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German Pages 472 Year 2006
STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR
Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf Hübinger
Band 111
Ralf Georg Bogner
Der Autor im Nachruf Formen und Funktionen der literarischen Memorialkultur von der Reformation bis zum Vormärz
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2006
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Redaktion
des Bandes:
Walter
Erhart
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar. ISBN-13: 978-3-484-35111-0
ISBN-10: 3-484-35111 -X
ISSN 0174-4410
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006 Ein Imprint der Walter de Gruyter G m b H & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik G m b H , Kempten
Inhaltsverzeichnis
1.
Ausgangspunkte
2.
Einleitung oder: Der Nachruf als Forschungsgegenstand 2.1. Perspektiven und theoretische Grundlagen 2.2. Definition der Gattung Nachruf 2.3. Forschungsbericht
7 7 18 29
3.
Melanchthon oder: Protestantisch-humanistisches Dichtertotenlob 3.1. Instrumentalisierung des Nachrufs für innerkonfessionelle Polemik 3.2. Die Gedenkansprache im funktionalen Kontext des protestantischhumanistischen Bildungssystems 3.3. Nach-Rufen und Nach-Schweigen in der frühneuzeitlichen res publica litteraria 3.4. Das Spektrum nekrologischer Genres im 16. Jahrhundert 3.4.1. Todesmeldung 3.4.2. Nekrologisches Flugblatt 3.4.3. Leichenpredigt 3.4.4. Akademische Gedenkrede 3.4.5. Exkurs: Druck- und rezeptionsgeschichtliche Rahmenbedingungen lateinischer Trauerlyrik 3.4.6. Lateinische Trauerlyrik I: Epitaph 3.4.7. Lateinische Trauerlyrik II: Elegisches Epicedium 3.4.8. Lateinische Trauerlyrik III: Nekrologische Ekloge 3.4.9. Nekrologische Ars-moriendi-Literatur 3.4.10. Nekrologische Biographie 3.4.11. Nekrologische Sammelausgabe und Werkedition
42
4.
1
42 47 51 56 56 57 58 59 63 66 69 75 81 86 88
Sachs, Rollenhagen und Heinrich Julius oder: Der Nachruf in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft 91 4.1. Amt und Dichtung im nachreformatorischen Nekrolog 91 4.2. Ständische Diversifizierung des frühneuzeitlichen Totenlobs 103 4.3. Gebrauchsfunktionen der Literarisierung von Verwesungsprozessen im Nachruf 106 4.4. Die protestantische Leichenpredigt als Medium christlicher Verkündigung 110
V
4.5.
5.
Strategien nekrologischer Kritik in der protestantischen Leichenpredigt
116
Opitz oder: Wandel des Nachrufs im Gefolge der Sprach- und Literaturreform 5.1. Imitation der neulateinischen Nekrologdichtung im volkssprachlichen Totenlob 5.2. Indienstnahme des Nachrufs für die Durchsetzung der opitzschen Reform 5.3. Propagierung neuer Autorschaftskonzepte durch den Nekrolog . . . .
131 138
6.
Gryphius, Birken und Abraham oder: Barockes Dichtertotenlob 6.1. Diversifikation der deutschsprachigen Nachruflyrik 6.2. Parentation als säkulare Konkurrenz zur Leichenpredigt 6.3. Nekrologische Monumentalisierung durch die Gedenkausgabe . . . . 6.4. Katholisches Dichtertotenlob der frühen Neuzeit
143 143 156 163 174
7.
Thomasius oder: Konstanz und Wandel des Nachrufs in der Frühaufklärung 7.1. Sozialer Status und Gestaltung des Totengedenkens 7.2. Nekrologische Inszenierung einer postumen Rücknahme der Frühaufklärung 7.3. Rhetorische Humilisierung und ostentative Intimisierung des Nachrufs 7.4. Gedenkansprache als Forum aufklärerischer Programmatik 7.5. Das nekrologische Totengespräch
8.
9.
VI
Greiffenberg, die Gottschedin und Karsch oder: Der Nachruf als Reflexionsmedium weiblicher Autorschaft 8.1. Barockpoesie von Frauen im engen Bannkreis häuslicher Frömmigkeitsübung 8.2. Maskulinisierung des weiblichen Dichtertalents im Aufklärungsdiskurs 8.3. Emanzipatorischer Anspruch auf eine freie Schriftstellerinnenexistenz in der Goethezeit Geliert oder: Der Nachruf im Kult der Empfindsamkeit 9.1. Transformationen von Produktion, Distribution und Rezeption nekrologischer Kasualliteratur im 18. Jahrhundert 9.2. Der Nekrolog im Streit konkurrierender Fraktionen der Aufklärungsbewegung 9.3. Wandel der Formen des Nachrufgedichts 9.4. Poetologische Selbstreflexion der Gattung
125 125
186 186 189 198 204 207
216 216 222 238 255 255 262 278 294
10. Lessing oder: Die Anfänge des Zeitschriften- und Zeitungsnachrufs 10.1. Genres des publizistischen Nekrologs 10.2. Prosaisches Dichtertotenlob zwischen Tradition und Innovation . . .
303 303 303 310
11. Kotzebue oder: Der vormärzliche Nachruf als Propagandainstrument.... 11.1. Politisierung eines Mordfalles durch den Nachruf 11.2. Die nekrologische Moritat 11.3. Formen und Strategien der Totenschmähung
320 320 330 332
12. Goethe oder: Nachrufe auf einen Klassiker 12.1. Nekrologische Inszenierung auratischer Dichterbilder 12.2. Stilisierung eines Todesfalles zur Epochenzäsur 12.3. Strategien verdeckter Totenkritik im neuzeitlichen Nachruf 12.4. Das Spektrum nekrologischer Genres im 19. Jahrhundert 12.4.1. Grabrede 12.4.2. Gedenkrede 12.4.3. Theatralische Gedächtnisfeier 12.4.4. Totengespräch, Trauergedicht und nekrologische Sammelausgabe in literarischen Zeitschriften 12.4.5. Darstellung der Sterbeszene, Todesmeldung, Todesanzeige und Bericht über die Beisetzung in literarischen Zeitschriften und der Tagespresse 12.4.6. Nekrologsammlung 12.4.7. Nekrologische Biographie in Buchform 12.4.8. Nekrologische Werkausgabe
341 341 344 351 361 361 362 364
13. Schluß
378
14. Literaturverzeichnis 14.1. Nachrufe 14.1.1. Philipp Melanchthon (gest. 19.04.1560) 14.1.2. Hans Sachs (gest. 19.01.1576) 14.1.3. Georg Rollenhagen (gest. 13.05.1609) 14.1.4. Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg (gest. 20.07.1613) 14.1.5. Martin Opitz (gest. 20.08.1639) 14.1.6. Andreas Gryphius (gest. 16.07.1664) 14.1.7. Sigmund von Birken (gest. 12.06.1681) 14.1.8. Catharina Regina von Greiffenberg (gest. 08.04.1694) 14.1.9. Abraham a Sancta Clara (gest. 01.12.1709) 14.1.10. Christian Thomasius (gest. 23.09.1728) 14.1.11. Luise Adelgunde Victorie Gottsched (gest. 2 6 . 0 6 . 1 7 6 2 ) . . . 14.1.12. Christian Fürchtegott Geliert (gest. 13.12.1769)
381 381 381 385 385
366
370 373 374 376
386 390 390 392 392 393 393 399 399
VII
14.1.13. Gotthold Ephraim Lessing (gest. 15.02.1781) 14.1.14. Anna Louisa Karsch (gest. 12.10.1791) 14.1.15. August von Kotzebue (gest. 23.02.1819) 14.1.16. Johann Wolfgang von Goethe (gest. 22.03.1832) 14.2. Sonstige Quellen 14.3. Forschung Namensregister
VIII
403 406 406 408 414 418 453
Die ewige Todtenfeier. — Es könnte Jemand über die Geschichte weg eine fortgesetzte Grabrede zu hören glauben: man begrub und begräbt immer wieder sein Liebstes, Gedanken und Hoffnungen, und erhielt und erhält Stolz dafür, gloria mundi, das heisst, den Pomp der Leichenrede. Damit soll Alles gut gemacht werden! Und der Leichenredner ist immer noch der grösste öffentliche Wohlthäter!
Friedrich Nietzsche, Morgenröthe Das ist das Verhängnis: zwischen Empfängnis und Leichenbegängnis nichts als Bedrängnis.
Erich Kästner, Lyrische
Hausapotheke
Wir sterben von dem Augenblick an, in welchem wir geboren werden, aber wir sagen erst, wir sterben, wenn wir am Ende dieses Prozesses angekommen sind, und manchmal zieht sich dieses Ende noch eine fürchterlich lange Zeit hinaus. [...] Nichts als die Hoffnungslosigkeit ist uns am Ende offen. Das Resultat ist das Sterbezimmer, in welchem gestorben wird, endgültig. Alles ist nichts als Betrug gewesen.
Thomas Bernhard, Der Atem - Eine Entscheidung So verfault der Bastard aus sexueller Revolution und kapitalistischem Leistungsprinzip bei gedoptem Leibe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.04.2001 Also auch wohl die Wehklagen und das Jammern ausgezeichneter Männer werden wir abschaffen? - Notwendig, sagte er [...]. Wir behaupten nämlich, ein rechtschaffener Mann werde für einen andern solchen, dessen Freund er auch ist, das Sterben nicht als etwas Furchtbares ansehen [...]. Mit Recht also schaffen wir die Klagen ansehnlicher Männer ab und überlassen das den Weibern, jedoch auch unter diesen nicht einmal den besseren, und solchen Männern, die nichts taugen [...].
Pia ton, Politeia
IX
Danksagung
Den ersten Anstoß zur vorliegenden Untersuchung gaben 1991 das Seminar »Der Weg zum Grab« von Herrn Professor Dr. Werner Welzig (Wien) über die barocke Leichenrede und in den folgenden Jahren die Mitarbeit an der Edition »Predigten der Barockzeit«. Weitere Anregungen erhielt der Verfasser dieser Studie dann von Frau Privatdozentin Dr. Birgit Boge (Aachen) bei gemeinsamen Forschungsarbeiten zur katholischen Leichenpredigt der frühen Neuzeit sowie von Herrn Professor Dr. Franz Michel Eybl (Wien) in einer Reihe von Gesprächen. Das Erstaunen schließlich über die Unzulänglichkeit der Forschungslage, ja die fast völlige Ignoranz der Literaturwissenschaft gegenüber dem Thema verstärkten und vertieften das Interesse an Texten über den Tod von Schriftstellern. Letztlich ausschlaggebend für den Entschluß, sich in einer umfassenden Studie mit dem Dichtertotenlob zu beschäftigen, war allerdings erst die beherzte und energische Ermunterung dazu durch Herrn Professor Dr. Wilhelm Kühlmann (Heidelberg). Ihm gilt dafür wie auch für seine zahllosen Hinweise, Ratschläge, kritischen Einsprüche und seine - keineswegs selbstverständliche - institutionelle Unterstützung des Vorhabens der herzlichste Dank. Ein mehr als nur freundliches Gratias gebührt femer Herrn Professor Dr. Rainer Baasner (Rostock), der die Betreuung der Arbeit in ihrer letzten Phase mit dem denkbar größten Engagement übernahm, sowie Herrn Professor Dr. Franz-Josef Holznagel (Rostock) und Frau Professor Dr. Christiane Reitz (Rostock) als Gutachtern. Wichtige Anregungen, aber auch Zuspruch erhielt der Nekrologforscher während seiner Arbeit schließlich von Frau Dr. Anja Lobenstein-Reichmann (Trier), Herrn Professor Dr. Robert Seidel (Frankfurt/Main), Herrn Professor Dr. Johann Anselm Steiger (Hamburg), Herrn Professor Dr. Joachim Teile (Heidelberg), Herrn Professor Dr. Christoph Weiß (Mannheim), Herrn Professor Dr. Reiner Wild (Mannheim) und Herrn Professor Dr. Christian von Zimmermann (Bern). Ihnen allen sei hiermit gedankt. Herrn Professor Dr. Karl Wagner (Zürich) schließlich kommt das unschätzbare Verdienst zu, den Verfasser dieser Studie durch eine seiner geistreichen Wortschöpfungen mit einem einmaligen Ehrentitel ausgestattet zu haben, indem er Kolleginnen und Kollegen gegenüber jenen immer wieder gerne als >Nekrophilologen< bezeichnete. Die vorliegende Studie zu Nachrufen auf deutschsprachige Schriftsteller hätte in dieser Form freilich niemals durchgeführt und vollendet werden können, wenn sich ihr Verfasser nicht für drei Jahre vom turbulenten akademischen Leben in die Ruhe seines Arbeitszimmers hätte zurückziehen können. Die Möglichkeit dazu eröffnete dankenswerterweise die Österreichische Akademie der Wissenschaften, indem sie den Nachrufanalytiker und -Interpreten 1998 in das Austrian Programme for Advanced XI
Research and Technology aufnahm und sein Forschungsvorhaben in außerordentlich generöser Weise subsistierte. Eine so materialreiche Studie wie die hier vorgelegte hätte allerdings nicht ohne die Hilfe zahlreicher Bibliotheken entstehen können, welche die zu untersuchenden Nachrufe aus ihren Beständen zur Verfügung stellten. Besonders hervorgehoben seien hierbei die Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, die Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, die Sächsische Landesbibliothek, Dresden, und die Österreichische Nationalbibliothek, Wien. Unschätzbare Hilfestellungen bei der Eruierung und Beschaffung der Nekrologe leisteten ferner die Mitarbeiterinnen der Fernleihstellen der Universitätsbibliotheken Heidelberg, Mannheim und Rostock. Auch ihnen sei bestens gedankt. Ein freundlicher schriftlicher Gruß ergeht nicht zuletzt an zwei Bestattungsunternehmen, eines um die Ecke des Germanistischen Seminars in Heidelberg, eines auf dem Fußweg vom ehemaligen Rostocker Stasi-Gebäude - heute Sitz der Philosophischen Fakultät - zur Universitätsverwaltung. Die von diesen beiden Instituten in unmittelbarer Nähe der genannten Forschungsstätten abgestellten, geduldig künftiger Transporte harrenden Leichenwagen gemahnten den Verfasser dieser Schrift regelmäßig an die Zeitlichkeit seiner irdischen Existenz und unterstützten die nicht einfachen Bemühungen um einen Abschluß der literarhistorischen Expeditionen in das finstere Reich des Nachrufs immer wieder äugen- und sinnfällig. Die letzten Worte freilich sind die allerwichtigsten. Herzlichst gewidmet sei die vorliegende Arbeit Misia. Heidelberg, im Oktober 2005
XII
RGB
1.
Ausgangspunkte
(1) »Der Gigant ist tot.« So begann Elfriede Jelinek (geb. 1946) im Februar 1989 ihren Nachruf auf Thomas Bernhard (1931-1989). Und sie fuhr fort: »Der Fels des Anstoßes, an dem niemand vorbeigekommen ist.«1 Der Dichter wird mit seinem Tod petrifiziert. Er verstummt - und sein Werk erstarrt mit dem Moment des Ablebens, allenfalls abgesehen von einigen Überbleibseln, die im Nachlaß noch aufgestöbert werden. Sein Schaffen ist mit dem Verbleichen unwiderruflich abgeschlossen. Nun bildet sich die Nachwelt über ihn ihr endgültiges Urteil. Im Nachruf bilanziert und resümiert sie die poetischen Leistungen des Verstorbenen in ihrer Gesamtheit. Diese Würdigung des toten Dichters ist somit Literaturkritik auf einer höheren Ebene. Eine Sammelrezension sozusagen zu einem ganzen Schriftstellerleben und einem ganzen Oeuvre. Die Totenredner stehen um den Sarg versammelt und dekretieren, da nun ein Lebenswerk gerade beschlossen worden ist, ob und inwiefern es Anspruch auf Zukunft, auf fernere Memorialisierung besitzt. Ob und inwiefern es in das Archiv der Erinnerung aufzunehmen oder in das Grab der Vergessenheit zu werfen und zuzuschaufeln ist. Im Nachruf verfestigen sich der Dichter und sein Werk zu Stein - oder vielmehr zu einem Block der Sedimente, aus dem die eifrig bildenden Hände der Nekrologisten ein Denkmal formen. Ein Monument aus Marmor, aus Bronze oder aus Papier und Druckerschwärze. Dem toten Dichter wird die poetische Unsterblichkeit zugesprochen, doch das Medium der vorgeblich ewigen Kanonisierung ist oftmals höchst ephemer. Rasch verhallen die Worte der Leichenrede, von geringem Bestand sind die Flugblätter, die Broschüren, die Zeitschriften- und Zeitungsausschnitte mit Nekrologen, gar erst die Gedenksendungen in Funk und Fernsehen, die Internet-Lamentationen. Vielfältig sind die Versuche, dem Vergessen des Nachrufs zu wehren, der selbst dem Vergessen eines Toten entgegenwirken soll: das öffentliche Denkmal oder die Sammlung von Nekrologen in Leder und Goldschnitt. Dennoch ist gerade diese Gattung der Kasualliteratur von größter denkbarer Kurzlebigkeit. Dies ist ihr genuines Paradoxon.
Jelinek, Einzige, 1989, S. 72; vgl. dazu Bogner, Distanzierungen, 2000.
1
(2) Die Würdigung eines soeben verstorbenen Toten entsteht als Gelegenheitstext häufig innerhalb weniger Tage oder gar Stunden. Aus dieser einem poetischen Text vorgeblich unangemessenen Eile und zugleich Anlaßbedingtheit der Produktion erklärt sich möglicherweise die geradezu stupende Ignoranz der Literaturwissenschaft gegenüber der langen und reichen Geschichte des Nekrologs. Umgekehrt zielen viele Nachrufe auf eine möglichst dauerhafte Memorialisierung des jeweiligen Toten und seiner Leistungen oder Werke im kulturellen Gedächtnis. Auch dies ist von der Philologie weitestgehend übersehen worden. Stattdessen bespiegelt sich das Fach gerne selbst. Erst jüngst hat einer der prominentesten Repräsentanten der gegenwärtigen Literaturwissenschaft in einer vielbeachteten Studie die kaum zu überschätzende Macht der Philologie innerhalb der Prozesse von Kanonisierung und Memorialisierung angedeutet.2 Gewiß artikuliert sich in der Tätigkeit eines Herausgebers stets dessen »Wunsch« nach der künftigen »Präsenz« sowohl des jeweiligen poetischen Werkes als auch der spezifischen editorischen Tätigkeit und somit zugleich der eigenen Forscherpersönlichkeit im kulturellen Gedächtnis.3 Ohne Zweifel nehmen die Philologen durch ihre Arbeit einen bedeutenden Einfluß auf die Auswahl und die textuelle Zurichtung derjenigen dichterischen Texte, die in einer Gesellschaft vor dem Vergessen bewahrt werden. Doch andererseits ist es unhaltbar und verkehrt, wenn die Literaturwissenschaft in ihrer Begeisterung über die eigene Kanonisierungsmacht andere maßgebliche Instanzen der Memorialisierung fast völlig übersieht. Zu ihnen zählt der Nachruf. In ihm wird ein abschließendes Urteil über den eben verblichenen Menschen gefällt, wird dekretiert, ob und inwiefern derselbe es verdiene, mit seinem Namen und seinen Leistungen auch hinkünftig erinnert zu werden. Wie der Philologe versucht der Nekrologist hierbei selbstverständlich ebenfalls seine eigene zukünftige Präsenz im kulturellen Gedächtnis zu sichern. Vermutlich aber ist die Öffentlichkeit, die der Nekrologist anspricht, oftmals um einiges umfänglicher als das Publikum, das der Philologe mit seinen Editionen erreicht. Die Macht des ersteren ist deshalb mindestens ebenso groß wie die des letzteren, wenn nicht gar größer. Damit könnte für die Nekrologisten genauso wie für die Philologen gelten, daß sie mit ihrer Memorialisierungstätigkeit »dazu beitragen [...], die Schwelle des Todes zu überwinden«, indem sie sich »einreden, der Tod der früher Lebenden trenne« sie »gar nicht von ihnen«.4 Auch der Nachruf nährte dann in seinem Autor durch die »Vorwegnähme der Zukunft und das Reden mit den Toten« einen »Anfang der Illusion vom ewigen Leben«,5 wahrscheinlich sogar in noch höherem Maße als eine Werkausgabe. Für jeden Fall aber verdient die Arbeit der Nekrologisten am kulturellen Gedächtnis nicht weniger Aufmerksamkeit als der Beitrag der Philologen zur
2 3 4 5
2
Gumbrecht, Gumbrecht, Gumbrecht, Gumbrecht,
Macht, Macht, Macht, Macht,
2003. 2003, S. 17. 2003, S. 104, 106f. 2003, S. 107.
Erinnerung und gesellschaftlichen Vergegenwärtigung künstlerischer Artefakte der Vergangenheit und ihrer Erzeuger.
(3) Mag sein, daß die neueren Philologen sich nicht darum bemüht haben, die Macht der Nekrologisten auszuloten, weil der Nachruf aus literaturtheoretischer Sicht heillos konservativ ist. »Die Erfahrung des in früher Jugend schon Lungenkranken«, so nochmals Elfriede Jelinek in einer für die Würdigung eines soeben Verstorbenen bezeichnenden Formulierung über Thomas Bernhard, »hat ihm die großen Tiraden seines Werkes abgerungen.«6 Der Nekrolog verhandelt einen Dichter, der tot ist - es sei denn, die Meldung des Ablebens beruht auf einer Fehlinformation doch der vielberufene Autor in ihm ist nicht gleichfalls tot, sondern höchst lebendig. Niemand käme auf die Idee, beim Ableben eines Schriftstellers oder Philosophen - und sei es Michel Foucault (1926-1984) - nur die verstorbene Person oder ausschließlich das veröffentlichte Werk ohne Verbindungslinien zwischen diesem und jener zu würdigen. Stets wurde und wird eine Einheit zwischen Vita und geistiger Leistung konstruiert oder allenfalls eine Differenz, eine Inkongruenz zwischen beidem konstatiert. Wenn der Autor denn wirklich einmal stürbe, so ginge mit ihm zugleich der Nachruf zugrunde. Der Dichter freilich, dessen Leben vergeht, büßt seine Performanz ein. Wer archiviert ist, vermag sich nicht mehr zu wehren. »Man kann uns nicht anklagen«, so höhnte Karl Gutzkow (1811-1878) in seinem Nachruf auf Heinrich Heine (1797-1856), »daß wir über einen Todten sagen, was wir über einen Lebenden verschwiegen hätten.«7 Der Moment des Verblassens eines Dichters stellt die unhintergehbare Schnittstelle zwischen einer Rezeptionsgeschichte, auf die derselbe immer noch einen gewissen Einfluß nehmen kann, und dem unbedingten, dem absoluten, dem erbarmungslosen Zugriff der Hinterbliebenen auf die öffentliche Repräsentanz von dessen Leben und Werk dar. Der Dichter verliert nicht nur jeden Anschein einer Deutungshoheit über sein eigenes Schaffen, wie sie in Konzepten von schriftstellerischer Selbstinszenierung oder aber Autorintention transportiert wird, sondern jede Interpretationsmöglichkeit desselben. Nun ist er - als Leichnam - dem Zugriff der Nachwelt vollständig ausgeliefert. Er wird im Nekrolog ästhetisch heiliggesprochen oder literaturrechtlich exekutiert. Die prinzipiell positive Tendenz von Nachrufen erweist sich damit als ebenso altes wie falsches Vorurteil. »Wir haben«, so schrieb Gotthold Ephraim Lessing (17291781) im November 1751 in den Kritischefn] Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit, »unsem auswärtigen Lesern abermals eine Nachricht, welche den Herrn de la Mettrie [(1709-1751)] betrifft, mitzuteilen. Ohne Zweifel vermuten sie eine kleine witzige Torheit, die er schon wieder begangen hat.« Der französische Schrift-
6 7
Jelinek, Einzige, 1989, S. 72. Gutzkow, Meißner, 1997 [1856], S. 130; vgl. dazu Bogner, Nachwort, 1997.
3
steller und Leibarzt Friedrichs II. d. Gr. (1712-1786) vertrat bekanntlich eine radikal atomistische Position innerhalb der Aufklärungsphilosophie. »Es ist so was [sc. eine kleine witzige Torheit]; ja: wenn sie nur nicht auf seiner Seite etwas allzuernsthaft ausgefallen wäre. Er ist gestorben.«8 Ein Nachruf mag lobend und positiv ausfallen, aber dies muß keineswegs immer für ihn gelten. Immer wieder geraten Totenreden auch zu postumen Schmähungen. Oder die Kritik an dem Verstorbenen wird durch diese und jene subtilen rhetorischen Strategien indirekt formuliert. Wenn der DichterNekrolog den Anspruch erhebt, die Kanonbildung wesentlich mitzubestimmen, so muß er konsequenterweise auch selektiv - und damit von Fall zu Fall negativ sein.
(4) Der Nachruf enthält somit nicht immer nur das Gute über einen verblichenen Menschen, aber er ist für nahezu alles gut. Jelinek nahm ihre Würdigung Bernhards zum Anlaß, die »österreichische Gesellschaft« 9 zu attackieren. Gutzkow fabulierte in seinem Nekrolog mindestens ebensoviel vom »sittlichefn] Menschfen]« 10 wie von dem hingeschiedenen Heine, der nun einmal ein ebensolcher nicht gewesen sei. Lessing witzelte in seiner Zeitungsnachricht zum Tode la Mettries boshaft über dessen materialistisches Weltmodell. Der Nachruf stand und steht der Propagierung vieler ästhetischer Konzepte, beinahe jeder theologischen und ideologischen Position offen. Der Verstorbene, sein Leben und sein Werk mutieren zum probaten exemplarischen oder aber kontradiktorischen Projektionsfeld für die eigennützigen poetologischen, politischen oder religiösen Interessen der Nekrologisten. Wer einen Nachruf schreibt, thematisiert in hohem Maße immer auch sich selbst, die eigene Gegenwart und die Utopien der Zukunft. Der soeben Verstorbene aber ist gerade unwiederbringlich in die Vergangenheit hinübergetreten. Die Lebenden bemächtigen sich seiner. Es klingt wie Leichenfledderei - und ist doch ein alltäglicher Vorgang.
(5) Stets vergegenwärtigt die Memorialkultur einer Gesellschaft eine Vergangenheit, um sie für die Zukunft zu erhalten. Sie bedient sich dabei nicht nur vielfältiger Ausdrucksformen, sondern auch der unterschiedlichsten künstlerischen Genres und Medien einer Zeit. Sie wird als Grabgesang, Abschiedsrede, Leichengedicht, Trauergerüst oder Denkmal realisiert und als gesprochenes Wort, in einem Gelegenheitsdruck oder einer nekrologischen Festschrift, in der Tagespresse, in einer Zeitschrift, im Radio, Fernsehen oder Internet präsentiert. Da nun eine der vordringlichsten Funktionen der Nachrufkultur die Stiftung des Andenkens eines Menschen ist, sie
8 9 10
4
Lessing, [Nachruf], 1972 [1751], S. 41. Jelinek, Einzige, 1989, S. 72. Gutzkow, Meißner, 1997 [1856], S. 130.
demnach auf eine starke memorialisierende Wirkung hin fokussiert ist, reagiert sie häufig schneller und intensiver auf mediale Innovationen denn andere Gattungen der Kunst. Als Medium der Präsenz, 11 das einen leiblich unaufhebbar der Vergangenheit angehörenden Menschen musikalisch, bildkünstlerisch, theatralisch, dichterisch oder publizistisch vergegenwärtigt, greift sie bevorzugt nach den jeweils aktuell präsenten Medien. Die Tätigkeit der Nekrologisten avanciert somit zu einem besonders vielversprechenden Untersuchungsgebiet für Studien, die den Interdependenzen zwischen Gattungs- und Mediengeschichte auf ihre Spuren kommen möchten. Die Memorialkultur kann ein exquisites Beispiel für die Erforschung der Frage abgeben, wie eine Gattung der Kunst und ihre diversen Genres sich durch und mit ihre(n) materiellen Träger(n) und Kommunikatoren transformieren. Angesichts der interessanten Ansatzpunkte, die der Nachruf für eine Gattungsgeschichte im synchronen und diachronen »Medienvergleich« 12 bietet, verwundert es, daß die Kulturwissenschaften eine Erforschung dieses Feldes künstlerischer Artikulation während der letzten Jahre nicht auch nur angedacht haben. Jahrzehntelang gepflegte und niemals wirklich überwundene Vorurteile gegen Gebrauchs- und Gelegenheitsliteratur mögen dafür ebenso ausschlaggebend sein wie der oftmals recht kurzsichtige historische Blick der Kulturwissenschaften. Diese können und wollen in der Regel die medialen Rahmenbedingungen der Produktion und Gestaltung eines künstlerischen Artefakts allenfalls noch bei einem Radio- oder einem Zeitschriftenbeitrag, aber kaum je an einem Text in einer mittelalterlichen Handschrift oder in einem frühneuzeitlichen Kasualdruck erkennen. Die literarische Memorialkultur nun darf als ein besonders interessantes und Erkenntnisgewinn versprechendes Feld der Untersuchung von Transformationen in historischen Gattungs- und Mediensystemen gelten. Nachrufe auf Schriftsteller waren und sind nämlich in vielen Fällen in einem hohen Grade selbstreferentiell. Reaktionen auf das Ableben von Dichtern thematisieren nicht allein deren Leben und poetisches Werk, deren Position im literarischen Diskurs und deren spezifische Autorrolle. Vielmehr reflektieren sie häufig auch die aktuellen Gattungs- und Genrekonventionen, die umlaufenden Textsortenbezeichnungen und die jeweiligen medialen Umstände der nekrologischen Produktion. Dichter, die über den Tod anderer Dichter schreiben, schreiben immer wieder auch darüber, wie man über den Tod eines Dichters schreiben könne, solle oder müsse oder können sollte, und das Nachdenken über dieses Schreiben schließt die jeweiligen medialen und technologischen Möglichkeiten und Bedingungen sowie die Kontexte der Distribution und Rezeption mit ein. Man sollte meinen, eine solche medienhistorische und kulturwissenschaftliche Perspektivierung von Memorialtexten liege nahe. Tatsächlich jedoch hat sie, so eigenartig und unverständlich dies erscheint, den neueren Philologien bislang vollkommen fem gelegen.
11 12
Vgl. Voßkamp/Fohrmann/Schütte, Medien, 2001. Fohrmann, Unterschied, 2004, S. 6; vgl. allgemein Fohrmann/Schüttpelz, Medien, 2004.
5
(6) Dem Dichter, der stirbt, wird im Moment des Todes möglicherweise der Anspruch auf ein ewiges Leben im Diesseits zugestanden - in der Form des Ruhms, 13 der Memorialisierung und der Archivierung und der immer wiederholten Lektüre des Werks. So wie freilich der Leichnam nach der Beisetzung verwest, öffnet der Nachruf den Weg in die künftige Wirkungsgeschichte. So wie die Würmer und Maden den toten Körper zersetzen und verwandeln, eignet sich die Nachwelt Leben und Werk des verstorbenen Dichters in den immer neuen Verwandlungen vielfältiger Rezeptionsweisen an - bis kaum mehr etwas davon übrig geblieben ist.
13
6
Vgl. Schöttker, Kampf, 2001; Schöttker, Ruhm, 2000.
2.
Einleitung oder: Der Nachruf als Forschungsgegenstand
2.1. Perspektiven und theoretische Grundlagen Die vorliegende Studie beschränkt sich in ihrer Aufarbeitung der Geschichte des Nachrufs im deutschsprachigen Raum auf einen Zeitraum von etwas mehr als dreihundert Jahren. Die untere Grenze der Untersuchung bildet das Reformationszeitalter, die obere die Goethezeit respektive der Vormärz. Rückblicke in die abendländischen Traditionen nekrologischer Texte von der griechischen über die römische Antike bis zum Spätmittelalter (vgl. 3.4.) sind dabei ebenso selbstverständlich erforderlich wie Ausblicke in die weitere Entwicklung der Gattung (vgl. 12.4.), müssen jedoch aus pragmatischen Gründen kursorisch und kurz gehalten bleiben. Die untere wie auch die obere Darstellungsgrenze markieren dabei zwei massive medienhistorische Einschnitte in die Geschichte des Nachrufs, wie sie in ihrer Signifikanz und in ihren Konsequenzen für die Produktion, Distribution und Rezeption nekrologischer Texte innerhalb des hier untersuchten Zeitraums nicht zu beobachten sind. Auf der einen Seite erfuhr die Gattung im Zuge der religiösen, ideologischen und politischen Auseinandersetzungen und Wirren der ersten Jahre der Reformation einen entscheidenden Medienwechsel. Aktuelle Gelegenheitsdichtung hatte während der ersten Jahrzehnte nach der revolutionären Erfindung Johannes Gutenbergs (um 1397-1468) erst nur in wenigen Ausnahmefällen ihren Weg in die Buchdruckerpresse gefunden. Nekrologische Texte wurden allenfalls über das neue Medium vertrieben, wenn sie sich etwa in einer Ausgabe der >Silvae< eines der >klassischen< älteren Humanisten fanden - und dabei handelte es sich zum Zeitpunkt der Drucklegung eben nicht um Reaktionen auf rezente Todesfälle. Kasualliterarische Äußerungen wurden daher bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts weiterhin innerhalb der traditionellen Bahnen vermittelt, nämlich über die mündliche Kommunikation - so beispielsweise die akademische Gedenkrede (vgl. 3.4.4.) - und über die Handschrift - so insbesondere im Falle der unter Gelehrten kursierenden Epicedien (vgl. 3.4.7.) und Epitaphe (vgl. 3.4.6.). Die massiven Veränderungen der schriftliterarischen Kommunikation im deutschsprachigen Raum im Gefolge der Reformationsstreitigkeiten - die Austragung der theologischen Debatten über die neuen Medien des Flugblatts und der Flugschrift - hatten nun in dem Moment eminente Konsequenzen für den Nachruf, als die ersten bedeutenden Repräsentanten der religiösen Auseinandersetzungen verstarben. Diese Todesfälle provozierten selbstverständlich Reaktionen von allen an den Zwistigkeiten beteiligten Parteien, und sie erfolgten über diejenigen neuen Medien, die auch für die öffentlich inszenierten theologischen und politischen Diskussionen zwischen den Lebenden genutzt wurden.
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Der Nachruf wurde mithin - etwas vergröbert gesprochen - erst durch die Reformation zu einer über den Buchdruck vertriebenen Gattung der Literatur. Als erster deutschsprachiger Autor, dessen Tod in den Druckmedien erhebliche Resonanz fand, kann Ulrich von Hutten (1488-1523) 1 gelten, dessen früher Tod genau in die frühesten Jahre der religiösen und politischen Auseinandersetzungen im Zuge der Formierung des Protestantismus fällt. So verfaßten zwar auch einige seiner humanistischen Freunde neulateinische Würdigungsgedichte nach seinem Ableben, die in traditioneller Manier handschriftlich distribuiert wurden, doch erregte der Todesfall gleichzeitig die Aufmerksamkeit eines größeren und überregionalen Publikums, weil er in Texten diskutiert wurde, die in gedruckter Form vervielfältigt wurden. So erschien beispielsweise wenige Monate nach Huttens Hinscheiden eine Flugschrift mit dem Titel TRIUMPHUS VERITATIS. SIK DER WARHEIT,2 die ihn »als ritterlichen Beschützer der Reformation feiert«.3 Gegnerische Stellungnahmen konnten nicht ausbleiben, und so erschienen alsbald sowohl von altkirchlicher Seite als auch von Feinden aus den eigenen Reihen satirische Stellungnahmen zum frühen Verbleichen des Autors, ja sogar Schmähschriften, 4 die in boshafter Weise auf sein Verscheiden an den Folgen der Syphilis anspielten.5 Die mediale Revolution, die sich im deutschsprachigen Raum aus den und durch die Zwistigkeiten um die Reformation Bahn brach, eröffnete mithin dem Nachruf den Buchdruck als Publikationsforum. Doch zugleich wurde die Gattung in einer bislang ungekannten Weise für breite öffentliche Auseinandersetzungen um theologische und ideologische Fragen in Dienst genommen, ja sie wurde in der Form des nekrologischen Pamphlets sogar zur publiken Schändung des Andenkens eines Verstorbenen genutzt. Das dritte Dezennium des 16. Jahrhunderts markiert freilich auch den Übergang der humanistisch-neulateinischen Gelegenheitspoesie von der handschriftlichen Verbreitung in den Druck. In dieser Hinsicht bietet Ulrich von Hutten ebenfalls ein idealtypisches Exempel für die einschneidenden medialen Veränderungen in der Geschichte des Nachrufs während der Reformation. Auf ihn bezieht sich nämlich eines der ersten und zugleich eines der heute noch prominentesten Beispiele humanistischer Epicediendichtung, die während der Reformationszeit in Druck gingen, das 1531 erschienene Streitgespräch zwischen dem Ritter und dem Tod aus der Feder des He-
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Die Lebensdaten aller genannten historischen Personen werden im Text bei der ersten Okkurenz nachgewiesen. Zu Autoren von Nachrufen, welche näher erörtert werden, finden sich in den Anmerkungen Verweise auf neuere zusammenfassende Darstellungen oder einschlägige Lexikonartikel. Sind zu einer Person in den gängigen Nachschlagewerken keine biographischen Rahmeninformationen zu eruieren, entfallen die Nennung der Lebensdaten wie auch ein Negativnachweis der erfolglosen Suche. Freiermut, Triumphus, 1856 [1524], Kreutz, Deutschen, 1984, S. 23, zum TRIUMPHUS S. 2 3 - 2 6 . Zu explizit negativen Nachrufen vgl. Lenz, Mortuis, 1990, S. 25. Vgl. dazu Kreutz, Deutschen, 1984, S. 2 6 - 3 1 ; zu den Reaktionen auf Huttens Tod vgl. femer u.a. Gräter, Hutten, 1988, S. 2 5 3 - 2 5 5 ; Rueb, Ulrich, 1981, S. 167-170; Strauß, Ulrich, 1895, S. 5 0 4 - 5 0 9 .
lius Eobanus Hessus (1488-1540). 6 Der neulateinische Nachruf kursiert somit seit dem Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts nicht mehr ausschließlich in einer oder wenigen Abschriften zwischen den miteinander korrespondierenden Gelehrten, sondern er wird als Broschüre vervielfältigt. Die Distributionswege der poetischen Kommunikation innerhalb der humanistischen Zirkel sollten noch lange weitgehend unverändert bleiben. Die neulateinischen Nekrologe fanden aufgrund der Sprachbarriere und ihrer ästhetischen Komplexität kein anderes und größeres Publikum als in den Jahrzehnten davor. Doch gemeinsam mit den nekrologischen Flugblättern und Flugschriften und mit den seit der Mitte des Jahrhunderts zunehmend zum Druck gebrachten Leichenpredigten 7 markieren die Broschüren mit den Epicedien und Epitaphen der Humanisten auf ihre Freunde und Kollegen die sukzessive Ablösung der Gattung Nachruf von den bisherigen Leitmedien der oralen und der handschriftlichen Kommunikation. Zwischen dem frühen 16. und der Mitte des 19. Säkulums entfaltete sich nun eine Vielfalt an nekrologischen Genres, die über den Buchdruck an die jeweils adressierte Öffentlichkeit getragen wurden. Die obere zeitliche Grenze der vorliegenden Untersuchung markiert nun das Ende für dieses in etwa drei Jahrhunderten breit differenzierte Spektrum an Spielarten des Nachrufs in unterschiedlichen Medien vom Flugblatt über die Broschüre und die Buchausgabe bis hin zu Veröffentlichungen in unterschiedlichen Periodika. Die Einrichtung des Feuilletons in der Tagespresse und die Öffnung dieses publizistischen Raumes für die literarische Auseinandersetzung mit aktuellen Todesfällen brachte im Zuge des überwältigenden medialen Erfolges der Zeitungen sukzessive den Niedergang und das Verschwinden derjenigen Publikationsforen für den Nekrolog mit sich, welche weniger rasch und aktuell auf das Hinscheiden eines prominenten Menschen reagieren konnten. So avancierte die feuilletonistische Auseinandersetzung mit dem Verbleichen einer Person im öffentlichen Leben während des 19. Jahrhunderts zur dominanten Form des Nekrologs, und diese tiefe medienhistorische Zäsur in der Gattungsentwicklung findet in dieser Studie ihre berechtigte Entsprechung in der oberen Einschränkung des Untersuchungszeitraums. Die mediengeschichtlichen Gründe für die temporäre Eingrenzung der vorliegenden Arbeit werden durch gattungs- und genrespezifische flankiert. Auf der einen Seite entstand durch Martin Luthers (1483-1546) Neukonzeption und Aufwertung der Leichenpredigt, welche auf der besonderen Bedeutung sowohl der Homilie als auch der Todesstunde eines Menschen für die protestantische Theologie fußt, in der dritten Dekade des 16. Jahrhunderts die für die frühe Neuzeit unzweifelhaft wichtigste, auch am weitesten verbreitete Form der nekrologischen Kasualliteratur (vgl. 3.4.3. und 4.4.). Andererseits verloren spätestens um 1850 die meisten älteren Genres des
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Vgl. Hessus, Ulrichi, 1997 [1531]; vgl. zu Hessus zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 5, S. 2 8 2 - 2 8 5 (Harry Vredeveld); ferner das Biogramm in Kühlmann/ Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1097-1101; vgl. zu Hessus auch Gräßer, Epicedien-Dichtung, 1994, zum Epicedium auf Hutten S. 6 3 - 6 8 ; vgl. dazu auch Krause, Hessus, 1879, Bd. 2, S. 3 4 7 - 3 4 9 . Vgl. dazu Lenz, Leichenpredigten, 1975, S. 38.
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Nachrufs, sofern sie aus produktionsästhetischen oder einfach auch nur quantitativen Gründen nicht in den eng bemessenen Raum des Feuilletons der Tageszeitung zu integrieren waren, im Spektrum nekrologischer Formen zusehends an Boden. Während beispielhalber die Beschreibung des Sterbens oder die Darstellung des Begräbnisses eines Menschen in das neue Medium, wenn auch in etwas gekürztem Umfang, integriert werden konnten (vgl. 12.4.5.), war der feuilletonistische Artikel gegenüber dem ausführlichen Trauergedicht zum Lobe eines soeben verloschenen Lebens im Wettstreit aktueller Nachrichtenvermittlung konkurrenzlos (vgl. 12.4.4.). Die Mitte des 19. Jahrhunderts markiert mithin in der Geschichte des Nachrufs nicht nur die signifikante >Eroberung< der Tagespresse, sondern auch den Anfang vom Ende einer Reihe von nekrologischen Genres und damit kasualpoetischen Formen der Verarbeitung von Trauerfällen, welche den Wechsel in dieses neue Medium nicht mitvollziehen konnten. In den Ausführungen zur zeitlichen Eingrenzung der vorliegenden Studie hat sich bereits eines ihrer wichtigsten Ziele angedeutet, die Aufarbeitung des gesamten Spektrums an Genres des Nachrufs von der Wende zur Neuzeit bis in die Ära der Restauration. Da in der bisherigen Forschung die Historiographie fast ausschließlich die protestantische Leichenpredigt in den Blick genommen und die Germanistik sich vornehmlich mit der Parentation und gelegentlich mit dem Trauergedicht beschäftigt hat, ist bis heute das gesamte, reich differenzierte Feld an kasualliterarischen Texten noch nicht einmal in Ansätzen abgesteckt und vermessen worden. Hierzu soll in dieser Untersuchung erstmals ein heuristischer Beitrag auf einer möglichst breiten Materialbasis geleistet werden. Ziel wird es sein, neben einer neuen Perspektivierung der bereits in der Sekundärliteratur gewürdigten Spielarten des Nachrufs auch auf bislang noch wenig beachtete nekrologische Genres hinzuweisen, etwa auf die Ekloge auf den Tod eines Menschen (vgl. 3.4.8.), die akademische Gedenkansprache (vgl. 7.4.) oder die theatralische Gedächtnisfeier (vgl. 12.4.3.). Bei einer Aufarbeitung der unterschiedlichen Ausprägungen der Reaktionen auf das Ableben einer Person ist in synchronischer Sicht stets danach zu fragen, für welche Gebrauchssituationen die diversen Genres des Nachrufs innerhalb ihrer jeweiligen Medien eingesetzt werden, welche Rezipienten sie ansprechen, welche Funktionen sie erfüllen sollen und nicht zuletzt welche unterschiedlichen poetischen Formen im Dienste dieser Aufgaben stehen.8 Die spezifischen Gestaltungsarten einzelner Ausprägungen des Nekrologs zu einer bestimmten Zeit hinsichtlich thematischer Akzentuierung, Aufbau, Elokution und Einsatz affektstimulierender rhetorischer Mittel müssen demnach in den jeweiligen pragmatischen Vermittlungskontext gestellt werden, um in ihren differierenden Leistungen bei der Bewältigung eines Trauerfalles jeweils gewürdigt werden zu können. So erfüllt beispielsweise eine protestantische Leichenpredigt gänzlich andere kommunikative Funktionen denn eine akademische Gedenkansprache, und gerade diese Unterschiede bedingen auch ihre stark voneinander abweichenden literarischen Formen.
Vgl. dazu Bogner, Totengedenken, 2005.
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Die Diversifikation nekrologischer Genres ist insbesondere aber auch in diachronischer Sicht zu analysieren und zu interpretieren. Die Ergänzung und auch teilweise Ablösung der Produktion von Texten innerhalb der jeweils üblichen Spielarten des Nachrufs durch eine neue literarische Form der Auseinandersetzung mit einem aktuellen Todesfall bringt häufig markante Veränderungen in den Textherstellungs- und -gestaltungsmustern der Gattung mit sich. Der Wechsel des Nekrologs in ein anderes Genre und seine Fortschreibung in demselben bedingt aufgrund von dessen ästhetischen Normen und strukturellen Usancen diverse poetologische Restriktionen und damit Veränderungen auf verschiedenen Ebenen der Texte, unter anderem in Umfang, Aufbau, sprachlicher Gestaltung und thematischer Ausrichtung. Zum anderen aber leistet der Genrewechsel der literarischen Innovation Vorschub, denn er eröffnet neue Darstellungspotentiale und Gestaltungsmöglichkeiten. Dabei ist freilich, wie bei der synchronischen Untersuchung der einzelnen Spielarten der Gattung, nach den pragmatischen und kommunikativen Leistungen der neuen Ausprägungen des Nachrufs und ihrer spezifischen poetischen Form im jeweiligen ideen-, kultur- und sozialhistorischen Kontext zu fragen. Das Spektrum der zu einem bestimmten Zeitraum üblichen nekrologischen Genres und ihrer Medien wird dann aufgebrochen, wenn diese durch Veränderungen in ihrem jeweiligen Kontext plötzlich als defizient erscheinen - und dafür werden im jeweiligen Fall hypothetische Erklärungen zu suchen sein. So kann beispielsweise die Ausbildung der Leichabdankung im 17. Jahrhundert sowohl im Rahmen von Säkularisierungsprozessen als auch von Etablierungstendenzen der neuen weltlich-bürgerlichen Eliten gedeutet (vgl. 6.3.) oder der Erfolg des nekrologischen Totengesprächs seit 1720 mit seiner den Ideen der Aufklärung entgegenkommenden dialogisch-kontroversiellen Amplifikationsstruktur expliziert werden (vgl. 7.5.). Gegenstand der vorliegenden Studie ist freilich nicht die Geschichte des Nachrufs auf Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen, sondern auf Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Diese Entscheidung erscheint zum einen deswegen als berechtigt, weil durch sie bei einer adäquaten Materialauswahl, die noch zu erläutern sein wird, eine Aufarbeitung des gesamten Spektrums an poetischen Reaktionen auf einen aktuellen Todesfall in allen nekrologischen Genres und deren Medien möglich wird. Literarisch Tätige des 16. bis 19. Jahrhunderts rekrutierten sich aus allen sozialen Schichten und bekleideten Funktionen und Positionen vom Territorialherrscher über den Universitätslehrer und den Priester bis hin zum Handwerker und zum Studenten, der seinen Lebensunterhalt selbst durch Gelegenheitsdichtung finanzierte. Auf diese Weise können alle Spielarten des Nekrologs von der aufwendig gestalteten Beschreibung der pompösen Beisetzung eines Fürsten bis zur Trauerklage über einen kleinbürgerlichen Meistersänger in den Blick genommen werden. Zum anderen lassen Nachrufe von Schriftstellern auf ihre Kollegen in besonderem Maße selbstreflexive Äußerungen über die Gattung selbst erwarten. Postume Würdigungen über Autoren können demnach mehr denn andere Nekrologe als Quellen für historische Diskussionen um die jeweiligen Formen, die Usancen und die kulturellen Leistungen des Nachrufs wie auch seine möglichen Veränderungs- und Erneuerungspotentiale herangezogen werden. Damit unterscheiden sich die hier behandelten Texte von den übrigen überlieferten
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Memorialtexten, müssen demnach in dieser Hinsicht als untypisch gelten, doch dürfen diese Bedenken nicht zuletzt deswegen in Kauf genommen werden, weil sich Nachrufe auf literarisch Schaffende auch aus anderen, noch zu erhellenden Perspektiven als von großem Wert für die germanistische Forschung erweisen können. Die Materialbasis für die vorliegende Studie bilden die öffentlichen Reaktionen auf das Ableben von dreizehn Schriftstellern und drei Schriftstellerinnen aus den Jahren von 1560 bis 1832. Hierbei ist versucht worden, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten alle auf diese sechzehn Personen publizierten Nachrufe zu eruieren. 9 Die Auswahl der Autoren trägt selbstverständlich und unvermeidlich Züge der Zufälligkeit, ja Beliebigkeit, doch kann sie durch eine Reihe von wichtigen theoretischen, historischen sowie arbeits- und darstellungstechnischen Kriterien gerechtfertigt werden. Zuerst einmal muß die Zusammenstellung des Quellenmaterials in seiner Spezifität gewährleisten, daß damit alle Genres des Nachrufs in den Blick der Untersuchung geholt werden und somit nicht wichtige Formen schriftliterarischer Reaktionen auf das Ableben von Menschen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert ausgeblendet bleiben. Des weiteren ist eine einigermaßen konstante Verteilung der behandelten Schriftsteller über den gesamten in Frage stehenden Zeitraum hinweg zu beachten. Ferner müssen zentrale Repräsentanten aller wichtigen Epochen und Strömungen der deutschsprachigen Literatur von der Reformation bis zum Vormärz berücksichtigt werden, etwa ein protestantischer Humanist, ein barocker Prediger und Erbauungsschriftsteller, ein Aufklärer und die namengebende Zentralfigur der Goethezeit. Auf der anderen Seite aber sind Autoren aus den unterschiedlichsten Bereichen der literarischen Produktion zu berücksichtigen, neben Vertretern der klassischen Gattungstrias auch ein Theologe und neulateinischer Lyriker, ein Poesietheoretiker, ein Fach- und ein Erfolgsschriftsteller wie auch eine Gelegenheitsdichterin. Insbesondere in der frühen Neuzeit ist auch auf eine breite ständische Differenzierung der in den Blick gefaßten Personen zu achten, während im Bereich des 18. und 19. Jahrhunderts der Miteinbezug unterschiedlicher historisch-sozialer Rollen der Verstorbenen vom Universitätsprofessor über den Politiker und den Journalisten bis hin zu dem am Versuch einer freien Schriftstellerexistenz Gescheiterten wichtig ist. Die Nekrologe auf einzelne historische Personen dürfen freilich nicht bloß als exemplarische Dokumente für eine bestimmte Textgruppe ausgewertet werden. Stattdessen ist durch einen breitangelegten Materialvergleich in der Analyse und Interpretation der Nachrufe stets zwischen dem für die Gattung und ihre einzelnen Formen Typischen, dem Charakteristischen und dem im jeweiligen Falle Spezifischen, Auffälligen zu unterscheiden. Das Allgemeine, das Zeit- und Gattungstypische der behandelten Nekrologe ist zu ergänzen durch das Besondere der literarischen Beschäftigung mit dem Ableben des jeweiligen Dichters.
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Im Literaturverzeichnis erscheinen unter 14.1. allerdings nur diejenigen Nachrufe bibliographisch erfaßt, die in dieser Untersuchung auch tatsächlich ausgewertet und zitiert werden.
Durch diesen Zugriff wird auf der einen Seite der Tatsache Rechnung getragen, daß die Gattung entscheidende Veränderungen in ihren poetischen Formen nicht nur durch äußere kultur- und mediengeschichtliche Impulse erfuhr, sondern gerade aus der breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Ableben eines bestimmten Schriftstellers immer wieder ein ästhetischer Innovationsschub für den Nachruf resultierte. Das berühmteste, von der Forschung in Ansätzen bereits gewürdigte und auch hier zu erörternde Beispiel dafür stellen die jahrelangen nekrologischen Diskussionen um Christian Fürchtegott Geliert (1715-1769) dar, während welcher sich die Gattung in ihren Genres und Medien, aber auch hinsichtlich der unterschiedlichsten Aspekte ihrer Produktion, Distribution und Rezeption nachhaltig veränderte (vgl. 9.). Auf der anderen Seite würde eine Geschichte des Dichtertotenlobs, die den Blick allein auf das Typische und somit das Allgemeine, Uniforme und Gleichförmige der Gattung richtete, genau die in der Forschung allzu lange gepflegten und hier noch ausführlich zu kritisierenden Vorurteile über die vorgeblich fabrikartige Machart und Schablonenhaftigkeit des Nachrufs bestätigen und fortschreiben (vgl. 2.3.) und die überlieferten Texte damit keineswegs in adäquater Weise rezipieren. Natürlich bedienten und bedienen sich Parentatoren für die Herstellung und Gestaltung eines nekrologischen Textes des gesamten Apparates der Kunst der Beredsamkeit und insbesondere der für die Verfertigung eines Nachrufs zur Verfügung stehenden, spezifischen rhetorischen Strategien, um die gewünschten argumentativen Ziele zu erreichen oder bestimmte emotionale Wirkungen zu erzielen. Kein Nachruf aber geht einfach in bloßer Formelhaftigkeit und abstraktem Phrasengeklapper auf - und auch dies wird in der vorliegenden Studie zu belegen sein. So finden beispielsweise bei der Produktion eines Gelegenheitstextes auf einen aktuellen Trauerfall nach den Mustern der frühneuzeitlichen Rhetorik der spezifische Lebensweg, die individuellen Leistungen und die besonderen Eigenschaften eines Verstorbenen bereits über die Materialsammlung mittels der topischen inventio Eingang in die Textkonstitution. 10 In der folgenden, dem judicium des jeweiligen Parentators anheimgestellten Auswahl geeigneter biographischer Daten zeichnen sich noch deutlicher die jeweiligen besonderen Eigenarten des entstehenden Nekrologs ab. Selbst wenn nun das zu dem Toten gesammelte Material in der dispositio nach den eingespielten Regeln der Gattung organisiert und strukturiert wird, wenn die positiven Eigenschaften des Verstorbenen also etwa in der Form eines Tugendkatalogs vorgestellt werden, so bleiben darin doch stets dessen spezifische Züge, Charakteristika und typische Handlungsweisen erhalten. Selbst das frühneuzeitliche Totenlob, obgleich es nicht an den Kategorien moderner Individualität gemessen werden kann - und auch wenn es didaktisch instrumentalisiert erscheint - , bedarf um der Anschaulichkeit und Glaubwürdigkeit willen der empirischen Sättigung, und schon damit entzieht es sich
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Die historischen Verfahren der topischen inventio sind dabei nicht aus Sicht einer modernen Ästhetik zu messen und zu kritisieren, vgl. hingegen z.B. Hartmann, Kasualpoesie, 2001, S. 52 zum Buchstabenspiel im barocken Epicedium, welches als »Wortspiel mit Namen [...] gelegentlich überstrapaziert« würde, bis hin zum »makabre[n] Mißgriff«, etwa daß eine »Frau von Essen« nie mehr »essen« würde.
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der vorgeblich serienmäßigen Produktion und strukturellen Gleichförmigkeit. Ferner sind gerade bei der Gestaltung der dispositio eines Nachrufs bereits im 16. Jahrhundert eklatante Verstöße gegen die rhetorischen Regeln und damit gleichzeitig die Publikumserwartungen im Dienste der Affektsteigerung zu beobachten (vgl. etwa 3.4.7.). Auch die im Nekrolog eingesetzten elokutionären Mittel sind nur in Teilen als Allgemeingut der Gattung zu sehen und ergeben sich zu anderen Teilen aus den spezifischen Fakten und Bedingungen der Beschäftigung mit einem konkreten Einzelfall. So wurden beispielsweise als Themen für protestantische Leichenpredigten gerne die den Verstorbenen liebsten biblischen Sprüche herangezogen, und deren metaphorisches Potential bildete dann etwa die Grundlage für die Ausarbeitung eines dichten Netzes von Bildern, mit welchen der gesamte entstehende Text zum Lobe des Verblichenen durchwoben werden konnte. Somit soll in der vorliegenden Studie weder die Bedeutung der Regeln der Rhetorik und der gattungs- und genrekonstitutiven Muster für die Herstellung und Gestaltung von Nachrufen zu gering bemessen noch die Spezifität der Ausrichtung einer jeden Toten Würdigung für einen besonderen Einzelfall unterschlagen, sondern stets das Zusammenwirken beider Faktoren bei der Textkonstitution mitbedacht werden. Eine der zentralen Fragen, die in dieser Studie immer wieder an die ausgewählten Nekrologe gerichtet werden soll, ist die Darstellung von Autorrollen11 in der Geschichte des Dichtertotenlobs. Anders als in einer Reihe von in den letzten Jahren publizierten, aus diesem theoretischen Ansatz heraus argumentierenden Untersuchungen werden hier nicht das faktische Verhalten und die historisch-sozialen Schaffenskontexte von Schriftstellern in der Relation zu deren dichterischen Selbstinszenierungen innerhalb und außerhalb ihrer literarischen Texte in den Blick genommen, vielmehr die Wahrnehmung dieses vielschichtigen Spannungsverhältnisses durch Zeitgenossen im Moment des Todes jener. Das dieser Studie zugrundeliegende Material - Nachrufe von Dichtern auf ihre Kollegen aus vier Jahrhunderten - kann als erstrangige Quelle für die Untersuchung der Rezeption und literarischen Reflexion von Autorschaftskonzepten im Kontrast zu den faktischen Aktionsräumen von Schriftstellern zwischen Reformation und Restauration gelten. Denn in der resümierenden und abschließend wertenden Darstellung eines soeben verloschenen Lebens und seiner Leistungen werden im Falle von literarisch tätigen Personen natürlich nicht nur deren Werke gewürdigt, sondern auch die von ihnen an die Öffentlichkeit vermittelten Selbstinszenierungen als Schriftsteller aufgenommen. Da nun aber viele der nekrologischen Genres auch obligatorisch einen Bericht über die Vita des Verblaßten verlangen,
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Vgl. zu historischen Autorrollen zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 13, S. 6 6 - 7 2 (Georg Jäger: Autor); Nünning, Metzler, 2001, S. 35f. (A[nsgar] N[ünning]: Autor, historischer); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 176-180 (Erich Kleinschmidt: Autor); vgl. des weiteren u.a. Detering, Autorschaft, 2002; Erb, SchreibArbeit, 1996; Grimm, Metamorphosen, 1992; Hahn, Namen, 1991; Haug/Wachinger, Autorentypen, 1991; Ingold, Autor, 1992; Ingold/Wunderlich, Fragen, 1992; Jannidis/ Lauer/Martinez/Winko, Rückkehr, 1999; Kleinschmidt, Autorschaft, 1998; Kord, Namen, 1996; Maurer, Thomasius, 1997; Schabert, Autorschaft, 1994; Scheideier, Beruf, 1997; Selbmann, Dichterberuf, 1994.
lassen sich eben denselben Texten auch die Darstellungen der historisch-sozialen Handlungsmöglichkeiten der Verstorbenen entnehmen - und somit auch das Verhältnis von inszeniertem Dichterbild als Anspruch auf eine spezifische gesellschaftliche Rolle und den konkreten Realisationsformen schriftstellerischer Tätigkeit innerhalb einer Biographie. So läßt sich anhand der Geschichte des neuzeitlichen Nachrufs gleichzeitig die Entwicklung von Autorschaftskonzepten in ihren Übereinstimmungen und Konflikten mit der historischen Situation literarisch Tätiger seit der Reformation prototypisch rekapitulieren. Nicht zu vernachlässigen sind hierbei schließlich der weiblicher Autorschaft in der weitgehend von Männern dominierten Gesellschaft und auch Kultursphäre des 17. und 18. Jahrhunderts zugestandene Handlungs- und Publikationsradius wie auch die über das Forum des Nachrufs auf Schriftstellerinnen artikulierten, geschlechtsspezifisch diskriminierenden Legitimationen für signifikante gesellschaftliche Benachteiligungen von Frauen. In vielen Fällen erscheinen Nachrufe freilich weniger als Forum für den Bericht über die literarischen Selbstinszenierungen von Dichtern zu ihren Lebzeiten als vielmehr für die Präsentation eigener Autorschaftskonzepte durch die Parentatoren genutzt, ob diese nun in einem konvergierenden oder aber einem konfligierenden Verhältnis zur öffentlichen Selbstdarstellung der Verstorbenen stehen. Nekrologe werden jedoch nicht allein dafür in Dienst genommen, etwa in einer elitären Bildungseinrichtung den Angehörigen der zukünftigen Führungsschicht spezifische ethische Regeln zu vermitteln (vgl. 3.2.) oder anläßlich des Todes eines bedeutenden Poeten weitreichende Forderungen nach herrscherlicher Subsistierung des Dichterstandes zu erheben (vgl. 5.3.). Reaktionen auf das Ableben eines Menschen wurden und werden immer wieder massiv für die Propagierung der unterschiedlichsten theologischen, sozialen, ideologischen und kulturpolitischen Interessen instrumentalisiert - und dies ist eine weitere der zentralen Fragestellungen, die an die hier untersuchten Texte gerichtet wird. Die Analyse und Interpretation von Nachrufen hat mithin nicht nur die Bindung der Texte an ihre unmittelbaren Gebrauchsfunktionen im Rahmen ihres direkten pragmatischen und situativen Kontextes zu beachten, also zum Beispiel die solchen Texten abverlangte Vermittlung von Informationen über den Verstorbenen oder die von ihnen erwartete Stimulierung spezifischer Affekte im Akt der Rezeption. Vielmehr sind auch die besonderen Formen von Indienstnahmen durch die Parentatoren für die eigenen Interessen oder insbesondere die Interessen derjenigen sozialen Gruppen zu untersuchen, in deren Namen jene das Lob der Verstorbenen über einen Nekrolog in die Öffentlichkeit tragen. Die Häufigkeit solcher Instrumentalisierungen von Nachrufen zu den unterschiedlichsten Zwecken ist so groß, daß dieselben geradezu als ein wichtiges Charakteristikum der Gattung gelten können. Ihr thematisches Spektrum reicht, wie in dieser Studie zu zeigen sein wird, von der eitlen Selbstvermarktung eines Nekrolog-Autors (vgl. 5.3.) über die Propagierung bestimmter ästhetischer Konzepte (vgl. 5.2.) oder ideologischer Positionen (vgl. 7.4.) bis hin zur tagespolitischen Debatte (vgl. 11.1.). Besondere Bedeutung kommt dabei in der Epoche der frühen Neuzeit natürlich der Konfessionalisierung des Nachrufs zu. Die Gattung ist vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nicht nur rhetorisch und poetologisch zutiefst gespalten zwischen den protestantischen und den oberdeutsch-katholischen Texten und ihren jeweils konfes-
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sionell differenzierten Genres (vgl. 6.4.), sondern in hohem Maße auch geprägt von theologischen Auseinandersetzungen, für welche das Lob eines soeben Verstorbenen instrumentalisiert wird (vgl. z.B. 3.1.). Die Funktionalisierung eines Gelegenheitstextes über das Ableben eines Menschen für welche Zwecke auch immer bedingt natürlich eine jeweils besondere poetische Form und den Einsatz spezifischer Gestaltungsmittel. Auch bezüglich der zu rekonstruierenden Gebrauchszusammenhänge von Nachrufen ist somit stets das Zusammenspiel von gattungs- oder genretypischen Textelementen hier und jeweils in der konkreten historischen Situation zum Ziele der öffentlichen Vertretung bestimmter Interessen eingesetzter Darstellungs- und Darbietungsstrategien dort abzuwägen. Die literarhistorische Annäherung an Nekrologe muß in dieser Hinsicht demnach stets abwechselnd aus zwei verschiedenen Richtungen erfolgen. Auf der einen Seite ist die ästhetische Form solcher Texte nur vor dem Hintergrund der spezifischen Entstehungsbedingungen, vor allem der in und mit den öffentlichen Äußerungen über einen soeben Verstorbenen artikulierten Interessenlagen unterschiedlicher, teils konkurrierender Gruppen der unmittelbaren Nachwelt zu verstehen. Andererseits partizipieren Nachrufe häufig an ritualisierten Verhaltensweisen des Abschieds von einem Hingeschiedenen, und dies prägt ihre poetische Gestaltung nicht weniger.12 Sei es die Einlagerung des Totenlobs in ein bestimmtes Begräbniszeremoniell und die daraus notwendig folgende, rhetorisch hergestellte Erregung dieser oder jener Affekte an gewissen Angel- oder Wendepunkten des Textes, sei es der bei Trauerfällen in einer spezifischen gesellschaftlichen Gruppe auf der Grundlage historischer Feier- oder Würdigungstraditionen konventionalisierte und immer wiederholte Aufbau eines Nekrologs, sei es, etwa im Kulturjournalismus, ein Ensemble von verfestigten, immer gleichen Worten, Formeln, Floskeln, Topoi und Figuren des Gedenkens an einen Verblichenen13 - stets ist eine publike Reaktion auf das Ableben eines Menschen eingefügt in und hergestellt für die standardisierten Abläufe, die zeremoniellen Gesten und die symbolischen Repräsentationen von Ritualen. Zu den bei nahezu jeder Beerdigungsfestlichkeit - jedenfalls in der abendländischen Zivilisation - aufgegriffenen Phrasen gehört die Versicherung eines lange, ja bei vielen Anwesenden lebenszeitlich währenden Andenkens des Verblaßten. Der Nachruf nun bietet aber nicht allein das Forum für solche Verlautbarungen, sondern er ist auch eines der wichtigsten Medien der Memorialisierung eines Menschen, sowohl in der Erinnerung des einzelnen Menschen als auch vor allem im Speicher des kulturellen Gedächtnisses.14 Die breite Forschungsliteratur, die während der letzten
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Vgl. zum Zusammenhang von Literatur und Ritual grundlegend Braungart, Ritual, 1996, exemplarisch zum Nachruf S. 80f.; vgl. dazu auch bereits Drees, Funktion, 1986, passim. Vgl. dazu Krähe, Nachrufpersönlichkeiten, 1985, S. 246. Vgl. dazu zusammenfassend Fricke, Reallexikon, Bd. 2, 2000, S. 562-566 (Wolfgang Neuber: Memoria); Nünning, Metzler, 2001, S.213f. (Ajnsgar] N[ünning]: Gedächtnis, kollektives); vgl. dazu Oexle, Memoria, 1995; vgl. dazu ferner u. a. Assmann, Erinnerungsräume, 1999; Assmann/Harth, Mnemosyne, 1993; Assmann, Gedächtnis, 2000; Halbwachs, Gedächtnis, 1985; Halbwachs, Gedächtnis 1991.
Jahre zu diesem Thema erschienen ist, hat die Bedeutung des Nachrufs für die Memorialisierung eines Verstorbenen noch kaum untersucht, obgleich es sich bei der kasualliterarischen Verabschiedung eines Toten in den westlichen Ländern um eine der elementarsten Techniken der Stiftung eines längerfristigen Gedenkens an eine Person handelt. Und dies gilt umso mehr, als eines der ersten Ziele von Texten der Gattung über die Veränderungen in ihrer Geschichte hinweg die Zusammenfassung, resümierende Abwägung und Bewertung der Lebensleistung eines Verblichenen kurz nach seinem Hingang bildet. Nekrologe auf Schriftsteller im Besonderen können den Prozeß der Integration einer Person und ihres Werkes in das kulturelle Gedächtnis verdeutlichen, da sie häufig von Parentatoren als Forum für Kanonisierungs- oder aber Ent-Kanonisierungsversuche genutzt werden. Gerade im Augenblick des Ablebens einer Person wird ihre Memorialisierung als ihre Aufnahme in die Gruppe vorgeblich überzeitlich unvergeßlicher respektive niemals zu vergessender oder einer künftigen Erinnerung nicht würdiger Dichter im Forum des Nachrufs diskutiert. Die literarhistorische Analyse kann demgemäß die oft kontrovers öffentlich debattierten Konstruktionsleistungen von Parentatoren bei der Arbeit am kollektiven Gedächtnis und deren argumentative Strategien und poetische Ausformungen beobachten. Hierbei sind insbesondere die unterschiedlichen nekrologischen Anstrengungen zur Glorifizierung, Monumentalisierung und Ikonographisierung verstorbener Poeten durch die >handgreifliche< Materialität pompöser Erinnerungszeichen, in Papier (vgl. 6.3.) oder in Stein oder Metall (vgl. 9.4.), zu beleuchten. 15 In Nachrufen werden freilich, wie bereits angedeutet, nicht immer Vorschläge für eine langfristige Verankerung eines Hingeschiedenen im Gedächtnis einer spezifischen Kultur artikuliert. 16 Im Gegenteil, häufig werden die letzten Worte an einen Menschen genutzt, um das Ende der öffentlichen Wirkung seiner Person, seines Werkes, seines Ruhmes oder seines Ansehens zu prognostizieren oder gar >herbeizuredenzwischen den Zeilen< versteckt eingebracht wird. Es wird mithin zu untersuchen sein, ob der Nachruf in seinem Urteil über den verblichenen Menschen tatsächlich, wie von der Forschung bislang angenommen und behauptet, vornehmlich von »potentielle[r] Unwahrhaftigkeit« und von »Verdrängungsmechanismen« geprägt ist17 oder ob die Geschichte der Gattung sich nicht als vielgestaltiger, eigenwilliger und auch klischeeloser, denn bislang vermeint, wird erweisen können.
2.2. Definition der Gattung Nachruf In der vorliegenden Arbeit wird ein quantitativ außerordentlich umfängliches und in seinen - signifikanten historischen Veränderungen unterworfenen - poetischen Formen reich differenziertes Feld von druckschriftlich überlieferten Texten über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrhunderten hinweg als literarische Gattung unter dem Begriff >Nachruf< zusammengefaßt. 18 Um allzu häufige Wortwiederholungen zu vermeiden, wird dieser Terminus auch mit >Nekrolognekrologischer TextTotenlobpublike Reaktion auf einen aktuellen Todesfall< oder >postume Verbeugung vor einem Verstorbenem variiert. Die Urheber dieser kasualpoetischen Würdigungen erscheinen mangels eines gängigen Begriffs und aufgrund der sprachästhetischen Defizite einer Wortschöpfung wie >Leichentexter< mit den Termen >Nachruf-< oder >Nekrologautor< oder aber gelegentlich >Parentator< belegt. Die einzelnen, unter wechselnden literatur- und kulturgeschichtlichen Rahmenbedingungen sich wandelnden Ausprägungen, Spielarten und Formen nekrologischer Würdigungen werden zur Abgrenzung vom Oberbegriff der >Gattung< des Nachrufs als >Genres< bezeichnet. Die hier zu analysierende und zu interpretierende Textgruppe zerfällt also ihrerseits in Untergruppen wie zum Beispiel die Todesanzeige, die protestantische Leichenpredigt, das neulateinische Epitaph, die deutschsprachige poetische Grabschrift oder den feuilletonistischen Nachruf in der Tagespresse. Als selbstverständlich verstehen sich schließlich Überschneidungen des Nekrologs mit anderen, anhand differenter Kriterien konstruierten Gattungen, etwa mit >Elegie< bei postumen Würdigungen eines Menschen in dieser Gedichtform oder mit >Totengespräch< im Falle derjenigen spezifischen elysischen Dialoge, bei deren Figuren es sich um soeben Hingeschiedene handelt.
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Lenz, Mortuis, 1990, S.7. Vgl. zur Definition der Gattung >Nachruf< auch Bogner, Nachruf, 2002. Vgl. zur Bedeutungsgeschichte von >Nekrolog< Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 6, Sp. 207-210 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Nekrolog).
Anders als zum Beispiel beim Terminus >Sonett< bezeichnete das Wort >Nachruf< während der in der vorliegenden Studie behandelten Perioden im Sprach- und Literatursystem keineswegs durchgängig die hier anvisierte Textgruppe. Maßgebliche lexikographische Nachschlagewerke bieten die Information, daß Philipp von Zesen (1619-1689) 1648 vorgeschlagen habe, das Fremdwort >Echo< durch >Nachruf< zu substituieren,20 und daß sich der Begriff als Bezeichnung für die Würdigung eines Verstorbenen erst um 1850 durchgesetzt habe;21 vermutlich wird hier das publizistikhistorische Phänomen der Etablierung des Feuilletons in der Tagespresse, zu dessen Spielarten die öffentliche Verbeugung vor einem Verblaßten von Anfang an gehörte, mit der Wortgeschichte parallelisiert. Allerdings ist die letztere Auskunft in dieser Pauschalität nicht korrekt. Der Blick in ältere Nachschlagewerke, beispielhalber Joachim Heinrich Campes (1746-1818) Wörterbuch der Deutschen Sprache (1807-1812) zeigt, daß >Nachruf< durchaus auch schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in dem heutigen Sinne lexikographisch kodifiziert wurde. Allerdings erscheint der semantische Hof des Lexems hier noch viel größer als später, umfaßt die Bedeutung doch ganz allgemein die »Handlung, da man nachrufet«, entweder jemandem hinterher oder an jemanden nach dessen »Entfernung« oder »Tod«, und schließlich werde, so heißt es zuletzt, mit dem Substantiv auch »auf das gute oder böse Gerücht, welches einer nach sich läßt«, also auf den Nachruhm, abgehoben.22 Auch das von Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) begründete Deutsche Wörterbuch weist den Terminus mit diesem breiten semantischen Spektrum aus und belegt ihn in der Bedeutung von »einem geschiedenen, gestorbenen gewidmeten und ihn rühmenden worte[n] (in rede oder schrift)« bereits bei einigen deutschen Anakreontikern und bei Jean Paul (eig. Johann Paul Friedrich Richter, 1763-1825). 23 Tatsächlich lassen sich bei größeren bibliographischen Recherchen ab etwa 1750 in stetig zunehmender Zahl gedruckte Texte nachweisen, die in ihren Titeln die explizite Textsortenbezeichnung >Nachruf< tragen, 24 darunter Leichenpredigten, Grabreden, Trauergedichte und Broschüren mit Erinnerungen an den jeweiligen Verstorbenen. Vor diesem Zeitpunkt jedoch sind nur wenige derartige Publikationen belegt, beispielsweise der Traurige Nachruff: Mit welchem das unverhoffte Ableben Des [...] Herrn Augusti Varenii von Johann Hetling 1684 betrauert wurde,25 oder der Sehnliche Nachruff von Gottfried Samuel Reinhold (1628-1678) auf einen Amtmann in Frei-
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Vgl. z.B. Kluge, Wörterbuch, 1975, Sp. 499b. Vgl. z.B. Paul, Wörterbuch, 1956, Sp. 423a; sowie Kluge, Wörterbuch, 1975, Sp. 499b; der Artikel findet sich allerdings nicht mehr in Kluge, Wörterbuch, 1995. Campe, Wörterbuch, Bd. 3, 1809, Sp. 416a; vgl. so auch noch Heyne, Wörterbuch, 1892, Sp. 917. Grimm/Grimm, Wörterbuch, Bd. 7, 1889, Sp. 106. Vgl. zu diesem Terminus Simmler, Teil, 1996, S. 603 u.ö. Demgemäß können spezifische Teile des Titels eines Textes als Textsorten-Ankündigungen verstanden werden, die bei der überwiegenden Mehrheit des Publikums bestimmte Erwartungen hinsichtlich der Erfüllung der Merkmale dieser Textsorte wecken; vgl. auch Fricke, Norm, 1981, S. 133. Hetling, Nachruff, 1684.
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berg von 1663.26 Allerdings hatte sich die Bedeutung des Begriffs im 17. und frühen 18. Jahrhundert offenkundig noch nicht auf die Bezeichnung von Texten, die anläßlich eines Todesfalles verfaßt wurden, eingeengt, erschienen doch in dieser Zeit auch immer wieder Gelegenheitsdrucke, die auf dem Titelblatt mit der Textsortenbezeichnung >Nachruf< versehen, aber nicht dem Abschied eines Menschen aus dem Leben, sondern vielmehr aus einer sozialen Gruppe oder von einem bisherigen Wohnort gewidmet sind. So publizierten beispielsweise im Jahre 1651 »Studirende« für einen Kollegen, »als er aus Leipzig in seinen Beruf zu treten sich aufmachen wollte«, jenseits von Ironie oder Galgenhumor einen Letzte[n] Nachruf·1 oder 1656 die Tischgenossen eines Magisters der Theologie zu dessen Abgang von ebendort einen Glükwünschende[n] Nachruff}* und zwei Wittenberger Studenten entließen 1669 einen Kollegen aus seinen akademischen Lehrjahren mit einem Kasualimpressum, welches sie als einen Parnassische[η] Nachruff betitelten.29 Der Etablierung des Begriffs >Nachruf< als Bezeichnung für eine kasualpoetische Gattung in der Mitte des 18. Jahrhunderts korrespondierte mithin eine langsame, aber sukzessive Verengung seiner semantischen Extension auf eine sprachliche Äußerung anläßlich eines Todesfalles. Dabei umfaßte der Terminus, wie bereits erwähnt, die unterschiedlichsten literarischen Genres des Totenlobs (Grabreden, Trauergedichte, Gedenkausgaben etc.), und in diesen Begriff sollten auch während der folgenden Jahrzehnte bis zur Gegenwart immer wieder die neueren literarischen Formen der Auseinandersetzung mit dem Ableben eines Menschen innerhalb der jeweils aktuellen Medien integriert werden, vor allem an den Zeitungs-, den Hörfunk- und Fernsehnachruf sei erinnert. In der literarhistorischen Diskussion freilich wurde der Terminus immer wieder zur Bezeichnung für Texte aus einer Zeit appliziert, in welcher das Wort noch lange nicht in dieser Bedeutung verwendet wurde. So nannte etwa der Herausgeber einer 1984 erschienenen Anthologie mit den unterschiedlichsten Nekrologen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren auf Schriftstellerkollegen von Walther von der Vogelweide (um 1170-um 1230) bis Uwe Johnson (1934—1984)30 diese Texte ohne Unterschied >NachrufeNachrufs< wie auch das heuristisch mit ihm zu bezeichnende literarhistorische Phänomen - unterschiedliche Gelegenheitstexte, die anläßlich eines aktuellen Todesfalles erschienen sind - lassen sich in deutschsprachigen Poetiken über die Dezennien und Zenturien ihrer Geschichte hinweg nicht nachweisen. Die Gründe dafür sind einerseits in der Konzentration der deutschsprachigen Regularien für die Herstellung von Texten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auf die klassische Gattungstrias und in der weitgehenden Exklusion der literarischen Gebrauchsformen aus der Dreiheit von Lyrik, Drama und Epik zu suchen. Andererseits kennen die Poetik- und vor allem die Rhetoriklehrbücher des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit ebenfalls keine allgemeine Gattungsbezeichnung für nekrologische Texte, enthalten jedoch - zum Teil sehr ausführliche - Anweisungen hinsichtlich der Produktion von Texten in einzelnen Genres des Nachrufs, insbesondere von Epicedien, also lateinischen Trauergedichten, und Leichenpredigten. 32 Allerdings decken auch zwischen dem 16. und dem frühen 18. Jahrhundert diese präskriptiven Auxiliarien für die Herstellung von Gelegenheitstexten keineswegs die reich differenzierte Vielfalt der diversen Genres kasualpoetischer Äußerungen über den Tod eines Menschen ab. Sie übergehen beispielsweise die innerhalb der Leichenfeier verlesene Vita des Hingeschiedenen oder - in der Nachfolge Lukians (um 120-nach 180) - das Totengespräch, in welchem dem Rezipienten der soeben Verstorbene als Neuankömmling im Jenseits vorgeführt wird. Während nun aber die historischen Rhetorik- und Poetiklehrbücher lediglich Normen für die Produktion von Texten einiger weniger Spielarten des Nekrologs bieten, lassen sich hingegen in der literarischen Praxis selbst, also in Texten unterschiedlicher Formen des Nachrufs, zahlreiche Belege für poetologische und programmatische, mithin selbstreflexive Überlegungen zur kasualliterarischen Tätigkeit anläßlich eines aktuellen Trauerfalles erkennen. Den gattungstheoretischen Bezugspunkt bilden hierbei zumeist nicht einzelne nekrologische Genres - die Autoren äußern sich also nicht über Fragen der Gestaltung einer Leichenpredigt oder eines feuilletonistischen Nachrufs im Speziellen - , sondern das Reden und Schreiben über das rezente Ableben eines Menschen selbst, das mit welchem Begriff auch immer bezeichnet wird. Beispiele dafür wären Überlegungen von Parentatoren, unter welchen Umständen es erlaubt, ja notwendig sei, auf die consolatio an die Hinterbliebenen als traditionellen Teil von nekrologischen Texten zu verzichten (etwa, weil der Verlust zu groß und der Schmerz zu gewaltig sei, als daß es auch nur irgendeinen noch so geringen Trost für
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Vgl. dazu grundlegend Krummacher, Epicedium, 1974; vgl. ferner allgemein zu barokken Kasualpoesie und insbesondere zu ihrem Verhältnis zu den Poetiken als Anleitung für die Textherstellung und -gestaltung Grimm, Literatur, 1983, S. 2 7 3 - 3 1 3 ; Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, 1977, S. 111-151. - Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nicht, einen Überblick zu den Regeln für die Herstellung nekrologischer Texte in Poetiken und Rhetoriklehrbüchern zu geben, vielmehr die Praxis des anlaßbedingten Dichtens auf aktuelle Todesfälle zu untersuchen.
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die Trauergemeinde geben könnte), oder Reflexionen auf die Möglichkeit der Suspendierung der bekannten ethischen Maxime De mortuis nil nisi bene in bestimmten Fällen (etwa, weil der Verstorbene ein so abgrundtief verworfener Mensch gewesen sei, daß ein Schweigen über seine Verfehlungen selbst ein unmoralisches Verhalten darstellen würde). Hierher gehören auch polemische Abgrenzungen gegenüber älteren, als überkommen kritisierten thematischen und stilistischen Gestaltungsprinzipien von Nekrologen und öffentlich inszenierte, gelegentlich in Repliken, Dupliken und Tripliken ausufernde Auseinandersetzungen um vermeintlich inadäquate publike Reaktionen auf den Tod eines Menschen. Schließlich lassen sich auch eine Reihe von eigenständigen theoretischen Texten in der deutschsprachigen Literaturgeschichte nachweisen, welche sich abseits von einzelnen Genres des Nachrufs und unter Verwendung variierender Zentralbegriffe mit der Kulturtechnik der literarischen Verarbeitung eines rezenten Trauerfalles beschäftigen. Dazu zählen auch Äußerungen zum Nekrolog aus dem 20. Jahrhundert, welchen eine gewisse Prominenz eignet, beispielsweise Alfred Polgars (1873-1955) Nekrologie33 Stefan Großmanns (1875-1935) Nachruf auf mich selbst34 oder Erich Mühsams (1878-1934) Gebrauchsanweisung für Literaturhistoriker.35 Eine Aufarbeitung der Geschichte des Nachrufs von der Reformation bis zum 19. Jahrhundert steht also vor der komplexen Aufgabe, hypothetisch eine Gattungstradition zu konstituieren,36 die von der Poetik nicht als solche, sondern nur in einigen ihrer Ausprägungen präskriptiv reglementiert, gleichwohl aber immer wieder - wenn auch niemals systematisch und umfassend - in vereinzelten poetologischen Selbstreflexionen explizit auf ihre Normen und Konventionen hin befragt worden ist. Die Definition der Gattung37 wird deshalb grundsätzlich als eine konstruktivistische Festlegung verstanden werden müssen, welche eine spezifische Gruppe von Texten mit beobachtbaren gemeinsamen Merkmalen unter Berücksichtigung der historischen
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Polgar, Nekrologie, 1983 [1926], Großmann, Nachruf, 1983 [1925], Mühsam, Gebrauchsanweisung, 1978. Zur Definition des Nachrufs vgl. z.B. Wulf-Mathies, Untersuchungen, 1969, S. 12: »Als Arbeitsdefinition gilt für den Nekrolog eine kürzere Rede oder Abhandlung über einen Verstorbenen, bei der noch eine gewisse zeitliche Nähe zum Tod vorhanden sein muß.« - Vgl. auch zur Definition des Nachrufs in den modernen Massenmedien Brunn, Abschieds-Journalismus, 1999, S. 47-70. Vgl. zu Fragen und Problemen der Gattungstheorie zusammenfassend Nünning, Metzler, 2001, S. 204f. (Pfeter] W[enzel]: Gattung, literarische); S. 205f. (P[eter] W[enzel]: Gattungsgeschichte); S. 206-209 (P[eter] Wjenzel]: Gattungstheorie und Gattungspoetik); S. 629f. (E[mst]-U[lrich] G[roße]: Textsorten); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 6 5 1 655 (Klaus W. Hempfer: Gattung); S. 655-658 (Wilhelm Voßkamp: Gattungsgeschichte); S. 658-661 (Dieter Lamping: Gattungstheorie); S. 704f. (Dieter Lamping: Genre). - Vgl. zur Gattungstheorie u.a. Bickmann, Gattungsbegriff, 1984; Fricke, Norm, 1981, S. 112-160; Genette, Einführung, 1990; Hempfer, Gattungstheorie, 1973; Horn, Theorie, 1999; Schnur-Wellpott, Aporien, 1983; Simmler, Textsorten, 1997; Stolz, Gattungsbegriff, 1999; Textsorten, 1983; Trappen, Gattungspoetik, 2001, S. 1-11; Wagenknecht, Terminologie, 1988, S. 263-356; Willems, Konzept, 1981; Zimmermann, Überlegungen, 2002, v.a. S. 1-8.
poetischen und poetologischen Normen- und Regeldiskussionen über den Nachruf respektive über einzelne seiner Genres zusammenfaßt. 3 8 Dabei ist, wie bereits angedeutet, zwischen Textgruppenbildungen auf einer höheren und einer niedrigeren Abstraktionsebene zu differenzieren. Dem Sammelbegriff der Gattung des Nachrufs im allgemeinen Sinne von diversen nekrologischen Texten, die ihrerseits auf einer nochmals höheren Ebene der Kasualpoesie respektive den literarischen Gebrauchsformen zugeordnet werden könnten, stehen die diversen, historisch hinsichtlich ihrer Gestaltungsprinzipien, ihrer medialen Präsentationsforen und ihrer kulturgeschichtlichen Kontexte Varianten, zum Teil von Poetiken präskriptiv beschriebenen Genres gegenüber, beispielsweise Leichenpredigten, Grabreden, feuilletonistische Erinnerungsartikel, nekrologische Darstellungen von Sterbeszenen, Abschiedsgedichte oder Totengespräche. Eine solchermaßen hierarchisierte Definition begründet auf der niedrigeren Abstraktionsebene naturgemäß keine exklusive Zugehörigkeit zur Textgruppenbildung >Nachruf< auf der höheren Ebene. Die diversen Genres, ja selbst einzelne Texte können aus anderen gattungsgeschichtlichen Perspektiven differenten Textgruppen zugeordnet werden, so das Leichengedicht der Lyrik, die oratio funebris der frühneuzeitlichen Predigt, das dramatisierte Totengespräch der Komödie, der Gedenkartikel in einer Tageszeitung den publizistisch-feuilletonistischen Formen. Für die Textgruppenbildung auf der höheren Abstraktionsebene wiederum müssen gemeinsame Merkmale formuliert werden, die es erlauben, die unterschiedlichen nekrologischen Genres wie auch alle einzelnen, diesen zuzuzählenden Texte innerhalb einer Definition der Gattung des Nachrufs zusammenzufassen. Ein an den normativen Konzepten der historischen Poetik ausgerichteter Eingrenzungsversuch würde an dieser Aufgabe - wie bereits gezeigt - ebenso scheitern wie ein an den in den Texten selbst aufgegriffenen Textsortenzuschreibungen orientiertes Konzept; lassen sich doch allein für das Genre der frühneuzeitlichen protestantischen Leichenpredigt etwa 130 differierende Bezeichnungen nachweisen. 3 9 Ebensowenig liefern metrische Formen und Gliederungsschemata, eine bestimmte mediale Publikationsform oder eine spezifische Kommunikationssituation aufgrund der starken synchronen wie diachronen Diversifizierung der Gattung probate Kriterien für eine homogene Definition. Das Spektrum an Nachrufen umfaßt ja die verschiedensten lyrischen und prosaischen, darüber hinaus auch einige dramatische Formen und Gestaltungsweisen. Texte der Gattung können ferner mündlich, handschriftlich vervielfältigt, gedruckt oder auch - so im 20. und im 21. Jahrhundert - auf elektronischem Wege an die Öffentlichkeit getragen werden. Die Rezeption schließlich mag im Rahmen einer pompösen Leichenzeremonie, bei der Lektüre der Tageszeitung oder aber während des Fernsehkonsums erfolgen. Ein erstes - und zwar notwendiges - Kriterium für die Bestimmung des Nachrufs kann stattdessen aus der spezifischen kasualliterarischen Produktionssituation ge-
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Zu diesem konstruktivistischen Ansatz vgl. grundlegend Hempfer, Gattungstheorie, 1973, S. 122-127. Vgl. Fürstenwald, Bericht, 1973, S. 458.
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wonnen werden. Es sollen mithin nur solche Texte der Gattung zugerechnet werden, bei denen es sich um sprachlich artikulierte Reaktionen auf den jeweils aktuellen Tod eines Menschen, in bestimmten Ausnahmefällen auch einer ganzen Personengruppe, handelt. Dieser Definitionsansatz formuliert positiv ein gattungskonstitutives Merkmal, das es erlaubt, die verschiedensten nekrologischen Genres und Texte stringent miteinander zu verbinden, und grenzt den Nachruf negativ von ihm verwandten literarischen Formen ab, zum Beispiel von der Predigt innerhalb eines Dankgottesdienstes, nachdem ein Fürst eine schwere Krankheit glücklich überstanden hat, von der Biographie, die geraume Zeit nach dem Ableben eines Menschen erscheint, vom historischen Roman oder vom Gedenkartikel, möglicherweise anläßlich eines fünften oder zehnten Todestages, welcher manchmal alltagssprachlich auch Nachruf genannt wird. 40 Die Zeitspanne zwischen dem Hinscheiden einer Person hier und dem darauf reagierenden nekrologischen Text dort kann dabei im großen historischen Überblick nicht starr fixiert werden. Sie bemißt sich vielmehr vor dem Horizont der Reflexion der Nekrologautoren selbst auf die Aktualität des jeweiligen Todesfalles. Dieser Horizont steht seinerseits wiederum in Abhängigkeit von kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Prozessen, insbesondere der Beschleunigung im Rahmen von Modernisierungstendenzen. Helius Eobanus Hessus etwa veröffentlichte, wie bereits erwähnt, noch 1531 eine Totenklage auf seinen Freund Ulrich von Hutten, also acht Jahre nach dessen Ableben. Am Ende des 20. Jahrhunderts hingegen bleibt das Hinscheiden eines Schriftstellers gerade einige Wochen, wenn nicht sogar nur Tage in der literarischen und publizistischen Öffentlichkeit präsent. Als Nachrufe sollen mithin - diese Bedingung enthält das erste Definitionskriterium - nur solche Gelegenheitstexte gelten, die einen direkten Bezug auf das den Teilnehmern der jeweiligen Kommunikationssituation informationell oder emotional noch gegenwärtige Ableben eines Menschen aufweisen. Ein zweites, ebenfalls notwendiges Merkmal der Gattung betrifft die Sprechersituation. 41 Als Nachrufe sollen ausschließlich solche Texte gelten, die anläßlich eines rezenten Todesfalles einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit kommuniziert werden. 42 Dabei soll der Begriff im vorliegenden Zusammenhang weder auf spezifische, allgemein verfügbare Kommunikationsmedien abheben. Ein Gelegenheitsdruck mit Trauergedichten aus dem 16. Jahrhundert wird mithin der Gattung auch dann zugeordnet, wenn er lediglich unter den hinterbliebenen Verwandten, Freunden und Gönnern des Verstorbenen verteilt und nicht über den Buchhandel distribuiert wurde. Noch bezieht sich der Terminus hier auf die besondere Form der Ausbildung einer pluralistischen, über schriftliterarische Kommunikation vermittelten Instanz des publiken Räsonnements, deren Ausbildung innerhalb des deutschsprachigen Raums im 18. Jahrhundert von der Forschung intensiv untersucht worden ist. Vielmehr soll das Kriterium der öffentlichen Äußerung eines Nekrologs eine Abgrenzung der Gattung
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Vgl. z.B. Brittnacher, Geck, 1996. Vgl. dazu Hempfer, Gattungstheorie, 1973, S. 225 u.ö. Vgl. zum Begriff der Öffentlichkeit zusammenfassend Fricke, Reallexikon, Bd. 2, 2000, S. 7 3 9 - 7 4 2 (Erich Kleinschmidt: Öffentlichkeit); vgl. auch Jäger, Öffentlichkeit, 1997.
von Reaktionen privater Natur 43 auf das Ableben eines Menschen gewährleisten, etwa Beileidsbezeugungen in Briefen oder betroffene Herzensergießungen trauernder Tagebuchschreiber. Die Abfassung und Verbreitung eines nekrologischen Textes ist demnach an eine spezifische soziale Rolle geknüpft, innerhalb welcher sein Sprecher oder Schreiber sich mit der Äußerung über den Tod eines Menschen nicht an einen einzelnen Rezipienten oder einige wenige von ihnen, insbesondere enge Familienangehörige, in vertraulicher Form wendet, sondern an eine wie auch immer zusammengesetzte, häufig auch institutionalisierte gesellschaftliche Gruppe. Damit wird impliziert, daß Nachrufe als publik präsentierte Auseinandersetzungen mit einem aktuellen Todesfall - anders als nicht-öffentliche Reaktionen - nicht nur eine ästhetisch, sondern auch eine sozial außerordentlich stark reglementierte Gattung von literarischen Texten darstellen. Sei es die Rede am Grab, die Veröffentlichung eines Trauergedichts im Druck oder die Herstellung eines nekrologischen Hörfunk-Features, stets müssen die Textproduzenten hohe Erwartungen und Anforderungen ihres Publikums an eine adäquate Auseinandersetzung mit dem Trauerfall gewärtigen und bei der Gestaltung der Nachrufe berücksichtigen. Der Totenredner agiert innerhalb einer streng regulierten Rolle, häufig tritt er - man denke an zeremonielle Gedenkfeierlichkeiten in der frühen Neuzeit ebenso wie heute - im jeweiligen kommunikativen Kontext als Repräsentant spezifischer gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Interessen an dem Verstorbenen auf. Seine Worte müssen die labile Balance halten zwischen überschwenglichem, dem versöhnenden Tod verdanktem Lob und offenkundiger Beschönigung, zwischen rühmender Würdigung der positiven Eigenschaften und Verdienste des Verstorbenen und lächerlich betulichem Verschweigen von dessen Fehlern, zwischen sublimer Kritik und pietätloser Anschwärzung des Andenkens eines Menschen. Anders gesagt, das öffentliche Sprechen über einen Toten hat häufig wenig zu tun mit der Kundgabe persönlicher Emotionen - und deswegen erscheint es notwendig, bei der Definition des Nachrufs publike von privaten Reaktionen auf das Ableben einer Person zu unterscheiden. Die beiden genannten konstitutiven Gattungsmerkmale besagen im übrigen keineswegs, daß der Prozeß der Konzeption und Vertextung eines Nachrufs in jedem Fall zeitlich nach dem Hinscheiden eines Menschen erfolgen muß, sondern nur das Datum der Veröffentlichung hat jenseits jener Grenze zu liegen. Der Nachruf ist nicht allein hinsichtlich seiner Darstellung von Leben und Wirken eines Verstorbenen eine in hohem Maße fiktionale Gattung, sondern auch mit Bezug auf die Selbstinszenierung seiner Autoren. Viele nekrologische Texte, die mit großer Geste das Hinscheiden eines Menschen beklagen, wurden und werden vor dem Tod desselben verfaßt, freilich erst - und darauf kommt es an - anläßlich des tatsächlichen Ablebens publiziert, also in die jeweiligen Rezipientenkreise hineingesprochen. Erinnert sei an die personenbezogenen Archive der großen deutschsprachigen Tageszeitungen, in denen Tausende
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Vgl. z.B. zu einem privaten Lamento von Christian Gottlob von Voigt über seinen verstorbenen Sohn Tümmler, Voigts, 1967.
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von ungedruckten Nachrufen für den Bedarfsfall >auf Vorrat< gelagert sind - und zur Not, wenn die bereits mit Nekrologen Bedachten wider Erwarten noch nicht aus der Welt haben scheiden wollen, auch zu Jubelartikeln für runde Geburtstage umgearbeitet werden. Umgekehrt sind nicht alle Texte, die kurz nach dem Tod eines Menschen publiziert werden, als Nachrufe zu klassifizieren, sondern lediglich jene, die eine Reaktion auf das Ableben eines Menschen darstellen. Wenn demnach in einem personenbezogenen Text eine Person irrtümlicherweise als lebende gelobt wird, beispielsweise im Rahmen eines Geburtstagsartikels, der Gefeierte freilich inzwischen bereits verblichen ist, kann nicht von einem Nekrolog gesprochen werden. 44 Neben den beiden genannten und explizierten, konstitutiven Kriterien für die Eingrenzung der Gattung lassen sich noch eine Reihe weiterer, allerdings nicht notwendiger, sondern nur möglicher Merkmale des Nachrufs benennen. Bei dieser Form der Definition kann einem innerhalb der Forschung der letzten Jahre intensiv diskutierten Modell der Gattungskonstitution gefolgt werden, das sich eng an Ludwig Wittgensteins (1889-1951) Konzept der Familienähnlichkeit anlehnt. 45 Demnach setzt die Feststellung einer Gattungstradition voraus, daß die derselben zugeordneten Texte in einer Vielzahl von Merkmalen übereinstimmen, daß aber andererseits nicht jeder einzelne Text alle diese Merkmale aufweisen muß, um der Gattung zugerechnet werden zu können. Dabei sollte es sich allerdings, dies ist zu ergänzen, um Merkmale handeln, die sich in Texten über die gesamte Gattungsgeschichte hinweg beobachten lassen. Diese Einschränkung erscheint deswegen als erforderlich, weil sich nur unter dieser Voraussetzung zum einen die Kontinuität der Tradition rekonstruieren läßt, das heißt auf diese Weise ein Abgleiten der einzelnen Kriterien der Gattungsdefinition auf die niedrigere Abstraktionsebene der Bestimmung einzelner Genres zu vermeiden ist. Zum anderen kann so bei einer Interpretation der Texte selbst die Dynamik der literarischen Entwicklung des Nachrufs deutlicher in den Blick geraten, das heißt das wiederholte Aufbrechen von Produktions- und Rezeptionserwartungskonstanten im Angesicht veränderter kultur- und sozialgeschichtlicher Rahmenbedingungen und die immer neuen Transformationen eingespielter Textherstellungsmuster beim Wechsel der Gattung in ein neues Medium. Es handelt sich bei den gemeinsamen Merkmalen von Nachrufen, die allerdings nicht alle in jedem einzelnen Text der Gattung zu beobachten sind, durchweg um literarische Realisationen spezifischer Textherstellungsstrategien, welche mit Kategorien der Rhetorik beschrieben werden können. Die Autoren von Nachrufen der unterschiedlichsten Genres greifen über Jahrhunderte hinweg immer wieder zu denselben Modellen für die Invention, die Disposition, die argumentative Durchführung und die stilistische Ausgestaltung ihrer nekrologischen Würdigungen - und dies stets mit Blick auf die Wirkfunktionen der jeweils eingesetzten Strategien für die Produktion nekrologischer Texte. Dabei ist bis ins 19. Jahrhundert bei den Autoren von Nachrufen
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Vgl. z.B. Bogner, Worte, 1996 zu einem Geburtstagsartikel Joseph Roths auf den mittlerweile hingeschiedenen Edward Samhaber. Vgl. dazu Fowler, Kinds, 1997; Goch, Universitätsroman, 1992, v.a. S. 15-27; MüllerZettelmann, Lyrik, 2000, v.a. S. 15-19; Ryan, Introduction, 1981.
aufgrund ihres Ausbildungsweges wenigstens teilweise von einem reflektierten Umgang mit diesen Strategien als rhetorischen Textherstellungsmustern auszugehen, für die weitere gattungsgeschichtliche Entwicklung wird eine bis heute stetig fortgesetzte Akkulturation dieser spezifischen rhetorischen Techniken im Rahmen der sprachlichen, kulturellen und literarischen Sozialisation anzunehmen sein. Normbildende Prototypen, das heißt einzelne hochkanonisierte Texte, die als normative Vorbilder sowohl den Produktionsprozeß von Nachrufen als auch den Erwartungshorizont der Rezipienten hinsichtlich derselben bestimmt haben, sind dabei im Kontrast zu anderen Gattungen nicht nachzuweisen, jedenfalls nicht solche Prototypen, welche die Produktion von nekrologischen Texten über einen längeren Zeitraum hinweg in größerem Umfang bestimmt hätten. Eine der wichtigsten Textherstellungsstrategien, welche die gesamte Geschichte der Gattung geprägt hat, ist die inventorische Konzeption und Disposition eines Nachrufs nach dem Lebenslauf einerseits und dem katalogartigen Lob der Tugenden, Verdienste und herausragenden Leistungen eines Verstorbenen, im Falle eines Schriftstellers oder Künstlers auch von wichtigen Werken, andererseits. Diese Muster begegnen in den unterschiedlichsten Texten vielfach variiert - sie folgen in einem doppelten cursus des verloschenen Lebens innerhalb des Nekrologs aufeinander, werden kunstvoll ineinander verschlungen oder auf zwei separate Texte verteilt - , lassen sich aber von der Leichenpredigt des 16. Jahrhunderts bis zur Gedenksendung im Rundfunk immer wieder als konstitutive Strategien für die Akkumulation biographischen Materials und für die Nachrufgliederung belegen. Zu den Textherstellungstechniken im Bereich der argumentatio, welche als charakteristische Merkmale des Nachrufs zu nennen sind, zählt unter anderem die nekrologische comparatio, also die Einordnung des Verstorbenen in eine Reihe mit vergleichbaren kanonisierten Persönlichkeiten der Vergangenheit, etwa im Falle von Schriftstellern die ostentative Zurechnung des Toten zum jeweils aktuellen Höhenkamm der literarischen Wertung, wobei - nebenbei bemerkt - der Vergleich nicht in jedem Fall zum Vorteil des >Geehrten< ausfallen muß, sondern Raum für manche subtile Spitze gegen denselben geben kann. Ein weiteres Argumentationsschema, das in Nachrufen sehr oft aufgegriffen wird, stellt die auctoritas dar, das heißt das Zitieren der Meinungen und Urteile von in der jeweiligen sozialen Gruppe oder in der Öffentlichkeit maßgeblichen Personen über den Verstorbenen. Erinnert sei etwa an konventionelle nekrologische Formulierungen wie >die einhellige Meinung seiner Familie und seiner engsten Freunde über ihn war, daß etc.< oder >XY nannte ihn den wichtigsten Vertreter von etc.< Mindestens ebenso häufig läßt sich darüber hinaus innerhalb der Gattung die Prosopopöie belegen, das heißt die Wiedergabe von tatsächlichen oder fiktiven Äußerungen des Toten selbst im Rahmen des Nachrufs. So enthalten beispielhalber Würdigungen verstorbener Lyriker regelmäßig Zitate von oder aus deren berühmtesten Gedichten; in Rundfunk- oder Fernsehnachrufe werden immer wieder Ausschnitte aus älteren Interviews mit dem nunmehr Hingeschiedenen eingeblendet - vorzugsweise Passagen von besonderer Bedeutungsschwere; Leichenredner lassen am Ende ihres Sermons den Verblichenen fiktiv selbst noch einmal mit der Bitte an das trauernde Publikum herantreten, nun dem Weinen und Jammern ein
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Ende zu setzen, da sein jetziger Zustand im Jenseits ein durchaus besserer als sein früherer auf Erden sei; oder der Parentator operiert innerhalb seiner Argumentation mit Phrasen wie >er hätte dazu gemeint< oder >sie würde dagegen eingewendet habenNekrologe< bezeichnet worden sind,47 wie auch für spätere amtliche Todesvermerke48 sowie für Aufzeichnungen über Todesfälle in Familienchroniken, Familienbibeln, Gesangbüchern und ähnlichen Dokumenten 49 Drittens sind Texte, welche Autoren auf sich selbst als fiktiv Verblichene verfaßten - häufig unter Imitation oder Kontrafaktur typischer Herstellungs- und Gestaltungsmuster für den Nekrolog - , 5 0 nicht der Gattung zuzurechnen, selbst wenn solche Äußerungen bereits unter dem Eindruck des unmittelbar bevorstehenden Hinscheidens entstanden. Daher wird zum Beispiel Paul Flemings
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Vgl. dazu in der jüngeren Forschungsliteratur u.a. Decker-Heuer, Studien, 1998; Frank, Studien, 1991; Kuithan, Benediktinerabtei, 1997; Rappmann/Zettler, Mönchsgemeinschaft, 1998. Vgl. z.B. Presuhn, Tot, 2001, S. 12. Vgl. ζ. B. Manger, Todeseintrag, 1997. Vgl. z.B. Kammeier-Nebel, Wandel, 1999. Vgl. dazu die Anthologie Kramberg, Worte, 1970.
(1609-1640) berühmte Grabschrifft / so er ihm selbst gemacht in Hamburg (1641) 51 in der vorliegenden Studie nicht zu behandeln sein.
2.3.
Forschungsbericht
Dem Gegenstand der vorliegenden voluminösen Studie ist von der bisherigen Germanistik, metaphorisch gesprochen, kaum mehr denn der Rang einer kurzen Fußnote zugestanden worden - wenn überhaupt. Symptomatisch für die durch das Fach praktizierte, weitestgehende Ignoranz gegenüber dieser Gattung der Gelegenheitsdichtung 52 ist das Fehlen eines Artikels >Nachruf< im neuen Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Ρ Diese Feststellung ist keineswegs einfach Resultat terminologischer Konfusion und somit schlichtweg Konsequenz eines falschen Nachschlageaktes. Es mangelt nämlich nicht bloß an einem einschlägigen Eintrag zwischen »Nachlaß« und »Nachspiel«. Das Reallexikon verzeichnet, genau betrachtet, die Artikel »Epicedium« 54 und »Epitaph«, 55 femer »Gelegenheitsgedicht« 56 - wobei natürlich lyrischen Würdigungen eines soeben Verstorbenen nur eine geringe Rolle im großen Spektrum kasualliterarischer Erzeugnisse zukommt - sowie den »Leich«, 57 welcher bekanntlich mit dem Tod aber nur insoweit zu tun hat, als hier gelegentlich die Kreuzigung Jesu Christi den thematischen Ausgangspunkt des Textes bildet. Die meisten Genres des Nachrufs bleiben damit im Reallexikon unberücksichtigt, seien es Leichenpredigt, Gedenkansprache, Abdankung oder Grabrede, seien es die Nekrologsammlungen der Goethezeit oder die unterschiedlichen Spielarten publizistischer und feuilletonistischer Reaktionen auf einen Todesfall. 58
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Fleming, Grabschrifft, 1982; vgl. dazu Battafarano, Grabschriften, 1994; Kühlmann, Sterben, 1982. Ziel dieses Abschnitts der Einleitung ist nicht eine Aufarbeitung sämtlicher wissenschaftlicher Studien zum Nekrolog der Neuzeit im einzelnen - deren Ergebnisse werden in der Untersuchung selbst am jeweiligen historischen und systematischen Ort aufgenommen - , sondern eine Skizze der Ausprägungen und charakteristischen Tendenzen der Nachrufforschung der letzten Jahrzehnte, von welchen sich die vorliegende Untersuchung kritisch abzusetzen versucht. Vgl. Fricke, Reallexikon, Bd. 2, 2000; der Artikel »Totenklage« zu einem von der Gattung des Nachrufs differierenden Gegenstand handelt die Geschichte dieser literarischen Form seit dem Ende des Mittelalters auf nicht einmal einer Textspalte ab, vgl. Müller, Reallexikon, Bd. 3, 2003, S. 6 5 5 - 6 5 7 (Christian Kiening: Totenklage). - Ähnliches gilt für ein aktuelles Heft der Zeitschrift Der Deutschunterricht zum Thema Tod und Literatur, vgl. Pfeiffer, Tod, 2002. Vgl. Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 4 5 5 ^ 5 7 (Hermann Wiegand: Epicedium). Vgl. Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 475f. (Hermann Wiegand: Epitaph). Vgl. Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 6 8 8 - 6 9 1 (Wulf Segebrecht: Gelegenheitsgedicht). Vgl. Fricke, Reallexikon, Bd. 2, 2000, S. 3 9 7 - 3 9 9 (Jens Haustein: Leich). Auch der Artikel zum Feuilleton enthält keinen Hinweis auf Nachrufe in der Tagespresse, vgl. Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 5 8 2 - 5 8 4 (Jörg Drews: Feuilleton,).
