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German Pages 406 Year 2006
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1013
Heimliche polizeiliche Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht Von
Jae-Young Son
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JAE-YOUNG SON
Heimliche polizeiliche Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1013
Heimliche polizeiliche Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht
Von
Jae-Young Son
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11971-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Frau und meiner Tochter
Vorwort Diese Arbeit lag im Sommersemester 2005 der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim als Dissertation vor. Sie wurde im Oktober 2004 abgeschlossen. Später veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur konnte nur noch ausnahmsweise berücksichtigt werden. Der deutsche akademische Austauschdienst (DAAD) hat diese Arbeit mit einem Stipendium unterstützt (01. 10. 2001 – 30. 09. 2005), wofür ich mich hiermit bedanken möchte. Mein ganz besonderer Dank gilt daneben Herrn Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, der die Dissertation stets hilfreich betreut hat. Herr Prof. Dr. Schenke hat mich als „Doktorvater“ durch seinen fachlichen Rat nachhaltig unterstützt und mich auch in kritischen Phasen zum Weitermachen ermutigt. Ohne ihn wäre diese Arbeit nie entstanden. Für die Erstellung des Zweitgutachtens bin ich auch Herrn Hochschuldozenten Dr. Kristian Fischer sehr zum Dank verpflichtet. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Josef Ruthig, Universität Mainz, für seine Unterstützung. Herr Prof. Dr. Ruthig hat das Zweitgutachten zu meiner Magisterarbeit und das Gutachten zum Antrag auf weitere Förderung meines Forschungsvorhabens durch den DAAD erstellt. Zudem haben wir eine Vielzahl von Gesprächen zu verfassungs- und polizeirechtlichen Themen geführt, aus denen ich mir wertvolle Anregungen holen konnte. Dank gebührt auch Herrn Assessor Thorsten Reinhardt. Er hat als „mein bester Freund“ meine Arbeit immer wieder kritisch durchgelesen, mit mir diskutiert und zahlreiche wertvolle Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Er hat mir dadurch wesentliche Hilfe bei der Erstellung der Arbeit geleistet. Zu danken habe ich ferner Herrn Prof. Dr. Won Joo Kim und Herrn Prof. Dr. Chang Jo Kim für ihre großzügige Unterstützung. Sie haben mich immer wieder ermutigt und mich durch ihre Hilfe und ihren Zuspruch unentwegt unterstützt und damit ebenso zum Erfolg dieser Arbeit beigetragen, wofür auch ihnen herzlich zu danken ist. Ein recht herzliches „Dankeschön“ geht nicht zuletzt an meine Frau, Sun Yi Heo, die auf vieles verzichtete, um die Anfertigung dieser Arbeit zu ermöglichen. Ohne die Geduld meiner Frau, die mich in allen Höhen und Tiefen dieser Zeit ertragen durfte, wäre diese Arbeit nicht zu bewerkstelligen gewesen. Ihr widme ich diese Arbeit. Mannheim, im Sommer 2005
Jae-Young Son
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1. Teil Das Volkszählungsurteil des BVerfG
32
1. Kapitel Vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung
32
A. Hat das BVerfG ein neues Grundrecht erfunden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausgangspunkt für die Anerkennung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
II. Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den BGH . . . . . . . . .
34
III. Die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das BVerfG . . . . .
36
1. Ausgangspunkt: Das Elfes-Urteil vom 16. 1. 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
2. Anerkennung eines Selbstbestimmungsrechts über die Erhebung und Verarbeitung von Informationen aus der geschützten Intim- und Privatsphäre . . . .
37
a) Selbstbestimmungsrecht im innersten Intimbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
b) Selbstbestimmungsrecht in der nur relativ geschützten Privatsphäre . . . . . .
42
aa) Der Schutz gegen die zwangsweise Erhebung privater Informationen (1) Der Mikrozensus-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Arztkartei-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 43 43
bb) Der Schutz gegen die heimliche Verarbeitung privater Informationen (1) Der Ehescheidungsaktenbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Tonband-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 44 45
3. Der Schutz der Selbstbestimmung ohne Beschränkung auf die Schutzsphären
46
a) Das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
aa) Das Lebach-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
bb) Der Eppler-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
cc) Der Böll / Walden-Beschluss und der Gegendarstellungsbeschluss . . . .
50
dd) Das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit als Vorläufer des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
10
Inhaltsverzeichnis b) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
aa) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
bb) Anerkennung eines Selbstbestimmungsrechts über die Erhebung und Verarbeitung „personenbezogener“ Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
B. Widerspruch des Volkszählungsurteils mit der früheren Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
I. Das Privatsphärenschutzkonzept des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
1. Anerkennung verschiedener Schutzsphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2. Der Schwachpunkt der Sphärentheorie: Relativität der Privatheit . . . . . . . . . . . . .
56
II. Der Ansatz des informationellen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
1. Verselbständigung gegenüber dem Privatsphärenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2. Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes personenbezogener Daten . . . . . . .
58
III. Die Abkehr von der Sphärentheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
C. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Grundlage des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
I. Ableitung eines informationellen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
II. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . .
63
1. Verhältnis von allgemeiner Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht . . . . . .
63
2. Der Persönlichkeitsschutz gegenüber der neuartigen Gefährdung für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit durch die elektronische Datenverarbeitung (EDV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
3. Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit auch bei Datenerhebung ohne Kenntnis des Betroffenen oder bei Dritten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
2. Kapitel Die Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen und präzisen Datenschutzregelungen
66
A. Erfordernis eines umfassenden Gesetzesvorbehalts für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
I. Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
1. Gesetzesvorbehalt für Eingriffsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
2. Ausweitung des Gesetzesvorbehalts durch Weiterungen der Freiheitsbereiche
68
Inhaltsverzeichnis
11
II. Weitergehende Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen und präzisen Datenschutzregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
1. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur Klarheit und Bestimmtheit von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
a) Die Forderung des BVerfG nach vorhersehbaren und berechenbaren Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
b) Grundsätzliche Zulässigkeit von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
c) Es handelt sich um eine relative Bestimmtheit, die von der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und der Intensität eines Grundrechtseingriffs geprägt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
2. Vom Bestimmtheitsgebot zum Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
a) Erfordernis einer der Transparenz der Datenverarbeitung dienenden gesetzlichen Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
b) Gewährleistung der Transparenz der Datenverarbeitung durch bereichsspezifische und präzise Datenschutzregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Gebot der bereichsspezifischen und präzisen Zweckbestimmung für die Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
3. Keine Einschränkung ohne eine präzise, bereichsspezifische gesetzliche Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
a) Gewährleistung der gebotenen Transparenz der Datenverarbeitung und der ihr dienenden Normenklarheit durch spezialgesetzliche Datenschutzregelungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
b) Es geht auch bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht um eine absolute, sondern nur um eine relative Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . .
79
B. Die Novelle der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
I. Geltung des Volkszählungsurteils des BVerfG für das Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . .
81
II. Notwendigkeit und Umfang bereichsspezifischer Datenschutzregelungen im Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
1. Notwendigkeit spezieller Regelungen bei den Informationseingriffen unter erleichterten Voraussetzungen als die der polizeilichen Generalklausel und des polizeilichen Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
2. Notwendigkeit besonderer Ermächtigungsgrundlagen bei den besonders gravierenden Informationseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
III. Überblick über die Neuregelungen des Datenschutzes im Polizeirecht . . . . . . . . . .
88
1. Allgemeine Grundsätze der Datenerhebung und Datenverarbeitung . . . . . . . . . .
89
74 75
a) Allgemeine Regeln der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
b) Allgemeine Regeln der Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten
90
12
Inhaltsverzeichnis 2. Datenerhebung und Datenverarbeitung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
3. Der Adressat der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
IV. Besondere Mittel der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
1. Die Rechtsnatur heimlicher Datenerhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
2. Voraussetzungen für einen Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung . . . .
99
3. Betroffene einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Teil Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung und der Umwidmung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten
102
1. Kapitel Gesetzgebungskompetenz
103
A. Die Gesetzgebungskompetenz für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten . . . . . 103 I. Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Die Verhütung künftiger Straftaten als Unterfall der Aufgabe Gefahrenabwehr 104 3. Einordnung der Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Die Entscheidung des BayVerfGH bezüglich der Art. 30 bis 49 PAG . . . . . . . . . 107 2. Das Urteil des BVerfG bezüglich § 2 DNA-IFG i.V. m. § 81g StPO . . . . . . . . . . 107 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Die Strafverfolgungsvorsorge als Unterfall der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Gesetzgebungskompetenz der Länder gem. Art. 72 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Raum für landespolizeigesetzliche Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge 110 a) Kein Raum mehr für die Anwendung landespolizeirechtlicher Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge hinsichtlich der bundesrechtlichen Regelungen des § 81b 2. Alt. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Kein Raum mehr für die Schaffung landespolizeigesetzlicher Vorschriften über den sog. genetischen Fingerabdruck für Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Kein Raum mehr für die landespolizeigesetzlichen Regelungen einer Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke künftiger Strafverfahren im Anwendungsbereich des § 484 I StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Inhaltsverzeichnis
13
B. Die Gesetzgebungskompetenz für die Umwidmung personenbezogener Daten . . . . . . 117 I. Umwidmung präventivpolizeilich erhobener Daten zu strafprozessualen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Die Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung und der Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Die Ermächtigung zur Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten für Zwecke der Strafverfolgung kann sich nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Die Verwendung der für Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Gefahrenvorsorge gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Die Gesetzgebungskompetenz für die Beschränkung der Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Verwendungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Statuierung der Verwendungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Umwidmung strafprozessual erhobener Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Regelung der Verwendung der auf der Basis der StPO erhobenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Die Gesetzgebungskompetenz für die Beschränkung der Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Das Modell der doppelten Tür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Verwendungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Statuierung der Verwendungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
2. Kapitel Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
131
A. Schutzbereiche des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Die Gewährleistung des Datenschutzes durch spezielle Freiheitsgrundrechte . . . 133 1. Die speziellen Grundrechtsbestimmungen des Datenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG . . . . . . . . . 135
14
Inhaltsverzeichnis 3. Der grundrechtliche Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Der allgemeine Datenschutz durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht 143 1. Grundsätzliche Subsidiarität gegenüber Spezialgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Freiheit um der Menschenwürde willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Der Schutz aller personenbezogener Daten vor ihrer Erhebung und Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Personenbezogene Daten als Schutzobjekt des informationellen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Der Schutz in jeder Phase und jeder Form der Datenverarbeitung . . . . . . . . . 146 4. Die Gewährleistung der individuellen Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5. Die Ergänzung des datenschutzrechtlichen Schutzes durch andere, bereichsspezifische Grundrechtsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
B. Die heimliche Erhebung personenbezogener Daten und deren weitere Verwendung durch die Polizei als Informationseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Merkmale des Informationseingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Personenbezogenheit der betroffenen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Erhebung und Verarbeitung der Daten gegen den Willen oder ohne Wissen des Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Eingriffsqualität heimlicher polizeilicher Datenerhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Die Umwidmung personenbezogener Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
3. Kapitel Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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A. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG als Grenze heimlicher Informationseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Das Verbot einer umfassenden Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Es widerspricht der Würde des Menschen, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Grenzen der sog. „Objektformel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Absoluter Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Die sog. Kernbereichs-Dogmatik des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
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2. Das Große Lauschangriff-Urteil vom 3. 3. 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG gehört die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Zur inhaltlichen Bestimmung des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Grenzen der Kernbereichs-Dogmatik des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Hängt die absolute Schutzwürdigkeit von Räumlichkeiten von ihrer konkreten Nutzung ab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Die Relativierung des Kernbereichschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Das Gebot der unverzüglichen Löschung höchstpersönlicher Daten ergibt sich ohne die Anerkennung eines Kernbereichs bereits aus dem Folgenbeseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Der Schwachpunkt der Argumentation des Minderheitsvotums: Absoluter Schutz von Privatwohnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Der Schutz durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 B. Absoluter Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Verfassungsrechtliche Fundierung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen . . . 176 1. Zur Ratio der Zeugnisverweigerungsrechte gem. §§ 52 – 53a StPO . . . . . . . . . . . 176 a) Der Schutzzweck der Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Der Schutz des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Zeugnisverweigerungsrechte als Ausgestaltung von Vertrauensverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Die grundrechtliche Absicherung von Vertrauensverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Der grundrechtliche Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen . . . . . 182 aa) Der Schutz von mittels Amts- und Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnissen (Art. 4, 5, 12 und 47 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (1) Die Bedeutung des Schutzes von Amts- und Berufsgeheimnissen 182 (2) Der Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen in der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Der Schutz von familiären Vertrauensverhältnissen gem. Art. 6 GG . . 185 b) Der grundrechtliche Schutz von allgemeinen Vertrauensverhältnissen (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Die Rechtsfolgen des grundrechtlichen Schutzes von Vertrauensverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Verfassungsrechtliche Fundamente der Zeugnisverweigerungsrechte . . . . . . . . . 189
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Inhaltsverzeichnis II. Die Abwägung von Vertrauensverhältnissen mit den staatlichen Schutzpflichten 190 1. Ein uneingeschränkter Schutz von Vertrauensverhältnissen vor Datenerhebungen und Datenverarbeitung kann nicht aus der Verfassung abgeleitet werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Großen Lauschangriff-Urteil des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Der absolute Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umfasst auch die Kommunikation mit Personen des besonderen Vertrauens . . . . . . . 194 aa) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen zwischen engsten Familienangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) § 52 StPO ist nicht zum Schutz des Vertrauensverhältnisses, sondern zur Vermeidung von Rollenkonflikten geschaffen worden . . . 195 (2) Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umfasst das höchstpersönliche Gespräch mit dem Ehepartner oder mit anderen engsten Familienangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (1) Der absolute Schutz des Beichtgeheimnisses vor heimlichen Informationseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (2) Die Berufsgeheimnisse von Strafverteidigern und Ärzten . . . . . . . . 198 b) Die Kritik am Großen Lauschangriff-Urteil des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Dogmatische Bedenken gegen die Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . 199 bb) Ist § 52 StPO nicht zum Schutz des Vertrauensverhältnisses geschaffen worden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Absoluter Schutz von Vertrauensverhältnissen vor Maßnahmen nach § 100c I Nr. 3 StPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 dd) Die Optimierung divergierender Verfassungswerte obliegt zunächst dem Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Die Belange des Schutzes von Vertrauensverhältnissen als ein wesentlicher Abwägungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Das Polizeirecht weist als Recht der Gefahrenabwehr einen weit stärkeren Bezug zu den grundrechtlichen Schutzpflichten auf, als er der Strafverfolgung eigen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
C. Anforderungen des Volkszählungsurteils hinsichtlich Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 I. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Die Observation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Der Einsatz Verdeckter Ermittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 d) Der Einsatz von V-Leuten (Vertrauenspersonen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
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e) Die polizeiliche Beobachtung (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 f) Die Rasterfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Die Zweckänderungen der erhobenen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Die Umwidmung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten zu anderen polizeilichen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Die Umwidmung der auf der Basis der StPO erhobenen Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Die Umwidmung der durch eine strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Die Zulässigkeit der Verwendung der Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung gem. § 100a StPO zu Zwecken der Gefahrenabwehr (1) Art. 10 GG nicht als einschränkbares Grundrecht zitiert . . . . . . . . . . (a) Die Nichtzitierung des Art. 10 GG als ein zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschränkbares Grundrecht in den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtfertigung der Umwidmung durch verfassungskonforme Auslegung der Polizei- und Ordnungsgesetze? . . . . . . . . . . . . . . . (c) Rechtfertigung der Umwidmung unter unmittelbarem Rückgriff auf grundrechtliche Schutzpflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Rechtfertigung der Umwidmung unter Stützung auf allgemeine Rechtfertigungsgründe und ein ungeschriebenes staatliches Notrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 10 GG als einschränkbares Grundrecht zitiert . . . . . . . . . . . . . . .
