 (16d–18) ist eine Art Rückschau (Japhet formuliert: „annähernd ein Dankgebet“110) des „Knechtes“ David. Im zweiten Absatz (19–22) wechselt die Perspektive, der „Knecht“ kommt nur am Beginn des Abschnitts vor. Eingeleitet mit einem markant vorangestellten „JHWH“ blickt David zwar immer noch zurück, nun aber mit Bezug auf das Volk. Im Zentrum steht die Zuschreibung der Heilstaten am Volk zu JHWH. Die Bedeutung dieser Heilstaten wird unterstrichen durch den Aufbau der Infinitivreihe 21aRI1–I3, die sich entgegen der Annahme von Japhet111 durchaus als parallele Struktur auffassen lässt: ‫ לפדות לו עם‬RI1 ‫ונראות‬ ‫גוים‬

‫ לשום לך שם‬RI2

‫גדלות‬ ‫ אשר פדית ממצרים‬RI3R

‫ לגרש מפני עמך‬RI3

RI1 um

es für sich als Volk loszukaufen,

RI2 um

für dich einen Namen zu setzen

RI3 um

(durch) große und

zu vertreiben vor dem RI3R das du aus Ägypten Angesicht deines Volkes, losgekauft hast,

furchtgebietende Taten; die Nationen.

„Loskaufen“ und „einen Namen setzen“ bilden die erste Gleichsetzung. Da Vers 21aRI3 durch den eingeschobenen Relativsatz 21aRI3R gesperrt ist, ist die folgende Parallele zwischen ‫( גדלות ונראות‬21aRI2) und Exodus (‫ פדית ממצרים‬in 21aRI3, die „großen Taten“) mit Landnahme (‫גרש מפני עמך … גוים‬, die „furchtgebietenden Taten“), nicht ganz sauber.112 Dennoch wirft diese Konstruktion ein 107 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 312. 108 Vgl. dazu umfassend Japhet, 1 Chronik, 318 ff. 109 Vgl. zur Einteilung insgesamt Japhet, 1 Chronik, 320, wobei Japhet Vers 19 anders zuordnet. 110 Japhet, 1 Chronik, 320. 111 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 318. 112 Vgl. Knoppers, Chronicles, 688.

Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“

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wenig Licht auf den dunklen Inhalt von ‫גדלות ונראות‬. Es geht um JHWHs Heilshandeln an Israel. Der letzte Absatz des Gebets (1Chr  17,23–27) beginnt mit „und nun“ oder „und jetzt“ (‫ועתה‬, 23a), das noch zwei Mal wiederholt wird (26a.27a). Die Lautungen dieses letzten Abschnitts legen sprachliches Gewicht auf die Aussagen 24cd, denen als einzige ein ‫ ועתה‬oder ‫ אתה‬fehlt. Wichtige Leitworte im ganzen Text sind der Gottesname und das Wort „Gott“ (‫)אלהים‬, die so häufig vorkommen und sich so gleichmäßig verteilen, dass sie zu einer Einteilung nichts beisteuern. Die als Rede-in-der-Rede stilisierten Versteile 24cd, in denen mit ‫ יהוה צבאות אלהי ישראל‬die längste Benennung Gottes in der gesamten Chronik steht, bilden hierzu eine Ausnahme.

4.2 Inhaltsanalyse 4.2.1 Aussagegehalt Entgegen der Auffassung von Sara Japhet ist Davids Reaktion auf die „NatanVerheißung“ nicht gänzlich ohne poetische Ausdrucksmittel, da, wie gerade gezeigt, in den Versen 24aRI2–I3 so etwas wie ein Parallelismus vorliegt.113 Dennoch handelt es sich im Ganzen um einen erzählenden Text, denn die meisten Äußerungen sind grammatisch einfach Feststellungen. Die Haupt-Leitworte verteilen sich entsprechend der Themen: „Haus“ spielt im ersten und dritten Absatz eine Rolle. Der zweite Absatz konzentriert sich auf das „Volk“ (das in 21aRI1. I3.22a erwähnt wird), während der letzte das „Haus“ mit dem „Segen“ und der „Ewigkeit“ zusammenbringt (bis auf Vers 22a kommt „Ewigkeit“ nur im dritten Teil vor). Die Verse 22.24 variieren die Bundesformel. Garry Knoppers stellt fest, dass in 1Chr 17 (insbesondere in 1Chr 17,22) deuteronomistische und priesterschriftliche Fassungen zusammenfinden, wobei der Schwerpunkt auf deuteronomistischen Aussagen liegt.114 Dazu kommen eine Reihe stilistischer oder semantischer Ähnlichkeiten zu prophetischen Büchern.115 Unter diesen fällt Ez 34,24 besonders auf. Der Vers enthält die einzige wortgleiche Wiederholung (Reihenfolge, Stellung – neben der Parallele in 2Sam 7,24) von 1Chr 17,22b.116 Der einzige Unterschied besteht darin, dass bei Ezechiel eine Ich-Aussage JHWHs steht (‫ היה‬Qal Imperfekt 1. Person Singular), während 1Chr 17,22b in der zweiten Person steht. Der Kontext von Ez 34 verdeutlicht den Bezug: Ezechiel spricht 113 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 318. 114 Vgl. Knoppers, Chronicles, 684. 115 Knoppers, Chronicles nennt beispielsweise Jer 7,23 zu 1Chr 17,22 (S. 684), Jer 44,26 und Jes 40,26 zu Vers 24 (S. 685). 116 1Chr 17,22b ‫יהוה היית להם לאלהים‬ Ez 34,24 ‫יהוה אהיה להם לאלהים‬

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vom neuen „Hirten“ David, den Gott über sein Volk einsetzt (Ez 34,23–24), da die zuvor bestellten „Hirten“ versagten (Ez 34,2–6). Die „Natan-Verheißung“ erscheint im Licht dieser düsteren Abrechnung mit früheren „Hirten“ wie eine Verheißung des Gegenentwurfs.117 In diesen Zusammenhang gehört die kontroverse Diskussion um die Bedeutung des Terminus ‫בית‬.118 Einen umfassenden Überblick liefert Thomas Willi: In der Forschung gibt es (Stand 2007) zwei Strömungen, was die Existenz einer „Dynastie“ in der Chronik betrifft, das heißt, ob ‫„ בית‬Dynastie“ meint: Ja und Nein. Wenn ‫ בית‬tatsächlich „Dynastie“ meinte, stellte sich noch die Frage, ob der dann anzunehmende „Davidbund“ im Sinne eines (durchaus chronistischen) Tun-Ergehen-Zusammenhangs konditioniert oder unkonditioniert wäre.119 Da spätestens Salomo die Konditionen erfüllte, erwüchse die Frage, was die Rede von einer „davidischen Dynastie“ nach dem Ende des Exils noch bewirken soll. Als Gegenüberlegung bietet Willi an, den Begriff „technisch“, im Sinne einer vertikalen oder zeitlichen Traditionsgemeinschaft zu verstehen. Er geht von der in den Genealogien 1Chr 1–9 häufigen Verbindung ‫ בית אבות‬aus und schlägt vor, das zweite Element des Ausdrucks, ‫אבות‬, mit „Tradition(en)“ zu übersetzen. Entsprechend ginge es nicht um eine „Dynastie Davids“, sondern um die Zugehörigkeit zu Israel, die israelitische Tradition.120 Möglich ist aber auch, dass die Bedeutung hier changiert, je nach dem, auf welcher Kommunikationsebene ‫בית‬ verstanden werden soll: Textweltlich geht es wahrscheinlich um Davids Familie, ‫ בית‬wäre also eine Metonymie. Für einen idealen Leser kann ‫ בית‬aber, wenn David als über-idealisiertes Beispiel erkannt ist, wiederum metonymisch für ein (ideales) Israel stehen, und, wie Willi es vorgeschlagen hat, Davids ‫ בית‬die „Tradition Israels“ sein. Mit dieser Diskussion hängt mittelbar die Deutung des Partizips ‫ מברך‬in Vers 27c zusammen. Es gibt zwei Meinungen, die sich annähernd hälftig auf 117 Dies wäre mit dem Topos von David als dem Hirten, wie er sonst im Alten Testament vorkommt, konsistent, wenn dieser das „Hirtenbild seiner traditionellen Konnotationen insofern entfremdet, als Macht und Ansehen damit nicht – wie sonst im Alten Orient üblich – deklariert, sondern bewusst kontrapunktiert werden.“ (Hunziker-Rodewald, David der Hirt, 167.) „Dazu kommt eine aus dem Kontext zu erschliessende [sic] Konnotation: die Transparenz auf das Verhältnis zwischen Jhwh und seinem Volk.“ (Hunziker-Rodewald, David der Hirt, 172.) 118 Im Folgenden geht es nur um diesen Ausdruck. Die Diskussion darum gehört ihrerseits allerdings in den größeren Rahmen der Frage, in wie weit die Chronik „messianische Tendenzen“ zeigt und „Eschatologie“ enthält oder sich auf die Gegenwart ihrer Leser bezieht. Einen aktuellen, umfassenden Überblick darüber bietet Boda, Cloud of Incense. Die Position von Thomas Willi, die Boda anhand von Willi, Auslegung, noch der „eschatologisch-monarchischen Linie“ zuordnet (S. 217 f), hat sich anscheinend etwas zu dem hin verschoben, was Boda als „Hierokratie“ bezeichnet: Nicht ein konkreter Davidide ist verheißen, sondern eine bestimmte Ordnung. 119 Vgl. Willi, Dynastie Davids, 393 f. 120 Vgl. Willi, Dynastie Davids, 399.

Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“

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die Übersetzungen verteilen: Entweder bezieht ‫ מברך‬sich auf JHWH oder auf ‫בית‬. Da der Text eine Neigung zum Bekenntnis zeigt und das Element des Dankes eine Klammer zum ersten Abschnitt schaffen würde, scheint es gerechtfertigt, es auf JHWH zu beziehen.121 Dann besteht auch eine gewisse Parallelität zwischen den beiden Vershälften von Vers 27.122 Das Thema des Schlusssatzes von Davids Gebet ist dann die Segensmacht Gottes; vor allem diese Segensmacht soll „in Ewigkeit“ bestehen bleiben. Hier zeigt sich deutlich die Besonderheit der Wurzel ‫ברך‬, eine „Mehrfachadressierung“: Wann immer ein Mensch etwas „segnet“, ist dies zugleich eine Bitte an Gott, diesen Segen zu aktuieren; wenn er Gott „segnet“, ist der Dank für den Segen enthalten.123 Die Offenheit in 1Chr 17 tritt umso mehr zu Tage, da in der Parallele 2Sam 7,29 die Bezüge klar sind: Gleich zwei Mal geht es dort um Segen und Ewigkeit für das Haus „deines Knechts“. John Thompson weist darauf hin, dass allein schon der häufige Gebrauch von ‫ עולם‬auf eine „Zukunft jenseits von Davids Zeit“ deutet.124 Die theologische Spitzenaussage des Gebets steckt in Vers 24cd. Der erste Teil, „JHWH ist der Gott Israels“, kommt in Varianten gleich zwei Mal im Text vor: Vers 22b ist in Verbindung mit 22a eine in die zweite Person gesetzte Variante der Bundesformel (vgl. unter vielen anderen Ex 6,7). Zu Vers 24c gibt es keine exakte Parallele. Bereits die „lange“ – oder, mit Japhet zu 1Chr 17,4, „feierliche“125 – Gottesbezeichnung ‫ יהוה צבאות אלהי ישראל‬findet sich nur in der Parallelstelle 2Sam 7,27, in Ps 59,6; Jes 21,10; Zef 2,9 – und 32 Mal in der Botenformel bei Jeremia.126 Die Gesamtaussage weicht im Detail bereits von der Parallele 2Sam 7,27 ab: Der Gottesname „JHWH der Heerscharen“ in Samuel wird in der Chronik durch „der Gott Israels“ ergänzt. Gott ist in der Chronik zudem nicht „Gott über (‫ )על‬Israel“, sondern „für (‫ )ל‬Israel“.127 Der Proklamation „Gott ist Gott“ eignet in Davids Gebet somit eine gewisse Verve.

121 Vgl. Lynch, Monotheism, 229; Beentjes, Psalms and Prayers, 16 f. 122 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 311; dagegen Klein, 1 Chronicles, 372. 123 Die Diskussion der Bedeutung der Wurzel erfolgt ausführlich im Zusammenhang mit der Formel „gepriesen sei JHWH…“, die hier auch anklingt; siehe Abschnitt Nr. 13.4.2. 124 „to a future beyond David’s time“, Thompson, Chronicles, 149. 125 Japhet, 1 Chronik, 314. 126 In voller Länge lautet die Formel ‫כה אמר יהוה צבאות אלהי ישראל‬. Zusätzlich gibt es im Buch Jeremia drei Belege mit einem zusätzlichen Constructus ‫אלהי‬, also ‫כה אמר יהוה אלהי‬ ‫צבאות אלהי ישראל‬. Gezählt mit BibleWorks 9 anhand der Grooves-Wheeler Westminster Morphology and Lemma Database 4.14. 127 Vgl. zu den Gottesaussagen, zu Vorkommen und Bezügen Knoppers, Chronicles, 683 f.

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4.2.2 Sprechhandlungsgehalt Den stilistischen Auffälligkeiten von Davids Gebet korrespondieren die zahlreichen Bekenntnis-Aussagen. Dazu gehören zuerst die Anrufungen Gottes. Sie sind nicht nur Mittel, um den „Kontakt herzustellen“, sie sind auch Ausdruck der Anerkenntnis Gottes als Gott und (wirkmächtiger) Gesprächspartner (vgl. beispielsweise 25cV). Dazu kommen die eindeutigen Bekenntnisse und Gottesprädikationen 20aV–21aR.22.24c.26a*. Insbesondere die Anrufungen verteilen sich gleichmäßig über den Text;128 sie und die genannten Verse, zu denen die Spitzenaussage 24cd gehört, prägen den Text insgesamt als Bekenntnis. Ähnlich wie es Carmen Diller für 1Chr  16,8–36 gezeigt hat, lassen sich in 1Chr  17,16–27 Redeebenen unterscheiden.129 Auf der Text-Ebene ist das Gebet Davids eine Reaktion auf die „Natan-Verheißung“. In den Einzelaussagen des Textes liegt, wie bereits Sara Japhet beobachtet hat,130 eine deutliche Ambivalenz: Die Selbstbezeichnung Davids als „Knecht“ ist eine Selbsterniedrigung. Die Selbsteinschätzung 16cf sowie die enigmatische Äußerung 18ab belegen, dass der textweltliche David sich nicht über die Maßen freut, wie er es noch angesichts der Lade-Überführung in den Kapiteln 1Chr 15–16 getan hat. Dem steht als Kontrast die Einschätzung Davids durch JHWH gegenüber. Dieser Kontrast zieht sich durch den gesamten Text: Auf der einen Seite die konsequente Selbstbezeichnung Davids als „dein Knecht“, auf der anderen die positiven Handlungen und Einschätzungen Gottes; sowohl die, die JHWH initiiert als auch die, die ihm nur zugeschrieben werden. Die positiven Aussagen überwiegen (neun Mal „mein Knecht“ gegen 23 Nennungen von Gottesnamen131; die negativen Aussagen 16d. dV.18a.25b.bI gegen die positiven 17bc.19a.21aRI1–22b.25a.aI.26b–27b). Die Selbsterniedrigung Davids tritt in den Hintergrund. Der Text schließt in den Äußerungen 21aRI1–aRI3R als weitere Kommunikationsebene die der Erinnerung ein. Sie holt vergangenes Geschehen in die Situation hinein (Verse  21–22). Textweltlich sind die Verse Gotteslob in zweiter Person. An dieser Stelle wird ein zweiter deutlicher Kontrast sichtbar: Die Dominanz der zweiten und dritten Person Singular132 in Verbformen und Personalpronomina steht gegen die Grundorientierung des Textes an einem „ich“: Fast alle Aussagen beziehen sich auf David und sein Verhältnis zu Gott; selbst jene über „das Volk“, von dem David ein Teil ist. Dieser Kontrast wirkt umso deutlicher, da im Bezugstext „Natan-Verheißung“ das göttliche „ich“ pointiert her 128 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 318. 129 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 184; die entsprechenden Ausführungen zu 1Chr 16,8–36 werden zusammengefasst im Abschnitt Nr. 3.3.1. 130 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 318. 131 Vgl. zu den Gottesnamen Japhet, 1 Chronik, 320. 132 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 319.

Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“

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vortritt133 und David hier in seiner Antwort von sich selbst nur in der dritten Person spricht. Zugleich holt das Leitwort „Volk“, das nur in 21aRI1.I3.22a vorkommt, im mittleren Abschnitt des Textes eine dritte Größe in den Text, die textweltlich nicht handelt, aber angesprochen wird. Bezeichnender Weise überschreibt Japhet diesen Abschnitt in ihrer Gliederung mit „Verkündigung von Gottes Größe und Macht über sein Volk“.134 Eine solche Verkündigung ist auf textweltlicher Ebene nicht sinnvoll; Gott weiß um seine Taten, weder David noch ein „Chronist“ müssen ihm von ihnen erzählen. Es versteckt sich hier ein deutlicher Hinweis auf den idealen Leser: Ihm, dem Leser, werden die großen Taten Gottes vorgestellt. Das ist eine dritte Kommunikationsebene, die zwischen Text und Leser. Knoppers weist zutreffend darauf hin, dass nach Darstellung der Chronik die Verkündigung der Taten Gottes eines der intendierten Ergebnisse bereits der „Natan-Verheißung“ selbst ist.135 Davids Antwort greift also auch diesen Aspekt auf. Der Verschränkung der Redeebenen entspricht die Verschränkung mehrerer Zeitstufen. Auf textweltlicher Ebene reihen sich Vergangenheit („Dank“, oder einfacher „Reaktion“ auf die geschehene Verheißung, erster Abschnitt, Verse 16–18), Gegenwart (in die die Vergangenheit erinnernd einbezogen wird, die Trennung ist also nicht „sauber“; zweiter Abschnitt, Verse 19–22) und Zukunft (Imperative, Verse 23–24; x-Imperfekt, 23a)136 aneinander. In der Zeitstufe der Zukunft verschwimmen die Rede-Ebenen: Davids Bekenntnis gehört zur Gegenwart der Textwelt. Er glaubt der Verheißung, die ihm durch Natan zuteilwurde. Zugleich bittet er um die Einhaltung der Zusagen durch JHWH (Verse 23ab.24ab).137 Das ist textweltlich ein Zukunftsbezug. Dadurch, dass der Text in einer Zeit gelesen wird, in der diese Zukunft schon wieder Vergangenheit ist, gewinnen die auf Zukunft gerichteten Signale eine besondere Bedeutung: ‫( למרחוק‬17b) und das prominent als letztes Wort platzierte ‫( לעולם‬27c) drücken aus, dass die textweltlich zukünftigen Ereignisse ihre Zukunftsdimension für den Leser behalten. Die Versprechen der „Natan-Verheißung“ („wie du gesprochen hast“, 23c; also vor allem Nachkommen für David, der Tempelbau und der feste Wohnsitze für Israel), das bleibende Wort des Herrn, sein Name, sein Segen: all das transzendiert die Zeit Davids und die Zeit der Textentstehung. Durch den Nachsatz 20bR könnte die Äußerung 20b auch als „wir haben es gehört, und wir wollen es glauben, dass es nur einen Gott gibt“ gelesen werden. Es klingt ein Versprechen an, das David gibt. Einen vergleichbaren Unterton trägt Vers 24d in den Spitzensatz 24cd ein: „das Haus Deines Knechts ist gegründet“ 133 Vgl. Knoppers, Chronicles, 681 f. 134 Japhet, 1 Chronik, 320. 135 Vgl. Knoppers, Chronicles, 683 zu 1Chr 17,19. 136 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 320. 137 Vgl. Knoppers, Chronicles, 685.

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könnte auch heißen „es sei gegründet (und ich, David, will alles dafür tun)“. Davids Gebet enthält unterschwellig eine Selbstverpflichtung Davids, das von JHWH Verheißene so anzunehmen, wie es verheißen ist – auch, den Bau des Tempels nicht selbst vollziehen zu können.138 Zusammen mit der Idee von Willi, dass „Haus“ die Tradition Israels meint, ergibt sich für den idealen Leser die Botschaft, dass diese Tradition noch immer in JHWH gründet, und so wie David sich auf Israel verpflichtet hat, auch alle auf Israel verpflichtet sind, die sich in seiner Tradition sehen.

4.3 Funktionsanalyse 4.3.1 Literarische Eigenart Damit ist gezeigt, dass Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“, wie Knoppers es ausdrückt, „synchrone wie diachrone Relevanz“139 besitzt. Der Spitzensatz  24cd „24c  der JHWH der Heerscharen, der Gott Israels, ist Gott für Israel, 24d  und das Haus Davids, deines Knechts, ist fest gegründet vor deinem Angesicht“ ist Bekenntnis, Verkündigung, Gotteslob und Selbstverpflichtung in einem. Da sich der Text über die Erzählebene hinaus an seinen Leser wendet, bezieht er ihn in alle diese Akte ein. Selbst in der königslosen Zeit der Chronik hat die „Natan-Verheißung“ Bestand. Die großen Taten der Vergangenheit und die große Tat Gottes an David (1Chr 17,19) sind in späterer Zeit immer noch relevant. Der Text beschränkt sich nicht auf eine „bloße“ Erinnerung an diese Taten; es geht um Anamnese – wie Knoppers es formuliert, die „Integration der davidischen Versprechen in die Geschichte Israels.“140 Der Vorgang portiert insbesondere die Bitten der Verse 23–27 in eine spätere Zeit. David wird zum Vor-Beter nicht nur des Israels seiner Zeit, sondern auch aller späteren Gemeinschaften, die sich auf ihn berufen. Der Text von 1Chr  17,16–27 ist strukturell untrennbar mit der Verheißung 1Chr  17,3–15 verbunden. Er steht aber auch in einem größeren Zusammenhang: Im Erzählgang der Chronik sind „Natan-Verheißung“ und Davids Gebet der Auftakt zum zentralen Tempelbauprojekt, das sich an die Ladeüberführung anschließt. Nach der Erzähllogik der Chronik ist es Davids eigener Einfall, dem Herrn einen Tempel bauen zu wollen; diese Idee ist Auslöser für JHWHs Botschaft an David via Natan (vgl. 1Chr  17,1.4). Die „Natan-Verheißung“ als Anrede Gottes an David ist also selbst eine „Reaktion“ Gottes – auf die wiederum David mit seinem Gebet antwortet.141 In diesem Ablauf ähneln sich 138 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 318. 139 Knoppers, Chronicles, 687. 140 Knoppers, Chronicles, 688. 141 Williamson, Chronicles, 186 sieht die Logik der Reihenfolge etwas anders; aber seine Interpretation von 1Chr 17 als „Dankgebet“ widerspricht der folgenden Deutung als Bekenntnis nicht – Dank kann ein Aspekt des Bekennens sein.

Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“

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1Chr 17 und 2Chr 1: Salomos Reise nach Gibeon erfolgt „aus eigenem Antrieb“ (vgl.  2Chr  1,1–6) und Gott reagiert mit einer nächtlichen Erscheinung, in der­ Salomo ihm auf eine Frage antwortet. In beiden Kapiteln schließt sich mit Davids militärischen Erfolgen (1Chr 18) und Salomos Reichtum (2Chr 1,14–17) je eine „Erfüllungsgeschichte“ an. Bei der textweltlichen Wirkung der Offenbarung besteht aber ein Unterschied: Während David in seinem ursprünglichen Ansinnen gehindert wird (1Chr 17,4), erfährt Salomo – seinerseits letztlich unerbetene – Bestätigung (2Chr 1,1.7.14– 17). Gegenüber den Parallelen in 2Sam 7 (zur „Natan-Verheißung) und 1Kön 2 (zu Salomos Reise nach Gibeon) bedeutet das eine auffällige Abwertung Davids und Aufwertung Salomos, was Sara Japhet durch den entsprechenden Vergleich bestätigt sieht. Sie erklärt die Differenz im Sinne einer intentio auctoris damit, dass der „Chronist“ eine Lösung für das Problem finden musste, dass der glorifizierte David historisch-faktisch den Tempel nicht baute: Der Chronist reduziert an dieser Stelle die Bedeutung Davids, überhöht die hinderlichen Umstände und ändert die Verheißung so, dass sie sich erst in Salomo erfüllt.142 Letztlich gleicht er damit Salomo an David an. Ein sprachliches Indiz für diese Angleichung erkennt Michael Avioz in der Harmonisierung der gerade in 1Chr  17,16–27 so wichtigen Gottesnamen.143

4.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Wenn David zum Vor-Beter und Vorbild jener wird, die sich auf ihn berufen, wird er zur Integrationsfigur. Sein Handeln, die Annahme der Verheißung durch Gott, wird zum identitätsstiftenden Handeln. Andere Gebete der Chronikbücher drücken es deutlicher aus, aber auch hier ist das Bekenntnis zu JHWH die Möglichkeitsbedingung des Betens. Wenn der Text in seinem Kontext die textweltliche Ebene durchbricht, aktualisiert er die „Natan-Verheißung“ als Zusage der bleibenden Gegenwart Gottes für den idealen Leser, das heißt für konkrete Leser aller Zeiten und Generationen. Was hier geschieht, könnte als zweifache Substitution verstanden werden: Erst projiziert die Chronik die Themen „Königtum“ und „Tempel“ auf David, „Kult“ und „Bund“ auf die Leviten.144 An anderen Stellen der Chronik werden die Aufgaben der Leviten auf David zurückgeführt.145 Davids Gebet „self-consciously integrates the Davidic promises into the larger history of God’s dealings with 142 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 317. 143 Vgl. Avioz, Nathan’s Prophecy, 544 f; eine solche Verbindung deutet bereits Steins, Abschlußphänomen, 485 f an. 144 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 326 f, für 1Chr 17 und insgesamt für die mit 1Chr 16,8–36 verbundenen Texte. 145 Vgl. Kleinig, Song, 34; Labahn, Herrschaftsanspruch, 194.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Israel.“146 Dadurch gewinnt David die Qualität einer Identifikationsfigur. Anders gesagt: Entscheidend ist für die Chronik nicht mehr die reale Existenz einer „Dynastie der Davididen“, sondern die Identifikation des Lesers mit deren Tradition. Möglicherweise sichert dies in der Zeit einer – wie auch immer gearteten – Fremdherrschaft als „Selbstvergewisserung“ das „Weiterleben“ Israels. Steins spricht davon, dass die Chronik auf diese Weise die ursprünglich in der „NatanVerheißung“ nach 2Sam gegebene Ewigkeits-Verheißung „transzendentalisiert“.147

4.3.3 Theologie „Verkündigung“ wurde bereits als dritte Funktion vor allem des „Spitzensatzes“ 24cd benannt. Das Gebet fokussiert die Bedeutung der „Natan-Verheißung“ nicht nur auf David – obwohl dieser textweltlich der Sprecher des Gebets ist – sondern auch auf seine Nachfolger und spätere Zeiten. Von dieser Botschaft aus wird der Gedanke des „Segens“ durch den weiteren Verlauf der Chronik getragen, vor allem über das Schlagwort ‫ברך‬:148 Der Schlussvers 1Chr 17,27 formuliert eine Parallele zwischen JHWHs Segenshandlung am Haus Davids und JHWHs „gepriesen-Sein in Ewigkeit“. Es steht nicht ausdrücklich dort, aber das „Haus David“ wird durch sein „gesegnet-Sein“ zu einem Zeichen für JHWHs bleibende Präsenz, zumal die Übersetzung durchaus auch lauten könnte: „es ist gesegnet und bleibt gesegnet“. Die Aussage bleibenden Segens kann also nicht klar entscheidbar auf Gott oder das „Haus“ bezogen werden. Der „Segen“ Gottes für das „Haus David“ ist ein Zeichen für alle, die dieses „Haus“ sehen und sich in dessen Tradition stellen. Zugleich ist die Bitte enthalten, diesen „Segen“ und damit die Präsenz Gottes zu erhalten; auch über die Zeit, in der das „Haus Davids“ real als Dynastie besteht – und letztlich über alle konkreten Ereignisse der Geschichte – hinaus. Pragmatisch ergibt sich hier die Funktion des „Trostes“. Der Gedanke unverbrüchlichen Segens ist im modernen Sinn eine „pastorale“ Idee. In Verbindung mit der Diktion des Ezechielbuches und dessen Rede vom „neuen Hirten“ sind Überlegungen angestellt worden, ob die „Natan-Verheißung“ und Davids Gebet „messianisch“ seien, also nachexilisch die Hoffnung auf eine Reinstitution des realen Königtums der Davididen zum Ausdruck bringen.149 Von einer „Wiederkehr“ Davids oder eines anderen Königs ist in der Chronik aber nie die Rede. Im Vergleich mit weiteren Gebeten der Chronik, etwa den in der Diktion ähnlichen in 1Chr 16,8–36 und 2Chr 6 (vgl. Vers 14), steht eher die 146 Knoppers, Chronicles, 688. 147 (Vgl.) Steins, Geschichtsbild, 160. 148 Siehe dazu im Einzelnen die Leistungen der Formel „Gepriesen sei…“ (Abschnitt Nr. 13.4) und von ‫ ברך‬als Signalwort für unrecorded prayer (Abschnitt Nr. 14.2). 149 Vgl. Braun, Chronicles, 200 stellvertretend.

Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17)

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„Umdeutung“ der Verheißung im Vordergrund, zumal dieser Gedanke ebenfalls von 1Chr 16–27 aus über 1Chr 21 und 2Chr 6,26.42; 7,12–22 durch die gesamte Chronik getragen wird.150 Selbst wenn die Verknüpfung hauptsächlich über das Motiv der „Verheißung“ als göttlichem Angebot und der Annahme durch Menschen und umgekehrt der Bestätigung menschlichen Handelns durch Gott besteht, fällt auf, dass an allen diesen Stellen auch Gebetstexte stehen.

5. Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17) 5.1 Formale Gestalt 5.1.1 Abgrenzung Die beiden kurzen Bitten 1Chr 21,8.17 sind von ihrem Kontext klar durch Redeeinleitungen abgegrenzt, die Davids Hinwendung zu Gott anzeigen. Dies qualifiziert beide Äußerungen als Gebete. In Vers 17 tritt innerhalb des Verses die direkte Anrede „JHWH, mein Gott“ hinzu, außerdem geht ihm eine Supplikationsgeste voraus: David „fällt auf sein Angesicht“ (Vers 16). Beendet wird Davids Rede jeweils durch eine neue Redeeinleitung. Nach David spricht JHWH durch die Figur des Gad. Vers 18 schaltet zwischen JHWH und Gad zusätzlich einen Boten ein. Das letzte einleitende Verb ist in allen Fällen ‫אמר‬.

5.1.2 Text und Übersetzung151 ‫חטאתי מאד‬

8b

‫אשר עשיתי את הדבר הזה‬

8c

‫ועתה העבר נא את עוון עבדך‬

8d

‫כי נסכלתי מאד‬ 8a

Und David sprach zu Gott:

‫ויאמר דויד אל האלהים‬

8a

8e

8b

„Ich habe viel gesündigt,

8c

indem ich diese Sache getan habe.

8d

Jetzt aber lass vorübergehen die Sündenlast151 deines Knechts,

8e

denn ich habe sehr dumm gehandelt.“

150 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 158–167. 151 Der Vers bietet das einzige Vorkommen von ‫ עון‬in der Chronik. In Ps 38,5 gibt es die Umkehrung des Bildes vom „Wegnehmen der Sünde“ (im Text dem „Vorübergehenlassen der ‫)“עון‬. In Ps 38 „wächst“ die ‫ עון‬dem Sprecher „über den Kopf “. Das Bild wird auch in Esras großem Gebet gebraucht (Esr 9,6). Im Sinne intertextueller Verbindungen könnte hier das Bild von der drückenden Sündenlast, die der Herr wegnehmen soll, in Chr eingetragen werden.

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17bI

Kapitel 2: Einzelanalysen ‫ויאמר דויד אל האלהים‬

17a

‫הלא אני אמרתי‬

17b

‫ואני הוא‬

17c

‫למנות בעם‬

17d

‫והרע הרעותי‬

17e

‫מה עשו‬

‫ אשר חטאתי‬17cR

17a

Und David sprach zu Gott:

17b

„Habe nicht ich gesprochen,

17c

Und war ich es,

17eP

Und diese sind wie Schafe,

‫ואלה הצאן‬

17eP

‫יהוה אלהי‬

17fV

‫תהי נא ידך בי ובבית אבי‬

17f

‫ובעמך לא למגפה‬

17g

17cR der

gesündigt hat

das Volk zu zählen?

17bI

und Böses, ja Böses getan hat?

17d

was haben sie getan?

17e

17fV

JHWH, mein Gott,

17f

deine Hand sei nun gegen152 mich und das Haus meines Vaters,

17g

aber nicht gegen dein Volk mit Plage!“153

5.1.3 Anmerkungen zu Text und Übersetzung152153 Mit dem Bild, das David in seiner Argumentation zur Unschuld seines Volkes in 1Chr 21,17 benutzt, „sie sind wie Schafe“, verweist die Chronik auf ein Königsbild, das die christliche Rezeption des Alten Testaments geprägt hat wie vielleicht kaum ein anderes. Der König ist der „gute Hirte“, der sich um seine Herde kümmert.154 Diese Sorge um Israel, „damit die Gemeinde JHWHs nicht ist wie Schafe, für die kein Hirt ist“155 gehört nach Num 27,17 schon zum Auftrag Josuas. Ins Negative gewendet spielt das Bild im Zusammenhang mit Joschafat (2Chr 17–20, vgl. 18,6) noch einmal eine Rolle. Das Bild ist so eindrücklich, dass sich daraus in den Versionen von 1Chr 21,17 möglicherweise eine Textänderung ergeben hat: Die LXX-Fassung der Parallele in 2Sam 24,17 (II Reg 24,17) lässt David in Abweichung vom masoretischen Samuel-Text sagen: ἐγώ εἰμι ὁ ποιμὴν ἐκακοποίησα, „ich bin der Hirt, ich habe böse gehandelt“. Dies lässt sich als „Klarstellung“ des Bezugs dieses Hirtenmotivs auf David als den Hirten lesen. Die Diskussion, ob die Lesart in II Reg dabei von 152 Das ‫ ב‬ist mit menschlichem Subjekt in den meisten Fällen adversativ zu verstehen und kann mit göttlichem Subjekt ebenfalls so aufgefasst werden. Für die Übersetzung mit „gegen“ spricht auch der „kriegerische“ Kontext (vgl. die Volkszählung in 1Chr 21,1–6). 153 Zu den Hervorhebungen siehe die Strukturanalyse unten. 154 Vgl. Williamson, Chronicles, 148; Japhet, 1 Chronik, 345. 155 ‫ולא תהיה עדת יהוה כצאן אשר אין להם רעה‬, Num 27,17a.aR (Verseinteilung nach Richter (Hg.), BHT Num, Dtn, 269).

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der Chronik beeinflusst ist156 oder von der in 4QSama bezeugten,157 kann hier nicht vollständig wiedergegeben werden. Es handelt sich um einen locus classicus der Argumentationen zum Zusammenhang der Traditionen Sam/Kön MT, Sam/ Kön LXX, 1–2Chr MT und LXX sowie 4QSama. Folgender Überblick zeigt die Varianten: Tabelle 5: Übersicht zur Entwicklung von 2Chr 21,17158 159 160 161 162 Sam und Reg

Chr

2Sam 24,17 ‫הנה אנכי חטאתי ואנכי העויתי‬ Siehe, ich habe gesündigt, und ich habe falsch gehandelt.

1Chr 21,17 ‫ואני הוא אשר חטאתי והרע הרעותי‬ Und war ich es, der gesündigt hat, und Böses, ja Böses getan hat?

II Reg 24,17 Rahlfs ἰδοὺ ἐγώ εἰμι ἠδίκησα καὶ ἐγώ εἰμι ὁ ποιμὴν ἐκακοποίησα Siehe, ich bin es, der Unrecht getan hat, und ich bin es, der Hirte, der Böses getan hat.

I Par 21,17 Rahlfs ἐγώ εἰμι ὁ ἁμαρτών [καὶ]158 κακοποιῶν ἐκακοποίησα So bin ich der Sünder, ich habe völlig verkehrt gehandelt.159

II Reg 24,17 L Ἰδοὺ ἐγὼ ἥμαρτον, καὶ ἐγὼ ὁ ποιμὴν ἐκακοποίησα160 Siehe, ich habe Unrecht getan, und ich, der Hirte, habe Böses getan.

2Sam 24,17 4QSama ‫]…וא[˚נכי הר̇עה ה ̇רעתי‬161 [Siehe, ich habe gesündigt, und] ich der Hirte habe Böses getan.162

Der Argumentation liegt die diachrone Annahme zugrunde, dass die Chronik hier einen gegenüber Samuel/Könige LXX (I–IV Reg) älteren Textbestand bietet,163 sodass die Septuaginta von 2Sam (das ist II Reg) in diesem Fall als Interpretation des Textes der Chronik gelesen werden kann. Immerhin wird auch die Frage gestellt, warum in einem Werk, das David vordergründig außerordentlich

156 Vgl. dazu knapp, aber deutlich Japhet, 1 Chronik, 345; älter Williamson, Chronicles, 148. 157 Vgl.  Klein, 1 Chronicles, 416; neuer Auld, Imag(in)ing Editions, 130. (Weitere aufgeführt bei Klein). 158 καὶ nur im antiochenischen Text, vgl. Fernández Marcos/Busto Saiz (Hg.), Texto antioqueno (1–2 Crón), 54. 159 Übersetzung der LXX-Texte aus Kraus/Karrer (Hg.), LXX. D. 160 Fernández Marcos/Busto Saiz (Hg.), Texto antioqueno (1–2 Sam), 165. 161 Cross, New Reconstruction, 78. Einen Überblick über den Stand der Diskussion um die betroffenen Qumran-Fragmente bietet Himbaza, 4QSam. Es scheint, als bestünde für den hier relevanten Textabschnitt Konsens in der Rekonstruktion, vgl. Himbaza, 4QSam, 50 ff. 162 Vgl. Cross, New Reconstruction, 80. 163 Und weiter 4QSama einen älteren gegenüber 2Sam 24,17, vgl. Rofé, 4QSam, 116.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

zu loben scheint, eine solche Episode überhaupt erzählt wird.164 Mit dem Gedanken, David als „guten Hirten“ zu portraitieren, ließe sich dies so erklären: David kann darin, dass er zu seiner Verfehlung als Hirte-König auch steht, wie es einem König ansteht, wiederum als Vorbild dienen: Er schiebt die Verantwortung nicht auf andere ab.165 Damit bleibt die Tendenz, David (und Salomo) als ideale Könige zu zeichnen, noch erkennbar, selbst wenn über eine Sünde eines Protagonisten berichtet wird. Sie werden damit im Umgang mit Fehlverhalten zum Vorbild.

5.1.4 Struktur Nach der Strukturanalyse des Kapitels 1Chr 21 von Kenneth Ristau steht die erste Bitte etwas isoliert als zweiter von vier Teilen in der ersten Szene des Kapitels.166 Die Abschnitte sind durch Konstellations- und Personenwechsel getrennt, unterstützt durch Redeeinleitungen:167 1–15 Erste Szene: Konflikt zwischen Gott und Israel 1–7 Erster Teil: Exposition 8 Zweiter Teil: Davids Reue 9–12 Dritter Teil: Gottes Botschaft 13–15 Vierter Teil: Gottes Strafe 16–27 Zweite Szene: Konflikt zwischen Engel Gottes und David 28–22,1 Dritte Szene: Die Ätiologie für den Tempelbauplatz Die erste Bitte (1Chr 21,8) zeigt einen kunstvollen Aufbau. Nach der Redeeinleitung 8a bilden von zwei Selbstbezichtigungen (1. Person Singular Perfekt von ‫( חתא‬Qal) und ‫( סחל‬Nifal), 8b.e) einen Rahmen, verstärkt durch die Wiederholung von ‫מאד‬.168 Dazwischen besteht der Vers aus zwei Teilen, eingeleitet durch Relativpartikel (8c) und Konjunktion (8d). Der erste Teil enthält die Begründung für Davids Selbstbeschuldigung, der zweite eine Bitte, die der Kontext als an JHWH gerichtet bestimmt (das „du“ aus 8d ist nach 8a Gott). Die zweite Bitte (1Chr 21,17) ist im Schema von Ristau Teil der zweiten Szene, in der sich der Fokus der Erzählung auf David verengt.169 Die Bitte ist in sich komplexer strukturiert als jene in Vers 8. Auf die Redeeinleitung 17a folgt eine zweigeteilte Struktur (17b–e; 17fV–g). Die Teilung wird markiert durch die Anrede Gottes (17fV). Der erste Teil  ist in sich nochmals dreifach untergliedert, 164 Vgl. Knoppers, Chronicles, 762. 165 Vgl. Knoppers, Chronicles, 754. 166 Vgl. auch Johnstone, Chronicles, 230. 167 Vgl. Ristau, Breaking Down, 203 ff; die folgende Übersicht ist eine Zusammenfassung seiner Darstellung. 168 Vgl. Allen, Chronicles, 423; Klein, 1 Chronicles, 422. 169 Vgl. Ristau, Breaking Down, 208.

Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17)

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markiert durch das Personalpronomen der 1.  Person Singular (17b.c)  und im Kontrast dazu das Demonstrativpronomen im Plural (17eP). 17b und 17e (als Anfang und Ende des ersten Versteils nach der Einleitung) enthalten je chiastisch eine Fragepartikel. In der Mitte der Symmetrie dieses Teils steht Davids Schuldbekenntnis „der gesündigt und Böses, ja Böses getan hat“. Die beiden Versteile sind durch eine Inklusio verklammert:170 Die Äußerungseinheiten 17eP.e und 17g beziehen sich auf das Volk, 17f (mit 17fV) auf David. Den Infinitiv 17bI hinzugenommen ergibt sich die thematische Abfolge Ich – Volk – Ich – Volk – JHWH – Ich – Volk.171

5.2 Inhaltsanalyse 5.2.1 Aussagegehalt David wird in 1Chr 21 die Fähigkeit zugeschrieben, Fürbitte für sein Volk bei JHWH einzulegen.172 In diesen Kontext passt, dass in 1Chr 21,8 zum ersten Mal in der Chronik das Verb ‫ חטא‬auftritt.173 Der erste „Sünden-Fall“ in der Chronik (noch dazu durch David) wird sofort durch das anschließende Idealverhalten des Sünders aufgefangen. Bezeichnender Weise wird der Begriff ‫ חטא‬David in den Mund gelegt, was eine „Selbsterkenntnis“ Davids als Sünder impliziert; zum korrekten Umgang mit Verfehlung gehört also auch Reue. Diesen Beobachtungen entspricht der Befund beim Sprechhandlungsgehalt, wenn aus Sünden-Bekenntnissen zugleich Gottes-Bekenntnisse werden. Dazu bietet Vers 8 noch das einzige Vorkommen von ‫ עון‬in der Chronik.174 In Ps 38,5 gibt es die Umkehrung des Bildes vom „Wegnehmen der Sünde“ (im Text „Vorübergehenlassen“ der ‫)עון‬. Dort „wächst“ die ‫ עון‬dem Sprecher „über den Kopf “. Das Bild wird auch in Esr 9,6 gebraucht – ebenfalls ein Gebetstext. Im Sinne intertextueller Verbindungen könnte hier das Bild von der drückenden Sündenlast, die der Herr wegnehmen soll, in die Chronik eingetragen werden. Der Text stellt David an dieser Stelle auch noch dadurch als Vorbild hin, dass er der erste ist, der am Ort des künftigen Tempels betet. David ist auch der erste, den JHWH an diesem Ort, an dem JHWH „vom Himmel her hören“ wird (2Chr 6–7, etwa 2Chr 6,21 und öfter), tatsächlich erhört.

170 Vgl. Knoppers, Chronicles, 757. 171 Die zum Thema „Volk“ gehörenden Verse sind oben in der Strukturübersicht grau hinterlegt. 172 Vgl. Knoppers, Chronicles, 757; 763. Knoppers sieht David in diesem Abschnitt sogar zum „Modell des reuigen Sünders“ stilisiert. McKenzie, Chronicles, 174 spricht ebenfalls von einem „Modell-David“, hier von einem Modell-Führer. 173 Vgl. Johnstone, Solomon’s Prayer, 292 f; Klein, 1 Chronicles, 423. 174 Vgl. Johnstone, Chronicles, 231.

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Unterstrichen wird die Bedeutung des Ortes durch mehrere intertextuelle Indikatoren.175 Yairah Amit nennt die Geschichte ein „storehouse of intertextual references“.176 Besonders zahlreich sind Verbindungen zu „heiligen Orten“ im Pentateuch, und darunter am deutlichsten ist das „Feuer vom Himmel“ (1Chr 21,26). Dieses Motiv verklammert die Erzählung von der Auffindung des Tempelplatzes innerhalb der Chronik mit der Tempelweihe (2Chr 6–7). Außerdem nimmt es die Geschichte von den ersten Opfern am ‫( אהל מועד‬Lev 9,24) auf, dazu Elijas Opfer (2Kön 18,38).177 Der „volle Kaufpreis“, den David Arauna zahlen will (1Chr 21,42) verweist auf die Höhle von Machpela (Gen 29,9–18); der dreschende Ornan oder Arauna (1Chr 21,20) und die ‫ אלה‬auf Ofra (Ri 6,11) und damit Mamre (Gen 13,18) sowie das „gezückte Schwert“ (1Chr 21,16) auf den Anführer des „Heeres JHWHs“ (Jos 5,13).178 Die Vielzahl der Bezüge unterstreicht die Bedeutung des Geschehens. Es scheint, als wolle der Text den Tempelbauplatz in möglichst vielen Traditionen verankern.

5.2.2 Sprechhandlungsgehalt Die beiden Bitten Davids in 1Chr  21,8.17 sind vor allem ein Bekenntnis: Sie drücken Davids Reue und sein Vertrauen auf Gott einerseits und die Möglichkeit zur Reue andererseits aus. Dabei kann die Bedeutung des Bekenntnisses bei einigen Redeteilen (Sprechakte 8c.e.17b.bI) nur aus dem Kontext (Textebene) erschlossen werden: Für sich genommen ist beispielsweise Sprechakt 8c eine einfache Feststellung. Allerdings liegen die Voraussetzungen für Bekenntnis und Bitte nahe beieinander: Wenn die Bitte voraussetzt, dass der Sprecher keine Gewalt über den Adressaten hat, sondern auf gleicher Ebene oder sogar tiefer steht,179 impliziert ein Bekenntnis ebenfalls die Existenz eines höhergestellten Adressaten. Beim Gottesbekenntnis ist dies offensichtlich, beim Sündenbekenntnis wie im Fall Davids wird es klar, wenn das (Sünden-)Bekenntnis dazu dient, Versöhnung zu erwirken (beziehungsweise zu erbitten). Die beiden Gebetsverse unterscheiden sich hinsichtlich ihres Sprechhandlungsgehalts leicht, vor allem in der Abfolge: Das Bekenntnis erscheint in Vers 17 verdoppelt (Sprechakte 17b.bI und 176c–cR). Außerdem schiebt sich mit 17e. eP noch ein Begründungszusammenhang in den Vers, der von der Sachlogik her 175 „Hypertexte“ im engeren Sinn. 176 Amit, Araunah’s Floor, 17. 177 Vgl. Jarick, Chronicles, 136 f und Pola, Heiligtumseinweihung, Abschnitt 3.3.6. Namentlich das göttliche Feuer schafft eine Verbindung zu weiteren Stellen, an denen göttliches Feuer als Zeichen ein Heiligtum, eine Weihestätte, einen Altar legitimiert, vgl. Pola, Heiligtumseinweihung im Ganzen. 178 Vgl. dazu ausführlich Braun, Chronicles, 218; zum Schwert vgl. auch Japhet, 1 Chronik, 350–354, zur Höhle von Machpela Jarick, Chronicles, 135. 179 Vgl. Hieke, Grundzüge, 20.

Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17)

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eigentlich nicht erforderlich wäre. Diese Begründung wird umso bedeutender, je mehr die Sündhaftigkeit der Volkszählung herausgestellt wird. Mit 1Chr 21,3 hat das Volk sehr wohl „etwas getan“: Es lädt sich eine Sündenlast auf, indem es gezählt wird;180 dies versucht der textweltliche David in Vers 17 zu kompensieren, in dem er argumentiert, die Schuld liege allein bei ihm. Mit Davids Bitte um Vergebung endet Vers 17; in Vers 8 steht ein Bekenntnis am Ende des Verses (Sprechakt 8e). Insgesamt wirkt das zweite Gebet (Vers 17) durch Verdoppelung, zusätzliche Begründung und Endstellung der Bitte drängender als das erste (Vers 8), was zur Logik des Erzählgangs passt, nach der David mit dem ersten Versuch nicht erfolgreich ist. Die Sprechaktanalyse der Verse 1Chr 21,8.17 bestätigt somit, was das HirtenMotiv schon aufgezeigt hat: Obwohl ein „Sündenfall“ Davids Anlass für die Tempelplatz-Episode ist, kann er dem Leser dennoch als leuchtendes Vorbild dienen: Indem er mustergültig seine Schuld bekennt, zeigt er den Weg zum Umgang mit Sündenlast – verstärkt durch den versteckten Hinweis auf das ideale Königtum (David als Hirt des Volkes), der zwar seine Pflicht verletzt hat, dann aber auch wie der Hirt allein die Verantwortung übernimmt.

5.3 Literarische und theologische Funktion Die Geschichte in 1Chr 21, die die beiden kurzen Gebete enthält, ist im Ganzen eine Kultätiologie für den Tempel.181 Insofern reiht sie sich nahtlos in den Erzählgang ein. Am Ende des ersten Teils der ersten Szene nimmt Vers 7 das zuvor beschriebene Geschehen mit dem Hinweis „diese Sache“ wieder auf.182 Vers 8 legt diese Zusammenfassung mit denselben Worten David in den Mund. Ohne diesen Zusatz bliebe Davids Gebet unverständlich, da der Text die Ursache für die beklagte „Sündenlast“ nur durch den Hinweis „diese Sache“ aufgreift. Vers 17 dagegen nennt explizit die Tat Davids. Vom Gang der Erzählung her fällt auf, dass bereits Vers 7 attestiert, dass Gott Israel straft, obwohl Gott erst später David eine Strafe aus mehreren Vorschlägen wählen lässt.183 Insofern wäre Davids Bitte, seine „Sündenlast vorübergehen zu lassen“ von vornherein sinnlos – wobei die Bitte, die angekündigte Strafe nicht auszuüben, darin nur implizit enthalten ist.184 Statt auf Davids Äußerung direkt zu antworten, stellt JHWH David eben durch 180 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 349; dagegen Klein, 1 Chronicles, 426, nach dem das Volk unschuldig gelitten hätte. 181 Vgl. Amit, Araunah’s Floor, 16 f. 182 Vgl. Knoppers, Chronicles, 754. 183 Vgl. Jarick, Chronicles, 130; es könnte sogar sein, dass es mehrere Strafen gibt, vgl. Bailey, David and God, 341; das ist für die Frage der Notwendigkeit mehrerer Gebete aber nicht relevant. 184 Vgl. Allen, Chronicles, 421.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Gad vor die Wahl zwischen drei Strafen. David wählt die Pest, doch als diese Jerusalem erreicht, „reut“ es JHWH (1Chr 21,15). Dabei wird deutlich: JHWH handelt aus eigenem Antrieb, beziehungsweise zu dem Zeitpunkt, zu dem es ihm gefällt; dennoch erhört er Davids Bitte und erweist ihm (zwei Mal ‫ )מאד‬eine im Vergleich zur „sehr großen Sünde“ noch größere Gnade.185 Die zweite Bitte Davids „angesichts“ des Engels unterstreicht damit lediglich den bereits gefassten göttlichen Beschluss, die Plage zu beenden.186 Dies ist allerdings ein Umstand, der nur einem Leser klar wird: Der textweltliche David sieht noch den Engel mit gezogenem Schwert.187 Auf die dementsprechend größere Dringlichkeit des zweiten Bekenntnisses Davids wurde bereits hingewiesen. Es bleibt bei alldem unklar, warum David durch die Volkszählung eine Sündenlast auf sich lädt. Die Chronik verwendet in 1Chr 21,7 für die Feststellung, dass David „böse“ gehandelt hat, eine in den Chronikbüchern singuläre Formulierung: „böse in den Augen Gottes“.188 In dieser Frage wird in der Forschung über die Deutung von ‫ שטן‬in 1Chr 21,1 gestritten. Dahinter steht die Überlegung, ob Gott selbst oder ein von ihm verschiedener „Gegner“ David zur Handlung veranlasst hat. John Jarick bietet eine Übersicht über die Deutungsmöglichkeiten für Davids Schuld:189 Davids Anordnung einer Volkszählung ist „böse“ entweder, weil David Gott nicht gefragt hat, weil die (militärische) Volkszählung Misstrauen gegenüber Gott ausdrückt oder weil das Zählen eine „Prüfung“ Gottes beinhaltet. Alle Deutungen scheinen darauf hinauszulaufen, dass David sich in irgendeiner Weise nicht auf Gott verlassen hat, und sich damit wissentlich gegen ihn stellt;190 daraufhin setzt JHWH eine Strafe ein. Erst die Strafandrohung beziehungsweise -ausführung bewegt David dazu, die beiden Bekenntnisse abzugeben.191 In jedem Fall ist aber klar, dass das „Problem“ bei (der Figur) David liegt.192 Ein Detail in der Wertung des Zähl-Befehls durch Joab in 1Chr 21,3 weist darauf hin, dass es um das „nicht-Suchen“ im Sinne des „nicht-Fragens“ oder „nicht-Bittens“ Gottes geht.193 Joabs Rede verwendet für Davids Verhalten den Terminus ‫ בקש‬Piel: ‫ למה יבקש זאת אדני‬fragt Joab. Die meisten Übersetzungen geben ‫ בקש‬mit „verlangen“ wieder. Es ist aber auch einer der termini technici für die Hinwendung zu Gott in einer „Suche“. Die Chronik selbst verwendet

185 Vers 13: ‫ ;כי רבים רחמיו מאד‬vgl. Allen, Chronicles, 423; Klein, 1 Chronicles, 422 f. 186 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 353. 187 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 426. 188 Vgl. Auld, Census, 32. 189 Vgl. Jarick, Chronicles, 125–129; vgl. auch McKenzie, Chronicles, 171 f. 190 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 349. 191 Vgl. Allen, Chronicles, 423; Japhet, 1 Chronik, 350. 192 Vgl. Bailey, David and God, 340 f. 193 Vgl. im Detail Jarick, Chronicles, 126 f; Bailey, David and God, 350.

Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17)

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den Ausdruck im Gegensatz zum verwandten ‫ דרש‬Qal nur sparsam.194 Es sind ausgerechnet Asa und Joschafat, die den Herrn mit ‫ בקש‬suchen (2Chr 15,4.15; 20,4) und im Falle Joschafats sogar „bitten“. Von David wird nun implizit gesagt, dass er genau dies nicht tut: Er bittet nicht JHWH, fordert nicht von diesem Hilfe, sondern verlangt eine Volkszählung. Die Gebete sind in der Chronik für die Episode entscheidend: Nur weil David dann doch ausdrücklich „zum Herrn ruft“ (1Chr 21,26: ‫)ויקרא אל יהוה‬, findet er Erhörung;195 wobei JHWH dennoch zu jeder Zeit souverän bleibt. Letztere Überlegung könnte für die unterlassene Frage an Gott vor der Zählung als Grund für die Wertung als „Boshaftigkeit“ sprechen. Für die Sinnebene der Erzählung, David als „vorbildlichen Sünder“ zu portraitieren, ist die Frage des Wie der Schuld letztlich sekundär – ohne ein argumentum ex silentio überstrapazieren zu wollen: Möglicherweise wird der Leser hier gelenkt, in dem der Text diese Information gerade nicht gibt und sich auf den Umgang mit der Schuld konzentriert (sowie, im Gang der Erzählung der Chronikbücher, auf die Auffindung des TempelBauplatzes). Hier kommen die weiteren zahlreichen intertextuellen Verweise ins Spiel. Sie stellen David in eine Reihe mit den „Großen“ aus Israels Geschichte. Damit wird seine Figur zu der eines „Über-Königs.“196 Die Zeichnung Davids geht so weit, dass die Geschichte schon groteske Züge annimmt, etwa wenn David gar keine andere Wahl hat, als eine Strafe zu „wählen“, die auf jeden Fall sein Volk trifft.197 Daraus lässt sich der Umkehrschluss ziehen, dass seine Figur sehr viel wichtiger ist als die anderer Könige; entsprechend wiegt nicht das Vergehen der Person David besonders schwer, sondern das der Figur. Letztlich wird David, gerade weil er König mit großer Macht ist, auch zum Beispiel dafür, was bei falschem Einsatz – Abkehr von JHWH – königlicher Gewalt geschehen kann.198 Dazu passt, dass die Erzählung selbst am Ende auf den Tempelbauplatz zielt – eine Angelegenheit, die faktisch weniger für David als viel mehr für Israel eine Rolle spielt.199

194 Siehe zu den Wurzeln ‫ בקש‬Piel/‫ דרש‬Qal ausführlich Abschnitt Nr.15.2 bei den impliziten Gebeten. 195 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 356. 196 Vgl. Amit, Araunah’s Floor, 20. 197 Vgl. Bailey, David and God, 346. 198 Vgl. Bailey, David and God, 354. 199 Vgl. Mosis, Untersuchungen, 111.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

6. Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19) 6.1 Formale Gestalt 6.1.1 Abgrenzung Die Kapitel 28 und 29 des ersten Chronikbuches beschreiben die Feierlichkeiten zu Salomos Krönung. Den größten Raum nimmt als wörtliche Rede Davids stilisierter Text ein;200 dazu gehört auch Davids Dankgebet zu Salomos Krönung. Von der Rede an das versammelte Volk (1Chr  28,2–8; 29,1–5.20) und Salomo (1Chr  28,9–10.20–21) unterscheidet sich das Gebet durch die Angabe des jeweiligen Adressaten. Am Beginn des Gebetstextes wendet sich David öffentlich an Gott, ‫„( ויברך דויד את יהוה לעיני כל הקהל‬vor den Augen der ganzen Gemeinde“, 1Chr 29,10a; direkte Anrede 10cV), und nachher spricht er wieder ausdrücklich zur Gemeinde hin, ‫ויאמר דויד לכל הקהל‬, 1Chr 29,20a.

6.1.2 Übersetzung 10

a Und

10c

„Gepriesen bist du, JHWH, Gott unseres Vaters Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Dir, 11aV JHWH, sind die Größe und die Macht und die Schönheit und der Glanz und die Hoheit! Denn alles im Himmel und auf der Erde ist dein, 11bV JHWH, das Königreich und die Erhabenheit über alles als Haupt. Und Reichtum und Ehre kommen von dir, und du herrschst über alles, und in deiner Hand sind Kraft und Macht, und in deiner Hand ist es, 12dI1 alles groß 12dI2 und stark zu machen. Und jetzt, 13aV unser Gott, 13a danken wir dir 13b und loben den Namen deiner Schönheit. Denn wer bin ich, 14b und wer ist mein Volk, dass wir diese Kraft behielten, 14cI um freigiebig zu sein auf diese Weise? Denn von dir kommt alles, 14e und aus deiner Hand haben wir dir gegeben. Denn Fremde sind wir 15b und Beisassen wie alle unsere Väter. vor deinem Angesicht, Wie ein Schatten sind unsere Tage 15d es gibt keine Hoffnung. auf der Erde,

10cV 10c 11a.aV 11a 11b.bV 11b 12a 12b 12c 12d–dI 13a.aV

14a 14c 14d 15a

15c

David pries JHWH vor den Augen der ganzen Gemeinde, b und David sprach:

200 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 437; wörtliche Rede ist im ganzen Abschnitt das dominante stilistische Merkmal.

Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19) 16aV 16aP 16aPR 16aPRI 16a 17a.aV 17b 17d 17e 17eR 17eI 18aV 18a 18b 19a 19aI1 19aI2 19aI3 20

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JHWH, unser Gott, all diese Fülle, die wir hergerichtet201 haben, um dir für den Namen deiner Heiligkeit ein Haus zu bauen, aus deiner Hand ist sie, 16b und dein ist das alles. Und ich erkannte, 17aV mein Gott, dass du das Herz prüfst 17c und an Geradlinigkeit Gefallen hast. Ich habe frei, mit ungeteiltem Herzen, all dies gegeben; und jetzt sehe ich mit Freude dein Volk, das hier zu finden ist, um frei für dich zu geben. JHWH Gott Abrahams, Isaaks und Israels, unserer Väter, bewahre dies in Ewigkeit als Motiv202 der Gedanken des Herzens deines Volkes, und richte sein203 Herz auf dich! Und Salomo, meinem Sohn, gib ein ungeteiltes Herz, um zu bewahren deine Gebote, deine Zeugnisse und deine Satzungen, und um alles zu tun, und das Bauwerk zu bauen, 19aI3R das ich hergerichtet habe!“ a Und

David sagte zur ganzen Gemeinde: b „Preist doch JHWH, euren Gott!“ c Und die ganze Gemeinde pries JHWH, den Gott ihrer Väter, d und sie verneigten sich204 e und sie warfen sich nieder vor JHWH und dem König.

201 202 203 204

201 Die gängigen deutschen Übersetzungen geben das Verb ‫ כון‬hier mit „bereitstellen“ und in 19aI3 mit „vorbereiten“ wieder. „Aufrichten“ passt weder hier in 16aPR noch in 19aI3, denn David hat den Tempel nicht errichtet; das gilt für die zweite gängige Übersetzung für ‫ כון‬im Hifil, „gründen“, im Sinne von „Fundamente legen“, insgesamt: Auch dies hat David nicht getan. „Herrichten“ orientiert sich bei der Übersetzung an 18b, um die übertragene Bedeutung in 19aI3 besser zur Geltung zu bringen; trotz des ungewohnten Klangs passt dieser Ausdruck außerdem in 16aPR. Vgl. Klein, 1 Chronicles, 530. 202 Gemeint ist der innere Antrieb, dem das Volk folgen soll; der Übersetzungsvorschlag gleicht dies heutiger Redeweise an. 203 Es steht das enklitische Personalpronomen der 3.  Person Plural Maskulinum, „ihr Herz“ – das Herz derjenigen, die zum Volk gehören. Im Deutschen wäre der Bezug mißverständlich. 204 Übersetzung mit Japhet, 1 Chronik, 437.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

6.1.3 Struktur Das Gebet hat eine dreiteilige Struktur.205 Es beginnt mit einem Lob-Hymnus, der durch eine breit angelegte Doxologie in den Versen 10–12 eingeleitet wird. Diese Doxologie ist zweigeteilt. Vers 10 eröffnet das Gebet mit der Formel206 „Gepriesen seist du“, Vers 11 weitet die Eröffnung durch zwei Sätze mit dazwischen gestelltem Vokativ (11aV.bV in 11ab) aus. Die parallele Konstruktion der beiden Versteile sowie die Wiederholung der Attribute im zweiten Teil (Vers 12) unterstreichen die Schilderung göttlicher Herrlichkeit. Die Konjunktion ‫„ ועתה‬und nun“, der Vokativ  13aV, das erste Auftreten der ersten Person (außerhalb der Formel 10c.cV) und des Sprechaktes „Danken“ (‫מודים אנחנו לך‬, 13a)  kennzeichnen in Vers  13 den Beginn des zweiten Teils.207 Mit diesem setzt zudem die Verwendung von Parallelismen ein. Die Trennung der ersten beiden Teile ist allerdings nicht sehr stark, denn 14d.16aP.16b bilden mit dem Thema der „göttlichen Fülle“ eine Brücke zu Vers 11. Die häufige Verwendung von „alles“ (‫)כל‬208 verstärkt diese Klammer. Die Aussage „dein ist alles“ (Vers 11.16, ‫ )כל… לך‬bildet um die ersten beiden Teile eine Inklusio. Ebenso verklammert sich der Dank in Vers 13a mit jenem in 16–17 zu einer Inklusio um die Klage der Verse 14–15. Das Thema der Dankesgaben für JHWH hält diesen zweiten Abschnitt in sich zusammen.209 Das Personalpronomen der ersten Person Singular (‫אני‬, 14a.17d), das Volk (‫עם‬, einmal mit enklitischem Personalpronomen der ersten Person Singular 14b, einmal mit dem der zweiten Person Singular 17e) und die Verbform ‫( להתנדב‬14cI.17eI) formen eine dritte Inklusio um den Mittelteil, die allerdings Vers 13 ausnimmt. Dieser erscheint wie eine Eröffnung, was die Struktur des ersten Teils wiederspiegelt. Eine besonders ausgestaltete Gottesanrede, die schon formelhafte Züge trägt und im Zusammenhang mit Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ in 1Chr 17 bereits „feierlich“ genannt wurde, eröffnet in Vers 18aV den dritten Teil. Hier ändert sich der Charakter des Textes merklich, was besonders deutlich der Imperativ Vers 18a zum Ausdruck bringt: Dieser Abschnitt enthält Bitten. Inhaltlich bedeutsam ist die Abfolge von Lob (10–12), Klage-Dank (13–17) und Bitte (18–19).210 Diese Reihenfolge hat 1Chr 29,10–19 mit 1Chr 16,8–36 ge 205 Vgl. Balentine, Prayer, 101. Braun, Chronicles, 283, schlägt eine vergleichbare Einteilung vor, rechnet allerdings Vers 17 zum dritten Teil. Das ‫ועתה‬, dem er eine ähnliche Funktion zuerkennt wie dem Pendant in Vers 13, steht aber mitten im Vers. Die Teilung müsste daher konsequenter Weise auch im Vers erfolgen, es sei denn, die beiden Konjunktionen bilden eine Inklusio. Für eine Teilung nach Vers 18 spricht auch, dass Braun an gleicher Stelle auf den stark formelhaften Charakter der Anfänge der dann entstehenden Teile hinweist. 206 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 440; siehe auch Abschnitt Nr. 13.4. 207 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 19. 208 11 Mal im ganzen Gebet. 209 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 440; 457. 210 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 440.

Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19)

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meinsam,211 mit dem Unterschied, dass 1Chr  16 keine Klage unter den Dank mischt. Roddy Braun erkennt in den Teilen die Aufnahme dreier Psalmtypen: „the hymn, the thanksgiving, and the petition“.212 Um die Gattungsfrage zu vermeiden, lässt sich „psalm types“ hier auch mit „Psalmstilen“ übertragen.

6.2 Inhaltsanalyse 6.2.1 Aussagegehalt Davids Dankgebet zu Salomos Krönung weist große Ähnlichkeiten zu 1Chr 16, 8–36 auf. Namentlich behandelt David dieselben Themen, vor allem die Souveränität Gottes. Er argumentiert mit denselben historischen Bildern, beispielsweise mit der Wüstenwanderung.213 Hugh Williamson listet drei Grund-Gemeinsamkeiten mit 1Chr 16,8–36 auf:214 – Beide Texte arbeiten mit dem Motiv der Fremde beziehungsweise der landlosen Väter (1Chr 16,18–22; 1Chr 29,10–18). – Sie haben die Königsherrschaft als Hauptthema (1Chr 16,14.17.23–33, wo sich die Terminologie sogar steigert; 1Chr 29,11–12). – Die Gebete enden mit einer Bitte, wobei das Gewicht derselben in 1Chr  29 größer ist als in 1Chr 16. – Eine vierte Grundgemeinsamkeit lässt sich ergänzen: Beide Texte sind nahe verwandt mit den Psalmen. 1Chr 16,8–36 zitiert direkt, 1Chr 29,10–19 mischt die Grundvollzüge Lob, Dank und Bitte.215 Wie bei 1Chr 16,8–36 gehört es also zu den literarischen Eigenheiten von Davids Dankgebet zu Salomos Krönung, Psalmen oder Psalmteile aufzugreifen.216 Die interessanten Details dabei sind: – Das Motiv des „Schattens“ (‫לצ‬, Vers 15), findet sich in negativer Besetzung in der BHS nur noch in Ijob 8,9 (das ist die Stelle, die „zitiert“ wird217), Ps 102,12; 109,23; 144,4. Jenseits der genauen Etymologie gehört die Verwendung von ‫ םלצ‬in Ps 39,7 in diesen Kontext. 211 Vgl. Hausmann, Gottesdienst, 89. 212 Braun, Chronicles, 283. 213 Vgl. Wallace, Chronicles about Psalms, 277. 214 Vgl.  im Folgenden Williamson, Chronicles, 185 f; ausdrücklich dagegen Beentjes, Psalms and Prayers, 39. 215 Vgl. Braun, Chronicles, 283. 216 Eine Übersicht über alle denkbaren Referenzen bietet Braun, Chronicles, 283 ff; vgl. außerdem Japhet, 1 Chronik, 441; Klein, 1 Chronicles, 537 f. 217 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 441.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

– Die flüchtige Lebensspanne des Menschen, in deren Kontext der „Schatten“ steht, ist außer in Ijob 8,9 noch Thema in Ps 90,9–10218 und Ps 39,6.12. – Das Motiv der „landlosen Väter“ in Vers 15b wird durch ein Zitat aus Ps 39,13 eingespielt.219 Die Schlüsselbegriffe ‫ גרים‬und ‫ תושבים‬sind in diesem Zusammenhang selbst Gegenstand lebhafter wissenschaftlicher Diskussion. Gemeinsam in einem durch ‫ כי‬eingeleiteten Begründungssatz treten sie außer hier in 1Chr 29,15 und in Ps 39 nur noch in Lev 25,23 auf („denn Fremde und Beisassen seid ihr bei mir“). – Das Thema der „Herrschaft Gottes“, ausgefaltet in 1Chr 29,11 (‫)ממלכה‬, wird mit sehr ähnlichem Vokabular in Ps 145 beschrieben (allerdings verwendet Ps 145,11 gerade für die Herrschaft ‫)מלכות‬.220 Theologisch geht es noch genauer um die Allherrschaft Gottes (Leitwort ‫)כל‬. Auf den ersten Blick fällt auf, dass Ps 39 bis auf das Thema „Herrschaft“ bei allen diesen Verbindungen auftaucht. Zudem erscheinen die Motive der schattenhaften Tage und der Fremde in 1Chr 29 parallel; ergänzt um die Hoffnungslosigkeit. Um Hoffnung, mit einer anderen Vokabel ausgedrückt, geht es auch in Ps 39,8 – dort allerdings positiv, denn dort ist die Hoffnung des Beters bei seinem Herrn. Hans-Peter Mathys interpretiert die Aussagen in 1Chr 29,14c–15d als Antwort auf die Frage in 14ab.221 Das Motiv der Gaben, die das Volk für den Bau eines Heiligtums bringt, stammt nach Ralph Klein aus den Weisungen zum Bau (Ex  25,1–9) und dem Baubericht des Zeltheiligtums (Ex 35,4–9). Klein merkt dazu an, dass in Exodus ein Dankgebet fehlt. Außerdem war es nach der Beschreibung in Exodus dem Volk, den „Laien“, auch noch erlaubt, am eigentlichen Bau des Heiligtums mitzuwirken. Davon ist in der Chronik nicht mehr ausdrücklich die Rede.222 Bedeutender ist indes der Unterschied, dass eine Abgabe (und damit Mitwirkung) des Volkes für das Heiligtum nach Ex  25,1–9 ausdrückliche Weisung JHWHs ist, während 1Chr 29,1–5 zufolge die Initiative bei David liegt, wie es bereits bei der Idee zum Tempelbau (1Chr 17) der Fall war. Dies wirkt sich auf das Davidbild der Chronik aus: Obwohl gerade das Gebet 1Chr 29,10–19 JHWH als Quelle der Gaben für den Tempel anerkennt, ist es David, der ihre Abgaben anordnet (1Chr 29,1–5, noch dazu stilisiert als feierliche Rede an das Volk223).

218 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 538. 219 Vgl. Japhet, Ideology, 340, Fußnote 262; Japhet, 1 Chronik, 441. 220 Vgl. Mathys, Dichter, 38, Fußnote 10, der die übereinstimmenden Begriffe auflistet. 221 Vgl. Mathys, Dichter, 41. 222 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 531. 223 Throntveit, When Kings Speak, 89–96 rechnet mit 1Chr  29,1–5 als redaktionellem Zusatz. Dagegen überzeugender Klein, 1 Chronicles, 531 f, Fußnote 6; es bleibt aber bei den funktionalen Beobachtungen Throntveits.

Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19)

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‫ יהוה אלהי ישראל אבינו‬in Vers  10cV könnte grammatisch auch als „JHWH, Gott Israels, unser Vater“ gelesen werden. Die Bezeichnung Gottes als „Gott Abrahams, Isaaks und Israels, unserer Väter“ in Vers  18aV allerdings lässt den Rückschluss zu, dass auch zu Beginn der Titel „Vater“ für Gott nicht verwendet wird.224 Der „Gott Abrahams, Isaaks und Israels“ wird auch in 2Chr  30,6 noch einmal erwähnt. Das Vater-Bild spielt in der Chronik eine kleine Rolle im Zusammenhang mit der „Natan-Verheißung“, wenn sich JHWH in stilisierter Gottesrede als „Vater“ Salomos darstellt (1Chr 17,13). Der dreifache (und intensive) Vokativ bringt das Grundthema des Gebets auf den Punkt: Gottes Souveränität.225 Schließlich enthält Vers  19 gleich drei Begriffe aus dem Wortfeld „Gesetz“ (‫)חק ;עדות ;מצוה‬, was sonst in der Chronik nur noch in 2Chr 34,31 vorkommt.226

6.2.2 Sprechhandlungsgehalt Die wichtigsten Klassen der Sprechakte in 1Chr 29,10–19 wurden bereits bei der Strukturanalyse benannt, denn von ihnen leitet sich die Bezeichnung der Teile des Textes ab: Im ersten Abschnitt, Verse  10–12, dominiert das Lob; im zweiten Teil, Verse 13–17, der Dank und im dritten, Verse 18–19, die Bitte. Auffällig ist die Übereinstimmung der Teilung mit der Verwendung der direkten Gottesanrede (10cV.13aV.18aV).227 Dies gilt auch für den Ruf 16aV: Klagende Sprechakte kommen nur in den Versen 14–15 vor; entsprechend setzt mit 16aV erneut das Lob ein. Die Strukturanalyse hat gezeigt, dass die Verse 13–17 dennoch eine Einheit bilden. Sowohl 1Chr 29,10–19 als auch 1Chr 16,8–36 enden mit einer Bitte.228 Was in 1Chr 16 noch nicht zu sehr auffällt, erscheint in 1Chr 29,10–19 im Vergleich umso eindringlicher. Zudem ist der Anteil bittender Sprechakte am Gesamttext in 29,10–19 höher ist als im Text von 1Chr 16,8–36.229 Gegen dieses Gewicht und das von Lob und Dank scheint die Klage in 1Chr 29 zunächst ein wenig unterzugehen.230 Dennoch ist ihr Anteil deutlich wahrnehmbar, zumal die Sprechakte

224 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 455. 225 Vgl. Balentine, Prayer, 101. 226 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 539. 227 Vgl. Braun, Chronicles, 283. 228 Vgl. Williamson, Chronicles, 186. 229 In 1Chr  16,8–36 dominiert bei 6 Sprechakten des Abschnitts die Bitte, das entspricht einem Anteil von 8 Prozent an den 77 Sprechakten des Abschnitts; in 1Chr 29,10c–19 sind es 7 von 47 Sprechakten oder rund 15 Prozent. Die Aufgliederung nach Sprechakten für 1Chr 16,8– 36 bietet Richter (Hg.), BHT Chr, 1758 ff; für 1Chr 29,10–19 ist sie in der Übersetzung wiedergegeben. 230 Die Anteile für Lob und Dank ergeben sich folgendermaßen (47 Sprechakte insgesamt): 9 Mal „Lob“ (rund 20 Prozent), 10 Mal „Dank“ (rund 21 Prozent), was zusammen 41 Prozent

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Klage und Bitte, wie schon bei 1Chr 16 gezeigt, verwandt sind; die Anerkennung Gottes als Geber ist Voraussetzung dafür, eine Bitte an ihn zu richten.231 Eine auffällige, wenn auch solitäre Verbindung zu 1Chr 17 schafft die Frage „Wer bin ich?“ in 1Chr 29,14ab (vgl. 1Chr 17,16d–e).232 Sie greift schon in die Herrschaft Salomos voraus; Salomo verwendet die Formulierung in seinem Brief an Huram von Tyrus (2Chr 2,5).233 1Chr 29 ist nicht nur im Kontext der Erzählung(en) vom Ende der Herrschaft Davids verankert, sondern auch mit einem anderen Teil der Herrschaft dieses Königs verbunden.