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Zöge man einmal die Grenzen des Gegenstandes der Literaturwissenschaft dort, wo sie durch die Auswahl der Lemmata und die Artikelgestaltung in diesem wichtigen, ja für das Fach zentralen Nachschlagewerk markiert werden, befänden sich plötzlich nicht nur riesige Massen an neulateinischer und deutschsprachiger Kasualpoesie, sondern auch eine bedeutende Zahl erstaunlich prominenter Texte in einem Feindes- oder genauer gesagt Niemandsland germanistischer Unzuständigkeit. Andreas Gryphius' (1616-1664) DISSERTATIONES FUNEBRES (Sammelausgabe 1666)59 zum Beispiel gingen die Literaturwissenschaft ebensowenig an wie Daniel Caspers von Lohenstein (1635-1683) Abdankung auf Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616—1679)60 oder Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Rede Zu brüderlichem Andenken Wielands;61 Karl Gutzkows (1811-1878) nekrologische Würdigung Georg Büchners (1813-1837) 62 bräuchte das Fach ebensowenig zu interessieren wie Thomas Manns (1875-1955) zahlreiche Nachrufe auf Zeitgenossen, etwa seine Gedenkrede auf Max Reinhardt (1873-1943) 63 oder seine feuilletonistische Würdigung Hugo von Hofmannsthals (1874—1929);64 nicht zuletzt könnte eine Analyse und Interpretation von Uwe Johnsons Hommage an Ingeborg Bachmann (1926-1973) Eine Reise nach Klagenfurt getrost unterbleiben.65 Freilich kann eine solche kursorische Aufzählung lediglich der polemischen Absicht dienen, exemplarisch einige markante literarhistorische Lücken aufzuzeigen, welche die Ausblendung des Nachrufs aus dem Gegenstandsbereich der Germanistik zur Folge hat. Eigentlich soll es aber nicht das Ziel solcher punktuellen Hinweise sein, für eine auf wenige Texte hochkanonisierter Autorinnen und Autoren beschränkte Erforschung nekrologischer Gelegenheitsdichtung zu votieren und damit gerade die Breite und Vielfalt dieses Phänomens aus den Augen zu verlieren. Nun setzt sich die neue Ausgabe des Reallexikon[s] von den beiden früheren Auflagen programmatisch durch eine signifikante Titeländerung ab. Der Begriff »Literaturgeschichte« ist durch den Terminus »Literaturwissenschaft« ersetzt worden, da es, so heißt es im Vorwort, »untunlich« sei, »eine Wissenschaft mit demselben Wort zu bezeichnen wie ihren Gegenstandsbereich.«66 Und auf diesem Hintergrund ist Herausgebern und Redaktion kein ernsthafter Vorwurf wegen der mangelnden Berücksichtigung des Nachrufs in ihrem lexikographischen Konzept zu machen. Insofern nämlich das Reallexikon den aktuellen Forschungsstand in der deutschen Literaturwissenschaft erfaßt und abbildet - und nicht etwa eine eigenständige, avancierte Aufarbeitung und Deutung der Literaturgeschichte anstrebt - , vermittelt es einen völlig
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Gryphius, Dissertationes, 1666. Vgl. Lohenstein, Lob=Rede, 1988 [1679f.]. Goethe, Andenken, 1893 [1813]; vgl. dazu Sengle, Goethes, 1989. Vgl. Gutzkow, Kind, 1837. Mann, Gedenkrede, 1968 [1943], Vgl. Mann, Memoriam, 1968 [1929]. Johnson, Reise, 1974; vgl. dazu Braune-Steininger, Parameter, 1995; Neumann, Trauer, 1995; Rabenstein-Michel, Begriff, 1995; Rabenstein-Michel, Johnsons, 1996; Ribbat, Wo, 1993. Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. VII.
richtigen Eindruck von den rezenten Bemühungen der Germanistik um den Nachruf, wenn von solchen überhaupt die Rede sein kann. Eine Recherche mittels der gängigen bibliographischen Auxiliarien des Fachs nach der während der letzten Jahrzehnte veröffentlichten Sekundärliteratur zum Thema nekrologischer Texte liefert nämlich ein außerordentlich mageres Ergebnis. Wie im Reallexikon ist der Nekrolog also auch in der Literaturwissenschaft selbst ein lediglich untergeordneter, ein randständiger und kaum erforschter Gegenstand geblieben. 67 Die Ursachen hierfür mögen auf den ersten Blick in der besonderen makaberen Spezifität dieses Untersuchungsfeldes liegen, welche diesem oder jener wie eine Germanistik für Nekrophile erscheinen könnte. 68 Allerdings stehen auch gewichtige Gründe im Widerspruch zu einer solchen Vermutung. Um diese zu erläutern, ist ein kurzer thanatologischer Exkurs erforderlich. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Behauptung von der jahrhundertelangen sukzessiven Verdrängung des Todes aus den sich ausdifferenzierenden westlichen Kulturen 69 gibt es nämlich gute Argumente für die These, daß dies nur die eine Seite eines komplexeren, strukturell ambivalenten Prozesses sei. Demgemäß wäre in den modernen Gesellschaften die Einstellung gegenüber Sterben und allen Aspekten der Zeitlichkeit des Menschen einerseits durchaus von Tabuisierung, gleichzeitig aber von außerordentlich starker Anziehung und Faszination geprägt. 70 Tatsächlich wecken zum Beispiel Hospizbewegung, Palliativmedizin oder Patient/inn/enverfügungen größtes Interesse in der Öffentlichkeit, und die Körperwelten-KussteWung mit ihrer Präsentation plastinierter und teilweise zur Betrachtung der inneren menschlichen Organe geöffneter - wohlgemerkt: echter - Leiber schlägt alle Besucherrekorde. 71 Ähnliches gilt für den Buchmarkt. Die Masse an Publikationen zum Thema Tod ist unüberschaubar, und selbst wenn man die belletristischen Veröffentlichungen und die Ratgeberliteratur, von der christlichen über die vulgärmedizinische bis hin zur esoterischen, ausscheidet, bleibt noch eine Flut an wissenschaftlichen Studien über alle nur denkbaren Facetten des Thanatos aus allen Disziplinen übrig. Dabei ist auch den im weitesten Sinne historisch orientierten Fächern eine Fülle an Monographien und Aufsätzen über die Geschichte der Auseinandersetzung des Menschen mit der Endlichkeit seiner Existenz zu verdanken. Sei es die Geschichte der Bestattungsliturgie und der Beisetzungsfeier, 72 des Friedhofs 73
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Vgl. eine ähnlich düstere Beschreibung der Forschungslage zum Nachruf in den Kommunikationswissenschaften bei Brunn, Abschieds-Journalismus, 1999, S. 1-8. So in einem gänzlich anderen Kontext Horn, Nekrolog, 1992. Diese Behauptung geht häufig auf eine simplifizierende Rezeption des >Klassikers< Aries, Geschichte, 1996 [1978] zurück; vgl. zur Kritik auch Fuchs, Todesbilder, 1979, passim. Vgl. dazu z.B. Helmers, Tabu, 1989; vgl. auch Fischer, Wie, 1997, S. 23-25 und passim. Vgl. dazu grundlegend Doms, Ausstellung, 2002. Vgl. z.B. Ackermann, Totenfeiern, 1990; Bauer, Tod, 1992; Bogucka, Tod, 1992; Ignatzi, Liturgie, 1994; Kolmer, Tod, 1997; Rausch, Fürstenlob, 1992; Strocchia, Death, 1992. Vgl. z.B. Fischer, Geschichte, 2001; Gordon/Marshall, Place, 2000; Happe, Entwicklung, 1991.
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oder der Musikalisierung des Sterbens,74 der Darstellung des Todes in der bildenden Kunst, 75 des Suizids76 oder aber des Klagens und Heulens77 - alle diese und noch viel mehr Fragestellungen haben bereits ausführliche und fundierte wissenschaftliche Antworten gefunden. In der besonders makaberen Natur des Forschungsgegenstandes kann demnach die Ursache für das Desinteresse der Germanistik am Nachruf nur bedingt gesucht werden, haben sich doch alle erdenklichen historischen Fächer mit nicht minder düsteren und morbiden Themenstellungen im Umkreis von Sterben und Tod ausgiebig beschäftigt. In der Tat sind auf dem Gebiet der deutschen Literaturwissenschaft gar nicht wenige thanatologische Studien erschienen. Manche Beiträge von germanistischen Fachgelehrten finden sich beispielhalber in den zahlreichen interdisziplinären Sammelbänden zum Thema Tod, ob diese nun auf Aspekte der Gerontologie, der Sterbehilfe oder der Tabuisierung des Abschieds von dieser Welt abheben.78 Hier ist jedoch ebenso wie in der einschlägigen germanistischen Forschungsliteratur die Untersuchung einer eigentlich elementaren Kulturtechnik, nämlich der poetischen Memorialisierung eines soeben Verstorbenen im und durch den Nachruf, außerordentlich selten. Stattdessen liegen die Schwerpunkte der Analyse und Interpretation des Zusammenhangs von Literatur und Ableben bei der fiktionalen Thematisierung von Sterben und Tod,79 zumeist am Beispiel einiger hochkanonisierter epischer Texte des jeweils gewählten Zeitraums, 80 bei spezifischen Fragestellungen wie theoretischen Äußerungen von Autoren zu Trauer und Abschied81 oder bei der Gattung des Totentanzes,82 ferner bei der narrativen Reflexion des Selbstmordes83 oder bei epochentypischen ThanatosVorstellungen wie dem vanitas-Denken des Barockzeitalters.84 Selbst wenn in solchen Arbeiten Klage über die mangelnde wissenschaftliche Erkundung der Literarisierung des Todes geführt worden ist, so pflegt der Nachruf als Desiderat der Forschung dabei nicht in den Blick gefaßt zu werden.85 Die Suche nach den tieferen Gründen für das mangelnde Interesse der Germanistik am Nekrolog mag sich am ehesten erfolgversprechend gestalten, wenn man
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Vgl. z.B. Althaus, Friedhof, 1948; Fleischhauer/Ruf/Siegmund/Zschoch, Tod, 2001; Steiger, Bachs, 2000. Vgl. z.B. Guthke, Tod, 1997; Hart Nibbrig, Ästhetik, 1989; Jansen, Tod, 1989. Vgl. z.B. Baumann, Recht, 2001. Vgl. Berkenbusch, Heulen, 1985. Vgl. z.B. Feldmann/Fuchs-Heinritz, Tod, 1995; Imhof/Weinknecht, Erfüllt, 1994; Marx/ Stebner, Perspektiven, 1990; Winau/Rosemeier, Tod, 1984. Vgl. z.B. Ahrens, Durchstreichungen, 2001. Vgl. z.B. Anz, Tod, 1983; Blum, Studien, 1983; Grote, Tod, 1996; Pfeiffer, Tod, 1997; Rehm, Todesgedanke, 1928; Schäfer, Texte, 1995; Söller, Tod, 2001; Surmann, Gitter, 2002; Uhlig, Todesgenius, 1975; Wentzlaff-Eggebert, Problem, 1989; vgl. auch Schöne, Schillers, 2002. Vgl. z.B. Bohrer, Abschied, 1996. Vgl. z.B. Link, Tanz, 1993; Stöckli, Zeitlos, 1996. Vgl. z.B. Noob, Schülerselbstmord, 1998; Zimmermann, Suicide, 2002. Vgl. Ingen, Vanitas, 1966. Vgl. z.B. Kohnen, Sterbe- und Grabpoesie, 1989, S. 5-10.
einige der wenigen vorliegenden Studien zum Thema auf ihre Bewertung dieser Texte als Untersuchungsgegenstand hin durchsieht. Und dabei zeigt sich rasch, daß sogar in Arbeiten, die sich selbst mit Nachrufen auseinandersetzen, die Berechtigung einer solchen wissenschaftlichen Tätigkeit immer wieder in Frage gestellt wird. So werden in einer einschlägigen neueren Studie die »Hunderte[n], Tausende[n]« von »Totenreden« der Barockzeit abschätzig als »Sache pietätvoller Pflichterfüllung« disqualifiziert, als »schablonenhaft« und »nichtssagend«. 86 Eine aktuelle Arbeit zur Gelegenheitslyrik Goethes wiederum gelangt zu dem Ergebnis, diese erhöbe sich in ihrer Singularität, in ihrer Sprengung konventioneller Gattungsmuster und in ihren autoreferentiellen Bezügen weit über die zeitgenössischen kasualpoetischen Erzeugnisse. Als Repräsentanten für letztere figurieren freilich nur ein paar Dutzend Texte aus dem persönlichen Umfeld Goethes und vom Württemberger Hof. Behauptet wird ferner, die Kasualdichtung habe bei Goethe »letztmalig als künstlerisch hochrangige Gattung« einen Gipfelpunkt erreicht und sei seitdem nur noch als »qualitativ [...] äußerst fragwürdiges Massenphänomen [...] z.B. bei Betriebs- und Familienfeiern« präsent, 87 so als erschiene nicht bis zur Gegenwart in überregionalen Zeitungen und Literaturzeitschriften ein breiter Strom an nekrologischen Gelegenheitstexten aus den Federn der arriviertesten Autoren. In solchen unpräzisen und unsachlichen Formulierungen und faktisch unhaltbaren Thesen läßt sich ein erster entscheidender Grund für die literarhistorischen Vorbehalte gegenüber dem Nachruf erahnen. Die Kritik an der großen Masse überlieferter nekrologischer Texte, ferner an ihrer >pflichtgemäßenWürde< deutet sich auch ein zweiter Grund für seine weitgehende Nichtbeachtung durch die Germanistik an, daß er nämlich der Gebrauchsliteratur zuzuordnen ist. 93 Die dichterische Reaktion auf einen aktuellen Todesfall schuldet ihre Genese nicht allein einem gegebenen Anlaß und sie folgt in ihrer Gestaltung keinesfalls nur den für die kasualpoetische Produktion bereitstehenden >Schablonenpfäffische< Leichenpredigt aus dem 17. Jahrhundert gilt nach wie vor offenkundig als ein der näheren Untersuchung unwürdiger Text, und große Teile der Feuilleton-Forschung kaprizieren sich lieber auf die Veröffentlichungen der publizistischen Flaneure, statt sich mit Würdigungen soeben Verstorbener >unter dem Strich< auseinanderzusetzen. 95 Ein in mancherlei Hinsicht bezeichnendes, lehrreiches und deswegen hier kurz historisch zu skizzierendes Beispiel für den Umgang der germanistischen Literaturwissenschaft mit dem Nachruf ist die Erforschung der Leichabdankung (vgl. 6.2.). Diese spezifische Form des barocken Nekrologs, auch Parentation genannt, hat während der letzten Jahrzehnte die Aufmerksamkeit des Faches auf sich gezogen wie kein anderes Genre des frühneuzeitlichen Totenlobs. Die theoretischen Rahmenbedingungen dafür hatten das wiedererwachte Interesse an der deutschsprachigen Dichtung des Barock, der programmatische Abschied von der klassischen Gattungstrias als traditionellem Gegenstand der Literaturwissenschaft zugunsten einer Auseinandersetzung mit Gelegenheitspoesie und literarischen Gebrauchsformen sowie der Versuch der Sprengung des gängigen Kanons geliefert. Freilich ist in der Praxis der Erforschung der Leichabdankung von diesen Forderungen wenig übriggeblieben. Denn bemerkenswerterweise konzentrieren sich die vor allem in den sechziger und siebziger Jahren vorgelegten Studien weitestgehend auf die Interpretation von nicht mehr als einem guten Dutzend barocker Parentationen, 96 nämlich auf die bereits erwähnten Texte von Gryphius 97 und Lohenstein. 98 So wurde den Nachrufen zweier der prominentesten Autoren des 17. Jahrhunderts - und hierbei handelt es sich nun einmal, man ist versucht zu sagen: zufälligerweise um Leichabdankungen - von der Germanistik der gebührende Respekt gezollt, die große Masse frühneuzeitlicher Nekrologe aus der Feder >minorer< Poeten aber wieder links liegen gelassen - und damit auch die übrigen Genres des Totenlobs. Die wohlfeile Begründung für diese recht engherzige Auslegung des von der Literaturwissenschaft lauthals ausgerufenen Aufbruchs zu den neuen Ufern des bislang unerforschten Kontinents der Kasualliteratur hat dabei ein ebenfalls bereits erwähnter Rekurs auf die
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Wulf-Mathies, Untersuchungen, 1969, S. 8; vgl. auch wenige Jahre später den Forschungsbericht über Literatur zu Funeraloratorik Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 3 - 6 . Vgl. hingegen nur Bogner, Zeitungs-Nachruf, 2000; vgl. ferner zum Nachruf in den gegenwärtigen Medien die kommunikationswissenschaftliche Arbeit Brunn, Abschieds-Journalismus, 1999. Eine Ausnahme bildet die wichtige Textsammlung Fürstenwald, Trauerreden, 1973. Gryphius, Dissertationes, 1666; vgl. dazu Fürstenwald, Gryphius, 1967; Habersetzer, Mors, 1979; Hillen, Ehren-Gedächtnüss, 1977; Kaminski, Gryphius, 1998, S. 2 0 2 - 2 3 1 ; Kutsuwada, Versuch, 1969; Rusterholz, Rostra, 1974; Schilling, Gryphius, 1993; Schings, Tradition, 1966; Stötzer, Trauerreden, 1966; Szyrocki, Gryphius, 1970; Wentzlaff-Eggebert, Tod, 1975, S. 122-145. Lohenstein, Lob=Rede, 1988 [1679f.]; vgl. dazu Manger, Nekrolog, 1993; Schwind, Lohensteins, 1977.
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höchst differierende Qualität der Gelegenheitstexte des 17. Jahrhunderts - und die weit herausstechende Bedeutung genau dieser Texte zweier hochkanonisierter Autoren gegenüber sämtlichen anderen Nachrufen der Zeit - zu liefern vermocht. Gerade die hier untersuchten Leichabdankungen überstiegen nämlich die »Gepflogenheiten der Casualdichtung bei weitem« und führten wegen der singulär exzellenten Handhabung der »künstlerischen Mittel« die »Gattung auf den Gipfel«. 99 Damit war freilich nach den Bemühungen um Lohensteins und Gryphs Parentationen kein besonderer Anlaß für eine fernere Auseinandersetzung mit diesem Genre des Totenlobs gegeben, und tatsächlich hat es die Forschung der achtziger und neunziger Jahre weitgehend aus den Augen verloren, ja die einmal erarbeiteten Ergebnisse scheinen gar abhanden gekommen zu sein, wie ein Blick in eine neuere Einführung in die deutschsprachige Barockliteratur, verfaßt von einem der besten Kenner der Epoche aus der jüngeren Forschergeneration, zeigt. 100 In der etwa eine Druckseite umfassenden Skizze zu den »Leichabdankungen« der frühen Neuzeit werden diese zuerst einmal offenkundig mit der Gedenkausgabe (vgl. 6.3.) gleichgesetzt, »enthalten« sie doch, wie der Verfasser mitteilt, neben der Auslegung des Evangeliums Widmungen, die Abdankungs- und Standrede, dann Angaben zur Person, zu ihrer akademischen und beruflichen Biographie, manchmal die Darstellung der Sterbeszene und Mitteilungen über kirchliche Rituale sowie Epicedien (Trauergedichte). 101
Die unterschiedlichen Unscharfen und Fehleinschätzungen, die diese Bestimmung durchziehen - etwa die Unfähigkeit, die Exegese eines Bibelwortes als Hauptteil der Leichenpredigt zu erkennen, oder die abwegige Behauptung, daß sich der Bericht über das letzte Stündlein nur »manchmal« in Gedenkausgaben finde - seien hier nicht weiter diskutiert. Wichtiger ist, daß mit dem Begriff »Leichabdankung« in der weiteren Folge der Argumentation auf einmal tatsächlich nur noch - ganz richtig - auf die Parentation abgehoben zu werden scheint,102 werden als ihre Vorbilder doch »antike Totenreden«, und zwar »der griechische epitaphios« und »die römische laudatio funebris« benannt. Die erste dieser Reden »in deutscher Sprache« sei »von Martin Luther (auf den Kurfürsten von Sachsen, 1525) überliefert«, 103 womit der Verfasser die Leichabdankung - ein literarhistorisches Phänomen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts - nun wiederum mit der inhaltlich, strukturell und wirkungsästhetisch davon völlig differierenden Leichenpredigt verwechselt (vgl. 4.4.). Abschließend werden einige höchst kursorische Streiflichter auf die »wichtigste Sammlung« mit Texten des Genres aus dem 17. Jahrhundert, die DISSERTATIONES
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Manger, Nekrolog, 1993, S. 305. Vgl. Niefanger, Barock, 2000, S. 225f. Niefanger, Barock, 2000, S. 225f. Solche Begriffsverwirrungen sind in der germanistischen Forschung zum Nachruf geradezu üblich, wenn z.B. prosaische Nekrologe und Leichenreden des Barock als Epicedien bezeichnet werden, vgl. Liemandt, Reaktion, 1998, S. 377 u.ö. Niefanger, Barock, 2000, S. 226.
FUNEBRES von Andreas Gryphius, geworfen. Damit werden nun tatsächlich wieder Parentationen - allerdings im Rahmen der Usancen des Genres recht untypische - in den Blick genommen, doch wünschte man sich vielleicht das Fehlen des gesamten Abschnitts über die Leichabdankungen in dem Einführungsband, da er zu viele schiefe, mangelhafte oder nur teilweise richtige und verwirrende Informationen auf zu kleinem Raum versammelt. Ein dritter Grund für die an solchen Beispielen zu erkennende Vernachlässigung des Nachrufs durch die Germanistik - neben den Vorbehalten gegenüber Gelegenheits- und Gebrauchsliteratur - ist nicht zuletzt in seiner Identifikation mit dem antiken Motto De mortuis nil nisi benem zu suchen. 1 0 5 Auf der einen Seite ist der Spruch tatsächlich über die Jahrhunderte und Jahrtausende des abendländischen Totenlobs zur gattungskonstitutiven ethischen Maxime geworden, andererseits aber hat er dem Nekrolog mindestens ebenso lange den Vorwurf der postumen Lüge, der Heuchelei, der Schönfärberei eingebracht 1 0 6 - und dieser ist von der Germanistik weidlich weiter tradiert worden. Die vorgeblich lobhudlerische Tendenz und die sozusagen automatisch unterstellte Unwahrhaftigkeit der Reaktionen auf das Ableben eines Menschen haben so einen weiteren probaten Grund für den Verzicht auf eine Auseinandersetzung mit der Gattung geliefert, 1 0 7 ohne daß diese Behauptungen selbst näher auf ihre Richtigkeit hin geprüft worden wären. 1 0 8 Auch hat man keinen Gedanken an die Frage verschwendet, ob denn der mangelnde Wahrheitsgehalt eines literarischen Textes ein Argument gegen den möglichen intellektuellen Gewinn aus seiner wissenschaftlichen Analyse und Interpretation sei - bei der Rechtfertigung der Untersuchung von Romanen, Balladen oder Tragödien pflegen solche Erwägungen kaum je von Bedeutung zu sein - , und überdies wäre noch zu überlegen, inwiefern die poetisch-fiktionalisierenden Strategien der lügenhaften Beschönigung eines Lebenslaufes nicht durchaus einer Aufarbeitung würdig sein könnten. Stattdessen finden sich in Studien zu Nachrufen immer wieder abschätzige Bemerkungen über diese Texte, so zum Beispiel, daß nur wenige von ihnen »ernste Gedanken« aussprächen, kaum einer »schwulstlos, ohne die verdächtigen Hyperbeln der litterarischen Klageweiber« sei, daß sie »manche
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Die erste schriftlich fixierte Formulierung findet sich offenbar bei Homer, Odyssee.
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Vgl. z . B . in der rezeptionsgeschichtlichen Studie Kempf, Hallers, 1986, S. 90: »Aufs Ganze gesehen, tut man sicherlich gut daran, die Bedeutung der Nekrologe für die Verbreitung bzw. Erhaltung von [Albrecht von] Hallers literarischem Ruhm nicht allzu hoch einzuschätzen. Zum einen führt die offenbare Voreingenommenheit ihrer Verfasser zu einer teilweise überschwenglichen, literaturkritisch unergiebigen Panegyrik.« 106 So wurden ζ. B. bereits im 17. Jahrhundert Befragungen unter Pastoren über den Wahrheitsgehalt ihrer Leichenpredigten durchgeführt, vgl. Schunck, Leichenpredigt, 1932/1933. 107 Vgl. so bereits Wulf-Mathies, Untersuchungen, 1969, S. 8. 108 v g l . dagegen z . B . die Ausräumung dieses Vorurteils in einer kommunikationswissenschaftlichen Arbeit anhand von Texten aus den heutigen Massenmedien Brunn, AbschiedsJournalismus, 1999, S. 153-183; so auch bereits in einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit über Nachrufe auf bayerische Könige, vgl. Ursel, Herrscher, 1974, S. 12 und passim.
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wohlfeile Phrasen enthielten«,109 oder es wird gar behauptet, die mit den Nekrologen Geehrten hätten sich, wenn sie denn noch gekonnt hätten, die Würdigungen aufgrund ihrer ästhetischen, ja moralischen Minderwertigkeit strikt verbeten.110 Die Vorbehalte gegen den Nachruf sind altgedient und haben eine lange Tradition. Manchmal finden sich in selbstreflexiven Passagen von jahrhundertealten nekrologischen Texten genau die Argumente für eine Inferiorisierung dieser Gattung der Gelegenheitsliteratur formuliert, die noch heute, wenn auch weniger offen ausgesprochen, das Verhältnis der Fachwissenschaft zu diesem von ihr so wenig geliebten Forschungsgegenstand prägen. Einige Zitate aus Nachrufen auf Goethe mögen dies kursorisch belegen. Der Dichterfürst sei, so heißt es da etwa, durch sein Ableben zum Gegenstand der »literarischen Industrie für Viele geworden«. Alle die Würdigungen seien zwar, so wird spöttisch fortgefahren, »gutgemeint«, und deshalb habe »man Ursache, auch jedes in dieser Beziehung sich Darbringende so milde als möglich aufzunehmen«, wenn auch eigentlich kein Text an das Tageslicht gekommen sei, der »dem Dichter [sc. Goethe] für eine wahrhaft dichterische Todtenfeier gelten könnte und seiner Unsterblichkeit würdig klänge«.111 Neben den Vorwurf der quasi fabriksmäßigen Fertigung des Nekrologs und der ihm mangelnden ästhetischen Qualität treten in einem anderen Text die weiteren wohlbekannten Vorbehalte: Eine Todtenfeier zu veranstalten ist nicht unter allen Umständen leicht, wo z.B. Rücksichten sie gebieten und das Sprichwort: De mortuis nil nisi bene in besondere Anwendung kommt. Hier ist der Dichter vielleicht berechtigt, sich seiner Noth= und Hülfskunst der Gelegenheits=Poesie zu bedienen, der Kupplerin, die das Naturkind >Kunst< stets mit der Wirklichkeit verbinden möchte, aber wie bei allen Convenienz=Heirathen, nur leere Form und Feierlichkeit zu Stande bringt, während Geist und Gefühl wo anders weilen. 1 1 2
So erscheint die nekrologische Kasualdichtung in spezifische, als Einengungen dargestellte Gebrauchsfunktionen eingebunden, femer durch die Maxime, daß einem Toten nichts Böses nachgesagt werden solle, noch weiter ästhetisch entwertet und schließlich im Vergleich mit der >wahrenHunderten und Tausenden von Totenreden< tatsächlich nicht einer weiteren literarhistorischen Untersuchung verlohnten, und dieses negative Ergebnis fußte dann nicht auf banalen Klischees, sondern auf einer wissenschaftlich solide fundierten Kenntnisnahme und Aufarbeitung eines breiten Quellenmaterials.
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Vgl. z.B. Köhler, Schlichtegrolls, 1995, S. 188.
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3.
Melanchthon oder: Protestantisch-humanistisches Dichtertotenlob
3.1. Instrumentalisierung des Nachrufs für innerkonfessionelle Polemik Der Tod Philipp Melanchthons (1497-1560) traf die Angehörigen der Universität und die städtische Öffentlichkeit zu Wittenberg nicht unerwartet. Schon bei der alljährlichen Stipendiatenprüfung Anfang April 1560 in Leipzig war der Gesundheitszustand des Gelehrten angegriffen gewesen, während und nach der Heimreise hatte sich sein Befinden sukzessive verschlechtert. Immer wiederkehrende Fieberanfälle hatten ihn zunehmend an der Wahrnehmung seiner Dienstpflichten und der Erledigung seiner Korrespondenzen gehindert, den zahlreichen Familienangehörigen, Freunden, Kollegen und Schülern gegenüber, die ihn täglich an seinem Krankenbett besuchten, hatte der Reformator mehrfach deutliche Todesahnungen zum Ausdruck gebracht, die schließlich sogar in der (nicht mehr abgeschlossenen) Formulierung seines Testaments ihren schriftlichen Niederschlag fanden.1 Dennoch veranlaßte das Ableben Melanchthons am Abend des 19. April 1560 eine geradezu hektische Trauerbetriebsamkeit in Wittenberg. Am Tag nach dem Hinscheiden und in den Stunden vor dem Begräbnis nahmen fast alle Bürger und Studenten der Stadt an der in seinem Studierzimmer aufgestellten Bahre persönlich Abschied von dem damals gewiß berühmtesten Wittenberger.2 Am Morgen des 21. April wurde an der Universität eine Einladung des Rektors an alle Professoren, Studenten und
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Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf Melanchthon in 14.1.1. - Zur Biographie Melanchthons vgl. grundlegend Scheible, Melanchthon, 1997, zum Tod S. 261-263; vgl. zusammenfassend zu Leben und Werk Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 88-92 (Heinz Scheible); sowie Bauer, Melanchthon, 1993. - Zum Begräbnis Melanchthons und zu den Nachrufen vgl. allgemein Dallett, Melanchthoniana, 1968; Hannemann, Melanchthon, 1960, S. 161-168; Mahlmann, Bezeichnung, 1999, S. 159-162; Müller, Melanchthons, 1910; vgl. femer zu einzelnen Texten u.a. Fleischer, Melanchthon, 1989, passim; Kühlmann, Gelehrtenhumanismus, 1993, S. 464f.; Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 1982, S. 37-39; Schäfer, Waffen, 1997, S. 389f.; Scheible, Hoens, 1969; Wartenberg, Melanchthonbiographien, 1999, S. 181-183. - Vgl. die umfassende bibliographische Aufarbeitung der Nachrufe auf Melanchthon bei Hammer, Melanchthonforschung, 1967, Bd. 1, S. 159-175, 178-203, 207, 212-216, 218, 222-225, 228f., 240f., 265-267; Hammer, Melanchthonforschung, 1981, Bd. 3, S. 106-116, 128, 133, 149-151. - Zu Melanchthons eigenen Trauerreden vgl. Bräuer, Überlieferung, 1996; Scheible, Melanchthons, 1993; Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 34; Winkler, Melanchthon, 1966.
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Vgl. die Beschreibung in Melanchthon/Professoren Wittenberg/1, Bl. Hiijr.
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Bewohner der Stadt zur Teilnahme bei der Beerdigung Melanchthons affichiert.3 Am Nachmittag desselben Tages zelebrierte man die feierliche Beisetzung unter außerordentlich reger Beteiligung der Bevölkerung.4 Im Rahmen des Trauergottesdienstes in der Pfarrkirche hielt der Theologe Paul Eber (1511-1569), 5 Schloßprediger, Professor für Hebräisch und einer der engsten Mitarbeiter des Verstorbenen, eine deutschsprachige Leichenpredigt, die allerdings - trotz einer gegenteiligen Ankündigung - nicht in Druck gegeben wurde.6 Anschließend zog man in einer feierlichen Prozession vor die Schloßkirche, wo der Sarg des Toten bei seiner letzten Ruhestätte neben dem Grab Martin Luthers abgesetzt und von Veit Örtel (auch Winsheim, 1501-1570),7 Professor für Medizin und ebenfalls Schüler und enger Mitarbeiter Melanchthons, eine - alsbald gedruckte - lateinische Gedenkrede vorgetragen wurde.8 Im Anschluß daran wurde der Sarg zur Erde gelassen und die Begräbnisfeierlichkeit, die mehr als drei Stunden gedauert hatte, beendet.9 Zwei Tage später schließlich, am 23. April, wurden von der Universität per Anschlag die Namen der Lehrenden bekanntgegeben, welche nach dem Tod Melanchthons die von ihm bisher geleiteten Kurse (sechs pro Woche) übernehmen sollten.10 In der - wie die Forschung urteilte - »demonstrativ feierlichefn]« 11 Beerdigung des Gelehrten und in den ersten nekrologischen Reaktionen manifestierten sich nicht nur die persönliche Trauer der Verwandten, Freunde, Kollegen und Schüler des Verstorbenen und die Klage der Universität über den Verlust ihres berühmtesten Professors und einer tragenden Säule des Studienbetriebs. Mit Melanchthon war gleichzeitig der letzte wichtige Wittenberger Mitstreiter Luthers und damit sozusagen der lebende Garant für die Kontinuität und die Richtigkeit der durch die hiesigen Theologen vertretenen Lehrmeinungen von der Bühne der vielfältigen innerprotestantischen Aus-
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Der vermutlich in handschriftlicher Form an der Universität angeschlagene lateinische Text wurde kurz danach in Wittenberg bei Vitus Creutzer (Melanchthon/Major/5) gedruckt und auch in deutscher Übersetzung (Melanchthon/Major/3) mehrfach aufgelegt, vgl. dazu detailliert Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 18-23. Vgl. die Beschreibung in Melanchthon/Professoren Wittenberg/1, Bl. I[l] r_v . Vgl. zu Eber Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 3, S. 139 (Heinz Scheible); DBA Folge 1, Nr. 260, Bl. 388-420 und Folge 2, Nr. 303, Bl. 303-317; vgl. ferner Müller, Melanchthons, 1910, S. 119-122; Thüringer, Eber, 1997. Vgl. Melanchthon/Professoren Wittenberg/1, Bl. I[l] r . - In der zweiten Auflage des Textes von 1561 wurde die Ankündigung »quae concio editur, ut sit in manibus omnium« gestrichen (vgl. Müller, Melanchthons, 1910, S. 44); ein Druck der Predigt ist auch tatsächlich nicht zu eruieren. Vgl. zu Örtel (Winsheim, Vinshemius) DBA Folge 1, Nr. 1378, Bl. 450 und 452; ADB, Bd. 43, S. 462f. (Karl Hartfelder); vgl. femer Müller, Melanchthons, 1910, S. 129-134. Melanchthon/Örtel/1; 1560 erschienen zwei Auflagen, weitere folgten 1561, 1562, 1565 und 1614; 1561 erschien eine deutsche Übersetzung (Melanchthon/Örtel/2), eine weitere 1562 in Wittenberg; vgl. dazu Wartenberg, Melanchthonbiographien, 1999, S. 182. Vgl. die Beschreibung in Melanchthon/Professoren Wittenberg/1, Bl. I[l] v . Melanchthon/Major/6; vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 24-28. - Von der großen Lücke, die der Tod Melanchthons in den Studienbetrieb riß, berichtet eindringlich Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. Aiij v -Aiiij r . Hannemann, Melanchthon, 1960, S. 163.
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einandersetzungen während der vorangegangenen anderthalb Jahrzehnte abgetreten.12 Der Tod des Gelehrten bedeutete daher eine beträchtliche symbolische Schwächung der Position der Wittenberger in den Konflikten mit den Flacianern, Zwinglianem, Osiandristen und Majoristen, aber auch mit den diversen religiösen Gruppierungen am sogenannten linken Flügel der Reformation, etwa den Schwenckfeldern. Ein deutliches Zeugnis für diese Verunsicherung liefert die bereits erwähnte Gedenkansprache Veit Örtels. Natürlich beklagte der Redner den Verlust des bedeutenden Gelehrten, Kollegen und Freundes, zeichnete dessen Lebenslauf nach und lobte seine herausragenden intellektuellen Fähigkeiten und seine menschlichen Eigenschaften, wandte sich abschließend mit tröstenden Worten an die versammelte Trauergemeinde. Doch gleichzeitig nutzte er innerhalb seiner Argumentation jede sich bietende Möglichkeit der Beschwörung des >Mythos Wittenberg< als Hort der beständigen Bewahrung und kontinuierlichen Verteidigung der >reinen< protestantischen Lehre. Die Polemik 13 gegen die vorreformatorische >Verfinsterung< des Glaubens »durch die Gottlose Barbarische abgötterej« der römischen Kirche14 und gegen den sogenannten linken Flügel der Reformation 15 blieb dabei zugunsten einer Auseinandersetzung mit den Streitigkeiten innerhalb der protestantischen Amtskirchen weitgehend ohne Bedeutung. Immer wieder betonte Örtel, daß Melanchthon nach dem Tod Luthers dessen Erbe angetreten und bis zu seinem eigenen Ableben die unverfälschte protestantische Lehre verfochten habe: Vn[d] ist nach D. Luth. selige[m] tod / in disen vnsern kirche[n] nichts geendert worde[n] / weder in Lehr noch in Ceremoniefn] / sonder es ist alßbald der jämerliche krieg drauff gefolgt / hat nu derselb wie den[n] gemeiniglich pflegt zugeschehe[n] / etwas vngewönlichs mit sich bracht / das muß man der zeit zurechne[n] / vn[d] nit dem Herrn Philippo / wiewol wir beyde in schul vn[d] kirchen / wie ich zuuor gesagt hab / auß Gottes gnaden kein enderung / weder in Lehr noch Ceremonie[n] gesehen habjen]. 16
Und nur wenige Sätze später erneuerte der Redner diese Beteuerung ein weiteres Mal: [Ich] sage frei / wie ich denn zuuor auch gesagt habe / daß wir keine enderung in dieser Schul vnd Kirchen gesehen haben / so hat Philippus nach dem [sc. Schmalkaldischen] Krieg nicht anders gelehrt / denn vorm Krieg / wie etliche fälschlich von ihm außgeben [...]. 1 7
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Vgl. zu den innerprotestantischen Auseinandersetzungen nach Luthers Tod u. a. Richter, Gesetz, 1996, passim; Scheible, Melanchthon, 1997, S. 192-205 u.ö. Zur literarischen Polemik in der frühen Neuzeit vgl. grundlegend Braungart, Rhetorik, 1992. Melanchthon/Örtel/2, Bl. [A8] v , vgl. auch Bl. Bijr. Vgl. Melanchthon/Örtel/2, Bl. [B6] v -[B7] r die Invektiven gegen Schwenckfelder und Wiedertäufer. Melanchthon/Örtel/2, Bl. D[l] v ; der Text wird hier und im folgenden nach der deutschen Übersetzung zitiert. Melanchthon/Örtel/2, Bl. Diijr.
Die sprachliche Emphase und die mehrfache Repetition lassen ohne jeden Zweifel auf die große Bedeutung schließen, die der Redner diesem Punkt seiner Argumentation zumaß. Er unterstützte seine Behauptung von der ungebrochenen Kontinuität der >reinen< protestantischen Lehre und des unverfälschten Ritus in Wittenberg noch durch die Beschwörung der lebenslangen, niemals gestörten Einigkeit zwischen Luther und Melanchthon: Es hatte wol etwan / wenn sie miteinander disputiereten / einer ein andere mainung denn der ander / wie es denn vnter den gelehrten / so der warheyt nachforschen / nicht so gar lehr lauffen kan / aber das weiß ich gewiß / daß sie nie im ernst miteinander vneins worden sind [,..]. 1 8
Im Hintergrund von Örtels eindringlicher Betonung der theologischen Geradlinigkeit und Standfestigkeit Melanchthons standen die zahlreichen Attacken gegen dessen Kompromißbereitschaft und Nachgiebigkeit, vor allem hinsichtlich der sogenannten Adiaphora, während und nach den Verhandlungen um das Augsburger Interim. Der Gelehrte sei, so der Redner, »[i]n disem streit vnd zwispalt [...] on einige schuld sehr unfreuntlich gehalten worden / sonderlich aber vo[n] denen / die er zuuor erhabe[n] hatt.« 19 Örtel spielte damit unüberhörbar auf die zahlreichen Schüler Melanchthons an, die sich während der anderthalb Jahrzehnte seit Luthers Tod von ihrem Lehrer abgewandt hatten, darunter Matthias Flacius Illyricus (1520-1575), 20 Nikolaus Gallus (1516-1570) 21 und Thomas Plateanus: 22 Die grewliche todsünd aber so P h i l i p p u s ] begangen hat / wie sie fürgeben / ist dise / daß er sich nach dem [sc. Schmalkaldischen] krig etwas gelinder den[n] andere gehaltefn] / vn[d] nit vngestüm[m] genug gewesen ist / vn[d] dz er auch zu disen rath schlagunge[n] gebraucht worden / darin man bedacht / ob man auch den Widersachern etwas könn nachgebe[n] oder nit. 23
Örtel nahm Melanchthon gegen diese Vorwürfe seiner Kontrahenten wiederholt und vorbehaltlos in Schutz. Er insistierte zum einen auf der Kontinuität der theologischen Position des Gelehrten, begründete zum anderen dessen Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den konfessionellen Gegnern in dessen lebenslangem Bemühen um die Einheit der Kirche und die Verhinderung weiterer Glaubensspaltungen. Der Orator hob dabei die Angreifbarkeit und Strittigkeit von Melanchthons Verhalten in
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Melanchthon/Örtel/2, Bl. [C8] v . Melanchthon/Örtel/2, Bl. Dijr. Vgl. zu Flacius Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 3, S. 4 0 4 - 4 0 6 (Heinz Scheible); zum Streit zwischen Melanchthon und Flacius vgl. zusammenfassend Scheible, Melanchthon, 1997, S. 196-200; sowie Diebner, Flacius, 1997. Vgl. zu Gallus DBA Folge 1, Nr. 367, Bl. 3 2 7 - 3 3 2 und Folge 2, Nr. 426, Bl. 95-104; zum Streit zwischen Melanchthon und Gallus vgl. zusammenfassend Scheible, Melanchthon, 1997, S. 2 2 0 - 2 2 3 u.ö. Vgl. zu Plateanus D B A Folge 1, Nr. 963, Bl. 250; zu den Differenzen zwischen Melanchthon und Plateanus vgl. zusammenfassend Scheible, Melanchthon, 1997, S. 238. Melanchthon/Örtel/2, Bl. Dijr.
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der Würdigung seiner diversen Tugenden auf, unter anderem im Lob seiner Sanftmut, seiner Freundlichkeit und seiner langmütigen Nachsichtigkeit gegenüber den bösartigen Angriffen der Feinde.24 Einen besonderen Akzent setzte Örtel schließlich bei der lebenslangen Treue des Verstorbenen gegenüber der Universität Wittenberg. Die unterschiedlichen an Melanchthon ergangenen Rufe auf bedeutende auswärtige Professuren und Ämter deutete der Redner als perfide Versuche der theologischen Gegner, den Reformator durch Geld und ehrenvolle Positionen vom Weg der kontinuierlichen und geradlinigen Vertretung der >wahren< lutherischen Lehre abzubringen 25 - Versuchungen, denen der Verstorbene aufgrund seiner Geringschätzung weltlicher Reichtümer und seines tiefen Glaubens stets widerstanden habe. 26 Somit geriet Örtel der laudative Hauptteil seiner Gedenkrede sukzessive zu einer Apologie der innerprotestantischen Positionskämpfe des verstorbenen Gelehrten - und damit auch der Wittenberger Universität - in den fünfzehn Jahren seit Luthers Ableben.27 In der peroratio schließlich reformulierte der Redner die Bilanz von Melanchthons Lebenswerk zu einem Auftrag für die Wittenberger Theologen. Der aktuelle Todesfall, so Örtel im kollektiven Plural, sol vns [...] dahin reytzen / daß wir [...] den grossen schätz / so vns dise zwen thewre Männer / D. Luther vnd Philippus verlassen haben / bewahren / vnnd also die reyne vnd vnuerfälschte Lehr des heyligen worts Gottes erhaltefn]. 28
Weit über eine bloße Totenklage und reines Personenlob hinaus stand Örtels Nachruf demnach im Zeichen appellativer Wirkfunktionen. Der Redner versuchte die religiös-konfessionelle Identität der am Grabe Melanchthons versammelten Professoren und Studenten zu bestärken, unterstrich den gegenwärtigen wie auch zukünftigen Anspruch der Wittenberger Theologen auf Vertretung der >reinen< christlichen Lehre und forderte die Anwesenden zur postumen Loyalität gegenüber dem Verstorbenen und zur Fortsetzung des von ihm eingeschlagenen Kurses innerhalb der aktuellen Streitigkeiten um das reformatorische Erbe Luthers auf. Diese oratorische Erinnerungsarbeit im Dienste einer theologischen Selbstvergewisserung sollte übrigens während der nächsten Jahre in Wittenberg kontinuierlich fortgesetzt werden. Im Laufe der folgenden Dekade hielt der Poesieprofessor und Universitätsredner Johannes Major (1533-1600) 29 regelmäßig zu jeder Wiederkehr von Melanchthons Todestag eine Gedenkansprache und bekräftigte dabei immer wie-
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Vgl. Melanchthon/Örtel/2, Bl. Dij r -Diij r u.ö. Vgl. zu den Streitigkeiten um das reformatorische Erbe exemplarisch auch die Auseinandersetzungen um die »Anatomia Lutherianismi« zwischen Johannes Nas und Johann Fischart, vgl. dazu Kühlmann, Fischart, 1993, S. 594. Vgl. Melanchthon/Örtel/2, Bl. Diiij r . Zur Instrumentalisierung von Leichenpredigten für die religiöse Propaganda im 16. Jahrhundert vgl. exemplarisch Taylor, Sermons, 2000. Melanchthon/Örtel/2, Bl. [D8] v . Vgl. zu Major DBA Folge 1, Nr. 798, Bl. 1-12; sowie Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 121-126; femer das Biogramm in Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1271 f.
der aufs neue den Anspruch der diesem nachfolgenden Wittenberger Theologen auf Verwaltung der unveränderten und unverfälschten reformatorischen Lehre. 30
3.2. Die Gedenkansprache im funktionalen Kontext des protestantischhumanistischen Bildungssystems Neben Veit Örtel würdigte der Theologieprofessor Jakob Heerbrand (1521-1600), 31 eine zentrale Gestalt der Reformation in Baden, seinen verstorbenen Lehrer Melanchthon im Rahmen einer universitären Trauerfeier zu Tübingen am 15. Mai 1560 mit einer lateinischen Gedenkrede, die kurz danach auch im Druck erschien. 32 Beide Texte stehen in der Tradition der antiken Lobrede (vgl. 3.4.4.) und haben nur wenig gemein mit der lutherischen Leichenpredigt, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits als fester Bestandteil der protestantischen Trauerfeier etabliert hatte und in der Hauptsache der admonitiven Exegese eines einzelnen Bibelwortes gewidmet war (vgl. 3.4.3. und 4.4.). Heerbrand und Örtel hingegen rückten den verstorbenen Menschen und sein Lebenswerk in das Zentrum ihrer Nachrufe. Die dispositiones der beiden akademischen Gedenkreden auf Melanchthon zeigen auffällige Parallelen. Auf die einleitende Klage über den Tod des Gelehrten folgte eine captatio benevolentiae und eine partitio. Der daran anschließende Hauptteil war zweigliedrig aufgebaut. Zuerst wurde das Leben des Verstorbenen ausführlich dargestellt. Eine besondere Bedeutung nahmen dabei die Herkunft, das Elternhaus, die schulische und die universitäre Ausbildung sowie die Lehrer und Förderer ein. Daraufhin wurden detailliert die wichtigsten Tugenden und die Gelehrsamkeit des Toten gewürdigt, stellenweise illustriert mit Exempeln aus der persönlichen Erinnerung der Redner oder umlaufenden Geschichten über den Verblichenen. 33 Freilich verzahnten die Redner diese beiden Teile ihrer Ansprachen kunstvoll durch vielfältige Vorgriffe und Rückverweise miteinander. So bereitete etwa Örtel das Lob von Melanchthons großem Talent zur Vermittlung zwischen feindlichen Parteien bereits im Bericht über die Vita vor. 34 Die Ehrung der herausragendsten Veröffentlichungen des hingeschiedenen Schriftstellers wiederum erfolgte nicht katalogartig, sondern erschien in die beiden Teile der argumentatio verwoben, das heißt die Würdigung einzelner Werke wurde entsprechend an der jeweiligen Lebensstation piaziert (so die Abfassung der Augustana Confessio im Jahre 1530) oder diente der Verdeutlichung einer besonderen Eigenschaft des Gelehrten (etwa seiner singulären
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Vgl. Hammer, Melanchthonforschung, Bd. 1, 1967, S. 228; Hannemann, Melanchthon, 1960, S. 161; Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1271. Vgl. zu Heerbrand D B A Folge 1, Nr. 493, Bl. 3 3 2 - 3 4 2 , Nr. 1430, Bl. 8 - 1 0 und Folge 2, Nr. 521, Bl. 3 2 6 - 3 3 5 . Melanchthon/Heerbrand/2; 1561 erschien eine deutsche Übersetzung (Melanchthon/Heerbrand/1); vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 5 2 - 5 5 . Vgl. z . B . Melanchthon/Örtel/2, Bl. Bijr"v. Vgl. Melanchthon/Örtel/2, Bl. [A7] v und [C7] v .
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Fähigkeit zur Systematisierung am Beispiel der Ausarbeitung der »Loci communes«). Die perorationes widmeten beide Redner zuletzt fast zur Gänze dem Bericht über das Sterben Melanchthons. Die Trostargumente, die sich aus dessen seligem, gefaßtem und bis zum Ende von ungebrochenem Glauben gestärktem Abschied von der Welt gewinnen ließen, wurden ergänzt durch Ermahnungen an das Publikum zur Vorbereitung auf den eigenen Tod. Die Ansprachen schlossen mit einer Bitte an Gott um die weitere Unterstützung der lutherischen Kirchen gegen die Anfeindungen der theologischen Kontrahenten. Die offenkundigen dispositionellen Konvergenzen sollten allerdings nicht zur Unterstellung eines direkten Abhängigkeitsverhältnisses der oratio Heerbrands von dem Text Örtels verführen. Zum einen ist die Kenntnisnahme des Drucks der Wittenberger Gedenkrede durch den Tübinger Theologen noch vor der Ausarbeitung seiner eigenen Ansprache wenig wahrscheinlich. Vor allem jedoch gilt es zu bedenken, daß beide Autoren im Aufbau und in der argumentativen Durchgestaltung ihrer Texte den eingespielten Mustern der Tradition der spätmittelalterlichen säkularen Leichenrede und ihren antiken Vorläufern folgten. 3 5 Örtel wie Heerbrand entfalteten ihre Traueransprachen anhand der gängigen Regeln der topischen inventio, im wechselseitigen Zusammenspiel von Thesis und Hypotheses, von konkreter und allgemeiner Bezugnahme, aus welchem sich die amplificatio gewinnen ließ, wie auch anhand der üblichen dispositorischen Modelle für die panegyrische Beredsamkeit. Und nochmals anders ausgedrückt: Die akademische oratio funebris war im Bewußtsein eines humanistisch gebildeten Autors der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als eigenständiges Genre mit klar umrissenen Gestaltungsprinzipien präsent, welche ein Gelehrter aufgrund seines Ausbildungsganges bei Bedarf für die Ausarbeitung eines Gelegenheitstextes abrufen konnte. Dies kann exemplarisch auch ein näherer Blick auf die Strategien des Personenlobs in den beiden Reden belegen. Örtel und Heerbrand rekurrierten sowohl bei der Darstellung von Melanchthons Lebenslauf als auch bei der Akzentuierung seiner besonderen Eigenschaften und Verdienste auf die von der humanistischen Tradition vorgegebenen Muster. So gehörte zur laudatio auf einen Gelehrten selbstverständlich auch die Würdigung seiner akademischen Lehrer, die das Talent ihres Zöglings erkannt und diesen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gefördert hatten. 3 6 Im Falle Melanchthons war hier vor allem Johannes Reuchlins (1455-1522) zu gedenken, 3 7 aber auch Heinrich Bebels (1472-1518), 3 8 Georg Simlers (ca. 1475-1535), 3 9 Johannes Stöfflers (1452-1532) 4 0 und Jakob Wimpfelings (1450-1528). 4 1 Das Lob des einzelnen Gelehrten umschloß mithin gleichzeitig die Ehrung der akademischen
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
grundlegend und zusammenfassend McManamon, Oratory, 1989. dazu detailliert McManamon, Oratory, 1989, S. 36-62. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [E8] r -F[l] r ; Melanchthon/Örtel/2, Bl. [A6]r v, B [ l ] r v . Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. F[l] r ; Melanchthon/Örtel/2, Bl. B[l] v . Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. F[l] r . Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. F[l] r ; Melanchthon/Örtel/2, Bl. B[l] v . Melanchthon/Örtel/2, Bl. [A7]r.
Institutionen, insbesondere jedoch der humanistischen Zirkel, welche ihn maßgeblich geprägt hatten. Daß dabei auch die aktuellen Streitigkeiten und Animositäten zwischen verschiedenen Universitäten und diversen gelehrten Kreisen ihren entsprechenden Niederschlag fanden, versteht sich fast von selbst. So war es gewiß kein Zufall, daß Heerbrand sich in seiner Rede den Tübinger Jahren Melanchthons ausführlich widmete, dessen Ausbildung an der konkurrierenden und inzwischen infolge der innerprotestantischen Auseinandersetzungen theologisch heftig umstrittenen Universität Heidelberg aber nur obenhin mit wenigen - und zu allem Überfluß recht abschätzigen - Worten streifte. »[E]s waren«, so Heerbrand, »die studia daselbs / wie es den[n] die gelegenheyt der selbe[n] zeit leiden mocht / zimlich angerichtet«. Auf Heidelberg sei die Wahl gefallen, weil der Ort »in seim [sc. Melanchthons] Vaterland gelege[n] war«. 42 Bei der Würdigung der wichtigsten Eigenschaften und Verdienste des Verstorbenen folgten die beiden Redner ebenfalls den Vorgaben aus der Tradition der säkularen oratio funebris. Örtel und Heerbrand orientierten sich in der inventio zu ihren Texten offenkundig am >klassischen< Ideal eines humanistischen Gelehrten, 43 den unter anderem umfassende Bildung, außerordentlicher Fleiß, vorbildliche Erfüllung der dienstlichen Pflichten, insbesondere als akademischer Lehrer, Tapferkeit bei der Verteidigung der eigenen Überzeugungen, Gottesfurcht, Geringschätzung weltlicher Güter, Freigiebigkeit gegenüber Armen, Mäßigkeit im Essen und Trinken und nicht zuletzt einnehmende Umgangsformen auszeichnen sollten. Häufig wurde dabei die laudatio der virtutes über zwei für den Nachruf typische rhetorische Strategien vermittelt, zum einen die comparatio, den Vergleich des Verstorbenen mit einer herausragenden Persönlichkeit aus der Geschichte, zum anderen die auctoritas, die Beglaubigung der besonderen Bedeutung des Toten durch einen prominenten Zeitgenossen. So parallelisierten die Redner etwa die Anziehungskraft Melanchthons auf wißbegierige Studenten, die seinetwegen die Wittenberger Universität bezogen, mit der des Titus Livius (59 v. Chr.-17 n. Chr.), zu dem ebenfalls junge Gelehrte aus ganz Europa gepilgert seien, 44 verglichen ihn mit dem Orakel zu Delphi, von dem alle Fürsten Griechenlands Ratschäge für ihre wichtigsten Entscheidungen eingeholt hätten, 45 oder zitierten eine derb-gutwillige Äußerung Luthers über den Hingeschiedenen (»Wer Philippum nicht für seinen Preceptorem erkenne / der müsse ein grober Esel vn[d] bachant sein / den der dünckel gebissen hat« 46 ). Allein schon diese plastischen Illustrationen verhinderten, daß sich das Personenlob bloß im >mechanischen< Durchlaufen eines abstrakten und historisch determinierten Tugendkatalogs erschöpfte. Doch mehr
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Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [E8] r ; der Text wird hier und im folgenden nach der deutschen Ubersetzung zitiert. Vgl. dazu detailliert McManamon, Oratory, 1989, S. 63-152. - Zum Ideal eines humanistischen Gelehrtenschriftstellers des 16. Jahrhunderts vgl. auch grundlegend Grimm, Gelehrtentum, 1983, S. 15-114. Vgl. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [F8] r . Vgl. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [G8] r . Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. G[l] r .
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noch: Nicht nur mit der Auswahl der markantesten Eigenschaften des Verstorbenen aus dem Gesamtreservoir von Idealen für einen vorbildlichen Gelehrten und ihrer komparativen und auktoritativen Veranschaulichung verliehen Örtel und Heerbrand dem von ihnen gewürdigten Menschen individuelle Züge.47 Sie ließen in ihren Porträts die Persönlichkeit Melanchthons etwa auch durch biographische Anekdoten48 und durch die besondere Akzentuierung typischer Verhaltensweisen des Verstorbenen, die nicht zum Kernbestand der gängigen Tugendkataloge gehörten, deutlich hervortreten, beispielsweise die Fähigkeit zur Vermittlung zwischen streitenden Parteien49 oder die außerordentliche Geduld im Umgang mit Studenten.50 Gesteigert wurde der Eindruck der individuellen Würdigung eines Menschen noch durch das Aufgreifen personenspezifischer Stereotype, vor allem der kuriosen Diskrepanz zwischen der geringen Körpergröße und der schwachen gesundheitlichen Konstitution Melanchthons einerseits, seiner überragenden wissenschaftlichen Lebensleistung und dem selbstsicheren Auftreten bei Religionsgesprächen auf der anderen Seite.51 Die Gedenkredner reproduzierten demnach in ihren Texten nicht einfach ein starr vorgegebenes Menschenideal - schon gar nicht die zentralen Werte des christlichen Tugendkatalogs - , sondern sie versuchten vielmehr, den von ihnen vermittelten Verhaltensnormen durch die individuellen Daten und Fakten, vielleicht auch die sympathischen Eigentümlichkeiten eines realen Einzelschicksals Leben zu geben. Der scharfe Kontrast zur zeitgenössischen lutherischen Leichenpredigt mit ihrer exegetisch-dogmatischen Ausrichtung und ihrem weitgehenden Verzicht auf Bezüge zum individuellen Trauerfall in der argumentatio ist offensichtlich. Es handelt sich freilich bei den beiden Genres nicht um konkurrierende, vielmehr um einander ergänzende Formen des Totengedenkens im Medium der mündlichen Kommunikation, die ihre je eigenen sozialen Funktionen zu erfüllen hatten. Während die auf der Kanzel gehaltene Leichenpredigt im Zeichen einer Verkündigung der letzten Dinge und der Tröstlichkeit des christlichen Glaubens an alle Mitglieder der versammelten Gemeinde stand, richtete sich die säkulare Gedenkansprache ausschließlich an die exklusive Minderheit der Lateinkundigen (denn selbst bei einer Integration der Ansprache in die Beisetzungsfeierlichkeiten waren naturgemäß nur die Gebildeten fähig, dem gesprochenen Text zu folgen). Unter diesen wiederum dürften die Redner primär die anwesenden Studenten fokussiert haben. Heerbrand etwa wollte, wie er am Ende des Exordiums seiner Ansprache programmatisch festhielt, »die Histori seines [sc. Melanchthons] lebens erzehlen« und »allen«, jedoch »sonderlich den studiosis« damit »nütz« sein (hier und weiter unten zitiert nach der zeitgenössischen Übersetzung).52 Typische Elemente einer zu pädagogischen Zwecken eingesetzten Rhetorik wie die partitio
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Vgl. zur Dialektik zwischen dem Allgemeinen und Besonderen in der topischen der frühneuzeitlichen Rhetorik Dyck, Ticht-Kunst, 1991, S. 4 0 - 6 5 . Vgl. z . B . Melanchthon/Örtel/2, Bl. Bijr"v. Vgl. z . B . Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. Hij v ; Melanchthon/Örtel/2, Bl. [A7] v . Vgl. z.B. Melanchthon/Örtel/2, Bl. Bij v , [C8] r . Vgl. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. H[l] r ; Melanchthon/Örtel/2, Bl. Ciiif. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [E6] r - V .
inventio
am Ende des Exordiums und die Rekapitulation an den Schnittstellen zwischen zwei Redeabschnitten unterstrichen diese Wirkabsicht. Die Gedenkansprache stand demnach vor allem im Dienste der Vermittlung von schichtenspezifischen Normen für die künftigen geistlichen und weltlichen Eliten (umfassende Bildung, Erfüllung der Dienstpflichten, Geduld gegenüber Untergebenen, Freigiebigkeit bei Almosen, gute Umgangsformen, Mäßigkeit usf.), Normen, die am Beispiel der vorbildlichen Biographie eines prominenten verstorbenen Gelehrten plastisch und lebensnah vorgeführt werden konnten. Anläßlich seines Lobs für Melanchthons - modern gesprochen - protestantische Arbeitsmoral brachte Heerbrand diese Intention selbst unmißverständlich auf den Punkt: [E]s wird nicht vnnötig sein / die jugent zuuermahnen / daß sie durch dises Mans exempel ermuntert / sich auch von jugent auff zu allerley mühe vnnd arbeyt gewehnen. 53
Angesichts dieser pädagogisch-didaktischen Instrumentalisierung kam der Totenehrung in der Gedenkansprache über weite Passagen hinweg denn lediglich eine sekundäre Rolle zu.
3.3. Nach-Rufen und Nach-Schweigen in der frühneuzeitlichen res publica
litteraria
Selbstverständlich vermittelte Heerbrand seinen Zuhörern mit der Lobrede auf Melanchthon nicht nur säkulare ethische Tugenden, sondern forderte sie auch dringlich zum unverbrüchlichen Festhalten an den Glaubenswahrheiten der lutherischen Lehre auf. Der Tübinger Professor begnügte sich dabei keineswegs mit einer allgemeinen Apologie des Protestantismus, sondern bezog innerhalb der aktuellen theologischen Auseinandersetzungen eindeutig und konkret Stellung für die von dem Verstorbenen vertretene Position. Ähnlich wie Örtel - wenn auch in etwas kleinerem Umfang und mit einem geringeren Maß an polemischer Schärfe - beschwor er den >Mythos Wittenberg< als Hort der ungebrochenen Bewahrung und Verteidigung der unverfälschten reformatorischen Lehre: Es wird mich aber niemand leichtlich bereden / daß die Wittembergische Kirch von der Lehr vnnd bekentniß / so sie bey des Ehrwirdigen vnsers lieben vaters Doctor Martini Luthers seligen leben bestendiglich vertheydigt hat / abgefallen sey. 54
Gerade Melanchthon sei, so Heerbrand, nach dem Ableben Luthers der Garant dafür gewesen, daß »die art vnnd form der lehr / welche er gewiß wusste / daß sie mit der heyligen Schrifft vberein stim[m]te«, nicht verändert oder »verrhaten« worden sei, 55 daß »kein newe meinung oder außlegung / [...] auch kein newe lehr« sich
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Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. H[l] v . Melanchthon/Heerbrand/1, ßl. H[8]r. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. Giiij v -Gv r .
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in Wittenberg habe etablieren können. 56 Dem verstorbenen Gelehrten und der von ihm vertretenen theologischen Position stellte Heerbrand dessen innerprotestantische Gegner als >Abweichler< vom >wahren< Luthertum gegenüber, ja er diskreditierte die Kontrahenten Melanchthons als Lästerer und Verleumder, die sich durch ihr unmoralisches Sprech- und Publikationsverhalten 57 an dem Reformator versündigt hätten: Darumb [sc. um den Verstorbenen anzuschwärzen] haben sie [sc. seine Feinde] etliche Scartecken lassen außgehen / vnnd dem gemeynen Mann darinnen eingebildet / als solten etliche betriegliche vergleichungen vnnd verträg in der Lehr auffgericht / auch den feinden zu gefallen die Religion verschertzt / vnd mit jhnen ein verbündniß gemacht sein / daß man etlich ding in der Lehr vn[d] Kirchenbräuchen hab ändern wollen. 58
Die herbste Enttäuschung schließlich sei Melanchthon durch die »Lesterwort« und die »undanckbarkeyt« der »schüler«, die sich von ihm abgewandt hätten, bereitet worden. 59 Auch wenn Heerbrand keine Namen nannte und die von ihm angesprochenen theologischen Zwistigkeiten nicht genau spezifizierte, dürfte seinen Zuhörern doch der kritische Skopus gegen die Flacianer und Osiandristen wie auch gegen die Anfeindungen Melanchthons wegen seines umstrittenen Taktierens während der Verhandlungen um das Augsburger Interim und seiner Haltung zu den Adiaphora klar bewußt gewesen sein. Spätestens mit der Drucklegung - und damit dem Wechsel des angesprochenen Publikums - erhielt die Rede Heerbrands noch eine zusätzliche Funktion. Der Text war nun nicht bloß als ein Appell, sondern als ein Bekenntnis zu verstehen. Der Autor, immerhin ein prominenter lutherischer Gelehrter in einer einflußreichen universitären Position, bekannte sich vor der scientific community in den virulenten innerprotestantischen Spannungen öffentlich zu Melanchthon, zu dessen Wittenberger Kollegen und zu dem von diesen während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte eingeschlagenen theologischen Kurs. Das deutete sich bereits mit dem überspitzt bescheidenen, persönlichen Eingeständnis Heerbrands innerhalb der captatio benevolentiae des Textes an, er habe die Aufgabe der nekrologischen Würdigung Melanchthons übernommen, weil er dem »lieben Herrn Preceptore« 60 sein gesamtes Können und Wissen verdanke. 61 Nicht weniger aufschlußreich ist der letzte Satz der Rede, in dem der Autor an Gott die Bitte richtete, daß derselbe
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Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. Gv v . Zur moralistischen Diffamierung des Sprechverhaltens der Vertreter feindlicher religiöser Gruppierungen in der frühen Neuzeit vgl. Bogner, Bezähmung, 1997, S. 152-158. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. H[7]r. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. H[7]r; Heerbrand selbst hingegen bekennt sich ausdrücklich als dankbarer Schüler Melanchthons, vgl. dazu Bl. Eiiijv. Melanchthon wird in den Nachrufen immer wieder mit dem Ehrentitel eines >Praeceptors< attribuiert, die Bezeichnung >Praeceptor Germaniae< allerdings wurde, anders als in der Forschung bis vor kurzem behauptet, nachweislich erst 1569 geprägt, vgl. dazu Mahlmann, Bezeichnung, 1999. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. Eiiijv.
die reyne lehre so durch den Herren Philippum vnnd den ehrwirdigen vnsem lieben Vatter D. Martinum Lutherum wider angerichtet / auch auff vnsere nachkommen inn diesen vnd andern Landen pflantzen wolle [ . . . ] Amen. 6 2
Heerbrand signalisierte also mit der Publikation seiner Gedenkrede, daß er sich - und in Übereinstimmung mit ihm alle »Rath vnnd Professors [...] diser löblichen Vniversitet [sc. Tübingen]« 63 - auf der Landkarte der protestantischen Territorien und der Zentren der dort jeweils vorherrschenden Lehrmeinungen als treuer Anhänger der von den Wittenbergern eingeschlagenen theologischen Linie eingetragen wissen wollte. Aus dieser Perspektive lohnt sich auch ein kurzer Blick auf die Provenienz der übrigen Nachrufe für Melanchthon. Sie weisen eine ebenso auffällige wie symptomatische geographische Streuung auf. Die meisten Ehrungen kamen natürlich aus Wittenberg selbst, wo die hinterbliebenen Freunde, Kollegen und Schüler dem berühmten Gelehrten vor Ort den ihm gebührenden Tribut zollten. Aus dem näheren sächsischen Umfeld ließ sich eine Reihe weiterer Autoren vernehmen, darunter der Leipziger Universitätsprofessor, Schriftsteller, Philologe und Übersetzer Joachim Camerarius (1500-1574), 64 zeitlebens einer der engsten Freunde Melanchthons, femer der humanistische Schulmann Adam Siber (1516-1584), 65 Rektor an der Fürstenschule zu Grimma, und der Jenenser Theologe und Dichter Hieronymus Osius (gest. ca. 1575). 66 Ebenfalls aus Jena meldete sich der neulateinische Dichter Johannes Stigel (1515-1562), 67 der nicht nur eng mit Melanchthon befreundet gewesen war, sondern diesen auch an der neugegründeten Universität immer wieder vehement gegen die Angriffe der Flacianer hatte verteidigen müssen. Der Osten und Südosten des deutschsprachigen Raumes war in den Nachrufen auf den Reformator unter anderem vertreten mit dem in Freystadt in Niederschlesien ansässigen Dichter, Gebrauchsschriftsteller und Prediger Johannes Gigas (eig. Heune, 1514-1581), 68 mit Georg Sabinus (1508-1560), 6 9 dem Schwiegersohn des Verstorbenen, damals Professor für Rhetorik an der Universität Frankfurt/Oder, sowie mit
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Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [J4| r . Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. Eiiij v . Vgl. zu Camerarius Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 2, S. 349f. (Karl-Heinz Bokeloh); Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 4 4 - 5 7 . - Vgl. hier Melanchthon/Camerarius/2. Vgl. zu Siber Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 11, S. 25 (Reinhard Düchting); Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 157-162. - Vgl. hier Melanchthon/Siber. Vgl. zu Osius Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 16 (Hermann Wiegand); sowie Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 130-132. - Vgl. hier Melanchthon/Osius. Vgl. zu Stigel Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 11, S. 205f. (Reinhard Düchting); Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 7 5 - 9 4 ; sowie das Biogramm in Kühlmann/ Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1286f.; vgl. ferner Rhein, Stigel, 1997; Schäfer, Stigels, 1997. - Vgl. hier Melanchthon/Stigel, vgl. dazu Schäfer, Waffen, 1996, S. 389f. Vgl. zu Gigas Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 5, S. 288f. (Harry Vredeveld); Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 114-117. - Vgl. hier Melanchthon/Gigas. Vgl. zu Sabinus Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 10, S. 88, 97 (Reinhard Düchting); Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 6 8 - 7 5 ; sowie das Biogramm in Kühlmann/
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dem im böhmischen Sankt Joachimsthal wirkenden Prediger, Gelegenheitsdichter und Gebrauchsschriftsteller Johannes Mathesius (1504—1565) 70 und den Pragern Matthaeus Collinus (Colinus, 1516-1566) 7 1 und Martin Cuthaenus (Cuthenus, Kuthen, gest. 1564). 72 Aus dem Norden und Nordosten meldeten sich etwa der Rostocker Poesieund Geschichtsprofessor Johannes Bocer (ca. 1526-1565), 7 3 der Culmer Lehrer und Dichter Heinrich Moller (1528-1567) 7 4 und ein Anonymus in Riga 75 zu Wort. Im deutschsprachigen Süden erschienen aus Anlaß von Melanchthons Tod zwei Flugblätter, beide in Nürnberg. 76 Der Südwesten war - abgesehen von den Tübingern Heerbrand und Martin Crusius (1526-1607) 7 7 - mit den Beiträgem einer Heidelberger Sammelausgabe vertreten, unter ihnen jedoch bezeichnenderweise kein Theologe der dortigen Universität. 78 Der dichtende Medizin- und Botanikprofessor Petrus Lotichius Secundus (1528-1560), 7 9 ein enger Freund des Verstorbenen, verfaßte ebenso wie sein Schüler, der Schriftsteller und Arzt Johannes Posthius (1537-1597), 8 0 einen lyrischen Nachruf; ihnen schlossen sich der Kammersekretär Stephanus Cirlerus,81 der Jurist Karl Hügel (auch Hugelius, Hügel, ca. 1541-1565) 8 2 sowie der Kirchenrat und Bibliothekar Michael Beuther
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Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1240f.; vgl. ferner Kühlmann/Straube, Historie, 2001, S. 682-691. - Vgl. hier Melanchthon/Sabinus. Vgl. zu Mathesius Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 9f. (Herbert Wolf). - Vgl. hier Melanchthon/Mathesius/1; Melanchthon/Mathesius/2. Vgl. zu Collinus Truhlär/Hrdina, Enchiridion, Bd. 1, 1966, S. 416-451. - Vgl. hier Melanchthon/Collinus. Vgl. zu Cuthaenus (Cuthenus) DBA Folge 1, Nr. 214, Bl. 400; Truhlär/Hrdina, Enchiridion, Bd. 3, 1969, S. 116-120. - Vgl. hier Melanchthon/Cuthaenus. Vgl. zu Bocer Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 2, S. 37f. (Reinhard Düchting); Mündt in Bocer, Eklogen, 1999, S. XI-XXXIX; sowie Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 309-320. - Vgl. hier Melanchthon/Bocer. Vgl. zu Moller Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 195 (Reinhard Düchting); sowie Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 285-289. - Vgl. hier Melanchthon/Moller/1. Vgl. Melanchthon/Anonym/1. Vgl. Melanchthon/Anonym/3; Melanchthon/Dürnhofer. Vgl. zu Crusius DBA Folge 1, Nr. 211, Bl. 385^116 und Folge 2, Nr. 243, Bl. 434-438. - Vgl. hier Melanchthon/Crusius. Vgl. exemplarisch zur Abwendung der Heidelberger Theologen von der Position Melanchthons am Beispiel Victorin Strigels Koch, Strigel, 1997. Vgl. zu Lotichius Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 7, S. 352-355 (Bernhard Coppel); Coppel, Lotichius, 1993; Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 340-395; Zon, Lotichius, 1983; vgl. femer das Biogramm und die weiterführenden Hinweise in Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1178f. - Vgl. hier Melanchthon/Lotichius. Vgl. zu Posthius Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 219 (Hermann Wiegand); sowie das Biogramm in Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1365f. - Vgl. hier Melanchthon/Posthius/1; Melanchthon/Posthius/2. Vgl. Melanchthon/Cirlerus; vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 41. Vgl. zu Hügel Kühlmann/Wiegand, Parnassus, 1989, S. 273f.; Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 397. - Vgl. hier Melanchthon/Hugel, vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 41.
(1522—1587)83 an, der freilich nach dem Tod des humanistisch gesinnten Kurfürsten Ottheinrich noch im selben Jahr die Stadt verlassen sollte. Aus dem deutschsprachigen Westen stammt nicht zuletzt eine Sammlung von Trauergedichten auf jüngst verstorbene berühmte Männer, unter ihnen auch Melanchthon, verfaßt von dem Osnabrücker Gymnasiallehrer Henricus Sibaeus (eig. Heinrich Sibbe, gest. 1566), 84 zwei Jahre vor dem Tod des Autors in Lemgo gedruckt. Gerade dieses Epicedium eines westfälischen Humanisten kann den Bekenntnischarakter vieler Nachrufe auf den Reformator exemplarisch illustrieren. Sibaeus verneigte sich postum vor dem Toten, ja er nannte ihn den Gewährsmann und den Garanten für die >wahre< lutherische Lehre und verteidigte ihn vehement gegen die abtrünnigen und undankbaren Schüler - und dies zu einem Zeitpunkt, da an seinem Wirkungsort Osnabrück eine heftige Polemik gegen die des Kryptocalvinismus verdächtigten Anhänger Melanchthons entbrannt war. 85 Wer anläßlich von Melanchthons Hinscheiden einen Nachruf publizierte, ehrte demnach nicht nur das Werk des bedeutenden Verstorbenen, sondern bezog auch persönlich Stellung für die von diesem seit dem Tod Luthers eingeschlagene Richtung in den innerprotestantischen Auseinandersetzungen. Die zahlreichen Beteuerungen der ungebrochenen Kontinuität der in Wittenberg vertretenen Lehre unterstreichen dies deutlich. Die geographische Streuung der Nekrologe läßt demnach nicht bloß ein Netz von Beziehungen zwischen einem der einflußreichsten zeitgenössischen Universitätslehrer und seinen vielen Kollegen und Schülern erkennen (und eigentlich war dieses Netz durch die zahlreichen >Abtrünnigen< und deren >Abrechnungen< mit dem früheren >Meister< längst an vielen Stellen zerrissen worden); vielmehr wurde mit jeder einzelnen Würdigung des Toten ein publikes Bekenntnis zu dessen theologischem Kurs im spezifischen regionalen Kontext, das heißt an der jeweiligen Universität oder Schule, am jeweiligen Hof, in der je eigenen politisch-konfessionellen Situation formuliert. Die Flacianer in Magdeburg, die Osiandristen in Schwaben und Königsberg und die Schweizer jedenfalls schwiegen, keine einzige öffentliche Ehrung des Toten aus ihren Reihen ist nachzuweisen. Die Tatsache, daß die innerprotestantischen Gegner des Verstorbenen keine nekrologischen Schmähungen veröffentlichten, mag sich aus deren Respekt vor der historischen Bedeutung des Reformators erklären. Doch war allein das bloße Schweigen anläßlich von Melanchthons Tod als Verweigerung eines Bekenntnisses zu dem Hingeschiedenen und seiner theologischen Position durchaus beredt - und dies wurde in den Kreisen der führenden protestantischen Gelehrten der Zeit gewiß auch wahrgenommen. 86
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Vgl. zu Beuther Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 1, S. 487 (Hermann Wiegand); sowie Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 407f. - Vgl. hier Melanchthon/Beuther. Aus Heidelberg stammte wohl auch der Beitrag Melanchthon/Anonym/5, der möglicherweise dem Juristen Francois Balduin zuzuschreiben ist, vgl. Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 40. Vgl. zu Sibaeus Kühlmann, Gelehrtenhumanismus, 1993. Vgl. Kühlmann, Gelehrtenhumanismus, 1993, S. 464f. Vgl. dazu symptomatisch unter 3.4.8. in einer nekrologischen Ekloge eines MelanchthonSchülers die Erwartung postumer Schmähungen des Gelehrten durch Flacius und seine Anhänger.
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3.4. Das Spektrum nekrologischer Genres im 16. Jahrhundert Der Nachruf präsentierte sich um 1560, wie sich bei der ersten Sichtung der öffentlichen Reaktionen auf das Ableben Melanchthons bereits angedeutet hat, als klar konturierte Gattung der deutschsprachigen und neulateinischen Literatur mit einem festen Inventar an unterschiedlichen poetischen Formen mit ihren jeweils eigenen Textherstellungs- und -gestaltungsmustern, Wirkintentionen und sozialen Funktionen. Die diversen Genres des Nachrufs in der Mitte des 16. Jahrhunderts sollen im folgenden breit aufgefächert, jeweils knapp in ihrer Geschichte beleuchtet, in ihren Charakteristika beschrieben und/oder heuristisch definiert und am Beispiel je eines exemplarischen Textes auf den Tod Melanchthons illustriert werden. Am Anfang werden dabei die Nekrologe stehen, welche die Kunde vom Hinscheiden eines Menschen in die breitere Öffentlichkeit getragen haben, gefolgt von den Formen der mündlichen Ehrung im Rahmen von Begräbnis und Gedenkfeier, hierauf den poetischen und erbaulichen Genres des Nachrufs und schließlich der resümierenden Biographie und der Werkausgabe im Zeichen des Todesfalls.
3.4.1. Todesmeldung Die unmittelbare Nachricht vom Ableben eines Menschen wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr nur auf den Wegen der mündlichen Kommunikation und der handschriftlichen Korrespondenz kolportiert, selbst innerhalb einer relativ kleinen lokalen Öffentlichkeit wie Wittenberg. Da das Medium der periodischen Zeitungen oder Zeitschriften zu diesem Zeitpunkt für die Publikation einer Todesmeldung oder -anzeige noch nicht zur Verfügung stand, wurde der entsprechende Text entweder handschriftlich oder in gedruckter Form vervielfältigt und öffentlich ausgehängt oder verteilt. 87 Die publike Todesmeldung erfüllte freilich, wie sich am Beispiel Melanchthons zeigt, nicht allein pragmatische Funktionen - die Bekanntgabe des Ablebens, die Einladung der Bürger zur Beerdigung, die Ermahnung der Studenten zum Wohlverhalten während der Trauerfeier. 88 Georg Major (1502-1574) verband in seinem SCRIPTVM PVBLICE PROPOSITVM, QVO SCHOLASTIC! conuocati sunt, ad deducendumfunus Domini Philippi Melanthonis89 vielmehr die Schilderung der emotionalen Befindlichkeit der Hinterbliebenen und ein kurzes Lob der positiven menschlichen Eigenschaften und der wissenschaftlichen Bedeutung des Verstorbenen mit einer knappen Interpretation der konsolatorischen Bibelverse Sir 38, 16-19 und formulierte damit einen Appell zur Mäßigung der Trauer an die Verwandten, Freunde, Kollegen und Schüler des Verstorbenen. Aufbau, Inhalt und Wirkfunktionen der Todesmeldung lehnten sich demnach deutlich an die Konventionen für die Gestaltung des letzten, personenbezo-
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Vgl. dazu Anm. 3 dieses Kapitels. - Vgl. zum Nachrichtenbrief mit einer Todesmeldung im 16. Jahrhundert Käsnter, Bericht, 1994. Vgl. Dalle«, Melanchthoniana, 1966, S. 19. Melanchthon/Major(5.
genen Teils der protestantischen Leichenpredigt an. Eine deutschsprachige Version des Textes, gekürzt um einige Passagen, die sich auf die unmittelbaren Umstände der Beisetzung bezogen, und gedruckt als kleine Flugschrift im Umfang von eineinhalb Bogen, trug im übrigen die Nachricht von Melanchthons Ableben in die Öffentlichkeit außerhalb Wittenbergs. Die Tatsache, daß der Text zum mindesten fünf verschiedene Auflagen erlebte, spricht jedenfalls dafür, daß er maßgeblichen Anteil an der Verbreitung der Nachricht vom Hinscheiden des Gelehrten hatte. 90
3.4.2. Nekrologisches Flugblatt Besondere Bedeutung für die überregionale und breitenwirksame Bekanntmachung eines prominenten Todesfalles hatte das Flugblatt. 91 Die makrostrukturelle Gestaltung dieser großformatigen nekrologischen Drucke war, wie die vorliegenden Flugblätter auf den Tod Melanchthons belegen, in einem hohen Maße konventionalisiert. 92 Auf dem oberen Ende solcher Kasualtexte wurde in einer Überschrift mit hervorgehobenen Lettern der Anlaß für die Publikation benannt, also die Todesnachricht selbst mitgeteilt. Darunter folgte - sozusagen als >Blickfang< für die Rezipienten, die von dem Text angesprochen und zur Lektüre animiert werden sollten - eine großflächige Illustration, die ein Viertel bis ein Drittel des gesamten Druckes einnahm und entweder ein Porträt des Verstorbenen oder eine bildliche Darstellung von dessen Aufbahrung bot. Ein zweispaltig gesetzter lyrischer Nachruf in deutscher oder lateinischer Sprache Schloß sich an, der zuletzt am unteren Ende des Flugblatts mit dem Namen des Autors und/oder des Druckers gezeichnet wurde. Diese Texte standen nicht bloß im Dienste der aktuellen Nachrichtenvermittlung, der Totenklage, der Präsentation biographischer Informationen und des Personenlobs, sondern wurden auch für die Glaubenspropaganda - und das hieß vor allem: für den Angriff auf die religiösen Gegner - instrumentalisiert. Zum einen wandten sich die Autoren dabei natürlich gegen die »grewel« und die »[b]etrieglich falsche gleissendt lahr« der römischen Kirche, 93 zum anderen geißelten sie aber auch die >undankbaren< Schüler Melanchthons, die diesem während der vorangegangenen Jahre den Rücken gekehrt und sich zu erbitterten Kritikern und Kontrahenten aufgeworfen hatten. Gerade hier provozierte das populäre Medium offenkundig eine Schärfe in der polemischen Auseinandersetzung, die in den meisten anderen, nicht als Flugblätter vertriebenen Nachrufen auf den Verstorbenen vermieden wurde. So verunglimpfte der Nürnberger
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Melanchthon/Major/3; vgl. die Angaben zu den vier verschiedenen Auflagen bei Hammer, Melanchthonforschung, 1967, Bd. 1, S. 164f.; Hammer, Melanchthonforschung, 1981, Bd. 3, S. 109. Vgl. grundlegend zum Flugblatt in der frühen Neuzeit Schilling, Bildpublizistik, 1990, zu den nekrologischen Flugblättern über Melanchthon vgl. S. 5 8 - 6 0 ; zur Thematisierung des Todes auf dem Flugblatt vgl. S. 264f. Vgl. Melanchthon/Anonym/3; Melanchthon/Dümhofer; Melanchthon/Major/2; Melanchthon/Mathesius/2. Melanchthon, Anonym/3; vgl. dazu Schilling, Bildpublizistik, 1990, S. 60.
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Magister Laurentius Dürnhofer (1532-1594) 9 4 die theologischen Positionen der diversen innerprotestantischen Gegner Melanchthons unter anderem als gottlose Raserei (»rabies [...] impia«) und gewann dessen Tod gar die positive Seite ab, daß der durch seinen >wahren< Glauben unzweifelhaft vor Gott gerechtfertigte Reformator im Himmel nun endlich vor ferneren Attacken und Beleidigungen geschützt sei. 95 Johannes Mathesius wiederum entwarf in einer breit ausgeführten Tier- und Pflanzenallegorie das Bild der »Honigblum« Melanchthon, die »aus schwartzer erd« gewachsen sei und »viel danckbar Bienelein« genährt habe. Dieser wortspielerisch-metaphorischen Apologie des Verstorbenen und seiner Anhänger stellte der Nachrufautor die abtrünnigen Schüler und Feinde als Spinnen und giftige Würmer gegenüber, die den Reformator in grausamer Weise malträtiert hätten. Im letzten Teil seines Gedichts formulierte er schließlich den folgenden Imperativischen Appell an Jesus Christus: Hilff deiner Kirch aus aller not. Erhalt auch alle Bienelein / Vnd dieses Rösleins betlein rein. 96
Mathesius durchbrach hier also bewußt den allegorischen Sinnhorizont des nekrologischen Textes, um konkret und unmißverständlich im populären Medium des Flugblatts zu den aktuellen innerprotestantischen Streitigkeiten Position beziehen zu können und seiner Hoffnung auf eine kontinuierliche und erfolgreiche Tradierung der von Melanchthon vertretenen theologischen Position durch dessen Schüler - und mittelbar auch durch die Rezipienten - Ausdruck verleihen zu können. 3.4.3. Leichenpredigt Zu den im Medium der mündlichen Kommunikation realisierten Formen der öffentlichen Totenehrung zählte in der Mitte des 16. Jahrhunderts neben der akademischen Gedenkrede (vgl. 3.4.4.) die der versammelten Trauergemeinde vorgetragene protestantische Leichenpredigt. Sie war von Martin Luther in die Begräbnisliturgie eingeführt worden und hatte sich rasch als obligatorischer Bestandteil einer jeden Beisetzungsfeier auf Verstorbene aus allen Ständen in den protestantischen Kirchen etabliert. 97
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Vgl. zu Dürnhofer DBA Folge 1, Nr. 256, Bl. 2 4 1 - 2 4 7 ; zur philippistischen Position Dürnhofers vgl. Wetzel, Pezel, 1997, S. 525. Melanchthon/Dürnhofer; vgl. dazu Schilling, Bildpublizistik, 1990, S. 59. Melanchthon/Mathesius/2; vgl. dazu Hannemann, Melanchthon, 1960, S. 167; Schilling, Bildpublizistik, 1990, S. 59f. Vgl. zur protestantischen Leichenpredigt der frühen Neuzeit zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 13, S. 5 0 9 - 5 1 1 (Rudolf Lenz: Leichenpredigt); Krause/Müller, Realenzyklopädie, 1977ff., Bd. 20, S. 6 6 5 - 6 6 9 (Rudolf Lenz: Leichenpredigt); Lenz, Mortuis, 1990; Ueding, Wörterbuch, 1992ff„ Bd. 3, Sp. 4 7 8 ^ 8 4 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Funeralrhetorik); Bd. 5, Sp. 1 2 4 - 1 4 5 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Leichenpredigt); Bd. 5, Sp. 145-151 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Leichenrede); vgl. femer u.a. Becker, Justorum, 1996; Blum, Leichenpredigten, 1983; Bunzel, Entwicklung, 1981, S. 183-192; Kolb, Burying,
Im Gegensatz zur älteren Totenrede, zur akademischen Gedenkansprache (vgl. 3.4.4.) und zur katholischen oratio funebris folgte die lutherische Leichenpredigt aber nicht den rhetorischen Mustern für die Herstellung und Gestaltung des panegyrischen Personenlobs. Sie war vielmehr in der Hauptsache der dogmatischen Exegese einer einzelnen Stelle aus der Heiligen Schrift gewidmet und diente vor allem der Entfaltung der Lehre von den Letzten Dingen und der Tröstlichkeit des christlichen Glaubens im Angesicht des Todes 98 sowie der Vermittlung von ethischen Maximen. Der Verschiebung der Akzente in der verbalen Ausgestaltung der Totenehrung korrespondierten markante Veränderungen im Begräbnisritual und dessen theologischer Grundlegung. Die Beisetzungsfeier wurde nicht mehr als Akt der Fürbitte durch die Hinterbliebenen verstanden, welcher Einfluß auf das jenseitige Geschick des Verblichenen hatte. Beim Begräbnis trat stattdessen das frohe und dankbare Bekenntnis zur Auferstehung in den Vordergrund. Sein Ziel war die Stärkung des Glaubens und die Hinführung zur Andacht." In der Leichenpredigt reduzierten sich daher die direkten Bezüge zur jeweiligen Person des Verstorbenen auf die Klage um denselben im Exordium einerseits und die Applikation der aus der Interpretation eines Bibelwortes gezogenen Schlüsse auf das aktuelle Exempel in einer knappen biographischen peroratio andererseits. Im konkreten Fall ist aufgrund der vorliegenden Dokumente davon auszugehen, daß die von Paul Eber auf Melanchthon gehaltene Leichenpredigt ein durchaus typisches Beispiel für das Genre darstellte. Da der Text jedoch, wie bereits erwähnt, nicht überliefert ist, soll die protestantisch-kirchliche Funeralrhetorik an späterer Stelle anhand einiger orationes funebres vom Beginn des 17. Jahrhunderts genauer beleuchtet werden (vgl. 4.4.).
3.4.4. Akademische Gedenkrede Der protestantischen Leichenpredigt stand als zweite Form des mündlich vorgetragenen Nachrufs die akademische Gedenkrede gegenüber. Während jene in der Mitte des 16. Jahrhunderts noch immer eine relativ junge Form der Totenehrung darstellte, verfügte diese bereits über eine mehr als zweitausendjährige, fast ununterbrochene geschichtliche Tradition. Schon in der römischen Antike hatten sich die konstitutiven
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1995; Lenz, Leichenpredigten, Bd. 1, 1975; Bd. 2, 1979; Bd. 3, 1984; Lenz, Studien, 1981; Mohr, Theologie, 1964; Roth, Literatur, 1959; Rusterholz, Leichenreden, 1979; Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974; Veit, Frömmigkeit, 1992; Winkler, Leichenpredigt, 1967. - Die breite gedruckte Überlieferung von protestantischen Leichenpredigten setzt um 1550 ein, vgl. z.B. Fürstenwald, Gryphius, 1967, S. 11. - Zum frühneuzeitlichen Begräbnisritual vgl. z.B. Wilhelm-Schaffer, Gottes, 1999, S. 218-248; sowie Ohler, Sterben, 1990, S. 85-92; exemplarisch vgl. zum protestantischen Beerdigungsritual und zu Kirchenordnungen für die evangelische Bestattungspraxis ζ. B. Düselder, Tod, 1999, S. 84-93. - Vgl. auch am Beispiel Englands Houlbrooke, Death, 1998; am Beispiel von London und Paris Harding, Dead, 2002. - Vgl. auch zur Literarisierung des Begräbnisses Tepelmann, Tod, 2002. Zur lutherischen Eschatologie vgl. zusammenfassend Althaus, Dinge, 1970. Vgl. dazu z.B. Althaus, Friedhof, 1948, S. 26-29.
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Muster für die Produktion einer Traueransprache als ritueller Bestandteil des Oberschichtbegräbnisses verfestigt, die Abfolge der Wirkfunktionen lamentatio, laudatio und consolatio sowie die Organisation des Personenlobs in der argumentatio anhand der konventionellen Topoi der chronologischen Biographie und des zeitgenössischen Tugendkatalogs. Primär die römischen laudationes funebres100 waren dann zusammen mit den hierfür einschlägigen rhetorischen Textherstellungs- und -gestaltungsregeln, 101 auch denen des Rhetors Menander Laodicensis (3. Jh.) und der Tradition des altgriechischen Nachrufs, 102 in der Spätantike und im Mittelalter für die Ausarbeitung von Trauerreden intensiv rezipiert und produktiv aufgenommen worden. 103 Zumeist hatten die Oratoren dabei freilich das traditionelle Personenlob durch die dogmatische Exegese einer Bibelstelle und die geistliche Ermahnung des Publikums angereichert, zum Teil auch verdrängt. 104 Zu den bekanntesten unter den überlieferten Leichenreden der Spätantike und des Mittelalters zählen die Trostpredigten des Gregorius von Nyssa (um 335-nach 394) 1 0 5 und die Ansprache des Bernhard von Clairvaux (1090-1153) zum Tode seines Bruders Gerardus. 106 Seit dem 13. Jahrhundert erfuhr das Genre vor allem durch die Bettelorden eine massive Popularisierung, 107 aus dem frühen 14. Jahrhundert ist sogar eine Sammlung von 98 Sermones funebres des Dominikaners Johannes de Sancto Geminiano (gest. 1332) auf Verstorbene aller Stände und Berufsgruppen erhalten, 108 was den Schluß zuläßt, daß zumindest im Spätmittelalter in einigen Regionen Europas nicht nur Leichenreden für hohe geistliche Würden- und
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Vgl. zur antiken Totenrede Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 5, Sp. 145-151 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Leichenrede), Sp. 146f.; Flach, Grabreden, 1975; Kassel, Untersuchungen, 1958; Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 1-6; Kierdorf, Laudatio, 1980; Papenheim, Erinnerung, 1992, S. 35-37; Prinz, Epitaphios, 1997; Rusterholz, Rostra, 1974, S. 15-20; Sideras, Leichenreden, 1984; Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 7-14; Zimmermann, Kunst, 1993, S. 9-31; Ziolkowski, Thucydides, 1981. - Vgl. zusammenfassend zur Geschichte der Begräbnisberedsamkeit Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 3, Sp. 4 7 8 ^ 8 4 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Funeralrhetorik); Bd. 4, Sp. 958-964 (I[rmgard] Scheitler: Klagerede, -gesang). - Zur weiteren Geschichte der Totenklage in Byzanz vgl. Sideras, Grabreden, 1994. - Zu einer lateinischen Trauerrede im Schweden des 17. Jahrhunderts vgl. Tengström, Latin, 1983. Vgl. dazu zusammenfassend Zimmermann, Kunst, 1993, S. 9-31. Vgl. Soffel, Regeln, 1974; sowie Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 7-9; und Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 14f. Vgl. allgemein zur mittelalterlichen Leichenpredigt Biermann, Leichenreden, 1995; Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 10-18; Moos, Consolatio, 1971/1972, Bd. 1, S. 40f.; Nolte, Lauda, 1983; Rusterholz, Rostra, 1974, S. 20-35; Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 14-32; Ueding, Wörterbuch, 1992ff„ Bd. 5, Sp. 145-151 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Leichenrede), Sp. 147; Wellner, Memento, 1973, passim; Winkler, Leichenpredigt, 1967, S. 14-25; Woltersdorf, Geschichte, 1884. Vgl. Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 16. Vgl. dazu Bauer, Trostreden, 1892. Vgl. Moos, Consolatio, 1971/1972, Bd. 1, S. 278-331. Vgl. Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 17. Die Sermones funebres wurden in Lyon 1504, 1510 und 1515 sowie in Antwerpen 1611 gedruckt, vgl. dazu Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 17f.
politische Funktionsträger, sondern auch für Angehörige der breiten Bevölkerung gehalten worden sein dürften. 109 Diese Spielart des Genres, in der sich die Inventions-, Dispositions- und Gestaltungsmuster der klassischen nekrologischen Rede mit den homiletischen Strategien und Wirkintentionen der christlichen Pastoralrhetorik verbunden finden, sollte auch nach der Reformation in der oratio funebris der katholischen Trauerfeierlichkeiten bis in das späte 18. Jahrhundert ungebrochen präsent bleiben (vgl. 6.4.). 110 Eine stärkere Rückbindung der Trauerrede an ihre antiken Vorbilder und Traditionen, das heißt eine neuerliche Akzentuierung des individuellen Lebenslaufes und der persönlichen Tugenden eines Verstorbenen bei gleichzeitiger Zurückdrängung der moralischen und theologischen Didaxe, hatten seit der Mitte des 14. Jahrhunderts nach und nach die italienischen Humanisten geleistet. 111 Der vielleicht entscheidendste Anstoß hierfür war im Jahr 1354 von Francesco Petrarca (1304—1374) mit seiner laudatio funebris auf den Erzbischof von Mailand Giovanni Visconti gegeben worden, 112 da die nachfolgende Humanistengeneration sich die Werke des Dichters zum Vorbild für die eigene poetische Produktion nehmen und die Leichenrede in den Kanon der von ihr gepflegten literarischen Genres integrieren sollte. 113 Natürlich war diese literarische Entwicklung auch mentalitäts-, politik- und institutionengeschichtlich von der Entstehung des humanistisch->autonomen< Selbstbewußtseins der neulateinischen Dichter, vom sukzessiven Bedeutungszuwachs der Höfe als Zentren des kulturellen Lebens und von der Etablierung der Universitäten als außerkirchlichen Ausbildungsstätten flankiert gewesen. Diesen Säkularisierungsprozessen korrespondierte der zunehmende Verzicht auf die Exegese von Bibelstellen und auf die christlich-dogmatische Belehrung innerhalb der Traueransprachen. Die vollständige Ablösung der säkularen Gedenkrede in Italien von den Konventionen der christlichen Leichenpredigt, das heißt die durchgängige Orientierung von inventio, dispositio und elocutio der Texte an der Tradition der antiken oratio funebris dürfte etwa auf die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert zu datieren sein. Als exemplarischer Beleg dafür gilt in der Forschung die Würdigung des verstorbenen Kardinals Francesco Zabarella (geb. 1340) durch Gian Francesco Poggio Bracciolini (1380-1459) im Jahr 1417. 114 Ansprachen wie diese waren entweder während des Begräbnisses und der
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Vgl. Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 16; Moos, Consolatio, 1971/1972, Bd. 1, S. 40f. Vgl. zur katholischen Leichenpredigt der frühen Neuzeit Boge/Bogner, Oratio, 1999. Vgl. zusammenfassend Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 2 1 - 3 0 ; sowie grundlegend McManamon, Oratory, 1989, v.a. S. 3 3 - 3 5 . - Vgl. allgemein zur Konsolationsliteratur der italienischen Humanisten, allerdings ohne eingehendere Bezugnahmen auf nekrologische Texte McClure, Sorrow, 1991. Vgl. Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 20; sowie McManamon, Oratory, 1989, S. 2 und 9. - Zu den Nachrufen von italienischen Humanisten auf Petrarca selbst vgl. Kohl/Day, Con versini's, 1974. Vgl. Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 20. Vgl. Schmidt-Grave, Leichenreden, 1974, S. 2 5 - 2 8 ; sowie McManamon, Oratory, 1989, S. 11-14. - Ein der akademischen Gedenkrede thematisch, argumentativ und funktional verwandtes, allerdings nicht-publikes, humanistisches Genre der Auseinandersetzung mit
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Leichenfeierlichkeiten oder im Rahmen einer akademischen Gedenkveranstaltung in lateinischer Sprache gehalten worden und hatten zum Teil in zahlreichen Abschriften unter den Gelehrten und Dichtern des Spätmittelalters kursiert.115 An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert waren in Italien auch einige Dutzend dieser lateinischen Leichenreden in Druck gegangen.116 An diese Traditionslinien schlossen die protestantischen Humanisten des 16. Jahrhunderts mit ihren akademischen Traueransprachen an. 117 Gegenstand dieser nekrologischen Ehrungen waren ausschließlich prominente weltliche und kirchliche Würdenträger, insbesondere herausragende Gelehrte an akademischen Institutionen. Ihren sozialen Ort hatten die Reden entweder im Rahmen von Gedenkveranstaltungen, die anläßlich eines aktuellen Todesfalles eigens organisiert wurden, oder innerhalb des normalen Studienbetriebs. So suspendierten mehrere Wittenberger Professoren, unter ihnen Georg Major, 118 Paul Krell (1531-1579), 119 Veit Örtel, 120 Caspar Peucer (1525-1602) 121 und Petrus Vincentius (1519-1581), 122 in den ersten Vorlesungen nach dem Hinscheiden Melanchthons teilweise oder gänzlich die Präsentation des vorgesehenen Unterrichtsstoffes zugunsten einer postumen Würdigung des Verstorbenen. Als Adressaten wurden daher mit den Trauerreden vor allem die lateinkundigen Eliten - und hier wiederum primär der studentische Nachwuchs - angesprochen. Als Konsequenz der Ausrichtung an diesem spezifischen Publikum gewannen die pädagogischen und didaktischen Akzente in den Gedenkansprachen besonderes Gewicht. Neben dem Personenlob im engeren Sinne erhielten normen- und wissensvermittelnde Aufgaben (vgl. 3.2.) sowie die Verpflichtung der künftigen akademischen Eliten auf die an einem Ort jeweils vertretene theologische Position zunehmende Bedeutung für die nekrologische Würdigung (vgl. 3.1.). Sowohl die Leichenpredigt als auch die Gedenkansprache fanden häufig auch Eingang in das Medium des Buchdrucks, sei es in der Form eines Kasualimpressums oder als Teil einer nekrologischen Sammelausgabe (vgl. 3.4.11.), und sie konnten damit zugleich an die überregionale Öffentlichkeit weitergegeben werden.
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dem Tod eines Menschen stellt der konsolatorische, oft für didaktische Zwecke instrumentalisierte Brief an die Hinterbliebenen dar, vgl. z.B. Guarino, Marchioni, 1970 [1442]; Castiglione, Laurentium, 1970 [1469]. Vgl. McManamon, Oratory, 1989, S. 24 u.ö. Vgl. McManamon, Oratory, 1989, S. 25. Zur Beziehung Melanchthons zu den italienischen Humanisten vgl. Rhein, Italia, 1996. Vgl. Melanchthon/Major/4; vgl. zu Major Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 7, S. 433f. (Bernhard Coppel); zum Streit zwischen Melanchthon und Major vgl. zusammenfassend Scheible, Melanchthon, 1997, S. 203-205. Vgl. Melanchthon/Krell; vgl. zu Krell DBA Folge 1, Nr. 208, Bl. 115-121 und Folge 2, Nr. 241, Bl. 347-349; sowie Hasse, Krell, 1997. Vgl. Melanchthon/Örtel/3. Vgl. Melanchthon/Peucer; vgl. zu Peucer DBA Folge 1, Nr. 947, Bl. 279-304; Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 132f.; Neddermeyer, Peucer, 1997. Vgl. Melanchthon/Vincentius/1; Melanchthon/Vincentius/2; vgl. zu Vincentius DBA Folge 1, Nr. 1308, Bl. 231-239.
3.4.5. Exkurs: Druck- und rezeptionsgeschichtliche Rahmenbedingungen lateinischer Trauerlyrik Die meisten unter den lyrischen Nachrufen auf Melanchthon wurden - den zeitgenössischen Konventionen der Publikation von nekrologischen Poemen entsprechend - nicht als Flugblätter verbreitet. Als gängigstes Distributionsmedium für das von den Humanisten gepflegte, an den antiken Vorbildern orientierte, lateinische oder griechische, in selteneren Fällen auch das deutschsprachige Trauergedicht, hatte sich in der postreformatorischen Zeit nach und nach der Kasualdruck in Gestalt von kleinformatigen Broschüren etabliert. 123 Bereits im 14. und 15. Jahrhundert hatten unter humanistischen Gelehrten in großer Zahl lyrische Würdigungen bedeutender verstorbener Persönlichkeiten, Kollegen und Freunde als Handschriften kursiert, der Buchdruck bot nun die probaten Möglichkeiten einer einfacheren Vervielfältigung und schnelleren Verbreitung der Nekrologe. Trotz des Wechsels des Mediums dürfte sich aber der Rezipientenkreis der Texte - die humanistisch hochgebildete Gelehrtenelite - im Wesentlichen kaum verändert haben (sieht man vom Wert dieser Druckerzeugnisse als Devotionalien für hinterbliebene Familienmitglieder ab), stellten die in vielen Fällen außerordentlich artifiziell gestalteten lateinischen und griechischen Epicedien doch - ganz anders als etwa manche Texte auf Flugblättern - erhebliche Ansprüche an die intellektuellen Fähigkeiten ihrer Leser. Es handelte sich bei diesen Broschüren demnach primär um ein Forum für die interne Kommunikation zwischen den unterschiedlichen, örtlich verstreuten Humanistenkreisen und ihren Mitgliedern, die häufig hohe akademische und kirchliche Ämter bekleideten. Entsprechend niedrig dürften die Auflagen dieser Kasualdrucke gewesen sein (eine These, die zusätzlich durch die schlechte Verfügbarkeit derselben in heutigen wissenschaftlichen Bibliotheken gestützt wird), auch lag die Distribution zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch weitgehend in den Händen der Autoren und nicht des Buchhandels. 124 Schließlich ist davon auszugehen, daß in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach wie vor viele Epicedien unter befreundeten Gelehrten in handschriftlicher Form weitergegeben und verschickt wurden; jedenfalls deuten darauf die zahlreichen Würdigungen Melanchthons hin, die offenbar von ihren Autoren an deren jeweiligem Wirkungsort nicht zum Druck gegeben, sondern den Wittenberger Kollegen zugesandt und von diesen in kleinere Epicedienkompilationen 125 oder gar
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Vgl. zu den Kasualdrucken, ihrer Produktion und Distribution u.a. Koretzki, Kasualdrucke, 1977. Von einer breiten Distribution der Kasualdrucke durch den Buchhandel ist erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges auszugehen, vgl. Heidt, Regent, 1997, S. 90-93; vgl. allgemein auch Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, 1977, S. 191-193. Vgl. ζ. B. die Wittenberger Sammlung BREVIA EP1TAPH1A DE DICATA TVMVLO D. PH1UPPI MELANTHONIS, die auch Texte der Prager Matthaeus Collinus (Melanchthon/Collinus) und Martin Cuthaenus (Melanchthon/Cuthaenus) sowie die Elegie eines ungenannten Thüringer Autors (Melanchthon/Anonym/2) enthält.
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erst zwei Jahre nach dem Tod des Reformators in die große nekrologische Sammelausgabe (vgl. 3.4.11.) aufgenommen wurden. 126 Viele der Kasualschriften mit Nachruflyrik waren auf dem Titelblatt mit stark typisierten, runden Kopf- oder Brustporträts des Verstorbenen ausgestattet.127 Diese Bilder zeigten stets einen hageren Greis mit markanten, tief gefurchten, aber freundlich lächelnden Gesichtszügen, schütterem Bart, krausem Haar und hochgeschlagenem Mantelkragen und verliehen als visualisierte Form der fictio personae, einer der im Nachruf bevorzugt eingesetzten rhetorischen Figuren, den nekrologischen Würdigungen eine synästhetische Dimension. Sie vergegenwärtigten dem Auge des Rezipienten - sei es, daß er dem Verstorbenen selbst begegnet war, sei es, daß er ihn niemals von Angesicht zu Angesicht kennengelernt hatte - lebhaft und plastisch die äußere Erscheinung des Gelehrten und multiplizierten damit die affekterregenden Wirkungen der in den folgenden Gedichten eingesetzten Strategien für die Evozierung von Trauer, Verehrung und Trost. Der Rektor des Lübecker Gymnasiums Lorenz Moller reflektierte die Funktion solcher nekrologischen Bild-Text-Kombinationen sogar implizit in dem Epicedium IN IMAGINEM [...] PHILIPPI MELANTHONIS, das er in seine auf dem Titelblatt mit einem Porträt des Verstorbenen versehene Sammlung lyrischer Nachrufe aufnahm. 128 Einleitend pries er in seinem Gedicht die künstlerischen Fähigkeiten des Kupferstechers, der die Gesichtszüge des Toten so meisterhaft getroffen habe, daß man meine, derselbe würde den Betrachter direkt aus dem Bild heraus anblicken. Der Visualisierung des Hingeschiedenen kam also die Aufgabe zu, das Interesse und die Affekte des Rezipienten noch vor der Lektüre des Textes zu stimulieren. Freilich konnte und sollte das Porträt keineswegs die literarische Würdigung ersetzen, vielmehr hatten beide sich mit ihren jeweiligen Wirkungsmöglichkeiten zu ergänzen. Das Bild vermöge nämlich, so Moller weiter, nicht die Bedeutung von Melanchthons Leistung als Denker zu vermitteln: Corporis artifices possunt effingere formam, Lucifluam mentem pingere nemo potest. (Die körperliche Gestalt können die bildenden Künstler nachbilden, den lichtfließenden Geist aber kann niemand zeichnen.)