225 225
225 227 231
232 232
bb) Notwendigkeit einer landespolizeigesetzlichen Regelung der Verwendung von Erkenntnissen aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Das Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Ein Einsatz von V-Leuten auf der Grundlage der allgemeinen Datenerhebungsermächtigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Eine nähere Definition der technischen Mittel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Unbestimmtheit der Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Rechtsstaatswidrige Gefahr der Stigmatisierung des sog. gefährlichen Intensivtäters i. S. des § 25 I Nr. 1 BWPolG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Notwendigkeit der Schaffung spezialgesetzlicher Regelungen zum Schutz von Vertrauensverhältnissen bei heimlichen Datenerhebungen im Polizeirecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen und der Vorbehalt des Gesetzes . . 247 b) Die Forderung des SächsVerfGH nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung des polizeilichen Eingriffs in Vertrauensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2 Son
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Inhaltsverzeichnis c) Kritik des BbgVerfG am Urteil des SächsVerfGH vom 14. 5. 1996 . . . . . . . 250 d) Entbehrlichkeit einer spezialgesetzlichen Regelung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Verfassungswidrigkeit des § 22 BWPolG in Bezug auf in Vertrauensverhältnisse eingreifende Datenerhebungen als Konsequenz der Rechtsprechung des SächsVerfGH? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Ein weiter gesetzgeberischer Spielraum des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . 251 cc) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen ist auch mittels einer durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesteuerten restriktiven Interpretation der im Polizeirecht bereits bestehenden Eingriffsnorm erreichbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 dd) Die Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts liefe nur auf eine Wiederholung dessen hinaus, was sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 ee) Einer weiteren tatbestandlichen Ausdifferenzierung stünde die Vielgestaltigkeit der einzelnen Vertrauensverhältnisse entgegen . . . . . . . . . . 257 ff) Die Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr als Grenze einer Übernormierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Verfahrensrechtliche Vorkehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Richter- und Behördenleitervorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Sog. Behördenleitervorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Grundsätzlicher Richtervorbehalt beim sog. „Großen Lauschangriff“ . . . . . 263 c) Bedarf es auch für heimliche Informationseingriffe nach den §§ 22, 25, 40 BWPolG einer Anordnung des Richters? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Nachträgliche Benachrichtigungspflicht bei heimlichen Grundrechtseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Das Recht auf Auskunft (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 19 Abs. 4 GG) 267 b) Benachrichtigungspflicht nach Abschluss heimlich getroffener Maßnahmen nach den §§ 22 ff. BWPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 c) Die Einschränkungen der Unterrichtungspflicht nach § 22 VIII BWPolG 271 d) Verfassungswidrigkeit der dritten Variante des § 22 VIII 2 BWPolG . . . . . . 273 4. Löschungspflichten bei heimlichen Eingriffen nach den §§ 22 ff. BWPolG . . 275 a) Eine Löschungspflicht besteht bei Unzulässigkeit der Erhebung und bei Zweckerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Vernichtungspflicht und Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 IV. Das Übermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Gesetzeszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
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b) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Die Ungeeignetheit heimlicher Datenerhebungen zur Abwehr einer „gegenwärtigen“ bzw. „konkreten“ Gefahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Die Geeignetheit polizeilicher Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Kriterien für die angemessene Güterabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Einschreitschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Adressatenbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 d) Verfassungskonforme Eingrenzung der Eingriffsermächtigungen . . . . . . . . . 294
3. Teil Voraussetzungen für heimliche polizeiliche Informationseingriffe und die Umwidmung der dadurch gewonnenen Daten
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1. Kapitel Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten
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A. Intensität des Eingriffs durch eine heimliche Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 B. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung im Vorfeld konkreter Gefahren zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Heimliche polizeiliche Datenerhebungen im Vorfeld konkreter Gefahren? . . . . . . 300 1. Die sogenannten polizeilichen Vorfeldaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Polizeiliches Effektivitätsdenken contra Rechtsstaat und Notwendigkeit von polizeilichen Vorfeldstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Kritik von Hund an den polizeilichen Vorfeldstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Entgegnung von Kniesel auf Hund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 c) Auffassung des SächsVerfGH zu den Vorfeldermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 a) Grundsätzliche Zulässigkeit von polizeilichen Tätigkeiten im Vorfeld der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Verbot der sog. „Blankoermächtigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2*
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Inhaltsverzeichnis c) Das Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit als Eingriffsvoraussetzung für heimliche Informationseingriffe . . . . . . . . . . . 307 d) Heimliche Informationseingriffe im Vorfeld konkreter Gefahren zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 II. Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die zukünftige Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung als Einschreitschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Die Grenze der Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 2. Verdachtsgrad einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Verdachtsgrad einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in Anlehnung an den Begriff des Anfangsverdachts i. S. des § 152 II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Anfangsverdachtsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c) Maßgeblicher Verdachtsgrad eines Straftateintrittes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Können tatsächliche Anhaltspunkte als Einschreitschwelle die Notwendigkeit einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln begründen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 a) Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die zukünftige Begehung einer Straftat als eine vergleichsweise niedrigere Gefahrenschwelle . . . . . . . 314 b) „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ als Anknüpfungspunkt für heimliche polizeiliche Informationseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 c) Dort, wo es um den Schutz besonders bedeutender Rechtsgüter geht, dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Bejahung einer Gefahr gestellt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 d) Der Abschied von der konkreten Gefahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 III. Bei heimlichen Informationseingriffen ist es nicht vertretbar, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu verzichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
C. Besondere Vertrauensverhältnisse als Grenze heimlicher Informationseingriffe . . . . . 321 2. Kapitel Grenzen der Umwidmung der durch heimliche Informationseingriffe gewonnenen personenbezogenen Daten
326
A. Anforderungen des BVerfG an die weitere Verwendung der durch einen heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht erhobenen Daten . . . . . . . . . . . 326 B. Das Prinzip des sog. hypothetischen Ersatzeingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 C. Die Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten für strafprozessuale Zwecke 329 D. Die Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke 332
Inhaltsverzeichnis
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E. Die Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken . . . . 334
4. Teil Adressaten heimlicher Informationseingriffe
336
1. Kapitel Adressatenbezogenheit
336
A. Grundsatz des Zurechnungszusammenhanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 B. Die Adressaten heimlicher Informationseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Die Ausdehnung der von der heimlichen Datenerhebung betroffenen Personenkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 II. Das Hauptproblem: Die Adressaten der Rasterfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 C. Der Charakter des Terrorismus und der organisierten Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Kapitel Eingrenzung des Adressatenkreises