6.3 Funktionsanalyse 6.3.1 Literarische Eigenart Eine der offensichtlichsten literarischen Funktionen ist die Inklusion, die 1Chr  29,10–19 mit 1Chr  16,8–36 um die Erzählung von Davids Vorbereitungen zum Tempelbau bildet. Die beiden Texte 1Chr 16 und 1Chr 29 sind, wie die Struktur- und Inhaltsanalysen zeigen, eng verknüpft.234 Unterstrichen wird diese Funktion noch dadurch, dass die Verbindung doppelt sowohl zum Ende der Geschichte der Lade (1Chr 16) als auch zum Beginn der Geschichte des Tempels (1Chr 17) besteht. Sara Japhet führt in ihrem Kommentar an, dass der Text von 1Chr 29,10–19 sich von anderen „biblischen Gebeten“ dadurch unterscheide, dass er „fest in seinen historischen Umständen und seinem erzählerischen Kontext verankert“ sei.235 Für „biblische Gebete“ außerhalb der Chronik mag dies zutreffen, ebenso wie für die Verankerung in historischen Umständen. Es trifft wohl auch zu, dass zwar einerseits die Verbindung von Partizipien und ‫יכ‬-Sätzen der formgeschichtlichen Entwicklung des „Hymnus“ in Israel entspricht,236 der Text mit der Abfolge der

des Textes ausmacht, gegenüber 8 Mal „Klage“ (17 Prozent). Die übrigen Sprechakte sind vor allem Anreden. 231 So verhält es sich auch in 1Chr 16, siehe Abschnitt Nr. 3.2.1; zum Zusammenhang von Bitte und Bekenntnis vgl. Hieke, Grundzüge, 20. 232 Vgl. Williamson, Chronicles, 186; Klein, 1 Chronicles, 537. 233 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 36; Mathys, Dichter, 41. 234 Vgl. Williamson, Chronicles, 186; Watts, Psalm and Story, 189; Japhet, 1 Chronik, 458. Dagegen aber Allen, Kerygmatic Units, 22, der aus der Parallelität der Erzählungen von 1Chr 14–16 und 17–29 den Schluss zieht, dass 1Chr 16 und 29 gerade keine Inklusio bilden, weil 1Chr 16 nicht der „Anfang“ der nachfolgenden Geschichte ist. Allerdings spielt die Bundeslade für den nachfolgenden Tempelbau insofern durchaus eine Rolle, als dass ihre Ankunft in Jerusalem die Voraussetzung für Davids Idee ist, ihr und damit JHWH einen Tempel zu bauen. 235 Japhet, 1 Chronik, 440. 236 Vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 152 ff.

Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19)

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Sprechhandlungen dagegen keinem „Standard“ zu folgen scheint.237 Die Verbindung mit dem erzählerischen Kontext jedoch weist bemerkenswerte Parallelen mindestens zu 1Chr 16,8–36 auf. Außer den bereits erwähnten Ähnlichkeiten ist dies die Art der Einbindung selbst: 1Chr 16,8–36 nimmt seine Einführung aus 1Chr 16,4 wieder auf. In 1Chr 29 greifen das „ungeteilte Herz“ (‫)לב)ב( שלם‬ 17d.19a, die Freude (‫ )שמחה‬in 17e und das „freie Geben“ (‫ )נדב‬in 17eI den vorausgehenden Vers 9 auf.238 Zusammen mit der Beobachtung, dass sich die Kapitel 1Chr 28–29 textweltlich hauptsächlich an das Volk richten, ergibt sich ein ähnlicher Effekt wie in 1Chr 16,8–36: Davids Gebet erscheint als „Ausführung“ oder „Beleg“ der Freude über die Fortschritte bei der Tempelbau-Vorbereitung.

6.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Wie eine Überschrift qualifiziert die Formel „gepriesen seist du, JHWH“ den folgenden Text als „Preisgebet“.239 Sie verbindet 1Chr 29 in die Chronik hinein und mit den Psalmen.240 Ein Segen schließt auch 1Chr 16 ab, es folgt dort die Antwort des Volkes auf das Dankgebet zur Ladeüberführung.241 In 2Chr 6,4 eröffnet die Formel die in Salomos Bittgebet zur Tempelweihe eingeschaltete Rede an das Volk. Auch sonst sind es stets Könige, die sie im Mund führen, namentlich Huram von Tyrus (2Chr 2,11) und die Königin von Saba (2Chr 9,8).242 Die Geschichten von Huram und der Königin von Saba machen die Funktion der Formel als Hilfsmittel zur Identitätsstiftung deutlich: Wenn sogar fremde Könige JHWH preisen können, um wieviel mehr müssen Israeliten in entsprechendes Gebet einfallen. Ähnlich verleiht die Formel dem Gebet Davids eine „Vorbildfunktion“ und schreibt David „Führungsqualitäten“ zu. Dies wird bestätigt durch die sich an das Gebet Davids anschließende Aufforderung an das Volk, die ebenfalls ‫ ברך‬verwendet. Ralph Klein weist zusätzlich auf die Parallele einer Aufforderung ‫ ברכו את יהוה‬mit Bezug auf ‫ עולם‬in Neh 9,5 hin. Gegenüber dem idealen Leser leistet die Einleitung zweierlei: Als Formel verleiht sie dem Gebet imperative Kraft. Zugleich personalisiert die Einfügung von ‫ אתה‬die Anrede auf Gott hin, sodass der Text wie ein persönliches Gespräch Davids mit seinem Gott wirkt,243 das aber öffentlich gesprochen wird. Insofern 237 Klein, 1 Chronicles, 532 formuliert: 1Chr 29,10–19 ist „not conform to any standard genre of the psalter“. 238 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 457. 239 Zu dieser Formel, ihren Vorkommen und ihrer Funktion außerhalb von Gebeten siehe ausführlich Abschnitt Nr.  13.4; auffällig ist hier die Einfügung des Personalpronomens, vgl. Wehmeier, Segen, 129. 240 Vgl. Braun, Chronicles, 284. 241 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 458. 242 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537. Diese beiden Vorkommen sind die angesprochene Verwendung außerhalb von Gebeten in den Chronikbüchern. 243 Vgl. Wehmeier, Segen, 129.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

wird der Text zum „Mustertext“ eines Vor-Beters. Das Muster aus einem Gebet, das die textweltlichen Hörer einbezieht und auf der Ebene der Text-LeserKommunikation eine Aufforderung an den Leser impliziert, sich dem jeweiligen Anliegen anzuschließen, findet sich mehrfach in der Chronik: Beim Dankgebet zur Ladeüberführung, bei Salomos Bittgebet zur Tempelweihe und bei Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon.244 Eine Textvorlage, um den Herrn zu bitten, das Herz der Betenden auf sich zu richten (vgl. Vers 18), liefert 1Chr 29 mit der Aufforderung gleich mit. Dass die bārûk-Formel hier, wie sonst nur noch in Ps 119,12,245 mit ‫ אתה‬gebildet wird, erleichtert die Verwendung des Textes als „Muster“ weiter, denn der Betende kann Gott direkt ansprechen.246 Die besondere Situationsbezogenheit, die Japhet konstatiert, steht dem nicht entgegen;247 eher im Gegenteil: Der Vorbildcharakter kommt gerade durch die Verwendung und Verzahnung von Davids Dankgebet zu Salomos Krönung mit dem Kontext der Erzählung von den Abgaben zum Tempelbau 1Chr 28–29 zustande. Die Bezüge zu Exodus und Ps 39 illustrieren den Zusammenhang: Klein deutet den motivischen Bezug auf Ex 25; 35 so, dass der Text in 1Chr seine Leser ebenfalls zu Spenden auffordern will.248 Braun sieht in den Übernahmen aus Ps  39 eine „Anpassung“ des Gebets an die Zeit nach dem Exil.249 Damit schließt er sich einer „soziopolitischen Deutung“ an: Daniel Estes hat versucht, das Fremdsein vor Gott hier entsprechend metaphorisch zu verstehen.250 Das Motiv ist mehrdeutig: Es kann sich generell auf das Fremdsein vor Gott beziehen; es kann aber auch Ausdruck eines Gefühls angesichts eines politischen Status sein. In jedem Fall kommt es in der Hebräischen Bibel nur an drei Stellen vor: Lev 25,23; Ps 119,19 und hier.251 Damit ist zweierlei erreicht: Zum einen erfüllt der textweltliche David weiter seine „Vorbildrolle“; das umso mehr, da er das Gebet anführt.252 Während der textweltliche David in 1Chr 16 noch die Leviten beauftragt, einen Lobpreis für JHWH zu verfassen, spricht er den Segen hier selbst; Salomo wird ihn darin bei der Tempelweihe später nachahmen.253 Auf diese Weise ist das umstehende 244 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 531. Ebenso gilt dieses Muster für die königlichen Reden in den Chronikbüchern, die hier nicht untersucht werden; vgl. zur Rede in 1Chr 29,1–5.10–19 mit 20 als Antwort insbesondere Throntveit, When Kings Speak, 21; 89–96. Es gibt auch Überlegungen, den ersten Vers nach dem Gebet zum Gebetstext hinzuzurechnen, wie es auch für 1Chr 16,37 diskutiert wird, vgl. Klein, 1 Chronicles, 531 f. 245 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 20. 246 Vgl. Balentine, Prayer, 207. 247 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 440. 248 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 532. 249 Vgl. Braun, Chronicles, 285. 250 Vgl. Estes, Sojourning. 251 Vgl. Anderson, Psalms, 313; Klein, 1 Chronicles, 538. 252 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537. 253 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537.

Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10)

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Volk (vgl. Verse  10.20) einbezogen. Zum anderen spricht das Gebet aus dem Text heraus, wenn die Inhalte auch zu einer Situation passen, die mit der Monarchie nichts mehr zu tun hat. Dadurch kann sie die erwähnte „imperative Kraft“ auch bei einem Leser entfalten, dessen Tage „im Schatten“ sind (vgl. Vers 15 und Ps 39,7).254

6.3.3 Theologie Die klagenden Sprechakte dienen im Kontrast zum Dank, den sie umschließen, und dem Lobpreis, mit dem das Gebet anhebt, als „Gegenfolie“, die das Argument gegenüber Gott, die Bitte zu gewähren, umso schärfer macht.255 Salopp formuliert bittet David an seinem Lebensende: „Halte mein, also dein Volk, bei der Stange, Gott!“ Samuel Balentine nennt hier, wie Kleinig es für 1Chr 16 getan hat, „proclamation“, „Verkündigung“, als Hauptthema und -funktion des Textes.256 Die Bitte Davids für künftige Generationen257 verbindet sich mit der die Zeiten überbrückenden Einleitungsformel. Verkündet werden Gottes Macht und Größe sowie ein Gnadenverständnis (obwohl das Schlüsselwort ‫ חסד‬nicht vorkommt), bei dem Gott immer in Vorlage tritt – mit der Begründung, dass „alles Gott gehört“ (Vers 11).258 Das geht soweit, dass selbst Israel „fremd“ bleibt im Land.259 Diese Auffassung ist auch für die Geschichten der Könige Asa und Joschafat wichtig.260 Verkündet werden sie aber nicht nur dem textweltlichen Volk Davids, sondern jedem Leser.

7. Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10) 7.1 Formale Gestalt 7.1.1 Abgrenzung Die Erzählung um den Beginn von Salomos Herrschaft stellt Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10) in den Kontext eines Traumes. JHWH fordert den König ausdrücklich auf zu sprechen. Dennoch sind die Verse nach allen formalen Kriterien ein Gebet: Die Einleitung nennt den Adressaten Gott (Vers 8a), und Salomo spricht Gott mehrfach mit „du“ und einmal mit 254 Vgl. Braun, Chronicles, 285. 255 Vgl. Knoppers, Chronicles, 964. 256 Vgl. Balentine, Prayer, 102. 257 Vgl. Knoppers, Chronicles, 966. 258 Vgl. Mathys, Dichter, 38 f. 259 Vgl. Mathys, Dichter, 41. 260 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 538; Balentine, Prayer, 102.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Namen (9aV) an. Die Redeeinleitungen 2Chr 1,8a.11a und die inhaltliche Inklusio durch die Betonung der Größe (der Gnade und des Volkes, ‫ גדול‬in den Äußerungseinheiten 8b.10d) markieren deutlich eine Abgrenzung zum Kontext.

7.1.2 Text und Übersetzung ‫ ויאמר שלמה לאלהים‬8a

R

‫ אתה עשית עם דויד אבי חסד גדול‬8b A ‫ והמלכתני תחתיו‬8c ‫יהוה אלהים‬9aV | ‫ עתה‬9a

A’

‫ יאמן דברך עם דויד אבי‬9a ‫ כי את המלכתני על עם רב כעפר הארץ‬9b A ‫ עתה חכמה ומדע תן לי‬10a ‫ואבואה‬10c | ‫ ואצאה לפני העם הזה‬10b ‫מי ישפט את עמך הזה הגדול‬

B

‫ כי‬10d

…‫ ויאמר אלהים לשלמה‬11a 8a Und

A’

R

Salomo sagte zu Gott:

R



A

8b „Du

hast an David, meinem Vater, große Gnade getan,

8c und

mich zum König gemacht an seiner statt.

A’



9a Jetzt,



9a möge

| 9aV JHWH Gott, | sich dein Wort an David, meinen Vater, als zuverlässig erweisen,

A

9b denn

A’



B



10b und



10d denn

R

du hast mich zum König gemacht über ein Volk, so zahlreich wie der Staub der Erde.

11a

10a Jetzt

gib mir Weisheit und Erkenntnis,261 ich will ausrücken262 vor diesem Volk | 10c und einrücken, wer richtet dieses dein großes Volk?“

Und Gott sagte zu Salomo…

261 262

261 ‫ מדע‬wird mit „Erkenntnis“ übersetzt, um den Zusammenhang mit der Wurzel ‫ ידע‬zu verdeutlichen, vgl. Bergman/Botterweck, ‫‏ידע‬‎, ThWAT III, 510 f. 262 Die Form ‫ אצאה‬mit ‫ה‬-Kohortativum ist einmalig in der BHS.

Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10)

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7.1.3 Struktur 2Chr  1,8b–10 hat eine dreiteilige Struktur, die im Strukturbild der Text- und Übersetzungsdarstellung als A, A’ und B gekennzeichnet ist. Die ersten beiden Teile A–A’ sind syntaktisch und inhaltlich ineinander verschachtelt. Für den Zusammenhalt der Teile in sich sorgen Alliteration und Wiederholung: Das sind für Teil A der prononcierte Satzbeginn mit ‫אתה‬/‫( את‬Verse 8b.9b) und die wörtliche Wiederholung ‫( המלכתני‬8c.9b)  sowie für A’ ‫( עתה‬Verse  9a.10a).263 Der Gleichklang ‫אתה‬/‫ עתה‬verbindet demgegenüber die Teile A–A’, ebenso wie die syntaktische Brücke durch ‫ כי‬in Vers 9b. Die Verschachtelung hat mit den Funktionen der Versteile zu tun. Teil A enthält in 8c.9b Dank, Teil A’ in 9a.10 Bitten; diese Funktionen gehören stets zusammen264 und sind hier durch den Wechsel besonders eng verzahnt (8c–9a–9b–10a ergeben das Muster A–A’–A–A’). Die Sprechaktanalyse wird noch die Begründung dafür liefern, die Verse 10b–d als Teil B von den übrigen Versen abzugrenzen, obwohl sie syntaktisch und inhaltlich verbunden sind (das ‫ ו‬in 10b kann sogar final aufgefasst werden265). Die inhaltliche Verbindung ist durch die Aufnahme des Volkes (‫ )עם‬aus 9b in 10d und dessen Bestimmung „groß“ als Parallele zu „zahlreich wie der Staub der Erde“ stilistisch sehr auffällig. Dennoch bilden die Verse 10b–d einen Teil für sich, denn sie liefern zusammen die vordergründige Begründung für Salomos Ansinnen, Weisheit und Erkenntnis zu erlangen.

7.2 Inhaltsanalyse 7.2.1 Aussagegehalt Der Text zeigt in nur drei Versen mehrere Spielarten der Symmetrie. Dazu gehören Wortsymmetrien (große Gnade 8b – wie Staub der Erde 9b – großes Volk 10d; bleiben 9a – geben 10a, die direkte Wiederholung „du hast mich zum König gemacht“266 8c.9b und der Merismus ausrücken 10b – einrücken 10c) sowie die inklusorisch verschränkten und zusätzlich alliterierenden Satzanfänge 8b.9b/ 9a.10a. Im Kontrast dazu stehen die schlichte, erzählende Satzfolge und das Fehlen von Parallelismen. Doch dieser Kontrast passt zur Vermischung der Bedeutungs- und Sinnebenen. Die beiden Wurzeln ‫ בוא‬und ‫ יצא‬sind Allerweltsworte. Die Ähnlichkeit zum deutschen Ausdruck „Kommen und Gehen“ führt aber in die Irre, denn 263 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 23. 264 Vgl.  Hieke, Grundzüge; dieser Zusammenhang spielte schon verschiedentlich eine Rolle, auch bei Davids Dankgebet zu Salomos Krönung. 265 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 24. 266 Im Hebräischen genügt zu dieser Aussage ein einziges Wort: ‫והמלכתני‬.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

wenn die beiden Wurzeln kombiniert auftreten, gehören sie zur Militärsprache. Subjekt ist in vielen Fällen der Heerführer, der mit den Truppen aus- und wieder einrückt, das heißt die Befehle gibt, Israel in Marsch zu setzen oder den Feldzug zu beenden.267 Auffällige Hypotexte, in denen dieses Bild des ein- und ausmarschierenden „Herzogs“ vorkommt, sind die Erzählungen von Josua und der Nachfolge des Mose: Num 27 (vgl. 27,17.21) und Dtn 31,1–8 (vgl. 31,1). Numeri 27,17ab beschreibt den Auftrag des Josua als den des Mannes, „der ausrückt (‫ )יצא‬vor ihrem Angesicht und einrückt (‫ )בוא‬vor ihrem Angesicht“. In Deuteronomium 31,2c–cI2 ist es Mose, der nicht mehr „ausrücken und einrücken kann“, woraufhin Josua seine Aufgaben übernehmen soll (Dtn 31,7–8). Überdies treten die Wurzeln ‫ יצא‬und ‫ בוא‬als Verben des Auszugs/Ausziehens aus Ägypten auf (vgl. zum Beispiel Ex 13,8) und in Verbindung mit der Verheißung des neuen Landes („wenn ihr in das Land kommt“, vgl. beispielsweise Ex 12,25) letzteres verstärkt im Deuteronomium (vgl. Dtn 6,23; 9,7.28). Indem 2Chr 1 diese Bezüge aufruft und „ausrücken und einrücken“ als Tätigkeit des Königs nennt, reklamiert der Text für Salomo die ganze Machtfülle, die in diesen Begriffen steckt: Salomo wird zum Heerführer wie Josua, gar zu dem, der dem Volk wie Mose vorangeht. Die motivische Verbindung an dieser Stelle erscheint umso plausibler, da Hugh Williamson nachgewiesen hat, dass der gesamte Vorgang des Übergangs der Regentschaft von David zu Salomo dem Übergang von Mose zu Josua nach der Darstellung in Deuteronomium gestaltet ist.268 Die Übersetzung folgt daher dem Vorschlag der Zürcher Bibel, um den Zusammenhang sowohl mit der „Kriegssprache“ (vgl. 1Sam 18,13.16) als auch mit dem Exodus und Josua zu verdeutlichen.269 Der Eindruck dieses Vergleichs verstärkt sich, wenn die Reden Davids zu Salomo (1Chr 22,11–16; 28,20–21) ebenfalls berücksichtigt werden.270 In Richtung der Themenkomplexe Exodus/Mose und Landnahme/Josua weist aus dem Kontext der salomonischen Bitte zusätzlich die Ortsangabe „Gibeon“, 2Chr 1,3 – auch wenn textliche Probleme möglicherweise dazu anhalten, ein anderes „Gibeon“ zu vermuten als jenes in Benjamin.271 Nach Gibeon hatte Salomo sich den Versen 1–6 zufolge mit seinem Hofstaat begeben, um vor dem Offenbarungszelt (‫אהל מועד‬, Vers 3) zu opfern (‫ עלה‬Hifil, Vers 6). Josua 9 erzählt

267 Vgl. Preuss, ‫יצא‬, ThWAT III, 799 f; zur kriegerischen Bedeutung des zweiten Bestandteils des Wortpaares ‫בוא‬/‫ יצא‬vgl. ferner Preuss, ‫בוא‬, ThWAT I, 568. 268 Vgl. Williamson, Accession. Simon De Vries hat in einer breit angelegten Untersuchung der „Autorisationsformeln“ versucht nachzuweisen, dass David in den Chronik­büchern dieselbe Autorität zukommt wie Mose im Pentateuch, vgl. De Vries, Moses and David, 638 f. 269 Vgl. auch die Übersetzung von Japhet, 2 Chronik, 24: „daß ich ausziehe vor diesem Volk und einziehe…“ 270 Vgl. Pratt, Chronicles, 292. 271 Vgl. Schenker, Salomo, 88 ff.

Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10)

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die Geschichte, wie die Gibeoniter durch eine List einen Friedensvertrag mit Josua aushandeln. Gibeon bleibt dadurch der einzige Ort, der bei der Landnahme der Zerstörung durch Israel entgeht.272 2Chr 1,3.5 verorten zusätzlich das ‫ אהל מועד‬aus der Zeit der Wüstenwanderung und den Altar des Bezalel aus Ex 26–27; 31,2 in Gibeon.273 Damit führt die Spur von Salomos scheinbar bescheidener Bitte über den Ort, an dem sie ausgesprochen wird und die gewählten Begriffe zu den Altvorderen Israels. Dies verstärkt den genannten Herrschaftsanspruch weiter. Damit fordert der Text weit umfassendere Macht, als „Weisheit und Erkenntnis“ auf den ersten Blick erkennen lassen. Diese Verbindung einer klaren Bitte um Weisheit mit einer verschleierten Bitte um Macht wirft ein neues Licht auf die rhetorische Frage am Ende von Salomos Gebet, 2Chr 1,10: Der textweltliche Salomo fragt, wer Gottes Volk richten (‫ שפט‬Qal) soll. Die Übersetzung „richten“ steht gegen Kommentare, die eher „herrschen“ verwenden.274 Die Wurzel stellt eine Verbindung zu den Richtern (vgl. zum Beispiel Ri 2,16–19) her, die vor den Königen in Israel herrschen und deren Zeit sich an die Landnahme (und Josua) anschließt. Die bescheidene Formulierung „richten“ kontrastiert dabei die reklamierte umfassende Machtfülle275 und bringt einen theologischen Gedanken ein, der für die Wertung von Herrschaft in der Hebräischen Bibel grundlegend ist: Der letzte oder höchste Herrscher ist stets JHWH.276 Vor diesem Hintergrund erscheint es beinahe nebensächlich, welche Bedeutung sich konkret hinter ‫ ומדע חכמה‬verbergen könnte. Dieser Ausdruck kommt sonst in der Hebräischen Bibel nicht vor – nicht einmal an der Parallelstelle in 1Kön 3,9.277 Das Motiv des „großen Volkes“, das 2Chr 1,8–10 durchzieht, schlägt den Bogen von Salomo zu den Erzeltern-Erzählungen der Genesis. In Vers 9 wird die Größe des Volkes mit dem Bild umschrieben, das zu den Verheißungen an Abraham (Gen  13,16) und Jakob (Gen  28,14) gehört: „zahlreich wie der Staub der Erde“.278 Damit ist das Argument des Gebets nicht weniger, als dass JHWH einerseits seine Verheißung eingelöst hat– die Nachkommen Jakobs sind nun ein un 272 Vgl. Schäfer, Josuabuch, CBL2 1, 691. 273 Schenker, Salomo, 91 f, vermutet (produktionsorientiert), dass die Chronik bewusst alle diese Stätten der JHWH-Verehrung zusammenführt (und damit eine Kohärenzstörung in 2Chr 1 in Kauf nimmt, wenn „Gibeon“ missverstanden wird), um Salomos Beten und Opfern abseits des von Gott durch David bereits bestimmten Tempelplatzes zu legitimieren. 274 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 31 f; Klein, 2 Chronicles, 24. 275 Für „herrschen“ wären andere Wurzeln denkbar, etwa ‫ משל‬oder die Wendung ‫היה על‬, die unmissverständlicher eine Machtstellung ausdrücken würden. Nicht zuletzt käme für Salomo auch ‫ מלך‬in Frage. 276 Vgl. die Deutung des Richtertums unter Gideon in Ri 8,22–23, der es ablehnt, zu „herrschen“ (‫ משל‬Qal), weil JHWH dies tut, vgl. Scherer, Richter, Abschnitt 6.2. 277 Das Gebet hat dort eine gänzlich andere Gestalt. Auch das Motiv „ausrücken und einrücken“ ist anders gebraucht: Salomo argumentiert damit, dass er davon „nichts wisse“. 278 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 24; Williamson, Chronicles, 196.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

zählbar großes Volk; dass aber andererseits aus der Erfüllung dieser Verheißung heraus die Notwendigkeit erwächst, diesem Volk Führung zukommen zu lassen („wer kann richten“, Vers 10). 2Chr 1,8–10 konzentriert die gesamte Geschichte Israels auf drei Verse und leitet daraus die Notwendigkeit des Königtums ab.

7.2.2 Sprechhandlungsgehalt Innerhalb des Gebetes beginnt der textweltliche Salomo seine Rede mit Dank (8bc: „du hast große Gnade getan; … mich zum König gemacht“). Die erste Bitte (9a „möge sich dein Wort … erweisen“) wird mit einer Anrufung verbunden (9aV). 9b ist wieder Dank, was die zusammengehörigen Funktionen „Dank“ und „Bitte“ verschränkt. Weil JHWH bereits an David gehandelt hat, ist es Salomo möglich, die Bitte um Weisheit und Erkenntnis zu äußern. An Vers 9a fällt auf, dass es sich um den seltenen Fall handelt, dass ein Satz bereits grammatisch als Wunsch gelesen werden kann.279 Die zweite Bitte (10a) ist durch den Imperativ zuerst ein Befehl. Der Kontext zeigt jedoch, dass auch hier Salomos Wunsch dominiert. Obwohl Dank und Bitte zusammengehören,280 löst dies den leichten Widerspruch zwischen dem Dank in Sprechakt 8b und der Bitte in 9a nicht gänzlich auf. Die Auflösung kann nur durch Rückgriff des Lesers auf die Verheißung an David in 1Chr 17 erfolgen. Bei den drei letzten Versen ist die Schere zwischen (grammatischer) Form und Funktion besonders groß: Verse 10bc sind durch ‫ה‬-Kohortativum verstärkte Selbstaufforderungen („ich will ausrücken und einrücken“), die aber durch den textweltlichen Adressaten, Gott, zu Begründungen werden. Ebenfalls Teil der Begründung ist die Frage (eingeleitet durch die Fragepartikel ‫מי‬, 10d). Insofern der Salomo der Textwelt keine Antwort erwartet, ist es eine rhetorische Frage – doch die Antwort darauf steht nicht ganz fest. Sie könnte entweder „niemand“ lauten, wenn sie auf Menschen bezogen wäre, oder aber „nur du, JHWH, allein“. Folglich ist sie Teil des „Understatement“, das Salomo textweltlich betreibt: Er kann die Aufgabe, die ihm durch JHWHs Gnade an seinen Vater zugewachsen ist, nur erfüllen, wenn JHWH sein Wort (weiterhin) einhält und ihm ebenfalls eine Gnade gewährt. Damit ist die Begründung in der Textwelt final. Durch die reichen Bezüge des Kontexts und auf den Kontext unterstreichen diese Sätze den Machtanspruch Salomos.

279 Möglich ist dies durch die grammatische Abfolge des II. Inversionspaars, vgl. Irsigler, Einführung, 160; Irsigler bezeichnet die Funktion als „Forderung“; in diesem Kontext erscheint „Bitte“ allerdings angemessener. Funktional unterscheiden diese beiden Tätigkeiten sich nicht. 280 Der Zusammenhang entspricht dem von Bekenntnis und Bitte; siehe dazu Abschnitt Nr. 5.2.2.

Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon (2Chr 1,8–10)

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7.3 Funktionsanalyse 7.3.1 Literarische Eigenart Die Verse 2Chr 1,8–10 sind eingebettet in eine „Traumsequenz“, eine Begegnung Salomos mit Gott (Verse 7–12).281 Der Abschnitt, der von 2Chr 1,1 bis 13 läuft, markiert den Beginn der Erzählung von Salomos Herrschaft. Der Gebetstext ist mit dieser Umgebung und dem Erzählfaden der Chronikbücher aufs Engste verbunden, vor allem über den Hinweis auf Gottes Wort an David (2Chr 1,9a) und die Wendung „ausrücken und einrücken“ aus  10bc. Das „Wort an David“ (‫ ; דברך עם דויד‬9a) ist die „Natan-Verheißung“, 1Chr 17. Zu diesem Thema und Text besteht zudem eine Stichwortverbindung über die Wurzel ‫אמן‬.282 Der Verweis auf die „Natan-Verheißung“ schafft eine Verbindung zu Davids Gebet in Reaktion auf diese Verheißung eines „Hauses“ für sich und seine(n) Nachkommen. Aus literarischer Sicht hat das Gebet Salomos also den Sinn, eine Verbindung zwischen der Herrschaft Davids und der Herrschaft Salomos herzustellen. Dazu müssen die theologischen Bögen, die im Bericht über Davids Herrschaft entwickelt wurden, weitergeführt werden.283 Hier kommt der Ausdruck vom „ausrücken und einrücken“ ins Spiel, der den idealen Leser an den Übergang von Mose zu Josua erinnert.

7.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Dieser implizite Vergleich hat aber auch den Sinn, die Idealisierung Salomos zu verstärken. Diese ist freilich schon auf einer tieferen Ebene grundgelegt: Inhaltlich sind Salomos Sätze eine Bitte, die der König aber erst nach Aufforderung durch Gott ausspricht. Innerhalb der Textwelt bedürfte es einer Begründung (Verse 10c–d) für diese Bitte daher eigentlich nicht. Die Begründung, die gegeben wird, führt dann auch über die aufgezeigten intertextuellen Verweise den Bogen der gesamten Geschichte Israels aus, von Abraham und Jakob über Mose und Josua zu David und Salomo. Textweltlich ist es die „Bescheidenheit“, die für den Fortgang der Erzählung entscheidend ist, denn es erscheint so, als sei das, worum Salomo bittet, genau das gewesen, „was JHWH hören wollte“. Gott entspricht dieser Bitte dann voll und ganz; ja er gewährt zusätzlich noch viel mehr – auch Dinge, um die Salomo nicht gebeten hat. Sara Japhet versteht den zweiten Teil des Kapitels (2Chr 1,14–17) entsprechend als „Bestätigung“ der Weisheit Salomos.284 Diese „Bestätigung“ ist aber hauptsächlich eine Funktion des Textes ge 281 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 26. 282 Vgl. Mosis, Untersuchungen, 131; Beentjes, Psalms and Prayers, 16. 283 Vgl. Williamson, Chronicles, 195. 284 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 26.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

genüber dem Leser; dem Leser wird durch die Abfolge klar gemacht, dass sich in Salomo erfüllt, was David verheißen wurde.

7.3.3 Theologie Weiteres Potential versteckt sich in der Frage Salomos, wer das Volk „richten“ könne. Wenn sich die gesamte Begründung für Salomos Bitte vorrangig an einen Leser richtet, dann stellt der Text auch diese Frage seinem Leser: „Wer kann das Volk Gottes, das mittlerweile so zahlreich ist, wie es den Urvätern verheißen wurde, führen?“ In der Bitte liegt, wie gezeigt, ein gewaltiger Machtanspruch für Salomo. Er wird hier geradezu zum „Märchenkönig“ überhöht. Es ist nicht einfach zu entscheiden, wo die Grenzen zwischen gesellschaftlichparänetischer und theologischer Funktion liegen. Wenn es paränetische Implikationen gibt, könnten sie zweifach ausfallen: Einerseits würde Salomo, ähnlich wie David, zu einem Vorbild. Der scharfe Kontrast zwischen dem reklamierten Anspruch und der bescheidenen Bitte könnte darüber hinaus auch Kritik beinhalten, etwa an einem (realen?) Herrscher, der seine Macht nicht auf diese Weise begründet und sich daher auch nicht als von JHWH eingesetzt und legitimiert zeigt. Das muss nicht einmal notwendig ein Fremdherrscher sein. Die Kritik könnte sich genauso gut gegen die „eigenen“ Eliten des nachexilischen Israel richten. Andererseits erscheint der für Salomo erhobene Anspruch vor dem Hintergrund einer längst königslosen Zeit dann doch übertrieben  – und womöglich liegt gerade in dieser Übertreibung das Potential, einmal mehr das Thema „Gott als wahrer König“ einzuspielen. Salomo wird derart mächtig, weil er gegenüber Gott so bescheiden – das theologische Wort dafür ist demütig – auftritt. Die implizite Antwort auf Salomos Frage wäre dann: „Niemand außer dir, JHWH“. Auch darin mag aber Kritik an bestehenden Verhältnissen zum Ausdruck kommen: Wenn niemand außer JHWH das Volk Israel richten kann, kann  – und sollte – kein Mensch diesen Anspruch geltend machen. Neben der möglichen subtilen Kritik an Machtverhältnissen könnte sich zugleich für einen Leser, der sich mit der Figur Salomos identifiziert, die Aufforderung verbergen, ebenfalls mit „Weisheit und Erkenntnis“ zu handeln. Solche Hinweise aufzulösen erforderte vom Leser freilich eine sehr umfangreiche „Enzyklopädie“, vor allem in Form genauer Schriftkenntnis.285

285 Hier böten sich, im Licht der Ergebnisse von Antje Labahn, die Leviten als jene an, die in der Lage wären, die intertextuellen Verweise entsprechend aufzulösen. Ihr Interesse wäre die Legitimation der eigenen Stellung – gegen eine herrschende Ordnung mit einer Priorität der Priester (vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch).

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort

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8. Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort 8.1 Formale Gestalt 8.1.1 Abgrenzung Der Kern von Salomos Bittgebet zur Tempelweihe ist in seiner Abgrenzung unproblematisch. Der Text wird in 2Chr 6,14a durch ‫ ויאמר‬eingeleitet. Das Gebet selbst beginnt mit einem Vokativ (2Chr 6,14bV). Ebenso deutlich ist der Schluss in 2Chr 6,42, denn der nachfolgende Vers hält ausdrücklich fest, dass Salomo sein Beten beendet hat (7,1, ‫ כלה‬Piel). Salomos Ausruf in 2Chr 6,1–2 ist ebenfalls ein Gebet: Vers 1 enthält eine Redeeinleitung und in 6,2aI eine Anrede Gottes in zweiter Person. Weit weniger eindeutig ist die Einordnung von 2Chr 6,4b–11. Vers 4a ist eine Redeeinleitung. Die vorangehende Beschreibung einer Bewegung Salomos zur Gemeinde hin lässt vermuten, dass Salomo sich in einer Rede an die Gemeinde wendet. Dafür spricht auch die strukturelle Korrespondenz zu 2Chr 7,19–22, der Gottesrede nach dem Weihegebet. 2Chr 6,4b–11 verwenden den Plural, als richteten sie sich an das Volk Israel.286 Sara Japhet vertritt dagegen die Auffassung, dass der Abschnitt an Gott gerichtet ist.287 Letzteres hieße, dass es sich bei dem Abschnitt bereits um einen Teil des Gebets handelte. Direkte Hinweise auf den oder die Adressaten gibt es nicht. Die Uneindeutigkeit folgt aus der Mehrdeutigkeit der ersten Worte des Abschnitts nach der Redeeinleitung, die lauten: ‫ברוך יהוה‬. Diese Formel288 impliziert mehrere Funktionen des damit eingeleiteten Texts: Syntaktisch ist der Satz als zeitlich unbestimmter Nominalsatz eine Feststellung. Implizit ist eine Aufforderung zum Lob enthalten. Adressat wäre in beiden Fällen die Gemeinde, zu der Salomo spricht. Drittens enthält die Formel bereits den Vollzug des Lobes oder Lobpreises selbst – und wendet sich in dieser Funktion an Gott. Insofern ist die Funktion des Abschnitts mehrdeutig, mithin die Frage der Zugehörigkeit zum Gebet offen. Es gibt indes strukturelle Merkmale, die eine Trennung von 2Chr 6,4b–11 und 14–42 sinnvoll erscheinen lassen. In der Chronik trennen die Verse 12 bis 13 die Abschnitte voneinander. Eine Zusammengehörigkeit ist nicht unmittelbar offensichtlich. Darüber hinaus besteht zwischen den Versen 6,11 und 14 ein Wechsel in der Person, was für die Verse 14 bis 42 eine Vereindeutigung gegenüber 286 Vgl. Dillard, Chronicles, 7. 287 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 77. 288 Siehe zur Formel außerhalb von Gebeten Abschnitt Nr. 13.4; vgl. hier speziell zusätzlich Crüsemann, Formgeschichte, 214.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

dem Abschnitt 4 bis 11 bedeutet. 2Chr 6,4–11 sprechen von Gott in dritter, die Verse 14–42 in zweiter Person. Zusätzlich argumentiert John Kleinig, dass die Parallelverse zu 2Chr 6,4b–11 in 1Kön 8,14–21 zusammen mit 1Kön 8,54–61 einen Rahmen um das Gebet bilden.289 Aufgrund dieser Merkmale scheint eine getrennte Betrachtung der Abschnitte 2Chr 6,4b–11; 14–42 möglich und sinnvoll,290 ohne die durch die Formel ‫ ברוך יהוה‬erzeugte Ambivalenz zu ignorieren. Die Formel spielt bei anderen Gebeten, insbesondere bei Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19; vgl. Vers 10) eine Rolle:291 Das Gebet Salomos bildet insofern eine Parallele zu jenem Davids, als dass beide Könige einen „Segen“ sprechen. 1Chr 29 ist ausdrücklich an Gott gerichtet, 2Chr 6,4b–11 nur indirekt, aber beide Texte beginnen mit ‫ ברוך יהוה‬. 1Chr 29,20 impliziert eine Aufforderung an das Volk, 2Chr 6,4b die Hinwendung zu Gott. Es ergibt sich, dass innerhalb des Erzählbogens 2Chr 5–7 die Texte 2Chr 6, 1b–2 und 14bV–42 Gebete sind, während 2Chr 6,4b–11 auf Textebene zunächst als Rede an die Gemeinde erscheint, sich aber nicht ohne Weiteres eindeutig darauf festlegen lässt.

8.1.2 Anmerkungen zum Text In 2Chr 6,27a fehlt in der Aussage „dann höre du [vom] Himmel [her]“ die Richtungsangabe ‫מן‬, die in allen parallelen Bitten 2Chr 6,23a; 25a; 30a; 33a; 35a; 39a vorhanden ist. Der textkritische Apparat verweist summarisch auf die Versiones, die alle zumeist ein ‫ מן‬ergänzen. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass die Konstruktion der Aufforderung „höre du“ mit ‫ מן‬eine gewisse Umkehrung der Blickrichtung gegenüber 1Kön darstellt. 1Kön 8,30b–d292 formuliert: ‫ואתה תשמע‬ ‫„ ;אל מקום שבתך אל השמים ושמעת וסלחת‬du wirst hören auf die Stätte deines Wohnens hin, auf den Himmel hin, du wirst hören und vergeben!“ Hier wendet Gott sich dem Himmel zu. Die Chronik dreht dies um: Gott hört vom Himmel her (und, implizit, auf den Tempel hin). Durch den (wiederholten) Verweis „vom Himmel her“ handelt sich die Chronik das Problem einer Verortung Gottes ein, was durch 2Chr 6,18 aufgefangen wird.293

289 Vgl.  Kleinig, Song, 157. Kleinig widerspricht damit ausdrücklich der Struktureinteilung nach Dillard (Kleinig, S. 160) und schlägt eine – unter Einbeziehung von 2Chr 7,12–22 dann – dreiteilige, sequentielle Struktur vor (S. 159 ff). 290 Vgl. unter anderen Klein, 2 Chronicles, 88; Kleinig, Song, 160; Williamson, Chronicles, 216. Mark Throntveit behandelt den Abschnitt unter den „speeches“, vgl. Throntveit, When Kings Speak, 14 f. Es wird zu erweisen sein, dass auch das folgende Gebet 2Chr 6,14–42 zwar formaliter an JHWH gerichtet ist, funktional aber nicht nur Gott zum Adressaten hat. 291 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537. 292 Verseinteilung nach Richter (Hg.), BHT Kön, 97. 293 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 83; siehe unten.

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort

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8.1.3 Struktur Da das Gebet kaum ohne seinen Kontext betrachtet werden kann, gibt die folgende Übersicht in Tabelle 6 den gesamten Kontext wieder. Der Bogen spannt sich zwischen 2Chr 5,2, wo nach der Notiz über den Abschluss des Tempelbaus in Vers 1 mit ‫ אז‬294 die Szene der Weihe beginnt, bis 2Chr 7,22, dem Ende der Gottesrede. In 2Chr 8,1 beginnt mit ‫ ויהי‬und einer Zeitangabe eine neue Erzählung. Tabelle 6: Strukturübersicht 2Chr 5–7295 5,2–7,11

Die Weihehandlungen 5,2–10 5,11–6,2

6,3–42

Überführung der Lade und Opfer Nicht öffentliche Theophanie vor den Priestern 5,11–14 Theophanie 6,1–2 Salomos Bekenntnis als Antwort an JHWH Salomos Reden 6,3–11 Salomos betende Rede 6,3–4a Einleitung 6,4b–11 Rede 6,12–42 Weihegebet 6,12–14a Einleitung 6,14bV–42

7,1–3

Öffentliche Theophanie vor dem Volk 7,1–2 Theophanie 7,3 Antwort des Volkes

7,4–7

Opfer Fest zum Abschluss und Entlassung

7,8–11 7,12–22

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe 6,14bV–17 Dynastieverheißung (vgl. 1Chr 17) 6,18 Theologische Korrektur 6,19–39 Paränetische Bitten295 6,19–21 I Allgemeine Bitte 6,22–23 II bei Eid 6,24–25 III bei Krieg in Sünde 6,26–27 IV bei Dürre 6,28–31 V in Not 6,32–33 VI für Fremde 6,34–35 VII in gerechtem Krieg 6,36–39 VIII im durch Sünde verursachten Exil 6,40–42 Schlussbitte

Persönliche Theophanie vor Salomo 7,12a–b Einleitung 7,12c–22 Gottesrede 7,12c–16 Antwort auf Salomos Bittgebet zur Tempelweihe 7,17–18 Konditionierte Dynastiezusage 7,19–22 Warnung vor Verdammnis

294 Abweichend von der Verwendung in 6,1, siehe unten. 295 Diese Bezeichnung berücksichtigt die Doppelfunktion der Bitten, die auch als Verhaltensanweisung gelesen werden können. Siehe dazu unten Abschnitt Nr. 8.3.2.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Der Abschnitt 2Chr 5–7 mit dem Bericht über den Abschluss des Tempelbaus und der Weihe desselben enthält kaum formale Gliederungssignale. Die wenigen, die es gibt, lassen sich unterschiedlich stark gewichten. Bisherige Vorschläge zur Gliederung weichen daher beträchtlich voneinander ab. Dieser neue Vorschlag berücksichtigt vor allem die literarische Gestaltung in Abhängigkeit von und Relation zu den übrigen hier untersuchen Texten der Chronik sowie die literarische Qualität als chiastisch strukturierter Text, nach der Idee von Raymond ­Dillard. Nach seiner Darstellung bilden die Kapitel 5–7 die Mitte einer chiastischen Struktur, in der die Themen „Salomos Reichtum“ (1,1–17; 9,13–28), „Ausländer/ Fremde“ beziehungsweise „Huram“ (2,1–16; 8,17–9,12) und „Bauen und Frondienst“ (2,14–5,1; 8,1–16) wiederkehren.296 Die meisten, wenn auch nicht alle, Einschnitte lassen sich inhaltlich begründen. Entsprechend der hier vorgeschlagenen Gewichtung ergeben sich innerhalb von 2Chr 5–7 zwei Teile.297 Der erste (2Chr 5,2–7,11) umfasst den Bericht über die Verbringung der Lade in den Tempel und Salomos Reden anlässlich dieser Handlungen. Es ist die eigentliche „Inbetriebnahme“ des salomonischen Tempelbaus. Dabei befassen sich die Verse 5,2–10 mit der Überführung der Lade, 5,11–6,2 beschreiben eine Theophanie. Der Einschnitt in 2Chr 5,11 ist durch ‫ ויהי‬markiert. Wie in einem Frage-und-Antwort-Spiel bestätigt Salomo in den Versen 6,1–2 wiederum die göttliche Erscheinung. Darum werden, anders als bei Dillard, die Verse 6,1–2 auch noch diesem Abschnitt zugeschlagen. Sie ergänzen die von Dillard beobachtete Symmetrie innerhalb der Kapitel 2Chr 1–9 um die Entsprechung zwischen der Antwort Salomos auf Gottes Erscheinen (2Chr 6,1–2) und der Antwort des Volkes auf die zweite Theophanie (2Chr 7,3) und damit um eine Klammer um das „Symmetriezentrum“, die Tempelweihe und die göttliche Antwort darauf. Entsprechend bedeutet die Wiederholung von ‫אז‬ aus Vers 5,2 in 6,1 keinen Neubeginn,298 sondern bildet mit Vers 5,2 eine Inklusio um die Berichte von Überführung und Theophanie. Für den Zusammenhalt der Verse 6,1–2 mit diesem Abschnitt steht außerdem der inhaltliche Bezug.299 Die Änderung der Sprechrichtung Salomos vom Tempel zur Gemeinde hin trennt 2Chr 6,3–11 inhaltlich von der vorangehenden Theophanie und Salomos Antwort darauf.300 Abgrenzung und Einordnung dieser Verse sind, wie oben gesagt, mehrdeutig. Inhaltliche Bezüge gibt es zum vorausgehenden wie zum nachfolgenden Text, und außer den Rede-Einleitungen gibt es keine formalen Gliederungssignale. Wenn die Haltungsänderung Salomos in 2Chr 6,3 als inhaltliches Gliederungssignal gilt, muss dies indes mit gleichem Gewicht für die ent 296 Vgl. Dillard, Chronicles, 5 ff. 297 Vgl. Dillard, Chronicles, 5 f. Dillard bezeichnet sie in seinem Schema, das 2Chr insgesamt umfasst, als D/D. 298 Gegen Klein, 2 Chronicles, 72. 299 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 73 f. 300 Vgl. McKenzie, Chronicles, 244.

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sprechende Änderung in den Versen 6,12–13 gelten – Salomos Rede(n) ist also auf jeden Fall geteilt. Dass Vers 13 eine Art Parenthese darstellt,301 hindert diese Einteilung nicht. Wiederum aus Gründen der Symmetrie erhält die Trennung in 2Chr 6,3 größeres Gewicht: Die Inhalte von 2Chr 6,3–11 und 12–42 entsprechen dann chiastisch denen der göttlichen Erwiderung in 2Chr 7,12–22. Eine Redeeinleitung (6,14a) und der Beginn mit Vokativ (6,14bV) grenzen das „Kerngebet“ 2Chr 6,14bV–42 klar nach vorne ab, die Feststellung über das Ende von Salomos Beten (‫ כלה‬im Piel) am Schluss (7,1) markiert sein Ende. Dieses „Weihegebet“ lässt sich vor allem anhand stilistischer Merkmale vierteilen: Den Anfang macht eine auf die Davididen und durch die Ausgestaltung auf 1Chr 17 bezogene Bitte (6,14bV–17), das Dynastieversprechen an David zu erfüllen. Vers 18 ist eine theologische Korrektur der Vorstellungen von Gottes irdischer Präsenz und einer örtlichen Eingrenzung Gottes überhaupt.302 Der Vers enthält mit den Worten ‫ הנה שמים ושמי השמים לא יכלכלוך‬ein fast wörtliches Zitat aus dem Brief Salomos an Huram von Tyrus (vgl. 2Chr 6,5: ‫כי השמים ושמי השמים לא‬ ‫)יכלכלהו‬.303 Den zweiten größeren Abschnitt (Verse 18–39) bilden acht Bitten.304 Bis auf die erste Petition folgen sie einem Muster: 1. Sie geben einen „Fall“ an, in dem 2. ein Gebet vor Gott gelangt beziehungsweise 3. am oder wenigstens in Richtung auf den Tempel geäußert wird. Sind diese Bedingungen – Gebet und Tempel – erfüllt, 4. wird Gott hören und 5. entweder „Recht schaffen“/„richten“ oder, im Falle von Verfehlungen, „vergeben“ – beziehungsweise den erbetenen, gewünschten Zustand (wieder)herstellen.305 Die erste der acht Bitten (6,19–21) weicht dahin gehend ab, dass an Stelle der „Fall-Angabe“ in 2Chr  6,19a–20vI1R schon das Grundraster Gebet  – Tempel – Erhörungszusage – Gottes Handeln steht; es erscheint in dieser ersten Bitte verdoppelt. Die sieben folgenden „Fälle“ führen das Grundmuster je einmal aus. Den Schluss der Bitten und des salomonischen Redens bildet ein Zitat aus Ps 132.306 301 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 78. 302 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 83; Japhet, Ideology, 61. 303 Vgl. Dillard, Chronicles, 49. 304 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 86; Pratt, Chronicles, 326. 305 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 84. 306 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 92; Klein, 2 Chronicles, 98 f und andere.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

An Salomos Beten schließt sich, gleichsam als göttliche Antwort,307 wiederum eine Theophanie in Form vom Himmel kommenden Feuers an (7,1–3). Diese Erscheinung ist ausdrücklich öffentlich, denn „alle Söhne Israels“ sehen sie (7,3 ,‫)וכל בני ישראל‬. Die Chronik macht in 2Chr 7,6 auf die Vollständigkeit der Gemeinde aufmerksam.308 Die ebenfalls in 7,3 enthaltene Abbreviatur ist die Antwort der Versammelten auf die Erscheinung, analog zu Salomos Äußerung bei der Theophanie nach der Ladeüberführung in 2Chr 6,1–2. Einen gewissen formalen Einschnitt bedeutet die Zeitangabe ‫ בעת ההיא‬in 2Chr 7,8, die die Angaben zum Fest, das Salomo zur Weihe feiern lässt, von denen zu den abschließenden Opfern (7,4–7) trennt. Der Abschnitt 7,8–11 ist so gestaltet, dass er als Abschluss des ersten Teils des Erzählbogens gelten kann.309 Die dritte Theophanie (7,12–22) in diesem Erzählbogen ist ebenfalls nicht besonders deutlich von der übrigen Erzählung abgetrennt. Das stärkste Gliederungssignal ist die Redeeinleitung 2Chr 7,12b zu Gottes Botschaft an Salomo; damit ändert sich die Grundsituation. Hinzu kommt wiederum die von Dillard beobachtete Symmetrie. Damit wird Salomos Theophanie zum zweiten Teil des Erzählbogens. Die Gottesrede selbst liest sich wie eine Zusammenfassung von Salomos Gebet – wie Dillard aufgezeigt hat, entsprechen sich auch die Inhalte und bilden eine chiastische Struktur.310 Die Feingliederung ist formal markiert durch die Adressatenwechsel, grammatisch ausgedrückt im Wechsel von Person und Numerus. Gott spricht zuerst von „seinem Volk“ (Vers 14) in dritter Person, wendet sich dann mit betontem ‫ ואתה‬direkt an Salomo (Singular), um im letzten Teil (ab Vers 19) betont zum Plural der zweiten Person zu wechseln (‫)אתם‬.311 Damit führt die letzte Theophanie für den Leser die Adressaten der ersten beiden zusammen: Salomo, zuvor schon Zeuge in 2Chr 5,11–14 und das „Volk“ (2Chr 7,1–3). Der erste Teil der Antwort, 2Chr 7,12(c)–16, ist in sich nochmals chiastisch ausgestaltet, sodass der Vers 14 besonders hervorgehoben wird.312

307 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 105. 308 Vgl. Williamson, Chronicles, 223. 309 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 97; Klein, 2 Chronicles, 109. 310 Vgl. Dillard, Chronicles, 6 f. 311 Die Feingliederung folgt dem Vorschlag von Klein, 2 Chronicles, 104 und deckt sich mit Kelly, Retribution and Eschatology, 59. 312 Vgl. Kelly, Retribution Revisited, 216.

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8.2 Inhaltsanalyse 8.2.1 Aussagegehalt Ein Gang durch die beiden Gebetsabschnitte 2Chr 6,1–2 und 14bV–42 offenbart eine ganze Reihe bildlicher Ausdrücke und Redeweisen.313 Viele davon verweisen auf andere Texte. Dies beginnt bereits in 2Chr 6,1, da der textweltliche Salomo an den Gedanken der „Wohnorte Gottes“ anknüpft, den 2Chr 5,13–14 mit der „Wolke“ (‫ )ענן‬aufgenommen hat und der als Thema den Abschnitt 2Chr 5–7 bestimmt. Dazu gehört das „Dunkel“ (‫ )ערפל‬aus 2Chr 6,1, das Ralph Klein als „charakteristischen Faktor bei Theophanien“ beschreibt. Er verweist unter anderem auf Ex 20,21; Dtn 4,11; 5,22; 2Sam 22,10; Ps 18,10 und Ijob 22,13.314 Zu ergänzen sind die Stellen, in denen die Propheten verschlüsselt von einer Theophanie als „Tag des Dunkels“ sprechen, Jer 13,16; Ez 34,12; Joël 2,2 und Zef 1,15; ferner Ps 97,2; Jes 60,2, Ijob 38,9 und die Parallele zu 2Chr 6,1 in 1Kön 8,12. Der Bezug zu Ez 34,12 fällt besonders ins Auge, weil bereits 1Chr 21,17 mit dem „Hirten“ einen motivischen Bezug dorthin aufbaut. Während in 1Chr das Verhältnis von Gott zum Hirten im Vordergrund steht, spielt Ez 34 in 2Chr die bedrohliche Seite des „Aufenthalts“ Gottes ein. Die Wendung „den Weg (das heißt, das Handeln) auf den Kopf “ geben (‫ )לתת דרכו בראשו‬gibt es außer in Chr (2Chr 6,23) und den Büchern der Könige so nur beim Propheten Ezechiel (Ez 9,10; 11,21; 16,43; 22,31).315 Freier übersetzt hieße die Wendung: „um sein Handeln zu vergelten“. Ähnlich wie beim ‫ ערפל‬sind die betreffenden EzechielStellen durchweg negativ besetzt, was einen Kontrast zum positiven Tenor des Gebets Salomos und den Stimmen der angespielten Psalmen darstellt. Ebenfalls interessant ist die Verbindung zu Ex 20,21, der einzigen Stelle, die außer 2Chr 6 und der Parallele in 1Kön 8,12 die Aussage enthält, dass Gott im Dunkel ist/wohnt (vgl. den Relativ- und Nominalsatz in Ex und ‫ שכן‬im Qal in 2Chr). Vor diesem Hintergrund erscheint Salomos Nachsatz 2Chr 6,2, „ich habe ein Haus gebaut“, Gott nahezu „bannen“ zu wollen.316 Tatsächlich geben einige Übersetzungen das einleitende ‫ ו‬mit „aber“ wieder, darunter die von Klein.317 Dem steht später 2Chr 6,18 entgegen, mit der rhetorischen Frage, ob Gott auf der Erde wohne. Er tut es nicht, und das Haus, das Salomo gebaut hat, und „der Himmel der Himmel“ können Gott „nicht fassen“. Mit ‫ שמים ושמי השמים‬wiederholt

313 Eine Zusammenfassung der zahlreichen Verweise speziell in den Bitten des Abschnitts 2Chr 6,19–39 bietet Dillard, Chronicles, 49 f. 314 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 87. 315 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 93. 316 Vgl. Fritz, Tempel, TRE 33, 52; es handelt sich bei 2Chr 6,1–2 um die chronistische Fassung des „Tempelweihspruches“. 317 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 87.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

der Text eine Wendung, die in der Korrespondenz Salomos mit Huram von Tyrus ebenfalls verwendet wird (2Chr 2,5). Dort geht es darum, Huram für die Sache des Tempels zu gewinnen, und in 2Chr 6 darum, Leser (oder Hörer) für die Sache Gottes. Eher eigen sind die Formulierungen in 2Chr 6,23. Vergeltung „nach seiner Gerechtigkeit“ (‫ )כצדקתו‬gibt es so nur hier und an der Parallelstelle 1Kön 8,32. Die verwandte Konstruktion „nach meiner Gerechtigkeit“ in 2Sam 22,21.25 (‫כצדקתי‬, in der deuteronomistischen Fassung von Davids Dankgebet zu Salomos Krönung) ist eine Variante von Ps 18,21.25 (‫ )כצדקי‬und sonst nur in Ps 7,9 zu finden. In Ps 7,18; 35,24 ist von der Gerechtigkeit Gottes die Rede, „nach der“ (‫ )כצדקו‬etwas geschehen soll. Zu Ps 7,17 („sein Vergehen kehrt auf seinen Kopf zurück“) besteht weiterhin eine inhaltliche Verwandtschaft. Diese Beziehungen sind weitere Indizien für die sprachliche Nähe von Chronik und Psalmen. Das Bild vom Herrn, der den Weg weist, deutet auf Ps 32,8. Von den beiden Vorkommen in Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,27.31) zeigt Vers 27 die eindringlichere Formulierung. Hier ist eine Abweichung zwischen 2Chr und 1Kön bedeutsam, deren Funktion nur als intertextuelle Beziehung erkennbar wird: 2Chr 6,16 füllt das häufig zu findende „Gehen vor Gott“ (1Kön 8,25) als „Gehen in der Tora“. Unmittelbar vor den Bitten des Gebets wird dadurch „Gottes Willen tun“ gleichgesetzt mit „nach seiner Weisung handeln“.318 Vom „Gehen in der Tora“ zum „Gehen auf dem Weg“, den 2Chr 6,31 aufzeigt, ist es nicht mehr weit. Salomos Bittgebet zur Tempelweihe verbindet im „Herrn, der den Weg weist“ und dem „Wandel in der Tora“ zwei verwandte Bilder zu einem. Besondere Aufmerksamkeit in der Forschung haben, was die Verbindung zu Psalmen betrifft, die Schlussverse des Gebets erfahren, 2Chr 6,40–42. Sie zitieren und variieren direkt Ps 132,8–10. Japhet bietet in ihrem Kommentar eine tabellarische Übersicht über die Beziehungen zwischen den beiden Textstellen.319 Die zusammenfassende Deutung der Unterschiede zwischen Psalm und Chronik lautet bei Klein: „The Chronicler has changed the request about the people from a concern for their functioning in the cult to a concern for their overall welfare.“320 Mithin kann „der Chronist“ hier auch für „die Chronik“ stehen. Williamson hat wohl Recht, wenn er sieht, dass mit dem Psalm und den „Gnadenerweisen für David“ (‫חסדי דויד‬, Vers 42), die sonst nur in Jes 55,3 erwähnt werden, die „NatanVerheißung“ anklingt.321 Aber wenn bei Jesaja der Blick geweitet und der Bund mit dem Volk geschlossen wird, könnte das zum Schluss von Salomos Bittgebet

318 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 82 f; Klein, 2 Chronicles, 91. 319 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 92. 320 Klein, 2 Chronicles, 99. 321 Contra Japhet, Ideology, 458 f, die den Constructus Plural ‫ חסדי‬als „gute Taten“ Davids übersetzt.

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort

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zur Tempelweihe einer möglichen dynastischen Verengung, die in Salomos Ruf enthalten ist, gerade entgegenwirken.322 Mit der „Ruhe“ der „Lade deiner Stärke“ bringt das zweite direkte Psalmzitat der Chronik noch einmal das Thema der Lade ein. Unter den von Japhet beschriebenen Unterschieden zwischen Ps 132 und seinem Zitat in 2Chr 6 fällt die Änderung auf, die in der Gestaltung der „Ruhe“ (2Chr 6,41 ‫ )לנוחך‬einen Bezug zu Numeri ermöglicht (Num 10,36 – dort „ruht“ die Lade). Dies gilt umso mehr, da das Konzept der „Ruhe“ bereits beim Übergang des Amtes von Mose auf Josua eine Rolle spielt.323 Zwar wird dieser Übergang anhand des Modells im Deuteronomium gestaltet.324 Doch fällt hier ein Detail aus dem „deuteronomistischen“ Rahmen, wenn das Konzept der „Ruhe“ Gottes in 2Chr 6 sprachlich eher zu Numeri als zu Deuteronomium passt. Immerhin geht es um ein Grundkonzept des Gebets: Die Fertigstellung des Tempels und die Überführung der Lade erfüllen zumindest einen Teil der Verheißungen Gottes an Salomos Vater David. Nun, da Gott sich zu seiner Ruhe im Tempel erhoben hat, haben Israel und Salomo Ruhe.325 Dieses Konzept passt freilich auch zur „Ruhe vor den Feinden“ im Deuteronomium (vgl. Dtn 3,20; 12,10; 25,19). Was die Verheißung betrifft, kann 2Chr 6,17 noch als Aufnahme von 2Chr 1,9 (und David in 1Chr 17,23) aufgefasst werden,326 was die Weiterführung des Themas im Tempelweihgebet bestätigt. In Vers 42 schließlich klingt das Dynastieversprechen aus 1Chr 17 an.327 In der Chronik sind dabei aber Volk und Tempel mit der Präsenz Gottes wichtiger als der König.328 Die Deutung wird noch dadurch verstärkt, dass der Codex Leningradensis für „die Gesalbten“ einen Plural liest (‫)משיחיך‬. Der Bezug auf den König wird durch den Plural verunklart.329 Gosse bringt die Leviten, prophetischgeistbegabt, als weitere Bezugsmöglichkeit ins Spiel.330 Wichtig an all den sprachlichen Bildern und an den Änderungen ist, dass sie nur funktionieren, wenn ein Leser die Psalmen gut kennt. Nur dann wird beispielsweise aus dem „sich in Heil kleiden“ (2Chr 6,41) ein Gegenbild dessen, was die „Dichter“ für Feinde fordern: Die Kleidung in Schande (Ps 35,26 und öfter).331 322 Vgl. Williamson, Chronicles, 220 f; ähnlich Tiňo, King and Temple, 17, der S. 116 f dann aber zu dem Schluss kommt, in 2Chr 6,42 würde diese Ausweitung aus Jesaja gerade nicht eingetragen, weil dem Ausdruck ‫ חסדי דויד עבדך‬der entsprechende Kontext fehle. 323 Vgl. Braun, Solomon, 582–586; Beentjes, Psalms and Prayers, 41. 324 Vgl. Williamson, Accession, im Ganzen. 325 Vgl. Braun, Solomon, 584. 326 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 91; Mosis, Untersuchungen, 131. 327 Vgl. Wallace, Chronicles about Psalms, 277. 328 Vgl. Klein, Psalms in Chronicles, Abschnitt „2 Chronicles 6:40–42“. 329 Klein steht mit dem Vorschlag, nach Ps 132,10 einen Singular einzusetzen, allein (vgl. Klein, 2 Chronicles, 85). 330 Vgl. Gosse, Insertion des psaumes, 157. 331 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 99.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Wenn in der Forschung über lange Zeit eine gemeinsame Urheberschaft für die Chronik und die Bücher Esra und Nehemia angenommen wurde, weil sich die Werke so sehr „ähneln“, muss die Bitte Nummer VI für „den Ausländer“ (‫הנכרי‬, 2Chr 6,32) umso mehr auffallen. Die Bücher Esra und Nehemia nehmen in diesem Punkt eine klar partikularistische Haltung ein: Nur Israel ist erwählt, nur für Israel gibt es Heil. Die Chronik reiht sich dagegen ein in den Reigen der Propheten und Psalmen, die zumindest endzeitlich alle „Völker“ am Tempel vereinigt sehen.332 Das Thema der „Fremden“ ist allerdings zu allgemein, um konkrete intertextuelle Beziehungen etablieren zu können.333 An der Gottesrede in 2Chr  7,12–22 ist für diese Untersuchung interessant, dass sie  – trotz der dazwischengeschalteten Erzählung vom Ende der Weihefeierlichkeiten  – aufgrund ihres Inhalts und ihrer Struktur als unmittelbare Antwort auf die Weihe und vor allem Salomos Gebet gelten kann.334 Ihr Kern sind die unmittelbar auf Salomos Bittgebet zur Tempelweihe bezogenen Verse 12v–16, und darin wiederum Vers 14. Die Bedeutung der Schlüsselbegriffe ‫כנע‬, ‫פלל‬, ‫ בקש‬und ‫שוב‬, die teils auch als Signalworte für unrecorded prayers oder Ausdruck für einen Gebetsgestus gebraucht sind,335 hat Williamson dargestellt.336 Seine Beobachtung, dass die Begriffe in den Abschnitten der Chronikbücher vor dem Tempelweihgebet nicht in theologisch relevanter Weise gebraucht werden, deckt sich mit den Vorkommen des Phänomens unrecorded prayer und der Gebetsgesten.337

8.2.2 Sprechhandlungsgehalt Hinter dem „Gebet“ steckt mehr als das bloße Anreden Gottes. Klein listet die drei Elemente Schuldbekenntnis, Bekenntnis zu Gott und Reue auf;338 dazu treten verschiedene Adressaten- und Zeitebenen: „Confessing the name of Yahweh here means primarily praising Yahweh, that is, acknowledging that Yahweh is in the right.“339 Gott bekennen heißt, ihn preisen. Die Passage 2Chr 5–7 bietet gleich mehrere Aussagen mit solch vielfacher Funktion. 2Chr 6,4b–11 ist sowohl eine Rede Salomos an sein Volk, die Gott lobt; als auch im Vollzug des Lobes zugleich eine Hinwendung zu Gott und damit 332 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 96. 333 Dies gilt, nebenbei bemerkt, auch für das Motiv von Dürre und Regen, 2Chr 6,26–27; vgl. Klein, 2 Chronicles, 94; Japhet, 2 Chronik, 86 f. 334 Vgl. Ackroyd, Chronicles, 114. 335 Siehe dazu die eingehenderen Untersuchungen in Abschnitt Nr. 14 und 15. 336 Vgl. Williamson, Chronicles, 225 f. 337 Vgl. Williamson, Chronicles, 225 f und die Übersichten in Tabellen 3 und 4 in Kapitel 1, Abschnitt 4. 338 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 94. 339 Klein, 2 Chronicles, 93.

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bereits ein Gebet. Umgekehrt ist das Gebet in 2Chr 6,14–42 klar an Gott adressiert. Enthaltene Äußerungen wie ‫„( והודו‬sie loben“) in 2Chr 6,24d.26e sind gleichzeitig Vollzug eines Bekenntnisses. Vielleicht „hört“ ein mit der Sprache vertrauter Leser hier in 2Chr 6 auch den Imperativ mit, den die Chronik in den Abbreviaturen prominent einsetzt, denn mit ‫ הודו‬sind Hifil Imperativ Plural und Hifil Perfekt 3. Person communis Plural von ‫ ידה‬formgleich. Andererseits erscheint der Abschnitt im Ganzen aufgrund mehrerer Merkmale auch deutlich als Paränese. 2Chr 6,26–27 eignet im oben beschriebenen Bild Gottes, der den Weg weist, ein direkter „didaktischer Aspekt“.340 2Chr 6,14 enthält mit dem Bekenntnis zur „Unvergleichlichkeit“ JHWHs zugleich das Bekenntnis selbst, und wie die Verse 30–31 mit der Gottesfurcht ein „Motiv“ für Gott, auf die geäußerten Bitten einzugehen. Die verwendeten Ausdrücke sind in ihrer Ausrichtung auf Gott zugleich Eigenheit der Chronik und in ihrer Analogie zu Wendungen im Deuterono­ mium Anklänge an den paränetischen Stil dieses Buches.341 Neben der auffälli­ gen Übereinstimmung in der Wortwahl zwischen 2Chr 6,31 (‫ )למען‬und Dtn 6,2 (‫)למען תירא את יהוה אלהיך‬342 belegen dies all jene Stellen, an denen im Buch Deuteronomium auf einen Appell an das Volk, den Willen Gottes zu tun, eine Begründung mit ‫ למען‬folgt, etwa Dtn 4,40; 6,18. Außerdem zählen jene Stellen hinzu, an denen umgekehrt ein Gebot mit ‫ למען‬und „Gottesfurcht“ begründet wird, zum Beispiel in Dtn 17,19; 29,5. Damit lassen sich die „Motive für Gott“ umkehren zum „Ansporn“343 für Menschen: Wer „unvergleichlich“ an Gott glaubt, der wird erhört.344 Selbst die Bedeutung der Wurzel ‫ ידה‬changiert in 2Chr 6,24 zwischen der ursprünglichen Bedeutung der Wurzel, „bekennen“, und „lobpreisen“.345 Die Bedeutung „bekennen“ tritt noch in Ps 32,5 und Spr 28,13 hervor.346 Dieses Changieren ist bedeutsam: Im Lob JHWHs steckt zugleich auch die Anerkennung 340 Japhet, 2 Chronik, 86. 341 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 87 f. 342 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 88. Der Verweis auf Dtn 6,12 dort dürfte ein Druckfehler sein – namentlich eine Dittographie. Gemeint ist sicher Dtn 6,2, denn von dort stammt der zitierte Ausdruck. 343 Japhet, 2 Chronik, 88. 344 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 91. 345 Zur Herleitung der Bedeutung der Wurzel ‫ ידה‬im Hifil vgl. vor allem Mayer/Bergman/ Soden, ‫ידה‬, ThWAT III, 455–460; zur Übersetzung in der Chronik Westermann, ‫ידה‬, THAT1 I, 681; Belegstellen listet Clines, ‫ידה‬, DCH 4, 95 ff auf. Für die Sache der Übersetzung erschwerend kommt das Urteil von Kleinig, Song, 66, über die Austauschbarkeit der Begriffe in der Chronik hinzu. Entsprechend wird hier „lobpreisen“ vorgeschlagen: Es ist kein besonders eingängiger Ausdruck, enthält aber im „loben“ einerseits die Verwandtschaft zu ‫הלל‬, bleibt andererseits dennoch unterscheidbar. Zur Zurückweisung der ebenfalls verbreiteten Übersetzung „danken“ vgl. Westermann, ‫ידה‬, THAT1 I, 679. Grimme, Begriff, 235, geht noch einen Schritt weiter und schließt die Bedeutung „lobpreisen“ ganz zu Gunsten von „bekennen“ aus. 346 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 93.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

als Gott – ein Bekenntnis, zum einen Gottes als Gott, zum andern zu Gott. Auf der Textebene als öffentliches Gebet Salomos stilisiert, wird der Text zur Predigt. Sprechakttheoretisch sind 2Chr 6,4b–11.14–42 zugleich Erzählung, Gebet und Verkündigung – letzteres als Bekenntnis, Lob und Paränese. Was die gesellschaftlichen Funktionen des Tempelweihgebets angeht, ist die göttliche Antwort darauf, 2Chr  7,12–22, besonders aufschlussreich. Obwohl die Theophanie vor Salomo erfolgt, beziehen sich die Verse  13–16 deutlich auf das ganze Volk. Sie greifen konkrete Stichworte aus dem Gebetstext wieder auf (vergleiche beispielsweise ‫ אעצר השמים ולא יהיה מטר‬in 2Chr  7,13 und ‫בהעצר השמים ולא יהיה מטר‬, 2Chr 6,26) und beziehen sich damit klar auf Situationen, die das ganze Volk betreffen. Zu Vers 14 und der Verteilung der darin verwendeten Begriffe in der Chronik kommentiert Williamson: „It can hardly be doubted that the intention behind this is fully kerygmatic; that is to say, there is an appeal here to the Chronicler’s own readers to respond in like manner, for much of what follows is then designed to illustrate that no circumstances are too formidable to prevent God’s immediate, direct and, if necessary, miraculous move to fulfil his promise.“347

Für Salomo ist Gottes Ansage eine Verheißung, ein Versprechen Gottes (das auch eine Selbstverpflichtung Gottes beinhaltet); für den Leser darüber hinaus eine Aufforderung, sich entsprechend der beschriebenen Beispiele zu verhalten. Die Erzählungen, die im kanonischen Lesegang in den Chronikbüchern auf die Tempelweihe folgen, illustrieren die Aussagen des Tempelweihgebets durch konkrete Beispiele. Die Schlüsselbegriffe aus 2Chr 7,14, die teils auch Signalworte für unre­ corded prayers sind, bilden einen Teil der Brücke zwischen diesen Texten.

8.3 Funktionsanalyse 8.3.1 Literarische Eigenart „Es ist ein Charakteristikum des hier [2Chr 6,4–11 – M. J.] vorliegenden gehobenen Stils, dass bestimmte Wörter und Ausdrücke dem Zuhörer bzw. Leser durch geradezu aufdringliche Weise eingehämmert werden: ‚Israel‘ achtmal, ‚David‘ fünfmal, ‚mein Volk‘ dreimal u. a. m. Außerdem wird jede erwähnte Größe durch ein Attribut charakterisiert: ‚mein Volk Israel‘, ‚mein Vater David‘, ‚dein Sohn, der aus deinen Lenden hervorgeht‘, ‚sein Wort, das er geredet‘, u. a. m.“348

Offensichtlich setzt sich dieser Stil über die Verse, von denen Japhet spricht, hinaus fort. Mit Blick auf 2Chr 6,14–42 lassen sich noch „hören“ (zwölf Belege), „Haus“ (neun Belege, davon vier in Verbindung mit „bauen“), „Name“ (acht Be 347 Williamson, Chronicles, 225. 348 Japhet, 2 Chronik, 79.

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort

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lege mit dem Suffix der zweiten Person Singular Maskulinum) und andere mehr ergänzen.349 Die Einfügung von ‫ יהוה אלהים‬im Schlussteil (2Chr 6,40–42) bringt (wie die Abbreviaturen) einen Inhalt wiederholt in ihren Kontext ein.350 Diese Stilmittel entfalten ihre Wirkung beim Leser; auf Textebene bleiben sie wirkungslos (Salomo wird vom Volk nicht für seine schönen Worte gepriesen). Die Stilmittel und die Konzentration auf das Kerngebet in der chiastischen Struktur des gesamten ersten Teils des zweiten Chronikbuches sowie das Längenverhältnis der Redeanteile zu den erzählenden Passagen351 stellen das Tempelweihgebet ins Zentrum mindestens der Erzählung von König Salomo,352 wenn nicht ins Zentrum des erzählenden Teils der Chronikbücher überhaupt. Zu den strukturellen und inhaltlichen Mehrdeutigkeiten tritt noch ein Umstand, der besonders im Vergleich mit dem Paralleltext 1Kön 8 deutlich wird: Den Gebetstexten fehlt ein zeitlicher Bezug. Beispielsweise bezieht 1Kön 8,28 das Geschehen durch ‫ היום‬auf die Gegenwart des Erzählten, während die Parallele 2Chr 6,19 diesen Bezug nicht enthält. Mark Throntveit fasst die Wirkung dieser Entgrenzung zusammen: „By deleting the time reference, the prayer becomes applicable to any period in history especially the Chronicler’s own day, and not simply that of Solomon.“353 […] „In v 40, the Chronicler has used 1 Kgs 8:52 to suggest once again the timeless quality of the prayer. By omitting the reference to ‚the supplication of your servant‘ […] the Chronicler leaves the time of prayer offered at the temple ambiguous. It will be shown that this prayer of Solomon governs the form and content of all succeeding prayers in Chronicles that are offered by the king and thus, the reason for this omission is to guarantee the timeless nature of the paradigmatic Royal Prayer.“354

In dieselbe Kategorie der Unterschiede fällt die Aussage zum „Land, das du ihnen (‫ )להם‬und ihren Vätern gegeben hast“ in 2Chr 6,25. Die Parallele 1Kön 8,34 hat ‫ להם‬nicht.355 Die stilistische Durchformung  – etwa der gesteigerte Aufbau der Bitten in 2Chr 6,19–39, die dediziert poetische Ausdrucksweise „den Namen Gottes bekennen“356 und das Psalmzitat der Verse 40–42, dazu die inhaltlichen Bezüge innerhalb wie außerhalb der Chronik, fordern vom Leser eine gute Kenntnis der Geschichte sowie (eines wie auch immer gearteten Teils) der Psalmen ein. Die 349 Gezählt mit Hilfe von BibleWorks 9 anhand der Grooves-Wheeler Westminster Morphology and Lemma Database 4.14. 350 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 92; Steins, Abschlußphänomen, 485 f. 351 Vgl. Dillard, Chronicles, 52. 352 Vgl. Johnstone, Solomon’s Prayer, 125 f. 353 Throntveit, When Kings Speak, 58. 354 Throntveit, When Kings Speak, 60. 355 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 60. 356 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 86 f.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Frage, wer unter diesem „sprachlichen Hammer“ liegt, drängt sich nun von selbst auf. Wem „hämmert der Text auf geradezu aufdringliche Weise“357 seine Botschaft ein? Einen ersten Hinweis darauf gibt die Beobachtung von William Johnstone, dass für das in 2Chr 5–7 beschriebene Geschehen (insbesondere im Vergleich zur Parallele in 1Kön 8) das gleiche gilt wie für viele weitere (Gebets-)Texte der Chronikbücher: Die zeitliche Zuordnung wird vom Text verschleiert; alle Ereignisse der Tempelweihe scheinen gleichzeitig abzulaufen.358 Genauer sorgt der Rahmen aus 2Chr 5,13–14 und 7,1–2, zu dem auch die Abbreviatur „lobpreist JHWH“ gehört, für den Eindruck, dass trotz der drei unterschiedenen Theophanien Gottes Präsenz ständig im Tempel anwesend ist und die einzelnen Teile der Weihehandlung weniger konsekutiv als vielmehr gleichzeitig erscheinen.359

8.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Im Kontext der Tempelweihe ist es Salomo, der, analog zu David bei der Überführung der Lade nach Jerusalem in 1Chr 16,8–36, das Gebet „anführt“.360 Diese „Führerschaft“ streicht die Vorbildrolle der Könige David (vgl. auch 1Chr 21,8.17) und Salomo heraus. In 2Chr 6 wird Salomo über den historischen Bauherrn des Tempels hinaus zum vorbildlichen Tempelbesucher. Dillard kommentiert in diesem Zusammenhang die Verse 2Chr 6,34–35 so: „The message that God responds to prayer in times of military tension may have had in the Chronicler’s mind an immediate homiletic value to the national aspirations of the restoration community.“361

Anders gesagt ist klar, dass sich unter entsprechenden gesellschaftlichen Voraussetzungen die „Bitten“ 2Chr 6,19–39 auch als Verhaltensregeln lesen lassen. Solche Voraussetzungen wären, würde man Dillards Datierung folgen, beispielsweise militärische Spannungen. Es ist die sprachliche Verschiebung der Betonung von der Erhörungsbitte auf das immer wieder als Bedingung für die Erhörung genannte Verhalten der Bittsteller, die diese Lesart ermöglicht. Zentral an diesem Verhalten ist die Orientierung auf den Tempel hin, in der letzten Bitte gestuft als Orientierung „auf das Land, das Du den Vätern gegeben, die Stadt, die du erwählt, und das Haus, das ich (!) gebaut habe“ (2Chr 6,38b–bR3). Hier wird der Blick eines jeden Lesers auf den Tempel fokussiert.362 Für die Konstruktion des idealen Lesers hat dies mehrere Konsequenzen. Einerseits muss er in der Lage sein, die zahlreichen Anspielungen aufzulösen: 357 Japhet, 2 Chronik, 79. 358 Vgl. Johnstone, Solomon’s Prayer, 129. 359 Vgl. Spawn, Sacred Song, 58. 360 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537. 361 Dillard, Chronicles, 50. 362 Vgl. Dillard, Chronicles, 53.

Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,1–2.14–42) und Gottes Antwort

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Die Bitten spiegeln deutlich die Geschichte Israels wieder, mit den Kriegserfahrungen sowohl „gerechter Kriege“ wie beispielsweise der Landnahme (Bitte VII, vgl. Jos 1–12) als auch unerlaubter Kriegstreiberei (Bitte III; ebenfalls Beispiele aus der Landnahme, vgl. Jos 7); mit den Erfahrungen aller Arten der Unbill des Lebensumfelds (Bitte  IV  – Dürre, Bitte  V  – Hungersnot, Pest und mehr, vgl. „Schwert, Hunger, Pest“ bei Jer, Ez363 und 2Chr 20,9364); mit der Erfahrung des Fremdseins und in Umkehrung des Umgangs mit Fremden (Bitte VI; vgl. hier besonders die Bücher Esra und Nehemia) bis hin zur Exilserfahrung (Bitte VIII). Hinzu kommen die Vorstellungen über das, was heute „öffentliche Ordnung“ heißt, in Gestalt spezifischer gesetzlicher Bestimmungen (Bitte II; vgl. Num 5,15; Ex 22,6–12365). Die Themen sind, wie die literarische Analyse gezeigt hat, als allgemeine Topoi verwendet und gerade nicht als konkrete Ereignisse beschrieben, so dass sie sich der zeitlichen Zuordnung entziehen.366 Dadurch gewinnen sie ihre „erzieherische“ Kraft für einen „idealen Leser“, der sich nicht mehr notwendig in der Situation der Chronik befinden muss. Dies bietet einen Hinweis darauf, warum die Chronik als „Doppelung“ zu den Erzählungen der vorderen Propheten in den Kanon der Hebräischen Bibel aufgenommen wurde: Sie transportiert die erzählte Geschichte Israels weiter, deutet diese, treibt Theologie für spätere Generationen. Vielleicht wurde sie in einer Zeit in den Kanon aufgenommen, in der die Realität dem gezeichneten Bild einfach nicht mehr entsprach, weil der Text eine theologische und paränetische und in der aktualisierenden Rückbesinnung vielleicht auch tröstliche Kraft besitzt.367 Zur aktiven Ansprache des Lesers in den Versen 2Chr 7,13–16 kommt die aktive Ansprache zunächst des Volkes und seine aktive Beteiligung an der „Litur­ gie“ der Tempelweihe. Letzteres ist der bedeutendere Faktor. Namentlich in 2Chr  7,3–6 (vgl. auch 2Chr  5,6; 6,3.12; 7,8) wird auf die Beteiligung des Volkes ausdrücklich hingewiesen. Dies schließt einen Jubelruf Israels ein, wiedergegeben in Gestalt der Abbreviatur: „Lobpreist den Herrn … !“ (7,3). Er ist die unmittelbare Reaktion auf die eigentliche, nun für alle sichtbare (zweite) Theophanie in Gestalt himmlischen Feuers. Diese Theophanie steht in beinahe expli 363 Jer 14,12; 15,2; 21,7 und öfter; Ez 5,12; 6,11–12; 7,15 und öfter. 364 Siehe den entsprechenden Abschnitt Nr. 10.1.3. 365 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 93. 366 Vgl. McKenzie, Chronicles, 247. Dillard, Chronicles, 52 geht sogar so weit, aus dieser Offenheit auf eine liturgische Verwendung des Textes zu schließen. Die Historizität dieser Annahme muss hier undiskutiert bleiben; sie zeigt aber, dass eine „liturgische“, genauer anamnetische, Deutung möglich ist. 367 Das entspricht nicht ganz der „Utopie“, wie Murray sie hier versteht (vgl. Murray, Retribution, 96). Die paränetische Wirkung des Textes beinhaltet keine ausdrückliche (politische) Kritik an einem wie auch immer gearteten status quo. In der Zusammenschau der Gebetstexte wird sich allerdings zeigen, dass dieses Sinnpotential durchaus zu den Möglichen, sogar zu den wahrscheinlicheren, gehört. Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon hatte schon ähnliches gezeigt.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

zitem Kontrast jener am Sinai (Ex 20,18), bei der Israel vor Gott zurückweicht,368 deckt sich aber mit dem Jubelruf bei der Annahme der ersten Opfer Israels durch JHWH (Lev 9,24).369 Gerade über den Jubelruf der Abbreviatur erreicht die Aufforderung zur Einstimmung auch den Leser – selbst dieser wird in die Feier der Tempelweihe mit einbezogen.

8.3.3 Theologie Die Aussage „es gibt keinen Menschen, der nicht sündigt“ findet sich in dieser Deutlichkeit nur an drei weiteren Stellen in der Hebräischen Bibel. Dies sind die Parallele zu 2Chr 6 in 1Kön 8,46; die rhetorische Frage Spr 20,9 und Koh 7,20 in Verbindung mit der Feststellung, dass „keiner nur Gutes tut“. Es gibt aber Stellen, die ähnliche Aussagen machen, wie beispielsweise Ps 143,2: „denn keiner ist gerecht vor dir von allen Lebenden“.370 Bemerkenswert ist im Kontext eines Berichts über eine Tempelweihe in Jerusalem die in diesen Bezügen enthaltene Generalisierung. Einerseits geht es in der Bitte um die spezifische Geschichte Israels, namentlich um das Exil. Andererseits ist dieses, gleich wie die Chronik datiert sein mag, für einen Chronik-Leser mit Sicherheit vorüber. Und gerade an dieser Stelle wird zusätzlich in einer verallgemeinernden Parenthese eingeschoben, dass alle Menschen sündigen: Der Leser kann die Bitte von der konkreten Geschichte Israels auf sich selbst übertragen. Die Ergänzung verlängert die Mahnungen und vor allem die Aufforderung, sich zum Tempel und mithin an JHWH zu wenden, über ein konkretes Israel zu einem konkreten Zeitpunkt hinaus – letztlich bis in eine unbestimmte Zeit, bis in den ‫עולם‬. Dieses Element der Verallgemeinerung deckt sich mit den Entgrenzungen und Mehrdeutigkeiten, die über den gesamten Text verstreut sind und eine konkrete geschichtliche Verankerung verunmöglichen, zugleich aber einem jeden Leser, der mit den Bezugstexten vertraut ist, eine Identifikation mit dem Geschehen ermöglichen und ihm damit das Angebot eröffnen: „Wenn sie beten in Richtung auf dieses Haus, dann höre du vom Himmel her“. Das konkrete Anliegen erscheint demgegenüber fast nachrangig. Am Ende genügt die Hinwendung, die Ausrichtung auf das „Haus“. In diesem Punkt zeigt das Gebet Salomos eine Entwicklung: In Vers 24f findet das Gebet noch im Haus und vor dem Angesicht JHWHs statt, in den Versen 29c.32c nur noch im/am/bei dem Haus und 34b.bR1 reicht die Richtung auf das Haus aus, damit ein Gebet Erhörung findet. Dabei steckt die Erhörungszusage nicht im Gebet selbst, sondern vor allem in der gött 368 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 99. 369 Vgl. Hieke, Levitikus, 372 f. Murray, Retribution, 92 f, hat mit der Einschätzung, dass das Volk in Levitikus nur als Zuschauer einem priesterlichen Ritual beiwohnt, nicht ganz recht. 370 Vgl. Snaith, Kings, 84 f.

Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10)

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lichen Antwort 2Chr 7,12–22 und in den über die Hypertexte eingespielten Bezügen, insbesondere 1Chr 17. 2Chr  6,36b–bR ‖ 1Kön  8,46 sagt nicht, dass der Mensch nur sündigt. Mildernde Bemerkungen, die die Aussage schwächen könnten, fehlen aber. Durch die Verbindung mit der Exilsthematik ergibt sich oberflächlich betrachtet der Schluss, das Exil sei unausweichlich gewesen: Alle Menschen, Israel eingeschlossen, sündigen; also folgte das Exil. Diese Erkenntnis, dass die chronistische Theologie einen Zusammenhang zwischen Verhalten und Ergehen herstellt, ist nicht neu. Tatsächlich befassen sich auch die Bitten II und III mit menschlichen Verfehlungen. Die weitere Geschichte Israels, wie die übrigen Kapitel in 2 Chronik sie darstellen, macht aber deutlich, dass die menschliche Sünde keineswegs eine Notwendigkeit ist, sondern die Menschen, in 2 Chronik exemplarisch in Gestalt der Könige, durchaus eine Wahlmöglichkeit haben. Außerdem bringen die übrigen Bitten Anlässe ein, bei denen menschliches Verhalten keine Rolle spielt; das Gebet aber dennoch „wirksam“ sein kann. Salomos Bittgebet zur Tempelweihe wird zum Ausgangspunkt der theologischen Geschichtsdeutung der Chronik.371 Krieg, Not und Katastrophe sind durchaus „Strafen“ für den sündigen Menschen; und sie müssen sich sogar wiederholen. Demgegenüber besteht für den Menschen aber stets die Möglichkeit zur Umkehr – und sie wird auch genutzt.

9. Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10) 9.1 Formale Gestalt 9.1.1 Abgrenzung Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch gehört noch zum Beginn des Berichts von Asas Regentschaft (2Chr 14,1–16,14). Die Episode in den Versen 2Chr 14,8–13 erzählt einen „Zwischenfall“, bei dem ein fremder König die Sicherheit des Südreichs bedroht, das nach Auskunft der Verse 6–7 unter Asa vor allem militärisch prosperiert. Die Redeeinleitung ‫ ויאמר‬kennzeichnet in Vers 10b den Beginn des eigentlichen Gebets,372 in dem es die folgenden Worte als wörtliche Rede bestimmt. Ein Subjektwechsel und der Wechsel bei der Rede über JHWH von der zweiten zur dritten Person in Vers 2Chr 14,11 markieren das Ende der wörtlichen Rede und damit des Gebetstextes.

371 Vgl. Dillard, Chronicles, 52. 372 Vgl. Throntveit, When Kings Speak, 63.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

9.1.2 Text und Übersetzung Die Abkürzungen im nachstehenden Strukturmuster bedeuten: R: Rahmen, V: Vokativ, K: Bekenntnis, B: Bitte.

‫יהוה‬

10gV

‫יהוה‬

‫אלהינו אתה‬

‫אלהינו‬

‫אל יעצר עמך אנוש‬

10h

‫כי עליך נשענו‬

10e

‫ובשמך באנו על ההמון הזה‬

10f

10a

Und Asa rief zu JHWH, seinem Gott

R

10b

[und sagte:]

V

10cV

„JHWH,

10eV

K

10c

B

10cI

B

10c

10a

R

‫ויאמר‬

10b

R

10cV

V

10c

K

‫לעזור בין רב לאין כח‬

10cI

B

‫עזרנו‬

10d

B

10eV

10g

R

‫ויקרא אסא אל יהוה אלהיו‬

‫יהוה‬

"

‫אין עמך‬

JHWH,

10gV

JHWH,

keiner ist außer dir,

"

unser Gott –

10g

du bist unser Gott,

der helfen kann zwischen dem mit viel und dem ohne Kraft;

10e

ja, wir stützen uns auf dich,

10h

niemand wird dich aufhalten!“

hilf uns!

10f

und in deinem ­ Namen sind wir gekommen vor diese Menge!

9.1.3 Struktur Zwei Äußerungseinheiten erschweren die Strukturierung von Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch: In Einheit 10c steht ganz wörtlich „es ist ein Nichtsein bei dir“, was zwei Möglichkeiten zur Übersetzung des Infinitivs 10cI zulässt. Entweder ist gemeint, dass es keinen Gott wie JHWH gibt, der im Konflikt zwischen Starken und Schwachen schlichten könnte (so deutet oben gebotene Übersetzung). Die Kombination aus ‫ ל‬und Infinitivus constructus drückt dann ein finales Verhältnis des Infinitivs zum Prädikat aus; in 10cI liegt eine Ellipse vor.373 Alternativ bedeutet die Aussage, dass es für Gott keinen Unterschied macht, einem Starken oder einem Schwachen zu helfen. Der Infinitiv wäre dann modal gebraucht. Im Kontext der Chronikbücher mit ihrer Betonung der Souveränität Gottes scheint die Deutung „es gibt keinen Gott außer dir, der…“ für 10c wahr 373 Vgl. De Vries, Chronicles, 299; Japhet, 2 Chronik, 184; Klein, 2 Chronicles, 219.

Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10)

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scheinlicher. Es ist Sara Japhets Urteil zu 2Chr 14 zuzustimmen: „Dieser Text ist in Bezug auf Wortwahl und Anschauung ganz und gar chr.“374 Die Deutung als finale Verbindung eröffnet die Möglichkeit, von der üblichen Aufteilung der Äußerungseinheiten abzuweichen und den Vokativ ‫יהוה אלהינו‬ zur Redeeinheit 10e zu rechnen (entsprechend die Bezeichnung in der Strukturübersicht). Die Kommentare lesen mit der BHT:375 10cV 10c 10cI

‫„ יהוה‬JHWH, ‫ אין עמך‬keiner ist außer dir, ‫ לעזור בין רב לאין כח‬der helfen kann zwischen dem mit viel und dem ohne Kraft!

10d 10dV 10e

‫ עזרנו‬Hilf uns, ‫ יהוה אלהינו‬JHWH, unser Gott, ‫ כי עליך נשענו‬denn wir stützen uns auf dich!

Das heißt, sie zählen den Vokativ syntaktisch noch zur Redeeinheit 10d. Dementsprechend begänne ein neuer Abschnitt schon mit 10d und dem Aufruf ‫עזרנו‬ und nicht erst mit dem Vokativ. Mit der Deutung, dass 10cI final mit 10c verbunden ist, passt diese Bitte „hilf uns“ 10d aber inhaltlich auch als logische Fortsetzung zu 10cI. Auch hier wäre eine Ellipse denkbar: „keiner außer dir kann helfen, also hilf uns“. Das Problem, dass mit der Verschiebung des Vokativs 10dV nach 10eV das satzeinleitende ‫ כי‬in 10e keine kausale Bedeutung mehr haben kann, weil ihm der Bezug auf den Aufruf ‫עזרנו‬, „hilf uns“ verloren geht, lässt sich durch eine andere Deutung der syntaktischen Funktion von ‫ כי‬beheben.376 Es ist entweder deiktisch (so deutet es die gebotene Übersicht)377 oder konsekutiv: „du bist unser Gott, so dass wir uns auf dich stützen (können).“378 Mit der deiktischen Bedeutung ergibt sich ein logisches Satzgefüge für die Einheiten 10eV–f. Mit den Ellipsen und durch die in den Sprechakten angelegten Bedeutungen379 lässt sich der Abschnitt in etwa wie folgt umschreiben: „Es gibt keinen Gott außer dir, der zwischen Starken und Schwachen für Ordnung sorgen kann; also hilf uns! JHWH, du bist unser Gott; ja, wir stützen uns auf dich, und in deinem Namen treten wir gegen diese Menge von Feinden an.“ 374 Japhet, 2 Chronik, 183. 375 Vgl. Richter (Hg.), BHT Chr, 315; Klein, 2 Chronicles, 219 mit De Vries, Chronicles, 298; vgl. weiter Japhet, 2 Chronik, 184 sowie Throntveit, When Kings Speak, 62 f. 376 Ein kausaler Bezug auf den Vokativ 10eV als Nominalsatz wäre grammatisch möglich: „JHWH, du bist unser Gott, weil wir uns auf dich stützen“ – stünde aber im Widerspruch zu jedweder Theologie der Chronik an anderer Stelle. Gott ist nicht Gott, weil die Menschen ihn dazu machen, sondern weil er sich in seiner Souveränität als Gott Israels erweist. 377 Deiktische Bedeutung nach Waltke/O’Connor (Hg.), IBHS, Abschnitt 39.3.4, Rn. e. 378 Konsekutive Bedeutung nach Ernst, Grammatik, § 64g. 379 Siehe dazu gleich im Anschluss die entsprechende Analyse.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch zeigt in dieser Deutung ein wiederkehrendes Strukturmuster. Auf den Rahmen (in der Übersicht mit „R“ bezeichnet) folgt das eigentliche Gebet, das aus drei Teilen besteht. Je ein Vokativ („V“) leitet einen Teil ein, gefolgt von einem Bekenntnis („K“). In den ersten beiden Teilen schließen sich indirekte (10cI.e.f) oder direkte (10d) Bitten an („B“). Im dritten Teil muss offen bleiben, ob die Äußerungseinheit 10h eine Art Wunsch ist oder ebenfalls eher eine Bitte um Schutz darstellt. Ist letzteres der Fall, tritt das Muster „V K B(B)“ drei Mal hintereinander auf.380

9.2 Inhaltsanalyse 9.2.1 Aussagegehalt Die Äußerungseinheiten 10e.f bringen drei Hypotexte ins Spiel, die die Situation, in der Asas Gebet steht, ausleuchten. Besonders deutlich ist der Bezug zu den Worten Davids, die dieser nach dem Bericht von 1Sam 17 an Goliat richtet. Klein weist darauf hin, dass sonst nirgendwo in der Hebräischen Bibel eine Person für sich in Anspruch nimmt, mit ihrem Erscheinen („Kommen“) „im Namen des Herrn“ zu handeln (‫ובשמך באנו‬, 2Chr  14,10f; ‫ואנכי בא אליך בשם‬ ‫יהוה צבאות אלהי מערכות ישראל‬, 1Sam 17,45).381 Darüber hinaus ist Davids Situation gegenüber Goliat vergleichbar mit jener Judas im Angesicht Kuschs. Sowohl David als auch Juda unter Asa sehen sich einer eigentlich erdrückenden Übermacht gegenüber. David wie Asa vertrauen darauf, dass JHWH ihnen dennoch einen (militärischen) Erfolg verschaffen wird. Davids Rede in 1Sam 17,45–47 ist schon in sich selbst beziehungsreich. In ihrem Kern stellt sie JHWH als Führer Israels dar und zeichnet David in der Rolle desjenigen, der JHWHs Herrschaft durchsetzen wird. Die Argumentation, die David aufbaut, läuft darauf hinaus, dass JHWH in Israel die Macht hat und dass, wer Israel „verhöhnt“ (‫ חרף‬Piel, 1Sam 17,10.25–26.36.45), auch JHWH verhöhnt und angreift. Möglicherweise ist der Bezug der Relativpartikel ‫אשר‬ in 1Sam 17,45 bewusst unklar gehalten,382 um im Sinn einer Leserlenkung zu verdeutlichen, dass Goliat sowohl die „Schlachtreihen Israels“ meint als auch

380 Balentine, Prayer, 98, folgert aus denselben Beobachtungen eine eher konzentrische Struktur mit der Bitte in der Mitte; nichtsdestoweniger bleibt es dabei, dass sich die Elemente wiederholen und ineinander verschachtelt sind. 381 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 219. Zu Ps 118,26 als weiterem Bezugstext siehe weiter unten in diesem Abschnitt. 382 Das unmittelbar zuvor stehende Bezugswort ist die Constructus-Verbindung ‫מערכות‬ ‫ישראל‬, die aber ihrerseits vom Status constructus ‫ אלהי‬abhängt. Eine Mehrheit der Übersetzungen und Kommentare scheint davon auszugehen, dass sich die Relativpartikel auf die gesamte Verbindung von ‫ אלהי‬ab und damit auf JHWH bezieht.

Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10)

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JHWH, der im übertragenen Sinne hinter diesen steht. Wie in 2Chr 14,10 sind auch in 1Sam 17 JHWHs Name und Ruf bedroht.383 Walter Brueggemann qualifiziert Davids Rede an Goliat als „missionary speech“384 und meint damit, dass die Rolle Davids über die des „Kriegshelden“ der erzählten Geschichte hinausreicht. Der missionarische Impetus richtet sich vorrangig an den Leser des Textes. Der scharfe Kontrast zwischen dem „Hirtenjungen“ David und dem bis an die Zähne bewaffneten „Superhelden“ der Philister, Goliat, sowie die ausdrückliche und ausführliche Titulatur JHWHs als „JHWH der Heere, Gott der Schlachtreihen Israels“ (1Sam 17,45) bringen noch einmal deutlich die Geschichte Israels mit den Siegen JHWHs in Erinnerung.385 Die paradigmatische Rolle, die die „Philister“ als Gegner Israels in der Chronik spielen,386 tut ein Übriges, die Asa-Erzählung auf eine exemplarische Ebene zu heben. Wenn die Chronik mit dem „Kommen im Namen JHWHs“ argumentiert, spielt sie damit die Erinnerung an einen der größten Triumphe israelitischer Kriegsführung einerseits und an den ohnehin bereits als mustergültig gezeichneten David andererseits ein. Damit entspricht Asas Handeln nicht nur der Idee aus Salomos Bittgebet zur Tempelweihe, sondern „übererfüllt“ die dort genannten Bedingungen noch durch Angleichung der Figur Asas an David bis in den Wortlaut. Diese Erinnerung an David ist auf Textebene völlig irrelevant; Asas Gebet würde selbst dann noch im Sinne des Tempelweihegebets sein, wenn er andere Worte wählen würde. Die Anspielung auf David trägt daher für den Leser zusätzlich das große Thema „Vorbild“ ein und erweitert die Geschichte Asas um eine paränetische Dimension. Der Effekt wird verstärkt dadurch, dass auch im Kontext von Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon klar auf die Worte Davids Bezug genommen wird, namentlich in Jahasiëls Prophezeiung 2Chr 20,13–19 (vgl. 15): „Denn nicht für euch ist der Kampf, sondern für Gott“ entspricht Davids Argument „für JHWH ist der Kampf “ in 1Sam 17,47.387 Dazu passt der zweite Text, der mit dem „Kommen im Namen JHWHs“ eingespielt werden kann: Ps 118. Vers 26 redet in dritter Person von jemandem, der „im Namen des Herrn kommt“, ‫ברוך הבא בשם יהוה‬. Zuvor ist in Ps 118,10–12 von einer Situation die Rede, in der das Sprecher-Ich eine Bedrohung durch „Nationen“ (‫ )גוים‬abwehrt. Es ist syntaktisch nicht eindeutig, ob bereits dies „im 383 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 220. 384 Brueggemann, Samuel, 132. 385 Zur Interpretation der Rede Davids an Goliat, 1Sam 17,45–47, vgl. insgesamt Brueggemann, Samuel, 131 f; Klein, Samuel, 179 f. In ihrer Überzeichnung trägt die Szene in 1Sam 17 schon Züge einer Karikatur. 386 Vgl. Mosis, Untersuchungen, 59–77; siehe zum Zusammenhang zwischen David, den Philistern und Saul auch Abschnitt Nr. 14.6.2. 387 ‫ כי לא לכם המלחמה כי לאלהים‬2Chr 20,15 entspricht in 1Sam 17,47 ‫ ;כי ליהוה המלחמה‬vgl. Klein, 2 Chronicles, 289.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Namen des Herrn“ geschieht, oder ob der anschließende Lobpreis für die Rettung „im Namen des Herrn“ steht. Durch die Verwendung der Partizipien von ‫ בוא‬und ‫ ברך‬ist in Ps 118,26 ebenso wenig klar, ob der „Gesegnete“ schon angekommen ist oder erst im Zusammenhang mit der zuvor von JHWH erbetenen Hilfe kommen wird. Erich Zenger deutet den Vers so, dass damit ein Überlebender des Untergangs des Nordreichs gemeint ist.388 Zugleich eröffnen die Verse Ps 118,22–24 einen „Zukunftshorizont“389. Übertragen auf die Situation in 2Chr 14 ergibt sich eine Mehrdeutigkeit der Zeitstufen. Daraus lässt sich auch eine Hoffnungsdimension ableiten: Wie Asa gerade im Namen des Herrn vor seine Feinde gezogen ist und David es getan hat, so kann es auch in Zukunft jemanden geben, der „im Namen des Herrn“ handelt – und diesem wird Hilfe zu Teil, wie Asa. Die Formulierung „sich auf JHWH stützen“ (‫כי עליך נשענו‬, 2Chr  14,10e) gebraucht die Chronik außer im Kontext des Berichts über Asa (vgl. auch 16,7–8390) noch im Kontext des Berichts über den ersten Südreichskönig nach der Reichsteilung, Abija (vgl. 2Chr 13,18).391 Der Gegner ist in diesem Fall das Nordreich Israel. Brian Kelly sieht in diesem Motiv eine Verknüpfung zwischen der AbijaErzählung und der Asa-Geschichte.392 Es entsteht ein Wechselspiel zwischen Schilderungen der Folgen des „sich-Stützens“ – und des „sich-Stützens“ auf andere als JHWH.393 Außerhalb der Chronik benennt Peter Ackroyd Jes 10,20 als Parallele für „sich stützen auf JHWH“.394 Das ist der dritte bedeutende Hypotext. Die Jesaja-Stelle steht am Beginn eines Abschnitts,395 der sich mit einem „Rest Israels“ (‫ )שאר ישראל‬befasst. Nach der Eroberung des Nordreichs durch Assur und dem Sieg JHWHs gegen diesen übermächtigen Feind wird ein solcher Rest „zurückkehren“ (‫ שוב‬Qal). Es ist der Rest jener, die sich auf Gott „gestützt“ haben. Die Kommentare weisen mit Jes 10,22 auf die Doppelbödigkeit des Konzepts des „Restes“ an dieser Stelle hin: Einerseits wird ein Rest Rechtgläubiger von Israel übrigbleiben, was eine positive Verheißung ist; andererseits wird es eben nur ein Rest sein – und eine Mehrheit wird nicht zurückkehren.396 Dies passt in 388 Vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen 101–150, 328–331. 389 Hossfeld/Zenger, Psalmen 101–150, 328. 390 Vgl. Mason, Tradition, 53 f. 391 Vgl. Allen, Kerygmatic Units, 29. 392 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 96; Allen, Kerygmatic Units, 29. Da die AbijaErzählung aber kein Gebet erhält, erfährt die Geschichte hier keine weitere Aufmerksamkeit. 393 Vgl. Allen, Kerygmatic Units, 29. 394 Vgl. Ackroyd, Chronicles, 137. 395 Vgl. Jüngling, Jesaja, 526. Über die Zuordnung der Verse Jes 10,20–23 oder 10,20–27 sind sich die Kommentare uneins; sie stimmen aber weitgehend darin überein, dass mindestens die Verse 10–23, wenn nicht 10–27 zusammengehören. 396 Vgl. stellvertretend Smith, Isaiah 1–39, 262; Beuken, Jesaja, 291. Die Chronik selbst verwendet für das Theologumenon des „Restes“ zwei Begriffe: ‫„ פליטה‬Rest“ (auch „Entkom­ men“; 2Chr 12,7; 30,6) und ‫שאר‬, „übrig bleiben“ (2Chr 30,6; 34,21); vgl. auch Mason, Tradition, 105 f.

Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10)

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sofern zur chronistischen Theologie, als dass der „Rest“ sich genau durch die Tugend auszeichnet, die die Chronik immer und immer wieder in den Blickpunkt rückt, nämlich das Vertrauen auf JHWH. Die Konsequenz des Nichtvertrauens, die Vernichtung, wird bei Jesaja in 10,22–23 deutlich benannt; sie wird durch die Metapher des „sich Stützens auf Gott“ in Chr eingespielt und wirksam, ohne dass die Chronik ausdrücklich eine Drohkulisse aufbauen muss. Implizit sagt die Chronik vermittels Jesajas und des Beispiels Abijas zum idealen Leser: „Wenn du dich nicht auf JHWH stützt, wird nicht einmal ein Rest übrigbleiben.“ Diese Situation eines Hilferufs im Krieg wird auch in Salomos Bittgebet zur Tempelweihe angesprochen. Die einschlägige Aussage, die auf Asas Situation zutrifft, lautet zusammengefasst: „Bittet im Angesicht von Feinden, und JHWH wird helfen“ (2Chr  6,24–25.34–35.36–39).397 2Chr  6 (Tempelweihgebet  – allgemeine Aussage)  wird zu einem „situativen“ Hypotext zu 2Chr  14,10 (Asa  – konkreter Fall).

9.2.2 Sprechhandlungsgehalt Es sind die Anrufungen JHWHs, die Asas Gebet strukturieren.398 Sie stehen zu Beginn der drei Teile des Verses (den Rahmen nicht gerechnet). Auf jeden Vokativ (10cV.eV.gV) folgt ein Bekenntnis zu Gott: Die Äußerungseinheit 10c kann als wenigstens monolatrische Aussage gedeutet werden. Im Kontext der chronistischen Theologie ist sie eher monotheistisch zu verstehen. Es gibt niemanden, der in Asas Konflikt helfen kann, weil es keinen weiteren Gott gibt und folglich niemanden mit Gott ebenbürtiger Macht. Dies entspricht inhaltlich der Aussage der letzten Äußerungseinheit (10h) und bildet mit dieser eine Inklusio um Asas Ausspruch.399 Die Aussagen 10eV.e und 10gV.g sind so etwas wie „Klassiker“ unter den Bekenntnissen: Sie bekräftigen die Anerkennung JHWHs als Israels Gott, sind Glaubensbekenntnisse im eigentlichen Sinn. Den weitaus größten Anteil an Asas Sprechen haben jedoch Bitten, auch wenn sie nicht immer direkt als Bitte oder Aufforderung (wie 10d) gekennzeichnet sind: 10cI.d.e.f (und in gewisser Weise auch 10h) enthalten alle wenigstens implizit den Hilferuf des Königs angesichts der Bedrohung durch das feindliche Heer. In 10cI macht der Infinitiv ‫„ לעזור‬um zu helfen“, der 10cI und d durch Wiederholung verbindet, diese Bitte kenntlich. Der Infinitiv ist eine Art „Vorsatz“ oder Begründung zum folgenden klaren Ausruf: „Hilf uns!“ (10d). Ähnlich wie mit 10cI verhält es sich mit den Aussagen in 10ef. Modern formuliert sagt Asa in 10e nichts anderes als: Ich verlasse mich auf deine Führung, Gott. Und der 397 Vgl. Throntveit, Speeches, 232. 398 Die Darstellung von Text und Übersetzung bei der formalen Beschreibung berücksichtigt dies, siehe oben. 399 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 184.

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Leser ergänzt implizit: Also hilf uns, deinem Volk Israel, sonst ist es verloren. Dies wird bekräftigt durch den Bezug auf den Namen JHWHs in 10 f. Klein drückt es so aus: „the second [statement–M. J.] affirms the faith that Judah’s power lies in Yahweh and implies that Yahweh’s reputation or name is at stake.“400 Der Nachsatz dient also auch dazu, JHWH zum Handeln zu bewegen. Dementsprechend offen ist die Deutung der letzten Aussage: Es ist Wunsch und Hoffnung Israels, und zwar sowohl des textweltlichen wie eines späteren, dass JHWH sich als unbezwingbar erweist; zugleich ist, nach der deutlichen Aufforderung der vorstehenden Argumente, immer noch der Hinweis für den Leser enthalten: „Lass dich nicht überwältigen, JHWH“. Die Dominanz der Bitte in Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch korrespondiert der theologischen Linie, die Salomos Bittgebet zur Tempelweihe eröffnet hat: Bittet im Angesicht von Feinden, und JHWH wird helfen (2Chr  6,34–35. 36–39).401 Dadurch erhält der Text, den die Chronik Asa in den Mund legt, eine weitere Dimension: Sie erinnert an den Appell des „Tempelweihgebets“ und inkorporiert diesen in die Erzählung um Asa. Bestärkt wird dieser appellative Charakter durch die Einspielung der beiden Hypotexte 1Sam 17,45–47 und Jes 10,20–23.

9.3 Funktionsanalyse 9.3.1 Literarische Eigenart Es scheint zur literarischen Eigenart des Textes zu gehören, dass er mehrdeutig ist. Mark Throntveit wertet die Äußerungseinheiten 2Chr  14,10c.cI als Klage.402 Simon De Vries spricht neutral von einer „Beschreibung JHWHs“.403 Dem Sprechhandlungsgehalt folgend bezeichnet die Strukturbeschreibung in dieser Arbeit die Einheiten als Bekenntnis und Bitte. Andererseits gehen die forschungsgeschichtlich differenten Urteile auch auf unterschiedliche Fragestellungen zurück. Simon De Vries geht es zunächst um die formale Einteilung, er bleibt daher bei der grundlegenden Aussage der Verse. Mark Throntveit erkennt dieselbe Funktion des Textes, wie diese Arbeit sie vertritt, argumentiert aber auf Textebene. Die hier vorgeschlagene Bezeichnung orientiert sich dagegen an der breiteren Wirkung des Textes über die Textebene hinaus zum Leser hin, wie sie Carmen Diller für 1Chr 16,8–36 vorgeschlagen hat.404 400 Klein, 2 Chronicles, 220. 401 Vgl. Throntveit, Speeches, 232. 402 Vgl.  Throntveit, When Kings Speak, 63. In seinem Schema sind sie als 10d.e be­ zeichnet. 403 Vgl. De Vries, Chronicles, 298. 404 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 182 ff.

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Seine Wirkung auf der Ebene der Text-Leser-Kommunikation entfaltet der Text zunächst über die beiden intertextuellen Verweise, den „Namen JHWHs“ und das „sich Stützen“ auf ihn. Sie verknüpfen Asas Gebet mit völlig anderen historischen Epochen. Dadurch verallgemeinern sie die Episode – so sehr, dass in der Forschungsgeschichte schon im Raum stand, dass die gesamte Erzählung um den Feldzug des „Serach, des Kuschiters“ (2Chr 14,8) gegen Asa eine von vornherein paradigmatische und dafür erfundene Geschichte sein könnte.405 Eine historische Verortung ist jedenfalls äußerst schwierig.406

9.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Asas Text ist eine Schilderung von Wohlverhalten im Sinne der Theologie der Chronik. Der dreimalige Ausruf „JHWH!“ lässt Asas Gebet wie einen Schlachtruf klingen,407 dem auch der ideale Leser sich anschließen kann. Der paränetische Charakter wird dadurch verstärkt, dass der Bericht über Asa diesem in 2Chr 14,6 eine Rede an sein Volk in den Mund legt, die entsprechenden Charakter besitzt.408 Selbst in Asas nur indirekt wiedergegebener Weisung, „den Herrn zu suchen“ steckt das Potential der „Ermahnung“ auch (späterer) Leser; die Aufforderung, „den Herrn zu suchen“ ist in sich schon universell.409 Für den Gang der Erzählung in 2Chr 14 ist die Tatsache entscheidend, dass Asa betet – darüber transportiert der Text in der Hauptsache seine Theologie. Die intertextuellen Verweise, die dem Kapitel die paradigmatische Eigenschaft verleihen, ergänzen aus dem Wissen oder der Enzyklopädie des Lesers die Begründung für Gottes Handeln. Wenn der Leser darüber hinaus die Verbindung mit den Samuel- und Königsbüchern, namentlich 1Sam 17, auflösen kann, erleichtert ihm dies das Verständnis der Episode als beispielhafter Geschichte. Er wird auf die fast karikaturartige Verengung verwiesen, die 1Sam 17 kennzeichnet und dort die paradigmatischen Aussagen hervorhebt.

9.3.3 Theologie Sara Japhet findet für den einleitenden Satz 2Chr  14,10cV–d (cV–cI in klassischer Einteilung) die Bezeichnung „Proklamation“.410 Durch die Verteilung der Bekenntnisse in der Struktur des Texts könnte dieses Label auf den gesamten Vers ausgeweitet werden. Diese Verkündigung funktioniert aber nur in der Verbindung des Gebets mit seinem Kontext und mit dem Kontext der Chronik­bücher. 405 Vgl. dagegen aber Myers, Chronicles, 85. 406 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 217 ff. 407 Vgl. Throntveit, When Kings Speak, 63. 408 Vgl. Throntveit, When Kings Speak, 38 f. 409 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 216. 410 Japhet, 2 Chronik, 184.

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Ohne den Hintergrund von 2Chr 6 wäre der Zusammenhang zwischen Asas Beten und JHWHs Handeln auch anders zu verstehen, namentlich als kausaler Zusammenhang: Es sähe so aus, als handle Gott wegen des konkreten Gebets, als ließe er sich durch das Argument Asas, dass sein guter Name in Gefahr sei, zur Handlung zwingen. Aus dem Kontext der Chronik und der Verbindung mit 2Chr 6 ergibt sich aber, dass Gott eben nicht wegen dieses konkreten Gebets Asas handelt, sondern aufgrund der Tatsache, dass Asa durch das Gebet ausdrückt, dass er auf Gott vertraut. Dies wird durch den Fortgang des Berichts über Asa in der Chronik noch gestützt: In dem Augenblick, da er sich an einen anderen Beistand wendet, verliert er jegliche Hilfe. Er bittet in seiner Krankheit am Lebensende Ärzte – und stirbt.411 Das Gebet Asas zeigt, dass die chronistische Theologie vom Zusammenhang zwischen Wohlverhalten und Wohlergehen auch eine Kehrseite hat. Um der Gerechtigkeit willen ist JHWH geradezu gezwungen, „seinem Israel“ zu Hilfe zu kommen, so lange es sich an die in Salomos Bittgebet zur Tempelweihe genannten „Bedingungen“ hält. Würde Gott nicht handeln, wäre sein „Name“  – das heißt so viel wie: sein Ruf – in Gefahr. Ähnliches gilt für die Argumentationen Joschafats in 2Chr  20. Für den Leser enthält dieser Gedanke die Zusicherung göttlicher Gerechtigkeit und göttlichen Beistands. Anders ausgedrückt, in Anlehnung an die Interpretation durch Jacob Myers,412 geht es um die „Effektivität des Gebets“.413 Insofern entspricht Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch während des positiv bewerteten Teils seiner Regentschaft funktional Joschafats Bittgebet.414

10. Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon (2Chr 20,6–12) 10.1 Formale Gestalt 10.1.1 Abgrenzung Joschafats Gebet ist durch seinen Kontext dreifach als Hinwendung zu Gott klassifiziert. 2Chr 20,3 spricht davon, dass Joschafat zur Reihe jener Südreichs­könige gehört, die Gott „suchen“ und ihr Volk Gott suchen lassen (‫ דרש‬Qal). Vers 4 steigert die Suche zur Bitte (‫ בקש‬Piel). Die wörtliche Rede und damit der eigentliche Text des Gebets sind durch eine Redeeinleitung in Vers 6 bestimmt, der ein Vokativ als Auftakt der Anrede an Gott folgt. Das Ende der wörtlichen Rede in 411 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 221. 412 Vgl. Myers, Chronicles, 85. 413 Vgl. Throntveit, When Kings Speak, 63 f. 414 Vgl. Dillard, Chronicles, 129 f.

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2Chr 6,12, kenntlich im Subjektwechsel zu 2Chr 6,13 (von Joschafat zu Juda), bestimmt das Ende des Gebetstextes.415 Die Qualifikation von Joschafats Gebet durch das Begriffspaar ‫דרש‬/‫ בקש‬hebt den Text unter den Gebeten der Chronik heraus, da es sich um die termini tech­ nici handelt, mit denen in der Chronik das (beispielhafte) Wohlverhalten zusammengefasst wird: „Gott suchen“ und „Gott fragen“ oder „bitten“. Kein anderes Gebet der Chronik ist so eindeutig klassifiziert. Die Begriffe stehen, wie auch sonst im Alten Testament, in enger Verbindung zum Gebet, zusammen mit dem „Fasten“ (‫)צום‬, das Joschafat Vers 3 zufolge gebietet. Die Verwendung dieser Begriffe ist ein Teil der Argumentation für die von Pancratius Beentjes als opinio commu­ nis bezeichnete Auffassung, dass es sich bei Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon um einen Vertreter der Gattung „Volksklage“ handelt.416 In der Frage der Abgrenzung und kontextuellen Einbettung ist der Verweis von Pancratius Beentjes auf die Diskussion um Vers 13 wichtig. Es geht darum, ob die Versammlung Judas und damit die anschließend berichtete Geistbegabung Jahasiëls gleichzeitig mit dem Gebet stattfinden oder danach. Beentjes weist zu Recht darauf hin, dass 2Chr 20,13 noch zum „Setting“ des Gebets gehört. Das Partizip, mit dem Judas „Stehen“ vor dem Herrn ausgedrückt wird (‫)עמדים‬, bildet mit Joschafats Stehen vor dem Herrn in Vers 5 (‫ )ויעמד‬eine Inklusio um den Gebetstext.417 ‫ ויעמד‬ist der letzte Narrativ vor dem Wortlaut des Gebetstextes. Die Geistbegabung Jahasiëls steht im Perfekt (‫היתה‬, Vers 14). Fiele der Wortlaut des Gebets Joschafats vom einleitenden ‫ ויאמר‬in Vers 6 bis zum Subjektwechsel in Vers 13 aus, bliebe also nur das „Setting“ übrig, läge eine Beschreibung eines gleichzeitigen, präsentischen Handlungsablaufs vor:418 Joschafat steht vor dem Tempel, coram publico. Das Volk sieht ihm dabei zu, und währenddessen erfährt Jahasiël die Geistbegabung. Das Volk ist zwar selbst passiv (es „steht“ wörtlich), aber dennoch ist es dem Text wichtig, dies nach Abschluss der Überlieferung des Wortlauts noch einmal zu betonen. Dies ist eine Parallele zu 1Chr 16,36: Auf ein königliches oder durch einen König angeordnetes Gebet folgt eine Reaktion seitens des Volkes,419 – das Gebet geschieht sozusagen nicht in irgendeinem verschlossenen Hinterzimmer.

415 Vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 270. 416 Vgl. Beentjes, Tradition, 260. Zu den Begriffen im Einzelnen siehe Abschnitt Nr. 15.2. 417 Vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 270. 418 Vgl. Irsigler, Einführung, 160. 419 Vgl. Rösel, dann will ich hören, 358.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

10.1.2 Text und Übersetzung 6a

‫ ויאמר‬Und er sagte:

6bV 6b 6bP 6b 6c 6d 6e 6eI

‫יהוה אלהי אבתינו‬ ‫הלא‬ ‫אתה‬ ‫הוא אלהים בשמים‬ ‫ואתה מושל בכל ממלכות הגוים‬ ‫ובידך כח וגבורה‬ ‫ואין עמך‬ ‫להתיצב‬

7a 7aV 7a

9c 9d 9e 9f

‫הלא אתה‬ ‫אלהינו‬ ‫הורשת את ישבי הארץ הזאת‬ ‫מלפני עמך ישראל‬ ‫ותתנה לזרע‬ ‫אברהם אהבך לעולם‬ ‫וישבו בה‬ ‫ויבנו לך בה מקדש‬ ‫לשמך‬ ‫לאמר‬ ‫אם תבוא עלינו רעה‬ ‫חרב שפוט ודבר ורעב‬ ‫נעמדה לפני הבית הזה‬ ‫ולפניך‬ ‫כי שמך בבית הזה‬ ‫ונזעק אליך מצרתנו‬ ‫ותשמע‬ ‫ותושיע‬

Hast nicht du, unser Gott, die Bewohner dieses Landes vertrieben vor dem Angesicht deines Volkes Israel, und es gegeben den Nachkommen deines Freundes Abraham in Ewigkeit? Und sie wohnten dort und bauten dort für dich ein Heiligtum für deinen Namen und sagten: ‚Wenn über uns Böses kommt, Richtschwert und Pest und Hunger, wollen wir vor diesem Haus stehen und vor deinem Angesicht, denn dein Name ist in diesem Haus, wir werden dich anrufen aus unserer Not, und du wirst uns hören und du wirst uns retten.‘

10a 11aP* 11aPR 11aPRI1 11aPRI2 10b 10c *11a 11aI 11aII 11aIIR

‫ועתה‬ ‫הנה בני עמון ומואב והר שעיר‬ ‫אשר לא נתתה לישראל‬ ‫לבוא בהם‬ ‫בבאם מארץ מצרים‬ ‫כי סרו מעליהם‬ ‫ולא השמידום‬ ‫והנה הם גמלים עלינו‬ ‫לבוא‬ ‫לגרשנו מירשתך‬ ‫אשר הורשתנו‬

Und nun, siehe, die Söhne Ammons und Moabs und vom Berg Seïr, [Länder,] die du nicht Israel gegeben hast, um dort hinzugehen, als sie aus dem Land Ägypten kamen, sondern sie wandten sich ab von ihnen, und rotteten sie nicht aus, siehe, sie vergelten uns und kommen, um uns zu vertreiben aus deinem Besitz, den du uns zugewiesen hast.

7b 8a 8b 8bI 9a 9b

12aV 12a 12b 12c 12d 12e

‫אלהינו‬ ‫הלא תשפט בם‬ ‫כי אין בנו כח לפני ההמון הרב הזה‬ ‫הבא עלינו‬ ‫ואנחנו לא נדע‬ ‫מה נעשה‬ ‫כי עליך עינינו‬

„JHWH, Gott unsrer Väter, Bist nicht du der Gott im Himmel, und du regierst über alle Königreiche der Nationen? Und in deiner Hand sind Kraft und Macht, und keiner ist außer dir, um zu bestehen.

Unser Gott, richtest du nicht über sie? Denn wir haben keine Kraft vor dieser großen Menge, die über uns kommt, und wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern auf dir sind unsere Augen.“

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10.1.3 Anmerkungen zu Text und Übersetzung Im Zusammenhang mit intertextuellen Verweisen ist von Interesse, dass das Wort ‫ שפוט‬problematisiert wird. Es erscheint nur zwei Mal im Text der Hebräischen Bibel, hier in 2Chr 20,9a und in Ez 23,10. Gesenius leitet es von der Wurzel ‫שפט‬ als „Strafgericht“ ab.420 Einige Übersetzungen und Kommentare, darunter Ralph Klein, schlagen eine Konjektur vor.421 Durch Vertauschung der Konsonanten sei ‫„( ושטף‬und Flut“) zu ‫ שפוט‬geworden. Entsprechend wäre „Flut“ zu lesen. Dann würde die Reihe „Schwert, Hunger, Pest“ um eine weitere Katastrophe ergänzt. Wenn diese Konjektur nicht angenommen wird, bereitet die Asyndese von ‫ חרב שפוט‬ein Problem, das durch die Annahme eines Status constructus für ‫חרב‬ gelöst werden kann. Dann hieße der Ausdruck in etwa „Richtschwert“, wie Japhet vorschlägt.422 Die Reihe der Katastrophen um ein „Gericht“ zu ergänzen, wie es einige Übersetzungen, die der Septuaginta folgen, tun,423 scheint nicht sinnvoll. Dies würde zum einen den Ausfall der Konjunktion ‫ ו‬bedeuten, was die Frage aufwirft, warum ein zusätzliches Übel nicht mit derselben Verbindung von ‫חרב‬ abgesetzt würde wie ‫ דבר‬und ‫רעב‬. Zum anderen bräche es mit der Theologie der Chronik, nach der ein (Straf-)Gericht Ungerechte oder Ungläubige trifft, aber nicht wie eine Naturkatastrophe oder Krieg mit seinen Folgen über (jedenfalls am Krieg unbeteiligte) Menschen hereinbricht. Der Argumentation von Kim Strübind, wonach „die Verwendung dieser Wurzel überhaupt“ an dieser Stelle „Schwierigkeiten bereitet“,424 ist zu entgegnen, dass die Wurzel an anderer Stelle innerhalb der Chronik sehr wohl ein göttliches Gericht bezeichnet, das durchaus auch unheilvoll sein kann (vgl. 1Chr 16,33; 2Chr 6,23). Tatsächlich verwendet die Chronik die Wurzel ‫ שפט‬sonst im Sinne der „Erhaltung der Ordnung der Rechtsgemeinschaft“.425 Doch anders als bei Strübind muss die Überlegung, dass es sich bei 1Chr 16,8–36 und 2Chr 6 um Übernahmen aus den Psalmen und 1 Könige handelt, nicht heißen, dass die Verwendung von ‫ שפט‬für ein göttliches Gericht der Chronik unbekannt ist. Im Gegenteil ist es möglich, dass in 2Chr 20,9 in Verbindung mit Vers 12 bewusst diese Bedeutung angenommen wird. Sie stellt dann über die Beziehungen gerade zu 2Chr 6 einen Deutungshorizont für Joschafats Gebet dar.426 Darüber hinaus könnte es sich bei der Verwendung der Wurzel im Kontext eines Gebets Joschafats auch um ein

420 Vgl. Gesenius, ‫‏ׁשפֹוט‬ ְ ‎, Gesenius18, 1400. 421 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 279 f. 422 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 243; 251. 423 Die Septuaginta gibt die Reihe völlig asyndetisch als „Schwert, Gericht, Tod, Hunger“ wieder. 424 Strübind, Tradition, 180. 425 Strübind, Tradition, 180. 426 Ähnlich argumentiert Beentjes, Tradition, 261, Fußnote 19.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Wortspiel mit dessen Namen handeln – insbesondere, wenn sie tatsächlich zwei Mal (2Chr 20,9.12) auftritt.427 In jedem Fall ist zu fragen, ob in der Varianz der aus Jeremia und Ezechiel gut bekannten Reihe „Schwert, Hunger, Pest“ oder dem Anklang an 2Chr 6,28 (Hunger, Pest, Getreidebrand, Getreiderost, Heuschrecken, Raupen) ein zusätzlicher Sinn liegt. Dass eine Verbindung zu 2Chr 6,28 nahe liegt, belegt die Lukianische Rezension der Septuaginta. Anders als die übrigen Textzeugen, die für ‫שפוט‬ das Griechische κρίσις, „Gericht“ setzen (was sich, wie gesagt, in einigen Übersetzungen wiederspiegelt), verwendet sie ἀκρίς – „Heuschrecke“.428 Dadurch verdeutlicht die Lukianische Rezension den Bezug auf 2Chr 6,28. Ähnlich könnte der Vorschlag, ‫ שפוט‬als Metathese von ‫ ושטף‬aufzufassen, gedeutet werden. Die „Flut“ wäre das Gegenstück zur „Dürre“ in 2Chr 6,26 und ließe sich durchaus in die Reihe einfügen. Welche der Möglichkeiten den Vorzug hat, muss die Prüfung der übrigen Bezüge zu 2Chr 6 zeigen. Die Bezüge zu Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19), insbesondere die variierte Wiederholung von 1Chr 29,12 in 2Chr 20,6 und die Folgen für die Einteilung von Vers 6, hat Pancratius Beentjes untersucht. Sein Ergebnis stützt die hier vorgenommene Gliederung von Vers 6, nach der die mit ‫ הלא‬eingeleitete Frage in 6c endet und mit 6d ein neuer Versteil einsetzt.429

10.1.4 Struktur Die Vokative (6bV.7aV.12aV) und die Fragen (6b.7a)  bestimmen zusammen mit der Konjunktion ‫( ועתה‬10a) die Struktur des Textes.430 Diese Struktur deckt sich mit der Verteilung der Sprechhandlungen. Es ergibt sich eine Dreiteilung aus einer Eröffnung (6bV–6cI), die Lobpreis Gottes ist und Bekenntnischarakter trägt; einem Mittelteil (7a–11aIIR), der zwei Argumente anführt, warum Gott handeln sollte, beziehungsweise ein Argument aus der Geschichte Israels (7a–9f) auf die Situation des Textes bezieht (10a–11aIIR); sowie einem Schluss mit der abschließenden Bitte (12aV–e).431 In der Frage der Verortung der Einschnitte sind sich die Ausleger einig; nicht so in ihrer Gewichtung und daraus folgend in der Bedeutung und Bezeichnung der Abschnitte. Einen großen Einfluss hat forschungsgeschichtlich der Ansatz,

427 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 288; Beentjes, Tradition, 260 geht immerhin davon aus, dass die Wurzel ‫ שפט‬eines der Schlüsselworte der Joschafat-Erzählung ist. 428 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 279. 429 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 29 f. 430 Vgl. Beentjes, Tradition, 260; Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 268. 431 Vgl. De Vries, Chronicles, 323; De Vries führt allerdings die beiden Argumente im Mittelteil als zwei gleichwertige Teile auf und kommt so für die „Volksklage“ („communal complaint“, S. 323) zu einer Vierteilung.

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in Joschafats Gebet einen Fall der Gattung „Volksklage“ zu sehen. Exemplarisch fasst Peter Welten die Verse 6–9 als „Anrede und Lobpreis“ zusammen und setzt den größeren Einschnitt zwischen den Versen 9 und 10. Die Verse 10–11 bezeichnet Welten als „Klage“, Vers 12 als „Bitte“.432 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Beentjes dem Vokativ ‫( אלהינו‬7aV.12aV) zentrale Bedeutung zuweist.433 Demgemäß hat in der hier vorgeschlagenen Struktur die Anrede größeres Gewicht. Beentjes gelingt außerdem der Nachweis, dass das literarische „wir“ der Anrufungen sowohl Joschafat mit seinem Volk als auch die Erstleser der Chronik als auch den idealen Leser meinen kann.434 Es zeigt sich bereits bei der Strukturbetrachtung, dass die Verse  10–11 eine zentrale Rolle in der Bewertung des Gebets spielen. Ihr Gewicht als „Klage“, die sonst in den Gebeten der Chronikbücher nur noch in Davids Dankgebet zu Salomos Krönung vorkommt, setzen einen nicht zu ignorierenden Schwerpunkt. Dennoch scheint die Klage nicht Ziel oder Kernstück des Textes zu sein.

10.2 Inhaltsanalyse 10.2.1 Aussagegehalt „Die formelhafte Zusammenfassung der Heilsgeschichte in V 6–12 stellt eine Art freies Florilegium verschiedener Bibelstellen dar, wobei Zitat und Anspielung ineinander übergehen“,435 urteilt Kim Strübind über Joschafats Gebet. Nicht alle Zitate und Anspielungen können hier aufgelöst werden. Zur Leserlenkung sind vor allem jene Übernahmen bedeutsam, die zu Umwertungen oder Ergänzungen führen. Zunächst hat das „Argument aus der Geschichte“ (Einheiten 11aP–10c436) einen Rückhalt in der Überlieferung – obgleich der Text diesen Rückhalt kreativ umwandelt. Für den Umgang Israels mit Moab und Ammon bei der Landnahme existieren zwei Traditionen: Dtn 2,1–22 zufolge erlaubt Gott persönlich den Durchzug Israels durch das Gebiet dieser Völker und verbietet tatsächlich einen Kampf mit diesen Völkern. Nach Num 20,14–21 und Ri 11,14–18 verweigern Ammon und Moab von sich aus den Durchzug, und Israel muss einen Umweg nehmen. Aus der erstgenannten Tradition stammt das Verbot, aus der zweiten das feindselige Verhalten der Völker, die in 2Chr 20 zusammenfließen.437 Beentjes 432 Vgl. Welten, Kriegsbericht, 394; Welten, Buße, TRE 7, 434. Ohne die Gattungszuordnung folgt auch Japhet, 2 Chronik, 249 dieser Einteilung. 433 Vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 268 f. 434 Vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 268 f. 435 Strübind, Tradition, 182. 436 Die Reihenfolge erscheint hier verkehrt, weil 11aP als Pendens-Konstruktion, die syntaktisch von 11a abhängt, den Aussagen in Vers 10 vorausgeht. 437 Vgl. Strübind, Tradition, 183; Beentjes, Tradition, 261 f.

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sieht durch die Kombination mit dem Wort ‫ ירשה‬und den drei Völkern von Ammon, Moab und Seïr eine besonders enge Beziehung zu Dtn 2 gegeben.438 In diesen Kontext gehört weiterhin die Beobachtung der sprachlichen Nähe von Joschafats Gebet zu den Psalmen. Zu einem Psalm gibt es einen deutlichen inhaltlichen Bezug: „Das Gebet zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit Ps 44,1–9, wo ebenfalls Jahwe als Initiator der Landnahme beschworen wird.“439 Gemeint ist, dass bei Verwendung der Wurzel ‫ ירש‬in der Mehrzahl der Belege das Volk Israel oder ein Vertreter desselben „in Besitz nimmt“ (Qal) oder „vertreibt“ (Hifil), beginnend mit dem ersten Bundesschluss mit Abraham (Gen 15; vgl. Gen 15,7: ‫לתת לך את הארץ הזאת לרשתה‬, „um dir dieses Land zu geben, um es in Besitz zu nehmen“, ‫ ירש‬im Qal Infinitiv) und besonders in Deuteronomium (vgl. beispielsweise Dtn 1,8).440 Seltener ist es JHWH selbst, der „vertreibt“ (vgl. beispielsweise Dtn 9,5; Jos 13,6), aber in 2Chr 20,7a und Ps 44,1–9 ist er es selbst. Die Ähnlichkeit der beiden Texte erschöpft sich aber nicht darin; vielmehr bauen die Psalmverse eine ähnliche historische Argumentation auf: Nicht der Kämpfer oder Beter erobert, sondern JHWH schenkt den Besitz des Landes.441 2Chr 20,7 greift einen Ausdruck aus Jes 41,8 auf. Es sind die einzigen Stellen, an denen Abraham den Titel „Freund Gottes“ erhält (‫ אברהם אהבך‬in Chr). Neben der sprachlichen Nähe442 passt der Inhalt des im Jesaja-Text folgenden Heilsorakels über den „Knecht Israel“ (Jes 41,8–16) zur Geschichte des Krieges, den Joschafat nach Auskunft der Chronik führen muss: Die Feinde werden besiegt (Jes 41,11), und Gott selbst wird dies besorgen (Jes 41,14).443 Mit Joschafat geht (erneut) in Erfüllung, was einst Jesaja prophezeite;444 die zeitlichen Ebenen von Landnahme, Königszeit, Exil, Chroniktext und Leser fallen theologisch ineinander. Mit dem „Samen Abrahams, deines Freundes“ konnten sich sowohl die Generation der Landnahme wie jene der Adressaten der Chronik identifizieren. Zusätzlich überbrückt der Hinweis darauf, dass die Landgabe „für die Ewigkeit“ (‫ )לעולם‬erfolgt ist, die Zeiten.445 Die Identifikation geht so weit, dass es in 2Chr 20,8 entgegen aller sonstigen Darstellung in der Chronik die Gene-

438 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 33 f. 439 Strübind, Tradition, 182. 440 Vgl. Lohfink, ‫‏יָ ַרׁש‬ ‎, ThWAT III, besonders Spalten 956 zur Verteilung der Wurzel, 958 und 962 zur Bedeutung in Qal und Hifil und zur „stereotypen“ Verwendung im Deuteronomium Spalte 974. 441 Vgl. Strübind, Tradition, 182. 442 Vgl. Berges, Jesaja, 176; Japhet, Ideology, 95. 443 Vgl.  Smith, Isaiah, 133–138; Berges, Jesaja, 187–191. Berges zählt auf Seite 187 drei Heilsorakel im fraglichen Abschnitt. 444 Ausgehend von der Annahme, dass der größte Teil Deuterojesajas (Jes 40–55) eher zu Beginn der persischen Herrschaft in Palästina entstand, wären die Prophezeiungen, die darin Jesaja zugeschrieben werden, älter als die Chronikbücher. Vgl. Jüngling, Jesaja, 524. 445 Vgl. Beentjes, Tradition, 260 f.

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ration der Landnahme sein könnte, die JHWH in Jerusalem den Tempel baut.446 In jedem Fall ist der Übergang von Abrahams Nachkommen in Vers 7 zu den Tempelbauern in Vers 8 so verkürzt dargestellt, dass sie bei flüchtigem Lesen in eins fallen. Jener Generation der Landnahme schließlich, die nach dem Argumentationsgang der Verse 7–8 auch den Tempel baute, wird ein Zitat untergeschoben, das sich offenkundig inhaltlich und sprachlich an Salomos Bittgebet zur Tempelweihe anlehnt.447 Die Untersuchung des Textbestandes förderte diese Beziehung zwischen 2Chr 20,9a und 2Chr 6,28 bereits zu Tage. Vom Textbestand allein her musste offen bleiben, in welchem Verhältnis die Stellen zueinander stehen – insbesondere, warum die Reihe der Naturkatastrophen, die in 2Chr 6,28 auch nicht dem „Idealtypus“ ‫„( חרב רעב דבר‬Schwert, Hunger, Pest“; Jer 14,12 und öfter; Ez 6,11 und öfter) entspricht, nochmals modifiziert wird. Um dies zu klären hilft es zu sehen, dass die Anlehnung an 2Chr 6 über einen einzigen Vers hinausgeht.448 2Chr 20,9b–f beschreiben exakt das Verhalten, das 2Chr 6,8–12 ebenfalls einfordert: „Gebetsrichtung“ auf den Tempel (in 2Chr 20 statischer als „stehen vor dem Haus“, ‫נעמדה לפני הבית הזה‬, 9b); Ausrichtung auf den „Namen“ JHWHs (9c in Verbindung mit dem „Angesicht“, 9b); aktives Anrufen Gottes (‫ונזעק אליך מצרתנו‬, 9d). Bei letzterem fällt auf, dass 2Chr 20 nicht von „beten“ (‫ פלל‬Hitpael) spricht wie 2Chr 6, sondern vom „schreien (um Hilfe/in der Not; ‫ זעק‬Qal). Dies erinnert an das Bußgebet Neh 9,6–37, in dessen Umfeld der Terminus ebenfalls erscheint (vgl. Neh 9,4.28).449 Zur Beschreibung des eingeforderten Verhaltens tritt noch die „Erhörungszusage“ (2Chr 20,9e.f), die mit demselben Schlüsselwort (‫ שמע‬Qal, hören) arbeitet wie 2Chr 6 (vgl. 6,23a und öfter). Beentjes hat aus den Bezügen zu 2Chr 6 bereits den Schluss gezogen, dass „The king is doing no less than applying Solomon’s conditional sayings to the present situation of the community which has gathered in the Temple in prayer.“450 Wenn die Änderung an der Reihe „Schwert, Hunger, Pest“ in 2Chr 20,9a mit dieser Übertragung zu tun hat, böte sich die Deutung als „Richtschwert“ für ‫ חרב שפוט‬an: Es wäre eine Verallgemeinerung, die es ermöglichte, Salomos Gebet nicht nur auf die Situation Joschafats zu beziehen. Das „Schwert“ als Gerichtsschwert wäre nicht nur Symbol für Krieg und konkrete Schlachten, sondern für weitere, allgemeinere Übel („Gericht“ als Gerechtigkeitsinstanz im Tun-Ergehen-Zusammenhang beziehungsweise dem Retributionsschema). Das 446 Vgl. Beentjes, Tradition, 261; Klein, 2 Chronicles, 287. 447 Vgl. Beentjes, Tradition, 261. 448 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 287. 449 Der Bezug zur „Bußliturgie“ in Neh 9 ist einer der Bausteine in der Argumentation dafür, 2Chr 20,6–12 als „Volksklage“ zu bezeichnen (der Bezug reicht über die Koinzidenz des Begriffes ‫ זעק‬hinaus). Vgl. Welten, Buße, TRE 7, 434. 450 Beentjes, Tradition, 261.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

würde den Adressatenkreis auch der Joschafat-Geschichte erweitern, indem es die Änderung einem idealen Leser leichter macht, sich in der Erzählung wiederzufinden.451 Willem Altink hat im Zusammenhang mit dem Motiv des Richters in 1Chr 16,33 darauf hingewiesen, dass das „Gericht“ nicht prinzipiell eine Drohung darstellen muss – sondern auch Freude und Erlösung bedeuten kann.452 Die „Selbsterniedrigung“ Joschafats („wir haben keine Kraft“, „wir wissen nicht“, 12b–d), die Beentjes als Kehrseite der Souveränität Gottes beschreibt,453 kommt bereits in Davids Dankgebet zu Salomos Krönung vor. 2Chr  20,6 entspricht inhaltlich 1Chr 29,12 („in deiner Hand ist es“).454 Im selben Text, 1Chr 29,14, fragt David: „Wer bin ich, und wer ist mein Volk?“ Der Macht Gottes entspricht die Ohnmacht des Menschen.455 In diesen Zusammenhang gehört auch die Parallele der Redeeinheiten 2Chr  20,6cd und 1Chr  29,12bc. Sie ist wichtig, weil 2Chr 20,6cd anders als 1Chr 29 den „Herrschaftsbereich“ Gottes durch die Ergänzung „über alle Königreiche der Nationen“ einschränkt. Dadurch wird die Aussage von Joschafats Gebet, das mit Hilfe der übrigen Motive eher verallgemeinert wurde, wieder stärker mit dem Kontext verbunden.456 Das Muster der Verbindung – Stichwortaufnahmen aus der Umgebung bei gleichzeitiger Verallgemeinerung – ähnelt dabei dem Muster aus 1Chr 16,8–36. Wie erwähnt, ist Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon schließlich der einzige Gebetstext in der Chronik, in dessen Einleitung sowohl ‫ דרש‬Piel als auch ‫ בקש‬Piel vorkommen (2Chr  20,1–5, hier 3a–bI.4: „3a  Joscha­ fat fürchtete sich und richtete sein Angesicht darauf, sich zu JHWH hinzuwenden (‫)דרש‬. … 4a  Juda versammelte sich, 4aI um von JHWH zu suchen (‫ בקש‬ohne weiteres Objekt). 4b Auch aus allen Städten Judas kamen sie, 4bI um JHWH zu suchen“). Die Verwendung dieser Schlüsselbegriffe bedeutet eine besondere Aufwertung der Situation und Joschafats.457

451 Strübind nimmt eine genau gegenteilige Position ein: Die „Unheilsliste“ in 2Chr 20,9 bezeichne „die über Salomos Gebet hinausreichenden aktuellen Bedrohungen des Volkes“ (Strübind, Tradition, 183; Hervorhebung von Strübind). Allerdings relativiert er diese Aussage gleich wieder, wenn er einige Sätze weiter schreibt: „Auf welche dieser Traditionen der Chronist im einzelnen zurückgriff, läßt sich schwer sagen und ist im Einzelfall unerheblich.“ Mit den Traditionen meint Strübind die möglichen Quellen der „Unheilsliste“; entscheidend ist aber ohnehin der zweite Teilsatz, dass die Details der Übel unerheblich sind. – Es wird also auch in 2Chr 20,9 nicht klar, ob konkrete Unheilssituationen gemeint sind, zumal auf den Kontext des Gebets nur das „Schwert“ passt, dass aber gerade als „Richtschwert“ verallgemeinert wird. 452 Vgl. Altink, Theological Motives, 213 f. 453 Vgl. Beentjes, Tradition, 262. 454 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537 zu 1Chr 29,12; Kelly, Retribution and Eschatology, 213; Rösel, dann will ich hören, 355. 455 Vgl. Beentjes, Tradition, 262. 456 Vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 267; Japhet, 2 Chronik, 249. 457 Zur Bedeutung und Verwendung der Begriffe siehe Abschnitt Nr. 15.2.

Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon (2Chr 20,6–12) 

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10.2.2 Sprechhandlungsgehalt Gotteslob bildet den Auftakt (Verse 6b–6eI) in der Abfolge der Sprechhandlungen in 2Chr 20,6–12. Wie bereits in 2Chr 6,24d beinhaltet dieses Lob schon an sich ein Bekenntnis zu Gott. An dieses Bekenntnis schließt sich ein erinnernder Teil an (7a–9f), der das Hauptargument des Textes vorbereitet und daher bereits Bitte ist. Dasselbe Phänomen, einen geschichtlichen Rückblick, der der Verstärkung einer Bitte dient, beschreibt Richard Bautch für jene Art Texte, die er „postexilic penitential prayers“ nennt (besonders Jes  63,7–64,11; Neh  9,6–37). Der Rückblick fällt bei dieser Textsorte kürzer und prägnanter aus als bei Psalmen, die mit diesem Argumentationsmuster arbeiten.458 Der Rückblick gipfelt in der – noch immer in die wörtliche Rede der „Tempelbau-Generation“ gekleideten  – direkten Bitte um Rettung (9ef), zusätzlich hervorgehoben durch den Gleichklang der beiden Versteile. Diese direkte Bitte erfüllt auch das Element der „Erhörungsgewissheit“, wie es in der Volksklage vorkommt;459 allerdings ist es variiert, denn durch die Einleitung der Bitten, die eine Selbstaufforderung enthalten (9a–d, vgl. 9b), dominiert die Bitte. Außerdem richtet sich die Aufforderung eben nicht nur an Gott, sondern zugleich an den idealen Leser: „Wenn diese Undinge über dich kommen, dann bete, und Gott wird dich retten!“ Das ist der direkte Bezug auf 2Chr 6. Um der Bitte Nachdruck zu verleihen, folgt ihr eine Situationsbeschreibung, 10a–11aIIR, die eine Klage ist. Das bedeutet, dass die Verse durch ihren Inhalt, die Schilderung einer bedrohlichen Situation, eine eindeutig negative Färbung erhalten und zugleich gegenüber dem Adressaten die Hoffnung ausdrücken, dass diese Not durch ihn gelindert werden könnte.460 Diese Klage erfüllt in Joschafats Gebet zwei Aufgaben: Zum einen treibt sie das Argument voran, das Gott zum Handeln bringen soll. Zum anderen bezieht sie das allgemeine Argument aus der Geschichte auf die konkrete Erzählsituation. Die Klage wird hier also als „Gegenstück“ zur Bitte einerseits461 und als Verbindung zum Kontext andererseits verwendet. Gleiches gilt für die Klage, die in 12b–e das Gebet abschließt und die, vor allem im Schlusssatz, zugleich die Hoffnung Israels (Joschafat spricht in der 1. Person Plural462) ausdrückt. In der Funktion der Hoffnung bildet diese Aussage mit der als Frage verkappten Bitte (12a) quasi eine Inklusio um den letzten Teil des Gebets. Das Element der Hoffnung ist so stark, dass Samuel Balentine vorgeschlagen hat, die Fragen des Textes (6b.12a) gar nicht mehr als Fragen zu verstehen, sondern, auch im Vergleich mit dem Gebrauch der Partikel 458 Vgl. Bautch, Developments, 37; 115. Zum Bezug der Bezeichnung post-exilic penitential prayer auf die genannten Texte vgl. Bautch, Developments, 171. 459 Vgl. Gunkel, Einleitung, 132 f. 460 Vgl. Hieke, Grundzüge, 20. 461 Vgl. Hieke, Grundzüge, 20. 462 Siehe die Diskussion um die Abgrenzung des Textes in Abschnitt Nr. 10.1.1.

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‫ הלא‬in verwandten Texten, als Aussage: „JHWH, du bist wirklich unser Gott“; „du richtest sie tatsächlich“.463 Dann würde statt einer Bitte aus einer konkreten Situation heraus eine allgemeinere Zuversicht zum Ausdruck kommen. Welche Funktion dominiert, hängt von der Kommunikationsebene ab, die betrachtet wird. Der Durchgang durch die Sprechhandlungen zeigt, dass sich einerseits das Argument des Textes vom allgemeinen Lob Gottes zur konkreten Handlungssaufforderung in einem konkret beschriebenen Fall steigert; die Gesamtaussage andererseits aber von der konkreten Situation losgelöst verstanden werden kann.

10.3 Funktionsanalyse 10.3.1 Literarische Eigenart „The biblical author is presenting here to his readers nothing less than a hermeneutical and theological paradigm of how they themselves should act.“464 Mit diesem Satz fasst Beentjes die Funktion von 2Chr  20,6–12.13 treffend zusammen. Die funktionale Ähnlichkeit mit dem Dankgebet zur Ladeüberführung (1Chr 16,8–36) und die Analogien zur „Volksklage“ fallen sofort auf. Tatsächlich entspricht der Text von Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon in vielem dem, was Hermann Gunkel in der „Einleitung in die Psalmen“ als „Gattung“ Volksklage beschrieben hat. 2Chr 20,6–12 enthält alle obligatorischen Elemente einer solchen Volksklage (Anrede in den Vokativen, Klage in 10a–11aIIR, Bitte in 12a und als Text insgesamt ein argumentum ad deum). Dazu kommt mindestens die „Erhörungsgewissheit“ (9ef) als eines der optionalen Elemente.465 Ob die Einheiten 12b–d als „Selbstvorwurf “ gelten können, sei dahingestellt. Ein Sündenbekenntnis sind sie nicht, was später im Vergleich zu verwandten Texten bei Esra und Nehemia eine Rolle spielen wird. Der Ablauf der in 2Chr 20 erzählten Geschichte wurde als Paradebeispiel für das „Setting“ oder den „Sitz im Leben“ einer Volksklage verstanden.466 Das Gebet Joschafats weist aber auch Elemente auf, die nicht zur Volksklage im Gunkelschen Sinn gehören. Das betrifft den Auftakt mit Gotteslob oder -bekenntnis ebenso wie die starke Einbeziehung des geschichtlichen Rückblicks (7a–9d) in die Argumentation.467 Den Versen 9a–9d kommt innerhalb dieser 463 Vgl. Balentine, Prayer, 99. 464 Beentjes, Tradition, 259. 465 Zu den Elementen der Volksklage vgl. Gunkel, Einleitung, 121; 125; 128–132. 466 Vgl. Welten, Kriegsbericht, 398. 467 In Ps 80 (vgl. 80,9–12) liegt ein ähnliches Muster vor (vgl. Hieke, Psalm 80, 191). Das Argument, dass JHWHs eigenes Werk durch Feinde bedroht ist, ist dort in das Bild des Weinstocks gekleidet und funktioniert sowohl über dieses Bild als auch über die „Rückblende“ als solche.

Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon (2Chr 20,6–12) 

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„Rückblende“ noch die interessante Zweitfunktion der Selbstaufforderung zu (markant bezeichnet durch ein ‫ ה‬Kohortativum bei ‫נעמדה‬, von ‫„ עמד‬stehen“, in Vers 9b). Diese Elemente rücken den Text in Richtung dessen, was im Anschluss an von Rad „levitische Predigt“ genannt wurde;468 auch, in dem sie einen Beitrag zur Verallgemeinerung der Anwendbarkeit des Textes leisten: Der konkrete Anlass spielt noch keine Rolle.469 In diesen Zusammenhang gehört die Diskussion der Übereinstimmung in der narrativen Struktur von 2Chr 20 mit Ex 14(–15) und der Bezüge zu einer weiteren „Gattung“ oder einem weiteren Topos, dem des „JHWH-Krieges“.470 Einen ersten Hinweis auf diese Bezüge liefert die fast wörtliche Übereinstimmung des Kernsatzes aus Jahasiëls Prophezeiung, 2Chr  20,14–17 (vgl. Vers  15), mit Ex 14,14. Die folgende Übersicht zu den Übereinstimmungen (auch im Nahkontext) ist von Rex Mason übernommen und lediglich übersetzt.471 13b

13c

13d

13d

14a

Ex 14,13–14 fürchtet euch nicht ‫אל תיראו‬

stellt euch hin ‫התיצבו‬ und seht ‫וראו‬ die Rettung JHWHs ‫את ישועת יהוה‬ JHWH wird für euch kämpfen ‫יהוה ילחם לכם‬

15d.17e

15e.17f

17b

17d

17d

17a–aI

2Chr 20,14–17 fürchtet euch nicht ‫אל תיראו‬ seid nicht niedergeschlagen ‫אל תחתו‬ stellt euch hin ‫התיצבו‬ und seht ‫וראו‬ die Rettung JHWHs ‫את ישועת יהוה‬ es ist nicht an euch, zu kämpfen ‫לא לכם להלחם‬

Für die narrative Struktur von Ex 14 und 2Chr 20 insgesamt lassen sich folgende Punkte der Übereinstimmung identifizieren: 468 Predigt „greift mit ihrer Weisung in eine ganz konkrete Lebenslage ein; … stößt von da auf die grundsätzlichen Glaubensfragen durch“ (Rad, Levitische Predigt, 114). Vgl.  Mason, Tradition, 141. 469 Vgl. Rösel, dann will ich hören, 356. 470 Es kann nicht unerwähnt bleiben, dass der Zusammenhang zwischen 2Chr 20 und Ex 14 wiederum im größeren Kontext der Frage steht, wie die Chronik überhaupt mit dem Exodusgeschehen umgeht. Die dazu bisher vorgestellten Forschungspositionen hat Georg Steins, ergänzt um seine eigene Darstellung, zusammengefasst (Steins, Abschlußphänomen, 477–480). Im Vorgriff auf die hier erfolgende Analyse und die Zusammenschau im Synthesekapitel (siehe Kapitel 3, Abschnitt 3.1) sei gesagt, dass die Erkenntnisse zur Erzählstruktur zu keinem dieser Ansätze richtig passen; am ehesten noch zu der schon von Japhet selbst verworfenen These, dass es sich bei der Behandlung des Exodus durch die Chronik um ein literarisches Phänomen handelt (vgl. Japhet, Conquest, 206; 218; ferner Japhet, Ideology, 386). 471 Mason, Tradition, 67 f; vgl. auch Japhet, 2 Chronik, 254; Klein, 2 Chronicles, 289.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

– Bedrohung durch eine feindliche Macht (Ex 14,4–9; 2Chr 20,1). – („Feind-“)Klage (Ex 14,10–12; 2Chr 20,6–12). – „Prophetische“ Antwort mit Handlungsanweisungen (Ex  14,13–14; 2Chr 20,15–17).472 – Sieg (Ex 14,21–29; Chr 20,22–23), während Israel nur zusieht (Ex 14,14.30–31; 2Chr 20,22.24–25).473 – Jubel über den Sieg (und Beute) (Ex 15,1–21; 2Chr 20,[25–]26–28). Unterschiede gibt es im Detail: Nach Ex 14,10–12 beklagen sich die Israeliten bei Mose und sprechen diesen als Verantwortlichen an. Joschafat wendet sich direkt an JHWH. Die Israeliten bringen im Gang der Exodus-Erzählung ihr Misstrauen gegenüber Gott und seinem „Knecht“ Mose zum Ausdruck, während Joschafat seine Zuversicht ausdrückt. Textweltlich sind die Gestaltung und der Adressat der Klagen verschieden. Ihre Funktion ist aber in beiden Fällen auf Ebene der TextLeser-Kommunikation dieselbe: Es wird deutlich, dass die handelnden Figuren glauben, ihr eigenes Geschick nicht mehr in der Hand zu haben. Entsprechend wenden sie sich an die Instanz, von der sie Änderung erwarten. Dass in Ex 14 textweltlich Mose der Ansprechpartner ist, hat mit seiner Funktion als Mittler zu tun – mittelbar richtet sich auch die Klage der Israeliten im Buch Exodus an Gott. Das zeigt sich in der entsprechenden Auslegung in Ex 16,8: „Nicht gegen uns, sondern gegen Gott murrt ihr“. Wie sich vor allem an der großen Übereinstimmung der „prophetischen“ Teile erkennen lässt, ist das entscheidende Merkmal der Gedanke, dass Israel seiner eigenen Rettung nur zusieht – ein Gedanke, der die chronistische Vorstellung von der Souveränität Gottes unterstützt. In einem kanonischen Lesegang ist Ex  14 nur die „Quelle“ des Gedankens, dass Gott für Israel kämpft. Unter dem Stichwort „JHWH-Krieg“ wurde 2Chr 20 forschungsgeschichtlich bereits breit verhandelt. Allerdings konzentrierten sich die meisten Ausleger auf die Frage der Historizität. Japhet weist aber in ihrem Kommentar bereits darauf hin, dass hier zwischen einer „Gattung“ und dem Motiv unterschieden werden muss.474 Für das Motiv sind die Verhältnisse klar: „Der Rekurs auf Num, Dtn, Jos und Ri soll die altisraelitischen Vorstellungen vom Jahwekrieg, […] in dem Jahwe selbst für sein Volk stritt, mit den aus chronistischer Sicht analogen Verhältnissen der Gegenwart verbinden. Die altisraelitischen Traditionen, vor allem die der Landnahme und der daraus resultierenden Spannungen mit den Nachbarn im Osten, werden vom Chronisten typologisch verstanden, […]“475

472 Vgl. Beentjes, Tradition, 265. 473 Vgl. Beentjes, Tradition, 265. 474 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 245. 475 Strübind, Tradition, 183 f.

Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon (2Chr 20,6–12) 

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Es ist die Mischung aus Merkmalen idealtypischer Gebete wie der Volksklage, verbreiteter Topoi wie dem Exodus und einem Predigtstil, die die literarische Eigenart dieses Textes ausmacht. Ähnlich wie im Fall von 1Chr 16 ändert sich die Funktion des Textes, je nach dem, auf welcher Ebene sie betrachtet wird. Darin entspricht das Gebet auch seinem Gegenstück in der „Doppelerzählung“ von Asa und Joschafat: 2Chr 14,10. Mit Blick auf das Vertrauen der Könige in JHWH als Kriegsherr sind die sonst weitgehend parallelen Berichte chiastisch aufgebaut: Asa beginnt als „guter“ König mit dem Sieg über Serach und endet trotz prophetischen Einspruchs unwürdig; Joschafat setzt trotz prophetischer Warnungen erst auf das Bündnis mit Ahab, bevor er allein auf JHWH vertraut.476 Joschafat erscheint also durchaus ambivalent.477 Die Geschichten von Asa und Joschafat bieten aufgrund ihrer Bezüge zu 2Chr 6 einen „Anwendungsfall“ für zwei der in Salomos Bittgebet zur Tempelweihe genannten Szenarien, die mit äußerer Bedrohung durch Feinde zu tun haben (2Chr 6,24–25;34–35).478 In allen drei Texten – 2Chr 6; 14; 20 – gibt es Merkmale, die auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichem Maß die Enzyklopädie des idealen Lesers aktivieren, wobei die Grundbotschaft gleich bleibt und wiederholt, was als narrative Struktur bereits im Exodus-Geschehen grundgelegt ist. In 2Chr 20 sind es vor allem die Motive und die Aufforderungen im geschichtlichen Rückblick, die diese Aktivierung leisten. Dazu kommt die Überbrückung der Zeitebenen. In der Erzähllogik folgt sogar die erste Handlung Gottes – die Geistbegabung Jahasiëls, der in seiner Prophezeiung dann auch das Ende der Erzählung mit dem Sieg Joschafats und Judas prophetisch vorwegnimmt – noch während des Gebets.479

10.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Wenn die Geschichten in 2Chr 14; 20 paradigmatisch sind und im Zusammenhang damit von unterschiedlichen Lesern in gleicher Weise verstanden werden können, weil einerseits konkrete Begebenheiten geschildert und geschichtliche Bezüge hergestellt, andererseits eine gezielte Verortung in der realen Geschichte vermieden wird, stellt sich einmal mehr die Frage, wem der Text seine Botschaft verkündet. Anders gesagt: Über welchen Kontext oder welche Enzyklopädie verfügen „ideale Leser“ von 2Chr 20?

476 Vgl. Kleinig, Song, 172; Dillard, Chronicles, 129 f. 477 Vgl. McKenzie, Trouble, 299. 478 Vgl. Endres, Theology, 177, der die zweite Möglichkeit – rechtmäßigen Krieg – für die wahrscheinlichere hält (S.  178); für 2Chr  20 als Anwendungsfall von 2Chr  6 vgl.  zusätzlich­ Japhet, Ideology, 68 f. 479 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 252: Die Beschreibung in Vers 14 lässt schließen, dass Jahasiël eine Art „ad-hoc“-Begabung erfährt.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Als erstes fällt auf, dass die Geschichte genau dieselbe Botschaft vom Sieg über die Feinde mit Gottes Hilfe beinhalten würde, wenn Joschafats Gebet (sowie die Abbreviaturen und Signale für unrecorded prayers im weiteren Verlauf, siehe unten) und mit ihm alle Bezüge in andere Teile der Chronik und der Hebräischen Bibel ausfielen. Es ginge aber der Bezug zu Israels Geschichte verloren; außerdem bliebe unklar, warum der mit seinem Namen JHWH angesprochene Gott Joschafat und seinem Volk zu Hilfe kommt. Das Gebet illustriert weniger das Geschehen, als vielmehr dessen Hintergrund. Je mehr Wissen um den Gesamtkontext, in dem die Chronik steht, ein „idealer Leser“ besitzt und je genauer er die Chronikbücher selbst kennt, desto klarer tritt hervor, wer JHWH eigentlich ist. Insofern bleibt der Text in der Frage des „idealen Lesers“ eher offen: Ohne Wissen um die Geschichte Israels liest ein Rezipient vom wunderbaren Sieg eines gottesfürchtigen Königs über eine Unzahl von Feinden. Die Botschaft lautet: Vertraue diesem Gott, und er wird auch dir helfen. Einem Schriftkundigen der Hebräischen Bibel bestätigt die Geschichte, was er aus anderen Geschichten zuvor schon gelernt hat: Vertraue auf JHWH, und er wird auch dich retten. Die Einbeziehung des Volkes in das vorbildliche Verhalten (Vers  13)480 unterstützt die Ausweitung des Adressatenkreises ebenso wie die Verwendung des literarischen „wir“. Hier wird explizit, was in 2Chr 6–7 bereits vorgezeichnet ist. Das Tempelweihgebet verwendet zwar noch die dritte Person für Israel,481 aber die Chronik-Version der göttlichen Antwort verdeutlicht die Bedeutung des Tempels als Ort für das Volk, sich zu Gott hinzuwenden (unter anderem wird in 2Chr 7,17–18 gegenüber 1Kön 9,5 die Zusage der „Ewigkeit“ für den „Thron Davids“ gestrichen).482 Anders als 1Chr 16 geht es in 2Chr 20 weniger darum, dem Leser einen „Mustertext“ mitzuliefern, in den er einstimmen kann. Durch das „Setting“ ist beispielswiese das „Wir“ des Gebets klar festgelegt. Andererseits spielt die Geschichte um Joschafat in ihrem weiteren Verlauf über die Abbreviatur ‫ הודו ליהוה כי לעולם חסדו‬Inhalt und Kontext von 1Chr 16 ein, ebenso wie 2Chr 6 und Ex 14. Dies macht den „paradigmatischen Charakter“ aus, den Beentjes konstatiert.483

10.3.3 Theologie Mit dem unter „gesellschaftliche Implikationen“ beschriebenen Muster ist im Grunde auch schon die theologische Leistung des Textes beschrieben. Den Vorgang, die Botschaft aus 1Chr 16 und 2Chr 6 zu konkretisieren und gleichzeitig für einen erweiterten Adressatenkreis anwendbar zu machen, könnte man auch 480 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 248; Welten, Geschichtsdarstellung, 171. 481 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 250. 482 Vgl. Murray, Dynasty, 82 f. 483 Vgl. Beentjes, Tradition, 259.

Secharja ben Jojadas Sterbebitte (2Chr 24,22)

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als Auslegung, als Exegese, bezeichnen484 – nichts anderes betreibt auch die moderne Theologie.485 Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon eignet aber noch der interessante Aspekt, dass es eines von nur zwei Gebeten der Chronikbücher ist, das klar und unmissverständlich formulierte Klage enthält. Das zweite Gebet ist Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19; vgl. 14a–15c). Dies ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen ändert sich gegenüber den übrigen ausformulierten Gebeten der Chronik deutlich der Ton. Jabez’ Bittgebet (1Chr  4,10) und Davids Schuldbekenntnisse vor der Tempelplanung (1Chr 21,8.17) kommen einer (Selbst-)Klage zwar nahe, ebenso wie die Fragen in Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ (1Chr 17,16de) jenen in 1Chr 29,14ab nahe kommen. Doch selbst in 1Chr 29 überwiegen Bitte und Lob deutlich.486 In 2Chr 20 ist dies nicht der Fall, die Klage „verschwindet“ nicht unter den übrigen Themen, sondern wird gezielt als Teil der textweltlichen Argumentation eingesetzt und damit gegenüber dem Leser legitimiert: Ein Gebet, dass wirksam sein soll, darf auch eine Klage sein. Sowohl in 1Chr 29 als auch in 2Chr 20 steht der „Klage“ als Adressat die Vorstellung eines Gottes gegenüber, der die nötige Macht besitzt, sie zu beantworten – sowohl in seiner Schöpfung (1Chr 29,12) wie über Menschen (2Chr 20,6).487

11. Secharja ben Jojadas Sterbebitte (2Chr 24,22) 11.1 Form 11.1.1 Abgrenzung Secharja ben Jojadas Sterbebitte umfasst nur drei Worte (2Chr  24,22de). Eine entsprechende Einleitung in 2Chr  24,22c kennzeichnet sie als Rede, das Ende des Ausspruchs ist durch einen Subjektwechsel in Vers 23 bestimmt. Das Gebet selbst gibt JHWH als Adressaten an. Die Kürze und der Sprecher – ein Priester, kein König – fallen im Vergleich zu den übrigen ausformulierten Gebeten sofort auf. Trotz der Kürze ist der Text keine Abbreviatur und erst recht keine Formel: Es gibt ihn so nur an dieser Stelle im masoretischen Text des Alten Testaments; formal wie inhaltlich vergleichbare Formulierungen gibt es nur entweder zum ersten oder zum zweiten Teil. 484 Vgl. Welten, Kriegsbericht, 396. 485 Die katechetisch-didaktischen und anamnetischen Funktionen von Lesung und Predigt im christlichen Gottesdienst funktionieren analog, vgl. Messner, Einführung, 191 f. Zum Schlagwort „Anamnese“ siehe auch die Synthesen in Kapitel 3 und Steins, Kanon und ­Anamnese. 486 Siehe die Ergebnisse der Sprechhandlungsanalyse von 1Chr  29,10–19 in Abschnitt Nr. 6.2.2. 487 Vgl. Japhet, Ideology, 56.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

11.1.2 Text und Übersetzung …19a  Er sandte unter sie Propheten, 19aI  um sie umkehren zu lassen zu JHWH, 19b  und sie warnten sie. 19c  Aber sie hörten nicht. 20a  Der Geist Gottes bekleidete488 Secharja, den Sohn Jojadas, den Priester. 20b Er stand vor dem Volk 20c und sagte zu ihnen: 20d  „So spricht der Gott: 20e  ‚Warum übertretet ihr die Gebote JHWHs? 20f  Und ihr werdet kein Glück mehr haben, 20g weil ihr JHWH verlassen habt; 20h er ver­ ließ euch.‘“489 21a Sie taten sich gegen ihn zusammen. 21b  Sie steinigten ihn mit Stein490 auf Gebot des Königs im Vorhof des Hauses JHWHs. 22a ‫ ולא זכר יואש המלך החסד‬Der König Joasch gedachte nicht der Gnade, 22aR ‫ אשר עשה יהוידע אביו עמו‬die sein Vater Jojada ihm getan hatte, 22b ‫ ויהרג את בנו‬und tötete dessen Sohn. 22cI ‫ וכמותו‬Und als dieser starb, 22c ‫ אמר‬sagte er: 22d ‫„ ירא יהוה‬JHWH soll sehen 22e ‫ וידרש‬und wird sich hinwenden.“ 23a  Und es geschah zur Wende des Jahres, 23b  ein Heer Arams stieg zu ihm herauf. 23c Sie kamen nach Juda und Jerusalem, 23d und sie tilgten491 alle Oberen des Volkes aus dem Volk. 23e Die ganze Beute sandten sie zum König von Damaskus. 24a Ja,492 das Heer Arams war nur mit wenigen Männern gekommen, 24b und JHWH gab in ihre Hand ein viel größeres Heer, 24c weil sie JHWH, den Gott ihrer Väter, ver­ lassen hatten. 24d So vollstreckten sie die Urteile an Joasch…

488 Vgl. Gamberoni, ‫‏לָ ֵבׁש‬‎, ThWAT IV, 479. 489 Die Einheitsübersetzung und viele weitere Übersetzungen gehen darüber hinweg, dass „er verließ“ eine Narrativform ist und sich daher nicht nahtlos an den ‫כי‬-Satz hängen lässt. Japhet, 2 Chronik, 294 übersetzt ähnlich wie hier: „…es wird euch nicht gelingen, denn ihr habt JHWH verlassen, so hat er euch verlassen.“ 490 Wörtlich steht im MT: „sie steinigten ihn Stein“, die BHS vermerkt keine Varianten. Vermutlich ist die Deutung von Klein, 2 Chronicles, 333, dass der Stein instrumental gemeint ist, richtig. Allerdings steht, anders als Klein übersetzt, ‫ אבן‬nur im Singular. Die Formulierung mit ‫ אבן‬im Singular und Auslassung der Partikel ‫ ב‬ist indes weder innerhalb noch außerhalb der Chronik singulär, vgl. Lev 24,23; Jos 7,25; 1Kön 12,18 ‖ 1Chr 10,18; Ez 23,47. 491 „Tilgen“ ist ein archaischer Ausdruck, lässt es aber zu, die hebräische Satzkonstruktion zu erhalten; vor allem die doppelte Angabe des Volkes, einmal als nomen rectum einer Status constructus-Verbindung, einmal mit der Präposition ‫מן‬. 492 Deiktisches ‫ כי‬wie in 2Chr 14,10e; vgl. Waltke/O’Connor (Hg.), IBHS, Abschnitt 39.3.4, Rn. e.

Secharja ben Jojadas Sterbebitte (2Chr 24,22)

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11.2 Inhaltsanalyse 11.2.1 Aussagegehalt Der erste Teil, „JHWH möge sehen“, gleicht 1Chr 12,18. „Der Gott eurer Väter möge sehen und strafen“, sagt David zu den Männern, die sich dem gerade neu gesalbten König anschließen. Er droht ihnen für den Fall, dass sie ihn hintergehen wollen. Die beschriebenen Situationen sind nicht vergleichbar, die Inhalte der Wünsche von David und Secharja sind dennoch verwandt: Beide Figuren legen eine eventuelle „Vergeltung“ (im Sinne einer Wiederherstellung der Gerechtigkeit – das ist „Retribution“) in die Hände Gottes. Ein ähnlicher Wunsch klingt auch in Ex 5,21 an.493 Dort sehen sich die „Offiziellen“ Israels (‫שוטר‬, vgl. Ex 5,19) von Mose und Aaron beim Pharao in Misskredit gebracht, weswegen sie diesen ebenfalls wünschen, „Gott möge sehen und richten“.494 Da ‫ ראה‬mit göttlichem Subjekt generell die Bedeutung eignet, „Gott kümmert sich um den Sachverhalt oder die Person, die er sieht“,495 bedeutet dieser Teil des Wunsches Secharjas genau das: Gott soll sich um die Mörder kümmern. Zu erwarten ist nun, dass der zweite Teil angibt, was Gott mit den Mördern tun soll. Viele Übersetzungen geben ‫ דרש‬im zweiten Teil mit „vergelten“ (Einheitsübersetzung; New Revised Standard Version [„avenge“]), „Rechenschaft fordern“ (Zürcher Bibel) oder in einem vergleichbaren Sinn wieder. Unter umgekehrten Vorzeichen, mit menschlichem Subjekt und Gott als Objekt, ist ‫ דרש‬mit seinem Pendant ‫ בקש‬ein Schlüsselbegriff der Theologie der Chronikbücher mit der Bedeutung „sich zu Gott hinwenden“.496 Analog dazu bedeutet ‫ דרש‬hier die Hinwendung Gottes zu einer Sache, wodurch sofort die Doppelung in der Aussage auffällt. Es gibt aber Verwendungen von ‫ דרש‬außerhalb der Chronik, die nahelegen, dass die mit ‫ דרש‬bezeichnete Aufmerksamkeit Gottes über ein bloßes „sich hinwenden“ hinausgeht. Isaac Kalimi bringt eine Verbindung zu Gen 9,5 ins Spiel. Dort kündigt Gott in seiner Rede an Noach an, auf Blutvergießen mit ‫דרש‬ zu antworten.497 Die Elberfelder Bibel schlägt dort „einfordern“ als Übersetzung vor, denn Objekt zu ‫ דרש‬ist in Genesis das Blut von Frevlern, gar ihre ‫נפש‬. Wenn diese Verbindung zum Tragen kommt, würde Secharja zur Rechenschaft eine Menge fordern: Gott soll die ‫ נפש‬der Mörder, also ihr Leben, verlangen.498 Mit diesem Motiv des Verlangens nach Blut, bezeichnet durch ‫דרש‬, spielt weiterhin 493 Vgl. Williamson, Chronicles, 324 f. 494 Vgl. Kalimi, Retelling of Chronicles, 38. 495 Vgl. Ex 2,25; Fuhs, ‫‏ר ָאה‬ ָ ‎, ThWAT VII, 255 ff. 496 Siehe dazu ausführlicher Abschnitt Nr. 15.2. 497 Vgl. Kalimi, Retelling of Chronicles, 38 f. 498 Vgl.  Westermann, Genesis, 615–616; 623–625. Westermann übersetzt auch entsprechend Gen  9,5 „…will ich das Leben des Menschen einfordern“ (S.  615). Die Frage, ob in

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der Doppelpsalm 9/10. In Ps 9,13 wird das „Suchen nach Blut“ zur Eigenschaft JHWHs als Gott der Armen und zu deren Bekenntnis. Entsprechend ist es Ps 10,4 zufolge die Haltung der Frevler, dass JHWH nicht „sucht“.499 Secharja schließt sich dann mit seiner Sterbebitte der Bitte in Ps 10,13 an, all jenen, die glauben, JHWH „sehe nicht nach ihnen“,500 entsprechend zu begegnen.

11.2.2 Sprechhandlungsgehalt Die Form ‫ יֵ ֶרא‬ist eindeutig ein Jussiv. Auch auf anderen Kommunikationsebenen ändert sich daran nichts: Secharjas Gebet ist eine Aufforderung an Gott. Die zweite Verbalform, ‫וְ יִ ְדרֹׁש‬, ist nicht ganz so eindeutig.501 Die Kommentare und Übersetzungen kommen allerdings in seltener Eintracht überein, auch für ‫וְ יִ ְדרֹׁש‬ einen Jussiv anzunehmen.502 Stattdessen könnte im Sinne der Gebetstheologie der Chronikbücher aber auch eine futurische Bedeutung sinnvoll sein: „Der Herr soll sehen, und er wird sich hinwenden“. Möglicherweise verstärkt die Verbindung mit Gen 9 diese Bedeutung. Kalimi sah die Verbindung bereits im Gebet selbst etabliert; im Verlauf der Geschichte wird sie aber noch deutlicher. Vers 25 berichtet, dass Joasch „wegen des Blutes der Söhne Jojadas“ stirbt. Damit wäre tatsächlich die Ankündigung Gottes aus Genesis erfüllt: Weil Jojada Blut vergossen hat, wird er selbst getötet. Entsprechend bringt Secharjas Gebet seine Zuversicht zum Ausdruck: Wenn Gott sieht, was vor sich geht, wird er auch entsprechend handeln. Der Verlauf der Erzählung bestätigt dem Leser dann, dass Secharja Recht hat.

11.3 Funktionsanalyse 11.3.1 Literarische Eigenart Das Gebet Secharjas fällt in zweierlei Hinsicht aus dem Rahmen der bisher behandelten Texte, mit Ausnahme des Gebets des Jabez. Es ist nur ein sehr kurzer Ausruf und er wird nicht von einem König gesprochen. Andererseits erhält Secharjas Vater Jojada ein auffallend „königliches“ Begräbnis (vgl. 2Chr 24,16).503 Ralph Klein bemerkt die Ironie, die in der Geschichte steckt: Der Priester Jojada Gen 9,5–6 Gott oder dem Menschen die Ausführung der Rechenschaft zukommt, ist exegetisch umstritten; vgl. Hamilton, Genesis, 315. 499 Vgl. Hossfeld/Zenger, Psalm 1–50, 87 f. 500 Vgl. Hossfeld/Zenger, Psalm 1–50, 88. 501 Vgl. Waltke/O’Connor (Hg.), IBHS, Abschnitt 34.2.1, Rn. a. 502 Vgl. unter den Kommentaren stellvertretend Japhet, 2 Chronik, 294; Klein, 2 Chronicles, 333; unter den Übersetzungen Elberfelder Bibel, Einheitsübersetzung und New Revised Standard Version. 503 Vgl. Jonker, Good and Bad Kings, 353; Japhet, 2 Chronik, 302.

Secharja ben Jojadas Sterbebitte (2Chr 24,22)

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wird wie ein König begraben, König Joasch erhält nur deutlich verminderte Ehren.504 Ironie als Stilmittel, im Kontrast zum harten Inhalt des Prophetenmordes, verleiht der Erzählung eine Art „Eulenspiegel-Charakter“: In überzogener und darum umso eindringlicherer Weise wird dem Leser vor Augen geführt, welche Folgen das bewusste Unterlassen der Hinwendung zu Gott haben kann. Auch inhaltlich gibt es eine Auffälligkeit: Der Mord an Secharja ben Jojada erscheint völlig unverhältnismäßig505 und fällt insofern aus dem „Retributionsschema“ der Chronikbücher heraus.506 Der Inhalt des Gebets und der anschließende Bericht über die „Erfüllung“ der Aufforderung Secharjas passen dagegen hervorragend in das bisher beobachtete Konzept.507 An dieser Stelle verbindet sich das Thema der „Hinwendung zu Gott“ mit dem der Prophetie. Sara Japhet weist in diesem Zusammenhang darauf hin, wie wichtig die Stelle zur Bestimmung der Funktionen von Prophetie in den Chronikbüchern ist: „Die Bedeutung von V 19 für das Propheten-Verständnis des Chronisten kann kaum hoch genug veranschlagt werden: Propheten haben zu ‚warnen‘ […], was in diesem Fall zweifach geschieht, das erste Mal allgemein (V 19), das zweite Mal spezifisch (V 20). Das ‚Zeugnis‘, das die Propheten unter der Bevölkerung ablegen (‫ )ויעידו בם‬ist eine ‚Verwarnung‘ im Sinne der späteren Halacha: Strafbar macht sich erst, wer eine Übertretung wissentlich begeht.“508

Diese Eigenheiten haben eine Funktion im Sinne der Leserlenkung: Die Hervorhebung der Figur Jojadas ist ein Signal an den Leser; und auch Secharja spricht seine prophetische Warnung gegenüber dem Leser aus, analog zur Funktion der Bemerkungen über das Volk, das an der Liturgie teilhat und Gebeten beiwohnt (2Chr 5,13; 7,3.6; 2Chr 20,13 und andere). In diesem Zusammenhang steht auch die Art des Todes Secharjas: Er wird zwar auf Befehl des Königs getötet, aber das ganze Volk wirkt daran mit.509

11.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Möglicherweise sind die Funktionen der Prophetie und der Gebetstexte in den Chronikbüchern komplementär: Die Gebetstexte zeigten bisher hauptsächlich die positiven Effekte einer Hinwendung zu Gott. Zumindest an dieser Stelle ist die Aufgabe der Prophetie die der eindringlichen Warnung, verbunden mit der drastischen Darstellung, was bei Nichtbeachtung dieser Warnung geschehen 504 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 350. Außer diesem Punkt zählt Klein noch sieben weitere ironische Elemente auf. 505 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 304. 506 Vgl. Kalimi, Retelling of Chronicles, 41. 507 Vgl. Kalimi, Retelling of Chronicles, 37. 508 Japhet, 2 Chronik, 303. 509 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 304.

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kann. Die Erzählung arbeitet ansonsten mit denselben Mitteln wie die ausformulierten Gebete: Die Figur Jojadas wird zum Typos des Gottestreuen stilisiert, beerbt von seinem Sohn Secharja; Joasch wandelt sich vom guten König zum abschreckenden Beispiel. Secharja kommt allerdings nicht nur die Rolle eines „Typos“ zu, sondern auch die aktivere Rolle des Propheten. Vers 20 besagt, dass Secharja geistbegabt ist und so auch als Prophet auftritt.510 Die Botschaft ist wiederum sehr klar: Wer Gott verlässt, muss damit rechnen, auch von Gott verlassen zu werden. Der zweite Teil des Gebets, der eine dedizierte „Hinwendung“ Gottes zu den Mördern fordert, steht dazu nur scheinbar in einem Widerspruch. In der religiösen Vorstellungswelt Israels hat JHWH zur Zeit der Chronik zwar womöglich bereits Macht auch über die Scheol erlangt – aber der Tod bedeutet dennoch eine Trennung von den Lebenden und eine aufs äußerste gestörte Beziehung zu Gott.511 Vielleicht begründet sich in der Benennung der negativen Konsequenzen des Handelns der Mörder und des Gebets selbst die Ausnahme, dass der Text einem Priester und Propheten zugeschrieben wird und nicht einem König. Andererseits steckt in Secharjas Forderung nicht nur die nach „Rache“, sondern auch die nach Gerechtigkeit. Die Verbindung mit Ps 9/10 spielt die Möglichkeit ein, Secharjas letzte Worte als Bekenntnis zu verstehen: Selbst im Angesicht des Todes glaubt er noch an die (Wieder)Herstellung der Gerechtigkeit durch JHWH. Der weitere Verlauf der Erzählung bestätigt ihn dann.

11.3.3 Theologie Die Geschichte vom Mord an Secharja ben Jojada hat eine breitere Nachwirkung entfaltet, denn es ist eine der wenigen Geschichten, die im Neuen Testament direkt aufgegriffen werden. Mt 23,35 ‖ Lk 11,50–51 erwähnen den Mord an Secharja (ordnen diesen allerdings anders zu).512 Isaac Kalimi hat diese Verbindung 2009 breit untersucht.513 Die Evangelien, insbesondere Lukas, deuten die Geschichte im Sinne der Verbindung mit Genesis 9 als Warnung davor, dass von dem, der Propheten tötet, das Blut „gefordert“ werden wird (vgl. Lk ἐκζητηθῇ/ ἐκζητηθήσεται). Die Forderung nach „Rache“, sprich dem Leben der Mörder, klingt durch den Hypotext Gen  9,5 also durchaus an. Allerdings liegt diese Deutung vollkommen auf intertextueller Ebene; innerhalb der Textwelt bleibt es zunächst bei dem 510 Vgl. Williamson, Chronicles, 324. 511 Vgl. Frevel, Tod, HGANT, 391. 512 Vgl. Dillard, Chronicles, 194. 513 Vgl. Kalimi, Retelling of Chronicles, 36–59. Damit ist nicht die Geschichte des Stephanus in Apg 7 gemeint, obwohl auch hier Vergleiche angestellt wurden; zumindest die Gebete Secharjas und des Stephanus (vgl. Apg 7,59–60) haben inhaltlich nichts miteinander zu tun, vgl. Wilcock, Message, 215.

Hiskijas Bittgebet zum Pessach (2Chr 30,18–19)

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unbestimmten Wunsch Secharjas, Gott möge sich zu der Angelegenheit „hinwenden“. Das Thema der Erzählung ist also nicht einfach nur „Rache“. Das Gebet zeigt sozusagen die negative Kehrseite von ‫דרש‬ – die Folgen von ‫לא דרש ביהוה‬ (1Chr 10,14a), und zwar von bewusster nicht-Umkehr zu Gott, von Missachtung prophetischer Warnung:514 „[…] he who seeks will not be sought, while he who does not seek will be sought. For the Lord’s enquiry has a different purpose from ours.“515 Das bedeutet, dass Secharja die „Vergeltung“ in die Hände Gottes legt und insofern auf die „Effektivität des Gebets“ vertraut.516 Zugleich klingt mit der Schilderung der negativen Folgen von Joaschs Abfall von Gott im Kontext des Gebets und mit diesem verwoben eine Saite an, die sonst in den Gebeten nicht so deutlich zu hören ist. Das gilt vor allem für die ausformulierten Gebete; bei den Gebetsgesten wird die Saite eine Stimme haben. Auch hier wird die theologische Stringenz der Chronikbücher durchgehalten: Die Entscheidung über den Verlauf der Dinge liegt bei Gott allein; aber auf seine Zusagen ist ebenso Verlass.

12. Hiskijas Bittgebet zum Pessach (2Chr 30,18–19) 12.1 Formale Gestalt 12.1.1 Abgrenzung Der Wortlaut des Gebets Hiskijas ist innerhalb der umgebenden Texteinheit 2Chr 30,14–20517 klar durch eine Redeeinleitung (2Chr 30,18cI) markiert. Ebenso deutlich ist mit der Verbform ‫ וישמע‬in 20a die wörtliche Rede beendet. Syntaktisch und thematisch greift die Verankerung des Textes weiter aus: Sara Japhet weist auf die Konstruktion mit vier ‫כי‬-Sätzen hin, in die die wörtliche Rede eingebunden ist. Der Gleichlaut kann wegen der unterschiedlichen syntaktischen Funktion des ‫ כי‬in der Übersetzung nicht wiedergegeben werden. Die Konstruktion lässt sich nur nachvollziehen, wenn, dem Vorschlag der BHS folgend, der ‫ סוף פסוק‬am Ende von Vers 18 ignoriert wird.518 Interessant ist auch, dass auf das Gebet unmittelbar eine Erhörungsnotiz folgt (Vers 20).

514 Vgl. Williamson, Chronicles, 323. 515 Wilcock, Message, 215; Hervorhebung von Wilcock. 516 Vgl. Wilcock, Message, 215 f. 517 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 429. Japhet, 2 Chronik, 384; 394, teilt zwar Vers 14 thematisch von 15–20 ab, sieht mit diesem Vers aber trotz der grammatischen Fortführung einen stärkeren Einschnitt gegenüber 1–13 gegeben. 518 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 396 f.

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12.1.2 Text und Übersetzung Um in der folgenden Untersuchung Silbengrenzen besser nachvollziehen und entstehende Muster erkennen zu können, ist der hebräische Text des eigentlichen Gebets mit masoretischer Punktation und Kantillation wiedergegeben. In der Übersetzung sind, wie bisher schon, die Rahmenteile kursiv gesetzt.519 520 521 522 ‫כי רבת בקהל‬ ‫אשר לא התקדשו‬ ‫והלוים על שחיטת הפסחים לכל לא טהור להקדיש ליהוה‬ ‫כי מרבית העם רבת מאפרים ומנשה יששכר וזבלון לא הטהרו‬ ‫כי אכלו את הפסח בלא ככתוב‬ ‫כי התפלל יחזקיהו עליהם לאמר‬ α β γ δ ε

17a 17b 17c.cI 18a 18b 18c.cI 18d 18d.19v.19vR 19vRI

19v 20a 20b

ùu ùu ùu ùu ùuu ù ùuu ùu ùu ùu ùu 519 uùu ùu ù

17a 17b 17c.cI 18a 18b 18c.cI

‫יְ הוָ ֥ה ַהּטֹוב יְ כַ ֵ ּ֥פר‬ ‫ְּב ַ ֽעד׃ ּכָ ל־לְ ָבבֹו ֵהכִ ין‬ ‫ֹלהים׀‬ ִ ‫לִ ְדרֹוׁש ָה ֱא‬ ‫בֹותיו‬ ָ ‫ֹלהי ֲא‬ ֵ ‫יְ הוָ ֖ה ֱא‬ ‫וְ ל ֹא ּכְ ָט ֳה ַרת ַה ֽ ֹּק ֶדׁש׃‬

18d

‫וישמע יהוה אל יחזקיהו‬ ‫וירפא את העם‬

20a

18d.19v.19vR 19vRI

19vR

20b

Denn es waren viele in der Gemeinde, die sich nicht geheiligt hatten. Und die Leviten waren gesetzt520 über das Schlachten des Pessach für alle, die nicht rein waren, zur Heiligung für JHWH. Denn ein großer Teil des Volkes, viele von Efraim und von Manasse, Issachar und Sebulon, hatten sich nicht gereinigt, also aßen sie das Pessach nicht wie es vorgeschrieben ist. Aber Hiskija betete für sie und sagte: „Der gute JHWH möge Versöhnung erwirken521 für jeden, der sein Herz gerichtet hat darauf, Gott zu suchen – JHWH, den Gott seiner Väter – obwohl er nicht rein für das Heiligtum ist.“522

α β γ δ ε

Und JHWH hörte auf Hiskija und er heilte das Volk.

519 Zur Wiedergabe der Silben siehe unten. Die griechischen Buchstaben für die Kola dienen der Übersicht. 520 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 381. 521 Zur Übersetzung der Wurzel ‫ כפר‬mit „Versöhnung erwirken“ vgl. Hieke, Levitikus, 131–136. 522 In Anlehnung an Klein, 2 Chronicles, 428.

Hiskijas Bittgebet zum Pessach (2Chr 30,18–19)

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12.1.3 Anmerkungen zu Text und Übersetzung Die Herausgeber der BHS, die Kommentare und Übersetzungen sind sich allesamt einig, dass zwischen den Versen 18 und 19 keine Satzgrenze vorliegt.523 Dies ist insofern von Bedeutung, als dass es ermöglicht, die Redeeinheiten 18d und den ersten Teil von 19v zusammenzuziehen, wie es die Textübersicht oben veranschaulicht. Uneinigkeit besteht dagegen in der Zuordnung des Tetragramms in 19vRI zum ersten (Kolon γ) oder zweiten Auftreten von ‫( אלהים‬δ). Während eine größere Zahl Übersetzungen, unter anderen die Elberfelder Bibel, die Jerusalemer Bibel und die Vulgata, dem hebräischen Text strenger folgen und die Zuordnung eher zum zweiten ‫ אלהים‬vornehmen (zu suchen Gott; JHWH, den Gott seiner Väter), folgen andere der Septuaginta (ἐκζητῆσαι κύριον τὸν θεὸν τῶν πατέρων αὐτῶν), die das erste ‫ אלהים‬ganz weglässt – beispielsweise die Einheitsübersetzung. Als dritte Variante bringen die Kommentare von Japhet und Klein die Zuordnung des Tetragramms zum ersten ‫ אלהים‬ins Spiel (Gott JHWH, den Gott seiner Väter, zu suchen524). Für die erste Variante spricht, dass namentlich in der Chronik der Ausdruck „JHWH, der Gott seiner Väter“ in 2Chr 28,25 mit demselben Suffix belegt ist und noch mehrfach mit anderen Suffixen, zudem außerhalb der Chronik in Exodus, Deuteronomium und deuteronomistischem Geschichtswerk sowie in Esra. Für den dritten Fall gäbe es keine weiteren Belege; nahe kommen vor allem die Formulierung „Gott der Götter JHWH“ in Jos 22,22 und Ps 50,1, wobei der Kontext der Chronik die pluralische Deutung von ‫ אלהים‬in 2Chr 30,19 sicher ausschließt.525

12.1.4 Struktur Entfällt der ‫ סוף פסוק‬am Ende von Vers 18, handelt es sich bei Hiskijas Bittgebet zum Pessach um einen einzigen Satz mit der Prädikation „JHWH möge Versöhnung erwirken“. Der Satz besteht aus fünf Sinneinheiten, wie die Strukturübersicht oben es darstellt; diese Sinneinheiten, die – mit der genannten Ausnahme – der Akzentuierung des Hebräischen entsprechen, weichen von den Redeeinheiten leicht ab: Die Redeeinheit 19vR gliedert sich in zwei Sinneinheiten (in der Übersicht mit β und ε bezeichnet). Die erste Sinneinheit, β, umfasst noch das letzte Wort

523 Vgl. stellvertretend Japhet, 2 Chronik, 382; 396–397; Klein, 2 Chronicles, 428. 524 Japhet, 2 Chronik, 381; vgl. Klein, 2 Chronicles, 428; 438. Für die andere Auslegung zeugt unter den Kommentaren exemplarisch Myers, Chronicles, 174. 525 Dtn 6,4; 1Kön 18,39; Ps 68,27 sind anders gelagert. ‫ אלהים‬und Tetragramm sind dort syntaktisch je eindeutig eingebunden.

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aus dem vorangehenden Vers 18, ‫בעד‬.526 Der zweite Teil von 19vR (ε) bildet den Schluss der wörtlichen Rede und ist durch ‫ ו‬vom vorauslaufenden Infinitiv 19vRI (γδ) abgegrenzt. Weil ‫ ולא כטהרת הקדש‬grammatisch ebenso von ‫ בעד‬abhängt wie ‫לבבו הכין‬, bildet ε keine eigene Redeeinheit, sondern mit β eine Klammer um γδ. Der Infinitiv 19vRI, ‫לדרוש‬, hat noch ein Objekt bei sich (‫ ;האלהים‬γ), und dieses Objekt ist noch einmal näher bestimmt (‫יהוה אלהי אבותיו‬, δ). Es ist möglich, zwischen dem Objekt und seiner Bestimmung eine kleine Zäsur zu setzen, weswegen γδ als zwei Sinneinheiten gezählt sind. In Summe ergeben sich fünf Sinneinheiten oder Kola. Die Anordnung nach diesen fünf Kola lässt ein rhythmisches Muster aufscheinen: Die Kola αβδε bestehen aus je drei Wort- beziehungsweise Betonungseinheiten, das mittlere Kolon, γ, dagegen nur aus zwei.527 Es ergibt sich das Muster 3 + 3 | 2 | 3 + 3. In der Strukturübersicht ist die Wortzählung veranschaulicht. Jenseits der Frage, ob hier ein fester „Rhythmus“ vorliegt, stellt diese Struktur die Worte ‫ לדרוש האלהים‬in den Mittelpunkt, „um Gott zu suchen“. Das letzte ausformulierte Gebet der Chronik rückt damit ein zentrales Element ihrer Theologie ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die Suche nach Gott.

12.2 Aussagegehalt Obwohl Hiskijas Bittgebet zum Pessach nur einen Satz umfasst, ist es reich an Bezügen. Sie lassen sich zu drei Gruppen zusammenführen: Die erste Gruppe ist bestimmt durch die attributive Bezeichnung JHWHs als „gut“ (18d; Kolon α). Diese Prädikation ist in der Hebräischen Bibel vergleichsweise selten und ihr Vorkommen eindeutig auf die Psalmen konzentriert. Die weitaus häufigste Formulierung ist Bestandteil einer der Abbreviaturen: Im zweiten Teil des Satzes ‫ הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו‬528 begründet ‫ כי טוב‬das Gotteslob. Dazu treten drei Belege, an denen JHWH als „gut zu…“ beschrieben 526 Richter bezeichnet in der BHt zusätzlich ‫ כל‬als selbstständige Redeeinheit, um den folgenden asyndetischen Relativsatz anschließen zu können; vgl. Richter (Hg.), BHT Chr, 435. Es wäre aber das einzige Wort im Satz, ließe man es als „Einheit“ alleine stehen. Es gehört zur Sinneinheit mit 18d und dem ersten Teil von 19vR. 527 Zur Möglichkeit der Zählung von Worteinheiten vgl. Seybold, Biblische Poesie, TRE 26, 745. Zur Anwendung kommt hier die von ihm als „praktikabel“ empfohlene Methode der Akzentzählung: Jede Worteinheit enthält genau eine akzenttragende Silbe. In der Übersicht sind die hebräischen Silben mit Vollvokal durch u bezeichnet, die akzenttragende Silbe durch ù. Silben mit Reduktionsvokal oder Šewa sind der Übersichtlichkeit wegen weggelassen. Ohne Leerraum nebeneinander gesetzte Silbenzeichen bezeichnen die Worteinheiten; um zur Zahl der Worteinheiten zu gelangen, müssen also lediglich die akzenttragenden Silben je Kolon gezählt werden. Vorschlagsilben bleiben unberücksichtigt. 528 1Chr 16,34; 2Chr 5,13; 7,3; Esr 3,11; Ps 54,8; Ps 100,5; 106,1; 107,1; 118,1.29; 135,3; 136,1; durch Nachstellung des Tetragramms variiert in Ps 34,9; Jer 33,11.

Hiskijas Bittgebet zum Pessach (2Chr 30,18–19)

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wird (‫)טוב יהוה ל‬.529 Die unabhängige und nicht weiter erläuterte Bezeichnung JHWHs als „gut“ wie hier in 2Chr 30,18 ist sonst nicht belegt.530 Es fällt auf, dass sämtliche Belege im Zusammenhang mit Gotteslob stehen. Das gilt auch für die Klagelieder, wenn in Klgl 3,25 JHWH gut zu denen ist, die ihn „suchen“ (‫ דרש‬Qal); es ist ein Abschnitt, der gerade nicht klagt.531 Dies steht im Zusammenhang mit der Einsicht, dass der Satz eine „zentrale Bekenntnisaussage des AT“532 darstellt. Die Prädikation Gottes als „gut“ fasst das (konkrete) Heilshandeln Gottes zusammen und verallgemeinert das Lob.533 Wenn Hiskijas Gebet sich ausdrücklich an den „guten JHWH“ wendet, weckt es beim Leser Erinnerungen an oder Eindrücke von hymnischem Gotteslob. Durch diese intertextuellen Bezüge bringt die Anrede „guter JHWH“ oder „JHWH der Güte“ ein Bekenntnis zu diesem „guten Gott“ und zugleich eine Hoffnung auf diese Güte und ihre Umsetzung zum Ausdruck. Die zweite Verweisgruppe konstituiert sich aus dem Bild „das Herz in/auf JHWH richten“ (19v.vR; β). Wiederum gibt es bei den Belegen außerhalb der Chronikbücher eine eindeutige Konzentration auf die Psalmen. Die Stellen, die gleich wie 2Chr 30,19 davon sprechen, das Herz auf das „Suchen“ (‫ דרש‬Qal) nach JHWH zu „richten“ (‫ כון‬Hifil), sind aber beide enger verwandt: 2Chr 19,3 („Es sind aber gute Dinge bei dir gefunden worden, denn du hast die Kultpfähle aus dem Land beseitigt und dein Herz darauf gerichtet, JHWH zu suchen“) und Esr 7,10 („Denn Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, die Weisung des Herrn zu suchen und zu tun und in Israel zu lehren Satzung und Rechtsentscheid“). In beiden Fällen geht es um die positive Bewertung der Person, die Subjekt zu ‫ כון‬ist (in der Chronik ist es Joschafat). Letzteres gilt auch in 2Chr 12,14 („Er tat übel, denn er richtete sein Herz nicht darauf, JHWH zu suchen“, gemeint ist Rehabeam); 20,33 („Nur die Kulthöhen verschwanden nicht, und das Volk hatte sein Herz noch nicht auf den Gott seiner Väter gerichtet“, es ist Joschafats Volk). Dort wird ‫ כון‬jeweils mit ‫ לא‬verneint. Entsprechend ist die Wertung des Subjekts an diesen Stellen negativ.534 Im Zusammenhang mit der Chronik sind Ps 57,8; 108,2 noch besonders hervorzuheben, die das „Gefestigt sein“ mit Gotteslob in 529 Ps 145,9; Klgl 3,25; Nah 1,7. 530 Vgl. Myers, Chronicles, 176; Beentjes, Psalms and Prayers, 36; Mathys, Dichter, 209, Fußnote 27. 531 Vgl. Meyer, Klagelieder, 582. 532 Höver-Johag, ‫‏תוב‬‎, ThWAT III, 336. 533 Vgl. Höver-Johag, ‫‏תוב‬‎, ThWAT III, 336; Willi, Evokation, 358. 534 Verwandt sind auch die Belegstellen, an denen das Subjekt zu ‫ כון‬das Herz direkt auf JHWH gründet (1Sam 7,3; 1Chr 29,18; Ps 112,7), und auch dazu existieren Belege für eine Verneinung: Ps 78,8.37. Die positive oder negative Konnotation des beschriebenen Verhaltens ist auch hier jeweils aus dem Kontext ersichtlich. In Ijob 11,13 steht ‫ כון‬ohne Ortsbestimmung; Gott ist mit dem Rückbezug der Präposition ‫( אל‬zu ‫ פרש‬im selben Vers) auf Ijob 11,5–7 durch das Suffix der 3. Person Singular Maskulinum zu implizieren. Ein einziges Mal ist JHWH das Subjekt zur Gründung des Herzens: Ps 10,17. Vgl. Japhet, Ideology, 251.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

Verbindung bringen (vgl. Ps 57,8–11). Im Kontext der Chronikbücher und in unmittelbarer Nähe zur „Suche“ nach Gott (19vRI; γ) schwingt durch die Wortwahl in Hiskijas Gebet die Wertung des Verhaltens mit: Hiskija bittet für jene, die sich im Sinne der Theologie der Chronik verhalten. Zusätzlich verbindet der Satz die „Suche“ durch die bereits angesprochene Rede vom „guten JHWH“ noch mit einem positiven Kontext. Alle Redeweisen sind eng verbunden mit den Psalmen und dort mit meist eindeutig positiven bis fröhlichen Aussagen. Ungleich komplexer aufzulösen sind die Bezüge der dritten Gruppe: Die Versammelten essen „das Pessach, nicht wie es vorgeschrieben ist; und [dennoch] möge JHWH Versöhnung erwirken für jene, die nicht rein für das Heiligtum sind“. Der scheinbar offensichtliche Hinweis auf das „Geschriebene“ (‫כתוב‬, 18a)  ist eigentlich in größtmöglicher Weise offen, weil es ein formaler Verweis ist, kein inhaltlicher.535 Die unmittelbar zuvor erwähnte Mose-Tora (‫ תורת משה‬, 17), präzisiert den Verweis zwar in Richtung des Pentateuch, innerhalb desselben aber auch nicht weiter.536 Es wird auch keine der sonst üblichen Schriftkonformitätsformeln verwendet,537 die einen Vergleich ermöglichen würde. Was gemeint ist, deuten die Stichworte „Pessach“ (‫פסח‬, aus dem Kontext, Vers 18b); „Versöhnung erwirken“ (‫ כפר‬Piel; 18d; Kolon α) und „Reinheit des Heiligtums“ (‫טהרת הקדש‬, 19v, Kolon ε) an. Die Regeln zum Pessach sind „geschrieben“ in Ex 12; Lev 23; Num 9; 28; Dtn 16; 2Kön 23; Ez 45 sowie in den „Kalendern“ Ex 23; 34.538 Dass die Feier in der Chronik im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer „Reinheit des Heiligtums“ gesehen wird, lässt den Schluss zu, dass der Text beim Leser die Kenntnis des Pessach als Fest mit Opfer voraussetzt, ähnlich wie 2Chr 35,1–19.539 Die Verbindung ‫ טהרת הקדש‬selbst ist ein hapax legomenon,540 wobei Japhet mit 535 Vgl. Willi, Leviten, Priester und Kult, 86 f. 536 Vgl. Williamson, Chronicles, 369 f; Klein, 2 Chronicles, 437. Simon de Vries zählt die Stelle in seiner Untersuchung der „Autorisationsformeln“ aber durchaus als „authorization formula“ vor dem Hintergrund der Autorität des Mose, während das Gegenstück – beruhend auf königlicher Autorität – die „regulation formula“ wäre, vgl. De Vries, Moses and David, 620 ff. 537 Vgl. Dyma, Wallfahrt, 163. 538 Vgl. Rösel, Pesach, TRE 26, 231 f. Hee-Sook Bae deutet die Verse Dtn 16,5–8 als Hinweis auf eine zentralisierte Pessach-Feier, was diese Bestimmungen zu den der Chronik sachlich am nächsten stehenden machen würde, vgl. Bae, Vereinte Suche, 21. 539 Vgl. Otto, Feste, TRE 11, 99; Klein, 2 Chronicles, 522. – Die Diskussion um die Frage, ob, wann und wie das Pessach zu der hier wohl vorliegenden Gestalt gekommen ist, wurde und wird äußerst lebhaft geführt, da die Antwort auf diese Frage auch Rückwirkung auf die Bestimmung der Genese der einschlägigen Vorschriften im Pentateuch hat. Die gesamte Diskussion kann hier nicht wiedergegeben werden; auch bietet die gewählte Methode der „biblischen Analyse“ keine Möglichkeit, eine zeitliche Genese zu rekonstruieren. Zur Orientierung über die Diskussion vgl. Weyde, Passa; Rösel, Pesach, TRE 26; Otto, Feste, TRE 11; ferner Japhet, 2 Chronik, 395 ff; und für alles Weitere die Bibliographie zum Thema bei Hieke, Levitikus, 873 f. 540 Vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 37. Gemeint ist die Verbindung einer substantivierten Verwendung der Wurzel ‫ קדש‬mit der substantivierten Form ‫טהרה‬. Letztere ist selbst

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ihrer Einschätzung, dass sie „dem Sinn nach verständlich“541 ist, Recht hat. ‫ טהרה‬als Ableitung von ‫טהר‬, des allgemeinen Ausdrucks für kultische Reinheit und Gegenbegriff zu ‫ טמא‬ist unmittelbar verständlich. Die Verbindung mit der Wurzel ‫ קדש‬dürfte lediglich weiter verdeutlichen, dass es um kultische Reinheit geht.542 Dazu passt der Begriff ‫ כפר‬Piel, der hier mit „Versöhnung erwirken“ übersetzt ist und der nicht nur in kultischem Kontext steht (vgl. Lev 16), sondern der angelehnt an Lev 23,28 eines der kultischen Feste mit bezeichnet. Es geht also einerseits um Pessach, andererseits um Reinheitsvorschriften für kultische Opferhandlungen. Das verwundert erst auf den zweiten Blick.543 Tatsächlich steht das Gebet ja im Kontext eines Berichtes über Opferfeierlichkeiten (vgl. 2Chr 30,15.22). Das Pessach-Tier wird aber nur nach deuteronomischer Darstellung wie ein Opfertier behandelt,544 und es geht in der Chronik nicht darum, wer es schlachtet, sondern (nur) darum, wer es isst. Die Kommentare gehen davon aus, dass hier de facto ein Anwendungsfall von Num 9,1–14 vorliegt, auch wenn die dort beschriebene Situation auf den Sachverhalt in der Chronik nicht passt.545 Entscheidend ist ohnehin der Faktor, der Jacob Myers erneut von der „efficacy of prayer“546 reden lässt: Hiskija bittet um etwas eigentlich Unerhörtes, nämlich darum, die Ritualvorschriften zu Gunsten der Teilnahme möglichst Vieler an den Feiern hintanzustellen.547 Für die Neuerungen, die in diesem Zusammenhang zu Tage treten, steht auch die Verwendung des Plurals ‫ פסחים‬in 2Chr 30,17, die nur das zweite Chronikbuch kennt (die übrigen drei Belege stehen in 2Chr 35,7–9).

der seltenere Fall der Substantivierung der Wurzel ‫( טהר‬gegenüber der Form ‫)טהור‬. Vgl. dazu Ringgren, ‫‏ט ַהר‬ ָ ‎, ThWAT III. Formen der Wurzeln ‫ טהר‬und ‫ קדש‬stehen auch andernorts zusammen und in Beziehung zueinander, beispielsweise Ex 30,35; Lev 10,10. 541 Japhet, 2 Chronik, 398. 542 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 438. 543 Tatsächlich werden in der Hiskija-Erzählung wohl mehrere Vorstellungen harmonisiert. Es bleiben eine Reihe von Merkwürdigkeiten, vgl. Dyma, Wallfahrt, 166–169. Da diese aber „synchron schwierig zu lösen sind“ (Dyma, Wallfahrt, 166) müssen sie andernorts bearbeitet werden, wenn diachrone Methoden zum Einsatz kommen. 544 Vgl. Weyde, Passa, Abschnitt 4.1; die Frage, ob es nach diesem Verständnis tatsächlich ein Opfertier ist, wie Weyde es auffasst, kann hier nicht abschließend entschieden werden. 545 Klein, 2 Chronicles, 430–433 und Japhet, 2 Chronik, 387 formulieren etwas vorsichtiger; Dyma, Wallfahrt, 163 stellt demgegenüber dar, warum die Regelungen aus Num 9 in 2Chr auf keinen Fall passen. 546 Myers, Chronicles, 178. 547 Vgl. McKenzie, Chronicles, 345; Thompson, Chronicles, 355.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

12.3 Funktionsanalyse 12.3.1 Literarische Eigenart Wenn Jabez’ Bittgebet die „Überschrift“ über die Gebetstexte in den Chronikbüchern wäre, dann könnte Hiskijas Bittgebet zum Pessach ein Schlusswort sein. Es ist tatsächlich der letzte Text in der Reihe der ausformulierten Gebete der Chronikbücher.548 Viel deutlicher kann ein biblischer Text kaum werden: Wer Gott sucht (‫)דרש‬, für den wird Gott Versöhnung erwirken (‫)כפר‬ – und so, wie es im Hiskija-Abschnitt der Chronik steht, versöhnt er sogar unabhängig von der Befolgung all der Vorschriften, die gerade mit Blick auf die Versöhnung in der Tora gemacht werden (vgl. Lev zum Jom Kippur). Dabei wird das „Gutsein“ JHWHs zum Argument: Er ist gut (wie wir schon singen), also wird er auch Versöhnung anbieten. Die Enzyklopädie des Lesers, was Feierlichkeiten angeht, wird aktiviert, und mit der Bitte verbunden: Wer mit rechtem Herzen feiert, kann sich der Gnade Gottes gewiss sein, auch wenn er nicht alle Vorschriften einhielt oder einhalten konnte. Nach dem Vorschlag von Bernhard Lang könnte dieser Zusammenhang auch mit der zu 2Chr 30,18–19 gehörenden „Erfolgsnotiz“ in Vers 20 gemeint sein: Gott „heilt“ das Volk nicht von Krankheit, sondern die Versöhnung ist die „Heilung“ aller – auch kultischer – Missstände und Vergehen.549 Die Aktivierung der Enzyklopädie funktioniert über die Verbindung von 2Chr 30(,19) mit 2Chr 6–7.550 Gedankliche und sprachliche Übereinstimmungen verbinden den Kontext von Hiskijas Gebet speziell auch mit 2Chr 7,14, dem zentralen Satz in Gottes Antwort auf Salomos Tempelweihgebet. „The description is thus a demonstration of the efficacy of repentance focused on the temple, as Yahweh had promised Solomon.“551

12.3.2 Gesellschaftliche Implikationen Vor dem Hintergrund der Liste der Festgäste in 2Chr 30,5 wird diskutiert, ob der ganze Bericht über das Pessach Hiskijas nicht unter anderem dazu dient, dem Leser zu verdeutlichen, dass das Nordreich Israel zu „ganz Israel“ unbedingt dazugehört.552 Jenseits aller Probleme der Datierung der Regentschaft Hiskijas553 548 Von den nicht ausformulierten Varianten wird gleich noch die Rede sein; hier finden sich noch Belege in textlich „hinter“ Hiskija liegenden Kapiteln. 549 Vgl. Lang, ‫‏ּכִ ֶּפר‬‎, ThWAT IV, 316. 550 Graham, Setting the Heart, 132 f, fasst die Gemeinsamkeiten der Erzählung in 2Chr 30 mit dem Tempelweihgebet zusammen. 551 Kelly, Retribution and Eschatology, 103. 552 Vgl. Bae, Vereinte Suche, hier (mit Myers, Chronicles, 178): 21; 113. 553 Diese sind ebenfalls Gegegenstand zuweilen lebhafter Diskussion, vgl. Klein, 2 Chronicles, 429 f.

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entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Versuche, die Nordreichs-Israeliten in den Gottesdienst einzubeziehen, ausgerechnet Hiskija zugerechnet werden. Er war nach dem Bericht von 2Kön 18,9–12 König des Südreichs zur Zeit des Untergangs des Nordens.554 Mordechai Cogan hat einen Versuch unternommen, aus diesen Umständen Rückschlüsse auf die Leserschaft zu ziehen.555 Seine Argumentation ist ein Beitrag in der Diskussion, inwiefern die Chronik gegen einen Kult in Samaria argumentiert.556 Verkündet die Chronik hier Fremden (‫ )גרים‬das Heil? „Fremdenfreundlichkeit“ ist auch in 2Chr 6 erkennbar (vgl. 6,32–33). Dazu tritt die Angelegenheit mit der Verschiebung des Pessach, die in Num 9 thematisiert wird – und dort wird nachfolgend die Teilnahme des Fremden am Pessach erlaubt (Num 9,14). Num 9 bedeutet dabei eine Erleichterung für Fremde, die mitfeiern wollen, gegenüber Ex 12,48 – dort wird ausdrücklich die Beschneidung verlangt. Wenn 2Chr diese Möglichkeit der Teilnahme Fremder einspielt, deckt sich das mit der Tendenz, strengere Vorschriften zu Gunsten einer größeren Zahl von JHWH-Verehrern zu übergehen. Dazu kommt, dass aus dem Kontext des Gebets nicht klar hervorgeht, wer zu Hiskijas Pessach eigentlich gekommen ist.557 Im Ergebnis lässt sich vermuten, dass die „Zielgruppe“ größer wird, je genauer die „Enzyklopädien“ möglicher Leser zu Tage treten. Wenn 2Chr 30 Wert auf Gemeinsamkeiten von Nord- und Südreichsisraeliten legt, dazu das Gotteslob bemüht und eine „Festatmosphäre“ spürbar wird, könnten sich nachexilisch alle jene in dem Bericht wiederfinden, die JHWH-Verehrung betreiben; gleich, ob sie ihren Bezug eher zum vorexilischen Nord- oder Südreich sehen. Ein Detail unterstreicht die Mühen des Textes, Einigkeit zu stiften. Das Bild des „einigen Herzens“, das den Kontext des Gebets (2Chr  30,12) mit Davids Dankgebet zu Salomos Krönung verbindet (1Chr 29,29), trägt zur Ausweitung des Adressatenkreises ebenfalls bei. Wenn, wie Sara Japhet zeigt, 1Chr 29 mit der Bitte um ein „ungeteiltes Herz“ für Salomo um die Notwendigkeit göttlicher Unterstützung der menschlichen Suche nach Gott weiß,558 klingt in Hiskijas Bitte auch eine Bitte für den König selbst nach: „Alle sollen JHWH suchen; alle brauchen Hilfe dabei – sogar David und Salomo.“

554 Umgekehrt wird auch argumentiert, dass der Untergang des Nordreichs den Ausdruck inklusivistischer Haltungen überhaupt erst möglich gemacht hat, vgl. Japhet, 2 Chronik, 386. 555 Vgl. Cogan, We Worship Your God, 291. 556 Vgl. Cogan, We Worship Your God, 286. 557 Vgl. Graham, Setting the Heart, 137. 558 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 393.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

12.3.3 Theologie Das gesamte Kapitel folgt den Vorgaben, die 2Chr 6–7 für „effektive Gebete“ macht: 2Chr 7,14 nennt Selbst-Demütigung (‫ כנע‬Nifal), Beten (‫ פלל‬Hitpael), Gott suchen (‫ בקש‬Piel) und Umkehr (‫ שוב‬Qal) als Voraussetzungen dafür, dass ein Gebet effektiv sein kann. Hiskijas Pessach erfüllt sie alle: Selbst-Demütigung (Vers 11), Gebet und Suche nach Gott (18–19) und Umkehr (6–9):559 2Chr 7,14 14a 14b

2Chr 30

und wenn mein Volk sich demütigt

11a

… Männer … demütigten sich

und sie beten

18a

Hiskija betete für sie

14c

und sie suchen mein Angesicht

19vRI

… Gott zu suchen, – JHWH, den Gott seiner Väter –

14d

und sie kehren um von ihren bösen Wegen

6b.bV

Söhne Israel, kehrt um

9aI2

wenn ihr umkehrt zu JHWH

9d

wenn ihr zu ihm umkehrt

Dem Gebet selbst kommt dabei die Aufgabe zu, in all der Freude und den Opfern (die nicht ganz den Vorschriften entsprechen) auf das wichtigste Merkmal hinzuweisen: die Suche nach JHWH. Sie steht im Zentrum, bildlich wie inhaltlich in der Mitte des Gebets. Sie wird auch zum Kriterium für gottgefälliges Verhalten. Es geht um die innere Einstellung mehr als um rituelle Vorgaben.560 Die Frage, wie in der geschilderten Situation am besten dem Sinn des Gottesdienstes, der Vorschriften, sogar der Mose-Tora entsprochen werden kann, wird zu einer der Fragen des Textes. Die Antwort steckt im Gebet und in Gottes unmittelbarer Antwort darauf: Alle, die Gott wirklich suchen, „heilt“ (‫ רפא‬Qal) JHWH – wie es in 2Chr 7,14 versprochen ist.561 In diesen Zusammenhang gehört auch die Deutung, die 2Chr 30,22 dem ganzen Bericht gibt. Darin heißt es im zweiten Versteil: „Sie vollendeten das Fest sieben Tage, während sie Heilsopfer opferten und JHWH, den Gott ihrer Väter, bekannten.“ Die von der BHS vorgeschlagene Konjektur, mit der Septuaginta statt ‫ויאכלו‬, „und sie aßen“, zu lesen: ‫„ ויכלו‬und sie vollendeten“ (LXX συνετέλεσαν), erscheint plausibel; es würde den Charakter des Satzes als Wertung verstärken. Wichtiger ist aber das Auftreten der Wurzel ‫ידה‬, hier im seltenen Hitpael. Auch wenn sonst keine Konstruktion des Hitpael mit ‫ ל‬belegt ist, kann über die Verwendung ganz ohne Objekt in Dan 9,4 auf die dort anzunehmende Bedeutung 559 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 442; Williamson, Chronicles, 370. 560 Vgl. Williamson, Chronicles, 370. 561 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 398; Klein, 2 Chronicles, 442.

Abbreviaturen

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„bekennen“ (vgl. unter anderen Lev 5,5; 16,21; 26,40) geschlossen werden. Damit ist eine weitere Brücke zu 2Chr 6–7 geschlagen: In 2Chr 6,24d changierte die Bedeutung des Hifil von ‫ ידה‬ebenfalls zwischen „lobpreisen“ und „bekennen“. Wenn hier als dritte Option das Bekennen von Schuld, wie es im Zusammenhang mit dem Jom Kippur erfolgt (Lev 16,21), eingespielt wird, unterstreicht dies die Linie des Textes in 2Chr 30, auf die geistige Haltung abzustellen, mit der das Pessach gefeiert wird.

13. Abbreviaturen 13.1 Terminologie Bei „Abbreviaturen“ handelt es sich um verkürzte Wiederholungen, bei denen ein Text davon ausgeht, dass ein idealer Leser ihre Quelle kennt. Dem Leser wird also direkt eine Ergänzung von Informationen abverlangt. Diese nach der Pragmatik der Hypertexte bestimmte Definition geht zurück auf Thomas Hieke.562 Gerade im Kontext einer intertextuellen Untersuchung hätte es durchaus seinen Reiz, einfach von „Zitaten“ zu sprechen. Diesem Begriff eignet im Deutschen allerdings die Konnotation einer zeitlichen Abfolge in der Entstehung von Hypotext (älter) und Hypertext (neuer), die bei einer intertextuellen Fragestellung bewusst vermieden wird. In der Forschungsgeschichte wurde die Abbreviatur ‫ הודו ליהוה כי לעולם חסדו‬entsprechend als „Psalmzitat“ bezeichnet, was voraussetzt, dass die betroffenen Psalmen älter sind als die Chronik.563 Eine andere Variante der Bezeichnung betont die Tatsache der Wiederholung und spricht vom „psalm text as a refrain within the narrative“564. Beide Bezeichnungen, „Zitat“ und „Refrain“, erfassen die Funktion der Wendungen nicht vollständig. Die Mehrleistung einer Abbreviatur gegenüber Zitat oder Refrain entfaltet sich nur, wenn der Modell-Leser die intertextuelle Verbindung zwischen Quelltext (Hypotext) und Kontext des Hypertexts auch auflöst. Er liest dann begründet und gelenkt mehr im Text, als faktisch geschrieben steht. Außer dem Psalm-Zitat „lobpreist JHWH…“ ist in der Chronik noch ein weiterer Satz als Abbreviatur auf diese Weise wirksam: Der Nominalsatz ‫צדיק יהוה‬, „JHWH ist gerecht“ in 2Chr 12,6.

562 Hieke, Horizonte, 69; 71; vgl. auch Nicklas, Leitfragen, 54 ff. Jenseits des formal wesentlich weiter gefassten Begriffs der Abbreviatur (S. 61) vgl. im Grundsatz auch Reinmuth, Allegorese, 60. 563 Unbeschadet der hier verwendeten Methodik, die über zeitliche Verhältnisse keine Aussage machen kann, darf als gesichert gelten, dass dieser Refrain ein Zitat ist, vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 327; 330; Berlin, Psalms, 21*f und weitere. 564 Wallace, Chronicles about Psalms, 267.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

13.2 „Lobpreist JHWH: Ja, er ist gut!“: Der Jubelruf 13.2.1 Text und Vorkommen „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig.“ Die Übersetzung des Schlusses des „ägyptischen Hallel“ in Ps  118,29 in der Einheitsübersetzung hat die Wahrnehmung dieses Verses im deutschen katholischen Sprachraum geprägt. Für die evangelische Liturgie ist die Luther-Übersetzung bedeutsam: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, denn seine Güte währet ewiglich.“ In beiden Formen ist der Vers noch immer im liturgischen Gebrauch.565 In der Chronik tritt die Zeile ‫ הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו‬mit Varianten sechs Mal in Erscheinung: 1Chr 16,34.41; 2Chr 5,13; 7,3.6; 20,21.566 Frank Crüsemann hat die Form dieser Zeile 1969 als „imperativischen Hymnus“ bezeichnet.567 Er bezog sich auf die Variante ‫( הודו ליהוה כי לעולם חסדו‬1Chr  16,41; 2Chr  7,6; 20,21), doch lässt sich seine Analyse auch auf die längere Form mit ‫ כי טוב‬anwenden: Einer Aufforderung zum Lob (‫ )הודו‬folgen der Adressat des Lobes (JHWH, ‫ )ליהוה‬und die „Durchführung“,568 markiert durch ‫כי‬. Die Adressaten der einleitenden Aufforderung müssen nicht genannt werden,569 in der Chronik geschieht das auch nirgendwo. Die abweichende Einleitung durch ‫ הלל‬in 2Chr 5,13 ändert nichts an diesem Muster.570 Bei der Suche nach einem Sitz im Leben für diesen „Hymnus“ kommt Crüsemann zu dem Ergebnis, einen solchen nicht bestimmen zu können. Seine Begründung dafür ist zum einen die Verbreitung „in so verschiedenen Zusammenhängen und zu so verschiedenen Zeiten“571  – gemeint sein dürften außer Ps 118,1–4.29 die Psalmen Ps 106,1; 107,1; und 136, in denen die Zeile ebenfalls vorkommt.572 Crüsemann schließt aber auf eine große kultische Bedeutung, mithin auf einen gut eingeführten Text. Der Bekanntheit entspricht die Zahl möglicher Hypotexte („Quellen“) für die Verwendung in der Chronik dabei nicht:

565 Vgl. beispielsweise die Nummer 66,2 im neuen „Gotteslob“; Koch, seine Güte, 531. 566 Siehe auch die Übersicht in Tabelle 2 in Kapitel 1, Abschnitt 4. Vgl. Willi, Evokation, 357; Steins, Abschlußphänomen, 395. 2Chr 16,8.34 sind Teil des Dankgebets zur Ladeüberführung, Vers 8 hat zusätzlich nur der ersten Teil der Abbreviatur und wird darum nicht mitgezählt. 567 Vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 44. 568 Vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 32–35. 569 Vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 24. 570 Die Analyse von Steins, Abschlußphänomen, 407, bestätigt im Gegenteil, dass die Variationen kontextbedingt sind. Die jeweiligen „Änderungen“ sorgen dafür, dass sich die Abbreviatur nahtlos in die Umgebung einfügt. 571 Crüsemann, Formgeschichte, 44. 572 Vgl. Berlin, Psalms, 22*.

Abbreviaturen

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Außerhalb der genannten Psalmen und der Chronik kommt der Vers in der BHS nicht vor. Wenn der Text dem Leser bekannt vorkommt, muss dies mit der Bedeutung und Verwendung der Quellen zusammenhängen.573

13.2.2 Aussagegehalt Die funktionale Analyse der Abbreviatur führte Crüsemann 1969 zu dem Schluss, dass der mit ‫ כי‬eingeleitete zweite Teil wörtliche Rede sei und den Inhalt des Lobes, nicht die Begründung dafür angebe.574 Entsprechend teilt sich die Abbreviatur in eine „Aufforderung“ mit einer Form von ‫( ידה‬oder ‫ )הלל‬und dem Tetragramm mit -‫ ל‬und eine Art „Titel“, wobei die Aufforderung zwingend zur Abbreviatur hinzugehört.575 Crüsemanns Auffassung, dass es sich zumindest beim zweiten Teil des „Hymnus“ um die Wiedergabe wörtlicher Rede handle,576 deutet bereits auf eine Ausweitung des Adressatenkreises der Aufforderung hin. In 2Chr 5,13; 7,6 gehört die Abbreviatur zur Erzählung von der Tempelweihe durch Salomo. Sie rahmt hier die Reden Salomos und das Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6) ein. In 2Chr 5,13 scheinen göttliche Präsenz und Gotteslob gleichzeitig aufzutreten.577 Der Satz wird mit ‫ ויהי כ‬eingeleitet, „es geschah, als [das Lob…]“; entsprechend wäre das ‫ ו‬mit „da“ zu übersetzen. Ein kausaler Zusammenhang ist damit nicht ausgedrückt, aber auch nicht ausgeschlossen. Der Zusammenhang von „Präsenz“ und Gotteslob zeigt sich auch beim Inhalt des Satzes: Die Themen ‫ חסד‬und ‫עולם‬ werden in 1Chr 16 in der Chronik eingeführt. ‫ חסד‬kommt im Dankgebet selbst zum ersten Mal vor (1Chr 16,34).578 Der Gebrauch der Abbreviatur im Kontext der Tempelweihe spielt diesen „Hintergedanken“ ein.579 Darüber hinaus füllt die Verbindung mit der Tempelweihe den Begriff ‫ חסד‬letztlich mit dem Inhalt der „Natan-Verheißung“, dem, was Gott David versprochen hat.580 Was den Inhalt 573 Mit der Prägekraft der deutschen Übersetzung aus der Einheitsübersetzung verhält es sich ähnlich. Nach der Leseordnung der katholischen Kirche sind auch bis auf Ps 107 alle Psalmen, die den Vers enthalten, in liturgischem Gebrauch, Ps 118 besonders häufig. 574 Vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 32 f. 575 Vgl. die Möglichkeiten zur Übersetzung des letzten Verses von 1Chr 16,8–36 (siehe Abschnitt Nr. 3.1.1). 576 Zur Frage, wie weit in Chr auch der erste Teil zum eigentlichen „Ausruf “ gehört, vgl. Beentjes, Psalms and Prayers, 43; er kommt zu dem Schluss, dass das nur in 2Chr 20,21 der Fall sei. Dennoch gehört die Einleitung, auch (und gerade) mit ihren Abwandlungen, zum Phänomen der Abbreviatur dazu. 577 Vgl. Kleinig, Song, 164. 578 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 319. 579 Vgl. Kuntzmann, Dieu, 210 f; Gosse, Citations de Psaumes, 327. 580 Vgl. Kuntzmann, Dieu, 210. Kuntzmann hält auch fest, dass es um den Inhalt dieser ‫ חסד‬eine große wissenschaftliche Diskussion gab; namentlich um die Frage, ob so etwas wie ein „David-Bund“ existiert. Diese Fragestellung ist verknüpft mit der Interpretation der „Natan-

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Kapitel 2: Einzelanalysen

„JHWH ist gut“ betrifft, spielte diese Aussage schon in Hiskijas Bittgebet zum Pessach (2Chr 30,18–19) eine Rolle.581 Der Beleg in 2Chr 7,3, der diesen Zusatz enthält, ist ebenfalls Teil des Abschnitts zur Tempelweihe. Er gibt die Antwort des Volkes auf göttliches Feuer wieder, das den Altar beziehungsweise dessen Opferfeuer entzündet hat – wie es am Sinai geschehen war (Lev 9,24). Sara Japhet stellt dazu fest: „Eine sorgfältige Untersuchung von 7,3 fördert markante Züge in der chr Auffassung von Religion zutage. Die Reaktion des Volkes, das die Erscheinung des Feuers und der Herrlichkeit Gottes mitansieht, sich daraufhin niederwirft und in Jubel ausbricht steht im Kontrast zur Sinai-Offenbarung (Ex 20,18), wo das Volk vor der Konfrontation mit dem Numinosen zurückwich. Hier dagegen wird deutlich, daß die göttliche Gegenwart dem Volk vertraut ist und keine Panik auslöst, sondern das inzwischen etablierte Gotteslob.“582

Entscheidend ist die Beobachtung, dass es um die „göttliche Gegenwart“ geht – dies war eine der Bedeutungsperspektiven von 1Chr 16,8–36, – sowie die Feststellung, dass das Gotteslob „etabliert“ sei (von 1Chr 16 und Davids Kulteinsetzung her). In Parallele583 zur Beschreibung des ersten Opfers Israels durch Aaron und seiner Annahme durch JHWH (Lev 9,1–24) entspinnt sich in der Chronik eine Kommunikation zwischen Israel und Gott;584 die Chronik füllt die Antwort des Volkes zusätzlich mit einem sprachlichen Inhalt. 2Chr 7,6 gehört formal wieder zur „Situationsbeschreibung“ der Tempelweihe; die Wiederholung verstärkt aber den Effekt von 7,3 und verbindet das Lob zusätzlich mit dem Element der Musik als Aufgabe der Leviten (vgl. 1Chr 23,5; 25,1–6).585 Der Kontext von 2Chr 20,21 ist jener des Feldzugs der Moabiter und Ammoniter gegen das Südreich Juda unter Joschafat. Die Passage 2Chr 20,1–30 enthält Verheißung“ und der Frage nach der Existenz einer davidischen Dynastie. Siehe dazu mehr in Abschnitt Nr. 4.2.1. 581 Siehe entsprechend in Abschnitt Nr. 12.2. 582 Japhet, 2 Chronik, 99. 583 Vgl.  Mosis, Untersuchungen, 151. Die Unterschiede zwischen Lev  9 und 2Chr  7, die Mosis im Anschluss an die Feststellung der Parallelität aufzählt, und die ihn zum Urteil führen, dass in Chr „die Formulierung von der Herabkunft des Feuers vom Himmel her nicht aus Lev 9,23f stammen kann“ (S. 152), sind für eine traditionskritische Betrachtung bedeutsam. In der Tat unterscheiden sich die Beschreibungen im Detail. An der Existenz der motivischen Verbindung ändert dies nichts. Außerdem könnte auch (gegen Mosis) eine „Übernahme“ des Motivs aus Lev durch Chr postuliert werden, wenn die Unterschiede als Änderungen durch einen Chronisten verstanden werden können, der die Darstellung an die Erfordernisse seiner Theologie anpasst: Wenn das Feuer in Lev 9,24 „von vor JHWH weg“ (mit Mosis, S. 151), also direkt von JHWH ausgeht, dann muss es in Chr „vom Himmel her“ kommen – denn JHWH befindet sich nicht im Tempel (vgl. unter anderem 2Chr 6,18). 584 Vgl. Hieke, Levitikus, 359–373, besonders 372–373. 585 Vgl. Williamson, Chronicles, 223.