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Vgl. ζ. B. Melanchthon/Gigas; Melanchthon/Moshauer; Melanchthon/Peucer; Melanchthon/ Posselius; Melanchthon/Vincentius/2; Melanchthon/Vinitor. Vgl. z.B. Melanchthon/Anonym/4; Melanchthon/Bocer; Melanchthon/Henricus/4; Melanchthon/Major/1; Melanchthon/Schellenberg; sowie die Sammlung mit den Epicedien Melanchthon/Francus, Melanchthon/Halle und Melanchthon/Streuber. Ein Porträt des Verstorbenen zierte etwa auch den Druck der Darstellung von Melanchthons Sterben (Melanchthon/Professoren Wittenberg/1) und die nekrologische Sammelausgabe (Melanchthon/Professoren Wittenberg/3). M e l a n c h t h o n / M o l l e r / 2 , B l . [F2] v : IN IMAGINEM PI MELANTHONIS.
REVERENDI,
ETCLARISSIM1VIRID.
PHILIP-
Dem Text blieb es daher im folgenden vorbehalten, die Gelehrsamkeit, die bedeutenden Erkenntnisse, den Ruhm Melanchthons und nicht zuletzt die durch seine Rechtgläubigkeit ermöglichte jenseitige Errettung ausführlich zu loben. Die innere Anlage der Drucke lateinischer Nachruflyrik ist ebenso vielfältig wie die poetische Form der Texte selbst. Manche Broschüren bieten eine einzige Würdigung des Verstorbenen, 129 andere enthalten mehrere Texte eines Autors, 130 wiederum andere präsentieren sich als Sammlungen von nekrologischen Ehrungen, verfaßt von einer Reihe von Gelehrten, 131 etwa der Schüler des Toten aus einem gemeinsamen Heimatort. 132 Der Umfang der Drucke differiert daher zwischen einigen wenigen Blättern und mehreren Bogen. Die Länge der verschiedenen Gedichte variiert zwischen Vierzeilern hier und umfangreichen Elegien, die viele Druckseiten füllen, dort. Die lyrischen Nachrufe auf Melanchthon in lateinischer und griechischer Sprache weisen auch eine außerordentliche Bandbreite hinsichtlich ihrer poetischen Formen auf. Das Spektrum der Texte reicht vom Epitaph über das elegische Epicedium bis hin zur nekrologischen Ekloge. Die deutschen Nachrufautoren der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts griffen also, wie auch ein Vergleich mit den lyrischen Würdigungen für den im Jahre 1570 verstorbenen Reformator Johannes Brenz (1499-1570) zeigt, 133 in vollem Umfang auf das reiche Inventar an unterschiedlichen Genres der früheren humanistischen Totenklage zurück, die sich ihrerseits stark am Formenkanon der poetischen Würdigung eines Hingeschiedenen in der Antike orientiert hatte. Allerdings zeugen die Textsortenzuschreibungen, die von den Autoren selbst in den Titeln ihrer Nachrufe vorgenommen wurden, von einer erheblichen Uneinheitlichkeit in der zeitgenössischen gattungspoetischen Terminologie. So kündigen die Titelblätter zweier Gedenkausgaben mit lyrischen Nekrologen Sammlungen von EPITAPHIA an, enthalten jedoch neben Grabschriften im engeren Sinne auch andere Formen des Totenlobs wie Elegie und Ekloge. 134 Andererseits werden gelegentlich Texte auch ausdrücklich als ΕΠΙΤΑΦΙΟΝ bezeichnet, die viel eher der Tradition der elegischen Würdigung eines Verstorbenen zuzuordnen sind. 135 In wiederum anderen Fällen bezeichnen die Autoren
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Vgl. z . B . Melanchthon/Bocer; Melanchthon/Major/1. Vgl. z . B . die S a m m l u n g Melanchthon/Henricus/4 mit den Texten Melanchthon/Henricus/1, Melanchthon/Henricus/2, Melanchthon/Henricus/3, Melanchthon/Henricus/5, M e Ianchthon/Henricus/6, s o w i e die S a m m l u n g Melanchthon/Moller/2 mit acht Epicedien Mollers. Vgl. z . B . die S a m m l u n g mit den Texten Melanchthon/Sabinus, Melanchthon/Stigel, M e lanchthon/Anonym/6, Melanchthon/Collinus, Melanchthon/Cuthaenus, Melanchthon/Anonym/2, Melanchthon/Crusius. V g l . z . B . die S a m m l u n g mit den Texten Melanchthon/Francus, Melanchthon/Halle, M e lanchthon/Streuber, alle drei Autoren stammten aus Soldin. Vgl. Segebrecht, Epicedien, 1999, S. 82f. und den Reprint der nekrologischen Sammelausgabe S. 2 0 9 - 2 6 2 . Vgl. Melanchthon/Professoren Wittenberg/3 s o w i e die S a m m l u n g BREVIA EPITAPHIA DE DICATA TVMVLO D. PHILIPPI MELANTHON1S. Vgl. Melanchthon/Henricus/5.
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ihre unterschiedlichen lyrischen Nachrufe mit dem Begriff EXEQVIAE, der seinerseits eigentlich auf den liturgischen Akt der Beisetzung eines Hingeschiedenen abhebt. 136 Aufgrund dieser terminologischen Disparatheit in den ursprünglichen Textsortenzuschreibungen werden daher im folgenden alle Gelegenheitspoeme, die aus Anlaß eines aktuellen Todesfalles in lateinischer und griechischer Sprache geschrieben und veröffentlicht wurden, zusammenfassend als Trauergedichte bezeichnet. 137 Die diversen Ausformungen dieses Genres wiederum können - ebenfalls in partieller Abweichung von den historischen Gattungsbezeichnungen - heuristisch nach ihren textherstellungs- und -gestaltungskonstitutiven Merkmalen in Epitaphe, (elegische) Epicedien und Eklogen untergliedert werden.
3.4.6. Lateinische Trauerlyrik I: Epitaph Die am häufigsten aus Anlaß von Melanchthons Tod aufgegriffene Form lateinischer Trauerlyrik stellt das Epitaph dar.138 Seine Wurzeln liegen in der Antike. Bereits in frühgriechischer Zeit war die Kulturtechnik der Ausstattung von Grabmälern mit prosaischen oder versifizierten Inschriften verbreitet gewesen. Alsbald war dieses Genre der Gebrauchspoesie auch literarisiert und fiktionalisiert worden (etwa als Nachruf auf einen längst nicht mehr aktuellen Todesfall oder als satirischer Sepulkraltext auf das Ableben eines Tieres 139 ), Hexameter oder elegisches Distichon wurden zumeist als metrische Schemata zugrunde gelegt, ein festes Inventar an Motiven und sprachlichen Formeln hatte sich ausgebildet, unter anderem mit Bezug
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Vgl. Melanchthon/Major/1. Vgl. zusammenfassend zur lateinischen Trauerlyrik Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 2, Sp. 1250f. (F[ranz] Mfichel] Eybl: Epicedium); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 455457 (Hermann Wiegand: Epicedium); vgl. grundlegend Krummacher, Epicedium, 1974; Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, 1977, passim; Segebrecht, Steh, 1978; vgl. femer u.a. Berns, Orpheus, 1994; Ellinger, Geschichte, 1929/1933, passim; Gräßer, Epicedien-Dichtung, 1994, passim; Schäfer, Sagt, 1970; Seeber, Gelegenheitsdichtung, 1994; Seidel, Epicedien, 1994; Springer, Studien, 1955. Vgl. zusammenfassend zum Epitaph Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 2, Sp. 1306-1312 (E[lfriede] Hagenbichler: Epitaph); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 475f. (Hermann Wiegand: Epitaph); vgl. dazu auch u.a. Althaus, Barock, 1996, S. 285-312; Angress, Epigram, 1971, S. 41-57; Braungart, Grabschriften, 1997; Buchheit, Untersuchungen, 1960; Esteve-Forriol, Trauer- und Trostgedichte, 1962; Frey, Tränen, 1995; Heinze, Kriegergräbern, 1969 [1915]; Hengstl, Totenklage, 1936; Kajanto, Studies, 1980; Kassel, Untersuchungen, 1958; Kühlmann, Sterben, 1982; Lattimore, Themes, 1942; Rädle, Epitaphium, 1990; Rädle, Typik, 1992; Reiner, Totenklage, 1958; Schmidt, Humanist's, 1998; Segebrecht, Steh, 1978; Tolkiehn, Poesie, 1969 [1901]; vgl. auch zur Geschichte des Epigramms zusammenfassend Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 2, Sp. 1273-1283 (T[heodor] Verweyen/G[unther] Witting: Epigramm); vgl. zu realen Grabsteinen der frühen Neuzeit und deren Inschriften z.B. Lenz, Leichenpredigt, 2000, passim; Raschzok, Epitaphien, 2001; zu satirischen Grabschriften vgl. u.a. Battafarano, Desengano, 1994; Battafarano, Epitaphia, 1990; Battafarano, Epitaphia, 1994. Vgl. dazu Haas, Totenklage, 1980, S. 110; Herrlinger, Totenklage, 1930. - Vgl. zur Tradition satirischer Leichenreden auch Grab, Leichenpredigt, 1988; Saul, Hoffmanns, 1989.
auf die Umstände des Todes, die Bestattung, das Grab und die Befreiung des Verstorbenen von der Last des irdischen Lebens. Im Mittelpunkt des Epitaphs jedoch hatte häufig die Glorifizierung des Verblichenen gestanden. In der römischen Literatur war die griechische Tradition produktiv rezipiert worden. Zu den bekanntesten altlateinischen Autoren von Grabschriften zählen Gnaeus Naevius (um 275-um 201 v. Chr.), Quintus Ennius (239-169 v. Chr.), Gaius Lucilius (um 180-103/102 v. Chr.) und später Marcus Valerius Martialis (um 40-nach 100). In der spätantiken und mittelalterlichen Literatur war der Formen- und Motivkanon dieser Vorbilder übernommen, freilich durch die spezifischen Tugendideale und Jenseitsvorstellungen des Christentums angereichert worden. Seit dem späten 14. Jahrhundert war das Genre von den Humanisten wieder in größerem Umfang gepflegt und verstärkt literarisiert, das heißt aus der engeren Gebrauchsfunktion als Grabinschrift gelöst worden. In kaum einer ihrer Epigrammsammlungen fehlt ein Buch mit Epitaphen, zu erinnern wäre etwa an Antonius Panormita (1394-1471), Michele Marullo (1463-1500) und Jacopo Sannazaro (1457-1530). Gleichzeitig hatte der Rückgriff auf die griechischen und römischen Prototypen wieder eine zunehmende Säkularisierung der Motive und Argumente bedingt. Dieser Tradition waren auch die Epitaphe auf Melanchthon verpflichtet. Als typisches Beispiel dafür kann die poetische Grabschrift gelten, die Georg Sabinus seinem Schwiegervater widmete: IN T V M V L V M D. PHILIPPI MELANTHONIS GEORGIVS S A B I N V S . HIC inuicte tuus collega Luthere Melanthon, Non procul a tumulo conditur ipse tuo. Vt pia doctrinae concordia iunxerat ambos, Sic sacer amborum iungit hic ossa locus. 1 4 0 (Hier, Luther, liegt unbesiegt dein Kollege Melanchthon nun selbst nicht weit von deiner letzten Ruhestätte entfernt begraben. So wie euch beide zu Lebzeiten die einmütige Treue zur richtigen Lehre verbunden hat, so verbindet dieser heilige Ort jetzt die Gebeine von euch beiden.)
Wie dieser Text tragen viele weitere poetische Grabschriften die explizite Textsortenbezeichnung tumulus, wahlweise wurde von anderen Autoren der Begriff epitaphium, seltener auch der Terminus elegia141 verwendet. Die meisten der Epitaphe sind in lateinischer, einige wenige auch in griechischer Sprache abgefaßt. 142 Als Versmaß wurde in der Regel das elegische Distichon aufgegriffen. Obligat waren ferner die (fiktive) Deixis auf die letzte Ruhestätte (»CONtinet hic tumulus generosa Melanthonis ossa« 143 ) oder auf den Gedenkstein (»Fons latet hoc tumulo« 144 ), an
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Melanchthon/Sabinus; vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 29. Vgl. Melanchthon/Francus; Melanchthon/Halle. Vgl. in griechischer Sprache z . B . Melanchthon/Anonym/6; Melanchthon/Henricus/1; Melanchthon/Henricus/2.
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Melanchthon/Moller/2, Bl. [F2]r: ALIVD EODEM AVTORE.
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Melanchthon/Stigel.
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deren Stelle auch die Apostrophe an den (vorübergehenden) Leser 145 respektive die Anrede an den vor Ort begrabenen Verstorbenen146 oder - wie im vorliegenden Fall - an einen anderen bedeutenden Toten des Friedhofs treten konnten. Ein typisches Merkmal des Epitaphs stellt ferner die pointierte Kürze dar. Besondere Beliebtheit genoß dabei die hier vorliegende Form der lediglich zwei, in wenigen Fällen drei Distichen umfassenden Grabschrift, 147 welche die Autoren zu äußerster Knappheit in der Würdigung des Toten zwang. Seltener begegnen dagegen ausführlichere Texte mit einer Länge von bis zu fünfzig Versen.148 Charakteristisch für das Epitaph ist jedoch in seiner kürzeren wie in seiner weitläufigeren Spielart die durchgängige Konzentration auf das Lob des Verstorbenen. Häufig wurden dabei gängige Themen aus dem Inventar der humanistischen Tradition des Genres aufgenommen, darunter die überragende Gelehrsamkeit, 149 der unvergängliche Ruhm des Verblichenen,150 seine pietas151 oder aber die Skepsis des Autors, ob künftige Jahrhunderte je noch einmal eine so bedeutende Persönlichkeit hervorbringen würden. 152 Diese Motive wurden zum einen durch personenspezifische Stereotype wie den Kontrast zwischen der geistigen Leistung Melanchthons und seiner geringen Körpergröße ergänzt.153 Zum anderen fanden auch die aktuellen innerprotestantischen Streitigkeiten ihren Niederschlag in den Epitaphen. So nahm Sabinus im zitierten Text Melanchthon unmißverständlich gegen die umlaufenden Behauptungen in Schutz, derselbe habe nach Luthers Tod die >Reinheit< der zu Wittenberg vertretenen reformatorischen Lehre verfälscht. In anderen Texten wurde etwa auf das reiflich verdiente Ausruhen des Gelehrten von den Mühen seines - unter anderem durch die >Abtrünnigkeit< mancher Schüler verbitterten - irdischen Lebens hingewiesen. 154 In jedem Fall blieb im Epitaph der Bezug auf die Biographie und das Werk des Verblichenen stets nur punktuell - und das unterscheidet es signifikant vom elegischen Epicedium.
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Vgl. ζ. B. Melanchthon/MoIler/2, Bl. [E3] V -[E4] V das EPITAPHIUM, das sich »AD VIATOREM PRAETEREVNTEM SEPVLCHRVM« wendet. Vgl. z.B. Melanchthon/Cuthaenus. Vgl. ζ. B. die Sechszeiler in Melanchthon/Lotichius, Titeibl/: AD PHILIPPIMELANCHTONIS tumulum. Vgl. z.B. Melanchthon/Moller/2, Bl. [E3] V -[E4] V : EPITAPHIUM, Bl. F [ l ] v : ALIVD EODEM AVTORE, Bl. [F2] r : ALIVD EODEM AVTORE. Vgl. z . B . Melanchthon/Moller/2, Bl. F [ l ] v : ALIVD EODEM AVTORE. Vgl. z.B. Melanchthon/Major/1, Bl. D [ l ] v : ALIVD; Melanchthon/Moller/2, Bl. [F2] r : ALIVD EODEM AVTORE. Vgl. z.B. Melanchthon/Moller/2, Bl. F [ l ] v : ALIVD EODEM AVTORE. Vgl. z.B. Melanchthon/Stigel. Vgl. z.B. Melanchthon/Major/1, Bl. D [ l ] v : ALIVD; Melanchthon/Moller/2, Bl. [F2] r : ALIVD EODEM AVTORE. Vgl. z . B . in Melanchthon/Major/1, Bl. D [ l ] v : ALIVD.
3.4.7. Lateinische Trauerlyrik II: Elegisches Epicedium Die Geschichte des elegischen Epicediums läßt sich ebenfalls bis in die Antike zurückverfolgen. 155 Seine Ursprünge liegen in Grabgesängen bei der Bestattung eines Menschen, in literarisierter Form ist es erst in römischer Zeit nachzuweisen, von einem unmittelbaren Anschluß an hellenistische Vorbilder dürfte jedoch auszugehen sein. Mit der Elegie im weiteren Sinne, welche neben der Trauer auch allgemeiner die Vergänglichkeit, Kampf und Krieg, Liebe und Erotik zum Gegenstand haben kann, ja in welche das elegische Epicedium zumeist als Bestandteil integriert ist, teilt es das Versmaß, nämlich Distichon oder Hexameter, hebt sich von jenen übrigen Formen jedoch durch den streng regulierten, historisch nur leicht Varianten, mehrgliedrigen Aufbau und die Abfolge der Wirkfunktionen lamentatio, laudatio und consolatio ab. Zum Kanon elegischer Epicedien aus römischer Zeit werden unter anderem Texte von Quintus Horatius Flaccus (65-27 v. Chr.), 156 Sextus Propertius (50-nach 16 v. Chr.) 157 und Publius Ovidius Naso (42 v. Chr.-ca. 17 n. Chr.), 158 die anonymen Gedichte Elegiae in Maecenatem und Consolatio ad Liviam sowie die einzelnen Texte aus den Silvae des Publius Papinius Statius (um 40-um 96) gezählt. Insbesondere die letztgenannte Sammlung 159 war den Humanisten, die das während des Mittelalters weitgehend aus dem Formenkanon der literarischen Totenklage verdrängte Genre seit dem 14. Jahrhundert wieder verstärkt gepflegt hatten, zum Vorbild für die eigene Produktion von nekrologischen Gelegenheitsgedichten geworden. 160 Die protestantischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts lehnten sich in ihren elegischen Epicedien außerordentlich eng an die von den antiken und älteren humanistischen Vorbildern vorgegebenen Textherstellungs- und -gestaltungsmuster an. 161 Mit
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Vgl. dazu zusammenfassend Ueding, Wörterbuch, 1992ff„ Bd. 2, Sp. 1250f. (F[ranz] M[ichel] Eybl: Epicedium); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 4 2 9 - 4 3 2 (Dirk Kemper: Elegie); S. 4 5 5 - 4 5 7 (Hermann Wiegand: Epicedium); vgl. dazu auch u.a. Adam, Wälder, 1988; Dilg, Palinodia, 1971/1972; Esteve-Forriol, Trauer- und Trostgedichte, 1962; Frey, Tränen, 1995; Haas, Totenklage, 1980, S. 108-118; Kassel, Untersuchungen, 1958; Krummacher, Epicedium, 1974; Ludwig, Epikedien, 2001; Reiner, Totenklage, 1938; Schmidt, Cordus, 1987. Horaz, carm. 1, 24. Properz, eleg. 3, 18 und 4, 11. Ovid, amores 2, 6 und 3, 9. Vgl. dazu Adam, Wälder, 1988, S. 3 1 - 8 1 ; Moore, Epicedia, 1967 [1913], Vgl. Adam, Wälder, 1988, passim. Christoph Schellenberg beispielsweise verweist in seinem Epicedium für Melanchthon indirekt auf die antiken literarischen Vorbilder seines Textes: S o wie die Gebeine Melanchthons nun neben denen seines Freundes Luther lägen, seien auch Horaz in der Nähe Maecenas' und Ennius in der Nähe Scipios begraben worden, vgl. Melanchthon/Schellenberg, Bl. [B6] r . - Vgl. exemplarisch zur Rezeption der römischen Elegie bei den Neulateinern Ludwig, Lotichius, 1989 [1971]. - Zu den in Poetik- und Rhetoriklehrbüchern der frühen Neuzeit kodifizierten Textherstellungs- und -gestaltungsmustern für Epicedien vgl. u.a. Krummacher, Epicedium, 1974, passim; Witstein, Poezie, 1969, S. 9 8 - 1 3 1 ; Zimmermann, Saiten, 1999, S. 277, 280 und passim.
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vollem Recht spricht die Forschung daher von »eine[r] der am stärksten traditionsgebundenen Gattungen der Zeit.« 162 Innovatorische Tendenzen lassen sich kaum je auf den Ebenen der Disposition, der topischen Struktur und des Motivinventars erkennen. Neue Akzente wurden vielmehr fast ausschließlich bei den zeit-, orts-, personen- und situationsspezifischen Inhalten sowie bei der vor allem für die konsolatorische peroratio bedeutsamen theologischen Ausrichtung der Texte gesetzt, und eine besondere Rolle spielten einmal mehr die aktuellen theologischen Auseinandersetzungen innerhalb des Protestantismus. Als markantes Beispiel für ein elegisches Epicedium aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kann das sprachlich und ästhetisch außerordentlich anspruchsvolle Gedicht von Petrus Lotichius Secundus auf den Tod Melanchthons gelten. 163 Sein Inhalt soll im folgenden kursorisch skizziert werden, um Aufbau, Argumentationsstruktur, Motivinventar und Wirkfunktionen elegischer Epicedien der Zeit exemplarisch zu illustrieren. Das Gedicht setzt wirkungsvoll mit einer gezielten Irritation der durch den Titel (IN OBITVM CLARISS: VIRI P. MELANTHONIS) und die Textsortenzuschreibung (Elegia) geweckten Leseerwartung ein. Mit einer regelrechten Flut von positiv besetzten Bildern breitet das lyrische Ich die Annehmlichkeiten des eben über die Natur hereingebrochenen Frühjahrs aus, schwelgt in der warmen Luft, begeistert sich an der Blüte der wiedererwachenden Flora, begrüßt euphorisch die ersten zurückkehrenden Zugvögel. Im elften Vers des Gedichts jedoch wird diese Idylle jäh durch die briefliche Nachricht vom Tode Melanchthons unterbrochen, die folgende ausführliche lamentatio erhält durch den kontrastiven Texteinstieg eine besonders starke und emotionalisierende Wirkung. Zum einen legt das Ich sein persönliches Leid offen, zum anderen beklagt es unter Rückgriff auf diverse gängige Allegorien (ein Schiff ohne Steuermann, Verdunkelung der Sonne am Himmel), daß die Kirche mit Melanchthon nun ihre wichtigste Leitfigur verloren habe. Das Exordium schließt mit der captatio benevolentiae des Dichters, daß seine geringen Fähigkeiten zu einer angemessenen Würdigung des Verstorbenen eigentlich nicht ausreichten, daß Liebe und Schmerz ihn jedoch dazu verbänden. Die laudative Orientierung der folgenden argumentatio wird bereits in ihren ersten hyperbolischen Versen deutlich, gleichzeitig signalisiert der Autor, sich nun dem Lebenslauf des Verstorbenen zuwenden zu wollen: Te puerum, uix linquentem cunabula, Musae Cervatim donis excoluere suis.164 (Die Musen wetteiferten darum, Dich, den kleinen Jungen, der kaum die Wiege verlassen hatte, mit ihren Gaben zu schmücken.)
162 163
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Krummacher, Epicedium, 1974, S. 105. Melanchthon/Lotichius; eine deutsche Übersetzung des Textes findet sich jetzt in Ludwig, Epikedien, 2001, S. 179-183; vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 4 W 8 ; Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 371f.; Ludwig, Epikedien, 2001, S. 164-173. - Vgl. zu Lotichius' Elegien die Beiträge in Auhagen/Schäfer, Lotichius, 2001; sowie Ludwig, Lotichius, 1989 [1971], Melanchthon/Lotichius, Bl. Aijiiv.
Eine detaillierte Würdigung der zunehmenden Gelehrsamkeit und des steigenden Ruhmes des jungen Gelehrten schließt sich an. Auf ein chronologisches Durchlaufen der einzelnen Lebensstationen des Verstorbenen verzichtet Lotichius dabei jedoch, das Personenlob wird vielmehr immer wieder in unterschiedliche mythologische Bezüge eingebettet und so gleichzeitig amplifiziert. Der einzige konkrete biographische Hinweis deutet auf Sachsen, das der Dichter als wilde, barbarische und erst durch das Wirken Melanchthons kultivierte Gegend beschreibt. Der poetisch verklärte Lebenslauf gipfelt zuletzt in einem Horoskop über den Verstorbenen, 165 in welchem dessen herausragende Eigenschaften und reiche Begabungen aus der Sternenkonstellation während seiner Geburtsstunde sozusagen retrospektiv prognostiziert werden. Damit hebt gleichzeitig die Verbeugung vor den Tugenden des Universitätslehrers an (unter anderem reine Gesinnung, rechter Glaube, unparteiisches Urteil), die explizit und mehrfach durch das persönliche Zeugnis des lyrischen Ich beglaubigt erscheinen. Sein überschwengliches Lob ergänzt der Dichter freilich angesichts der zahlreichen Verleumdungen des Toten um die Versicherung, daß er zeitlebens mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stünden, für die Verteidigung der Ehre des Reformators, sollte diese postum geschändet werden, eintreten wolle. Die besagten Anfeindungen des Verstorbenen wiederum leiten zu einer außerordentlich pessimistischen Zeitdiagnose mit eschatologischen Tönen über. Das Leid des Dichters um den Freund, den er nicht an seinem Sterbebett besuchen habe können, und das Nahen des Jüngsten Gerichts finden - ein negativer Rückgriff auf den Beginn des Textes - gleichzeitig Ausdruck in düsteren Bildern einer um Melanchthon trauernden und absterbenden Natur. Der Tristesse des niedergehenden irdischen Daseins stellt Lotichius nun in einer scharfen Wendung eine elysische, mehrfach das Buch der Offenbarung alludierende 166 Jenseits vision gegenüber und signalisiert damit auch den Übergang zur peroratio des Textes: Non illic morbi, non aerumnosa senectus, Non grave pauperies urget acerba malum. Sed citharae, cantusq[ue] uigent, animaeque piorum Ipsius e uitae fonte perennae bibunt. 167 (Dort gibt es keine Krankheiten, kein beschwerliches Alter, nicht drückt die bittere Armut, dieses böse Übel, sondern Zitherspiel und Gesang herrschen dort, und die Seelen der Frommen trinken aus dem Quell des ewigen Lebens selbst.)
Das glückliche und wohlverdiente Ausruhen Melanchthons von den Unbilden seines mühevollen Lebens in den himmlischen Gefilden gibt dem Dichter zuletzt Anlaß zu einer Bitte an Jesus Christus. Der Erlöser möge den noch auf der Erde weilenden Gläubigen, die hier andächtig sein Lob sängen, in der ihnen verbleibenden Lebenszeit und beim nahenden Jüngsten Gericht beistehen, damit auch sie dereinst die Ruhe des ewigen Lebens genießen könnten.
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Vgl. dazu ausführlich Ludwig, Epikedien, 2001, S. 168-171. Vgl. v.a. Offb 21, 4 und 22, 1. Melanchthon/Lotichius, Bl. [A7]r.
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Lotichius' Gedicht weist viele Merkmale auf, die auch für die übrigen elegischen Epicedien, welche anläßlich von Melanchthons Tod publiziert wurden, typisch sind. Die Textsortenbezeichnung elegia ist für lyrische Nachrufe dieser literarischen Form durchaus verbreitet, 168 daneben finden auch die Begriffe epicedium169 und - seltener - carmen170 Verwendung. Anders als beim Epitaph bilden griechische Texte - neben den lateinischen - die seltene Ausnahme, 171 was nicht zuletzt auf den Mangel an entsprechenden Vorbildern zurückzuführen sein dürfte. Als Versmaß ist wahlweise der Hexameter oder das elegische Distichon die Regel, andere metrische Formen sind außerordentlich rar. 172 Die Länge der elegischen Epicedien für Melanchthon variiert zwischen etwa dreißig Zeilen auf der einen Seite und ausführlichen Gedichten mit vielen hundert Versen andererseits. 173 Der Aufbau der Texte ist analog zu den Regeln für die Gliederung von akademischen Gedenkreden (vgl. 3.2.) gestaltet, den Gedichtteilen Exordium, argumentatio und peroratio entsprechen grob - bei allen kleineren Modifikationen im einzelnen - die Wirkfunktionen lamentatio, laudatio und consolatio. Die dispositionellen Übereinstimmungen zwischen diesen beiden Genres waren bereits sowohl in der antiken literarischen Tradition als auch in den Anweisungen der zeitgenössischen Rhetorikausbildung, wo das elegische Epicedium als poetischer >Ableger< der Grabrede galt, vorgegeben gewesen. 174 Das bei Lotichius beobachtete, effektvoll gestaltete Werben um die Aufmerksamkeit des Publikums innerhalb der ersten Zeilen eines Trauergedichts kennzeichnet auch die übrigen elegischen Epicedien auf den Tod Melanchthons, wenn auch in anderen poetischen Formen. So wird das Interesse der Rezipienten unter anderem - wie im Epitaph - durch die Deixis auf die Grabstätte, 175 durch einen mit allen affektsteigernden Mitteln der Rhetorik drastisch in Szene gesetzten Ausbruch von wildem Schmerz 176 oder durch eine lange Reihe von Imperativischen Aufforderungen zur Trauer an die verschiedensten sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Kreise gewonnen, ohne daß der Anlaß dafür bereits benannt worden wäre. 177 Wie bei Lotichius speist sich auch in vielen anderen elegischen Nachrufen auf Melanchthon die exordiale Klage um den Toten aus dem Gestus der persönlichen Betroffenheit des Autors. Die Tränen, die das Ich vergießt, die Seufzer, die es ausstößt, sollen vom Rezipienten
168 Ygj z β Melanchthon/Anonym/2; Melanchthon/Schörckelius. 169 vgl. z.B. Melanchthon/Bocer; Melanchthon/Dreger; Melanchthon/Henricus/3; Melanchthon/Hoenonius/1. 170
V g l . z . B . M e l a n c h t h o n / M a j o r / 1 , Bl. A i j r - [ C 4 ] V : DE VITA ET OBITV REVEREND1 RISSIMI VIRI PH1L1PPI MELANTHONIS CARMEN.
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Vgl. z.B. Melanchthon/Crusius. Vgl. Ludwig, Epikedien, 2001, S. 154f.
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M e l a n c h t h o n / M a j o r / 1 , Bl. A i j r - [ C 4 ] V DE VITA ET OBITV REVERENDI
ET CLA-
ET CLARISSIMI
VIRI
PHILIPPI MELANTHONIS CARMEN etwa umfaßt annähernd 600 Verse, Melanchthon/Schellenberg annähernd 800 Verse. 174 Vgl. Krummacher, Epicedium, 1974, S. 102-104. 175 Vgl. z.B. Melanchthon/Bocer, Bl. [A3] v . 176 y g j z β Melanchthon/Anonym/2. 177 Vgl. z.B. Melanchthon/Henricus/3.
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auf keinen Fall als rhetorisch geschickt inszeniertes, gespieltes Lamento mißverstanden werden. Die im Titel des Nachrufs benannte Person des Dichters zum einen und das lyrische Ich des Textes selbst zum anderen werden vielmehr ostentativ ineins gesetzt. Im Dienste dieser Wirkabsicht stehen diverse Beglaubigungsstrategien, etwa die Nennung des Überbringers der Nachricht vom Tode Melanchthons, bei Lotichius der Arzt und Schriftsteller Johannes Crato von Krafftheim (15 1 9-15 85), 178 oder der Verweis auf die tiefe Freundschaft oder das innige Schülerverhältnis zu dem Verstorbenen 179 - Bezüge, die für die unmittelbaren Rezipienten der Gedichte, den engen Kreis der humanistisch gebildeten protestantischen Gelehrten der Zeit, eine konkrete empirische Evidenz hatten. Der Autor konnte im Epicedium, statt seiner persönlichen Befindlichkeit Ausdruck zu verleihen, die Manifestationen von Schmerz und Trauer aber auch in der ersten Person Plural formulieren und somit in die Rolle einer gemeinsamen Stimme aller klagenden Freunde, Schüler und Anhänger Melanchthons schlüpfen. 180 Bei einer weiteren, selteneren Variante des Epicediums schließlich, dem durchgängig in der rhetorischen Form einer fictio personae gestalteten Nachruf auf einen Verstorbenen aus dessen eigenem Mund, mußte das Exordium auf eine kurze Selbstcharakterisierung des fiktiven Sprechers - »HAC ego sub tumuli requiesco mole Melanthon« (»Hier, unter der Last meines Grabsteins, ruhe ich, Melanchthon, mich nun aus«) - beschränkt bleiben und auf eine lamentative Einleitung - der Tote selbst bedauerte sein Ableben und seine Aufnahme in das Jenseits ja keineswegs - zugunsten eines sofortigen Übergangs zur laudatio verzichtet werden. 181 Aufbau und Inhalt des lobenden Hauptteils des elegischen Epicediums wurden, analog zur Gestaltung der akademischen Gedenkrede, von den Regeln der topischen inventio für die Herstellung eines nekrologischen Textes, also den Mustern der chronologischen Biographie und des Tugendkatalogs bestimmt. Eine Berücksichtigung sowohl lebensgeschichtlicher Daten als auch rühmlicher Eigenschaften des Verstorbenen wie in Lotichius' Nachruf war dabei freilich nicht obligat. Manche Autoren würdigten lediglich die biographischen Stationen Melanchthons (entweder in konkreter Benennung oder in verschlüsselter Umschreibung, 182 eventuell in Verbindung mit seinen wichtigsten Publikationen 183 ), andere konzentrierten sich auf die Verbeugung vor dessen Tugenden (unter anderem hohes Talent, Gelehrsamkeit, Fleiß, Rechtgläubigkeit). Innerhalb einer Sammlung von mehreren Epicedien desselben Dichters auf einen Toten konnten die beiden Aufgaben des Personenlobs auch auf zwei separate Texte
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Vgl. Melanchthon/Lotichius, Bl. Aiij v . Vgl. z.B. Melanchthon/Schellenberg, Bl. [A6] v und passim. Vgl. z.B. Melanchthon/Schellenberg. Melanchthon/Henricus/6, Bl. B2 r ; vgl. ζ. B. auch einen Maximilian II. in den Mund gelegten Nachruf von Johannes Posthius in Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 722-727. Ähnlich vage wie bei Lotichius gestaltet etwa Melanchthon/Bocer den Lebenslauf Melanchthons (nur Bretten als Geburtsort und Wittenberg als Wirkungsstätte werden erwähnt), mit ausführlicheren und genaueren Ortsangaben operiert hingegen ζ. B. Melanchthon/Henricus/6. V g l . z . B . M e l a n c h t h o n / M a j o r / 1 , B l . A i j r - [ C 4 ] V : DE VITA ET OBITV REVEREND1 R1SS1M1 VIRI PHILIPP1 MELANTHONIS CARMEN.
ET CLA-
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verteilt werden. 184 Stets aber erfolgte dabei der Zugriff auf die Biographie und/oder die Talente und Leistungen des Toten nicht, wie im Epitaph, punktuell. Angestrebt wurde vielmehr eine, wenn auch jeweils perspektivierte, möglichst umfassende Ehrung. Lotichius und seine Dichterkollegen setzten allerdings viel deutlichere Akzente bei der Würdigung der poetischen Seite von Melanchthons Oeuvre als die Gedenkredner. In fast keinem der Texte fehlt der Bezug auf die Musen der Dichtkunst sowie auf den Musageten Apoll,185 deren Inspiration sich das literarische Werk des Verstorbenen als geradezu normstiftend-vorbildliche Leistung verdankt. Anders als die didaktisch auf den studentischen Nachwuchs ausgerichtete Traueransprache fungierte das kaum je lehrhaft gestaltete Epicedium demnach vor allem als Forum der poetischen und poetologischen Selbstverständigung und Selbstreflexion der humanistisch-protestantischen Dichtergelehrten - im jeweiligen Einzelfall freilich nur derjenigen, welche die theologische Position des Toten teilten. Das bei Lotichius beobachtete Kippen des Lobs in eine vehemente persönliche Apologie des umstrittenen Verstorbenen mit scharfen Spitzen gegen dessen Kontrahenten und Feinde ist auch in den übrigen elegischen Nachrufen nahezu durchgängig die Regel. Gleiches gilt für die düstere Zeitdiagnose. Ein teilweise extremer Kulturpessimismus - konstatiert im Niedergang der schulischen und universitären Ausbildung, in der Geringschätzung der Poesie und der zunehmenden gesellschaftlichen Isolierung der humanistisch gesinnten Dichter 186 - korreliert immer wieder mit der Kundgabe des Abscheus vor den zahlreichen Kollegen und Schülern Melanchthons, die sich von diesem abgewandt hatten. 187 Die jüngeren historischen Ereignisse, die kulturellen Entwicklungen wie die zahlreichen menschlichen Enttäuschungen mutieren zusammengenommen zu Symptomen für die nahende Endzeit. 188 Damit wurde - wie auch bei Lotichius beobachtet - die eigentlich nur für das Exordium vorgesehene lamentatio in den primär laudativ orientierten Hauptteil der Epicedien getragen, doch blieb dabei stets das Personenlob als Würdigung des Reformators, der zeitlebens die Lehren Luthers kontinuierlich und geradlinig gegen alle Angriffe und trotz der üblen Zeitumstände verteidigt habe, präsent. Die von Lotichius in der peroratio seines Gedichts ins Treffen geführten Trostargumente gehörten gleichfalls zum klassischen Inventar der zeitgenössischen nekrologischen consolatio und wurden auch von anderen Autoren gerne und häufig verwendet.
184 vgl. z.B. in der Sammlung Melanchthon/Henricus/4 das Tugendlob in Melanchthon/Henricus/3 und die Biographie in Melanchthon/Henricus/6. 185 Vgl. z.B. Melanchthon/Bocer, Bl. A4r und passim; Melanchthon/Henricus/3, Bl. A2 r und passim; Melanchthon/Moller/2, Bl. C2V und passim; Melanchthon/Schellenberg, Bl. A3V und passim. 186 Vgl. dazu Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 1982, S. 35-39. 187 Johannes Major nennt sogar explizit die Namen von Oslander und Flacius, vgl. Melanchthon/Major/1, Bl. Biij v ; vgl. z.B. auch die mehrfachen rabiaten Invektiven Johannes Bocers gegen die >dummenwahnwitzigen< und unmoralischen Schüler Melanchthons, die aus Neid, Mißgunst und Scheelsucht von der »Respublica Christi« abgefallen seien, vgl. Melanchthon/Bocer, passim. 188 Vgl. z.B. Melanchthon/Henricus/3, Bl. B[l] v .
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Der in Grimma wirkende Lehrer und Poet Christoph Schellenberg (gest. 1576) 189 etwa wies seine Leser in der Elegie auf Melanchthons Tod auf dessen wohlverdientes Ausruhen von den Mühen des arbeits- und konfliktreichen Lebens hin und ließ den Verstorbenen ebenfalls in einem idyllischen Jenseits - und zwar in einer himmlischen Universität auferstehen, deren Mitglieder das Lob des Herrn sängen und nicht von den Feinden Christi, den sophistischen Verbreitern falscher Lehren, bedrängt würden. Dort werde Melanchthon schließlich auch seinen Freund Luther Wiedersehen. 190 Andere typische Trostargumente, die in den Schlußteilen von elegischen Epicedien aufgegriffen wurden, bildeten zum Beispiel die Versicherung des ewigen Ruhms des Verstorbenen, welcher dem Ende seiner leiblichen Existenz gegenübergestellt wurde, 191 oder die Gewißheit der Errettung seiner Seele aufgrund seiner Rechtgläubigkeit. 192 Zuletzt gehörte auch der bei Lotichius - wie in den Gedenkreden Örtels und Heerbrands - gesehene, gebetsartige Gedichtschluß, die Hinwendung des lyrischen Ich an den Erlöser, zum durchaus gängigen Themeninventar der peroratio eines elegischen Epicediums. So richtete etwa Martin Henricus (gest. nach 1584) am Ende seines Textes an Jesus die Bitte, ihn und alle Christen im >wahren< Glauben zu bestärken, damit sie seiner Ankunft auf der Erde freudig entgegensehen könnten. 193
3.4.8. Lateinische Trauerlyrik III: Nekrologische Ekloge Neben den zahlreichen Epitaphen und elegischen Epicedien nehmen die Eklogen unter den lyrischen Nachrufen auf Melanchthon nur einen eher bescheidenen Raum ein. 194 Auch beim bukolischen Nekrolog weist die Gattungsgeschichte auf die antiken Vorlagen, die Hirtengedichte von Theokritos (um 310-um 250 v. Chr.) und vor allem von Publius Vergilius Maro (70-19 v. Chr.), sowie auf die ältere humanistische Tradition zurück, an die Eklogen Francesco Petrarcas, Giovanni Boccaccios (1313-1375) und Baptista Mantuanus' (1447/48-1516) sei erinnert. 195 Allerdings war die kasualliterarische Totenehrung neben dem Städte- und dem Herrscherlob, der Zeitklage, der poetologischen und der theologischen Reflexion nur eine von meh-
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190 191 192 193 194
195
Vgl. zu Schellenberg DBA Folge 1, Nr. 1095, Bl. 253; sowie Ellinger, Geschichte, 1929/1933, Bd. 2, S. 257f. Vgl. Melanchthon/Schellenberg, Bl. [B7] r v. Vgl. z.B. Melanchthon/Bocer, Bl. [B6]r. Vgl. z.B. Melanchthon/Henricus/3, Bl. B[l] r v. Vgl. Melanchthon/Henricus/3, Bl. B[l] v -B2 r . Vgl. Melanchthon/Hoenonius/2; Melanchthon/Purkircher; Melanchthon/Raphael: Melanchthon/Streuber. Darüber hinaus verfaßte Michael Haslob eine Ekloge auf den Tod von Luther, Melanchthon, Georg Sabinus und Petrus Lotichius Secundus, vgl. Mündt in Lemnius, Bucolica, 1996, S. 51 f. Zur Geschichte der Bukolik vgl. zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 14, S. 338-341 (Klaus Garber: Schäferdichtung); Ueding, Wörterbuch, 1992ff„ Bd. 4, Sp. 183-202 (H[ans]-P[eter] Ecker: Idylle); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 287-291 (Klaus Garber: Bukolik); vgl. dazu femer u.a. Cooper, Pastoral, 1977; Garber, Bukolik, 1976; Grant, Literature, 1965; Krautter, Renaissance, 1983; Lohmeier, Beatus, 1981, 76-87 und passim; Müller, Bucolicon, 1997; Stracke, Formen, 1981.
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reren unterschiedlichen Funktionen gewesen, welche bukolische Texte übernehmen konnten. Freilich hatte die nekrologische Ekloge mit den diversen anderen Ausprägungen der Gattung die Spannung zwischen der fingierten Simplizität der auftretenden Figuren und der arkadischen Idylle der dargestellten Hirtenwelt auf der einen Seite und den komplexen, oft polyvalenten Allegorisierungen historischer Personen und den konkreten Bezugnahmen auf aktuelle Ereignisse andererseits geteilt. Die zentralen und motivisch stark typisierten Gegenstände der nekrologischen Bukolik der italienischen Humanisten waren der Verlust der Geliebten und das Ableben einer prominenten Persönlichkeit, vorzüglich eines bedeutenden Dichters gewesen. Beispiele dafür sind die zweite Ekloge des Iovianus Pontanus (1426-1503) auf den Tod seiner Ehefrau Adriana Sassone, das Gedicht des Giani Anisio (ca. 1475-ca. 1540) auf den Tod Pontanus' und eine anonyme Sammlung von drei bukolischen Klagen über das Hinscheiden Pietro Bembos (1470-1547), gedruckt im Jahr 1548.196 Die deutschen Humanisten nahmen vor allem die Tradition der eklogischen Würdigung einer eben verstorbenen, sozial hochgestellten Persönlichkeit oder eines Schriftstellerkollegen wieder auf. 197 Besondere Bedeutung kam dabei der rasch als normstiftendes literarisches Vorbild kanonisierten Sammlung Bucolicon des Helius Eobanus Hessus von 1509 zu, die auch die Klage Daphnis' über das Hinscheiden von Iolas, einer allegorischen Transfiguration des hessischen Landgrafen Wilhelm II. (1468-1509), enthielt.198 Ein weiteres frühes Zeugnis der bukolischen Totenklage im deutschsprachigen Raum bildet das Lamento des Wieners Udalricus Fabri (gest. nach 1544) auf den Tod Kaiser Maximilians (1459-1519) von 1519.199 Aus den folgenden Dekaden nach dem Ende der Reformationswirren bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts datieren zahlreiche nekrologische Eklogen, die anläßlich des Ablebens eines Herrschers oder Dichters, in selteneren Fällen auch auf das Hinscheiden der Geliebten verfaßt wurden, von der Forschung bislang jedoch nur in Ansätzen gewürdigt worden sind. 200 Unter den Autoren finden sich so prominente Namen wie Simon Lemnius (ca. 1511-1550),201
196
Vgl. Anonym, Bembi, 1548. - Vgl. allgemein zur nekrologischen Bukolik der italienischen Humanisten Grant, Literature, 1965, S. 306-316; Strack, Formen, 1981, S. 50-62. 197 Zur Geschichte der Ekloge in der neulateinischen Literatur deutscher Humanisten vgl. grundlegend Mündt in Lemnius, Bucolica, 1996, S. 15-52, zur nekrologischen Ekloge S. 51 f. sowie passim im Kommentar; vgl. exemplarisch auch Henneberg, Hirtengedichte, 1985; zur neulateinischen Bukolik des 16. Jahrhunderts vgl. Mündt in Camerarius, Eclogae, 2004, S. XXIX-XXXVII; Mündt, Herzog, 2003; Mündt, Königsberger, 2005; Mündt, Musen, 2001. 198 Vgl. Grant, Literature, 1965, S. 319. 199 Fabri, Ecloga, 1519. 200 Vgl. neben den von Mündt in Lemnius, Bucolica, 1996, S. 51 f. genannten Titeln u.a. Bersman, Alcon, 1574; Bredecow, Ecloga, 1567; Dedekind, obitum, 1551; Ferchel, Ecloga, 1592; Harer, eclogae, 1559; Herlitz, Arbor, 1600; Hettenus, Ecloga, 1559; Hoffer, Ecloga, 1553; Junius, obitum, 1592; Lansius, Ecloga, 1596; Leonhart, Ecloga, 1569; Scharlach, Ecloga, 1581; Wegius, Ecloga, 1573. 201 Vgl. Simon Lemnius: Aegloga quarta. In: Lemnius, Bucolica, 1996, S. 124—137.
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Johannes Bocer, 202 Johannes Fabricius (1527-1566), 203 Petrus Lotichius Secundus 204 und Michael Haslob (1540—1589).205 Den prätextuellen Bezugspunkt der meisten dieser Texte bildet die fünfte Ecloga Vergils, eine Klage über das Ableben des Sängers Daphnis, gestaltet in der Form eines Dichterwettbewerbs zwischen zwei Hirten. Manche humanistische Autoren lassen aber auch die Kenntnis anderer antiker NachrufEklogen erkennen, etwa des Lobgesangs auf den verstorbenen Hirten Meliboeus bei Marcus Aurelius Olympius Nemesianus (gest. 28 3). 206 Nicht zuletzt orientierte man sich natürlich an den einschlägigen Vorbildern der Zeitgenossen. Von einer Rezeption des - nur wenig ausgeprägten - bukolischen Nekrologs des Mittelalters, beispielsweise der allegorisierenden Totenklage des Paschasius Radbertus (ca. 786/790-ca. 856/859), ist hingegen unter den protestantischen Autoren des 16. Jahrhunderts ebensowenig auszugehen wie unter den vorreformatorischen Humanisten. Ein typisches Beispiel für ein nekrologisches Hirtengedicht der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stellt der lyrische Nachruf eines Wittenberger Studenten aus Soldin in der Neumark namens Petrus Streuber (gest. nach 1594) 207 auf den Tod seines akademischen Lehrers Melanchthon dar (der Autor sollte übrigens mehr als drei Jahrzehnte später nicht durch weitere literarische Leistungen, sondern durch eine Serie von Giftmorden, unter anderem an dem Theologen Zacharias Rivander, gest. 1594, traurige Berühmtheit erlangen). 208 Das Gedicht trägt wie alle übrigen bukolischen Totenehrungen des verstorbenen Gelehrten im Titel die Textsortenbezeichnung ecloga. Anders als beim Epitaph und beim elegischen Epicedium verfügten die dichtenden Zeitgenossen hier also über einen eindeutigen und konventionalisierten Terminus für das Genre. Die Untertitel präsentierten zumeist die Namen der in den überwiegend dialogisch gestalteten Eklogen zu Wort kommenden Figuren, in den Texten wurden die jeweiligen Sprecher dann marginal annotiert. Das von den Autoren eingeführte Personentableau speiste sich in der Regel aus den bei Vergil auftretenden oder genannten Hirten. Streuber beispielsweise wählte die Sprecher von dessen erster Ekloge, Tityrus und Meliboeus, und ergänzte die beiden durch den in der dritten und fünften Ekloge erwähnten Aegon. Als Versmaß wurde in der Nachfolge der tradierten Vorbilder ausnahmslos der Hexameter gewählt. Die Länge der Texte schwankt - ebenfalls
202
Vgl. Johannes Bocer: De morte trium praestantissimorum Germaniae poetarum. In: Bocer, Eklogen, 1999, S. 8 1 - 1 0 1 . 203 Fabricius verfaßte eine Ekloge auf den Tod seiner Ehefrau, vgl. Grant, Literature, 1965, S. 319. 204 Lotichius verfaßte eine Ekloge auf den Tod eines elsässischen Freundes, vgl. Grant, Literature, 1965, S. 319. 205 Haslob verfaßte eine Ekloge auf den Tod von Luther, Melanchthon, Georg Sabinus und Petrus Lotichius Secundus, vgl. Mündt in Lemnius, Bucolica, 1996, S. 51 f. 206 So z.B. Johannes Bocer in seiner Ekloge De morte trium praestantissimorum Germaniae poetarum, vgl. den Kommentar von Mündt in Bocer, Eklogen, 1999, S. 171; vgl. zu Nemesian zusammenfassend Effe/Binder, Bukolik, 1989, S. 145-153; Grant, Literature, 1965, S. 74f. 207 Vgl. zu Streuber D B A Folge 1, Nr. 1240, Bl. 80f. 208 Melanchthon/Streuber.
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in Anlehnung an die kanonisierten Prototypen - zwischen etwa hundert und hundertfünfzig Versen, das vorliegende Gedicht zum Beispiel umfaßt 99 Zeilen. Den Texteinstieg nutzte Streuber in bewährter Manier zum einen für die Exposition der idyllischen Kulisse des Handlungsortes, zum anderen für die Ankündigung des zu erwartenden Geschehens. Aegon, der Sprecher dieser Introduktion, beobachtet aus der Ferne die Hirten Tityrus und Meliboeus, die ihre Herden versorgt haben, sich nun im Schatten von Ulmen und Palmen ausruhen und zu einem Dichterwettstreit ansetzen wollen. Aegon möchte die beiden unbemerkt belauschen, und auch die Leser können von hier ab bis kurz vor Schluß des Textes deren Dialog ohne Unterbrechungen verfolgen. Am Beginn des Gesprächs tauschen die Hirten gegenseitig übertrieben bescheidene Beteuerungen ihrer geringen dichterischen Begabungen aus, entschließen sich letztlich aber doch zum Beginn ihres Wettstreits. Sie wollen allerdings nur mit verhaltener Stimme singen, um nicht von Aegon, den sie in dem kalten Tal vermuten, wo er seine jungen Stiere hütet, gehört zu werden, da dieser die wohlklingenden Hirtenlieder verdammt und stattdessen am liebsten das Geschrei der Grillen hört. Nun hebt Meliboeus mit seinem Beitrag zum Wettkampf an. Gegenstand des »certamen« ist wie in Vergils fünfter Ekloge und in zahlreichen späteren, an diesen Text angelehnten bukolischen Nachrufen der Tod Daphnis'. Die Figur des verstorbenen Hirten kann der Leser rasch durch den - den Rahmen der arkadischen Lokalität und der antiken Mythologie sprengenden - Hinweis, daß nicht allein Apollo den Hingeschiedenen betrauere, sondern sich aus ganz Sachsen ein Tränenstrom ergieße, als eine Allegorisierung Melanchthons entschlüsseln. Nach dieser das Thema benennenden Einleitung wirft der singende Hirte einige Streiflichter auf die beim Begräbnis des Verstorbenen versammelte Trauergemeinde - auch die Nymphen und Pan haben sich zur Beisetzung eingestellt - und deren mit vielen Weherufen über die Unerbittlichkeit der Parzen durchsetzte Klagen. Die umgebende Natur schließt sich dem Lamento an - ebenfalls ein Allgemeinplatz von bukolischen Nekrologen. Der Gesang schließt mit einem neuerlichen Bruch des arkadischen Sinnhorizontes des Textes - ganz Deutschland beweint seinen Daphnis - und, wie bei Vergil, 209 mit der Mitteilung der Inschrift auf dem Grabstein, den die Hirten dem Toten gesetzt haben. Tityrus preist in seiner Antwort die Schönheit von Meliboeus' Gesang, rühmt die Exzeptionalität von dessen Begabung, tadelt darüber hinaus dessen unverhältnismäßige Bescheidenheit und liefert nun selbst seinen Beitrag zum Dichterwettstreit. Daphnis, so hebt der Hirte sein Lied an, frohlocke nun im hellen Licht des Olymps. Nach dieser - gleichfalls auf Vergil zurückgreifenden - Apotheose des Verstorbenen 210 bricht Streuber freilich in auffälliger Weise mit der antiken Vorlage und wendet sich einem Angriff auf den erbittertsten Feind Daphnis' mit Namen Flacius - die Figur wird ohne weitere Erläuterung eingeführt - zu. Auf der manifesten Textebene ist damit, wie sich bald zeigt, ein neidischer Dichterkonkurrent des Verstorbenen gemeint. Unschwer - und in einer für die Tradition der Bukolik eher seltenen Deutlichkeit - läßt
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Vgl. Vergil, eclog. 5, 43f. Vgl
vergil, eclog. 5, 56f.
sich darin aber auch eine Allegorisierung von Matthias Flacius Illyricus erkennen. Dieser möge, so fordert Tityrus in seinem Gesang, den verstorbenen Daphnis von nun an nicht mehr des Irrsinns (»deliria«) zeihen, er werde sich mit dessen Kunst ohnehin nie messen können. Es stehe allerdings viel eher zu befürchten, daß die illyrische Brut (»Illyrici proles«), diese Nachkommen der Scylla, die dereinst von Pluto den Flammen der Unterwelt übergeben werden würden, nunmehr aus Mißgunst das Andenken des Toten schänden und die Ausbreitung seines wohlverdienten Ruhmes über den gesamten Erdball verhindern wolle. Der Überheblichkeit Flacius' stellt der Sänger sodann demonstrativ seine eigene Bescheidenheit gegenüber. Daphnis ein würdiges Lob zu entbieten stehe Hesiod (um 700 v. Chr.) oder Vergil zu, keineswegs aber ihm selbst. Statt einer laudatio ruft er deshalb dazu auf - und hier nähert sich der Text wieder der antiken Vorlage das Andenken des vergöttlichten Hingeschiedenen durch alljährliche, üppige Opfergaben zu ehren. Der Gesang endet mit einer mehrfachen Versicherung von Daphnis' ewigem Ruhm. Der Wettstreit zwischen den beiden Hirten schließt seinerseits mit einem überschwenglichen Lob des Meliboeus für Tityrus' Sangeskunst. Das letzte Wort freilich hat der unbemerkte Beobachter Aegon, der - nach den Mitteilungen über dessen geringe Wertschätzung der Dichtung keineswegs unerwartet - ein unbarmherziges Urteil über die Lieder der beiden Hirten fällt. Er erinnert sich, eben diese Verse kürzlich schon einmal gehört zu haben. Meliboeus tauge jedoch immerhin zu einem schönen Adonis, Tityrus wiederum sei würdig, eine Biene genannt zu werden. Die beiden Eselchen mögen denn, so schließt Aegon seine Stellungnahme sardonisch, gekrönt werden. Die besonderen Akzente, die Streuber bei seiner nekrologischen Ehrung Melanchthons setzte, und die kritischen, teils polemischen Spitzen der Ekloge erschließen sich zum ersten aus jenen signifikanten, weil den bukolischen Sinnhorizont des Textes sprengenden Hinweisen, die der Autor selbst dem Leser für die Deutung an die Hand gibt. Mit der durch die konkreten Ortsangaben unmißverständlich signalisierten Projektion der mythologischen Figur des Hirtensängers Daphnis in den eben verstorbenen Melanchthon, rhetorisch gesprochen eine für den Nachruf typische comparatio, erwies Streuber vor allem anderen dem toten Dichter seine Reverenz. Im Kontrast zur akademischen Gedenkrede, in der diese Facette von Melanchthons Werk im Zeichen einer Instrumentalisierung für die Vermittlung von ethischen Normen keine Rolle spielte, und anders als beim Epitaph und beim Epicedium, wo die Schilderung der Klagen Apollos und der Musen neben dem Lob der poetischen Leistung im engeren Sinne auch immer auf die Würdigung des in allen Gebieten von Kunst und Wissenschaft hochgebildeten Gelehrten abhob, konnte die Ekloge in der Spielart des Nachrufs auf Daphnis primär zum Medium der Dichterglorifizierung und -kanonisierung unter den neulateinischen humanistischen Lyrikern werden - die Gleichsetzung mit Daphnis implizierte immerhin die Auszeichnung als den bedeutendsten unter den Hirtensängem. 211 In zweiter Linie, und zwar in dem der Invektive gegen Flacius gewidmeten
211
Zur Charakterisierung von Melanchthons dichterischem Schaffen vgl. Kühlmann/Seidel/ Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1144 sowie die S. 1145f. angegebene Literatur.
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Teil von Tityrus' Gesang, sprach Streuber natürlich auch den Theologen Melanchthon an, doch darf selbst in der Bemerkung, jener könne diesem als Sänger nicht das Wasser reichen, noch die Artikulation eines Überlegenheitsgestus der Wittenberger gegenüber den poetischen Produkten der Gnesiolutheraner vermutet werden. Doch im Vordergrund des Ausfalls gegen Flacius standen selbstverständlich die theologischen Auseinandersetzungen. Der Autor gab dies klar durch die in die Jenseitsvorstellungen der Antike gekleidete Transposition Melanchthons als gerechtfertigtem Christen in den Himmel einerseits und die Verdammung des Jenensers in die Hölle auf der anderen Seite zu erkennen. 212 Bemerkenswert ist hier freilich, daß Streuber den Konflikt nicht einmal als Aufeinanderprallen von >richtiger< und >falscher< Lehrmeinung zeichnete, sondern Flacius und seinen Anhängern ausschließlich niedrige menschliche Beweggründe (Neid, Mißgunst und Geltungssucht) und ethisch verwerfliches Verhalten (verleumderische, ungerechtfertigte Angriffe und Schändung des Andenkens eines Toten) unterstellte.213 Zum Lobpreis des verstorbenen Dichters gesellte sich also im eklogischen Nachruf die rabiate Denunziation der theologischen Kontrahenten des Hingeschiedenen. Zum zweiten eröffnet aber auch Streubers spezifische Konstruktion der Kommunikationssituation innerhalb des dargestellten Hirten-Mikrokosmos interessante Perspektiven für eine Entschlüsselung der bukolisch allegorisierten zeitkritischen Bezüge. An die Stelle eines arkadischen Gemeinwesens, das von der gegenseitigen Wertschätzung seiner Mitglieder, einem einheitlichen Normenkanon und der Absenz gesellschaftlicher Konflikte getragen, allenfalls - wie in Vergils erster Ekloge - durch die Erinnerung an eine frühere Vertreibung oder die Kunde von fernem Kriegsgeschehen geringfügig belastet worden war, setzte der Autor einen inhomogenen, ja mehrfach zerrissenen sozialen Raum. Die Hirtensänger haben sich in bitter verfeindete Parteien aufgespalten, die - verkörpert im Streit um die Leitfigur Daphnis - keine gemeinsamen Wertvorstellungen mehr teilen und sich mit den niedrigsten Mitteln der Verunglimpfung bekriegen. Die Kritik an den rezenten Fehden zwischen den diversen Gruppierungen innerhalb der protestantischen Theologen ist hier ebenso deutlich wie die pointierte Stellungnahme für die Philippisten. Überdies ist die vormals idyllische bukolische Welt eminent durch ihr angehörende Individuen bedroht, welche die Bedeutung der tradierten kulturellen Normen pauschal und radikal in Frage stellen. Personifiziert erscheint diese Haltung in dem wenig wohlwollenden, unbemerkten Zuschauer Aegon. In seiner Geringschätzung gegenüber der Dichtkunst, in seiner Unfähigkeit, die Gesänge der Hirten als produktive Aneignung des literarischen Kanons (und nicht als dessen bloße Reproduktion) zu valorieren, in seiner bizarren Reduktion der Ästhetik auf körperliche Schönheit des Künstlers und auf Fleiß, in seiner abschließenden bösartigen Herabsetzung von Meliboeus und
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Zur theologischen Instrumentalisierung der Ekloge im Rahmen der innerprotestantischen Streitigkeiten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vgl. grundlegend Mündt, Musen, 2001, S. 275-287. Vgl. zur Polemik in der frühneuzeitlichen Literatur allgemein Bosbach, Feindbilder, 1992.
Tityrus entsteht - wie bei anderen Nekrolog-Autoren - das pessimistische Bild einer poesie- und bildungsfeindlichen, bloß an merkantilen Interessen orientierten, >kalten< (»gelida«) sozialen Klasse, unter deren Einfluß Wissenschaft und Kunst zunehmend in Bedrängnis geraten - nicht zuletzt wollen die beiden Hirten ja aus Rücksicht auf Aegon ihre Stimmen drosseln. Die bukolische Totenehrung mutierte somit zu einer außerordentlich düsteren, negativen Zeitdiagnose. 214
3.4.9. Nekrologische Ars-moriendi-Literatur In gänzlich andere funktions- und rezeptionsgeschichtliche Kontexte als die diversen Spielarten des Trauergedichts ist ein weiteres Genre des Nachrufs, der nekrologische Ars-moriendi-Text, einzuordnen. Die Wurzeln dieser Abhandlungen von der Kunst des Sterbens reichen bis weit in das christliche Mittelalter zurück. 215 Die ältesten Belege dafür sind bereits bei den Kirchenvätern in Zusammenhang mit der monasterischen Todeskontemplation bezeugt, seit dem 12. Jahrhundert hatten sich sukzessive die Konturen eines eigenständigen Genres abzuzeichnen begonnen, etwa in der pseudo-anselmischen Admonitio morientis sowie im Büchlein der ewigen Weisheit und im Horologium sapientiae Heinrich Seuses (ca. 1295-1366). Zu einer massenhaften Verbreitung von Ars-moriendi-Traktaten, insbesondere im Zeichen einer verstärkten praktischen Orientierung der Texte als Anweisungen für die pastorale Sterbebegleitung von Laien, war es erst im 15. Jahrhundert im Zuge der intensiven Rezeption von Johannes Gersons (eig. Jean Charlier, 1363-1429) Opus tripartitum und seiner Verarbeitung im anonymen Speculum artis bene moriendi (um 1430) gekommen. Neben der breiten Wirkung dieser Texte, auch in zahlreichen volkssprachlichen Übersetzungen, hatte eine Reihe von Abhandlungen über die Kunst des Sterbens aus der Wiener Schule zu einer weiteren Popularisierung des Genres beigetragen. Zu den konstitutiven Elementen dieser Traktate gehörten das Lob des Todes als Erlösung von den irdischen Mühen, ferner die satanischen Anfechtungen in der letzten Stunde, an den Hinscheidenden gerichtete religiöse Ermahnungen und Fragen aus der Dogmatik, Gebete sowie Verhaltensmaßregeln für die Sterbebegleiter. En miniature hatten die Ars-moriendi-Texte, zum Beispiel bei Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510), bald auch Eingang in einzelne Kapitel von Erbauungsbüchern und Teile von Predigtzyklen gefunden, deren starke Wirkung durch die Verbreitung im Buchdruck zusätzlich gefördert wurde.
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Vgl. dazu Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 1982, S. 36. Vgl. zur Geschichte der Ars-moriendi-Literatur zusammenfassend Krause/Müller, Realenzyklopädie, 1977ff., Bd. 4, S. 143-149 (Rainer Rudolf: Ars moriendi. I. Mittelalter); Bd. 4, S. 149-154 (Rudolf Mohr: Ars moriendi. II. 16.-18. Jahrhundert); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 141-143 (Nigel F. Palmer: Ars moriendi); vgl. dazu auch u.a. Beaty, Craft, 1970; Falk, Sterbebüchlein, 1890; Imhof, Ars, 1991; Klein, Bereitung, 1958; Kümmel, Tod, 1984; Mohr, Theologie, 1964, passim; Mohr, Tote, 1975; O'Connor, Art, 1966 [1942]; Resch, Wie, 2003; Rudolf, Ars, 1957; Rudolf, Ars, 1972; Steiger, Schule, 2000, Kap. IV; Stüber, Commendatio, 1976; Wagner, Ars, 1994; Wilhelm-Schaffer, Gottes, 1999, S. 150-193; Winkler, Leichenpredigt, 1967, passim; Zeller, Leichenpredigt, 1975.
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Martin Luther hatte 1519 mit seinem Sermon von der Bereytung zum Sterben inhaltlich direkt an die Ars-moriendi-Literatur des Spätmittelalters angeknüpft, 216 das Thema allerdings in bedeutsamer Weise theologisch neu akzentuiert und damit gleichzeitig den Impuls für eine unüberschaubare Zahl an späteren protestantischen Publikationen über die Kunst des Abschieds aus dieser Welt gegeben. Die Sterbestunde war von Luther nämlich als zentraler Moment in der Existenz eines Menschen vor Gott betrachtet worden. Sie hatte dem Reformator als der Augenblick gegolten, in welchem der Christ mit den >Bildern< der Anfechtung, mit Tod, Hölle, Gottes Zorn und Sünde auf der einen Seite, und ihren positiven >Gegenbildem< andererseits, mit Leben, Gnade und Himmel, konfrontiert wird - und somit seine Sündenerkenntnis und seine Buße ein letztes Mal entscheidend auf die Probe gestellt werden. In dieser ultima tentatio hat sich der Glaube eines Christen an Gottes Barmherzigkeit durch den Heiland und sein Zutrauen in die Verheißungen des Evangeliums letztgültig zu bewahrheiten. 217 Die ars moriendi war also ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil der lutherischen Rechtfertigungslehre, und die rechtzeitige Vorbereitung der Gläubigen auf ihre letzte Stunde mußte deshalb zu einem zentralen Anliegen der Pastoraltheologie werden. In den Jahrzehnten nach der Reformation entfaltete sich daher ein reiches Spektrum unterschiedlicher Genres religiöser Gebrauchstexte mit Regeln für die Einstimmung des Christen auf die letzte Stunde. Dazu zählten Handbücher für Pastoren, in denen detailliert die einzelnen Rituale kodifiziert wurden, die am Sterbebett eines Menschen von diesem selbst, seinem geistlichen Beistand und seinen Angehörigen zu vollziehen waren, vor allem aber erbauliche Traktate über die zeitgerechte Vorbereitung auf die Todesstunde, Anleitungen für eine gelungene christliche Lebensführung mit einem abschließenden Abschnitt zur Kunst des Sterbens sowie konsolatorische Gebet- und Gedichtsammlungen. 218 Nicht zuletzt wurde auch die Gattung des Nachrufs als probates Forum für die Vermittlung der Regeln der ars moriendi genutzt. Es spricht sogar einiges dafür, daß der Leichenpredigt während der frühen Neuzeit die Rolle des wichtigsten Multiplikators der Lehre von einem seligen Hinscheiden unter der breiten Bevölkerung in den protestantischen Territorien zukam. Die im abschließenden biographischen Teil dieser Texte übliche Darstellung der Sterbeszene führte den Rezipienten anhand eines konkreten Beispiels einen im Sinne der lutherischen Dogmatik gelungenen Sterbeakt und die dabei an den Entschlafenden, seinen geistlichen Beistand und seine Angehörigen gestellten Verhaltensanforderungen plastisch vor Augen (vgl. 4.4.). 219 Mit jeder Teilnahme an einem Begräbnis wurden dem Gläubigen so aufs Neue die - bei allen individuellen Differenzen in den unterschiedlichen Fällen hinsichtlich der dogmatisch und pastoraltheologisch wichtigen Punkte stets gleichen - Regeln für die
216 217 218
219
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Vgl. dazu z.B. Klein, Bereitung, 1958, S. 27-53; Lenz, Mortuis, 1990, S. 9. Vgl. dazu z.B. Resch, Wie, 2003; Wilhelm-Schaffer, Gottes, 1999, S. 194-207. Vgl. dazu ausführlich z.B. Klein, Bereitung, 1958, passim; vgl. femer zusammenfassend Althaus, Friedhof, 1948, S. 13-15 und passim, zu den am Sterbebett gesungenen Liedern vgl. S. 7-23. Vgl. Assion, Sterben, 1984; Düselder, Tod, 1999, S. 156-166.
Gestaltung seines eigenen künftigen Ablebens vorgestellt und damit immer wieder eingeprägt. Das Medium, die mündliche Kommunikation, begünstigte die Strahlkraft der Leichenpredigt als Forum für die Vermittlung der Sterbekunst zusätzlich, da sie - anders als der gedruckte Ars-moriendi-Traktat - die alitteralen Bevölkerungsteile ebenso erreichte wie die Schriftkundigen. 220 Im übrigen nahmen die protestantischen Humanisten, wie sich im Falle Melanchthons zeigt, die Darstellung eines gottgefälligen Ablebens und damit die Propagierung der Verhaltensvorschriften für die Vorbereitung auf den Tod auch in die perorationes ihrer lateinischen Gedenkreden auf. Örtel wie Heerbrand widmeten sich ausführlich den letzten Tagen und Stunden des Gelehrten, führten seine vorbildliche Ergebung in das unabwendbare, von Gott verhängte Schicksal, dem Tod nun nicht mehr entrinnen zu können, vor, protokollierten die von ihm auf dem Siechenlager gesprochenen tröstlichen Bibelverse und Gebete und deuteten sein sanftes Entschlummern als Ausweis der Errettung seiner sündigen Seele durch den Herrn 2 2 1 Die Möglichkeit einer noch viel detaillierteren Präsentation eines mustergültigen Abschieds von der Welt eröffnete eine weitere Spielart der frühneuzeitlichen Ars-moriendi-Literatur, die eigenständige nekrologisch-biographische Darstellung der letzten Lebenstage und -stunden eines Verstorbenen. Ein charakteristisches Beispiel für dieses Genre des Nachrufs ist der noch 1560 erschienene, 34 Blatt umfassende Quartband BREVIS NARRATIO
EXPONENS
PHILIPPVS MELANTHON,
QVO FINE VITAM IN TERRIS SVAM CLAVSERIT
[...]
d e r in d e r b e a r b e i t e t e n d e u t s c h s p r a c h i g e n Ü b e r s e t z u n g o f -
fenkundig beachtliche Verbreitung fand - immerhin lassen sich zum mindesten sechs zeitgenössische Auflagen in rascher Folge nachweisen. 222 Als Autoren zeichneten kollektiv die Wittenberger Professoren verantwortlich, die jeweiligen Anteile der einzelnen Kollegen und Schüler des Verstorbenen an der Ausarbeitung des Textes sind nicht bekannt, als sein Redakteur gilt der Theologe und Physikprofessor Esrom Rüdinger (1523-1591). 2 2 3 Den Anfang der Schrift bildet ein kurzes Lamento um den Toten und eine Rechtfertigung ihrer Publikation. Zum einen hätten »etliche boshafftige / hessige / vnd gifftige leute [...] von dem Abschied dieses tewren fromen Mannes [...] hessige vnd vnuerschampte wort« in Umlauf gesetzt, denen zur Ehrenrettung desselben mit einem »gründlichen vnd warhafftigen bericht« entgegengetreten werden müsse. 224 Wieder stand der Nachruf, hier die ausführliche Darstellung der Sterbeszene, also im Dienste der Polemik, allerdings einmal mehr nicht, wie nach dem Tode Luthers, dem
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Zum Zusammenhang von ars moriendi und Leichenpredigt vgl. Düselder, Tod, 2000, S. 156-166. Vgl. Melanchthon/Heerbrand/1, Bl. [H8] r -[J3] r ; Melanchthon/Örtel/2, Bl. [D6] v -[D8] r . Vgl. Melanchthon/Professoren Wittenberg/1, und die deutsche Übersetzung Melanchthon/ Professoren Wittenberg/2; vgl. die bibliographische Erfassung bei Hammer, Melanchthonforschung, Bd. 1, 1967, S. 160-163, 207; vgl. die ausführlich kommentierte Edition der lateinischen und der deutschen Fassung bei Müller, Melanchthons, 1910. Vgl. zu Rüdinger D B A Folge 1, Nr. 1062, Bl. 446 und Nr. 1064, Bl. 299-319; vgl. dazu Mahlmann, Bezeichnung, 1999, S. 161. Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. Aij v -Aiij r .
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von katholischer Seite ein höchst unwürdiger und unseliger Abschied von der Welt unterstellt worden war, der inter-, sondern der innerkonfessionellen Polemik. 225 Die Widersacher des Gelehrten konnten dessen seliges Ableben nicht zugestehen, weil damit die These seines Abweichens von der >wahren< lutherischen Lehre widerlegt worden wäre. Mit der Beschreibung von Melanchthons ruhigem und gefaßtem Sterben sollte hingegen die Richtigkeit der von ihm und den Wittenbergern vertretenen theologischen Positionen sozusagen göttlich beglaubigt werden. 226 Zum anderen hätten, so heißt es weiter, viele fromme Christen sich an die Autoren mit der Bitte gewandt, sie »wolten gern von allen dingen bericht wissen / wie es vmb seine fsc. Melanchthons] kranckheit gelegen gewest / was er geredt / wie er sich getröstet / vnd wie er endlich aus diesem jamerthal geschieden sey«.227 Hier werden deutlich die Erwartungen der Leser an die erbaulichen Funktionen des von ihnen eingeforderten Ars-moriendiTraktates erkennbar. An diese Introduktion schließt sich eine geraffte Biographie des Verstorbenen an, von der jedoch bald mit den folgenden Worten zur Darstellung seines Sterbens übergeleitet wird: Als er aber nu ein abgearbeiter Man / vnd dieses Lebens sat war / hat er sich etliche jar zum sterben gerüstet / Wie er denn auch von sich geschrieben / das er dieses Wesens müde were / vnd derhalben nun mehr seine gedancken auff ein ander leben / zu seinem lieben Herren Jhesu Christo richtet. 228
Bereits hier deuten sich einige der zentralen didaktischen Ziele der Schrift an. Melanchthon geht nicht unvorbereitet dem Tod entgegen, sondern hat sich schon über Jahre hinweg intensiv mit seinem künftigen Abschied von der Welt beschäftigt. Aufgrund der hervorgehobenen Bedeutung, die der letzten Stunde innerhalb der lutherischen Dogmatik zukommt, ist die ars vivendi demnach immer zugleich als eine ars moriendi zu begreifen: Leben heißt stetige Vorbereitung auf den Tod. Zum anderen akzeptiert der Gelehrte sein Schicksal ergeben, er wehrt sich nicht dagegen, sondern blickt mit Freude in die jenseitige Welt. Dieser Gedanke wird im Text noch häufig in den unterschiedlichsten Variationen wiederkehren. Die folgende Darstellung von Melanchthons Krankheit und Sterben präsentiert sich als bis zur Pennibilität detailgetreue Chronik seiner Handlungen, Äußerungen und - soweit von ihm mitgeteilt oder aus seinem Verhalten ablesbar - Gedanken und Empfindungen vom 7. April 1560, dem Tag des ersten Fieberanfalls, bis zu seinem Hinscheiden, wobei die Informationsdichte mit sukzessiver Annäherung an die Sterbestunde deutlich zunimmt. Reziprok dazu zeichnet der Text gleichzeitig die stetige und gegen Ende rapide Einengung des Lebenskreises, innerhalb dessen sich der kränkelnde Gelehrte eben noch zu bewegen vermag. Präzise wird protokolliert, wann
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Vgl. dazu Terlinden, Luthers, 1887, S. 9-21; vgl. auch Albrecht, Berichte, 1919; Schubart, Berichte, 1917. 226 Y g j z u r theologischen Bedeutung eines sanften Todes z.B. Wilhelm-Schaffer, Gottes, 1999, S. 184-190. 227 Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. Aiij r . 228 Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. [B7] r " v .
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Melanchthon das letzte Kollegium gelesen, das letzte Mal außer Haus geweilt, das letzte Mal am Schreibtisch gesessen, das letzte Mal sein Bett verlassen und die letzte Mahlzeit zu sich genommen hat. Der Sterbende fügt sich in mustergültiger Weise seinem Schicksal, ohne dabei aber - und auch dies ist bedeutsam für die lutherische ars moriendi - gleich völlig zu resignieren. Im Bewußtsein des nahenden Todes versucht er dennoch weiterhin seinen Aufgaben (Vorlesungen, Korrespondenzen, Korrekturlektüre von Druckfahnen) nachzukommen, soweit er dazu jeweils noch in der Lage ist. Die ars moriendi ist somit auch als eine ars vivendi zu begreifen, nämlich als getreue Erfüllung der im Diesseits auferlegten Pflichten bis zum letztmöglichen Zeitpunkt. Der chronikartige Duktus der Schrift soll gemeinsam mit einer Reihe weiterer Strategien der Authentizitätssteigerung offenkundig den unbezweifelbaren Wahrheitsgehalt aller berichteten Ereignisse besiegeln und damit, wie in der Einleitung angekündigt, sowohl den Verleumdungen der Widersacher entgegentreten als auch die erbauliche Wirkung bei den gutwilligen Lesern maximieren. Stets werden Datum und Uhrzeit der dargestellten Geschehnisse ebenso wie die dabei anwesenden Personen präzise benannt, die Krankheitsgeschichte samt den verabreichten Medikamenten genau referiert (in der lateinischen Fassung noch detaillierter als in der deutschsprachigen), die Fieberanfälle werden gezählt, die Äußerungen des Sterbenden in direkter Rede notiert, sein letztes Gebet an den Erlöser »von wort zu wort« 229 wiedergegeben. Im Dienste der Verifikation des Berichts und der Entkräftung von Idealisierungsvorwürfen schrecken die Autoren sogar vor einer ungeschminkten Darstellung intimer Details nicht zurück, zum Beispiel die Abneigung Melanchthons gegen die Verwendung des Nachttopfes, sein Widerwille gegen den Griff zwischen die Schenkel zur Erfühlung der Körpertemperatur oder das Erbrechen der verzehrten Speisen. 230 Am Ende der Schrift schließlich beglaubigen alle an der Abfassung Beteiligten deren »Warheit« mit der vollen Nennung ihrer Namen, akademischen Titel und jeweiligen Funktionen in Kirche und Universität. 231 Die Sterbeszene selbst führte den Rezipienten am idealtypischen Exempel des Reformators sämtliche Elemente eines gelungenen Übertritts von dieser Welt in jene vor. Dazu zählten unter anderem die Bitte des Hinscheidenden um und die Gewährung von Vergebung durch alle Anwesenden, das Gebet, die Verlesung von Bibelsprüchen (sie werden konkret im Text bezeichnet) und die Rezitation des Glaubensbekenntnisses, ferner der Dank an die Freunde und die Bitte an diese, Sorge für die Kinder zu tragen, nicht zuletzt die Regelung der Erbschaftsangelegenheiten. Zudem vermittelte die Schrift anhand einer knappen Schilderung von Melanchthons Aufbahrung und Beisetzung Handlungsnormen für das Verhalten beim Besuch an der Bahre eines Verstorbenen und beim Begräbnis. Die Autoren schlossen den Text mit einer neuerlichen Invektive gegen die Widersacher des toten Gelehrten und mit einer Bitte an Gott um die künftige Einheit der Kirche. Die Einübung der Gläubigen in die ars moriendi durch
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Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. [G6] r , das Gebet Bl. [G6] r -H[l] r . Vgl. Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. Eiijr~v, Fiiij r . Vgl. Melanchthon/Professoren Wittenberg/2, Bl. [J7]r~v.
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den erbaulichen Traktat bedeutete, wie sich daran einmal mehr zeigt, immer zugleich auch deren Verpflichtung auf eine spezifische theologische Position. Denn allein das Festhalten an ihr verbürgte die Gewißheit des eigenen seligen Todes. 3.4.10. Nekrologische Biographie Die Information über einzelne biographische Daten oder gar die - mehr oder weniger ausführliche - Rekapitulation der gesamten Lebensgeschichte eines Verstorbenen kennzeichneten, wie sich gezeigt hat, in unterschiedlicher Weise sämtliche Genres des Nekrologs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von der Gedenkrede über das Trauergedicht bis hin zur Darstellung der letzten Krankheit und des Sterbens eines Menschen. Nahezu jeder Nachruf präsentierte sich demnach wenigstens in Teilen zugleich als Biographie - wie auch immer sie instrumentalisiert wurde - , und es kann daher nicht verwundern, daß das Genre in seiner eigenständigen Großform, der ebenso detaillierten wie umfassenden, in die zeitgeschichtlichen Ereignisse und Prozesse eingebetteten und als Buch gedruckten Darstellung eines individuellen Lebens nach dessen Ende, innerhalb der stetig wachsenden Produktion nekrologischer Gelegenheitstexte um 1550 nur relativ selten begegnet, anders gesagt, in den meisten Fällen nur besonders prominenten Personen vorbehalten blieb. 232 Melanchthon freilich zählte zu diesen. Sein Leipziger Kollege und Freund Joachim Camerarius veröffentlichte im Jahre 1566, also sechs Jahre nach dem Ableben des Reformators, aber nach eigenem Bekunden noch immer voll Trauer über diesen Todesfall, einen mehr als vierhundert Seiten starken Oktavband mit dem Titel DE PHILIPPI MELANTHONIS ORTV, TOTIVS VITAE CVRRICVLO ET Μ ORTE
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Der Text erlebte bis
1841 insgesamt sieben Ausgaben, wurde 1571 in Auszügen von dem Philologen und Glauchaer Pastor Johannes Melas (auch Niger) 234 in griechische und lateinische Verse gegossen 235 und bildete bis ins 19. Jahrhundert die nahezu einzige Grundlage für die biographische Melanchthon-Forschung. Dem literarisch hochgebildeten Camerarius, der auch einige kürzere biographische Texte, unter anderem über Helius Eobanus Hessus, verfaßt hatte, 236 waren gewiß kanonisierte antike Prototypen des Genres von Cornelius Nepos (um 100-nach 27 v. Chr.), Plutarchos (um 50-um 125), Cor-
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Vgl. zur Geschichte der Biographie zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 13, S. 122-124 (Helmut Scheuer: Biographie); Koopmann, Biographie, 1985; Scheuer, Biographie, 1979; Ueding, Wörterbuch, 1992ff„ Bd. 2, Sp. 30-43 (H[elmut] Scheuer: Biographie); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 233-236 (Helmut Scheuer: Biographie,); zur Biographie im 16. Jahrhundert vgl. die Beiträge in Berschin, Biographie, 1993; Buck, Biographie, 1983; Mayer/Woolf, Rhetorics, 1995; Sparn, Wer, 1990; sowie Seidel, Adams, 2000. - Vgl. zur Gelehrtenbiographie ferner u. a. Bödeker, Biographie, 2003; Shortland/ Yeo, Telling, 1996. Melanchthon/Camerarius/1; vgl. dazu Wartenberg, Melanchthonbiographien, 1999, S. 18If.; Wengert, Friends, 1995; sowie Stählin, Humanismus, 1936, passim. Vgl. zu Melas DBA Folge 1, Nr. 824, Bl. 124. Vgl. Melanchthon/Melas. Vgl. Camerarius, Narratio, 2003 [1553],
nelius Tacitus (um 55-nach 116) und Gaius Suetonius Tranquillus (geb. um 70) gut bekannt. Von einer Rezeption der einschlägigen Werke der italienischen Humanisten, insbesondere Giovanni Boccaccios De casibus virorum illustrium (1356-1373) und Trattatello in laude di Dante (um 1360), ist ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit auszugehen. Nicht zuletzt dürften dem Gelehrten bei seiner Arbeit auch die Leistungen der zeitgenössischen Biographik, etwa die aktuellen Luther-Darstellungen, vor Augen gestanden haben. 237 Der Bericht über Melanchthons Leben folgt fast durchgängig der Chronologie, passagenweise wird er von einem geradezu annalistischen Duktus und Detailreichtum beherrscht. Stets erscheint - wie von der Tradition des Genres vorgegeben - die Biographie des Verstorbenen unauflöslich mit den jeweiligen zeitgeschichtlichen Ereignissen und Strömungen verwoben, - und dies bedeutete im konkreten Fall natürlich die Auseinandersetzung mit dem Verhalten des Individuums innerhalb der Reformationswirren und der innerprotestantischen Streitigkeiten seit Luthers Tod. Nur gelegentlich und am Rande befaßte der Autor sich mit dem Privatmann Melanchthon, ganz zu schweigen von dessen tieferer Persönlichkeitsstruktur. Camerarius konzentrierte sich stattdessen auf das öffentliche Wirken des Verstorbenen, die Arbeit an der Universität, die Rolle innerhalb der zeitgenössischen theologischen Konflikte und der Verhandlungen während der verschiedenen Religionsgespräche sowie die politische Gutachtertätigkeit. Individualität entsprang nicht der spezifischen Eigenwilligkeit des literarischen Werkes, der menschlichen Exzentrik oder besonderen psychischen Deformationen, sondern bemaß sich an der Fähigkeit, mit den von Gott verliehenen Talenten unter den jeweils gegebenen Bedingungen die dem einzelnen auferlegten Aufgaben und Pflichten möglichst gut, wenn auch natürlich niemals perfekt, nach der Richtschnur der theologischen Doktrin und ihres Tugendkatalogs zu erfüllen. Camerarius mußte also die schwierige Balance halten zwischen der didaktisch geleiteten Präsentation des abstrakten Ideals der virtutes eines humanistisch-protestantischen Gelehrten, femer dem Referat der konkreten lebensgeschichtlichen Daten, welche die mustergültig geglückte Verbindung von pietas und artes in der Person des >Praeceptors< exemplarisch illustrieren sollten, und nicht zuletzt dem Eingeständnis von geringfügigen Fehlern, relativ unbedeutenden menschlichen Schwächen und skurrilen Eigenheiten, welche die Glaubwürdigkeit des Berichts abzusichern hatten. Damit war dem biographischen Unternehmen aber gleichzeitig eine apologetisch-polemische Dimension eingeschrieben. Der Nachrufautor nahm - die vielen defensorischen Passagen des Textes belegen es eindrücklich - Melanchthon, so ausführlich, detailliert und vehement wie kein anderer Parentator vor ihm, vor den Angriffen der Widersacher gegen dessen Person und theologische Position in Schutz. Der Nekrolog fungierte - nicht wenige der historischen Prototypen hatten sich ja ebenfalls am genus iudiciale orientiert - einmal mehr als Verteidigungsschrift.
237
Zwar erschien die erste Gesamtdarstellung zu Luther erst 1566, doch war bereits zuvor eine Reihe von kleineren biographischen Schriften erschienen, vgl. dazu Immenköter, Engeln, 1983; Wolgast, Biographie, 1993.
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3.4.11. Nekrologische Sammelausgabe und Werkedition Als weiteres wichtiges Genre des Nachrufs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die nekrologische Sammelausgabe schon mehrfach erwähnt worden. Die Bezeichnung impliziert bereits, daß es sich dabei in der Regel nicht um eine ästhetisch homogene, von einem einzelnen Autor planvoll gestaltete Publikation mit dessen eigenen Texten, sondern um eine Kompilation von mehr oder weniger disparaten Nachrufen unterschiedlicher Provenienz handelt, die von einem oder mehreren ihrer Urheber oder gar von einem Dritten für die Veröffentlichung in Broschüren- respektive in Buchform zusammengestellt wurden. Im Gegensatz zu anderen Spielarten des Nekrologs wie etwa der Trauerrede und dem Epicedium war dieses Genre zum Zeitpunkt von Melanchthons Ableben noch eine relativ junge Form der Ehrung eines soeben Verstorbenen. Zwar waren bereits im Mittelalter immer wieder Texte zum Thema Tod in ganzen Büchern zusammengeschlossen worden, doch hatte es sich dabei nicht um Sammlungen von Nachrufen auf einen einzelnen, kürzlich hingeschiedenen Menschen, sondern zum Beispiel um Epitaphe für eine Reihe berühmter historischer Persönlichkeiten oder Kompilationen mit Trostbriefen, die anläßlich verschiedener Todesfälle entstanden waren, gehandelt. 238 Die handschriftlichen und seit der Wende zum 16. Jahrhundert gedruckten Sammlungen mit Gedenkreden italienischer Humanisten hatten sich ebenfalls auf verschiedene Personen bezogen und vor allem die Funktion der anthologischen Präsentation mustergültiger Texte des Genres als Vorlagen für die aktuelle literarische Produktion erfüllt. 239 Schließlich war auch die Zusammenstellung eines Bandes mit lyrischen Totenehrungen nach dem Vorbild der Illustrium ac clarorum aliquot virorum memoriae scripta epicedia XII von Helius Eobanus Hessus aus dem Jahre 1531 240 unter den deutschen Neulateinern zu einer beliebten Publikationsform avanciert, doch auch hierbei hatte es sich stets um Kompilationen von Nachrufen auf mehrere während der letzten Jahre verstorbene Persönlichkeiten gehandelt. Die anläßlich von Melanchthons Ableben veröffentlichten Druckschriften, welche Nekrologe eines Autors auf mehrere rezente Todesfälle, zum Beispiel von Michael Haslob auf Luther, Melanchthon, Georg Sabinus und Petrus Lotichius Secundus, 241 in sich vereinigten, waren demnach einer während der vergangenen Jahrzehnte bereits eingespielten literarischen Tradition und Publikationspraxis verpflichtet. Der Zusammenstellung einiger kürzerer Epicedien auf den Hingang eines einzelnen Menschen aus der Feder von einem oder mehreren Autoren innerhalb einer Broschüre (vgl. oben 3.4.5.) eignete gleichfalls nichts Ungewöhnliches. Diese Form der Sammelausgabe hatte sich seit der Reformation unter spezifischen symbolischen Vorzeichen (ein Kreis befreundeter Gelehrter etwa ehrte einen Verstorbenen) sowie aus pragmatischen Grün-
238
Vgl. Moos, Consolatio, 1971/1972, Bd. 1, S. 42. Vgl. McManamon, Oratory, 1989, S. 25. 240 V g l d e n Kommentar in Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1114-1121; sowie Gräßer, Epicedien-Dichtung, 1994, S. 31-125. 241 Vgl. Mündt in Lemnius, Bucolica, 1996, S. 51. 239
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den (ein vierzeiliges Epitaph konnte beispielsweise als einzelner Text nur schwerlich in Druck gegeben werden) sukzessive auf dem Feld der zunehmend an Quantität und Bedeutung gewinnenden Kasualimpressa etabliert. Die Erfassung einer großen Zahl, wenn möglich sämtlicher literarischen Reaktionen auf einen prominenten Todesfall - und zwar einschließlich derjenigen, die bereits anderweitig publiziert worden waren - im Rahmen eines repräsentativen und voluminösen Druckwerkes stellte jedoch eine ganz neue Form der Totenehrung dar. Es ist beim derzeitigen Forschungsstand nicht mit Sicherheit davon auszugehen, daß die 1562 von den Wittenberger Professoren herausgegebenen ORATIONES, EPITAPHIA ET SCRIPTA, QVAE EDITA SVNT DE MORTE Philippi Melanthonis omnia2A1 als die erste umfangreiche nekrologische Sammelausgabe, die im deutschsprachigen Raum veranstaltet wurde, zu gelten hat, doch sind bislang keine älteren vergleichbaren Veröffentlichungen namhaft gemacht worden. Die besondere Funktion dieses Bandes im Spektrum der vielfältigen nekrologischen Genres erschließt sich aus seiner Publikationsform und dem impliziten Programm. Der 284 Blatt umfassende, eng bedruckte Oktavband bietet nahezu alle der heute bekannten literarischen Reaktionen auf den Tod des Reformators, von der Todesnachricht und den Gedenkreden bis hin zu den Trauergedichten. Gerade mit dieser schier erdrückenden Masse an Würdigungen, aber auch mit der Prominenz der Beiträger, die sich verstreut aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zu Wort gemeldet hatten - die beruflichen Positionen und gegenwärtigen Wirkungsorte der einzelnen Autoren wurden in den Titeln der abgedruckten Nachrufe zumeist genau angegeben - , beglaubigten die Wittenberger Sachwalter von Melanchthons Erbe demonstrativ seine herausragende historische Bedeutung. Anders gesagt: Mit dem stattlichen Band wurde dem Verstorbenen ein bleibendes literarisches Denkmal in Buchform gesetzt. Postume Glorifizierung, Monumentalisierung und Kanonisierung bestimmten auch die Edition einzelner Werkteile oder gar der opera omnia eines Autors kurz nach seinem Tod. Diese Form der nekrologischen Ehrung eines verstorbenen Schriftstellers hatte sich bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt. Es konnte sich dabei um die Edition einer bislang ungedruckten Dichtung handeln (an die Publikation der Libri Odarum quatuor von Konrad Celtis, 1459-1508, durch seine Schüler von 1513 sei erinnert 243 ), um die Ausgabe der Briefe des Toten (etwa der Epistolarum familiarum Libri XII des Helius Eobanus Hessus von 1543 244 ) oder um eine postume Teil- oder Gesamtausgabe (zum Beispiel die Opera poetica omnia von Euricius Cordus, 1486-1535, um 1550 erschienen, die Sylvarum libri quinque des Jacobus Micyllus, eig. Jakob Moltzer, 1503-1558, von 1563 oder die Poemata des Petrus Lotichius
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Melanchthon/Professoren Wittenberg/3; vgl. die ausführliche bibliographische Erfassung aller Beiträge bei Hammer, Melanchthonforschung, Bd. 1, 1967, S. 222-225; sowie Hammer, Melanchthonforschung, Bd. 3, 1981, S. 133f.; vgl. dazu Dallett, Melanchthoniana, 1968, S. 14f. Vgl. dazu Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 922. Vgl. dazu Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1099.
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Secundus von 1564245), in jedem Fall aber sollten die jeweiligen Texte des kürzlich Verstorbenen in repräsentativer Buchform als Exempel vorbildlicher, normsetzender poetischer Produktion für die Nachwelt konserviert werden. Unter diesen Vorzeichen stand auch die Edition von Melanchthons Epigrammen durch seinen Schüler Petrus Vincentius im Jahre 1563. In der Vorrede formulierte dieser eine radikal kulturkritische Diagnose des allgemeinen Verfalls und Bedeutungsverlustes der Künste und Wissenschaften unter dem Primat eines um sich greifenden, merkantil-nutzungsorientierten Praxisdenkens. 246 Dem defensiven Gestus des Herausgebers korrelierte freilich auch ein inhärentes utopisches Moment der nekrologischen Werkausgabe. Mit seiner Edition hielt Vincentius der aktuellen Geringschätzung der humanistischen Bildung die mustergültige poetische Leistung der durch den Tod Melanchthons unwiederbringlich beendeten Vergangenheit entgegen und gab gleichzeitig künftigen Generationen das Oeuvre des Verstorbenen als normatives Ideal auf ihren Weg in eine verbesserte Zukunft mit - immer natürlich unter der Voraussetzung, daß dann die Menschheit nicht bereits durch das Jüngste Gericht untergegangen sein würde.
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Vgl. dazu Kühlmann/Seidel/Wiegand, Lyrik, 1997, S. 1084f„ 1160, 1180. Vgl. dazu Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 1982, S. 35f.
4.
Sachs, Rollenhagen und Heinrich Julius oder: Der Nachruf in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft
4.1. Amt und Dichtung im nachreformatorischen Nekrolog Hans Sachs, Georg Rollenhagen und Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg: drei Autoren der zweiten Hälfte des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts, die, wenn auch auf höchst unterschiedlichen Feldern der zeitgenössischen poetischen Produktion tätig, im Kanon der heutigen Literaturgeschichtsschreibung gleichermaßen einen herausgehobenen Rang einnehmen. Sachs (1494—1576) gilt als der vielleicht wichtigste, gewiß aber der wirkungsreichste Meistersänger,1 Rollenhagen (1542-1609) als der bedeutendste Epiker im deutschsprachigen Raum um 1600,2 Heinrich Julius (1564—1613) als einer der prononciertesten Wegbereiter des Barockdramas. 3 Freilich weisen die zeitgenössischen nekrologischen Würdigungen dieser drei Schriftstellerpersönlichkeiten - immerhin Versuche der unmittelbaren Nachwelt, ihrer Vita und ihrem Lebenswerk in umfassender Weise gerecht zu werden - nur wenige Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten mit den gegenwärtigen literarhistorischen Bewertungen auf. Dies zeigen - sieht man zuerst einmal von der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verstorbenen ab - bereits die markanten quantitativen Unterschiede zwischen den jeweiligen öffentlichen Reaktionen auf die drei Todesfälle. Zu Hans Sachs ist ein einziger, nur handschriftlich überlieferter Nachruf, ein dreiteiliges Trauergedicht des Görlitzer Schneiders, Kramladenbesitzers und Meistersängers Adam Puschmann
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Vgl. den bibliographischen Nachweis des im folgenden zitierten Nachrufs auf Sachs in 14.1.2. - Vgl. zu Sachs zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 10, S. 99-102 (Barbara Könneker); Berger, Sachs, 1994; Hahn, Sachs, 1993; vgl. ferner zu Sachs und seinem Werk u.a. Brunner/Hirschmann/Schnelbögl, Sachs, 1976; Füssel, Sachs, 1995; Müller, Poet, 1985; vgl. zur Wirkungsgeschichte Sachs' Eichler, Nachleben, 1904. - Vgl. zu den von Sachs selbst verfaßten Nachrufen Nolte, Nachruf, 1984. Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf Rollenhagen in 14.1.3. - Vgl. zu Rollenhagen zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 508f. (Wilhelm Kühlmann); Dünnhaupt, Personalbibliographie, 1990/1993, Bd. 5, S. 3476-3491; Peil, Rollenhagen, 1993; Peil, Schaubühne, 1999. Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf Heinrich Julius in 14.1.4. - Vgl. zu Heinrich Julius zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 5, S. 159f. (Richard Erich Schade); ADB, Bd. 11, S. 500-505 (Ferdinand] Spehr); NDB, Bd. 8, S. 352-354 (Albrecht Eckhardt); vgl. ferner zu Biographie und Werk u.a. Friedenthal, Herzog, 1996 [1922]; Lietzmann, Heinrich, 1993; Ludewig, Heinrich, 1833; Pfützenreiter, Heinrich, 1936; Werner, Mittelalter, 1976; Witte, Heinrich, 1990.
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( 1 5 3 2 - 1 6 0 0 ) , 4 auf uns gekommen. 5 Darüber hinaus ist zwar mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß bei der Beerdigung eine Leichenpredigt gehalten worden war, doch wurde sie von den Nachkommen offenkundig nicht in Druck gegeben. Die oratio funebris des Magdeburger Predigers Aaron Burckhart (gest. ca. 1619) auf Rollenhagen hingegen wurde noch in dessen Todesjahr publiziert, 6 daneben veranstalteten die Schüler des verstorbenen Gymnasialrektors eine schmale Sammlung mit sieben Epicedien auf sein Ableben im Umfang eines Druckbogens. 7 Der Tod von Heinrich Julius hingegen veranlaßte die Veröffentlichung einer fast unüberschaubaren Menge an Kasualimpressa, darunter acht Leichenpredigten 8 (gehalten an den Stationen des Transports des fürstlichen Sarges zwischen Prag und Wolfenbüttel 9 sowie an den wichtigsten Orten des Herzogtums), zwei akademische Gedenkreden, 1 0 zwei Gelegenheitsdrucke mit Trauergedichten, 11 eine ausführliche Darstellung des Begräbnisses 1 2 sowie die mehr als 3 0 0 Seiten umfassende nekrologische Sammelausgabe mit ORATIONES, EP1CEDIA ET PROGRAMMATA auf das Hinscheiden des Herzogs. 1 3 Allein schon diese schlichten Zahlen und Publikationsdaten werfen ein bezeichnendes Licht auf die unterschiedliche Bewertung der Bedeutung und des Rangs der drei Autoren durch die Zeitgenossen. Der Grund dafür ist allerdings nicht in einer
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Vgl. zu Puschmann Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 247 (Heinz Wittenbrink); vgl. ferner Goetze, Monographie, 1877. Sachs/Puschmann; vgl. dazu Eichler, Nachleben, 1904, S. 22f. Rollenhagen/Burckhart; der Text wird hier nach dem Nachdruck von 1717 zitiert. Rollenhagen/Schüler Magdeburg; die Sammlung enthält die Texte Rollenhagen/Siverlingus; Rollenhagen/Siegfridus; Rollenhagen/Möring; Rollenhagen/Reichius; Rollenhagen/ Custerus; Rollenhagen/Domeyer; Rollenhagen/Berlesius. Heinrich Julius/Fügespan; Heinrich Julius/Holtzmann; Heinrich Julius/Kale/2 (mit den vier lyrischen Würdigungen Heinrich Julius/Kale/1; Heinrich Julius/Kale/5; Heinrich Julius/ Kale/4; Heinrich Julius/Kale/3); Heinrich Julius/Musäus; Heinrich Julius/Reineck/Mirus; Heinrich Julius/Sattler; Heinrich Julius/Tappe; Heinrich Julius/Tuckermann. Zum feierlichen Transport der fürstlichen Leiche vgl. Lietzmann, Heinrich, 1993, S. 84. Heinrich Julius/Heidmann; Heinrich Julius/Röbichen (mit der lyrischen Würdigung Heinrich Julius/Anonym/3 sowie vier Huldigungen an den Nachfolger des Herzogs Friedrich Ulrich); zahlreiche weitere akademische Gedenkreden sind in Heinrich Julius/Anonym/4 abgedruckt. Heinrich Julius/Berckelmann; Heinrich Julius/Fabricius. Heinrich Julius/Anonym/1. Heinrich Julius/Anonym/4; die Sammlung enthält die Texte Heinrich Julius/Meibom/2; Heinrich Julius/Meibom/1; Heinrich Julius/Meibom/4; Heinrich Julius/Anonym/5; Heinrich Julius/König; Heinrich Julius/Caius/2; Heinrich Julius/Caius/1; Heinrich Julius/Eckstorm; Heinrich Julius/Petreus/1; Heinrich Julius/Petreus/2; Heinrich Julius/Scaperus; Heinrich Julius/Boethius; Heinrich Julius/Barter; Heinrich Julius/Wolf; Heinrich Julius/ Meibom/3; Heinrich Julius/Martin; Heinrich Julius/Senat Universität Helmstedt; Heinrich Julius/Diephold/2; Heinrich Julius/Diephold/3; Heinrich Julius/Diephold/1; Heinrich Julius/Berckelmann; Heinrich Julius/Prorektor und Senat Universität Helmstedt; Heinrich Julius/Heidmann; Heinrich Julius/Lotichius; Heinrich Julius/Swallenberg; Heinrich Julius/ Steinmetz/2; Heinrich Julius/Steinmetz/1; Heinrich Julius/Polyngus; Heinrich Julius/Johannes; Heinrich Julius/Zuber; Heinrich Julius/Anonym/2; Heinrich Julius/Werdenhagen; Heinrich Julius/Hildebrand; Heinrich Julius/Meibom/5.
eklatanten Differenz zwischen historischer und aktueller Anerkennung respektive Kanonisierung der Werke von Sachs, Rollenhagen und Heinrich Julius zu suchen, sondern in der für die frühe Neuzeit typischen, direkten Abhängigkeit der Gestaltung des öffentlichen Totenlobs zu einem spezifischen Trauerfall von ganz anderen Faktoren als solchen einer literarischen Lebensleistung, nämlich von der Abkunft, dem gesellschaftlichen Rang des Verstorbenen und der Qualität der Erfüllung der ihm in seinem Amt auferlegten Pflichten. Ausdrücklich, ja gar mit einer konkreten Bezifferung des Wertes von Menschen in unterschiedlichen sozialen Positionen formulierte diese Forderung nach einer vor allem standesadäquaten nekrologischen Ehrung eines Hingeschiedenen der Ascherslebener Pastor und Superintendent Johannes Fügespan in seiner Leichenpredigt für den Wolfenbütteler Fürsten, indem er festhielt, daß / wann ein solcher hoher Potentat stirbet / so sey es mehr vnd höher zu achten / als wenn sonsten zehen tausend Menschen gestorben weren 14 ,
und daraus für seinen Nachruf die Schlußfolgerung zog, daß wir grosser Herren sterben nicht obenhin ansehen sollen [...] / oder für Ohren ohne bedacht fürüber rauschen lassen / sondern was anders vnd viel grössers dabey betrachten sollen. 15
Umfang, Ausmaß und Gestaltung der publiken nekrologischen Ehrung eines verstorbenen Schriftstellers bemaßen sich im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert also fast ausschließlich an seinem gesellschaftlichen Status und seiner Stellung in der ständischen Hierarchie. Auf deren breit differenzierter Skala von Handlungsnormen wurde dem Angehörigen einer sozialen Gruppe nicht nur die Einhaltung der Kleiderordnung abverlangt, ein bestimmtes Grußverhalten abgefordert oder ein spezifischer Platz innerhalb einer öffentlichen Festivität zugewiesen, sondern auch streng zwischen den jeweils adäquaten Formen der publiken Totenehrung - und damit auch des Nachrufs - für einen städtischen Kleinbürger, einen Angehörigen der akademischen Eliten und einen Fürsten unterschieden. Einen lebhaften Eindruck von der strikt ständehierarchisch organisierten und reglementierten Zeremonie der letzten Würdigung eines Verstorbenen vermitteln zeitgenössische Darstellungen von Trauerfeierlichkeiten; 16 an den bereits erwähnten Druck mit der Beschreibung der Verordnung / Wie es mit [...] Heinrich Julij [...] Begrebniß [...] gehalten worden
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Heinrich Julius/Fügespan, Bl. C[l] v -Cij r . Heinrich Julius/Fügespan, Bl. C[l] v -Cij r . Dieses Genre des frühneuzeitlichen Funeralschrifttums im Kontext des Trauerzeremoniells ist bislang weder entsprechend bibliographisch erfaßt noch von der historiographischen Forschung adäquat gewürdigt worden, vgl. nur u.a. Bepler, Ansichten, 1995; Bepler, Trauerzeremoniell, 1993; Hawlik-van de Water, Tod, 1989; Schmidt, Tod, 2002. - Vgl. auch einige Hinweise auf Texte bei Boge/Bogner, Leichenpredigten, 1999, S. 318; zur Gestaltung von Trauerzeremonien in der frühen Neuzeit vgl. z.B. Seils, Begräbnisbräuche, 2001; vgl. an französischen Beispielen Papenheim, Erinnerung, 1992, S. 28f. und passim.