346
A. Eingrenzung des von einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln betroffenen Personenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 I. Das Übermaßverbot als Maßstab für die zulässige Datenerhebung mit besonderen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 II. „Andere Personen“ i. S. d. § 20 II BWPolG als Betroffene der heimlichen Datenerhebung gem. § 22 BWPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 III. Der unbescholtene Bürger als Objekt einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Darf sich der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung nach § 22 BWPolG gegen jeden beliebigen Dritten richten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2. Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen „potentielle Straftäter“ zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 3. „Sog. Kontakt- und Begleitpersonen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Der Begriff der sog. Kontakt- oder Begleitpersonen i. S. des § 20 III Nr. 2 BWPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Kontakt- und Begleitpersonen als Betroffene heimlicher Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
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Inhaltsverzeichnis IV. Amts- oder Berufsgeheimnisträger als Adressat der heimlichen Datenerhebung 358 V. Die heimliche Erhebung personenbezogener Daten über „unbeteiligte Dritte“ . . 362 VI. Benachrichtigungspflichten des „Betroffenen“ bei der Datenerhebung mit besonderen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 1. Benachrichtigungspflicht der Zielpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 2. Unterrichtungspflicht des Trägers von Amts- und Berufsgeheimnissen . . . . . . . 364 3. Unterrichtung der zufällig mit erfassten unbeteiligten Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . 364
B. Eingrenzung der von der Rasterfahndung betroffenen Personenkreise . . . . . . . . . . . . . . . 365 I. Verbot der sog. Zufallsfunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Verbot der vollständigen Erfassung des Personenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 a) Die Zahl der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 b) Die Merkmale der Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Einschränkung der Verwertungsbefugnis der Zufallsfunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 II. Zeugnisverweigerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 III. Benachrichtigungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
Einleitung und Problemstellung Kaum eine verfassungsrechtliche Entscheidung hat so viel fachliche und politische Aufmerksamkeit hervorgerufen wie das „Volkszählungsurteil“1 des BVerfG vom 15. 12. 19832. Dabei spielt die Angst vieler Bürger vor einer anonymen staatlichen Bürokratie und das Gefühl, dieser hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein, eine wesentliche Rolle. Damit verknüpft sich das Unbehagen gegenüber den rasanten Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik 3. Die Schreckensvision des ausufernden „Überwachungsstaates“,4 wie ihn George Orwell in seinem Roman „1984“ beschreibt, basiert gerade auf den Weiterentwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik. Sie eröffnet dem Staat neue Möglichkeiten, die Effektivität der polizeilichen Gefahrenabwehr zu steigern5. Für die Polizei ergeben sich durch die Nutzung der modernen Informationsund Kommunikationstechnologie verschiedene Möglichkeiten, ihre Gefahrenabwehrtätigkeit zu fördern6. Trotz der sich aus der Informations- und Kommunikationstechnologie ergebenden positiven Nutzungsmöglichkeiten, birgt sie zugleich aber auch Risiken für den Schutz des Individuums. Unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kann der Einzelne durch die Konzentration von Informationen über sich in der Hand der Inhaber der Datenmonopole („Big Brother“7) zum bloßen Objekt degradiert werden8. Er könnte soBVerfGE 65, 1 ff. = NJW 1984, 419. Vgl. hierzu Baumann, DVBl. 1984, 612 ff.; Benda, DuD 1984, 86 ff.; Steinmüller, DuD 1984, 91 ff.; Simitis, NJW 1984, 398 ff.; Krause, JuS 1984, 268 ff.; Schickedanz, BayVBl. 1984, 705 ff.; Schneider, DÖV 1984, 161 ff.; Frohn, DÖV 1984, 458 ff.; Hufen, JZ 1984, 1072 ff.; Mückenberger, KJ 1984, 1 ff.; Podlech, Leviathan 1984, 85 ff.; Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 1984; Rogall, GA, 1985, 1 ff.; Denninger, KJ 1985, 215 ff.; Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 234 ff.; Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987; Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei, 1992 und zahlreiche weitere Autoren. 3 Schenke, Verfassungskonformität der Volkszählung, NJW 1987, 2777. 4 Hund, Überwachungsstaat auf dem Vormarsch – Rechtsstaat auf dem Rückzug?, NJW 1992, 2118, 2121. 5 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 1999, Seoul, 4. 6 Vgl. Bär, CR 1997, 422, 423; Herold, Die Polizei 1972, 133 f.; Denninger, CuR 1988, 51, 53; Ringwald, ZRP 1988, 178 f.; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 596 f. 7 In den Jahren 2000 und 2001 strahlte ein privater Sender (RTL 2) die Sendung „Big Brother“ in Deutschland aus, in der sechs Frauen und sechs Männer, die sich vorher nie trafen, 106 Tage ohne Privatsphäre im Big Brother Haus eingeschlossen und ständig von Kameras, die in allen Bereichen des Big Brother Hauses, sogar im Toilettenraum installiert waren, beobachtet wurden. Nur wer vom Anfang bis zum 106-sten Tag durchhielt, gewann den 1 2
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Einleitung und Problemstellung
gar zum „gläsernen Menschen“ werden. Es widerspräche jedoch der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), den Menschen zum bloßen „Datenobjekt“9 des Staates herabzuwürdigen10. Deshalb ist es erforderlich, den Einsatz der Mittel zur polizeirechtlichen Gefahrenabwehr im Interesse des Persönlichkeitsschutzes verstärkt an das rechtsstaatliche Gebot zu binden, insbesondere den Datenschutz auszubauen11. Dem dient dabei das im Volkszählungsurteil des BVerfG entwickelte, aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“12. Zu dessen Konkretisierung beinhalten die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder detaillierte Regelungen über Art und Umfang von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und kommen somit der Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen Datenschutzregelungen nach13. Dieses stellt eine „normative Barriere“14 dagegen dar, dass der Einzelne zum bloßen „Informationsobjekt“15 wird und dass Daten auf eine technische Art und Weise erhoben oder verarbeitet werden, die den Einzelnen als Datenträger völlig außer acht lässt16. Der Schutz personenbezogener Daten bedeutet allerdings nicht, die polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung weitgehend zu verhindern17. Der Einzelne hat Hauptpreis von 250,000 DM. Die meisten Zeitungen erregten sich über diese Sendung, da sie darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde sahen. Rechtliche Bedenken gegen diese Sendung, wie sie unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde geäußert wurden, werden aber jedenfalls deshalb gemindert, weil die Betroffenen zustimmten, dass sie ständig von Kameras beobachtet wurden, zumal sie die Freiheit besaßen, jederzeit aus der Sendung ausscheiden zu können. Dabei spielt die Einwilligung der Beteiligten eine wichtige Rolle. Unser Leben im privaten Bereich könnte aber „heimlich“ durch versteckte Kameras oder durch andere Mittel der Überwachung ausgeforscht werden. Wir könnten im Big Brother Haus eingeschlossen und überwacht werden, obwohl wir vorher dazu nicht eingewilligt haben. Vgl. hierzu auch Dörr, Dieter Big Brother und die Menschenwürde: die Menschenwürde und die Programmfreiheit am Beispiel eines neuen Sendeformats, 2000; Balke, Big Brother – Beobachtungen, 2000. 8 Vgl. zur sog. „Objektformel“ im Rahmen des Art. 1 Abs. 1 GG BVerfGE 30, 1, 25 f. u. 39 ff. – Abhör-Urteil = NJW 1971, 275; BVerfGE 96, 375, 399 = NJW 1998, 519; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001; BVerwGE 64, 274, 278 f.; Dürig, AöR 81 (1956), 117, 128; Benda, in: FS für Geiger, 23, 27. 9 Ausdruck Benda, in: FS für Geiger 1974, 23, 27. 10 BVerfGE 27, 1, 6 – Mikrozensus = NJW 1969, 1707. 11 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Seoul 1999, 4. 12 BVerfGE 65, 1, 42. Die Bezeichnung „informationelles Selbstbestimmungsrecht“ wurde ursprünglich erstmals von Steinmüller geprägt. Er versteht darunter das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, welche Individualinformationen er unter welchen Umständen an wen abgibt, vgl. Steinmüller u. a., Gutachten, 88 ff. 13 Vgl. etwa BW LT Drucks. 10 / 5230, 1, 30. 14 Ausdruck Simitis, NJW 1984, 398, 399. 15 BVerfGE 65, 1, 48. 16 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 596. 17 So Bär, BayVBl. 1992, 618, 621; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 540.