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auch eines der Gebete, eine Prophezeiung und zwei unrecorded prayers.586 Die Abbreviatur erscheint am Wendepunkt der Erzählung. Der unmittelbar folgende Vers 2Chr 20,22 hält fest, dass JHWH genau in dem Augenblick handelt, als „Sänger“ mit „Jubel und Gebet“ beginnen (‫)ובעת החלו ברנה ותהלה‬. Die Nähe der Verse lässt den Schluss zu, dass Vers 21 den Inhalt dieses Jubels angibt; er „illustriert“ das Geschehen.587 Es besteht offenkundig eine Verbindung zwischen der Abbreviatur und JHWHs Tun:588 2Chr 20,15 enthält in der Prophezeiung Jahasiëls eine Zusage Gottes; diese ermöglicht es Israel, Gott im entscheidenden Augenblick anzurufen (2Chr 20,(18–19.)21). Es ist mithin unmöglich, Lob und Dank aus der Erzählung einfach ausfallen zu lassen. Die Schilderung in 2Chr 5,13 ähnelt diesem Vorgang: Das Lob, das dort der Tempelweihe vorausläuft und mit 2Chr 7,3.6 einen Rahmen um diese bildet, deutet darauf hin, dass zumindest die Anerkennung Gottes (und auch seine Zusage) schon vor der Weihe feststehen. Die Feststellung von John Kleinig, dass der Gesang in 2Chr 5,13 die „Ehre“ Gottes hervorrufe, steht dem nicht entgegen. Kleinig unterscheidet zwischen der Erscheinung der „Ehre“ und Gottes Erscheinen oder seiner Präsenz selbst589 – letztere ist von Gott zugesagt und läuft dem Erscheinen der Ehre, die durch das Gebet evoziert werden kann, voraus.

13.2.3 Funktionsanalyse 1Chr 16,8–36 hat sich bereits als möglicher Hypotext angeboten. Eines der Bedeutungspotentiale dieses Texts ist die Verkündigung von Gottes wirkmächtiger Gegenwart und seiner Eigenschaft als Retter Israels. Dieses Potential passt besonders im Kontext der Ladeüberführung, wo der Vers innerhalb des Dankgebets auftritt (1Chr 16,34); aber auch im Zusammenhang mit der Tempelweihe (2Chr  5,13; 7,3.6). Murray sieht schon allein wegen der verwandten Thematik von 1Chr 16 und 2Chr 6 den „Psalm“ in 2Chr 5–7 durch die Abbreviatur vertreten.590 Diese Verkündigung ist auch genau jenes Potential, auf das es in 2Chr 20 ankommt.591 JHWHs Fähigkeit, Israel zu verteidigen, ist nur ein Sinnpotential von 1Chr 16, und die übrigen werden hier ebenfalls eingetragen. Diese Potentiale liegen auf mehreren Adressatenebenen. Die Aufsprengung dieser Ebenen, wie sie in 1Chr 16 zu beobachten ist, wird in 2Chr 20 ebenfalls vollzogen; zum einen durch den Hypotext 1Chr 16, zum anderen durch die Abbreviatur selbst. 586 Die Untersuchung der entsprechenden Stellen ordnet sich in die Systematik dieser Arbeit ein: Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon wird in Abschnitt Nr. 10 verhandelt, die Abbreviatur hier und die unrecorded prayers in den Abschnitten Nr. 14.2 und 14.3. 587 Vgl. Williamson, Chronicles, 221. 588 Vgl. Kleinig, Song, 178. 589 Vgl. Kleinig, Song, 165 f. 590 Vgl. Murray, Retribution, 93; insbesondere Fußnote 34. 591 Vgl. Kleinig, Song, 173.

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Antje Labahn beschreibt, wie die als „Musik“ qualifizierten Texte in der Chronik, und dazu gehört die Abbreviatur,592 bereits aus sich heraus eine Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft leistet.593 Labahn sieht diese anamnetische Funktion im Kontext des Kultes; über die Abbreviaturen kann eine solche Brücke aber auch in anderen Kontexten geschlagen werden. Ähnliches geschieht etwa in jenen Psalmen, in denen der Vers vorkommt; Klaus Koch spricht von den (Heils-)„Geschichtspsalmen“.594 Anders gesagt trägt die „Musik“, trägt „Hinwendung zu Gott“, eine Funktion des Kultes in andere Kontexte hinein. Howard Wallace kann, entsprechend der „Gleichzeitigkeit“ der Texte für den Modell-Leser, für 1Chr 16 andersherum argumentieren: Weil das Zitat aus 1Chr 16 diesen Text mit einem konkreten Ereignis verbindet, das der Zeit des Lesers von 1Chr 16 vorausläuft, werden dort die Zeitebenen verschränkt: „Two possible contexts, one associated with the time frame within the narrative and one with the time frame of the writer and his immediate audience, could be inter­ related in the text.“595

Die Abbreviatur funktioniert so auf der Ebene des Lesers, nicht auf der der erzählten Geschichte. Ihr ausdrücklicher Imperativ wendet sich an den Modell-­ Leser und ruft ihn auf, nach dem Beispiel zu handeln, das die Erzählung gibt: Vertraut auf Gott, lasst ihn die Feinde vernichten! Das wiederum passt zur Botschaft von 1Chr 16,8–36, nach der alle „fremden Völker“ Israel unterlegen sind. Damit wird die Geschichte von Joschafat und den Moabitern und Ammonitern, angelehnt an das Topos vom „JHWH-Krieg“,596 zum Beispiel dafür, sich im rechten Moment an Gott zu erinnern und sich zu ihm zu bekennen. Der Umstand, dass 1Chr 16 und 2Chr 20 die jeweiligen Höhepunkte der Erzählbögen sind, zu denen sie gehören, verstärkt die Verbindung weiter. In 1Chr 16 endet die Geschichte der Ladeüberführung, in 2Chr 20 die Asas und Joschafats.597 Zusätzlich lobpreisen die Leviten in 2Chr 20,21 die „heilige Pracht“, ‫ ;להדרת קדש‬mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Chiffre für JHWH. Den Ausdruck gibt es in dieser Form (lediglich mit anderer Präposition) nur noch in Ps 29,3; 96,9 – und 1Chr 16,29.598 Das Stichwort „Leviten“ selbst ist für den Modell 592 Vgl. die Liste Labahn, Herrschaftsanspruch, 85. 593 Vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch, 87. 594 Koch, seine Güte, 537 f. 595 Wallace, Chronicles about Psalms, 278. 596 Vgl. Mathys, Numeri und Chronik, 555–578. 597 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303; für 2Chr 20 vgl. zusätzlich Kleinig, Song, 173. 598 Zur Übersetzung vgl. Ackroyd, Notes on Psalms, 393–396; insbesondere S. 394 gegen die gängige Übersetzung mit „Schmuck“. Gegen Lynch, Monotheism, 175 f ist die Frage von Klein, 2 Chronicles, 280, ob ‫ הדרה‬wie in 1Chr 16,29 mit „Theophanie“ zu übersetzen sei (Klein, 1 Chronicles, 359 f) mit Nein zu beantworten. Eine regelrechte Theophanie, wie Chr sie in 2Chr 5–7 beschreibt, scheint nach der Erzählung von der Verbringung der Lade in den Tempel und nach

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Leser ebenfalls von Belang. Bernard Gosse stellte 1996 die These auf, dass die Leviten es in der Chronik schaffen, sich zum Zeichen der Kontinuität des Bundes Gottes mit Israel zu machen – und letztlich die Lade zu ersetzen.599 Dabei spielt 1Chr 16,8–36 ebenfalls eine Rolle: Die Geschichte Israels wird dahingehend interpretiert, dass das Land sichtbarer Ausdruck des Bundes und der Gnade ist; im Verlauf der Chronik gehen die Funktionen des Landes dann auf den Tempel über.600 Zu den „Psalmen in der Chronik“ ist bereits sehr viel gesagt worden. Adele Berlin hat 2007 gezeigt, dass es nicht möglich ist, aus der Chronik heraus auf einen bestimmten Psalm als möglichen Hypertext zu schließen.601 Anders gesagt ist nicht auszuschließen, dass bei der Abbreviatur „lobpreist JHWH…“ alle Psalmen „mitschwingen“, in denen der Vers vorkommt. Mit der Verwendung des Zitats ‫ הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו‬in 1Chr 16,41 aus 16,34 heraus gibt es aber ein Vorbild für die Verwendung der Abbreviatur innerhalb der Chronik selbst. Es liegt daher nahe, dieses Muster bei der Untersuchung des Verses heranzuziehen. 1Chr 16,41 ist einer der Ankerpunkte der poetischen Passage 1Chr 16,8–36 in ihrer narrativen Umgebung. Mit der Wiederholung wird der imperativische Charakter des gestalteten Abschnitts in den narrativen Kontext übertragen, analog zur Verbindung des Dankgebets mit dem Einleitungsvers 1Chr 16,4.602 Die Zitation dem Modelleser gut bekannter Psalmen nimmt ihn dort mit zurück in die Geschichte, zur Überführung der Lade und zu Davids Kult. Die Abbreviatur funktioniert analog: Wenn sie in einem – in kanonischer Lesefolge späteren – Text wiederholt wird, bringt sie den Leser zunächst zurück zur Erzählung von der Ladeüberführung, und von dort noch weiter zurück zu den Geschehnissen selbst. Theologisch hilft sie, die vorexilisch an Lade und Tempel gebundene Präsenz Gottes und die exilische Vorstellung von JHWH als „Retter“ zu transformieren. JHWH wird zu einem „Schöpfer und universalen Richter für das Glück seines Volkes“.603 Auf diese Weise werden mehrere, für das Thema der Souveränität Gottes (in Israel) bedeutende Elemente zeitlich integriert.604

2Chr 6 mit den theologischen Vorstellungen in Chr nicht mehr konsistent zu sein. Andererseits kann in 1Chr 16,29 durchaus auf die Präsenz Gottes in/an/bei/durch die Bundeslade angespielt sein; dann wäre der Begriff in 2Chr 20 womöglich mehrdeutig (vgl. auch Ackroyd, Notes on Psalms, 396). Chr spielt dann mit der Idee, dass JHWH präsent ist und wirkt – aber nicht unbedingt eine mit menschlichen Sinnen direkt wahrnehmbare „Theophanie“ erfolgen muss. 599 Vgl. Gosse, Citations de Psaumes, 313–333. 600 Vgl. Gosse, Alliance, 123–135. 601 Vgl. Berlin, Psalms, 22*. 602 Siehe die Strukturübersicht in Abschnitt Nr. 3.1.2 und die Analyse in Abschnitt Nr. 3.2.2. 603 „… le créateur et le juge universel pour le bonheur des siens.“: Kuntzmann, Dieu, 213. 604 Vgl. Dyck, Theocratic Ideology, 153 f.

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13.3 „gerecht ist JHWH“: Rehabeams Stoßgebet 13.3.1 Text und Vorkommen Für den Nominalsatz ‫ צדיק יהוה‬gibt es in den Chronikbüchern nur den Beleg in 2Chr 12,6. Hier muss daher vor der Suche nach Intertexten die Frage be­ant­wor­ tet werden, ob es sich bei ‫ צדיק יהוה‬um eine „prägnante“ Wendung, handelt, das heißt, ob sie – dann außerhalb der Chronikbücher – häufiger vorkommt. Als nächstes ist zu fragen, ob die Belegstellen intertextuell vernetzt sind; das heißt, ob sie sinnvoll Hypotexte für 2Chr 12 sein können. Die Suche verläuft „konzentrisch“, beginnend bei den Chronikbüchern, und von dort „nach außen“ in den Kanon hinein. Die Belegstellen für die Aussage „Gott ist gerecht“ seien hier nun aufgeführt: a) Der Nominalsatz ‫ צדיק יהוה‬selbst ist in dieser „Reinform“ noch in Ps 11,7 be‑ legt. b) In umgekehrter Reihenfolge (‫ )יהוה צדיק‬erscheint er in Ps 129,4 und Zef 3,5. c) Ps 145,17 (mit Objektangabe), Klgl 1,18 (mit zusätzlichem Pronomen) und Dan 9,14 weiten den Satz jeweils aus, ohne die Aussage zu ändern. d) Zur attributiven Verbindung gewandelt findet sich die Aussage in Ps 7,10, wo statt des Tetragramms das indeterminierte ‫ אלהים‬steht, sowie in Ex 9,27. Dort macht der Artikel aus dem Adjektiv ein Attribut zum determinierten Tetragramm. Die übrigen Belege ändern oder ergänzen die Grundaussage „JHWH/Gott [ist] gerecht“. Sie lassen sich zu drei Gruppen zusammenfassen; dazu kommen noch Belege in anderer Form, aber mit vergleichbarer Aussage: e) Ps 119,137; Esr 9,15; Jer 12,1 sprechen JHWH (es ist stets das Tetragramm gesetzt) in der zweiten Person direkt an: „du bist gerecht“ (in der längsten Form bei Esra mit zusätzlich besonders feierlicher Anrede an JHWH: ‫יהוה אלהי ישראל‬ ‫ ;)צדיק אתה‬ähnlich Neh 9,32–33. f) Dtn 32,4 („Gott [‫ ]אל‬der Treue und ohne Falsch, gerecht und gerade [‫ ]ישר‬ist er“) und Ps 116,5 („gnädig ist JHWH und gerecht [‫ )“]חנון‬setzen das Attribut „gerecht“ je zu einem weiteren in Beziehung. g) Jes 45,21 ist ein Sonderfall. Die Gottesspruchformel in 45,18 kennzeichnet die Verse als Gottesrede, das „ich“ ist JHWH. Die Aussage erscheint zudem in einer Verneinung: ‫אל צדיק ומושיע אין זולתי‬, „einen gerechten und rettenden Gott (‫ )אל‬gibt es nicht – außer mir“. Es ist die einzige Stelle, an der Gott von sich selbst sagt, dass er gerecht sei. h) Schließlich kommen die drei Stellen, an denen JHWH (Jer 23,6; 33,16) oder Gott (Ps 4,2) als „Gerechtigkeit“ bezeichnet wird, der Aussage nahe. Stets er-

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folgt die Zuschreibung aus der Perspektive einer ersten Person (Jeremia: Plural – „unsere Gerechtigkeit“, Psalmen: Singular – „meine Gerechtigkeit“).

13.3.2 Funktionsanalyse Das Kapitel 2Chr 12, das in Vers 6 den Vers ‫ צדיק יהוה‬enthält, erzählt vom Ende der Regentschaft und dem Tod Rehabeams, des ersten Königs im Südreich nach der Reichsteilung, also des ersten Nachfolgers Salomos in Jerusalem. Das Kapitel beginnt mit einer Wertung des Handelns Rehabeams: „er verließ die Weisung JHWHs“, ‫( עזב את תורת יהוה‬2Chr 12,1). Daraufhin rückt „Schischak, der König Ägyptens“ zum Krieg gegen Juda aus. Der Prophet Schemaja prophezeit Rehabeam und den um ihn versammelten „Oberen Israels“ (‫ )שרי ישראל‬eine vernichtende Niederlage (2Chr 12,2–5). In diesem Augenblick tun Rehabeam und die Oberen zweierlei: Sie „demütigen sich“ (‫ כנע‬Nifal) und sie sagen: „‫“צדיק יהוה‬. Damit wenden sie sich an Gott, das heißt: Sie beten. Wenn die „Selbst-Demütigung“ als Geste gedacht wird, hätte dieses Gebet eine körperliche und eine sprachliche Komponente. Letztere ist die Abbreviatur. Sie erscheint gegenüber der Gebetsgeste zunächst als Zusatz, wenn Gott nach Vers 12,7 auf die Demutsgeste reagiert.605 Der Nachweis, dass es sich um eine Abbreviatur handelt, muss mit den Belegen außerhalb der Chronik erbracht werden. Der erste Befund dieser Belege ist, dass die meisten von ihnen zu den Psalmen gehören. Das ist dann nicht trivial, wenn weitere Verweise aus der Chronik heraus die große Bedeutung der Psalmen und ihrer Theologien für die Chronik plausibel machen.606 Im Kontext des Stoßgebets Rehabeams ist vor allem das in den Psalmen beheimatete Bild der Unterscheidung der Gerechten und der Frevler in der Behandlung durch Gott relevant. Ps 7,10 redet von der Prüfung durch Gott und dem „Bestand“ des Gerechten vor Gott; Ps 11,7 davon, dass JHWH „Gerechte liebt“. In Ps 116,5 wird besonders deutlich, dass dabei immer auch die Bitte um eine gerechte Beurteilung durch Gott mitschwingt, wenn es in Ps 116,4 unmittelbar vor der Feststellung, dass JHWH „gnädig und gerecht“ ist, heißt: „Ach JHWH, rette (‫ מלט‬Piel) meine Seele!“ Zusammengefasst geht es um das Verhältnis des (ungerechten, frevelnden) Menschen zu Gott und die Folgen menschlichen Handelns vor dem Hintergrund dieses Verhältnisses. Eine zweite Verbindung besteht zu Ex 9,27. Hier tritt die Aussage vom gerechten Gott im Kontext eines Bekenntnisses aus dem Munde des Pharao auf, das zur Erzählung über die siebte Plage (dem Hagel; Ex 9,13–35), gehört. 605 Vgl. Rösel, dann will ich hören, 362. 606 Es würde zu weit führen, die Forschungsgeschichte hierzu zusammenzufassen. Nahezu alle Kommentare befassen sich ausführlich mit der Verwendung von Psalmen in der Chronik, namentlich in 1Chr 16,8–36 und 2Chr 6,41–42; für die systematischen Studien sei stellvertretend Berlin, Psalms, genannt. Die Untersuchung der Gebete in dieser Arbeit hat ebenso verschiedentlich solche Verweise bereits erwiesen.

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Im Rahmen des Sündenbekenntnisses („ich habe gesündigt“, ‫חטאתי‬, Ex 9,27) steht „der gerechte JHWH“ gegen „mich und mein Volk, die Frevler“ (‫)הרשעים‬.607 Es ist derselbe Kontrast, den 2Chr 12 eröffnet: Die Handlungen eines Volkes, vertreten durch den König, stehen gegen die Souveränität Gottes. Während im Verlauf der Exodus-Geschichte deutlich wird, dass das Bekenntnis des Pharao nur zum Schein erfolgte (vgl. etwa Ex 9,34), trägt es in 2Chr 12,6 zu einer positiven Wende bei. Allerdings ist diese Wende nicht vollständig. Das Stichwort „Bekenntnis“ für Rehabeams Stoßgebet leitet über zu den Aussagen über einen gerechten Gott in den „nachexilischen Bußgebeten“: Esr 9,15; Neh 9,32–33 und Dan 9,14.608 Neh 9,32–33 enthalten ein Sündenbekenntnis in Reinform: „du bist gerecht, und wir haben gefrevelt“ (vgl. Vers 33). Daniel verweist noch einmal auf den Zusammenhang von Gottes Gerechtigkeit und Strafe für Frevler, wie es die Psalmen tun: Weil Israel von der „Tora des Mose“ abweicht (Dan 9,11–13), trifft es das „Unheil“ (‫ )רעה‬JHWHs (Vers 14). In Esr 9,15 schließt das Bekenntnis zum gerechten Gott das Bußgebet prominent ab: „JHWH, Gott Israels, gerecht bist du! Denn wir sind als geretteter Rest609 zurückgelassen, wie es heute noch ist. Siehe, vor deinem Angesicht (sind wir) in unserer Schuld, denn aufgrund all dessen kann man nicht vor deinem Angesicht bestehen.“

An dieser Stelle vereint der Satz „JHWH ist gerecht“ die Funktionen einer Anrede, eines Gottesbekenntnisses – inklusive der Anerkennung der Berechtigung seines Gerichtshandelns – und einer Proklamation göttlicher Gnade in sich. Für das Gebet Esras ist das Bekenntnis zu einem gerechten Gott die Bedingung der Möglichkeit, das vorausgehende Sündenbekenntnis abzulegen.610 Ein solches Sündenbekenntnis ist in 2Chr 12 nicht ausdrücklich geschildert, wird aber von Esra 9 und Daniel 9 als möglichen Hypotexten eingespielt. Was die intertextuellen Beziehungen des Satzes innerhalb der Chronik betrifft, hilft ein Blick auf die Wurzel ‫ צדק‬weiter. Sie kommt mit all ihren Ableitungen und Varianten sechs Mal in den Chronikbüchern vor. Davon stehen drei Belege in einem einzigen Vers: das Verb im Hifil (‫)להצדיק‬, das Nomen (‫)כצדקתו‬

607 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 186. 608 „post-exilic penitential prayer“, Bautch, Developments, 171; vgl. Klein, 2 Chronicles, 186. 609 Dieselbe Vokabel, ‫פליטה‬, gebraucht 2Chr 12,7, im Sinne von „Rettung“; aus dieser Bedeutung heraus wurde für Esr 9,15 auch „geretteter Rest“ als Übersetzung gewählt. Den Zusammenhang zwischen einem „Rest“ oder „Rettung“ aufgrund von Umkehr und der völligen Vernichtung ohne jeden „Rest“ als Vergeltung erläutert für die Chronik Mason, Tradition, 105 f. 610 Gegen Grol, Servants, 223.

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und das Adjektiv ‫ צדיק‬in 2Chr 6,23.611 Dies ist ein Vers aus Salomos Bittgebet zur Tempelweihe: ‫ואתה תשמע מן השמים ועשית ושפטת את עבדיך להשיב לרשע לתת‬ ‫דרכו בראשו ולהצדיק צדיק לתת לו כצדקתו‬, „dann wirst du vom Himmel her hören und handeln und deine Knechte richten, um zu vergelten dem Frevler, um seinen Weg auf ihn zurückfallen zu lassen, und um gerecht zu machen den Gerechten, um ihm nach seiner Gerechtigkeit zu vergelten.“ Dazu kommen noch zwei Belege für das Nomen: Nach 1Chr 18,14 lässt David Gerechtigkeit in seinem Volk walten, und nach 2Chr 9,8 rühmt die Königin von Saba Salomos Gerechtigkeit. Das Adjektiv wird also in der Chronik nur noch in Salomos Gebet verwendet, das zusätzlich durch die Häufung in 2Chr 6,23 auffällt. Dieser Vers gehört zur zweiten Bitte der Reihe aus acht Bitten, die konkrete Notsituationen aufgreifen, in denen JHWH helfen soll. Diese Bitte spricht eigentlich von einer juristischen Angelegenheit, deren Inhalt nicht zweifelsfrei zu klären ist.612 Entscheidend ist die Reaktion Gottes auf das Vorbringen des „Falles“ am Altar im Tempel: Er soll hören (‫ שמע‬Qal), handeln (‫ עשה‬Qal) und richten (‫ שפט‬Qal). Das Richten wird noch ausgedeutet in den Alternativen vergelten (‫ שוב‬Hifil) und eben gerecht machen (‫ צדק‬Hifil). Kern ist also das urteilende Handeln Gottes. Diese Information deckt auf, dass dem Satz „gerecht ist JHWH“ aus Rehabeams Mund in 2Chr  12,6 ein Appell innewohnt: In Verbindung mit den Demutsgesten will der textweltliche Rehabeam erreichen, dass JHWH ihn gerecht be-urteilt. Allerdings haben er und sein Volk sich im Vorfeld schon zu sehr von der „Weisung JHWHs“ entfernt, um im Sinne chronistischer Theologie noch ungeschoren davon zu kommen. Dies verbindet sich mit den Beobachtungen zu den Psalmen: Der appellative Charakter wird durch letztere ausgeweitet. Da der Leser aus den Psalmen weiß, dass Gott Rehabeam als „Frevler“, der die „Tora des Mose verlassen“ hat, keine (vollständige) Gnade erwarten darf, kann er die Geschichte als Mahnung lesen: „Handle wie Rehabeam, und Du wirst Dich zwar vor der Vernichtung retten können – aber dem Zorn Gottes entgehst Du auch nicht.“ Was menschliche Gerechtigkeit in der Chronik betrifft, setzen David (1Chr 18,14) und Salomo (2Chr 9,8) das Maß. Sie sind die einzigen erzählten Figuren, die die Chronik mit „Gerechtigkeit“ in Verbindung bringt. Interessanter Weise ist in beiden Fällen von gerechter Regentschaft die Rede. Gerechtigkeit „über das Volk“ wird Rehabeam in 2Chr 12 nicht abgesprochen, aber „gerecht sein“ misst sich vorrangig am Verhältnis zu JHWH. Entsprechend zwiespältig fällt die durch Schemaja vermittelte Reaktion Gottes auf Rehabeams Stoßgebet

611 Die Tatsache, dass es sich um die einzige Verwendung des Adjektivs ‫ צדיק‬im „chronistischen Sondergut“ handelt, also jenen Textteilen, die die Chronikbücher gegenüber den Samuel- und Königsbüchern mehr haben, deutet in Richtung einer Leserlenkung. Vgl. Royar, Denn der Herr, 150. 612 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 93.

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aus: Juda wird nicht völliger Vernichtung anheim gegeben, aber immerhin wird Jerusalem geplündert (2Chr 12,7–12). Der Appell des Stoßgebets richtet sich nicht nur an JHWH. Außerhalb der Textwelt aktiviert der Satz beim Leser die Erinnerung an das Tempelweihgebet und dessen drängenden Ruf, in allen Notsituationen allein auf die Hilfe JHWHs zu vertrauen. Zusammengefasst ist der Satz ‫ צדיק יהוה‬eine verkürzte Redeweise. Genau das macht eine „Abbreviatur“ aus. Abgekürzt wird das „Retributionsschema“613 der Chronik, das nicht nur Beispiele für gutes und frevelhaftes Verhalten im Sinne chronistischer Theologie anführt, sondern auch, im Falle des Frevels, eine Option zur Umkehr lässt. Das kurze Gebet vereint die Funktionen eines Appells und eines Bekenntnisses auf Text- und Leserebene miteinander.

13.4 Die Formel „Gepriesen sei JHWH, der…“ 13.4.1 Text und Vorkommen Josef Scharbert hat eine umfassende Darstellung der Vorkommen der Wendung ‫ ברוך יהוה אשר‬und ihrer Varianten vorgelegt. Er spricht von der bārûk-Formel614 und unterscheidet acht Varianten, denen das Partizip ‫ ברוך‬und die Nennung des Gesegneten/Gepriesenen gemeinsam sind. Die folgende Übersicht ist eine Abwandlung der Übersicht Scharberts aus seinem Aufsatz von 1973. Wichtig ist, dass nur die Reihenfolge der Elemente die Varianten unterscheidet. Zwischen die einzelnen Elemente können weitere Worte eingeschoben sein. (Begründung im Perfekt) ‫ < אשר‬Segensziel < ‫( ברוך‬a ‫ < כי‬Segensziel < ‫( ברוך‬b ‫ < ליהוה < אשר‬Segensziel < ‫( ברוך‬c ‫ < ליהוה < כי‬Segensziel < ‫( ברוך‬d ‫ < ליהוה‬Segensziel < ‫( ברוך‬e Segensziel < ‫( ברוך‬f ‫ < ברוך‬Segensziel (g 615(Begründung im Imperfekt) ‫ < אשר‬Segensziel < ‫( ברוך‬h Der Ausdruck ist eine Formel und keine Abbreviatur, weil unabhängig von einem Hypotext ein festes Schema existiert und die Wendung nie für sich allein steht, 613 Steins, Bücher der Chronik, 319 f; vgl. Schniedewind, Source Citations, 454. 614 Scharbert, ‫‏ברך‬‎, ThWAT I; Scharbert, barûk-Formel. Wie weit die Datierungsversuche Scharberts und seine daraus gefolgerte „Geschichte“ der Formel tragen, kann hier nicht diskutiert werden; ebenso wenig wie die offensichtlich tendenziös-negative Einstellung Scharberts zu „späten“ Texten (vgl. Scharbert, barûk-Formel, 9; 24). Zur Forschungsgeschichte zur Pragmatik des Segens und zur Einordnung vgl. Leuenberger, Segen, 10 f. 615 Vgl. Scharbert, barûk-Formel, 4 f.

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sondern immer im Kontext eines Satzes. Ihre Rolle bei der Leserlenkung ist interessant, weil sie eine Anerkennung JHWHs als Gott Israels ausdrückt – also eine Hinwendung zu diesem Gott beinhaltet. In den Chronikbüchern ist die bārûk-Formel ausschließlich mit Gott als Segensziel belegt, das heißt, Objekt zu ‫ ברוך‬ist ausschließlich JHWH. Die Form folgt den Schemata a, f und g nach Scharbert: a) 2Chr 2,11; 2Chr 6,4: ‫ברוך יהוה אלהי ישראל אשר‬ f) 1Chr 16,36; 1Chr 29,10: ‫ברוך )אתה( יהוה אלהי ישראל‬ g) 2Chr 9,8: ‫יהוה אלהיך ברוך‬ Nur drei dieser fünf Belege stehen außerhalb der Texte, die bereits als formale Gebete identifiziert wurden: 2Chr 2,11; 6,4; 9,8.616 In 2Chr 2,11 verwendet Huram617 von Tyrus die Formel in seinem Antwortbrief an Salomo im Zusammenhang mit Lieferungen für den Tempelbau. In 2Chr 9,8 preist die „Königin von Saba“ Salomo angesichts seiner Leistungen. Hier zeigt sich eine Besonderheit mit Bezug auf die Sprecher: Es sind gerade keine Könige Israels, nicht einmal Angehörige des Volkes Israel, die hier den Namen JHWHs „im Munde führen“. Direkter Adressat der Rede in der Textwelt ist in beiden Fällen Salomo. Faktisch gehören beide Belege zur selben Erzählung, dem Tätigkeitsbericht Salomos, der durch die „Begegnungen“ mit Huram und der Königin von Saba gerahmt wird.618 Aus diesem Rahmen fällt 2Chr 6,4 insofern nicht heraus, als dass der Vers zum Mittelteil der Berichte über Salomos Tätigkeiten gehört, zum Kontext der Tempelweihe selbst. Andererseits ist es hier ganz „regelmäßig“ König Salomo, der zu seinem Volk spricht.

13.4.2 Sprechhandlungsgehalt Scharberts Feststellung, dass meistens eine Begründung für den Lobpreis angegeben wird619 und seine von Gerhard Wehmeier übernommene Beobachtung, dass die Formel (zumindest oft) „nach der Erfahrung göttlicher Hilfe spontan gesprochen“620 wurde, weisen auf den hauptsächlichen Charakter der Formel als Dank hin. Entsprechend bestimmt Scharbert die Funktion der Formel in 1Kön 5,21 ‖ 2Chr 2,11 ebenfalls als „Dank“.621 Während Huram nach der Könige-Fassung des Textes (‫ברוך יהוה היום אשר נתן לדוד בן חכם על העם‬, „gepriesen 616 Die übrigen Belege werden im Kontext ihrer jeweiligen Gebete berücksichtigt, soweit sie dort relevant sind. 617 Die Bücher Samuel/Könige vokalisieren den Namen „Hiram“. 618 Vgl. Dillard, Chronicles, 6. 619 Vgl. Scharbert, barûk-Formel, 4 f. 620 Wehmeier, Segen, 131; vgl. Scharbert, barûk-Formel, 2. 621 Vgl. Scharbert, barûk-Formel, 7 f.

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sei heute JHWH, der David einen weisen Sohn gegeben hat über das Volk“) aber deutlich die Ernennung Salomos zum König als Motiv für den Dank angibt, verschleiert die Chronik dieses Motiv: ‫ברוך יהוה אלהי ישראל אשר עשה את השמים‬ ‫ואת הארץ אשר‬, „gepriesen sei JHWH, der Gott Israels, der Himmel und Erde gemacht hat, der…“ Der zeitliche Bezug „heute“ (‫ )היום‬aus 1Kön entfällt in Chr und vor den konkreten Anlass des Dankes, die Weisheit Salomos, schiebt sich eine andere Erweiterung, ein Epitheton des Gottesnamens: „der Himmel und Erde gemacht hat“. Nach der von Scharbert beschriebenen Logik in der Verwendung der Formel ließe sich dieses Epitheton aber auch übersetzen mit „weil er Himmel und Erde gemacht hat“. Warum aber sollte der Nichtisraelit Huram JHWH für die Schaffung der Welt danken, zumal die Chronik JHWH hier ausdrücklich „JHWH, den Gott Israels“ nennt? Noch mehr Bedeutung erhält die Frage dadurch, dass diese Stelle eine von nur zweien in der Chronik ist, die direkt auf die Schöpfung Bezug nehmen.622 Für 2Chr 9,8 schlägt Scharbert die Funktionsbeschreibung „bekennen“ vor. Allerdings bekennt sich seiner Auffassung nach die Königin von Saba nicht zu JHWH, sondern zur „Solidarität mit dem König Israels“.623 Anders als in 2Chr 2,11 lässt sich die Aussage der Königin von Saba auch kaum als „Dank“ beschreiben. Auch hier geben die Unterschiede zum Paralleltext in 1Kön 10,9 Hinweise, welche Funktion die Formel in ihrem Kontext erfüllt: In 2Chr geht es um Israels „Bestehen“ (Infinitiv Hifil von ‫ )עמד‬und die Klarstellung, dass es sich bei Salomos Thron um JHWHs Thron handelt.624 Dies sind deutliche inhaltliche Hinweise auf das chronistische Theologumenon von Gottes Souveränität und Israels Fortleben. Warum aber betont hier eine fremde Königin, dass es JHWH ist, von dem Salomos Königtum ausgeht, und warum sollte ihr am „Bestehen“ Israels gelegen sein? Neben der Verwendung der Formel außerhalb der Chronik625 gibt es noch einen Fall der Verwendung der Wurzel ‫ברך‬, der mit dem Gebrauch in der bārûk-Formel verwandt ist. In Neh 9,5 steht ‫ויברכו שם כבודך‬, „sie sollen den Namen deiner Herrlichkeit preisen“. Die dritte Person könnte generisch gemeint sein.626 Deutsche Übersetzungen geben das häufig mit „man preise deinen herrlichen Namen“ wieder. Entscheidend ist hier, dass der mit der bārûk-Formel verwandte

622 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 37. Die andere Stelle, 1Chr 16,26, gehört zum Dankgebet zur Ladeüberführung und nimmt Ps 96,5 auf. 623 Vgl. Scharbert, barûk-Formel, 17. 624 Aus dem „Thron Israels“ in Kön wird „sein (JHWHs) Thron“ in Chr; Chr ergänzt, dass Salomo für JHWH auf diesem Thron sitzt. In Kön liebt Gott Israel „ewig“, in Chr soll Israel „ewig bestehen“. In Kön ist Salomo „König“, in Chr zusätzlich „König über sie (Israel)“. Vgl. stellvertretend Williamson, Chronicles, 234. 625 Für Beispiele vgl. Scharbert, barûk-Formel. 626 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 537.

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Ausdruck in der Einleitung zu Nehemias Gebet auftritt (also selbst noch nicht zum Gebet gehört) und dass der folgende Text ein Bekenntnis enthält.627 Eine Antwortmöglichkeit auf die Fragen, die die Texte über Huram und die Königin von Saba aufwerfen, bietet die Annahme einer grundlegenden Mehrdeutigkeit der Wurzel ‫ ברך‬in Folge ihrer Eigenheiten.628 Sie bedeutet auch eine Mehrdeutigkeit für die bārûk-Formel und ist textpragmatisch ihrerseits Folge dessen, was Andreas Wagner eine „Mehrfachadressierung“ von Sprechakten nennt.629 Ob diese „Mehrfachadressierung“ für alle „Segenstheologien“ des Alten Testaments gilt, sei dahingestellt.630 Es gibt aber Hinweise darauf, dass eine solche „Mehrfachadressierung“ von Segen/segnen für die Chronikbücher zu den Grundannahmen gehört.631 Der prominenteste Vers zu diesem Thema ist Teil von Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“: Der Schlussvers 1Chr 17,27 machte das „Haus Davids“ zu einem Segens-Zeichen; der „Segen“ richtete sich also nicht nur an das Haus, sondern auch an alle, die es sehen. Aus Davids Mund war zugleich die Bitte enthalten, diesen Segen tatsächlich bestehen zu lassen. Auch das erste Gebet der Chronikbücher, Jabez’ Bittgebet (1Chr 4,10), ist eine explizit an JHWH gerichtete Segensbitte – sprachlich intensiviert durch eine Figura Etymologica aus Infinitivus absolutus und finiter Verbform der Wurzel ‫ברך‬. Der dritte Beleg für die bārûk-Formel, 2Chr 6,4, zeigt ebenfalls diesen Zusammenhang. Formal wendet Salomo sich an sein Volk; letztlich gilt der Dank, der in der nachfolgenden Rede zum Ausdruck kommt, aber JHWH. Zugleich eignet der Aussage zu Beginn der Rede auch noch der Impetus, das Volk möge in den Lobpreis einfallen, auch wenn, anders als beispielsweise in 1Chr 29,20,632 keine direkte Aufforderung vorliegt. Entsprechend ist folgende Definition von Scharbert in ihrer diachronen Geltung einzuschränken (also nicht „im AT“), für die Chronikbücher aber mit einiger Wahrscheinlichkeit zutreffend: „Im AT ist der Segen fast immer auf Gott zurückgeführt oder mit ihm eng verbunden. Der Fromme war sich bewusst, daß er nur Segenswünsche aussprechen kann, deren Erfüllung allein bei Gott steht. Weil der Segen nur von Gott realisiert werden kann und die Knüpfung oder Festigung von Solidarität bedeutet, ist er davon abhän 627 Es handelt sich bei Nehemias „Bekenntnis“ um ein Sündenbekenntnis; die Mehrdeutigkeit eines Sprechaktes „Bekenntnis“ gilt aber auch dort, wie gleich zu zeigen ist. 628 Diese Eigenheiten machen auch die Übersetzung schwierig, die zwischen „segnen“, „(lob)preisen“ und „danken“ changiert. 629 Vgl. Wagner, Sprechakte, 211 f. 630 Das Problem der Arbeiten Scharberts ist, dass sie mit der Grundannahme, dass „Segen“ im AT immer auf Gott gegründet wird (vgl. Scharbert, ‫‏ברך‬‎, ThWAT I, 836), gegen den neueren Forschungskonsens stehen, vgl. Leuenberger, Segen, 10, Anmerkung 31. 631 Wehmeier, Segen untersucht die Vorkommen der Wurzel ‫ ברך‬im ganzen AT und kommt zu ähnlichen Schlüssen. 632 Zur Verwendung der Wurzel ‫ ברך‬als implizites Gebet siehe Abschnitt Nr. 15.2.

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gig, daß der zu segnende Mensch in der Gemeinschaft mit Gott steht, sie sucht oder ihrer würdig ist.“633

Folgt man den Konstellationsbeschreibungen bei Scharbert,634 ergeben sich grundsätzlich folgende Möglichkeiten für die Verwendung der Wurzel ‫ברך‬: – Wenn ein Mensch einen anderen Menschen „segnet“, ist die Zielperson zunächst direkt angesprochen. Zugleich richtet sich der Segenswunsch implizit als Bitte an Gott, diesen Wunsch an der Zielperson auch umzusetzen. – Wenn ein Mensch Gott „preist“, können formal sowohl Gott selbst wie auch ein Mitmensch angesprochen sein (letzteres ist in 2Chr 2,11; 9,8 der Fall). Stets ist aber der jeweils andere Adressat implizit ebenfalls adressiert, denn das Lob Gottes beinhaltet (wenn es nicht ironisch gewendet wird) immer das Bekenntnis zu diesem Gott, mindestens zu seiner Existenz (was man als „Zustimmungserklärung“ gegenüber Gott selbst auffassen kann) sowie die Anerkennung Gottes als Gott für/von… gegenüber einem Mitmenschen.635 Das ist, was Scharbert „Solidarität“ nennt. – Wenn Gott schließlich einen Menschen „segnet“, bedeutet das zunächst eine „Auszeichnung“ direkt des Gesegneten, aber auch einen Hinweis gegenüber den Mitmenschen, dass dieser Mensch gesegnet ist.636 In Verbindung der Idee einer „Mehrfachadressierung“ von Bekenntnissen zu JHWH und des Gedankens, dass sich zu Gott (mit ‫„ )ברך‬bekennen“ die „Knüpfung von Solidarität“ bedeutet, lässt sich eine Kommunikationsebene „oberhalb“ oder außerhalb des Textes annehmen, die Wagner als Kommunikation zwischen mehreren Bekennern beschreibt. Diese Bekenner können ihre Bekenntnisse auch zeitlich versetzt sprechen637 oder lesen. Wenn sich eine Solidarität zwischen dem „Bekenner“ der Textwelt, dem Text selbst und seinem Leser einstellt, dann bricht die bārûk-Formel damit im Kontext von 2Chr den Zeitrahmen des Textes auf, analog zur Funktionsweise der Gebete in ihrem narrativen Kontext. Sie ist ein Mittel der Leserlenkung, etabliert eine Kommunikation zwischen Text und idealem Leser. Es bleibt zu erwähnen, dass es keine offensichtliche Verbindung zu Hypotexten gibt, deren Sinnpotentiale die bārûk-Formel selbst in 2Chr 2,11; 9,8 einspielt, obwohl sie noch mehrfach in den Chronikbüchern vorkommt. Dazu kommt sind diese Vorkommen zu häufig und außerhalb der Chronikbücher auch zu breit ge 633 Scharbert, ‫‏ברך‬‎, ThWAT I, 836. 634 Vgl. Scharbert, barûk-Formel. 635 Vgl. zu beiden Punkten die Zusammenfassung zur Untersuchung der verschiedenen Konstellationen bei Scharbert, ‫‏ברך‬‎, ThWAT I, 825; Wagner, Sprechakte, 211 f. 636 Vgl. Scharbert, ‫‏ברך‬‎, ThWAT I, 826 f. 637 Vgl. Wagner, Sprechakte, 211.

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streut. Zudem sind die Passagen rund um Salomos Verdienste in 2Chr 2; 9 durchaus beziehungsreich.638 Die Verbindungen zu Hypotexten erfolgen aber über Hypertexte, die keine Gebete sind, und nicht über die Formel – sie sind daher kein Thema in dieser Untersuchung.

13.4.3 Funktionsanalyse Textpragmatisch ermöglichen die Figuren des Huram von Tyrus und die Königin von Saba dem idealen Leser eine Identifikation mit dem Text, wenn sie als gegenüber dem „Volk Israel“ Außenstehende ein Bekenntnis zu JHWH als dem Gott Israels, zu seiner „Liebe“ zu diesem Volk und zu dessen Fortbestand ablegen. Wenn sogar Huram und die Königin von Saba Salomos Leistung loben, wie viel mehr muss sie dann einem Leser gelten, der sich in der Tradition Salomos und/oder dessen Volkes Israel sieht. Überblendet man die „Fremdheit“ der Herrscherfiguren mit der in den Gebetstexten der Chronik belegten Sprengung des zeitlichen Rahmens – die von Huram oder der Königin von Saba gepriesene königliche Linie Salomos existiert für keinen Leser der Chronik mehr – sowie mit der Ausweitung des Adressatenkreises, lässt sich auch die Schilderung der Verdienste Salomos als paränetisches Exempel lesen. Verglichen mit den Gebetstexten der Chronikbücher ist die bārûk-Formel auch ein „implizites Gebet“: Sie leistet dasselbe wie formal als Gebet gestaltete Texte, vermeidet dabei aber die Stilisierung des Textes als direkte Anrede Gottes, indem sie textweltlich einen Dritten adressiert. Nach der Vorstellung der Chronikbücher haben also, wenn sie die Segensformel gebrauchen, sowohl Huram von Tyrus als auch die Königin von Saba als Außen­stehende erkannt, wie groß die „Solidarität“ zwischen Salomo und JHWH sein muss.639 Theologisch ausgedrückt ist diese Solidarität aus menschlicher Perspektive der Glaube. Einerseits vermeiden die Chronikbücher mit der Formel den Eindruck, die beiden Fremdkönige, von denen nicht berichtet wird, dass sie „JHWH suchten“, würden beten. Andererseits ist die Formel eine Möglichkeit, diese Fremden eine Anerkennung des Glaubens Israels aussprechen zu lassen.640 Die Unmittelbarkeit wörtlicher Rede641 und die literarische Gestaltung des Rahmens für den Tätigkeitsbericht Salomos durch die „Seligpreisungen“642 verstärken den Effekt. Dazu passt, dass die gesamte Darstellung der „Fremd­könige“ 638 Ein Beispiel beschreibt Matthew Lynch: Die Kombination aus der Formulierung „Gott Israels, der den Himmel und die Erde gemacht hat“ (2Chr  2,11bR1) und dem Thema des Kontrasts zwischen dem Menschen, der Gott einen Tempel baut, lässt an Ps  115,15 denken. Vgl. Lynch, Monotheism, 113. 639 Vgl. Scharbert, barûk-Formel, 12. 640 Vgl. Ackroyd, Chronicles, 105. 641 Vgl. Ben Zvi, Foreign Monarch, 211; 224. 642 Vgl. Dillard, Chronicles, 6.

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diese ambivalent erscheinen lässt; ihre Zeichnung changiert zwischen dem Bild eines frommen Israeliten und dem eines völlig Fremden.643 Dadurch erhält die Schilderung der Tätigkeiten Salomos (2Chr 2–9) einen paränetischen Unterton. Die Botschaft ließe sich in etwa so paraphrasieren: „Sieh, Leser, seine Erfolge waren so groß, dass selbst fremde Könige zur Anerkennung JHWHs gelangten!“

14. Unrecorded Prayers 14.1 Terminologie Den Begriff unrecorded prayer hat Stefan Royar aus einer Fußnote von Samuel Balentine entwickelt.644 Balentine verwendet den Ausdruck zunächst als Gegenbegriff zu den in der Chronik überlieferten Gebeten, den „recorded prayers“. Im Detail listet er auf: „cases where the text indicates that a prayer or an address to God that may be likened to prayer (e.g. a ‚cry‘ [‫ ]זעק‬or a ‚call‘ [‫ )]קרא‬has occurred, but the words have not been provided“.645

Anders als in der für diese Arbeit verwendeten Definition von „Gebet“ als „Hinwendung zu Gott“ liegt offensichtlich ein Verständnis von „Gebet“ als einem an Gott gerichteten Text zu Grunde. Demgegenüber erweitert Stefan Royar in seiner Dissertation von 2005 den Ausdruck zu „Signalwörtern, die auf eine Gebetssituation hinweisen“,646 also „literarische Hinweise auf eine implizierte Gebetssituation“.647 Das schlösse auch Gebete ein, die sich in Gesten ausdrücken. Konsequenter Weise nimmt Royar daher ‫ כנע‬Nifal „sich demütigen“ in die Liste der Signalworte auf.648 Im Verlauf seiner Arbeit ergänzt er, dass ein „Marker [für ein unrecorded prayer, M. J.] in der Regel aus einem Nomen und/oder Verb und der Konstatierung des Erfolges besteht“.649 Beiden Definitionsversuchen sind zwei Annahmen gemeinsam:

643 Vgl. Ben Zvi, Foreign Monarch, 217 f; 225 f. 644 Royar, Denn der Herr, 14. 645 Balentine, Pray a Lie, 251, Fußnote 16. 646 Vgl. Royar, Denn der Herr, 14 f. 647 Royar, Denn der Herr, 14. 648 Royar, Denn der Herr, 15; 168. Die aus seiner Definition resultierende Liste ist irreführender Weise mit „Die Unrecorded Prayers in den Chr-Büchern“ (S. 15) überschrieben. Tatsächlich listet Royar aber alle Belege der betroffenen Lexeme auf, auch solche, die vor wiedergegebenen Gebeten (recorded prayers) oder innerhalb von Gebetstexten stehen (beispielsweise 2Chr 6,19 ‫ תפלה‬innerhalb von Salomos Bittgebet zur Tempelweihe). 649 Royar, Denn der Herr, 168.

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1. Es geht immer um Stellen, an denen der Text der Chronikbücher auf eine Gebetssituation hinweist, aber keinen Text eines gesprochenen Gebets formuliert – auch dann nicht, wenn die Situation durch ein verbum dicendi indiziert wird. 2. Die Anzeige einer Gebetssituation erfolgt durch bestimmte Signalworte. Sowohl Balentine als auch Royar präsentieren eine je abgeschlossen scheinende Liste bestimmter Begriffe, die als Beiklang die Bedeutung „beten“ in sich ­tragen. Die Annahme einer abgeschlossenen Liste mit Signalworten ist problematisch, zumindest, wenn sie als Ausgangspunkt einer Untersuchung des Phänomens un­ recorded prayer dienen soll. Dies würde voraussetzen, dass die Chronikbücher selbst eine explizite lexikalische „Definition“ für „Gebet“ gehabt hätten, was nicht der Fall ist. Die in dieser Arbeit zu Grunde gelegte weit gefasste Definition von „Gebet“ als „Hinwendung zu Gott“ reicht im Zusammenhang mit unrecorded prayer hingegen auch nicht aus: „Hinwendung zu Gott“ kann sich auch in Gesten ausdrücken, aber bei diesen würde ein Leser in der Folge keinen Text erwarten oder gar ergänzen. Auch wenn Gesten oder Handlungen ein ausformuliertes Gebet ersetzen, ist ihre Funktion eine andere. Die Frage ist, in wie weit Begriffe (etwa ‫ כנע‬Nifal „sich demütigen“) den idealen Leser an textlich formulierte Gebete denken lassen. In jedem Fall muss die Überlegung von Royar dazu veranlassen, noch weitere Begriffe als Indikatoren für unrecorded prayer zu prüfen, die nicht ausgesprochene verba dicendi sind.650 Um ein Signalwort für eine Gebetssituation zu identifizieren, ist es also erstens erforderlich festzustellen, ob eine Hinwendung zu Gott vorliegt. Anders formuliert lautet die Frage, ob auf irgendeiner Ebene (Textebene oder auch Leserebene) Gott Adressat der beschriebenen Handlung ist oder sinnvoll sein kann. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn es für den fraglichen Begriff Belegstellen gibt, an denen diesen unmittelbar ein eindeutiger Gebetstext folgt. Das deutlichste Beispiel ist ‫ פלל‬Hitpael („beten“) selbst.651 In 2Chr 30,18 wird Hiskijas Bittgebet zum Pessach mit diesem Wort eingeleitet: „Hiskija betete [für sein Volk] und sprach“. Zweitens muss die funktionale Analyse ergeben, dass ein Leser sinnvoller Weise ein ausformuliertes Gebet aus seiner Enzyklopädie 650 Sofern die Prüfung ergibt, dass sie keine Signalworte für unrecorded prayer sind, aber dennoch eine Hinwendung zu Gott anzeigen, werden die Belege im nächsten Abschnitt als „implizite Gebete“ und Gesten verhandelt (siehe Abschnitt Nr. 15). Eine breit angelegte Wortfeldanalyse unter der Überschrift „The Vocabulary of Seeking God“ bietet Schaefer, Significance, 53–94. Wenn nicht alle Wurzeln, die Schaefer untersucht, im Folgenden Beachtung finden, so entweder, weil sie an anderer Stelle dieser Arbeit verhandelt werden, oder weil sie in Chr nur in Kontexten vorkommen, die eine Bedeutung als Signalworte für unrecorded prayers oder implizite Gebete unwahrscheinlich machen (beispielsweise kommt ‫ חנן‬Hitpael „flehen“, das mit Gott als Objekt sehr direkt ein Gebet anzeigen könnte [also kaum „implizit“ zu nennen ist], nur innerhalb des Tempelweihgebets in 2Chr 6,24.37 vor). 651 Vgl. Stähli, ‫‏פלל‬‎, THAT II, 428.

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ergänzen könnte. Nur dann geht es um unrecorded prayers; andere Hinweise auf Hinwendung zu Gott, in denen diese Ergänzung nicht sinnvoll, wahrscheinlich oder möglich scheint, sind implizite Gebete. Der Nachweis, dass nicht auch andere Begriffe einen konkreten Leser an ein „Gebet“ denken lassen, ist völlig unmöglich. Es wäre der Versuch, ein Nichtsein oder Nicht-Erinnern zu beweisen. Anders gesagt ist es nur möglich, bestimmte Lexeme als Signalworte zu verifizieren, nicht aber, sie zu falsifizieren. Es ist möglich, nachzuweisen, welche Begriffe für einen idealen Leser als Signale dienen können, aber nicht, welche Begriffe den konkreten Leser dann tatsächlich leiten. Die Liste der Signalworte kann und darf nicht als abgeschlossen betrachtet werden, auch wenn sie notwendig endlich sein muss.652 Ein unrecorded prayer liegt also immer dann vor, wenn ein Signalwort von einem Leser verlangt, sich ein textlich ausformuliertes Gebet vorzustellen. Bisweilen schlägt das Signalwort ein anderweitig wiedergegebenes Gebet vor – diese Verbindungen sind aber nie notwendig, sondern stets nur möglich.

14.2 ‫ ברך‬Piel 14.2.1 Vorkommen Die Untersuchung der bārûk-Formel zeigte bereits, dass die „Mehrfachadressierung“ der mit dieser Wurzel gebildeten Sätze eine Funktionsbestimmung schwierig macht. Schon die bislang verwendete Definition für ein Gebet als „Hinwendung zu Gott“ ist hier unzureichend, weil mit ‫ ברך‬gebildete Sätze fast immer eine solche Hinwendung beinhalten, auch wenn sie sich formal gar nicht an JHWH richten.653 Einerseits ist damit das erste Kriterium für ein unrecorded prayer stets erfüllt, andererseits liegt die Vermutung nahe, dass, weil eben immer ein Gebet „mitschwingt“, ein textlich ausformuliertes Gebet nicht notwendig hinzugedacht werden muss. Zugespitzt hieße das: Entweder zeigt ‫ ברך‬immer ein unrecorded prayer an oder nie. Diesem ersten Eindruck lässt sich aber schon von einer einfachen Analyse der Vorkommen und der Verwendung der Wurzel her entgegenhalten, dass

652 An dieser Stelle ergibt sich ein Forschungsdesiderat vor allem bei der Zusammenschau der Chronikbücher mit ihren entstehungsgeschichtlich nächsten Verwandten, Esra, Nehemia, Daniel. Mit der vorliegenden Untersuchung steht die Frage im Raum, in wie weit die zur Anzeige von „Hinwendung zu Gott“ verwendeten Begriffe darin deckungsgleich sind. Die weitere Untersuchung ist auch wünschenswert, um den Datenbestand, auf dem die Überlegungen zum Phänomen unrecorded prayer basieren, zu vergrößern. Die Chronikbücher sind als Ausschnitt aus dem Kanon zu klein, um allgemeine Aussagen über Häufigkeiten und Verwendungsweisen in diesem Kanon abzuleiten. 653 Zu den Zweifelsfällen vgl. Scharbert, ‫‏ברך‬‎, ThWAT I, 823.

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der Kontext einen gewichtigen Anteil an der Bedeutung hat.654 ‫ ברך‬erscheint einerseits in der bārûk-Formel völlig erstarrt und ohne Hinweis auf unrecorded prayers; andererseits in 2Chr 20,26 in einer Situation, die eine Lenkung des Lesers zu 1Chr 16 und 1Chr 29 hin nahelegt. Um nun nicht eine Einzelfallprüfung jedes Vorkommens der häufigen Wurzel ‫ ברך‬darstellen zu müssen, können außer der Beschränkung auf die Chronikbücher für die Frage nach den unrecorded prayers alle Belege außen vor bleiben, die bereits unter dem Stichwort bārûk-Formel verhandelt wurden. Außerdem kommen aus der Natur der Sache heraus alle jene Belege nicht in Betracht, die innerhalb von Textabschnitten stehen, die bereits formal als Gebet bestimmt sind, sowie jene, bei denen Gott das Subjekt ist. Die übrigen Stellen in der Chronik lassen sich zu drei Gruppen zusammenfassen: – In 1Chr 16,2; 2Chr 6,3; 30,27 „segnen“ jeweils König oder Priester das Volk. Subjekt und Objekt des „Segens“ sind menschlich. Alle Stellen stehen offensichtlich in einem kultischen Kontext. Die Konstellation „Mensch ‫ ברך‬Mensch“ ist auch für 1Chr 16,43 anzunehmen, wenn „sein Haus“ metonymisch für Davids Familie steht. Zum Ende der Erzählung von der Ladeüberführung „segnet“ David dieses „sein Haus“. Schließlich liegt diese Situation noch in 1Chr 23,13 vor, wo ‫ ברך‬als terminus technicus für die Tätigkeit der Leviten­ „Aaron und Mose“ gebraucht ist. – Möglicherweise steht auch 1Chr 29,20 in kultischem Kontext.655 Nach Davids Dankgebet zu Salomos Krönung in 1Chr 29 fordert David das Volk zum Lobpreis Gottes auf. Der Beleg stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass er einer der vergleichsweise seltenen656 Imperative der Wurzel ‫ ברך‬im Piel ist. – Die wahrscheinlichsten Kandidaten für eine Funktion von ‫ ברך‬als Signalwort für unrecorded prayer und damit als Mittel zur Leserlenkung sind 2Chr 20,26, wo das Volk nach einem militärischen Sieg Gott preist, und 2Chr 31,8, wo Hiskija und die „Oberen“ nach dem Einsammeln des Zehnten ihren Dank aus­ drücken.657 Hier liegt die Konstellation menschliches Subjekt – göttliches Objekt vor.

654 Vgl. Leuenberger, Segen, 9 f. 655 Royar berücksichtigt 1Chr 29,20 nicht als unrecorded prayer. 656 27 Belege für den Imperativ Piel in der Hebräischen Bibel (gezählt mit BibleWorks 9) stehen 233 Belegen für alle Vorkommen der Wurzel in diesem Stamm gegenüber; die zweite Zahl bestätigt Leuenberger, Segen, 5. 657 Vgl. Royar, Denn der Herr, 171.

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14.2.2 Aussagegehalt Die Verse 1Chr 16,2.43 rahmen mit dem „Segen“ als Leitwort das Kapitel 1Chr 16 ein.658 Zur Funktion von 1Chr 16,8–36 als feierlichem Abschluss der Erzählung von der Überführung der Lade nach Jerusalem ist beim Dankgebet zur Ladeüberführung schon das meiste gesagt worden.659 In der Zusammenschau mit der Erkenntnis, dass 1Chr 16,2.43 genau die Verse sind, die aus 2Sam 6,17–20 übernommen sind und zwischen die die Chronik „ihren“ Abschluss der Erzählung schiebt,660 lässt sich formulieren, dass das ganze Kapitel 1Chr 16 als Schluss gelesen werden kann661 und ein „Segen“ ist. 1Chr 16,43 bedarf noch gesonderter Aufmerksamkeit, insofern die Konstruktion aus Präposition und Infinitiv Piel für die Chronik singulär ist. Außerdem ist weder der umgebende Text als wörtliche Rede gekennzeichnet, noch scheint an ein bestimmtes Ritual oder einen formulierten Wunsch gedacht; tatsächlich geben einige deutsche Übersetzungen ‫ברך‬ hier im Sinne von „grüßen“ wieder (Einheitsübersetzung, revidierte Elberfelder Bibel). Es drängt sich aber eine inhaltliche Verbindung zum folgenden Kapitel auf, da das Stichwort ‫ בית‬beinahe sofort in 1Chr 17,4 wieder aufgenommen wird: Der Segen Davids für „sein Haus“ ist eine Vorwegnahme der „Natan-Verheißung“.662 In 1Chr 16,43 könnte dabei durchaus ein Fall von unrecorded prayer im Sinne der Definition vorliegen, denn schon in 2Sam 7,29 (‖1Chr 17,27) wird Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ mit dem Stichwort „Segen“ markant abgeschlossen. 2Sam 7 könnte Hypotext für 1Chr 16,43 sein und damit ein Indiz dafür, dass die Chronik Sam/Kön nicht ersetzen will. In 1Chr 16,2 weist die Konstellation „König segnet Volk“ auf die verwandte Situation „Priester segnet Volk“ hin. Ebenfalls ein König, der das Volk segnet, findet sich in 2Chr 6,3. Klein bestimmt die Situation in 2Chr 6,3 als Parallele zu 1Chr 16,43 (und, nach dem zuvor Gesagten, auch zu 1Chr 16,2): Während in 1Chr 16 der Weg der Lade nach Jerusalem zum Ende kommt, gelangt in 2Chr 5–7 (und besonders in 6) ihr Weg in den Tempel zum Ende.663 Es gibt also eine mehrfache Verbindung zwischen den ‫ברך‬-Belegen in 1Chr 16,2 und 2Chr 6,3. Für 2Chr 6,3 stellt Klein außerdem ausdrücklich fest, dass der Text des Segens nicht gegeben, die Wahrscheinlichkeit, dass es einen gab, aber hoch ist.664 658 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 369. 659 Zur Funktion dieses Gebets siehe Abschnitt Nr. 3.3. 660 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 32 f; Japhet, 1 Chronik, 309 f. 661 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. 662 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 370. 663 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 88. Kleins Auffassung hat den kleinen Schönheitsfehler, dass 2Chr  6,3–4a Einleitung zur Rede Salomos an das Volk sind und nicht an sein „Haus“, vgl. Japhet, 2 Chronik, 79; die Parallele besteht also eher zu 1Chr 16,2 als zu Vers 43. Wenn aber 1Chr 16 eine Einheit bildet, spielt diese Differenz in der Interpretation von 2Chr 6,4 keine Rolle. 664 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 88.

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Diese Wahrscheinlichkeit ist für 2Chr 30,27, wo es die Priester sind, die segnen, sogar noch höher.665 Gleich zwei Texte drängen sich für diesen Hypertext als mögliche Hypotexte auf: Japhet schlägt den Priestersegen Num 6,23–27 vor.666 Williamson unterstreicht die Verbindung zu Salomos Bittgebet zur Tempelweihe: „However, the final part of the verse reminds the reader very much of the repeated requests in Solomon’s prayer of dedication (e.g. 2Chr 6:21, etc.), so that the general well-being of the nation will be primarily in view.“667 Die Konstellationen „König segnet Volk“ und „Priester segnet Volk“ sind außerdem „artverwandt“: Klein geht davon aus, dass die Aufgabe des Segnens „zur Zeit der Monarchie“ regelmäßig auf den König überging.668 Entsprechend ist es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass der „Priestersegen“ und das Leitgebet der Chronikbücher für 1Chr 16,2 und 2Chr 6,3; 30,27 als Hypotexte bedeutsam sind.669 Die „Macht“ dieser Hypotexte erscheint so groß, dass sie auch in 1Chr 23,13 zum Tragen kommen können: Sie illustrieren dann das Handeln des Leviten Aaron. Alle diese Belege indizieren also unrecorded prayers. Mit 1Chr 29,20 ändert sich das Objekt des „Segens“; es geht nunmehr, mit Gott als „Ziel“, inhaltlich eher um Dank. Sara Japhet hält in ihrem Kommentar fest, dass das Kapitel festen liturgischen Formen folgt. Entsprechend könnte für solch ein Gotteslob oder einen Dank eine feste (liturgische) Form existiert haben. Allerdings weist sie – zu Recht – darauf hin, dass die Textgrundlage für einen Nachweis kultischer Etablierung bestimmter Textformen oder -formeln nicht ausreicht.670 Die Annahme der Existenz bestimmter Formulare wird aber durch die Ähnlichkeiten in der Verwendung von ‫ ברך‬mit den übrigen Belegen in den Chronikbüchern unterstützt. Klein geht noch einen kleinen Schritt weiter und vermutet, dass die bārûk-Formel (Teil des) Inhalt(s) des Lobpreises des Volkes sein könnte.671 Diese Formel könnte auch in 2Chr 20,26 ein möglicher Inhalt sein. Wahrscheinlichstes Subjekt des Satzes sind „Joschafat und sein Volk“ aus Vers 25. Dies schließt den König als Handelnden beim Lob mit ein. Die Ausgestaltung der „Siegesfeier“ Joschafats gleicht in vielen Punkten der Schilderung der Überführung der Lade nach Jerusalem (1Chr 15–16)672 – was diesen Text zu einem möglichen Hypotext macht (wobei noch weitere Verbindungen zwischen diesen 665 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 441. Es fällt auf, dass Stefan Royar diesen Beleg nicht zu den unrecorded prayers zu zählen scheint, obwohl sogar seine zusätzliche Bedingung der Existenz einer Erhörungsnotiz gegeben ist. Royar formuliert diese Definition in Royar, Denn der Herr, 168. 666 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 402. 667 Williamson, Chronicles, 372. 668 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 441. 669 Den Zusammenhang zwischen 2Chr 6 und 2Chr 30,27 bestätigt Japhet, Ideology, 82 f. 670 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 458. 671 Vgl. Klein, 1 Chronicles, 540. 672 Vgl. Williamson, Chronicles, 300.

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Erzählungen bestehen, wie die Untersuchung des Schlüsselworts ‫ הלל‬Piel gleich im Anschluss zeigen wird). 1Chr 29,20 wiederum hat noch eine klare Parallele in 2Chr 31,8. Das Thema ist in beiden Fällen die „Fülle“, und der Segen Hiskijas entspricht dem Tun Davids (und Salomos in 2Chr 6).673

14.2.3 Funktion Bis auf 2Chr 6,3 fällt an allen Belegstellen auf, dass sie zu Erzählungen vom Abschluss eines Geschehens gehören. In einigen Fällen ist es sogar möglich, die Wurzel mit „danken“ zu übersetzen, etwa in 1Chr 29,20 „Und David sagte zur ganzen Gemeinde: ‚Dankt JHWH, eurem Gott!‘ Und die ganze Gemeinde dankte JHWH, dem Gott ihrer Väter,…“; 2Chr 20,26 „Und am vierten Tag sammelten sie sich im Tal Beracha. Denn dort dankten sie dem HERRN“ (Elberfelder Bibel); 2Chr 31,8 „Hiskija und die Oberen kamen und sahen die Haufen. Sie dank­ ten JHWH und seinem Volk Israel.“ Besonders interessant ist das in 1Chr 29,20, wo die Imperativ-Form verwendet wird. Ähnlich wie in 1Chr 16,8–36 mit 1Chr 16,4.41 wird hier durch eine Stichwortverbindung eine Verbindung zwischen Kontext und Gebet erzeugt. Anders als in 1Chr 16 steht der Imperativ hier aber nicht im Gebet, sondern außerhalb. Die Untersuchung von 1Chr 29,10–19 deutete bereits darauf hin, dass die abschließende Aufforderung sich über die Textwelt hinaus auch an einen idealen Leser richtet und ihn einbezieht. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich bei den verhandelten Belegen von ‫ברך‬ tatsächlich um Signale für unrecorded prayers handelt. ‫ ברך‬ist in sich stets an Gott gerichtet, auch wenn der Kontext formal einen anderen Adressaten hat. Zugleich werfen die Belege, an denen klar ein kultischer Kontext erkennbar ist, die Frage auf, wie sehr der „Segen“ als kultisches Element bereits erstarrt ist. Sarah Japhet geht zumindest für 1Chr 16,43; 29,20 von einem festen liturgischen Ablauf aus.674 Dann lassen sich umgekehrt die Stellen, an denen der Kontext textweltlich „profan“ ist, als Hinweise auf kultische Zusammenhänge verstehen, als Signale für rituelle Kontexte. Den theologischen Hintergrund dazu liefert das Stichwort „Dank“, denn es sind gerade die klar kultisch konnotierten Belege, an denen eine entsprechende Übersetzung sinnvoll möglich wäre. Andererseits bleibt eine gewisse Unbestimmtheit zwischen „preisen“ und „danken“ für alle Belege bestehen. Das deutet darauf hin, dass für die Chronik die theologische Bestimmung des „Segens“, wie Scharbert sie vorgenommen hat, Grundlage ist. Dies drückt sich auch in 1Chr 29,20 aus – und, wie im Zusammenhang mit der bārûk-Formel schon gesagt – zugleich im ersten Gebet der Chronikbücher überhaupt, 1Chr 4,10: Ausgangspunkt allen „Segens“ und entsprechend einzig mögliches Zielobjekt 673 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 450. 674 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 458

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des Dankes für erhaltene Gaben oder Wohlergehen ist Gott. ‫ ברך‬als Signalwort für unrecorded prayers trägt diese Grundüberzeugung überall ein, wo es entsprechend verwendet wird. Für 2Chr 31,8 bestätigt Gerhard Wehmeier, dass es um eine „verkürzende Ausdrucksweise“ geht, die JHWH als Segensquelle einerseits und Israel als von diesem Segen erfüllt andererseits sieht. Für die übrigen Signale für unrecorded prayers gilt dies entsprechend.675

14.3 ‫ הלל‬Piel 14.3.1 Vorkommen Die Chronikbücher sind neben den Psalmen jener Teil der Hebräischen Bibel, in denen die Wurzel ‫ הלל‬mit 21 Fundstellen676 am häufigsten belegt ist. In der Sache der unrecorded prayers scheiden allerdings die meisten Belege aus verschiedenen Gründen aus: – Sie sind bereits Teil eines niedergeschriebenen Gebets: 1Chr 16,10.25.36; 29,13. – Die Hinwendung zu Gott, also das Gebet, ist für den Fortgang der Geschichte nicht entscheidend. Anders gesagt, die „Weglassprobe“ ist in jedem Fall negativ; die narrative Linie braucht kein Gebet. Durch einen eventuell zu ergänzenden Text würde sich nichts ändern. Dazu zählen fast alle Belege, an denen ‫ הלל‬als terminus technicus für das (musikalische) Gotteslob als einer der Aufgaben der Leviten gebraucht wird: 1Chr 16,4; 23,5.30; 25,3; 2Chr 8,14; 31,2.677 Diese Belege erfüllen aber, analog zu ‫ ברך‬in 1Chr 23,13, die Kriterien für „implizite Gebete“.678 Die Belege 2Chr 23,13; 30,21 bedürfen einer näheren Prüfung, denn es geht zwar um die Tätigkeit der Leviten, doch ist diese nicht das Thema der jeweiligen Erzählung. – Es ist ein Gebetstext in Gestalt der Abbreviatur gegeben: 2Chr 5,13; 7,6; 20,21. – JHWH ist nicht Objekt des Lobes: 2Chr 23,12. Es bleiben 2Chr  20,19; 23,13; der Doppelbeleg 2Chr 29,30 und 2Chr 30,21 als mögliche Kandidaten übrig.

675 Vgl. Wehmeier, Segen, 161 f. 676 Vgl. Mathys, Dichter, 208, Fußnote 23. 677 Vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch, 85. In diesem Zusammenhang, den Tätigkeiten der Leviten, weist Kleinig, Song, 66 auf die relative Austauschbarkeit von ‫ הלל‬und ‫ ידה‬hin. Diese Austauschbarkeit gilt nicht für die Funktion als Signalwort für unrecorded prayers: Die Chronik gebraucht ‫ ידה‬nicht in dieser Funktion. Zur Verwandtschaft dieser Wurzeln siehe auch oben Fußnote Nr. 345 in diesem Kapitel. 678 Siehe Abschnitt Nr. 15.1.

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14.3.2 Funktion Am deutlichsten wird die Pragmatik von ‫ הלל‬als Signalwort für ein unrecorded prayer in 2Chr 29,30. Es ist einer der Fälle, die Stefan Royar nicht zu den un­ recorded prayers zählt. Der Vers lautet in Übersetzung „Und König Hiskija und die Oberen sagten zu den Leviten, sie sollten JHWH loben mit den Worten Davids und Asafs, des Sehers. Und sie lobten Gott in Freude und verneigten sich und warfen sich nieder.“ Der Name Asafs tritt bereits in 1Chr 6,24; 15,17.19; 16,5 in Erscheinung. Asaf wird in 1Chr 16,4 zwar nicht „Seher“ genannt, aber der Auftrag, den David nach der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem erteilt, richtet sich 1Chr 16,5 zufolge zuerst an Asaf. Außerdem fällt in 1Chr 16,4 auch das Stichwort ‫( הלל‬Piel), neben ‫ זכר‬und ‫ ידה‬je im Hifil. Beide Fälle sind solche, an denen ein König die Leviten anweist, JHWH zu loben. ‫ הלל‬und ‫ ידה‬changieren an diesen Stellen zwischen termini technici für (kultisches) Gotteslob und Signalen für unrecorded prayers. 2Chr 29 wiederholt darüber hinaus ausdrücklich den Namen Davids. Die Verbindung zwischen 2Chr 29,30 und 1Chr 16,8–36 ist so deutlich, dass sie einen Leser beinahe zwingt, 1Chr 16 „mitschwingen“ zu lassen. Damit ist eine intertextuelle Beziehung zwischen 1Chr 16 und 2Chr 29 etabliert. Unterdessen fällt die die „Weglassprobe“ im Sinne der von Tobias Nicklas formulierten Leitfragen679 für ein unrecorded prayer in 2Chr 29,30 zunächst negativ aus: Weder muss der Modell-Leser spezifische Informationen aus Hypotexten zwingend ergänzen, um der Erzählung folgen zu können, noch ändert sich auf den ersten Blick der Sinn der Geschichte, würde der Leser kein Gebet ergänzen. Der „Lobgesang“ erscheint erst einmal als Zusatz zu dem Opfer, das in der vorausgehenden Passage 2Chr 29,20–29 beschrieben wird. Auf den zweiten Blick allerdings trägt die ausdrückliche Erwähnung der „Worte Davids und Asafs“ entscheidend zu dem bei, was Tobias Nicklas „Szenographie“680 nennt. 1Chr 16 schließt die Erzählung der Überführung der Lade nach Jerusalem ab; nach der Beschreibung in 1Chr 15–16 eine äußerst aufwändige und feierliche Angelegenheit (1Chr 15,25–29, besonders 28). In 2Chr 29 beschließen die beschriebenen Feierlichkeiten Hiskijas Kult-Restauration.681 Offensichtlich kann ein Modell-Leser sich diese ähnlich feierlich vorstellen (vgl. auch 2Chr 29,26–27). Die Parallelisierung kennzeichnet Hiskijas Handeln als „Wiederholung“ der Bestimmungen Davids oder als „Wiederherstellung“ des idealisierten Zustands zu Davids Zeit.682 Mit der „Szenographie“ kultischer Feierlichkeiten kommen aber auch die übrigen Sinnebenen aus 1Chr 16 zum Tragen, insbesondere der imperativische Charakter. Dadurch wandelt sich die 679 Siehe Kapitel 1, Abschnitt 3.1. 680 Nicklas, Leitfragen, 56 ff. 681 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. 682 Vgl. Bae, Vereinte Suche, 156; 161.