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sei exemplarisch erinnert. 17 Akribisch finden sich hier der gesamte Ablauf des Ereignisses, der Schmuck der fürstlichen Totenlade, die Namen der hochrangigen Sargträger, das in der Stufenfolge von verwandtschaftlichen Beziehungen, höfischen Ämtern und sozialen Positionen pennibel ausdifferenzierte Arrangement der Prozession, die je spezifische Kleidung der Beteiligten und die zeremoniellen sprachlichen Formeln und symbolischen Gesten der letzten Verbeugung vor dem Hingeschiedenen verzeichnet. Der Auseinandersetzung mit der individuellen schriftstellerischen Leistung eines Autors kam dabei, wie eine Sichtung der diversen literarischen Reaktionen auf das Ableben von Heinrich Julius, aber auch von Rollenhagen zeigt, gegenüber der Würdigung seiner pflichtgetreuen Erfüllung des ihm auferlegten Amtes und seiner Einhaltung des schichtenspezifisch aufgefächerten Moralkodexes nur eine marginale Rolle zu. So stand im Zentrum der Nachrufe auf den Wolfenbütteler Herzog immer wieder das Lob der von ihm mustergültig repräsentierten Tugenden eines vorbildlichen protestantischen Herrschers. Er habe den Untertanen, soweit es ihm bei den widrigen Umständen möglich gewesen sei, während seiner Regierung eine Zeit des Friedens beschert, 18 sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für die Durchsetzung der >reinen< lutherischen Lehre in seinen Landen verwendet 19 (die rigiden Maßnahmen zur Hexenverfolgung und die Vertreibung der Juden werden als Teil seiner Religionspolitik nur en passant oder in Andeutungen erwähnt, aber durchgängig positiv bewertet 20 ), er habe Kirchen erbauen oder renovieren lassen, 21 für eine gute Ausbildung der Prediger an der Helmstedter Universität gesorgt, 22 insgesamt für die Ausübung seiner mühevollen Amtsgeschäfte oft auf Schlaf verzichtet und nicht auf seine Gesundheit geachtet. 23 Er sei ferner im Essen und Trinken mäßig wie kaum ein anderer bekannter Potentat, 24 sanftmütig und gnädig gegenüber den
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Heinrich Julius/Anonym/1. Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. F[l] r ; Heinrich Julius/Musäus, Bl. Eiijr; Heinrich Julius/Sattler, Bl. [F2]v. Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. Eiij v -[E4] v ; Heinrich Julius/Reineck/Mirus, Bl. [D4] r -Eii r ; Heinrich Julius/Sattler, Bl. [F2]v; Heinrich Julius/Tappe, Bl. Diij v -[D4] v ; Heinrich Julius/Tuckermann, Bl. Eij v -Eiij r ; Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. [El] v rühmt an dem Herzog auch, daß er »allen jrrigen Secten vnd Schwermeren widrig vnnd Feind gewesen« sei. Vgl. z.B. Heinrich Julius/Sattler, Bl. [F2]r (Heinrich Julius habe »zum guten anfang [sc. seiner Regierung] / die Gottslesterliche verfluchte Juden aus ihrem gantzen Landt / ihrem HErm vnd Heylandt JEsu Christo zu ehren / mit höchstem S. F. G. Ruhm abgeschaffet [...]«), Bl. Fiijr (Heinrich Julius habe »die Vbelthäter / Zauberer [!] / Mörder / Dieb etc. mit grossem Ernst gestraffet [...]«); Heinrich Julius/Reineck/Mirus, Bl. Eiijr (Heinrich Julius habe »eine scharffe ernste Justiciam wider alle Vbelthäter administriret, vnd alle Bößheit auß dem gantzen Land außzurotten sich bemühet [...]«); zu den Juden- und Hexenverfolgungen unter Heinrich Julius vgl. Lietzmann, Heinrich, 1993, S. 14. Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. [E4] v -F[l] r ; Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. Eijv; Heinrich Julius/Reineck/Mirus, Bl. [D4] v ; Heinrich Julius/Tappe, Bl. [D4] v . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. [E4]v; Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. Eijv; Heinrich Julius/Tappe, Bl. [D4] v -E[l] r . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. F[l] r ; Heinrich Julius/Sattler, Bl. G[l] v . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. Eiij v -[E4] r ; Heinrich Julius/Musäus, Bl. Eiijr;
Untertanen, 25 mildtätig und freigiebig mit Almosen an die Armen gewesen 26 und zuletzt als bekenntnistreuer, reumütiger Christ im Vertrauen auf die Erlösung von seinen Sünden durch den Herrn entschlafen. 27 Die Würdigung von Heinrich Julius' außergewöhnlicher Gelehrsamkeit, schriftstellerischer Tätigkeit und Interesse an den schönen Künsten nahm hingegen nur einen recht geringen Raum ein, ja sie blieb durchgängig in den normativen Rahmen der klassischen Topoi des frühneuzeitlichen Herrscherlobs eingebunden. So wurden etwa in einigen Leichenpredigten die herausragenden Kenntnisse des Herzogs auf allen Gebieten der Wissenschaft anläßlich der Darstellung seines Ausbildungsganges thematisiert, also nach dem üblichen Referat der hohen fürstlichen Abkunft und vor dem Bericht über Heirat und Regierungsantritt. 28 Andere Nachrufautoren nutzten den Verweis auf Heinrich Julius' Gelehrsamkeit innerhalb des Tugendlobs als Beleg für seinen unerhörten Fleiß und seine Vermeidung des - gerade bei einem Fürsten für sein Land fatalen - Müßiggangs 29 oder als Argument für die Bekräftigung ihrer These, daß der Verstorbene sowohl bei seinen Untertanen als auch im gesamten Reich über eine »sonderliche Autoritet vnd Ansehen« verfügt habe 30 und deshalb von vielen Fürsten immer wieder um seinen juristischen Rat gebeten worden sei. 31 Freilich beschränkte sich die laudatio zumeist auf eine recht allgemeine Verbeugung vor Heinrich Julius' »hohe[m] Verstandt vnd fürtreffliche[n] Gaben des Gemüths«, 32 vor seinem »ingeni[um]« und »stetigen Fleiß vnd Vbung in guten Künsten vnd Sprachen«. 33 Wenn denn aber ein Parentator die außergewöhnlichen intellektuellen Kompetenzen des Verstorbenen einmal näherhin würdigte, wollte er sie durchweg als Voraussetzung und als Teil der vorzüglichen Amtsführung des Herzogs begriffen wissen. Der Wolfenbütteler Pfarrer Paul Musäus (gest. 1614) beispielsweise brachte dieses primär pragmatisch orientierte Konzept des Nutzens der fürstlichen Gelehrsamkeit - hier bezogen auf seine brillanten juristischen Fähigkeiten - zugespitzt mit den Worten auf den Punkt: Den[n] wir haben an S. F. G. gehabt einen gelarten / hochverstendigen Herren / der sich in wichtigen Sachen bald finden / vnd dieselbige schleunig expediren vnd verabscheiden können. 3 4
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Heinrich Julius/Sattler, Bl. G[l] v ; Heinrich Julius/Tappe, Bl. Eiij r . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. Eiij r_v ; Heinrich JuliusATappe, Bl. Eij r . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. G[l] v . Vgl. ζ. B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. Fij r_v ; Heinrich Julius/Musäus, Bl. [E4] r ; Heinrich Julius/Reineck/Mirus, Bl. [E4] v ; Heinrich Julius/Sattler, Bl. Gij r ; Heinrich Julius/Tappe, Bl. [E4] r . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. [D4] v -E[l] r ; Heinrich Julius/Sattler, Bl. F [ l ] v F2 r ; Heinrich Julius/Tappe, Bl. Diij v . Vgl. ζ. B. Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. Eiij v . Heinrich Julius/Fügespan, Bl. F[l] v . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. F[l] v ; Heinrich Julius/Tappe, Bl. E[l] r . Heinrich Julius/Tuckermann, Bl. [E4] r . Heinrich Julius/Tappe, Bl. E[l] r . Heinrich Julius/Musäus, Bl. Eiij r ; vgl. auch Heinrich Julius/Tappe, Bl. E[l] r .
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Ähnlich, aber detaillierter argumentierte der Wolfenbütteler Hofprediger Basilius Sattler (1549-1624) 35 in seiner Leichenpredigt. Heinrich Julius sei die juristische Ausbildung bei dem Rechtsstreit mit der Stadt Braunschweig zustatten gekommen, seine profunden Kenntnisse auf dem Gebiet der Theologie hätten die Grundlage für die Durchsetzung der protestantischen Lehre im Land gebildet und selbst einen Jesuiten vor einer Disputation mit dem Fürsten zurückschrecken lassen. »Jn Medicina« schließlich habe »S. F. G. [...] dermassen excellirt, [...] das sie in gefehrlichen Kranckheiten [...] Hohes vnnd Niederstandes Personen guten Rath gegeben vnd geholffen« hätten. 36 Die literarische Tätigkeit des Herzogs fand daher ebenfalls nur innerhalb der Grenzen Beachtung, die durch seine Aufgaben als Fürst abgesteckt waren. Die Autoren der Nachrufe erwähnten die lateinische Antrittsrede des Zwölfjährigen bei seiner Einsetzung zum Rektor der Universität Helmstedt, die juristischen und politischen Streitschriften, die umfangreichen Korrespondenzen in schwierigen Rechtsangelegenheiten und die Rezeptbücher.37 Man mag in den mehrfachen Verweisen der Trauerredner auf die Vorliebe des Herzogs, Gelehrte und Künstler um sich zu sammeln,38 neben dem Lob seiner Rolle als tatkräftiger Förderer der Musik, der Architektur und der Malerei39 auch einen Hinweis auf seine theatralischen Interessen und die Einladungen von Schauspielertruppen an den Hof vermuten. Explizit wurde Heinrich Julius' dramatisches Schaffen jedoch - das er zwar nicht unter seinem Namen, aber unter leicht entschlüsselbaren Pseudonymen publiziert hatte - mit keinem Wort erwähnt. Eine öffentliche Ehrung des Verstorbenen als Autor von Tragödien und gar erst von derb-drastischen Komödien hätte der Forderung nach einer standes- und amtsgemäßen nekrologischen Huldigung eines hingeschiedenen Fürsten offenkundig in krassester Weise widersprochen.40 Auch im Falle Georg Rollenhagens kam der Würdigung seines literarischen Werkes innerhalb des biographischen Teils der Leichenpredigt von Aaron Burckhart nur eine völlig untergeordnete Rolle zu. Der Redner rekapitulierte die Herkunft, den Ausbildungsweg, die Stationen des beruflichen Werdegangs des Verstorbenen, dessen Tätigkeiten als Rektor des Magdeburger Gymnasiums und als Prediger, referierte die wichtigsten Daten der privaten Lebensgeschichte, die beiden Eheschließungen, die Geburts- und zum Teil die Sterbedaten, die Namen und die gegenwärtigen sozialen Positionen der Kinder, widmete sich zuletzt ausführlich der Krankengeschichte und dem seligen Hinscheiden Rollenhagens. Als biographischen Ort für die knappe Erwähnung des poetischen Oeuvres des Toten wählte Burckhart bezeichnenderweise
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Vgl. zu Sattler DBA Folge 1, Nr. 1082, Bl. 32-37. Heinrich Julius/Sattler, Bl. F[l] v -F2 r . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Holtzmann, Bl. Eiij v ; Heinrich Julius/Sattler, Bl. F[l] v -F2 r . Vgl. z.B. Heinrich Julius/Fügespan, Bl. [E4]r; Heinrich Julius/Reineck/Mirus, Bl. Eiiv; Heinrich Julius/Tappe, Bl. E[l] r . Vgl. dazu Lietzmann, Heinrich, 1993, S. 17-28. Dies gilt bereits für dichtende Fürsten oder Adlige des Mittelalters, etwa für den Staufer Heinrich VI. oder für Oswald von Wolkenstein, dessen dichterisches Werk in den überlieferten Geschichtsquellen keine Resonanz fand.
die laudatio von dessen »Schul=Arbeit«. 41 Der Rektor habe, so der Redner, sein schwieriges Amt mit»Autoritaet« und »Ernst« versehen, und sein »herrlich geschwind Ingenium«, seine umfassende Bildung auf den Gebieten der Theologie, der Jurisprudenz, der Philosophie und der Medizin habe ihn zu einer vorbildlichen Unterrichtung der ihm anvertrauten Schüler geradezu prädestiniert. Daraufhin fuhr Burckhart mit den Worten fort: Er war ein guter Orator, Poeta, Comicus, seine Carmina, Orationes vnd gedruckte Comödien, so vorhanden, damit dieser Stadt auch nicht geringer Ruhm zugezogen, mögen davon weiter rühmen [...]. 4 2
Es folgte - in weiterer Fortsetzung des topischen Durchlaufens des traditionellen Fächerkanons - ein Lob von Rollenhagens astronomischen, astrologischen und meteorologischen Kenntnissen und Studien, mit denen er auch vielen »Adelichen und Unadelichen Persohnen« zu Diensten gewesen sei (er hatte tatsächlich auf diesen Gebieten eine umfangreiche Korrespondenz mit zahlreichen namhaften Gelehrten der Zeit geführt), und im Anschluß daran wandte sich der Prediger von der »Schul=Arbeit« des Verstorbenen zu dessen »Kirchen=Labores«. Burckhart begriff demnach die schriftstellerische Produktion Rollenhagens als Teil von dessen beruflicher Tätigkeit in der Funktion eines Gymnasiallehrers. Der Nachruf würdigte das dichterische Werk des Verstorbenen in der Öffentlichkeit insofern, als es zu den unterschiedlichen dienstlichen Aufgaben gehörte, die ihm in seinem Amt auferlegt waren. Es ist symptomatisch - und hier ist auch eine klare Parallele zur spezifischen Form der nekrologischen Würdigung von Heinrich Julius' literarischer Produktion zu sehen - , daß Burckhart gerade diejenigen poetischen Gattungen in Rollenhagens vielfältigem Werk ausdrücklich benannte, die tatsächlich in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner pädagogischen Tätigkeit standen (die auf dem Gymnasium aufgeführten Komödien sowie die Gelegenheitsreden und die Kasuallyrik), und daß er dessen Hauptwerk, das politisch-satirische Epos Der Froschmeusler (1595) dabei völlig überging. In den lateinischen Trauergedichten der Schüler wird Rollenhagen als Autor ebenfalls kaum je faßbar. Es handelt sich dabei durchgängig um relativ knappe Epicedien mit einer Länge von durchschnittlich etwa zwanzig Versen, so daß nach der einleitenden lamentatio und vor der abschließenden consolatio innerhalb des Personenlobs lediglich der Raum für die Würdigung einiger weniger herausragender Eigenschaften des Verstorbenen zur Verfügung stand. Die Autoren hoben dabei vor allem auf Rollenhagens vorbildliche Erfüllung seiner Amtspflichten als Leiter des Gymnasiums ab (so hieß es beispielsweise »Rector Magdaeburgi, qui bene cuncta regebat« 43 ), sie priesen seine pädagogischen Fähigkeiten, sein väterliches Verhältnis zu den Alumni, 44 seine Gelehrsamkeit, seinen singulären Beitrag zum großen Ruhm der Institution (etwa
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Vgl. Rollenhagen/Burckhart, S. 5 9 3 - 5 9 5 . Rollenhagen/Burckhart, S. 594. Rollenhagen/Siverlingus. Vgl. z . B . Rollenhagen/Siegfridus.
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mit den Worten »Heu perijt nostrae gloria celsa Scholae«45) und nicht zuletzt immer wieder seine pietas. Auch die von zwei Schülern gewählte Formulierung, Rollenhagen habe sie »in castra Musarum« eingeführt, 46 bezog sich gewiß viel stärker auf dessen philologischen, rhetorischen und poetischen Unterricht als auf seine eigene literarische Produktion, und das recht konventionelle Trostargument, der Verstorbene singe nun im Himmel ein Lied zur höheren Ehre Gottes,47 implizierte ebenfalls nicht unbedingt eine Verbeugung vor einem toten Dichter. Am ehesten läßt sich noch in einem Distichon des Epicediums von Johannes Möring eine Würdigung der Künstlerpersönlichkeit Rollenhagen erkennen: Fallor, an occubuit ROLLNHAGIVS arte politus, Ingenio excellens, ac [recte: an] pietatis amans
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(Ich vermag nicht zu entscheiden, ob der Rollenhagen gestorben ist, der durch seine Kunstfertigkeit geglänzt hat, derjenige, welcher durch seinen Verstand ausgezeichnet gewesen ist, oder der, welcher die Frömmigkeit geliebt hat.)
Doch selbst wenn man in der ersten der hier aufgezählten drei herausragenden Eigenschaften des Verstorbenen eine andeutungsweise Verbeugung vor dessen literarischem Oeuvre vermuten wollte, weist der Skopus der von Möring formulierten rhetorischen Frage gerade auf die Einheit von ars, ingenium und pietas im Leben und Wirken eines protestantischen Gelehrten und Pädagogen, eine Einheit, die Rollenhagen in seiner Funktion als Gymnasialrektor vorbildlich verwirklicht habe. Das vorliegende Gedicht wie auch die übrigen Epicedien der Schüler exemplifizierten demnach anhand des konkreten Trauerfalls primär die zentralen ethischen Werte für eine mustergültige Ausfüllung des Lehreramtes, und darin kam der eigenen literarischen Leistung des Verstorbenen gegenüber seiner Fähigkeit zur schulischen Vermittlung von poetischer Kunstfertigkeit als Teil einer umfassenden, auch moralisch und theologisch fundierten Ausbildung nur eine sekundäre Rolle zu. Die von Rollenhagens Schülern in ihrem nekrologischen Personenlob gesetzten Akzente verweisen gleichzeitig auf den Adressatenkreis und den kommunikativen Kontext der Epicedien-Sammlung. Während etwa die lyrischen Nachrufe auf Melanchthon vor allem im Zeichen der poetischen und poetologischen Selbstverständigung und Selbstreflexion der räumlich weit verstreuten, philippistisch gesinnten, humanistisch-protestantischen Dichtergelehrten gestanden hatten (vgl. 3.4.7.), wandte sich der Magdeburger Druck mit seinem Lobpreis der Tugenden eines mustergültigen Lehrers insbesondere an die Angehörigen der lokalen Bildungseinrichtung. Der Nekrolog fungierte als Medium der Selbstvergewisserung der Alumnen, die immerhin an einer der führenden Gelehrtenschulen im deutschsprachigen Raum studierten, sowohl über die abstrakten Ideale einer exzellenten gymnasialen Ausbildung als auch
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Rollenhagen/Domeyer. Rollenhagen/Reichius; Rollenhagen/Siverlingus. Vgl. Rollenhagen/Berlesius. Rollenhagen/Möring.
die konkrete Einlösung derselben in der von ihnen besuchten Institution vor Ort. Aus dieser Perspektive werden auch die markanten Unterschiede in der laudatio Rollenhagens zwischen den Epicedien hier und der Leichenpredigt Burckharts dort erklärlich. Der Trauerredner hatte für das bei der Beerdigung anwesende >große Publikums das heißt die aus Personen aller Stände gemischten Angehörigen, Kollegen, Freunde und Bekannten, natürlich auch die Verdienste des Verstorbenen als Lehrer zu würdigen, doch war hier das Lob des Gymnasialrektors durch die Ehrung des Predigers, des alle Unbilden des mühsamen irdischen Daseins beherzt schulternden Menschen, des frommen protestantischen Christen und des selig Dahingeschiedenen zu ergänzen. Die Abhängigkeit der spezifischen Schwerpunkte des Personenlobs, die in einem frühneuzeitlichen Nachruf gesetzt wurden, von den jeweiligen kommunikativen Rahmenbedingungen und der jeweiligen Öffentlichkeit, für die er bestimmt war, kann besonders deutlich der Vergleich der nekrologischen Würdigungen Rollenhagens und Heinrich Julius' mit dem Meisterlied des Adam Puschmann auf den Tod von Hans Sachs zeigen. 49 Bereits die dem dreiteiligen Gedicht vorangestellte Inhaltsangabe läßt die wichtigsten thematischen Akzente des Textes erkennen: Dorinnen begriffen seine [sc. Sachs'] Geburtt, leben und Ende. Auch die anzal aller seiner Geticht, die Er an Gesprechen, Spielen vnd Liedern, Geistlich vnd Weltlich, in allen seinen Büchern geschrieben. 50
In der Introduktion des Textes wiederholte Puschmann diese Ankündigung. Er wolle singen Von dem Wandel vnd Leben Herrn Hans Sachsen gar eben, Zu Nürnberg ein Poet Jn deutzscher sprach mich recht verstet, Wie sein Geticht das rümett.51
Im folgenden ersten Teil des nekrologischen Gedichts durchlief der Autor die Stationen von Sachs' Werdegang von der Geburt bis zum Tod der ersten Ehefrau. Puschmann hielt sich dabei streng an den Leitfaden der chronologischen Ordnung, so daß die Daten der privaten Lebensgeschichte (Geburt, Heirat, Kinder, seliger Tod der Gemahlin), des Ausbildungswegs (Schule, Handwerkerlehre, Wanderschaft, Anfertigung des Meisterstücks) und der schriftstellerischen Entwicklung (der erste Lehrer im Meistergesang und das erste eigene Gedicht) stets unauflöslich miteinander verwoben präsentiert erscheinen. Den zweiten Teil des Nachrufs eröffnet ein Bericht über die zweite Eheschließung. Es folgt eine ausführliche Würdigung der schriftstellerischen Lebensleistung des Verstorbenen. Alle Facetten seiner vielfäl-
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Die Traditionsbezüge vom nekrologischen Meisterlied zurück zur mittelalterlichen Sangspruchdichtung wären noch eingehend zu untersuchen, beispielsweise anhand Walthers von der Vogelweide Nachruf auf Reinmar von Hagenau. Sachs/Puschmann, S. 69. Sachs/Puschmann, S. 70.
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tigen literarischen Produktion werden aufgefächert und die Zahl der vorliegenden Werke in den jeweiligen Gattungen genau beziffert (Puschmann hielt sich dabei offenkundig an die Angaben aus der 1567 von Sachs publizierten Summa all meiner gedieht). Der zweite Abschnitt des Meisterlieds schließt mit einer Darstellung der späten Lebensjahre des Nürnbergers und seines seligen Hinscheidens. Im dritten und letzten Teil seines lyrischen Nekrologs ging Puschmann in einer fictio personae, der Wiedergabe eines eigenen Traumes, nochmals detaillierter auf die Umstände von Sachs' Ableben ein, um am Ende resümierend auf die überragende literarische Bedeutung und die gewisse jenseitige Errettung des Verstorbenen sowie seine Vorbildfunktion für ein nicht weiter spezifiziertes »wir« abzustellen.52 Der Aufbau des Nekrologs für Sachs - das chronologische Durchlaufen der Biographie, verquickt mit einem Lob der herausragenden Eigenschaften und Tugenden, zuletzt die ausführliche Darstellung des Ablebens des Hingeschiedenen - folgt also denselben dispositionellen Mustern, die auch für die Gliederung einer lateinischen Trauerelegie oder einer Gedenkrede herangezogen wurden. In das Zentrum des Totenlobs rückte hier aber die Autorpersönlichkeit. Der Schlüssel für das Verständnis der besonderen Bedeutung, die der Würdigung Sachs' als Dichter im nekrologischen Meisterlied zugebilligt, Rollenhagen und Heinrich Julius jedoch in der Leichenpredigt und im Epicedium versagt wurde, liegt nun genau in jenem kollektiven Plural am Ende von Puschmanns Gedicht. Es war weder für eine größere Trauerversammlung bei einer Bestattungs- oder Gedenkzeremonie noch für den Kreis der Schüler und Lehrer einer prominenten Ausbildungsstätte bestimmt, sondern richtete sich - die handschriftliche Überlieferungsform unterstreicht dies zusätzlich - ausschließlich an den exklusiven Kreis der Meistersänger. In dem »wir«, welches den Nachrufautor und sein fest umrissenes, eng begrenztes Publikum suggestiv Zusammenschloß, artikulierten sich das Standes- und Selbstbewußtsein wie auch das Poesieverständnis der kleinbürgerlichen städtischen Handwerker, die sich zu dichtenden und singenden Zirkeln verbunden hatten, gegenüber der literarischen Produktion der gelehrten Eliten. Der Verstorbene repräsentierte geradezu mustergültig die Werte und Normen dieser Gemeinschaft, sowohl in seinem beruflichen als auch in seinem schriftstellerischen Werdegang - Puschmann erwähnte ausdrücklich dessen ersten Lehrer, »fleißig[es]« Studium der »Tabulathur«, geringfügige Kenntnisse der »Lateinisch sprach« und vor allem die intensive Arbeit an einer volkssprachlichen Literatur.53 Sachs konnte damit im Nekrolog zum idealen Vorbild eines Meistersängers stilisiert werden, der innerhalb wie außerhalb der dichtenden Handwerkerkreise als »Sinnreich[er] Scribent« und »Teutschfer] Poet berümpt« 54 geworden war. Freilich korrespondierte dieser selbstbewußten Konstruktion einer Identifikationsfigur auch ein gewisser defensiver Gestus gegenüber der zeitgenössischen gelehrten Dichtungspraxis. An gleich zwei besonders markanten Stellen seines Nachrufs, am Ende des mittleren und am Schluß des letzten Teils, hob Puschmann hervor, daß die
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Sachs/Puschmann, S. 78. Sachs/Puschmann, S. 70f. Sachs/Puschmann, S. 78.
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literarische Produktion des Schusters im Dienste von »Trost vnd Lob dem nechsten sein« sowie von Gottes »lob und Ehr« gestanden habe, »on Argelisten Geistreich« und »on spott« gewesen sei, und daß der Herr ihn gerade »[v]on wegen seins tichten« im Jenseits erretten werde. 55 Das dichterische Schaffen eines Handwerkers, wenn es denn den Ansprüchen der christlichen Ethik und der protestantischen Theologie gehorchte, wurde mithin im Nachruf emphatisch verteidigt und legitimiert als ein dem Gemeinwesen nützliches und Gott wohlgefälliges Werk. Der Verzicht der Leichenredner des frühen 17. Jahrhunderts auf eine eingehende oder gar schwerpunktmäßige Würdigung der literarischen Leistung eines verstorbenen Schriftstellers und die primäre Ausrichtung des Personenlobs in der breiteren Öffentlichkeit an einem schichten- und amtsspezifisch differenzierten Normenkatalog mußte im übrigen den Historiographen späterer Jahrhunderte im Zeichen von Genieästhetik und Dichterkult zwangsläufig weitgehend unverständlich bleiben. Ein symptomatisches Beispiel dafür stellt Wilhelm Raabes (1831-19 1 0) 56 Erzählung Eine Grabrede aus dem Jahre 1609ίΊ dar, eine 1861/62 entstandene, 1863 erstmals in der Wiesbadener Zeitschrift Die Maje publizierte Kontrafaktur von Burckharts Trauersermon auf Rollenhagen. Der Realist arrangierte seinen Text als Montage aus zahlreichen, teils sehr ausführlichen, wörtlich der frühneuzeitlichen Vorlage entnommenen Zitaten - sie summieren sich zu mehr als der Hälfte des gesamten Textumfanges - , ferner aus einer Reihe von Paraphrasen einzelner Passagen der Leichenpredigt durch den Erzähler, aus einigen narrativen Ergänzungen und Kommentaren desselben sowie mehreren Auszügen aus dem Froschmeusler. Raabe lehnte sich bei der Gestaltung der von ihm selbst verfaßten Textteile durch den Rückgriff auf eine altertümelnde Lexik und die Verwendung antiquierter syntaktischer Formen eng an den sprachlichen Duktus des Prätextes an, er hypostasierte also ein historisches Erzählersubjekt. Gleichzeitig jedoch unterlief er die Vorlage durch leise, allerdings unüberhörbare Ironisierungen und durch die ausdrückliche Monierung von inhaltlichen Defiziten des Leichensermons (etwa mit Bemerkungen wie »Der Prediger Aaron Burkhart sagt freilich darüber nichts; aber ich weiß ganz gewiß, daß [.. ,]« 58 ). Diese spezifische narrative Konstruktion erlaubte es Raabe, zum einen den Trauerredner im >Original-Ton< als Vertreter einer >typisch barocken< Weltsicht, welcher das irdische Leben als einziges Jammertal gegolten hatte, selbst zu Wort kommen zu lassen, diese Position zum anderen jedoch mit einem - vorgeblich ebenfalls historisch-authentischen - Gegenentwurf des Erzählers zu konterkarieren.
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Sachs/Puschmann, S. 7 4 und 78. Vgl. zu Raabe zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 2 5 7 - 2 5 9 (Ulrike Koller); vgl. ferner die Monographien Denkler, Raabe, 1989; Fuld, Raabe, 1993; Studnitz, Raabe, 1989; zu Raabes historischen Erzählungen und Romanen vgl. u.a. die neueren Arbeiten Bertschik, Maulwurfsarchäologie, 1995; Detering, Theodizee, 1990; Vorm weg, Raabe, 1993. Raabe, Grabrede, 1974, zur Entstehung vgl. den Kommentar S. 430; nicht berücksichtigt wird der Text bei Hillienhof, Friedhofsmotiv, 1969. Raabe, Grabrede, 1974, S. 62.
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Raabe projizierte mit der demonstrativen Umdeutung von Burckharts Nachruf insbesondere das Dichterbild seiner eigenen Zeit in die Biographie eines Autors an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Er titulierte Rollenhagen durchgängig als »Dichter«, »Poeten«, »Sänger« und »Gelehrten« und würdigte ihn in einem ausführlich vom nekrologischen Prätext digredierenden Exkurs als »Verfasser des Froschmeuslers«.59 Die Studienjahre werden zum Idyll eines »fröhlich frischefn] Wanderlebenfs]«60 stilisiert, in dem »die Quellen der Jugendlust [...] rauschen und sprudeln«61 und - eine markante Spitze gegen die spätere berufliche Tätigkeit Rollenhagens - ein »guter Genius [...] über dem Knaben [...] wacht [...], daß er nicht auf den Schulbänken verkümmere.«62 Das künftige literarische Werk, so der Erzähler weiter, verdankte sich primär der Verarbeitung dieser Eindrücke des studentischen Vagantendaseins und des damit einhergehenden Erlebnisses der Naturschönheiten: Wir sehen den fahrenden Schüler, wie er jetzt langsam die baumlose Landstraße entlang in der Sonnenhitze daherschleicht; wir sehen ihn, wie ihn das Unwetter unter das Dach des Bauern, in die Hütte des Waldwärters, in das Pfarrhaus treibt; wir stellen ihn uns vor, wie er im grünen Schatten liegend einen heißen Mittag und Nachmittag verträumt und im Traum Zwiesprach hält mit Baum, Busch und Getier, Zwiesprach, welche er nachher in seinem Froschmeusler so vortrefflich in kurzweiligen Reimen aufschreibt.63
Raabe bemaß die herausragende literarhistorische Bedeutung dieses Werkes - er bezeichnete Rollenhagen immerhin als Dichter, der aufgrund dieser poetischen Leistung niemals begraben werden würde 64 - demnach an den Kategorien eines erlebnis- und genieästhetisch fundierten Konzepts von Dichtkunst, demgegenüber die politischen Bezüge des Textes wie auch der Anspruch einer imitatio des antiken Kanons in deutscher Sprache zweitrangig erscheinen mußten. Das »frische Wehen der Gegenwart«,65 das den Erzähler am Froschmeusler fesselt, meint nicht dessen zeitkritischen Sinnhorizont, sondern die poetische Inspiration des jugendlich begeisterten Schriftstellers durch die Eindrücke der Natur, und diese werden wiederum polemisch gegen das überkommene, in der Schule gelehrte Wissen von der Alten Welt ausgespielt. Rollenhagen habe, so Raabe, während seiner Studienzeit »[a]us der alten Philosophen Sprüchen, der Geschichtsschreiber Lehren, der Poeten Bildern und Gleichnissen [...] nicht bloß Partikeln und Satzkonstruktionen [... gejfischt«, sondern »die feurige junge Sonne, die durch die Fenster strahlt«, habe ihm »den Pfad der Gelahrtheit [...] erhellt«, »ihm den Schulstaub zu Sonnenstaub [...] verwandelt«. 66
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Raabe, Grabrede, 1974, u.a. S. 61, 64 und 82f., zum Froschmeusler Raabe, Grabrede, 1974, S. 67. Raabe, Grabrede, 1974, S. 70. Raabe, Grabrede, 1974, S. 69. Raabe, Grabrede, 1974, S. 67. Vgl. Raabe, Grabrede, 1974, S. 82. Raabe, Grabrede, 1974, S. 69. Raabe, Grabrede, 1974, S. 69.
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vgl. S. 70-72.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht zuletzt bezeichnend, daß die Erzählung hauptsächlich im ersten, der Jugend Rollenhagens und dem Froschmeusler gewidmeten Teil sich immer wieder von ihrer frühneuzeitlichen Vorlage löst, hingegen der zweite, mit dem Beruf und der familiären Biographie des Erwachsenen befaßte Teil fast zur Gänze aus weitgehend unkommentierten Passagen von Burckharts Leichenpredigt besteht. In der düsteren Beschreibung der Mühen des Schulamtes, der Sorgen des Hausvaters Rollenhagen um die Erhaltung der Familie und der zeitlebens sehr bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse erkannte Raabe offenkundig eine ebenso aktuelle wie zutreffende Diagnose der gängigen sozialen Rahmenbedingungen einer Schriftstellerexistenz im 19. Jahrhundert. Bei dieser Deutung seiner Vorlage übersah er freilich, daß Burckhart mit seiner Darstellung des arbeitsreichen und kummervollen Lebensweges des Verstorbenen keineswegs dessen hartes Schicksal beklagt, sondern umgekehrt dessen Diensteifer, unverbrüchliche ethische Standfestigkeit und Glaubenstreue innerhalb der jämmerlichen, durch und durch der Sünde verfallenen diesseitigen Welt gelobt hatte. Die Biographie des erwachsenen Rollenhagen, die Raabe als eine weitgehend gescheiterte betrachtete, weil unter der Last des Magdeburger Rektorats und der Verantwortung für die Familie seine Kreativität auf dem Gebiet einer >reinenzierliche< Komposition des Textes, in den Worten des Nekrolog-Autors »der Zungen List / I Der Reden Höffligkeit / der Feder Kunst«. 62 Er bemaß daher die Qualität eines literarischen Werkes nicht allein anhand von Kategorien des docere - etwa der Aufbereitung physikalischen Wissens im Lehrgedicht - und des prodesse - beispielsweise der Spendung von Trost im geistlichen Lied - , sondern betonte auch die Bedeutung des delectare der Rezipienten an literarischen Texten - und damit des geschickten Einsatzes der rhetorischen Gestaltungsmittel für die Erregung der Affekte bei den Lesern. »Poeten können dich«, so hielt er fest, »bald froh bald trawrig machen /1 Bald must du heulen vnd bald wiedrumb frölich lachen«, ja die »süsse[n] Verß'« seien sogar in der Lage, ein »verstocktfes ...] Jungfräwliches Hertz'« zu erweichen. 63 Die hohe Würde der Aufgaben, welche Rist der Dichtung übertrug, und die außerordentliche Macht, die er literarischen Texten über die Emotionen ihrer Rezipienten zuschrieb, mußten konsequenterweise in der Forderung nach einer symbolisch wie auch materiell herausgehobenen Position des Autors innerhalb der gesellschaftlichen
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Opitz/Rist, Opitz/Rist, Opitz/Rist, Opitz/Rist,
Bl. Bl. Bl. Bl.
D[l] r . Dijr. Dijv. Dijr"v.
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Hierarchie weitergedacht werden. Die Dignität der sozialen Funktion von Schriftstellern habe, so bekräftigte der Parentator den von ihm formulierten Anspruch in einem neuerlichen Exkurs mit einem historischen Argument, viel Könige zu jederzeit bewogen / Daß sie Poeten stets an jhren Hoff gezogen / Vnd sie mit Ehr' vnd Gut (wie sie dan[n] werth) begabt [...]. 6 4
Es folgt eine lange Liste von kanonisierten Dichtern der antiken und der humanistischen Literatur, darunter Homer, Euripides (ca. 480-406 v. Chr.), Vergil, Petrarca und Bembo, welche alle von Regenten und fürstlichen Gönnern sowohl hoch dekoriert als auch mit hinreichenden finanziellen Mitteln für die Subsistenz ihres Poetendaseins ausgestattet worden seien. Die im zeitgenössischen Sozialsystem üblichen Rahmenbedingungen des Schreibens - die Anstellung in einem öffentlichen Amt, dessen vielfältigen Verpflichtungen die seltenen Mußestunden für die Produktion gelehrter Poesie abgepreßt werden mußten - würden somit weder dem hehren gesellschaftlichen Auftrag eines gegenwärtigen deutschsprachigen Literaten gerecht noch entsprächen sie dem historisch bereits erfolgreich erprobten Modell einer durch fürstliches Mäzenatentum gesicherten Dichterexistenz. Der Autor solle stattdessen eine seiner Würde adäquate Rolle am Hof einnehmen. Als einzigen, aber durchaus gerechten Tribut und Dank des Schriftstellers an seinen herrscherlichen Gönner betrachtete Rist die Verherrlichung und damit Memorialisierung desselben im Gelegenheitstext: Ο recht vnd wol gethan / daß hochgeborae Fürsten Sich derer nehmen an / die nur nach Weißheit dürsten Vnd solcher Herren thun verkündigen der Welt Viel weiter / als die Sonn' hat jhren Lauf gestelt! Ja / was kan bessers seyn / als das verlohrne Leben Wenn man vermodert ist / den Helden wieder geben Durch die geschickte Hand? Poeten sinds allein Durch welche sie so gar vnsterblich können seyn. 65
An dieser Stelle wandte sich der Parentator wieder dem eigentlichen Gegenstand seines Textes, dem nekrologischen Lob Opitz' zu. Nun galt es zu zeigen, daß der Verstorbene nicht allein den Grundstein für die sprachliche und metrische Erneuerung der deutschsprachigen Literatur gelegt, sondern auch das neue Ideal eines von fürstlichen Gönnern dekorierten und geförderten Poeten repräsentiert hatte: Ein solcher Mann bist du / Herr Opitz / auch gewesen / Drumb / wird ein kluger Geist / diß mein Gedichte lesen; So weiß ich / daß er muß bekennen rund vnd frey / Daß alles diß mit Recht von dir zu rühmen sey. [...] Du Redner / du Poet / du Himmels=Freund / du Singer /
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Opitz/Rist, Bl. Dijv. Opitz/Rist, Bl. Diijr"v.
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Du Künstler / du Jurist / du Sprachen Wiederbringer / Du Schreiber der Geschieht' / an dir ist vmb vnd an Nur lauter Wissenschafft / drum[b] hat dich jederman / Vorauß der Fürsten Volck in seine Gunst genommen [...]. 6 6
Im folgenden zählte Rist, beginnend bei Opitz' Nobilitierung am Wiener Hof, die wichtigsten Herrscher und Adelsfamilien auf, von denen dem Verstorbenen »Gnad« und »Gewogenheit« aufgrund seiner dichterischen Leistungen »bezeuget« worden seien, ohne dabei diese Wertschätzung von Kriterien von »Geblüt' und Stamm« abhängig zu machen. 67 Die weltlichen Fürsten seien, so sah der Parentator sein Ideal von der hohen gesellschaftlichen Anerkennung eines bedeutenden Autors im Falle Opitz' realisiert, als Freunde und Förderer von Kunst und Wissenschaft dem »grosse[n] Fürstfen] vnd Meister der Poeten« 68 sozusagen >in gleicher Augenhöhe< gegenübergetreten. 69 Genau genommen war damit freilich nur der eine Teil von Rists Forderung nach herrscherlicher Gratifikation dichterischer Größe, nämlich die »Ehr'«, die würdige Dekoration des Literaten eingelöst. Die >Begabung< des Hingeschiedenen mit »Gut«, die finanzielle Honorierung des Verstorbenen aufgrund seiner poetischen Verdienste konnte der Nachrufautor hingegen ehrlicherweise nicht berichten. Anspruch und Wirklichkeit klafften demnach weit auseinander, obwohl Rist behauptet hatte, sie seien gerade bei Opitz in exemplarischer Weise miteinander versöhnt worden. Man mag hier das gängige Klischee vom heuchlerischen, verlogenen Nachruf bestätigt sehen. Doch gilt es zu bedenken, daß die implizite Vertuschung der Tatsache, daß der Verstorbene von seinen Gönnern vor allem der diplomatischen und juristischen Dienste wegen - und keineswegs um der mäzenatischen Förderung seines literarischen Werkes willen - materiell unterstützt worden war, gewiß nicht einfach in der Absicht nekrologischer Schönfärberei und postumer Verbrämung gründete. Rist nützte den Nachruf für die Präsentation eines neuen Ideals von fürstlich gratifizierter Autorschaft, und er nahm dabei, um die Realisierbarkeit seines Programms durch die beglaubigende Kraft des (vorgeblich) Faktischen zu unterstreichen, eine wenigstens partielle Geschichtsklitterung in Kauf. Offen muß die Frage bleiben, ob und inwiefern Rist mit der im Nachruf verkündigten Forderung nach einer tatkräftigen Alimentierung der erneuerten einheimischen Dichtung durch den herrschenden Adel auch eigene Wunschvorstellungen bezüglich der Bedingungen seines künftigen literarischen Schaffens öffentlich zum Ausdruck brachte. Immerhin entsprach seine soziale Stellung als Pastor im Flecken Wedel ziemlich genau dem Bild eines humanistisch-protestantischen Gelehrtendaseins in einem öffentlichen Amt, das er als überholt und als der Würde eines deutschen Po-
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Opitz/Rist, Bl. Diij v . Opitz/Rist, Bl. Diij v -[D4] r . Opitz/Rist, Bl. Ciij v . Vgl. ζ. B. Opitz/Rist, Bl. [D4] v die Formulierung, daß »vnser Teutsches Reich mit Frewden hat gesehn I Dich / Opitz / edler Freund / bey manchem Fürsten stehn.« - Vgl. dazu allgemein Grimm, Literatur, 1983, S. 134f. und passim.
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eten nicht angemessen verworfen hatte. Wollte man die Frage, ob Rist mit dem im Trauergedicht formulierten Programm auch den kühnen Anspruch auf eine höhere fürstliche Förderung seiner eigenen dichterischen Leistungen erhob, verneinen, so sollte Bescheidenheit gewiß nicht als Argument für diese These ins Treffen geführt werden. Zwar hob der Holsteiner immer wieder demonstrativ hervor, daß er lediglich »ein Kind vnd armer Schüler« des Verstorbenen,70 ja eigentlich »zu schlecht« sei, um den Toten adäquat im Nachruf würdigen zu können. 71 Doch artikulierte er auf der anderen Seite mehrfach ein von großem Stolz auf sein bisheriges literarisches Oeuvre getragenes Selbstbewußtsein als einer der wichtigsten Autoren deutscher Zunge nach der opitzschen Reform. So >verewigte< er - mit einem Kalauer, der wohl nicht nur auf heutige Leser recht eitel wirkt - den eigenen Namen im Reim des letzten Verspaares seines Nachrufs (»Es preiset dich [sc. Opitz] dein RIST, I So lang ein Tröpflein Bluts vnd Odem in jhm ist«72) und empfahl seinem Publikum in der Vorrede und im Stellenkommentar immer wieder dringlich die weiterführende Lektüre seiner übrigen Veröffentlichungen.73 Die nekrologische Würdigung des Schriftstellerkollegen eröffnete dem Autor des Trauergedichts, der seine literarische Bedeutung durchaus >fühlteklassischen< Form des Totenlobs waren inzwischen gänzlich neue Spielarten des ausführlichen poetischen Nachrufs getreten, die keine direkten Nachahmungen der humanistischen Vorbilder mehr darstellten. Die deutsche Dichtung hatte also nicht bloß zu einem ästhetisch gleichrangigen Äquivalent der neulateinischen Poesie avancieren können, vielmehr hatte die Aneignung und praktische Weiterführung der opitzschen Reform eine Eigendynamik in der nationalsprachlichen Literaturproduktion initiiert, innerhalb deren die Autoren innovativ nach neuen poetischen Gestaltungsweisen abseits der Vorgaben der Tradition suchten. Ein signifikantes Beispiel dafür stellt das Trauergedicht des Breslauer Juristen und Schriftstellers Daniel Casper von Lohenstein 15 auf das Ableben Gryphius' dar. 16 Die metrische Form des Textes, vierzig sechszeilige Alexandrinerstrophen im Reimschema ababcc, ist im lyrischen Totenlob des 17. Jahrhunderts nicht gänzlich ungebräuchlich, allerdings auch nicht allzu häufig anzutreffen. Inhaltlich freilich sprengt beinahe die gesamte erste Hälfte des Gedichts alle Konventionen des zeitgenössischen Nachrufpoems. Das Thema dieser sechzehn Strophen wird im Auftakt durch ein rhetorisches Frage-Antwort-Spiel vorgegeben:
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Die Gedenkausgabe enthält darüber hinaus auch ein fünfzehn Zeilen umfassendes griechisches Trauergedicht, vgl. Gryphius/Gryphius/2. Vgl. ζ. B. Gryphius/Fhelavius; Gryphius/Held; Gryphius/Jeltsch; Gryphius/Nassau/3; Gryphius/Weiss. Vgl. z . B . Gryphius/Stosch/2. Vgl. z . B . Gryphius/Gryphius/1; Gryphius/Rampold; Gryphius/Rappolt; Gryphius/Röber; Gryphius/Titz; Gryphius/Winckler; vgl. auch das laudative Nachrufgedicht mit kurzer abschließender consolatio Gryphius/Nassau/4. Vgl. z . B . Gryphius/Backer. Vgl. z . B . Gryphius/Francus. Vgl. Gryphius/Gerlach; Gryphius/Gigas/2; vgl. femer die als eigenständige Publikation erschienene Elegie Gryphius/Lindner. Vgl. zu Lohenstein Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 7, S. 3 3 6 - 3 3 9 (Volker Meid); sowie Spellerberg, Lohenstein, 1984. Gryphius/Lohenstein, vgl. dazu Mannack, Gryphius, 1986, S. 7 3 - 7 5 .
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WOhin hat sich der Geist des Menschen nicht geschwungen? Die kleine Welt reicht hin / wie weit die Grosse gräntzt.17
Der Parentator schickt sich also an, im Trauergedicht die These zu belegen, daß der Mensch aufgrund seiner intellektuellen Kompetenzen in der Lage sei, den Makrokosmos der gesamten Schöpfung im Mikrokosmos seiner Vernunft zu erfassen. Folgerichtig durchläuft Lohenstein nun - ohne einen einzigen direkten Bezug zum äußeren Anlaß des Nekrologs - den Kanon der zeitgenössischen artes et scientiae, um die erstaunlichen Fähigkeiten des Geistes bei der Erforschung und wissenschaftlichen Durchdringung aller irdischen Phänomene zu preisen, ja die herausgehobene Position des Menschen als »Herr der Welt«, als »Meister der Natur« zu beweisen.18 Bedeutende Erfindungen und technische Meisterleistungen, etwa auf den Gebieten des Schiffbaus und der Architektur, eröffnen den Reigen, es folgt die Würdigung diverser Künste und Wissenschaften, unter anderem der Historiographie, der Dichtung, der Rhetorik, der Geographie, der Astronomie und der Medizin, und zum krönenden Abschluß verbeugt das lyrische Ich sich vor der Theologie als Königin aller akademischen Disziplinen. Im Dienste des Lobs der verschiedenen Teilgebiete des Wissens und der größten menschlichen Errungenschaften verwandte Lohenstein zahlreiche amplifizierende rhetorische Strategien, unter anderem hyperbolische Metaphern, Steigerungen, Worthäufungen und exclamationes, beschrieb einzelne Artefakte mit erlesenen, dichtersprachlichen Wörtern und Bildern, nannte exemplarisch immer wieder bedeutende Gelehrte, etwa Archimedes (ca. 285-212 v. Chr.) oder Galileo Galilei (1564-1642). Erst in der siebzehnten Strophe richtete der Autor die Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Gegenstand seines Nachrufs, den Verstorbenen - und deutete dabei gleichzeitig den argumentativen Fokus der vorangegangenen Apologie der Leistungen des menschlichen Geistes an: Herrn Gryphens Seele war ein Muster solcher Geister / Ein Bild / wie hoch der Sinn des Menschen klimmen kan; Ja da meist einer dort nur spielt in einem Meister / So griff Herr Gryphens doch sich fast in allem an / Hielt für gelehrt=sein nicht / in einem etwas wissen / Jn vielem etwas nur / in einem alles wissen. 19
Lohenstein wollte den Verblichenen in seinem Nekrolog mithin nicht als Fach-, sondern als Universalgelehrten zeichnen, und das von ihm in der überaus umfangreichen Einleitung skizzierte Pandämonium menschlicher Künste und Wissenschaften war die Beschreibung des gewaltigen, selbst durch die Mittel einer rhetorisch höchst übersteigerten Poesie kaum zu erfassenden Mikrokosmos eines herausragenden menschlichen Geistes gewesen, eine Beschreibung, die es nun konkret auf Gryphius
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Gryphius/Lohenstein, S. 66. Gryphius/Lohenstein, S. 67. Gryphius/Lohenstein, S. 70.
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zu applizieren galt. Die folgenden zehn Strophen sind daher dem Lob der künstlerischen und wissenschaftlichen Talente und Verdienste des Verblichenen gewidmet. An den Anfang stellte der Parentator dabei dessen rhetorische Fähigkeiten: Wer reden ihn gehört / der hat ihn donnern hören; Die Honig Zunge war mit Stacheln außgerüst / Der Zentner=Worte trieb erfüllt mit klugen Lehren / Der ernsten Sitten Arth mit Anmuth angesüst. Rom rühmt den Tullius / Demosthenen die Griechen / Er that es beyden gleich / sind sie ihm nicht gewichen. 20
Weitere Schwerpunkte der Würdigung liegen auf der hohen Bedeutung von Gryphius' literarischem Werk, seinen ausgebreiteten Sprachkenntnissen, seiner großen Bildung auf dem Feld der Naturwissenschaften und bei der mustergültigen Führung seines juristischen Amtes. Wie bereits im letzten Zitat erkennbar, findet dabei die Überschwenglichkeit des Personenlobs durchgängig ihren adäquaten sprachlichen Ausdruck in der prächtigen stilistischen Durchgestaltung des Textes. Besonders gerne griff Lohenstein einerseits zu gewagten Metaphern und neologischen Komposita. Auf der anderen Seite bediente er sich immer wieder der im Nachruf häufig eingesetzten rhetorischen Strategie der comparatio des Hingeschiedenen mit kanonisierten Persönlichkeiten. Selbstverständlicher Teil dieser hyperbolischen nekrologischen Ehrung war es, an einzelnen Stellen auch die Grenze hin zum Kuriosen, Extravaganten oder gar Abstrusen zu überschreiten. Wenn der »gröste Theil« der Komödien des Publius Terentius Afer (ca. 190-159 v. Chr.), so heißt es hier etwa, »im Meer« davongeschwommen wäre, würde nun »[d]urch Gryphens Lust=Spiel' [...] der Verlust ersetzt.« 21 Nach der Würdigung der Verdienste des Dichters »in seinem Ampt« beendete Lohenstein mit dem schmerzlichen Ausruf »Ach! aber Ach« abrupt seine geradezu hymnische Verbeugung vor dem Verstorbenen und leitete zu einer - nicht weniger pathetischen - Totenklage über. 22 Die folgenden, dem Leid um den Verblichenen gewidmeten Strophen sind typisch für das Zusammenspiel von traditionellen, dem humanistischen Epicedium verpflichteten und jüngeren innovatorischen Elementen in der nationalsprachlichen Nachruflyrik der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Natürlich bediente sich der Autor weidlich der gängigen Textherstellungs- und -gestaltungsmuster, die weiterhin ungebrochen für die Produktion von nekrologischer Kasualpoesie in lateinischer wie deutscher Sprache aufgegriffen wurden. Er verließ sich auf die bewährten Strategien für die Erregung des Affekts der Trauer, unter anderem auf exclamationes, Interjektionen und Reihen von rhetorischen Fragen nach der Notwendigkeit und Unabänderlichkeit von Gryphius' Ableben. Er schöpfte aus dem gängigen motivischen Reservoir für die Totenklage, verwies auf die Unerbittlichkeit des Thanatos, das unvermeidliche Hinscheiden auch der bedeutendsten Menschen und
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Gryphius/Lohenstein, S. 70. Gryphius/Lohenstein, S. 71. Gryphius/Lohenstein, S. 73.
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die Hilflosigkeit des Arztes im Angesicht der letzten Krankheit. Auf der anderen Seite trug Lohenstein sein Lamento im Kleide einer stilistischen und argumentativen Raffinesse vor, die den lateinischen wie den volkssprachlichen Elogen auf den verstorbenen Opitz noch fremd gewesen war. Er glänzte mit Wortspielen, verwegenen Bildern, kühnen Wort- und Metaphernketten und mit der Konstruktion weithergeholter, gelehrter Bezüge, beispielsweise zu dem portugiesischen Seefahrer Fernäo Magellan (ca. 1480-1521). Vor allem aber ist die übliche Affekttektonik nekrologischer Texte völlig aus den Fugen geraten. Erst im letzten Drittel des Trauergedichts hebt die lamentatio an, nachdem ihr eine großangelegte, abstrakte Würdigung des menschlichen Geistes und eine ausführliche laudatio des Verblichenen vorangegangen sind, und lediglich die consolatio kann ihre vertraute Stellung am Ende des Nachrufs behaupten. Im tröstlichen Schlußteil des Textes vertraute Lohenstein wiederum den bekannten Topoi des christlichen Totenlobs für die Kalmierung des Schmerzes der Hinterbliebenen um den Verstorbenen. Er verwies sowohl auf die Unvergänglichkeit von Gryphius' irdischem Ruhm als auch auf die - durch dessen Frömmigkeit indizierte - Gewißheit der jenseitigen Erlösung. Doch einmal mehr trug der Parentator diese Botschaft mit den brillanten Mitteln seiner sprachlichen und rhetorischen Kunstfertigkeit vor, schwelgte in Bildern der Verwesung des Leibes des Hingeschiedenen und in Vorstellungen von dessen Glückseligkeit im Himmelreich. Ausdrücklich bezog sich Lohenstein dabei auf die Kirchhoffs Reyme (Gedancken / Vber den Kirchhoff vnd Ruhestädte der Verstorbenen, 1657), da Gryphius »im faulfen] und todte[n] Fleisch« zurecht das »unsterblich blühn und leben« der Erlösten im »Paradis« gesehen habe. 23 Dieser Hinweis war freilich mehr als bloß eine didaktische Repetition eines wichtigen Lehrpunkts der lutherischen Theologie. Der Autor hatte bereits an früherer Stelle seines Nachrufs mehrere Werke des Verstorbenen explizit erwähnt24 und insbesondere dessen unschätzbaren Beitrag zur Weiterentwicklung der nationalsprachlichen Literatur nach ihrer Grundlegung durch Opitz gepriesen.25 Gerade aus der Referenz auf das Oeuvre Gryphius' speiste sich die Legitimität des Nachrufs in seiner spezifischen, experimentellen Form. Lohenstein, eine Generation jünger als der Verblichene, trat im Nekrolog demonstrativ dessen Erbe an. Das bedeutete freilich nicht nur eine Pflege der poetischen Tradition und eine Aufrechterhaltung des von ihr erreichten Niveaus, sondern nach Gryphius' Vorbild den Auftrag der innovatorischen Arbeit an der deutschsprachigen Dichtung, der stetigen Erneuerung und weiteren Differenzierung ihrer Ausdrucksformen - und damit zugleich ihrer zunehmenden Ablösung von den Vorbildern und Konventionen der humanistischen Literatur. Als weiteres markantes Beispiel für die Emanzipation des deutschen Trauergedichts vom Formenkanon der neulateinischen nekrologischen Gelegenheitsdichtung kann die
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Gryphius/Lohenstein, S. 74f.; vgl. dazu Steiger, Schule, 2001; sowie oben 4.3. - Auf den Text wird auch bei Gryphius/Gigas/2, S. 107, sowie bei Mühlpfort (vgl. unten) direkt Bezug genommen. Vgl. Gryphius/Lohenstein, S. 71, u.a. Catharina von Georgien, Carolus Stuardus und Papinianus. Vgl. Gryphius/Lohenstein, S. 71.
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ODE des Anonymus »Ch. Κ. ν. R.« gelten. 26 Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich der Schriftsteller Christian Knorr von Rosenroth (1636—1689).27 Der Parentator legte seinen Nachruf als >Reyen< an, eine lyrische Form, die Gryphius selbst in seinen »Oden« sowie in seinen Trauerspielen immer wieder gepflegt hatte. 28 Das Gedicht gliedert sich in einen »Satz«, einen metrisch analog gestalteten, argumentativ jedoch komplementären »Gegensatz« sowie einen etwas kürzeren, den Widerspruch von erster und zweiter Strophe auflösenden »Nach=Satz«. Effektvoll hebt der Text - wie bei Lohenstein - mit einem Bruch aller Rezipientenerwartungen und eingespielten Konventionen des Nekrologs an. Keine Klage über Gryphius' Tod intoniert das lyrische Ich, kein Lob der Tugenden oder Verdienste des Verstorbenen, sondern ein harsches, unbarmherziges Verdikt über die Eitelkeit aller irdischen Wissenschaften und Künste. Zum einen müßten alle »Müh«, aller »Fleiß«, aller »Schweiß«, die ein Mensch auf die Ausbildung und Vervollkommnung seines Geistes verwende, durch den Tod notwendigerweise »in einem Augenblicke [... v]erfleuch[en]«. Zum anderen komme weltlicher Bildung auch im Jenseits keinerlei Bedeutung zu. Weder im Himmel, »vor des Lammes Freuden=stul«, noch in der Hölle, »in de[m] tieffen Schwefel=Pfuel«, denke irgendeine Seele noch »an ein beschmiert Papier / I An ein durchstrichnes Buch«. Gleichgültig, welchen Fächern ein Gelehrter sein Dasein gewidmet habe - Knorr nennt beispielhaft, personifiziert in ihren wichtigsten Vertretern, Philosophie, Jurisprudenz, Medizin und Mathematik - , vor dem Tod seien sie, so schließt die erste Strophe der Ode, nichts anderes als »Eitelkeit«, »Schaum« und »Dunst«. 29 Im »Gegensatz« freilich sammelt der Autor die verschiedensten Argumente für die Legitimität, ja den hohen Wert der Künste und Wissenschaften. Bildung sei dem Menschen innerhalb seiner diesseitigen Existenz von so »rechte[m] Nutz« wie ein fachkundig beschnittener Baum, ein veredeltes Metall oder ein Pferd aus einer guten Zucht, und sie bereite der Seele darüber hinaus - etwa in Gestalt eines formvollendeten Gebäudes - hohes Vergnügen. Diese pragmatischen und ästhetischen Gründe für eine Wertschätzung geistiger Arbeit ergänzte und untermauerte Knorr durch eine Apologie zivilisatorischen Fortschritts: Wie lebt ein Hottentot und ein Brasilian / Der weder Gott / noch Welt / noch sich erkennen kan? Ein schönes Buch schärfft Geist und Muth und gibt der Seelen das Gefieder / Das sie verlohren / wieder. 30
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Gryphius/Knorr von Rosenroth; vgl. dazu Finke, Sulzbach, 1998, S. 119f.; sowie Bogner, Nekrolog, 2003. Vgl. zu Knorr von Rosenroth Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 6, S. 4 1 3 - 4 1 5 (Joachim Teile); zu Knorrs nekrologischer Gelegenheitsdichtung vgl. Battafarano, Gelegenheitsdichtung, 1994. Vgl. dazu Steinberg, Reyen, 1914. Gryphius/Knorr von Rosenroth, S. 87. Gryphius/Knorr von Rosenroth, S. 88.
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Der Anspruch der Überlegenheit der jüngeren europäischen Kultur gegenüber der >Barbarei< der >wilden Völker< speist sich demnach nicht allein aus dem Christentum als der wahren Erkenntnis Gottes, sondern auch aus ihren intellektuellen Leistungen. Mehr noch: Religion und profane Bildung sind untrennbar miteinander verbunden, bedingen sich gegenseitig, ja geistige Arbeit ist unabdingbarer Bestandteil der theologischen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner adamitischen Sündhaftigkeit, auf die in der Vogelmetapher des Zitats offenkundig angespielt wird. »Jn reiner Wissenschafft«, so formulierte Knorr das Argument nochmals mit anderen Worten, könne die Seele »fähig werden / [...] sich Ewig zu erhöhn«. Dadurch sei der Bildungseifer, setzte er seine Beweisführung fort, vor anderen weltlichen Betätigungen und Bestrebungen privilegiert. Ein Mensch, der »[a]n nichts als Mund und Beutel denckt«, anders gesagt, sich hedonistisch den leiblichen Freuden hingibt oder sein Dasein vor allem dem Erwerb und der Vermehrung von Geld und Gütern widmet, bleibe »in den Schlamm der Welt gesenckt«. Wer hingegen »nicht gantz Viehisch leben« wolle, müsse »fleißig hören oder lesen« - und könne dadurch »leicht ins Himmels Gunst« kommen. 31 Wissenschaft und Kunst avancierten hier also nicht bloß zu einem Definiens von Humanität, vielmehr auch zu einem Konstituens der Rechtgläubigkeit und somit der Aussicht auf Erlösung im Jenseits. Mit dem »Nach=Satz« zu seinem Trauergedicht versöhnte Knorr die Dichotomie zwischen dessen erster und zweiter Strophe. In der Applikation der vorgetragenen Thesen auf Gryphius, den er mit einem deiktischen »du« direkt apostrophierte, konnte der Autor zeigen, daß der von ihm aufgezeigte Widerspruch im Einzelfall durchaus aufzulösen war. Der Verstorbene habe einerseits »die Eitelkeit der Künste wol verstanden«, auf der anderen Seite aber sei das Ideal einer umfassenden weltlichen Bildung durch ihn zur »Vollkom[m]enheit« geführt worden. Daraufhin durchlief der Parentator - nun dem traditionellen inventorischen Muster des katalogartigen Tugendlobs folgend - die wichtigsten Talente und Fähigkeiten des Hingeschiedenen, darunter seine Belesenheit, seinen Fleiß, die rhetorische Begabung des Redners, die weitläufigen Sprachkenntnisse und das stilistische Geschick des Schriftstellers sowie die herausragende Qualifikation des Juristen. Diese glänzenden intellektuellen Leistungen bei gleichzeitiger Einsicht in deren Nichtigkeit angesichts des Todes würden dem Hingeschiedenen, so beendete Knorr mit einem konventionellen Trostargument das Trauergedicht, sowohl die Pforten der ewigen Seligkeit eröffnen wie auch auf Erden unvergänglichen Ruhm als »Exempel« für eine gelungene Gestaltung des diesseitigen Daseins einbringen.32 Lohensteins und Knorrs Nachrufe auf Gryphius transportieren gewiß keine außergewöhnlichen oder gar revolutionären Ideen, vielmehr gängige Positionen der zeitgenössischen Theologie, Ästhetik und Wissenschaftstheorie. Die große Bedeutung, der hohe Eigenwert freilich, der dabei den Errungenschaften des menschlichen Geistes und den diesseitigen Verdiensten eines Einzelnen - trotz der Einsicht in ihre irdische
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Gryphius/Knorr von Rosenroth, S. 88f. Gryphius/Knorr von Rosenroth, S. 89f.
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Vergänglichkeit - beigemessen wurde, wäre noch einige Jahrzehnte zuvor undenkbar gewesen. Auch folgen die Texte zwar in einzelnen Teilen und in vielen Details den traditionellen, von den humanistischen Vorbildern übernommenen Mustern für die Gestaltung des Totenlobs. Bemerkenswert an ihnen jedoch sind der Bruch mit den üblichen Schemata der Disposition eines lyrischen Nekrologs - und damit auch der konventionellen Affekttektonik - sowie das Experiment mit metrischen Formen und rhetorischen Strategien, die nicht zum eingespielten Standardrepertoire des Trauergedichts gehörten. Diese Tendenzen der Emanzipation des deutschsprachigen Nachrufs von der Tradition des Epicediums läßt auch der Beitrag von Heinrich Mühlpfort (1639—1681)33 auf den Tod Gryphius' erkennen. 34 Der Breslauer Jurist und Schriftsteller gestaltete seine Würdigung als Zyklus aus fünf Sonetten. Der Rückgriff auf diese lyrische Form war in der Mitte des 17. Jahrhunderts keineswegs völlig ungebräuchlich - bereits Paul Fleming hatte sich ihrer zum Beispiel für die Verfertigung einer Klage über die (falsche) Nachricht von Opitz' Tod bedient 35 doch gehörte sie keineswegs zum gängigen poetischen Repertoire der Nekrologdichtung. Wie im Falle von Knorrs Ode ist die Entscheidung für das Sonett bei Mühlpfort und bei zwei weiteren Beiträgern zur Gedenkausgabe für Gryphius 36 gewiß auch als Hommage an die wichtigsten lyrischen Formen im Werk des Verstorbenen zu verstehen. Mühlpfort eröffnete seinen Zyklus nicht mit einer lamentatio im eigentlichen Sinne. Weder inszenierte er effektreich den Schmerz des lyrischen Ich um den Hingeschiedenen, noch setzte er dazu an, durch die gängigen affektstimulierenden Mittel der Rhetorik Trauer bei seinen Rezipienten zu erregen. Vielmehr beschrieb er in den knappen einleitenden Worten zum ersten Sonett lediglich die allgemeine Klage Schlesiens um drei jüngst verblichene Mitglieder des Fürstenhauses und nun auch den bedeutendsten Dichter des Landes. Damit war bereits in der dritten Zeile des Textes der Übergang zum Lob des Verstorbenen vollzogen. Allerdings streifte Mühlpfort im folgenden die wichtigsten Eigenschaften Gryphius' bloß, seine Bildung, seinen »Witz«, seine dichterische Begabung und seinen Ruhm. Er Schloß den Text in einer neuerlichen argumentativen Wendung mit einem kurzen memento mori. Die rezenten Todesfälle sollten in und von Schlesien - das lyrische Ich spricht das ganze Land in einer Apostrophe direkt an - als »DonnerBlicke« des zürnenden Gottes verstanden werden und daran erinnern, »daß wir Noth und Tod am Nechste[n] stehn.« 37 Die skizzenartige, sprunghafte Textur des Sonetts liegt, wie die Lektüre der vier noch folgenden Gedichte zeigt, in seiner vorausweisenden Funktion begründet. Es bildet - musikalisch gesprochen - die Ouvertüre zum gesamten Zyklus, stellt als
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Vgl. zu Mühlpfort Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 253f. (Erika A. Metzger); vgl. zu Miihlpforts lyrischem Werk, auch zu seinen Trauergedichten, zusammenfassend Claren/Huber, Einleitung, 1991; Entner, Einleitung, 1991. Gryphius/Mühlpfort. Vgl. Szyrocki, Opitz, 1956, S. 130. Vgl. Gryphius/Rottwitz; Gryphius/Nassau/1. Gryphius/Mühlpfort, S. 93.
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Auftakt dessen zentrale Themen in geraffter Form und in ihrem inneren Zusammenhang vor. Das zweite Sonett knüpft dann an die Verbeugung vor Gryphius' poetischen Leistungen im ersten an. Mühlpfort gestaltete in einer fictio personae die fünfte bis letzte Zeile des Textes als Wiedergabe einer Lobrede von Apollo auf den Verstorbenen. Der Dichter erscheint darin zum König aller Schriftsteller stilisiert, der nicht nur mit seinen Werken alle seine Kollegen - ausdrücklich genannt werden Opitz und Andreas Tscherning (1611-1659) - überragt habe, sondern dem auch der Gott selbst seine »Krone« überlassen möchte. Eingeleitet hatte der Parentator diese Eloge im ersten Quartett mit einer kurzen Schilderung des von ihm inszenierten Tableaus, des Eintreffens der »betrübte[n] Post in Helikon« vom Ableben Gryphius' und des erschreckten Aufspringens Apollos von seinem Thron als Zeichen für das durch dieses Ereignis herbeigeführte Ende aller Poesie.38 Im dritten Sonett wandte Mühlpfort sich vom antiken Götterhimmel zur protestantischen Theologie, pries die Einsicht des Verblichenen in die Nichtigkeit alles Irdischen - und somit seine Rechtgläubigkeit. Gryphius habe in allen diesseitigen Phänomenen stets ihre Vergänglichkeit erkannt, im »Spiegel=Glaß« beispielsweise den eigenen »Sarg«, im »schönstefn] Leib offt ein abscheulich Aaß«. 39 Gott habe den Hingeschiedenen dafür mit einem schnellen und schmerzlosen Tod sowie mit der ewigen Errettung im Jenseits belohnt. Das bedeutete freilich keine bedingungslose Absage an die poetischen Leistungen des Verblichenen, die der Autor im vorangegangenen Gedicht eben noch überschwenglich gelobt hatte. Das Sonett Schloß mit den beiden signifikanten Zeilen: Der Leib wird zwar vom Wurm / als wie du sangst / gefressen / Doch hat in diesem Hauß ein schöner Geist gesessen. 40
Diese Worte klingen - überspitzt formuliert - wie ein trotziger Widerspruch des Parentators zum Motto vanitas vanitatum, das Gryphius in seiner Lyrik und seinen Leichabdankungen unaufhörlich repetiert hatte. Auch Mühlpfort galt das irdische Dasein, gemessen am Schicksal der Seele im Jenseits, unzweifelhaft als eitel. Doch abseits dieser radikalen Dichotomie sollte dem diesseitigen Leben nicht seine intrinsische Bedeutung bestritten werden. Gerade ein Mensch, der die Nichtigkeit der weltlichen Existenz erfaßt und diese Einsicht darüber hinaus literarisch artikuliert hatte - hier wurde offenbar ebenfalls auf die Kirchhoffs=Gedancken angespielt hatte eine wichtige irdische Leistung vollbracht, deren Wert nicht zu bestreiten, sondern lobend anzuerkennen war. Konsequenterweise widmete der Parentator die beiden noch folgenden Texte seines Zyklus ausschließlich den überragenden Leistungen von Gryphius' »schönefm] Geist«. Im vierten Sonett charakterisierte Mühlpfort die umfassende Bildung des Verstorbenen, indem er jeder der neun Musen je eine kurze würdigende Bemerkung über ihn in den Mund legte. 41 Das fünfte
38 39 40 41
Gryphius/Mühlpfort, S. 94. Gryphius/Mühlpfort, S. 94f. Gryphius/Mühlpfort, S. 95. Vgl. Gryphius/Mühlpfort, S. 95f.
152
u n d letzte Sonett hat die großen rhetorischen Fähigkeiten des Verblichenen z u m T h e m a . B e s o n d e r e A k z e n t e setzte der N a c h r u f a u t o r bei der überragenden W i r k u n g von G r y p h i u s ' R e d e n auf ihr P u b l i k u m , ihrer prachtvollen sprachlichen Gestaltung und der Fülle des in ihnen verarbeiteten Wissens. M ü h l p f o r t verwies ferner darauf, daß der H i n g e s c h i e d e n e sein Talent auch in den ehrenvollen Dienst der schlesischen H e i m a t gestellte habe, u n d beklagte abschließend, daß derselbe n u n nicht m e h r »des L a n d e s Z u s t a n d zeigen« k ö n n e . 4 2 A n d e r s als das erste bis vierte Gedicht des Z y k l u s ist das letzte P o e m b e m e r k e n s werterweise nicht mit d e m Textsortenterminus »Sonnet« überschrieben, sondern mit den Worten Uber seine Redligkeit. Der Parentator entwickelte freilich in den folgenden Versen, wie bereits erwähnt, nicht die sprech-ethischen Qualitäten des Verstorbenen im engeren Sinne - etwa seine Vermeidung von Lüge, Schmeichelei oder Heuchelei sondern dessen rhetorische Fähigkeiten und Leistungen. Gryphius hatte sich d e m n a c h - diesen Schluß legt das kuriose Verhältnis von Paratext und Text n a h e - als >redlich< erwiesen, weil er sein singuläres rednerisches Talent genutzt und z u m Vorteil der Allgemeinheit angewendet hatte. Mühlpfort übte sich hier nicht nur in einem eigenwilligen Wortspiel, vielmehr wiederholte er auf anderer E b e n e die Argumentationsfigur, die bereits das dritte Sonett getragen hatte. So wie das diesseitige Dasein, g e m e s s e n a m e w i g e n Leben, nichtig war, aber die Leistungen der W i s s e n s c h a f t e n und K ü n s t e d e n n o c h innerhalb der irdischen Existenz ihre eigene Dignität b e a n s p r u c h e n durften, k a m der moralisch positiv bewerteten A n w e n d u n g von rhetorischen Fähigkeiten kein Stellenwert im allgemeingültigen S y s t e m der protestantischen Ethik zu, doch war es ein b e s o n d e r e s Verdienst eines M e n s c h e n , diese spezifische, seltene B e g a b u n g z u m Wohle seines Vaterlandes genutzt zu haben. A u c h in der f o r m a l e n Gestaltung des Z y k l u s finden sich diese inhaltlichen A k z e n t u i e r u n g e n abgebildet. Der K e r n der christlichen D i e s s e i t s v e r d a m m u n g blieb in der zentralen Stellung d e s Sonetts über die Nichtigkeit, das gängige T u g e n d l o b im Titel des f ü n f t e n Gedichts erhalten, der S c h w e r p u n k t der g e s a m t e n W ü r d i g u n g des Verblichenen aber lag bei seinen spezifischen künstlerischen und wissenschaftlichen - und somit p r o f a n e n - Verdiensten und seinen rhetorischen Talenten. A n d e r s gesagt, in der nekrologischen Verneigung vor G r y p h i u s artikulierten sich - b e m e r k e n s w e r t e r w e i s e g e g e n dessen Werk und eigenes Autorbild - die ersten Ansätze eines dichterischen Selbstbewußtseins, das die Eigenständigkeit und U n a b h ä n g i g k e i t literarischer Produktion, wissenschaftlicher Arbeit und geistiger Bildung g e g e n ü b e r d e m Primat der Leitdisziplin T h e o l o g i e einforderte. Das f ü n f t e Sonett von Mühlpforts Zyklus erinnert darüber hinaus an einen weiteren wichtigen Aspekt der E m a n z i p a t i o n des deutschsprachigen Trauergedichts von d e n K o n v e n t i o n e n der älteren lateinischen Epicediendichtung. Der Parentator gestaltete seine laudatio von G r y p h i u s ' rhetorischen Fähigkeiten als Folge von vierzehn Relativsätzen in e b e n s o vielen Versen, w e l c h e allesamt mit d e m N o m e n » M u n d « eingeleitet werden. D a s erste Quartett des Sonetts m ö g e dieses poetische Verfahren beispielhaft illustrieren:
42
Gryphius/Mühlpfort, S. 96.
153
MUnd / der dem Donner gleich der Menschen Hertz durchdrungen / Mund / dessen Reden=Strohm biß in die Seele überflooß / Mund / den der Gratien ihr Nectar übergoß / Mund / aus dem aller Quell der Wissenschafft entsprungen [.. .]. 43
Spätere Generationen haben hochartifizielle Gestaltungsformen wie diese mit dem Etikett des Manierismus44 ebenso abschätzig disqualifiziert wie die hyperbolischen ästhetischen Gebilde Lohensteins mit dem Schimpfwort des >Schwulstestragenden< Funktion der höchsten Beamten und der Ratgeber an fürstlichen Höfen für die Erhaltung eines Staatswesens im Zustand von Ordnung und Stabilität gewidmet, ein Bild, das sodann auf das berufliche Wirken des Verstorbenen als Syndikus der Glogauer Stände appliziert werden konnte. Stosch unterstützte und übersteigerte dabei die allegorische Amplifizierung Gryphius' zur »vornehme[n] Last=Seule« 72 nicht nur durch eine Vielzahl an säkulargeschichtlichen Exempeln, sondern beutete auch den von ihm gewählten Bildbereich durch den Rückgriff auf die unterschiedlichsten daraus zu gewinnenden Metaphern und Vergleiche bis in alle seine Facetten aus. Der Verstorbene habe, so heißt es beispielsweise in der Abdankung, dem drohenden »ruin dieses Fürstenthums [sc. Schlesiens] wie eine Seule sich untersetzet«, das »gemeine Wesen und publicum bonu[m]« hätten sich auf ihn »gestützet«, ja auf ihm »wie auff einem Atlante geruhet«. 73 Die weltliche Trauerberedsamkeit prunkte demnach nicht allein mit der Fülle der von ihr verarbeiteten Versatzstücke aus dem reichen Reservoir der Historie, vielmehr auch mit der höchst kunstvollen, teilweise sogar ingeniösen Zusammenführung derselben im Rahmen einer rhetorisch glanzvoll disponierten und dekorierten öffentlichen Ansprache. Das allegorische Totenlob konnte dabei im Dienste einer besonders kuriosen und extravaganten Gestaltung bis an die Grenzen seiner Stimmigkeit ausgereizt, selbst demonstrativ über diese hinaus strapaziert werden. So hielt Stosch am Ende des ersten Abschnitts der laudatio auf Gryphius fest, daß jede Säule »durch eine allzugrosse Last [...] endlichen gedrucket und zerquetschet« werde, der Verstorbene in diesem Punkte jedoch »einer Seulen ungleich« gewesen, weil zeitlebens aufrecht und ungeknickt stehengeblieben sei. 74 Im zweiten Abschnitt der Parentation wandte sich der Redner von der Massivität und Belastbarkeit der >Säule Gryphius< ab und ihrer hervorstechenden äußeren Schönheit, ihrer »Ehrenzierde«, 75 das heißt einigen besonders bemerkenswerten Eigenschaften des Verstorbenen neben seiner vorbildlichen Erfüllung der Amtspflichten, zu. Stosch hob vor allem auf das Lob der Tugendhaftigkeit, der Kunstfertigkeit, der um-
71 72 73 74 75
Vgl. z . B . Gryphius/Stosch/1, S. 5, 11, 14. Gryphius/Stosch/1, S. 5. Gryphius/Stosch/1, S. 6. Gryphius/Stosch/1, S. 8. Gryphius/Stosch/1, S. 10.
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fassenden Bildung, der Vaterlandsliebe und der Aufrichtigkeit des Hingeschiedenen ab. Er verließ sich dabei einmal mehr uneingeschränkt auf die amplifizierende Kraft der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten des von ihm gewählten Bildes - die »Statua« Gryphius sei beispielsweise nicht aus Holz gefertigt gewesen, habe daher auch nicht von Ungeziefer zerfressen werden können 76 - wie auch der weiterhin zahlreich ins Treffen geführten Analogien zu vorbildlichen Gestalten aus der Geschichte. Im dritten, letzten und kürzesten Abschnitt der Parentation wurde deren Leitmetapher vom Redner sozusagen potenziert, indem er an sein Publikum appellierte, dem Toten, der zu Lebzeiten einer außerordentlich schönen Statue geglichen habe, nun selbst eine »Danck= und Denck=Seule«77 zu setzen. Ein Teil dieser Forderung war im Akt der feierlichen Beisetzung des Verstorbenen bereits praktisch umgesetzt. Die große Zahl der bei der Beerdigung Anwesenden und vor allem der hohe gesellschaftliche Rang vieler von ihnen beglaubigten quasi als lebendiges Monument des Dankes die in der Allegorie der Säule verbildlichte Bedeutsamkeit des Verstorbenen - und damit war gleichzeitig elegant das bereits erwähnte Gratias an die Teilnehmer der Trauerversammlung im Namen der Witwe vorbereitet. Zum anderen aber hatte Stosch mit der Parentation selbst seinen eigenen Aufruf zur Errichtung einer ehrenvollen »Grab=Seulen« für den Verstorbenen eingelöst. 78 Die auffällige Wendung vom allegorischen Lob der >Säule Gryphius< zur Forderung nach einer adäquaten postumen Monumentalisierung desselben, vorgetragen im Rahmen der würdigenden Gedenkansprache eines Laien, implizierte ein selbstbewußtes Insistieren des Orators auf der Legitimität dieser Form des öffentlichen Nachrufs. Die Parentation war, dies betonte der Redner offenkundig >zwischen den ZeilenTrauerarbeit< der Hinterbliebenen
76 77 78 79
Gryphius/Stosch/1, Gryphius/Stosch/1, Gryphius/Stosch/1, Gryphius/Stosch/1,
162
S. S. S. S.
10. 14. 9. 15.
sollte, stimuliert durch die säkulare Gedenkansprache, als Versuch der eigenen sittlichen Vervollkommnung nach dem Ideal des Verstorbenen realisiert werden. Die Abdankungsrede war nicht anders denn die Leichenpredigt ein in ihrer Wirkabsicht immer auch admonitiv orientiertes Genre des frühneuzeitlichen Totenlobs. Doch viele dieser Texte vermittelten wie die Ansprache Stoschs - und dies unterscheidet sie markant von den in der Forschung irrigerweise zu typischen Beispielen für die Parentation stilisierten, stark geistlich akzentuierten DISSERTATIONES FUNEBRES - an ihre Rezipienten nicht die Tröstlichkeit des protestantischen Glaubens im Angesicht des Todes. Sie waren damit keineswegs diesseitsorientiert in einem modernen Sinne, freilich unterschieden sie sich in ihrer Valorisierung der beruflichen Verdienste eines Menschen um sein >Vaterland< sowie dessen profaner Gelehrsamkeit und dessen künstlerischen Begabungen oder gar Leistungen oft signifikant vom >barocken< Nichtigkeitspathos der geistlichen Funeralrhetorik.
6.3. Nekrologische Monumentalisierung durch die Gedenkausgabe Der größere Teil der fast unüberschaubaren Menge an weltlichen Abdankungsreden, welche aus dem Zeitalter des Barock auf uns gekommen sind, verdankt seine Überlieferung weder dem Einzeldruck noch - wie im Falle von Gryphius' DISSERTATIONES FUNEBRES - der Sammeledition möglichst aller schriftlich fixierten Parentationen aus der Feder eines einzelnen Autors. Vielmehr haben sich die meisten dieser Texte des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in den oft sehr umfangreichen Gedenkausgaben erhalten, die aus Anlaß des Ablebens eines Menschen veranstaltet wurden. Die spätere Forschung hat diese Kasualimpressa oft als Leichenpredigten bezeichnet, doch ist der Begriff insofern irreführend und unrichtig, als er in einem pars pro toto einen einzelnen Bestandteil der Gedenkausgabe, die oratio funebris eines Geistlichen während der Begräbnismesse, als Grundlage für die Benennung eines Druckwerks heranzieht, in dem sich die unterschiedlichsten nekrologischen Genres versammelt finden.80 Der mißverständliche Terminus besitzt jedoch durchaus einen wahren Kern, wenn man auf die Entstehungsgeschichte der Gedenkausgabe zurückblickt. Bereits während des 16. und in zunehmendem Maße während des frühen 17. Jahrhunderts waren die Drucke von Leichenpredigten immer wieder mit unterschiedlichen Beigaben, vor allem Dedikationen des Autors an die Hinterbliebenen des Verstorbenen und lyrischen Würdigungen desselben angereichert worden. So enthalten zum Beispiel mehrere der überlieferten orationes funebres auf Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg (vgl. 4.4.) Widmungsvorreden an die herzogliche Familie wie auch Epicedien auf den hingeschiedenen Fürsten und Huldigungsgedichte an seinen Nachfolger. 81 Vor
80
81
Vgl. dazu Fürstenwald, Bericht, 1973, S. 459; Fürstenwald, Gryphius, 1965, S. 3; Ueding, Wörterbuch, 1992ff„ Bd. 5, Sp. 124-145 (F[ranz] M[ichel] Eybl: Leichenpredigt), Sp. 130f. Vgl. z.B. Heinrich Julius/Holtzmann; Heinrich Julius/Kale/2.
163
allem nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs wurden dann in die Veröffentlichungen von Leichenpredigten sukzessive und fast obligatorisch Texte weiterer Genres aufgenommen, etwa Abdankungen, separate Abteilungen mit den >PersonaliabarockenVerunreinigung< der deutschen Sprache durch auswärtige Einflüsse, 109 zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, 110 zu Rechtsverdrehern 111 oder zum Lob des Landlebens 112 - , sondern vor allem die bereits erwähnten, zahlreichen in den prosaischen Text eingelegten Gedichte. Sie wurden wie die 24 allegorischen Kupferstiche, die den Band zieren, in das Referat der Lebensgeschichte >eingeschossen< und sollten im Sinne von Limburgers programmatischer Forderung in der Vorrede, daß besonders bedeutende Menschen nicht mit »gemeinen Leich=Bezeugungen«, vielmehr mit einem »eigenen Andencken« zu ehren seien, 113 das Lob des Verstorbenen sozusagen amplifikatorisch multiplizieren.
106 107 108 109 110 111 112 113
vgl. z.B. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 151. Ygj z g Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 171-173, vgl. dazu 8.1. y g j z g Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 60f. vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 3f. und 97f. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 44f., 72f. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 151-154. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 129-132. Birken/Pegnesischer Blumenorden, Bl. )(5V.
167
Zum ersten handelt es sich dabei um Kasuallyrik, welche innerhalb der Dialogfiktion entweder von den Anwesenden aus dem Stegreif produziert oder - im selteneren Falle von Würdigungen des Verstorbenen durch Dritte - verlesen wird. Den größten Teil nehmen hier naturgemäß die Trauergedichte ein - sie füllen mehr als 60 Druckseiten114 doch bietet neben dem Bericht über Birkens Tod auch die Erzählung vieler seiner weiteren Lebensstationen willkommenen Anlaß für die Pegnitzschäfer, sich in den verschiedenen Genres der Gelegenheitspoesie zu üben, etwa in Gedichten auf dessen Geburt oder Taufe.115 Affekterregung anläßlich des konkreten Einzelschicksals und Vermittlung allgemeiner Normen - hier vor allem die Tugenden eines christlichen Gelehrten - gehen dabei wie stets in der Kasualdichtung der frühen Neuzeit eine untrennbare Verbindung miteinander ein. Das gilt gleichermaßen für die von den im Irrhain versammelten Schäfern verfertigten Texte wie die von ihnen gelegentlich zitierten autoritativen Äußerungen anderer prominenter Zeitgenossen über den Verstorbenen, etwa von Johann Wilhelm von Stubenberg (1619-1663). 116 Die Errichtung eines - so Limburgers Wort - würdigen »Mausolaeumfs]« 117 für Birken stand also sowohl im Dienste von individuell-apologetischen als auch von abstrakt-didaktischen Wirkabsichten. Dies belegt auch die zweite Gruppe von Gedichten, die sich in die Dialoge der Betrübtefn] Pegnesis integriert finden. Es handelt sich um Texte aus dem lyrischen Werk des Verstorbenen selbst. Mittels der im Nachruf häufig eingesetzten rhetorischen Strategie einer fictio personae wird also die Stimme Birkens nochmals vor den Rezipienten aufgerufen. Die eigenen Worte des Hingeschiedenen - etwa in einer poetischen Danksagung an einen Lehrer oder einer Totenklage um die zweite Ehefrau 118 - sollen authentisch seine von den Parentatoren behauptete exemplarische Tugendhaftigkeit bezeugen und als typische Gelegenheitsgedichte gleichzeitig wiederum allgemeingültige Normen für eine vorbildliche Gestaltung des diesseitigen Lebens transportieren. Eine dritte Gruppe von Gedichten bilden in der Betrübte[n] Pegnesis schließlich die subscriptiones zu den 24 Kupferstichen. Im Rahmen der Erzählfiktion imaginieren die Gesprächsteilnehmer anläßlich einer Lebensstation oder einer Eigenschaft des Verstorbenen die pictura eines Emblems 119 - im gedruckten Text findet diese sich dann an der jeweiligen Stelle eingebunden - , erfinden dazu eine passende inscriptio, und einer der Anwesenden entwickelt daraus eine ausführliche lyrische Bildunter-
114 115 116
117 118
119
Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 331-395. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 50f., 54-59. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 60; vgl. zu Stubenberg Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 11, S. 267f. (Michael Auwers). Birken/Pegnesischer Blumenorden, Bl. [)(6]r. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 94f. und 238-242; vgl. auch S. 40, 47, 62-67, 94f„ 170, 184f„ 195f„ 196f„ 200, 207f. Zur Emblemkunst des 17. Jahrhunderts vgl. zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 13, S. 200-202 (Wolfgang Harms: Emblematik); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 435-438 (Bernhard F. Scholz: Emblem); zu den Emblemen in der Betrübte[n] Pegnesis vgl. Jons, Nachwort, 1993, S. 17-19.
168
schrift. Als Gegenstände dieser wort-bild-kombinatorischen Sinnbilder werden etwa die vielen Gefahren, denen der Mensch sich in seinem irdischen Dasein aussetzen muß, figuriert im Läufer des Schachspiels, 120 oder die Forderung nach einem mäßigen und disziplinierten Lebenswandel, symbolisiert durch den Lauf der Sonne, gewählt. Die Embleme amplifizieren - es deutet sich in diesen beiden Beispielen an - in erster Linie die vorbildliche Biographie eines guten Christen, und die Konturen des Lebens des Hingeschiedenen als Schriftsteller wie auch die Umrisse seines Werks werden dabei kaum erkennbar. Eine Ausnahme davon bildet das 24. und letzte Sinnbild - es folgt auf die Wiedergabe der Trauergedichte zu Birkens Tod - , welches deshalb kurz vorgestellt werden soll. Die pictura zeigt einen verdorrten Baum, an dem sich Efeu hochrankt. Das Motto dazu lautet »Post Vires vires«, für die des Lateinischen Unkundigen übersetzt mit den Worten »Die Zierde hafft I nach deiner Krafft«. Die ersten Verse der subscriptio greifen die bildliche Darstellung, kombiniert mit einem sprachspielerischen Hinweis auf die Symbolisierung des Verstorbenen durch den Baum, auf, um das gewählte Bild sodann auf die Vergänglichkeit des menschlichen Leibes zu übertragen: N a c h d e m das N a h r u n g s = O e h I e n t z o g e n / dir / Z e d e m = g l e i c h e r B i r k e n = S t a m m / ist H i m m e l = a n der Geist g e f l o g e n / und a u s g e l ö s c h t die L e b e n s = F l a m m . Die Seelen=öde Leibes=Hütten greifft allbereits V e r w e s u n g an / nun wird d i e s e l b e gantz zerrütten der Zeit und Würmer scharfer Zahn.
Nach dieser drastischen Darstellung von Birkens körperlichem Zerfall im Grab, die freilich in protestantischen Texten der frühen Neuzeit stets positiv auf die Hoffnung der Wiederauferstehung des Fleisches im Jenseits verweisen soll (vgl. 4.3.), wendet sich der Autor der Unvergänglichkeit des irdischen Andenkens des Verstorbenen zu: D a s beste d o c h ist n o c h g e b l i e b e n / dein G e i s t e s = M a r k / s o m a n c h e s Blat / das du der E w i g k e i t g e s c h r i e b e n / mit Schrifften K u n s t = b e s e e l e t hat. 1 2 1
Die noch folgenden zwölf Verse der subscriptio variieren das Thema des ewigen »Ruhm=Gedächtnus[ses]« des hingeschiedenen Dichters weiter. Bemerkenswerterweise wird dabei ein besonderer Akzent mit der These gesetzt, daß Birken gerade mit den »Leich=Zypressen«, die er »zu andrer Ehr gepflanzt« habe, in der Erinnerung der Nachwelt verankert bleiben würde. Nimmt man hinzu, daß der Autor »Polydor«,
120 Y g i ß i r k e n / P e g n e s i s c h e r B l u m e n o r d e n , S. 2 0 2 - 2 0 4 . 121 B i r k e n / P e g n e s i s c h e r B l u m e n o r d e n , S. 3 8 8 .
169
das ist Johann Achatius Lösch (1656-1736) 122 - wie dereinst Rist in seinem Trauergedicht auf Opitz (vgl. 5.3.) - im Reim des letzten Verses seinen Namen >verewigteprosaischen< Angelegenheiten des alltäglichen Daseins kann es geschehen, daß ein Dialogpartner zur Klärung einiger dringlicher »Haus=Geschäffte« die Runde kurz verlassen, »damit einen Auffstand verursachten]« und »das Gesprächs=Rad hemmefn]« muß. 131 Das Arkadien der nekrologdichtenden Pegnitzschäfer ist also nicht einmal mehr ein - wenn auch von inneren Konflikten bedrohter - in sich geschlossener Lebens- und Poesieraum, sondern der mühsam konstruierte und dennoch fragile Ort eines ästhetisierenden Eskapismus aus den Zwängen und Nöten der beruflichen Pflichten der Ordensmitglieder. Gewiß steht die Darstellung des problematischen situativen Kontextes des nekrologischen Schäferspiels bei Nürnberg auch im Dienste einer Beglaubigung der erzählerischen Fiktion, ein tatsächlich geführtes Gespräch möglichst realistisch wiederzugeben. Dies untermauert freilich nur die These, daß der Bruch mit der eklogischen Arkadien-Idyllisierung in der älteren Tradition des Genres auf die schwierigen Rahmenbedingungen verweist, unter denen die Mitglieder des Blumenordens - fast durchweg Angehörige der städtischen Mittelschichten - ihre literarischen Ambitionen
127 128 129 130 131
Birken/Pegnesischer Birken/Pegnesischer Birken/Pegnesischer Birken/Pegnesischer Birken/Pegnesischer
172
Blumenorden, Blumenorden, Blumenorden, Blumenorden, Blumenorden,
S. S. S. S. S.
117. 391. 14. 161. 202.
zu realisieren hatten. Der voluminöse Nachruf auf Birken bot der Nürnberger Sprachgesellschaft nicht nur - wie die Forschung richtig geurteilt hat 132 - ganz allgemein ein Forum für die publike Selbstdarstellung, sondern wurde gleichzeitig dafür genutzt, auf die ungünstigen Umstände, unter denen die dichterischen Tätigkeiten der meisten beim Schäferspiel Anwesenden zu leiden hatten, aufmerksam zu machen. Die Nürnberger Poeten reflektierten damit kritisch und pessimistisch ihre eigenen Autorrollen - die männlichen Mitglieder des Ordens bekleideten fast durchgängig wichtige öffentliche Ämter und repräsentierten den Typus von frühneuzeitlichen protestantischen Gelehrten, die nur wenige Mußestunden der Dichtung widmen konnten. Doch bot der gegenläufige Versuch des Verstorbenen, seinen Lebensunterhalt abseits einer gesicherten beruflichen Position als freier Schriftsteller zu bestreiten, für die versammelten Mitglieder des Ordens offenkundig ebensowenig ein attraktives Modell für zeitgemäße Autorschaft. Minutiös verfolgen die Gesprächsteilnehmer in ihrer Rekonstruktion von Birkens Biographie die unterschiedlichen von ihm während seiner frühen Jahre eingenommenen Ämter und Funktionen, die Hauslehrerstellen und die Position als Prinzenerzieher am Wolfenbütteler Hof. 133 Von der Rückkehr des Schriftstellers nach Nürnberg bis zu seinem Tod, also über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten, klafft jedoch eine unübersehbare Lücke in seinem von den Diskutanten referierten beruflichen Werdegang. Sie wird notdürftig überbrückt durch die Aufzählung der Geschenke, die er vom Kaiser zur Honorierung seiner poetischen Leistungen erhalten habe, durch Berichte über die ehrenvolle Aufnahme in diverse Sprachgesellschaften, die Nobilitierung und die beiden Ehen sowie durch ein kommentiertes Schriftenverzeichnis und den Katalog der herausragendsten Tugenden. Diese auffällige biographische Leerstelle ist einerseits damit zu erklären, daß die Existenz als freier Schriftsteller schlichtweg mit keiner der üblichen Kategorien für das gängige - und das heißt: das durch die zeitgenössischen sozialen Normen und Wertvorstellungen prädisponierte - nekrologische Personenlob zu fassen war und deshalb tunlichst mit Schweigen übergangen wurde. Zum anderen ist darin jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit ein versteckter Hinweis auf die zeitlebens drückende finanzielle Situation Birkens zu sehen. Nur ein einziges Mal erwähnen die im Irrhain versammelten Pegnitzschäfer die literarischen Texte, die der Schriftsteller im Dienste der unterschiedlichsten Auftraggeber verfaßt oder redigiert hatte, und zwar seine Beiträge zu den Friedensfeierlichkeiten in Nürnberg im Jahre 1648. »Myrtillus«, also Limburger, kommentiert diese Tätigkeit mit den auffallend bissigen Worten, Birken habe für seinen »Kunst=Fleiß damals mehr Lob als Lohn« erhalten. 134 Mit dem darauf über Dutzende von Druckseiten hinweg folgenden Schweigen über die materiellen Grundlagen der Schriftstellerexistenz des Verstorbenen gaben die Pegnitzschäfer implizit, doch deutlich zu verstehen, daß sich während der folgenden Jahre und Jahrzehnte bis zum Tod an der Diskrepanz zwischen
132 133 134
Vgl. Jons, Nachwon, 1993, S. 19. Vgl. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 187, 197 u.ö. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 206.
173
literarischer Kärrnerarbeit und finanzieller Misere nichts verändern sollte. Wenn die im Irrhain Versammelten das Thema doch aufgegriffen hätten, würde Limburgers alliteratives Diktum (>mehr Lob als Lohneinfältigen Ton< der Gattung an einer Reihe von Textstellen mit auffälligen Alliterationen, etymologischen Deutungen und Buchstabenvertauschungen. Diese - offenkundig an Abrahams rhetorischen Vorlieben geschulten - Wortspiele bezwecken nicht eine im Rahmen des Nekrologs doch recht befremdliche Witzelei, vielmehr kommen sie immer dann zum Einsatz, wenn die narrative Wiedergabe der konkreten Lebensstationen überraschend tiefere, >geheime< Sinnzusammenhänge in der Biographie des Verstorbenen zu eröffnen vermag, welche dessen Vorbildlichkeit sprachsymbolisch bekräftigen. So mutiert zum Beispiel der Studienort »Jnglstatt« zur »Englstatt«, wo der Prediger und Schriftsteller in den »Englischen Tugenden unterrichtet« worden sei, 157 um sich später in seinen Veröffentlichungen besonders intensiv mit Engeln auseinanderzusetzen und einen Beichtvater namens Angelus zu erwählen. 158 In Salzburg wiederum habe der Verstorbene »das Saltz der Weisheit« für seine künftigen Tätigkeiten empfangen, 159 bei der von ihm geleiteten Renovierung des baufälligen Wiener Klosters des Ordens sei gleichzeitig das eigene körperliche Leiden »an Sand und Stein [...] völlig curiret« worden, und während der Fahnenkorrektur »deß Gemisch=Gemäsch« schließlich habe »der Tod die Karten auch gemischet« und dem Mönch »den letsten Stich beygebracht«. 160 Indem der Parentator diese verborgenen, aber vielsagenden, teils verwunderlichen oder gar prodigiösen Bezüge zwischen dem äußeren Lebensweg und der geistlich-religiösen Biographie Abrahams ostentativ im Nachruf offenlegt, insinuiert er beim Rezipienten offenbar die Heiligkeit des Verblichenen. Im Zeichen einer sanktifizierenden Überhöhung des Predigers und Schriftstellers steht auf der anderen Seite auch die legendenhafte Inszenierung seines Hinscheidens. Bemerkenswerterweise erzählt der Autor des Gelegenheitsdrucks zwei Versionen der Sterbeszene. Die erste von ihnen findet sich am Ende des biographischen Teils nach der Darstellung von Abrahams ordensinterner Karriere und wird eingeleitet mit seiner Krankengeschichte. Ebenso konventionell folgt nun der Bericht über die zunehmende Schwachheit des Sterbenden, die Verabreichung der Eucharistie, die Spendung der letzten Ölung und zuletzt über das ruhige und gefaßte Hinscheiden des Mönchs
155
Vgl. zu Martin von Cochem zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 7, S. 498f. (Guillaume van Gemert). 156 Ygj , j a z u Brückner, Legendensammlungen, 1999. 157 Abraham/Megerle, Bl. [l] v . 158 Abraham/Megerle, Bl. [3]r. 159 Abraham/Megerle, Bl. [l] v . 160 Abraham/Megerle, Bl. [2]v.
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»ohne einige ungestalte und entsetzliche Sterbens=Minen«. 161 Abraham erfüllt also auch mit seinem Abschied aus der Welt eine Vorbildfunktion. Hier endet der Text freilich nicht, vielmehr »fallet« dem Autor »eine nicht ungereimte Sache [...] bey«, die er noch erzählen möchte. 162 Ein weiteres Mal greift er das Thema der besonderen Verbundenheit des Verblichenen mit den Engeln auf, welche er mit einer Reihe von konkreten Beispielen aus den Schriften wie auch aus der konservatorischen Tätigkeit Abrahams plastisch belegt. Diese Aufzählung bildet die argumentative Grundlage für die jetzt folgende conclusio, die zweite Version der Sterbeszene: Also Pater Abraham mit Englen und Englischen Sachen umbgeben / im Todt und im Leben. Dann er nicht ohne absonderliche Gnad GOttes / an dem ersten Sonntag im Advent, und Christmonat / als man das erste Rorate und die Gedächtnuß des Englischen Gruß celebriret / auch zu Mittag umb 12. Uhr / als man zu dem Englischen Gruß geläuttet / verschieden / und ohne Zweiffei / seine Seel durch die heilige Engle in die Schoos Abrahae übertragen worden. 163
Der Prediger und Schriftsteller ist innerhalb der Klostergemeinschaft nicht bloß mustergültig nach allen Regeln der katholischen ars moriendi verschieden, sondern Gott hat durch den besonderen Zeitpunkt, zu dem er den Mönch zu sich gerufen hat, nämlich am ersten Adventsonntag beim ersten Schlage der zum Mariengruß läutenden Mittagsglocke, der Nachwelt auf wunderbare Weise die jenseitige Errettung des Verstorbenen angedeutet. Mit dieser legendenartigen Inszenierung von Abrahams Tod mutierte der Nekrolog endgültig zur Heiligenvita. Das letzte Blatt des Gelegenheitsdruckes ziert ein namentlich nicht gezeichnetes, volkssprachliches EPITAPHIUM }M Der Text umfaßt sieben Strophen zu je vier kreuzgereimten Versen und steht hinsichtlich Disposition und thematischer Gestaltung in der Tradition der klassischen antiken und humanistischen Grab=Schrifft, so der synonyme deutsche Titel. Das Gedicht hebt mit der üblichen Deixis auf die letzte Ruhestätte des Verstorbenen an und pointiert im folgenden einige der wichtigsten lobwürdigen Eigenschaften des Verstorbenen (vor allem Fleiß, Klugheit, Frömmigkeit und Ruhm). Einmal mehr erscheinen dabei das seelsorgerische Amt des Verblichenen, die Kanzelberedsamkeit und die publizistische Tätigkeit als verschiedene, einander nicht widersprechende, sondern zusammengehörige Facetten seiner Arbeit als Ordensmann. Die beiden letzten Strophen des Nachrufs beschwören die Unvergänglichkeit seiner Publikationen und die Gewißheit seiner Aufnahme in den Himmel. Bei allen inhaltlichen Parallelen zu zeitgenössischen protestantischen Grabschriften, welche sich aus der Referenz auf dieselben kanonisierten Prätexte und der Verwendung derselben Darstellungsmuster ergeben (vgl. 3.4.6.), unterscheidet das EPITAPHIUM von diesen Texten nicht allein die besondere Akzentuierung der römischen Werkgerechtigkeit - denn natürlich hat Abraham die jenseitige Erlösung
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Abraham/Megerle, Bl. [2]v. Abraham/Megerle, Bl. [3]r. Abraham/Megerle, Bl. [3]r. Abraham/Anonym.
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»seine[r] Mühe« zu verdanken, die von Gott angemessen »belohn[t]« wird. Das Trauergedicht bestätigt geradezu idealtypisch alle Vorurteile von Teilen der Barockgermanistik gegenüber der >zurückgebliebenen< katholischen Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, indem es sich konsequent dem Regelsystem der opitzschen Reform verweigert (vgl. 5.1.). Der anonyme Autor bediente sich 85 Jahre nach der Veröffentlichung des Buch[s] von der Deutschen Poeterey >ungeniert< eines ziemlich holprigen Knittelverses, schrak nicht vor etwas schrägen Reimen zurück (»verwendt« - »END«) und zeigte keinerlei Bedenken gegenüber dem Einsatz von Fremdwörtern (»Speculirte«, »meritiret«, »fundiret«, »Approbiert«), dialektalen Formen (»spath«) und Hypotaxen (»Mit der Feder Wundersam«), Es wäre völlig verfehlt, etwa die sprachspielerischen Qualitäten des Textes (»HJer ligt ruhig eingeschlaffen / I Der unruhig ABRAHAM«) gegen seine vorgeblichen ästhetischen Defizite aufzurechnen. Die poetologische >Rückständigkeit< des Trauergedichts ist literarhistorisch vielmehr als Teil der konfessionellen Konfrontationen des Zeitalters, als Konsequenz der Eigenständigkeit der katholischen Kultur - und damit auch des Totenlobs - im oberdeutschen Raum zu begreifen, und aus funktionsgeschichtlicher Perspektive gilt es zu bedenken, daß das >regelwidrige< Nachrufpoem im originären regionalen Kontext seine laudativen und konsolatorischen Aufgaben gewiß ebenso angemessen und zuverlässig zu erfüllen vermochte wie ein zeitgenössischer protestantischer Text in seinem jeweiligen Umfeld. Der zweite Gelegenheitsdruck, der anläßlich von Abrahams Ableben publiziert wurde, trägt ebenfalls deutlich die Züge des katholischen Funeralschrifttums der frühen Neuzeit. Es handelt sich dabei um die vier Blatt umfassende Ehr= und Lehrreiche Grab= Und Sinn=Schrifft>f>5 des stellungslosen Wiener Priesters, Gelegenheits- und Aushilfspredigers und Popularschriftstellers Johann Valentin Neiner, 166 der sich bekanntlich in seinen eigenen Veröffentlichungen von Narrensatiren 167 stark am stilistischen Duktus der Texte des Augustiner-Barfüßers orientierte. Der Nachruf ist dem von der Forschung noch weitgehend unbeachteten Genre der inscriptio zuzurechnen, das sich vor allem innerhalb von katholischen Leichenpredigtdrucken, gelegentlich - wie im vorliegenden Fall - sogar in der Form eigenständiger Kasualimpressa nachweisen läßt. 168 Diese Texte teilen mit dem Epitaph die literarisierte imitatio einer Grabinschrift, häufig in der Einleitung auch die direkte Anrede an den vorübergehenden
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Abraham/Neiner; vgl. dazu Bertsche, Neiner, 1926/1927; Eybl, Abraham, 1992, S. 4. - Die lateinische Fassung des Textes, die am Titelblatt erwähnt wird, konnte nicht eruiert werden. Vgl. zu Neiner D B A Folge 1, Nr. 888, Bl. 121; sowie Gugitz, Dokumente, 1951; Wannenmacher, Neiner, 1938. Vgl. dazu Kauffmann, Wien, 1994, S. 105-133. Vgl. dazu Eybl, Abraham, 1992, S. 4. - Katholische Autoren der frühen Neuzeit verfaßten wie protestantische Epicedien und Epitaphe in lateinischer Sprache; da jedoch die katholischen Leichenpredigtdrucke im Unterschied zu den protestantischen kaum je Kompilationen mit Trauerlyrik, sondern allenfalls ein einzelnes nekrologisches Gedicht enthalten, müssen einschlägige Texte vor allem in Gedichtsammlungen katholischer Autoren oder in handschriftlichen Quellen ausfindig gemacht werden, vgl. z . B . Balde, Petrum, 1990.