Einleitung und Problemstellung
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nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über „seine“ Daten18. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung findet im überwiegenden Allgemeininteresse, wie es unter anderem durch die Regelungen der neueren Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder näher ausgeformt ist, seine verfassungsmäßige Schranke19. Angesichts der vielfältigen Bedrohungen, denen sich der Staat und seine Bürger heute durch die schwere Kriminalität, namentlich den Terrorismus und die Organisierte Kriminalität 20 ausgesetzt sehen, muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund überwiegendem Allgemeininteresse hinnehmen21. Die Polizei hat als Widerpart des organisierten Verbrechens, aber auch des Terrorismus ihre Fahndungs- und Beobachtungsmethoden der Langfristigkeit und der Weiträumigkeit der gegnerischen Strategien anzupassen22. In diesem Kriminalitätsbereich reichen aber die herkömmlichen Mittel des Polizeirechts häufig nicht aus23. Erstes Mittel zum Schutz vor den hier existierenden Rechtsgüterbedrohungen ist dabei für die Polizei ein entsprechender Kenntnisstand als Voraussetzung jeder effizienten polizeilichen Tätigkeit24. Für eine effektive Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität ist eine frühzeitige Informationsbeschaffung und -auswertung entscheidend25. Polizeiliche Informationseingriffe, sei es zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr, sind allerdings oft nur dann erfolgversprechend, wenn diejenigen, über die Informationen gesammelt werden, sich der polizeilichen Überwachung nicht bewusst sind26. Auf die von dem Betroffenen unbemerkten Datenerhebungsmaßnahmen, wie etwa die längerfristige Observation (s. z. B. § 22 I Nr. 1 BWPolG), den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht BVerfGE 65, 1, 43 – 44. BVerfGE 65, 1, 44. 20 Das BVerfG und der BGH haben die Gefahren organisierter Kriminalität frühzeitig erkannt, vgl. BVerfGE 57, 284; BGHSt 32, 120 f.; vgl. A. BVerfG, NStZ 1987, 276. Als organisierte Kriminalitätsformen können z. B. überregionale Rauschgiftkriminalität, Waffen-, Falschgeld- und Wirtschaftsstraftaten in organisierter Form, Schutzgelderpressungen, internationale Kfz-Verschiebungen und Großhehlerei genannt werden. Eingehend hierzu Wolter, GA 1988, 49, 50 f.; H. J. Schneider, Jura 1984, 169, 172 f.; Eisenberg, NJW 1993, 1033 ff.; Lisken, ZRP 1994, 264 ff.; Werthebach / Droste-Lehnen, ZRP 1994, 57 ff.; Boetticher, ZRP 1995, 144 ff. 21 BVerfGE 65, 1, 44. 22 So auch Denninger, JA 1987, 131. 23 Dazu s. auch Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568 f. 24 Zum engen Verhältnis von Gefahrenvorsorge und polizeilicher Datenerhebung und Datenverarbeitung s. näher Deutsch, S. 225 ff.; Thomas Darnstädt, Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, 1983; Riegel, RDV 1990, 232 ff.; siehe dazu näher auch Aulehner, Polizeiliche Gefahren- und Informationsvorsorge, 1998, 128 ff. u. passim. 25 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. 26 Vgl. Deutsch, S. 3; Wolter, GA 1988 , 49, 51. 18 19
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Einleitung und Problemstellung
öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger (§ 22 I Nr. 2 BWPolG), den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 22 I Nr. 3, 24 BWPolG) und von V-Leuten (Vertrauenspersonen)27, die polizeiliche Beobachtung (§ 25 BWPolG) sowie die Rasterfahndung (§ 40 BWPolG)28, greift die Polizei daher über die offene Datenerhebung (Befragung, Durchsuchung etc) hinaus in verstärktem Umfang zurück29. Die Heimlichkeit der Vorgehensweise erfordert dabei allerdings besondere Verfahrensregeln und Kontrollmechanismen, da ein schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt und die Eingriffsabwehr durch den Betroffenen mangels Kenntnis einer Beeinträchtigung des Grundrechts zunächst ausfällt30. Aus der Heimlichkeit des Eingriffs folgt notwendigerweise, dass er den Eingriff allenfalls nachträglich, nachdem er hierüber informiert wurde, oder gar überhaupt nicht zur gerichtlichen Überprüfung stellen kann31. Soweit die Polizei durch einen verdeckten Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung erhebt und damit heimlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, können der herkömmliche individuelle und institutionelle Grundrechtsschutz faktisch nicht in gleicher Weise wirksam werden32. Daher bedarf es in diesem Rahmen einer besonderen Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes durch Verfahrensregeln, die den individualrechtlichen wie den strukturellen Schutzbedürfnissen gerecht werden müssen33. Personenbezogene Daten sind grundsätzlich offen zu erheben (vgl. z. B. § 19 II BWPolG)34. Der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung ist gemeinsamer Bestandteil aller Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder35. Der z. B. hinter § 19 II 1 BWPolG stehende Grundsatz der partiell autonomen Steuerung des Datenflusses durch die von polizeilichen Maßnahmen betroffenen Personen ergibt sich bereits 27 Vgl. z. B. § 8c II Nr. 4 VEMEPolG; § 26 I Nr. 1 BerlASOG; § 34 BrandPolG; § 34 BremPolG; § 11 HambPolDVG; § 16 I HSOG; § 33 I Nr. 3 MVSOG; § 36 NdsSOG; § 19 NWPolG; § 28 II Nr. 3 SaarlPolG; § 18 I SachsAnhSOG; § 185 I Nr. 3 SchlHVwG; § 34 I Nr. 5 ThürPAG. In Baden-Württemberg fehlt eine ausdrückliche Vorschrift hierzu. 28 Auch die Rasterfahndung gehört zu den Maßnahmen der heimlichen Informationsbeschaffung. Die Rasterfahndung wird aber nicht im Zusammenhang der Datenerhebung, sondern der weiteren Datenverarbeitung geregelt, vgl. auch Götz, NVwZ 1994, 652, 660. 29 Vgl. dazu Deutsch, S. 3 ff.; Wolter, GA 1988, 49 ff. u. 129 ff.; siehe auch BVerfG, NStZ 2000, 490 ff.; BayVerfGH, JZ 1995, 299 ff.; SächsVerfGH, JZ 1996, 957 ff.; BbgVerfG, LKV 1999, 450 ff. 30 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 579. 31 Guttenberg, NJW 1993, 567, 574. 32 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; zur Kritik der Rechtsprechung s. Schenke, DVBl. 1996, 1393 ff.; Götz, JZ 1996, 969 ff.; Paeffgen, NJ 1996, 454 ff.; Bäumler, NVwZ 1996, 765 ff. 33 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 34 Vgl. auch Art. 30 III BayPAG; § 18 II 1 BerlASOG; § 29 III 1. HS BrandPolG; § 27 II 1 BremPolG; § 2 III HambPolDVG; § 13 VII HSOG; § 26 II MVSOG; § 9 IV NWPolG; § 25a II RhPfPOG; § 25 III SaarlPolG; § 15 VI SächsPolG; § 37 V 1 SächsPolG; § 178 II SchlHVwG; § 31 III ThürPAG. 35 Heckmann, VBlBW 1992, 164 ff., 203 ff.