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2Chr 29,31 gegebene Aufforderung Hiskijas zum Gottesdienst in eine Aufforderung an jeden, auch einen Leser, sich dem Gottesdienst und –lob anzuschließen. Die Geschichte Hiskijas erhält eine zusätzliche paränetische Dimension, wird zum Exempel für das, was „gut und richtig in den Augen JHWHs“ (2Chr 14,1) ist, nicht nur zu Hiskijas Zeit, sondern auch darüber hinaus. Zur „Szenographie“ tragen auch die Belege in 2Chr 23,13; 30,21 bei. Da hier das Lob als spezifische Aufgabe der Leviten (und Priester) beschrieben wird, ist der paränetische Impetus nicht so stark wie andernorts. Aber in 2Chr 23,13 steht das Gotteslob in augenfälligem Kontrast zum Verhalten Ataljas, die sich vollkommen „unvorbildlich“ verhält, und in 30,21 wird Hiskijas Feier noch ein bisschen prächtiger und einladender. In beiden Fällen ist es durchaus denkbar, dass ein Leser gleichsam beginnt, die ihm zu solchen Anlässen bekannten Texte aufzusagen, beispielsweise einen Psalm zu „murmeln“ (vgl. ‫ הגה‬in Ps 1,2) – also Hypotexte einzuspielen, die in seiner Phantasie die Szenerie plastisch werden lassen. In ähnlicher Weise wie 1Chr 29,30 funktionieren die beiden unrecorded prayers in 2Chr 20. Das erste Gebet ist 2Chr 20,19, angezeigt wiederum durch ‫ הלל‬Piel. Subjekt sind erneut die Leviten, wie nach 1Chr 16,4 in 16,8–36. Dadurch ist eine Verbindung zwischen 2Chr 20,19 und 1Chr 16 noch sichtbar, wenn auch nicht mehr so deutlich wie in 2Chr 29,30. Indes zeigt sich zusätzlich ein strukturelles Erzählmuster, dessen Grundzüge Japhet beschreibt. Mit Royars Beobachtung bezüglich der „Erfüllung“683 von unrecorded prayers kann dieses Muster im Rückschluss um einen Schritt ergänzt werden: – Göttliche Initiative; – Suche nach oder Frage an JHWH (also ein Gebet – das ist die Ergänzung); – göttliche Hilfe; – erfolgreicher Abschluss der Handlung oder des Unternehmens – Gotteslob.684 In Verbindung mit dem zweiten unrecorded prayer 2Chr 20,26 (mit ‫ ברך‬Piel685) geht dieses Muster in 2Chr 20 auf. 2Chr 20,26 entspricht in der vorgeschlagenen Erzählsequenz dem Gotteslob. Die unrecorded prayers, die Abbreviatur 2Chr 20,21, Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon mitsamt der prophetischen Antwort zusammengenommen ergeben folgendes Bild: ­Joschafat und sein Volk müssen gegen Moab und Ammon antreten. Ein Grund für den Angriff wird in 2Chr 20,1 nicht genannt; dass er auf „göttliche Initiative“ zurückgeht, ist ein Rückschluss aus dem sonst in der Chronik beobachteten Zu 683 Vgl. Royar, Denn der Herr, 168. 684 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. 685 Die Belege von ‫ ברך‬und ihre Beziehungen untereinander untersucht der Abschnitt Nr. 14.2.

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sammenhang von Krieg als Strafe für Abweichung von JHWHs Weg.686 Joschafat „befragt“ Gott (2Chr 20,6–12 – im Kern ein Bittgebet), erhält durch Jahasiël eine prophetische Antwort (15–17) und lässt „Sänger“ das Gotteslob anstimmen (19.21, der erste Hinweis auf ein unrecorded prayer und die Abbreviatur; Suche nach und Frage an Gott). Daraufhin wendet sich das Los Israels (22; göttliche Hilfe) und der Feldzug ist, ganz ohne Joschafats und seiner Leute Zutun, erfolgreich (22–25; erfolgreicher Abschluss). Das Gotteslob im ‫ ברכה עמק‬beschließt die Geschichte (26, zweites unrecorded prayer). Im Übrigen gehört zu diesem Lobpreis eine musikalische Rahmung: „Sie kamen nach Jerusalem, mit Harfen und Leiern und Trompeten, zum Haus JHWHs“ (2Chr 20,28), bei der nicht ganz klar ist, wer alles in diese Begleitung einstimmt.687 Die Bundeslade erreichte Jerusalem mit vergleichbarer Begleitung (1Chr 15,28). Frank Crüsemann beobachtete eine Verbindung zwischen den Versen 2Chr 20,19.21.26. Durch sie wird das Motiv des „Dankens“ in die Erzählung fest eingewoben, was die Darstellung eines „JHWH-Krieges“ in 2Chr 20 von anderen Vorkommen dieses Topos unterscheidet.688 Zudem ist die Verbindung zu 1Chr 16; 29 einmal mehr möglich, gar wahrscheinlich – wenn auch nicht notwendig. Auch mögen die Psalmen wiederum in der Szenographie, dem „KopfKino“ des Modell-Lesers, die Filmmusik liefern. Dennoch erhält 2Chr 20,1–30 durch die intertextuellen Verbindungen Sinnpotentiale, die ohne die Hypotexte nicht gegeben wären: Insbesondere die Abbreviatur holt den Leser mit in die Geschichte Joschafats. Die zwei unrecorded prayers verstärken den Effekt; der Leser wird regelmäßig an dieselben Themenkreise erinnert. Die Parallelen eines Königs, der Gotteslob anordnet, die Nähe im Ausdruck und der gemeinsame Trend, die Erzählebene zu verlassen, verbinden sich zum Eindruck, dass 2Chr 20 die verkündigende Kraft von 1Chr 16 ebenfalls teilt. Beide Geschichten haben einen exemplarischen Charakter, versuchen, den Leser mit in die Geschichte zu holen und fordern ihn auf, sich der Verehrung JHWHs anzuschließen.

14.4 ‫זעק‬/‫ צעק‬Qal 14.4.1 Vorkommen Die Wurzel kommt mit ihren beiden Schreibweisen ‫ זעק‬und ‫ צעק‬fünf Mal in den Chronikbüchern vor. Da 2Chr 20,9 Teil von Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon ist, bleiben als Kandidaten für unrecorded prayer-Signale vier Stellen übrig: 686 Dieser Zusammenhang wird besonders deutlich bei Rehabeam in 2Chr  12; siehe die Ausführungen zur Abbreviatur „gerecht ist JHWH“ in Abschnitt Nr. 13.3. 687 Vgl. Mathys, Prophetie, 283. 688 Vgl. Crüsemann, Formgeschichte, 205, Fußnote 1.

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– In 1Chr 5,20 sind „die Söhne Ruben und die Gaditer und der halbe Stamm Manasse“ in einen Kampf (‫ )מלחמה‬mit „Hagaritern“ verwickelt, den sie gewinnen, weil sie „zu Gott schreien“ (‫)כי לאלהים זעקו‬. – 2Chr 13,14 gehört zu den Auseinandersetzungen zwischen Juda und Israel nach der Reichsteilung. König Abija gerät mit seinen Truppen in einen Hinterhalt Israels, worauf Juda „zu JHWH schreit“ (‫)ויצעקו ליהוה‬. In der Folge greift Gott in die Auseinandersetzung ein und besiegt an Stelle Judas das israelitische Heer. – In 2Chr 18,31 ist der Sachverhalt ein wenig komplexer. Es ist Joschafat, der „schreit“. Es fehlt aber die Angabe, dass er sich an JHWH wendet. Das wird erst dadurch klar, dass dieser antwortet, in dem er Joschafat zu Hilfe kommt (‫ויזעק יהושפט ויהוה עזרו‬, „Joschafat schrie, und JHWH half ihm“). – In 2Chr 32,20 wenden sich Hiskija und „sein“ Prophet Jesaja an „den Himmel“ (‫)ויזעקו השמים‬, als Sanherib Juda bedrängt und die Stadt Lachisch belagert. Die „Gebetssituation“ ist in allen Fällen eindeutig, ein Gebetstext aber nirgendwo gegeben.

14.4.2 Funktion Die Belegstellen weisen noch mehr Gemeinsamkeiten auf, als dass sie Gebetssituationen sind: – Zum einen stehen mit ‫זעק‬/‫ צעק‬bezeichnete unrecorded prayers immer im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Diese Beobachtung machte bereits Royar.689 – Zum zweiten bringen die Anrufungen Gottes stets die Wende in der Auseinandersetzung. Diese Feststellung beinhaltet zwei Beobachtungen: Die unrecor­ ded prayers treten im Erzählverlauf immer genau an der Stelle auf, in dem sich das Geschick wendet, – und sie sind alle als Gebete „erfolgreich“: Es wird berichtet, dass Gott in der Folge handelt, also „antwortet“; ebenfalls eine Beobachtung von Royar.690 – Allen Kriegen, um die es geht, ist schließlich gemeinsam, dass sie nicht unmittelbar als „heilige Kriege“ erkennbar sind. In den beiden Kriegsgeschichten der Chronik, die ein ausformuliertes Gebet enthalten, ist das anders: Joschafats Verteidigung gegen Moab und Ammon (2Chr 20) und Asas Einsatz gegen Kusch (2Chr 14) bieten Merkmale, die sie mindestens als „gottgefällig“ ausweisen, etwa Joschafats Hinwendung (‫ )דרש‬zu Gott (2Chr 20,3) oder die Aussage, dass Asa vor Gottes Augen bestand (2Chr 14,1). 689 Vgl. Royar, Denn der Herr, 171. 690 Vgl. Royar, Denn der Herr, 171.

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Wenn nun die unrecorded prayers mit ‫זעק‬/‫ צעק‬die „Wende im Kampf “ herbeiführen, heißt das zunächst, dass sie aus dem Erzählverlauf nicht einfach ausfallen können. Für den Nachweis, dass sie vom Leser verlangen, sich ein ausformuliertes Gebet hinzuzudenken, ist die Untersuchung der Argumentation interessant, die zum Eingreifen JHWHs führt. Diese wird besonders in 2Chr 32,20 deutlich; bei Hiskija und Jesaja. Die beiden reagieren mit ihrem „Schrei“ auf die Drohgebärden Sanheribs, des Königs von Assur. Dessen „Angriff “ gilt vor allem dem Glauben Judas an JHWH: Die Aussagen Sanheribs sind in Summe so gehalten, dass Sanherib als „Schurke“ erscheint, der JHWH verspottet; bis hin zur Behauptung, dass JHWH „Menschenwerk“ sei. In 2Chr 32,19 heißt es: „Und sie redeten über den Gott Jerusalems wie über die Götter der Völker der Erde: ‚Tat von Menschenhand!‘“ (‫)וידברו אל אלהי ירושלם כעל אלהי עמי הארץ מעשה ידי האדם‬.691 – Das Argument, das von hier aus zum Eingreifen JHWHs führt, ist dasselbe wie in Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch: JHWH selbst, sein Name, sein Ruf sind in Gefahr. Diese Interpretation wird gestützt durch den Umstand, dass es sich bei 2Chr 32,20 um einen Fall handelt, in dem die parallele Überlieferung in Samuel/ Könige ein Gebet anführt, das die Chronik nicht übernimmt (2Kön 19,14–19).692 Dort kommt das Argument vor, dass Sanherib „den lebendigen Gott verhöhnt“, ‫( לחרף אלהים חי‬2Kön 19,16‖Jes 37,17). Zusätzlich wird den Göttern der ‫ גוים‬das Gottsein abgesprochen (2Kön 19,18‖Jes 37,19). In 2Chr 32,20 wird außerdem noch besonders betont, dass Hiskijas und Jesajas „Schreien“ eigentlich ein „Beten“ ist, in dem zu ‫ זעק‬als Signalwort noch ‫ פלל‬Hitpael „beten“ als zweites Signal dazukommt. Von einem Angriff auf JHWH ist in den drei anderen Fällen, an denen die Chronik ‫ צעק‬verwendet, zunächst nicht die Rede. Im Gegenteil: 1Chr 5,19 (vor 1Chr 5,20) gibt keine Ursache für den Krieg Rubens, Gads und des halben Stammes Manasse mit den „Hagaritern“ an. Dass die Kampfhandlungen „von Gott“ sind, wird erst nachgestellt in Vers 22 mitgeteilt. Es bleibt offen, wer den Krieg begonnen hat – die Stämme Israels oder die Gegner. In 2Chr 13 (darin: 2Chr 13,14) gerät Juda zwar in Bedrängnis – aber nicht durch Feinde „aus dem Ausland“, sondern durch das eigene Brudervolk Israel. Joschafat in 2Chr 18 (vgl. Vers 31) gerät nur deswegen überhaupt in Not, weil er sich von Israels König Ahab zu einem Feldzug hat überreden lassen, der zuvor von einem Propheten – Micha ben Jimla – ausdrücklich nicht gutgeheißen wurde (2Chr 18,16–18). Juda und Israel treten als Aggressoren auf. Der Angriff, aus dem Gott Joschafat von Juda rettet, galt eigentlich Ahab von Israel (2Chr 18,30–31). Es ist ein Zeichen für die Existenz der Idee der „Umkehr“, dass das Gebet in jenem Teil der Joschafat 691 Vgl. Ben Zvi, Foreign Monarch, 220 f; „Schurke“ englisch „villain“. 692 Vgl.  Klein, 2 Chronicles, 465. Ferner gibt es eine dritte Parallele bei Jesaja: 2Kön  19, 14–19‖Jes 37,14–20.

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Erzählung vorkommt, in dem von der Untreue dieses Königs gegenüber Gott die Rede ist.693 Gott hilft seinem Volk und dessen Vertretern dennoch. Zum einen unterscheidet bereits die bloße Tatsache, dass sie sich an JHWH wenden, die Figuren von ihren jeweiligen Gegnern. (Das gilt auch, wenn es sich dabei um Israel und dessen König Jerobeam handelt, 2Chr 13.) Zum anderen spielt das Signalwort ‫ צעק‬über die Geschichte Hiskijas, deren Parallelen in 2Kön und Jes und die paradigmatische Geschichte von Asas Kampf gegen Serach den Gedanken ein, dass in dem Augenblick, da sich ein kämpfender Israelit auf JHWH beruft, das Selbst JHWHs in Gefahr gerät und verteidigt werden muss. Ein Leser muss dieses Argument kennen, um den Handlungsverlauf der Kampferzählungen zu verstehen; er muss sich vorstellen, dass das Gebet an dieser Stelle ein Bekenntnis zu JHWH enthält, wie es in den Parallelen in 2Kön und Jes gegeben ist.

14.5 ‫ פלל‬Hitpael und die Nomen ‫ תפלה‬und ‫תחנה‬ 14.5.1 Vorkommen Mit der Wurzel ‫ פלל‬Hitpael werden zunächst ausformulierte Gebete eingeleitet; innerhalb der Chronik beispielsweise Hiskijas Bittgebet für die Teilnehmer an seinem Pessachmahl (vgl. 2Chr 30,18). Die Wurzel wird daher, wo immer sie ohne nachfolgend angegebenen Redeinhalt verwendet wird, von ihrer Bedeutung her schon automatisch zu einem Indikator für ein „unrecorded“ prayer – denn sie bezeichnet dann ja den Vorgang des Betens, auch wenn kein Text geliefert wird. Insofern ist ‫ פלל‬das einfachste Beispiel für ein Signalwort für unrecorded ­prayers.694 Auf diese Weise verwendet, tritt die Wurzel drei Mal in der Chronik auf, davon zwei Mal in der Hiskija-Geschichte (2Chr 32,20.24) und einmal in der Geschichte des Königs Manasse (2Chr 33,13). Nur in 2Chr 32,24 steht ‫ פלל‬als Signalwort allein; in 32,20 ist es mit ‫ זעק‬Qal „schreien“, in 33,13 mit ‫ חלה‬Piel, das vielleicht „flehen“ heißen könnte, und ‫ כנע‬Nifal „sich demütigen“ verbunden. Für ‫ תפלה‬als Ableitung aus der Wurzel ‫ פלל‬gibt es Belege in denselben Kontexten: 2Chr 6–7 (mehrfach); 2Chr 30,27 bei Hiskija und 2Chr 33,18–19 bei Manasse. In 2Chr 33,13 wird ‫ תחנה‬verwendet, das eine ähnliche Bedeutung haben dürfte.

14.5.2 Funktion An allen drei Belegstellen für ‫ פלל‬ohne nachfolgendes Gebet fällt auf, dass es a) stets ein König ist, der betet, und b) der Umstand, dass der betroffene König betet, eine Wende im Gang der Geschichte herbeiführt – und zwar c) eine posi 693 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 99. 694 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172.

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tive. In 2Chr 32,20 geht es um die Abwendung des Angriffs Sanheribs auf Juda und Jerusalem unter Hiskija. Der König und mit ihm der Prophet Jesaja beten. JHWH sendet daraufhin einen Boten, der die Führung der Assyrer tötet; Sanherib muss fliehen (vgl. Vers 21). In 2Chr 32,24 erhält Hiskija auf sein Beten hin ein Zeichen (‫ )מופת‬von JHWH.695 Manasse erreicht mit seinem Beten in 2Chr 33,13 seine Rückkehr aus dem assyrischen Exil. Wie bei der Untersuchung der Wurzel ‫זעק‬/‫ צעק‬gezeigt, bietet die Parallele zur Hiskija-Erzählung in 2 Könige ausgeführte Gebete als Hypotexte an: 2Chr 32,20 verkürzt 2Kön 19,14–19‖Jes 37,14–20; Vers 24 verkürzt stark mindestens 2Kön 20,1–3‖Jes 38,1–3.696 Offensichtlich kann der Hinweis auf das Gebet im Gang der Geschichte nicht ausfallen, denn sonst bliebe offen, warum Gott in das Geschehen zwischen Sanherib und Hiskija eingreift oder Hiskija in seiner Krankheit trotz Hochmuts ein Zeichen von JHWH erhält.697 In 2Chr 32,20 ergänzt der Hypotext darüber hinaus einen wichtigen Gedanken zum Verständnis der Geschichte im Sinne der Chronik aus der Parallele: 2Chr 32,20 für sich genommen könnte als Beispiel dafür missverstanden werden, dass sich JHWHs Hilfe durch Gebet erzwingen lässt. Das Gebet aus 2Kön bringt dagegen das Argument ein, dass JHWHs „Ansehen“ in Gefahr ist, Gott also gewissermaßen in Selbstverteidigung handeln muss.698 Andererseits bedeutet 2Kön  20,3, in 2Chr  32,24 eingefügt, dem ersten Anschein nach einen überdeutlich scharfen Kontrast zwischen dem Wohlverhalten Hiskijas, seinen schön gesetzten Worten und seinem folgenden „Hochmut“;699 dennoch ist dieses Gebet zunächst erfolgreich: Hiskija erhält ein „Zeichen“ (‫)מופת‬.700 Daraufhin erleidet er aber, was sein Verhalten gegenüber JHWH angeht, gleichsam einen Rückfall; er wird „hochmütig“ (‫גבה לבו‬, 2Chr  32,25). Er wird nicht erneut krank, sondern zieht den Zorn (‫ )קצף‬Gottes auf sich. Hiskija reagiert auf den Zorn, in dem er sich „demütigt“ (Vers 26). So kann er diesen Zorn wiederum abwenden. Im Ganzen gibt es daher den beschriebenen Kontrast nicht, vielmehr entsteht ein Wechselspiel zwischen Hiskija und Gott, das ganz

695 Es spielt keine Rolle, dass Hiskija sich gleich darauf von JHWH wieder abwendet; dazu unten in diesem Abschnitt mehr. 696 Vgl. Steins, Abschlußphänomen, 112, der in 2Chr 32,24 die Paralelle 2Kön 20,1–11 wiedergegeben sieht; Kalimi, Reshaping History, 205 f. 697 Vgl. Williamson, Chronicles, 386. 698 Siehe ausführlich die Untersuchungen der Gebete Asas (Abschnitt Nr. 9) und Joschafats (Abschnitt Nr. 10). 699 Einheitsübersetzung, revidierte Elberfelder Bibel und Zürcher Bibel sind sich darin einig, die Wurzel ‫ גבה‬in 2Chr 32,25 mit „hochmütig sein“ wiederzugeben. 700 Williamson, Chronicles, 386, geht davon aus, dass das Schlagwort „Zeichen“ eine weitere Verbindung zur Geschichte in 2Kön 20 schafft. Dort wird der Inhalt dieses Zeichens berichtet: Der „Schatten“ läuft „rückwärts“. Andererseits wird jeweils ein anderer Begriff für „Zeichen“ verwendet, vgl. Klein, 2 Chronicles, 467.

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der bisherigen Linie der Chronikbücher folgt: Gebet ist Wohlverhalten und von Erfolg gekrönt, Abweichung oder Abkehr von Gott führen zu Strafe. Vergleichbares gilt auch im Fall Manasses in 2Chr 33,13. Hier fällt allerdings die Häufung der Signalworte auf: ‫ חלה‬Piel und ‫ כנע‬Nifal (Vers 12) stehen zusätzlich bei ‫פלל‬. Es scheint, als müsse Manasse „schon sehr bitten“, um Gehör zu finden. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Verwendung von ‫תחנה‬ in 2Chr 33,13. Das „Flehen“ kommt sonst in Chr nur im Tempelweihgebet vor (2Chr 6,19.29.35.39). Möglicherweise erzeugt der „Rückfall“ Hiskijas in 2Chr 32, besonders in Verbindung mit dem Wortlaut des Gebets aus 2Kön, einen ähnlichen verstärkenden Effekt beim Leser. Wenn nun in 2Chr 32 die Gebete nicht wiedergegeben sind, obwohl die Paralleltexte für das Verständnis des Geschehens eigentlich wichtige Zusatzinformationen bereithalten, lässt dies den Schluss zu, dass der exakte Wortlaut der Gebete Hiskijas und Manasses je nicht wichtig ist. Dagegen ist entscheidend, dass Hiskija und Manasse genau das tun, was in 2Chr 6–7 im Rahmen der Tempelweihe durch Salomos Bittgebet zur Tempelweihe festgelegt und gesagt wird. Anders gesagt ist das ‫ פלל‬in 2Chr 32,20.24; 33,13 genau jenes ‫פלל‬, das Salomos Gebet verlangt und die ‫ תחנה‬aus 2Chr 33,13 ist das „Flehen“ aus 2Chr 6,19 etc. Das Tempelweihgebet wird zu einer Art universalem Hypotext. Dazu passt, dass die Chronikbücher ‫ פלל‬vor 2Chr 6 nur ein einziges Mal, namentlich in 1Chr 17, verwenden. Auch sonst ist die Wurzel nur in den Erzählungen von Hiskija und Manasse belegt.701 Anders formuliert, erfüllen Hiskija und Jesaja in 2Chr 32 und Manasse(!) in 2Chr 33 einen Teil von Gottes Vorgabe aus 2Chr 7,14.702 Dass Hiskija und Jesaja nach der Erzählung in 2Chr 32 nicht notwendig zum Tempel gehen, spielt keine Rolle – es scheint sogar eher so, als lenke der Text der Chronik bewusst von dem Umstand ab, dass sie es nicht tun. Umso größer scheint dem Leser die Konformität mit dem Beispiel 2Chr 6–7.703 Die Verwendung von ‫ תפלה‬als Ableitung aus der Wurzel ‫ פלל‬in der Chronik bestätigt dieses Bild. Zunächst einmal gilt auch hier, dass schon aufgrund der Wortbedeutung ein Indikator für unrecorded prayer vorliegt, sofern der Text des Gebets nicht gegeben ist, wie bei 2Chr 30,27; 33,18–19 der Fall. In letzterer Instanz gibt es mit der Oratio Manasse einen interessanten Fall aus der Rezeptionsgeschichte.704 In 2Chr 30,27 steht ‫ תפלה‬in Verbindung mit ‫ ברך‬Piel. Im Zusammenspiel mit dem eindeutig kultischen Kontext dieses Beleges könnte der Hinweis, dass es sich beim levitisch-priesterlichen Segen um ein Gebet handelt, das „bis zum Himmel“ vordringt, den nach dem zuvor Gesagten wenig 701 Noch genauer kommt die Wurzel nur im Kontext der „Natan-Verheißung“ (1Chr 17,25); der Tempelweihe (2Chr 6–7 mehrfach), bei Hiskija (2Chr 30,18; 32,20.24) und Manasse (2Chr 33,13) in den Chronikbüchern vor. Das gilt sogar für die Ableitung ‫ ;תפלה‬siehe dazu unten. 702 Vgl. Williamson, Chronicles, 385; Klein, 2 Chronicles, 466. 703 Vgl. Williamson, Chronicles, 385. 704 Siehe dazu den Exkurs zur Oratio Manasse weiter unten.

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überraschenden Hypotext liefern: 2Chr 6. Dort wird angekündigt, dass JHWH „vom Himmel hören“ wird, wenn jemand auch nur in Richtung auf den Tempel betet (vgl. 2Chr 6,21 und öfter).705

14.6 ‫ שאל‬Qal 14.6.1 Vorkommen Die statistische Auswertung der Verteilung eines Wortes ist für sich allein selten eindeutig genug, um direkt eine Aussage ableiten zu können. Bei der Wurzel ‫שאל‬ scheint jedoch dieser seltene Fall vorzuliegen, denn sowohl in absoluten Zahlen wie im Verhältnis zur Länge des Buches kommt ‫ שאל‬am häufigsten im ersten Buch Samuel vor. Westermann hat es als Thema der Erzählungen um Davids Aufstieg in 1Sam 10–30 identifiziert,706 und nicht zuletzt listet Gesenius den Namen Saul (‫ )שאול‬als Ableitung der Wurzel auf.707 Der Ausdruck charakterisiert Hannas Bitte um Samuels Geburt (1Sam 1,17.20.27; vgl. 1Sam 1,28; 2,20) ebenso wie die Forderung Israels nach einem König (1Sam 8,10). Zugleich ist er termi­ nus technicus für eine Orakelfrage708 (1Sam 10,22 und öfter; vgl. 1Chr 14,10). Zusammengenommen weist all dies auf ein Thema hin, das sich auch für die Chronik schon als zentral erwiesen hat: Die Frage, an wen sich eine „Bitte“ oder „Forderung“ richten kann. Israel will lieber einen König, als sich weiterhin an JHWH zu wenden (1Sam 8). Andererseits ist ‫ שאל‬aber auch ganz allgemeiner Ausdruck für „fragen“ (1Sam 10,4 und öfter).709 Das gleiche Bild gilt zeigen die Chronikbücher. ‫ שאל‬wird spätestens dann zu einem Leitwort, wenn die „Erfolgsnotiz“ zu Jabez’ Bittgebet lautet: „Und Gott gewährte das, was er erbeten hatte“ (1Chr 4,10) und JHWH selbst Salomo auffordert, Gaben von ihm zu „fordern“ (2Chr 1,7). Für die Sache der unrecorded prayers kommt indes nur eine Stelle in Frage: 1Chr 14,14, denn nur dort wird eine Hinwendung zu Gott erkennbar, ohne dass ein Gebetstext angegeben wird. Eine gewisse Bedeutung hat noch der „negative“ Beleg in 1Chr 10,13, wo es von Saul heißt, dass sein Fehlverhalten sich darin äußert, dass er ‫ שאל‬unterlässt.710

705 Vgl. Williamson, Chronicles, 372. 706 Vgl. Westermann, Fragen und Suchen, 171. 707 Vgl. Gesenius, ‫‏ׁשאּול‬ ָ ‎, Gesenius18, 1306; Gesenius, ‫‏ׁשאל‬‎, Gesenius18, 1308. 708 Vgl. Gesenius, ‫‏ׁשאל‬‎, Gesenius18, 1308; Westermann, Fragen und Suchen, 170. 709 Vgl. Westermann, Fragen und Suchen, 169 f. 710 Die übrigen Belege sind entweder Anzeige für ein formuliertes Gebet (1Chr  14,10), Teil  einer Gottesrede (2Chr  1,7.11) oder Beispiel für profane Verwendung (1Chr  18,10; 2Chr 9,12; 11,23).

Unrecorded Prayers

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14.6.2 Funktion Stefan Royar geht davon aus, dass es sich bei 1Chr 14,14 um einen Fall von un­ recorded prayer handeln muss, weil die Situation als Wiederholung von 1Chr 14,10 erscheint. Daraus, dass dort die Frage Salomos und die Antwort JHWHs korrespondieren, schließt er, dass der Inhalt des nicht gegebenen Gebets auch in 1Chr 14,14 der göttlichen Antwort entsprechen muss.711 Es läge auch nahe, den in 1Chr 14,10 gegebenen Inhalt der Frage an JHWH in 1Chr 14,14 mitzudenken. Die als wörtliche Rede gelieferte Antwort Gottes wäre dann die „Erfolgsnotiz“. Andererseits gehören beide Verse zu derselben Erzählung. Es spricht zwar nichts dagegen, dass unrecorded prayers auch innerhalb desselben Textabschnitts funktionieren – allerdings kann es sich dabei auch um eine Art „Ersparung“ handeln, das heißt, der Text verzichtet auf eine Wiederholung; womöglich, um den Leser nicht zu langweilen. Diese Funktion entspräche überhaupt nicht dem, was die Gebete in den Chronikbüchern sonst leisten, sondern eher dem Gegenteil. Nun hat bereits Rudolf Mosis ausführlich dargestellt, dass die Geschichte von den Philisterkriegen an dieser Stelle stark paradigmatische Züge trägt.712 Jenseits der diachronen Schlussfolgerungen stellt er heraus, dass der Bericht über Davids Umgang mit den Philistern im Ganzen demselben Schema folgt wie die Kriegszüge späterer Könige, allen voran Asa und Joschafat, die sich in entsprechender Situation ebenfalls an Gott wenden.713 Zusammen mit der durch das Schlüsselwort ‫ שאל‬geschaffenen Verbindung zur paradigmatischen Saul-Geschichte (1Chr 10, vgl. Vers 13)714 ergibt sich eine doppelte Einbindung der Geschichte Davids und der Philister:715 Sie wird Gegenbeispiel zum Bericht über Saul und Vorbild für die Berichte über die späteren (guten) Könige. Die Einspielung der Hypotexte erfolgt hier vor allem durch eine einfache Stich- oder Schlüsselwortverbindung, also direkt durch die Vokabel ‫שאל‬. Es obliegt letztlich dem tatsächlichen Leser, einen Gebetswortlaut zu ergänzen (etwa aus 1Chr 14,10) oder eben nicht. Notwendig für den Gang der Erzählung ist diese gedankliche „Auffüllung“ nicht. Andererseits gibt es eine den Signalworten für unrecorded prayers ähnliche Funktion: David ist an dieser Stelle das positivparadigmatische Gegenbeispiel zu Saul. Es fehlt aber eine Aufsprengung des zeit 711 Vgl. Royar, Denn der Herr, 173. 712 Vgl. Mosis, Untersuchungen, 59–77. 713 Vgl. Mosis, Untersuchungen, 69 ff. 714 Zum Schlüsselwort vgl. Williamson, Chronicles, 117 ff zu 1Chr 14,10.14; zum paradigmatischen Charakter der Saul-Erzählung in Chr vgl. Mosis, Untersuchungen, 42. 715 Wenn Mosis’ Beobachtung richtig ist, dass die „Philister“ hier nicht mehr das Volk, sondern eine generische Größe der Bedrohung für Israel darstellen (vgl. Mosis, Untersuchungen, 62), klingt mit der Kombination „David und die Philister“ vielleicht auch einmal mehr die Geschichte von David und dem Philister Goliat an, die für die Asa-Geschichte wichtig ist, siehe in Abschnitt Nr. 9.

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lichen Rahmens, der dem Leser eine einfachere Identifikation mit der Geschichte oder den Personen ermöglicht, wie es bei anderen Gebeten der Chronik der Fall ist. Zusätzlich könnte sich die „Gottesbefragung“ zu einem Topos entwickelt haben,716 das der Ergänzung eines Hypotextes nicht mehr bedarf. Die Stelle steht daher auf der Schwelle zwischen unrecorded prayer-Signal und implizitem Gebet: Es ist klar, dass eine Hinwendung zu Gott vorliegt; ob aber ein ausformuliertes Gebet tatsächlich naheliegt, muss offen bleiben.

14.7 ‫ קרא‬Qal Gesenius’ Handwörterbuch gibt „zu Gott rufen“ schon als eine der Grundbedeutungen der Wurzel ‫ קרא‬an.717 Das erste (ausformulierte) Gebet der Chronikbücher zeigt, dass die Allerweltsvokabel auch in der Chronik zur Anzeige von Gebeten verwendet wird: Jabez’ Bittgebet (1Chr 4,10) wird mit „und er rief zum Gott Israels“ eingeleitet. Gleiches gilt für Asas Gebet (vgl. 2Chr 14,10). Weiterhin enthält 1Chr 16,8 die Aufforderung, den Namen JHWHs anzurufen – ebenso wie 2Chr 7,14 (2Chr 6,33 aufgreifend). Schließlich gibt es eine Stelle in den Chronikbüchern, an denen eine mit ‫ קרא‬im Qal bezeichnete Handlung als Hinwendung zu Gott erkennbar ist, ohne dass ein Gebetstext folgt oder der Kontext selbst bereits zu einem Gebet gehört: 1Chr 21,26. Die Stelle ist Teil der Erzählung von der Auffindung des Tempelplatzes und steht daher in Verbindung mit den Schuldbekenntnissen Davids vor dem Tempelbau. Bereits die Untersuchung dieser Schuldbekenntnisse Davids vor dem Tempelbau zeigte, dass für den Fortgang der Erzählung die Tatsache, dass David betet, entscheidend ist.718 Das gilt für die Schuldbekenntnisse selbst wie für das „rufen zu Gott“ nach der Errichtung des Altars. Der inneren Logik der Erzählung nach würde der Leser hier eine Bitte erwarten. Auch der Inhalt der Bitte ist aus der Erzählung selbst heraus unmittelbar klar: JHWH möge den Altar (den Tempel) annehmen. Obwohl im Text eine „Erfolgsnotiz“ folgt – all dies noch immer in einund demselben Vers 26 – handelt es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht um einen Fall von unrecorded prayer. Der Wortlaut, den David verwendet haben mag, ist für den Fortgang der Geschichte irrelevant. An der naheliegenden Stelle für eine intertextuelle Verbindung, Lev 9,24, wird an entsprechender Stelle auch keine eigene „Hinwendung zu Gott“ mehr erwähnt. Anders gesagt: Es gibt einen sehr eindeutigen Hypotext zur Erzählung von der „Weihe“ des Altars auf dem Bauplatz für den Tempel, aber die Verknüpfung erfolgt gerade nicht über das Gebet oder die Schilderung einer Hinwendung zu Gott. 716 So nimmt es beispielsweise Westermann, Fragen und Suchen, 170 f, an. 717 Vgl. Gesenius, ‫‏קרא‬‎, Gesenius18, 1185. 718 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 356.

„Implizite Gebete“ und nichtsprachliche Hinwendung zu Gott 

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Für die Chronikbücher lässt sich daher, anders als Stefan Royar es behauptet,719 die Verwendung der Wurzel ‫ קרא‬Qal als spezifisches Signalwort für unrecorded prayers nicht belegen. Gegen eine solche Verwendung spricht auch der sonstige Gebrauch der Wendung „zu JHWH/Gott rufen“ (‫ )קרא אל\ל יהוה\אלהים‬wenigstens in der Chronik diachron nahestehenden Texten, beispielsweise dem Buch Jona (vgl. Jon 1,6.14):720 Entscheidend ist die Tatsache, dass JHWH angerufen wird. Mit welchen Worten genau dies geschieht, ist nachrangig. Daran ändert auch die von Royar angeführte721 und ursprünglich von Brian Kelly vertretene Verbindung von 1Chr 21,26 mit 2Chr 1,9; 6,42; 7,14 nichts, das heißt: Das Durchtragen des Motivs der Verheißung eines „Hauses“ für David. Diese intertextuelle Brücke besteht durchaus, aber sie kommt nach 1Chr 21 nicht über die Tatsache des Betens, einen bestimmten Hypotext oder eine Auswahl von möglichen Hypotexten und auch nicht über die Wurzel ‫קרא‬, sondern über das Motiv der göttlichen Antwort durch Annahme des Altars (Tempels) mittels Feuer zustande.722 Damit ist über die Wurzel ‫ קרא‬die Brücke zu den „impliziten Gebeten“ geschlagen.

15. „Implizite Gebete“ und nichtsprachliche Hinwendung zu Gott – Gebetsgesten 15.1 Terminologie: Unterschiede zwischen unrecorded prayer und Gebetsgeste Stefan Royar schlägt in seiner Untersuchung vor, die Wurzel ‫ כנע‬im Nifal als Indikator für ein unrecorded prayer aufzufassen, wenigstens in Verbindung mit ‫חלה‬ Piel in 2Chr 33,12.723 In seiner Untersuchung berücksichtigt er aber nicht konsequent, in welchem Kontext die übrigen Belege stehen. So ist ‫ כנע‬in 2Chr 34,27 zwar durchaus „Indiz für ein Bußgebet“724, es steht aber im Kontext einer Gottesrede und verweist nur auf ein Bußgebet und verlangt nicht den Text eines solchen. Die Definition von unrecorded prayer, die Stefan Royar verwendet, greift nicht: Es ist unwahrscheinlich, dass der ideale Leser in den Fluss der Gottesrede ein ausformuliertes Gebet einfügt. Dennoch ist ‫ כנע‬in 2Chr 34,27 ein Hinweis auf eine Hinwendung zu Gott, die auf der Textebene stattgefunden hat. Eine mögliche Umschreibung wäre „implizites Gebet“. Auch andere Wurzeln zeigen im Zusammenhang mit den 719 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172. 720 Vgl. Zenger, Zwölfprophetenbuch, 660; Gerhards, Jona, Abschnitt 2. 721 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172. 722 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 161 f; vgl. im Ganzen auch die Theologie von Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ (siehe Abschnitt Nr. 4.3.3). 723 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172. 724 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172.

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ausformulierten Gebeten, etwa bei Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon, solche „impliziten Gebete“ an. Diese Hinweise auf Gebete (vor allem die Gesten) erfüllen eine den ausformulierten Gebeten, Abbreviaturen und Signalworten für unrecorded prayers vergleichbare Funktion. Da diese „impliziten Gebete“ anders als die Signale für unrecorded prayers vom Leser nicht die Ergänzung eines ausformulierten Gebetstextes verlangen, fallen sie nicht unter die Definition von unrecorded prayer. Außer der von Royar bereits vorgeschlagenen Wurzel ‫ כנע‬Nifal („sich demütigen“, einmal in Verbindung mit ‫ חלה‬Piel „flehen“) kommen ‫ חוה‬Hištafel („sich niederwerfen“, je nach Übersetzung auch „anbeten“), zuweilen verbunden mit ‫ קדד‬Qal („sich verneigen“), sowie, Sara Japhet zu 2Chr 20,13 folgend,725 ‫עמד‬ Qal „stehen (vor JHWH)“ in Frage. Den ersten vier Begriffen ist gemeinsam, dass sie zum Wortfeld „sich demütigen“ gehören. Den letzten drei ist gemeinsam, dass sie Gesten oder Haltungen bezeichnen, die nicht nur im Alten Testament, sondern im gesamten Alten Orient als Gesten der Hinwendung zu Gott verbreitet sind.726 Außerdem reiht sich nach dem Abschluss der Untersuchung noch ‫קרא‬ Qal in diese Reihe ein, das Royar noch als Signalwort für unrecorded prayers gewertet hat.727 Doch beginnen muss eine Untersuchung „impliziter Gebete“, also „impliziter Hinwendung zu Gott“, mit zwei Schlüsselbegriffen chronistischer Theologie: ‫ דרש‬und ‫בקש‬. Auch hier ist es unwahrscheinlich, dass ein Leser überall dort, wo diese Begriffe verwendet werden, gedanklich ein ausformuliertes Gebet hinzudenkt. Andererseits ist die Grundbedeutung beider Termini genau diese: „sich (an Gott) wenden“.

15.2 ‫ בקש‬Piel/‫ דרש‬Qal Von den beiden Wurzeln ist ‫ דרש‬in den Chronikbüchern häufiger belegt. Louis Jonker zählt 41 Belege in den Chronikbüchern. Für ‫ בקש‬kommt er auf 13 Belege.728 Brian Kelly zählt nur die „theologisch relevanten“ Vorkommen beider Wurzeln und nennt 31 Stellen in Summe.729 Die Grundbedeutung von ‫ דרש‬ist nicht sehr klar730 und bisweilen auch umstritten.731 Was in der Chronik hauptsächlich damit gemeint ist – zumindest sofern 725 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 152. 726 Vgl. Albertz, Gebet, TRE 12, 34 f. 727 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172; auch Beentjes, Psalms and Prayers, 10, listet die Stelle entsprechend auf. 728 Vgl. Jonker, Good and Bad Kings, 360 f. 729 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 51. 730 Vgl. Wagner, ‫‏ד ַרׁש‬ ָ ‎, ThWAT II, 314. 731 Vgl. etwa Wagner, ‫‏ד ַרׁש‬ ָ ‎, ThWAT II, der fest von einem „Bewegungselement“ ausgeht (S. 314), mit Westermann, Fragen und Suchen, der ein statisches Modell zugrunde legt (S. 165).

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Gott das Objekt ist – wird aber an 2Chr 14,3 ersichtlich: ‫לדרוש את יהוה אלהי אבותיהם‬ (3aI1) steht parallel zu ‫( ולעשות התורה והמצוה‬3aI2). „Den Herrn suchen“ wird gleichgesetzt mit „halten der Tora“. Damit geht die Bedeutung über „befragen“, wie es etwa in 1Chr 14,10 heißen könnte, weit hinaus.732 Damit ist aber nicht gesagt, dass das „Halten der Tora“ automatisch mit „Gehorsam“ gleichgesetzt sein muss.733 Claus Westermann schließt aus der Gleichsetzung, dass „Tora halten“ gleichbedeutend mit „sich an Gott halten“ im Sinne von „Gott ernst nehmen“ ist.734 Letztere Grundbedeutung wird in der Chronik gestützt durch 1Chr 21,30 und 2Chr  1,5, wo David beziehungsweise Salomo und die Versammlung Gott „suchen“. In 1Chr 13,3; 15;13 ist Gott mittelbar über die Bundeslade das Ziel der Hinwendung735  – beziehungsweise sollte es sein, ist es aber gerade nicht; und schließlich sagen 1Chr 28,9; 2Chr 15,2, dass Gott sich finden lässt von dem, der ihn „sucht“.736 Insofern wird ‫ דרש‬zu einer Art terminus technicus für Wohlverhalten. Sich Gott zuzuwenden bedeutet, in seinem Sinn zu handeln. Pancratius Beentjes schlägt vor, die Wendung „JHWH suchen/fragen“ (‫דרש‬ ‫ )ליהוה‬präziser als terminus technicus für eine konkrete Anfrage um Hilfe zu verstehen.737 Dazu passt die Verwendung von ‫ דרש ביהוה‬in der Beschreibung der Fehler Sauls (1Chr 10,13–14) als Gegenstück.738 Saul unterlässt im entscheidenden Moment die Hinwendung zu Gott und wird darum verworfen. Brian Kelly sieht dagegen in den Chronikbüchern den „old oracular sense“739 gerade nicht mehr gegeben. Eine Grundbedeutung „sich an Gott wenden“ löst dieses Problem: Es geht immer noch um eine Anrede Gottes oder Ausrichtung auf ihn, aber nicht im Sinne einer „Befragung“ (für die in der Chronik ‫ שאל‬verwendet wird). Offensichtlich bedeutet ‫ דרש )ל\ב\את\…( יהוה‬zunächst einfach „sich zu Gott hinwenden“. Die große Spannbreite der Bedeutung macht es in diesem Fall aber unmöglich, eine Übersetzung konkordant beizubehalten. Die Grundbedeutung „suchen“ für ‫ בקש‬ist klarer als die von ‫דרש‬.740 Anders als ‫ דרש‬wird die Wurzel ‫ בקש‬als Begriff für eine Hinwendung zu Gott in den Chronikbüchern nur 732 Vgl. Welten, Geschichtsdarstellung, 17. 733 Gegen Welten, Geschichtsdarstellung, 50. 734 Vgl. Westermann, Fragen und Suchen, 183–186. 735 Die Verbindung der Topoi „suchen“ (‫ )בקש‬und „Lade“ leistet auch 1Chr 16,11 über die Vokabel ‫ ;עז‬Ps 132,8 nennt die Lade ‫ארון עזך‬. Die Verbindung zeigt auch Ps 78,61. Vgl. Gosse, 2 Chroniques 20, 654. 736 Vgl. Wilcock, Message, 215. 737 Vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 266. 738 Zur zentralen Rolle des Motivs um ‫ דרש‬vgl. Beentjes, Jehoshaphat’s Prayer, 265. 739 Kelly, Retribution and Eschatology, 52. Auch Japhet, Ideology, 200 f, zählt die Wurzel zu den „general expressions“ (S. 200), die den Dienst für Gott ausdrücken – wobei die alte, engere Bedeutung nicht ganz ausfällt (S. 201, Fußnote 6). 740 Vgl. Wagner, ‫‏ב ֶּקׁש‬ ִ ‎, ThWAT I, 765.

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– von Israel und Juda unter Asa als Beschreibung des Verhaltens des Volkes unter seiner Herrschaft (2Chr 15,4.15), – zur Charakterisierung über die Leviten, die sich in 2Chr 11 sich von Jerobeam ab- und zu Rehabeam hinwenden (Vers  16), also aus dem „götzendienerischen“ Norden in den Süden fliehen, – sowie in 2Chr 20,4 von Joschafat und seinem Volk gesagt. Dazu treten die Belege mit einem anderen Objekt für die Suche: 1Chr 4,39; 14,8; 21,3; 2Chr 9,23; 22,9.741 Besonders interessant unter diesen Belegen sind 2Chr 9,23, wo Salomo und seine Weisheit das Ziel der Suche fremder Könige sind, was eine Parallele zur Wertung Asas in 2Chr 15,4.15 bedeutet, sowie 1Chr 21,3. Dort findet David zunächst nicht das richtige Objekt für seine Suche. An diesen beiden Stellen dient ‫ בקש‬zur Wertung: Für Salomo bedeutet es eine Auszeichnung, dass fremde Könige seine von Gott verliehene Weisheit hören wollen. Bei David findet sich das Muster wieder, das die Asa-Geschichte ausfaltet: In dem Moment, da David sich nicht auf JHWH verlässt, ereilt sein Volk eine Plage. Da er aber anders als Asa seinen Fehler bekennt (1Chr 21,8.17), findet die Plage ein Ende. 2Chr 7,14 nennt ‫ בקש‬zu Gott seitens des Menschen als eine der Grundvoraussetzungen für den umgekehrten Fall der Hinwendung Gottes zum Menschen. Der genaue Ausdruck, den die Gottesrede in 2Chr 7 verwendet, ist ‫בקש פני יהוה‬, „das Angesicht Gottes suchen“. Dabei fällt auf, dass die Handlungen Gottes mit „hören“, „vergeben“ und „heilen“ sehr konkret beschrieben sind, während in der Reihe aus „sich demütigen“ (‫)כנע‬, „beten“ (‫)פלל‬, „das Angesicht Gottes suchen“ (‫ )בקש‬und „umkehren“ (‫ )שוב‬das dritte Glied das am wenigsten konkrete zu sein scheint. Immerhin suggeriert die Reihung eine gewisse Parallelität der Ausdrücke. Ihnen ist gemeinsam, dass Gott Zielpunkt der jeweiligen Handlung ist. Klein reiht hier ‫ דרש‬als Synonym zu ‫ בקש‬noch in diese Liste ein.742 Brian Kelly sieht die übrigen Glieder der Kette in ‫ בקש‬gleichsam zusammengefasst: „the expression in 2Chron. 7.14 denotes humble repentance associated with prayer in or towards the temple.“743 Kelly bringt für den Gebrauch von ‫בקש‬ im weiteren Erzählverlauf der Chronikbücher außerdem eine inhaltliche Nähe zu Dtn 4,29; Jes 55,6–7 und Jer 29,12–14 in Anschlag. Insbesondere bei den Propheten existieren Formulierungen, wie sie auch in 2Chr 15,4.15 zu finden sind: ‫ויבקשהו וימצא להם‬, „sie suchten ihn [JHWH], und er ließ sich von ihnen finden“ (2Chr 15,4bc). Diese Stellen verhindern ein mögliches Missverständnis von 2Chr 7,14: Die Möglichkeit, sich zu Gott hinzuwenden, ist dem Menschen 741 Warum Jonker, Good and Bad Kings, 361, nicht alle diese Stellen als Ausnahmen aufzählt, bleibt ungeklärt. 742 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 111. 743 Kelly, Retribution and Eschatology, 53.

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zuerst von Gott gegeben, er lässt sich finden; die Menschen müssen zwar aktiv suchen, aber sie „finden“ dennoch nicht selbst. Das bedeutet, dass die Zusage in 2Chr 7,14 kein Automatismus ist: Gott wird, wenn die Menschen sich zu ihm wenden, aus freien Stücken antworten – seine Zuwendung lässt sich nicht durch menschliche Worte (magisch) erzwingen. Wie schon das Begriffspaar „suchen“ und „fragen“ von Westermann suggeriert, ist beiden Begriffen das Element des „sich wenden an“ gemein. In diesem Sinne des „Suchens“ und „sich Hinwendens“ zu Gott sind ‫ בקש‬Piel/‫ דרש‬Qal Schlüsselbegriffe. Im Grunde sind sie keine „impliziten“ Gebete, sondern tragen die Bedeutung „Hinwendung zu Gott“ schon recht ausdrücklich in sich.744 Da sie aber nicht wie die Signalworte für unrecorded prayers einen Hypotext einspielen, funktionieren sie analog zu den Gebetsgesten, die im Folgenden vorgestellt werden. Je für sich genommen sind die beiden Begriffe wenig spezifisch.745 In Kombination oder in festen Wendungen werden sie aber zu dem Schlüsselbegriff der Chronik für „Hinwendung zu Gott“.

15.3 ‫ חוה‬Hištafel und ‫ קדד‬Qal Von den 14 Belegen746 für die Wurzel ‫ חוה‬im Hištafel stehen sieben in einem Kontext, der für eine Prüfung, ob die Gebetsgesten tatsächlich eine eigene Funktion im Erzählverlauf erfüllen, in Frage kommt: 1Chr 29,20 und 2Chr 20,18; 29,28.29 implizieren Gebete zu JHWH, 2Chr 25,14; 32,12; 33,3 Gebete zu anderen Göttern beziehungsweise zu Götzen. In allen anderen Fällen ist entweder aus formalen Gründen klar, dass kein Gebet impliziert ist und die Funktion nicht die eines Verweises sein kann, oder ‫ חוה‬ist nicht das entscheidende Lexem. Letzteres heißt, dass ein anderer Begriff in unmittelbarer Nachbarschaft als (hypertextueller) Indikator fungiert.747 744 Interessanter Weise kommt Schaefer, Significance, 64, nach eingehender Untersuchung aller Belegstellen für ‫ בקש‬und ‫ דרש‬in Chr zu dem Ergebnis, dass im „Suchen“ Gottes als „Befragen“ (lediglich) eine „implizite Hinwendung zu Gott“ („implicit turning to God“) enthalten sei. Im nächsten Satz bestätigt er aber das hier vorliegende Ergebnis: „The very act of the inquiring demonstrates faith and trust in God.“ Mit anderen Worten: Den Begriffen eignet auch das Element des Bekenntnisses. 745 Vgl. Beentjes, Tradition, 260 und die Bibliographie dort unter Fußnote 13. 746 In den Chronikbüchern gezählt mit BibleWorks 9 anhand der Grooves-Wheeler Westminster Morphology and Lemma Database 4.14. 747 Im Einzelnen steht 1Chr 16,29 innerhalb eines Gebets und ist eine Aufforderung, die aus dem Text „herausspricht“. In 1Chr 21,21 und 2Chr 24,17 sind Menschen das Ziel der Verehrung; es liegt also keine Hinwendung zu Gott vor und damit nach der in dieser Arbeit verwendeten Definition kein Gebet, weder ausgeführt noch als unrecorded prayer. In 2Chr 7,3 steht ‫ חוה‬zusammen mit ‫ידה‬, und mit der Abbreviatur „Lobpreist JHWH…“ ist ein explizites Gebet gegeben. In 2Chr 29,28–30 kommt die Wurzel drei Mal vor, entscheidender Hypertext

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In 1Chr 29,20; 2Chr 20,18; 29,28–30 steht ‫ חוה‬nicht allein, sondern in Verbindung mit ‫ קדד‬im Qal. In 2Chr 29,28–30 kommt ‫ הלל‬als Signal für das unrecorded prayer dazu. Es scheint, als vermeide die Chronik das „sich niederwerfen“ als alleinige Geste vor JHWH: Wann immer JHWH als Ziel solcher Verwehrung direkt genannt ist, steht mindestens ‫ קדד‬dabei (in 2Chr 20,18 zusätzlich ‫ נפל‬Qal). Darüber hinaus haben 1Chr 29,20 und 2Chr 29,28–30 gemeinsam, dass sie die „Antwort“ oder Reaktion der Gemeinde oder Judas auf ein Gebet oder eine Prophezeiung sind. Die Funktion dieses Hinweises besteht unter anderem darin, zu verdeutlichen, dass nicht nur die jeweiligen Protagonisten (David in 1Chr, Joschafat in 2Chr) sich zu Gott wenden, sondern mit ihm „das ganze Volk“. Die Untersuchung von Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon zeigte bereits, dass dies die vom Text angezielte Ausweitung des Adressatenkreises stützt; für Davids Dankgebet zu Salomos Krönung ist dies ebenso wahrscheinlich. In 2Chr 25,14; 32,12; 33,3 richtet sich das implizierte Gebet nicht an JHWH, sondern an andere Gottheiten. Entsprechend „bewirken“ sie nicht Erfolg, sondern den „Zorn JHWHs“ (2Chr 25,15) oder ein Äquivalent dazu. Damit stimmt die Logik des Gebets auch hier: Hinwendung zu „anderen“ ist eine Abkehr von JHWH. Was die Signifikanz dieser Belege betrifft, ergibt sich ein ähnliches Problem wie bei ‫ברך‬: Wie weit 1Chr 29 und 2Chr 20 einem liturgischen Ablauf folgen, der an den gegebenen Stellen eine Antwort der „Gottesdienstteilnehmer“ bedingt, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Wäre dies der Fall, wäre ‫ חוה‬eher ein terminus technicus als ein Indikator für ein implizites Gebet. Einen interessanten Spezialfall stellen 2Chr  7,19.22 in JHWHs Antwort auf das Tempelweihgebet dar. Sie stehen in einem Konditionalgefüge, implizieren also auf der Ebene des Textes nicht notwendig ein Gebet. Hier aber kommt die Funktion von Gebeten in den Chronikbüchern im Ganzen dennoch zum Tragen, denn es geht genau um den Zusammenhang zwischen „Hinwendung zu Gott“ und den Folgen für Israel, der sich bei allen Gebeten findet: Wenn eine Hinwendung zu anderen als JHWH stattfindet, dann folgen Misserfolg und Strafe. Allerdings ist, unabhängig von jedweder Diachronie, vollkommen klar, dass der im Text als hypothetisch dargestellte Fall einer Abwendung vom „Gott ihrer Väter, der sie aus dem Land Ägypten geführt hat“ für den idealen Leser längst (mehrfach) eingetreten ist. Insofern findet hier dieselbe Verschränkung der zeitlichen Ebenen statt wie sie bei den übrigen Gebeten.

scheint aber ‫הלל‬ zu sein – es handelt sich um ein Paradebeispiel für eine Verwendung als Signalwort für unrecorded prayer. ‫ חוה‬hätte dann nicht die Funktion, auf die Hinwendung zu Gott zu verweisen, sondern zusätzlich zu ‫ הלל‬die Art der Hinwendung zu präzisieren.

„Implizite Gebete“ und nichtsprachliche Hinwendung zu Gott 

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15.4 ‫ כנע‬Nifal (und ‫ חלה‬Piel) Die Beobachtung von Raymond Dillard, dass „Humbling oneself is another of the Chronicler’s favorite themes; … Its occurrence in Solomon’s prayer in 2Chr 7:14 sets the pattern of repentance for the kings of Judah“748 sagt schon viel über die Funktion von impliziten Gebeten im Allgemeinen und ‫ כנע‬im Besonderen.749 Das Zitat liefert auch schon vorab eine Erklärung, warum die Wurzel in 2Chr 30,11; 32,26; 33,12.19 durchaus als Indikator für unrecorded prayers gelten kann, mit 2Chr 6–7 als Hypotext: Das „Muster für Reue“ gilt nicht nur für die Könige Judas, sondern auch für den idealen Leser. Einerseits verweist die Wurzel ‫ כנע‬also recht deutlich auf 2Chr 7,14750 und den Komplex 2Chr 5–7 und spielt damit das Tempelweihgebet als Hypotext ein. Das erinnert den idealen Leser daran, dass die Hinwendung zu Gott, Tempel, Jerusalem oder dem „Land“ (vgl. 2Chr 6,38) allen offensteht, in jeder Situation. Andererseits ist ‫ כנע‬als Gestus derart prägnant, dass der Leser sich nicht notwendiger Weise ein ausformuliertes Gebet hinzudenken muss. ‫ כנע‬kann daher nicht uneingeschränkt als Signalwort für unrecorded prayer gelten. Dem steht wiederum der Vorschlag von Donald Murray gegenüber, den Gestus mit den Bußgebeten aus Esr 9, Neh 9 und Dan 9 „aufzufüllen“.751 Murray selbst spricht an gleicher Stelle aber auch davon, dass es bei der Wurzel um kultische Praktiken geht – die durchaus nicht in textlicher Hinwendung zu Gott bestehen müssen. Es bleibt also dabei, dass die Ergänzung eines ausformulierten Gebets nicht notwendig erscheint. Das hängt auch damit zusammen, dass die Wurzel ‫ כנע‬überdurchschnittlich häufig in der Chronik belegt ist.752 BibleWorks 9 findet in den Chronikbüchern 16 Verse mit der Wurzel ‫כנע‬, davon drei mit je zwei Vorkommen – also 19 Belege.753 Für die Sache der unrecorded prayers und der Gebetsgesten scheiden die meisten Vorkommen aus.754 Es bleiben die genannten vier Belege 2Chr 30,11; 748 Dillard, Reign of Asa, 210, Fußnote 14. 749 Vgl. ähnlich Mathys, Dichter, 40, Fußnote 17. 750 Vgl. auch Kelly, Retribution and Eschatology, 56. 751 Vgl. Murray, Retribution, 95, Fußnote 42. 752 Gesenius, ‫‏כנע‬‎, Gesenius18, 556 listet 37 Belege (14 im Hifil, 23 im Nifal) auf; davon 16 in Chr-Versen. 753 BibleWorks 9, mit Hilfe der Grooves-Wheeler Westminster Morphology and Lemma Database 4.14. 754 In 1Chr 17,10; 18,1; 20,4 sind „Feinde“ Objekt (Ziel) der Demütigung; In 2Chr 7,14 geht es um ein Verhalten, das erst noch kommen soll – zu diesem Vers siehe genauer Abschnitt Nr. 12.3.3, im Zusammenhang mit der Theologie von Hiskijas Bittgebet zum Pessach. In 2Chr 13,18; 28,19 liegt keine reflexive Verwendung vor. 2Chr 33,23; 36,12 stellen fest, dass die Selbst-Demütigung nicht erfolgt ist. Hier gilt, was für 2Chr 25,14 und andere zu ‫ חוה‬gesagt ist: Die Logik des Gebets der Chronikbücher bleibt gewahrt, insofern die „Selbst-Demütigung“

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32,26; 33,12.19 sowie 2Chr 34,27 als Sonderfall. Zwei dieser Belege gehören zur Geschichte Manasses; 2Chr 33,12 ist zugleich der einzige Beleg für das Piel der Wurzel ‫ חלה‬in der Chronik. Diese Wurzel bedeutet eigentlich „krank sein“755 und davon abgeleitet „schwach sein“ und lässt sich hier mit „flehen“ wiedergeben.756 Es ist nicht ganz klar, ob Stefan Royar an dieser Stelle ‫ כנע‬oder ‫ חלה‬als Indikator für ein unrecorded prayer wertet.757 Die nur wenige Verse später (33,19) vorhandene Verwendung von ‫ כנע‬zusammen mit ‫ תפלה‬legt es aber nahe, ‫ כנע‬als Signalwort zu werten. Immerhin wird im Kontext des „Gebets Manasses“, das aufgrund seiner Bedeutung noch gesondert zu untersuchen sein wird, die Verbindung zu 2Chr 7,14 besonders deutlich. 2Chr 7,14 zählt prägnant auf, was zu tun ist, um JHWHs Hilfe zu erhalten, wie das Tempelweihgebet sie beschreibt. Manasses Gebet entspricht dieser Vorgabe – und er kann aus seiner Verbannung zurückkehren. Die Belege für ‫ כנע‬in 2Chr 30,11; 32,26 gehören zur Erzählung von Hiskija. Sarah Japhet weist darauf hin, dass ‫ כנע‬in Vers 30,11 dazu verwendet wird, die Innerlichkeit der Umkehr derjenigen zu beschreiben, die Hiskijas Aufruf folgen und zur Feier des Pessach nach Jerusalem kommen.758 In Verbindung mit weiteren Verweisen auf 2Chr 6–7 wird dadurch herausgestellt, dass die „Anweisungen“ von 2Chr 7,14 und der Einsatz von Gebeten trotz der Anlehnungen an kultische Vorgänge wie in 1Chr 29; 2Chr 20 nie rein „mechanisch“ zu befolgen sind, sondern stets mit echter Umkehr verbunden sein müssen.759 Gleiches gilt für 2Chr 32,26. Hier ist die zweite Hinwendung Hiskijas in seiner Krankheit mit ‫ כנע‬bezeichnet. Das erste Gebet ist zwar durchaus erfolgreich (Hiskija erhält ein Zeichen), aber noch nicht innerlich genug; erst die Demut führt zur Abwendung von JHWHs Zorn. Auch 2Chr 34,27 stellt einen Bezug zu 2Chr 7,14 her: Gott sagt über Joschija, dass er sich gedemütigt habe, und er – JHWH – entsprechend seiner Zusage die Hinwendung des Königs annimmt. Allerdings ist der Vers insofern ein Sonderfall, als dass er innerhalb eines zur Gottesrede stilisierten Abschnitts steht. Der Hinweis auf Joschijas Gebet muss darum bereits als Teil der „Erhörungszusage“ betrachtet werden. Begründungspflichtig ist in diesem Zusammenhang abschließend, warum die Belege 2Chr 12,6–7.12, entgegen der Angabe in der Liste von Royar,760 keine Fälle von unrecorded prayer sind. Sie stehen im Zusammenhang mit der Abbreviatur

vor anderen Göttern den Unwillen JHWHs demjenigen gegenüber nach sich zieht, der diese Abirrung vollzieht. Zu 1Chr 12,6–7.12 siehe unten in diesem Abschnitt. 755 Vgl. Gesenius, ‫‏חלה‬‎, Gesenius18, 352. 756 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 441; 450. 757 Vgl. Royar, Denn der Herr, 172. 758 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 393. 759 Vgl. Williamson, Chronicles, 370 zu 2Chr 30,18–20. 760 Royar, Denn der Herr, 168, Fußnote 1041.

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‫צדיק יהוה‬, „gerecht ist JHWH“ in 2Chr 12,6.761 Die Wurzel ‫ כנע‬bezeichnet dort ausdrücklich eine Hinwendung zu Gott in Form einer Geste. Und selbst wenn es um ein textliches Gebet ginge, läge es in Gestalt der Abbreviatur vor.

15.5 ‫ עמד‬Qal Der Beleg von ‫ עמד‬Qal in der Chronik, der mit Gebetsgesten zu tun hat, ist 2Chr 20,13. Japhet geht davon aus, dass diese Stelle Ausgangspunkt für eine Entwicklung der Wurzel zu einem terminus technicus wurde.762 Eine vergleichbare Verwendung des „Stehens vor Gott“ als Antwort des Volkes auf ein Gebet763 bieten 2Chr 7,6; 9,7; 29,11. Funktionale Ähnlichkeit dieses „Stehens vor Gott“ zu den übrigen Gebetsgesten (und den expliziten Gebeten der Chronik) besteht wiederum über die Einbeziehung des Volkes. Wenn das „Stehen vor Gott“ bereits eine Hinwendung zu ihm impliziert, unterstreicht dies die Absicht der Chronik, die Bedeutung des Volkes hervorzuheben. Ferner dient das Hifil derselben Wurzel zur Zuweisung der Aufgaben im Rahmen der Kultorganisation Davids, während in diesem Zusammenhang das Qal die erfolgte Zuordnung einer Person zu ihrer Aufgabe ausdrückt.764 Dann klingt im „Stehen“ des Volkes während Joschafats Gebet an, dass genau dies – zuhören, anwesend sein, präsent sein – die Aufgabe des Volkes ist; als kultischer Vollzug ist auch das eine „Hinwendung zu Gott“.

15.6 ‫ שוב‬Qal und Hifil Ausgehend von 2Chr 7,14, wo ‫כנע‬, ‫ פלל‬und ‫ בקש‬als Voraussetzung für eine Gebetserhörung genannt werden, verdient die Wurzel ‫ שוב‬Qal in 2Chr 15,4 Aufmerksamkeit. Der Prophet Asarja illustriert seine Warnung765 an König Asa mit einem Beispiel aus Israels Vergangenheit. Besonders deutlich wird die Bedeutung durch die Gleichsetzung der „Umkehr“ mit der „Suche“ beziehungsweise „Hinwendung“ (‫ בקש‬Piel). Da im Zusammenhang mit der theologischen Bedeutung des Motivs der „Umkehr“ kaum von einem bloß impliziten Gebet gesprochen werden kann, passt in Analogie zu einer körperlichen Umwendung am ehesten

761 Siehe Abschnitt Nr. 13.3. 762 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 252. 763 In 2Chr  20,13 ist es Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon (siehe Abschnitt Nr. 10). 764 Vgl. Kleinig, Song, 39 f. 765 Zum Motiv der prophetischen Warnung und dem Zusammenhang mit Umklehr in Chr vgl. Japhet, Ideology, 188 f.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

die Bezeichnung einer „Geste“. Letztlich fällt die Wurzel aber lediglich unter die allgemeine Definition eines Gebets als „Hinwendung zu Gott“. Das gilt eingeschränkt auch für ihre Verwendung im Hifil, namentlich in 2Chr 19,4, wo berichtet wird, dass Joschafat eine Hinwendung zu Gott bei seinem Volk veranlasst. 2Chr 30,6.9 enthalten die direkte Aufforderung Hiskijas zu einer „Hinwendung“ in seinem Brief an das Volk. In beiden Fällen wird der Aufforderung zumindest in Teilen entsprochen. Anders verhält es sich in 2Chr 24,19. Der Vers erzählt, dass „Juda und Jerusalem“ (Vers 18) sich von den Propheten, die JHWH aussendet, nicht zur Um-/Hinkehr bewegen lassen.

15.7 ‫ שען‬Nifal Das Motiv des „sich Stützens auf JHWH“ spielt eine zentrale Rolle in Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch (2Chr 14,10). Außer in diesem Gebet ist die Wurzel ‫ שען‬Nifal in der Chronik noch in 2Chr 13,18; 16,7.8 belegt. In 2Chr 16,7 liegt bei beiden Vorkommen eine „negative“ Verwendung vor; Asa wandte sich nicht zu Gott hin, sondern „stützte sich“ auf den König von Aram. Die Verse 13,18; 16,8 implizieren aber eine „Hinwendung zu Gott“. Sie nähern sich formal sogar unre­ corded prayers an: Sowohl die Erzählung von der Auseinandersetzung zwischen Nordreich (unter Jerobeam) und Südreich (unter Abija) in 2Chr 13 als auch die Rede des Propheten Hanani zu König Asa in 2Chr 16 enthalten „Erfolgsnotizen“. Abija „stützt“ sich auf JHWH und schlägt Jerobeam, und Hanani erinnert in 2Chr 16,8 an Asas Sieg über Kusch – und greift damit das Motiv aus Asas Gebet (2Chr 14,10) noch einmal auf. Hier zeigt sich, wiederum in Analogie zu den unrecorded prayers, die Funktion intertextueller Verbindung: Die wiederholte explizite Verwendung der Wurzel „sich stützen auf “ und des damit verbundenen Bildes erinnert den Leser immer wieder an die Botschaft, sich allein auf JHWH zu verlassen – denn eine andere Stütze zu verwenden bedeutet, sich von JHWH abzuwenden, und dies ist im Sinne chronistischer Theologie von Übel.

Exkurs: Die Oratio Manasse 

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Exkurs: Die Oratio Manasse Einführung Sowohl ‫ פלל‬als Signalwort für unrecorded prayers als auch implizite Gebete (Wurzel ‫ )כנע‬weisen in 2Chr 33,12–13.18–19 darauf hin, dass König Manasse sich an Gott gewandt hat. Die Parallelfassung der LXX kennt ebenfalls die Hinweise auf ein Gebet Manasses (προσεύχομαι, II Par 33,13 und προσευχή in ­18–19); die Aussagen über die „(Selbst-)Demütigung“ Manasses sind ein wenig anders ausgeführt.1 Die LXX kommt hier in den Blick, weil die OrMan, wie unten ausführlicher zu diskutieren ist, vermutlich als griechischer Text entstand. Weder Chronik noch Paraleipomena überliefern einen Text für Manasses Hinwendung zu Gott, von der sie erzählen. Obwohl sie Manasse als „reuigen Sünder“ portraitieren, der sogar als Typos für Israel verstanden werden kann,2 eignet er sich nicht uneingeschränkt als paränetisches Beispiel: Einerseits bedarf es eines Sünders, um Reue zu demonstrieren; andererseits ist das Ideal nicht der „Sündenfall“, sondern die Vermeidung desselben von vornherein. Die Erzähllogik der Chronik (und mutmaßlich auch der Paraleipomena) außerhalb des Manasse-Abschnitts ist anscheinend so überzeugend, dass im Laufe der Zeit konkrete Leser und Leserinnen ein ausformuliertes Gebet für Manasse ergänzten: die Oratio Manasse. Wenn es plausibel ist, dass der als OrMan überlieferte Text tatsächlich aufgrund der Hinweise aus Chr oder Par zumindest seine Zuordnung erhalten hat (ob er als Ergänzung zu Chr oder Par verfasst wurde, kann auf diesem Weg nicht geklärt werden), ist dies ein starkes Indiz für die Richtigkeit der hier bisher vorgelegten Funktionsbestimmung von unrecorded prayers und impliziten Gebeten. Das durch sie ausgelöste „Verlangen“ des (idealen) Lesers nach einem Hypotext ist so groß, dass einige (konkrete) Leser es einlösten, obwohl sich innerhalb des „Nahkontexts“ der Chronik oder des Kanons kein plausibler Hypotext finden lässt. Der folgende Exkurs dient dem Nachweis, dass die OrMan tatsächlich als Hypotext, als „Verweisziel“ zu den entsprechenden Hinweisen in der Chronik beziehungsweise der Paraleipomena passen kann. Zugleich wird deutlich, dass sich durch die Einspielung dieses Textes die Lesart der Chronik ändern würde: Die OrMan trüge theologische Potentiale ein, die nicht mehr konsistent mit den übrigen Darstellungen in der Chronik sind. Das wiederum ist ein Indiz dafür, dass es 1 In 2Chr 33,12 verwendet II Par eine Form von ταπεινόω zur Übersetzung von ‫כנע‬, was als ziemlich wörtliche Übersetzung gelten kann. II Par 33,19 setzt aber ἐπιστρέφω, das andernorts (in Chr‖Par beispielsweise in 2Chr 6,24.38, also im Tempelweihgebet) für ‫ שוב‬verwendet wird und unter anderem „umkehren“ bedeutet. 2 Vgl. Schniedewind, Source Citations, 451 f, bezogen auf Chr MT.

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Kapitel 2: Einzelanalysen

in der Chronik selbst und wohl auch in den Paraleipomena keine ausformulierte OrMan gegeben hat, und warum es sie nicht gegeben hat: Letztlich bleibt der Umgang mit Manasse eine kleine Störung im Gesamt-Erzählverlauf der Chronikbücher, und ein Gebet Manasses hätte die Störung weiter vergrößert.

Formale Gestalt Textgrundlage und Übersetzungen Die Probleme der „Einleitungsfragen“, die an das Gebet Manasses zu stellen sind, ähneln in vielem jenen, die Chr  MT aufwirft. Weder hat sich ein Forschungskonsens herausgebildet, wann die OrMan entstanden sein könnte, noch herrscht Einigkeit darüber, welche der durchaus divergenten Textüberlieferungen den älteren und/oder besseren Text bezeugen.3 Umgekehrt gibt es aber einige Felder, in denen weitgehend Übereinstimmung herrscht: Das Gebet wird, trotz mittlerweile gefundener hebräischer Textzeugen, als ursprünglich griechischer Text verstanden. Der Entstehungshorizont scheint jüdisch geprägt,4 obwohl die Überlieferung „fast ausschließlich christlich belegt ist“.5 Die in der Septuaginta-Ausgabe von Alfred Rahlfs6 wiedergegebene Gestalt entspricht weitgehend jener im Codex Alexandrinus.7 Vor dem Hintergrund der Entscheidung, dieser Arbeit als Basis den hebräischen Text der BHS als konkreter Kanongestalt zu Grunde zu legen, ist in Analogie die Heranziehung der Fassung der OrMan in den „Oden“ gerechtfertigt. Die klassischen Grundsätze der Textkritik, manuscripta ponderantur, non numerantur8 und lectio brevior, lectio potior (der Codex Alexandrinus hat, vor allem in Vers 7, den kürzeren Text) stehen dieser Entscheidung nicht entgegen.9 Eine Aussage darüber, ob die OrMan Teil des LXX-Textes ist oder ein Zusatz dazu ist damit nicht getroffen.10 Als Referenzübersetzung dient die „Septuaginta Deutsch“.11 3 Vgl. Knittel, Gebet Manasses, Abschnitt 2 f; Oegema, Poetische Schriften, 2; 5. 4 Vgl. Knittel, Gebet Manasses, Abschnitt 3; Oegema, Poetische Schriften, 4; Stemm, Sünder, 106. 5 Oegema, Poetische Schriften, 1. 6 Rahlfs/Hanhart (Hg.), Septuaginta; die Ausgabe ist identisch mit dem Text der Göttinger Septuaginta (Rahlfs (Hg.), Septuaginta), vgl. Lattke/Engel, Oden, 1886. 7 Vgl. Lattke/Engel, Oden, 1886. 8 Gegen den Codex Alexandrinus stehen Codex Turicensis, eine Minuskel (55), ConstAp sowie die Übersetzungen der syrischen Didaskalie und der Vulgata; vgl. Knittel, Gebet Manasses, Abschnitt 2; Oegema, Poetische Schriften, 2. 9 Welcher Text bei den Abweichungen im Einzelnen der einfachere (lectio facilior) ist, lässt sich nicht entscheiden; insbesondere nicht in Vers 7 (gegen Osswald, Gebet Manasses, 24 und Ehrmann, Klagephänomene, 155). 10 Vgl. Charlesworth, Prayer of Manasseh, 629, der die OrMan ausdrücklich als Zusatz zum LXX-Text versteht. 11 Kraus/Karrer (Hg.), LXX. D.

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Exkurs: Die Oratio Manasse 

Im Zusammenhang einer möglichen Verbindung von OrMan und Chronik/ Paraleipomena soll es im Folgenden um jene sprachlichen Phänomene gehen, die die beiden Texte verbinden (oder unterscheiden). Dabei stellt sich das Problem, dass die Septuaginta einen Übersetzungsvorgang zwischen den hier eigentlich untersuchten hebräischen Text der Chronikbücher und die Betrachtung des Gebets Manasses schaltet. Bei der durchaus existierenden hebräischen Fassung der OrMan ist bislang noch unklar, auf welcher Vorlage sie beruht; nicht einmal, ob es sich um eine Übersetzung aus dem Griechischen oder Syrischen oder um eine „eigene“ Version handelt.12 Unter der Maßgabe, dass das Gebet wahrscheinlich auf Griechisch verfasst wurde,13 drängt sich die Septuaginta als Bezugstext auf. Das nicht immer eindeutige Verhältnis der Überlieferungen der Chronik in LXX und MT untereinander fällt hier weniger ins Gewicht, weil die beiden Traditionen in Bezug auf die OrMan weitestgehend übereinstimmen. Immerhin ist zu beachten, dass Verbindungen der OrMan zum hebräischen Text nur mittelbar nachgewiesen werden können.

Struktur14 OrMan (Od 12)

Vers

Gliederungssignale

A

Lobpreis

1–7

a



Allgemeines Lob

1–4

b



Lob der Barmherzigkeit Gottes

5–7

ὅτι

B

Bußgebet

8–13e

erstes Auftreten der 1. Pers. Sg.

c

Gottesbekenntnis

8a–c

d

Sündenbekenntnis

8d–10

e

Vergebungsbitte

11–13e

καὶ νῦν

A’/c’

Schlussdoxologie (Gottesbekenntnis)

13f–15

3× ὅτι – καὶ

14

Die Forschung ist sich – mit Ausnahme der Zuordnung von Vers 11 – weitgehend darüber einig, wo im Text Einschnitte zu machen sind. Im ersten Teil des Gebets kommt die erste Person Singular nicht vor, entsprechend beginnt mit deren erstem Auftreten in Vers 8 ein neuer Abschnitt. Innerhalb des ersten Abschnitts 12 Vgl. Oegema, Poetische Schriften, 4. 13 Eine Zusammenfassung der Diskussion zu diesem Punkt mit Literaturhinweisen bietet Davila, Prayer of Manasseh, 79 f. 14 Die Kleinbuchstaben beziehen sich (auch weiterhin innerhalb des Exkurses) auf die Kola des griechischen Textes, wie die LXX-Ausgaben sie einteilen. Ehrmann, Klagephänomene, 152 f, gibt diese Kola-Bezeichnungen in seiner deutschen Übersetzung wieder. Der bei ihm als Vers 7d–h erscheinende Teil ist im Codex Alexandrinus nicht überliefert und wird im Folgenden nicht berücksichtigt (nochmals gegen Osswald, Gebet Manasses, 24).