181
Wanderer; an die Stelle der knappen Würdigung einiger weniger Eigenschaften des Verstorbenen tritt jedoch oft eine umfassende Würdigung seiner Person und/oder ein Bericht über seinen Lebensweg. Konstitutiv für das Genre ist ferner - bei den lateinischen wie den deutschsprachigen inscriptiones - der stilus lapidaris, das heißt der Verzicht auf eine metrische Lyrifizierung des Textes zugunsten einer Gestaltung in der Form unterschiedlich langer Prosaverse, die im Druckbild, analog zu einer realen Grabinschrift, zentriert erscheinen. Auch Neiners Nekrolog beginnt mit einer Apostrophe an den fiktiv beim Grab Abrahams Verweilenden (»NEin Wanderer I geh nicht vorüber! sondern komme herzu I und stehe stille!«169). Daraufhin hebt eine ausführliche lamentatio über den Tod des Predigers und Schriftstellers an, in der bereits die Schwerpunkte der laudatio, welche den Hauptteil des Textes bildet, vorweggenommen werden. Das Personenlob ist chronologisch arrangiert, einzelne Lebensstationen bieten hierbei dem Parentator die Möglichkeit, die wichtigsten Eigenschaften und Tugenden des Verblichenen zu preisen. Grosso modo greift Neiner in der inscriptio dieselben Themen auf wie der Buchhändler Megerle in seinem Nekrolog, die stupende Intelligenz Abrahams, die herausragende homiletische und schriftstellerische Leistung, den großen Ruhm, die ordensinterne Karriere und zuletzt das selige Hinscheiden. Doch finden sich in der Grab= Und Sinn=Schrifft keinerlei Ansätze zu einer hagiographischen Stilisierung der Mönchsbiographie. Die zahlreichen Wortspiele, derer sich der Parentator bedient, vor allem in Binnenreimen, Alliterationen, Assonanzen und Repetitionen, verweisen den Rezipienten nicht auf die geheimen Fingerzeige, mit denen Gott das Gelingen der individuellen Heilsgeschichte zustimmend begleitet, sondern sollen allein den stilistisch durchweg recht schlicht gehaltenen, poetisch kaum überhöhten Text stellenweise schmücken und verlebendigen. So würdigte auch Neiner in einer Allusion auf Mt 5, 13 den Verblichenen als Menschen »deß allerbesten Saltzfes]«, fragte, »womit« man »saltzen« solle, »wann nun das Saltz abgehet«,170 lobte seine »Safft= und Saltz=reiche Schrifften« 171 - eine legendenhafte Verbindung zwischen dieser laudativen Metaphorik und Abrahams Studienort Salzburg stellte er aber nicht her. Bei der Darstellung der Sterbeszene wiederum präsentierte der Autor dieselben äußeren Fakten wie Megerle, doch gab er ihnen eine völlig konträre Deutung. Am ersten Adventsonntag habe Abraham sein Leben ausgehaucht, »damit er der neu auffgehenden Sonn der Gerechtigkeit I entgegen kommete«, »umb die zwölffte Stund« sei er verschieden, »als wolte er den Weeg der Ewigkeit antretten /1 daß nicht / wann er umb Mitternacht zu spatt kommete / dem I anklopffenden nicht auffgemacht würde«, und beim Läuten des »Englischen Gruß[es]« sei er »vielleicht« entschlafen, weil er mit all denen, die eben in diesem spezifischen Augenblick versterben würden, vor den Herrn zu treten gedacht habe. 172 Demnach hat nicht Gott den besonderen Zeitpunkt von Abrahams Ableben verfügt und dadurch der Nachwelt versteckt dessen Heiligkeit signalisiert, sondern der Parentator
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Abraham/Neiner, Abraham/Neiner, Abraham/Neiner, Abraham/Neiner,
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Titelbl.v. Bl. A2V. Bl. B[l] v . Bl. B2r.
zog kurioserweise mit seinen konjunktivischen Formulierungen die Möglichkeit in Betracht, daß der Verstorbene selbst den Moment seines Todes bestimmt hat. Selbst vor einem kleinen, wenn auch recht harmlosen Scherz schrak der Autor des Nachrufs dabei, wie gesehen, nicht zurück. Ihre Berechtigung erhält diese Witzelei aus einem keineswegs nebensächlichen narrativen Detail, in welchem die Grab= Und Sinn=Schrifft von der Flugschrift ABRAHAM ist gestorben abweicht. Nicht mit ruhig gefaßter Miene soll der »lustige / doch wahrhaffte und treue I Mann« 1 7 3 seinen Abschied von der Welt genommen haben, sondern »lachend«, 174 so wie zu Lebzeiten »seine Feder stäts« die »Eitelkeit« alles Irdischen ridikülisiert habe. 175 Neiner literarisierte mithin die Sterbeszene des Schriftstellers nicht minder denn Megerle, allerdings instrumentalisierte er sie nicht mit dem Ziel einer Sanktifikation des Augustiner-Barfüßers. Seine Darstellung steht vielmehr, wie das folgende Resümee über das letzte Stündlein belegt, im Zeichen einer Apologie von Abrahams Oeuvre: [A]lso arglistig ist er [sc. Abraham] in seinem Sterben gewesen / daß er auch den Tod mit herrlichsten Sinn=bildern bestochen / in welchen er seine Gewalt über alle Menschen entbildete / auff daß nicht in der Landschafft deß Todes die Feinde seine Seel rauben möchten. 176
Abraham hat also sein Lebensende individuell gestaltet und auf diese Weise gemeistert - und zwar mit den Mitteln seiner poetischen Produktion. Die rhetorische Macht, mit der er als Prediger und Schriftsteller die Gemüter seiner Rezipienten zu beherrschen vermochte, hat - praktisch umgesetzt in den eigenen Sterbeakt - auch den Tod besiegt und ihm den Weg in das Himmelreich eröffnet. Dieses erstaunliche Fazit Neiners enthält zwei Implikationen, die den gesamten Nachruf bei einer neuerlichen Lektüre in einem anderen Licht erscheinen lassen. Erstens wird der schriftstellerischen Produktion der Status eines Heilsmittels zugesprochen. Die guten Werke Abrahams als Kanzelredner und Publizist avancieren zu integralen Voraussetzungen seiner jenseitigen Errettung. Es ist demnach kein Zufall, daß der Parentator in seinem Trauergedicht immer wieder auf die Predigten und erbaulichen Veröffentlichungen des Augustiner-Barfüßers zurückkommt und diese sozusagen den >roten Faden< der nekrologischen Würdigung bilden. Natürlich gilt dem Parentator das irdische Dasein - und somit auch alle Kunst und Wissenschaft - im Vergleich mit der »wahren Glückseeligkeit«, das heißt der Erlösung der Seele, als nichtig und »lähr«, doch der geistliche Redner und Dichter, welcher eben diese Botschaft der »Eitelkeit« und
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Abraham/Neiner, Abraham/Neiner, Abraham/Neiner, Abraham/Neiner,
Bl. Bl. Bl. Bl.
A2V. B2r. A2r. B2r.
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»Falschheit der Welt«177 an ein breites Publikum vermittelt, erfüllt eine eminent wichtige - und von Gott im Jenseits gratifizierte - theologische Aufgabe. Gleichzeitig und zweitens aber droht Neiners besondere Akzentuierung von Abrahams schriftstellerischer Arbeit das von Megerle vermittelte, versöhnliche Bild einer mönchischen Existenz zu sprengen, in welcher sich die ordensinternen Aufgaben, die homiletische Tätigkeit und die literarische Produktion konfliktfrei miteinander vereinbaren lassen. Nach einer anläßlich des Referats des Ausbildungsweges vorgetragenen, ausführlichen und detailreichen Würdigung der »so viel[en]« von dem Verstorbenen »heraus gegebene[n] und geschriebene[n] I Bücher« 178 räumt der Parentator ein, daß Abraham »auch denen I Seinigen sich nicht entziehen [...] wolte« und »dahero [...] alle Aembter seines Ordens Lobwürdig verwaltet« habe. 179 Es folgt eine Skizze seiner Karriere innerhalb der Gemeinschaft der Augustiner-Barfüßer. Das Fazit, mit dem dieser Abschnitt des Nachrufs schließt, nämlich der Verblichene sei »ein rechter Geistlicher« gewesen, ist freilich syntaktisch schon wieder an den nächsten Punkt der laudatio gebunden, eine erneute tiefe Verbeugung vor seinen Leistungen »auff der Cantzel« und den Produkten seiner »Feder«.180 Abraham hat demnach als vorbildlicher Mönch selbstverständlich die ihm innerhalb der Klostergemeinschaft auferlegten Verpflichtungen mustergültig versehen, doch erscheint dieser Dienst in Neiners eigenwilliger Überleitungsformulierung wie ein Tribut an den Orden, den der Verblichene aufgrund seiner Bedeutung als Prediger und Dichter eigentlich nicht hätte zahlen müssen. Anders gesagt, in der nur mühsam aufrechterhaltenen Idealvorstellung einer Einheit von monastischem Leben und literarischer Tätigkeit zeichnete sich das Gegenbild einer geistlichen Autorexistenz ab, die abseits einer Einbindung in die kirchlichen Institutionen Gott und den Menschen allein durch Predigten und die Veröffentlichung von Erbauungsschriften diente. Neiner formulierte damit im Nachruf das Manifest eines >freien< katholischen Homileten- und Literatendaseins, aber gleichermaßen beschrieb er in legitimatorischapologetischer Absicht die gesellschaftliche Situation der zahlreichen stellungslosen Weltpriester im Wien des frühen 18. Jahrhunderts, die sich, wie er selbst, von den Einkünften aus Gelegenheitspredigten und der Publikation von populären religiösen Gebrauchsschriften notdürftig über Wasser hielten.181 Dieses Autorbild enthält im Vergleich mit den traditionellen sozialen Rollenmustem, innerhalb deren etwa Abraham agiert hatte, zweifellos säkularisierte Züge. Liest man allerdings das nekrologische Lob der literarischen Werke des Verblichenen als poetologisches Programm - und dazu berechtigt dessen uneingeschränkte Einlösung in Neiners satirisch-sittenkritischen Texten wie Vienne demasquie (1705), im Curiose[n] Narren=Calender
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Abraham/Neiner, Bl. A2 r ' v . Abraham/Neiner, Bl. A2V. Abraham/Neiner, Bl. B[l] r . Abraham/Neiner, Bl. B[l] v . Im Kontrast zum gegenwärtigen >Priestermangel< bildete die Kirche in Österreich um 1700 zu viele Geistliche aus, als daß diese in den kirchlichen Institutionen alle eine sichere Existenz hätten finden können, vgl. dazu Wannenmacher, Neiner, 1938, S. 23.
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(1707-1714) und im CENT1-FOLIUM STULTORUM Jn QUARTO (1709) so zeigt sich hingegen, daß der Parentator seinem Vorbild ästhetisch und ideologisch völlig ungebrochen treu blieb. Die »Verwunderungs=würdigen und künstlich aneinander I gehängten [...] Erfindungen«, welche einen gelungenen poetischen Text auszeichnen, dienen allein dazu, »aus denen Menschlichen Gemüthern I die Narrheit der vermaschkerten Blindheit [zu] verbann[en]«. Einziges Ziel der Poesie ist es demnach, durch ihre »Spitzfindigkeit«, ihren »Zierath und Vorrath schönster Worten«, also durch das dichterische Durchbrechen der alltagssprachlichen Konventionen, das Publikum zu erstaunen, somit aus seiner der »eitle[n] und alles Geistlichen I ecklende[n] Welt« verhafteten Trägheit zu reißen und auf den Weg einer diesseitsverachtenden inneren Umkehr zu führen. 1 8 2
182
Abraham/Neiner, Bl. A2V und B[l] v .
185
7.
Thomasius oder: Konstanz und Wandel des Nachrufs in der Frühaufklärung
7.1. Sozialer Status und Gestaltung des Totengedenkens Als Sigmund von Birken im Juni 1681 zu seiner letzten Ruhestätte getragen werden sollte, richteten seine hinterbliebenen Freunde, wie in der Gedenkausgabe Die Betrübte Pegnesis mitgeteilt wird, an den Rat der Stadt Nürnberg das Ersuchen, den Verstorbenen nach »alle[n] Leich=Gebräuchen« beisetzen zu dürfen, »welche dem Adel dieser Gegend eigen sind«.1 Der Antrag wurde positiv beschieden, immerhin war der Hingeschiedene schon Jahrzehnte zuvor nobilitiert und zum Pfalzgrafen erhoben worden, ohne freilich - und dies dürfte der Hintergrund der Eingabe gewesen sein - ein öffentliches weltliches oder geistliches Amt ausgeübt zu haben. In der hierarchisch organisierten Gesellschaft des 17. Jahrhunderts hatte sich, dies zeigt das Beispiel einmal mehr, die Gestaltung der Beerdigungsfeier für einen verstorbenen Menschen ebenso in den ständisch differenzierten Verhaltenskodex zu fügen wie jede andere publike Handlung, sei es das Tragen einer bestimmten Kleidung, sei es die Einnahme eines spezifischen Platzes innerhalb eines Zeremoniells oder in der Kirche während des Gottesdienstes (vgl. 4.1.). Das bedeutete freilich auch, daß die Mitglieder des Rates von Nürnberg, wenn sie das Recht einräumten, die Bestattung Birkens als letzte Ehrerbietung gegenüber einem Adligen zu inszenieren, zugleich die Pflicht auf sich nahmen, der Trauerfeier für einen so hochrangigen Toten beizuwohnen. Mit Genugtuung wird daher in der Betrübte[n] Pegnesis festgehalten, daß die »grosse Landes=Väter ihr Leid=Wesen« wie »auch ihre Wolneigung / gegen den Seelig=Verblichenen« dadurch »bezeuget« hätten, daß sie »seine Bestattung [...] meistens [i. e. fast vollzählig ...] begleitet« hätten.2 Damit rückte allerdings in den Mittelpunkt der zeremoniellen postumen Verbeugung vor dem Verstorbenen die Honorierung seiner herausgehobenen sozialen Position und seines derselben gemäßen, »folg=würdigen Lebens=Wandels«.3 Demgegenüber konnte die Bedeutung des literarischen Werkes keinen Maßstab für Umfang und Gestaltung der Trauerfeier zu Ehren eines hingeschiedenen Autors - und damit auch der in ihrem Rahmen vorgetragenen Nachrufe - abgeben.
1 2 3
Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 301f. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 301f. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 302.
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An diesen sozialen Rahmenbedingungen des Dichtertotenlobs hatte sich auch fünfzig Jahre nach der Beisetzung Birkens an der Wende vom Spätbarock zur Frühaufklärung wenig geändert. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts gab der Tod eines Schriftstellers innerhalb der jeweiligen lokalen Öffentlichkeit im protestantischen Raum noch immer Anlaß zu einer glanzvollen zeremoniellen Würdigung seiner Person und seiner Verdienste durch ein prächtiges Begräbnis, durch diverse weitere Trauerfeierlichkeiten und die Publikation zahlreicher nekrologischer, zumeist aus diesen Festivitäten hervorgegangener Gelegenheitstexte - wenn der Verstorbene denn eine hochrangige soziale Position eingenommen hatte. So verursachte etwa das Ableben des renommierten Juristen, Universitätsprofessors respektive -direktors und Schriftstellers Christian Thomasius, 4 der am 23. September 1728 zu Halle/Saale sein Gelehrtendasein beschloß, in der kommunalen Öffentlichkeit der Universitätsstadt beträchtliches Aufsehen und veranlaßte eine geradezu hektische Betriebsamkeit hinsichtlich der Ausrichtung einer fast unüberschaubaren Fülle von publiken nekrologischen Ehrungen. Die verschiedensten kirchlichen Einrichtungen, staatlichen Institutionen sowie privaten Zirkel und Personen der Stadt zelebrierten in pompöser Weise den Tod ihres berühmten Mitbürgers. Neben der oratio funebris im Rahmen der Beisetzung Thomasius' 5 richteten mehrere Hallesche Kirchengemeinden große Trauergottesdienste mit Leichenpredigten aus, 6 ein nekrologisches Oratorium wurde aufgeführt 7 wie auch eine akademische Abschiedsfeier veranstaltet.8 Beinahe alle Professoren der Universität, 9 mehrere Kirchenkolle-
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Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf Thomasius in 14.1.10. - Vgl. zu Thomasius zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 11, S. 346-348 (Walther Gose). - Vgl. zu Thomasius' Leben und Werk in der neueren Forschungsliteratur u.a. Alt, Tendenzen, 1996; Beetz/Jaumann, Thomasius, 2003; Grimm, Literatur, 1983, S. 346-425; Grimm, Schulfuchs, 1987, S. 29-33; Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 1982, S. 423^37; Leinsle, Reformversuche, 1988, S. 162-177; Pott, Aufklärung, 1992, S. 78-126; Schmidt, Rebell, 1995; Schneiders, Thomasius, 1989; Vollhardt, Thomasius, 1997. Vgl. Thomasius/Francke/3. Vgl. Thomasius/Francke/2; Thomasius/Schröter. Vgl. Thomasius/Anonym/5. Vgl. die akademische Abdankungsrede Thomasius/Hoffmann/1; vgl. auch den Gedenktext des Kanzlers der Universität Thomasius/Ludewig. Vgl. die Sammelausgabe Thomasius/Professoren Halle/Saale, die folgende Texte enthält: Thomasius/Hoffmann/2; Thomasius/Antonius; Thomasius/Michaelis/2; Thomasius/Lange/1; Thomasius/Francke/1; Thomasius/Rambach; Thomasius/Gundling; Thomasius/Gasser; Thomasius/Fleischer/2; Thomasius/Morgenstem; Thomasius/Wolf; Thomasius/Knorr; Thomasius/Schlittius; Thomasius/Alberti; Thomasius/Coschwitz; Thomasius/Schneider; Thomasius/Michaelis/1; Thomasius/Lange/2; Thomasius/Baß; Thomasius/Gericke; Thomasius/Straehler; Thomasius/Callenberg. - Auch zahlreiche Professoren der Universität Altdorf verfaßten lyrische Nachrufe, die in Thomasius/Anonym/10, Bl. pl r -p2 v publiziert wurden: Thomasius/Bernhold; Thomasius/Baier/1; Thomasius/Hildebrand; Thomasius/ Fichtner; Thomasius/Rink; Thomasius/Link; Thomasius/Beck; Thomasius/Baier/2; Thomasius/Jantke; Thomasius/Schulze; Thomasius/Schwarz; Thomasius/Müller; Thomasius/ Koeler; Thomasius/Feuerlin; Thomasius/Hoffmann/3; Thomasius/Deinheim; Thomasius/ Beheim. 187
gien 1 0 sowie der Rat der Stadt11 und die kommunalen Gerichte, 12 ferner einige Tischgesellschaften von hohen lokalen Würdenträgern,13 schließlich zahlreiche weitere Freunde, Bekannte 14 und Verwandte 15 gaben ihren schmerzlichen Empfindungen über den Tod des Gelehrten in Epicedien, Epitaphen und Trauergedichten bewegten Ausdruck. Insgesamt erschienen zum mindesten vier verschiedene, teils umfangreiche nekrologische Sammelausgaben 16 und mehr als zwei Dutzend Einzeldrucke mit Nachrufen auf Thomasius 17 sowie eine vollständige Bibliographie seiner Veröffentlichungen. 18 Die Kehrseite der glanzvollen postumen Ehrung eines sozial hochrangigen Schriftstellers war konsequenterweise das >Arme-Leute-Begräbnis< eines Autors, der keine avancierte Position im öffentlichen Leben seines Wohn- und Sterbeortes hatte erringen können. Als beispielsweise Johann Christian Günther (geb. 1695) am 15. März 1723 im Alter von nicht einmal 28 Jahren zu Jena verschied, blieb sein Tod in der Universitätsstadt fast völlig unbeachtet. Lediglich einige mitleidige schlesische Landsleute des >ewigen Studenten< und stellungslosen Gelegenheitsdichters organisierten eine armselige Beerdigung, und ein zu diesem Anlaß verfaßtes Trauergedicht, das im übrigen nur periphere Kenntnisse von Leben und Werk Günthers erkennen ließ, blieb beinahe
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Vgl. Thomasius/Kirchenkollegium St. Moritz; Thomasius/Kirchenkollegium St. Ulrich; Thomasius/Kirchenkollegium zu U. L. F. Vgl. Thomasius/Ratskollegium Halle/Saale. Vgl. Thomasius/Gerichte Halle/Saale. Vgl. Thomasius/Tischgesellschaft Böhmer; Thomasius/Tischgesellschaft Fleischer. Die Sammelausgabe Thomasius/Anonym/10 enthält Bl. nl r -o2 v eine eigene Rubrik mit lyrischen Nachrufen »Von guten Freunden« mit folgenden Texten: Thomasius/Reich; Thomasius/Plitz; Thomasius/Stolle; Thomasius/Deutschbein; Thomasius/Schade; Thomasius/ Nehring; Thomasius/Clitau; Thomasius/Carescauses; Thomasius/d'Arcangeli; Thomasius/ Carpius; Thomasius/Ocker. Die Sammelausgabe Thomasius/Anonym/10 enthält Bl. ql r -s2 v eine eigene Rubrik mit lyrischen Nachrufen »Von Kindern und Anverwandten« mit folgenden Texten: Thomasius/ Thomasius/3; Thomasius/Thomasius/2; Thomasius/Thomasius/4; Thomasius/Thomasius/1; Thomasius/Thomasius/5; Thomasius/Thomasius/7; Thomasius/Thomasius/8; Thomasius/ Thomasius/6; Thomasius/Meis; Thomasius/Heiland/3; Thomasius/Heiland/1; Thomasius/ Anonym/8; Thomasius/Heiland/2. Vgl. Thomasius/Anonym/3 (diese französische Sammlung enthält folgende Texte: Thomasius/Binninger; Thomasius/Roy; Thomasius/Dieny); Thomasius/Anonym/4; Thomasius/Anonym/10; Thomasius/Professoren Halle/Saale. Vgl. Thomasius/Anonym/2; Thomasius/Anonym/5; Thomasius/Anonym/7; Thomasius/ Anonym/9; Thomasius/Birnbaum; Thomasius/Böhmer/1; Thomasius/Böhmer/2; Thomasius/Böhmer/3; Thomasius/Fleischer/1; Thomasius/Gerichte Halle/Saale; Thomasius/Herold; Thomasius/Heylanden; Thomasius/Hoffmann/1; Thomasius/Kirchenkollegium St. Moritz; Thomasius/Kirchenkollegium St. Ulrich; Thomasius/Kirchenkollegium zu U. L. F.; Thomasius/Lamprecht; Thomasius/Püttmann; Thomasius/Ratskollegium Halle/Saale; Thomasius/Schmidt/1; Thomasius/Schmidt/2; Thomasius/Stadtministerium Halle/Saale; Thomasius/Tischgesellschaft Böhmer; Thomasius/Tischgesellschaft Fleischer; Thomasius/Werenberg; Thomasius/Zschackwitz. Anhang zu Thomasius/Anonym/10, S. [1-6].
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zwanzig Jahre bis zu seiner Aufnahme in den Anhang einer Sammelausgabe der Lyrik des Schriftstellers, der inzwischen zu postumem Ruhm gelangt war, ungedruckt. 19 Die beiden Beispiele aus den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts können deutlich - wenn auch in krasser Zuspitzung - belegen, wie stark zu diesem Zeitpunkt Art und Umfang der nekrologischen Würdigung eines Schriftstellers noch immer in Abhängigkeit von dessen gesellschaftlichem Rang und institutioneller Verankerung standen. Zwar trennte Günther und Thomasius auch der Grad der Kanonisierung ihrer Person und ihrer Werke innerhalb des literarischen Diskurses im Moment des Todes. Doch ersterer war an seinem Sterbeort Jena gewiß als Schriftsteller keineswegs völlig unbekannt gewesen; noch während seiner letzten Lebensmonate hatte er eine Reihe von Gelegenheitsgedichten - zum Teil für hochrangige Honoratioren der Stadt - verfaßt. 20 Umgekehrt erwiesen dem hingeschiedenen Hallenser Professor - wie bereits der erste Blick auf die Trauerfeierlichkeiten und Gelegenheitsdrucke belegt hat - nicht primär Privatpersonen ihre Reverenz, indem sie sich vor seinem Werk verbeugten. Vielmehr würdigten vor allem die wichtigsten staatlichen Institutionen, kirchlichen Einrichtungen und halboffiziellen Zirkel wie auch einzelne bedeutende kommunalpolitische Funktionäre mit ihren Nachrufen den verstorbenen Mitbürger, der innerhalb der städtischen Hierarchie in herausgehobener Position rangiert hatte. Quantität und Qualität der nekrologischen Ehrung eines Schriftstellers standen demnach noch immer weitgehend im Zeichen der postumen Beglaubigung seiner gesellschaftlichen Stellung - respektive der endgültigen Bescheinigung seiner Bedeutungslosigkeit im sozialen Gefüge.
7.2. Nekrologische Inszenierung einer postumen Rücknahme der Frühaufklärung Das thematische Spektrum der überbordenden Fülle an publiken Reaktionen auf Thomasius' Ableben, welche hier weiterverfolgt werden sollen, war bemerkenswert eng. Neben den für Nachrufe auf Schriftsteller und Gelehrte typischen allgemeinen Elogen auf die intellektuellen Fähigkeiten und Leistungen, die Klugheit, den Eifer und den internationalen Ruhm des Verstorbenen 21 sowie auf die Unvergänglichkeit seiner Schriften 22 und neben den konsolatorischen Hinwendungen an dessen Witwe,
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Anonym, Tod, 1742; vgl. zu diesem Text, zur Beerdigung Günthers und zu einem vier Jahre nach dem Tod des Schriftstellers publizierten weiteren Trauergedicht von Carl Siegmund von Eben und Brunnen Bölhoff, Günther, 1980/1983, Bd. 3, S. 26f.; Krämer, Leben, 1980, S. 354 und 559; Manger, Todeseintrag, 1997. Vgl. Bölhoff, Günther, 1980/1983, Bd. 3, S. 26: Günther schrieb in Jena rund 20 Gelegenheitstexte, »unter den Adressaten befanden sich auch bekannte Jenaer Persönlichkeiten: die Professoren Beck und Struve, der Universitätsbibliothekar Buder, der Hofapotheker Vogt.« Vgl. z.B. Thomasius/Böhmer/1; Thomasius/Francke/3, S. 3. Vgl. z.B. Thomasius/Baß; Thomasius/Böhmer/2; Thomasius/Gericke; Thomasius/Heiland/2; Thomasius/Plitz; Thomasius/Tischgesellschaft Fleischer.
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Kinder und Enkel 23 beherrschte zum ersten die Klage über den Verlust eines der Gründerväter und wichtigsten Repräsentanten der Universität Halle einen größeren Teil der Nachrufe. Der Arzt Georg Daniel Coschwitz (1679-1729) 24 beispielsweise wandte sich in seinem Trauergedicht mit der direkten Aufforderung an die akademische Institution in ihrer Gesamtheit, Thomasius' Tod würdig und gebührend zu beklagen: BE weine den Verlust, FRIDERICIANA, traure! Der dich von neuem trifft, in Boy und Flohr verhüllt; Der deinen Helicon mit Klagen angefüllt: Ja laß dich diesen Fall nur recht erhebend dauren! Dann dein DIRECTOR fällt, und ist im Tod erblasset, Der doch zu deinem Bau den Grund=Riß abgefasset. War Er der Erste nicht, der deinen Musen=Söhnen Eh' du geweyhet warst; die schönsten Lehren laß? 25
Auch wurde in einige Nachrufe die Friedrichs-Universität selbst durch eine fictio personae als trauernde Person eingeführt, die über den Verlust einer ihrer wichtigsten Stützen lamentierte.26 Zum zweiten pointierten viele Nachrufautoren die bedeutenden Neuerungen des Verstorbenen auf den Gebieten der Jurisprudenz und Philosophie, insbesondere der Naturrechtslehre. Ein dem »Thomasiussische[n] Haus [...] gehorsamst verbundenster Diener« etwa faßte die innovatorischen Verdienste des Gelehrten prägnant in den folgenden Worten seines Trauergedichtes zusammen: Die Lehren der Vernunfft, der Sitten, und Natur, Davon das Alterthum, weiß weder Weeg noch Spur. Die wahre Politic, sind uns bey diesen Tagen, Nach ihrer Eigenschafft begreifflich vorgetragen [worden ...] Fragst du, wem schreibet man die vielen Wunder zu? So sprich: THOMASIO, der itzt zu seiner Ruh [... getragen wurde.] 27
Der Autor einer anonymen Lebensbeschreibung, die in eine der Gedenkausgaben aufgenommen wurde, unterstrich ebenfalls die Leistungen des Verstorbenen hinsichtlich einer radikalen Infragestellung aller derjenigen überkommenen Lehrsätze, Dogmen und Meinungen, die lediglich auf der Autorität der akademisch kanonisierten Ikonen der Geistesgeschichte fußten und einer vernunftgemäßen und damit logisch und philosophisch stringenten Prüfung nicht standhielten: Das Feuer des durchdringenden von GOTT dem seligen Manne verliehenen Judicii Hesse Jhm nicht zu, dasjenige was Jhm von seinen Lehr=Meistem gelehret worden, blindlings
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Vgl. z.B. Thomasius/Francke/2, S. 40; Thomasius/Francke/3, S. 15f.; Thomasius/Herold; Thomasius/Schröter, S. 67; Thomasius/Thomasius/4. Vgl. zu Coschwitz DBA Folge 1, Nr. 203, Bl. 208-214 und Folge 2, Nr. 238, Bl. 181-183. Thomasius/Coschwitz, Bl. cl r _ v . Vgl. z.B. Thomasius/Ratskollegium. Thomasius/Anonym/2, Bl. hl v .
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wieder nachzusprechen, und allen damahligen gemeinen Lehren und Meynungen zu folgen, sondern er suchte in der Philosophie so wohl als in Jure, absonderlich aber in den [sie!] Natürlichen Recht, durch eyferiges Nachdencken einen gewissen Grund zur Wahrheit zu legen. 28
Insbesondere die Weiterführung und Vertiefung der Erkenntnisse der wichtigsten Vertreter der Naturrechtslehre wurde Thomasius - zum Beispiel von dem Juristen Johann Georg Werenberg (ca. 1702-1780) 29 - in den Reaktionen auf sein Ableben immer wieder als besonderes Verdienst angerechnet. In der comparatio mit den geistigen Vorläufern wurden historische Reihen von herausragenden Gelehrten gebildet, welche ihrerseits wiederum die Leistungen des Verstorbenen amplifizierten, kanonisierten und historisierten: [...] Was ehmals Grotius, Was Hobbes, Pufendorf zuerst auf festen Fuß Jn der Moral gesetzt, das hat geschickt erweitert Der Hochgelahrte Mann, drauf ungemein erleutert Das Römische so wohl, als das Canonische Auch Land= und Lehen=Recht, dabey unzehliche Jrrthümer frey entdeckt, die abgeschmackten Grillen Und Glossen ausgemertzt, obgleich auch starke Pillen Mit unterlauffen offt, weil man ja bitter nennt Die Wahrheit an sich selbst, die er gantz frey bekennt Und ungescheut gelehrt. [...] 3 0
Häufig stilisierte man dabei die intellektuellen Leistungen des Verstorbenen in offenkundiger Aufklärungsmetaphorik zum »helle[n] Licht«, das »der gelehrten Welt beständig vorgeleucht[et]« und, »was die Dunckelheit und Barbarey verdecket, von neuem wiederum in Klarheit angestecket« habe, 31 ja Johann Friedrich Reich setzte Thomasius in seinem Trauergedicht sogar mit der »Sonne« selbst gleich, »die jede Nacht vertreibet«. 32 Zum dritten schließlich wurde in vielen der Nekrologe auf den Neid und die außerordentlich große Mißgunst abgehoben, mit denen der Verstorbene von seinen Feinden zeitlebens bösartig verfolgt und in zahlreiche Streitigkeiten verwickelt worden sei. Nähere Einzelheiten und Details wurden dabei allerdings nicht spezifiziert. 33 Den thematischen Mittelpunkt der meisten Nachrufe auf Thomasius bildeten auffälligerweise aber weder dessen Persönlichkeit noch dessen schriftstellerisches und akademisches Lebenswerk, sondern sein - im christlich-protestantischen Sinne verstanden - ruhiges, gefaßtes und seliges Sterben. Das Gros der Autoren von Ne-
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Thomasius/Anonym/6, S. 43; vgl. ζ. B. auch Thomasius/Deutschbein. Vgl. zu Werenberg DBA Folge 1, Nr. 1353, Bl. 93 und Nr. 1431, Bl. 390. Thomasius/Werenberg, Bl. Kl"; der direkte Bezug zu Grotius, Hobbes und Pufendorf ζ. B. auch bei Thomasius/Reich, Bl. nl r . Thomasius/Böhmer/2, Bl. f l v ; vgl. z.B. auch Thomasius/Lange/2. Thomasius/Reich, Bl. nl r . Vgl. ζ. B. Thomasius/Anonym/8; Thomasius/Coschwitz; Thomasius/Francke/2, S. 37; Thomasius/Gundling; Thomasius/Tischgesellschaft Böhmer.
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krologen auf den Gelehrten griff dieses Thema zum wenigsten auf, viele von ihnen setzten hier sogar einen spezifischen Akzent oder widmeten sich ausschließlich dieser Frage. Schon in zahlreichen Titeln der einzelnen gedruckten Texte deutete sich das ausdrückliche Bemühen an, eine bedeutende Persönlichkeit ehren zu wollen, die nun »selig verstorben« sei,34 die ihr Leben »mit einem seligen Ende beschlossen« habe; 35 einer der Nachrufautoren überhöhte das Hinscheiden Thomasius' gar ganz allgemein zum »schöne [n] Exempel« für die »letzte Christliche Todes=Bereitung als ein offenbares Zeugniß von einem seligen Ende«. 36 Die ostentative Fülle und hyperbolische Nachdrücklichkeit dieser und vieler weiterer ähnlicher Apologien des ruhigen und gefaßten Hinscheidens des Schriftstellers und seiner gewissen transzendenten Errettung legen freilich die Vermutung nahe, daß die Autoren der Nachrufe damit - mehr oder weniger direkt - ein ebenso zentrales wie brisantes Problem in der Auseinandersetzung mit dem nun abgeschlossenen Leben, dem Werk und der Wirkung Thomasius' ansprachen. Bereits Johann Georg Francke (1669-1747), 37 der Beichtvater des Verstorbenen, hatte eben dieses Problem in seiner Leichenpredigt explizit auf den Punkt gebracht. Er hob darin die geistliche Stärke und Zuversicht Thomasius' während der letzten Tage seiner Todeskrankheit hervor, benannte die frommen Lieder, die nach dem Wunsch desselben an seinem Lager gesungen wurden, und betonte darüber hinaus, daß der Sterbende sich vor seinem Hinscheiden nochmals ausdrücklich zu jedem einzelnen Artikel der lutherischen Konfession bekannt habe. Der Prediger warf augenscheinlich seine gesamte Autorität sowohl als letzter geistlicher Beistand des berühmten Toten - und damit Informierter aus erster Hand - wie auch als einer der wichtigsten Repräsentanten der protestantischen Kirchenelite zu Halle in die Waagschale, um mit seinen beinahe inständigen Beteuerungen das Publikum vom seligen Ableben Thomasius' zu überzeugen. Francke war offenkundig bestrebt, das ruhige, gefaßte und allen Forderungen der lutherischen ars moriendi gemäße Sterben des Gelehrten der Halleschen Öffentlichkeit als untrügliches und unzweifelhaftes Indiz für dessen Rechtgläubigkeit nahezubringen - und er formulierte diese Absicht sogar explizit in der conclusio seiner Leichenpredigt: Thomasius habe, so resümierte der Prediger, aller Welt mehr als deutlich gezeigt, [e]r glaube allem was geschrieben stehet im Gesetz und in den Propheten, und habe die Hoffnung zu GOtt, auf welche die Väter und mit Jhnen alle Christen warten, nämlich, daß zukünfftig sey die Auferstehung beyde der Gerechten und Ungerechten. Dis Bekentnis hat Er allen Beschuldigungen entgegen setzen wollen, in welchen man Jhm die Richtigkeit seines Glaubens streitig gemacht [...]. 38
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Thomasius/Böhmer/2, Bl. f P ; vgl. ebenso Thomasius/Gerichte Halle/Saale, Bl. dl v ; Thomasius/Ratskollegium, Bl. c2v. Thomasius/Francke/3, S. 1; vgl. ebenso Thomasius/Herold, Bl. f2 r . Thomasius/Anonym/7, Bl. f2 v . Vgl. zu Francke DBA Folge 1, Nr. 336, Bl. 358-369. Thomasius/Francke/2, S. 38; vgl. z.B. auch Thomasius/Anonym/7 die ausführliche Darstellung des seligen Sterbens und das Fazit: »Dein Ende crönet Dich, nach vielen Streit, zuletzt, I Denn Du bekömmst von GOtt die Crone der Gerechten [...].«
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Der Leichenredner trachtete also, mit der eindringlichen Schilderung der seligen Sterbeszene des Gelehrten den Beweis dafür anzutreten, daß derselbe ohne jede Einschränkung ein aufrechter und konfessionstreuer Lutheraner gewesen sei, ein Versuch, der allerdings gerade in seiner Nachdrücklichkeit umgekehrt darauf schließen läßt, daß in der Öffentlichkeit durchaus Zweifel an der Integrität der religiösen Position des Toten gehegt wurden. Als typisches Beispiel für die zahlreichen lyrischen Nekrologe, die - wie Francke in seiner Predigt - das christliche Sterben des Gelehrten und damit seine Rechtgläubigkeit emphatisch beschworen, kann das Trauergedicht von Georg Friedrich Deinheim gelten. Mit einprägsamen Worten und Bildern führte der Autor den Rezipienten darin die Sterbeszene Thomasius' vor Augen, welche eindeutig und unwiderleglich dessen tiefen, ehrlichen und aufrichtigen Glauben bewiesen habe, und gab seiner Gewißheit hinsichtlich der jenseitigen Seligkeit des Verstorbenen beredt Ausdruck. Zuletzt gelangte er freilich in einem - durchaus ambivalenten - Sprachspiel mit dessen Vor- und Nachnamen zu folgendem Fazit: Hier [sc. auf dem Sterbebett] zeigte sich die Prob, die nicht betrügen kan; Denn T H O M A S lebt und lehrt und stirbt als CHRISTIAN.39
Dem nekrologischen Lob für den selig und als guter Protestant in der Nachfolge Christi Hingeschiedenen korrespondierte, wie sich zeigt, ein leiser, jedoch unüberlesbarer Tadel. Mit der Allusion auf den >skeptischen< Apostel Thomas (vgl. Joh 20, 24—29) ließ Deinheim deutlich die zu Lebzeiten Thomasius' häufig gehegten Zweifel an dessen Rechtgläubigkeit anklingen, ja, gestand denselben offenkundig sogar einige Legitimität zu und erinnerte den - jetzt selig verstorbenen - Gelehrten somit als einstigen Zweifler an den Lehren der lutherischen Kirche. Der Jurist Johann Ehrenfried Zschackwitz (1669-1744) 4 0 formulierte in seinem Trauergedicht Das verloschene Licht in der gelehrten Welt noch radikalere Vorbehalte gegenüber der früheren religiösen Position des Schriftstellers. Auch er schilderte auf eindringliche Weise das selige Sterben Thomasius', relativierte jedoch gleichzeitig die verbreitete Ansicht, ein ruhiges und gefaßtes Hinscheiden sei als untrügliches Indiz für die geistliche Errettung zu qualifizieren: Zwar nimmt wohl mancher Mensch dergleichen sanfftes Ende, Bey dem die Seeligkeit doch zweiffelhafftig ist [...].
Diesem Einwurf begegnete Zschackwitz nun in den folgenden Versen seines lyrischen Nekrologs mit einer Reihe von Argumenten, die für eine tatsächliche geistliche Errettung der Seele des Verstorbenen sprächen: Allein, wenn ich mein Hertz zu Deinem Sterben wende S o mach ich diesen Schluß: daß Du recht seelig bist.
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Thomasius/Deinheim. Vgl. zu Zschackwitz D B A Folge 1, Nr. 1419, Bl. 19-27.
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Denn wer im Glauben stirbt und sich zu GOtt bekehret, Nichts von der Welt mehr liebt, und nur an das gedenckt, Was ewigwährend ist, dem wird auch das bescheret, Was GOttes Wort verheißt und dessen Gnade schenckt.
Und Zschackwitz beendete seine Apologie der zuletzt unzweifelhaften, gar mit dem Zentralbegriff des Halleschen Pietismus >Bekehrung< bezeichneten Rechtgläubigkeit Thomasius', indem er - ähnlich wie Deinheim - den Verstorbenen und dessen theologische Position, oder genauer gesagt: dessen religiöse Entwicklung, mit einer zentralen Gestalt des Neuen Testaments in Vergleich stellte: Dergleichen Unterricht hast Du von dem bekommen, Der Dich zur Seligkeit wie Paulus angeführt, Und weil Du diesen Weg im Glauben angenommen, So hat Dich GOttes Geist auch sonderlich gerührt.41
Der Parentator rückte damit zum einen den sterbenden Thomasius - man bedenke den hohen Stellenwert der Paulinischen Briefe für den Protestantismus - in die Position eines >linientreuen< lutherischen Christen, charakterisierte aber zum anderen den Weg des Verewigten zu dieser späten Rechtgläubigkeit als Werdegang eines Saulus, der erst >zur Seligkeit angeführt< und >zu Gott bekehrt< werden mußte. Zschackwitz gedachte des Gelehrten mithin nicht bloß wie Deinheim als eines religiösen Zweiflers, sondern in seiner comparatio mit einer spezifischen biblischen Figur als eines früheren Heiden oder Atheisten, der rechtzeitig doch noch zur >wahren< christlichen Lehre gefunden habe. In der besonderen Akzentuierung von Thomasius' seligem Sterben artikulierten die Autoren vieler Nachrufe also, wie sich zeigt, markante Vorbehalte gegenüber der von ihm zu Lebzeiten - wenigstens zeitweise - vertretenen religiösen Position. Uber vage Andeutungen hinsichtlich der früheren häretischen Haltung wie beispielhalber die Vergleiche mit den biblischen Figuren Thomas und Paulus ging freilich niemand unter den Hallenser Parentatoren hinaus; keine der theologisch relevanten öffentlichen Diskussionen, die der Gelehrte angestoßen und ausgefochten hatte - sei es die Debatte um die Legitimität der staatlichen Verfolgung von Ketzern, sei es die Auseinandersetzung um die Existenz von Hexen oder die Polemik gegen die Formen und Lehrinhalte des zeitgenössischen Theologiestudiums - , wurde in den Nekrologen explizit und differenziert thematisiert, keine seiner einschlägigen Publikationen wurde ausdrücklich benannt. Der Grund dafür mag zum einen in der allgemeinen, für die Gattung des Nachrufs charakteristischen euphemisierenden Tendenz zu suchen sein, Konflikte und Mißhelligkeiten innerhalb des eben zu Ende gegangenen Lebens herunterzuspielen und die Vita des Verstorbenen harmonisierend zu beschönigen; wurden doch auch in vielen Texten, wie bereits erwähnt, die zahlreichen Streitigkeiten und Anfeindungen, mit denen Thomasius sich zu Lebzeiten konfrontiert gesehen hatte, stets relativ abstrakt und ohne Nennung näherer Details dem Neid und der Mißgunst seiner Gegner
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Thomasius/Zschackwitz.
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angelastet. Zum anderen wird den nekrologischen Kritikern wenig daran gelegen gewesen sein, die von dem verstorbenen Gelehrten verbreiteten, offenkundig als anstößig empfundenen Positionen in der Öffentlichkeit des publik inszenierten Totengedenkens für einen der angesehensten Bürger der Stadt zu diskutieren. Die ostentative Beschwörung des seligen Ablebens Thomasius' durch viele Nachrufautoren und die gleichzeitigen, recht nebulösen Andeutungen hinsichtlich seiner früheren Häresien können freilich auch ganz anders erklärt werden. Der Verstorbene hatte in seinen öffentlichen Äußerungen eigentlich ja niemals den Boden der lutherischen Konfession verlassen - und dies auch immer wieder beteuert - , sondern sich bloß gegen viele Positionen, Erscheinungsformen und auch Machtansprüche der Spätorthodoxie wie auch teilweise des Pietismus, die ihm bei kritisch-philosophischer Befragung unhaltbar, abstrus oder unzeitgemäß zu sein dünkten, ausgesprochen. Das Bekenntnis zu jedem einzelnen Artikel der Augustana confessio auf dem Sterbebett signalisierte daher weder einen Sinneswandel Thomasius', noch ließ es tatsächlich auf seine späte Reue über die zeitlebens polemische Haltung gegenüber der pedantischen^ >verknöcherten< und >aristotelisch-scholastischen< Kirche seinerzeit und ihrer Repräsentanten schließen. In diese Kritik stimmten sogar eine Reihe der Parentatoren - auch der Pietisten unter ihnen - ein und priesen ausdrücklich die Veränderungen, die der Verstorbene mit seinen Publikationen auf diesem Gebiet habe einleiten können. Die Häresie, die Thomasius von seiner Nachwelt vorgeworfen wurde, bestand offenbar weniger in seiner Kritik an einigen überkommenen Ideologemen und Ausprägungen der lutherischen Spätorthodoxie, vielmehr in seinem radikalen Angriff auf die Theologie als Leitdisziplin unter den Wissenschaften aus der Position eines weltlichen Schriftstellers heraus. Die Attacke traf gleichzeitig auch die weitgehend pietistisch geprägte Hallesche Kirchenelite und mußte derselben als dreiste Zumutung erscheinen, da sie in dieser Hinsicht kaum anders dachte als die von ihr bekämpfte Orthodoxie. 42 Nicht der einzelne Einwand gegen diesen oder jenen Lehrpunkt also, sondern die selbstbewußte und wiederholte Einmischung des Juristen in traditionell von der Kirche dekretierte Fragen, der Spott des satirischen Autors über die seiner Ansicht nach logisch völlig inkonsistenten, ja lächerlichen Denkgebäude mancher Dogmatiker, der Anspruch des Profangelehrten, vom eigenen, vernunftgeleiteten >Selbstdenken< aus die Grenzen zwischen Philosophie und Theologie neu zu bestimmen, wurde als ungeheuerliche Zumutung empfunden. Auf diese Hybris, in der sich eine der wesentlichsten Leistungen der späteren Aufklärer andeutete, konzentrierte sich der oft nur indirekt und undeutlich formulierte Häresie-Vorwurf vieler Nachrufautoren, und von hier aus vermochte das selige, mit den Regeln der lutherischen Lehre völlig konforme
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Vgl. zur Emanzipation der Profanwissenschaften während der ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts, zu den Veränderungen im akademischen Lehrkanon und zur Ablösung der Philosophie von der Bevormundung durch Orthodoxie und Pietismus Grimm, Gelehrtentum, 1983, S. 4 4 6 - 4 7 7 , zu Thomasius' Rolle S. 448; zu Thomasius' Anspruch auf >Selbstdenken< vgl. z . B . Herrmann, Verhältnis, 1971, S. 101 u.ö.; Pott, Aufklärung, 1992, S. 84 u.ö.; vgl. auch Vollhardt, Finsternüß, 1997, S. 7; Wiebking, Recht, 1973, S. 19 u.ö.
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Sterben Thomasius' als Rückkehr des Ketzers zur >reinen< Lehre, als Widerruf und Zu-Kreuze-Kriechen des anmaßlichen, die überragende Stellung der Theologie in Zweifel ziehenden Weltgelehrten eine so besondere Bedeutung innerhalb der Nachrufe zu gewinnen. Zwischen dem Toten und seiner Nachwelt stand in paradoxer Umkehrung der üblichen Chronologie ein Epochenbruch, der nun postum im Rahmen der Nachrufe kassiert werden konnte. Besonders deutlich läßt sich dieses nekrologisch inszenierte Klein-Beigeben Thomasius' gegenüber der Theologie anhand des achtzeiligen Trauergedichts von Joachim Lange (1670-1744), Professor für Theologie und einer der prominenten Vertreter des Pietismus in Halle, 43 veranschaulichen: WEr die PHILOSOPHIE und Rechte wohl versteht, Weiß viel, und weiß doch nichts, wann es zum Sterben geht. Nur der allein stirbt wohl, wer recht an Christo hanget, Und so durch seinen Tod die Seligkeit erlanget. Der Herr Geheimde Rath [sc. Thomasius] hat dis auch offt gesagt, Auch, als nach seinem Wunsch, Er darum ward gefragt. Wohl dem, der beydes, Licht und Recht, in Christo findet, Und durch des Glaubens Band sich vest mit ihm verbindet.44
Lange zeichnete, wie sich zeigt, das selige Sterben Thomasius' explizit als Akt der letztendlichen Selbstbescheidung des Juristen und Philosophen innerhalb der engen Grenzen der von ihm vertretenen, mit ihrem bloß irdischen Wissen gegenüber dem christlichen Glauben völlig bedeutungslosen akademischen Disziplinen und stilisierte den konfessionskonformen Tod des Gelehrten zur Unterwerfung unter den unhinterfragbaren Primat der Theologie. Auch Johann Jakob Rambach (1693-1735), ebenfalls prominenter Hallenser Pietist und Theologieprofessor an der Universität,45 betonte in seinem lyrischen Nachruf den unaufhebbaren Gegensatz zwischen vergänglichem Profanwissen und alleinseligmachendem Glauben, welchen der Tote auf seinem Sterbebett zugunsten des letzteren aufgelöst habe: Das Wissen höret auf, Gelehrsamkeit vergehet; Der bleibet, der mit GOtt in Freundschaffts=Bunde stehet 4 6
Der Tod versöhnte im Falle Thomasius' demnach insofern die Gemüter der Parentatoren, als durch dessen (vorgeblichen) späten >Rückzieher< die Theologie wieder in ihre vollen Rechte eingesetzt wurde.
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Vgl. zu Lange Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 7, S. 141f. (Klaus Bohnen). Thomasius/Lange/1; vgl. auch das Oratorium Thomasius/Anonym/5, wo die Personifikation der Vernunft und Jesus Christus als miteinander sprechende Figuren vorgeführt werden, dieser jedoch als Lebensspender und Seelenretter gegenüber der irdischen Begrenztheit jener im Dialog zuletzt die Oberhand behält. Vgl. zu Rambach Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 285f. (Dietrich Meyer). Thomasius/Rambach.
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Dies betonte sogar der Schriftsteller, Polyhistor und Professor der Politik zu Jena Gottlieb Stolle (1673-1744), keineswegs ein Gegner, sondern einer der wichtigsten Anhänger des Verstorbenen, 47 in seinem Trauergedicht: Du sahst Dich um in klugen Büchern, Und dachtest ihren Lehren nach, Dich doch bey aller Ungemach Der wahren Weisheit zu versichern: Allein zu weit, zu weit gefehlt! Wie können die in ihren Schriften Den Weg zur wahren Ruhe stiften, Die selbst die falsche Ruh erwehlt? Zuletzt fiel Dir die reine Quelle Der wahren Weisheit ins Gesicht. Was spürte da Dein Auge nicht? Die Nacht verschwand; an deren Stelle Kam Dir ein lichter Sonnenschein, Du sahst, wohin bey allem Dencken Allein der Geist mit Fleiß zu lencken, GOtt und Dich selbst genauer ein. 4 8
Erst auf der Grundlage einer solchen nekrologischen Zurückweisung Thomasius' in die bescheideneren Gefilde einer am Irdischen haftenden und die Vorrangstellung von Glaube und Theologie nicht bestreitenden Profanwissenschaft konnte das Lebenswerk des Verstorbenen in seiner vollen - und das heißt hier: in seiner doch recht stark eingeschränkten - Bedeutung resümierend gewürdigt werden. Auch die - neben dem seligen Hinscheiden - weiteren zentralen Themen der in Halle veröffentlichten Nachrufe erscheinen konsequenterweise stets aus dem Blickwinkel der auf dem Sterbebett zurückgenommenen, lebenslangen Hybris des Gelehrten und seiner späten Selbstbescheidung perspektiviert. So wurde Thomasius in den Klagen über den Verlust, den die Universität durch seinen Tod betroffen habe, mehrfach mit Vita und Werk der etwa eineinhalb Jahre zuvor verstorbenen Leitfigur des Halleschen Pietismus August Hermann Francke (1663-1727) 49 parallelisiert. Friedrich Hoffmann (1660-1742) beispielsweise, Arzt, medizinischer Fachschriftsteller, Professor und zu diesem Zeitpunkt auch Prorektor der Universität Halle, 50 pries in einem Vergleich der Lebensläufe der beiden Gelehrten ihre gemeinsamen Verdienste um die neueingerichtete akademische Institution, ihr stets ungebrochenes Streben nach Wahrheit und Beseitigung alteingewurzelter Vorurteile trotz aller Schikanen und Verleumdungen wie auch den seligen Tod beider. Er hielt dabei freilich ebenfalls fest, daß Thomasius
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Vgl. zu Stolle Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 11, S. 222 (Hanspeter Marti); D B A Folge 1, Nr. 1233, Bl. 4 0 1 - 4 3 0 und Folge 2, Nr. 1273, Bl. 91f. Thomasius/Stolle, Bl. n2 r . Vgl. zu Francke zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 3, S. 4 6 9 - 4 7 1 (Petra Kurten). - Vgl. zum Verhältnis von Thomasius und Francke Nebe, Thomasius', 1979. Vgl. zu Hoffmann D B A Folge 1, Nr. 552, Bl. 141-245 und Folge 2, Nr. 601, Bl. 4 - 4 3 .
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seine besonderen Meriten auf dem Gebiet der »weltlichen«, Francke aber auf dem Feld der »göttlichen [...] Gesetzje]« erlangt habe.51 Die durchaus - gerade wegen diverser Differenzen in religiösen Fragen - gespannte persönliche Beziehung zwischen den beiden ließ Hoffmann dagegen ebenso wie Thomasius' während seiner beiden letzten Lebensjahrzehnte außerordentlich reserviertes Verhältnis zum Pietismus völlig unberücksichtigt. Bezüglich der von dem Verstorbenen vertretenen innovatorischen Thesen und Positionen wurden in den zu Halle erschienenen Nachrufen immer wieder nur seine Leistungen auf den Gebieten der Philosophie, der Jurisprudenz und der Naturrechtslehre hervorgehoben,52 hingegen die gerade wegen seiner publiken Äußerungen zu theologisch relevanten Problemstellungen entstandenen Kontroversen nur summarisch und ohne nähere inhaltliche Bestimmung erwähnt53 und seine Publikationstätigkeit zu Glaubensfragen - abgesehen von den Invektiven gegen das kanonische Recht der gegnerischen katholischen Kirche - völlig verschwiegen. Eine kritische Stimme wie die von Rudolf August Heiland,54 der in einem Trauergedicht die verleumderischen »Ketzermacher« davor warnte, sich nicht allzu früh über den Tod des Gelehrten zu freuen, da seine Schriften auch über sein Ableben hinaus ihre Wirkung weiter entfalten würden, blieb demgegenüber völlig singulär.55 Das helle Licht der Vernunft, mit dem Thomasius das Dunkel der bisherigen >PedantereySchulfüchserei< und >Scholastik< durchleuchtet hatte und das in den Nachrufen nicht oft genug überschwenglich gelobt werden konnte, sollte offenbar doch nur eine beschränkte Strahlkraft entfalten und nicht in häretischer Weise die Grenzen zu der noch immer als sakrosankt definierten Theologie durchdringen.
7.3. Rhetorische Humilisierung und ostentative Intimisierung des Nachrufs Die öffentliche Auseinandersetzung zu Halle mit dem Ableben jenes Schriftstellers, der als erster akademischer Lehrer im späten 17. Jahrhundert eine Vorlesung in deutscher Sprache angeboten, sich in seinen Publikationen für die Abschaffung der Folter stark gemacht hatte und als Jurist vehement gegen die Hexenverfolgung sowie die staatliche Ahndung der Häresie als kriminelles Delikt eingetreten war, verlief - wie bereits deutlich geworden sein dürfte - weitestgehend innerhalb der konventionellen Medien und Gattungen des traditionellen barocken Totenlobs: innerhalb der Leichenpredigt, des während der Abdankungsfeier verlesenen Lebenslaufes, des Epicediums
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Thomasius/Hoffmann/2, Bl. a2r; vgl. ähnlich Thomasius/Straehler; vgl. z.B. auch Thomasius/Francke/2, S. 24, wo die »Merita« des Verstorbenen bei der »Führung der Jhm anvertrauten ansehnlichen Aempter« hervorgehoben werden. Vgl. z.B. Thomasius/Anonym/2, Bl. hl v ; Thomasius/Böhmer/1, Bl. g2v. Vgl. z.B. Thomasius/Anonym/7; Thomasius/Francke/2, S. 37. Aus dem Trauergedicht geht hervor, daß es sich bei Heiland um einen Verwandten Thomasius' handelte, die Art des Verwandtschaftsverhältnisses wird allerdings nicht spezifiziert. Thomasius/Heiland/3, Bl. sl r .
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und der Trauerlyrik. Auch hinsichtlich der Textherstellungsstrategien bedienten sich viele der Nachrufautoren der seit Jahrzehnten eingespielten Modelle und gängigen Gestaltungsmuster. Im Zentrum der orationes funebres zum Beispiel standen traditionsgemäß die Erklärung und dogmatische Interpretation eines Bibelwortes ohne direkten inhaltlichen Bezug auf die verstorbene Person, ein Bezug, welcher seinerseits erst in der kürzeren, abschließenden applicatio hergestellt wurde. 56 In der topischen inventio dominierten in vielen Fällen, auch bei lyrischen Nachrufen, die Suchstrategien nach besonders gelehrt, kurios oder hyperbolisch anmutenden Realien, Thomasius wurden unter anderem diverse außerordentlich ehrende Attribute aus den Schriften theologischer Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts beigelegt, auch setzte man ihn mehrfach typologisch mit einer Reihe von bedeutenden alttestamentarischen Figuren, etwa Moses, Salomo, David, gleich. 57 Für die dispositio galt vielen Parentatoren die Abfolge der Wirkfunktionen lamentatio, laudatio und consolatio noch immer ebenso als weitgehend unumstößliche Regel wie hinsichtlich des ornatus die Wahl des genus grande für einen besonders bedeutenden Toten. Ein großer Teil der Nachrufe ist daher stark vom intensiven Einsatz emotionalisierender Konstruktionen, überaus pathetischer Figuren und affektsteigernder sprachlicher Gesten, etwa Anaphern, Chiasmen, Worthäufungen, Metaphern und exclamationes, geprägt. Und dennoch: In manchen der Nekrologe, gelegentlich auch in denen, die mit besonderer Vehemenz das selige Sterben des Philosophen und Rechtsgelehrten und damit die späte Revision seiner häretischen Anmaßung gegenüber dem Primat der Theologie zum Ausdruck brachten, deuteten sich unübersehbar bereits einige der tiefgreifenden kultur-, sprach-, rhetorik- und poetikgeschichtlichen Transformationen an, die an der Wende vom Spätbarock zur Aufklärung in einem jahrzehntelangen Prozeß den literarischen Diskurs innerhalb des deutschsprachigen Raums - und damit auch die Gattung des Nachrufs - von Grund auf verändern sollten. 58 In einer Reihe von Texten rekurrierten die Nekrolog-Autoren mit ihrem Personenlob nicht auf antike Vorbilder oder biblische Parallelen, enthielten sich besonders hyperbolischer Metaphorisierungen und ausgefallener Allegorisierungen, verzichteten also auf die hochartifiziellen Finde-, Argumentations- und Ausschmückungskünste früherer Generationen von Parentatoren - auf das Buchstabenspiel, die inventio analogica, die Exemplifizierung mittels Rückgriff auf kuriose Historien oder Sentenzen (vgl. u.a.
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Vgl. ζ. B. Thomasius/Francke/2; Thomasius/Schröter. Vgl. z.B. Thomasius/Francke/3, S. 3 u.ö.; Thomasius/Schröter, S. 55 u.ö. Vgl. zu den Veränderungen im System der Rhetorik im Rahmen der massiven kulturellen Transformationen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts u.a. Beetz, Logik, 1980; Bender, Tradition, 1980; Bogner, Nachwort, 1999; Bornscheuer, Paradoxien, 1989; Dyck/Sandstede, Quellenbibliographie, 1996, Einleitung; Fuhrmann, Rede, 1993; Gabler, Geschmack, 1982; Grimm, Oratorie, 1983; Klassen, Logik, 1973; Lohmann, Bildung, 1993; Meuthen, Selbstüberredung, 1994; Möller, Überlieferung, 1983; Müller, Rhetorik, 1990; Petrus, Genese, 1997; Schneider, Reden, 1994; Stauffer, Erfindung, 1996; Ueding/ Steinbrink, Grundriß, 1986, S. 100-133.
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6.1.) - und vertrauten in zunehmendem Maße der Evidenz der eigenen individuellen Erfahrung. 59 Friedrich Wilhelm Herold (1680-1738) 6 0 zum Beispiel, ehemaliger Schüler Thomasius' und nunmehr Oberbürgermeister von Halle, gab in dem Trauergedicht Unvergängliches Ehren=Denckmahl der Verehrung für seinen Lehrer wie seinem tiefen persönlichen Schmerz über dessen Verlust wortreich, aber in stilistisch relativ schlichter Form Ausdruck: [...] Denn Sein gelehrter Schacht, der allen offen stund, Wo man der Klugheit Gold, doch ohne Schlacken schaute, Und sich durch selbiges sein künfftiges Glück erbaute, Hat mir auch ehemals entdeckt sein göldner Mund; Hier hab ich Bienen gleich, samt andern Musen=Söhnen, Der Weisheit Honigseim gesammelt spat und früh, Der Rechte Kern gesucht mit unverdroßner Müh, Und GOtt ließ Seine Treu mit Heyl und Seegen kröhnen. Doch schmertzet mich nicht nur der kostbahre Verlust Des Lehrers, den ich auch noch in den Aschen ehre, Von wegen Seiner Treu und göldnen Weisheits=Lehre, Das Leyden mehret sich in der bestürtzten Brust, Daß ich auch einen Freund und Gönner muß verlieren, Der mir viel Lieb' und Huld in Leben zugewandt, Wodurch er meine Brust zu allen Dienst verband: Die Herzen werden rar, die Treu und Liebe zieren.6' Die syntaktische Gestaltung dieser Verse ist augenscheinlich anspruchslos, Herold verzichtet im Lob wie in der Kundgabe des Schmerzes auf raffinierte rhetorische Strategien der affektiven Stimulierung des Publikums wie etwa interpolierte Ausrufe, Wortkumulationen, Steigerungen oder kunstvolle Chiasmen. Die laudatio auf Thomasius in seiner Funktion als Universitätsprofessor speist sich ausschließlich aus den eigenen Erfahrungen des Autors im Umgang mit dem Verstorbenen, dem Erlebnis des ehrfurchtgebietenden Wissens des akademischen Lehrers und dessen exzeptioneller Fähigkeit zur Motivation der Studenten. Die wenigen metaphorischen Formulierungen, derer sich der Parentator bedient, bleiben der unmittelbaren alltäglichen Empirie von Autor und Publikum verpflichtet; so eignet etwa dem - an sich
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Vgl. allgemein zu den Veränderungen der Kasuallyrik am Beginn des 18. Jahrhunderts Heidt, Regent, 1997, S. 33: »Ausgestellte Gelehrsamkeit und intellektuelle Spitzfindigkeit, außergewöhnliche poetische Auszierung, prunk- und kunstvolle Metaphorik waren in der Poetologie und literarischen Praxis des frühen 18. Jahrhunderts nicht mehr gefragt.« Vgl. femer Kemper, Lyrik, Bd. 5.2., 1991, S. 24-32; Ketelsen, Brockes, 1980; Ketelsen, Poesie, 1976; vgl. auch Bütler-Schön, Dichtungsverständnis, 1981, passim. - Zu den Veränderungen in der topischen inventio und zum zunehmenden Rückgriff auf Realien aus der eigenen Erfahrungswirklichkeit vgl. Grimm, Gelehrtentum, 1983, S. 580-587 und 591-602. Vgl. zu Herold DBA Folge 1, Nr. 523, Bl. 225f. Thomasius/Herold.
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schon nicht besonders spektakulären - Vergleich von Thomasius' Gelehrsamkeit mit einem Bergwerk in einem traditionsreichen Zentrum der Salzförderung wie Halle gewiß nichts Fremdartiges oder Exotisches; gleiches gilt für die - reichlich abgegriffene - Parallelisierung der akademischen Schüler des Verstorbenen mit Bienen. Herold demonstrierte also in seinem lyrischen Nachruf ostentativ stilistische Einfachheit und empiriegesättigte Wirklichkeitsnähe im Zeichen einer Abkehr von der überkommenen Funeralrhetorik pompös->schwülstiger< Wortpracht und weithergeholt-manierierter Anspielungskünstelei. Er reduzierte gleichzeitig in den von ihm nur sehr moderat eingesetzten Strategien zur Emotionalisierung seines Publikums die traditionelle Ausrichtung nekrologischer Texte auf eine Erregung starker Affekte bei den Rezipienten zugunsten einer Ausbreitung von persönlichen Empfindungen - und gab damit klar zu erkennen, daß er sich nicht nur mit Bezug auf seine juristische Ausbildung, sondern auch hinsichtlich der von ihm verwendeten rhetorisch-stilistischen Gestaltungsweisen als Schüler Thomasius' verstanden wissen wollte. Doch Herold ließ sich dabei trotzdem nicht den Hinweis auf »Heyl und Seegen« entgehen, mit denen Gott zuletzt das Lebenswerk des Gelehrten gekrönt habe, ließ also ebenfalls Kritik an den überzogenen Anmaßungen des Verstorbenen gegenüber der Theologie als Königin der Wissenschaften anklingen. Fachliche Progressivität im Bereich der Jurisprudenz, ästhetische Innovation auf dem Feld der Gelegenheitsdichtung einerseits und religiöser Traditionalismus andererseits stehen in Herolds Nachruf unverbunden in einer kuriosen Mischung der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nebeneinander - wobei nicht zu entscheiden ist, ob dieser Traditionalismus der persönlichen Überzeugung entsprach oder vielmehr der unausweichlichen Rücksichtnahme des höchsten politischen Repräsentanten der Stadt gegenüber den ideologischen Positionen und Interessen der maßgeblichen Eliten der Bürgerschaft verpflichtet war. Viel stärker noch als in diesem nekrologischen Text eines Thomasius-Schülers trat der Einsatz spezifischer wirkungsorientierter rhetorischer Strategien zur Erregung bestimmter Affekte im Publikum bei einigen Trauergedichten aus dem Kreis der Verwandten des Verstorbenen in den Hintergrund. Auf das Hinscheiden des Vaters, Schwiegervaters, Großvaters oder Schwagers wurde zwar nach wie vor im Rahmen des publiken Totengedenkens mit öffentlichen Stellungnahmen reagiert - im Falle Thomasius' erschienen die zahlreichen Trauergedichte von Mitgliedern der hinterbliebenen Familie ja sogar innerhalb einer der nekrologischen Sammelausgaben in einer selbständigen, umfangreichen Abteilung zusammengefaßt. 62 Doch die traditionell von Autor und Publikum gemeinsam inszenierte Zeremonie der kollektiven Trauer- und Trostarbeit wurde nun ergänzt, teilweise sogar ersetzt durch eine Beschäftigung mit dem Tod eines nahestehenden Menschen, welche auf die individuell von Autor und Verstorbenem gelebte Privatheit abhob und damit die Rezipienten aus der Bewältigung des eigenen, intimen und damit einzigartigen Leids ausschloß.
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Vgl. Thomasius/Anonym/10, Bl. q l r - s 2 v : »Von Kindern und Anverwandten«.
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Christian Gryphius (1649-1706) 63 - er sei als kontrastives Beispiel hier zitierthatte 1665 noch in seinem lyrischen Lamento auf das Ableben seines Vaters Andreas Gryphius alle zur Verfügung stehenden rhetorischen Register (unter anderem Exklamationen, Interjektionen, Fragen, apokalyptische Metaphern) gezogen, um die Gemüter seiner Rezipienten in den von ihm selbst empfundenen Zustand von Trauer zu versetzen. Er hatte dabei jedoch ausschließlich zu konventionellen Argumenten für die Begründung seines Weheklagens gegriffen, die sich auf den allzu frühen Zeitpunkt des Todes, den Verlust eines strahlenden Vorbilds und das vereinsamte Zurückbleiben des Lamentierenden auf der dunklen und unwirtlichen Erde, nicht aber auf die Spezifität des familiären Verhältnisses gründeten. Die Qualität der Beziehung zwischen Nekrolog-Autor und Verstorbenem indizierte lediglich die mehrfache direkte Anrede des letzteren mit dem Wort >VaterVater< hypothetisch durch >Freund< oder >LehrerSchulfüchserey< und >Pedanterey< vgl. Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 1982, S. 423^137; zur Ablehnung der überkommenen Rhetorik Grimm, Literatur, 1983, S. 407^125.
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den ideologischen Erneuerung des literarischen und wissenschaftlichen Diskurses, ja sämtlicher Lebensbereiche eingebettet erscheint. So schlug beispielsweise Birnbaums Lob für die überragende Belesenheit Thomasius' in eine Apologie des zeitgemäßen Umgangs mit den von der Historiographie gesammelten Daten und Fakten um. »Hier wüste Sein hoher Geist«, hielt der Gedenkredner über den Verstorbenen fest, »aus dem überflüssigen Vorrath der Geschichte sich dasjenige klüglich zu erwehlen, was zur desto bessern Erläuterung derer hohem Wissenschafften dienen konte«, 74 in diesem Falle vor allem die Erläuterung beider Rechte aus der Rechtsgeschichte. Von entscheidender Bedeutung sei dabei jedoch »nicht nur eine Gedächtniß reiffe Belesenheit, sondern auch eine noch weit reiffere Beurtheilungs-Krafft«, welche Thomasius »überflüßig an den tag« gelegt habe. 75 Die Historie sollte demzufolge also weder im Dienste einer beliebig aus ihr schöpfenden, gelehrsamen Prunkrhetorik noch gar einer sie teleologisch ausbeutenden Theologie stehen, vielmehr den säkularisierten Profanwissenschaften von direktem Nutzen sein, etwa dem Orator bei der Illustration seiner Argumentation oder dem Rechtsgelehrten bei der Erhellung des Ursprungs und der diachronen Veränderungen der wichtigsten juristischen Fachtermini. 76 Als pure Akkumulierung von Daten, die noch dazu nicht mit kritischem Verstand auf ihre Wahrheit und Verwertbarkeit hin geprüft und sorgfältig ausgewählt wurden, erschien die Historiographie dem Redner hingegen offenbar - in einem anderen als dem von ihm gemeinten Sinne - >überflüssigNeuankömmlinge< im Jenseits über die wichtigsten politischen Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit, sei es in der Form einer Debatte zweier herausragender historischer Persönlichkeiten über eine bedeutende Begebenheit aus früheren Jahrhunderten, die freilich auffällige Analogien zu jüngeren Geschehnissen aufwies. Informationsvermittlung ebenso wie Unterhaltung gemeinsam mit moralischer und ideologischer Belehrung, die freilich bei der Inszenierung dialogischer Meinungsbildungsprozesse zwischen gleichberechtigten Gesprächspartnern nur sparsam dosiert wurde, traten in den Vordergrund gegenüber der traditionell satirischen Ausrichtung der Gattung. 92 Umgekehrt geriet die neue Ernsthaftigkeit und didaktische Orientierung der Totengespräche Faßmanns und anderer Autoren selbst ins Visier spöttischer Kritiker und Karikaturisten, so zum Beispiel in Christian Friedrich Henricis (17001764) 93 Gespräch im Reich der Liebe94 oder in dem anonymen, offenbar von einem Leipziger Studenten verfaßten garfeine[n] Gespräch im Reiche der Todten zwischen den abgeschiedenen Geistern eines Ochsen und eines Schweines,95 Gattungsgeschichtlich gesehen ist die größere Zahl der während des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum erschienenen Totengespräche jedoch nicht der Kategorie des Nachrufs zuzuordnen. Zwar tritt darin - abgesehen von den vielen Publikationen, in denen nur historische Persönlichkeiten zum Zuge kommen - häufig ein Verstorbener bereits wenige Wochen oder Monate nach seinem Ableben als Dialogpartner in die Unterhaltungen der jenseitigen Wesen ein, 96 doch fokussiert lediglich ein Teil der Texte die umfassende, abschließende Würdigung von Leben und Werk eines soeben Hingeschiedenen. Stattdessen werden immer wieder einzelne Ereignisse aus der Vita des Toten mit anderen Himmelsbewohnem diskutiert, etwa eine entscheidende kriegerische Konfrontation oder eine brisante politische Auseinandersetzung aus der jüngeren Vergangenheit, in der sich die beiden nun friedlich miteinander plaudernden Herrscher oder Feldherren dereinst feindlich gegenübergestanden haben. Selbst die dispositio eines Textes nach dem Leitfaden der chronologischen
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Vgl. dazu Rutledge, Dialogue, 1974, S. 16 sowie 1937, S. 90. Vgl. zu Henrici Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Zitiert nach Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. kehr nicht erhältlich. Zitiert nach Schmid, Gespräche, 1973, S. 54; vgl. Totengesprächen ferner Anonym, Critique, 1721. schriften vgl. Röhrich, Grabpoesie, 1985; Schwedt, Vgl. Rutledge, Dialogue, 1974, S. 13.
103-127; sowie Lindenberg, Leben, Bd. 9, S. 156 (Gerda Riedl). 9, S. 156, im deutschen Femleihverzur zeitgenössischen Kritik an den Zu satirischen Nachrufen und GrabGrabsprüche, 1963.
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Biographie eines der Dialogpartner bietet häufig nur den losen äußeren Rahmen, um die Rezipienten an die vom Autor gewählte allgemeinere oder aktuelle Fragestellung heranzuführen. 97 Im Falle des 1729 ohne Angabe von Verfasser, Erscheinungsort und Verlag publizierten Besonders curieusefn] Gespräch[s] Jm Reich der Todten / Zwischen zweyen im Reich der Lebendigen hochberühmten Männern, Christian THOMASIO [...] Und AUGUST HERMANN Francken sowie seiner »einige Wochen« später veröffentlichten Fortsetzung98 handelt es sich jedoch tatsächlich um eine nekrologische Auseinandersetzung mit Leben, Werk und gegenseitiger Beziehung der beiden im Abstand von etwa eineinhalb Jahren verstorbenen Hallenser Professoren. 99 Die bereits bei der Publikation des ersten Textes gegebene »Promesse« einer Mitteilung weiterer Unterredungen von Thomasius und Francke im Jenseits, »wenn dem Leser solches Gespräch gefallt«, 100 wird in der Vorrede des zweiten Teils wiederholt101 - die serielle, in Abhängigkeit vom kommerziellen Erfolg stehende Produktion ist wesentlicher Teil der sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen der Gattung des Totengesprächs im 18. Jahrhundert 102 eine weitere Fortsetzung läßt sich allerdings nicht nachweisen - und ist inhaltlich auch insofern schwer vorstellbar, als in jedem der beiden Dialoge jeweils einer der beiden Lebensläufe in chronologischer Folge umfassend aufgearbeitet wird. Das innerhalb der Forschung in seiner Brisanz gröblich unterschätzte103 Totengespräch zwischen Thomasius und Francke hob - abgesehen von der Würdigung der Verdienste beider um die deutsche Sprache, welcher hier ein besonderer Stellenwert zukam 104 - weitgehend auf dieselben Themen in der nekrologischen Auseinandersetzung ab, die bereits die Hallenser Parentatoren beschäftigt hatten, ohne freilich die gravierenden Differenzen in den ideologischen Positionen des Juristen einerseits und eines größeren Teils der kirchlichen und weltlichen Eliten der Universitätsstadt andererseits zu kaschieren. Völlig unmißverständlich lassen dies bereits die unterkühlten Worte erkennen, mit denen Francke seinen Kollegen im Jenseits begrüßt. Er müsse sich, so leitet der Theologe das Gespräch ein, doch sehr darüber »verwundern«, Thomasius nach seinem Hinscheiden »im Reich der Todten« anzutreffen:
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Vgl. Lindenberg, Leben, 1937, S. 106. Thomasius/Anonym/1, Tie. 1 und 2; Tl. 2, S. 6 heißt es, der erste Teil sei »vor einigen Wochen der gelehrten Welt mitgetheilet worden«. Zum Verhältnis von Francke und Thomasius vgl. u. a. Buchholz, Thomasius, 1989; Fleischmann, Thomasius, 1979, v.a. S. 383-420; Leube, Orthodoxie, 1975, v.a. S. 195-201; Neisser, Thomasius, 1928; Schneiders, Naturrecht, 1971, v.a. S. 226-238. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 4; der Text gefiel offenbar: Tl. 1 läßt sich in zwei druckgraphisch voneinander differierenden, allerdings weitestgehend textidentischen Versionen nachweisen. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 6. Vgl. Lindenberg, Leben, 1937, S. 129 u.ö. Rutledge, Dialogue, 1974, S. 32 attestierte dem Text »lack of subtlety in the presentation« und eine wenig interessante Orientierung »on biographical information and theological issues«. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 22f.
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Denn daß ich die Wahrheit bekenne, so habe ich Sie im Leben zwar vor einen von Verstand und Wissenschafft grossen Mann, aber doch vor keinen guten und wahren Christen gehalten, welches letztere Sie doch auch haben seyn wollen. Eine Freude aber soll mir es seyn, zu vernehmen, daß Sie sich in Jhrem Letzten rechtschaffen zu GOtt gewendet, und mit einem guten Ende, beschlossen. 105
Damit wird von der Figur Franckes gleich zu Beginn des Dialogs genau jene Argumentation aufgegriffen, mit der die Nachrufautoren in Halle ihre gravierenden Vorbehalte gegen Thomasius und sein Lebenswerk begründet hatten - freilich mit zwei markanten Unterschieden: Zum einen wird die Kritik an dem verstorbenen Gelehrten klar und unumwunden formuliert, zum anderen erhält derselbe im Medium des Totengesprächs fiktiv die Möglichkeit, sich gegen die Anwürfe seiner Parentatoren zur Wehr zu setzen. Francke und Thomasius lassen in den beiden Dialogen nochmals die Stationen ihrer Biographien einschließlich der bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen, der zentralen ideologischen Positionen und der wichtigsten von ihnen provozierten, öffentlichen Auseinandersetzungen Revue passieren. Der stilistische Duktus der Gesprächsbeiträge lehnt sich dabei an die aus den Veröffentlichungen der beiden Schriftsteller bekannten idiolektalen Besonderheiten an, 106 direkte, als solche gekennzeichnete Zitate aus den von ihnen veröffentlichten Texten stehen offenkundig im Dienste einer Autorisierung ihrer Argumentation. Der jeweils Zuhörende kommentiert und ergänzt die Vita des jeweiligen fiktiven Autobiographen und treibt die Chronologie von dessen lebensgeschichtlicher Erzählung durch gezielte Fragen weiter. Die Aneinanderreihung der Daten des Einzelschicksals wird immer wieder durch Mitteilungen über Analogien, Berührungspunkte und Verflechtungen zwischen den beiden Viten unterbrochen. So haben beide unter Mißgunst, Neid und massiven Anfeindungen ihrer Gegner gelitten 107 - zum Beispiel wegen der Verwendung des Deutschen als akademischer Unterrichtssprache 108 - , gegen die orthodoxe Theologie 109 und die >SchulfüchsereiPedanterey< und die >Scholastik< des überkommenen Ausbildungssystems gekämpft 1 1 0 und maßgeblich am Aufbau der Universität Halle mitgewirkt. 111
105
Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 5; zum Verhältnis Thomasius' zum Pietismus vgl. Pott, Aufklärung, 1992, S. 100-104; sowie Bühler, Naturrechtslehre, 1991, S. 65; Herrmann, Verhältnis, 1971, S. 125. 106 Vgl. z.B. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 14 die Invektive Thomasius' gegen die überkommene orthodoxe Theologie, in der der anonyme Verfasser eine Reihe der von dem Gelehrten gerne verwendeten polemischen Begriffe (»ausgekünstelte Hirn=Gespenste«), Sprachspiele (die verbreitete Praxis der homiletischen Auslegung der Perikopen als »kein Jahrgang / sondern ein Haarzwang«) und rhetorischen Strategien (etwa die Übertreibung) aufgreift. 107 Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 20. 108 Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 22f. und Tl. 2, S. 21. 109 Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 17f. 110 Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 14f. 111 Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 39.
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Trotz aller Gemeinsamkeiten überwiegen freilich die Differenzen. Das kühle bis feindselige zwischenmenschliche Verhältnis der beiden Hallenser Professoren wird unbeschönigt eingeräumt. »Jch will doch hoffen,« sagt Thomasius etwa zu Francke, »mein Herr Collega werde anitzo mit mir gut Freund seyn, ob Sie es gleich im Leben nicht gar zu sehr gewesen«.112 Als Ursache für das offene Zerwürfnis werden eklatante Meinungsunterschiede bezüglich der Sinnhaftigkeit und des pädagogischen Nutzens der Einrichtung des Waisenhauses zu Halle genannt.113 In der Tat aber liegen, wie sich im weiteren Verlauf des Gesprächs zeigt, die Gründe für die gegenseitige Antipathie tiefer - und zwar in der bereits zu Beginn des Gesprächs angedeuteten, unüberbrückbaren ideologischen Distanz zwischen den beiden, insbesondere hinsichtlich religiöser und theologischer Fragen. Mehrfach zeiht Francke seinen Kollegen einer sträflichen Überschätzung und in der Konsequenz unrechtmäßigen Überschreitung der der menschlichen Vernunft gesetzten Grenzen: Jn der Philosophie haben Sie, mein Herr Collega, wohl an Ruhm allen anderen die Oberhand abgenommen, indem sie die Freyheit zu urtheilen, welche von denen Aristotelicis in Ketten und Banden so zusagen geleget worden, wiederum hervor gesuchet und bestätiget, doch glaube ich, daß sie öffters zu weit gegangen, und ihrem verschwenderischen und gar zu reichen Verstände offt allzuviel eingeräumet. 114
Vor allem habe Thomasius, so der Theologe weiter, den prekären Fehler begangen, das Programm eines vernunftbestimmten, von der kritischen und vorurteilsfreien Suche nach Wahrheit geleiteten Denkens illegitimerweise auch auf das Gebiet des mit rein rationalen Überlegungen nicht faßbaren Glaubens auszudehnen: [I]ch (habe) beständig in denen Gedancken gestanden, Sie giengen mit Jhrer Vernunfft ein wenig gar zu weit, weil Sie alles mit derselben auszumachen gedächten, und dahero fromme Christen, die in der Einfalt ihres Hertzens nicht alle ihre Verrichtungen jederzeit nach der Richtschnur der Vernunfft abzirckelten, vor der Welt zu einem Gelächter machten [...]. 115
Schließlich habe Thomasius es sogar gewagt, sich in einigen Publikationen weit über die der Philosophie gesteckten Grenzen hinauszubegeben und in diverse der Theologie vorbehaltene Felder der Wissenschaft vorzudringen, 116 beispielsweise mit seiner Leugnung der Möglichkeit von Teufelspakten, der Existenz von Hexen, Zauberern und Gespenstern sowie mit seiner Forderung nach Straffreiheit für Häretiker.117 Die Figur Franckes erhebt in dem Totengespräch also, wie sich zeigt, einmal mehr - allerdings sehr viel deutlicher und offensiver vorgetragen als von
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Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 6. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 28-30. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 40. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 6f. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 29. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 35-43; zu Thomasius' Haltung gegenüber dem Hexenwahn vgl. Pott, Aufklärung, 1992, S. 225-247, zum Teufel- und Hexenglauben des Pietismus S. 231-233; zur Forderung nach Straffreiheit für Häretiker vgl. z.B. Fischer, Patrioten, 1989, S. 22; Herrmann, Verhältnis, 1971, S. 26-32.
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den Autoren der Hallenser Nachrufe - gegenüber dem verstorbenen Gelehrten den Vorwurf der Hybris des Profanwissenschaftlers, der sich gegen den Primat der Theologie auflehnt. Die Figur Thomasius' reagiert auf die Vorhaltungen des Gesprächspartners einerseits mit einer Reihe von Richtigstellungen - zum Beispiel hinsichtlich der Behauptung, er habe gar die Existenz des Teufels bestritten 118 - , andererseits mit ausführlichen Rechtfertigungen der von ihm vertretenen Positionen. Der Ruf nach einer radikalen Erneuerung der Philosophie aus dem Geiste der gesunden Vernunft sei angesichts des desolaten Zustandes der primär von alteingesessenen Vorurteilen bestimmten Weltweisheit unvermeidlich gewesen; 119 die Theologie müsse, wenn sie den Status einer Wissenschaft nicht verlieren wolle, in ihren Behauptungen zum mindesten dem Anspruch logischer Stringenz genügen; 120 abergläubische Vorstellungen wiederum - Thomasius läßt sich hier in seiner Polemik sogar zu abwertenden Bezeichnungen wie »absurd« 121 hinreißen - dienten allein den Geistlichen zur Befestigung ihrer Macht in der breiten Bevölkerung, 122 ließen sich aber weder aus der geoffenbarten Wahrheit, die für jeden Christen das Fundament seines Glaubens darstellen müsse, ableiten, 123 noch würden sie ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Theologie fallen; vielmehr seien sie durchaus juristisch relevant, wie das Beispiel der Strafverfolgung von Ketzern belege, welche nur deswegen, weil sie einem »blosse[n] Jrrthum des Verstandes« erlägen, nicht von einem staatlichen Gericht belangt und verurteilt werden könnten. 124 An einen krisenhaften Höhepunkt gelangt das Totengespräch schließlich, als Francke seinem Dialogpartner, der bereits in einer seiner ersten Wortmeldungen jeden Zweifel an seinem christlichen Glauben dezidiert zurückgewiesen, dabei allerdings die Notwendigkeit eines »äusserlichefn] Gottesdienst[es]« zugunsten einer Frömmigkeit des Herzens bestritten hatte, 125 den Vorwurf der Verbreitung atheistischen Gedankenguts macht: .inzwischen können sie [sc. Thomasius] nicht in Abrede seyn, daß viele Gelehrte ihnen schuld geben, sie hätten zum wenigsten Gelegenheit gegeben, daß aus ihren Lehr=Sätzen und Schrifften viele zu Atheisten, zum wenigsten zu Naturalisten worden sind. 1 2 6
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Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 31. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 40. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 7. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 42. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 35; vgl. zu Thomasius' >Pfaffenkritik< Pott, Aufklärung, 1992, S. l l l f . Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 35^13. Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 43. Thomasius/Anonym/1, Tl. 1, S. 5; vgl. zu Thomasius' ablehnender Haltung gegenüber dem äußeren Gottesdienst Pott, Aufklärung, 1992, S. 9 0 - 9 3 ; sowie Bühler, Naturrechtslehre, 1991, S. 66. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 29; vgl. zu Thomasius' Verhältnis zum Atheismus Pott, Aufklärung, 1990, S. 642; Pott, Aufklärung, 1992, S. 9 4 u.ö.
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Der solchermaßen Bezichtigte wehrt sich vehement gegen diese Behauptung, indem er sie als Verleumdung übelwollender Lästerer disqualifiziert. Francke wiederum begegnet dieser Strategie mit Verweis auf zahlreiche, namentlich allerdings nicht explizit genannte Personen, darunter angeblich auch Schüler Thomasius', die »bekant« hätten, sie wären durch seine »Lehr=Sätze in allerhand verkehrte Meynungen verfallen.« 127 Der Gelehrte seinerseits antwortet auf diese Beschuldigung: Wer kan für einen Narren gut seyn; er möchte aus der besten Schrifft und Meynung, so noch so wahr, närrische Grillen aushecken. 128
Selbstbewußt lehnt Thomasius also die Verantwortung für alle atheistischen, antireligiösen oder unmoralischen Folgerungen aus seinem Reformprogramm einer umfassenden, rational begründeten und vorurteilskritischen Wahrheitsfindung ab und verweist sie in die Bereiche von Mißverständnis oder gar geistiger Verwirrung. Die dialogische Struktur des Textes ist, wie deutlich geworden sein dürfte, sowohl von einer stetigen Annäherung als auch von einer zunehmenden Distanzierung der beiden Gesprächspartner geprägt. Zum einen werden in der inszenierten Diskussion eine Reihe von Vorurteilen oder irrigen Ansichten des einen über den jeweils anderen ausgeräumt. Der von den Dialogpartnern zum Ausdruck gebrachten Einsicht in die frühere Desinformation korrespondiert dabei intentional die Revidierung früherer Fehlurteile bei den Rezipienten. Das Totengespräch steht mithin in dieser Hinsicht im Dienste der Richtigstellung von verbreiteten Falschmeinungen, der Ausräumung gängiger Klischees und der Korrektur kursierender lügnerischer Unterstellungen über die beiden Verstorbenen beim Publikum (und gewiß teilweise auch im Dienste der Unterhaltung und Belustigung desselben hinsichtlich der umlaufenden Gerüchte und Verleumdungen). Zum anderen jedoch halten die beiden sprechenden Toten beharrlich an ihren grundlegenden Positionen fest, ja sie schärfen deren Konturen sogar noch in der dialogischen Auseinandersetzung. Die Gegensätze prallen, ohne miteinander vermittelt zu werden - und auch ohne daß einer der Diskutanten sich durch die Widersprüchlichkeit, Absurdität oder Niveaulosigkeit seiner Argumentation selbst disqualifizierte - , kompromißlos aufeinander, so daß die ideologischen Gräben zwischen den beiden Gelehrten am Ende des Gesprächs noch viel tiefer zu sein scheinen als an dessen Beginn. Das didaktische Ziel des anonymen Autors war in dieser Hinsicht also weniger eine eigene programmatische Parteinahme als vielmehr die informative Gegenüberstellung und scharfe Kontrastierung der wichtigsten Positionen zweier, durch einen sonderbaren Zufall fast gleichzeitig verstorbener, geradezu idealtypischer Repräsentanten der jüngeren ideologischen Konflikte im Spannungsfeld zwischen pietistischem Traditionalismus und rationalistisch-frühaufgeklärter Reform. Auf diese Weise konnte es innerhalb des Totengesprächs gelingen, weder - wie in Halle - in das Extrem eines pompösen Abdankungsspektakels, das doch gleichzeitig in verdeckter Form massive Vorbehalte gegenüber dem Verstorbenen zum Ausdruck bringen mußte,
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Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 30. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 31.
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zu verfallen, noch - wie bei Birnbaum - den Hingeschiedenen zum Protagonisten eines neuen Zeitalters zu stilisieren. Darüber hinaus eröffnete die Gattung aber auch die probate Möglichkeit einer ethisch unangreifbaren Erwähnung der negativen Eigenschaften eines eben verstorbenen Menschen, anders gesagt der eleganten Umgehung der Maxime De mortuis nil nisi bene innerhalb des Nekrologs: Der Tote konnte als Figur eines Dialogs im Jenseits Selbstkritik üben. Tatsächlich bekundet Thomasius in seinen Diskussionen mit Frankke mehrfach tiefes Bedauern über die polemische Form der literarischen Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern als Konsequenz seines hitzigen und aufbrausenden Temperaments 129 - ohne freilich diese (allzu) späte reuevolle Einsicht wieder in die Praxis der postmortalen Kommunikation mit seinem Theologen-Antipoden umzusetzen. Er polterte und polemisierte vielmehr im Reich der Toten munter weiter.
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Vgl. Thomasius/Anonym/1, Tl. 2, S. 16 und 18.
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8.
Greiffenberg, die Gottschedin und Karsch oder: Der Nachruf als Reflexionsmedium weiblicher Autorschaft
8.1. Barockpoesie von Frauen im engen Bannkreis häuslicher Frömmigkeitsübung Die Schriftstellersozietät, die sich fiktiv in der Be trübte [n] Pegnesis zusammenfindet, um Sigmund von Birken in einem dreitägigen Schäferspiel-Nachruf die letzte Ehre zu erweisen (vgl. 6.3.), ist keineswegs eine exklusive Männergesellschaft, vielmehr nehmen auch einige dichtende Frauen an der geselligen Totenfeier teil. Freilich entzünden sich gerade an der Präsenz der weiblichen Ordensmitglieder in der sonst so friedlichen und harmonischen Atmosphäre der nekrologischen Dialoge immer wieder kürzere Dispute und Zwistigkeiten. Wichtiger als kleine ironische Spitzen, die zwischen den Geschlechtem über das unterschiedliche Gesprächsverhalten von Männern und Frauen ausgetauscht werden,1 ist dabei die Frage, ob Dichterinnen denn aufgrund ihres Ausschlusses von höherer schulischer und akademischer Ausbildung überhaupt zu einer niveauvollen poetischen Produktion in der Lage seien. Diese weiblichen Wissensdefizite werden nicht nur immer wieder dann im Dialog immanent virulent, wenn die Herren nach der Verlesung eines lateinischen Gedichts eine deutsche Übersetzung für die anwesenden Damen verfertigen müssen,2 sondern in einer Textpassage auch explizit in kontroversieller Form erörtert. Den Ausgangspunkt des Disputs bildet das Lob von Birkens solider klassischer Bildung und seiner frühen poetischen Versuche »in der Griechen= und Römer=Sprache«. Die späteren literarischen Schöpfungen des Schriftstellers »in der Mutter=Zungen« seien, so behauptet einer der Gesprächsteilnehmer, »Fontano«, das ist Simon Bornmeister (1632-1688), Rektor des Nürnberger Egidiengymnasiums,3 »desto glücklicher« gewesen, »[w]eil man die rechte Meister=Griffe der Dichtkunst bey jenen [sc. den antiken Autoren] ursprünglich findet«, ja, so formuliert er ganz allgemein, wer sich nicht an diesen Vorbildern orientiere, »handel[e ...] weder klüglich noch glücklich«. Dieser Argumentation halten zwei andere Dialogpartner entgegen, daß inzwischen
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So geißelt im Rahmen der Erzählung von Birkens Herkunft eine der Gesprächsteilnehmerinnen die Vernachlässigung einer ausführlichen Beschäftigung mit dessen Mutter als Konsequenz der »Seuche der Selbst=Liebe« des »männliche[n] Geschlecht[s]«, um postwendend von einem Dialogpartner der für Frauen typischen »Ungedult / welche das Ende der Erzehlung nicht abwarten kan«, geziehen zu werden, Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 40. Vgl. z.B. Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 95 und 217. Vgl. zu Bornmeister Jürgensen, Utile, 1994, S. 53 und 56f.
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»viel gelehrte Köpfe die Zierlichkeit der Römer und Griechen in unsere Sprach nicht nur übergetragen / sondern auch mit den Erfindungen der Jtaliäner und Frantzosen vermehret« hätten. Die »Hirtinnen« des Blumenordens, so heißt es ergänzend, könnten als »sattsame[s] Beweißthum« dafür dienen, daß die klassische Bildung nun keine zwingende Voraussetzung mehr für eine deutsche Poesie von Rang sei. Der Pegnitzschäfer, der die Diskussion angestoßen hat, zeigt sich von diesem Argument wenig beeindruckt und beharrt - wenig höflich gegenüber den schreibenden Damen in der ansonsten so galanten Gesprächsatmosphäre - auf seinem Standpunkt. Die weiblichen Autoren schöpften »das Geist=Feuer aus dem Musen=Bach«, tränken es jedoch nicht »aus der Quelle«, und diese sei nun eben »süsser und reiner« als jener. Damit wird der Disput geschlossen, und die Versammelten wenden sich wieder der »Erzehlung« von Birkens Leben zu. 4 Gerade indem der aufgeworfene Konflikt im dialogischen Text ungelöst bleibt, prallen die konträren Positionen zum Stellenwert der Autorschaft von Frauen ungelöst aufeinander. Selbst unter den Pegnitzschäfern, die im Gegensatz zu anderen Sprachgesellschaften immerhin Schriftstellerinnen in ihren Kreis aufgenommen hatten, bestand also Uneinigkeit, ob diese als >vollgültige< deutsche Poeten anzusehen seien oder nicht - und es ist davon auszugehen, daß die unterschiedlichen diesbezüglichen Haltungen der Nürnberger Sozietätsmitglieder die kurrenten Diskussionen zum Thema im literarischen Diskurs widerspiegelten. Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694), 5 nach Ansicht vieler Literarhistoriker die bedeutendste deutschsprachige Dichterin des Barock, enge Brieffreundin Birkens 6 und seit 1680 selbst als Emigrantin in der Reichsstadt ansässig, war als Adlige nicht Mitglied des vorwiegend bürgerlich geprägten Blumenordens. Sie verfügte - will man denn die frauenfeindliche Argumentation in der Betrübte[n] Pegnesis aufnehmen - gewiß über eine viel gediegenere Bildung als die meisten weiblichen Angehörigen des Kreises, und es wird daher von einigem Interesse sein, das nekrologische Urteil der unmittelbaren Nachwelt über die gelehrte Autorin zu analysieren. Der einzige in der Forschung bislang bekannte Nachruf auf Greiffenberg, 7 die Leichenpredigt des Nürnberger Geistlichen Georg Albrecht Hagendorn (1654— 1695) , 8 hob sogar explizit auf ihre ausgebreiteten und hervorstechenden Sprachkenntnisse ab. 9
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Birken/Pegnesischer Blumenorden, S. 171-173. Vgl. den bibliographischen Nachweis des im folgenden zitierten Nachrufs auf Greiffenberg in 14.1.8. - Vgl. zu Greiffenberg zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 4, S. 328-330 (Hans-Georg Kemper); Dünnhaupt, Personalbibliographie, 1990/1993, Bd. 3, S. 1752-1758; Daly, Greiffenberg, 1984; vgl. ferner zu Greiffenbergs Leben und Werk u.a. Cemy, Greiffenberg, 1983; Frank, Greiffenberg, 1967; Kemper, Lyrik, Bd. 3, 1988, S. 245-278; Schöndorff, Greiffenberg, 2000; Uhde-Bernays, Greiffenberg, 1903; Villiger, Greiffenberg, 1952. - Vgl. zur Epicediendichtung von Greiffenberg selbst Schnabel, Adamant, 1992.
Die Vorrede zu Greiffenbergs Geistliche[n] Sonnette[n] / Lieder[n] und Gedichte[n] rührt vermutlich aus der Feder Birkens und enthält eine ausführliche Legitimation der schriftstellerischen Tätigkeit von Frauen, vgl. dazu Schöndorf, Greiffenberg, 2000, S. 181f. Greiffenberg/Hagendorn. Vgl. zu Hagendorn DBA Folge 1, Nr. 459, Bl. 46-52. Vgl. allgemein zu frühneuzeitlichen Leichenpredigten auf Frauen Arnold, Tod, 2003;
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Im »Lebens=Lauff«, dem biographischen Schlußteil der Traueransprache,10 berührte der Redner das Thema an zwei Stellen. Zum einen würdigte er - nach dem üblichen Bericht über die Vorfahren, die Geburt, die Taufe und die Kindheit der Verstorbenen - den gediegenen Privatunterricht, welcher der späteren Dichterin in ihrer Jugend zuteil geworden war: Durch herrliche Fähigkeit Jhres natürlichen Geistes fassten Sie [sc. Greiffenberg] gar bald die Belehrung dessen / was Jhrem hohen Stand gemäß / in irdischen Wissenschaften vorgetragen wurde: worzu auch die Erkäntniß der Lateinischen / Jtaliänischen / auch Frantzösischen und Spanischen Sprachen kam."
Die junge Greiffenberg hatte demnach eine solide, ihrer adligen Abkunft angemessene, nicht näher erläuterte Ausbildung genossen - man wird hier an ein elementares Allgemeinwissen im zeitgenössischen Fächerkanon sowie an geschlechtsspezifische Fähigkeiten, vor allem auf dem Feld der Hauswirtschaft, zu denken haben. Darüber hinaus aber war sie aufgrund ihrer hervorstechenden intellektuellen Begabung in verschiedenen Sprachen unterwiesen worden, im Lateinischen - dem Idiom der männlichen Gelehrteneliten dem Italienischen - dem primären Kommunikationsmittel am Wiener Hof - sowie in zwei weiteren europäischen >Hauptsprachenweltliche Menschenwerk< - das dichterische Selbstverständnis der Verstorbenen im Nachruf nicht zugunsten einer Aufwertung irdischer Kunst korrigierte, sondern es bestätigte und somit im Dienste der Fortschreibung traditioneller Geschlechterrollen prolongierte. Dies zeigt sich umso deutlicher, wenn man das Lob der Schriftstellerin in den größeren Kontext des biographischen Schlußteils der Leichenpredigt stellt. Hagendorn entwickelte die Vita Greiffenbergs nach den gängigen Mustern der christlichen Funeralrhetorik als vorbildlichen Lebenslauf einer Frau aus protestantischem Adel. Von Kindesbeinen an zeichnet sich die Dichterin durch ihre besondere Frömmigkeit und ihre bewußte Distanz von »schändlicher Befleckung der Welt« aus,16 fügt sich ergeben in den Heiratsantrag ihres Onkels und Ziehvaters als »gantz unvermuthete Schickung [...] Jhres Gottes«, führt sodann eine »sonderbahr-liebreiche« Ehe, die »mit vieler Gnade von dem Himmlischen Vatter [...] gesegnet« wird, erträgt den Tod des Gatten und »mehr andere schwere Begegnissen« als Prüfungen ihrer »Seele« durch »die Göttliche Weisheit [...]/ damit die Krafft des Glaubens um so viel herrlicher in Jhr werden kunnte«, 17 und beschließt ihr Leben selig nach allen Regeln der lutherischen ars moriendi,18 Die exzeptionelle Bildung und die poetische Produktion stellen demnach die beiden einzigen Punkte in der nekrologischen Biographie Greiffenbergs dar, die nicht mit dem Katalog der zentralen Tugenden einer idealtypischen Christin kon-
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Zu Greiffenbergs Reflexion auf die schriftstellerische Produktion von Frauen vgl. Schöndorf, Greiffenberg, 2000, S. 183f. Greiffenberg/Hagendorn, S. 22. Greiffenberg/Hagendorn, S. 22. Vgl. Greiffenberg/Hagendorn, S. 23f.
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gruieren. Doch gerade indem, wie gesehen, ihre geistigen Tätigkeiten von Hagendorn ausschließlich als Teil der individuellen Heilsgeschichte begriffen werden, sprengen sie nicht den Rahmen eines vorbildlichen protestantischen Frauenlebens. Eine neuerliche Erweiterung des Blicks auf den Kontext der zitierten Textpassagen kann diese These untermauern. Der nekrologische Bericht über die gelungene Biographie der Verblichenen entfaltet sich - wie zumeist in der lutherischen Leichenpredigt (vgl. 4.4.) - als exemplarische Applikation der im Hauptteil der Rede aus der Exegese eines Bibelwortes gewonnenen dogmatischen Lehrpunkte. 19 Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Vers Hld 2,16 »Mein Freund ist mein / und ich bin sein / der unter den Rosen weidet«, welchen die Dichterin sich selbst »zum Leichen=Text erwehlet« hatte. 20 Hagendorn stellte seinen Rezipienten diesen Satz als vorbildliches Lebensmotto einer guten Christin vor, die ihr irdisches Dasein gänzlich der geistlichen Vermählung mit ihrem spirituellen Bräutigam, dem Heiland, gewidmet habe. Aus dieser Deutung ergaben sich in Konsequenz eine Reihe von ethisch-religiösen Maximen für die Gestaltung einer weiblichen Biographie, insbesondere die lebenslange, »fleissige Übung« in der Frömmigkeit, 21 die Abkehr von den »Thorheiten« der eitlen Welt, 22 die »Selbst-Verläugnung« 23 und die bescheidene Ergebung der Frau in die widrigen Schicksale der diesseitigen Existenz, welche sie nicht zu begreifen vermag, aber als von Gott verhängte Prüfungen widerspruchslos hinnimmt. 24 Weibliche Autorschaft verblieb also auch aus dieser Perspektive als möglicher Teil der spirituellen Vereinigung mit Jesus Christus völlig im Rahmen privater - und somit öffentlichkeitsferner - praxis pietatis ohne Anspruch auf Wirkung und Anerkennung im literarischen Diskurs. Auf diese rein geistliche Deutung von Greiffenbergs schriftstellerischer Produktion hatte Hagendorn auch schon mit knappen Worten im Exordium seiner Trauerrede abgehoben. Er parallelisierte dabei die Verstorbene mit der neutestamentarischen Figur der Tabita (auch Tabea) aus Apg 9, 36-43, ein typologischer Vergleich, der - charakteristisch für die lutherische Leichenpredigt der frühen Neuzeit 25 - einerseits auf die Sprecherin des im Hauptteil interpretierten biblischen Themas aus dem Hohen Lied zurück- und zum anderen auf die Hingeschiedene vorauswies. Die in Joppe beheimatete »Jüngerin« des Heilands habe sich als »geistliche Braut [...] durch den Glauben mit JEsu Christo [...] vereiniget« und einzig damit »eifrig beschäfftiget«, »zu preisen den Namen des HErrn«. 26 Besonderer Ausweis ihrer geistlichen Gesinnung seien die vielen Almosen in der Form von Gewändern gewesen, welche sie den Armen geschenkt habe. Greiffenberg nun, fuhr Hagendorn fort, habe die Frömmigkeit der
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Vgl. Greiffenberg/Hagendorn, S. 3-20. Greiffenberg/Hagendorn, S. 3. Greiffenberg/Hagendorn, S. 5. Greiffenberg/Hagendorn, S. 7. Greiffenberg/Hagendorn, S. 7f. Vgl. Greiffenberg/Hagendorn, S. 15 u.ö. Vgl. dazu Steiger/Bogner, Nachwort, 2001, S. 326-334; vgl. grundlegend zur Allegorese in der lutherischen Theologie Steiger, Luthers, 1999. Greiffenberg/Hagendorn, S. lf.
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Tabita insofern überboten, als sie die Liebe zu ihrem Heiland nicht mit »Röckefn] und Kleiderfn] / die nur zu Bedeckung deß sterblichen Leibes dienlich sind«, ausgedrückt habe, sondern durch edle / schöne Schrifften und geistreiche Gedencken / welche unsre Tugendreiche Tabea [sc. Greiffenberg] / in eifriger Liebe zu Jhrem JEsu / als einen herrlichen Schmuck der unsterblichen und glaubigen Seelen verfertiget / und / durch öffentlichen Druck / der Kirche vorgeleget hat. 27
Greiffenbergs literarische Produktion übertrifft demnach - darauf zielt die typologische Parallelisierung - als Werk der Liebe zu Jesus Christus in ihrer geistlichen Bedeutung die milden Gaben der Tabita an deren leidende Mitmenschen. Den Grund für diese - nicht näher explizierte - Wertung wird man jedoch kaum in Hagendoms Hochachtung vor der Kunst der Poesie zu suchen haben. Der Rechtfertigung allein durch den Glauben, die sich in der lyrisch artikulierten Vermählung der Dichterin mit dem Heiland manifestiert hatte, kam vielmehr innerhalb der lutherischen Dogmatik eine prinzipiell höhere Bedeutung zu als den guten weltlichen Werken eines Menschen. Es war daher nur konsequent, daß das aktuelle Exempel Greiffenbergs den neutestamentarischen Typus auch noch in einer anderen Hinsicht überbot. Während Tabita im Bericht der Apostelgeschichte von Petrus wunderbarerweise wieder zum irdischen Leben erweckt worden war, hatte die verstorbene Autorin nach dem Urteil des Leichenpredigers durch ihre Frömmigkeit die Wiederauferstehung im Jenseits errungen. Hagendom begriff daher folgerichtig auch an dieser Stelle wie im späteren biographischen Schlußteil der Rede das lyrische Werk Greiffenbergs als allein an ihren geistlichen Bräutigam und die abstrakte Institution der Kirche gerichtet, situierte mithin das Oeuvre ausschließlich im Kontext ihrer individuellen Heilsgeschichte - und nicht im Rahmen eines kommunikativen Prozesses innerhalb des literarischen Diskurses.
8.2. Maskulinisierung des weiblichen Dichtertalents im Aufklärungsdiskurs Als knapp sieben Jahrzehnte nach dem Tod Catharina Regina von Greiffenbergs in Leipzig Luise Adelgunde Victorie Gottsched (geb. Kulmus, 1713-1762, im folgenden zur Unterscheidung von ihrem Ehemann >die Gottschedin< genannt)28 zu Grabe
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Greiffenberg/Hagendorn, S. 3f. Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf die Gottschedin in 14.1.11. - Vgl. zur Gottschedin zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 4, S. 292, 301f. (Wolfgang F. Bender). - Vgl. ferner zu ihrem Leben und Werk u.a. Becker-Cantarino, Weg, 1987, S. 266-270; Goodman, Amazons, 1999, S. 196-252; Kording, Einleitung, 1999; Richel, Gottsched, 1973; Söhn, Frauen, 1998, S. 18-22. - Zur Biographik über die Gottschedin vgl. Pailer, Gottsched, 1998; Reinthal, Vereinnahmung, 2000.
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getragen wurde, deutete kein Leichenprediger mehr die literarische Produktion dieser wohl in ihrer Zeit bekanntesten deutschsprachigen Aufklärungsschriftstellerin als spirituelle Vermählung mit ihrem himmlischen Bräutigam Jesus Christus. Dieser Umstand resultierte zuerst einmal schlichtweg aus dem Verzicht auf die Einbettung einer oratio funebris eines Geistlichen in die Gestaltung der Beerdigungsfeier. Hierbei handelte es sich freilich keineswegs um einen möglicherweise skandalträchtigen Affront des Witwers Johann Christoph Gottsched (1700-1766), 2 9 immerhin einer der prominentesten Aufklärer, gegen Religion und protestantischen Klerus. Die traditionelle Leichenpredigt nach dem Vorgange Martin Luthers, die 1728 in Halle bei der Beerdigung Christian Thomasius' noch einen obligatorischen Bestandteil der Begräbnisliturgie gebildet hatte (vgl. 7.1.), war 1762 in Leipzig - und so auch in den meisten protestantischen Territorien - weitgehend außer Gebrauch gekommen. 30 Die Gründe für die Verdrängung der Leichenpredigt aus den Beisetzungsfeierlichkeiten sind vielfältiger Natur und an dieser Stelle weder vollzählig aufzuführen noch eingehend zu erläutern. Für jeden Fall aber ist hier erstens an den eklatanten Widerspruch zwischen dem mentalitätsgeschichtlichen Prozeß zunehmender Inszenierung von Individualität im 18. Jahrhundert hier und der lediglich peripher Subjekt- und persönlichkeitsbezogenen Ausrichtung des Genres zu erinnern. Ein Nachruf, in welchem dem Leben und Wirken eines Verstorbenen gerade einmal die Rolle eines illustrativen >Anhängsels< zukam, das einen zuvor ausführlich dargelegten dogmatischen Lehrpunkt exemplifizieren sollte (vgl. 4.4.), war schwerlich in Einklang zu bringen mit einem neuen anthropologischen Konzept, in dessen Zentrum die eigentümlichen Anlagen, spezifischen Charakteristika, individuellen Leistungen eines Menschen und dessen besondere Gestaltung seines Lebensweges standen. Es war daher nur konsequent, daß Gottsched zum publiken Abschied von seiner berühmten Gemahlin keinen Leichenprediger für die Totenehrung bestellte, sondern der Verblaßten, wie er retrospektiv in seiner nekrologischen Biographie über die Tote (vgl. Näheres dazu unten) berichtete, bei ihrer Beerdigung fiktiv selbst das Wort erteilte: Jch ließ bey ihrer Einsenkung ein paar geistl. Oden absingen, und gedruckt austheilen, die sie selbst verfertiget hatte. 3 1
Mehr noch: Die Tote wurde nicht nur insofern durch die besondere Form ihrer Beisetzung ganz individuell gewürdigt, als sie sich dabei sozusagen selbst den Nachruf hielt, vielmehr deklarierte der Witwer sein Arrangement gar als Erfüllung einer
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Vgl. zu Gottsched zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 4, S. 2 8 7 - 2 9 2 (Wolfgang F. Bender); Mitchell, Gottsched, 1977; zu Gottscheds Poetik vgl. grundlegend G r i m m , Literatur, 1983, S. 6 2 0 - 6 5 8 . Z u m E n d e der Leichenpredigten u m 1750 vgl. Mohr, Ende, 1984; sowie Düselder, Tod, 1999, S. 120-132; Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 5 2 - 7 6 ; Lenz, Mortuis, 1990, S. 1 3 - 1 5 . - Vgl. zur zeitgenössischen Diskussion u m Leichenpredigten die Apologie des Genres C a p p e l m a n n , Unterricht, 1746. - Vgl. auch zu satirischen Leichenpredigten u m 1750 Schuppenhauer, D o o d , 1970. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. ******5r.