Einleitung und Problemstellung
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aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung36. In seinem Urteil vom 15. 12. 1983 zum Volkszählungsgesetz 1983 sah das BVerfG in der Unkenntnis des Einzelnen über die seiner Umwelt zur Verfügung stehenden personenbezogenen Informationen eine schwerwiegende Beeinträchtigung der individuellen Persönlichkeitsentfaltungschancen des Einzelnen und der auf Selbstbestimmung gegründeten freiheitlichen demokratischen Ordnung37. Derjenige, der nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen könne, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt seien, und derjenige, der das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermöge, könne in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden38. Mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht sei eine gesellschaftliche und rechtliche Ordnung unvereinbar, in welcher der Einzelne nicht mehr wissen könne, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn wisse39. Dieses erfordert, dass der Einzelne die Daten bewusst preisgibt und erkennt, dass es um eine Maßnahme polizeilicher Datenerhebung geht40. Der Einzelne muss auch über die Verwendung der von ihm preisgegebenen Daten für polizeiliche Zwecke informiert werden41. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität ist die heimliche bzw. verdeckte Datenerhebung an das Vorliegen strenger Eingriffsvoraussetzungen geknüpft, wie sie z. B. § 19 II 2 BWPolG als Ausnahme zur offenen Datenerhebung vorsieht. Eine verdeckte Datenerhebung, die in direktem Widerspruch zu dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht,42 kann nur dort und insoweit in Betracht kommen, als sonst die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgabe gefährdet oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist oder wenn anzunehmen ist, dass dies den überwiegenden Interessen des Betroffenen entspricht (s. § 19 II 2 BWPolG). Eine Datenerhebung, die nicht als polizeiliche Maßnahme erkennbar sein soll, ist nur zulässig, wenn der Polizei außer ihr kein anderes, gleich wirksames Mittel zur Gefahrenabwehr verbleibt43. Die hier vorliegende Untersuchung wird sich mit den besonderen verfassungsrechtlichen Fragen befassen, die sich in Verbindung mit heimlichen Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergeben. Für die verfassungsrechtliche Würdigung der heimlichen Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten durch die Polizei ist zunächst die Frage der Gesetzgebungskompetenz für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten maßgeblich. Durch die Novellierungen der Landespolizei- und Ordnungsgesetze wurde der Polizei ein 36 37 38 39 40 41 42 43
Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 566. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 15. BVerfGE 65, 1, 43. BVerfGE 65, 1, 43. Gusy, NVwZ 1991, 614, 616. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 566. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 37; Götz, NVwZ 1994, 652, 660. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454.
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umfassendes Datenerhebungsrecht nicht nur zur Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung (s. z. B. § 20 II BWPolG), sondern auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eingeräumt (vgl. z. B. §§ 20 III, 22 II, III, 25 I, 40 I BWPolG). Zum Beispiel kann der Polizeivollzugsdienst nach § 22 III BWPolG personenbezogene Daten durch besondere Mittel der Datenerhebung außer zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sachund Vermögenswerte auch von potentiellen Straftätern und ihren Kontakt- und Begleitpersonen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erheben, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. Hiernach ist die Polizei befugt, personenbezogene Daten „heimlich bzw. verdeckt“ zur Verhütung oder zur möglichen Verfolgung von im Einzelnen bezeichneten Straftaten (vgl. § 22 V BWPolG) zu erheben. Geht man davon aus, dass die heimliche Erhebung personenbezogener Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in Konsequenz des durch das Volkszählungsurteil des BVerfG näher ausgeformten und konkretisierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung unter dem Vorbehalt des Gesetzes steht, so ist zu klären, wer unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten der hierfür zuständige Gesetzgeber ist44. Befassen werden sich die folgenden Überlegungen daher mit der Frage der Gesetzgebungskompetenz für eine Regelung der polizeilichen Erhebung und Speicherung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Dabei ist insbesondere auf die verfassungsdogmatische und damit zusammenhängend kompetenzrechtliche Einordnung der sog. Strafverfolgungsvorsorge, die selbst in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung von Bund und Ländern höchst umstritten war und auch in der Literatur zunehmend Beachtung gefunden hat, einzugehen45. Näher befassen werden sich die folgenden Ausführungen auch mit den Fragen, die sich in den Fällen stellen, in denen die Polizei personenbezogene Daten zum Zwecke der Strafverfolgung nutzen will, die durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewonnen wurden46. In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche Voraussetzungen bei einer solchen Umwidmung von Daten erfüllt sein müssen und wer unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten für entsprechende gesetzliche Regelungen zuständig ist. Die Problematik stellt sich auch in der umgekehrten Richtung, wenn
Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 226 – 227. Vgl. BVerfG, NJW 2001, 879 ff. = StV 2001, 145 ff.; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 275; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347; Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001; Deutsch, S. 182 ff.; Hund, ZRP 1991, 463 ff.; Keller / Griesbaum, NStZ 1990, 416 ff.; Kniesel, ZRP 1992, 164 ff.; ders., ZRP 1989, 329 ff.; Lisken, ZRP 1994, 264 ff.; Merten / Merten, ZRP 1991, 213 ff.; Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225 ff.; Siebrecht, JZ 1996, 711 ff.; Soiné, CR 1998, 257 ff.; Wolter, StV 1989, 358 ff.; Zöller, RDV 1997, 163 f. 46 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 44 45
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durch heimliche strafprozessuale Datenerhebungsmaßnahmen gewonnene personenbezogene Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr genutzt werden sollen47. Im Rahmen der Prüfung verfassungsrechtlicher Grenzen, die der Polizei bei der Nutzung strafprozessual gewonnener personenbezogener Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr gesetzt sind, sind die sich aus dem zweiten G 10-Urteil des BVerfG vom 14. 9. 199948 ergebenden Konsequenzen für die Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden personenbezogenen Daten zu klären49. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob in den Bundesländern, die in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen das Fernmeldegeheimnis nicht als ein auf ihrer Basis einschränkbares Grundrecht benennen, im Wege einer Überwachung der Telekommunikation gewonnene personenbezogene Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr verwendet werden können. Die Grundrechtsproblematik verschärft sich beträchtlich, wenn von heimlichen Informationseingriffen besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse, wie zum Beispiel das Beichtgeheimnis (Art. 4 GG), das Arzt-Patientenverhältnis (Art. 12 GG) oder das Verhältnis der Presse zu ihren Informanten (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG),50 betroffen sind51. Polizeiliche Informationseingriffe werden in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Sicherheitspolitik insbesondere dann als besonders problematisch empfunden, wenn Sachaufklärungsinteressen im Konflikt mit grundrechtlich geschützten Amts- und Berufsgeheimnissen stehen52. Während bei der verdeckten Datenerhebung im Strafprozessrecht entsprechenden Informationseingriffen durch die §§ 53, 53a und § 100d III StPO jedenfalls teilweise Grenzen gesetzt sind, ist im Polizei- und Ordnungsrecht der Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen nicht in derselben Weise thematisiert53. Diese Arbeit wird Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. BVerfGE 100, 313 ff. = NJW 2000, 55. 49 Zur Verwendung der durch strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zur Gefahrenabwehr näher Schenke, JZ 2001, 997 ff.; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 236 f. 50 Vgl. zum Verweis auf Art. 12 GG bei Rechtsanwälten und Ärzten BVerfG, NJW 2002, 2458; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f.; zum Journalisten BVerfGE 36, 193, 204; 50, 234, 240; 100, 313, 365; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793; zu Art. 10 EMRK schweizerisches BG EuGRZ 1997, 630; zu Art. 8 EMRK EGMR StV 1998, 683 ff.; s. näher Ruthig, JuS 1998, 506, 514; ders., Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 248. 51 Dazu Habermehl, JA 1990, 331, 333; Erichsen, Jura 1993, 45, 46; Paeffgen, in: FS für Rieß, 413 ff.; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f.; Knemeyer / Keller, SächsVBl. 1996, 197, 199; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548 f.; ders., Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303 ff.; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247 ff.; Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149 ff.; ders., Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht unter besonderer Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, 135 ff.; Wolter, in: FS für Rieß, 633 ff. 52 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548. 53 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548 f.; zum bisherigen Schrifttum sowie einem Überblick über die partiellen Regelungen in den Polizeigesetzen der Länder s. auch ders., 47 48