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Kapitel 2: Einzelanalysen

markiert die Konjunktion ὅτι den Übergang von einem allgemeinen Lob Gottes zu einem speziellen Lob seiner Barmherzigkeit. Der letzte Vers des Gebets ist wieder ein Gotteslob. Auch die Bezeichnung der einzelnen Abschnitte ist weitgehend einheitlich.15 Während die meisten Einschnitte als solche recht eindeutig sind, bestehen bei der Gewichtung derselben große Unterschiede in der Forschung. Außerdem fällt die Abgrenzung ausgerechnet des Kernstücks des Gebets, der Vergebungsbitte, sehr unterschiedlich aus: James Charlesworth setzt vor Vers  11 keine Teilung, Vers 13 gehört bei ihm ganz zur Vergebungsbitte (V. 8–13);16 Eva Oßwald setzt vor 11 einen bedeutenden Schnitt, die Bitte reicht bis einschließlich Vers  14;17 Gerbern S. Oegema rechnet nur Vers 12–13 zur Vergebungsbitte (setzt den Einschnitt also nach Vers 11).18 Michael Ehrmann schließlich teilt Vers 13; das letzte Kolon (13f) rechnet er zum Schlussteil des Gebets. Vers 11 steht bei ihm isoliert als Bitte zwischen zwei Bekenntnissen (8–10.12–13e).19 Zwei formale Kriterien werden anscheinend von keinem Autor berücksichtigt: Die Vergebungsbitte wird in Vers 11 vergleichsweise prominent mit καὶ νῦν eingeleitet; dem einzigen νῦν des Textes. Außerdem bilden die letzten sechs Kola ein Muster: Sie sind abwechselnd mit ὅτι und καὶ eingeleitet. Dieses Muster und damit die Schlussdoxologie beginnen in Kolon 13f. Zusammengefasst ergibt sich die eingangs zu diesem Abschnitt dargestellte Struktur: In Vers 1–7 beginnt das Gebet Manasses mit einem Lobpreis (A), der sich vom allgemeinen (a; 1–4) zum thematisch einschlägigen Lob der Barmherzigkeit (b; 5–7) entwickelt. In Vers 8 hebt mit dem Wechsel zur ersten Person das Bußgebet (B) an, das aus einem Bekenntnis des Sprecher-Ichs zu Gott (c; Vers 8), einem Bekenntnis der Untaten (d; 9–10) und der Bitte um Vergebung (e; Vers 11– 13e) besteht. Die abschließende Doxologie (A’) korrespondiert sowohl dem einleitenden Lob (A) wie auch dem Gottesbekenntnis (c), so dass zwei ineinandergreifende Strukturen erkennbar werden: Die Hauptteile folgen einem Muster ABA’, die Unterabschnitte entwickeln sich als abcdec’ fort. Der zentrale Teil, die Vergebungsbitte, erscheint doppelt gerahmt (A–A’, c–c’). Eine Einbindung in den Kontext gibt es für die OrMan nicht direkt. Die „Oden“, in denen die LXX-Ausgaben die OrMan überliefern, sind eine Sammlung untereinander zunächst nicht verbundener biblischer und nicht-biblischer Gesänge.20

15 Vgl. Charlesworth, Prayer of Manasseh, 629 f; Oegema, Poetische Schriften, 3; Osswald, Gebet Manasses, 20; Ehrmann, Klagephänomene, 158 f. Newman, Form and Settings, 107 teilt dagegen ab Vers 11 kleinteiliger ein. 16 Vgl. Charlesworth, Prayer of Manasseh, 629. 17 Vgl. Osswald, Gebet Manasses, 20. 18 Vgl. Oegema, Poetische Schriften, 3. 19 Vgl. Ehrmann, Klagephänomene, 159. 20 Vgl. Lattke/Engel, Odai, 899.

Exkurs: Die Oratio Manasse 

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Anders stellt sich die Situation für die Signale dar, die aus 2Chr 33 ‖ II Par 33 heraus auf ein „Gebet Manasses“ verweisen. Das sind die mit ‫פלל‬/‫ תפלה‬bezeichneten unrecorded prayers in 2Chr  33,13.18–19, beziehungsweise προσεύχομαι/ προσευχή an entsprechender Stelle in II Par, sowie die impliziten Gebete mit ‫כנע‬ in 2Chr 33,12.19 (ταπεινόω und ἐπιστρέφω in II Par). Das Kapitel im MT hat eine chiastische Struktur, die ersten unrecorded prayers kommen in der Mitte dieser Struktur (D) zu stehen, wie nachstehende, von Philippe Abadie übernommene Übersicht zu 2Chr 33 veranschaulicht. Nebenbei bemerkt sind die Hinweise auf Manasses Gebet in Chr und Par gegenüber 2Kön beziehungsweise IV Reg neu eingefügt.21 A Manasse als König B Die religiösen Fehler Manasses C Manasses Strafexil in Babylon D Umkehr/Reue und Gebet, Befreiung C’ Manasse baut Jerusalem wieder auf B’ Religiöse Reformen Manasses A’ Ende der Herrschaft, Amon wird König

2Chr 33 (MT) 1 2–9 10–11 12–13 14 15–17 18–2022

Inhaltsanalyse Aussagegehalt Wie die ausformulierten Gebete innerhalb der Chronikbücher zeigt auch die Oratio Manasse eine große Nähe zu den Psalmen. Strukturell gibt es eine Verwandtschaft vor allem mit Ps 51 (Ps 50 LXX),23 der Sprachgebrauch divergiert aber. Insbesondere die Rede vom „Herzen“ offenbart einen Unterschied: Während OrMan 11 vom „Beugen des Herzens“ durch den Beter selbst spricht, bittet Ps 51,12 Gott um die Erschaffung eines neuen Herzens. Judith Newman bezeichnet die Rolle des Beters in der OrMan als „aktiv“, in Ps 51 als „passiv“. Dieselbe Differenz sieht sie beim Gotteslob gegeben zwischen Ps 51,17 („Herr, öffne meine Lippen“) und OrMan 15 („ich werde dich loben allezeit“).24 Chr und Par nehmen hier eine Mittelposition ein. 1Chr 29,18 spricht davon, dass Gott das Herz des Volkes auf sich richten möge – dies würde eher Ps 51 entsprechen; die Verwendung von ‫ דרש‬für die „Hinwendung zu Gott“ passt eher zur Vorstel 21 Vgl. Kalimi, Reshaping History, 197. 22 Abadie, Impious Manasseh, 96, in Übersetzung. 23 Vgl. Newman, Form and Settings, 107 ff; 124. – Um den Text nicht zu überlasten, wird nachfolgend die Referenz auf die hebräische Zählung beibehalten. 24 Vgl. Newman, Form and Settings, 112 f.

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lung der OrMan (vgl. 1Chr 22,19; I Par gibt ‫ דרש‬dort wie öfter mit ζητέω wieder). Entsprechend fügte sich die OrMan, je nach Auslegungstradition, besser oder schlechter in den Zusammenhang der Erzählung der Chronikbücher ein.25 Sönke von Stemm erkennt in der OrMan die Existenz eines Konzepts göttlicher „Barmherzigkeit“.26 Dies ließe sich mit dem „Retributionsschema“ der Chronikbücher nicht mehr vereinbaren – wenn nicht die Strafe im Moment des Gebets bereits eingesetzt hätte.27 Es gibt auch Inhalte, die die OrMan mit den Chronikbüchern gemeinsam hat. Charlesworth hat vier solcher Motive identifiziert: 1. 2Chr 33,6 sprechen davon, dass Manasse mit seinem Handeln JHWH „reizte“ (‫ הרבה לעשות … להכעיסו‬BHS‖ἐπλήθυνεν τοῦ ποιῆσαι … τοῦ παροργίσαι αὐτόν LXX). Beide Traditionen konstruieren den Satz völlig parallel. Die OrMan präzisiert und forciert die Aussage in Kolon 10d, in dem sie zu παρώργισα als Objekt den „Zorn“ (θυμόν) Gottes ergänzt. 2. Der Bericht der Chronik behauptet von Manasse in Vers 7 weiter, er habe „Götzen“ aufgestellt, wobei der masoretische Text vom „Bild des Götzen“ (‫פסל‬ ‫ )הסמל‬spricht (das, nach der Verwendung von ‫פסל‬, vielleicht auch gehauen sein könnte).28 Die LXX redet von einem gehauenen (γλυπτός) und gegossenen (χωνευτός) Abbild (εἰκών), das „aufgestellt“ (τίθημι) wird.29 Die OrMan bleibt in Vers 10 allgemeiner bei „Abscheulichkeiten“ (βδελύγματα). Da diese aber auch „aufgestellt“ (ἵστημι) werden, ist die Abweichung nicht unüberbrückbar groß. Das „Böses tun“, das in BHS und LXX im „Reizen“ Gottes bestand (Vers 6), wird in der OrMan zu diesem Aufstellen von Götzenbildern. 3. Manasse wird dem Bericht der Chronik zufolge (vgl. Vers  11) gefangen und wohl in Ketten gelegt. Auch die OrMan spricht von „Fesseln“ – aber die Wort 25 Forschungsgeschichtlich fand diese Dualität Niederschlag in der Debatte um die Frage, ob die OrMan jüdischer oder christlicher Provenienz ist. Einerseits scheint die „passive“ Bitte um ein neues Herz durch Gott nach Ps 51 besser zu einer christlichen Vorstellung erlösender Gnade zu passen als aktives „Beugen“ des Herzens durch den Beter, andererseits bemerkt James Davila, dass weder das Gebet selbst noch sein Kontext (weder in LXX noch in der syrischen Didaskalie)  das Theologumenon von der Versöhnung durch Christus erwähnen. Er spekuliert, dass dies, in Verbindung mit einem König des Alten Testaments, einen zu großen Anachronismus provoziert haben würde – wollte man OrMan als christlichen Text verstehen (Davila, Prayer of Manasseh, 84). 26 Vgl. Stemm, Sünder, 137. 27 Vgl. Stemm, Sünder, 137 f. 28 Vgl. Gesenius, ‫‏ּפ ֶסל‬ ֶ ‎, Gesenius18, 1066. 29 Die LXX.D (Kraus/Karrer (Hg.), LXX.D, 545) versucht das Problem, wie ein Abbild (εἰκών steht im Singular) gehauen (LXX.D: „geschnitzt“) und gegossen sein kann, durch Verdoppelung nur des Artikels zum Bezugswort für das Relativpronomen zu lösen: καὶ ἔθηκεν τὸ γλυπτὸν καὶ τὸ χωνευτόν εἰκόνα ἣν ἐποίησεν ἐν οἴκῳ θεοῦ wird übersetzt als „und er stellte das geschnitze und das gegossene Bildnis, ein Götzenbild, das er angefertigt hatte, in das Haus Gottes“ [Hervorhebung im Original].

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wahl unterscheidet sich im Einzelnen deutlich. Darüber hinaus verwendet die OrMan den Begriff „Fessel“ bildlich, das Sprecher-Ich fühlt sich „niederge­ drückt“ (κατακαμπτόμενος, Vers 10a). Davon ist in der Chronik nicht die Rede. 4. Alle drei Texte sprechen vom „Gott der Väter“ (2Chr 33,12‖Par 33,12; OrMan 1b). Charlesworth schreibt nun, diese Identität der Motive habe ihn davon überzeugt, die OrMan müsse vor dem Hintergrund von 2Chr  33 „komponiert“ worden sein.30 Demgegenüber sind – vielleicht mit Ausnahme des gefesselten Manasse, wobei die OrMan aber gerade hier das Motiv umdeutet – alle Motive derart allgemein, dass sie auch ohne den Hintergrund von 2Chr 33 in einem griechischjüdischen Milieu funktionieren würden.31 Die Formulierung „Böses tun“ in 2Chr 33,6 ist ein klarer Hinweis auf das Deuteronomium, insbesondere auf Dtn 4,25. Dtn 27,15 verflucht denjenigen, der ein ‫ פסל‬macht; im Rahmen einer kanonischen Lektüre erübrigt sich der Hinweis darauf, dass dies im Anschluss an das erste Gebot, dass ein ‫ פסל‬Gottes verbietet (Dtn 5,8‖Ex 20,4), geschehen dürfte. Die OrMan verwendet mit βδέλυγμα einen Terminus, den die LXX bisweilen zur Wiedergabe von ‫ תועבה‬gebraucht, so auch im Dtn (vgl. neben vielen anderen Dtn 7,25–26; 12,31; aber auch 2Chr 28,3; Ez 36,31). Der „Gott der Väter“ tritt mit Bezug auf ein Gegenüber oder Dritte (eurer Väter/ihrer Väter) unter anderem in Dtn 1,11 auf sowie an prominenten Stellen wie Dtn 4,1; 6,3 und öfter (außerhalb des Dtn zum Beispiel Ri 2,12). Spezifischer scheint die Reihe der Väter „Abraham, Isaak und Jakob“, die sich so außer in Gen und besonders oft in Dtn vor allem in Ex 3,6.15–16 findet. Der „Gott unserer Väter“ mit Bezug auf die erste Person ist in der Chronik häufig.32 Alles in allem ist die Sprache der OrMan deutlich deuteronomisch gefärbt – was ein weites Feld möglicher Bezugnahmen eröffnet. Was weitere intertextuelle Bezüge der OrMan in andere Teile der Hebräischen Bibel betrifft, spielt die Gnadenformel Ex  34,6–7 eine prominente Rolle (vgl. OrMan 7). Newman geht davon aus, dass die Unterschiede in der Wiedergabe zwischen OrMan  7 und Ex  34,6 (sowie Jona 4,2; Joël  2,12–14) zum einen die Schwäche der Menschen betonen, statt göttliche Strafe für eine „Ablehnung“ der Gnade zu fokussieren. Zum anderen bringen sie eine Aufforderung an den Leser in die Oden ein, so, wie Gott angesichts menschlicher Verfehlung Reue empfin 30 Vgl. Charlesworth, Prayer of Manasseh, 629. 31 Ähnlich argumentiert Davila, Prayer of Manasseh, 84, in der Frage, ob das Gebet jüdischer oder christlicher Provenienz ist: Es bestehen Ähnlichkeiten sowohl zu jüdischen wie zu frühchristlichen Traditionen, aber keine davon ist derart spezifisch, dass eine eindeutige Zuordnung möglich wäre. 32 Vgl. McKenzie, Trouble, 311. Der Ausdruck „Gott der Väter“ ist indes in bestimmten Schriften der Hebräischen Bibel so häufig, dass das Argument für mögliche Verbindungen nur sehr schwach ist, vgl. Japhet, Ideology, 18 f.

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det, ebenfalls zu bereuen.33 Dennoch scheint es in der OrMan so, als reue Gott es erst, wenn die Menschen die Strafe für ihre Verfehlungen schon erleiden, während im Kontext der „Gnadenformel“ Gott zuweilen bereits bereut, bevor es zur Strafe kommt (vgl. Jona 3,10; 4,11).34

Sprechhandlungsgehalt Ein genauerer Blick auf die Sprechhandlungen legt offen, warum die Abgrenzung des Kernstücks des Gebets so schwer fällt. Er relativiert auch ein Stück weit die eingangs aufgezeigte Gliederung. Es zeigt sich nämlich, dass Bekenntnisse (zweier Arten: zu Gott und der Sünden) und Bitten  – sogar in Form der Klagebitte – sich im ganzen Text abwechseln.35 Klage und Bitte folgen einer sich dreifach wiederholenden Struktur.36 Das Lob beschränkt sich dagegen auf Anfang und Ende des Textes; zwischen 8c und 13f tritt es nicht auf (dies allerdings deckt sich mit dem Befund einer „rahmenden“ Struktur A–A’/c-c’37). Das Gebet schreitet auch nur scheinbar von einem „allgemeinen Gotteslob“ zur Vergebungsbitte fort: Der erste Vers ist auch ein Gottesbekenntnis, und solches Bekennen wird, wie gesagt, im ganzen Text wiederholt. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn die Anerkenntnis Gottes als Gegenüber für ein Bekenntnis ist die Möglichkeitsbedingung für die an ihn gerichtete zentrale Vergebungsbitte. In diesem Punkt ähnelt die OrMan den Bußgebeten Esr 9, Neh 9 und Dan 9 – und Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ in 1Chr 17. Eine Verbindung zu Esr 9 besteht darüber hinaus im Bild der überhand nehmenden „Gesetzwidrigkeiten“ (9b). Hierin passen OrMan und chronistische Vorstellungen wieder zusammen.

Funktionsanalyse Literarische Eigenart Eine „Funktionsanalyse“ der OrMan im „Erzählverlauf “ könnte es, wenn überhaupt, nur für die in der syrischen Didaskalie überlieferte Fassung geben. In der LXX gibt es keine rahmende Erzählung.38 Entsprechend geht es hier um die 33 Vgl. Newman, Form and Settings, 110 f. 34 Vgl. Dancy, Shorter Books, 246; Stemm, Sünder, 134; 136. 35 Vgl. Ehrmann, Klagephänomene, 160, wobei die Klage weniger „versteckt“ ist, als Ehrmann annimmt. Ehrmann identifiziert darüber hinaus das Zusammentreffen von Bekenntnis (der Sünden) und Gotteslob als Spezifikum der OrMan, die es in alttestamentlichen Texten (noch) nicht gibt (Ehrmann, Klagephänomene, 173). 36 Vgl. Ehrmann, Klagephänomene, 168. 37 Vgl. Ehrmann, Klagephänomene, 171. 38 Vgl. Newman, Form and Settings, 122.

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Frage, welche Funktion eine OrMan im Erzählverlauf der Chronikbücher haben würde  – ein Seitenblick auf die Funktion in der syrischen Didaskalie soll aber nicht unterbleiben, zumal es hier tatsächlich eine interessante Parallele gibt: Newman ordnet die Didaskalie einem „instruction genre“ zu, bemerkt aber zugleich, dass die Einbindung der OrMan in den Kontext eher grob erscheint.39 „The Didascalia offers Manasseh to the bishops as an example of the efficacy of repentance as part of a penitential process, even to those convicted of the worst sin, idolatry. As part of a tale of ‚olden days,‘ the Prayer of Manasseh is not overtly liturgical, although the puzzling inclusion of the superscription hints at a secret life outside the teaching document.“40

Das heißt nichts anderes, als dass die OrMan in der syrischen Didaskalie als Mustertext verwendet wird, ebenso wie einige der ausformulierten Gebete der Chronikbücher in ihrem jeweiligen Erzählkontext. Dieser Zusammenhang könnte im Umkehrschluss auch erklären, warum die Chronikbücher kein Gebet für Manasse überliefern: Die Figur des Manasse wird zwar zum Typos des „reuigen Sünders“, aber, da im Ganzen nicht „gut genug“, doch nicht zum Vorbild stilisiert.41 Die Erzähllogik der Chronikbücher macht es unwahrscheinlich, dass in ihrem Erzählverlauf ursprünglich ein Gebet Manasses enthalten war.42 Vom Duktus der übrigen Gebete her ist es auch sehr fraglich, ob zur Zeit der Abfassung der Chronikbücher wirklich ein Text eines Gebets Manasses existiert haben muss. Die Signale für unrecorded prayers, wie die Chronikbücher sie verwenden, liefern mehr als genug Möglichkeiten für Hypotexte mit, als dass sich die Verweise in 2Chr 33 auf irgendeinen bestimmten (außerkanonischen) Text beziehen müssen.43 Andererseits enthält die OrMan mit dem starken Bekenntnis genau das Element, das im Erzählverlauf der Chronikbücher als Gebetsinhalt Manasses passen würde. Der Bericht über Manasse in 2Chr 33 spricht zwei Mal davon, dass Gott Manasse erhörte, weil er sich „demütigte“ (‫ כנע‬Nifal). Diese SelbstDemütigung würde durch den Text der OrMan zum Sündenbekenntnis präzisiert. Andererseits sagt die Erzählung der Chronik eben gerade nicht, Manasse hätte sich „zu Gott gewandt“ (‫)דרש‬. Hier gibt es eine kleine, aber vielleicht bezeichnende Abweichung in der LXX: II Par 33,12 sagt über Manasse: ἐζήτησεν 39 Vgl. Newman, Form and Settings, 123; vgl. Himbaza, Manassé, 68. 40 Newman, Form and Settings, 123 f (Hervorhebung von Newman). 41 Vgl. Rösel, dann will ich hören, 362 f; gegen Williamson, Chronicles, 294. 42 Dem steht die Argumentation von Nodet, Prières de Manassé, nur entgegen, wenn seine aufgrund eines Vergleichs der Manasse-Erzählung in Chr mit ihren Parallelüberlieferungen und mit den Funden aus Qumran postulierte hebräische Chr-Version mit OrMan (S. 359) auch die älteste Chr-Version sein soll. Eine solche Version ist nicht extant, und Nodet lässt die Frage nach dem zeitlichen Verhältnis zwischen Chr MT, Par LXX, Qumran (und den Antiquitates Judaicae des Josephus) am Ende offen (S. 359 f). 43 Vgl. Davila, Prayer of Manasseh, 75.

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τὸ πρόσωπον κυρίου τοῦ θεοῦ αὐτοῦ, „[…] suchte er das Angesicht des Herrn, seines Gottes […]“.44 Weiter oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass ζητέω die gängige Wiedergabe von ‫ דרש‬zu sein scheint. Entsprechend verstärkt die LXX die Aussage über Manasses Hinwendung zu Gott noch (und vergrößert damit letztlich den „unrecorded-prayer-Effekt“), in dem sie einen Schlüsselbegriff chronistischer Theologie einsetzt. Es ist damit plausibel, dass die Hinweise auf ein Gebet aus II Par 33 zur Zuordnung des Textes der OrMan zur Figur des Manasse geführt haben könnten.45 Diese Zuordnung belegt im Grunde die Funktionsweise der unrecorded prayers: Einigen konkreten Lesern fehlte ein ausformuliertes Gebet so sehr, dass sie einen Text ergänzten. Sie fanden ihn aber nicht in Chronik oder Paraleipomena selbst (oder wenigstens in Sam/Kön beziehungsweise I–IV  Reg), denn es fügte sich nicht so ganz in die Erzähllogik der Chronikbücher ein, wenn Manasse ein ausführliches Gebet erhielte. Einerseits steht bereits der Hinweis auf das Gebet Manasses im Zentrum der Erzählstruktur von 2Chr 33; schon das weist auf einen paradigmatischen Charakter hin.46 Die gesamte Geschichte wird (gegenüber 2Kön beziehungsweise IV Reg) generalisiert47 und zu einer Erzählung über das Thema „Umkehr“.48 Andererseits bleibt die Figur Manasses die eines üblen Königs, der das Volk ins Verderben führt – und der einer breiten (Aus)Zeichnung durch ein ausführliches Gebet eben nicht würdig ist. So hätte sich der Prozess, der sich durch die unrecorded prayers beim Lesen vollzieht, hier in einem (anderen) Zusammenhang textuell niedergeschlagen.

Gesellschaftliche Implikationen Der Unterschied zwischen „aktiver“ und „passiver“ Haltung des Beters in Bezug auf Vergebung lässt sich auch als Unterschied bei den Voraussetzungen für den „Erlass“ von Strafen für Verfehlungen beschreiben: In der Chronik erscheint die „Hinwendung“, also das Bekenntnis zu Gott als einzige Möglichkeitsbedingung menschlicherseits für Vergebung. Die OrMan stellt die Einsicht in persönliche Verfehlungen als zweite Voraussetzung49 daneben. Solche Einsicht zeigt in den Chronikbüchern allein David in 1Chr 21, aber der Schwerpunkt der Darstellung liegt dort klar auf der Zeichnung Davids als Vorbild, auch im Umgang mit 44 Kraus/Karrer (Hg.), LXX.D, 546; Hervorhebung im Original. 45 Für Williamson, Chronicles, 294 ist das selbstverständlich; er hält auch die ganze Geschichte Manasses in der Chronik für „paradigmatisch“. Ähnlich Klein, 2 Chronicles, 485; Ben Zvi, Reading Chronicles, 132. Auch die Auslegerinnen und Ausleger der OrMan (siehe oben Fußnote Nr. 15 im Exkurs) scheinen sich in diesem Punkt einig. 46 Vgl. Abadie, Impious Manasseh, 96. 47 Vgl. Abadie, Impious Manasseh, 97. 48 Vgl. Abadie, Impious Manasseh, 101 f. 49 Vgl. Ehrmann, Klagephänomene, 171; Stemm, Sünder, 131.

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Verfehlung, und auf der Vorbereitung des Tempelbaus. Zudem trifft die Strafe für die Verfehlung nicht den König allein, sondern dessen ganzes Volk (was David in 1Chr 21,17 dann auch zum Argument macht). Das Bittgebet zur Tempelweihe erwähnt zwar Fälle von Verfehlung (2Chr 6,22a.24b.26c.36a–bR) und sogar Umkehr (37b–38a; vgl. 2Chr  7,14d–f, wo diese als Bedingung für „Heilung“ genannt wird), aber in letzterem Fall ist vom Kollektiv Israels als Schuldigem die Rede. Ähnlich verhält es sich in 2Chr 6,24b.26c. Vers 22a zielt nicht auf die Verfehlung, sondern auf die juristische Angelegenheit eines Eides. Im Text der Chronikbücher fehlt ein Beispiel für eine persönliche Verfehlung, die durch ein Gebet „gesühnt“ wird.50 Anders gesagt ist die Idee der Möglichkeit individuellen Sündenbekenntnisses und individueller Vergebung in der Chronik zwar angelegt – die entsprechenden Darstellungen und Anknüpfungspunkte sind gegeben, aber noch nicht ausgeführt.51 Es fehlen Erzählungen mit entsprechenden Beispielen. Umgekehrt zielen Formulierungen der OrMan klar auf das Individuum, auch wenn der Beter in Kolon 1ab Gott den „Gott unserer Väter, Abrahams und Isaaks und Jakobs“ nennt:52 Der Beter selbst ist gefesselt (10a), ohne Erleichterung (10b), fürchtet Verderben und Sündenlast für sich (13cd) und bittet für sich selbst (zum Beispiel 14ab). Nebenbei bemerkt könnte es ein Hinweis auf eine eher christliche Provenienz der OrMan sein, wenn dieses Fehlen in der Chronik als Mangel empfunden und diesem durch pseudepigraphische Zuschreibung eines entsprechenden Textes zu einer der handelnden Figuren der Chronikbücher (Manasse)  „abgeholfen“ wurde. Als „Mangel“ kann dieses Fehlen nur in einem Umfeld erscheinen, dessen Vorzeichen gegenüber dem Bild, wie es die Chronik zeichnet, leicht verändert sind.

Theologie Manasse wird zum Paradigma und Typos der „Umkehr“ – die Umkehr kann sowohl individuell (für Manasse) wie auch kollektiv (mit Israels Exil und der Rückkehr) gelesen werden,53 aber im Kontext der Chronikbücher scheint trotz der Darstellung des individuellen Schicksals Manasses die kollektive Bedeutung zu 50 Vgl. Bailey, David and God, 340, der daraus den Schluss zieht, dass die Verfehlung eines Einzelnen nach der Vorstellung der Chronik nicht ausreicht, um Retribution auszulösen – entsprechend braucht es auch keine auf den Einzelnen zugeschnittene Paränese. 51 Für diese Formulierung danke ich Susanne Talabardon. Sie verwendete sie mit Bezug auf die Vergebungsvorstellungen im Judentum und in den paulinischen Schriften in einem Gespräch auf dem Flur des „Beit Josef “ im Theologischen Studienjahr in Jerusalem, 2015. 52 Stemm, Sünder, 108, verweist in diesem Zusammenhang auf das Fehlen ausdrücklicher Bezugnahme auf den „Bund“ (anders als beispielsweise in 1Chr 16,8–36). Außerdem: „Der Be­ ter bezieht sich nicht in das Volk mit ein, sondern stellt sich den Gerechten gegenüber“ (ebenfalls Stemm, Sünder, 108; Hervorhebung von von Stemm). 53 Vgl. Abadie, Impious Manasseh, 103.

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überwiegen.54 In der Erzählung über König Manasse dominieren die negativen Folgen der Nichtbeachtung Gottes; ähnlich wie im Fall der Geschichte des Secharja ben Jojada zur Regierungszeit Joaschs. Der theologische Unterschied zwischen Chronik und OrMan ist am Ende vergleichsweise gering. Es besteht auch die Gefahr, angesichts der im Traditionsstrang der LXX „kontextlosen“ Überlieferung der OrMan einzelne Aussagen, wie zum Beispiel das „Beugen des Herzens“ in Vers 11, überzuinterpretieren. Dennoch ist der Unterschied vorhanden. Im Grunde belegt der Vorgang, dass die Rezeption der Chronikbücher entweder aus einem eigenständigen Text eine wörtliche Rede einer handelnden Figur machte oder eine solche Rede erfand, die Tatsache der Weiterentwicklung theologischer Gedanken und die Existenz von „Exegese“.

54 Davon geht auch Ben Zvi, Reading Chronicles, 126 f; 134 f aus, der in Manasse einen Typos für Israel erkennt.

Kapitel 3: Synthesen 1. Sprache und Stil Das auffälligste Merkmal, das Sprache und Stil der Gebete aller Formen in den Chronikbüchern betrifft, ist ihre große Nähe zu den Psalmen. Die Beziehung reicht von bloßer stilistischer Ähnlichkeit über die thematische Wiederaufnahme bis hin zu konkreten Zitaten. Die motivischen oder thematischen Übernahmen machen den größten Anteil aus. Nicht in allen Fällen lässt sich entscheiden, ob ein konkreter Psalm Hypotext der jeweiligen Übernahme ist, etwa, wenn Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon in 2Chr 20,6–12 „traditionelle Gottesattribute der Psalmen“1 benutzt. Ähnlich verhält es sich mit sprachlichen Verwandtschaften. Es gibt aber auch eindeutige Fälle, wie die Beziehung zwischen Salomos Bittgebet zur Tempelweihe (2Chr 6,23) und Ps 7,17. Der Psalm behandelt das Thema göttlicher Strafe (vgl. auch Vers 12), die den ungerechtfertigt Handelnden trifft. Hier kommen eine thematische und eine sprachliche Verschränkung zusammen. Wirkliche Eindeutigkeit gibt es indes nur bei Zitaten: 2Chr 6,41–42 nehmen Ps 132,8–10 und 1Chr 16,8–36 Teile von Ps 96; 105; 106 auf. Kein einziger Psalm aber wird ganz und unverändert übernommen. Stets werden nur Teile von Psalmen (an)zitiert, in längeren Stücken Teile mehrerer Psalmen kombiniert, die Hypotexte dabei aber stets variiert. Die Untersuchung der Abbreviaturen hat gezeigt, dass für sie Vergleichbares gilt: Ein eindeutiger Hypotext lässt sich nicht identifizieren. Mehrfach weckt der Gebrauch von Psalmen beim Leser die Erwartung bestimmter, bekannter Inhalte, etwa in 1Chr 29,10–19 durch den Einstieg mit der Formel „gepriesen sei JHWH“. Einerseits macht es diese Erinnerung an Bekanntes dem Leser leichter, sich den Text zu eigen zu machen.2 Andererseits bricht die Chronik durch die Variation der verwendeten Psalmen mit den möglichen Erwartungen des Lesers. Sie wandelt die wiedergegebenen Texte ab, kombiniert neu und durchbricht Muster. Dies beginnt im Kleinen bereits in Jabez’ Bittgebet in 1Chr 4,10, wo auf ein grammatisches „Wenn“ kein „Dann“ folgt. Der Leser muss den Zusammenhang aus seiner Enzyklopädie erschließen. Ein anderes Beispiel ist 2Chr 20,6–12. Dort wird eben nicht eins zu eins das Muster einer „Volksklage“ umgesetzt, sondern um Elemente wie Lob, Bekenntnis und Selbstauf­forderung 1 Strübind, Tradition, 182. Dort findet sich auch die Liste, welche Psalmen die Attribute ‫ כח‬und ‫גבורה‬, von denen Strübind schreibt, enthalten. 2 Vgl. Balentine, Prayer, 207.

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Kapitel 3: Synthesen

ergänzt. Es zeigt sich, dass die Chronik nicht so sehr die Verwendung von Psalmen oder gar deren liturgischen Gebrauch beschreibt. Vielmehr verwendet der Text die Psalmen in seinem Verlauf. Die Abweichung von Mustern – oder besser: der kreative Umgang mit Lesererwartungen – ist erstes Zeugnis dafür. Die Chronikbücher gebrauchen die Psalmen aber durchaus auch argumentativ. Dies lässt sich gut an den Abweichungen erkennen, die zwischen den Wiedergaben der Hypotexte in der Chronik und den Originalen bestehen. Ein Beispiel ist 2Chr 6,41–42 mit dem Zitat aus Ps 132,8–10. Der Psalm wird so verändert, dass Gott und seine Präsenz (und damit das Wohl des Volkes) im Vordergrund stehen, während Priester und König in den Hintergrund treten.3 In 2Chr 20,6–12 geht es durch Verwendung des Motivs der „Landgabe“ in der Fassung von Ps 44,1–9 darum, eine vergleichbare historische Argumentation aufzubauen: Die Übernahme des Landes ist kein Verdienst des Beters oder Kämpfers, sondern Gabe durch JHWH.4 In den meisten Fällen können die eingespielten Motive aus den Psalmen (zusätzlich) als Interpretamente für den Zusammenhang gelesen werden, aus dem heraus sie aufgerufen werden. Dabei können sie sowohl durch positive Verstärkung zur Klarstellung einer Bedeutung beitragen, wie Ps 38,5 zu 1Chr 21,8, wo David umso eindringlicher um die „Wegnahme“ seiner Schuld bittet, als auch den verweisenden Kontext kontrastieren. Dies ist etwa in 1Chr 29,10–19 der Fall, wo Ps 39 den Kontrapunkt hervorhebt (in 1Chr 29 ist das die Klage). Allen Hypotexten und Motiven ist gemeinsam, dass sie den idealen Leser nicht notwendig lenken (es gilt noch immer, dass keine dieser Verbindungen zwingend ist), sondern Angebote für den Leser darstellen, einen Zugang zu den Erzählungen der Chronikbücher zu finden. Zwei grundsätzliche Linien lassen sich bei der Verwendung von Psalmen in der Chronik ausmachen: Zum einen dienen die Psalmen als Hypotexte und Interpretamente für den Zusammenhang, aus dem heraus auf sie verwiesen wird. Zum anderen tragen sie zusätzliche Kommunikationsebenen in den Kontext ein – mindestens eine Ebene der Text-Leser-Kommunikation jenseits textweltlicher Zusammenhänge. Damit bereiten sie den Weg für eine weitergehende Aufsprengung des zeitlichen Rahmens der Textwelt. Es gibt weiterhin auch poetische Stilmittel in den Chronikbüchern, die unabhängig von Psalmen gebraucht sind. Tatsächlich lässt sich in jedem ausformulierten Gebet wenigstens ein Stilmittel identifizieren – zumindest, wenn man die Definition poetischer Stilmittel nicht allzu streng fasst.5 Ein einfacher statistischer 3 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 98. 4 Vgl. Strübind, Tradition, 182. 5 Der Zweifelsfall ist 2Chr 30,18–19. Die in Kapitel 2 in Abschnitt 12.1.4 vorgestellte Analyse, die einen „Rhythmus“ nachweist, ist durchaus anfechtbar. Entfällt aber die Annahme der Existenz eines Rhythmus an dieser Stelle, so wäre Hiskijas Bittgebet zum Pessach als ausgeführtes Gebet ohne poetisches Stilmittel die Ausnahme von der gerade aufgestellten Regel.

Sprache und Stil 

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Überschlag ergibt eine gewisse Vorliebe für Inklusionen; sechs der zwölf ausgeführten Gebete enthalten eine, 1Chr  29,10–19 sogar drei. Dazu kommt die von 1Chr  16,8–36 und 1Chr  29,10–16 gebildete Inklusio um 1Chr  16–29 auf der „Makroebene“.6 Außerdem erweist es sich, dass nicht unbedingt das längste Gebet (Salomos Bittgebet zur Tempelweihe in 2Chr 6,1–2.14–42) die meisten Stilmittel enthält. Das bedeutet, dass kürzere Texte wie 1Chr 29,10–19 oder 2Chr 1,8–10 einen viel höheren Grad an Formalisierung aufweisen. Dies erklärt sich, wenn die Leistung dieser sprachlichen Überformungen nicht auf der Textwelt-Ebene betrachtet wird. Zunächst bedeutet der Kontrast zwischen den Gebetstexten und dem Fortschreiten der Erzählung für einen Leser ein retardierendes Moment7 und damit eine Erhöhung der Aufmerksamkeit. Letzteres wird besonders deutlich, wenn die „Unterbrechung“ sich wiederholt. So geschieht dies beim Chiasmus; einem Stilmittel, das in den Chronikbüchern vor allem auf der „Makro-Ebene“ im zweiten Teil vorkommt, einmal bei 2Chr  6,1–2.14–42 als Zentrum der Symmetrie von 2Chr  5–7 und zum zweiten bei 2Chr 14,10; 20,6–12. Klaus Seybold hebt als Besonderheit des Stilmittels „Chiasmus“ hervor, dass „er mit einfachen Mitteln … eine Hörererwartung erzeugen kann.“8 Dieses Spiel mit der Erwartung nicht nur von Hörern, sondern von (idealen) Lesern bewirkt eine Intensivierung der „Botschaft“ der Texte, insofern längeres Verweilen zu längerem Nachdenken zwingt. Zugleich bedeutet die Formalisierung eine Abstraktion. Samuel Balentine beschreibt diese Leistung von Wiederholung und Parallelismus als „Verallgemeinerung“.9 Solche Verallgemeinerung erleichtert einem idealen Leser die notwendige10 Identifikation mit dem Text und weitet, weil sie die Konkretionen der textweltlichen Darstellung aufbricht, den potentiellen Adressatenkreis aus. Das Erstaunliche ist, mit welcher Konsequenz sich dieses Phänomen in den Chronikbüchern beobachten lässt. Die Funktion, qua „Kontrast“ aus dem Text der Erzählung heraus den Leser anzusprechen, ist prinzipiell allen ausgeführten Gebeten und den Abbreviaturen eigen. Die Abbreviaturen sind nicht nur schmückendes Beiwerk, aber sie schmücken die Erzählung durchaus und verlängern dadurch den Text, zum Beispiel in 2Chr  20.11 Dort, wo Gebete nur mehr angedeutet werden, bei den 6 Allen, Kerygmatic Units, 22, deutet die Parallelität von 1Chr 16; 29 als Parallelismus. Das würde die Betonung etwas verschieben, weg von dem „eingeschlossenen“ Teil 1Chr 17–28 hin zu den beiden Enden und statistisch eine Inklusio weniger bedeuten. Indes ist auch ein Parallelismus ein Stilmittel; am Grad der Formalisierung würde sich nichts ändern. 7 Beispielhaft erläutert für Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch in 2Chr  14,10 von Balentine, Prayer, 97. Ähnlich für Psalmen Lohfink, Psalmen, 109, mit Beispielen aus Ex, Ri, 1Sam und Jona (S. 109–112). 8 Seybold, Biblische Poesie, TRE 26, 746. 9 Vgl. Balentine, Prayer, 209. 10 Vgl. Iser, Akt, 44 ff; Iser spricht (S. 46) von „prästabilisierter Harmonie“. 11 Vgl. Eskenazi, Literary Approach, 267.

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Kapitel 3: Synthesen

unrecorded prayers, könnte es sein, dass ein Kontrast oder eine Betonung durch die Hinzufügung eines Gebets vermieden werden soll. Für die impliziten Gebete gilt das gleiche. Die Gebetssprache der Chronik steht Psalmen und Poesie näher, als das Urteil der Forschung, die ausgeführten Gebete der Chronikbücher seien – mit Ausnahme von 1Chr  16,8–36  – „Prosagebete“,12 vermuten lässt. Bisweilen könnte dieses Urteil vielleicht noch einmal überdacht werden, etwa in 1Chr 29,10–19; einem Text, der in Form und Funktion große Ähnlichkeit zu 1Chr 16,8–36 aufweist. Sprachliche Überformung und Anlehnung an gebundene Rede sind dabei kein Selbstzweck, sondern dienen der Lenkung eines idealen Lesers hin zu den zentralen Aussagen der Chronikbücher.

2. Das Charakterbild der Figuren mit und ohne ihre Gebete Eine statistische Analyse der Vorkommen von „Hinwendung zu Gott“ in den Chronikbüchern13 bestätigt das von Dietmar Mathias in seinem Aufsatz von 200814 entwickelte Bild nicht vollständig. Ausgeführte Gebete sind überwiegend, aber nicht ausschließlich von Königen überliefert. Auffällige Ausnahmen sind Jabez in 1Chr 4,10 und Secharja ben Jojada in 2Chr 24,22, denen als nicht-Königen kurze Texte zugeschrieben sind.15 Die unrecorded prayers werden ebenfalls nicht nur Königen zugesprochen. Diesen gesellen sich, zuweilen gemeinsam, zuweilen je allein, die „Leviten“ und die Gemeinde (das Volk; die „Söhne Israels“) als Betende hinzu. Dies deckt sich noch mit einem Befund von Mathias.16 Mathias irrt aber in der Aussage, dass alle betenden Könige „eine uneingeschränkt positive Bewertung erhalten“.17 Die deutlichste Ausnahme ist ­Manasse. Louis Jonker hat darüber hinaus festgestellt, dass das Urteil der Chronikbücher über viele Könige in Summe wesentlich differenzierter ausfällt, als es den Anschein hat.18 Ein Beispiel dafür ist, dass die Geschichte Asas, die äußerst positiv beginnt, in ihrem zweiten Teil  klar ins Negative kippt. Er schafft die Kulthöhen nicht ab (2Chr  15,17), verbündet sich mit König Ben-Hadad von Aram (2Chr 15,19–10) und bestraft sogar den Propheten, der ihn deswegen tadelt (vgl. Vers 10). Wie später Hiskija wendet er sich in einer Krankheit an Ärzte – und stirbt womöglich daran (2Chr 16,12–13). 12 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 65; für weitere Literatur Mathias, König, 177. 13 Vgl. neben den hier vorgelegten Auswertungen Beentjes, Psalms and Prayers, 9 ff. 14 Mathias, König. 15 Vgl. Mathias, König, 172. 16 Vgl. Mathias, König, 172. 17 Mathias, König, 173; vgl. diese Aussage mit den Ergebnissen von Jonker, Good and Bad Kings. 18 Vgl. Jonker, Good and Bad Kings, 355 ff.

Das Charakterbild der Figuren mit und ohne ihre Gebete 

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Die Abbreviaturen und Formeln passen ebenfalls nicht mehr in das von Mathias entworfene Bild: Solche Hinwendung zu Gott wird auch von dem als böse abqualifizierten König Rehabeam und seinen Fürsten erzählt, und eine Formel legt die Preisung JHWHs zwei Nichtisraeliten in den Mund, Huram von Tyrus und der namenlos bleibenden Königin von Saba. Wie die unrecorded prayers kommen Abbreviaturen außerdem auch nicht-königlichen Betern wie Leviten oder dem Volk zu. Die Gebetsgesten und impliziten Gebete führen dann zwar keine neuen Akteure mehr ein, beschränken sich aber auch nicht auf eine bestimmte Gruppe von Betern. Es ergibt sich eine Art Henne-Ei-Problem: Kann man von „guten Königen“ im Sinne chronistischer Theologie sprechen, wenn ihnen der Text ein Gebet zu­ ordnet? Anders gesagt, lenken Gebete das Urteil des Lesers über die Wertung der Könige? Oder ordnet die Chronik nur jenen Königen (oder Zeiten) Gebete zu, die bereits durch weitere Umstände als „gut“ gekennzeichnet sind? Wenn letzteres der Fall ist und die Gebete nicht primär der Wertung der Könige dienen, welche Funktionen erfüllen sie dann? Um die erste Frage zu entscheiden, lässt sich zunächst feststellen, dass fast alle ausformulierten Gebete trotz ihrer großen kontextuellen Vernetzung aus ihrem Erzählverlauf herausgenommen werden könnten, ohne dass die jeweilige Erzählung eine vollständig andere Bedeutung erhielte oder unverständlich würde. Dies gilt auch für die Abbreviaturen. Es gibt allerdings auch hier Ausnahmen: Das Gebet des Jabez in 1Chr 4,10 kann nicht einfach entfallen; ebenso wenig wie Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon in 2Chr  1,8–10, Salomos Bittgebet zur Tempelweihe in 2Chr 6,1–2.14–42 und Hiskijas Bittgebet zum Pessach in 2Chr 30,18–19. Die Funktionsanalysen ergaben für diese Texte einen Unterschied zu den „überflüssigen“ Gebeten: Jabez ist kein König, also kann sein Beten nicht der Bewertung seiner Herrschaft dienen; der Vers ist eine Art „Überschrift“ über die Gebetstexte der Chronikbücher. Das Tempelweihgebet ist weniger ein persönliches Gebet Salomos als ein formaler Bestandteil der Weihefeierlichkeiten. Salomos Beten zu seinem Regierungsantritt ist göttlich initiiert und setzt den thematischen Bogen fort, den die „Natan-Verheißung“ mit Davids Antwort darauf und Davids Dankgebet zu Salomos Krönung aufspannen (dennoch trägt es zur Zeichnung Salomos bei).19 Hiskijas Bitte löst ein kultrechtliches Problem und scheint von daher im Erzählverlauf geboten. Anders verhält es sich beim Phänomen der unrecorded prayers: Sie treten aus­ schließlich da auf, wo es der Gang der Erzählung gebietet, das heißt, wo die Erzählung ohne die Erwähnung einer Hinwendung zu Gott unverständlich würde oder

19 Zur Verteilung des Themas „Natan-Verheißung“ in der Chronik vgl.  Steins, Geschichtsbild, 155 ff. Der erwähnte Bogen würde weit weniger prominent ausfallen, wären die genannten Gebete nicht; vgl. Riley, King and Cultus, 88.

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Kapitel 3: Synthesen

mit der eingeführten theologischen Logik merklich bräche. Dies wird am deutlichsten bei Manasse: Er wird durch die Hinweise auf sein Gebet überhaupt nicht aufgewertet. Er bleibt ein negativ gezeichneter König; dennoch ist es für die Erzähllogik der Chronikbücher erforderlich, dass er betet, und entsprechend viele Signale dafür gibt es. Die Verse 2Chr 33,12–19 zählen nicht weniger als sieben Hinweise auf ein Gebet. Dass dieses aber nicht wiedergegeben wird, hängt damit zusammen, dass ein Gebet in einer „negativ besetzten“ Geschichte nicht im Sinne der Leserlenkung der Chronik ist. Späteren Exegeten wird das Fehlen eines Gebetstextes hier als Mangel erscheinen. Es entsteht die pseudepigraphische Zuordnung der Oratio Manasse zu diesem König. Jonker hat jene Signale zusammengestellt, die tatsächlich der Wertung der Könige dienen.20 Zuweilen werten sie in der Chronik die Figuren gegenüber der Darstellung in Sam/Kön auch um. Doch beten auch die in der Chronik um- oder ambivalent gewerteten Könige stets in der Phase ihrer Herrschaft, die auf göttliche Zustimmung stößt. Die Tatsache des Betens allein scheint also kein Kriterium für Wohlverhalten im Sinne der Chronik zu sein. Tatsächlich wird die Tat­ sache des Betens gerade auch von den Frevlern berichtet; ihr Gebet ist nur keine Hinwendung zu Gott, sondern zu Götzen, und darin liegt jeweils das Problem.21 Demgegenüber bedeutet es offensichtlich einen Unterschied, ob einer Figur ein ausführliches Gebet zugeschrieben wird oder ob es bei dem Hinweis, sie habe gebetet, bleibt. Der Zusammenhang der Gebete und ihrer Verteilung mit dem Bild, das ein Leser von den Figuren in der Erzählung der Chronik gewinnt, kann so beschrieben werden: Die ausformulierten Gebete dienen der Charakterzeichung der Figuren und ermöglichen ihre Funktion als Vorbilder.22 Sie werden eingesetzt, wenn weitere Umstände die Person als „gut“ erkennbar machen. Ihre Funktion geht aber über die Illustration vorbildlicher Charaktere hinaus: „Zum Gelingen der Sprechhandlung einer Paränese als aufmunternde Mahnrede lautet die ‚Regel der Aufrichtigkeit‘ (vgl. Searle), daß der Hörer dem Sprecher die Berechtigung zur Ermahnung vertrauensvoll zugesteht und daß sich der Sprecher in seine Mahnrede selbst mit einschließt.“23

Es ist eine Aufgabe der „Hinwendung zu Gott“ in der Chronik, eine solche Berechtigung gegenüber dem Leser (statt des Hörers) zu belegen. Im Einzelnen stellt sich dies bei den Gebeten der Chronikbücher so dar: Die Befragung Gottes im Philisterkrieg in 1Chr 14,10 wirft zunächst ein Licht auf David als Heerführer. 20 Vgl. Jonker, Good and Bad Kings. 21 Dies hat Mathias, König, 174 bereits festgestellt. 22 Diese Eigenschaft haben sie bereits durch ihre Eigenschaft als wörtliche Rede, vgl. Boda, Prayer, 274 f; in den Gebeten der Chronik verstärkt sich dieser Effekt noch. 23 Popkes/Denecke, Paränese, TRE 25, 744.

Das Charakterbild der Figuren mit und ohne ihre Gebete 

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Zusammen mit der zweiten Befragung in 1Chr 14,14, die unter Umständen auch als Fall von unrecorded prayer gelten kann, ordnet sie David in die Reihe der Charismatiker ein, wie sie in der Richterzeit auftreten. Der König verhält sich dann im Wortsinn mustergültig, wenn er vor einem Feldzug die Zustimmung JHWHs einholt. Mit 1Chr 16,8–36 ist weiter das Thema „Kult“ gegeben. Dass die Erzählung David als „Auftraggeber“ des Gebets bezeichnet (2Chr 16,4.7), sagt dabei mehr über die Figur aus als der Text selbst, der sich nicht auf den König oder sein Verhalten bezieht. Über David als „Kultgründer“ und das Anliegen der Chronik, den Kult des zweiten Tempels an diesen „altvorderen König“ zu binden, haben ältere Arbeiten schon etwas gesagt.24 Im Sinne der Leserlenkung funktioniert diese Zuschreibung auch umgekehrt: David erscheint als Urgründer des Kultes und Urahn des „richtigen Handelns“, weil der (für den Leser aktuelle) Kult an ihn zurückgebunden wird. Zusammen mit den Psalmüberschriften entfaltete dieser Gedanke vielleicht die größte Wirkung für die Figur Davids, wenn sich so etwas wie „Wirkung“ quantifizieren ließe. Am Ende dieser Entwicklung steht die Ikonographie des bärtigen Gekrönten mit der Harfe.25 Ältere Darstellungen zeigen tatsächlich auch noch Schreiber und ähnliches „Hilfspersonal“,26 gehen also durchaus nicht davon aus, David hätte stets allein komponiert und interpretiert, sondern rechnen mit einem Auftrag Davids an Spezialisten, wie 1Chr 16,4.7 es beschreiben. Wesentlich mehr über die Figur Davids sagen in der Chronik allerdings die verbleibenden zwei Erzählungen, die ihn betend zeigen: Die Erzählung von der Auffindung des Bauplatzes für den Tempel in 1Chr  21 mit den Schuld­ bekenntnissen in den Versen  8 und 17 sowie Davids Dankgebet zu Salomos Krönung in 1Chr 29,10–19.27 Das Davidbild in Kapitel 21 fasst Gary Knoppers zusammen: „The image of David as the model of a repentant sinner is a constituent element in the depiction of this king. The David of the census story is a person of confession and supplication par excellence, a human sinner who repents, seeks forgiveness, intercedes on behalf of his people, and ultimately secures the site of the future T ­ emple. Precisely because David is a pivotal figure, David’s repentance and intercession are paradigmatic.“28 24 Vgl. die Bibliographie zu diesem Thema bei Labahn, Herrschaftsanspruch, 194, Fußnote 12. Vgl. zu dieser Stelle Watts, Psalm and Story, 158. Sonst vgl. De Vries, Moses and David; Kleinig, Song, 28 f; Steins, Geschichtsbild, 159–163. 25 Diese Ikonographie ist also eine Zusammenschau mehrerer Davidbilder. Zu den Unterschieden der Darstellung Davids in der Chronik und in den Psalmen vgl. detailliert Seybold, David als Psalmsänger, 152 f. 26 Vgl. Wyss, David, LCI 1, 478 f. 27 Mathys, Dichter, 215, nennt David im Zusammenhang mit 1Chr 29 einen „Theologen“. 28 Knoppers, Chronicles, 764.

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Zu 1Chr  17,16–27 muss nach diesem Zitat nicht mehr viel gesagt werden. Es geht in Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ zwar nicht um Schuld, aber um ein Bekenntnis zu JHWH. Auch hier zeichnet die Erzählung das Bild eines Menschen, der auf eine göttliche Ansage angemessen und vorbildlich reagiert, obwohl er de facto eine Abfuhr erhält (David darf seine Idee nicht umsetzen, den Tempel nicht bauen). Davids Dankgebet zu Salomos Krönung (1Chr 29,10–19) bewahrt den Leser schließlich vor dem Missverständnis, die Leistungen Davids zur Vorbereitung des Tempels seien das alleinige Verdienst eines Menschen. Ohne alle diese Gebete bliebe David zwar der große und ehrwürdige König vergangener Zeiten, sogar als Kultgründer würde seine Figur weiter funktionieren. Diese Eigenschaft hängt von anderen Teilen der Erzählung ab als von den Gebeten.29 Aber er erschiene weit weniger als Person; ohne seine Reue wäre er endgültig „unfehlbar“ und womöglich für einen Leser auch unnahbar. Darüber hinaus könnte sein Handeln als eigenmächtig missverstanden werden  – wo er doch gerade dann, wenn er wirklich eigenmächtig handelt (1Chr 21), Leid über sein eigenes Volk bringt. Es fällt auf, dass der Tenor der drei persönlichen Gebete dieses Königs entweder von vornherein einen negativen Einschlag hat oder zumindest (1Chr 29,10–19) durch Klage gebrochen wird. Die Weste Davids ist auch in den Chronikbüchern nicht ganz blütenweiß. Das bewahrt die Figur vor völliger Entrückung. Während es David noch verwehrt war, den Tempel zu bauen, folgen auf Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon in 2Chr  1,8–10 die Berichte von Bau und Weihe desselben durch Salomo selbst. Was die Ausübung von Herrschaft anbelangt, erscheint Salomo innerhalb der Chronik gleichsam als „Höchstfall“.30 Seine Weste erscheint, im Gegensatz zu der seines Vaters, nun tatsächlich vollkommen weiß. Brian Kelly weist darauf hin, dass es außerhalb der Gebetstexte durchaus Anspielungen auf die negativen Passagen über Salomo in Sam/Kön gibt.31 Das bedeutet, dass es der Darstellung in der Chronik nicht um eine tatsächliche Glorifizierung einer (historischen) Figur geht, sondern schlicht um bestimmte Eigenschaften  – um das „Typische“. Der Machtanspruch, den 2Chr 1,8–10 der Figur Salomo zuerkennt, die nachfolgende Beschreibung ihrer Erfolge und der günstige Ausgang des Tempelbau-Projekts machen Salomo, wie bei den Einzelanalysen bereits gezeigt, zu einem „Märchenkönig“.

29 Riley, King and Cultus, 58–66 stellt die Merkmale zusammen, die David zum „Kultgründer“ machen; für andere Königsfiguren gilt dies analog. Salomo etwa bliebe auch ohne das Weihegebet der König, der den Tempel tatsächlich gebaut hat. David traf weitgehende Vorbereitungen. 30 Vgl. auch Williamson, Accession, 357. 31 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 91.

Das Charakterbild der Figuren mit und ohne ihre Gebete 

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In Gibeon ist es zusätzlich zur Überhöhung auch noch Gott selbst, der die Kommunikation initiiert (vgl. 2Chr 1,7), was den Effekt der Charakterisierung noch verstärkt. Paradoxer Weise schärft das Gebet in Gibeon die Zeichnung der Figur Salomo, in dem es sie „entrückt“. Weiterhin kommt Salomo mit dem Tempelweihgebet eine Funktion zu, die sich bei David mit Ausnahme von 1Chr 21 so deutlich nicht zeigt: Salomo wird zum Vorbeter und Fürbitter, besonders in den paradigmatischen Anliegen des Tempelweihgebets. Allerdings ist Salomos Bittgebet zur Tempelweihe, obwohl in mancherlei Hinsicht „Mustertext“, zu unpersönlich, um die Figur Salomos näher auszuleuchten. Was die Könige nach der Reichsteilung angeht, erscheint Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch in 2Chr 14,10 wie ein „Zwischenspiel“ im Erzählverlauf.32 Das Gebet führt aus, was 2Chr 14,1 meint, wenn Asa „tut, was gut und recht war in den Augen JHWHs, seines Gottes“. Tatsächlich wird Asa in dieser Phase seiner Regentschaft – die Bewertung Asas ändert sich über den Bericht seiner Regentschaft hinweg – zum überaus vorbildlichen König.33 Der Gebetstext 2Chr 14,10 gehört zu diesem ersten, von der Chronik für gut befundenen Teil seiner Regierung (2Chr 13,23–14,1). Das Gebet bringt zusätzlich David und dessen Vorbildrolle ins Spiel; der ausdrückliche Vergleich Asas mit David ist gegenüber 2Kön entfallen.34 Asa verhält sich nicht insgesamt, über seine gesamte Regierung hinweg, wie David; doch in dem Augenblick, da er noch mustergültig handelt – wobei hier durchaus auch Salomos Bittgebet zur Tempelweihe als Muster verstanden werden kann  – wird die Situation überdeutlich mit David in Verbindung gebracht. Der Zwillingstext zu Asas Gebet, Joschafats Bittgebet im Kampf gegen Moab und Ammon in 2Chr 20,6–12, ist selbst ein „Mustertext“. Die ganze Episode in 2Chr 20 kann als Verhaltensanleitung gelesen werden. Für die Figur Joschafats gilt dabei analog dasselbe wie das, was für David in 1Chr  14,10 gesagt ist: Joschafat wird zum frommen König und als solcher auch zum Heerführer, der vor seinen Entscheidungen die Weisung Gottes einholt. Was die Abbreviaturen betrifft, tragen sie – neben den übrigen Funktionen – ebenfalls zur Zeichnung der Szenerie und der Figuren ihrer jeweiligen Kontexte bei. Speziell für die Abbreviatur ‫ הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו‬in der Form …‫ הלל ליהוה‬und das unrecorded prayer-Signal ‫ הלל‬fällt auf, dass ausschließlich Leviten oder dedizierte „Sänger“ (‫ ;משררים‬2Chr 20,21) Subjekt sind. Um den Text verständlich zu machen, würde ein terminus technicus für die Tätigkeit der Leviten, wie etwa ‫( הלל‬an der Grenze zum unrecorded prayer-Signal) genügen. Die Abbreviatur trägt nicht nur zusätzliche Sinnpotentiale ein, sondern illustriert das Handeln der Kultspezialisten und macht die Darstellung plastisch. 32 „interlude“: Balentine, Prayer, 97. 33 Vgl. Balentine, Prayer, 97 f. 34 Vgl. Klein, 2 Chronicles, 213.

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Es ergeben sich verschiedene Grundfunktionen für die Königsfiguren. David ist der „Bekenner“ sowohl der Sünde als auch Gottes; Salomo ist der „Fürbitter“, sowohl für sich wie auch für sein Volk. Dazu kommt das nicht-königliche Gebet des Jabez, der im Kontext der Genealogien als „paradigmatischer Judäer“ gelten darf.35 Der Text bildet eine „Überschrift“, Hiskijas Bitte erwies sich in einigen Belangen als „Abschluss“ zu den Themenbögen der Gebetssprache der Chronikbücher. Die übrigen ausgeführten Gebete sind „Anwendungsfälle“ – mit je gewichteter Betonung nach der Situation. Einzig die Figur des Secharja ben Jojada stellt vor gewisse Schwierigkeiten. Selbst wenn Secharja als gescheiterter Prophet das „Prophetenschicksal“ erleidet (wie es die Synoptiker Matthäus und Lukas zu deuten scheinen, vgl. Mt 23,35‖Lk 11,51) und mit diesem Topos verbunden als Typos erscheint, ist er keine Vorbildfigur in gleicher Weise wie einer der Könige oder Jabez. In seiner Sterbebitte verbindet sich die „positive“ Paränese der Gebete mit der für die Chronik typischen Warnung der Prophetie.36 Alle Charakterzeichnungen haben gemeinsam, dass sie den handelnden König zu einem Vorbild stilisieren, und zwar zu einem Vorbild im Verhalten gegenüber JHWH. Dabei geht es nicht unbedingt um kultische Verehrung (mit Ausnahme von 1Chr  16,8–36 und 2Chr  30,18–19), sondern um das persönliche Verhältnis der Akteure und ihre Rolle als König. Es geht nicht darum, den Leser einfach nur zu fesseln, sondern darum, ihm die Identifikation mit der klaren, ganz konkreten Botschaft zu ermöglichen: Wer JHWH sucht, wird von ihm Hilfe erhalten. Das gilt primär, aber nicht ausschließlich, für Israel, dessen Gott JHWH ist. Es sind nicht die „guten Könige“, die beten, sondern die guten paradigmatischen Figuren.

3. Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 3.1 Literarischer Anspruch „Hinwendung zu Gott“ tritt in den Chronikbüchern an Scharnierstellen der Erzählung auf.37 Die ausgeführten Gebete stellen für das Lesen „Umwege“ dar38 und zwingen den Leser dazu, länger bei einer Erzählung oder einem Thema zu verweilen. Wie der Gang durch Sprache und Stil gezeigt hat, ist dies eine Funk 35 Vgl. Oeming, Israel, 126 f. 36 Vgl. die Deutung von Vers 19 bei Japhet, 2 Chronik, 303, wonach sich darin das grundsätzliche Prophetie- und Prophetenverständnis der Chronik kondensiert. 37 Vgl. Throntveit, When Kings Speak, 21. 38 Vgl.  Balentine, Prayer, 207; Boda, Prayer, 274. Boda gibt auf S.  272 f, Fußnote 17, außerdem eine umfangreiche Bibliographie zum Thema „Wörtliche Rede in Erzählungen“ an.

Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 

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tion, die den Gebetstexten in der Chronik vor allem durch ihre sprachliche Formalisierung zukommt. Wenn zusätzlich poetische Hypotexte eingespielt werden, gibt es an einigen Stellen einen doppelten Bruch, wenn die erwarteten Inhalte und Formen abgewandelt werden. Solche doppelten Brüche erhöhen die Aufmerksamkeit des Lesers. Dieses Auftreten der Gebete an „Scharnierstellen“ ist die grundlegende, strukturelle literarische Funktion der Gebete. Die strukturellen Aufgaben, die die Gebete hauptsächlich Kraft ihrer Formalisierung übernehmen, sind mit den vernetzenden Funktionen eng verzahnt. Jabez’ Bittgebet in 1Chr 4,10 steht zwar nicht ganz am Anfang des Textes der Chronikbücher, aber innerhalb der Gebete bildet der Vers so etwas wie eine Überschrift. Er bringt thematisch bereits auf den Punkt, was der Erzählverlauf der Chronikbücher dann in größerer Breite ausfalten wird: Der Mensch betet, aber stets ist es Gott, der die Voraussetzungen dafür schafft und dann Entscheidungen trifft. Dem entspricht das letzte ausformulierte Gebet der Chronikbücher, Hiskijas Bittgebet zum Pessach in 2Chr 30,18–19, mit der personalisierten Form der gleichen Aussage: Wer Gott sucht, für den wird Gott Versöhnung erwirken. Salomos Bittgebet zum Regierungsantritt in Gibeon in 2Chr 1,8–10 verklammert über die Bögen zu den Verheißungen an Abraham und Jakob und in Verbindung mit dem in 1Chr 29,10–19 enthaltenen „Ausblick“ für Salomo die Erzählabschnitte über David und Salomo, dient also der Vernetzung und – trotz der Unterbrechung des Leseflusses – dem Zusammenhalt des Erzählbogens der Chronikbücher. Die enge, intertextuelle Vernetzung von Asas Bittgebet im Kampf gegen Kusch in 2Chr 14,10 dient prinzipiell ebenfalls strukturellen Zwecken, zumal im Zusammenhang mit 2Chr 20,6–12. Darüber hinaus bezieht der Vers viele Sinnpotentiale über Hypotexte in den Kontext mit ein, sodass hier „Verweisen“ als Funktion besonders herausragt. „Verweisen“, und damit Transport eines Inhalts und zusätzlicher Funktionen ist auch die grundsätzliche Aufgabe der Abbreviaturen und unrecorded prayers. Es gibt zuerst direkte textliche Verknüpfungen, wie die zwischen dem Tempelweihgebet und seinem Inhalt zu den jeweiligen Erzählungen über das Signalwort ‫ פלל‬oder die zwischen Saul, dem Motiv der „Philister“ und ‫שאל‬. Dazu treten weiter ausgreifende, mehrere potentielle Hypotexte einspielende intertextuelle Verknüpfungen, etwa die Abbreviatur ‫הודו ליהוה‬ ‫כי טוב כי לעולם חסדו‬. Anders als bei den „Umwegen“ ausformulierter Gebete und Abbreviaturen geschieht der Verweis bei den unrecorded prayers in gedrängter Form. „Der Chronist kürzt ab und kann das auch; wie er verstanden sein will, machen die anderen Gebete hinreichend klar.“39 Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel der un­ 39 Mathys, Dichter, 48. Mathys bezieht sich hier hauptsächlich auf die mit ‫זעק‬/‫ צעק‬bezeichneten Stellen, führt aber auch andere Beispiele an. Dass er autororientiert von einem „Chronisten“ spricht, stört nicht weiter; seine Aussage bleibt richtig, wenn stattdessen „die Chronik“ stünde.

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recorded prayers in 2Chr 32,20.24. Die Chronik kann abkürzen, weil die Gebete Hiskijas durch die Parallelen in 2Kön und Jes schon eingeführt und bekannt sind. Das ist ein im Verhältnis zu 1Chr 16,8–36 umgekehrter Fall: In 1Chr 16 wird zum Zwecke der Erstellung eines Paradigmas eine Erzählung „zusammengebaut“. Dort, wo es das Paradigma schon gibt, wie in 2Chr 32, wird nur noch darauf verwiesen. Das Phänomen findet sich auch außerhalb von Zusammenhängen, in denen Gebete eine Rolle spielen.40 In diesem Zusammenhang verdient eine Beobachtung Aufmerksamkeit, die von mehreren Kommentatoren geteilt wird: Die Begriffe, die 2Chr 7,14 als zentraler Satz der Antwort Gottes auf Salomos Gebet aufzählt (‫בקש‬, ‫כנע‬, ‫)פלל‬, implizieren oder verweisen an anderer Stelle auf Gebetshandlungen – allerdings erst nach dem Tempelweihgebet,41 das damit in dringenden Verdacht gerät, an diesen Stellen dem Leser als Hypotext souffliert zu werden. Speziell die Wurzel ‫ פלל‬lässt das Tempelweihgebet im weiteren Erzählverlauf zu einem fast universellen Hypotext werden. Die Befunde, die die übrigen theologisch wichtigen Aussagen betreffen, decken sich mit der Verteilung dieser Schlüsselbegriffe.42 Zu den Strukturmerkmalen gehören auch wiederkehrende Textmuster. Wie die theologisch bedeutsamen Hinweise auf unrecorded prayers verlassen sie ebenfalls die rein literarische Ebene. Es gibt sie als Bedeutungsmuster auf der Ebene einzelner Wörter, innerhalb der ausgeführten Gebetstexte und deren Kontext sowie im Rahmen ganzer Erzählungen. Die Beispiele 1Chr  16,8–36 und 1Chr 29,10–19 fallen hier durch eine vergleichbare Einbindung in den Erzählkontext mittels direkter Aufnahme von Stichwortverknüpfungen und Motiven auf.43 Weiterhin laufen beide Texte und zu einem gewissen Grad auch 2Chr 6,1– 2.14–42 auf eine Bitte zu und darauf hinaus.44 Dieses Muster des Zulaufens auf eine Bitte füllen innerhalb ihres jeweiligen Kontexts auch die unrecorded prayers aus. Selbst bei den Gebetsgesten der Chronikbücher schwingt immer eine Bitte mit. Hier zeigt sich eine Grundvoraussetzung oder Grundeigenschaft von „Beten“ überhaupt.45 Vor jedem Akt der Hinwendung zu Gott liegt die Überzeugung, dass es für den entsprechenden Inhalt einen Adressaten gibt.46 Aus diesem funktionalen Zusammenhang resultiert das Bedeutungsmuster der Mehrdeutigkeit von Sprechakten, die im Zusammenhang mit „Hinwendung

40 Jonker, Good and Bad Kings, 351 führt beispielsweise 2Chr 34,3 als Verkürzung des­ Berichts über Joschija in 2Kön an. 41 Vgl. Williamson, Chronicles, 225 f; Klein, 2 Chronicles, 111. 42 Vgl. Williamson, Chronicles, 225 f; Klein, 2 Chronicles, 111 f. 43 1Chr 16,8–36: vgl. Watts, Psalm and Story, 155 f; 1Chr 29,10–19: vgl. Japhet, 1 Chronik, 457. 44 Zu 1Chr 16; 29 vgl. Hausmann, Gottesdienst, 89. 45 Vgl. Ratschow, Gebet, TRE 12, 31. 46 Vgl. Hieke, Grundzüge, 21.

Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 

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zu Gott“ stehen. Diese Mehrdeutigkeit bedeutet keineswegs eine Undeutlichkeit, sondern eröffnet einem Leser mehrere Zugangsmöglichkeiten. Der grundlegende Zusammenhang zwischen Gebet und Überzeugung von der Existenz eines Adressaten ist derselbe, der zwischen einem „Bekenntnis“ und einer „Bitte“ besteht: In jedem Bekenntnis schwingt schon eine Bitte mit, und jede Bitte ist zugleich ein Bekenntnis dazu, dass der Gebetene die Macht hat, ihr zu entsprechen. Zum ersten Mal im Verlauf der Chronikbücher und exemplarisch zeigt sich das in 1Chr 21,8.17. Mit Davids Bekenntnis verbindet sich die Erwartung göttlicher Vergebung (vgl. Vers 8), die in die Bitte zunächst um Vergebung, wenigstens aber um Schonung Unschuldiger (Vers  17) mündet. In der paradigmatischen Umsetzung der Erzählung wird dieser Zusammenhang dem Leser vermittelt. Vieldeutig sind auch das Lob, der Dank und die Bitte in 1Chr 29,10–19; „Lob“ und „Dank“ können sprechakttheoretisch auch als Varianten des Bekenntnisses verstanden werden. Der Unterschied länge dann nur im Grad der Ausdrücklichkeit. In 1Chr 29,10–19 tritt zudem die Klage auf. Auch bei ihr gibt es diesen Zusammenhang; Klage und Bitte sind zwei Seiten einer Medaille. In Davids Dankgebet zu Salomos Krönung wird dies durch den Kontrast zwischen „Klage“ und dem Tenor eines Dankgebets besonders deutlich. Die Mehrdeutigkeit von Sprechakten kann auch daher rühren, dass die Adressaten nicht klar benannt werden. Dies ist etwa beim Imperativ der Abbreviatur „lobpreist JHWH…“ (… ‫ )הודו ליהוה‬häufig der Fall. ‫ צדיק יהוה‬ist ein Bekenntnis und als solches in sich mehrdeutig, wie gerade gezeigt. Dasselbe gilt für die bārûk-Formel. Bei letzterer schließt sich der Kreis zu den Mehrdeutigkeiten einzelner Lexeme: Für die Wurzel ‫ ברך‬Piel ergeben sich Schwierigkeiten schon bei der Übersetzung: „Segnen“, „preisen“ – oder gar „danken“? Bisweilen ist die Unterscheidung zwischen ‫ ברך‬sowie ‫ ידה‬und ‫ הלל‬kaum mehr wahrnehmbar.47 Diese Mehrdeutigkeit macht es auch so problematisch, im Fall von ‫ ברך‬zwischen dem Gebrauch als unrecorded prayer-Signal und anderen Verwendungen zu unterscheiden. Solche Aussagen, deren Adressat verschleiert wird, sprechen aus dem Text heraus den Leser an. In diesen Zusammenhang gehört die Funktion der Abbreviaturen aus der „Rahmung“ der Tempelweih-Geschichte in 2Chr 5,13; 7,3.6. Vor allem bei dem Lob, das der eigentlichen „Weihe“ – der Theophanie der Wolke vor den Priestern – in 2Chr 5,13 vorausläuft, wird deutlich, dass es dafür, bei Menschen ein Bekenntnis zu evozieren, der Theophanie eigentlich gar nicht bedarf. Konsequenterweise steht keiner der drei Theophanieberichte im Zentrum des Abschnitts 2Chr  5–7, sondern das Tempelweihgebet als menschlicher Akt. Die „theologische Korrektur“ in 2Chr  6,18 hilft, den Eindruck zu vermeiden, mensch-

47 Clines, ‫ידה‬, DCH 4, 97, und Clines, ‫הלל‬, DCH 4, 561 führen die Begriffe ‫ ידה‬und ‫ הלל‬als Synonyme auf.

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Kapitel 3: Synthesen

liches Handeln laufe hier göttlichem Tun voraus:48 Das Haus, dass Salomo für JHWH baut, kann diesen nicht „fassen“, kann Gottes Zuwendung oder gar Präsenz nicht erzwingen. Dieser Aussage greift schon die Figur Hurams von Tyrus in 2Chr 2,5 vor. Huram verwendet in seinem Brief an Salomo fast denselben Wortlaut wie 2Chr 6,18, nur dass er von (Israels) Gott in dritter statt in zweiter Person spricht. Das Aufbrechen der Textebene durch mehrdeutige Lexeme und verschleierte Adressaten setzt sich fort im Verschwinden der Grenzen zwischen der Textwelt und der Text-Leser-Interaktion. Das Tempelweihgebet tilgt gegenüber seiner Parallelversion in 1Kön gezielt den zeitlichen Bezug. Die Stilmittel, die in 2Chr 6,1– 2.14–42 eingesetzt werden, wirken nicht innerhalb der Textwelt, sondern gegenüber dem Leser. Zuweilen ist bei ganzen Textteilen wie 2Chr 6,4b–11 nicht einmal ohne weiteres klar, an wen sie sich textweltlich richten, ob an „Hörer“ oder an Gott. Aber gerade in dieser formalen Indifferenz verbirgt sich der tatsächliche Adressat: Der ideale Leser. Auch die Befragung Gottes im Philisterkrieg (1Chr  14,10; das Überführen einer Frage in eine Aussage oder die vorwegnehmende Selbstverpflichtung Gottes) „funktioniert“ in diesem Sinn nur auf der Ebene der Text-Leser-Kommunikation. Das Wie der Überbrückung der Kommunikationsebenen zeigt sich besonders deutlich an der Einbindung von 1Chr  16,8–36. Stichwortverbindungen im Text greifen den Kontext direkt auf. Dabei werden Hypotexte eingeflochten und so geschickt verändert, dass sie sich mit einer Aufforderung an den Leser wenden: Lobpreist! (Vers  8) Lobt! (10) Gedenkt! (12) Ebenso deutlich ist das Stilmittel der rhetorischen Frage in 2Chr  1,8–10 („Wer kann richten?“) und 2Chr  20,6–12 („Bist nicht du Gott?“, „Hast nicht du vertrieben?“, möglicherweise auch: „Richtest du nicht?“). Eine rhetorische Frage kann per se nicht auf der textweltlichen Ebene funktionieren, sie ist als Stilmittel immer an den Leser gerichtet. Die Antwort, die der Leser zu geben hat, ist in jedem Fall dieselbe: (Ja,) JHWH, (du hast/bist)! Bisweilen wenden sich sogar die Figuren aus dem Text heraus mehr oder weniger direkt an den Leser. David fordert in 1Chr 29,20 im Anschluss an das Dankgebet zu Salomos Krönung zum Gotteslob auf. Die Reaktion des textweltlichen Volkes ist durch ein unrecorded prayer wiedergegeben: „Sie priesen JHWH.“ Wenn sich die Aufforderung Davids an den Leser richtet, färbt dies auf die Signalworte für unrecorded prayers ab; auch sie fordern dazu auf, sich zu Gott hin zu wenden. In 1Chr  29 geht es konkret darum, in das Gotteslob einzufallen. Im Wechselspiel mit 1Chr 16; 2Chr 6; 20 leisten auch die Abbreviaturen („Lobpreist!“) einen Beitrag dazu, den Text zum Leser sprechen zu lassen.

48 Vgl. Lynch, Monotheism, 111: Es geht nicht nur darum, dass der Tempel den „grenzenlosen“ Gott nicht fassen kann, sondern auch um die Frage, in wie weit Menschen diesem Gott überhaupt eine „Wohnung“ bauen können.

Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 

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Besonders wichtig sind diese Ebenen bei Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“. 1Chr 17,16–27 ist textweltliche Reaktion auf eine Vorgabe Gottes und zugleich Erinnerung an sowie vor allem Verkündigung der Taten Gottes gegenüber dem Leser. Und wie bei 1Chr 29,20 (2Chr 6,3; 7,3.6; und mehrfach 2Chr 20) ist die textweltliche Einbeziehung des „Volkes“ ein Schlüssel zu den Türen zwischen den Kommunikationsebenen. Gerade in den Aussagen, die sich textweltlich an das „Volk“ richten, scheint die Ansprache des Lesers besonders deutlich durch. Darüber hinaus werden auch ganz konkrete Theolo­gumena wie der „Bund“ (1Chr 16,16–17) aus ihren textweltlichen Bezügen herausgehoben. Damit werden ihre Deutung und Bedeutung auch zeitlich entgrenzt. Über die textuellen Muster innerhalb der Gebetstexte und ihre kontextuelle Einbettung hinaus hat Sara Japhet beobachtet, dass mehrere „größere Unternehmungen in Chr“49 eine vergleichbare Erzählsequenz aufweisen (insbesondere in Abhebung von Parallelen in Sam/Kön): Sie gelingen erst durch die Hilfe JHWHs oder werden auf sein Betreiben hin erst begonnen und enden mit einem „Lobgesang für Gott“.50 Außer der Ladeüberführung sind dies etwa Joschafats Feldzug (vgl. 2Chr 20,26.28) oder Hiskijas Pessach (vgl. 2Chr 30,21.27).51 1Chr 16 als erstem Text dieser Art in der Chronik kommt hier eine weitere Vorbildfunktion auf Leser-Ebene zu. Seinen Urgrund hat das Muster dieser Erzählsequenz in der Erzählung des Auszugs aus Ägypten in Ex 14.52 Versteht man die Exodus-Erzählung mit Georg Steins nicht als Typos für den JHWH-Krieg, wie dies forschungsgeschichtlich geschehen ist,53 lässt sich ihr Muster mit dem von Sara Japhet beschriebenen Strukturmuster aus der Chronik überblenden. Die folgende Übersicht (Tabelle  7) ordnet die entsprechenden Texte in das sich ergebende Muster ein.

49 Japhet, 1 Chronik, 303. 50 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. Watts, Song, 356 f, beschreibt die Funktion von „Sieges­ liedern“ generell als Herstellung intertextueller Bezüge. Die prägende Kraft von Ri 5 und Ex 14– 15 sei so groß, dass „victory hymns“ ein genrebildendes Mittel im Hebräischen wurden. 51 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. 52 Vgl. Watts, Song, 354, zu weiteren Beispielen außerhalb der Chronikbücher, sowie zu Funktion und Stellung von „poems“ in biblischen Erzählbögen. Obwohl Watts es nicht sagt, sind alle seine Beispiele Gebete. 53 Vgl. Steins, Kanon und Anamnese, 124 f.

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Kapitel 3: Synthesen

Tabelle 7: Das Erzählmuster der Exodus-Sequenz 54 55 56 57 58 Erzählschritt nach Japhet54

göttliche Initiative

menschliche Reaktion

Erzählschritt in Ex

Bedrohung durch feindliche Macht

Feindklage

Ex 14

4–9 Gott verhärtet Pharaos Herz

10–12 Das Volk schreit zu Mose

1Chr 14

11,3 Salbung Davids nach Weisung 14,8 Davids Krönung als Kriegsgrund

10 David befragt Gott

1Chr 16

15,26 Gott hilft den Leviten

15,27–16,3 Lade-Überführung

1Chr 11–29

11 Davids Krönung

11–14 Eroberung Jerusalems, die Helden, Philistersieg, Lade-Überführung

2Chr 159

1 Salomo „erstarkt“ 7 Gott erscheint

8–10 Salomo betet

2Chr 14

8 Serach gegen Asa

9–10 Asas Bittgebet

2Chr 2060

1 Moab und Ammon gegen Joschafat

6–12 Joschafats Bittgebet

2Chr 3062

12 Hand Gottes in Juda

13–19 Versammlung, Festvorbereitung, Zweifel, Gebet

55

54 Vgl. Japhet, 1 Chronik, 303. 55 Vgl. Beentjes, Tradition, 265. 56 Zwischen dem „Mirjam-Lied“, dem Dankgebet in 1Chr 16 und Joschafats Bittgebet besteht eine zusätzliche Verbindung durch die innerhalb von Ex (Ex 14,13; 15,2) und Chr (1Chr 16,23; 2Chr 20,17) exklusive Verwendung des Nomens ‫ישועה‬, vgl. Gosse, 2 Chroniques 20, 666. 57 Watts, Song, 347, weist darauf hin, dass die Parallelität zu Ex 14 bis hinein in die kontextuelle Einbettung geht. 58 Vgl. Steins, Abschlußphänomen, 243; auch Fußnote 18; Mosis, Untersuchungen, 44.

Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 

59 60 61 62

Verheißung

Erfüllung

Lob/Dank

Prophetische Antwort

Sieg

Jubel

13–14 Mose antwortet

21–29 Durchzug durch das Meer

15,1–21 Mirjam-Lied56

10 Gott antwortet

11 Sieg

11 David benennt den Ort

16,4–7.37–38 Die Lade in Jerusalem

16,8–36 Dankgebet zur Lade-Überführung57

17 „Natan-Verheißung“

18–28 Bauvorbereitungen 2Chr 2–5 Tempelbau

1Chr 29 Davids Dank 2Chr 6–7 Tempelweihe58

11–12 Gott antwortet

14–17 Salomos Reichtum

(11) (der Herr schlägt)

11 Sieg

12–14 Beute

15–17 Prophezeiung Jahasiëls

22–23 Sieg

25–28 Beute und Lobpreis

19 „JHWH möge Versöhnung erwirken“61

20 JHWH hört und heilt

21–23 Feier

223

59 Vgl. Japhet, 2 Chronik, 25 f. 60 Vgl.  Beentjes, Tradition, 265. Die Ähnlichkeit ist hier so groß, dass der entscheidende Vers Jahasiëls (Vers [15.]17) weitgehend Wortgleich zu dem enstprechenden Vers in Ex 14,13[.14] ist, vgl. Mason, Tradition, 67 f und die eingehende Untersuchung des Verses in Kapitel 2, Abschnitt 10.3.1. 61 Hiskija glaubt an die „Effektivität des Gebets“. 62 Endres, Theology, 185, sieht das Exodus-Muster („pattern“) bei Hiskija in 2Chr  30 ebenfalls, gibt aber nicht an, wie er es ausfüllen würde.

224

Kapitel 3: Synthesen

In gewisser Weise bestätigt die Existenz oder Anwendung dieses Musters in den Chronikbüchern Steins’ These von der Chronik als „kanonischem Abschlussphänomen“.63 In dem ihre Erzählungen das Muster einer der konstitu­tiven Erzählungen Israels aufgreifen,64 schließt die Chronik den gewaltigen Bogen von der Schöpfung bis in die Zeit nach der Rückkehr Israels aus dem Exil  – nicht ohne deutlich zu machen, dass mit diesem Ende des Bogens keineswegs die Geschichte endet. Dieser Befund steht durchaus quer zu Ergebnissen älterer Chronikforschung.65 Der Exodus wird in den Chronikbüchern nicht vernachlässigt. Zum einen ist der Exodus, kanonisch gelesen, eher Auftakt als Ziel der Geschichte Israels66 und braucht daher nicht notwendig ständig eingespielt zu werden. Zum anderen wird er in der Erzählstruktur sogar vorausgesetzt. Beim Vergleich der Muster darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Situationen, in denen das Muster zur Anwendung kommt, sehr unterschiedlich sind. Der Krieg, der in 2Chr 20 gefochten wird, ist etwas anderes als die Auseinandersetzung des Exodus.67 Die Chronik überträgt das Muster des Exodus auf Textebene in die Königszeit, auf der Ebene der Text-Leser-Kommunikation in die Zeit (weit) nach dem Exil. Umgekehrt listet Gary Knoppers aber auch die situativen Gemeinsamkeiten auf,68 die über die textlichen Parallelen hinausgehen. Mit dem Hinweis von Rudolf Mosis, dass (zumindest in der Geschichte der Lade in 1Chr 11–16) weniger die Person Davids als vielmehr die „mit ihr verbundenen Geschehnisse und theologischen Leitgedanken und Anliegen“69 relevant sind, schließt sich der Kreis zum Charakterbild der Könige. Die Zeichnung der Figuren zielt auf die Vermittlung theologischer Inhalte ab. Die lexikalischen Mehrdeutigkeiten, die Überbrückung der Kommunikationsebenen, das Aufgreifen der Geschichte sowohl strukturell (Ex 14) als auch inhaltlich und die zuweilen direkte Elimination zeitlich-kontextueller Bezüge aus den Hypotexten führen zu einer Aufsprengung des zeitlichen Geltungsrahmens der Texte. Die Gebete sind formal an Gott gerichtet, aber sie sprechen auffordernd zum idealen Leser hin. 63 Vgl. Steins, Abschlußphänomen, 509; mit den Chronikbüchern wird ein Erzählbogen geschlossen. Eine Aussage darüber, wann das geschehen sein kann und ob die Chronik explizit zu diesem Zweck verfasst oder nur dafür verwendet wurde (möglicherweise unter redaktioneller Bearbeitung, deren Spuren sich im Text nicht mehr nachweisen lassen), kann aufgrund der hier gewählten Methodik nicht gemacht werden. 64 Steins, Kanon und Anamnese, 125, spricht vom Pentateuch als „Schöpfungserzählung“; das entsprechende Muster konkretisiert sich im Exodus. 65 Vgl. Japhet, Ideology, 379–386; S. 379 mit Literaturangaben. 66 Vgl. Steins, Kanon und Anamnese, 124 f. 67 Vgl. Knoppers, Jerusalem at War, 63 f. 68 Vgl. Knoppers, Jerusalem at War, 72 f. 69 Mosis, Untersuchungen, 54.

Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 

225

Die Funktion der Überbrückung bis hin zur Verschmelzung von Zeitebenen führt dazu, dass die Verbindung des Textes mit den erzählten Ereignissen und deren Zeit aufgebrochen wird. Dadurch tritt ein Sinnpotential zutage, das von konkreten historischen Momenten unabhängig ist. Es greift die Anliegen der Chronik auf und kann in die Gegenwart des Lesers hineinwirken. Ehud Ben Zvi spricht mit Blick auf 1Chr 16,8–36 von der „fluidity of meanings“.70 Diese Entgrenzung der Zeitebenen71 markiert eine Tendenz zur Vergegenwärtigung und ist der erste Schritt dessen, was Steins als „Anamnese“ bezeichnet.72 Mit der Funktion der Gebetssprache, aus dem Erzählverlauf der Chronikbücher heraus den Leser anzusprechen und ihn in die Botschaft einzubeziehen, ist allerdings nur der erste Schritt hin zum „Zeugnis“ getan. Was die Gebete leisten, ist ein Teil der „anamnetischen Struktur“ des Bibelteils Chronikbücher. Die Texte der Chronikbücher zielen auf Gegenwärtigkeit. Die sozialen Implikationen und vor allem die theologische Dimension als Verkündigung sind die anderen Teile auf dem Weg zur Chronik als „Zeugnis“, also als Text, der auf „Gottesbegegnung im Jetzt“73 zielt.

3.2 Gesellschaftliche Implikationen und soziale Pragmatik Warum benutzt die Chronik zu wörtlicher Rede ausgestaltete Texte? Zumindest sind die Gebete keine spontane Rede, wie die Erzählungen sie darstellen. Bisher haben sie sich vor allem als Mittel zur zeitlichen Entgrenzung erwiesen. Das scheint erst einmal paradox: Die Zuordnung einer Aussage zu einer konkreten oder realen Person bindet sie eigentlich an diese Person, an deren Zeit und Umstände.74 Wenn es sich aber nicht um eine reale Person handelt, an die eine Aussage gebunden wird, ergibt sich ein anderes Bild: Insbesondere David und Salomo sind idealisierte, fast verklärte Typen.75 Die Zuordnung einer Aussage zu einem 70 Ben Zvi, Who Knew What, 353. 71 Vgl. Mitchell, Dialogism, 320, für ein Beispiel dieser Entgrenzung außerhalb der Gebete (namentlich in 1Chr 10–11, der Erzählung von Sauls Ende und Davids Regierungsantritt). 72 Vgl. Steins, Kanon und Anamnese, 122. 73 Steins, Kanon und Anamnese, 122; vgl. die Stelle auch zur „anamnetischen Struktur“ und dem Zeugnischarakter der Bibel insgesamt. 74 Vgl. Finnern, Narratologie, 152. Wörtliche Rede dient, gerade auch im biblischen Erzählen, zur Charakterisierung einer Figur. – Was die Inhalte der übrigen Texte (vor allem königliche und prophetische Reden) in der Chronik betrifft, vgl. für einen ersten Überblick Throntveit, Speeches, in dem er allerdings einen Teil seiner Ergebnisse aus seiner Dissertation (Throntveit, When Kings Speak) für überholt erklärt. Es deutet sich an, dass die Funktionen prophetischer Reden und der Prophetie denen der Gebete ähnlich sind. 75 Ohne in die Tiefen der narratologischen Figurenanalyse einsteigen zu wollen und ohne den Anspruch zu erheben, eine vollständige Figurenanalyse vorzulegen (das ist mit dem erfassten Ausschnitt nicht möglich), lassen sich nach dem zur Charakterisierung der Könige Gesagten mit Finnern, Narratologie, 157–161 den Figuren folgende Schlagworte zuordnen, um den Begriff „Typ“ oder „Typos“ zu erläutern: Die Figuren David und Salomo sind eher statisch, vor

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Kapitel 3: Synthesen

solchen Typos, insbesondere zu einem, der für konstitutiv gehalten wird, macht sie leichter verständlich und „ewig gültig“.76 Gleichzeitig lässt sich ein paränetischer Unterton besser an eine zur Rede stilisierte Textpassage binden als an eine in ihrer Sprechaktausrichtung eher neutrale Erzählung.77 Wird solche Rede in eine Erzählung eingebunden, entsteht die eigentümliche Stilistik der chronistischen Erzählweise. Umgekehrt ermöglicht die Bindung von Aussagen an Figuren dem Leser, den umgebenden Prosatext auch dann anzunehmen oder sich damit zu identifizieren, wenn er die Meinung der Figur nicht teilt. Selbst Manasse kann so zum Typos des Umkehrers werden. Auch insofern dient der Einsatz als wörtlicher Rede stilisierter gebundener Sprache einer „Ausweitung des Leserkreises“.78 Der paränetische Charakter79 zeigt sich deutlich im Aufruf zum Mitfeiern in 1Chr 16,8–36 und in der Abbreviatur „gerecht ist JHWH“, bei der die Aufforderung, „handle so, wie er geboten hat“ immer „mitläuft“. Das längste, direkt mahnende Stück sind die Bitten im Zentrum des Tempelweihgebets (2Chr 6,19–39). Diese Bitten rücken in der Gesamtschau mehr das Verhalten der Bittsteller in den Vordergrund und damit die menschliche Voraussetzung dafür, eine Bitte vor Gott äußern zu können, als die Bitte selbst. Die Reihe lässt sich als Katalog allgemeiner Verhaltensregeln lesen – und es zeigte sich in den Einzeltextanalysen, dass die nachfolgenden Kapitel „Anwendungsbeispiele“ für das beschriebene Verhalten bieten. Zugleich bedeutet die Vergewisserung, dass es einen Adressaten für diese Bitten gibt, auch Trost in den beschriebenen „Notfällen“. Im Umkehrschluss zu der Erkenntnis, dass sich Ermahnungen besser an „vorbildliche Personen“ binden lassen als an abstrakte Sachverhalte, ergibt sich ein Hinweis auf jenen idealen Leser der Chronikbücher, von dem schon mehrfach die Rede war: Die literarischen, poetischen (und auch die gesellschaftlichen) Eigenschaften der gebundenen Rede und der Gebetssprache im Erzählverlauf funktionieren am besten gegenüber einem Leser, für den David und Salomo (und die übrigen Figuren) eine Bedeutung haben – etwa vermittelt durch weitere Texte aus demselben Kanon wie die Bücher Samuel und Könige. Bereits das Gebet des Jabez als „Überschrift“ gibt eine Leitlinie vor, die den Leser durch die politische Landschaft der Chronikbücher führt. Mit Thomas Willi wäre die schmerzende Wunde, die Jabez beklagt, die Teilung Israels in Nord und allem im Vergleich zu manchem Südreichskönig in 2Chr, dessen Verhalten sich völlig ändert. Trotz des immensen Erzählumfangs werden kaum Charaktereigenschaften erkennbar, die Figuren sind also knapp (hier wäre undetailliert besser) und eindimensional, in der Folge typisch und kohärent. Salomo erscheint sogar unrealistisch. 76 Vgl. Finnern, Narratologie, 158 ff. Die Figuren – oder wenigstens das von der Chronik beschriebene Verhalten – sind übertragbar. 77 Vgl. Popkes/Denecke, Paränese, TRE 25, 744; Steins, Geschichtsbild, 152. 78 Vgl. Watts, Song, 352. 79 Vgl. Popkes/Denecke, Paränese, TRE 25, 737.

Pragmatik der Gebete und des Redens über Gebete im Erzählverlauf 

227

Süd und der Untergang erst des Nord-, dann des Südreichs; und die nie mehr in derselben Weise wiederhergestellte Macht.80 Die erste Bitte aus 1Chr 4,10 ließe sich dann als politische Forderung nach einer Gebietsausweitung lesen. In eine ähnliche Richtung stößt Bernard Gosse vor, wenn er die Einbindung des Themas des Bundes mit Abraham in 1Chr 16,8–36 (vgl. Vers 15) so deutet, dass der Bund auch für die nachexilische Gemeinschaft noch gültig sein soll.81 Der Bund hätte dann als Abraham-Bund mit dem „Rest Israels“ überlebt.82 Gegen Daniel Estes’ metaphorische Deutung83 wäre der Hinweis auf Israels „Fremdlingschaft im Land“ in 1Chr  29,10–19 (vgl.  Vers  15), übernommen aus Ps  39, dann womöglich doch als politischer Hinweis zu verstehen „Hinwendung zu Gott“ in der Chronik erschiene als Ausdruck eines Versuchs, aus der Geschichte heraus Identität zu wahren. Mit den Ergebnissen der Studie zum „Herrschaftsanspruch der Leviten“ von Antje Labahn besteht auch die Möglichkeit, dass Identität nicht für „Israel“ gewonnen werden soll, sondern für den „kleinen Kreis“ der Leviten. Wenn tatsächlich ein Spannungsverhältnis zu den Priestern besteht und sich in der Chronik ein Gegenentwurf zu einem priesterlichen Herrschaftssystem niederschlägt, wie Labahn beschreibt,84 bauen die Leviten – letztlich aus Eigennutz – ein Argumentationsmuster auf, das auf eine Legitimation einer besseren oder einflussreicheren Stellung zielt.85 Entsprechend könnte man die Funktion der Chronik mit dem Schlagwort „Predigthandbuch“ umreißen. Dies würde die Konsistenz der Botschaft auf vielen Ebenen erklären: Die Gebete (und wohl auch die Reden und prophetischen Äußerungen) sind „Mustertexte“ für die Arbeit der Leviten, die sie als „Mittler“86 der Macht bei ihren Aufgaben, wie das „Handbuch“ sie beschreibt, verwenden können.87 Unter dieser Voraussetzung könnte sich die „ideologiekritische“ Interpretation von Jonathan Dyck als zutreffend erweisen. Dyck versucht unter anderen anhand des Beispiels von 2Chr 20 aufzuzeigen, dass der Glaube an die „Effektivität des Kultes“ (oder der Gebete) die Sache des JHWH-Glaubens 80 Vgl. Willi, Chronik, 128. 81 Vgl. Gosse, Alliance, 134. 82 Vgl. Gosse, Alliance, 132 f. 83 Vgl. Estes, Sojourning. 84 Vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch, 378–382. 85 Vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch, 378; Labahn, Antitheocratic Tendencies, 123. Ein wenig anders grenzt Gudrun Wilda die Konfliktlinien ab: In Ihrem Vorschlag setzt sich die Trägergruppe der Chronikbücher, die die Restitution des Davididenreichs als „Priesteraristokratie“ anstrebt, von Strömungen ab, die eschatologische Hoffnungen in die „Natan-Verheißung“ setzen, vgl. Wilda, Königsbild, 35 f. 86 Vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch, 377. 87 Allerdings funktioniert die „Identitätsstiftung“, wie sie für die Gebetstexte jetzt zu zeigen ist, nicht nur, wie von Labahn skizziert (vgl. Labahn, Herrschaftsanspruch, 385–389), nach „innen“ für die Gruppe der Leviten, sondern auch nach „außen“ für jene, denen die Leviten das Angebot machen, sich mit ihnen zu identifizieren.

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Kapitel 3: Synthesen

und seiner Vertreter stärkt.88 Hier würde sich der Kreis zu der Frage schließen, die 1Chr 16 aufwirft: Stützt der Text einen vorhandenen Kult oder zeichnet er ein Ideal? Die Legitimation der Leviten als Kultträger spräche für die erste Option. Dazu passt der Eindruck, den Manfred Oeming von einem anderen Ausschnitt der Chronik gewonnen hat, den Genealogien:89 Die Leviten besäßen die nötige Schriftkenntnis, um die Chronik als „Literatur von Schriftgelehrten für Schriftgelehrte“ in der von Oeming beschriebenen Weise nutzen zu können. Labahn deutet die Verwendung der Abbreviatur „Lobpreist JHWH…“ selbst als Beispiel für diese Art der Nutzung.90 Tendenzen, einen „kleinen Kreis“ als Leser anzunehmen, stehen Textstrategien, die den Adressatenkreis möglichst ausdehnen, zunächst entgegen. Integrationsangebote auf unterschiedlichsten Kommunikationsebenen sperren sich gegen die Vorstellung einer scharf umrissenen „Zielgruppe“. Einige dieser Integrations- und Identifikationsangebote wurden als literarische Funktionen der Gebete in den Chronikbüchern schon behandelt, etwa das Muster, das Volk in die Feiern und Gebete einzubeziehen (1Chr 29,20; 2Chr 7,3.6; 2Chr 20,13). Wichtigste Voraussetzung für die Integrationsangebote ist die zeitliche Entgrenzung der Geltung der Aussagen der Chronik. Besonders deutlich wird eine solche Ausweitung der „Zielgruppe“ bei den Regelungen für das Pessach, die Hiskija in 2Chr 30,18–19 trifft. Die Chronik hegt, und darin sind sich auch die Kommentare einig, ein offenkundiges Interesse, wenigstens die Bewohner des „Nordreichs“ mit in diese Pessach-Feier des Hiskija einzubeziehen. Nun gehört der Text aber in eine Zeit, in der es weder ein Nord- noch ein Südreich gibt, sondern nur noch eine persische Satrapie, einen Teil des Alexanderreichs und noch später ein für Jahrzehnte zwischen Ptolemäern und Seleukiden umkämpftes Gebiet. Zusammen mit der Beobachtung zur Darstellung des Manasse, in der exemplarisch die Einheit des alten Israel zum Typos für die Einheit „Israels“ zu späterer Zeit wird,91 enthält das fiktive „Friedensangebot“ zwischen Nord- und Südreich den Aufruf an alle, die JHWH treu sind, zusammenzustehen. Hier blitzt eine Funktion des Textes auf, den die Untersuchung der Gebete im Erzählverlauf der Chronikbücher nur anfanghaft erfassen kann: Die Funktion der Identitätsstiftung. Dyck stellt das Thema der „Gnade“ (‫ )חסד‬und seine Verteilung in den Chronikbüchern durch die Abbreviatur „Lobpreist JHWH! Ja, seine Gnade ist ewig!“ in diesen Zusammenhang. Die stetige Wiederholung der Aussage, dass JHWHs Gnade unverbrüchlich ist, impliziert einerseits die Aufforderung an Israel, die entsprechenden Konsequenzen (2Chr 7,14!) zu ziehen; andererseits schweißt gemeinsames Bekennen zu dieser Treue Israel als Gruppe 88 Vgl. Dyck, Theocratic Ideology, 221. 89 Vgl. Oeming, Israel, 206. 90 Vgl. Labahn, Antitheocratic Tendencies, 124 f; auch Fußnote 37. 91 Siehe den Exkurs zur OrMan und vgl. Schniedewind, Source Citations, 451 f.

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(oder Volk) zusammen.92 Tendenzen, einen „Rest Israels“ anzusprechen und den Adressatenkreis auszuweiten stehen sich also insofern nicht unversöhnlich ge­ gen­über, als dass die Ausweitung nicht unendlich zu denken ist. Zudem könnte gerade das Muster der „Einbeziehung des Volkes“ auch eine Folge der Ausrich­ tung auf Leviten als Mittler sein. Zur Vorbildfunktion der Figuren und zum literarischen Muster der Texte tritt auch noch ein funktionales Muster: Das des „textlichen“ Vorbilds und der Mustertexte. Anders gesagt sind die Erzählungen fast alle zu Paradigmen ausgestaltet. Als offenkundiges Textmuster, das ein „Liedblatt“ für das Gotteslob, zu dem es auffordert, gleich mitbringt, hat sich als erstes 1Chr 16,8–36 erwiesen. Der Text nimmt den Leser zuerst mit zurück in die Vergangenheit, zu David und dem Jerusalem noch ohne Tempel, um ihn dann, ausgerüstet mit den Freudenpsalmen des „altvorderen Königs“, wieder in seine eigene Situation (mit Tempel) zu entlassen. In eine ähnliche Richtung gehen die Beobachtungen von Hugh Williamson zu 1Chr 29,10–19, einem Text, der durch den Kontext (Carmen Diller spricht bei 1Chr 16,8–36 von der dritten Redeebene93) ebenfalls als Dank Davids dargestellt wird: Der Text zeigt paradigmatisch die „richtige“ Reaktion auf das Großereignis der Krönung Salomos, die ihrerseits zumindest teilweise Erfüllung der „NatanVerheißung“ an David ist: Jubel und Lobpreis Gottes.94 Die Funktion der zeitlichen Entgrenzung, die sich in 1Chr 16; 29 an der Einbeziehung des Volkes zeigt, wurde schon angesprochen. Sie hängt mit der Funktion von Figuren zusammen. Auch das Volk ist eine solche Figur, und es ist, anders als die Könige, endgültig ein Typos – es werden schlicht keine Eigenschaften genannt als die, dass es mitfeiert. Die Einbeziehung des Volkes wirkt daher auch als „Identifikationsverstärker“: Zu diesem Volk kann sich jeder rechnen, der sich dem Inhalt „JHWH ist der Gott Israels“ anschließen kann. Als „Identifikationsverstärker“ wirkt auch die Formel „gepriesen sei JHWH“ aus dem Mund fremder Könige, Huram von Tyrus und der Königin von Saba. Wie viel mehr muss einem Zugehörigen zu den Nachfahren Salomos das Lob JHWHs Wert sein? Zudem wird die Funktion der (idealen) Könige der Vergangenheit noch ein wenig ausgeweitet, wenn sie ihre Bitten vor dem und für das Volk einlegen. Wenn die Texte zeigen, dass das Volk sich gemeinsam mit ihnen vor JHWH stellt („Stehen vor Gott“, vgl. 2Chr 20,1395) und der Leser sich diesem Volk zurechnen kann, treten die Könige auch für den idealen Leser ein. Hier schließt sich der Kreis zu Hiskija und seinem Pessachfest in 2Chr 30. Hiskija gehört zweifelsfrei zu den guten Königen.96 Die Chronik zeichnet ihn 92 Vgl. Dyck, Theocratic Ideology, 223–227. 93 Vgl. Diller, Kompositpsalm, 184. 94 Vgl. Williamson, Chronicles, 185. 95 Siehe Kapitel 2, Abschnitt 15.5. 96 Vgl. Mathias, König, 173.

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Kapitel 3: Synthesen

sogar noch ein bisschen besser als 2Kön.97 Gerade die Episode seiner Krankheit und seines Zweifels (2Chr 32,24–26) stellt ihn als ideales Beispiel vor. Der „Hochmut“ ist ein Charakterzug, der die Figur menschlich und nahbar macht. Trotz dieses Hochmuts ist Hiskija am Ende fähig, sich wieder Gott zuzuwenden, in dem er sich demütigt (unrecorded prayer mit ‫ כנע‬in 2Chr 32,26). Gerade in der Figur des Königs, der so offenkundig um das „Nordreich“ besorgt ist, steckt demnach großes paränetisches Potential. Dieses Potential entfaltete sich am besten gegenüber einem Leser, der in einer Situation ist, da er zum einen Ermahnung braucht, das „Pessach des Herrn“ zu feiern. Zum anderen muss ihm eine Vereinigung von Nord- und Südreich Israels etwas sagen können. Der exemplarische, mahnende Charakter der Erzählungen tritt besonders in den Texten zu Tage, die sich mit kriegerischen Ereignissen auseinandersetzen. Diese Passagen erwiesen sich als besonders stark schablonenhaft überarbeitet. In Hiskijas Geschichte findet sich mit dem Feldzug Sanheribs auch ein Beispiel dafür (2Chr 32,1–23, mit dem unrecorded prayer in Vers 20). Im Kontext der Kriegserzählungen bauen die Chronikbücher auf der Hinwendung zu Gott ein starkes Argument auf, dass ebenfalls die Funktion der Identitätsstiftung hat: Ein Angriff auf Israel ist stets ein Angriff auf JHWH, und durch die Entgrenzung der Zeitstufen war dies stets so und wird stets so sein. Die korrekte Reaktion auf einen kriegerischen Angriff auf Israel, das zeigen alle entsprechenden Paränesen der Chronikbücher, ist das gemeinschaftliche Bekenntnis zu JHWH. Dieses Argumentationsmuster zeigen besonders deutlich die Gebete von Asa und Joschafat und davon ausgehend die durch ‫זעק‬/‫ צעק‬angezeigten unrecorded prayers. Das Potential zur Identitätsstiftung ist der zweite Funktionsschritt der Anamnese. Die Texte leisten bereits kanonimmanent das, was Steins für die Exegese als „Überstieg von historischer Quellenanalyse zum Zeugnis“98 umschrieben hat. Die Chronikbücher werden zur Vorlage für eine biblische Theologie, wie Steins sie in dem genannten Aufsatz skizziert. Auch die Chronikbücher arbeiten sich ab am „Verhältnis von Glaube und Geschichte […], also einem Grundproblem moderner Exegese.“99 Mit den vielen Beispielen, Paränesen und Integrationsangeboten geht die Chronik über das deuteronomisch-deuteronomistische Modell der Geschichtsdeutung hinaus. Das Exil als Strafe für die Abirrung Israels100 – es funktioniert nicht angesichts der der Einsicht, dass selbst nach dem Exil Israel als Volk, aber auch der Einzelne, immer wieder „die Wege des Herrn verlässt“.101 97 Vgl. Jonker, Good and Bad Kings, 355. 98 Steins, Kanon und Anamnese, 122. 99 Steins, Kanon und Anamnese, 122. 100 Vgl. Wagner, Exil, Abschnitt 5.1.2 f; Schmid, Exil, TRE 10, 708. 101 Mason, Tradition, 37, deutet die Situation der Adressaten der prophetischen Rede Schemajas, die in 2Chr 12,5.7 die Abbreviatur „gerecht ist JHWH“ umgibt, in ähnlicher Weise: Er geht davon aus, dass der Text zu einer Gruppe spricht, die einerseits JHWH verehrt, „in seinem Dienst steht“, andererseits aber einen weltlichen Herrn anerkennen muss, was im

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Zusammengeführt geht es darum, einen Anker in der Zeit zu werfen, und die Größen, die in der Vergangenheit Israels Identität ausmachten, aktuell zu halten: Königtum, Tempel, Kult – allesamt Zeichen der besonderen Beziehung Israels zu seinem Gott. Gott wohnt nicht mehr auf der Erde (vgl. das Tempelweihgebet), aber in der Erinnerung an das Königtum und die großen Vorbilder David und Salomo, an die Auslegung und Bestätigung der Weisung durch die Könige nach ihnen (wer in der Tora ging, regierte lange; wer betete, erhielt Hilfe – wer abwich, wurde vernichtet) und vor allem mit dem Tempel ist allen Israeliten und allen, die sich mit Israel identifizieren können, ein Zeichen gegeben: Gott wird vom Himmel her hören.

3.3 Die theologische Botschaft der Texte Der Satz „Gott wird vom Himmel her hören“ lässt sich mit Blick auf seinen theologischen Gehalt auch anders betonen: Gott wird vom Himmel her hören. Bei den verschiedenen Text- und Funktionsmustern, die bisher vorgestellt wurden, ist eine Gemeinsamkeit noch nicht angesprochen worden. Als Adressat, der vorgängig zu jeder Bitte und Klage notwendig ist, denkt die Chronik stets JHWH. Entsprechend haben 1Chr  16,8–36; 29,10–19 exemplarischen Charakter darin, sich der Verehrung JHWHs anzuschließen. Auch die Abbreviatur verwendet das Tetragramm: „Lobpreist JHWH: Ja, er ist gut!“ Allen Sprechakten, die sich an Gott wenden, ist als Teilfunktion die eines Bekenntnisses zu Eigen. Wenn nun die Gebete der Chronikbücher den Adressatenkreis der Chronik vergrößern und die zeitliche Geltung der Botschaft entgrenzen, verstetigen sie auch die Kunde von diesem Bekenntnis. Jutta Hausmann spricht von einer Verallgemeinerung des Gotteslobes in den Chronikbüchern: Wie das Handeln Gottes nicht länger als auf eine bestimmte Situation zugeschnitten verstanden wird, so bezieht sich auch das Lob eher auf die Konstellation „der Mensch vor Gott“.102 Zur Paränese der Chronikbücher gehört auch das, was Georg Steins „Retributionsschema“ nennt,103 also die Abfolge der Erzählung menschlicher Taten und dem entsprechenden „Ergehen“ in der Chronik. Das Schema lässt sich mit der Beobachtung der Erzählsequenz nach Ex  14 in Verbindung bringen. Aus dem „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ wird ein „Tun-Ergehen-Dank-Zusammenhang“, in welchem das Element des Gotteslobes als weiterer Baustein hinzutritt. Damit wird deutlich, dass göttliche „Vergeltung“ nicht im Wortsinne unvermittelt auf Wider­spruch zu einer Theologie der absoluten Souveränität Gottes steht. Dieser Widerspruch, argumentiert Mason, wird durch Deutung der weltlichen Herrschaft als „Teilstrafe“ aufgelöst. Israel hat zwar bereut, aber sündigt stetig oder erneut; also ist die Rückkehr eines „Restes“ aus Israel nicht vollständig. 102 Vgl. Hausmann, Gottesdienst, 90. 103 Steins, Bücher der Chronik, 319 f.

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menschliches Tun folgt, sondern durchaus eine vermittelnde Kommunikation möglich ist. Das „Lob“ wie im Fall von 1Chr 16,8–36 als Dank für das gelungene Unternehmen der Ladeüberführung ist dabei nur eine von zwei Varianten; die zweite ist die Klage oder Bitte, wie sie in 1Chr 21,8.17 vorkommt. Die Bekenntnisse der Chronik bleiben also bei der Anerkennung der Existenz Gottes nicht stehen.104 Insbesondere 1Chr 21,8.17, aber auch 1Chr 14,10; 2Chr 14,10 und andere bekennen die absolute Herrschaft, die Souveränität Gottes: Nicht der jeweilige König hat die Macht, die Feinde Israels abzuwehren, sondern Gott allein.105 Das gilt auch für 2Chr 1,8–10: All die Machtfülle, die Salomo zu­ erkannt wird, wird von der einen Frage „Wer kann richten?“ beschränkt, denn die Chronik macht die Antwort überdeutlich: Gott. 2Chr 20,6–12 legitimiert sogar die Klage, aber auch hier gilt, dass Gott der einzige legitime Adressat derselben ist. Joschafat und Asa verwenden die Klage als argumentum ad deum: JHWHs Ruf ist in Gefahr, wenn die Feinde die Oberhand über Israel bekämen. Darüber hinaus ist JHWH Quelle allen Segens – und alles Guten, wie die Verwendung der bārûk-Formel, das durch ‫ ברך‬gekennzeichnete Gebet Davids in 1Chr 29,10–19 und davon ausgehend die unrecorded prayers mit ‫ ברך‬deutlich machen. Mit diesem Bekenntnis zur Handlungs- und Geschichtsmächtigkeit JHWHs und der behutsamen „Erweiterung“ des Tun-Ergehen-Zusammenhangs trägt die Chronik ein neues Modell der Geschichtsdeutung vor, nachdem das deutero­ nomisch-deuteronomistische Modell an Plausibilität verloren hat. Es existiert in Gestalt des „Retributionsschemas“ noch immer, und Abweichung von den „Wegen Gottes“ wird immer noch bestraft; es besteht aber die Möglichkeit rechtzeitiger Umkehr.106 Das Gebet wird in den Chronikbüchern zum Symbol für eine stärkere Akzentuierung der Handlungsoptionen des Menschen: In 1Chr 21,8.17 muss David noch zwei Mal bitten, um die Strafe für Israel abzuwenden; bei Asa in 2Chr 14,10, Joschafat in 2Chr 20,6–12, Hiskija in 2Chr 30,18–19 und allen Fällen der unrecorded prayers mit ‫זעק‬/‫ צעק‬genügt einmaliges Beten. Brian Kelly wertet gerade das unrecorded prayer Joschafats in 2Chr 18,31 als explizites Zeichen für die Möglichkeit der Umkehr: Die Allianz mit dem Nordreich brachte Strafe, aber Joschafat erinnert sich gerade noch rechtzeitig Gottes – und wird gerettet.107 Ähnlich verhält es sich bei Manasse.108 104 Kleinig, Song, 156, formuliert ähnlich für die Sache der Sänger und damit der „Kultmusik“, zu der auch die Abbreviatur ‫ הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו‬gehört: „[…] their proclamation […] did not merely speak about him and his strength but actually communicated him and his strength to the people (vgl. 2Chron. 30.21).“ Vgl. Mathys, Prophetie, 294. 105 Dieser Gedanke zeigt sich nicht nur in den Gebeten, sondern beispielsweise bei David in der Zeichnung der ganzen Figur, vgl. Im, Davidbild, 164–167. 106 Vgl. Rösel, dann will ich hören, 366. 107 Kelly, Retribution and Eschatology, 99 führt die Joschafat-Geschichte im Ganzen als Beispiel dafür an. 108 Vgl. Kelly, Retribution and Eschatology, 224.

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Die Dynamik der Ortsbezeichnungen in der Bittenreihe des Tempelweihgebets (vgl. vor allem 2Chr 6,38b.bR) macht deutlich, was das Entscheidende ist: Die Hinwendung zum konkreten Tempel, zur Stadt oder auch nur zum Land muss eine Hinkehr zu Gott sein. Diese Hinkehr belegt die Chronik mit dem Ausdruck ‫דרש את יהוה‬. Das ist der Hintergrund, vor dem das Tempelweihgebet Ausgangspunkt der Geschichtsdeutung wird. Die Wurzel ‫דרש‬, zusammen mit ‫בקש‬, wird zum Schlüsselbegriff und Salomos Bittgebet zur Tempelweihe zum Schlüsseltext für die „Gebetstheologie“ der Chronik. Ein vergleichbares Angebot von Gebet/Umkehr/Hinwendung zu Gott und Erhörung eröffnet die Abbreviatur ‫צדיק יהוה‬, in dem sie die Erinnerung an die entsprechenden Textpassagen in ihrem Kontext einbringt. Rehabeam und seine Fürsten haben die Möglichkeit, zu Gott (zurück-)zu finden. Mit nur einer menschlichen Verfehlung ist nicht „alles verloren“. Diese Deutung bietet ein Element des Trostes. Zu diesem Angebot der Hinwendung zu Gott gehört als zweite Seite die Zusage der Erhörung. Die Verbindung ist so eng, dass Royar die „Erhörungsnotiz“ zur Definition der unrecorded prayers herangezogen hat.109 Auch in diesem Fall kann 1Chr 4,10 als „Überschrift“ gelesen werden, denn unmittelbar nach dem Gebet des Jabez heißt es: „Und Gott gewährte das, was er erbeten hatte.“ Auch die Bitten im Tempelweihgebet verdeutlichen diese zwei Seiten. Wer sich so verhält wie David und Salomo nach Darstellung der Chronik, kann gewiss sein, dass JHWH hört und handelt. Dabei ist entscheidend, dass die Erhörungszusage dem Bitten, Klagen und Loben der Figuren je vorausläuft.110 Selbst das Hervorrufen der „Ehre“ Gottes bei der Tempelweihe durch die Abbreviatur in 2Chr  5,13111 ist nur in der Folge der „Natan-Verheißung“ und ihrer Umsetzung durch David und Salomo möglich. Der Bogen, zu dem die Abbreviatur gehört, beginnt ja bereits mit der Ankunft der Lade in Jerusalem und der zugehörigen Freude, die das Dankgebet zur Ladeüberführung beschreibt (seinerseits ein Dank für die gelungene Überführung). Die Gewissheit der Erhörung ist, nach der aktualisierenden und identitätsstiftenden Rückbesinnung und der Möglichkeit zur Umkehr, ein drittes Element des Trostes. Die Gebete der Chronikbücher enthalten auch einige theologische Korrekturen, die angesichts von Fehlschlüssen notwendig erscheinen, die man aus den Darstellungen bei oberflächlicher Lektüre ziehen könnte: Die Zusagen der Hilfe Gottes sind kein Automatismus. 2Chr 6,18 macht klar, dass Gott sich nicht durch Gebet zu etwas zwingen lässt. Die Zusage ist dem Gebet immer vorgängig, das heißt: Schon das Bekenntnis zu JHWH gründet in dieser Zusage, nicht umge 109 Vgl. Royar, Denn der Herr, 168. Christoph Rösel stellt fest, „dass in der Chronik alle Bittgebete ausdrücklich erhört werden.“ Rösel, dann will ich hören, 363. 110 Rösel, dann will ich hören, 365, liest denselben Zusammenhang in umgekehrter Richtung: Die Chronik „deutet die Geschichte immer schon von dem von Gott gewirkten guten Ende her.“ 111 Vgl. Kleinig, Song, 165 f.

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kehrt. Die bei den literarischen Funktionen beschriebene Erzählsequenz lässt sich als Hinweis auf diesen Grundsatz lesen; die Gebete sind stets auch Reaktion auf ein göttliches Kommunikationsangebot. Das gilt auch dann, wenn wie in 1Chr 21; 2Chr 6 (jeweils die Opfer) und 1Chr 17 (Davids Einfall, den Tempel zu bauen) die Initiative von Menschen auszugehen scheint. Die Möglichkeit der Hinwendung ist je schon vorher eröffnet: Die Bundeslade befindet sich bereits in Jerusalem (1Chr 15–16). Das Feuer, das Davids Opfer verzehrt (1Chr 21,26) und die Theophanien 2Chr 5,11–14; 7,1–3 in Anlehnung an Lev 9,24 bestätigen oder bekräftigen den Vorgang der Tempelweihe durch sichtbare Zeichen. Und stets ist noch von einer nachfolgenden, wieder menschlichen Antwort die Rede: Das „Volk“ nimmt das göttliche Angebot an und bricht in Jubel aus (2Chr  7); David fügt sich den göttlichen Anordnungen (1Chr 21) – oder betet (1Chr 17). Die Kontrastfolie war Ex  20,18 mit einer negativen, „ausweichenden“ Antwort des Volkes auf das göttliche Kommunikationsangebot. Samuel Balentine hält fest, dass die Gebete nicht nur die Figuren charakterisieren, die sie sprechen. Das wesentliche Thema ist Gott selbst, und eine Funktion der Gebete ist es, Gott zu charakterisieren.112 Das zentrale Charakteristikum ist dabei Gottes Allmacht.113 Die Chronik liefert eine Handlungsanweisung in Gestalt konkreter Beispiele wie Kult oder Krieg, die aber durch ihre Gestaltung und Leserlenkung zu paradigmatischen Vorlagen für die Rede an Gott werden. Die theologische Funktion gebundener Rede und der Gebetssprache im Erzählverlauf ist es, den Bekenntnischarakter zu verdeutlichen und einem idealen Leser die Möglichkeit der „tätigen Teilnahme“ und Nachahmung zu eröffnen. Dabei ist die „Effektivität des Gebets“ immer noch konditioniert. Die Bedingung ist, dass der Mensch sich tatsächlich aktiv an Gott wenden und dadurch seinem Glauben im Sinne des „sich Stützens auf Gott“, also des Vertrauens auf Gott, Ausdruck verleihen muss. Hier kommt auch die gezielte Verwendung von impliziten Gebeten und Gesten zum Tragen: Sie finden sich selbst dort, wo ein falscher Adressat oder eine falsche Disposition hinter der „Hinwendung“ stehen. Sie sind dann keine Hinwendung zu Gott. Entsprechend haben sie nicht denselben Effekt wie „korrekt adressierte“ Gebete, sondern zuweilen gegenteilige: Auf Hinwendung zu anderen als JHWH folgen Misserfolg und Untergang (vgl. besonders eindrücklich Asa, der sich „nicht zu JHWH wendet [‫]!דרש‬, sondern zu den Heilern“, 2Chr 16,12–13). Eine solche Aufrechterhaltung der Logik des Gebets auch im Negativen zeigen beispielsweise 2Chr 25,14–15; 33,3. Hier treten aber auch Widersprüchlichkeiten zu Tage, wenn 2Chr 30,18–19 112 Vgl. Balentine, Prayer, 90. 113 Mark Throntveit sieht diese Allmacht in einigen Fällen im Gegensatz zur „Abhängigkeit“ des Volkes („dependence of his people“) von Gott, weil Hilfe nur von Gott kommen kann, vgl. Throntveit, When Kings Speak, 88. Tatsächlich kann man das Verhältnis von Gott und Mensch in den Chronikbüchern so deuten; der Tenor der Gebetstexte macht aber eine positive Deutung als Angebot wahrscheinlicher.

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unterstreicht, dass von der bedingungslosen Einhaltung der Gebote dispensiert werden kann, während 2Chr 14,3 die „Suche“ oder „Hinwendung zu Gott“ mit dem Halten der Gebote gleichsetzt. Noch immer ist eine der Fragen, die sich hier stellen, wem die Chronik­ bücher ihre Botschaft predigen. Die Betonung, dass JHWH höchster und wichtigster Souverän ist, kann sowohl Ausdruck der Auflehnung gegen einen realen Herrscher sein, der den gezeigten Idealen überhaupt nicht entspricht, als auch einen generellen Wunsch nach Führung zum Ausdruck bringen. Letzteres würde darauf hindeuten, dass es im Entstehungshorizont der Chronik keine oder jedenfalls keine hinreichende Autorität gab. Die kriegerischen Erzählungen lassen sich durchaus mit dem Begriff „Befreiung“ verbinden, aber das korrespondierende Motiv der „Feindklage“ ist nicht dominant. Gesellschaftspragmatisch gewendet scheinen die Texte keine Reaktion auf physische Bedrohung wie Krieg zu sein, sondern eher auf ideologische Bedrohung: Die Chronik bietet Muster der Hinwendung zu Gott für verschiedenste Anlässe an; die Gemeinschaft, an die sie sich richtet, ist wesentlich eine gottesdienstliche Gemeinschaft.114 Das würde zu der womöglich in 2Chr  6 enthaltenen „Ideologiekritik“ an bestehenden Machtverhältnissen ebenso passen wie möglicherweise zur Zeichnung der Figur Davids, vor allem in 1Chr 21, wo deutlich die Konsequenzen von Fehlverhalten seitens des Machthabers aufgezeigt werden.115 Die theologische Kategorie, unter die sich dieses Geschehen in den Chronikbüchern fassen lässt, ist die der „Verkündigung“. Die Chronik selbst illustriert diese mit einer Erzählung: Was Hiskijas Brief, der nach 2Chr 30,6–10 in die Lande geschickt wird, enthält, ist eine Umkehrpredigt. Den Inhalt dieser Predigt geben auch die Gebete der Chronikbücher wieder. Das Dankgebet zur Ladeüberführung verkündet Gottes allumfassende Macht, inklusive der Zusage der Präsenz Gottes. Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ deutet die Verheißung ebenfalls als Zusage göttlicher Präsenz und proklamiert: „JHWH der Heerscharen, der Gott Israels, ist Gott für Israel“ (1Chr 17,24). Das „Haus David“ und mit ihm die Figur Davids werden zu Zeichen dieser Präsenz; die Zeichenhaftigkeit für das Verhältnis Israels zu seinem Gott wird also erst der realen Dynastie Davids übertragen, dann auf das „Haus“ als ideeller Größe.116 Dieser 114 Vgl.  Endres, Theology, 186 f; oder in anderen Worten: Eine religiöse Gemeinschaft, keine politische – auch über die Grenze von „Nord“ und „Süd“ hinweg, die sich in der Perserzeit noch als Provinzgrenze zwischen Jehud und Samaria bemerkbar macht, vgl. Jonker, Society, 715. 115 Vgl. Ristau, Breaking Down, 220. 116 Abadie, Pérennité dynastique, 130, kommt durch einen Vergleich der eigentlichen Verheißungstexte in 2Sam und 1Chr zu einem ähnlichen Ergebnis, sieht aber erst in Salomo den Garanten für einen immerwährenden Kult in Jerusalem. Ohne den Tempel als „Zeichen“ zu benennen, beschreibt Steins, Geschichtsbild, 159–163 denselben Vorgang. Ob die Konzentration auf den Tempel in der Chronik im Ganzen tatsächlich so stark ausfällt wie Steins es dargestellt, kann allein anhand der Gebete nicht nachgeprüft werden und muss daher dahingestellt

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Kapitel 3: Synthesen

Vorgang ist im Grunde Exegese – die Chronik legt die „Natan-Verheißung“ für eine Zeit aus, in der es kein reales „Haus Davids“ mehr gibt.117 Insofern hat Thomas Willi Recht, wenn er von der „Chronik als Auslegung“ spricht. „Verkündigen“ ist ein performativer Sprechakt;118 das bedeutet, nicht erst die Auslegung ist Verkündigung.119 Das Wort Gottes setzt sich selbst in Geltung. Damit ist in der Chronik bereits angelegt, was später die „Exegese“ als Wissenschaft tut. Bei all dem fällt auf, dass die theologische Botschaft der Hinwendung zu Gott in Erzählverlauf der Chronikbücher auf allen Kommunikationsebenen dieselbe bleibt, unabhängig von der Enzyklopädie des Lesers.120 Die Botschaft intensiviert sich, je besser der Leser die Verbindungen aufzulösen vermag. Das Ergebnis dieser Funktion der Verkündigung ist die „Gottesbegegnung im Jetzt“ als Ziel der „anamnetischen Strukturen“ der Chronikbücher121 als Bibelteil. Verkündigung unterscheidet sich vom bloßen Erzählen durch genau jene Qualitäten, denen eine „biblische Theologie“ Rechnung trägt. Die Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher ist, was Steins als „Vergegenwärtigungsmechanismus“ bezeichnet. Sie hat aber auch einen klaren Inhalt, nämlich Gott als den letzten Herrn der Geschichte und die Möglichkeit für den Menschen, mit diesem Herrn in Kontakt zu treten.

bleiben. – Willi beschreibt den weiteren Vorgang als Bindung der Kultlegitimation an den König und darüber hinaus an die Neubabylonier und die Achämeniden. Es ergibt sich eine Reihe, beginnend bei Mose: Mose – David – Salomo – Davididen – Neubabylonier – Achämeniden (Willi, Leviten, Priester und Kult, 92). Dann käme die Bindung Israels zu JHWH zur Zeit der Chronik als Ausübung des Kultes am oder im „Haus“, also dem Tempel, zum Ausdruck. 117 Kelly, Retribution and Eschatology, 211 ff, sieht zwei Hauptlinien des Umgangs mit dem Thema „Königtum JHWHs“: Die hier beschriebene der überzeitlichen und universalen Geltung des Herrschaftsanspruchs, und eine zweite, die in einer „Dynastie Davids“ einen irdischen Ausdruck dieses Anspruchs auch noch zur Zeit der Chronik sieht. In wie weit sich diese Linie in Texten außerhalb der Gebete niederschlägt, wird vom Fokus dieser Arbeit nicht erfasst. Innerhalb der Gebete scheint diese Linie, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Vgl. entsprechend das zum Begriff ‫ בית‬in Davids Bekenntnis als Reaktion auf die „Natan-Verheißung“ Gesagte (siehe Kapitel 2, Nr. 4.2.1). 118 Vgl. Körtner, Verkündigung, RGG4 8, 1025. 119 Gegen Müller, Verkündigung, LThK3 10, 680 f. 120 Duke, Chronicles, Dictionary of the Old Testament, 170, schlägt in seinem Lexikon-Beitrag vor, als „intendierte Hörerschaft“ sowohl Tempelpersonal als auch eine „künftige mögliche königliche Hörerschaft“ (womit er einen neuen König meint) und sogar die Gesamtbevölkerung anzunehmen. Mit Ausnahme der zweiten Möglichkeit, die sehr konstruiert erscheint, zeigt sich darin, dass die Leserschaft letztlich nicht randscharf gefasst werden kann. Was Duke für die „intendierte Hörerschaft“ sagt, gilt, entsprechend gewendet, analog auch für den idealen Leser. 121 Vgl. Steins, Kanon und Anamnese, 122.

Kapitel 4: Schluss

Die leserorientierte Funktionsanalyse hat sich als Weg erwiesen, Ausschnitte aus dem Erzähltext der Chronikbücher einerseits in ihrer literarischen Gestalt wahrzunehmen, andererseits in ihrem näheren und weiteren Kontext. Die Chronikbücher leiten einen idealen Leser mit Hilfe intertextueller Verbindungen immer deutlicher zu ihrer Botschaft, je besser der Leser Kontext(e) und Intertexte kennt. Durch die eingespielten Hypotexte ergeben sich dabei nicht so sehr neue Sinnpotentiale. Vielmehr verstärken die intertextuellen Verbindungen bereits getroffene Aussagen oder sie vereindeutigen missverständliche Sachverhalte. Letzteres geschieht stets im Sinne der theologischen Hauptlinien der Chronikbücher, „JHWH ist der Gott Israels“ und „wenn du ihn suchst, wird er sich von dir finden lassen“ (‫ אם תדרשנו ימצא לך‬, 1Chr 28,9ef). Auf der literarischen Ebene dienen die ausgeführten Texte der Strukturierung; im Ergebnis heben sie besonders bedeutsame Passagen für den Leser hervor. Unterschiedliche Formen der Hinwendung zu Gott in den Chronikbüchern dienen vor allem der Zeichnung der Figuren, die je nach dem beschriebenen Lebenswandel zu positiven oder abschreckenden Beispielen ausgebaut werden. Indem sie die Geschichte Israels anamnetisch auf spätere Zeiten beziehen, aktualisieren vor allem die ausformulierten Gebete die Botschaft der Chronikbücher für den Leser. Im Ton sind die ausgeführten Gebete stark paränetisch-belehrend, was mit der Vorbildfunktion der gezeichneten Charaktere zusammenhängt. Die nicht ausgeführten Gebete aktivieren dieses Potential in Erzählungen, deren handelnde Figuren sich nicht als positive Beispiele eignen. Auch die nur erzählte Hinwendung zu Gott erleichtert dem Leser den Zugang zum Text, verhilft der Hauptbotschaft der Chronikbücher zu überzeitlicher Gültigkeit und verkündigt JHWH als den einzigen Gott, den einzig legitimen Adressaten aller Formen der „Hinwendung“. Selbst wenn ein idealer Leser sich nicht alle intertextuellen Bezüge bewusst macht, aktivieren die sprachlich besonders ausgestalteten Passagen Erinnerungen oder Denkmuster, die anderswo ausgeführt werden. Dadurch wird die Erzählung dichter, ohne den Textbestand nennenswert zu vergrößern. Durch die Verbindung von Geschichte und Gegenwart des idealen Lesers wirken die Texte identitätsstiftend. Ihre „proklamatorische“, verkündigende Kraft ist dabei eine genuin theologische Funktion. Keine der Funktionen Anamnese, Paränese, Identitätsstiftung und Verkündigung steht isoliert. Vielmehr handelt es sich um Aspekte derselben Sache: Die zeitliche Entschränkung ist die literarische Voraussetzung dafür, dass Verkündigung unabhängig vom erzählten Geschehen für ideale Leser funktionieren kann, die nicht in zeitlicher Nähe zur Erzählung stehen. Bei aller Entfernung hat aber

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Kapitel 4: Schluss

die Identifikation den Zweck, dennoch eine Verbindung zwischen Text und Leser zu etablieren – anders wäre Unverständnis die Folge, der Text würde seine Bedeutung verlieren. Ein Beispiel ist das Auslassen der „aktuellen“ Bezüge in Salomos Bittgebet zur Tempelweihe gegenüber der Fassung in 1Kön (vgl. 1Kön 8,28 mit 2Chr 6,19). Die Chronik-Fassung des Gebets ermahnt Leser, die (lange) nicht mehr der Realität eines israelitischen Königreichs angehören, sich im Falle jedweder Bedrängnis an JHWH zu halten. Zugleich wird ihnen dieser JHWH als derjenige verkündigt, der sich ihrer Not (und ihres Betens) annehmen wird. Dabei bindet die Chronik diese Botschaft einerseits fest an die Geschichte Israels und die Figur Salomo, andererseits öffnet sie sie für spätere Generationen, um möglichst vielen die Identifikation mit Text und Botschaft zu ermöglichen. Insofern belegt bereits die „kanonisch-Werdung“ der Chronik, dass es dem Text gelungen ist, seine Relevanz über seinen Entstehungshorizont hinaus zu bewahren. Diese Möglichkeit ist im Text selbst angelegt. Letztlich steuert der Text zu einem gewissen Grad seine Rezeption. Die Phänomene Abbreviatur und unrecorded prayer finden sich häufig in kultischen Zusammenhängen. Im Grunde existieren sie gerade in diesen Kontexten bis heute: „Und sie sprachen ein ‚Vater unser‘“ ist ein Beispiel für eine Abbreviatur. „Und sie sprachen das Totengebet“ wäre ein Fall von unrecorded prayer: In einem jüdischen Kontext würde sich der Leser das Kaddisch vorstellen – vor einem katholischen Hintergrund „Vater unser“ und „Ave Maria“. Ebenso könnte „und sie sangen ‚Großer Gott, wir loben dich‘“ zumindest in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachraums als Beispiel für eine Abbreviatur gelten. Zusammen mit den impliziten Gebeten verankern die Signale für unrecorded prayers und die Abbreviaturen die anamnetische, paränetische und verkündigende Funktion der ausgeführten Gebetstexte breit im Erzählverlauf der Chronikbücher. Es bleiben nach der Untersuchung der Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher noch einige Desiderate, zuerst und insbesondere eine entsprechende Untersuchung der Reden und prophetischen Texte der Chronikbücher. Erst unter Berücksichtigung dieser Abschnitte lassen sich die Ergebnisse in Bezug auf die Rekonstruktion möglicher Adressaten validieren, das heißt, mögliche Konkretionen des idealen Lesers finden. Es ist aufgrund bisheriger Forschungsergebnisse nicht unwahrscheinlich, dass die Funktionen der übrigen zu wörtlicher Rede stilisierten Passagen der Chronikbücher denen der Gebete und der Gebetssprache ähnlich sind. Eine Gesamtschau mit den bisherigen Ergebnissen der historisch-kritischen Exegese und der Forschung zu nicht-erzählenden Textabschnitten wie den Genealogien könnte es ermöglichen, wenn nicht den „Entstehungshorizont“, so womöglich den „Zielhorizont“ (im Sinne des idealen Lesers) der Chronik deutlicher zu fassen. Vielleicht erleichtert dies ganz am Ende sogar eine genauere Einordnung der Chronik auf der Zeitachse. Was die zeitliche Ansetzung der Chronik betrifft, wäre ein Vergleich mit der Leserlenkung in der LXX wünschenswert. Daraus könnten sich Hinweise auf die relative Chronologie

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ergeben. Ähnliches gilt für einen kanonexternen Abgleich mit den Evidenzen zur Umwelt des Alten Testaments, zur Perserzeit und zum Hellenismus. Die Chronik ist eine „Bekenntnisschrift“ zum Glauben an JHWH in einer ganz bestimmten Form. Wie groß der Grad der Idealisierung ist, lässt sich mit Mitteln der intertextuellen Analyse oder der biblischen Analyse nicht feststellen, weil die historischen Bezüge nicht geprüft werden. Es zeigt sich vielmehr, dass die Chronik gerade danach trachtet, ihren „Kern“ überzeitlich, aber nicht ahistorisch zu verkündigen: Entscheidend ist der Glaube an ‫יהוה‬.

Abkürzungen Alle Abkürzungen im Haupttext und im Literaturverzeichnis folgen ­Schwertner, Siegfried M., IATG3. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin 32014. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen und Zeichen verwendet: Abkürzung

…steht für



(steht) parallel zu; Parallelstelle(n)

§

Paragraph (nur bei Literaturangaben zu Werken, die Paragraphen verwenden)

Chr

Chronik, Chronikbücher; ohne Ziffer für beide Bücher in Gesamtheit

LXX.D

Septuaginta Deutsch, herausgegeben von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, 2010; siehe Literaturverzeichnis

Par

Paraleipomenon, Paraleipomena; Die Chronikbücher in der Fassung der LXX, analog zur Verwendung von „Chr“

Für die Abkürzungen der biblischen Bücher und die Schreibweise biblischer Eigennamen gilt, sofern nichts anderes angegeben ist: Fricke, Klaus D./Schwank, Benedikt/Lange, Joachim (Hg.), Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien, Stuttgart 21981.

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Register Bibelstellenregister Gen 2,16–17 3,16 4 4,2 4,9 4,13–14 9,5 13,16 13,18 15,7 28,14 29,9–18

43 41, 43 42 40 f. 42 42 135 89 72 124 89 72

Ex 5,21 9,27 12,48 14 14,14 20,18 20,21 25,1–9 26–27 31,2 34 34,10–26 34,12 34,24 35,4–9

135 157 147 129, 221, 231 129 108, 234 99 80 89 89 41 42 99 41, 43 80

Lev 9,24 25,23

72, 108, 152, 234 80, 84

Num 6,23–27 9,1–14 10,36 20,14–21 27,17 27,21

171 145, 147 101 123 68, 88 88

Dtn 2,1–22 4,29 4,40 6,2 6,18 12,20 17,19 19,8 29,5 31,1–8

123 188 103 103 103 41 103 41 103 88

Jos 5,13 9

72 88

Ri 1,1 6,11 11,14–18 20,28

44 44 72 123 44

1Sam 10–30 17 17,45

182 112 112, 116

2Sam 6,17–20 7 7,24 7,27 7,29

170 65 59 61 61, 170

1Kön 2 3,9 5,21 8,12 8,25 8,28 8,30 8,32

65 89 161 99 100 105 94 100

254

Register

8,34 8,46 9,5 10,9

105 108 f. 132 162

2Kön 18,38 19,14–19 20,1–3

72 178, 180 180

1Chr 4,9 41 4,10 36–40, 50, 133, 146, 163, 172, 184, 207, 210 f., 217, 227 4,40 41, 43 5,20 177 f. 10 183 10,13 182 10,13–14 45, 187 10,14 139 12,6 20 12,18 135 13,3 187 14,10 43, 187, 212, 220, 232 14,14 45, 182 f., 213 15–16 54 15,13 187 15,26 54 16,1–3 54 16,2 170 16,4 47, 54, 83, 172, 174 16,7 48, 54 16,8–36 26, 46, 66, 78 f., 81 f., 84, 106, 121, 126, 128, 151 f., 170, 172, 174, 207, 210, 213, 218, 220, 225–229, 231 f. 16,34 20, 26, 150, 155 16,36 161 16,37 47 16,41 20, 150, 155, 172 16,43 170 17 45, 82, 91, 97 17,3–15 64 17,13 81 17,16–27 56, 202, 214, 221 17,23 101 17,26–27 78 17,27 163, 170 18,14 159

21 67 21,3 188 21,8 65–74, 106, 184, 188, 208, 213, 219, 232 21,17 65–74, 99, 106, 184, 188, 204, 213, 219, 232 21,26 184 21,30 187 22,11–16 88 22,19 200 23,13 171 28,9 187 28,20–21 88 29,1–5 80 29,10 161 29,10–19 48, 50, 76, 122, 126, 133, 208, 210, 213 f., 217–219, 227, 229, 231 f. 29,18 199 29,20 94, 169, 189, 220 f. 29,29 147 2Chr 1 1,3 1,5 1,8–10

54, 65 88 f. 89, 187 85, 211, 214, 217, 220, 232 1,9 101 1,14–17 91 2,5 82, 100 2,11 83, 161 5,13 26, 137, 150, 219 6 66, 121 6–7 71, 132, 148, 153, 181, 190 f. 6,1–2 91, 93, 115 f., 151, 181, 205, 211, 215, 218, 220 6,3 170, 221 6,4 83, 161, 163 6,5 97 6,8–12 125 6,14–42 82, 84, 93, 115 f., 151, 181, 205, 211, 215, 218, 220 6,18 219, 233 6,19–39 226 6,23 121, 159, 207 6,24 127, 149 6,28 122, 125 6,41–42 207 f.

255

Register 7 7,3 7,6 7,12–22 7,14 7,17 7,19 7,22 9,7 9,8 12 12,6 12,6–7 13,14 13,18 14,1 14,3 14,6 14,10 15,2 15,4 15,15 16,7 16,8 16,78 18,6 18,31 19,3 19,4 20 20,4 20,6–12 20,9 20,13 20,13–19 20,14–17 20,15 20,18 20,19 20,21 20,22 20,26 23,13 24,19 24,22 25,14 29,10–19

45 98, 137, 150, 219, 221 98, 137, 150, 193, 219, 221 67 148, 181, 188, 192 f., 218 132 190 190 193 83, 159, 161 f. 192 156, 193, 233 192 177 f. 114, 194 215 187, 235 117 109, 177, 184, 194, 215, 217, 232 187 75, 188, 193 75, 188 194 194 114 68 177 f. 143 194 48, 175, 221, 227 75, 188 84, 175, 177, 207 f., 215, 217, 220, 232 107 137, 193, 229 113 129 126, 153 189 173, 175 150, 175 153 169, 175 173, 175 194 133, 210 189, 234 94

29,11 29,28 29,29 29,30 30 30,6 30,6–10 30,9 30,11 30,12 30,17 30,18–19 30,21 30,22 30,27 31,8 32,12 32,19 32,20 32,24 32,26 33,3 33,6 33,7 33,12 33,12–13 33,12–19 33,13 33,18–19 33,19 34,27 34,31 35,1–19 35,7–9

193 189 189 174 229 81, 194 235 194 191 147 145 139, 152, 217, 228, 232 173, 175 148 171, 181 169 189 178 177–180, 218, 230 179, 218 191 f., 230 189, 234 200 200 185, 191 f., 201 195 212 179, 181, 199 181, 195, 199 191 f. 185, 192 81 144 145

Esr 7,10 9,6 9,6–15 9,15

102 143 71 191, 202 156, 158

Neh 9,5 9,6–37 9,32–33

102 83 125, 127, 191, 202 156, 158

1Makk 2

42

Ijob 8,9

79

256

Register

Ps 7,10 7,17 9,13 10,4 10,13 11,7 29,3 32,5 32,8 38,5 39 39,6 39,7 39,8 39,12 39,13 44,1–9 51 51,12 51,17 59,6 81,9 90,9–10 96 96,9 102,12 105 105,8 105,12 106 106,48 109,23 118,1–4 118,26 118,29 119,12 119,19 132 132,8–10 136 139,9 144,4 145 145,11

157 207 136 136 136 156 f. 154 103 100 71, 208 84, 208 80 79 80 80 80 124, 208 199 199 199 61 41 80 48, 52, 207 154 79 48 f., 52, 207 52 52 49, 52, 207 47 79 150 113 150 84 84 97 100, 207 f. 49 41 79 80 80

Spr 20,9 28,13

108 103

Koh 7,20

108

Jes 10,20 21,10 37,14–20 38,1–3 41,8–16 45,21 55,3 55,6–7 63,7–64,11

114, 116 61 178, 180 180 124 156 100 188 127

Jer 29,12–14

188

Klgl 3,25

143

Ez 9,10 11,21 16,43 22,31 23,10 34,2–6 34,24

99 99 99 99 121 60 59

Dan 9,4 9,4–19 9,14

148 191, 202 158

Am 1,13

41

Zef 2,9

61

Mt 23,35

138, 216

Lk 11,50–51 11,51

138 216

Offb 14 LXX I Par 21,17 I Par 22,19 II Par 6,28 II Par 30,19

51 69 200 122 141

257

Register II Par 30,22 II Par 33,6 II Par 33,7 II Par 33,12 II Par 33,13 II Par 33,18–19 II Reg 24,17 OrMan (Odai 12) Od 12,1 Od 12,10

148 200 200 203 195, 199 195, 199 68 192, 195 201 200

Od 12,11 Od 12,15 Ps 50 Ps 50,12 Ps 50,17

199 199 199 199 199

Qumran/4QSama  69 syrische Didaskalie  202

Personen- und Sachregister Abbreviatur  20, 34, 49, 98, 103, 106 f., 142, 149, 160, 192, 207, 209, 211, 215, 217, 219 f., 226, 228, 233 Ackroyd, Peter  114 Adressat  53, 131, 151, 153, 167, 209, 220, 226, 228, 231, 235 Anamnese  55, 64, 114, 153, 190, 208, 224, 228 f., 236 Auslegung  133, 236 Austin, John  27 Balentine, Samuel E.  19, 85, 127, 166, 209, 234 bārūk-Formel  20, 41, 78, 84, 93, 160, 207, 219, 229, 232 Bautch, Richard J.  127 Beentjes, Pancratius C.  119, 122 f., 125, 128, 187 Bekenntnis  58, 61 f., 64, 71 f., 102, 115, 117, 127, 138, 149, 154, 157, 160, 164, 179, 202, 204, 214, 219, 228, 231 Ben Zvi, Ehud  50, 225 Berlin, Adele  47, 155 Bitte  42, 50, 54, 58, 61, 64, 72 f., 79, 81, 87, 89–91, 127, 146, 164, 202, 218, 226, 231 f. Braun, Roddy  79 Brueggemann, Walter  113 Cogan, Mordechai  147 Crüsemann, Frank  150, 176 Dank  50, 54, 58, 61, 63, 79, 81, 85, 87, 90, 153, 161, 171 f., 176, 219, 231 Datierung  17, 32, 117 De Vries, Simon J.  116 Dillard, Raymond  96, 98, 106, 191

Diller, Carmen  50, 52, 62, 116, 229 Doan, William  47, 55 Driver, Samuel R.  18 Dyck, Jonathan  227 f. Eco, Umberto  23 Eigenständigkeit  17, 22, 32 Einheitlichkeit siehe Eigenständigkeit Enzyklopädie  17, 23, 31, 92, 117, 131, 146 f., 167, 236 Erwartung  25, 40, 207 Erzählmuster  54, 84, 175, 203, 215, 218, 221, 229, 231 Estes, Daniel  227 Figur  75, 204, 212, 214, 216, 220, 224, 226, 229, 235 Frage  45, 89, 92, 220 Gebet  33, 82, 108, 118 f., 133, 138, 148, 157, 165 f., 185, 190, 211, 218, 233 f. implizites  34, 165, 185, 195, 210 f., 234 Gebetsgeste  102, 185, 211, 234 Genealogie  43, 228 Geschichtsdarstellung  17, 19, 109, 117, 130, 224 Geschichtsdeutung  230, 232 Geschichtssicht siehe  Geschichtsdarstellung Giles, Terry  47, 55 Gosse, Bernard  155, 227 Halbe, Jörn  42 Hausmann, Jutta  231 Hieke, Thomas  23, 149 Hypertext  23 f., 29, 34, 91, 149, 155, 195

258

Register

Hypotext  24, 29 f., 34, 114–116, 130, 149 f., 153, 156, 160, 175 f., 181, 183, 189, 191, 195, 207, 218, 224 Identifikation siehe Identität Identität  55, 65, 83, 108, 124, 165, 184, 209, 216, 226 f. Intertextualität  23, 138, 143, 149, 194, 211 Iser, Wolfgang  31

Paradigma  52 f., 105, 117, 131, 183, 204 f., 213, 216, 218, 229 Paränese  103 f., 107, 113, 117, 159, 165, 175, 212, 216, 226, 231 Pfister, Manfred  29 Plöger, Otto  21 Privilegrecht  42 Proklamation siehe Verkündigung Prophetie  137, 176, 193, 216

Japhet, Sara  21, 40, 47, 54, 58 f., 65, 82, 91, 100, 104, 111, 117, 137, 171 f., 175, 221 Jarick, John  74 JHWH-Krieg  44 f., 130, 154, 176 f., 221 Johnstone, William  106 Jonker, Louis C.  186, 210, 212

Rad, Gerhard von  19, 21, 129 Retribution siehe Retributionsschema Retributionsschema  49, 60, 109, 135, 137, 160, 181, 231 Rezipient siehe Leser Ristau, Kenneth  70 Royar, Stefan  19, 22, 166, 175, 177, 185, 233

Kalimi, Isaac  135 f. Kelly, Brian  114, 185 f., 188, 214 Klage  42, 82, 85, 123, 127, 133, 202, 214, 219, 231 f. Klein, Ralph  47, 80, 83, 99 f., 116, 188 Kleinig, John  51, 153 Knoppers, Gary  59, 63, 213, 224 Kommunikationsebene  28, 52, 62, 113, 117, 128, 130, 160, 164, 208, 219, 228 f., 236 Kristeva, Julia  31

Scharbert, Josef  160 f. Schweitzer, Steven J.  16, 23 Searle, John  27 Segen  58, 61, 66, 83 f., 163, 169, 172 Segensformel siehe bārūk-Formel Seiler, Stefan  29 Seybold, Klaus  209 Souveränität  45, 49, 75, 92, 158, 162, 232 f. Sprechaktanalyse  27 Sprechakttheorie  104 Steins, Georg  17, 22, 31, 66, 221, 231 Strübind, Kim  123

Labahn, Antje  154, 227 Leseprozess  23, 31, 204, 209 Leser  24, 31, 47, 53 f., 56, 60, 63–65, 75, 83, 85, 92, 98, 104–106, 113, 115, 117, 123, 126, 131 f., 137, 146 f., 149, 154, 159, 165, 167, 175 f., 178, 183, 185, 190 f., 195, 204, 207, 209, 212, 216, 220, 224, 226, 236 Leserlenkung  112, 161, 208 f., 212 f., 216 Lob  47, 51 f., 54, 62, 64, 79, 81, 85, 93, 102, 142, 152, 164, 171, 175, 202, 219 Mason, Rex  129 Mathias, Dietmar  18, 26, 210 Mathys, Hans-Peter  43, 80 Mosis, Rudolf  183, 224 Murray, Donald  191 Muster siehe Erzählmuster Myers, Jacob M.  118, 145 Nicklas, Tobias  24, 174 Oeming, Manfred  228

Textebene  94, 104 f., 113, 116, 167, 220 Textwelt  138, 159, 208, 220 Throntveit, Mark  46, 48, 54, 105, 116 Trost  107, 226, 233 Tun-Ergehen-Zusammenhang siehe  Retributionsschema Umkehr  109, 232 unrecorded prayer  19, 34, 102, 104, 166, 195, 199, 204, 210 f., 215, 217, 220, 230, 232 Utopie  16, 23, 42 Utzschneider, Helmut  23 Verkündigung  51 f., 58, 61, 63 f., 66, 85, 104, 117, 153, 158, 176, 231 Vorbild  83 f., 113, 212, 215 f., 225 Wagner, Andreas  163 f. Wallace, Howard  154 Watts, James W.  46, 53

Register Wehmeier, Gerhard  41, 161, 173 Welten, Peter  123 Westermann, Claus  182, 187 Willi, Thomas  33, 40, 42, 60, 226, 236 Williamson, Hugh G. M.  79, 88, 100, 102, 104, 171, 229 Wunsch  42, 90 Zeitebene  114, 124, 131, 154, 225 Zeitstufen siehe Zeitebene Zeitverschränkung siehe Anamnese ἐπιστρέφω  199 ζητέω  200, 204 προσεύχομαι  195, 199 ταπεινόω  199 ‫  בקש‬49, 74, 119, 135, 148, 186, 193, 233 ‫  ברך‬93, 162, 168, 219, 232 ‫  דרש‬49, 75, 119, 135, 139, 143, 177, 186, 200, 203, 233 f. ‫  הלל‬151, 173, 219

259

‫  זעק‬125, 176, 179, 230, 232 ‫  חוה‬186, 189 ‫  חלה‬181, 192 ‫  חסד‬49, 151, 228 ‫  ידה‬148, 151, 174, 219 ‫  כון‬143 ‫  כנע‬148, 157, 179, 181, 185, 188, 191, 193, 195, 203, 230 ‫  כפר‬145 ‫  עולם‬151 ‫  עמד‬162, 186, 193 ‫  פלל‬125, 148, 167, 178 f., 188, 193, 195, 217 f. ‫  צדק‬158 ‫  צעק‬125, 176, 179, 230, 232 ‫  קדד‬186, 190 ‫  קרא‬184, 186 ‫  שאל‬182, 187, 217 ‫  שוב‬148, 188, 193 ‫  שען‬194 ‫  תחנה‬179, 181 ‫  תפלה‬179