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eigenwilligen Anordnung der hingegangenen Gattin. Er habe den »letzten Dienst« an ihr, »die Bestellung ihrer Gruft«, so gab Gottsched Auskunft, sowohl »nach den Sitten unseres Ortes« als auch in der Art und Weise »vollführet«, wie die Verblichene es sich dereinst in einem Gedicht an ihn »gewünschet hatte«.32 Zweitens haftete an der protestantischen Leichenpredigt das Stigma der um 1750 bereits weitgehend verabschiedeten lutherischen Orthodoxie. Das Genre war auf den Feldern der Eschatologie, der Tröstlichkeit der christlichen Heilsbotschaft im Angesicht des Todes und der ars moriendi seit der Reformation das zentrale Forum für die dogmatische Belehrung der Gläubigen gewesen, und der Verdrängung des überkommenen orthodoxen Lehrgebäudes durch die rationalistisch und naturrechtlich fundierte Aufklärungstheologie korrespondierte der Niedergang eines der wichtigsten Verkündigungsinstrumente des evangelischen Klerus der frühen Neuzeit. Als unzeitgemäß erschien die Leichenpredigt dabei sowohl mit Hinblick auf ihre traditionellen Themen - etwa die Schwere und Mühseligkeit des irdischen Daseins und seine Nichtigkeit gegenüber der Hoffnung auf die jenseitige Errettung der Seele - als auch hinsichtlich der in ihr häufig und gerne aufgegriffenen Argumentationsmuster, beispielsweise der typologischen Bibelauslegung oder einer kuriosen Naturallegorese. Im konkreten Fall äußerte sich Gottsched nicht explizit über den Verzicht auf die Integration einer Leichenpredigt in die Beisetzung seiner Frau. Doch indirekt gab er zu diesem Punkt relativ präzise Auskunft, indem er ausführlich die spöttische Verachtung der Verstorbenen einerseits für den »altväterischen, und schon mehrentheils aus der Mode gekommenen homiletischen Schlendrian« der Orthodoxie,33 andererseits für »die schleichende Muckerey [...] und die quäkerische Dummheit« der Pietisten34 schilderte. Einer derartig rüden Traditionskritik stellte der Witwer die »Religion« der Verblaßten gegenüber, welche »ihren Schöpfer und Erhalter aufrichtig« geehrt habe und »ohne allen Aberglauben gottesfürchtig« gewesen sei,35 wobei er mit letzterem Schimpfwort nach damaligem Sprachgebrauch unzweifelhaft eine weitere Spitze gegen die ältere Theologie richtete. Eine zeitgemäße christliche praxis pietatis Schloß selbstverständlich die fleißige Lektüre von Bibel, Gesang- und Gebetbuch ein. 36 Die Anfangsgründe und der innerste Kern der Religiosität der Gottschedin jedoch speisten sich, in einer für den aufklärerischen Rationalismus charakteristischen Wendung des kosmologischen Gottesbeweises, aus den »Betrachtungen der Natur, sonderlich bey Thieren und Pflanzen, die auf die Ueberzeugung von dem Daseyn, und der weisen Vorsehung eines höchsten Wesens führeten« 37 - aber nicht aus den in >altväterischen< Kanzelreden, und damit auch in Leichenpredigten, dargelegten, überkommenen Lehrsystemen.
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Gottschedin/Gottsched/2, Bl. ******4.v_******5r Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [**7]r. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. **4V. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [******6] v . Vgl. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [******6] v . Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [******6] v .
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Mit den Vorbehalten der Aufklärer gegenüber den gängigen Argumentationsmustern der traditionellen oratio funebris ist zugleich bereits auf einen dritten Grund für die schwindende Attraktivität und Akzeptanz des Genres vorausgewiesen worden. Die Leichenpredigt wurde nicht nur mit den spezifischen dogmatischen Inhalten, logischen Strukturen und Beweisführungsmethoden der orthodoxen Theologie identifiziert, sondern auch mit der besonderen sprachlich-stilistischen Form ihrer Verkündigung der protestantischen Lehre an die Gläubigen. Vor allem die starke Rhetorisierung des Genres geriet in scharfe Kritik, von der spitzfindigen, oft in extravagante oder exotische Gefilde abschweifenden inventio über die raffinierte, vielgliedrige und vielfach verschlungene dispositio bis hin zur prunkvollen elocutio (vgl. 7.3. und 7.4.). Gerade Gottsched hatte das oratorische Totenlob des 17. und frühen 18. Jahrhunderts am Beispiel von Daniel Casper von Lohensteins Parentation auf Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) als Inbegriff einer lächerlichen barocken Sprachhyperbolik, zusammengefaßt im Kampfbegriff des >SchwulstesanheizteFreigeisterei< zu Wort kommen zu lassen. 62 Von der dritten in der Gattung des Nachrufs häufig für das Personenlob aufgegriffenen Gedankenfigur, der comparatio, machte der Biograph hingegen fast keinen Gebrauch, abgesehen etwa von einer Textstelle, in welcher er einem Huldigungsgedicht der Verblichenen an ihn selbst »eine Flemmingische Stärcke« zusprach. 63 Der Grund für diesen auffälligen Verzicht auf ein in der Geschichte der Gattung bewährtes Gestaltungsmittel ist im Geschlecht der Verstorbenen zu suchen, genauer gesagt, in der Kollision zwischen den kurrenten weiblichen Rollenmustern einerseits und ihrem davon erheblich abweichenden, konkreten Lebensweg auf der anderen Seite. 64 Gottsched resümierte die Inkommensurabilität der von ihm aufgezeichneten Vita mit anderen historischen oder aktuellen Frauenbiographien im letzten Teil seines Nachrufs sogar explizit:
57 58 59 60 61 62 63 64
Vgl. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [**7] v . Vgl. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. * * 5 v - [ * * 6 ] r . Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [***7] v . Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [****5] r . Vgl. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. * * * * y - [ * * * * l \ ' s o w i e [ * * * * 8 Γ ν . Vgl. Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [ * * * 6 ] v - [ * * * 7 ] v . Gottschedin/Gottsched/2, Bl. [**6] v . V g l . a l l g e m e i n zur Rolle von Frauen im literarischen Diskurs im 18. Jahrhundert u.a. Bubenik-Bauer/Schalz-Laurenze, Frauen, 1995; Gnüg/Möhrmann, Frauen, 1999, passim; Goodman, A m a z o n s , 1999; Kord, N a m e n , 1996; Kording, Einleitung, 1999; Schöndorf/ Vestli/Jung, Schatten, 2 0 0 0 , passim; Söhn, Frauen, 1998; Tebben, Beruf, 1998.
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So habe ich nun dieß beschäfftigte, dieß fleißige, dieß so zu reden, unermüdete Leben, eines Frauenzimmers beschrieben, das seines gleichen gewiß wenig, ja vielleicht gar nicht in der Welt gehabt hat.65
Auch an früheren Stellen des Textes hatte der Biograph bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß es zur Lebensleistung der Gottschedin keine Parallele innerhalb des weiblichen Geschlechts gebe. Gelegentlich des Berichts über ihren Anteil an der Übersetzung von Pierre Bayles (1647-1706) Dictionnaire historique et critique konstatierte er zum Beispiel, daß sie damit »gewiß eine Arbeit« bewältigt habe, der »sich wohl kein Frauenzimmer in der Welt wird rühmen können.« 66 In den Notizen über einen Kuraufenthalt in Karlsbad wiederum erwähnte er, daß es ihm und seiner Gemahlin, »welches sonst sächsischen Badegästen, zumal bürgerlichen Standes, sehr schwer fällt,« gelungen sei, sich »in die Gesellschaft des vornehmsten böhmischen Adels zu schwingen,« und zwar aufgrund der »Vorzüge der Wohlseligen vor andern Personen ihres Geschlechtes.« 67 Gottsched verfaßte demnach den Nachruf auf eine Frau, wie es ihresgleichen aufgrund des Abweichens von den üblichen weiblichen Rollenmustern noch keine gegeben hatte, er wies seiner Gattin den Rang einer Ausnahmeerscheinung zu, welche mit keinem Lebenden oder Toten durch eine comparatio in Vergleich zu setzen war. Freilich gestand er der Verstorbenen damit keineswegs die Eignung zum Vorbild zu, eine Gebrauchsfunktion der Gattung des Nachrufs, die auch in der Aufklärung, wenngleich unter massiver Veränderung der vermittelten Normen und Werte, nicht aus dem Blickfeld der Parentatoren geraten war (vgl. 7.4.). Gottsched jedoch präsentierte die Biographie seiner Gemahlin ohne jeden pädagogischen Impetus als exzeptionellen Einzelfall und somit gewiß nicht als prototypisches Aneignungsmodell für gegenwärtige oder künftige Frauengenerationen und deren eigene Gestaltung ihres Lebensweges. Wie wenig dem verwitweten Gelehrten an einer nekrologischen Infragestellung oder gar Verabschiedung geltender femininer Rollenmuster gelegen war, zeigt sich vor allem daran, daß die für eine Frauenbiographie untypischen Akzente und Elemente in der Vita seiner Gattin nicht etwa einen geschlechtskonformen Lebenslauf ersetzten, sondern ihn vielmehr ergänzten. So war es selbstverständlich, daß die Gottschedin zuerst einmal ihren Pflichten im Haushalt in vollem Umfang nachkam. Der Grund dazu war bereits in der Kindheit und Jugend mit den entsprechenden »Anweisungen zu allen weiblichen Verrichtungen«, zum Beispiel im »Nähen«, gelegt worden, »daran es ihre [sc. der Gottschedin] Mutter nicht fehlen ließ.«68 Erst nachdem das Mädchen in allen seinen künftigen hausfraulichen Aufgaben unterwiesen worden war, wurde ihm in seinem »15ten und 16ten Jahre« verstattet, sich »ganz« seinen »eigenen Neigungen« hinzugeben, welche »auf Musik und Poesie, sodann aber aufs Schreiben
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Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2,
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Bl. Bl. Bl. Bl.
******2 V . ***[l] r . ****2V. [*6]v.
und Lesen guter Bücher« fielen.69 Auf diese Weise waren die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß die Gottschedin, dies stellte ihr Gatte retrospektiv zufrieden fest, wie jedes andere >Eheweib< die geschlechtsspezifischen Aufgaben innerhalb der Partnerschaft vollständig und mustergültig erfüllen konnte: Jhre Wirthschaftsangelegenheiten, an Küche, Wäsche und Kleidungen, besorgte sie ohne alles Geräusch aufs ordentlichste. Jhre Ausgabe und Einnahme hat sie die ganze Zeit ihres Ehestandes durch, von Häller zu Pfennig aufgeschrieben, und jedes Jahr richtig geschlossen. 70
Dabei kam den haushälterischen Pflichten der Schriftstellerin absolute Priorität gegenüber ihren musischen Tätigkeiten zu, es sei denn, der Griff zum Schreibutensil versprach hinsichtlich der ökonomischen Prosperität des Hausstandes, für welche der Frau qua Geschlechterrolle die Verantwortung übertragen war, eine lukrativere materielle Ausbeute als die Hantierung mit Koch-, Reinigungs- und Nähgeräten: Ja von allen Arbeiten mit der Nadel, die in einem Hauswesen vorkommen können, hat sie sehr wenig durch fremde Hände besorgen lassen; wenn sie nämlich nicht einträglichere Arbeiten unter der Feder hatte, die keinen Aufschub litten.71
Im Regelfall aber waren die literarischen Beschäftigungen der Verstorbenen die Produkte der »Nebenstunden« 72 nach der Erledigung sämtlicher hausfraulichen Obliegenheiten. Innerhalb der schöngeistigen Betätigungen der Gottschedin genossen jedoch wiederum die Dienstleistungen für ihren gelehrten Ehemann höchsten Stellenwert. In gewissem Umfang scheint er die Unterstützung durch die Gattin, da diese nun einmal schriftkundig, polyglott und hochgebildet war, bei seinen eigenen Arbeiten und professoralen Verpflichtungen sogar als Teil ihrer häuslichen Aufgaben angesehen zu haben. Das Frauenleben ging also nicht in der poetisch-mystischen Vereinigung mit dem himmlischen Bräutigam, sondern in den literarischen Zuträgerdiensten für den Gemahl auf. So gedachte Gottsched bemerkenswerterweise im unmittelbaren Anschluß an die beiden letzten Zitate mit deren Lob für die ökonomischen Kompetenzen der Verstorbenen deren tatkräftiger Mithilfe bei der Erledigung seiner eigenen Korrespondenz: Oft hat sie sogar meinen Briefwechsel in meinem Namen geführet, und sie vielen Gelehrten das nöthige geantwortet, wenn ich mit Geschafften zu sehr überhäufet war.73
Das hauswirtschaftliche Aufgabengebiet einer Gelehrten- und Poetengattin erweiterte sich demnach, sofern sie über die nötigen Bildungsvoraussetzungen verfügte, um die Pflicht zur Unterstützung des Gemahls bei seiner literarischen Tätigkeit.
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Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2, Gottschedin/Gottsched/2,
Bl. [*7]r. Bl. Bl. jv Bl. Bl.
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Gottscheds detaillierte Aufzählung und Charakterisierung der schriftstellerischen Arbeiten der Hingeschiedenen bestand daher zu einem Gutteil aus einem Lobpreis eigener Werke, bei welchen ihm, wie er sich immer wieder auszudrücken beliebte, seine »Gehülfin« 74 die »wichtigsten Dienste« 75 geleistet habe. Hierbei waren die Grenzen zwischen den einfachsten Handreichungen, die eigentlich noch in das Gebiet der haushälterischen Obliegenheiten fielen, und den unterschiedlichsten Formen auxiliarer schriftstellerischer Zuarbeit von der Registererstellung über die Exzerption bis hin zur Übersetzung stets fließend. Dies zeigt beispielhaft der Bericht über die literarischen Tätigkeiten der Gottschedin in den Jahren 1746/47. Zuerst einmal habe sie, so berichtet ihr Gatte, ein »allgemeines chronologisches Verzeichniß [...] deutscher Schauspiele« erarbeitet, das die Materialgrundlage für seinen späteren Nöthige[n] Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst (1757-1765) abgegeben habe. »Niemand«, bemerkte der Gelehrte hierzu, »war willfähriger, als eben sie [sc. die Gottschedin], diese an sich mühsame, obgleich nicht sehr rühmliche Arbeit zu übernehmen.«76 Mit dem Lob einer »andere[n] Arbeit« fuhr er fort, nämlich daß »Sie in meiner allmählig anwesenden Bibliothek, alle Pergamentbände mit sehr zierlichen Titeln der Bücher, aufs säuberste beschrieb[en]« habe, eine Tätigkeit, »die oft von Kennern der Kalligraphie bewundert worden« sei.77 Hierauf setzte Gottsched seine Aufzählung mit der Mitteilung fort: Noch eine verschiedene aber, zu ungleich mehrerm Ruhme gereichende Bemühung war es, als sie mir in diesen Jahren, in Sammlung der Materialien, zu meiner kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit an die Hand gieng. Von unzählichen alten und seltnen Büchern nämlich, die mir in die Hände fielen, machte sie mir Nachrichten und kurze Auszüge; weil ich selbst mit so vielen andern akademischen Arbeiten beschäfftiget war, daß ich ohne ihre Hülfe, schwerlich alles hätte bestreiten können. 78
Mit der zunehmenden Intensität und dem großen Aufwand ihrer Exzerptionsarbeit für den Gatten durchbrach die Gottschedin freilich eine Demarkationslinie zum eigenen Werk, die auch dem Gemahl nach und nach offenkundig zu klarem Bewußtsein kam. Dies lassen seine unmittelbar anschließenden Bemerkungen deutlich erkennen, auch wenn er die originäre literarische Leistung der Frau als Produkt seiner Idee, seiner Förderung und nicht zuletzt auch seiner großherzigen ehemännlichen Einwilligung darstellte: Als aber die Zahl ihrer Auszüge allmählich so ansehnlich und groß ward, daß ich mir ein Gewissen machte, so viel Fremdes in mein Werk einzuschalten, und für meine Arbeit auszugeben: so rieth ich ihrs an, selbst von der lyrischen Dichtkunst der Deutschen eine Geschichte zu schreiben; welches Feld ich sodann von meinem größern Werke trennen, und
74 Gottschedin/Gottsched/2, 75 Gottschedin/Gottsched/2, 76 Gottschedin/Gottsched/2, 77 Gottschedin/Gottsched/2, 78 Gottschedin/Gottsched/2,
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vgl auch ^^^^JlJ1' Bl. Bl. r Bl. [***8] . Bl. Bl. [***g]V
ihr ganz allein überlassen wollte. Diesen Vorschlag ließ sie sich leicht gefallen, und arbeitete desto fleißiger dran fort. 79
Damit war die Grenze zum eigenen Oeuvre überschritten, das schlicht und einfach nicht mehr unter der, wenn auch etwas ungewöhnlichen, Erfüllung der häuslichen Pflichten der Gattin gegenüber ihrem Gemahl subsumiert werden konnte. Die Gottschedin etablierte und emanzipierte sich als eigenständige Autorin. Dieser Schritt einer Frau in das Feld der eigenen literarischen Produktion gelang allerdings nur um den Preis ihrer Entweiblichung. Im Rahmen der kurrenten sozialen Geschlechterrollen und -bilder kam die Position eines publizistisch tätigen, noch dazu gelehrten Menschen allein und ausschließlich dem Manne zu, und das Eindringen einer Frau in diese genuin maskulin besetzte Sphäre schlug bei der sozialen Interaktion in eine Vermännlichung des schriftstellemden >Weibes< um. Gottsched berichtete daher in der Biographie seiner Ehegesponsin immer wieder die befremdeten, ja irritierten Reaktionen der Umwelt auf ein Exemplar des >zarten Geschlechts[D]as Mädel soll mir durchaus nicht schreiben lernen; durchaus nicht! ein Mädel muß nicht schreiben können, sie hat anders zu thun, wenn sie ne Frau wird, als Schreiben. Das verführt sie nur zu Liebesbriefen, zu weiter nichts Guts.Entfernung< ihres zweiten Gemahls durch einen einflußreichen Gönner ihrer Dichtkunst in den Militärdienst in die Wege.140 Sie hatte dabei berechnet, daß sie aufgrund der Einkünfte aus ihren dichterischen Arbeiten »allein im Stande war, sich zu ernähren und Ehre zu erwerben«, ja sie hatte, wie die Biographin unerbittlich festhielt, erkannt, daß »ihr Mann eine überlästige Person in ihrer Haushaltung« bedeutete 141 und daß sie »glücklich gewesen« wäre, »wenn sie keinen Mann und keine Kinder gehabt hätte«. 142 Tatsächlich sollte es Karsch, nachdem sie »ihres Ehejoches [...] frei« geworden war,143 gelingen, wie die Tochter im Nachruf berichtete, während ihrer letzten dreißig Lebensjahre aus den Einkünften ihrer Gelegenheitsdichtung und ihrer Publikationen sowie mehrerer Gnadenrenten betuchter Verehrer ihre materielle Existenz einigermaßen abzusichern.144 Bei Klencke wiederum, in der dritten Generation musisch begabter Frauen, wiederholte sich in leicht abgeschwächter Form die Konstellation von Karschs zweiter Ehe. Der erste Gatte der Biographin - im übrigen ihr eigener Stiefbruder - war zwar weder dem Trunk verfallen noch geizig oder launenhaft, aber »despotisch« und ungebildet und »riß« die junge Frau zudem »von ihren vornehmen Bekanntschaften« aus der Realschule »ab«. 145 Allerdings wurde die Heirat nicht im engeren Sinne erzwungen, sondern resultierte aus einer bösartigen List des Freiers und der nachteiligen Eigenschaft der »Mutter, welche Niemandem etwas abschlagen konnte.« Hinzu kam deren Einschätzung, daß die Tochter nicht eben »blendende Reize« habe und der
135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145
Karsch/Klencke, S. 39. Vgl. Karsch/Klencke, S. Karsch/Klencke, S. 39. Vgl. Karsch/Klencke, S. Vgl. Karsch/Klencke, S. Vgl. Karsch/Klencke, S. Karsch/Klencke, S. 68. Karsch/Klencke, S. 72. Karsch/Klencke, S. 80. Vgl. Karsch/Klencke, S. Karsch/Klencke, S. 111.
246
41^44. 61. 53 u.ö. 80.
97, 101, 104f. u.ö.
Heiratsantrag somit ein Glücksfall sei, der genützt werden müsse. 146 Einmal mehr war es also eine Angehörige des weiblichen Geschlechts, welche trotz eigener leidvoller Erfahrungen an traditionellen frauenfeindlichen Denkmustem festhielt und ihr Kind damit ins Unglück stürzte. Klencke führte den Bericht über ihre erste Ehe, worin sie wie stets von sich selbst in der dritten Person Singular sprach, mit den Worten fort: Aus Vernunft, welche sie [sc. Klencke] den eingeprägten Grundsätzen der Erziehung zu danken hatte[,] fand sich die Tochter in ihre Bestimmung, allein, es half nicht; und sie ward endlich nach einer länger als neunjährigen Nachsicht mit ihrem unleidlichen Schicksale, gezwungen, sich davon zu befreyen. 1 4 7
Wie Karsch emanzipierte Klencke sich demnach von ihrem ersten Gatten durch eine von ihr herbeigeführte Trennung. Das Scheitern ihrer eigenen zweiten Ehe wiederum streifte die Biographin lediglich mit einem einzigen Satz. »[W]egen ihres Mannes bösen Verwandten« habe sie sich »auch diesmal nicht besser« verheiratet. 148 Es handelte sich also nach Klenckes Andeutungen keineswegs um einen >unleidlichen< Ehestand, in dem die Gesinnungen der Partner nicht zueinander >gestimmt< hatten, und sie war vielleicht sogar an ein maskulines Wesen >von einiger Distinktion< geraten; der adlige Name desselben, welchen sie ja weiterhin führte, ließ dies jedenfalls vermuten. Der Grund für die Trennung lag ihrer Darstellung nach ausschließlich in der Hintertreibung der Verbindung durch die Familie des Gatten. Die Geschichte der Ehen von drei Frauengenerationen lief mithin zwar nicht auf einen idealtypischen Zielpunkt in der Person Klenckes zu, doch führte sie den Rezipienten eine kontinuierliche Entwicklungslinie vor. Zum einen gewannen Frauen innerhalb eines Zeitraums von etwa einem halben Jahrhundert sukzessive den Mut, sich nach eigenem Entschluß aus einer unerträglichen Ehe zu lösen, und zum anderen zeichneten sich die Gatten nach und nach durch eine geringere Zahl an negativen Eigenschaften und Lastern, durch größere Bildung und einen höheren sozialen Rang aus. Die nekrologische Biographie mutierte damit zu einem - modern und etwas überspitzt gesprochen - feministischen Programm für die Emanzipation künstlerisch talentierter Frauen aus den drückenden sozialen und familiären Verhältnissen und auch aus den extrem ungleich verteilten Geschlechterrollen. Es galt dabei zum ersten, die von Karsch exemplarisch bereits erreichte, gesellschaftliche Position einer freischaffenden Schriftstellerin in der lesenden Öffentlichkeit zu befestigen und abzusichern - unter anderem ihren Anspruch auf ökonomische Selbständigkeit und eine tragende Rolle im hauptstädtischen Kulturleben. Zweitens aber waren auch die noch bestehenden Defizite in der sozialen Stellung einer Autorin aufzuweisen, insbesondere die schiere Unmöglichkeit eines zufriedenstellenden Ehestandes. Freilich erwiesen sich trotz aller Fortschritte die wirtschaftlichen und organisatorischen Probleme in einer weiblichen Dichterexistenz dennoch weiterhin als gravierend und die von Klencke formulierten Ziele als gegenwärtig utopisch. Gerade die kaum zu
146 147 148
Karsch/Klencke, S. 111. Karsch/Klencke, S. 112. Karsch/Klencke, S. 112.
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bewältigende Schwierigkeit, einen Hausstand und Kinder versorgen und gleichzeitig als Schriftstellerin gesellschaftlich und materiell reüssieren zu müssen, avancierte beinahe zwangsläufig zu einem zentralen Thema der nekrologischen Biographie. Wie die Gottschedin übernahm Karsch sowohl die >weiblichenmännliche< Rolle einer Schriftstellerin, mit dem Unterschied freilich, daß ihre Existenz nicht durch einen wohlsituierten Gatten finanziell abgesichert war, sondern sie gerade mit ihrer poetischen Produktion auch die monetäre Basis des Hausstandes zu lukrieren hatte. Aus dieser Doppel-, wenn nicht Dreifachbelastung resultierte eine von Klencke immer wieder offen angesprochene Überforderung Karschs, welche eine Vernachlässigung der weiblichen Pflichten zur Konsequenz hatte. Es sei »[g]anz natürlich« gewesen, daß die Dichterin wegen ihres Lesens und Schreibens »nicht ihre Handlung in gehöriger Ordnung hinter einander her verrichten konnte«,149 »wodurch manche häusliche Unordnung entstand«.150 Nach ihrer Übersiedlung nach Berlin hätten ihr sogar »schlechterdings alle Kräfte« für die »Erziehung« ihrer Kinder gefehlt, so daß sie diese außer Haus geben mußte. 151 In der Forschung ist zutreffend festgehalten worden, daß Klencke die Unfähigkeit ihrer Mutter zu einer geregelten Wirtschaftsführung auf dem Hintergrund der eigenen, philanthropinisch orientierten Sozialisation in der Realschule durchaus mißbilligt habe. 152 Mit der These jedoch, daß die Tochter ihre Mutter bezichtigt habe, mit der literarischen Laufbahn von der naturgegebenen Rolle einer Frau abgewichen zu sein,153 widerfährt der Komplexität der Argumentation der Biographin Unrecht. Natürlich erschien Klencke der, gemessen an den traditionellen Geschlechterrollen, >unweibliche< schriftstellerische Lebensweg Karschs - und damit etwa auch ihr vergeistigtes, für eine Frau untypisches »Mienenspiel« - als »Grundlage aller ihrer Unglücksfälle«. 154 In dieser ursächlichen Erklärung »liegt« jedoch keineswegs eine »Schuldzuweisung« an die Dichterin »verborgen«.155 Die Verantwortlichkeiten für die Brüche und die Mißhelligkeiten in der Vita der Mutter suchte Klencke, wie die Analyse der nekrologischen Biographie gezeigt hat, in den extrem ungünstigen sozialen Rahmenbedingungen für die Etablierung einer begabten Frau als Schriftstellerin. Sie schilderte den konfliktreichen Widerspruch zwischen häuslichen Verpflichtungen und literarischer Arbeit nicht als Konsequenz eines persönlichen Versagens, sondern als Resultat einer das weibliche Geschlecht diskriminierenden Gesellschaftsstruktur - und ihr Nachruf war ein Appell zur Problematisierung und Veränderung derselben. Ebensowenig ist es richtig, wenn die Forschung Klencke unterstellt, sie habe ein abschätziges Urteil über die poetische Produktion ihrer Mutter gefällt, da diese als
149 150 151 152 153 154 155
Karsch/Klencke, S. 44. Karsch/Klencke, S. 50. Karsch/Klencke, S. 93. Vgl. Schaffers, Elend, 1997, S. 159. Vgl. Schaffers, Elend, 1997, S. 163. Karsch/Klencke, S. 13. Schaffers, Elend, 1997, S. 163.
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Schriftstellerin von der >natürlichen< Rolle einer Frau abgewichen sei. 156 Tatsächlich hielt die Biographin fest, daß sich die Lyrik Karschs in ihrer literarischen Qualität nicht mit den besten Texten der zeitgenössischen Dichtkunst messen könne. Klenckes Einschätzung fußte jedoch keineswegs auf einer frauenfeindlichen Argumentation: Mit ihrem reichen Genie [ . . . ] hätte sie [ . . . ] eine Pindarin werden können, wenn ihr Geist die Fesseln der Kunst hätte dulden wollen. Ein vorgelegter Plan lahmte ihre Schwungkraft; sie konnte es durchaus nicht denken: so willst du anfangen, und so wieder endigen, sondern wie der Zufall ihr einen Gegenstand entgegen führte, so faßte ihr Feuer ihn auf, und führte ihn leuchtend fort; unbekümmert, w o er seinen Ruhepunkt nehmen würde. 1 5 7
Dem >Naturtalent< Karsch gebrach es also an einem elementaren rhetorischen Werkzeug, welches für die niveauvolle Gestaltung eines Textes unabdingbar notwendig war, nämlich an der Kunst der dispositio, und dazu auch noch einer gewissen Arbeitsdisziplin. Diese Defizite beschrieb Klencke aber nicht etwa als Mängel des qua Geschlechterdifferenz eingeschränkten weiblichen Geistes, sondern als leidige Konsequenzen der allzu früh abgebrochenen Ausbildung der Dichterin. Karschs Lyrik - in diese Richtung wies das Urteil der Biographin - zeigte mithin Schwächen, weil ihrer Verfasserin ein gediegener Unterricht vorenthalten worden war, oder umgekehrt und noch genauer gesagt, ihre Texte waren, gemessen an ihrer Unbildung, in höchst erstaunlichem Maße gelungen. Klencke formulierte diese Einschätzung explizit im unmittelbaren Anschluß an eine lebendige Schilderung von Karschs Stegreif-Dichtung in den Berliner Salons und geselligen Zirkeln: Und das [sc. die bewunderungswürdige Kunstfertigkeit im spontanen Verseschmieden] kam aus dem Kopfe eines Weibes, welches so schätzbare Schönheiten keiner Erziehung, Anleitung, noch fremder Feile zu danken hatte. 158
Klenckes Urteil über die lyrische Produktion ihrer Mutter war demnach nicht einfach negativ, vielmehr durchaus differenziert - Karsch hatte unter den gegebenen lebensgeschichtlichen Umständen schier Unmögliches geleistet, jedoch nicht den höchsten Gipfel der Dichtkunst ersteigen können - , und dieses Urteil transportierte zugleich einmal mehr einen sozialkritischen Appell zur Verbesserung der Ausbildungschancen für Frauen. Die Einschätzung von Karschs Gesamtwerk durch die Biographin war aber offenkundig noch aus einem anderen Grunde nicht ungeteilt positiv, welcher jedoch, wenigstens im Hinblick auf die ästhetische Qualität der Texte, ebenfalls nicht mit dem Geschlecht der Verstorbenen in Zusammenhang stand. Bei einem großen Teil des Oeuvres der Mutter handelte es sich nämlich um Kasualdichtung im traditionellen Sinne, also um anlaßbezogene und finanziell oder durch Geschenke dotierte Auftragslyrik. Klencke äußerte sich hierzu dezidiert im Bericht über Karschs Berliner Jahre. Es sei, so stellte sie fest, der Dichterin unmöglich gewesen, ihren Lebensunterhalt allein aus
156 157 158
Vgl. Schaffers, Elend, 1997, S. 170f. Karsch/Klencke, S. 91f. Karsch/Klencke, S. 96.
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den ihr zugestandenen Gnadenrenten und den Tantiemen aus der Publikation ihrer Werke zu bestreiten: Gelegenheitsgedichte gaben gewisses Einkommen, zu solchen ließ sie [sc. Karsch] sich, aus Nothwendigkeit, wieder herab. So verschnitt die erste Dichterin Deutschlands, ihr herrliches Talent, ihr Meer von Gedanken, in lauter kleine versiegende Bäche, und empfand es nicht, daß sie sich etwas beraubte, weil sie zu gutmüthig war. 159
Einerseits verweist dieses Zitat ein weiteres Mal auf den programmatischen Impetus des Nachrufs, die Forderung nach einer solideren Existenzgrundlage für schreibende Frauen. Zum anderen - und das ist wichtiger - läßt die Textstelle an den offenkundig divergierenden Ansichten von Mutter dort und Tochter hier bezüglich des Kasualpoems exemplarisch den Bruch in der zeitgenössischen poetologischen Reflexion über diese spezifische Form der literarischen Produktion zutage treten. Klencke betrachtete Gelegenheitslyrik als eine der Dichterin unwürdige Vergeudung von Zeit und Begabung, welcher Karsch freilich aus ökonomischen Gründen tragischerweise nicht hatte entrinnen können. Karsch selbst teilte dieses Verdikt keineswegs, was die Biographin wiederum in ihrer Verständnislosigkeit gegenüber einer nicht mehr aktuellen poetologischen Position dazu veranlaßte, die positive Haltung der Mutter zur Kasualdichtung mit einer Gemütseigenschaft, der Gutmütigkeit, zu verwechseln. Klenckes radikale Ablehnung der Gelegenheitslyrik ging damit weit über die Kritik hinaus, die Gottsched etwa dreißig Jahre zuvor im Nachruf auf seine Gemahlin formuliert hatte. Der Biographin erschien das Kasualgedicht offensichtlich nur noch als bestelltes, käufliches Auftragswerk - und somit nicht einmal mehr in Ausnahmefällen als literarisches Medium der Expression echter Gefühle seines Autors. Anders als Gottsched, der die lyrischen Würdigungen seiner Frau mit den brieflichen Beileidsbezeugungen ostentativ gleichrangig behandelt hatte, setzte Klencke völlig auf eine genie- und erlebnisästhetische Poesie als Alternative zum überkommenen Gelegenheitsgedicht. Bemerkenswerterweise projizierte sie diese literaturtheoretische Position in die Vita ihrer Mutter.160 Sie entwickelte deren Biographie daher auch als Lebensgeschichte eines Genies, das seine Talente freilich nicht voll entfalten konnte und insbesondere in der Produktion von Kasuallyrik vergeudete. Die ingeniöse dichterische Begabung Karschs deutet sich in der Biographie der Kindheit bereits in dem Lerneifer und der unersättlichen Liebe des Mädchens zum Lesen an. Aufgrund der widrigen Umstände gelangt das Talent jedoch erst durch eine günstige Gelegenheit zum Durchbruch. Die zufällige Lektüre einiger weltlicher Gedichte weckt in Karsch die »Begierde, [...] auch Verse machen zu können [...], und von Stund an keimt ihr Dichtertalent aus dem
159 160
Karsch/Klencke, S. 104. Zum Geniegedanken des späten 18. Jahrhunderts vgl. zusammenfassend Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 701-703 (Klaus Weimar: Genie); sowie ausführlich Schmidt, Geschichte, 1985.
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Verborgenen hervor.« 161 Ein wichtiges Konstituens von Genialität, wie Klencke sie begriff und auf die Biographie der Mutter applizierte, war dabei, daß sie nicht erlernt werden konnte, sondern einem Menschen schlichtweg gegeben war oder nicht. Wenn der mit Karsch gemeinsam sich für Literatur interessierende Rinderhirt daher ebenfalls Reime zu machen versucht, muß er zwangsläufig scheitern, »weil er nicht wie seine Freundin zur Dichtkunst geboren« ist. 162 Mit Bezug auf die Gelegenheitsdichtung folgte hieraus, daß sie, von einem Schriftsteller ohne Genie verfertigt, ästhetisch völlig wertlos sein mußte, aus der Feder eines bedeutenden Talents aber eine Verschwendung von dessen kostbarer poetischer Kraft war. Klenckes Genialitätsvorstellung wurde ferner stark von zeitgenössischen Individualitätskonzepten geprägt. Ein dichterisch außergewöhnlich begabter Mensch war demzufolge nicht bloß zur Produktion niveauvoller Texte befähigt, vielmehr trugen diese auch stets die Signatur seiner einzigartigen, unverwechselbaren Persönlichkeit. Deshalb »verrieth« selbst jedes »unwichtige Gedicht« Karschs den »Stempel« ihres »Original=Genie[s]«. 163 Solche subjektiven Gestaltungsmerkmale widersprachen natürlich der traditionellen Poetologie der Kasualliteratur, welche vorrangig durch die Aktualisierung kanonisierter Regeln und Vorbilder und durch die angemessene Erfüllung einer anlaßbezogenen Aufgabe bestimmt gewesen war, nicht jedoch durch die Inszenierung der Individualität eines Autors. Schließlich erschien Gelegenheitslyrik auch insofern nicht mit poetischem Genie vereinbar, als dieses die Gegenstände seiner literarischen Produktion nicht aus vorgegebenen gesellschaftlichen Ereignissen und materiell ausbeutbaren Aufträgen, sondern aus dem eigenen Erleben schöpfte. Klencke gedachte daher derjenigen Texte ihrer Mutter mit besonderem Lob, in denen diese »ihren Geist [...] erleichterte«, 164 ihr »Schicksal« in »Trost= und Hoffnungsliederfn]« konsolatorisch reflektierte 165 und dabei ausschließlich dem »bloße[n] Drang zum Schreiben« nachgab und folgte, 166 während sie beim Abfassen von Kasualtexten stets »von der Notwendigkeit gedrungen« wurde und eigentlich gar nicht als »Dichterin« im engeren Sinne wirkte. 167 Klencke implantierte mithin zentrale Elemente kurrenter Genialitätsvorstellungen in das Leben und die literarische Karriere ihrer Mutter. Hierzu gehörte nicht zuletzt ein Konzept künstlerischer Autonomie, demzufolge Genies ihr Werk nur aus dem eigenen Subjekt und dessen Überfülle schöpften und erschufen - und damit auch notwendigerweise immer wieder die gültigen ästhetischen Konventionen übertreten mußten. Nun handelte es sich bei diesen ebenso raren wie exquisiten Wesen beinahe durchgängig um Männer, welche einen erlesenen und außerordentlich privilegierten Ausbildungsweg absolviert hatten und daher auch bewußt die rhetorischen und poetischen Regularien, die sie gelehrt worden waren, im genialischen Überschwange brechen konnten.
161 162 163 164 165 166 167
Karsch/Klencke, Karsch/Klencke, Karsch/Klencke, Karsch/Klencke, Karsch/Klencke, Karsch/Klencke, Karsch/Klencke,
S. S. S. S. S. S. S.
35. 36. 78. 46. 60. 65. 67.
251
Ganz anders verhielt es sich im Falle Karschs, der im Privatunterricht durch den Onkel ja kaum mehr als die elementarsten Kenntnisse vermittelt worden waren und die sich alles weitere Wissen im eklektizistischen Selbststudium angeeignet hatte. Es ist daher kein Zufall, daß Klencke sich mit der Frage der genialischen Autonomie nicht etwa anläßlich einer Thematisierung von Karschs Werk, sondern in der Geschichte der Jugend, am traditionellen biographischen Ort des Berichts über educatio et disciplina - genauer gesagt: der Verhinderung einer Ausbildung - auseinandersetzte. Im Bericht über die drei Jahre lang währende Verwendung der heranwachsenden Karsch als Schäferin notierte die nekrologische Chronistin: Hätte statt dieses Hirtenlebens die Dichterin das Glück einer gekünstelten Erziehung genossen und die Bücher unsrer Tage gehabt, so würde sie kaum ihr Talent zu der Höhe geschwungen haben, in welcher es allgemein bekannt ist. Ein wirkliches Genie kann wol nicht dadurch leiden, wenn es lange sich nur selbst überlassen ist; denn die Kunst, welche ihm zu früh die erhabensten Muster vorlegt, macht es dadurch scheu und zaghaft, selbst den Flug zu wagen. Daher wird ein früh ausgebildetes Talent sich selten zu dem kühnen Schwung erheben, welchen die wilde freie Kraft eines sich selbst überlassenen Genies mit Leichtigkeit ausführt, weil es die ihm unbekannten Regeln der Kunst nicht zu scheuen hat, ob es gleich auch Gefahr läuft, im Wälzen seines Strohms hie und da eine Regel umzustoßen, oder etwas mit sich fortzureißen, welches es nicht wieder an die rechte Stelle bringt.168
Klencke erhob hier also die mangelhafte Bildung Karschs während der Jugend geradezu zur Voraussetzung für die volle Entfaltung von deren Genie und damit auch für die herausragende Qualität ihres poetischen Werkes. Nur ein in seiner >Natürlichkeit< erhaltenes, nicht durch >künstlichen< Unterricht eingeengtes Talent war demnach zu einer wirklich autonomen künstlerischen Hervorbringung imstande. Die Biographin stilisierte Karsch aufgrund von deren Bildungsdefiziten also zum >wahren< Genie im Gegensatz zu den meisten anderen Vertretern dieser besonderen Spezies Mensch, welche durch Schule und Universität >verbildet< und deswegen eines Teils ihrer ursprünglichen genialischen Kraft beraubt worden waren. Die Genialisierung Karschs im Dienste eines hochfliegenden Personenlobs stand allerdings im krassen - und von Klencke nicht vermittelten - Gegensatz zu ihrer in einem großen Umfang kasualliterarisch geprägten poetischen Produktion, deren Genese mit dem Konzept einer Autonomieästhetik wohl doch etwas schief beschrieben war. Noch wichtiger aber ist, daß Klencke mit der Apologie einer kulturell möglichst unbelasteten, freien Entfaltung des Genies sich in einen eklatanten Konflikt mit ihrer im selben Nachruf lauthals erhobenen Forderung nach besseren Bildungsmöglichkeiten für musisch begabte Mädchen verstrickte. Das hyperbolische Personenlob einerseits - die Stilisierung Karschs zum singulären Naturgenie - und die frauenrechtlerische Instrumentalisierung der Vita der verstorbenen Dichterin auf der anderen Seite waren nicht miteinander in Einklang zu bringen. Der biographische Nachruf, überfrachtet mit unterschiedlichen persönlichen, ästhetischen und ideologischen Funktionalisierungen, geriet in einen unauflöslichen Widerspruch zu sich selbst.
168
Karsch/Klencke, S. 28f.
252
In der Hirten-Episode der Karsch-Biographie begegnet übrigens, zum mindesten in einigen Reminiszenzen, ein letztes Mal ein Genre des Nachrufs, welches schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kaum mehr gepflegt worden war, nämlich die nekrologische Ekloge (vgl. 3.4.8. und 6.3.). Klencke versetzte die Verstorbene für drei Sommer ihrer Jugend in ein arkadisch-idyllisches Landdasein, das mit allen traditionellen Elementen der Eklogendichtung ausstaffiert war. So hütete Karsch auf der weiten einsamen Flur drei Rinder, lebte dabei in völligem Frieden mit ihrer Umwelt, der Natur und sich selbst, ließ sich mit dem befreundeten Hirten gar in eine Art von poetischem Kräftemessen ein, das freilich sie, wie bereits erwähnt, ihrer Genialität wegen gewann. Mehr noch: Diese kurze Passage der Biographie geriet der nekrologischen Chronistin ganz in der Tradition der Bukolik zur poetologischen Selbstreflexion von Dichtkunst, in der sie zum einen, wie gezeigt, die genialische Begabung Karschs erörterte und zum anderen deren intensives Erlebnis der Natur zur unabdingbaren Voraussetzung für die thematische Vielfalt und den Bilderreichtum ihrer späteren Werke erklärte. 169 Allerdings hatte es sich bei der kindlichen Schäferexistenz der Verblichenen weder um eine Fiktion wie bei Vergil und seinen humanistischen Imitatoren noch um ein in der Freizeit aufwendig inszeniertes Spiel wie im Falle des Pegnesischen Blumenordens gehandelt, sondern schlichtweg um lebensgeschichtliche Tatsachen. Zwar erschienen diese Fakten in der biographischen Narration offenkundig literarisiert und idealisiert, jedoch nicht allegorisch permutiert, da Karsch ja tatsächlich Rinderhirtin gewesen war. War die Bukolik - und mit ihr die nekrologische Ekloge - schon Jahrzehnte zuvor wegen ihrer idyllischen >Unwahrscheinlichkeit< und der ihr eigenen, komplexen Allegorisierung der konkreten Lebenswirklichkeit weitgehend aus dem zeitgenössischen Kanon aktueller poetischer Gattungen ausgeschlossen worden, so konnte sie hier von Klencke en miniature noch einmal aufgegriffen werden, da die Biographin tatsächlich Fakten aus der in Literatenkreisen ungewöhnlichen Vita ihrer Mutter mitteilte. Die nekrologische Chronistin nützte diese einzigartige poetisch-lebensgeschichtliche Konstellation geschickt für ihre Darstellungsabsichten. Auf der einen Seite pries sie die Idylle des schäferlichen Landlebens als die »schönsten [...] Jahre« in Karschs Biographie, als Grundlage für die Entwicklung von deren poetischem Genie, und konstatierte resümierend, daß die »höchsten Dichter« sich mit vollem Recht »das goldene Zeitalter« als Hirtendasein erträumt hätten. 170 Andererseits aber lehnte Klencke die Schäferexistenz als allgemeines Modell für eine gelungene Lebensgestaltung kategorisch und rigoros ab. Die Gattung der Ekloge vermittelte nun einmal Träume, und diese hatten nur wenig mit den wirklichen Strapazen und Unbilden der Viehzucht gemein. Aus der Sicht der Biographin waren Karschs Jahre als Hirtin mithin ein wichtiger und grundlegender, aber notwendigerweise begrenzter Abschnitt des Lebens. Dabei war die Schäferzeit nicht um ihrer selbst willen von entscheidender Bedeutung, sondern allein ihres positiven Einflusses auf die geistige Entwicklung der künftigen Dichterin wegen. Die Schäferei als reale Existenzform und Beruf strafte Klencke jedoch mit
169 170
Vgl. Karsch/Klencke, S. 28. Karsch/Klencke, S. 23.
253
tiefer Geringschätzung. Karschs bukolischer Jugendfreund, ausgestattet mit lediglich geringen poetischen Gaben und von der Biographin mit dem wenig schmeichelhaften Titel eines »ehrgeizige[n] Rinderphilosoph[en]« 171 belegt, konnte sich aus seinem »verachtete[n] und höchst dürftige[n] Leben« auf dem Lande nicht befreien. 172 Die Dichterin hingegen, deren Genie sich am zeitweiligen Hirtendasein gestärkt hatte, erhob sich daraus und empfand ihren Freund »mit seinen zusammengedrängten Unannehmlichkeiten« bald nicht bloß als keine gute Partie, sondern gar als »ekelnd«. 173 Allen idyllischen Idealisierungen von einem arkadischen Landleben - und auch der Ekloge als deren literarischem Kondensat - war damit ein ebenso brutaler wie endgültiger Todesstoß versetzt.
171 172 173
Karsch/Klencke, S. 36. Karsch/Klencke, S. 25. Karsch/Klencke, S. 36.
254
9.
Geliert oder: Der Nachruf im Kult der Empfindsamkeit
9.1. Transformationen von Produktion, Distribution und Rezeption nekrologischer Kasualliteratur im 18. Jahrhundert Christian Fürchtegott Geliert 1 ist gewiß der einzige Autor der deutschsprachigen Literaturgeschichte, dessen Würdigung durch die jüngere germanistische Forschung sich in einem beträchtlichen Maße dem Interesse für die Nachrufe auf ihn verdankt. 2 In mehreren Beiträgen der während der letzten Jahrzehnte nicht gerade ausufernden Untersuchungen zu Leben und Werk des Leipziger Dichters und Hochschullehrers ist eingehend die Frage diskutiert worden, warum er einerseits nach seinem Tod von den Zeitgenossen quantitativ und qualitativ so intensiv wie kein anderer Schriftsteller öffentlich betrauert und zum anderen die weitere Rezeptionsgeschichte seit dem frühen 19. Jahrhundert durch ein zunehmendes Desinteresse des lesenden Publikums bis an den Rand der Ent-Kanonisierung sowie durch eine sukzessive Marginalisierung in der germanistischen Forschung bestimmt worden sei. Tatsächlich initiierte Gellerts Tod eine, selbst wenn man von den Nachrufen in periodischen Publikationsorganen absieht, geradezu überbordende Zahl an eigenständigen Veröffentlichungen mit Würdigungen in den unterschiedlichsten nekrologischen Genres. Zwischen 1769 und 1774 erschienen eine Reihe von Gelegenheitsdrucken mit Trauergedichten, 3 zahlreiche Broschüren mit prosaischen Ehrungen des Toten, 4 mehrere gedruckte Gedenkreden, 5 eine voluminöse biographische Darstellung von Leben und Werk des Verblichenen 6 sowie ein Text mit persönlichen und privaten Er-
1
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Vgl. den bibliographischen Nachweis der im folgenden zitierten Nachrufe auf Geliert in 14.1.12. - Vgl. zu Geliert zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 4, S. 104—106 (Werner Jung); sowie Arto-Hausmacher, Verehrt, 1996; Honnefelder, Geliert, 1997; Kemper, Lyrik, Bd. 6.1., 1997, S. 329-385; Koch, Geliert, 1992; Schlingmann, Geliert, 1967. Vgl. zu den Nachrufen auf Geliert Lehnen, Bilde, 1990; Meyer-Krentler, Geliert, 1990, S. 206f.; Schlingmann, Geliert, 1967, S. 11-19 und passim; Schlingmann, Tränen, 1983. Vgl. ferner Doering, Geliert's, 1833, Bd. 2, S. 176-179. Vgl. u.a. Gellert/Anonym/2; Geliert/Amman; Geliert/Claus; Gellert/Cramer/1; Geliert/ Denis; Geliert/Fidler; Gellert/Froriep; Gellert/Kretschmann/2; Gellert/Lavater; Gellert/Mastalier; Gellert/Regelsberger; Geliert/Weiße. Vgl. u.a. Gellert/Anonym/24; Geliert/Anonym/26; Geliert/Anonym/27; Geliert/Anonym/37; Gellert/Faber/1; Gellert/Faber/2; Geliert/Franz; Gellert/Hasche/2; Gellert/Huber; Gellert/Murr/2; Gellert/Petersen; Geliert/Waldau. Vgl. u.a. Geliert/Bertram; Geliert/Eck; Gellert/Ernesti/1; Gellert/Ernesti/2. Vgl. Gellert/Cramer/2.
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innerungen an den Verstorbenen,7 ein Totengespräch, in dem der Hingeschiedene auftritt,8 eine pädagogisch-admonitive Epistel eines Hofmeisters an seine beiden Schüler anläßlich des Trauerfalles,9 zwei umfangreiche nekrologische Sammelausgaben10 und schließlich eine stattliche Folge von Schriften, in denen die veröffentlichten Nachrufe selbst reflektiert und kritisch gewürdigt wurden.11 Doch ist die Forschung im Unrecht, wenn sie das spektakuläre Moment der öffentlichen Reaktionen auf den Tod Gellerts vor allem in deren extraordinärer Menge sucht. Die numerische Quantität und der textuelle Umfang der Nachrufe auf den Leipziger Gelehrten und Dichter können gewiß als außergewöhnlich, aber, wie etwa ein Vergleich mit der Flut an Nekrologen auf Christian Thomasius zeigen kann (vgl. 7.1.), keineswegs als absolut singulär gelten. Ausmaß und Tiefe von Trauer und Erschütterung über Gellerts Tod, welche die Autoren in ihren Würdigungen artikulierten, erscheinen in der Gegenüberstellung mit der nekrologischen Gelegenheitsliteratur der Zeit ebenfalls als beträchtlich, aber nicht als völlig einzigartig. Hochexpressive Bekundungen der Ergriffenheit über den Hingang eines Poeten, in denen der Schmerz der ganzen Nation,12 ja der halben Welt,13 oder gar die Verarmung des gesamten Erdkreises um einen Schriftsteller behauptet wird, wie er nur einmal in jedem Jahrhundert14 oder nur einmal für jede Nation geboren werde,15 sind keine für den vorliegenden Fall konkret konstruierten Argumente der lamentatio, sondern ein fester, topisch konventionalisierter Bestandteil des frühneuzeitlichen und auch des aufgeklärten Dichtertotenlobs. Dennoch markieren die Nachrufe auf Geliert einen signifikanten Einschnitt in der Geschichte der Gattung. Dabei indizieren diese Texte auf der einen Seite vehemente Veränderungen im Totenlob, die sich seit etwa 1750 bereits angekündigt und partiell auch in der kasualpoetischen Praxis durchgesetzt hatten, andererseits wurde dieser literarhistorische Prozeß selbst gerade durch die publike Auseinandersetzung mit dem Ableben des Leipziger Schriftstellers und mit dem spezifischen Autorprofil, welches er repräsentiert hatte, massiv beschleunigt. Erstens verweisen die nekrologischen Ehrungen Gellerts auf einen tiefgreifenden Wandel hinsichtlich der Trägerschichten der gelegenheitsliterarischen Produktion. Die Autoren kasualpoetischer Texte hatten sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts fast zur Gänze aus den intellektuellen Eliten des frühneuzeitlichen Staates und der Kirchen rekrutiert, aus Bürgerlichen und Angehörigen des niedrigen Adels also, die über eine gediegene Ausbildung - und somit auch das entsprechende rhetorische Können auf
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Vgl. Gellert/Anonym/25. Vgl. Gellert/Kretschmann/1. Vgl. Gellert/Faber/2. Vgl. Gellert/Anonym/60; Gellert/Schubart/2. Vgl. u.a. Gellert/Anonym/21; Gellert/Anonym/59; Gellert/Abrahamson; Geliert/Hermes; Geliert/Murr/1; Geliert/Riedel; Geliert/Schumann; Geliert/Teller; Gellert/Wedel-Jarlsberg. Vgl. z.B. Geliert/Weiße, S. 6. Vgl. z.B. Gellert/Hasche/1, S. 51. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/19. Vgl. z.B. Gellert/Petersen, S. 19.
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dem Gebiet der Gelegenheitspoesie - verfügten. Die Aufgabe der nekrologischen Ehrung eines Verstorbenen, sei es in Form einer Leichenpredigt, einer Gedenkrede oder eines Trauergedichts, hatte demnach weitestgehend in den Händen von weltlichen und geistlichen Würdenträgern respektive von Gymnasialalumnen und Studenten als den zukünftigen Aspiranten auf diese Ämter gelegen. Demgegenüber waren zum Beispiel gebildete städtische Patrizier, die keine öffentlichen Funktionen innehatten, oder Frauen, denen der Zugang zu höheren Schulen und Universitäten verwehrt blieb, kaum je als Kasualschriftsteller in Erscheinung getreten, ganz zu schweigen von den Absolventen eines lediglich elementaren Unterrichts und der breiten Masse der Analphabeten. Anläßlich von Gellerts Tod nun veröffentlichten zwar ebenfalls viele Angehörige der intellektuellen Eliten - etwa Professoren, höhere Lehrer, Hofleute oder Pastoren - Würdigungen des Verstorbenen. Doch an deren Seite traten zahlreiche Autoren aus gänzlich anderen Milieus, Berufsgruppen und sozialen Kreisen, darunter insbesondere eine Reihe von schreibenden Frauen, 16 ein Soldat 17 sowie diverse anonyme Skribenten, die sich lediglich als »Jüngling[e]« 18 oder als »Verehrer« 19 des Verewigten zu erkennen gaben und in den Einleitungen zu ihren Nachrufen freimütig ihre Bildungsdefizite gegenüber den Anforderungen an eine traditionelle Kasualpoesie einräumten. Überspitzt und in einem Paradoxon formuliert, wurde die ältere gelehrte Gelegenheitspoesie, die unter den Hochgebildeten aufgrund ihrer massenhaften Produktion soeben vehement in die Kritik geraten war (vgl. 8.3.), durch die >UngelehrtenJünglingen< und >VerehrernpolyhistorischUngelehrter< sich mit Fug und Recht literarisch produzieren konnte - und sei es als Verfasser eines Nachrufs. Gellerts Konzept einer Literatur >für alle< - es wurde in den Nekrologen emphatisch bis zur Evokation
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Vgl. z . B . Gellert/Anonym/2; Gellert/Anonym/22; Gellert/Anonym/25; Gellert/Anonym/61; Geliert/Möllern. Vgl. Geliert/Anonym/27. Vgl. z . B . Geliert/Anonym/24, S. 4; Geliert/Hasche/1, S. 4. Vgl. z . B . Gellert/Anonym/23, Titel; Gellert/Anonym/24, Titelbl.; Gellert/Faber/1. S. 4. Vgl. Gellert/Anonym/40, S. 230.
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der Trauer um den Verstorbenen unter den Bauern am Feld beschworen21 - mutierte zur Legitimation für eine Gelegenheitspoesie >von allenHerzJünglinge< und >Verehrer< hingegen, die öffentlich das Ableben Gellerts betrauerten, ergossen in ihre nekrologischen Publikationen tatsächlich ihre kummervollen Herzen, ohne dabei auf die tradierten Techniken der Rhetorik für die Herstellung eines Gelegenheitstextes zurückgreifen zu können, und sie riefen damit zahlreiche >gelehrteim Palast< als auch >in den Hütten< wird in den Nachrufen immer wieder geradezu phraseologisch beschworen, vgl. z.B. Geliert/Eck, S. 15; Gellert/Reinwald, S. 220. Vgl. dazu Brandtner, Rhetorik, 1999; Geitner, Sprache, 1992, S. 168-208 und passim. Gellert/Anonym/27, S. 21. Gellert/Anonym/27, Bl. [2]v. Vgl. Gellert/Anonym/4, S. 97. Gellert/Hasche/2, S. 5; vgl. auch Geliert/Hasche/1, S. 34. Geliert/Waldau, S. 4f.
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reflektiert erlernt, sondern zunehmend in Prozessen der Akkulturation prototypischer Muster internalisiert. 28 Der demonstrativen Emotionalisierung des inszenierten Verhältnisses zwischen dem Ich des Nachruf-Textes und der Person der Würdigung korrespondierte interessanterweise drittens eine reale Ent-Personalisierung dieser Beziehung. Der verstorbene Geliert wurde von vielen seiner Parentatoren zwar als >Freund< oder >Lehrer< angesprochen, doch gleichzeitig konnten sich nur wenige von ihnen einer tatsächlichen zwischenmenschlichen Bekanntschaft mit ihm rühmen, von einem näheren Kontakt ganz zu schweigen. Traditionellerweise jedoch war die Produktion eines Nachrufs zumeist in ein relativ enges soziales Bindungsnetz eingebettet gewesen. Der Autor einer nekrologischen Würdigung hatte sich in der Regel vor einem verstorbenen Mitglied der Gemeinde, vor einem Freund, einem Bekannten, einem Verwandten, einem Gymnasial- oder Hochschullehrer, einem Amtskollegen, vor einem Vorgesetzten oder einem Angehörigen der regionalen Obrigkeit, allenfalls vor einem Briefpartner kasualliterarisch verbeugt. Überdies war die jeweilige Öffentlichkeit, in die ein Nachruf hineingesprochen wurde, auf der Grundlage eines kohärenten persönlichen Beziehungsgeflechts konstituiert gewesen, seien es die versammelten Trauergäste bei einer Beerdigung oder Gedenkfeier, seien es die Familienangehörigen oder die ästhetisch und ideologisch Gleichgesinnten, an die ein Gelegenheitsdruck mit Leichengedichten weitergereicht wurde. Gellerts Ableben dagegen wurde in tränenreichen Nekrologen von Menschen betrauert, welche offen eingestanden, ihm zu Lebzeiten niemals begegnet zu sein. 29 Die Formierung einer breiten aufgeklärten Öffentlichkeit hatte mithin für die Geschichte des Nachrufs die einschneidende Konsequenz, daß ein Autor, der beim Publikum zu Prominenz gelangt war, nach seinem Tod auch und gerade weit außerhalb seines eigentlichen persönlichen Lebens- und Wirkungskreises nekrologisch geehrt wurde. Damit ist viertens zugleich der Prozeß der De-Regionalisierung der publiken Reaktionen auf den Tod einer bekannten Persönlichkeit angesprochen. Die Orte, an denen ein Mensch gelebt und gewirkt hatte, und insbesondere der engere lokale Raum, innerhalb dessen er verstorben war, deckten sich bis weit ins 18. Jahrhundert zum größeren Teil mit den Provenienzen der Nachrufe, was seinerseits wiederum aus den gängigen, bereits explizierten sozialen Bindungen zwischen dem Verblichenen und dem Autor eines Nekrologs auf denselben resultierte. Eine räumlich so breit gestreute Resonanz auf das Ableben einer prominenten Person, wie sie beispielsweise im Falle Melanchthons zu beobachten war (vgl. 3.3.), ist hingegen als seltene Ausnahme und Konsequenz seiner enormen Strahlkraft als akademischer Lehrer, der regen überregionalen Kommunikation der in Wittenberg ausgebildeten protestantischen Humanisten und der aggressiv-defensiven Positionskämpfe um die Verteidigung des Philippismus
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Zum Bedeutungsverlust der Rhetorik in der schulischen und akademischen Ausbildung während des 18. Jahrhunderts vgl. u.a. Bogner, Nachwort, 1999; Dyck/Sandstede, Quellenbibliographie, 1996, Bd. 1, S. IX-XXIV; Fuhrmann, Rhetorik, 1983; Lohmann, Bildung, 1993. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/2, S. 4; Gellert/Fidler, Bl. )(2V.
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zu werten. Bezeichnenderweise jedoch waren viele der lateinischen Trauergedichte auf den Reformator nicht an den Orten ihrer Entstehung, sondern in Wittenberg gedruckt worden, und gleiches hatte auch für die Organisation der nekrologischen Sammelausgabe gegolten. Die ersten Ansätze zu einer durchgreifenden De-Regionalisierung der NachrufDichtung lassen sich am großen Erfolg der nekrologischen Totengespräche seit den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts beobachten. Hier hatten, in frühaufgeklärt-dialogischer Form aufbereitet, Daten und Fakten zu Leben und Werk von soeben verstorbenen Prominenten, die über ihren engeren Wirkungskreis hinaus bekannt geworden waren, rasche und vor allem flächendeckende Verbreitung unter Lesern im gesamten deutschsprachigen Raum gefunden (vgl. 7.5.). Nach dem Ableben Gellerts schließlich verteilte sich die öffentliche nekrologische Resonanz, abgesehen von einem gewissen Schwerpunkt in Leipzig, auf die unterschiedlichsten Städte und Territorien im Alten Reich, von Hamburg über Frankfurt/Main und Augsburg bis Wien und von Stuttgart und Karlsruhe über Nürnberg und Berlin bis Hirschberg. >Ganz Deutschland< also hallte von den Klagen über den Hingang des Dichters wider. Auch in diesem Punkt dürfen die Reaktionen auf Gellerts Tod zugleich als Indikator und als Katalysator eines literarhistorischen Modernisierungsprozesses gelten. Auf der einen Seite hatte sich nun in den politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell außerordentlich disparaten und unterschiedlich entwickelten deutschsprachigen Territorien bis zu dem Grade eine homogene literarische Öffentlichkeit herausgebildet, daß anläßlich des Todes eines arrivierten sächsischen Dichters an den verschiedensten Orten unisono Würdigungen des Verblichenen verfaßt wurden. Besonders bemerkenswert daran ist, daß bei dieser Ehrung auch bereits die Grenzen der auf dem Gebiet der Literatur noch immer hohen Mauern der Konfessionalisierung überwunden schienen. Immerhin beteiligten sich mehrere katholische Autoren aus den österreichischen Ländern am Totengedenken für den protestantischen Schriftsteller und Gelehrten, darunter die beiden namhaften Jesuitenpoeten Michael Denis (1729-1800) 30 und Karl Mastalier (1731-1795), 31 deren Trauergedichte wiederum im übrigen deutschsprachigen Raum gerade als Beiträge >papistischer< Schriftsteller sehr wohlwollend aufgenommen wurden.32 Andererseits beschleunigte das Ableben Gellerts die weitere Entwicklung und Ausdifferenzierung des >Literaturbetriebs< und einer kritischen kulturellen Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum. Die rasch publizierten ersten Nachrufe auf den Leipziger Dichter aus den Federn von teils unbekannten Autoren provozierten offenkundig eine große Zahl weiterer Skribenten, sich ebenfalls mit ihren Nekrologen in den Chor der Leichensänger einzureihen. Überdies wurden berühmte Schriftsteller öffentlich in eigenen Gelegenheitsdrucken daraufhingewiesen, daß eine adäquate publike Reaktion auf den Trauerfall von ihrer Seite noch ausstehe, so etwa Karl Wilhelm Ramler (1725-1798) von Johann Timotheus Hermes (1738-1821) in einem offenen Brief. 33 Alle diese
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Geliert/Denis. Gellert/Mastalier. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/43; Gellert/Hasche/1, S. 52; Geliert/Riedel, S. 19-23. Vgl. z.B. Geliert/Hermes; vgl. auch Gellert/Schubart/1, wo Klopstock explizit zur Ab-
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Publikationen wiederum forderten schließlich eine Schar von selbsternannten luchsäugigen Kritikern dazu heraus, die vorliegenden Publikationen mit einer eigenen Folge von Nachruf-Rezensionen zu beobachten und in oft kontroversieller oder gar hitziger Form um ihre Bewertung zu streiten (vgl. 9.4.). Bei allem Zwist waren sich die allermeisten Parentatoren freilich darin einig, damit den Tod des - wie ein Autor es formulierte - »allgemeine[n] Lehrer[s] der Deutschen« 34 zu beklagen, und diese gemeinsame >Trauerarbeit< brachte einen massiven Entwicklungsschub für die weitere Ausdifferenzierung einer kritischen Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum mit sich. Allerdings war dieser Prozeß fünftens nur unter strukturell völlig veränderten Bedingungen der Distribution von Kasualtexten möglich. Bereits im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert waren Nachrufe gelegentlich nicht allein von Angehörigen und anderen an der Herstellung einer Gedenkschrift interessierten Personen oder Gruppen in Druck gegeben und abseits des Buchhandels verteilt worden. 35 Doch erst nach 1750 avancierten Funeralschriften in breitem Umfang zu einer kulturellen Ware, die auf dem Literaturmarkt gewinnbringend verkauft werden konnte. So wurde der größte Teil der Nachrufe auf Geliert nicht mehr von ihren Autoren oder deren Gönnern auf eigene Kosten in Druck gegeben und selbständig distribuiert, sondern von Buchhändlern und Verlegern vertrieben. Diese Integration in den kapitalistischen Warenverkehr war gleichzeitig die Voraussetzung für die überregionale, massenhafte Verbreitung der nekrologischen Texte und damit ihre bereits diskutierte, ausführliche kritische Würdigung im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Zeitgenossen hatten für diesen Prozeß der Kommerzialisierung kasualliterarischer Artefakte durchaus ein wachsames Auge. Die Nachruf-Rezensenten argwöhnten, manche der Trauerschriften seien von ihren Verfassern lediglich um des schnöden Mammons in Gestalt des Autorenhonorars wegen niedergeschrieben worden, ja sie parallelisierten die Parentatoren gar mit gedungenen »Klageweibern« im alten Rom, 3 6 während diese selbst wiederum versicherten, lediglich ihr herzzerreißendes Leid über das Ableben Gellerts in die Nekrologe zu ergießen - ohne Absehen auf den finanziellen Gewinnst aus dieser Tätigkeit. 37 Damit sind die entscheidenden Veränderungen in der Produktion und Distribution von nekrologischer Gelegenheitsliteratur in den Jahrzehnten nach 1750 angedeutet, wie sie sich an den Nachrufen auf Geliert sowohl ablesen lassen - als auch von diesen selbst begünstigt und weiter vorangetrieben wurden. Freilich wären all diese Prozesse sechstens unmöglich gewesen, hätte sich nicht seit den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum eine breite Schicht von Leserinnen und Lesern herausgebildet, welche willens und auch intellektuell in der Lage waren, an
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fassung und Publikation eines vorbildlichen Trauergedichtes aufgefordert wird, um das Niveau der Reaktionen auf Gellerts Ableben zu heben. Geliert/Claus, Bl. A2 V . Vgl. Heidt, Regent, 1997, S. 9 0 - 9 3 . Geliert/Riedel, S. 13. Vgl. z . B . Geliert/Schumann, S. 3.
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den Klagen um den Tod des Leipziger Dichters und an den kritischen Diskussionen darüber rezeptiv sowie als Käufer der entsprechenden Druckwerke teilzunehmen. Noch wenige Jahrzehnte davor wäre eine derart massive Wirkungsgeschichte von Gelegenheitstexten über das Ableben eines Schriftstellers ausgeschlossen gewesen. Wer nicht selbst an dessen Sterbeort lebte und daher an den Trauerfeierlichkeiten teilhaben konnte oder aufgrund sozialer Bindungen in den Besitz einer Funeralschrift gelangte, wer nicht als Angehöriger spezifischer Kreise innerhalb der intellektuellen Eliten in ein Netz überregionaler Distribution kasualpoetischer Drucke einbezogen war, hatte an den literarischen Reaktionen auf den Todesfall nicht als Rezipient partizipieren können. Die Flut von schriftlich niedergelegten Tränen, die sich über den deutschsprachigen Raum nach dem Tod Gellerts ergoß und die von der späteren Forschung gerne mit leicht spöttisch gefärbtem Amüsement ridikülisiert worden ist, war mithin nicht bloß eine idiosynkratisch-klagenreiche Selbstinszenierung der Autoren der Trauerschriften, sondern - durchaus typisch für die das 18. Jahrhundert massiv prägenden Modernisierungsprozesse - ein von einem breiten Publikum mitgetragenes Massenphänomen.
9.2. Der Nekrolog im Streit konkurrierender Fraktionen der Aufklärungsbewegung Die publiken Reaktionen auf das Ableben Gellerts markieren aber jenseits der Veränderungen in den sozialen Positionen der Autoren von Gelegenheitsliteratur, in der Distribution von Kasualtexten und in der Partizipation breiter Leserschichten an der Rezeption anlaßbezogener Dichtung auch einen signifikanten Wandel hinsichtlich der ideologischen Instrumentalisierung des Nachrufs. Der Leipziger Schriftsteller und Gelehrte wurde nicht nur, was die große räumliche Streuung der Klagenden und deren Zugehörigkeit zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus betraf, von der ganzen »Nation« als ihr »allgemeinste[r] Dichter« betrauert,38 sondern auch insofern, als sein von ihm selbst in der Öffentlichkeit lanciertes Modell der Lebensführung 39 von den Parentatoren zu einem vorbildlichen, ethisch-religiösen Konzept mit universalistischem Anspruch stilisiert und als solches auch mittels der Nekrologe propagiert wurde. Natürlich hatte in den vorangegangenen Dekaden und Dezennien jeder Nachruf auf dem ideologischen und moralischen Kanon von Normen und Werten des Christentums respektive der jeweiligen Konfession - und damit auf einem prinzipiell allgemeingültigen Gedankengebäude von Handlungs- und Glaubensanweisungen gefußt. Doch abgesehen von der Vermittlung der Regeln der ars moriendi, in welcher jeder Mensch sich primär als Christ zu bewähren hatte, waren die nekrologischen Würdigungen eines Verstorbenen stets für die didaktische Aufgabe in Dienst genommen worden,
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Gellert/Anonym/60, Bl. 2\ Vgl. dazu Lehnen, Bilde, 1990, S. 177.
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dem Publikum am konkreten Beispiel die mustergültige Erfüllung einer bestimmten stände-, berufs- und geschlechtsspezifischen Funktion innerhalb der Gesellschaft vorzuführen. Die Nachrufe auf Geliert hingegen hoben nicht auf die Würdigung von dessen vollgültiger Erfüllung der ihm von Gott auferlegten amtlichen Aufgaben als Universitätsprofessor, vielmehr auf seine Lobpreisung als vorbildlicher Mensch an und für sich ab. Die Tugenden, die dem Verstorbenen rühmend nachgesagt und den Rezipienten zur Nachahmung anempfohlen wurden, waren universaler Natur, nicht professions-, geschlechts- oder biographiespezifisch differenziert. Man stellte unter anderem seine Frömmigkeit, seine Wahrhaftigkeit, seine Weisheit, seine Bescheidenheit und Demut, den liebevollen Umgang mit seinen Freunden, die Freigiebigkeit mit Almosen und seine Großmütigkeit heraus. 4 0 Diese dem Verblichenen zugeschriebenen Eigenschaften und Verhaltensweisen deckten sich in ihrer Breite und Allgemeinheit mit dem Moral- und Religionskodex eines aufgeklärten Christentums und konnten damit zum vorbildlichen Modell für Personen aller Berufe und Stände, beiderlei Geschlechts und nicht zuletzt aller drei Konfessionen avancieren. Geliert mutierte auf diese Weise zum »Lehrer des menschlichen Geschlechts«, 4 1 und somit auch zum exemplarischen Muster, zum »Leitstern«, 42 zum »Beyspiel« an Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit für das »Leben« eines jeden Einzelnen 4 3 welche soziale Funktion oder Position er oder sie auch immer einnahm. Dabei konnte es sich sogar um einen »Officier« handeln, der dem Publikum in seinem Nachruf auf den Leipziger Dichter die positiven Konsequenzen der Orientierung an dieser Identifikationsfigur innerhalb des militärischen Alltags mit lebensnahen Anekdoten vorführte. 4 4 Geliert wurde also nach seinem Ableben weder primär in seiner amtlichen Funktion als Hochschullehrer gewürdigt, noch legten die Parentatoren anderen Personen dieses Berufsstandes das Vorbild seiner amtlichen Pflichterfüllung in besonderer Weise zur sittlichen Imitation ans Herz. Der Autor der Empfindungen eines Ausländers bey dem Tode des Professor Geliert brachte dies explizit mit den Worten auf den Punkt: Es ist nicht der Verlust eines Gelehrten, nicht der Verlust eines Professors, den wir beweinen; dieser Verlust wäre leicht zu ersetzen. Die Welt hat Gelehrte, und Professoren genug. Es ist keine Theodicee, keine Encyclopaedie, kein System, so wir durch Gellerts Tod eingebüßt haben 45 Der Verblichene erfuhr vielmehr postum die höchste Anerkennung aufgrund des »Beyspiel[s] Seiner Treflichkeit«, das er der Welt gegeben hatte. 4 6 In ähnlicher
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Vgl. ζ. B. die Aufzählungen von Gellerts Tugenden in Gellert/Anonym/24, passim; Gellert/Anonym/41, S. 152-156; Geliert/Amman, passim; Gellert/Faber/1, passim. Gellert/Petersen, S. 10. Gellert/Anonym/2, S. 4. Gellert/Anonym/49, S. 100. Gellert/Anonym/27. Gellert/Petersen, S. 10. Gellert/Anonym/2, S. 13. 263
Weise äußerten sich auch diejenigen der einstigen akademischen Zuhörer, welche sich öffentlich in Nekrologen mit dem Hingegangenen auseinandersetzten. Nicht mit einem Wort entsannen sie sich etwaiger theoretischer oder fachwissenschaftlicher Kenntnisse, die ihnen der Hochschullehrer ja durchaus hätte vermittelt haben können. Sie priesen hingegen ausschließlich die praktische ethische und religiöse Wirkung, die sowohl vom Vortrag des Professors selbst als auch von der bezwingenden moralischen Autorität seiner Person und deren kathartisierendem Charisma ausgegangen sei. Von dieses »Prediger[s] der Tugend [...] sanfte[m]« und »süße[m] Mund«, so erinnerte sich beispielsweise einer der ehemaligen Diszipel in seinem Trauergedicht, hätten sich »die Pflicht rechtschaffner Christen« und »die Frömmigkeit [...] ins offne Herz« des Zuhörers »ergoß[en]« und gar die Seele so manches »Verstockten« erweicht.47 Gleiches gilt für die Einschätzung der Wirkung von Gellerts literarischen Veröffentlichungen durch die Autoren der Nachrufe. Der Verstorbene wurde hier, wie bereits angedeutet, ohnehin nur in zweiter Linie als Schriftsteller geehrt, da die Verbeugung vor der moralisch und religiös vorbildlichen Person in den meisten Nekrologen eine weitaus wichtigere Rolle spielte, und seine Werke wiederum wurden kaum je aus einer - nach heutigem Verständnis - genuin ästhetischen Perspektive gewürdigt. Man bemaß die Bedeutung von Gellerts Texten vielmehr vor allem an der von ihnen entfalteten, sittlichenden Kraft. Ein Anonymus legte zum Beispiel in einem lyrischen Nekrolog die Konfession ab, daß er durch das »Lied« des Verblichenen »gelehrt« worden sei, »Gott und des Menschen Werth zu kennen« und »die Tugend [zu] liebe[n]«.48 Ein anderer tat in seinem Trauergedicht den Schwur, sein Leben lang »Frömmigkeit und Tugend« des Dichters »nachzuahmen«, welche ihm durch diesen vermittelt worden seien.49 Der bereits erwähnte Hofmeister wiederum legte seinen Zöglingen in einem dringlichen Appell die eifrige Lektüre des Werks des Verblichenen ans Herz, »welchefs] auf dem schlüpfrigen Wege der grossen Welt Jhr treuer Führer seyn« möge. 50 Ein anderer lyrischer Parentator faßte das Konzept einer primär sittlichkeits- und religionsdidaktischen Funktionalisierung von Poesie in der prägnanten Formulierung zusammen, daß der berechtigte »Ruhm« Gellerts in seiner Leistung begründet liege, »[s]elbstausgeübte Tugend [zu] singen«.51 Einen besonders anschaulichen Eindruck von der lediglich in zweiter Linie ästhetischen Beurteilung der Werke des Verstorbenen durch die unmittelbare Nachwelt vermittelt ein anonymer Text in den von dem Lyriker, Publizisten und Ludwigsburger Musikdirektor Christian Daniel Friedrich Schubart (1739-1791) herausgegebenen Schwäbische[n] Bey träge[n] zu Gellerts Epicedien.52 Der Autor der prosaischen Würdigung, die charakteristischerweise den Titel Einige Züge von Gellerts Charakter
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Geliert/Hasche/1, S. 40f. Gellert/Anonym/3. Gellert/Anonym/53. Gellert/Faber/2, Bl. [B8]v. Gellert/Anonym/55. Gellert/Schubart/2; hier Gellert/Anonym/15.
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trägt und demgemäß vor allem auf die moralische und religiöse Integrität und die Vorbildfunktion des Verblichenen abstellt, ließ darin auch dessen wichtigste Buchveröffentlichungen vor den geistigen Augen der Rezipienten samt kurzen Bewertungen Revue passieren. Mit den Fabeln und Erzählungen (1746-1748) habe sich, so heißt es hier, der Dichter zurecht »den Rang eines der ersten klassischen Schriftsteller« erworben, böten sie doch »Satyre ohne Beleidigung; Saltz ohne ätzende Lauge; Klarheit ohne Wasser; Poesie ohne Schwulst, und eine Versifikation, die wie ein Bach durch Blumen fleußt«. In der Einschätzung der Lehrgedichte und Erzählungen (1754) ist der Primat von moralischen vor poetologischen Bewertungskriterien nicht weniger evident. Diese Texte »empfehlen« sich dem Leser, hielt der Anonymus fest, »durch das beste und tugendhafteste Herz, und durch die vortrefflichsten Sentiments.« 5 3 Auch im Urteil über die Lustspiele (1747) rangieren »die sorgfältigste Reinigkeit, der unschuldigste Scherz, eine Satyre, die nicht aus Gallsucht tadelt; sondern aus Liebe bessert«, vor der »Klarheit und Deutlichkeit des Dialogs«. 5 4 Die Geistliche[n] Oden und Lieder (1757), fuhr der Autor fort, seien »wirklich unvergeßliche Denkmale seiner [sc. Gellerts] Tugend und seines geläuterten Christenthums«, und er gab deutlich zu erkennen, daß er in den »Vorwurf unserer Kritik«, daß diese Texte »zu moralisch seyen«, keineswegs einstimme. 5 5 Im Falle des einzigen Romans des Hingegangenen, des Leben[s] der schwedischen Gräfin von G*** (1746-1748), mußte das Urteil des Anonymus aufgrund der zuerst einmal sittlichen Bewertungsmaßstäbe, nach denen er literarische Texte qualifizierte, notgedrungen negativ ausfallen. Dieses Werk, so dekretierte er abschätzig, kann uns unter allen seinen Schriften am wenigsten gefallen [,...] und wir können die unmoralische Scenen der Blutschande und der gewaltsam getrennten Ehen nicht änderst, als mit Eckel und Widerwillen, ansehen. 5 6
Eine solche, primär auf didaktische Wirkungspotentiale gestützte Bewertung eines literarischen Oeuvres hatte, wie in der Forschung zurecht festgestellt wurde, 5 7 verheerende Folgen f ü r die weitere Rezeptionsgeschichte seines Autors. Da Geliert bereits kurz nach seinem Ableben vorrangig zum mustergültigen Modell für eine gelungene Lebenspraxis stilisiert und nur in zweiter Linie als kanonwürdiger Schriftsteller qualifiziert wurde, geriet er fast zwangsläufig bei der späteren Nachwelt in Vergessenheit. Denn zum einen erinnerte sich diese kaum mehr an seine dichterischen Leistungen, und zum anderen begegnete sie dem aufgeklärt-empfindsamen Pathos der moralisch und religiös schwärmerischen Geliert-Verehrung um 1770 nur noch mit verständnislosem Befremden. 5 8
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Gellert/Anonym/15, S. 5. Gellert/Anonym/15, S. 5f. Gellert/Anonym/15, S. 6. Gellert/Anonym/15, S. 6f. Vgl. Lehnen, Bilde, 1990, S. 182. Zur Empfindsamkeit vgl. zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 13, S. 2 0 2 - 2 0 6 (Gerhard Sauder: Empfindsamkeit); Ueding, Wörterbuch, 1992ff., Bd. 2,
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Damit ist freilich noch nicht die Frage geklärt, weshalb der breitenwirksamste und erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller der 1750er und 1760er Jahre nach seinem Tod in den Nekrologen vor allem als moralische Persönlichkeit und nur sekundär als Dichter gewürdigt wurde. Eine plausible Antwort darauf läßt sich nur finden, wenn man den Blick von der historischen Gebrauchsfunktion als Würdigung eines verstorbenen Menschen auf seine Instrumentalisierung durch spezifische Gruppen innerhalb der literarischen Öffentlichkeit für bestimmte ideologische und ästhetische Interessen richtet. Bei einer neuerlichen Durchsicht der Nachrufe aus dieser Perspektive lassen sich zwei Erklärungen für die auffällige nekrologische Auratisierung des Leipziger Professors zur sittlichen und religiösen Leitfigur einer >ganzen Nation< gewinnen. Hierbei ist zum einen die Aufmerksamkeit auf die ideologischen und auch theologischen Auseinandersetzungen innerhalb der Aufklärungsbewegung zu richten. Ein wichtiges Indiz dafür liefert die bedeutsame und durchaus kontroversielle Rolle, die Voltaire (eig. Frangois Marie Arouet, 1694—1778) in den Nekrologen auf Geliert zukommt. 59 Die Parentatoren verglichen nämlich Geliert im Dienste des Personenlobs immer wieder mit diversen Schriftstellern der älteren und jüngeren Vergangenheit - die comparatio konnte sich demnach als eine der für die Gattung des Nachrufs konstitutiven rhetorischen Strategien über die Epochengrenze zwischen Barock und Aufklärung hinweg behaupten.60 Zu den Personen, die durch eine solche amplifikatorische Parallelisierung den Ruhm des verstorbenen Leipziger Professors mehren sollten, gehörten (in chronologischer Ordnung) unter anderem Homer,61 König David,62 Vergil,63 Horaz,64 Torquato Tasso (1544-1595), 65 Paul Gerhardt (1607-1676), 66 Moliere (eig. Jean-Baptiste Poquelin, 1622-1673) 67 und John Milton (1608-1674). 68 Diese Vergleiche waren ebenso ehrenvoll für den Verblichenen wie symptomatisch
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Sp. 1108-1121 (D[orothea] Kimmich: Empfindsamkeit); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 439^141 (Jürgen Viering: Empfindsamkeit); vgl. grundlegend Sauder, Empfindsamkeit, 1974/1980; vgl. femer Baasner, Begriff, 1988; Doktor, Kritik, 1975; Pikulik, Leistungsethik, 1984; Wegmann, Diskurse, 1988; Wegmann, Philologie, 1988. Vgl. allgemein zur Voltaire-Rezeption im deutschsprachigen Raum während der Aufklärung Brockmeier, Voltaire, 1979; Hinrichs/Krebs/Runset, Pardon, 1996; Korff, Voltaire, 1917. Ein besonders interessantes Beispiel dafür, das hier nicht näher gewürdigt werden kann, stellt das umfangreiche Gedicht Der Rangstreit. Eine kleine Erzählung dar (Gellert/Anonym/45), in welchem acht hochkanonisierte Dichter im Himmel in einen heftigen Streit über ihre poetische Bedeutung geraten. Geliert, der als letzter spricht und sich im Gegensatz zu allen anderen Schriftstellern in tiefster Bescheidenheit übt, wird zuletzt von Apollo und Thalia gerade aufgrund dieser Zurückhaltung die Dichterkrone zugesprochen. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/24, S. 24; Gellert/Anonym/29, S. 38; Gellert/Liebich, S. 161; Gellert/Murr/2, S. 34. Vgl. z.B. Gellert/Liebich, S. 163. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/54; Geliert/Lange, S. 175; Gellert/Murr/2, S. 34. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/29, S. 38; Geliert/Lange, S. 175. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/29, S. 39. Vgl. z.B. Gellert/Hasche/2, S. 16. Gellert/Anonym/52. Vgl. z.B. Gellert/Anonym/54.
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für die argumentativen Ziele, welche die Parentatoren mit ihren Nachrufen verfolgten. Das tertium comparationis lag teils in der Einordnung in den Höhenkamm der ersten Autoren der europäischen Literaturgeschichte, teils in der Koinzidenz der Gattungen, in welchen die miteinander verglichenen Dichter ihre berühmtesten Leistungen hervorgebracht hatten. Eine exzeptionelle Bedeutung kam dabei jedoch denjenigen Poeten zu, deren Werken eine besondere sittlichende Kraft und ein herausragender religiöser Gehalt zugesprochen wurde, sei es bei den als >göttlich inspiriert< gedachten, heidnisch-antiken Poeten, sei es bei den Christen unter den Genannten. Auf dem Feld der einheimischen Literatur wurde Geliert gerne mit Martin Opitz in Analogie gesetzt, weil beide die deutsche Sprache durch ihre Werke aus einem Zustand der Verrohung befreit hätten, 69 wobei dem Leipziger noch das zusätzliche Verdienst attestiert wurde, einer wahrhaft tugendhaften und frommen Dichtung teutonischer Zunge die Bahn gebrochen zu haben. 70 Diese laudative comparatio ging einher mit einer kruden Abwertung anderer nationalsprachlicher Autoren, etwa Justus Georg Schottelius (16121676), Kaspar Stieler (1632-1707), Georg Philipp Harsdörffer und Johann Christoph Gottsched. 71 Zugunsten Gellerts fiel gleichfalls die naheliegende Gegenüberstellung mit Jean de la Fontaine (1621-1695) aus, da die Fabeln des ersteren als poetisch denen des Franzosen gleichrangig, allerdings »lehrreicher« eingeschätzt wurden. 72 Nun verglichen die Nachrufautoren den Verstorbenen, wie bereits angedeutet, immer wieder auch mit Voltaire - mit einer Ausnahme 73 freilich nicht eben zum Vorteile des französischen Schriftstellers und Philosophen. Es spielt hierbei keine Rolle, sondern ist vielmehr für den Verlauf interkultureller Rezeptionsprozesse durchaus typisch, daß dem Franzosen mit der - wie zu sehen sein wird - Stilisierung zum Atheisten Unrecht getan wurde und man ihm die ideologischen Positionen unterschob, die eigentlich ein Denis Diderot (1713-1784), ein Baron d'Holbach (eig. Paul Heinrich Dietrich von Holbach, 1723-1789) oder ein Julien Offray de La Mettrie vertreten hatten. Ein besonders drastisch formuliertes, in seinem argumentativen Skopus jedoch für die Auseinandersetzung der Parentatoren des Leipziger Dichters mit dem berühmten Aufklärer nicht untypisches Beispiel stellt das Gedicht Geliert und Voltaire. Eine Antithese des Naumburger Schulmanns, Bürgermeisters und Philologen Friedrich Gotthilf Freitag (d. J., 1723-1776) 74 dar: Wer, Geliert! Deine Würde kennt, vergleicht Dich nicht Voltairen; Du sangst zu des Erlösers Ruhm; er singt zu Satans Ehren: Du lehrtest uns, das Herz Gott und der Tugend weihn; Er lehrt uns, Gottes Feind, des Lasters Freund zu seyn: Dein Witz, von Unschuld durchgedacht, entzückte reine Seelen;
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Vgl. Gellert/Hasche/1, S. 27f.; Gellert/Liebich, S. 169. Vgl. Gellert/Anonym/24, S. 25. Vgl. Gellert/Anonym/24, S. 25f.; Gellert/Hasche/1, S. 26. Gellert/Faber/2, Bl. [A6]r; vgl. auch Gellert/Anonym/15, S. 5; Gellert/Freitag/1. Vgl. Gellert/Petersen, S. 19. Vgl. zu Freitag DBA Folge 1, Nr. 342, Bl. 248-259.
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Sein Witz, mit geilem Scherz durchwebt, sucht Unschuld nur zu quälen: Du lebtest, ganz Moral und ganz Religion; Er lebt wie Epicur, Gott und Moral zum Hohn: Du starbst in heitrer Seelenruh, die nur dem Christen eigen; Er stirbt, - doch wie er sterben wird, dieß wird die Zukunft zeigen. Dich klagt die Nachwelt noch am güldnen Monument, Wenn ihn der Freygeist nur, kein Weiser nicht mehr kennt. 75
Bereits der Untertitel des Textes benennt explizit die rhetorische Figur, nach welcher er durchgängig organisiert ist. Konsequenterweise läßt Freitag auch - nach den beiden Einleitungszeilen des Gedichts, die das Thema prospektiv benennen - die krassen Gegensätze zwischen den beiden Personen, mit denen er sich auseinandersetzt, in jeweils paargereimten Doppelversen aufeinanderprallen. Die scharfe dichotomische Wertung, mit welcher der Autor die beiden Schriftsteller einander gegenüberstellt, wird grammatikalisch unterstrichen durch das vertrauliche »Du« auf der einen Seite, mit dem Freitag Geliert direkt und persönlich anspricht, und das distanzierende »Er«, welches stets zur Deixis auf Voltaire eingesetzt erscheint. In den jeweils ersten Zeilen der Doppelverse durchläuft der Parentator eine durchaus konventionelle Topik des Personenlobs - von der Gottesfurcht Gellerts über seine moralische Lebensgestaltung bis hin zum seligen Ende und zum ewigen Ruhm um dieser laudatio in den jeweils zweiten Zeilen den harschen Tadel an den entsprechenden Gegensätzen, den negativen charakterlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen Voltaires, kontrastiv folgen zu lassen. Freitag würdigte respektive kritisierte zwei zu Antipoden stilisierte Einzelpersonen, doch gleichzeitig brachte er damit - darauf verweist seine abstrakte und mit Schlagwörtern durchsättigte Terminologie - offenkundig zwei feindliche Ideologien gegeneinander in Stellung: hier Frömmigkeit, Tugend, Moral, Unschuld, dort Satanismus, Laster, >geiler< Witz, Epikureismus. Freitag widmete demselben Thema ein weiteres, allerdings nur vier Verse umfassendes Nachrufpoem, in dem er sich nochmals die »unbedächtige Vergleichung« der beiden Schriftsteller vehement als »schändlich[e]« Herabwürdigung Gellerts verbat. 76 In einer erneuten comparatio stellte er dabei die Parallelisierung desselben und Voltaires auf eine Stufe mit der Konstruktion einer Analogie zwischen Christus und Belial. Andere Parentatoren brachten dieselbe Ansicht zum Ausdruck, wenn auch nicht mit der schneidenden Schärfe von Freitags Polemik. Der Nürnberger Polyhistor Christoph Gottlieb von Murr (1733—1811)77 zum Beispiel hielt fest, daß er »[e]inen Voltaire beklage« und »bedaure«, »wann er stirbt; aber einen Mann, wie Geliert war, beklagen«, sei unsinnig, weil dieser doch nun »glückselig«78 und »bey Gott« 79 sei - was den Umkehrschluß zuläßt, daß der Autor an der künftigen Seligkeit des französischen Philosophen massive Zweifel hegte. Noch deutlicher als Freitag tat
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Gellert/Freitag/5. Gellert/Freitag/2. Vgl. zu Murr Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 304f. (Dirk Kemper). Gellert/Murr/2, S. 3. Gellert/Murr/2, S. 5.
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Murr allerdings den Schritt von der Kritik an der Einzelpersönlichkeit zum Angriff auf eine spezifische Ideologie, die er durch jene prototypisch verkörpert sah. Nach seiner eindringlichen Schilderung des ruhigen und seligen Sterbens des Leipziger Dichters richtete er das Wort in direkter Anrede an die »schlüpfrige[n], voltairischaristotelische Wollust und Laster besingende[n] Witzlinge« - »Trettet herbey [, ...] sehet Gelierten!« und forderte diese auf, ihr Denken und Handeln im Angesicht des (hypostasierten) Anblicks der »Schaale eines schönen Geistes«, des »Dichterfs] vor Gott« zu überdenken. 80 Murrs imaginierte Gegenüberstellung der offenbar als wenig >schön< erachteten, weil den Ideen Voltaires nachfolgenden >Geister< hier und des gefaßten Abschieds Gellerts von der Welt dort bildete auch ein wichtiges thematisches Element einer Reihe von weiteren Nachrufen. Die für die ars moriendi der frühen Neuzeit zentrale Vorstellung, daß ein ruhiges, von keinerlei Todesängsten geplagtes Hinscheiden ein sicherer Indikator für die jenseitige Errettung sei, hatte noch um 1770 unter den Parentatoren des Leipziger Professors nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt, 81 abgesehen davon, daß sie gewiß eine andere theologische Linie vertraten als die Wittenberger Philippisten (vgl. 3.4.9.) oder die Hallensischen Pietisten (vgl. 7.2.). Doch gerade in der Möglichkeit, diesen Gedanken aus der Sterbekunst für die unterschiedlichsten Konfessionen und Strömungen innerhalb des Christentums ausbeuten zu können, lag seine Attraktivität für eine ideologische Indienstnahme im Nachruf. Der selige Hingang eines Menschen konnte als schlagender Beweis für die Richtigkeit einer bestimmten Glaubensrichtung fungieren - und als Appell an die Gegner derselben zur Abkehr von ihren irrigen Meinungen. Ein eindrückliches Beispiel dafür liefert das umfangreiche Trauergedicht des Leipziger Studenten Johann Christian Hasche (1744-1827). 8 2 Sowohl bei seinen Trauerklagen als auch beim Personenlob wird das lyrische Ich in der Form mehrerer fictiones personarum von unterschiedlichen fremden, ausführlich zitierten Stimmen unterstützt, von einem Knaben und einem Mädchen, die als typisierte Repräsentanten der jungen Generation den Verstorbenen als moralisches Leitbild für ihre künftige Lebensgestaltung beschwören, sowie von der Muse Thalia, welche hymnisch dessen literarische Leistungen preist. Im letzten Teil seines lyrischen Nekrologs schließlich evoziert Hasche als Vertreter derjenigen Zeitgenossen, welche »Gellerts Werth aus Neid nicht kennen wolle[n]«, 83 bemerkenswerterweise einen »Freygeist«, der »vergnügt [...] lacht [, ...] daß nun sein Feind [sc. Geliert] erbleicht« sei. 84 Diese perfide Unterstellung eines diabolischen Verhaltens weist bereits deutlich auf die Schärfe der folgenden Auseinandersetzung mit einer radikal-aufklärerisch motivierten Kritik am
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84
Gellert/Murr/2, S. 37f. Vgl. die Versicherungen der jenseitigen Errettung Gellerts nach seinem gefaßten Tod z.B. bei Gellert/Anonym/17; Gellert/Anonym/30; Gellert/Anonym/56. Gellert/Hasche/1; vgl. zu Hasche DBA Folge 1, Nr. 480, Bl. 373-388. Gellert/Hasche/1, S. 51. - Hasche bezieht sich hier mit größter Wahrscheinlichkeit auf Gellerts Erzählung Der Freygeist als Vorlage, vgl. Geliert, Fabeln, 2000, S. 200f. Gellert/Hasche/1, S. 52.
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empfindsamen Tugend- und Frömmigkeitskonzept des Hingegangenen voraus. Zuerst einmal legt Hasche dem »starke[n] Geist«85 eine zwanzig Verse umfassende Hohnund Schmachrede gegen den Verblichenen in den Mund. Der »fromme Träumer« sei »ein Sklav vom Aberglauben« gewesen, habe aus »Furcht vor leeren Larven«, nämlich einem »erträumte[n] Gott«, sein Leben nach den Forderungen von »Religion und Tugend« ausgerichtet und sich damit »die Freude« daran zugunsten einer erdichteten Belohnung im Jenseits »rauben« lassen. Überdies sei »der Mann« in seinen literarischen Werken bloß »ein schaaler Reimer« ohne wirklichen »Witz« geblieben, da er aus »Furcht« vor der »Gottheit« nicht »mit Muth der großen Geister Bahn« habe betreten können. Der Spötter schließt seine nekrologische Philippika mit der kecken Behauptung, Geliert habe sein Dasein aufgrund seines religiösen »Wahnfs]« gewiß mit Zittern und Zagen vor dem Schicksal in den christlichen »Ewigkeiten« beschlossen:86 »Wie muß sein [sc. Gellerts] klopfend Herz mit Schrekkenbildern streiten! »So starb kein Sokrates, kein Cato war so toll. »Kein Wunder! ihr Verstand, von keiner Furcht bemeistert, »Sah jedes Dinges Grund mit freyen Augen an; »Durch Offenbahrung ward ihr Denken nicht verkleistert, »Sie folgten der Natur, verlachten jeden Wahn.«87
Damit hatte Hasche, trotz aller streitlustigen Überspitzungen, die Frontlinien zwischen freigeistigem Rationalismus und aufgeklärter christlicher Offenbarungsreligion klar abgesteckt. Der letzteren nimmt sich im Gedicht nun das lyrische Ich in der Form einer Replik auf die Äußerungen des Spötters an, ohne übrigens einen moderateren Ton als derselbe anzuschlagen. Es schilt ihn im folgenden unter anderem ebenfalls einen »Sklav«, der in seiner irrwitzigen Ansicht, »frey zu seyn, zum niedern Thiere sinket«, und hält ihm, »der Menschheit Schimpf«, vor, daß er sich »in Lastern [...] vergräbt«.88 Die Unterstellung, daß das Fehlen des positiven christlichen Glaubens bei einem Menschen zwangsläufig eine Mißachtung ethischer Regeln und moralischer Gesetze zur Konsequenz haben müsse, liefert auch einen wichtigen Beweisgrund für die Aushöhlung der Autorität der beiden von dem Freigeist berufenen Personen aus der antiken Geschichte. Der römische Staatsmann Marcus Porcius Cato (d. J., 9 5 ^ 6 v. Chr.) habe sich, so wird argumentiert, offenbar alles andere denn wohlüberlegt, sondern in »Wuth« den Tod gegeben, da er doch vor seiner Selbstentleibung auch noch einen Knecht verletzte. Außerdem sei diese Handlung Konsequenz von »störrischefm] Stolz« und »Trutz« gegen Caesar gewesen, mithin eine Hybris gegenüber dem gerechten Machtanspruch der weltlichen Obrigkeit. Sokrates (470-399 v. Chr.) wiederum, dem übrigens ähnlich wie Voltaire
85 86 87 88
Gellert/Hasche/1, Gellert/Hasche/1, Gellert/Hasche/1, Gellert/Hasche/1,
270
S. S. S. S.
56. 53. 54. 56.
eine umstrittene Rolle in den Nekrologen auf Geliert zukommt, 89 habe wohl nicht gar so ruhig und gefaßt der Leerung des Schierlingsbechers entgegengeblickt, wie die Freigeister, diese »Bewund[erer] blinder Weisen«, stets vorgäben. Immerhin sei vor seiner Hinrichtung »noch ein Hahn dem Pluto dargebracht« worden, ein untrügliches Indiz für dessen »Furcht vor einer Ewigkeit, I Die, schrecklich im Gefühl, der Wahrheit Seyn ihn lehrte«. Der Athener, von Hasche zum prototypischen Vertreter einer philosophischen Richtung stilisiert, deren Zentrum der »Schimpf der Gottheit« und »der Bosheit Witz« bildeten, 90 hatte dieser Deutung zufolge im Angesicht des Todes intuitiv die Existenz eines höchsten Wesens erkannt, mit einem heidnischen Götzenopfer darauf reagiert und somit die von ihm zeit seines Lebens vertretenen Lehren selbst annulliert. Es war in der argumentativen Logik des Nachrufpoems nur konsequent, daß das lyrische Ich den »Freygeist« nun aufforderte, es zwecks einer Uberprüfung seiner philosophischen Grundsätze zu einem anderen »Sterbebette« zu »begleite[n]«, demjenigen Gellerts als eines »frommen Christfen]« im Gegensatz zu dessen paganen Vorbildern Cato und Sokrates nämlich. 91 Es folgt in einer ausführlichen fictio personae die Schilderung des Ablebens des Leipziger Dichters. »Gelassen« und mit »[z]ufriedne[r] Ruhe [...] in Seinem heitern Blick«, bereits im Gefühl »der Ewigkeiten Glück« 92 harrt der Verbleichende seines nahenden Endes: Gestärkt durch süßen Trost, der Welt genützt zu haben, Des Glückes sich bewußt, der Gottheit Freund zu seyn, Sieht Er mit süßer Lust die göttlich schönen Gaben, Die in der Ewigkeit des Christen Seel' erfreun. 93
Allein diese vier Verse lassen beispielhaft die Konturen der spezifischen Ausprägung der ars moriendi und deren ideologische Grundlagen erkennbar werden, wie sie von den aufgeklärt-empfindsamen Adepten Gellerts vertreten und in den Nachrufen vehement propagiert wurden. Frömmigkeit und emotional tief empfundene Gottverbundenheit geben dem Sterbenden das Bewußtsein seiner glücklichen jenseitigen Errettung, sichern damit zum einen die äußere Gefaßtheit im Moment des Todes und bestätigen zum anderen den Wahrheitsgehalt der von ihm gelebten religiösen Ideologie. Hierbei stellt sich diese spezifische Ausprägung des christlichen Glaubens als weitgehend losgelöst von der Dogmatik des orthodoxen Luthertums dar. Die traditionellen Rituale der Inszenierung des eigenen Ablebens durch den Hinscheidenden wie auch der Sterbebegleitung durch die anwesenden Angehörigen entfallen zugunsten eines heiter gefaßten Übertritts in die andere Welt - jedenfalls
89
90 91 92 93
Vgl. z . B . Gellert/Anonym/42, S. 188: Geliert habe die wahre Weisheit wie Sokrates und Horaz gelehrt - »und mehr«; Gellert/Anonym/46: Sokrates und Geliert seien in ihrer Weisheit miteinander vergleichbar. Gellert/Hasche/1, S. 54f. Gellert/Hasche/1, S. 56. Gellert/Hasche/1, S . 5 6 f . Gellert/Hasche/1, S. 57.
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wird die Szene im lyrischen Nekrolog so dargestellt. Demgemäß kann auch von der für die protestantische Lehre konstitutiven, letzten und schwersten satanischen Anfechtung in der Stunde des Todes (vgl. 3.4.9.) keine Rede sein. Die lutherische Rechtfertigungslehre erscheint offenkundig ebenfalls als verabschiedet. Der Sterbende darf zufrieden auf sein irdisches Dasein zurückblicken, weil er durch seine Handlungen der Welt und den Mitmenschen ganz im Sinne des Pragmatismus des 18. Jahrhunderts »genützt« hat. Hasche ließ es sich in seiner Vorliebe für die Einflechtung von direkten Reden in das Nachrufgedicht nicht nehmen, im Anschluß an die Schilderung des äußeren Ablaufs von Gellerts Hinscheiden diesem selbst noch eine siebzehn Verse umfassende Abschiedsansprache in den Mund zu legen. Der Dichter verleiht darin erneut seiner Gottesfurcht, der Zufriedenheit mit seinem zu Ende gehenden Leben und der Gewißheit seiner Errettung im Jenseits beweglichen Ausdruck. 94 Das lyrische Ich kommentiert die Abschiedsworte mit der Bitte an Gott, er möge ihm selbst dereinst einen nicht weniger seligen Tod »verleih[en]«, und erinnert zusätzlich an die nicht minder vorbildlichen Sterbeakte zweier älterer Ikonen der aufgeklärten deutschen Empfindsamkeit, die es einmal mehr gegen Cato und Sokrates ausspielt, nämlich Joseph Addisons /1672-1719) und Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz' (1654— 1699).95 Doch mit den fiktiven letzten Worten Gellerts - »Des Christen Größe prangt am Rand der Ewigkeit«96 - hatte Hasche seinem lyrischen Nachruf bereits wieder die polemische Richtung gegen den hypothetisch an das Sterbebett des Leipziger Dichters geführten Spötter gegeben und ließ das lyrische Ich sich nochmals direkt an denselben wenden: Nun, Freygeist, sahst du sie, die heitre, fromme Miene? Sahst du des Christen Glanz, den ruhig sanften Tod? Du, dem ein wahrer Christ ein blöder Dummkopf schiene, Wie ists? - was pocht dein Herz? - was wird die Wange roth? Jst das Gewissen noch ein Erbtheil aller Blöden, Die weibisches Gedicht von Holl und Himmel schreckt, Die, durch Erziehung dumm, von Träumen göttlich reden, Die ihrer Pfaffen Witz aus Eigennutz geheckt? Heißt, Tugend und Vernunft in Offenbahrung finden, (Ein Wort, das wilder Spott als Thorheit frech verlacht!) Sich noch, um frey zu seyn, an schwere Ketten binden, Ein Christ ein finstrer Kopf, den Milzsucht traurig macht? Heißt Gott dir noch ein Traum? die Zukunft leeres Schrecken? Wie? - deine Thräne fließt? - warum? - was stürmt in dir?97
Diese fast stakkatoartige Folge von dringlichen Fragen an den Freigeist liest sich bei aller feindseligen Ubertreibung durch das lyrische Ich wie das Arsenal der wichtigsten religionskritischen Einwände eines radikal-aufgeklärten Rationalismus
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Vgl. Geliert/Hasche/1, S. 57-59. Vgl. Gellert/Hasche/1, S. 59. Gellert/Hasche/1, S. 59. Gellert/Hasche/1, S. 60.
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gegen das Christentum, von der Zurückweisung des Konzepts einer offenbarten Wahrheit über die Verdammung der Geistlichen als Verführern der breiten, ungebildeten Massen bis hin zu einer Pathologisierung des Glaubens. Bemerkenswert an diesem entscheidenden - und wie sich hier bereits andeutet, erfolgreichen - Angriff des Nachrufautors Hasche auf den ideologischen Kontrahenten ist freilich, daß er ihm nicht durch die Kraft überzeugender Argumente beikommt, sondern ihn durch den Sog überwältigender Gefühle beim Anblick von Gellerts gefaßtem Sterben, welche sich auch nach außen hin im Erblassen und im Zährenerguß manifestieren, überwältigt werden läßt. Die Bekehrung eines Spötters zum Christentum war nach Ansicht eines empfindsamen Aufklärers eben nicht eine Sache rationaler Überzeugungsarbeit, sondern ein Prozeß der emotionalen Überwältigung eines Freigeistes durch die religiösen Wahrheiten - denn gerade in der >nüchternen Vernünftelei< wurde der Kardinalfehler in der Ideologie desselben gesucht ja der christliche Glaube wurde gar in erster Linie als eine >Herzenssache< begriffen. Demgemäß gestaltete Hasche auch den großen, in das Nachrufgedicht eingelegten, fast sechzig Verse zählenden Monolog des Freigeistes nach dessen dichterisch imaginiertem Erlebnis von Gellerts seligem Hingang. Hasche läßt ihn darin zuerst einmal die Wirkung des Gesehenen auf seine Gefühle schildern, einen Zustand der Verwirrung und tiefen Verunsicherung ob der stigmatisierenden Ruhe und Zufriedenheit des beobachteten Sterbeaktes. 98 Sofort aber hält der Freidenker wiederum der Sprache seines Herzens, das intuitiv und stark emotional bewegt für das Christentum votiert, einige der geläufigen Argumente eines atheistischen Rationalismus für eine strikte Verwerfung desselben entgegen, unter anderem die dubiose anthropomorphe Prägung des christlichen Gottesbegriffs, die Zweifel am historischen Wahrheitsgehalt der neutestamentarischen Berichte über Jesus von Nazareth und die unmoralischen Greuel der Kirchengeschichte. 99 Doch abermals vermögen die Beweisgründe der Vernunft, welche »der Gottheit Wort«, also den in der Bibel geoffenbarten Glauben, zu »Träumereyen«, »Heucheley« und »Betrug« erklären, nichts gegen das »Gefühl« des Sprechers, das die Wahrheit der christlichen Heilsbotschaft affektiv erkennt und akzeptiert. Nun läßt Hasche, rhetorisch im Kontrast zu Gellerts Tod außerordentlich raffiniert konstruiert, den Freigeist sich an das jüngst miterlebte Hinscheiden eines gleichgesinnten »Freund[es]« erinnern. Punkt für Punkt stellt der lyrische Parentator die beiden Sterbeszenen einander gegenüber. Das Verhalten des hinscheidenden Religionsspötters weist alle äußeren Merkmale von »Verzweiflung«, »Schrecken«, »Furcht« und einem »Gram« auf, den er sich »[v]ergebens müht [...] zu verstecken«. Sein »Gehirn« als Sitz der Vernunft ringt »mit Todesangst und innerlichen Zweifeln«, und schließlich ruft er verbleichend, doch zu spät aus, daß tatsächlich ein Gott existiere, er aber wegen der Leugnung desselben jetzt unzweifelhaft dem »Teufel« und den Qualen der »Hölle« überantwortet werden würde. Der Vergleich der beiden, gar so unterschiedlichen modi des Abschieds von der Welt zeitigt radikale Konsequenzen für
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Vgl. Gellert/Hasche/1, S. 61. Vgl. Gellert/Hasche/1, S. 62f.