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sich daher mit der neuerdings viel diskutierten, aber dogmatisch noch keineswegs voll bewältigten Frage befassen, welche Konsequenzen es hat, wenn eine heimliche polizeiliche Datenerhebung in Bezug auf solche Personen erfolgt, denen bei offener Befragung z. B. durch § 27 IV 2 BWPolG54 in entsprechender Anwendung von §§ 52 I, 53, 53a und 55 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen wäre. In diesem Zusammenhang will diese Arbeit klären, ob die Verfassung besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse absolut schützt oder Einschränkungen zum Schutz anderer gewichtiger Verfassungsgüter zulässt55. Sollte sich dabei ergeben, dass sich ein absoluter Schutz von Vertrauensbeziehungen nicht aus der Verfassung ableiten lässt, ist ferner darauf einzugehen, ob und inwieweit hier für den Gesetzgeber verfassungsrechtlich begründeter Handlungsbedarf besteht56. Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung von heimlichen polizeilichen Informationseingriffen in besonders geschützte Vertrauensverhältnisse müssen danach zwei Fragen unterschieden werden: Zum einen, ob und in welchen Grenzen eine heimliche Erhebung von Daten aus Vertrauensverhältnissen und deren Verwertung grundsätzlich zulässig sind (Intensität des Schutzes von Vertrauensverhältnissen), zum anderen, welchen Anforderungen entsprechende Eingriffsgrundlagen ggf. genügen müssen (Notwendigkeit der Schaffung entsprechender gesetzlicher Regelungen)57. Die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung ist etwa nach § 22 III BWPolG58 zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder von potentiellen Straftätern und ihren Kontakt- und Begleitpersonen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG zulässig, wenn anderenfalls die Wahrnehmung von AufDer Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 304 ff.; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247. 54 Ein solches an die §§ 52 bis 55 StPO anknüpfendes Auskunftsverweigerungsrecht mit Unterschieden im Einzelnen ist auch in § 18 VI BerlASOG; § 3 III HambPolDVG; § 12 II HSOG; § 28 II 3 MVSOG; § 12 V 2 NdsSOG; § 25a III RhPfPOG; § 11 I 3, 4 SaarlPolG; § 18 VI 2 SächsPolG; § 14 II 2 SachsAnhSOG; § 180 II 3 SchlHVwG geregelt. Vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 182. 55 So auch BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f. 56 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962 und Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549 f. wonach es für polizeiliche Eingriffe in verfassungsrechtlich durch Amts- und Berufsgeheimnisse geschützte Vertrauensverhältnisse einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfe; Paeffgen, NJ 1996, 454, 461; kritisch gegenüber dieser Annahme Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f.; auch BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f. 57 Vgl. Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation 265, 273. 58 § 22 III BWPolG, die Ermächtigungsgrundlage zum Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung, ist in seinen Anforderungen lex specialis gegenüber § 19 II BWPolG, vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 567.
Einleitung und Problemstellung
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gaben des Polizeivollzugsdienstes gefährdet oder erheblich erschwert würde. Sehr umstritten ist aber – trotz der in den Landespolizei- und Ordnungsgesetzen teilweise detaillierten Regelung der Eingriffsvoraussetzungen für heimliche polizeiliche Informationseingriffe –, wann solch schwerwiegende Eingriffe vorgenommen werden können. Gegen die entsprechenden polizeigesetzlichen Regelungen werden im Schrifttum,59 aber auch durch die Landesverfassungsgerichte teilweise schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht60. Dabei stellt sich die Frage, ob diesen Regelungen noch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung Rechnung getragen werden kann oder ob sich hier bereits das Verdikt der Verfassungswidrigkeit als unumgänglich erweist. Diese Arbeit wird sich zudem mit einer weiteren Problematik, die mit heimlichen Informationseingriffen zu Zwecken der Gefahrenabwehr verbunden ist, beschäftigen. Bei heimlichen Informationseingriffen wie etwa der Beobachtung und dem Einsatz technischer Mittel, Verdeckten Ermittlern sowie von V-Leuten ist fraglich, ob diese einen auf Duldung gerichteten Verwaltungsakt darstellen. Zwar sind hier polizeiliche Maßnahmen in einem Einzelfall gegeben, die unmittelbar in die Rechte des Betroffenen eingreifen, aber es bestehen Bedenken vor allem in Hinblick auf ihren Regelungscharakter61. Ob der Ansicht des BVerwG gefolgt werden kann, das eine heimliche Telefonüberwachung als Verwaltungsakt qualifizieren will,62 obwohl der Betroffene jedenfalls zunächst nichts von der ihm gegenüber getroffenen Überwachungsmaßnahme erfährt, soll somit untersucht werden.
59 Vgl. Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217; Hund, ZRP 1991, 463, 466; Müller, StV 1995, 602, 605. 60 So jüngst auch BayVerfGH, JZ 1995, 299 ff.; SächsVerfGH, JZ 1996, 957 ff.; BbgVerfG, LKV 1999, 450 ff.; MVVerfG, LKV 2000, 345 ff. 61 Schenke, Polizeirecht, Rn. 178 u. 188, wonach ein Verwaltungsakt dann nicht vorliege, falls Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen zunächst ohne Kenntnisnahme des hierdurch Betroffenen erfolgen (etwa bei einer heimlichen Überwachungsmaßnahme), da es in einem solchen Fall an der für einen Verwaltungsakt wesensnotwendigen „Bekanntgabe“ mangele; siehe auch Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 686. 62 Vgl. BVerwGE 87, 23, 25; auch VG Bremen, NVwZ 1989, 895.
1. Teil
Das Volkszählungsurteil des BVerfG 1. Kapitel
Vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung A. Hat das BVerfG ein neues Grundrecht erfunden? Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 15. 12. 1983 zum Volkszählungsgesetz 19831 ein „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ anerkannt. Zwei Tage nach der Verkündung der Entscheidung konnte man in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) lesen, ein neues Grundrecht sei erfunden2. In diesem Zusammenhang hat Krause bei seiner Kritik darauf hingewiesen, dass das BVerfG möglicherweise seine Rolle als Interpret der Verfassung verlassen und die Rolle des Verfassungsgebers usurpiert habe3. Schlink erklärte schon bald die Frage, ob mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein neues Grundrecht gefunden, eine neue Grundrechtsbedeutung entdeckt oder eine alte Grundrechtswirkung in ein neues Licht gerückt wurde, nur für sekundär. Es sei eine Tatsache, dass die Grundrechte, dem Wortlaut des Grundgesetztes mal näher und mal ferner, für alle praktischen Fragen der Gesetzgebung und Rechtsprechung ständen4. Auch theoretisch könne der Unterschied zwischen der Erfindung neuer Grundrechte, der Entdeckung neuer Grundrechtsbedeutungen und der neuen Beleuchtung alter Grundrechtswirkungen vernachlässigt werden, weil er denselben Vorgang richterlicher Rechtsschöpfung nur mit verschiedenen Begriffen belege. Der Vorgang sei als solcher unvermeidlich und unentbehrlich5. Kunig hielt die Präsentation eines neuen Begriffs – wie von dem BVerfG im Volkszählungsurteil unternommen – für noch keine Überschreitung der Verfassungsbindung. Eine solche wäre nur dann bedenklich, wenn die postulierten Inhalte dem Grund1 2 3 4 5
Vgl. BVerfGE 65, 1 ff. = NJW 1984, 419. Fromme, FAZ v. 17. 12. 1983, S. 12. Krause, JuS 1984, 268. Schlink, Der Staat 25 (1986), 233. Schlink, Der Staat 25 (1986), 233.