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Hasches Freidenker. Gellerts gefaßtes Ableben wird seinem Atheismus »zum Dolche«. »[U]nruhvoll« schließt er seinen Monolog mit dem reuigen Eingeständnis, daß es also doch »ein göttlich Wort« geben müsse, und entflieht der Szene, überwältigt von Scham über seine bisherige vernünftelnde Leugnung der geoffenbarten Glaubenswahrheiten. Das lyrische Ich kommentiert dieses Verhalten mit den zufriedenen Worten: »So, großer Geliert, wirkt Dein Tod die schönste Folge« 100 - und damit fallen das im fiktiven Raum erzählte Bekehrungserlebnis und die intendierte glaubenspropagandistische Wirkung des lyrischen Nekrologs ineins. Hasches Instrumentalisierung des Nachrufs für die Diskreditierung des freidenkerischen Rationalismus aus der Position eines aufgeklärt-empfindsamen Christentums ist zwar in ihrer Ausführlichkeit, aber keineswegs in ihrer ideologischen Stoßrichtung unter den Würdigungen für den Hingegangenen singulär. Ein anonym bleibender Schwabe beispielsweise ließ in Schubarts Gedenkausgabe ein dialogisches Nekrologpoem einrücken, in welchem ein vormaliger Zweifler - und damit auch den schlimmsten Lastern ergebener Mensch - bekennt, daß ihm durch »Gellerts Muse«, also die Lektüre von dessen Werken, das »Leben« und somit auch die »Seele [...] gerettet« worden seien.101 Der bereits mehrfach erwähnte soldatische Parentator erinnerte an einen antichristlichen »Officier«, welcher sich »durch Gellerts Fabel, der Freygeist« zum »rechtschaffensten Christen verwandelt«, sein vormaliges »Lehrgebäude selbst verabscheuet« habe und »als Christ gestorben« sei. 102 Der Leipziger Dichter, Übersetzer und Zeitschriftenredakteur Christian Felix Weiße (1726-1804) 103 stellte in seinem Trauergedicht dar, wie ein »Spötter« durch des Verblichenen, seines »Retter[s]«, »Gesang [...] den Befehlen I Des Heils [...] ein geneigtes Ohr« gönnte, sich reuig »in Staub [... e]rniedrigt[e]« und nun »gerührt [...] an einen Gott der Götter« glaubte. 104 Andere Nekrologautoren versicherten nur abstrakt, daß der »seines Gottes vollfe]« und »[v]on Zweifeln frey[e]«, »mit ruherfülltem Herzen« verschiedene Geliert 105 durch die moralische und religiöse Wirkung seiner Schriften und durch seine persönliche Vörbildfunktion »manche [...] Seele [...] gerettet« habe, 106 wiederum andere forderten den »Freygeist« und den »Zweifler« auf, sich durch die Lektüre der Gedichte des Verstorbenen bekehren zu lassen.107 Geliert hatte also, hier verbarg sich das in einem Spiel mit seinen Vornamen mehrfach vorgetragene Fazit vieler Nachrufe, zurecht »Christian« und »Fürchtegott« geheißen, 108 hatte es »[ge]wagt, zu einer Zeit Christ zu seyn, [...] wo der Religionsspott zum Modeton geworden« war.109 Geliert konnte mithin zur Leitfigur einer bestimmten Fraktion der deutschen Aufklä-
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Geliert/Hasche/1, S. 64f. Gellert/Anonym/48, S. 35. Gellert/Anonym/27, S. 19. Vgl. zu Weiße Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 12, S. 224-226 (Reiner Wild). Geliert/Weiße, S. 10. Gellert/Anonym/4, S. 98. Gellert/Anonym/61, S. 96. Gellert/Anonym//38, S. 16. Geliert/Anonym/19; Gellert/Liebich, S. 167. Geliert/Anonym/15, S. 8f.
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rungsbewegung stilisiert werden, die unverbrüchlich an den Grundfesten der christlichen Offenbarungsreligion festhielt und diese weder skeptizistisch oder spöttisch in Frage stellte noch gar agnostizistisch oder atheistisch verabschiedete, sondern in spezifisch empfindsamer Manier verkörperte - und in dieser durchaus naheliegenden Möglichkeit einer ideologischen Indienstnahme des Verstorbenen liegt eine Erklärung für die außerordentliche Quantität und auch für die von späteren Generationen bis zur Gegenwart belächelte, überbordende Affektivität der Nachrufe auf den Leipziger Dichter. Eine weitere Erklärung für die geradezu hysterische Überspitzung der Nachrufe auf Geliert ist in einem aktuellen Rangstreit zweier poetischer Richtungen der deutschsprachigen Literatur um die ästhetische Hegemonie innerhalb der literarischen Öffentlichkeit zu suchen. 110 Die Indienstnahme der nekrologischen Würdigungen des Leipziger Gelehrten und Schriftstellers für Attacken auf atheistische und agnostizistische - und damit auch potentiell als immoralistisch verketzerte - Strömungen der Aufklärungsbewegung wurde ergänzt durch eine Instrumentalisierung des Totenlobs für den poetologischen Streit wider die neuesten Tendenzen in der einheimischen Dichtung. Wer um 1770 öffentlich den Wunsch zum Ausdruck brachte, daß »sich das, was man hier begräbt,« nämlich Gellerts Werk wie auch persönliche Integrität, »[i]n andrer Dichter Herzfen] ergießen« möge, daß diese sich »[r]ein« und »zärtlich«, »[v]on Menschenliebe« und »[d]es Christen hohefmj Werth [...] ganz durchdrungen«, nicht aber mit »falschefm] Witz« und »wilde[m] Scherz« äußern sollten, 111 machte nicht allein gegen radikale antireligiöse Strömungen innerhalb der Aufklärungsbewegung mobil. Wer zu diesem Zeitpunkt im Nachruf das »köstliche Genie« Gellerts pries, suchte nicht allein mittels der nekrologischen Würdigung eines mustergültigen christlichen Schriftstellers »den Freygeist [...] zu überführen, dem Zweifler die nicht genug erforschte Wahrheit aufzuklären«. 112 Der Leitbegriff einer jungen, an die literarische Öffentlichkeit strebenden Generation von Dichtem ist im letzten Zitat bereits gefallen - und gegen sie richtet sich der kritische Skopus vieler Parentatoren ebenso stark wie gegen die atheistischen oder agnostizistischen Aufklärer. Dabei erlaubte es, wie bereits gesehen, die Vieldeutigkeit des Terms >GenieKraftmeier< auszuspielen, welche ihn ausschließlich für sich selbst in Anspruch nehmen wollten. Einen exemplarischen Beleg dafür liefert Johann Christian Hasches lyrischer Nachruf auf Geliert - er sei ein letztes Mal aufgegriffen - , dem der Parentator einen programmatischen poetologischen »Vorbericht« voranstellte. 114 Man könne, so dozierte der um seinen Lehrer klagende Student, »einen großen Mann von einer doppelten Seite betrachten,
110 111 112 113
114
Vgl. Lehnen, Bilde, 1990, S. 182. Gellert/Anonym/50. Gellert/Faber/1, S. 5f. Vgl. zum Geniebegriff zusammenfassend Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 701-703 (Klaus Weimar: Genie); sowie ausführlich Schmidt, Geschichte, 1985. Gellert/Hasche/1, S. 25-30.
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von der Seite des Genies und der Seite des Herzens«. Geliert sei nun zweifellos ein »Originalgenie« gewesen: Man müßte Seine Schriften nicht gelesen haben, wenn man dieses leugnen wollte; man müßte nicht wissen, daß er den meisten Arten der Dichtkunst vollkommne Muster geliefert hätte: eine Sache, die nur ausserordentlichen Genies glückt! 115
Poetische Genialität definiert sich demnach über die exzeptionelle Fähigkeit eines Schriftstellers, prototypische Texte in verschiedenen literarischen Gattungen hervorgebracht zu haben. Insofern bedeutete sie für Hasche auch ästhetische Innovation - und tatsächlich schrieb der Parentator dem Verblichenen die wichtigste sprach- und dichtungskritische Reformleistung seit Opitz zu. Doch sollte es sich dabei keineswegs um die schriftlich fixierten Ausbrüche eines um alle Konventionen unbekümmerten und sämtliche Regeln sprengenden Subjekts handeln. Hasches Konzept von Genialität erschien vielmehr eingebettet in »feinen Geschmack«, »zärtliche Empfindsamkeit«, »Natur, edle Einfalt, drollichte Laune, vertraute[nj Ton der unterhaltenden Erzählung, körnigte Moral, und religiöse Gesinnungen«. 116 Damit koppelte der Parentator unausgesprochen die >beiden Seiten< eines >großen Mannes< doch wieder untrennbar aneinander und ließ >wahres< Genie nur dort gelten, wo sich eine bedeutende geistige Leistung mit einem »edlen Herzen« 117 verband. Kurzum, wirkliche Genialität war nur innerhalb des empfindsamen Modells einer sittlich und religiös fundierten Dichtkunst zu verwirklichen. Seine besonderen Konturen erhielt dieses Programm freilich erst durch die Kontrastierung mit negativen Gegenbeispielen: La Fontaine, Crebillon, Voltaire, Rousseau, Rost, und ungern setze ich noch hinzu Wieland, waren gewiß Genies; aber wie oft erröthen tugendhafte Schönen über ihre Schriften! Wie gefährlich sind sie der Unschuld durch ihre schlüpfrigen Erzählungen! Hier übertrifft sie mein Geliert unendlich. Seine Seele war wie ein heller Bach, immer durchsichtig und lauter; Sein Lied edel und voll Wohlstand118.
Und von hier aus konnte sich der Parentator am Schluß seines »Vorbericht[s]« mit einem direkten Appell an die nächste Generation von Schriftstellern zur Ausrichtung ihrer poetischen Produktion nach dem Vorbild des Verstorbenen wenden: Söhne der Musen, junge Genies, wollt ihr Gellerts Ruhm, wollt ihr die allgemeine Liebe des Publikums? - ahmt mit Seinen Schriften zugleich Sein Herz nach! 119
Bekanntlich sollten die solchermaßen Angesprochenen aber nicht geruhen, diesen nekrologischen Ermahnungen ein geneigtes Auge zu schenken.
115 116 117 118 119
Geliert/Hasche/1, Geliert/Hasche/1, Geliert/Hasche/1, Geliert/Hasche/1, Gellert/Hasche/1,
276
S. S. S. S. S.
25. 26f. 29. 29. 30.
Der ungenannte Autor des prosaischen Nachrufs Geliert als ein Gelehrter und ein Christ behauptete ebenfalls, daß der Verblichene »ohne Widerrede ein Original Genie in der edelsten Bedeutung« gewesen sei. 120 Daß freilich die Semantik des Begriffs zu diesem Zeitpunkt noch außerordentlich stark schwankte und kaum präzise festgelegt war, zeigt sich daran, daß der Anonymus ihn völlig anders als Hasche definierte und somit auch in gänzlich differenter Weise auf den Hingeschiedenen anwandte. Er stellte dem Originalgenie nämlich in einer scharfen Kontrastierung den »Dichter durch Kunst« gegenüber. 121 Bereits die Bezeichnungen implizieren ein starkes Gefälle in den Bewertungen dieser beiden Typen von Schriftstellern. Auf der Seite des Originalgenies führt der Anonymus eine »reiche Einbildungskraft«, »geleitet [...] an der Hand der Natur« und »mit bezaubernder Lebhaftigkeit« begabt, ins Treffen, während er den Dichter als »arm an Erfindung« und »sklavisch an den Regeln« klebend deklassiert, seinen »regelmäßige[n] Plan« als »kalt angelegt«, »die Theile« seiner Werke als »unschicklich geordnet und im steifen Tone fürgetragen« geißelt. 122 Der >Natürlichkeit< der Schöpfungen des ersteren, welche das »Herz durch Leidenschaften erschüttert« und die »Seele [...] zu einer ihr unbekannten Größe erhebt«, korreliert negativ die bloß flaue oder gar abstoßende Wirkung der Einlassungen des letzteren, welcher »unglaubliche Wunder erdichte[t], abgeschmackte Charaktere mal[t]«, »Lehrsätze deklamier[t]« und »nach witzigen Wortspielen und schimmernden Gegensätzen gaukel[t]«, kurz nur »ermüde[t]«. 123 Hier also »Leichtigkeit«, dort »Steife« und »ermüdende[r] Zwang«. 1 2 4 Eine Poesie des naturgegebenen, genialischen Talents erscheint mithin ausgespielt gegen die angelernte, technisch hergestellte literarische Produktion eines Schriftstellers. Als Kronzeugen des ersteren figurieren der Odendichter Horaz und Martin Opitz, als traurige Beispiele des letzteren müssen der tomidische Lamentator Ovid und Johann Christoph Gottsched herhalten. 125 Freilich zielte diese Apologie des Originalgenies keinesfalls auf eine Propagierung der Poetologie der sich bereits in der literarischen Öffentlichkeit ankündigenden Stürmer und Dränger, im Gegenteil - und darin traf sich die Definition des Terms durch den Anonymus durchaus mit derjenigen Hasches. Das dichterische Schaffen aus dem Born der Natur gründete nicht auf den programmatisch alle literarischen und sozialen Regeln und Konventionen brechenden, ja mißachtenden Ergüssen eines im kreativen Akt nur sich selbst verpflichteten Subjekts, sondern fußte fest auf den Prinzipien der »Religion und Menschenliebe«. 126 Die »Anwendung« des Geniebegriffs »auf unsem Geliert« 127 war um 1770 offenkundig insofern bereits unzeitgemäß - und entsprang damit bereits einem defensorischen Gestus der Anhänger einer aufgeklärt-empfindsa-
120 121 122 123 124 125 126 127
Gellert/Anonym/24, S. 19. Gellert/Anonym/24, S. 19. Gellert/Anonym/24, S. 19f. Gellert/Anonym/24, S. 20f. Gellert/Anonym/24, S. 22. Vgl. Gellert/Anonym/24, S. 23-26. Gellert/Anonym/24, S. 20. Gellert/Anonym/24, S. 24.
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men Dichtung - , als sie die Kategorie der Natürlichkeit untrennbar mit den Fundamenten der christlichen Offenbarungsreligion - auch wenn diese nicht mehr konfessionell geprägt war - und mit dem Konzept einer sittlichenden Wirkung der Poesie verband. Aus dieser Perspektive erscheinen die Dringlichkeit und die Emphase der Nachrufe auf den Leipziger Schriftsteller und Gelehrten durchaus verständlich, gleichzeitig aber auch der weitere Verlauf der Rezeption seines Oeuvres. Es war nicht nur die in den nekrologischen Würdigungen massiv betriebene Stilisierung Gellerts zur moralischen Vorbildfigur, die seiner baldigen Marginalisierung und Ent-Kanonisierung Vorschub leistete, sondern auch die unvermeidliche Kollision seiner Autorrolle mit dem außerordentlich wirkungsmächtigen Geniegedanken in der Fassung des Begriffs durch den Sturm und Drang.
9.3. Wandel der Formen des Nachrufgedichts Die Forschung hat über die »auf Gellerts Tod verfaßten Grabpoesien« das Urteil gefällt, diese stünden gänzlich »in der Gattungstradition der Gelegenheitsgedichte« und »bedien[t]en sich fester Formen und stereotyper Topoi.« Es lasse sich unter den Nachrufen auf den Leipziger Dichter »kaum eine Schrift« ausfindig machen, »die über das Ausfüllen vorgegebener Muster hinaus originelle künstlerische Gedanken hervor[ge]br[acht]« habe. 128 Nun verkennt, wer kasualpoetische Produkte nach den Kategorien von Einzigartigkeit und Originalität bewertet, an sich bereits deren spezifische kommunikative und soziale Funktionen. Es ist allerdings nicht zu bestreiten, daß die nekrologischen Würdigungen Gellerts in ihrer topischen Organisation, ihrer thematischen Ausrichtung, ihren Dispositionen und ihrer elokutionären Gestaltung in einem hohen Maße tradierten und eingespielten Mustern folgen; daß jene von diesen aber, wie suggeriert worden ist, ganz und gar bestimmt würden, ist schon ohne eine nähere Prüfung der Texte aus diversen Gründen unwahrscheinlich. Zum einen wäre es sehr verwunderlich, wenn sich eine literarische Gattung, welche sich eben in einer massiven Legitimitätskrise befindet und von namhaften Kritikern sogar in ihrer Existenzberechtigung in Frage gestellt wird - die Rede ist natürlich von den Attacken auf die Gelegenheitsdichtung um die Mitte des 18. Jahrhunderts (vgl. 8.3.) - , in ihren poetischen Ausprägungen und Erscheinungsformen nicht verändert hätte. Die Nachrufe auf Geliert konnten gar nicht durch und durch traditionell und stereotyp sein, da die Konventionen der Herstellung und Gestaltung von nekrologischen Würdigungen gerade außerordentlich stark im Fluß waren. Zum anderen ist es schwer vorstellbar, daß die vehementen Veränderungen in der sozialen und bildungsmäßigen Provenienz der Autoren, nämlich die Partizipation zahlreicher >Ungelehrter< an der öffentlichen Trauer um Geliert (vgl. 9.1.) - ein Prozeß, der in der Forschung durchaus konstatiert worden ist 129 - , für Struktur und
128 129
Lehnen, Bilde, 1990, S. 181. Lehnen, Bilde, 1990, S. 178f.
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Inhalt vieler Texte keine einschneidenden Konsequenzen gezeitigt haben sollten. Es war vielmehr das Besondere an dieser literarhistorischen Konstellation, daß sich so viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie nie zuvor kasualpoetisch äußerten, welche das >klassische< Inventar von Textherstellungs- und -gestaltungsmitteln eben nicht im Rahmen einer traditionell-elitären rhetorischen Ausbildung erlernt hatten. Zum dritten ist es aber auch schlichtweg unmöglich und unredlich, den Nachrufen auf Geliert Konventionalität und Stereotypie zu bescheinigen, da der Kontext, der zu einer hinreichenden Stützung dieser These komparativ hätte herangezogen werden müssen, nämlich die nekrologische Gelegenheitspoesie des 18. Jahrhunderts, bis dato gar nicht entsprechend aufgearbeitet worden ist. Wie unkonventionell sich die Nachrufe auf Geliert in mancherlei Hinsicht einem heutigen Rezipienten präsentieren, zeigt allein schon eine kursorische Durchsicht der anläßlich dieses Trauerfalls aktualisierten nekrologischen Genres im Vergleich mit der Gattungsgeschichte der vorangegangenen Jahrzehnte. Eine Leichenpredigt war offenkundig nicht mehr Teil der Beisetzung des Verblichenen (vgl. 8.2.), ebensowenig eine ausführliche Parentation. Im universitären Milieu hatte sich der traditionelle Ritus der Verabschiedung eines bedeutenden Angehörigen des Lehrkörpers in Form der akademischen Gedenkrede in lateinischer Sprache noch gehalten. Im vorliegenden Fall übernahm Johann August Emesti (1707—1781 ) 1 3 0 diese Aufgabe. Der Leipziger Philologe und Theologieprofessor hielt sich dabei im Hauptteil seiner Ansprache an das für das Genre übliche Dispositionsmuster, indem er in einem dreifachen cursus lobend die Vita, die Werke und die Tugenden des Hingeschiedenen durchlief. An die Stelle der einleitenden lamentatio traten allerdings allgemeine Reflexionen zur Tugendhaftigkeit, welche prospektiv in die Richtung der exemplarischen Applikation auf Geliert in der argumentatio vorauswiesen, und das ELOGIVM Schloß, nach einer ausführlichen Schilderung des seligen Ablebens des Dichters, statt mit einem Trost mit dem Appell an die Zuhörer zur sittlichen und religiösen Imitation des vorbildlichen Toten. 131 Ernesti legte den zukünftigen akademischen Eliten jedoch keineswegs einen stände- und schichtenspezifischen Kanon an Werten und Normen ans Herz (vgl. 3.2.), sondern allgemeingültige virtutes wie die Bescheidenheit, die sorgfältige Pflege von Freundschaften und die Frömmigkeit. Strukturell wie inhaltlich fußt die universitäre Gedenkansprache also in vielerlei Hinsicht auf den traditionellen Textherstellungsund -gestaltungsmustern für das Genre, doch entfernt sich die Oratorie von diesen auch in manchen Punkten und geht insofern weit über die Imitation oder gar Repetition eingespielter Formen und Stereotype hinaus. Gleiches gilt für die Gedenkrede, die Johann Georg Eck (1745-1808), 1 3 2 der in Leipzig Philosophie lehrte und circa einen Monat später die amtliche Nachfolge des Verblichenen antreten sollte, vier Tage nach Gelferts Ableben anstelle seiner Vorlesung an die Studenten richtete. 133
130 131 132 133
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
zu Ernesti D B A Folge 1, Nr. 290, Bl. 1 1 4 - 1 8 4 und Folge 2, Nr. 337, BI. 140-155. Gellert/Ernesti/1; vgl. dazu Schlingmann, Geliert, 1967, S. 16f. zu Eck D B A Folge 1, Nr. 264, Bl. 2 2 6 - 2 3 4 . Gellert/Eck; vgl. dazu Schlingmann, Geliert, 1967, S. 13.
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Besonders deutlich erweist sich die Unhaltbarkeit der These von der durchgängig konventionellen und traditionellen Prägung der Nachrufe auf den verstorbenen Dichter bei einem Blick auf die in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts sich ausprägenden, neuen Genres des prosaischen Nachrufs (vgl. 10.2.). An die Seite, teils auch an die Stelle der althergebrachten Formen des Totenlobs in ungebundener Rede traten nun unter anderem die anekdotenhafte Sammlung von persönlichen Erinnerungen an den Hingeschiedenen,134 die auf den späteren Zeitungsnachruf im Feuilleton der Tagespresse vorausdeutende,135 umfassende prosaische Würdigung eines Toten,136 die gedruckte nekrologische Epistel, sei es in ehrender 137 oder in pädagogischer Absicht,138 und die kritische Rezension von Nachrufen (vgl. dazu 9.4.). In diese jungen Genres des Totenlobs gingen die bewährten Dispositionsstrukturen, die üblichen Topoi des Personenlobs und die im Nekrolog für die Erregung spezifischer Affekte bevorzugt eingesetzten rhetorischen Strategien durchaus ein, doch wurden die jahrzehnte- und jahrhundertelang eingespielten Regeln und Konventionen immer wieder auch in vielerlei Hinsicht gebrochen und durch neue Muster und Inhalte ersetzt, die ihrerseits zum Teil wiederum traditionsbildend wirksam werden sollten. Das spannungsreiche Verhältnis von rhetorischer Tradition und dichterischer Innovation in der nekrologischen Kasualliteratur um 1770 soll im folgenden kursorisch anhand der >Grabpoesien< im engeren Sinne auf Geliert, also anhand der Trauergedichte skizziert werden. 139 Die lateinische Leichenlyrik wurde - gerade im Falle des Ablebens eines ausschließlich in deutscher Sprache dichtenden Poeten - nur noch in sehr eingeschränktem Umfang gepflegt. Da die Nachrufe auf den Leipziger Schriftsteller und Gelehrten darüber hinaus auch zumeist auf breite Wirkung und kommerziellen Erfolg am Buchmarkt hin angelegt waren, versah man die wenigen Veröffentlichungen von Trauergedichten in lateinischer Sprache mit deutschen Ubersetzungen.140 Die nekrologische Ekloge war zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon lange außer Gebrauch gekommen (vgl. 8.3.). Das Genre der poetischen Grabschrift (vgl. 3.4.6.) hingegen war noch nicht vergessen, wenn es auch nur noch selten aktualisiert wurde. Ein typisches Beispiel dafür stellt die anonyme Grabschrift auf Gelierten dar: Was einzeln selten ist, und selten stets gewesen, Vereinte lebend Der, den dieses Grab umschließt:
134
Vgl. z.B. Gellert/Anonym/25. 135 v g l . dazu Bogner, Zeitungs-Nachruf, 2000. 136 Vgl. z.B. Gellert/Anonym/15; Gellert/Anonym/26; Gellert/Anonym/34; Geliert/Amman; Geliert/Franz. 137 Vgl. z.B. Gellert/Anonym/37. 138 Vgl. z.B. Gellert/Faber/2. 139 Zum lyrischen Nachruf des 18. Jahrhunderts vgl. Braungart, Ritual, 1996, S. 80f.; Jäger, Works, 1997, S. 41 u.ö.; Ketelsen, Brockes, 1980; Ketelsen, Poesie, 1976; Segebrecht, Steh, 1978; Zimmermann, Saiten, 1999, v.a. S. 276-284; Zimmermann, Verinnerlichung, 2004; vgl. komparativ auch Kay, Tears, 1990. 140 Vgl. Gellert/Anonym/18; Gellert/Irmisch. - Auch ein französisches Trauergedicht wurde mitsamt einer Übersetzung publiziert, vgl. Gellert/Anonym/20.
280
Gleich groß, wollt ihr sein Lob in wenig Worten lesen, Als Dichter, Menschenfreund und Christ.141
Das Gedicht ist durchgängig nach den traditionellen Textherstellungs- und -gestaltungsmustem für das Genre organisiert. Der Titel verweist explizit auf die vom Autor gewählte Textsorte, alle charakteristischen Merkmale des >klassischen< Epitaphs, vor allem die Deixis auf das Grab, die Anrede an die Rezipienten, die Kürze und die Konzentration auf eine besonders lobenswürdige Eigenschaft des Verstorbenen - hier die seltene Dreifaltigkeit von herausragender literarischer Bedeutung, außerordentlicher Philanthropie und tiefer Religiosität finden sich in den wenigen Zeilen wieder. Zwei weitere poetische Grabschriften auf den verblichenen Schriftsteller sind von ähnlicher Traditionsgebundenheit und Stereotypie. 142 Nur ein weiterer, vierter Text, ohne Nennung des Autors veröffentlicht in den Schwäbische[n] Beyträge[n] zu Gellerts Epicedien, bildet hierzu eine bemerkenswerte Ausnahme: Grabschrift. Hier liegt! Steh Wanderer und schau! die Wahrheit schreibt: Der beste Mann für eine Frau und unbeweibt! Der beste Vater eines Sohns und ohne Sohn. Der Würdigste des grösten Lohns, und ohne Lohn. Der erste Weise seiner Zeit und ohne Rang. Es horchten alle Kinder Teut, wann Geliert sang. Sein Lohn ist dieser schlechte Stein. — Der Wandrer geht, Wünscht alles in der Welt zu seyn, Nur kein Poet. 143
Der Titel mit der ausdrücklichen Textsortenbezeichnung und die typische formelhafte Wendung in der ersten Zeile suggerieren dem Rezipienten fürs Erste, es handele sich bei dem Gedicht tatsächlich um eine Grabschrift. Doch nur zu bald erscheinen die geweckten Erwartungen enttäuscht und alle genregeschichtlichen Konventionen gebrochen. Wenig charakteristisch präsentiert sich allein schon der Umfang des Gedichts. Dazu gesellt sich die ungewöhnliche metrische Gestaltung, der Wechsel
141 142 143
Gellert/Anonym/33. Vgl. Gellert/Anonym/32; Gellert/Anonym/57. Gellert/Anonym/31; von Schlingmann, Geliert, 1967, S. 17 wird der Text Schubart zugeschrieben, er ist allerdings im Erstdruck mit dem Kürzel »T***« gezeichnet.
281
von vier- und zweihebigen Versen statt der in der deutschsprachigen Grabschrift üblichen, zumeist durchgängig sechs betonte Silben umfassenden, oft alexandrinischen Langverse, mit denen der Hexameter des lateinischen Epitaphs imitiert werden konnte. Die besondere äußere Form spiegelt die das Gedicht tragende Gedankenfigur wider, die anaphorisch überspitzte Antithese zwischen den vortrefflichen Fähigkeiten des Verblichenen und ihrer fehlenden oder nur bedingten Einlösung in der physischen Realität, eine Argumentationsstruktur, die der herkömmlichen Grabschrift und ihrer bedingungslosen, uneingeschränkt positiven Belobigung des Toten fremd ist. Nicht weniger fällt die Aufzählung von gleich fünf Eigenschaften desselben statt der üblichen Konzentration auf eine oder zwei aus dem Rahmen der poetologischen Konventionen. Der endgültige Abschied von den Traditionen und Usancen des Genres vollzieht sich jedoch in den drei abschließenden, graphisch vom vorangehenden Text abgesetzten Versen, mit denen die Fiktion, das gesamte Gedicht finde sich als Inschrift auf einem Grabstein, radikal durch die Mitteilung der Reaktion des lesenden Wanderers auf die Epitaph-Lektüre durchbrochen und zu allem Überfluß die Lebensleistung des Verstorbenen skeptisch in Frage gestellt wird. Zum einen reflektiert dieser Nachruf kritisch, ja beinahe sarkastisch die persönlichen Entfaltungschancen und die soziale Stellung eines Menschen, der sich unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als Schriftsteller zu profilieren suchte. Das Totenlob mutiert zum düsteren Bildnis einer Dichterexistenz, die sich mangels öffentlicher Anerkennung und entsprechender finanzieller Einkunftsmöglichkeiten zu Armut, Ehe- und Kinderlosigkeit verdammt sah - eine Diagnose, die gerade im Schwaben jener Jahre nicht ganz ungegründet gewesen sein mag. Zum anderen aber - und das ist in diesem Zusammenhang wichtiger - handelt es sich hier um ein prototypisches Beispiel für die poetische Weiterentwicklung der Grabschrift seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Das deutschsprachige Epitaph blieb auf der einen Seite völlig den genregeschichtlichen Konventionen und Stereotypen verhaftet - und in dieser Spielart war es als Produkt einer traditionsorientierten Regelpoetik um 1770 bereits ästhetisch überholt. Tatsächlich gehören die oben erwähnten Grabschriften auf Geliert zu den letzten >klassischen< Texten dieser spezifischen Form des Nachrufs. Andererseits erneuerte eine jüngere Generation von Gelegenheitsdichtem das Epitaph in Aufbau und Inhalt nach den Maßgaben einer zeitgemäßen Poetologie und Ideologie, allerdings in einer - verglichen mit der jahrhundertelangen Konstanz der Textherstellungs- und -gestaltungsmittel - so radikalen Art und Weise, daß nur noch mit Vorbehalten von einer genregeschichtlichen Kontinuität gesprochen werden kann. Die Fiktion der Wiedergabe der Inschrift auf einem Gedenkstein blieb ebenso erhalten wie dieses oder jenes vormals konventionalisierte Aufbau- oder Argumentationsmuster. Doch gleichzeitig wurden die gängigen Stereotype ostentativ durchbrochen, spielerisch verwandelt und durch neue Gestaltungsformen, Inhalte und Wirkabsichten ergänzt. Gelegenheitsdichtung entfaltete sich auch fortan noch - und zwar bis in das 20. Jahrhundert - im wenigstens partiellen, wenn auch bald nicht mehr über die Bildungseinrichtungen explizit weitergegebenen Wissen um ihre früheren, festgefügten Regeln und Normen, aber in steter Absetzung von diesen aus der Position der jeweils von einem Autor vertretenen Ästhetik und Ideologie.
282
Dieser literarhistorische Prozeß läßt sich an der Entwicklung des deutschsprachigen Epicediums (vgl. 3.4.7. und 6.1.) ebenfalls ablesen und näher verdeutlichen. Das Genre war in seiner >klassischenalten< Rhetorik meisterlich geschulten Verfasser erkennen lassen. 144 Diese viele Dutzende von Versen umfassenden lyrischen Gebilde entfalten die nekrologische Ehrung nach den eingespielten Aufbauund Affekterregungsmustern. Am Beginn steht die lamentatio, es folgt, vorbereitet durch eine captatio benevolentiae, die ausführliche laudatio mit einem cursus durch die Tugenden und positiven Eigenschaften des Hingeschiedenen, und den Abschluß bildet, gerne vorbereitet durch die Darstellung der Sterbeszene, die consolatio. Sogar der bei den protestantischen Humanisten besonders beliebte, geistreiche Ausklang des Gedichts mit einem Epitaph wird von den gelehrten unter den empfindsamen Poeten noch gepflegt. 145 Aber bei aller dispositorischen Konventionalität unterscheiden sich diese Epicedien auf Geliert in ihrer inhaltlichen und elokutionären Gestaltung vehement von Trauergedichten, wie sie in den ersten Dezennien des Jahrhunderts oder gar während des Barock verfaßt worden waren. Wie in den übrigen Nachrufen würdigten die Parentatoren an dem Verblichenen nicht die mustergültige Erfüllung seiner Amtspflichten, sondern seine allgemeinverbindliche sittliche und religiöse Vorbildlichkeit. Auch hinsichtlich der rhetorisch-stilistischen Gestaltung lassen sich im traditionellen Genre des Epicediums signifikante Neuerungen erkennen. Die während der Frühaufklärung im Zeichen einer >Anti-Schwulstbarocker< Manier. Es waren also weniger die gewagten Vergleiche und Metaphern, die spitzfindigen Wortspiele und die gelehrten Parallelisierungen mit entlegenen, kuriosen oder exotischen Realien, welche die Emotionen der Rezipienten bewegen sollten, als vielmehr die tiefbewegten exclamationes, die verzweiflungsvollen inter rogationes und die hyperbolischen Übersteigerungen der mitgeteilten Affekte, durch die das lyrische Ich ganz im Sinne des empfindsamen Gefühlskultes seine aufgrund des Trauerfalles erschütterte Innerlichkeit entblößte. Der Theologe, Lyriker, Publizist und Übersetzer Johann Andreas Cramer (1723-1788) 1 4 6 beispielsweise, Hofprediger und Professor in Kopenhagen, hob sein ausführliches Trauergedicht mit der folgenden ersten Strophe an: Hier ist sein Grab, mein Sohn, besucht, bethränt von allen, Die gut sind; dessen, dem dein Herz
144 145 146
Vgl. Gellert/Anonym/41; Gellert/Cramer/1; Gellert/Hasche/1; Gellert/Liebich. Vgl. Gellert/Hasche/1, S. 70. Vgl. zu Cramer Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 2, S. 470-472 (Matthias Luserke).
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Einst gleichen müsse! Hier laß deine Thräne fallen; Jch kanns nicht; mich betäubt der Schmerz! 1 4 7
Ein anonymer Leichendichter wiederum begann sein Epicedium mit diesen Worten: Der große Geliert stirbt! es zittert mein Gebeine; Jch sehe, daß mein Freund erblaßt; Ο Anblick, der mich schreckt! Mein Freund ist todt, ich weine Bey Schmerzen, die kein Ausdruck faßt. 1 4 8
Die beiden Autoren führten mit ihren extrem ich-bezogenen respektive - im Falle Cramers - partiell an den Sohn gerichteten Klagen um den Verstorbenen die bereits anhand der lyrischen Nachrufe auf Thomasius beobachtete (vgl. 7.3.) Intimisierung und Privatisierung der nekrologisch mitgeteilten Emotionen fort, allerdings in einem hohen und pathetischen Ton, der charakteristisch für die öffentlich-poetische Kultivierung von Gefühlen unter den Empfindsamen jener Jahre ist. Man eröffnete das eigene kummervolle Herz - mit der einschränkenden Beteuerung freilich, das emotional empfundene Leid eigentlich gar nicht sprachlich ausdrücken zu können, sich aber auf jeden Fall aller >Tricks< der >technischklassischen< Epicedien als Konsequenz des oben beschriebenen Prozesses der Ent-Personalisierung (vgl. 9.1.) und eines bis dahin ungekannten, empfindsam-pathetischen Personenkultes auch die jüngeren, erst seit den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts ausgeprägten Usancen der nekrologischen Gelegenheitsdichtung. Wie wenig die Begriffe von Konventionalität und Stereotypizität dazu taugen, die >Grabpoesien< auf Geliert in toto hinreichend literar- und gattungsgeschichtlich zu charakterisieren, kann ein Blick auf zwei weitere aus diesem Anlaß aktualisierte Genres des lyrischen Nachrufs zeigen. Dabei handelt es sich zum einen um die sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etablierende nekrologische Elegie. 153 Im Gegensatz zum deutschsprachigen Epicedium, welches in der Regel nicht den lateinischen Prototypen nachgebildet, sondern stattdessen in gereimten und in jambischen Versen gestaltet wurde, griffen die Autoren hierbei stets zum Hexameter oder zum elegischen Distichon. Diese in der zeitgenössischen Literatur allgemein sehr beliebten metrischen Schemata offerierten den Autoren eine adäquate und attraktive äußere Form zur Gestaltung von poetischen Klagen unterschiedlichsten Inhalts, zum Beispiel über melancholische Stimmungen, den tristen Zustand des Vaterlandes oder unglückliche Liebe, aber in manchen Fällen auch über einen aktuellen Todesfall. Die thematische, dispositorische und stilistische Vielgestaltigkeit und Inkohärenz der elegischen Dichtung des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts kennzeichnet auch die Nachrufelegie. Freilich konnten sich die Nekrologautoren hier einer poetischen Form bedienen, die, im Unterschied etwa zum deutschsprachigen Epicedium, nicht in einer langen genregeschichtlichen Tradition mit festgefügten literarischen Regeln stand, anders gesagt, große dichterische Freiräume schuf, ohne überkommene ästhetische Normen ostentativ brechen zu müssen. Auf der anderen Seite konnten die klassischem Textherstellungs- und -gestaltungsmuster der nekrologischen Gelegenheitspoesie im Bedarfsfall stets für die Herstellung einer Nachrufelegie herangezogen werden. Demgemäß präsentieren sich die vorliegenden Texte auf das Ableben des Leipziger Schriftstellers und Gelehrten in einer Mischung aus kasualpoetischer Innovation hier
151 152 153
So der Titel von Gellert/Liebich. Vgl. z.B. Gellert/Hasche/1. Vgl. zur Geschichte der deutschsprachigen Elegie zusammenfassend Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 4 2 9 ^ 3 2 (Dirk Kemper: Elegie); vgl. femer Frey, Tränen, 1995; vgl. auch zur Elegie im amerikanischen Kulturraum Hammond, Elegy, 2000.
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und dem Rückgriff auf einzelne bewährte dispositorische, inhaltliche und stilistische Elemente des Totenlobs dort. Ein Anonymus zum Beispiel verfaßte eine Elegie auf Herrn Gellerts Tod in siebzehn Distichen.154 Das lyrische Ich inszeniert darin geradezu schwelgerisch sein Leid um das Ableben des Leipziger Dichters und Gelehrten, typisiert in der innerhalb der Elegie gerne aufgegriffenen Pose des sitzend-sinnenden Melancholicus: Lehrer! Vater! wie sehr beugt mich Dein Abschied! ich sitz' Ueber Dein Ende denkend, stumm, und Deinem Gemälde Gegen über wein' ich über Deinen Verlust.155
Von solchen überbordenden Klagen ist der gesamte Text getragen, und doch hat die Tradition des Epicediums unübersehbare Spuren in seiner dispositio hinterlassen. Das Gedicht hebt mit einer bewegten lamentatio über das Ableben Gellerts an, und dieser Affekt bestimmt es auch bis in seine letzten Zeilen. Freilich findet sich in den nicht minder der Trauer gewidmeten Hauptteil eine überschwengliche laudatio des Verblichenen eingeflochten. Klage und Personenlob sind also im elegischen Gestus ostentativ ineinander verwoben. Den Schluß wiederum bildet nicht eine consolatio, sondern der Schwur des lyrischen Ich, die sittlichen und religiösen Lehren des Verstorbenen dem eigenen Sohn dereinst weitergeben zu wollen. Auch in der Argumentation finden sich manche traditionellen Elemente der Totenehrung aufgegriffen, etwa die Trauer der Heimatregion Sachsen, der gesamten Nation, ja der ganzen Welt um den Hingeschiedenen oder die Gewißheit von dessen jenseitiger Errettung. Die elokutionären Mittel des Totenlobs sind zu größeren Teilen ebenfalls den älteren Konventionen des Nachrufs verpflichtet, unter anderem die direkte Anrede des Verblichenen mit dem vertrauten >DuWahrheit< als zentralen Begriff von dessen Schaffen, sei es die unverbrüchliche Liebe zur, die stetige Suche nach Wahrheit oder die brüske Ablehnung von Halbwahrheiten. 56 Das Ende des Nachrufs gestaltete Herder unter Rückgriff auf zwei gängige Trostargumente. Zum einen habe »[d]ie Gottheit« Lessing »einen guten Ausgang aus dem Leben« gegönnt, zum anderen hoffe die Nachwelt auf »eine schöne Ernte« an hinterlassenen Schriften als »kleine[n] Ersatz für sein zu frühes Ableben«,57 wobei das erstere Argument, der Hinweis auf das ruhige Sterben des Wolfenbüttlers, natürlich eine neuerliche, letzte Invektive gegen dessen theologische Feinde in sich barg. Herder dosierte in diesem ausführlichen Lessing-Nekrolog die stilistischen Mittel sparsamer als in seiner ersten öffentlichen Reaktion auf den Trauerfall, dennoch bediente er sich auch hier der lange bewährten, üblichen Textgestaltungsmuster zur Erregung und Lenkung der Affekte seines Publikums. Er verfaßte einen Nachruf, der sich nicht allein im Aufbau, sondern auch in der elokutionären Ausarbeitung an den eingespielten rhetorischen Strategien für die Produktion wirkmächtiger Würdigungen von Einzelpersonen orientierte, anders gesagt, er griff, wenn auch sparsam, immer wieder im Dienste der Emotionalisierung der Rezipienten zu Wiederholungen, Parallelismen, Fragen, Ausrufen oder Worthäufungen. Doch mehr noch: In beiden Texten aktualisierte er auch die seit Jahrhunderten für die Gattung des Nachrufs besonders typischen und in ihr immer wieder verwendeten rhetorischen Mittel. Die ausführliche Würdigung Lessings intonierte er mit einer differenzierten Positionierung des Verstorbenen innerhalb der zentralen Gestalten der deutschsprachigen Literatur des späten 17. und 18. Jahrhunderts. Dem Verblichenen wurde dabei ein deutlicher Vorrang gegenüber Christian Weise (1642-1708), August Bohse (1661-1742), Christian Friedrich Hunold (1681-1721), Johann Jacob Bodmer (1698-1783) und Johann Christoph Gottsched eingeräumt, bevor er schließlich in seiner Bedeutung als Reformator der deutschen Sprache und als Schriftsteller mit Martin Luther gleichgestellt wurde. 58 Auch die weitere Argumentation durchsetzte der Parentator im Dienste der Amplifi-
54 55 56 57 58
Vgl. Lessing/Herder/1, S. 47. Lessing/Herder/1, S. 48. Vgl. Lessing/Herder/1, S. 49f. Lessing/Herder/1, S. 50. Vgl. Lessing/Herder/1, S. 36.
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kation mit unterschiedlichen Vergleichen des Verstorbenen mit anderen kanonisierten Autoren; Lessings Lehrgedichte werden zum Beispiel denjenigen Abraham Gotthelf Kästners an die Seite gestellt, 59 seine Fabeln denen Bodmers als literarisch überlegen charakterisiert. 60 Den ersten, kürzeren Nachruf hatte Herder ebenfalls mit einer Reihe von comparationes zugunsten Lessings eingeleitet, indem er dessen Verlust als den »empfindlichste[n]« in einer Reihe von rezenten Todesfällen von Schriftstellern - er nannte Albrecht von Haller (1708-1777), Johann Heinrich Lambert (1728-1777) und Johann Georg Sulzer - einstufte. 61 Neben dem Vergleich blieb aber nach dem Wechsel des Nachrufs in das neue Medium der Zeitschrift das Zitat von Äußerungen des Hingeschiedenen im Rahmen einer Prosopopöie eine der in Texten der Gattung bevorzugt eingesetzten rhetorischen Strategien. Welche Funktion auch immer dieses hochpathetische Gestaltungsmittel dabei zu erfüllen vermochte - etwa die Evozierung des Verblichenen als Himmelsbewohner zum Zwecke der Tröstung der Hinterbliebenen über dessen jenseitiges Schicksal - , es hat sich bis heute im feuilletonistischen Prosa-Nachruf ungebrochen erhalten. 62 Herder setzte es gleichfalls in seiner zweiten Würdigung des Wolfenbüttlers ein, indem er ihm zur Charakterisierung seines stets neidlosen und niemals mißgünstigen Verhältnisses zu den schriftstellemden Kollegen ein »Nathan«-Wort in den Mund legte. 63 Im Schlußteil des Textes bediente er sich sogar der besonders auffälligen und eindringlichen rhetorischen Strategie der Apostrophe, der direkten Anrede des Hingeschiedenen aus dem Nekrolog heraus, und rechtfertigte den Einsatz dieses Stilmittels - er benannte es auch terminologisch explizit - mit der zunehmenden emotionalen Beteiligung während der Abfassung derjenigen Passagen der Würdigung, die von »den letzten Situationen« im Leben des Abgeschiedenen handelten. 64 Neben traditionell gattungskonstitutiven Gestaltungsmustern in den Bereichen von dispositio und elocutio überstand nicht weniger ein ganzes Inventar an für den Nachruf kennzeichnenden Argumenten und Stereotypen den Wechsel von den älteren nekrologischen Genres zum prosaischen Totenlob in Zeitung und Zeitschrift. Im Falle von Herders beiden öffentlichen Reaktionen auf das Ableben Lessings zählten dazu unter anderem die bereits genannten, vom Parentator ins Treffen geführten Trostgründe, ferner die Einleitung eines Nachrufs mit dem Hinweis auf die vielen bösen Todesfälle der letzten Zeit, unter denen der aktuelle der schmerzlichste sei, 65 der hyperbolische Lobspruch, ein Geist wie der des Verstorbenen werde vielleicht erst in Jahrhunderten wieder geboren werden, 66 oder die amplifikatorische Prognostizierung des unvergänglichen literarischen Wertes eines Textes des Toten. 67
59 60 61 62 63 64 65 66 67
Vgl. Lessing/Herder/1, S. 40. Vgl. Lessing/Herder/1, S. 39. Lessing/Herder/2, S. 33. Vgl. Bogner, Zeitungs-Nachruf, 2000, S. 224f. Lessing, Nathan der Weise, 1115, v. 492^499. Lessing/Herder/l, S. 50. Vgl. Lessing/Herder/2, S. 33. Vgl. Lessing/Herder/l, S. 38. Vgl. Lessing/Herder/l, S. 39.
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Herders ausführliche nekrologische Würdigung Lessings bietet nicht zuletzt mehr als deutliche Belege für die Unrichtigkeit und Unhaltbarkeit der althergebrachten Vorurteile hinsichtlich der Schönfärberei und Verlogenheit des Nachrufs. Gerade an diesem so überaus prominenten Text hätte die Forschung bemerken können, wie wenig ein publiker Nekrolog der Maxime De mortuis nil nisi bene gehorchen mußte und muß. Natürlich handelt es sich bei dem Artikel um eine im Ganzen positive, gar eine außerordentlich positive Verbeugung vor dem Verblichenen. Doch Herder hatte dem Nachruf das Programm, auf schlechte Lobsprüche< verzichten zu wollen, da der Verschiedene selbst sie hassen würde, keineswegs als leere Ankündigung vorangestellt. Seine Würdigung ist durchgängig von sorgfältiger Differenzierung und präziser Abwägung geprägt, und dieser Argumentationsstil schließt diverse Bedenken, Einwände, Zweifel und auch einzelne negative Urteile ein. So pries er zum Beispiel Lessings Fabeltheorie ihrer methodischen Durchführung und sprachlichen Gestaltung halber, freilich nicht ohne zu ergänzen, daß es »eine andere Frage« sei, »[o]b gegen die Theorie selbst nichts einzuwenden wäre«.68 Auch ließ der Parentator Vorbehalte gegenüber manchen »Jugendschriften« des Verstorbenen erkennen, indem er von deren späteren, überarbeiteten Neuauflagen festhielt, sie hätten »durch die verbessernde Hand des Mannes [...] sehr gew[o]nnen«,69 das »zu Freie, zu Jugendliche« sei in der »verbesserten Ausgabe« weggelassen worden. 70 Über Lessings bei den unmittelbaren Zeitgenossen gelegentlich umstrittene literaturkritische Wertungen wiederum meinte Herder, sie hätten sich, trotz des einstigen Eindrucks von Schärfe oder Härte, seit ihrer ersten Veröffentlichung »größtenteils« bewährt - um hinzuzusetzen: »wenige Urteile ausgenommen«.71 Für Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) fand der Parentator ebenfalls sehr schmeichelhafte Worte, freilich mit der erneuten bedeutsamen Einschränkung, daß er die Schrift »ohngeachtet mancher überspannter Hypothese« lobe. 72 Schließlich markierte er auch deutlich die Grenzen seiner Verteidigung des Verstorbenen im Fragmente[n]-Streit: Übrigens will ich hier Lessing nur entschuldigen, weil er ein Mensch wie wir war, nicht rechtfertigen noch rühmen; denn ich kenne weder alle die Gegner, noch alle die Umstände, die ihn reizten.73
Und in den folgenden Zeilen heißt es über Goeze - den der Parentator nicht namentlich nannte, sondern nur als den »eifrige[n] und gelehrte[n] Theologfen]«, gegen welchen der Verstorbene »am heftigsten geschrieben« habe - , er werde Lessing nach dessen »Tode« gewiß »Gerechtigkeit widerfahren lassen«.74 Das war eine ostentative
68 69 70 71 72 73 74
Lessing/Herder/1, Lessing/Herder/1, Lessing/Herder/1, Lessing/Herder/1, Lessing/Herder/1, Lessing/Herder/1, Lessing/Herder/1,
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S. S. S. S. S. S. S.
38. 38. 40. 41. 49. 49. 49.
Geste. Die Stellungnahme im aktuellen Streit sollte einerseits nicht als blinde Apologie des Verblichenen durch den Nachruf-Autor mißverstanden werden, vielmehr als zwar wohlwollender, keinesfalls aber unkritischer Versuch, Lessings Verhalten in den Zwistigkeiten postum nachzuvollziehen, nicht jedoch zu legitimieren. Herder konzedierte, daß der »Eifer« des Verstorbenen »für die Wahrheit schätzbar« gewesen sei, allerdings nicht ohne »Irrtum«. Auf der anderen Seite forderte er von dessen schärfstem Gegner, er solle Lessing nunmehr nach dem Ableben ein versöhnliches Andenken bewahren, allerdings kein im Angesicht des Todes verlogen-beschönigtes, sondern ein gerechtes, ein dem »Charakter und Geist« des Verblichenen adäquates. 75 Die Erwartungen, die Herder an Goeze richtete, korrespondierten somit seinem eigenen Programm für den Nekrolog auf Lessing. Es war daher nur konsequent, daß er auch in seinem abschließenden Resümee noch einmal ausdrücklich an die »Abwege« erinnerte, auf die der Hingeschiedene bei seiner Wahrheitssuche geraten sei. 76 Die exemplarische Sichtung von Herders Nekrologen auf Lessing hat gezeigt, daß die Herstellungs- und Gestaltungsmuster für Zeitschriftennachrufe trotz des Wechsels in ein gänzlich neues Medium und somit auch trotz völlig veränderter Produktionsbedingungen auf unterschiedlichen Textebenen keinen signifikanten Veränderungen unterworfen waren. Der Aufbau und die Affekterregungstektonik der Würdigungen folgen bewährten Vorgaben, die für das Totenlob schon lange typischen und trotz aller sukzessiven elokutionären Simplifizierung (vgl. 9.1.) weiterhin eingesetzten rhetorischen Strategien und stereotypen Argumente finden sich ebenso wie der bewußte Verstoß gegen die Regel De mortuis nil nisi bene wieder. Diesen gattungsgeschichtlichen Konstanten stehen natürlich zahlreiche Diskontinuitäten gegenüber, die ihrerseits allerdings in den allgemeineren literar-, kultur- und mentalitätshistorischen Prozessen gründen. Die dem Verstorbenen nachgerühmten Tugenden orientieren sich am jeweils aktuellen respektive sich gerade durchsetzenden, neuen Normen- und Wertekanon, und demgemäß wäre natürlich Herders Amplifizierung von Lessings schranken- und bedingungsloser Wahrheitssuche noch wenige Jahrzehnte zuvor nicht denkbar gewesen. Nicht weniger erscheinen in den Nachrufen viele Facetten der stilistischen Gestaltung, die zur Anwendung gebrachten literaturkritischen Maßstäbe, die implizit transportierten Geschichtsbilder oder die vorgestellten Autorschaftskonzepte zeitbedingt und starken Wandlungen unterworfen, eine ganze Reihe von gattungstypischen Merkmalen jedoch bleibt unverändert. Eine einzige, für die Tradition des Nachrufs durchgängig kennzeichnende rhetorische Strategie hat sich in den beiden analysierten Zeitschriftennachrufen nicht gefunden, die auctoritas. Dies ist keineswegs charakteristisch für das Genre der publizistischen respektive später der feuilletonistischen Würdigung eines Verstorbenen, im Gegenteil. 77 Herder allerdings konnte oder wollte sich zum Zeitpunkt von Lessings Ableben nicht auf einen autoritativen Gewährsmann zum Lob des Wolfenbüttlers
75 76 77
Lessing/Herder/1, S. 49. Lessing/Herder/1, S. 50. Vgl. Bogner, Zeitungs-Nachruf, 2000, S. 223f.
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berufen. Doch auch wenn seine beiden Texte in diesem völligen Verzicht auf das Zitieren maßgeblicher Äußerungen über den Verstorbenen untypisch sind, so verweisen sie gerade mit dieser Auffälligkeit besonders deutlich auf eine spezifische Tendenz in der öffentlichen Vermarktung von Nachrufen, die sich zu diesem Zeitpunkt andeutet, und im innertextuell inszenierten Habitus ihrer Autoren. Herder äußerte sich in beiden Nekrologen als ein selbstbewußtes, differenziert, aber pointiert, dezidiert urteilendes »Ich«. Weder versteckte er sich hinter einem Plural der Bescheidenheit noch hinter passivischen Formulierungen noch auch hinter der Berufung auf höhere Gewährsleute. Der Parentator, der in einem der wichtigsten Periodika der literarischen Öffentlichkeit einen Nekrolog piazierte, schwang sich selbst zur auctoritas auf, die kraft ihres Namens, ihrer bisherigen Leistungen und ihrer Position im Kulturbetrieb selbst die maßgeblichen Urteile fällte, ja die Maßstäbe setzte. Die nekrologischen Würdigungen in Zeitschriften und später in Zeitungen sollten möglichst nicht nur auf den Äußerungen verschiedener Autoritäten fußen, sondern von solchen selbst verfaßt sein. Der Verstorbene sollte einen würdigen Parentator finden - eine Praxis, die sich bis heute in der Tagespresse bei der Auswahl der >auf Halde< liegenden Nachrufe und beim Vorgriffsrecht von Chefredakteuren auf die Abfassung der Ehrungen bestimmter Hingeschiedener erhalten hat. Weniger denn je verstand sich zum Ende des 18. Jahrhunderts ein Parentator als Vertreter einer öffentlichen Einrichtung oder als Teil oder Repräsentant einer spezifischen sozialen oder ständischen Gruppe, vielmehr artikulierte er sich als ein einzelner, am literarischen Markt spezifisch positionierter und profilierter Schriftsteller mit seinen eigenen, vielleicht gar eigenwilligen Äußerungen und Urteilen. Sowohl die hinlänglich bekannte Individualisierungsthese als auch die signifikanten Veränderungen in der öffentlichen Inszenierung von Autorschaft während der Dezennien um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sind bereits bei den ersten Blicken auf die Selbstdarstellungen von Nachruf-Schreibern in den Anfängen des publizistischen Nekrologs nicht zu verkennen. Dennoch wären zwei weitergehende Schlüsse, die bei flüchtiger Betrachtung nahezuliegen scheinen, grundfalsch. Erstens resultiert aus der in einem Text zur Schau getragenen Pose besonderer Individualität oder gar Egozentrik noch keineswegs als Konsequenz das Aufbrechen tradierter Gattungsmuster.78 Anders gesagt: Die für den Nachruf typischen Textherstellungs- und -gestaltungsmuster blieben in den meisten Fällen von den Selbstinszenierungen der Autoren unberührt. Zweitens muß die deutliche Prägung einer nekrologischen Würdigung durch ein markantes Individuum nicht auf eine wie auch immer geartete emotionale Beteiligung desselben im Verschriftlichungsakt hinweisen.79 Die Nachrufe der frühen Neuzeit repräsentieren nicht vorwiegend Dokumente steifen, streng regulierten Trauerzeremo-
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Vgl. z.B. Hay, Nachwort, 1984, S. 457: »Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde ein neues Bewußtsein in der Literatur deutlich. Subjektivität sprengte die klassischen Muster der Rhetorik. Nicht mehr verständlich war eine in Auftrag gegebene, nach den Rhetoriken verfaßte Leichenrede.« Vgl. Hay, Nachwort, 1984, S. 457; vgl. auch Horn, Trauer, 1998, S. 9.
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niells, 80 während Nekrologe des späten 18. Jahrhunderts tendenziell Zeugnisse tiefster Ergriffenheit darstellen und aus ihnen sozusagen die Tränen triefen. War während der ersten Dekaden des Säkulums tatsächlich ganz allgemein eine gewisse Intimisierung des in der postumen Würdigung zur Schau gestellten Leides um den Hingegangenen zu beobachten gewesen (vgl. 7.3.), so hatte dies noch für die Produktion nekrologischer Gelegenheitstexte unter traditionell frühneuzeitlichen Bedingungen gegolten. Die folgenden Jahrzehnte hingegen hatten im Zeichen einer sukzessiven De-Regionalisierung der Produktion von Nachrufen und einer massiven Ent-Personalisierung des Bezugs zwischen Verstorbenem und Würdigendem gestanden (vgl. 9.1.). Postume Ehrungen wurden demnach zunehmend von Schriftsteilem oder Journalisten verfaßt, die in keiner oder wenigstens nur in einer lockeren persönlichen Beziehung zum Hingeschiedenen gestanden hatten - und somit auch keinerlei Grund für eine emotional überschwengliche Würdigung des soeben Verblichenen hatten. Herders erster Nachruf auf Lessing, nochmals gelesen, belegt dies deutlich. Der Parentator bringt durchaus großen Schmerz über den Todesfall zum Ausdruck - und versucht diesen durch die brillante rhetorische Gestaltung des Textes auch bei den Rezipienten zu erzeugen - , doch hebt er keineswegs eine private, intime Klage an. Nicht das sprechende Ich hat einen persönlichen »Verlust« erlitten, sondern »das gelehrte Deutschland«, zu dem jenes sich zählt und das deshalb öffentlich seine Trauer über das Ableben des »seltnen Manne[s]« bekundet. 81 Natürlich »darf«, wie es in der Forschung zur Gattung einmal heißt, sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im Nachruf viel eher als in der Zeit davor »[s]ubjektive Betroffenheit [...] jetzt aussprechen«. 82 Meistens freilich ist dies unter den gegebenen neuen Entstehungsbedingungen für Nekrologe viel weniger der Fall denn je zuvor.
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81 82
Vgl. ζ. B. Horn, Trauer, 1998, S. 49: »Der barocke Text beansprucht, Trauer und Klage als Erregung von Affekten zu vollziehen, die man nicht hat [...]. Der barocke Text versteht sich nicht als Ausdruck gegebener Gefühle der Trauernden [...]. Als Affekt unterliegt Trauer und ihre rhetorische Elaboration im Barock keinem Kriterium der Authentizität [...].« All dies ist in solcher Pauschalität völlig unhaltbar. Lessing/Herder/2, S. 33; vgl. ähnlich Lessing/Plümicke. Hay, Nachwort, 1984, S. 457.
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11. Kotzebue oder: Der vormärzliche Nachruf als Propagandainstrument
11.1. Politisierung eines Mordfalles durch den Nachruf Der gewaltsame Tod des Schriftstellers und Publizisten August von Kotzebue (1761—1819)1 ist immer wieder gerne der erste politische Mord in Deutschland genannt worden. Diese Bezeichnung hat insofern ihr gutes Recht, als die blutige Tat des Theologiestudenten und Burschenschaftlers Karl Ludwig Sand (1795-1820) vorrangig dem reaktionären politischen Journalisten und Propagandisten wie auch dem vorgeblichen Agenten und Spion in russischen Diensten und weniger dem Dramatiker und Belletristen galt. Die politische Dimension des Kriminalfalles lag freilich nicht allein in der Motivation des Mörders für seine Handlung, sondern auch in ihren eminenten, weit über die einzelne verbrecherische Handlung hinausgehenden Konsequenzen, die durchaus das Epitheton >historisch< verdienen, nämlich die Karlsbader Beschlüsse und die sogenannten Demagogenverfolgungen. In Nachrufen pflegt dem Ableben von zu Lebzeiten hochkanonisierten Schriftstellern gerne eine einschneidende oder epochemachende Bedeutung zugemessen zu werden (vgl. beispielsweise 12.2.), und genau eine solche sollte der Fall Kotzebue während der auf den Mordanschlag folgenden Monate auch erhalten, wobei freilich keiner der Zeitgenossen behauptete, der Tod dieses Schriftstellers markiere eine Zäsur in literarhistorischer Hinsicht. Jedenfalls provozierten die blutigen Mannheimer Geschehnisse vom 23. März 1819 ebenso vielfältige wie ausführliche und umfangreiche öffentliche Reaktionen, zuerst einmal in der Tagespresse.2 Auf die ersten Todesmeldungen3 folgten eingehende Berichte über das Sterben Kotzebues,4 die näheren Umstände des Mordes5 und die
1
2
3 4 5
Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf Kotzebue in 14.1.15. - Vgl. zu Kotzebue zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 6, S. 509f. (Sabine Lorenz); Stock, Kotzebue, 1977; vgl. zu Kotzebue ferner Kaeding, Kotzebue, 1985; Kotzebue, Kotzebue, 1881; Maurer, Kotzebue, 1979; Stock, Kotzebue, 1971; Varckmin, Blatt, 1869; zum >Fall Kotzebue< vgl. zusammenfassend Brückner, Bewahre, 1975; Schulz, Literatur, 1989, S. 119-128. - Vgl. zu den heftigen Polemiken um Kotzebue zu Lebzeiten z.B. Weiß, Critik, 1990. Exemplarisch wurden die Allgemeine Zeitung (Augsburg) und der Schwäbische Merkur (Stuttgart) gesichtet. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/21; Kotzebue/Anonym/22. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/5. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/12; Kotzebue/Anonym/13.
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diversen publiken Reaktionen darauf, 6 ferner Nachrichten über die Beerdigung des Schriftstellers, 7 über den Stand der polizeilichen Ermittlungen, 8 über den gesundheitlichen Zustand Sands, der ja nach dem Attentat einen zweiten Dolch gegen sich selbst, allerdings mit geringerem >Erfolg< als bei seinem Opfer, gerichtet hatte, 9 sowie Artikel über dessen frühere Lebensumstände 10 und nicht zuletzt der Abdruck eines Abschiedsbriefes an seine Verwandten." Als Medium für umfassende nekrologische Würdigungen in Prosa (vgl. 10.2.) standen freilich die deutschsprachigen Zeitungen im Falle von Kotzebues Ableben und auch allgemein um 1820 noch nicht zur Verfügung - der Wechsel dieses Genres des Nachrufs von den literarischen Periodika in die Tagespresse erfolgte erst einige Dekaden später, insbesondere nach der Einrichtung des Feuilletons. Ebensowenig war hier Raum für eingehendere redaktionelle Analysen, Wertungen und Kommentare, abgesehen davon natürlich, daß der Mord selbst in der Berichterstattung als >schrecklich< oder >entsetzlich< attribuiert erschien. Allenfalls wurden wichtige Stellungnahmen Außenstehender in den Blättern zitiert, die allerdings in ihrer Auswahl nicht unbedingt eine parteiliche Positionierung eines Organs erkennen ließen. 12 Als Forum für die politische, die kontroversielle Auseinandersetzung um das Attentat wurde neben der literarischen Zeitschrift, die allerdings in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden soll (vgl. 12.4.4. und 12.4.5.), vor allem die selbständige Publikation genutzt. So erschienen in Buchform - manchmal nicht ganz unparteiliche - Dokumenten- und Urkundensammlungen zum Fall, zum Beispiel die im Auftrag des Großherzogs von Baden herausgegebene Vollständige Uebersicht der gegen Carl Ludwig Sand, wegen Meuchelmordes, verübt an dem K. Russischen Staatsrath v. Kotzebue, geführten Untersuchung [...] Aus den Originalakten,13 Solche Veröffentlichungen sind für die Geschichte des Nachrufs natürlich ebensowenig repräsentativ und in ihrer Entstehung der Spezifik des Einzelfalles ebenso verhaftet wie etwa ein Band mit den fiktiven Briefen des Erdolchten aus dem Jenseits, in welchem er seine Rezensionstätigkeit fortsetzt und gar noch über die Begegnung mit seinem ebenfalls im Himmel eingetroffenen Mörder berichtet. 14 Weitaus größere Rezipientenkreise dürfte jedoch das Medium der wenige Seiten bis einige Bogen umfassenden Flugschrift erreicht haben, in dem ja auch traditionell
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13 14
Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/14; Kotzebue/Anonym/15. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/9. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/8. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/6; Kotzebue/Anonym/7. Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/10; Kotzebue/Anonym/11. Vgl. Kotzebue/Sand. Vgl. ζ. B. in der Allgemeinen Zeitung Kotzebue/Anonym/1 (Abdruck einer Stellungnahme zu Kotzebues Tod mit einer Verteidigung der deutschen Universitäten) und Kotzebue/ Anonym/2 (Abdruck einer Stellungnahme zu dem Fall mit der Forderung nach strengen Sanktionen gegen den politischen Hintergrund des Attentats, auch gegen die deutschen Universitäten). Kotzebue/Hohnhorst; vgl. auch Kotzebue/Anonym/19. Vgl. Kotzebue/Müllner, hier S. 70f.
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unterschiedliche Formen und Genres des Nachrufs ihre Verbreitung gefunden hatten. Es erschienen Broschüren, in denen die Biographie am Faden der Chronologie des Lebens des Verstorbenen aufgerollt 15 oder seine schriftstellerischen Leistungen in unterschiedlichen literarischen Gattungen bewertet wurden, 16 Heftchen mit Totengesprächen zwischen dem Erstochenen und seinem Mörder,17 mit einem fiktiven Dialog zum Thema zwischen zwei Juden, 18 mit dem Abdruck von Schulreden aus Anlaß des Kriminalfalles 19 oder mit Text und Regieanweisungen zu einer Inszenierung der Ermordung Kotzebues, der Festnahme Sands und schließlich seiner Hinrichtung in einer während jener Jahre sehr beliebten dramatischen Darstellungsform, den sogenannten lebenden Tableaux.20 Welche Form des Nachrufs die Autoren hierbei freilich wählten, fast immer vermischten sich bei der publiken Beschäftigung mit dem vorliegenden besonderen Fall die Traditionen des Nachrufs hier und einer gänzlich anderen Spielart des Mediums dort, nämlich der politischen Streit-, der polemischen Kampfschrift oder gar des Pasquills einschließlich der in diesen Genres üblichen Repliken, Entgegnungen und Widerlegungen.21 In den meisten der Broschüren, die dem gewaltsamen Abschied Kotzebues von dieser Welt gewidmet sind, werden nämlich, rhetorisch häufig außerordentlich geschickt gestaltet, klare argumentative Ziele in Richtung auf die Durchsetzung einer bestimmten Deutung der Geschehnisse bei den Rezipienten und somit im weiteren Sinne auch ihrer Gewinnung für eine spezifische ideologische Position verfolgt, anders gesagt, diese Texte stehen im Dienste von Propaganda. Der Nachruf mutiert zum Mittel der politischen Auseinandersetzung. Zu den zentralen, extrem kontroversiell diskutierten Aspekten der Auseinandersetzungen um den Mord zählt dabei die Frage, ob Sand als Einzeltäter, als Mitglied einer kleinen, revolutionären politischen Gruppe oder vielleicht gar als Werkzeug einer größeren, umstürzlerischen Konföderation gehandelt habe. Republikanisch gesinnte Publizisten vertraten - verständlicherweise - mit größter Vehemenz die erstere These. Die einen verwiesen noch weitgehend sachlich darauf, daß eine Verschwörung nicht aktenmäßig belegt sei,22 die anderen verbannten eine solche bereits in schärferem Ton in das Reich der Phantasie,23 und die Dritten desavouierten die »[T]räum[e ...] von geheimen Verbindungen deutscher literarischer Schriftsteller, die auf den Umsturz der bestehenden Verfassungen abzwecken sollen«,24 als bösartige Verleumdungen, die gezielt durch die »aristokratische
15 16 17 18 19 20 21 22 23
24
Vgl. z.B. Kotzebue/Anonym/4; Kotzebue/Anonym/23. Vgl. z.B. Kotzebue/Becker. Vgl. Kotzebue/Anonym/16; Kotzebue/Anonym/17. Vgl. Kotzebue/Anonym/18. Vgl. Kotzebue/Anton. Vgl. Kotzebue/Hiepe. Vgl. z.B. Kotzebue/Luettwitz, eine Replik auf Kotzebue/Steffens. Vgl. z.B. Kotzebue/Becker, S. 28f. Vgl. z.B. Kotzebue/Lehmann, S. 22; vgl. auch z.B. Kotzebue/Marees, S. 19, wo die Gefahren, die dem Staatswesen von den Universitäten und den Burschenschaften drohen, mit »Spanische[n] Windmühlen« verglichen werden. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. IV.
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Partei« in Umlauf gebracht würden. 25 Letztere wiederum, genauer gesagt, einige ihrer schriftstellernden Vertreter, verwahrte sich - hier lag ein weiterer entscheidender Streitpunkt - vehement gegen die Behauptung, Kotzebue sei ein bezahlter Agent des russischen Zaren gewesen. 26 Infame Unterstellungen, bösartige Übertreibungen, gegenseitige Herabsetzungen und Diffamierungen, gesuchte Mißverständnisse der Äußerungen der jeweils anderen Seite, Verschwörungstheorien und Spionagevorwürfe und all das nicht selten unter dem heuchlerischen Schein vorgetragen, »frei von aller Partheilichkeit« zu sein 27 - dies waren die wichtigsten Gedankenfiguren und Stereotype, mit denen die Autoren der nekrologischen Flugschriften ihr Publikum zu beeinflussen und zu gewinnen suchten. Im folgenden sollen einige dieser Texte in ihrer Argumentationstechnik und ihren ideologischen Zielen als Beispiele für den politisch-propagandistisch instrumentalisierten Nachruf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas genauer betrachtet werden. Als besonders geeignet für eine Gegenüberstellung der divergierenden Positionen zu dem Kriminalfall und für die Vermittlung seiner Hintergründe an die Öffentlichkeit scheint sich auf den ersten Blick ein bereits kurz erwähntes Gespräch im Reiche der Todten zwischen August von Kotzebue und Karl Sand anzubieten, 28 das in einer zweiten Auflage noch durch den Abdruck der von diesem »auf dem Blutgerüste gehaltenen Abschiedsrede« ergänzt wurde. 29 Die Broschüre bietet freilich, anders als in der Tradition des Genres üblich, nicht einfach den schlichten, unkommentierten Dialog der beiden Verstorbenen im Jenseits, sondern hebt mit einer längeren, zu dem folgenden Gespräch hinführenden Einleitung an. Die Argumentationsstrategie wird rasch klar. Der Mord als Mittel der politischen Auseinandersetzung wird strikt verurteilt und gleichzeitig um Verständnis für die Tat und den Täter geworben. Es sei bei solchen Fällen stets sehr wichtig, »die Absicht der Tat des Mörders richtig zu fassen«. 30 Sand habe im »Jnteresse Teutoniens« zu handeln vermeint und »nicht aus Privatrache« gehandelt, somit sei der »an Kotzebue'n verübte Mord kein gewöhnlicher« gewesen, und außerdem habe der Verbrecher »versichert«, daß er des Hingestreckten »Familie bedaure«. 31 Mit diesen programmatischen Präliminarien sind bereits viele Vorentscheidungen für den anstehenden Dialog getroffen, und der erste visuelle Eindruck beim Blättern in dem Heftchen, daß nämlich Sand sehr viel mehr an Raum für seine Ausführungen eingestanden wird als Kotzebue, verwundert nun nicht mehr. Der Mörder eröffnet seinen ersten Redebeitrag mit ungefähr den Argumenten, die er auch nach der Tat zu seiner Verteidigung vorgebracht hatte, daß er ein Opfer für die Nation habe bringen wollen, im Namen der Freiheit gehandelt habe etc. 32 Hier-
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Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. 41. Vgl. z.B. Kotzebue/Ackermann, S. 25f. Kotzebue/Anton, S. 3. Kotzebue/Anonym/16. Kotzebue/Anonym/17. Kotzebue/Anonym/17, S. 18. Kotzebue/Anonym/17, S. 11 und 19. Vgl. Kotzebue/Anonym/17, S. 24 und 26.
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auf erweitert er seinen Blick von den Motiven für den Mord zur aktuellen Situation Deutschlands als Rahmenbedingung desselben und gerät dabei nach und nach in einen politischen Eifer. Er erinnert an die Teuerung und die ungenügenden Maßnahmen der »Regenten« dagegen, an die Zoll- und Mautgrenzen, verlangt die Einheit Deutschlands, beklagt, daß den Bürgern »der harmlose Genuß des Lebens fortdauernd vergällt wird« und daß die »Ursache« aller gegenwärtigen »Uebel [...] in den Regierungen gesucht werden« müßte. 33 Nun schwenkt er auf die Rolle Kotzebues innerhalb der momentanen politischen Situation als Sprachrohr und Propagandist der reaktionären Kräfte über. Dieser habe so »unerwiesene und erbitternde Behauptungen« in seinen Publikationen aufgestellt, daß er sich dessen »Entfernung [ge]wünscht« habe. 34 Allerdings verurteile er jetzt die Wahl der Mittel zu diesem Zweck und verdammt die Selbstjustiz, weil die Jurisdiktion den Gerichten überlassen bleiben müsse.35 Freilich schränkt er dieses Zugeständnis sofort wieder ein, indem er festhält, daß das von ihm gerächte Verbrechen eben staatlicherseits nicht verfolgt werde: Sie [sc. die >Vorsteher der Gesellschaft^ strafen wohl den Bürger, der einem andern Etwas entwendet hat, sie lassen den hinrichten, der einem andern das Leben nahm; Aber die bösen Rathgeber, die durch ihre Vorschläge und Anordnungen ganze Familien um das Jhrige bringen, und ihnen einen langsamen Tod durch die verursachte Noth und durch herzzermalmenden Kummer bereiten, gehören nun einmal nicht vor ihren Richterstuhl, weil sie sich keines Dolchs bedienten, und kein Blut vergossen.36
Damit erscheint der Ermordete indirekt zu einem menschenschinderischen Demagogen übelster Sorte gestempelt und Sands Tat bis zu einem gewissen Grade als Ausgleich der Defizite der Gerichtsbarkeit »nicht unbegreiflich«.37 Kotzebue nun setzt nicht einmal zu einer Verteidigung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe an, sondern räumt offen ein, daß er »ein Feind [sjeines Vaterlandes gewesen« sei und »die Menschenrechte nicht geschützt« habe. Mithin erkennt das Opfer die Berechtigung der Motive des Täters für dessen kriminelle Handlung an. Der Entleibte gibt lediglich einschränkend zu bedenken, daß der Mord ihn der Möglichkeit, noch im irdischen Leben »[s]eine Einsichten [zu] berichtigen, [s]eine Fehler und Thorheiten [zu] verbessern, manches Böse wieder gut [zu] machen«, beraubt habe. Außerdem habe sich Sand »eine übertriebene Vorstellung von [s]einer Schlechtheit und von [s]einem Einflüsse auf das Wohl [s]einer Landsleute gemacht«. 38 Der Gesprächspartner zeigt sich jedoch mit diesem so überaus konzilianten Vorschlag zur Einigung keineswegs einverstanden und hält seinem Opfer katalogartig, gegen dessen Versuch, nicht vor sich und allen anderen als vollendeter Schurke dazustehen, eine lange Liste charakterlicher Fehler und menschlicher Schwächen vor. So wirft Sand seinem Ge-
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Kotzebue/Anonym/17, Kotzebue/Anonym/17, Kotzebue/Anony m/17, Kotzebue/Anonym/17, Kotzebue/Anonym/17, Kotzebue/Anony m/17,
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S. S. S. S. S. S.
26-29. 30-32. 32-34. 34. 34. 38f.
genüber unter anderem dessen »Schmeichelei gegen die Großen« an den Kopf, »deren Gunst« er sich »selbst auf den Trümmern des Glücks Anderer, zu verschaffen« gestrebt habe, er tadelt seinen »unruhigefn] Geist«, seine »Selbstsucht« und seine »Unbeständigkeit«. Das von Kotzebue verantwortete Literarische Wochenblatt (1818-1819) schließlich habe mit den darin ausgesprochenen falschen Verdächtigungen hinsichtlich einer anstehenden Revolution in Deutschland und wegen der Anschwärzung vieler Personen großen Haß gegen seinen Herausgeber erregt. 39 Der solchermaßen Angegriffene macht hierauf einen erneuten, weiteren Rückzieher, gesteht reumütig ein, daß er sich in den »nahmhaft gemachten Fällen vergangen« und »geirrt« habe, und versucht daraufhin, seinem vergangenen Leben einen letzten Funken ethischer Integrität und in einem einzigen Punkt moralische Überlegenheit gegenüber dem Dialogpartner zu verleihen, indem er darauf verweist, daß er keinen Mord verübt und auch niemanden zu einem solchen angestiftet habe. Darüber hinaus bittet er Sand mit dem äußerst schwachen Argument um eine Beendigung des Gesprächs, daß dasselbe für »beide keine Quelle der Freude« darstelle. 40 Auf letzteren Wunsch läßt sich Sand in seiner Replik erst gar nicht ein und setzt stattdessen dazu an, auch Kotzebues letzte Verteidigungsbastion zu stürmen, indem er ihm unterstellt, durch seine publizistische Tätigkeit viele Menschen indirekt in Elend, ja sogar ins Grab gebracht zu haben: Viele morden oft, und weit schrecklicher, nur langsam, ohne Dolch, und ohne Blut zu vergießen, ohne Strang und ohne Gift, unbemerkt, und ohne von der Obrigkeit dafür mit dem Tode bestraft zu werden. Oder morden die Menschen nicht, wenn sie sich [... ] durch boshafte Satire, durch hirnloses Geschwätz, durch schändliche Verläumdung, durch Zank und Streit, durch Betrug und Schadenfreude das Leben verbittern, die Ruhe des Gemüths untergraben und den Freudegenuß zertrümmern?41
Auf diese Anschuldigungen hin gibt sich Kotzebue endlich geschlagen, lenkt auf die Position seines Gesprächspartners ein, und nun wird auch sein Wunsch nach einer Beendigung der für ihn so unerquicklichen Unterhaltung erfüllt. Der Text ist ein bemerkenswertes Zeugnis für die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Ermordung des russischen Staatsrates. Das Genre des Totengesprächs erlaubte es, die beiden wichtigsten Protagonisten des Kriminalfalles selbst zu Wort kommen und in der gemeinsamen Diskussion ihre konkurrierenden Positionen fiktiv vortragen zu lassen. Daß Kotzebue dabei sukzessive den von Sand präsentierten Argumenten weichen und sich sozusagen selbst all der Verfehlungen, um derentwillen er umgebracht worden war, anklagen muß, war ein brillanter rhetorischer Trick des - gewiß mit guten Gründen - anonym gebliebenen Verfassers. Seinen Höhe- und gleichzeitig Schlußpunkt erreicht der Text, wenn die Tatsachen und Verhältnisse in dem Kriminalfall letztlich auf den Kopf gestellt erscheinen. Während Sands Tat aus allen nur erdenklichen Perspektiven beleuchtet und somit auch verständlich gemacht,
39 40 41
Kotzebue/Anonym/17, S. 40f. Kotzebue/Anonym/17, S.43f. Kotzebue/Anonym/17, S. 45.
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der Student als einer aus der Mitte eines verratenen, betrogenen, verkauften Volkes vorgestellt worden ist, steht Kotzebue plötzlich als Mörder - und zwar als vielfacher! - da. Das Fazit des Totengesprächs ist demnach eine Umkehrung der Rollen von Täter und Opfer. Die besondere Attraktivität, die das Totengespräch im 18. Jahrhundert gegenüber älteren Formen des Nachrufs ausgezeichnet hatte, die Möglichkeit einer unparteiischen Gegenüberstellung konkurrierender normativer oder ideologischer Positionen oder auch Deutungen eines bestimmten Geschehens (vgl. 7.5.), erscheint beim vorliegenden Text gänzlich verlorengegangen. Hinsichtlich der Argumentationstechnik verläuft der Dialog von Anfang an völlig asymmetrisch. Dieser Verlust an Polyperspektivität ist seinerseits Konsequenz der massiven politischen Instrumentalisierung des Nachrufs. Der Nekrolog ist zur Kampfschrift geworden. Das vorliegende Totengespräch stellt freilich unter den als Broschüren gedruckten Publikationen zu Kotzebues Ermordung keine Ausnahme dar, vielmehr bestätigt es eher die Regel, ja es bleibt in seiner propagandistischen Zielrichtung und in seiner Gestaltung sogar noch hinter der verbalen Aggressivität und der politischen Schärfe mancher anderer Texte zurück. Hier sei aus denjenigen öffentlichen Reaktionen auf den Mord, die klare republikanisch-progressive Tendenzen erkennen lassen, nur eine einzige beispielhaft zitiert. Bei den Betrachtungen eines Gottlieb Wahrmund - hinter dem offenkundigen Pseudonym verbarg sich der Bamberger Schriftsteller und Bibliothekar Joachim Heinrich Jäck (1777-1847) 42 - handelt es sich um eine Streitschrift über die unheilige Allianz von katholischer Kirche, Ex-Jesuiten, Adel und reaktionären Kräften zur Unterdrückung des deutschen Volkes. Der Text kulminiert in einer Denunziation Kotzebues als Büttel der überkommenen Herrschaftsverhältnisse, denen die hehren Ideale und Gesinnungen Sands gegenübergestellt werden. 43 Anläßlich dieser Apologie des mörderischen Theologiestudenten schwang sich Jäck dann gar zu Betrachtungen allgemeinerer politischer, teils auch prognostisch-utopischer Natur wie der folgenden auf: Die Zeit der das Mark der Völker durch Nichtsthun verprassenden Ultra ist vorüber - der Geist der Gleichheit vor dem Gesetze ist zu tief in alle Zeitgenossen eingedrungen, als daß er durch despotische Maßregeln der geheimen Polizey daraus wieder verdrängt werden könnte. Nur ein zeitgemäßes Benehmen der Ober- und Unterbehörden gegen alle Untergebenen kann Ruhe und Ordnung in Deutschland erhalten und befestigen. 44
Damit hatte sich der Nachruf endgültig in ein Pamphlet verwandelt, in welchem die Würdigung eines soeben Verstorbenen durch die politische Parole ersetzt wurde. Freilich war die gegnerische Partei in den öffentlichen Zwistigkeiten um das Mannheimer Attentat bei der Wahl ihrer propagandistischen Mittel kein bißchen feiner. Als charakteristisches Beispiel dafür soll im folgenden die Broschüre An die deutsche Jugend [...] Ueber der Leiche des ermordeten August von Kotzebue, für
42 43 44
Vgl. zu Jäck DBA Folge 1, Nr. 595, Bl. 389-416 und Folge 2, Nr. 643, Bl. 3 8 5 ^ 2 0 . Vgl. Kotzebue/Jäck, S. 83-95. Vgl. Kotzebue/Jäck, S. 89f.
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die der konservative Politiker und Ökonom Georg Philipp Ludolph von Beckedorff (1778-1858) 4 5 verantwortlich zeichnete, kurz gesichtet werden. Der Text beginnt mit einer geradezu stakkatoartigen Folge von Frage- und Ausrufesätzen, in denen sich sowohl die Entrüstung über den Mord deutlich Ausdruck verschafft als auch offenkundig mittels der rhetorisch brillanten Gestaltung die Emotionen des lesenden Publikums empört werden sollen. Perfiderweise spielte der Autor hierbei die Widerrechtlichkeit von Sands Anschlag gegen die zentralen Schlag worte der republikanisch und progressiv orientierten politischen Kräfte aus: Jst das die Freiheit, die uns verkündigt wird? Die Freiheit in Rede und Schrift? Jst das die Gleichheit vor dem Gesetze, die so gepriesen wird? Jst das die Oeffentlichkeit alles Verfahrens, die man uns aufdringen will? Wer sind nun die Feinde des Lichtes, jene geschmäheten Finsterlinge?46
Argumentatives Ziel des folgenden Abschnitts der Schrift ist die Darlegung der bekannten These, daß Sand nicht als Einzeltäter gehandelt haben könne. Beckedorf vermeidet es dabei wohlweislich, sich an konkrete Belege zu halten - es hätte ihm daran ja gemangelt. Der Mord zeuge, so erläutert er, von einer »Gesinnung«, welche ihrerseits aber nicht von einer einzelnen, »heimlich brütenden Seele still empfangen, genährt und endlich mißgeboren«, sondern »gemeinschaftlich gewünscht, besprochen, berathen, gebilligt, gepriesen« werde, »bis endlich der Tollste, Ruchloseste oder Leichtsinnigste sich zur schändlichen Ausführung erbietet.« Somit sei der Mörder also »ausgegangen, ausgesandt« von einem »heimlichefn] Bund«, der »sich zusammengeschworen« habe. 47 Es wird allerdings sehr rasch deutlich, daß Beckedorff hierbei nicht vorrangig an eine unter und von Studenten gebildete Konföderation dachte, sondern an von Universitätslehrern unterstützte oder gar ins Leben gerufene Gruppen. Zweifellos zielte er damit auf Professoren und Dozenten als Anreger und Organisatoren der Burschenschaften wie etwa Karl Folien (1798-1840), Jakob Friedrich Fries (1773-1845) und Heinrich Luden (1778-1847). Deshalb wandte er sich nunmehr in einem direkten, dringlichen Appell an die akademische Jugend, die »Schlechten, Verachtungswürdigen, die statt göttlicher Weisheit Euch den Aberwitz ihrer ungöttlichen Vernunft bieten«, die »Euch mit Verachtung erfüll[en] gegen das Alte, das Bestehende, die Euch den bisherigen Sitten, Gewohnheiten, Einrichtungen, Gesetzen, Verfassungen [...] entfremdet« haben, zu erkennen, zu entlarven und sich von ihnen abzuwenden. 48 Trotz der drastischen Formulierungen scheint Beckedorff aber selbst nicht an die Wirksamkeit dieses Appells geglaubt zu haben. Im folgenden Abschnitt des Textes ruft er daher stattdessen nach einem Eingriff der staatlichen Ordnungsmacht:
45 46 47 48
Vgl. zu Beckedorff DBA Folge 1, Nr. 70, Bl. 140-143. Kotzebue/Beckedorff, S. 4. Kotzebue/Beckedorff, S. 6-8. Kotzebue/Beckedorff, S. 10.
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[E]s muß gehandelt werden. Und es wird gehandelt werden, das läßt sich voraus sehen. Und je eher, je übereinstimmender, je kräftiger, desto besser. Es läßt sich vermuthen, daß die deutschen Regierungen auf der Stelle ein gemeinschaftliches Verfahren vorläufig verabreden [...]. Es läßt sich ferner erwarten, daß sie sich nicht darauf beschränken werden, dieses Ereigniß nur als ein einzelnes zu betrachten und als solches [...]. Es läßt sich endlich muthmaßen, daß die Regierungen ihr Verfahren nicht allein gegen die äußem Anzeichen, die Symptome des Uebels, sondern vielmehr gegen den innern Kern und die Wurzel der Krankheit richten werden. 49
Hier wird in einer Streitschrift rigides politisches Handeln durch den Staat herbeigeredet und zugleich schon im voraus legitimiert. Es wird nicht bloß allgemein ein Einschreiten gegen die »ungeheure Gährung der letzten Jahrzehende«,50 vielmehr ganz konkret eine »geschärfte Disziplin« an den »Schulen und Universitäten«, eine strenge Untersuchung des »ganze[n] Erziehungswesen[s] Deutschlands«51 und das durch die Regierungen herbeizuführende »Verstummen« der »Elenden« gefordert, welche die Jugend »gereitzt, verlockt, verführt [...,] verwirrt und gemißbraucht und zum Frevel verleitet« hätten. 52 Am Erfolg dieser Vorschläge, deren Realisierung aus den Geschichtsbüchern ja bekannt ist, hegte Beckedorff, wie sich gegen Schluß seiner Schrift zeigt, nicht die geringsten Zweifel: Und nur unsere Stimme wird man hören, die wir das alte Recht, die alte Ordnung, die alte Gesinnung, den alten Glauben ehren, schützen, vertheidigen; die wir dem Strom verwirrender Neuerung, der Gesetzlosigkeit, der Willkühr wohlthätige Dämme entgegen bauen. 53
Damit geriet diese Auseinandersetzung mit Kotzebues gewaltsamem Ableben zu einer Vorwegnahme der Karlsbader Beschlüsse wie auch zu einer selbstbewußten Machtdemonstration der regierenden reaktionären Kräfte. Diese politische Instrumentalisierung der Gattung des Nachrufs, das propagandistische Unterfangen, vorhersehbaren staatlichen Maßnahmen ideologisch den Boden zu bereiten, war in den konservativ orientierten Reaktionen auf den Tod Kotzebues nicht die Ausnahme, sondern eher typisch. Zwei Beispiele mögen dies noch exemplarisch belegen. Schon bald nach dem Mannheimer Attentat hatte der Breslauer Schriftsteller und Naturgeschichtsprofessor Henrik Steffens (1773-1845) 54 eine Broschüre Über Kotzebue's Ermordung veröffentlicht, in der er Sands Anschlag als Tat eines Einzelnen darzustellen und demgegenüber den akademischen Lehrkörper wie auch die Studenten von jedem Verdacht umstürzlerischer Gesinnungen oder gar Pläne freizusprechen versuchte. Schließlich hatte er eindringlich die »Furcht« beschworen, »daß die deutschen Regenten sich veranlaßt finden möchten, die alte akademische Freiheit auf irgendeine Weise zu beschränken«.55 Dieser Publikation trat nun Anfang
49 50 51 52 53 54 55
Kotzebue/Beckedorff, S. 12f. Kotzebue/Beckedorff, S. 24. Kotzebue/Beckedorff, S. 13. Kotzebue/Beckedorff, S. 28. Kotzebue/Beckedorff, S. 28. Vgl. zu Steffens Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 11, S. 146-148 (Steffen Dietzsch). Kotzebue/Steffens, S. 26f.; vgl. dazu Schulz, Literatur, 1989, S. 126f.
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August 1819 56 ein hoher schlesischer Beamter namens Karl Freiherr von Luettwitz mit der Flugschrift Noch ein Wort über Kotzebue's Ermordung vehement entgegen. Der Autor zeichnete darin das Szenario einer von den deutschen Hochschulen ausgehenden Revolution 57 und leitete daraus die Forderung nach einer Reihe von politischen Maßnahmen ab, die während der folgenden Tage und Wochen tatsächlich in Karlsbad beschlossen werden sollten. Im Kern stellte Luettwitz es als »nothwendig« dar, daß »Preßfreiheit und akademische Freiheit [...] unter äußrer Gewalt der Gesetze und ihrer Vollstrecker stehen«, daß die »Fürsten [...] der akademischen Jugend [...] eine falsche gefährliche Leitung«, nämlich »manche Professoren«, welche ein »nicht zu verkennende[s]« umstürzlerisches »Bestreben« verfolgten, entziehen 58 und das »Wohl der Universitäten« stattdessen einer »wachsame[n] Leitung [...] mittelst praktischer Staatsmänner« unterstellen müßten. 59 Die konservative politische Publizistik bediente die lesende Öffentlichkeit bei ihren Reaktionen auf den Mannheimer Mordanschlag freilich nicht nur mit Rechtfertigungsgründen für die aktuellen staatlichen Zensur-, Disziplinierungs- und Verfolgungsmaßnahmen, sondern machte hierzu dem Publikum auch die entsprechende ideologische Basis vorstellig. Dies gilt etwa für das zweite angekündigte Beispiel, den Druck einer Rede des Görlitzer Rektors Karl Anton unter dem Titel Entwickelung der Jrrthümer, welche Kotzebue's Ermordung veranlaßten.60 Neben einer Untersuchung der angeblichen Motive Sands, der Spionagevorwürfe gegen den Entleibten und anderer Fragen, die nach dem Attentat immer wieder publik erörtert wurden, widmete sich der Lehrer in seiner Oratorie insbesondere der Desavouierung der progressiven politischen Position, welche den ideologischen Hintergrund des Attentats gebildet hatte. Geschickt spielte er dabei Alter gegen Jugend, wohlerprobte Tradition gegen Veränderungssucht, erfahrungsgesättigte Klugheit gegen idealistische Unreife aus, kurz, er projizierte ein Lehrer-Schüler-Verhältnis in die Opfer-Täter-Relation und stilisierte damit den Mord zu einer ungeheuerlichen Auflehnung eines kleinen, unerwachsenen Alumnen gegen seinen Meister. Kotzebue nämlich, so hielt Anton fest, sei ein »erfahrner Weltmann« gewesen und habe für eine politische Position gestanden, bei de[r] sich, mancher Mängel ungeachtet, unsre Vorfahren nicht so gar übel befunden haben, während der unerfahme, mit vorschneller Raschheit alles, was ihm gut dünkte, ergreifende Jüngling eine Ordnung der Dinge wünschte, die in der Vorstellung nicht unzweckmäßig erscheinen mag, aber in der Ausführung bei der Unvollkommenheit unseres Geschlechts unmöglich seyn dürfte. Er [sc. Sand] scheint nach einer Freiheit gerungen zu haben, die nur in einem Verein von lauter edeln Menschen Statt finden kann [...]. 61
56 57 58 59 60 61
Vgl. Kotzebue/Luettwitz, Vgl. Kotzebue/Luettwitz, Vgl. Kotzebue/Luettwitz, Vgl. Kotzebue/Luettwitz, Kotzebue/Anton. Kotzebue/Anton, S. 13.
S. S. S. S.
3, Datierung der Vorrede an Steffens auf den 03.08.1819. 10. 18. 25.
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Gerade in dieser arroganten Schulmeisterlichkeit und scheinbar verständnisvollen Herablassung geriet Antons oratorischer Nachruf auf Kotzebue zu einer reinen Propagandarede für die herrschenden, reaktionären politischen Kräfte, welche die »überspannten Äußerungen und Wünsche« 62 der republikanischen und liberalen Oppositionsgruppen mit allen Mitteln, und damit auch literarischen, zu bekämpfen suchten.
11.2. Die nekrologische Moritat Natürlich hat es sich bei den bisher hier gesichteten und analysierten Reaktionen auf die Ermordung des russischen Staatsrates um im weitesten Sinne akademische Diskussionen gehandelt, also öffentliche Auseinandersetzungen in Medien respektive auf einem Argumentationsniveau, welche sich an einem gebildeten bürgerlichen Publikum orientierten. Selbstverständlich fand der spektakuläre Mordfall aber auch Resonanz in populären Literaturgattungen, genauer gesagt, der Tod Kotzebues wurde geradezu zwingend zum Gegenstand von Moritaten, und der Erdolchte gehört damit zu einem der wenigen deutschsprachigen Schriftsteller, deren Ableben von Bänkelsängern in der breiteren Bevölkerung bekanntgemacht wurde. 63 Freilich ist die Überlieferungslage bei diesen nicht in allen Fällen auch durch den Druck vervielfältigten und von den Bibliothekaren späterer Generationen geringgeschätzten Texten außerordentlich problematisch, und daher soll hier nur ein einziges einschlägiges Erzeugnis aus Privatbesitz kurz beleuchtet werden. 64 Der Zweiblattdruck Auf den Tod des Herrn August von Kotzebue, hergestellt und vertrieben vom Wiener Verlag Ludwig Mausberger ohne Angabe eines Autornamens, enthält ein acht Strophen umfassendes Gedicht, das, wie das Titelblatt mitteilt, nach der Melodie »Schwermuthsvoll und dumpfig hal[l]t's Geläute« zu singen ist.65 Die jeweils acht Verse umfassenden Strophen sind durchgängig - allerdings häufig unrein - kreuzgereimt, als Versfuß liegt ihnen bei manchen Holprigkeiten ein fünfhebiger, behäbig-schicksalsschwerer und durch die stets männlichen Kadenzen etwas klappernder Trochäus zugrunde, der im jeweils letzten Vers einer Strophe bedeutungsvoll auf vier Hebungen verkürzt erscheint. Die Moritat beginnt effektvoll mit einem ebenso überschwenglichen wie umfassenden Lob des Verstorbenen, welches sodann durch die überraschende Mitteilung seines gewaltsamen Todes unterbrochen wird:
62 63
64
65
Kotzebue/Anton, S. 13. Vgl. zusammenfassend zu Bänkelsang und Moritat Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 13, S. 72f. (Karl Riha: Bänkelsang); Weimar, Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 190-192 (Wolfgang Braungart: Bänkelsang); vgl. ferner u.a. Petzoldt, Bänkelsang, 1974; Riedel, Bänkelsang, 1963; Riha, Moritat, 1979; Zimmermann, Lechzend, 1972. Vgl. ferner Moritaten über den Mörder Sand in einschlägigen Sammlungen von Texten dieses Genres: Anonym: Ludwig Sands letzte Stunde. Abschieds Lied an seine Geliebte. In: Meysels, Moritaten, 1962, S. 76f. Anonym: Ludwig Sands letzte Stunde. In: MüllerWaldeck, Braut, 1984, S. 138. Kotzebue/Anonym/3.
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Matt, elegisch tönen meine Saiten, Wenn es von dem großen Manne singt, Dessen Feder auch in unsem Zeiten Jn das Menschenherz belehrend dringt. Er, der so viel schrieb, die Herzen rührte, Menschenfreund und Gatte, Vater war, Manchen auf die Tugendbahne führte, Wurde nun gemordet gar.66
Dieser strahlend idealen Gestalt erscheint nun Sand als »Bösewicht« gegenübergestellt, der im »Wahnsinn« sein Opfer entleibt habe. Freilich wird die »That« damit keineswegs unter Rekurs auf mangelnde Zurechnungsfähigkeit entschuldigt, vielmehr wird mit diesem Wort auf die reifliche Vorbereitung (»Sand entschloß sich lange, ihn zu tödten«) und die politischen Motive des Mordes (»[n]ur aus Meinung und Partheyenwuth« sei derselbe erfolgt) abgestellt. Die ideologische Position des Täters bleibt zwar im Dunkeln, wird aber scharf als »[f]alsche Meinung« und als »schlechte Sache« abqualifiziert. 67 Der Kriminalfall selbst wird im Gegensatz zu anderen Moritaten nicht im einzelnen erzählt, stattdessen folgt ein neuerliches, noch detaillierteres Lob des verstorbenen Autors und seiner dramatischen Werke, um dann in eine abschließende Aufzählung der um den Erdolchten Klagenden - von den Kindern über das Theaterpublikum bis hin zum russischen Zaren einen Musenanruf und die Prophezeiung ewigen Ruhmes zu münden. 68 Keiner ausführlicheren Erörterung bedarf die Feststellung, daß extreme Simplifizierung und Komplexitätsreduktion zentrale Strategien der literarischen Verarbeitung des faktischen Geschehens in diesem Text bilden. Hier braucht etwa nur kurz an die unscharfe Personencharakterisierung, die stark überzeichnete Kontrastierung von Gut und Böse, die völlig unzulängliche Darstellung der Motive des Täters, die gänzliche Ausblendung der Rolle Dritter und des gesellschaftlichen Kontextes erinnert zu werden. Wichtiger jedoch ist, daß das Gedicht im Verzicht auf eine Benennung der ideologischen Hintergründe der Tat keineswegs unpolitisch ist. Denn auf der einen Seite führt die Moritat dem Publikum die schrecklichen Konsequenzen von »falschen Meinungen< und >Parteienwut< vor Augen, und dies impliziert bereits den Appell an die Rezipienten, auf politisches Engagement zu verzichten. Der Nachruf propagiert in diesem Sinne einen regimekonformen und systemstabilisierenden Rückzug in die Privatheit. Andererseits wird mit dem Text eine eindeutig reaktionäre Ästhetik transportiert. An die in die zitierte Strophe eingegangenen Konzepte einer vor allem sentimentalisch emotionalisierenden und ethische Normen vermittelnden Literatur sei erinnert. Sie werden im späteren Lob des Theaterdichters Kotzebue nochmals aufgegriffen. Seine »Werke« hätten »die Herzen eng vereint«, er habe die »Menschen stets zu treffen« gewußt, zu »thränen« und »lachen« bewogen, »Lehren« wie auch
66 67 68
Kotzebue/Anonym/3, S. 3. Kotzebue/Anonym/3, S. 4f. Vgl. Kotzebue/Anonym/3, S. 5-8.
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»Lust« habe man aus seinem »Drama« zu saugen vermocht.69 Er habe, so wird dieses gesellschaftskritik- und politikferne poetologische Programm nochmals wiederholt, »gerühret«, »gefallen«, »ergötzet«, sei »der Menschen Lust und Tugendweiser« gewesen. 70 Hier wird in einem popularliterarischen Nekrolog diejenige Kunst gepriesen, welche die Aufmerksamkeit des Publikums von einem Interesse für die aktuellen Herrschaftsverhältnisse und den ideologischen Streit darum möglichst abzieht. Insofern entspricht auch der Schluß dieses Textes wiederum ganz den in der Gattung gängigen Usancen. Die durch das Attentat Sands vorübergehend bedrohte Ordnung der vormärzlichen Welt erscheint in der sicheren Erwartung des ewigen literarischen Ruhmes Kotzebues und seiner politikfernen und den Machterhalt der reaktionären Regierungen begünstigenden Bühnenwerke wiederhergestellt.
11.3. Formen und Strategien der Totenschmähung Die Geschichte des Nekrologs ist, wenn man sie einmal genau und ohne die eingefahrenen Vorurteile betrachtet, eine Geschichte der unausgesetzten subtilen Hintergehung der gattungskonstitutiven Maxime De mortuis nil nisi bene (vgl. 4.5., 7.2. und 12.3.). Mehr noch: Die Regel, daß Verblaßten nichts Böses in die Grube nachgerufen werden solle, wurde und wird immer wieder geradezu systematisch unterlaufen, doch auch die weit über solche eingeschränkten oder kritisch akzentuierten Würdigungen eines soeben Verstorbenen hinausgehende Schmähung des Andenkens eines Menschen läßt sich in bestimmten Fällen beobachten - an Ulrich von Hutten sei beispielhaft erinnert (vgl. 2.1.) - , und August von Kotzebue gehört ebenfalls zu dieser Gruppe. Auffällig an den öffentlichen Reaktionen auf die Ermordung des russischen Staatsrates erscheint zuerst einmal, daß kaum eine von ihnen den Verstorbenen in einem ausschließlich hellen Licht präsentiert. Selbst die beinahe apologetischen Nachrufe zeichnen kein gänzlich positives Bild des Verstorbenen. Eine in Mannheim kurz nach dem Attentat anonym publizierte biographische Skizze zu Kotzebues Leben, Wirken und tragische[m] Ende beispielsweise ist voll des größten Lobes für seine schriftstellerische Produktion wie auch seine herausragenden Geistesgaben und seine menschliche Integrität. Allein die unschöne Affäre um sein Pamphlet Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirn (1790) bleibt in der Darstellung nicht unerwähnt und wird unzweideutig als »Flecken in seinem literarischen, ja selbst sittlichen Charakter« getadelt, wenn auch durch die Behauptung eingeschränkt, Kotzebue habe in späteren Lebensjahren »bittere Reue« über diese Publikation und sein Verhalten in den heftigen Auseinandersetzungen um die Lüftung seiner Verfasserschaft empfunden. 71
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Kotzebue/Anonym/3, S. 5. Kotzebue/Anony m/3, S. 6f. Kotzebue/Anonym/4, S. 16.
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In einer anderen, im Ganzen ähnlich positiven Skizze seines Lebens und Wirkens finden sich ebenfalls einige bedeutsame Schmälerungen des Andenkens des Verstorbenen. Unter anderem habe dieser manche seiner Zeitgenossen öffentlich ridikülisiert und herabgewürdigt, »die ihm nie zu nahe getreten waren«, und deswegen habe es ihm zwangsläufig an wirklichen Freunden gefehlt; den »Großen« wiederum habe er sich durch »Schmeichelei« angedient, 72 und ob er je wirklich »Ansichten« und »Grundsätze« gehabt habe, sei doch recht zweifelhaft. 73 Völlig uneingeschränkter Tribut wird dem Erdolchten auch nicht in einer lyrischen Darstellung seines letzten Abends gezollt, die anonym in Frankfurt/Main erschien. Dabei handelt es sich trotz der zweifachen Beteuerung auf dem Titelblatt keineswegs um ein von »Unpartheilichkeit« getragenes, kein »von einem Unparteilichen« geschriebenes Trauergedicht, sondern um einen extrem tendenziösen Propagandatext mit dem Ziel der Glorifizierung des Entleibten und der kompromißlosen Disqualifizierung Sands und seines politischen Umfelds. »Nur Wahnsinn«, heißt es da etwa über die nach dem Attentat einsetzenden Diskussionen zu den Motiven des Mörders, »mogte einen Grund erdichten, I Der solcher That Entschuldigung verlieh«. 74 Dem steht ein überschwengliches Lob von Kotzebues dramatischem Schaffen und seines »[r]eich im Gebiet der Wissenschaft erfahren[en]« Geistes gegenüber, weswegen er von den »Mächtigen« zu deren »Werkzeug [... e]rkohren« worden sei. 75 Dennoch wird an einer Stelle durchaus zu erkennen gegeben, daß er nicht bloß aus »Scheelsucht« und Neid über seine glänzend begabte »Feder« vielfach öffentlich angegriffen worden sei: Er war ein Mensch und hatte große Schwächen, Ja Fehler, die die Welt nur schwer verzeiht; Ironisch sich am besten Mann zu rächen, War seine Satyrlaune gem bereit.76
Der von Kotzebue in seiner Publizistik häufig angeschlagene polemische Ton wird demnach selbst in einer beinahe hymnischen nekrologischen Lobpreisung getadelt und als Konsequenz charakterlicher Defizite gewertet. Auch die Erinnerungen eines »Jugendfreunde^]« des Ermordeten mit explizit defensorischem Programm 77 sind nicht frei von manchen Eingeständnissen von Mängeln des Verstorbenen. Derselbe sei oft ungeduldig, rasch, überstürzt bei der literarischen Arbeit gewesen 78 und habe Warnungen zur »Mäßigung seiner Ausfälle« in den Wind geschlagen. 79 Seine dramatischen Arbeiten enthielten nicht mehr »schlüpfrige Stellen« als die Schriften
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78 79
Kotzebue/Becker, S. 17f. Kotzebue/Becker, S. 27. Kotzebue/Anonym/20, S. [8]. Kotzebue/Anonym/20, S. [4]. Kotzebue/Anonym/20, S. [3]. Vgl. Kotzebue/Ackermann, S. 5: die Gegner Kotzebues hätten nur dessen Fehler, aber nicht dessen gute Seiten gekannt. Vgl. Kotzebue/Ackermann, S. 17f. Kotzebue/Ackermann, S. 6.
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anderer Autoren,80 leider jedoch seien Eigensinn, Heftigkeit und ein Hang zur Satire unleugbare Fehler des Entleibten gewesen.81 Solche teils doch recht harschen Urteile über Kotzebue, die sich immerhin in den zu seinem nekrologischen Lob respektive zu seiner Verteidigung verfaßten und veröffentlichten Texten finden, lassen bereits die unbarmherzige Schärfe der Reaktionen auf das Mannheimer Attentat von Seiten liberaler und republikanischer Autoren erahnen. Tatsächlich brach über das Mordopfer postum eine Flut von übler Nachrede, Schmähungen und Verunglimpfungen herein, die, selbst wenn sie einem noch Lebenden gegolten hätten, der sich zur Wehr dagegen hätte setzen können, die Grenzen jeder ethischen Maßregel und eines einigermaßen guten Geschmacks mehr als gesprengt haben würden. 82 Einige dieser Nachruf-Verrisse sollen im folgenden kursorisch als Beleg dafür gesichtet werden, daß die publike Auseinandersetzung mit Leben und Werk eines soeben Verstorbenen - gar eines gewaltsam Umgekommenen - unter spezifischen politischen und kulturhistorischen Bedingungen durchaus jede Rücksicht auf die Maxime De mortuis nil nisi bene vollkommen vermissen lassen kann. Zuerst einmal fielen - wie andeutungsweise bereits in den positiven und moderaten Nachrufen - die Urteile über die menschlichen und charakterlichen Eigenschaften des Verblaßten geradezu katastrophal aus. Kotzebue verdiene, so beispielhalber der republikanische Lyriker, Erzähler und Publizist Joachim Hartwig von Hundt-Radowsky (1779-1835) 83 in seiner Schrift über die Ursachen und [...] wahrscheinlichen literarischen Folgen des Anschlags für Deutschland, Kotzebue verdiene den Namen eines deutschen Voltaire wegen seiner Gewandtheit, seiner Vielseitigkeit, seines Scharfsinns, aber auch wegen seiner Eitelkeit, seiner Ruhmsucht und seiner Liebe zu Geld;84 überhaupt seien »Geld und Ruhm« stets »die Hebel seiner Handlungen« gewesen.85 In anderen Texten maß man dem Erdolchten eine »tief gewurzelte Niederträchtigkeit«86 oder das Fehlen von »Gemüth« zu. 87 Er sei ein »Verräter« und »Judas« an seinen Freunden geworden,88 und außerdem habe er mit größter Wahrscheinlichkeit den Tod seiner ersten Gattin auf dem Gewissen. 89 Vielleicht noch negativer, in der Zahl und im Umfang jedenfalls noch um einiges größer waren die abschätzigen bis vernichtenden Bewertungen des literarischen Le-
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Vgl. Kotzebue/Ackermann, S. 17f. Vgl. Kotzebue/Ackermann, S. 35. Fast singular ist unter den Nachrufen die in Kotzebue/Fouque, S. 6f. vertretene Position, daß trotz der Gegnerschaft zu Lebzeiten nach dem Tod, insbesondere dem Meuchelmord, an einem guten Andenken des Entleibten gearbeitet werden solle, vgl. dazu auch Schulz, Literatur, 1989, S. 126. Vgl. zu Hundt-Radowsky Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 6, S. 18f. (Ulrike Leuschner). Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. lf. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. 4. Kotzebue/Jäck, S. 85. Kotzebue/Schott, S. 67f. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. 14f. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. 20.
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benswerkes des Hingeschiedenen. Der Halberstädter Schriftsteller und Privatgelehrte Carl Ludwig Nicolai (1779-1819) 90 zum Beispiel prüfte in seinen interessanten Notizen über Opfer und Täter des Mannheimer Attentats die Früchte der Arbeiten des ersteren in unterschiedlichen literarischen Gattungen und gelangte dabei zu keinem besonders schmeichelhaften Ergebnis. Einigermaßen gelten ließ er nur den Lustspieldichter Kotzebue, auch wenn er hier oft bedenklich die Grenze vom Witz zum Sarkasmus überschritten sah.91 Die übrigen Werke des russischen Staatsrates jedoch fallen unerbittlicher Verdammung anheim: » A l s Historiker ist er zu breit, als Biograph zu spielend, als Kritiker [...] zu anmaßend, als Reisebeschreiber fällt er in das Romanhafte«. 92 Andere Parentatoren gingen selbst mit der Dramatik Kotzebues hart ins Gericht, dekretierten, daß er eigentlich kein einziges Theaterstück verfaßt habe, »das nach den strengen Regeln der Kritik« als »ein Meisterstück« gelten dürfe, daß deswegen mit gutem Recht am Nachleben auch nur eines Schauspiels des Hingeschiedenen gezweifelt werden dürfe, so wie überhaupt »der Verfall der dramatischen Kunst« in Deutschland »größtentheils von ihm« ausgegangen sei.93 Ihren Höhepunkt erreichten die postumen Tiraden gegen Kotzebue natürlich bei der Auseinandersetzung mit seiner politischen Publizistik. Hierbei wurden ihm etwa »Mangel an Tiefe und Vollendung« zum Vorwurf gemacht94 oder der Verzicht auf die gründliche Untersuchung dessen, worüber er schrieb, weil ihm eine solche »zu viel Zeit weggenommen« hätte.95 Er hätte, meinte Carl Ludwig Nicolai, sich mehr Wissen aneignen müssen, um wirklich fundierte Aussagen über viele von ihm publizistisch verarbeitete aktuelle Ereignisse und Tendenzen machen zu können; »dazu« sei »er aber zu flüchtig, zu oberflächlich, zu sehr verwöhnt, zu sehr Egoist« gewesen, und » s o « sei »Deutschland mit einer Menge unreifen Geschreibsels überschwemmt« worden.96 A m Literarische[η]
Wochenblatt finde man, so ein anderer Kritiker, »nichts
literarisches [...] als de[n] Titel«, und es sei von vorne bis hinten angefüllt mit »höchst kläglichen, jämmerlichen, unklugen und höchst-unmoralischen Aeußerungen«,97
Die-
ses Organ, so enragiert sich ein nochmals anderer Parentator, »bildet nicht, sondern verbildet [...], leitet nicht, sondern verleitet - nämlich zur Seichtigkeit, zu Halbwissen, zur Spötterei«. 98 Doctor
Bahrdt mit der eisernen Stirn wiederum stelle »vielleicht
das schändlichste, unheilbringendste Pasquill« dar, das » j e auf deutschem Boden erschienen« sei.99 Durch seine » R o l l e « als »politischer Schriftsteller«, so resümierte
90 91 92 93
94 95 96 97 98 99
V g l . zu Nicolai Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 400 (Matthias Luserke). V g l . Kotzebue/Nicolai, S. 9. Kotzebue/Nicolai, S. 16f. Kotzebue/Schott, S. 70; vgl. die Umkehrung des alten Stereotyps vom ewigen Ruhm des verstorbenen Dichters z.B. auch bei Kotzebue/Anonym/23, S. 12. Kotzebue/Anonym/23, S. 12. Kotzebue/Schott, S. 93. Kotzebue/Nicolai, S. 27f. Kotzebue/Schott, S. 97. Kotzebue/Krug, S. 12. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. 6.
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Henrik Steffens, müsse der Tote »billigerweise der allgemeinen Verachtung« anheimfallen. 100 Ebenso gehässig gestalteten sich die Urteile über Kotzebues politische Position. Die einen sagten ihm Käuflichkeit nach. Bei seinen politischen Äußerungen habe er stets auf den dadurch erzielbaren Geldgewinn geschielt.101 Die anderen beschimpften ihn als liebedienerischen Fürstenknecht. Seine antinapoleonische Publizistik habe sich, mutmaßte etwa Hundt-Radowsky, nicht aus Liebe zu Deutschland oder aus Sorge um das Wohl der Bevölkerung und ihrer Rechte gespeist: Er wünschte nur den Herrscher in Deutschland verändert zu sehn; der Druck konnte bleiben, denn an der politischen und geistigen Freiheit seiner ursprünglichen Landsleute lag ihm nichts [...].' 102
»[K]ein Heil für die Völker« habe er gekannt »als in der Willkühr der Fürsten«. 103 Irgendeine Ansicht wiederum, deren »offene Aeußerung« ihm bei den Herrschenden hätte schädlich werden können, habe er lieber unterdrückt und stattdessen »nur tiefe Bücklinge« gemacht. 104 Ein dritter, besonders bösartiger Vorwurf lautete, Kotzebue habe niemals freimütig eine Überzeugung ausgesprochen, da es ihm an einer solchen schlichtweg gemangelt habe. Nur Meinungen seien durch ihn verbreitet worden, Meinungen vorzüglich der Art, welche Menschen gefallen hätten, »die lieber lachen als denken«. Überhaupt habe er die »liberalen Jdeen«, gegen welche er als Publizist so heftig opponierte, gar nicht verstanden, weil dies zu langes Nachdenken erfordert hätte und weil er dann in derselben Zeit [...] hundert Bücher, gute und schlechte, flüchtig durchblätterte und eben so flüchtig anzeigte, um aus jedem etwas herauszuheben, womit er den Gaumen einer verwöhnten Lesewelt kitzeln, oder wobei er seinen Witz spielen lassen konnte. 105
In solchen Formulierungen werden alle bewährten Register der politischen Pamphletistik bravourös zuungunsten des ideologischen Gegners gezogen; daß es sich dabei um einen soeben Verstorbenen handelte, war freilich etwas ungewöhnlich. Erkennt man die sublime Unterlaufung der Maxime De mortuis nil nisi bene und die >zwischen den Zeilen< versteckte Kritik an einem Verblichenen gerade gegen alle anderslautenden Vorurteile als ein gattungskonstitutives Merkmal des Nachrufs, so verletzte eine Anschwärzung, ja Diffamierung des Verblichenen, wie sie im Falle Kotzebues bei vielen Reaktionen auf sein Ableben zu sehen ist, doch eindeutig die sozialen und literarischen Normen für den Umgang mit einem Toten. Den Parentatoren war dieser Regelverstoß unzweifelhaft klar, und sie reflektierten und legitimierten ihn explizit. Zuerst einmal verwahrten sie sich in ihren Nekrologen stets mit großer
100 101 102 103 104 105
Kotzebue/Steffens, S. 17. Kotzebue/Nicolai, S. 40. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. 24. Kotzebue/Anonym/23, S. 13. Kotzebue/Krug, S. 10. Kotzebue/Krug, S. 9-12.
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pathetischer Geste gegen die Vermutung, Sands Tat auch nur in irgendeiner Hinsicht gutzuheißen, und sprachen über den Mord ein rückhaltlos negatives Urteil. Zu diesem Behufe wurden das empörte moralische Empfinden beschworen oder konventionelle ethische Argumente bemüht 1 0 6 oder aber das Schreckensszenario einer um sich greifenden Selbstjustiz gezeichnet, »indem bei solcher Selbsthülfe Deutschland bald in eine Wüsteney und Mördergrube verwandelt werden würde«. 107 Oft freilich erweisen sich solche wohlfeilen Beteuerungen im Laufe der weiteren Argumentation als bloß rhetorische Phrase. Joachim Heinrich Jäck zum Beispiel schlug sich stark tönend vor seinem Publikum auf die Brust, wie sehr er das Attentat verabscheue. Auf derselben Druckseite erinnerte er aber auch ganz offen an seine - respektive seine durch ein >man< verallgemeinerten - Emotionen bei der Lektüre einer Zeitungsmeldung über Kotzebue wenige Monate vor dessen gewaltsamem Ableben: Man war [...] sehr froh über die im Winter 1818/19 von ihm [sc. Kotzebue] verbreitete (obgleich unwahre) Nachricht, daß er im Sommer Deutschland verlassen, und sich nach Sibirien zu Unmenschen zurückziehen würde, unter welche er von erster Jugend an gehört hätte. 108
Den Tod hatte Jäck dem russischen Staatsrat mithin nicht gewünscht, eine Art von Verbannung hingegen durchaus. Hundt-Radowsky gerierte sich ebenfalls empört über den Mord, ließ aber zugleich deutlich erkennen, daß ihn das Ereignis in Wahrheit aus gänzlich anderen Gründen emotional bewegte: Die Ermordung Kotzebue's muß das Herz jedes Rechtlichen mit Unwillen, und tiefer Trauer erfüllen, nicht wegen des literarischen Verlustes, den unser Vaterland dadurch leidet, der wäre noch wohl zu verschmerzen; sondern wegen der unheilbringenden Folgerungen, welche leider, aus diesem Ereignisse gezogen werden. 109
So eindeutig hier bei einem ersten Blick das Attentat verurteilt erscheint, so entlarvend lesen sich solche Formulierungen bei genauerer Lektüre. Eine erste Einschränkung erfährt die Kundgabe der Empörung über den Mord durch das schäbige, wie eine Nebensächlichkeit eingestreute Verdammungsurteil über die Werke des Toten. Der zweite Nachsatz zum Verdikt über den Anschlag aber liefert mit der explizit kausalen Präposition »wegen« die tiefere, die eigentliche Begründung für »Unwillen« und »Trauer«, nämlich die Folgen der Tat, also die durch sie legitimierten Repressionsmaßnahmen der reaktionären Regierungen. In einem anderen Nachruf wurde der Anschlag ebenso scharf wie jede Entschuldigung der Tat gerügt; 110 als Fazit aus seinen nicht eben freundlichen Ausführungen über den Erdolchten aber gewann der Parentator die höchst verräterische Frage: »Dürfte man sich [...] noch wundern, wenn sich in Deutschland tausend Hände zum Morden erhoben hätten?« 111
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Vgl. z.B. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. III; Kotzebue/Krug, S. 5. Kotzebue/Jäck, S. 86. Kotzebue/Jäck, S. 85f. Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. III. Vgl. Kozebue/Schott, S. 123. Kotzebue/Schott, S. 116.
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Ob nun die Entrüstung über das Attentat geheuchelt und gespielt war oder nicht, die Autoren der Nachrufe suchten und fanden genug Gründe, um ihre nekrologischen Invektiven gegen Kotzebue zu erklären und zu rechtfertigen. Der Leipziger Philosophieprofessor Wilhelm Traugott Krug (1770-1842) 112 beispielsweise verdammte den Mord in seiner Schrift Veber deutsches Universitätswesen, mit Rücksicht auf Kotzebue's literarisches Wochenblatt und gewaltsamen Tod ohne Wenn und Aber. Er gab allerdings zu bedenken, daß der Anschlag den Entleibten »mit einer Art von Glorie umgeben« habe. Die traurige und furchtbare Form seines Ablebens jedoch dürfe nicht in die Beurteilung seines literarischen Wirkens einfließen, weil Kotzebue »sein herrliches Talent oft [...] schändlich zur Entstellung der Wahrheit, zur Untergrabung der Sittlichkeit und zur Verleumdung seiner Widersacher gemisbraucht hatte«. 113 Das war, streng genommen, kein wirklich schlagendes Argument für den Bruch der Regel, einen Verstorbenen, gar einen gewaltsam Umgekommenen, nicht postum zu diskreditieren. Denn diese ethische Norm bezog sich gleichermaßen auf Menschen, die andere zu Lebzeiten diffamiert und welche Unwahrheiten auch immer verbreitet hatten, wie auch auf Menschen, denen solche Vorwürfe nicht zu machen waren. Ohne gerade dieses sittlich egalisierende Potential wäre ja jene Regel unsinnig gewesen, da sie dem >Bösen< nach seinem Hinscheiden ein gutes Andenken verschaffte, während sie bei einem >Guten< gar nicht in Anwendung gebracht zu werden brauchte. Daß Krug aber Kotzebue die Verbreitung von Unwahrheiten und Verleumdungen vorhielt, war, von einem höheren Standpunkt betrachtet, so wie immer bei politischen Auseinandersetzungen Konsequenz der ideologischen Gegnerschaft. Anders gesagt, der Parentator brach die Maxime De mortuis nil nisi bene, weil es in seinem Interesse lag, und weil dieses Interesse offenbar eminent war, hatte er - er mochte dies mit welchen Argumenten auch immer fadenscheinig kaschieren - bei diesem Regelverstoß keinerlei Bedenken. Diese These soll noch durch zwei weitere Belege untermauert werden. Henrik Steffens formulierte die Legitimation seiner postumen Angriffe gegen Kotzebue als refutatio, als vorgreifende Widerlegung möglicher Einwände andersdenkender Rezipienten: Man wird mir vorwerfen, daß es unbillig, ja gehässig sey, den Ermordeten, eben nachdem er auf eine so furchtbare Weise durch den Mordstahl fiel, in seiner Schädlichkeit darzustellen. Aber das Ereigniß ist zu bedeutend [...], 1 1 4
und daher müsse man »völlig offen und rücksichtslos verfahren«, also offenbar auch ohne jede Rücksicht auf die alte Regel, einem Toten nichts Böses nachzurufen. Er finde sich, so Steffens weiter, nicht berufen, dem Erdolchten eine »Lobrede zu halten, aber verdammen« wolle er »ihn auch nicht.« Allerdings dauere der »schädliche Einfluß seiner Schriftstellerey [...] fort«, und Kotzebues »trauriger Tod« dürfe
112 113 114
Vgl. zu Krug Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 7, S. 47f. (Wolfgang Riedel). Kotzebue/Krug, S. 5. Kotzebue/Steffens, S. 11.
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niemanden »verblenden [...] über die Jrrthümer, die durch ihn erweckt und fortdauernd thätig sind.« 115 Hier erscheinen eine sittliche Verhaltensnorm einerseits und die vorgeblich gefährliche Wirkung publizistischer Texte auf der anderen Seite in der Weise gegeneinander abgewogen, daß der Verstoß gegen die erstere sich als möglich, ja notwendig darstellt. Natürlich sind solche eigenwilligen Rechenexempel in Ethik und Moralphilosophie nicht gerade üblich, und vor allem ging Steffens praktisch in seiner Schrift über die Grenzen, die er sich selbst mit einer recht fragwürdigen Begründung gesteckt hatte, weit hinaus. Tatsächlich versuchte er nämlich nicht bloß die Wirkung der Publizistik des Verstorbenen durch Widerlegung einzudämmen, sondern richtete zu diesem Zweck auch scharfe, persönlich injurierende Angriffe gegen denselben und seine menschliche Integrität. Genau besehen, beschönigte Steffens ebenso notdürftig wie Krug die Anwendung der polemischen rhetorischen Mittel der politischen Pamphletistik auf einen Verstorbenen im Dienste der Propaganda gegen die reaktionären Machthaber. Joachim Hartwig von Hundt-Radowsky schließlich machte es sich bei der Rechtfertigung seiner bösartigen Attacken gegen Kotzebue noch ein wenig leichter, indem er sich eines schlagend einfachen Arguments bediente. »Uebrigens schadet«, ließ er das Publikum wissen, »dem Todten die Enthüllung seiner Jrrthümer, seiner Thorheiten, ja selbst seiner Vergehungen nichts; allein«, so fügte er zur eigenen Legitimation hinzu, »der Welt kann sie nützen.« Natürlich blendete diese allzu simple pragmatische Begründung den historisch gewachsenen kulturellen Sinn der vorrangig positiven Memorialisierung eines Toten vollkommen aus. Dem Parentator mußte klar sein, daß seine Rechtfertigung für die folgenden Schmähungen Kotzebues etwas schwach war, und deswegen unterfütterte er seine Argumentation durch einen Verweis auf die differente Praxis einer anderen Kultur beim Umgang mit den Verstorbenen: Die Todtengerichte der Egypter waren besser, als der alte Wahlspruch: daß man von den Todten nichts Böses reden müsse. Von den Todten nur die Wahrheit, von den Lebenden nur das Gute, oder das Unschädliche! wäre wohl richtiger.116
Selbstverständlich waren die völlig differenten Memorialisierungskonventionen aus dem alten Ägypten ebensowenig in die Gegenwart der Goethezeit importierbar wie die Mumifizierungskunst und die Bestattungsriten. Der Rekurs auf jene vorgeblich bessere kulturelle Praxis war ein mehr oder weniger passendes und einigermaßen passables Argument, um die Mißachtung der ethischen Regel, daß ein Verblichener nicht angeschwärzt werden solle, wenigstens halbwegs zu begründen. Tatsächlich aber war das altägyptische Totengedenken für Hundt-Radowsky ohne weitere Bedeutung. Er versuchte bloß oberflächlich zu kaschieren, daß er jene ethische Maxime mit einer klaren Taktik brach. Seine harsche Kritik an dem Verstorbenen, dessen publizistischem Werk und politischer Position sollte gerade durch den auffälligen Regelverstoß besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und ein hervorgehobenes
115 116
Kotzebue/Steffens, S. l l f . Kotzebue/Hundt-Radowsky, S. VI.
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Interesse provozieren. Die >sittenwidrige< Denunzierung eines Hingeschiedenen war demnach ein extremes, ein selten, doch immer wieder einmal eingesetztes Mittel der möglichst wirksamen, wie auch immer persönlich, ideologisch oder ästhetisch instrumentalisierten Lancierung eines Nachrufs in der Öffentlichkeit.
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12. Goethe oder: Nachrufe auf einen Klassiker
12.1. Nekrologische Inszenierung auratischer Dichterbilder Während der Zeitspanne von nur ungefähr einhundert Jahren, die zwischen dem Ableben Christian Thomasius' und dem sanften Entschlummern Johann Wolfgang von Goethes in seinem Lehnsessel am 22. März 1832 lagen, hatten sich, wie bereits eine erste Sichtung der Nachrufe auf den Klassiker belegt, 1 die Formen der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Tod eines Schriftstellers in vielerlei Hinsicht signifikant, ja massiv verändert. Die geradezu unüberschaubare Zahl an überschwenglichen nekrologischen Würdigungen des Weimaraners war, obwohl er in der sozialen Hierarchie und hinsichtlich seiner institutionellen Verankerung eine viel bedeutendere Stellung als der Hallenser Gelehrte eingenommen hatte, offenkundig weniger den von ihm über Jahrzehnte hinweg ausgeübten administrativen Ämtern und seinem politischen Einfluß geschuldet, sondern verdankte sich vor allem dem ihm zugewiesenen hohen Rang als Dichter. Innerhalb eines knappen Jahrhunderts hatte sich die im Nachruf reflektierte Rolle eines Schriftstellers in der Öffentlichkeit also massiv gewandelt. Die Parentatoren betrauerten primär den verblichenen Poeten und nur nachrangig den verstorbenen Verwalter einer hohen publiken Funktion im Staat - auch wenn er sowohl den bedeutenderen Teil seiner Lebenszeit der Ausübung seiner Ämter gewidmet als auch aus diesen den größten Teil seiner Einkünfte lukriert hatte. Dies zeigen nicht allein die vielen Nachrufe, die fast beschwörend Goethes unsterblichen literarischen Ruhm priesen 2 und auf seine herausgehobene berufliche Position
1
2
Vgl. die bibliographischen Nachweise der im folgenden zitierten Nachrufe auf Goethe in 14.1.16. - Vgl. zu den Nachrufen auf Goethe zusammenfassend die Studien Bogner, Nachwort, 1998; Mandelkow, Goethe, 1980, passim; Petersen, Goethe, 1931; Schüddekopf, Goethes, 1907, passim; vgl. ferner Lange, Sterne, 1993, S. 186-224 passim. - Vgl. auch die Sammlung von Gedenkreden auf Goethe bei Jens, Manen, 1957. - Zu Sterben, Tod und Bestattung Goethes vgl. Goethes Tod, 1932; Gregor-Dellin, Pompes, 1983; Hecker, Goethes, 1928; Kleßmann, Goethe, 1994, S. 349-364; Schaeffer/Göres, Goethe, 1980, S. 47f. - Nicht mit Nachrufen auf Goethe beschäftigen sich die rezeptionsgeschichtlichen Studien Berg, Kontext, 1995; Hehn, Goethe, 1895; Jeßing, Goethe, 1995; Kelling, Idolatry, 1970; Kruckis, Abbild, 1995; Leppmann, Goethe, 1982; Schlaffer, Goethes, 1983; Weber, Goethe, 1989; Wende, Goethe-Parodien, 1995. - Vgl. zu Goethes eigenen Nekrologen Sengle, Goethes, 1989. Vgl. z.B. Goethe/Anonym/1; Goethe/Anonym/18; Goethe/Clemens; Goethe/Döring/3, S. 136; Goethe/Ebert; Goethe/Gotthold, S. 158; Goethe/Herder; Goethe/Hermannsthal;
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immer wieder nur en passant in der Form eines Lobs seiner Freundschaft zum Weimarer Fürstenhaus abhoben.3 Deutlicher noch manifestierte sich die Akzentuierung der literarischen Bedeutung des Verstorbenen im symbolträchtigen Arrangement seiner öffentlichen Aufbahrung durch den Weimarer Hofarchitekten Clemens Wenzeslaus Coudray (1775-1845) 4 am 26. März 1832. Der Leichnam wurde in dem mit schwarzen Tüchern ausgeschlagenen Wohnhaus auf einem prunkvollen Paradebett ausgestellt, über dem mit einem frischen Lorbeerkranz gezierten Haupt wurde ein Regal mit den gedruckten Werken des Verstorbenen und einem goldenen Stern als Sinnbildern seines schriftstellerischen Ranges angebracht. Hinter dem aufgebahrten Körper wurde unter drei glänzenden silbernen Sternen, die die Unsterblichkeit symbolisieren sollten, eine goldene Lyra postiert, an welcher einige Pergamentrollen lehnten. Um den Leichnam herum wurden Adels- und Doktordiplom, ferner verschiedene Ehrenzeichen sowie diverse Orden ausgelegt, »womit«, wie ein anonymer Berichterstatter in der Augsburger Allgemeinen Zeitung bezeichnenderweise erklärte, »die Großen der Erde der unvergänglichen Dichtergröße gehuldigt hatten«.5 Auch die der Aufbahrung folgende abendliche Beisetzung ließ die vorrangige Glorifizierung des Schriftstellers gegenüber der Ehrung des staatlichen Würdenträgers klar erkennen. Der Weimarer Generalsuperintendent und großherzogliche Oberhofprediger Johann Friedrich Röhr (1777-1848) 6 hob in seiner Trauerrede primär die bleibenden geistigen Leistungen Goethes hervor;7 der von Friedrich Wilhelm Riemer (1774—1845)8 verfaßte und von Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) 9 komponierte Grabgesang 10 akzentuierte vor allem den ewigen Ruhm des Verstorbenen, der, »Fürsten treu gesellt«, »Volk und Welt« fortgebildet habe.11 Auch im Leichenzug vor und hinter dem wiederum mit einem Lorbeerkranz geschmückten Sarg kam - neben der Verabschiedung des Politikers Goethe durch die Repräsentanten des Fürstenhauses und der staatlichen Institutionen, die er geleitet hatte - die Ehrung des Schriftstellers in der Anwesenheit mehrerer Delegationen diverser Bildungseinrichtungen sowie zahlreicher Studenten von unterschiedlichen Universitäten klar zum Ausdruck. 12 Der
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Goethe/Huber, S. 1139; Goethe/Kilzer; Goethe/Müller/2; Goethe/Müller/3; Goethe/Müller/6; Goethe/Peucer; Goethe/Riemer/1; Goethe/Schwab/2; Goethe/Seidl; Goethe/Tieck, S. 125. Vgl. z.B. Goethe/Bauernfeld, S. 131; Goethe/Müller/3; Goethe/Müller/4, passim; Goethe/ Riemer/2; Goethe/Röhr, S. 27. Vgl. zu Coudray DBA, Folge 1, Nr. 204, Bl. 221-225 u. Folge 2, Nr. 239, Bl. 169-176. Goethe/Anonym/10, S. 12; vgl. auch die in Details leicht abweichenden Darstellungen bei Goethe/Anonym/12; Goethe/Anonym/13; Goethe/Böttiger/3, S. 94f.; Goethe/Händel, S. 16; Goethe/Miiller/6, S. 80-83. Vgl. zu Röhr DBA, Folge 1, Nr. 1047, Bl. 152-165, Nr. 1073, Bl. 28 u. Folge 2, Nr. 1086, Bl. 53-59. Vgl. Goethe/Röhr, S. 25-27; vgl. dazu Jens, Vorwort, 1957, S. 5f. Vgl. zu Riemer Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 453f. (Markus Zenker). Vgl. zu Hummel DBA, Folge 1, Nr. 581, Bl. 65-116 u. Folge 2, Nr. 629, Bl. 282-288. Vgl. die Publikation aller am Grab intonierten Leichengesänge Goethe/Anonym/17. Goethe/Riemer/2; vgl. dazu Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 40. Vgl. die Darstellung bei Goethe/Händel, S. 17f.; vgl. auch Goethe/Anonym/12.
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Kanzler Friedrich von Müller (1779-1849), 1 3 der am Ende des Begräbnisses die Aufstellung des Sarkophags in der Weimarer Fürstengruft öffentlich verlautbarte, erklärte zwar, daß »für Mit- und Nachwelt« auf diese »ausgezeichnetste Weise« die Hochachtung des Herrscherhauses vor »dem treuen, verdienstvollen Staatsdiener« und dann auch »dem erhabenen Weisen und dem unsterblichen Dichter [...] beurkundet« werden solle. 14 Die Postierung des Leichnams Goethes neben dem Sarg Friedrich von Schillers (1759-1805) markierte freilich sinnfällig die primäre Würdigung des Toten als Schriftsteller - und zahlreiche Zeitgenossen interpretierten diesen symbolischen Akt in ihren Nachrufen genau in dieser Weise. Exemplarisch läßt sich dies in einem Abschnitt des nekrologischen Gedichts auf den Tod Goethes verdeutlichen, das der böhmische Schriftsteller und Bibliothekar Karl Egon Ebert (1801-1882) 1 5 im Morgenblatt für gebildete Stände publizierte: Doch deiner Hülle noch ward Ehrendank - sie ruht Jn stiller Gruft, die sonst Geklönten auf sich thut; Mit Fürsten steigst du auf, erhabner Dichterfürst, Wenn die Posaun' einst tönt, und Gruft und Erde birst. Mit ihnen steigst du auf, den Bruder an der Hand, Den lang vor dir der Tod in dieß Gewölb gebannt, Mit Schillern, der dir gleich, der einst dein warmer Freund, Dem jetzo dein Gebein, wie einst dein Geist, sich eint. 16
Hier - und auch in einer Reihe weiterer Trauergedichte 17 - wurde die Beisetzung Goethes in der Fürstengruft weniger als Tribut an seine hohen politischen Ämter oder seine ausgezeichneten Beziehungen zum Weimarer Herrscherhaus gedeutet, vielmehr als eine ihm wie dem Freund und Mitstreiter Schiller adäquate Würdigung der literarischen Leistungen. Der in den Nekrologen häufig verwendete Terminus des >Dichterfürsten< stellte somit nicht auf eine Nobilitierung des bürgerlich geborenen Schriftstellers durch seine amtliche Position ab, sondern war Leitbegriff eines Konzepts des >geistigen Adelsunrühmlichen< Rolle als >Fürstenknecht< gewendet, vgl. z.B. Goethe/Lyser, S. 86; vgl. auch die Verbreitung des bösartigen Gerüchts, in Frankfurt/Main habe man die Nachricht vom Tod Goethes mit den Worten »Ein alter Aristokrat weniger« aufgenommen, bei Goethe/Anonym/7.
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12.2. Stilisierung eines Todesfalles zur Epochenzäsur Goethes Ableben markierte im Bewußtsein seiner Zeitgenossen das Ende einer Epoche. Zahlreiche der nahezu unüberschaubaren Nachrufe auf den Weimarer Dichterfürsten kennzeichneten den Todesfall als signifikanten kulturhistorischen Einschnitt. Goethe wurde nicht nur häufig in üppigen Metaphern als »Sonne [...], wie in Jahrhunderten keine wieder aufgehen« werde,18 und sein Tod als Einbruch der Finsternis,19 als Versiegen der abendlichen Sonnenstrahlen,20 gar als Verlöschen des letzten Sternes am dunklen Firmament umschrieben;21 vielmehr sprach eine Reihe von Nekrolog-Autoren konkret und eindeutig vom »officielle[n] Schluß einer Epoche«, vom »Ende einer Aere [sie!] und de[m] Anfang einer neuen«;22 der Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) 23 sah mit dem Tode Goethes gar ganz Deutschland sterben, da die Nation »in aller Schwäche und innerer Zerrüttung« nur habe fortexistieren können, »so lange Goethe - lebte.«24 Äußerungen wie diese waren mehr als phrasenhafte Nekrologrhethorik im Dienste der überbordenden Würdigung eines Verstorbenen. Mehr noch: Viele der Parentatoren brachten hier nicht bloß ihre Trauer um einen Menschen zum Ausdruck, der sowohl ein bedeutender Schriftsteller gewesen war als auch eine herausragende Rolle im kulturellen Leben seiner Zeit gespielt hatte, sondern sie formulierten ein ebenso kulturpessimistisches wie ästhetisch konservatives Ideologem, demzufolge mit dem Tod Goethes die »glanzreichste Literaturepoche«25 Deutschlands zu Ende gegangen sei. So ließ beispielsweise der anonyme Autor des Dramatische[n] Gesprächfs] im Reiche der Todten den glücklich im Elysium angekommenen Weimaraner höchstselbst die Ansicht vertreten, daß mit seinem Hinscheiden »der deutschen Dichtkunst Aera [...] geschlossen«26 und nun der zunehmende Verfall der in die Jahre gekommenen europäischen Kunst eingeleitet worden sei.27 Der Lehrer, Schriftsteller und Übersetzer Gustav Pfizer (1807-1890)28 dekretierte in seinem Trauergedicht auf das Verstummen von »Deutschlands größte[r] Leier«, daß niemand unter den Nachfolgenden die Stelle des Verstorbenen zu vertreten imstande sein werde.29 Der Orientalist, Schriftsteller und Übersetzer Friedrich Rückert (1788-1866)30 attestierte der gegenwärtig literarisch
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Goethe/Anonym/10, S. 12. Vgl. Goethe/Gotthold, S. 158. Vgl. Goethe/Simrock, S. 143. Vgl. Goethe/Händel, S. 14. Goethe/Cousin, S. 103. Vgl. zu Schelling Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 10, S. 185-190 (Siegbert Peetz). Goethe/Schelling, S. 28; vgl. dazu Jens, Vorwort, 1957, S. 6f.; Petersen, Goethe, 1931, S. 756f.; Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 53f. Goethe/Sendtner, S. 50. Goethe/Anonym/14, S. 262. Vgl. Goethe/Anonym/14, S. 267. Vgl. zu Pfizer Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 150f. (Marek Zybura). Goethe/Pfizer, S. 137; vgl. dazu Petersen, Goethe, 1931, S. 748. Vgl. zu Rückert Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 10, S. 59-61 (Richard Dove).
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produktiven Generation von Schriftstellern, der freilich auch er angehörte, ebenfalls, daß er keinen unter ihnen »kennfe]«, der Goethe zu »ersetzten]« vermöchte. 31 Der Tod des Dichterfürsten sollte demgemäß nicht bloß den Übergang von einer Epoche zu einer anderen markieren, sondern die Ablösung einer >Blütezeit< der deutschsprachigen Dichtung durch ein literarisch unfruchtbares Zeitalter. Dieser kulturpessimistischen These versuchte der Münchner Bibliothekar und Universitätsprofessor Jakob Ignaz Sendtner (1784—1833),32 der in seiner Gedenkrede auf Goethe ebenfalls behauptete, mit demselben sei der wichtigste und zugleich der letzte bedeutende Dichter deutscher Zunge gestorben, mit abwertenden verallgemeinernden Urteilen über die dichterischen Produkte der jüngeren Poetengeneration eine empirische Basis zu geben. Zum einen diagnostizierte der Münchner Bibliothekar einen Niedergang des kreativen Potentials bei jüngeren Autoren, den diese verzweifelt, jedoch vergeblich durch eine manierierte Übersteigerung der poetischen Ausdrucksformen auszugleichen versucht hätten: Es waren meistens nachtönende, nachahmende Geister; sie gaben uns nur mehr Formen, aber nicht mehr Sachen, Scheinleiber, aber keine wirklichen Körper, viele feingekünstelte Worte und üppige Bilder, aber ohne Bildnerkraft, ohne eine, sich selbst Bahn machende Sprache! 33
Zum anderen aber tadelte Sendtner innerhalb der neueren Literaturgeschichte eine ihm unzulässig erscheinende Vermengung von poetischem Schaffen und politischem Räsonnement. Der größte Teil der zeitgenössischen Dichter würde »nur die äussere Gestaltung der Dinge, politische Interessen, den Staat zum Gegenstande seines Construierens und Kritisierens« machen, »von nichts als geistiger Mündigkeit, Emancipation, Civilisation, bürgerlicher Unabhängigkeit u. dgl.« schreiben, »ungeachtet man noch lange nicht die Grundlage aller Freiheit, nämlich die moralische Tüchtigkeit, die Herrschaft der Tugend und Gerechtigkeit in sich befestigt hat«. Mehr noch: Die junge Schriftstellergeneration sei ethisch so verrottet wie kaum eine frühere, weil sie in ihrem schrankenlosen »Egoismus« nur nach dem Beifall des leicht verführbaren »Pöbelfs]« hasche, die bestehenden Verhältnisse umstürzen und ihre eigenen Taschen mit Geld füllen wolle. 34 Sendtners Thesen vom Ende eines Zeitalters und vom Verfall der deutschsprachigen Dichtung speisten sich also aus der rabiaten Ablehnung der Poetologie, des politischen Engagements und der Formen der Autorinszenierung der wichtigsten Vertreter des Jungen Deutschland, exemplarisch nannte er die Namen Ludwig Börne (1786-1837) und Heinrich Heine (1797—1856).35 Dem kulturpessimistischen Modell von einstiger Blüte und gegenwärtigem Verfall der deutschen Literatur entsprachen dabei in einer krassen Polarisierung auf der einen Seite die klassizistische und die romantische Ästhetik,
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Goethe/Rückert, S. 196. Vgl. zu Sendtner DBA, Folge 1, Nr. 1177, Bl. 184-190. Goethe/Sendtner, S. 58. Goethe/Sendtner, S. 60. Vgl. Goethe/Sendtner, S. 70.
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personifiziert in den Anhängern Goethes, auf der anderen Seite die Vertreter einer jüngeren, liberalen Schriftstellergeneration, die sich von dem Weimaraner distanziert, »ihr Haupt sogar lästernd gegen den größten der deutschen Dichter« erhoben, »ihn mit ihrem Kothe bew[o]rfen« hatte.36 Ähnlich argumentierte der anonyme Autor eines im Morgenblatt für gebildete Stände publizierten Nachrufs mit dem Titel Goethes Tod, ein Abschnitt in der Geschichte des deutschen Volks}1 Dieses Ereignis werde, so hieß es da, »in der ganzen Haltung und Entwickelung der deutschen Nation sich mehr und mehr als epochemachend darthun«, weil »alles Tüchtige und Edle« nun »den sichtbaren Mittelpunkt, von dem ununterbrochen Geist und Wärme ausströmte«, verloren habe. Den solchermaßen verwaisten Anhängern Goethes stellte der Anonymus in einer scharfen Kontrastierung die Feinde des Dichterfürsten gegenüber, »kleine und ärmliche Seelen, welche der Neid und Dünkel beherrscht«. Diese hätten schon seit langem heimlich die Bedeutung des Weimaraners zu mindern gesucht, zu Lebzeiten freilich vor dem »Augenwinke des Helden, den sie für geschwächt ausgeben wollten«, gezittert. »Jetzt aber glauben Neid und Mittelmäßigkeit«, so der Autor weiter, »gutes Spiel zu haben, und kommen aus ihren Löchern schon dreister hervor«. Das außerordentlich scharf gezeichnete Bild einer - in ästhetischer wie moralischer Hinsicht - polarisierten Literaturszene ergänzte der Autor durch eindeutige politische Zuordnungen. Bei Goethes Gegnern handle es sich um den »schlechtefn] Haufen« des »Jakobinerpöbel[s]«, um »herzlose, feige, stumpfsinnige Anarchisten«, deren »Bestrebungen aber zum Heil des Vaterlandes nieder[ge]halten« werden müßten. Im Kontrast zu Sendtners resignativer Klage über den Verfall der deutschen Literatur betrachtete der Anonymus jedoch das epochale Ereignis von Goethes Ableben als idealen Zeitpunkt für eine verschärfte Auseinandersetzung mit der jungen, politisch engagierten Schriftstellergeneration. »Alles, was Deutschland Tüchtiges, Würdiges und Edles hat«, habe sich einem »Kampf« zu stellen, der jetzt erst »möglich« geworden sei - »und das ist der Unterschied der Zeit nach Goethes Tode von der Zeit während seines Lebens.« Freilich verriet die rabiate Aggressivität dieser Kampfansage, daß der Autor des Beitrags im Morgenblatt offenkundig nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern verzweifelt defensiv agierte, und daß - allgemeiner gesprochen - das Abtreten des übermächtigen Weimarer Dichterfürsten von der Bühne der literarischen Öffentlichkeit seine einer konservativen Ästhetik verpflichteten Anhänger in einen Zustand der Verunsicherung und Ratlosigkeit geworfen hatte. Die Autoren der wenigen negativen oder zum wenigsten kritischen Nachrufe auf den Dichterfürsten brachten ebenfalls ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß der Tod Goethes als einschneidendes Ereignis zu begreifen sei, setzten allerdings in ihrer Bewertung der neueren Entwicklung der deutschen Literatur und Kultur ganz konträre Akzente. So deutete etwa auch der französische Schriftsteller, Publizist und Philosoph
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Goethe/Sendtner, S. 58. Goethe/Anonym/21.
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Victor Cousin (1792-1867), 3 8 dessen Gedenkartikel für den Weimaraner die Literarischein] Blätter der Börsenhalle in deutscher Übersetzung publizierten, Goethes Ableben als Schlußpunkt einer Epoche. 39 Diese sei freilich längst nicht mehr zeitgemäß und, anders als im Frankreich des 18. Jahrhunderts, durch eine völlige Indifferenz der wichtigsten Schriftsteller gegenüber politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Problemen gekennzeichnet gewesen. Die zu Ende gegangene Periode werde nun endlich von einem neuen Zeitalter des sozialen und nationalen Engagements der Kulturschaffenden abgelöst werden: Der Tod Göthe's ist nicht nur ein literarisches Ereigniß; dieser Tod bezeichnet für Deutschland das Ende einer Aere und den Anfang einer neuen. Goethe stirbt mit der literarischen Aere seines Vaterlandes in dem Augenblicke, wo seine politische Aere beginnt. Die Literatur, welche mit Göthe ins Grab steigt, war der bewundemswerthe Ausdruck des Geistes von Verschiedenheit und Isolirung, welcher lange der Charakter von Deutschland war, und sein politisches Loos bestimmte. Jetzt beseelt und erwärmt ein anderer Geist, ein Geist der Einheit, Deutschland. Die alte und gealterte Literatur stirbt mit Göthe beim Auftreten dieses neuen Geistes. Es ist jetzt in Deutschland, wie seit langer Zeit schon in Frankreich, die Freiheit der Presse, welche an die Stelle der Literatur tritt; es ist der Gedanke Aller, der den Gedanken Einiger ersetzt. 40
Ganz ähnlich argumentierte der anonyme Autor einer Canzone, die dem 1832 veröffentlichten Büchlein von Goethe vorangestellt ist. Auch er betrachtete den Tod des Klassikers als epochalen Augenblick, »wo der Freiheit Strahl die Nacht durchbricht«,41 und forderte wie Cousin - allerdings ex negativo als Kritik an Goethes Verachtung für die »nied're Brut« des >PöbelsGoethe ist todt!Schwäche< und Spärlichkeit der literarischen Produktion Goethes während seiner letzten Lebensjahrzehnte mit dem Prozeß des Älterwerdens: Hier [sc. während der ersten Jahre in Weimar] gestaltetest Du alle die Blüthen, Die Dein Frühling, die Dein Herbst gebar! Wer sah Winter, wo die Sonnen glühten? Wem ist Alter, was die Jugend war? [... ] Was der Jüngling, was der Mann geschaffen, Stirbt's durch das, was uns der Greis noch gab? Nein, die Krone soll ihm nichts entraffen; Gebt sie unversehrt ihm mit in's Grab! 108
Andere Nekrolog-Autoren erwähnten Goethes Spätwerk erst gar nicht. Heinrich Döring zum Beispiel besang in seinem Trauergedicht die »wonnesel'gen Jugendträume«, aus denen die besten Texte Goethes - er nannte Werther, Götz von Berlichingen (1773), Clavigo (1774), Egmont (1788), Torquato Tasso (1790), Iphigenie aufTauris (1787) und Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795f.) - hervorgegangen seien. 1 0 9 Hier wie in vielen anderen Fällen, wenn in den Nachrufen - bei allen Beteuerungen der Unvergänglichkeit und immerwährenden Gültigkeit - der Kanon der wichtigsten Werke Goethes aufgezählt wurde, handelte es sich um die frühen Texte. 110 Die Wahlverwandtschaften oder der West-östliche Divan (1819) blieben dagegen fast ausnahmslos unerwähnt. 111 Johann Peter Theodor Lyser hatte, wie bereits erwähnt, aus seiner Geringschätzung für das Spätwerk kein Hehl gemacht; die mei-
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Goethe/Sendtner, S. 54f. Goethe/Anonym/14, S. 262. Vgl. zu Ortlepp Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 9, S. 11 (Thomas Schneider). Goethe/Ortlepp/2, S. 21f. - Ortlepp ließ auch in einem weiteren Nachruf (vgl. Goethe/ Ortlepp/1) das Fräulein von Klettenberg fiktiv im Jahre 1774 die außergewöhnliche literarische Karriere Goethes prophetisch weissagen. Goethe/Döring/1, S. 136. Vgl. z.B. Goethe/Anonym/6; Goethe/Brunquell, S. 5-9, nur S. 14 zum Divan; Goethe/ Döring/2, S. 38; Goethe/Rappaport, S. 166-173. Vgl. nur z.B. Goethe/Anonym/25, Nr. 126; Goethe/Weißenbom.
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sten der positiven Nekrologe brachten dasselbe Urteil zum Ausdruck - freilich nur indirekt. Auf eben diese Strategie der Kritik mittels Nicht-Erwähnung griffen die Autoren der positiven Nekrologe auch zur Charakterisierung von Goethes familiären Verhältnissen zurück. Zwar erinnerte man zum einen in düsteren Worten an »bitt're Herzensqualen«112 während der Zeiten unglücklicher Jugendliebe und gedachte zum anderen in pietätvoller Weise des Sohnes, der Schwiegertochter und der Enkel. Die offensichtlich noch immer als zutiefst skandalös empfundene Beziehung zu Christiane Vulpius (1765-1816) blieb dagegen fast durchgängig tabuisiert. Die wenigen bekannten Nachrufe, die sie tatsächlich mit knappen Worten erwähnten, retuschierten die biographischen Fakten im Dienste einer moralischen und sozialen Aufwertung der Lebensgefährtin des Dichters. So hieß es beispielsweise in dem in Didaskalia publizierten Kurze[n] Ueberblick von Göthe's schriftstellerischer Laufbahn: Schon im Jahr 1797 hatte ihm [sc. Goethe] sein Fürst [sc. Karl August] ein geräumiges Haus bauen lassen, wohin er mitten unter den Gefahren des Kriegs im October 1806 die Schwester des Bibliothekars Vulpius als Gattin einführte. 113
Erst mit dem Zeitpunkt der Legalisierung des Verhältnisses (nicht mit dem Beginn der Beziehung im Jahr 1788) und als Verwandte eines wichtigen Kulturfunktionärs (nicht als einfache Arbeiterin) konnte Christiane also in die chronologische Darstellung von Goethes Leben aufgenommen werden. Andere Nekrolog-Autoren verzichteten stattdessen einfach auf eine geraffte Zusammenfassung der Biographie - immerhin ein konstitutives Element von Nachrufen - , um einer Erwähnung der skandalösen Beziehung zu entgehen, oder sie zeichneten den Lebenslauf bloß bis in die ersten Weimarer Jahre nach. 114 Die von manchen der Parentatoren vorgebrachten Entschuldigungs-Topoi, Goethes Vita sei in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht hinreichend zu erfassen, 115 der Welt ohnehin bekannt 116 oder möge in dessen publizierten Tagebüchern sowie im Konversationslexikon nachgelesen werden, 117 konnten nur schwach den offensichtlichen Unwillen bemänteln, sich auf dieses heikle Thema einzulassen. Schließlich wurden auch in den positiven Nachrufen Vorbehalte gegen Goethes Umgang mit seinen Mitmenschen und gegen seine charakterliche Disposition geäußert. Einige der Autoren, die sich mit dem Tod des Klassikers öffentlich auseinandersetzten, bedienten sich dabei der Strategie, dessen menschliche Fehler und Schwächen in abstrakter Form einzuräumen, aber sich im Angesicht des Todes demonstrativ nicht mit ihnen auseinanderzusetzen (so etwa Röhr in seiner Grabrede 118 ) oder die
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Goethe/Rappaport, S. 165. Goethe/Anonym/25, Nr. 126; vgl. ähnlich Goethe/Anonym/24, S. 207. Vgl. z.B. Goethe/Rappaport. Vgl. z.B. Goethe/Sendtner, S. 49. Vgl. z.B. Goethe/Müller/4, S. 33. Vgl. z.B. Goethe/Böttiger/3, S. 87f. Vgl. Goethe/Röhr, S. 27; Zustimmung erntete er damit u.a. bei Goethe/Anonym/12, Sp. 456; Goethe/Böttiger/3, S. 96f.; Goethe/Händel, S. 19.
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Beschäftigung mit ihnen aufgrund der überragenden Größe des Verstorbenen als inadäquat einzustufen. Gustav Pfizer griff in seiner lyrischen Apologie Goethes nochmals die verbreitete Licht- und Sonnenmetaphorik zur Verteidigung der charakterlichen Defizite des Dichterfürsten auf: Und wenn sie Schatten auch an dir entdecken, Heißt schweigen uns die wohlverstandne Pflicht. Der trübe Mensch nur sucht nach Sonnenflecken Die Erde, dankbar heiter, spürt sie nicht; Ein frisches Herz bekennt sich gern zum Danke, Doch über Arzt und Wärter klagt der Kranke.119
Pfizer replizierte damit möglicherweise auf die programmatische Ankündigung des anonymen Herausgebers des Büchlein[s] von Goethe, er wolle mit diesem kritischen Nekrolog die »Flecken in dieser Sonne« aufzeigen, die andere Zeitgenossen wegen deren Helligkeit nicht zu sehen vermocht hätten. 120 Eine weitere, sublimere Strategie der verdeckten Kritik an Goethe bestand darin, abwertende Stellungnahmen anderer zu seiner Person zu zitieren, um sie sodann - mehr oder weniger überzeugend - zu widerlegen. 121 Friedrich von Müller etwa entgegnete jenen, die es gewagt hätten, Goethe »aus dem Gesichtspunkte der Gemeinheit zu lästern« und »seine sittliche Würde zu entstellen«, 122 daß die nachgelassenen Werke des Klassikers und sein stetig noch steigender Ruhm den »kleinlichefn] Neid und blöde[n] Stumpfsinn« letztendlich eines Besseren belehren würden. Freilich bewiesen weder die Herabsetzung der Gegner noch der künftige Rang von Goethes Werken die Unrichtigkeit der zur Diskussion stehenden Behauptungen bezüglich ethischer Defizite des Verstorbenen. Auch mit der angeblichen Egozentrik und Gefühlskälte des Weimaraners setzte Müller sich auseinander: So hatte denn unvermerkt auch sein Aeußeres und seine Mittheilungsweise in Weltverhältnissen einen Schein von Kälte und Verschlossenheit, ja oft von Steifheit angenommen, der ihm nicht selten für Stolz und Egoismus ausgelegt wurde [...]. Aber [...] die Liebenswürdigkeit und Milde seines Gemüthes trat für Freunde und Vertraute nur desto reiner und ergreifender hervor 123 ,
- womit Müller Goethes »Kälte«, »Verschlossenheit« und »Steifheit« im Umgang mit vielen Menschen ja offen einräumte. Nicht sehr viel überzeugender geriet auch dem Dresdner Lehrer, Kulturfunktionär und Fachschriftsteller Karl August Böttiger
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Goethe/Pfizer, S. 138. Goethe/Anonym/8, S. 7; vgl. dazu Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 63; sowie Petersen, Goethe, 1931, S. 747. Gelegentlich bedienen sich die Autoren von Nachrufen zur Verteidigung Goethes dabei auch der Strategie, die einzelnen Kritikpunkte nicht selbst zu beantworten, sondern diesen Anwürfen Zitate aus Goethes Werken (vgl. Goethe/Holtei, S. 30-35) oder fiktive Apologien von Figuren aus dessen Dramen (vgl. Goethe/Albrecht) gegenüberzustellen. Goethe/Müller/4, S. 34. Goethe/Müller/4, S. 35f.
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(1760—1835)124 seine ins Mythologische überhöhte Verteidigung Goethes gegen den Vorwurf, vor allem inferiore und servile Zeitgenossen in seinen engeren Kreis gezogen zu haben: Es »war«, so meinte Böttiger, wohl eine Titanennatur im Hochgefühle der ihn umgebenden Unterwürfigkeit in ihm. Er schlürfte Weihrauch und Fettgeruch, wie die Homerischen Götter, wurde aber nie, wie Manche geglaubt haben, davon benebelt. 125
Nicht zuletzt wurden in manchen Nachrufen ethisch fragwürdige Verhaltensweisen Goethes offen eingeräumt, dann aber elegant ins Positive gewendet. Friedrich von Müller erinnerte beispielsweise daran, daß »es auch erst längern, ungestörten Gesprächs und zufälliger Anlässe (bedurfte), um die ganze Fülle seiner [sc. Goethes] Liebenswürdigkeit zu entfalten«; dies freilich sei dann stets ein »köstlicher Moment« gewesen. 126 Zum Vörwurf der Emotionslosigkeit wiederum hielt er fest, daß viele von Goethes Bekannten und Freunden denn doch »in der mildern [!] Wärme seiner letzten Jahre sich gesonnt, erquickt, erbaut fanden«. 127 Die - in ihrer Menge überbordende - Zahl an positiven Nachrufen auf Goethe setzte demnach, bei allen Manifestationen von Trauer, Verehrung und Beschwörung eines ewigen Andenkens, durchaus eine Reihe von kritischen Akzenten in der Beschäftigung mit dem Verstorbenen und seiner Bewertung. Dies zeigt sich, wenn auch weniger deutlich als bei den negativen Nekrologen, an häufigen Einschränkungen von Lob mittels dunkler Verklausulierungen oder raffinierter rhetorischer Strategien und an verdecktem Tadel. Interessant ist, daß die Vorbehalte wider den Verstorbenen sich bei seinen Anhängern wie bei seinen Gegnern in vielen wichtigen Punkten ähnelten oder gar glichen. Der mangelnde Bezug zum Christentum, die ästhetische >Schwäche< des Spätwerks, menschliche Fehler und ethisch unverantwortliches Verhalten bildeten in beiden Lagern, wenn auch mit verschiedenen Gewichtungen, gleichermaßen die größten Hürden für eine - beim Nekrolog nach dem Wahlspruch De mortuis nil nisi bene an sich ja geforderte - unzweideutig positive Würdigung des Verstorbenen. Gravierende Unterschiede traten aufgrund der außerordentlich differenten ideologischen Positionen der Nachrufautoren lediglich in den relativ disparaten Bewertungen der politischen Haltung des Verstorbenen zutage. Goethe galt demnach, das belegen die Texte auf seinen Tod, bereits am Ende seines Lebens als - keineswegs nur positiv bewerteter - Klassiker. Kanonisiert waren in der literarischen Öffentlichkeit nämlich neben einigen seiner Texte auch zahlreiche Einwände und Vorbehalte gegen andere Teile seines Werks, gegen seine zeitgenössische Wirkung sowie seinen praktischen Lebensvollzug.
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Vgl. zu Böttiger Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 2, S. 88-90 (Walter Hettche). Goethe/Böttiger/3, S. 92. Goethe/Müller/4, S. 43. Goethe/Müller/4, S. 30.
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12.4. D a s S p e k t r u m nekrologischer G e n r e s im 19. Jahrhundert Nicht allein die Bewertungen von Rolle und Position eines Autors innerhalb der Gesellschaft hatten sich, wie eine Analyse der Beisetzungsfeierlichkeiten für Goethe belegt (vgl. 12.1.), seit der Wende vom Spätbarock zur Frühaufklärung in markanter Weise verschoben, auch das Spektrum an Genres und deren jeweiligen Medien, die für die Publikation von Nachrufen gewählt wurden, war, wie sich bereits angedeutet hat, bei allen gattungsgeschichtlichen Konstanten während eines Zeitraums von etwa einhundert Jahren signifikanten Veränderungen unterworfen gewesen. Im folgenden sollen als Abschluß der vorliegenden Expedition in die dunklen Gefilde der Geschichte des Nachrufs die in der zweiten Hälfte des 18. und den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts diversifizierten Formen der literarischen Memorialkultur nochmals systematisch gesichtet und den am Beispiel der Reaktionen auf das Ableben Philipp Melanchthons aufgefächerten Spielarten des frühneuzeitlich-humanistischen Totenlobs (vgl. 3.4.) komparativ gegenübergestellt werden.
12.4.1. Grabrede Der hingegangene Geheimrat wurde bei der Beerdigung ganz im üblichen Rahmen der zeitgenössischen Rituale der öffentlichen Würdigung eines Verblichenen mit einer Grabrede geehrt. 128 Johann Friedrich Röhrs Verbeugung vor dem verstorbenen Klassiker während der Bestattungszeremonie ist als charakteristisches Beispiel für das Genre bereits erwähnt worden. 129 Diese öffentliche Ansprache verband nur wenig mit den traditionellen Leichenpredigten, die bis etwa 1750 obligatorisch und bis in die letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts in abnehmendem Maße bei starken regionalen Unterschieden während der kirchlichen Totenehrungsfeiern von Geistlichen gehalten worden waren. 130 Sie wurde vor der geöffneten fürstlichen Gruft am Sarg - und nicht in einer Kirche während des Begräbnisgottesdienstes oder der Exequien - vorgetragen, der Redner faßte sich - im Vergleich zu den orationes funebres, die eine oder sogar mehrere Stunden in Anspruch nehmen konnten - außerordentlich kurz, er verzichtete auf die eingehende Exegese eines biblischen Themas und die daraus abgeleitete dogmatische admonitio ebenso wie auf die Darstellung des Lebenslaufes und den Katalog der wichtigsten Leistungen und vorbildlichen Tugenden des Verstorbenen. Auch die in der älteren Tradition der Leichenpredigt für die dispositio konstitutive Abfolge der vom Redner zu erregenden Affekte - lamentatio, laudatio, consolatio - mißachtete Röhr. Das erste
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Zur Trauerrede im 19. Jahrhundert vgl. grundlegend Kazmaier, Grabrede, 1977; vgl. auch Meier, Moritz', 1993. - Vgl. zur modernen evangelischen Grabrede z.B. Schwarz, Leben, 1999. Goethe/Röhr; vgl. dazu Petersen, Goethe, 1931, S. 755f.; Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 38-40. Vgl. zur Spätzeit der Leichenpredigten Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 52; Lenz, mortuis, 1990, S. 14f.; Mohr, Ende, 1984; ferner Boge/Bogner, Leichenpredigten, 1999, S. 335.
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Drittel seiner Rede widmete er der Klage um den Toten, das zweite dem Trost der Hinterbliebenen, das letzte dem Lob von dessen Talenten und Leistungen, aber auch dem Tadel an seinen Fehlern, um dann mit einer knappen Bitte um Gottes Gnade mit der Seele des Verstorbenen seine Ansprache zu beenden. Röhr gab also der Stringenz seiner Argumentation, bei der offenkundig die kritische Würdigung der Verdienste Goethes die abschließende Bitte um jenseitige Errettung vorbereiten sollte, den Vorzug gegenüber der Befolgung der überkommenen Regeln für die Herstellung eines nekrologischen Textes. Entscheidend ist dabei jedoch nicht nur der Bruch mit der konventionellen Affekttektonik selbst, sondern die Selbststilisierung des Rhetors zum Sprachrohr der Emotionen der versammelten Trauergemeinde. Das »beklommene Gefühl«, das der Redner mit seinen Äußerungen eigentlich steigern oder gar erst hervorrufen wollte, stellte er als eine Empfindung dar, die »uns«, das heißt ihn und die Zuhörer bereits ergriffen hatte und von ihm nur in Worte gefaßt, keineswegs aber erregt wurde; nicht er, der Sprecher, sondern ein »wir« setzte in der consolatio »der Trauer [... ] Maaß und Ziel« und fühlte sich durch die Betrachtung der bedeutenden Leistungen »getröstet und erhoben«, mit denen der Verstorbene seinem Leben Sinn verliehen hatte; nicht der Geistliche, sondern das mit einem »wir Alle« umschriebene Kollektiv der Teilnehmer an der Bestattung betete zuletzt für die Seele des Hingeschiedenen. Röhr verstand sich in seiner Rolle demnach - auch wenn diese selbst eine rhetorische Pose war - nicht als oratorischer Stimulator von Affekten bei seinem Publikum, sondern lediglich als Dolmetscher, der mit seiner einzelnen Stimme stellvertretend für die Gemeinschaft der Trauergäste deren gemeinsame Gefühle zum Ausdruck brachte. 131
12.4.2. Gedenkrede Während die Grabrede des frühen 19. Jahrhunderts also nur noch geringe Ähnlichkeiten mit der früheren Leichenpredigt aufwies, präsentierte sich zu gleicher Zeit die Gedenkansprache noch weitaus stärker von den eigenen genregeschichtlichen Traditionen bestimmt. 132 Diese Spielart der säkularen Auseinandersetzung mit dem Tod eines Menschen war ursprünglich im engeren akademischen Milieu situiert und berühmten Angehörigen der eigenen Universität sowie überregional arrivierten Schriftstellern und hochrangigen politischen Würdenträgern - unabhängig vom Ort ihres Sterbens - vorbehalten gewesen (vgl. 3.4.4.). Im 18. Jahrhundert hatte die Gedenkansprache aber auch Eingang in diverse außeruniversitäre gelehrte Zirkel und Gesellschaften gefunden, der Kreis der mit einer solchen Rede Gewürdigten umfaßte dabei vor allem eigene Mitglieder und allgemein bedeutende Persönlichkeiten des kulturellen Diskurses (vgl. 7.4.). Die - in der ursprünglichen Form des Genres selbstverständliche - Verwendung des Lateinischen war innerhalb der
131 132
Vgl. dazu Kazmaier, Grabrede, 1977, S. 173-179. Die Geschichte der akademischen Gedenkrede ist bis heute weitestgehend unerforscht geblieben.
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akademischen Gedächtnisfeier während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts weitgehend unüblich geworden, allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen. 133 Für die nicht-akademischen Trauerreden hatte man schon Jahrzehnte zuvor fast ausnahmslos das Deutsche gewählt, nicht zuletzt wegen der sprachreformatorischen Zielsetzungen vieler Gruppen, innerhalb derer sie gehalten wurden (vgl. 7.4.). Im Mittelpunkt der Gedenkansprachen für Schriftsteller hatte stets - partiell auch im Dienste der Vermittlung von Wissen an anwesende Studenten - die ausführliche und differenzierte Würdigung von deren literarischer Bedeutung und die Einordnung der individuellen Leistung in den Normenkanon der akademischen Eliten und in umfassende geistesgeschichtliche Zusammenhänge gestanden. Das für die Leichenpredigt konstitutive katalogartige Lob der zentralen christlichen Tugenden hatte demgegenüber im Hintergrund gestanden oder - ebenso wie die dogmatische admonitio - sogar gänzlich gefehlt. Auch die fünf säkularen Gedenkreden auf Goethe, die in gedruckter Form überliefert sind, blieben über weite Strecken den genregeschichtlichen Traditionen treu. Karl Morgenstern (1770-1852), 1 3 4 Heinrich Karl Abraham Eichstädt (1772-1848) 1 3 5 und Jakob Ignaz Sendtner würdigten in ihren Traueransprachen 136 im Rahmen der Gedächtnisfeierlichkeiten an den Universitäten Dorpat, Jena und München die überragende Bedeutung des Weimaraners für die Entwicklung der nationalen Literatur, ja sie erhoben ihn zum Begründer einer sowohl von den Fesseln der Regelpoetik als auch von der Nüchternheit der Aufklärung befreiten Dichtung in deutscher Sprache. Sie betteten dabei die chronologisch geordneten, teils durch biographische Daten flankierten Besprechungen der wichtigsten Werke Goethes in einen größeren literarund kulturhistorischen Kontext ein. Sendtner beschrieb die Entwicklung der deutschsprachigen Dichtung während der Lebenszeit des Weimaraners als eine Abfolge von Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang, Eichstädt parallelisierte diesen Prozeß überdies mit der Geschichte der griechischen Poesie. Alle drei Redner trugen in der von ihnen vorgetragenen Fülle an Informationen glanzvoll ihr reiches Wissen zur Schau und ließen es gleichzeitig weder an grimmigen Tiraden gegen die Feinde Goethes noch an kruden ideologischen Instrumentalisierungen ihrer Nachrufe fehlen - so prophezeite der Münchner Bibliothekar und Universitätslehrer Sendtner eine Erneuerung der deutschen Literatur von »bayerischem Boden« aus. 137 Friedrich von Müller hingegen würdigte in seinen beiden Gedenkreden vor der Weimarer Freimaurerloge 138 und der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu
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Vgl. hier die lateinische Universitätsrede Goethe/Eichstädt. - Auch die Abfassung von Epicedien aus Anlaß eines Todesfalles war um 1830 kaum mehr üblich, vgl. nur das lateinische Trauergedicht Goethe/Böttiger/1, das bezeichnenderweise aber mit einer deutschen Übersetzung versehen wurde. Vgl. zu Morgenstern Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 8, S. 21 If. (John A. McCarthy). Vgl. zu Eichstädt DBA, Folge 1, Nr. 272, Bl. 403-421. Goethe/Morgenstem; Goethe/Eichstädt; Goethe/Sendtner; vgl. dazu Petersen, Goethe, 1931, S. 757f., 760 u. 763; sowie Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 56f. Goethe/Sendtner, S. 64. Goethe/Müller/4; vgl. dazu Petersen, Goethe, 1931, S. 750 u. 760-762; sowie Schüdde-
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Erfurt 139 nicht bloß die poetischen Leistungen seines Freundes, sondern hob gleichzeitig die vielfältigen Verdienste des Verstorbenen um das kulturelle Leben in der Region während der letzten Jahrzehnte wie auch die positiven menschlichen Eigenschaften Goethes hervor, die sich in dessen »practische[r] Wirksamkeit« entfaltet hätten. Auch damit bewegte sich der Kanzler im Rahmen der üblichen Anforderungen, die seit dem 18. Jahrhundert an die Gestaltung einer Gedenkrede auf einen Menschen gestellt wurden, der einem Teil oder gar allen der anwesenden Zuhörer bekannt gewesen war. Er präsentierte den Toten auch innerhalb des sozialen und kulturellen Kontextes, den dieser mit dem Publikum geteilt hatte. 12.4.3. Theatralische Gedächtnisfeier Im Kontrast zur säkularen Trauerrede handelte es sich bei der theatralischen Gedächtnisfeier für einen verstorbenen Schriftsteller (insbesondere einen Dramatiker) um ein relativ junges, erst während der letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts entstandenes Genre des Nachrufs. 140 Wichtige Voraussetzungen für sein Entstehen und seinen Erfolg im literarischen Leben waren auf der einen Seite gewiß die Institutionalisierung der Bühnen in den größeren Städten und andererseits das starke Anwachsen ihres vor allem bürgerlichen Theaterpublikums in den Jahrzehnten der Aufklärung. Der gerade in diesen Trägerschichten der neuen, sich ausdifferenzierenden literarischen Öffentlichkeit sich ausbildende Personenkult um einzelne zeitgenössische Autoren provozierte geradezu eine angemessene Würdigung eines verstorbenen Schriftstellers auf der Bühne. Diese Form der Auseinandersetzung mit dem Hinscheiden eines Dichters hatte sich zum Zeitpunkt von Goethes Tod bereits so stark im kulturellen Leben etabliert, daß die Autoren von Nekrologen in Zeitungen und Zeitschriften an die wichtigsten Theater im deutschsprachigen Raum geradezu die Forderung nach der Ausrichtung einer würdigen Gedenkveranstaltung stellen konnten. Karl August Böttiger etwa formulierte nach Goethes Tod in der Augsburger Allgemeinen Zeitung seine Erwartungshaltung mit den folgenden Worten: Es kan kaum fehlen, daß nicht alle deutschen Bühnen des ersten Ranges auch eine Todtenfeier des Dichters veranstalten, der nicht nur in jeder Gattung des Bühnenspiels Muster
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köpf, Goethes, 1907, S. 46; vgl. die Dokumentation der gesamten Feier in der Freimaurerloge in Goethe/Anonym/16. - Zu Goethes Gedenkrede auf Christoph Martin Wieland in der Weimarer Loge im Jahre 1813 vgl. Sengle, Goethes, 1989. Goethe/Müller/5; vgl. dazu Petersen, Goethe, 1931, S. 750; sowie Jens, Vorwort, 1957, S. 8. Theatralische Gedächtnisfeiern für Goethe wurden auf der Bühne in Augsburg, auf dem Königstädtischen Theater zu Berlin, auf dem Großherzoglichen Hoftheater zu Darmstadt, dem Dresdner Hoftheater, dem Düsseldorfer Stadttheater, dem Großherzoglichen Theater zu Karlsruhe, dem Leipziger Stadttheater, dem Königlichen Hoftheater zu München, dem Nürnberger Theater, dem Stuttgarter Hoftheater, dem Weimarischen Hoftheater und auf dem Wiener Burgtheater sowie im Konzertsaal des Bergmännischen Musikvereins zu Freiberg/Sachsen veranstaltet. - Die Geschichte der dramatischen Gedenkfeiern ist bislang weitestgehend unerforscht geblieben. - Zu den Gedenkfeiern für Goethe vgl. Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 55-60; sowie Petersen, Goethe, 1931, S. 755.
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aufstellte, die nie von unsern Bühnen verschwinden können, sondern auch durch eine fast 20jährige Oberdirektion des Weimar'schen Hoftheaters eine eigene [... ] Schule, und in That und Wort den kundigsten Dramaturgen darstellte.141
In den theatralischen Gedächtnisfeiern wurde ein eigens für den Anlaß verfaßter dramatischer Text, 142 ein Schauspiel des Toten mit einem würdigenden Epilog 143 oder ein Potpourri aus verschiedenen Texten desselben, eventuell mit einem Vorspiel, szenischen Überleitungen und einem Nachspiel, aufgeführt, 1 4 4 gelegentlich durch einen musikalischen Rahmen - beispielsweise Ludwig van Beethovens (1770-1827) Ouvertüre zu Egmont145 - ergänzt. 146 Inhaltlich setzten die Gedächtnisfeiern kaum andere Akzente als die übrigen Nachrufe, allerdings bot das Medium der Bühne interessante Möglichkeiten einer durch die dramatische Handlung theatralisierten, dialogisch perspektivierten oder symbolischen Auseinandersetzung mit dem Tod eines Schriftstellers. So konnte die literarhistorische Einordnung Goethes beispielsweise als elysischer Streit zwischen der Muse Melpomene, der Vertreterin einer klassizistischen Poetik, und der Figur der Romantia, einer Personifikation der Ästhetik der romantischen Schule, auf die Bühne gebracht und dabei die bis hin zu Handgreiflichkeiten eskalierende Fehde schließlich durch die Ankündigung der Ankunft der beiden Weimarer Dichterfürsten geschlichtet werden, weil sie die konträren literaturtheoretischen Positionen in ihren Werken zusammengeführt und miteinander in Einklang gebracht hätten. 147 Ferner bot die theatralische Gedenkfeier die Chance, die Gegner des Verstorbenen in karikierter Form als komische Figuren auftreten zu lassen und sie öffentlich ihrer Lächerlichkeit zu überführen 148 - ein dramatischer Einfall, der allerdings wegen seines Verstoßes gegen die von einem Nachruf geforderte Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit einem aktuellen Todesfall nicht die Zustimmung aller Rezensenten fand. 149 Die tiefe Ergriffenheit
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Goethe/Böttiger/3, S. 98. Vgl. Goethe/Ecker; Goethe/Holtei. Vgl. Goethe/Immermann; Goethe/Miiller/3; Goethe/Robert; Goethe/Schenk; Goethe/ Schwab/2; Goethe/Tieck. Vgl. Goethe/Anonym/5; Goethe/Anonym/15; Goethe/Anonym/19. Vgl. Goethe/Holtei; Goethe/Tieck. Eine musikalische Umrahmung wurde gewählt bei Goethe/Anonym/15; Goethe/Anonym/19; Goethe/Ecker; Goethe/Immermann; Goethe/Robert. Vgl. Goethe/Schenk. Vgl. Goethe/Holtei, S. 30-36; vgl. dazu Goethe/Anonym/22. Vgl. Goethe/Anonym/23; Goethe/Schlesinger. - Auch andere Gedenkfeiern gerieten aus unterschiedlichen Gründen in die öffentliche Kritik. So wurde Karl Immermann (vgl. Goethe/Immermann) eine mißglückte Gestaltung der Sargattrappe auf der Düsseldorfer Bühne zum Vorwurf gemacht (vgl. Goethe/Wendel) und Ludwig Tieck (vgl. Goethe/Tieck) vorgehalten, in seinem Epilog Schiller als Weggefährten und Mitstreiter Goethes nicht erwähnt zu haben (vgl. Goethe/Anonym/2, vgl. dazu Schüddekopf, Goethes, 1907, S. 52f. u. 55f.). In Auseinandersetzungen wie diesen manifestierten sich demnach nicht nur konkurrierende poetologische Bestimmungen der Gattung des Nachrufs, sondern auch ästhetische Konflikte und Kämpfe um die Vereinnahmung des Verstorbenen für die jeweils eigene ideologische Position.
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des gesamten deutschsprachigen Raums über den Tod des Weimaraners wiederum konnte man anhand der Gemeinschaft der auftretenden Personen versinnbildlichen, deren Zugehörigkeit zu den verschiedenen Teilen des Reichs durch Schärpen in den jeweiligen Landesfarben markiert wurde. 150 Die Bühnendekorationen zu den dramatischen Gedenkfeiern enthielten dabei eine Reihe von Versatzstücken aus der älteren Tradition der öffentlichen Totenehrung im Rahmen der geistlichen Trauerzeremonie oder der Exequien. Dazu zählten vor allem die Errichtung eines (Schein-)Sarges,151 die Postierung einer Büste des Verstorbenen in der Bühnenmitte 152 und die Aufstellung von eigens verfertigten Emblemen, 153 allesamt symbolische Formen der publiken Totenehrung, in denen zentrale Elemente frühneuzeitlicher Trauerapparate154 weiterlebten.' 55 12.4.4. Totengespräch, Trauergedicht und nekrologische Sammelausgabe in literarischen Zeitschriften Das Genre des Totengesprächs (vgl. 7.5.) - in seiner dialogischen Struktur der dramatischen Gedenkfeier ähnlich, jedoch kaum je zur öffentlichen Aufführung gebracht - war zum Zeitpunkt von Goethes Ableben nicht nur weitgehend aus seiner früheren Position im kulturellen Diskurs verdrängt worden, sondern präsentierte sich auch hinsichtlich seiner kommunikativen Funktion und ästhetischen Form außerordentlich stark verändert. Seit der Einstellung der letzten periodisch publizierten Serie von Politischen Gesprächen im Reiche der Todten im Jahr 1810 erschienen Texte des Genres nur noch als Einzelpublikationen oder wurden anläßlich des Hinscheidens einer bedeutenden Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in den neuen literarischen Zeitschriften 156 veröffentlicht. Eben dieses Medium hatte augenscheinlich die Aufgabe der Information des lesenden Publikums über die rezenten kulturellen und politischen Ereignisse, Tendenzen und Diskussionen übernommen. Die von den Rezipienten nunmehr offenkundig erwartete Fülle, Diversität und Aktualität der präsentierten Nachrichten setzten dabei sowohl einen ganzen Stab an Beiträgern und Korrespondenten als auch eine beschleunigte Produktion und Distribution - die literarischen Zeitschriften erschienen täglich oder zum mindesten mehrmals wöchentlich - voraus und waren von einem einzelnen Redakteur, der die von ihm verarbeiteten Informationen noch dazu in die anspruchsvolle ästhetische Form der dialogischen Auseinandersetzung überführen mußte, kaum zu bewältigen. Schließlich dürften auch der pluralistische Polyperspek-
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Vgl. Goethe/Robert; vgl. dazu Goethe/Anonym/4. Vgl. Goethe/Immermann; Goethe/Robert. Vgl. Goethe/Anonym/15; Goethe/Tieck, S. 123. Vgl. Goethe/Anonym/15; bezeichnenderweise wurde hier in Freiberg mit der Gestaltung der Bühnendekoration wie in der frühen Neuzeit ein arrivierter Architekt beauftragt. In Goethe/Robert wird die Bühnendekoration sogar explizit als »Trauergerüst« bezeichnet. Vgl. dazu Popelka, Trauer-Prunk, 1999, S. 67f. Zum Nachruf auf Dichter in literarischen Zeitschriften der Goethezeit vgl. Lange, Sterne, 1993, S. 186-224.
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tivismus der älteren Totengespräche - im Kontrast zur polarisierenden Tendenz der miteinander konkurrierenden literarischen Zeitschriften - und die didaktische Orientierung des Genres zunehmend an Akzeptanz beim Publikum eingebüßt haben. Diese veränderten medien-, publizistik- und buchmarktgeschichtlichen Rahmenbedingungen hatten für das Totengespräch der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eminente ästhetische Konsequenzen, die sich exemplarisch an den anläßlich von Goethes Ableben erschienenen Texten des Genres ablesen lassen. 157 Besonders auffällig ist dabei - im Vergleich mit älteren Texten - die durchgängige Aussparung einer Präsentation konkreter biographischer Daten und einer Darstellung der Sterbeszene. Hier werden in der veränderten Gestaltung des Totengesprächs deutliche defensive Reaktionen auf den sukzessiven Bedeutungszuwachs der literarischen Zeitschrift innerhalb des Spektrums öffentlicher Auseinandersetzungen mit einem prominenten Todesfall erkennbar. Hatte im 18. Jahrhundert die Vermittlung der äußeren Umstände des Ablebens und der wichtigsten lebensgeschichtlichen Stationen eines Schriftstellers durch das Totengespräch wenige Wochen nach dessen Hinscheiden innerhalb der zeitgenössischen publizistischen Landschaft noch als aktuell gelten können, so wurden diese Informationen nun im neuen Medium über die Korrespondentenberichte konkurrenzlos schnell an das Publikum weitergegeben. Der Verzicht auf traditionelle inhaltliche Elemente des Genres ist demnach als Rückzug aus einer der bisherigen kommunikativen Funktionen zu erklären, die in der Zwischenzeit erfolgreich von der aktuelleren literarischen Zeitschrift übernommen worden war. Dem Verlust einer der traditionellen Aufgaben - der Informationsvermittlung korrespondierte die Aufwertung anderer publizistischer Ziele, insbesondere die ausführliche, wertende Würdigung des Verstorbenen, teilweise auch innerhalb eines größeren kulturhistorischen Kontextes. So ließ der anonyme Autor des 1833 publizierten Dramatische[n] Gespräch[s] im Reiche der Todten fünf bedeutende Literaten der Goethezeit sukzessive im Elysium eintreffen - Schiller, Christoph Martin Wieland, August Wilhelm Iffland (1759-1814), Kotzebue und zuletzt den Weimarer Dichterfürsten - und die wichtigsten Ereignisse der jeweils zurückliegenden Jahre gemeinsam diskutieren, und er nützte das Genre dabei für den Entwurf eines umfassenden Panoramas der politischen, kulturellen und literarischen Geschichte der letzten Jahrzehnte. 158 Freilich drohte bei einer solchen Instrumentalisierung gerade eines der interessantesten Potentiale der dialogischen Form auf der Strecke zu bleiben: die Möglichkeit der kontrastierenden Konfrontation der unterschiedlichen oder gar widersprüchlichen Positionen, welche die Teilnehmer der himmlischen Konversation zu Lebzeiten vertreten hatten. Tatsächlich stimmen die Personen des Dramatische[n] Gespräch[s] in ihren - krude kulturpessimistischen, antimodernistischen und reaktionären - Beurteilungen der literarischen Leistungen, historischen Ereignisse und Tendenzen der jüngeren Vergangenheit ohne weitere Diskussionen vollkommen überein. Damit wurde allerdings gleichzeitig eine partielle Brechung einiger der auftretenden Figuren erkauft: Die The-
157 158
Vgl. Goethe/Anonym/14; Goethe/Blum; Goethe/Heinroth. Vgl. Goethe/Anonym/14.
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se des Autors beispielsweise, daß allein Schiller und Goethe bleibende dramatische Werke in deutscher Sprache geschaffen hätten, mußte von einem unterwürfigen Iffland mit den Worten, er habe seine Schauspiele »[n]ur auf die Sitten jener Zeit berechnet«, bestätigt und von einem geradezu hündischen Kotzebue mit dem Eingeständnis noch untermauert werden, er habe bloß der »After-Muse« gehuldigt.159 Dieser Verlust an Polyperspektivität - welche dem Totengespräch gerade jenes innovatorische Potential verliehen hatte, mit dem es sich im 18. Jahrhundert von den älteren, >eindimensionalen< Formen des Nachrufs hatte absetzen können - öffnete dem Genre freilich gleichzeitig den Weg in eben das Medium, von dem es einer seiner kommunikativen Funktionen beraubt worden war, in die literarische Zeitschrift mit ihrer jeweiligen prononcierten ideologischen und ästhetischen Position im literarischen Diskurs. So publizierte das Unterhaltungsblatt Zeitung für die elegante Welt in den Wochen und Monaten nach Goethes Tod neben diversen anderen Würdigungen des Verstorbenen unter dem Pseudonym Treumund Wellentreter ein Totengespräch des Leipziger Arztes und Schriftstellers Johann Christian August Heinroth (1773— 1843),160 in dem Homer, Sophokles (um 497/96-407/06 v. Chr.) und Aristophanes (um 445-um 385 v. Chr.) sowie alle Musen die bedeutenden Leistungen des Dichterfürsten auf den verschiedenen Gebieten von Literatur und Wissenschaft preisen. 161 Dabei kennzeichnet diesen Text - abgesehen vom Verzicht auf eine dialogisch-kontroversielle Auseinandersetzung mit dem Thema - wie die anderen anläßlich von Goethes Ableben publizierten Totengespräche gegenüber der älteren Tradition des Genres als äußerlich auffälligste Neuerung ein Wechsel von der Prosa in ein streng reguliertes Versmaß und vom unterhaltsam plaudernden Ton auf die höchste Stilebene einer poetisch überformten, klassizistisch geprägten Dichtersprache. Das Totengespräch hatte sich demnach zu diesem Zeitpunkt in vielerlei Hinsicht dem Genre des Trauergedichts angenähert (Versifizierung, Stil, Verzicht auf konkrete biographische Daten, homogene, das heißt nicht diskursiv-kontroversielle Würdigung eines Verstorbenen, Veröffentlichung als Broschüre oder insbesondere auf der ersten Seite einer literarischen Zeitschrift). Gerade der durch die medien- und kulturgeschichtlichen Rahmenbedingungen erzwungene Abschied von einer dialogischen und somit auch in sich widersprüchlichen Perspektivierung des Gegenstandes beraubte das Genre aber zunehmend seiner Attraktivität für die Autoren von Nachrufen - und seine dramatische Struktur jedweden poetischen Sinns. Während das Trauergedicht denn noch für viele Jahrzehnte als ästhetisch überzeugende Form der Reaktion auf das Ableben eines Menschen weiterleben sollte, gehören die aus Anlaß von Goethes Hinscheiden publizierten Totengespräche - abgesehen von wenigen späteren Texten, welche allerdings wieder direkt an den satirisch geprägten, antiken Prototyp Lukians
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Goethe/Anonym/14, S. 267. - Auch in den beiden anderen Totengesprächen (Goethe/Blum, Goethe/Heinroth) wird zugunsten einer umfassenden ehrenden Würdigung des Verstorbenen auf kontroversielle Diskussionen verzichtet. - Zur nekrologischen Diskussion des Verhältnisses zwischen Goethe und Kotzebue vgl. Goethe/Albrecht/3. Vgl. zu Heinroth Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 5, S. 184f. (Ursula von Keitz). Vgl. Goethe/Heinroth.
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anschlossen 162 - zu den letzten Zeugnissen für ein selbst zum Sterben verurteiltes nekrologisches Genre. Trauergedichte auf das Ableben eines Schriftstellers erschienen ihrerseits wiederum während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts - anders als etwa noch anläßlich des Todes Gellerts - in zunehmend geringerer Zahl in Sammelausgaben oder als Einzelpublikationen - und wenn doch, dann handelte es sich dabei zumeist nicht um pompöse kumulative Gedenkeditionen oder um Gelegenheitsdrucke von wenigen Blättern, sondern um Broschüren von einem oder mehreren Bogen Umfang mit jeweils einem längeren lyrischen Text. 163 Das Genre des Trauergedichts hatte inzwischen - wie das Totengespräch, allerdings mit größerem Erfolg - einen signifikanten Medienwechsel vollzogen und war weitestgehend in die bereits erwähnten, neuen literarischen Zeitschriften integriert worden. Täglich oder zum mindesten mehrmals pro Woche erscheinende Periodika wie die Zeitung für die elegante Welt (1801-1859), Der Freimüthige (1803-1840), das Morgenblatt für gebildete Stände (1807-1865) oder Der Gesellschafter (1817-1848) eröffneten mit ihrer Mischung aus literarischen Texten unterschiedlichster Gattungen, aktuellen Rezensionen und Kulturberichterstattung 164 auch der Publikation von lyrischen Auseinandersetzungen mit dem Ableben eines Schriftstellers ein probates Forum, das aus Anlaß von Goethes Tod denn tatsächlich für ein ausführliches nekrologisches Räsonnement über den Weimaraner genutzt wurde. 165 Die Attraktivität dieser publizistischen Alternative zum Gelegenheitsdruck und zur Sammelausgabe bestand für die Autoren offenbar in der quantitativen wie räumlichen Vergrößerung des Rezipientenkreises, in der Beschleunigung der Distribution und nicht zuletzt in der Loslösung von den Interessen der Auftraggeber, die die Veröffentlichung des Kasualtextes finanzierten, oder der Verleger - wenn diese Vorteile auch mit der Abhängigkeit von ideologischer Ausrichtung und Gunst der jeweiligen Redaktion wie auch mit der kargen Entlohnung der einzelnen Beiträge erkauft werden mußten. Für die Gattung des Nachrufs freilich eröffneten die literarischen Zeitschriften eine weitere Möglichkeit der gegebenenfalls - bei entsprechender Position des jeweiligen Blattes - kritischen oder sogar offensiv negativen Auseinandersetzung mit Vita, Werk und Wirkung eines verstorbenen Schriftstellers, und in Zusammenspiel und Wechselwirkung der unterschiedlichen Stellungnahmen in den diversen Blättern konnte ein breit differenziertes, mitunter widerspruchsreiches und heftig diskutiertes Resümee eines soeben verloschenen Lebens und seiner Leistung gezogen werden.
162
Vgl. z.B. Mauthner, Totengespräche, 1906. Vgl. hier z.B. Goethe/Brunquell; Goethe/Gotthold; Goethe/Knapp; Goethe/Rappaport; Goethe/Wurm. - Vgl. zum Trauergedicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts z.B. Krummacher, Mörike, 1996; Weber, Nachruf, 1962. 164 Vgl. dazu zusammenfassend Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 14, S. 45-50 (Alfred Estermann: Literaturzeitschriften), hier S. 47f. 165 vgl. ζ. B. in Zeitung für die elegante Welt Goethe/Clemens; Goethe/Heinroth; Goethe/Kilzer; Goethe/Müller/7; in Der Freimüthige Goethe/Anonym/26; in Morgenblatt für gebildete Stände Goethe/Ebert; Goethe/Miiller/3; Goethe/Pfizer; Goethe/Schwab/2; Goethe/Stein; in Der Gesellschafter Goethe/Miiller/3; Goethe/Simrock. 163
369
Dabei wurde die nekrologische Sammelausgabe sogar gelegentlich als Relikt aus älterer Zeit in das neue Medium >hinübergerettetunter dem Strich< nach dem Vorbild der französischen Presse wurde um 1850 auch hier für ausführliche, Leben, Werk und Wirkung eines Verstorbenen zusammenfassend würdigende Nachrufe der entsprechende publizistische Raum geschaffen, welcher freilich in weiterer Folge das Interesse des Publikums für die nunmehr schon wieder überkommenen literarischen Zeitschriften des Vormärz zunehmend einengen und schließlich während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach maßgeblich zu deren Verdrängung vom Blättermarkt beitragen sollte.
176
Vgl. z.B. Anonym, Beschreibung, 1711; sowie die Verweise auf Gelegenheitsdrucke mit Darstellungen von Bestattungsfeierlichkeiten bei Boge/Bogner, Katalog, 1999, Nr. 195, 245, 284, 339, 384 u. 462. 177 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/12; Goethe/Anonym/13; Goethe/Händel. 178 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/27; Goethe/Albrecht/2. 179 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/31. 180 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/15; Goethe/Anonym/22; Goethe/Schlesinger; Goethe/Wendel. 181 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/6. 182 Vgl. hier z.B. Goethe/Böttiger/2. 183 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/7; Goethe/Anonym/28. 184 Vgl. hier z.B. Goethe/Anonym/10; Goethe/Anonym/11. - Auch Karl August Böttiger verzichtete in seinem berühmten Nachruf für die Augsburger Allgemeine Zeitung demonstrativ auf eine ausführliche resümierende Würdigung (vgl. Goethe/Böttiger/3, S. 88) und beschränkte sich zum größten Teil auf Mitteilungen über die letzten Lebensjahre des Verstorbenen, seinen Tod, die Aufbahrung, die Bestattung und die ersten Gedenkfeiern; vgl. zu diesem Text Petersen, Goethe, 1931, S. 746; sowie Nutz, Beispiel, 1994, S. 609.
372
12.4.6. Nekrologsammlung Ein weiteres periodisch erscheinendes Medium, das allerdings ausschließlich der Publikation von Nachrufen gewidmet war, die Nekrologsammlung, hatte in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts bereits den Zenit des größten Erfolgs überschritten. 185 An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hatte Adolf Heinrich Friedrich Schlichtegroll (1765-1822) 1 8 6 mit dem Nekrolog der Teutschenm ein breites, begeistertes Publikum gefunden; das Schwinden anderer, traditioneller nekrologischer Genres wie etwa der gedruckten Leichenpredigt vom Buchmarkt, die praktische anthologische Form gegenüber den älteren Einzelpublikationen und die überregionale Ausrichtung gegenüber der noch im frühen 18. Jahrhundert zu einem großen Teil lokal begrenzten Reaktionen auf den Tod eines Prominenten mögen einige der ausschlaggebenden Gründe für das starke Interesse des immer größer werdenden Lesepublikums an dieser Veröffentlichung gewesen sein. Zwischen 1823 und 1852 wurde das Konzept der jährlich erscheinenden Nachrufsammlung nochmals in dem von Friedrich August Schmidt (1785-1841) 1 8 8 begründeten Neue[n] Nekrolog der Deutschen aufgenommen; 1 8 9 die überwältigende Resonanz wie nach den früheren Publikationen blieb bei den Rezipienten nun jedoch aus; die Funktion der Information über die bedeutendsten neueren Todesfälle hatte offenkundig nun bereits weitgehend die literarische Zeitschrift übernommen. Die im Halb- oder Ganzjahresrhythmus erscheinenden Nekrologe präsentierten umfassende Würdigungen wichtiger Persönlichkeiten aus dem deutschsprachigen Raum, die während der jeweils zurückliegenden Monate verstorben waren. Der Umfang der einzelnen Nachrufe richtete sich nach der Bedeutung, die dem jeweiligen Menschen zugewiesen wurde. Die Artikel referierten die Biographie wie auch die zentralen Leistungen des Toten, bei Schriftstellern wurden diese Angaben durch Zitate aus ihren Texten und durch Werklisten ergänzt. 190 Die Aufgaben der Vermittlung biographischer Informationen, der abschließenden Bewertung eines prominenten Toten und der Belehrung des Publikums im Sinne der Auseinandersetzung mit einem beispielgebenden, aber keineswegs idealisierten Einzelschicksal 191 hielten sich dabei die Waage. Der - von Schlichtegroll auch programmatisch in kritischer Distanzierung
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Vgl. zu den Nekrologsammlungen allgemein Graevenitz, Geschichte, 1980; Köhler, Schlichtegrolls, 1995; Maurer, Biographie, 1996, S. 80f.; Scheuer, Biographie, 1979, S. 15f. Vgl. zu Schlichtegroll DBA, Folge 1, Nr. 1109, Bl. 26-64 u. Folge 2, Nr. 1153, BI. 126128; vgl. femer Köhler, Schlichtegrolls, 1995. Schlichtegroll, Nekrolog, 1790/1800; Schlichtegroll, Nekrolog, 1802/1806. - Bereits das von Friedrich Carl von Moser (1723-1798) in den Jahren 1784 bis 1790 herausgegebene Patriotische Archiv für Deutschland hatte neben diversen historischen und biographischen Studien zahlreiche Nekrologe enthalten (Moser, Archiv, 1784/1790). Vgl. zu Schmidt DBA, Folge 1, Nr. 1115, Bl. 438f. Schmidt, Nekrolog, 1824/1854. Der Nekrolog für Freunde deutscher Literatur (Buchner, Nekrolog, 1796/1799) hingegen präsentierte nur tabellarische Angaben zu Leben und Werken verstorbener Schriftsteller. Vgl. dazu Köhler, Schlichtegrolls, 1995, S. 181-183, der diesen Aspekt allerdings überbetont.
373
von der Leichenpredigt formulierten 192 - Vermeidung einer Glorifizierung des Verstorbenen entsprach ein relativ sachlicher und nüchterner Ton. Die im Neue[n] Nekrolog der Deutschen publizierte, anonyme Würdigung Goethes, welcher übrigens gemeinsam mit Schiller die Nachrufsammlungen einst in den Xenien verspottet hatte (»Unter allen, die von uns berichten, bist du [sc. der Nekrolog] mir der liebste; I Wer sich lieset in dir, lies't dich zum Glücke nicht mehr.«193), folgte durchgängig den Konventionen des Genres 194 - und diese wiederum blieben bei allen Unterschieden im Stil und in den vermittelten Werten und Normen dispositionell weitestgehend den argumentationes akademischer Gedenkreden verpflichtet. Die Überschrift präsentierte den Namen des Toten, seine genauen Lebensdaten, seine Titel und die von ihm bekleideten Ämter. Die erste Hälfte des Nekrologs, in dessen außergewöhnlichem Gesamtumfang von 24 Druckseiten die dem Verstorbenen zugemessene Bedeutung zum Ausdruck gebracht wurde, war der Vita gewidmet. In der zweiten Hälfte folgten eine Darstellung der individuellen menschlichen Eigenschaften Goethes (etwa seine Verschwiegenheit mit Bezug auf ihm anvertraute Geheimnisse und seine Offenheit und Geradlinigkeit in der Mitteilung seiner Überzeugungen) sowie eine - in ihrer Mischung aus Pietät und Sachlichkeit stellenweise unfreiwillig komische - Charakteristik seiner Physiognomie (zum Beispiel »Den ganzen Körper, mit Ausnahme des Kopfes, bekleidete reichliches Fleisch«195) und seiner Lebensweise (»Er liebte eingeschlossene Zimmerluft. Gegen üble Gerüche war er nicht besonders empfindlich f...]« 196 ). Eine Bibliographie der Publikationen des Dichterfürsten beschloß den Text.
12.4.7. Nekrologische Biographie in Buchform Ein weiteres nekrologisches Genre, das dem Nachruf innerhalb der Nekrologsammlung in vielerlei Hinsicht verwandt ist, etablierte sich zum Zeitpunkt von Goethes Ableben in breiterem Umfang erst langsam auf dem literarischen Markt: die aus Anlaß eines Todesfalles veröffentlichte detaillierte Biographie in Buchform. 197 Ausführliche, als umfassende Einzelpublikationen gedruckte Darstellungen eines Lebenslaufes waren bereits von den Humanisten verfaßt und verbreitet worden (vgl. 3.4.10.). Doch hatte es sich dabei einerseits, gerade wenn diese Texte auf einen aktuellen Todesfall reagierten und nicht einen Menschen aus der älteren Vergangenheit zum Gegenstand hatten, um außerordentlich seltene, wenigen herausragenden Persönlichkeiten vorbehaltene Würdigungen gehandelt. Zum anderen hatten
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Vgl. Köhler, Schlichtegrolls, 1995, S. 183. Goethe/Schiller, Xenien, 1893, S. 211, Nr. 44. Vgl. Goethe/Anonym/24. Goethe/Anonym/24, S. 217. Goethe/Anonym/24, S. 218. Kruckis, Abbild, 1995 geht auf die frühe Phase der Goethe-Biographik nicht ein. - Zur Entstehung der wissenschaftlichen Biographie im 19. Jahrhundert vgl. u.a. Kruckis, Biographie, 1994.
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diese Biographien nur partiell im Dienste der Verbeugung vor dem individuellen Schicksal, sondern häufig der Exemplifizierung einer spezifischen religiösen oder ideologischen Position anhand der konkreten, einzelnen Vita gestanden, hier ist vornehmlich an die Tradition der religiösen Bekenntnisliteratur und der Sammlungen von pietistischen Bekehrungsgeschichten zu denken. Die besonderen, persönlichen, vielleicht auch außergewöhnlichen oder gar exzentrischen Züge eines Lebenslaufes waren erst seit der Mitte des aufgeklärten Säkulums nach und nach in den Blick von Biographien genommen worden, und erst nach der Jahrhundertwende griff man dabei zunehmend auf persönliche Dokumente des Gewürdigten zurück, im Falle von Schriftstellern zusätzlich auf Äußerungen im Werk, welche autobiographisch deutbar erschienen. Die Produktion von biographischen Werken, zumal durch Autoren, die sich auf dieses Gebiet der Publikationstätigkeit spezialisierten, korrespondierte dabei dem steigenden Interesse der Rezipienten an der Lektüre individueller Lebensschicksale, und dementsprechend entwickelte sich hier im Laufe des 19. Jahrhunderts ein eigenes Segment auf dem literarischen Buchmarkt. So veröffentlichte 1833 der Jenenser Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur Heinrich Döring (1789—1862)198 eine um die letzten Lebensjahre und den Tod komplettierte Neuauflage seiner bereits fünf Jahre zuvor erstmals erschienenen Darstellung der Vita des Weimarer Dichterfürsten. 199 Gerade Döring kann als charakteristisches Beispiel für die Entstehung des Typus des biographischen Schriftstellers während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts gelten. In immer neuen Buchveröffentlichungen porträtierte er ausführlich die bedeutendsten Zeitgenossen, darunter Schiller, Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), Jean Paul, Johann Heinrich Voß (1751-1826), Johannes von Müller (1752-1809), und stützte sich dabei vor allem auf autobiographische Äußerungen, Briefe und sonstige Dokumente der jeweils dargestellten Schriftsteller. Die Publikation einer umfassenden Lebensbeschreibung eines Menschen in Buchform kurz nach seinem Tod sollte jedoch ebenso wie die Veröffentlichung eines eher subjektiv gefärbten Bandes mit persönlichen Erinnerungen an den Verstorbenen im deutschsprachigen Raum erst nach 1850 zu einem stark verbreiteten und erfolgreichen nekrologischen Genre avancieren. Es war daher durchaus nicht ungewöhnlich, daß anläßlich von Goethes Tod neben der ergänzten Neuausgabe von Dörings Werk und einigen Buchpublikationen, die sich einzelnen Aspekten der Lebensgeschichte des Dichterfürsten widmeten (seinen letzten Jahren 200 oder seiner amtlichen Tätigkeit 201 ), keine weiteren umfassenden biographischen Würdigungen erschienen.
198 199 200 201
Vgl. zu Döring Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 3, S. 94 (Michael Then). Goethe/Döring/2; Döring, Göthes, 1828. Vgl. Goethe/Döring/1; Goethe/MüIler/6. Vgl. Goethe/Vogel/1.
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12.4.8. Nekrologische Werkausgabe Die nekrologische Sammelausgabe im Medium des Buches war hingegen zum Zeitpunkt von Goethes Ableben fast völlig außer Gebrauch gekommen. Zum einen hatten - wie bereits erwähnt - die neuen literarischen Zeitschriften dieses Genre der Totenehrung in das Spektrum der von ihnen dargebotenen Auseinandersetzungen mit dem Tod eines Menschen integriert. Freilich mußte hier nicht nur die monumentale, repräsentativ-ehrende äußere Form, sondern auch der Anspruch einer möglichst vollständigen Kompilation der Nachrufe auf einen Verstorbenen zugunsten der Sammlung von Würdigungen einzelner literarischer Gruppen aufgegeben werden. Zum anderen hatte die Funktion der repräsentativen Memorialisierung eines Schriftstellers im Medium des Buches bereits während des 18. Jahrhunderts sukzessive die postume Werkausgabe mit einer ausführlichen lebensgeschichtlichen Einleitung und einer Sammlung nekrologischer Ehrungen im Anhang übernommen (vgl. 8.2.), wobei auf den Abdruck von Trauerlyrik nach und nach verzichtet wurde und die gediegene Textedition, flankiert von einer würdigenden Biographie, zunehmend in den Mittelpunkt rückte (vgl. 8.3.). Auch im Falle Goethes wurde bereits kurz nach dem Tod eine Komplettierung der Vollständige[n] Werke letzter Hand durch die nachgelassenen Schriften in fünfzehn Bänden angekündigt, die denn tatsächlich unter der Ägide von Johann Peter Eckermann (1792—1854)202 und ergänzt durch die biographischen Studien Dörings 203 noch während der Jahre 1832 und 1833 in zügiger Folge auf dem Buchmarkt erschien. Nicht mehr der vielstimmige Chor der Parentatoren errichtete mithin dem verstorbenen Schriftsteller ein bibliophiles Denkmal, sondern dieser selbst sollte - in einer bis dahin ungekannten Monumentalität - durch die gewichtigen Bände der Werkausgabe zur Nachwelt sprechen. Bekanntlich wurden dem Weimaraner alsbald auch steinerne Denkmäler gesetzt, und diese Form der postumen Ehrung eines verstorbenen Autors sollte während der folgenden Jahrzehnte nichts von ihrer symbolischen Kraft einbüßen, im Gegenteil. Die in den Dichtermonumenten zum Ausdruck gebrachte Intention unangreifbarer Kanonisierung und Äternalisierung eines toten Schriftstellers war freilich, wie bereits im Falle Gellerts (vgl. 9.4.), eine Reaktion auf die zunehmende Verschärfung und Polarisierung der ästhetischen und ideologischen Debatten in der literarischen Öffentlichkeit, welche sich - die Nachrufe auf Goethe haben es gezeigt - bei der Würdigung eines Verstorbenen auch im offensiven und wiederholten Bruch der ethischen Maxime De mortuis nil nisi bene manifestierten. Als Medium für diese publike, auch kritische oder gar negative Resümierung eines verloschenen Lebens standen dabei vor allem die literarischen Zeitschriften, die Sprachrohre der unterschiedlichen poetologischen und politischen Strömungen innerhalb der deutschsprachigen Kultur und Publizistik, zur Verfügung, und seit etwa 1850, nach der Einrichtung der Rubrik >unter dem Strich< in der Tagespresse, wurden sie zusätzlich ergänzt und letztendlich auch abgelöst durch
202 203
Vgl. zu Eckermann Killy, Literaturlexikon, 1988/1993, Bd. 3, S. 169-171 (Peter Boerner). Goethe/Döring/1 und Goethe/Döring/2 wurden auch als Anhang in die Vollständige[n] Werke letzter Hand integriert.
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das Feuilleton. Die auf eine vorgebliche Ewigkeit angelegte Monumentalisierung eines prominenten Schriftstellers in papierenen und insbesondere steinernen Denkmälern hier und die kontroversielle Auseinandersetzung um seine Lebensleistung in den bislang vergänglichsten und schnellebigsten Medien dort traten einander demnach als zentrale Formen der postumen Dichterwürdigung sinnfällig gegenüber, Adoration und Glorifizierung auf der einen, vielfältige, auch kontradiktorische Diskursivierung von Person und Werk eines verblichenen Poeten auf der anderen Seite. Die neue Ära, welche die Parentatoren bei Goethes Ableben herbeigeredet hatten, brach tatsächlich an. Zwar stand weder eine Periode des rapiden kulturellen Verfalls ins Haus noch eine Epoche von Demokratisierung und Liberalisierung. Stattdessen hielten in dem gegenüber Frankreich und England verspäteten deutschsprachigen Raum die Anfänge des Zeitalters der industriellen Revolution Einzug. Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende, sehr rasch erfolgreich fortschreitende Integration der verschiedenen Formen des Nachrufs in das Feuilleton der Tagespresse und der bis zum Ende des Säkulums zu beobachtende Niedergang des Nekrologs in seinen älteren Genres und deren Medien war Teil jenes sozialen, ökonomischen und auch kulturellen Modemisierungsprozesses. Goethes Hinscheiden markierte demnach auch insofern das Ende eines Zeitalters, als kein deutschsprachiger Schriftsteller nach ihm noch einmal bei seinem Ableben mit einem so reich differenzierten Spektrum an diversen Spielarten des Totenlobs in so vielen verschiedenen Publikationsforen gewürdigt werden sollte.
377
13. Schluß
Die Reformation ist, wie sich gezeigt hat, auch insofern als Medienrevolution zu begreifen, als in ihrem Verlauf die Gattung des Nachrufs erstmals in größerem Umfang über den Buchdruck verbreitet wird (vgl. 2.1.). Die althergebrachten Genres der Totenehrung erscheinen teils im Dienste der neuen Herausforderungen aktualisiert, teils verfestigen sich alternative literarische Traditionen (vgl. 3.4.). Auch werden bewährte Muster der Auseinandersetzung mit einem rezenten Todesfall nach antiken, mittelalterlich-christlichen und humanistischen Vorbildern rezipiert und übernommen, gleichzeitig jedoch durch bisher unbekannte Argumentationsstrategien ergänzt (vgl. 3.2.). Die theologische oder ideologische Instrumentalisierung des Nachrufs ist nicht eine gelegentliche >Zweckentfremdungbei Gelegenheit^ Heidelberg 1988. (Beihefte zum Euphorion 22). ADB. Allgemeine deutsche Biographie. Hg. durch die Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Bde. 1-56. Leipzig 1875/1912. Ahrens, Jörn: Durchstreichungen. Essays zu Tod und Literatur. Würzburg 2001. Aka, Christine: Tot und vergessen? Sterbelieder als Zeugnis katholischen Totengedenkens. Dortmund 1993. (Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold - Landesmuseum für Völkskunde 10). Albrecht, 0[tto]: Die Berichte über Luthers Tod. Im Anschluß an Schubarts Sammlung. In: Theologische Studien und Kritiken 92 (1919), S. 335-353. Albrecht, Wolfgang: Gotthold Ephraim Lessing. Stuttgart, Weimar 1997. (Sammlung Metzler 297). - : Den einen Wahrheitssucher, den anderen Irreführer. Zeitschriftenmaterialien zur Wirkung Lessings im Jahrzehnt seines Todes. Zusammengestellt und kommentiert. In: Lessing Yearbook 23 (1991), S. 1-67. Althaus, Paul: Der Friedhof unserer Väter. Ein Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche. 4. Aufl. Gütersloh 1948. - : Die letzten Dinge. Lehrbuch der Eschatologie. 10. Aufl. Gütersloh 1970. Althaus, Thomas: Epigrammatisches Barock. Berlin, New York 1996. (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 9 [243]). Alt, Peter-Andre: Empirische Tendenzen bei Thomasius. In: Ders.: Aufklärung. Stuttgart, Weimar 1996. (Lehrbuch Germanistik). S. 21-25. Andersson, Bo: Ein titelloses Begräbnis auf Anna Bach. Zu Paul Flemings »Gedanken über die Zeit«. In: Text & Kontext 15 (1987), S. 7^12. Angress, R[uth] K.: The Early German Epigram. Α Study on Baroque Poetry. Lexington 1971. (Studies in the Germanic Languages and Literatures 2). Anz, Thomas: Der schöne und der häßliche Tod. Klassische und moderne Normen literarischer Diskurse über den Tod. In: Klassik und Moderne. Die Weimarer Klassik als historisches Ereignis und Herausforderung im kulturgeschichtlichen Prozeß. Walter Müller-Seidel zum 65. Geburtstag. Hg. v. Karl Richter und Jörg Schönert. Stuttgart 1983. S. 409-432. Aries, Philippe: Geschichte des Todes. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen und Una Pfau. Darmstadt 1996. Arnold, Marina: Der Tod und die Witwe. Die Darstellung verwitweter Frauen in Leichenpredigten aus dem Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel (1600-1725). In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 30 (2003), H. 1/2, S. 39-51. Arto-Haumacher, Rafael: Verehrt - verkannt - vergessen. Christian Fürchtegott Geliert zum 280. Geburtstag. Hg. v. Gellert-Museum Hainichen mit Unterstützung der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen. Egelsbach, Frankfurt/Main, St. Peter Port 1996. (Deutsche Hochschulschriften 1112). Assion, Peter: Sterben nach tradierten Mustern. Leichenpredigten als Quelle für die volkskundliche Brauchforschung. In: Lenz, Leichenpredigten, Bd. 3, 1984, S. 227-247. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. (C.H. Beck Kulturwissenschaft). - / Harth, Dietrich (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt/Main 1993. (Fischer Wissenschaft, Fischer Taschenbuch 10724). Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 3. Aufl. München 2000. (Beck'sche Reihe 1307). - / Hölscher, Tonio (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt/Main 1988. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 724).
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