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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gesetz nicht mit den Mitteln der Verfassungsinterpretation entnommen werden könnten6. I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausgangspunkt für die Anerkennung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass das BVerfG hier nicht ein neues Grundrecht erfunden hat, sondern dass es ihm darum ging, die Interpretation des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) unter Berücksichtigung der veränderten Bedingungen, die sich aus der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) ergeben, neu zu formulieren7. Das Gericht hat stets die Entwicklungsoffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber modernen Entwicklungen und der hierdurch bedingten neuartigen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit betont8. Im Volkszählungsurteil hat das Gericht, wie in seiner früheren Rechtsprechung,9 den Persönlichkeitsschutz an den mit der EDV verbundenen neuen Gefährdungspotentialen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit angepasst. Die Anerkennung des hiermit gewährleisteten Datenschutzes ist ein Anwendungsbeispiel für die mögliche besondere Sensibilisierung der Grundrechte gegenüber modernen Techniken des Zugriffes des Staates auf die Persönlichkeit des Einzelnen und weist damit die Offenheit des Grundrechtsschutzes gegenüber neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit auf10. Nachfolgend soll dargestellt werden, dass es sich bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht um ein von Art. 2 Abs. 1 GG verselbständigtes und deshalb neues „Grundrecht auf Datenschutz“,11 für dessen Konstituierung – so die Kritik – nicht die Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern der Verfassungsgeber zuständig sei,12 handelt, sondern um eine spezielle Ausprägung eines sich an moderne Entwicklungen anpassenden Persönlichkeitsschutzes13.
Kunig, Jura 1993, 595. So auch Simitis, NJW 1984, 398, 399; Baumann, DVBl. 1984, 612; Berg, CR 1988, 234; Deutsch, S. 72; Degenhart, JuS 1992, 361, 361 – 362; Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 15; Duttge, Der Staat 36 (1997), 281, 285; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 1; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173. 8 Vgl. BVerfGE 54, 148, 153; 79, 256, 268. 9 Vgl. BVerfGE 34, 238, 246 – heimliche Tonbandaufnahme; 35, 202, 220 – Lebach; 54, 148, 155 – Eppler; 54, 208, 218 – Böll / Walden; 63, 131, 142 – Gegendarstellung. 10 Vgl. Schenke, JuS 1987, L65, L66. 11 So aber Bäumler, JR 1984, 361, 362. 12 Krause, JuS 1984, 268. 13 So auch Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173. 6 7
3 Son
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
II. Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den BGH Das Volkszählungsurteil des BVerfG hat die Einsicht in die Schutzbedürftigkeit persönlicher Daten zwar vorangetrieben, aber nicht erstmalig hervorgerufen14. Die Erkenntnis, dass die Persönlichkeitsgüter, zu denen auch personenbezogene Daten zählen, des besonderen Schutzes bedürfen, war schon vorher vorhanden15. Der Schutz der Persönlichkeitsgüter wurde entscheidend durch die Zivilrechtsprechung16 zu § 823 I BGB entwickelt17. In der berühmten Leserbrief-Entscheidung vom 25. 4. 195418 hat der BGH erstmals das allgemeine Persönlichkeitsrecht ohne textliche Grundlage im BGB und in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung in die Rechtsordnung eingeführt19. Die Entscheidung betraf eine an die Presse gerichtete anwaltliche Aufforderung, Aussagen über einen Mandaten richtig zu stellen, welche die Zeitung in veränderter Form als Leserbrief abgedruckt hatte20. Der BGH hat die ungenehmigte Veröffentlichung privater Aufzeichnungen sowie die verfälschte Wiedergabe solcher Aufzeichnungen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewertet. Als Rechtsgrundlage dafür zog der BGH Art. 1 und Art. 2 GG heran, die seiner Meinung nach das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht garantierten: „Briefe oder sonstige private Aufzeichnungen dürfen in der Regel nicht ohne Zustimmung des noch lebenden Verfassers und nur in der vom Verfasser gebilligten Weise veröffentlicht werden. Das folgt aus dem in Art. 1 und Art. 2 GG verankerten Schutz der Persönlichkeit“21. Inhaltlich wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Leserbrief-Entscheidung als Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über die öffentliche Darstellung seiner Person gedeutet. Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 242. Vogelgesang, S. 39. 16 Vgl. BGHZ 13, 334 – Leserbrief = JZ 1954, 698, 699; BGHZ 24, 72 – Versicherungsbetrug = JZ 1957, 473; BGHZ 26, 349 – Herrenreiter = JZ 1958, 571; BGHZ 27, 284 – Tonbandaufnahme = JZ 1959, 60 u. a. 17 Zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Rechtsprechung Rohlf, S. 26 f.; Brandner, JZ 1983, 689 ff.; Vogelgesang, S. 39 ff.; Jarass, NJW 1989, 857, 858; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 7; Degenhart, JuS 1992, 361, 362; Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3 ff. m. w. N. 18 Vgl. BGHZ 13, 334 ff. = JZ 1954, 698. 19 Das Reichsgericht hatte einen von speziellen Persönlichkeitsrechten unabhängigen Persönlichkeitsschutz versagt, da die damals geltende deutsche Rechtsordnung keine positiven Gesetzesbestimmungen über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht enthalten hatte (vgl. RGZ 79, 398; 123, 320). Das Reichsgericht hat zwar in zahlreichen Entscheidungen über § 826 BGB Persönlichkeitsrechten Schutz zugebilligt (vgl. RGZ 72, 175; 85, 343; 115, 416; 162, 7), aber grundsätzlich Persönlichkeitsschutz mit der absoluten Wirkung der Ausschließlichkeitsbefugnis nur für bestimmte einzelne Persönlichkeitsgüter anerkannt. 20 Vgl. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 6. 21 BGHZ 13, 334 = JZ 1954, 698, 699. 14 15
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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Insoweit wurde der Gedanke der Selbstbestimmung bereits frühzeitig in der Zivilrechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht vertreten22. Der BGH bewertet seither das durch Art. 1 und Art. 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 I BGB23. Dem Einzelnen wurde damit ein sonstiges Recht gem. § 823 I BGB zugebilligt, das ihn gegen unbefugte Eingriffe Dritter in seine Persönlichkeitsrechte schützt und ihm bei Persönlichkeitsverletzungen entgegen § 253 BGB Schmerzensgeld wegen des zugefügten immateriellen Schadens zuerkennt24. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist insoweit keine Schöpfung des Grundgesetzes, sondern eine richterrechtlich entwickeltes Rechtsfigur, die jene Lücken im Persönlichkeitsschutz ausfüllt,25 „die hier trotz Anerkennung einzelner Persönlichkeitsrechte verblieben und im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen immer fühlbarer geworden waren“26. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht auf bestimmte Aspekte der menschlichen Persönlichkeit festgelegt ist, sondern gerade die Schutzlücken schließen soll, die sich aus der speziellen Schutzfunktion und der historischen Bedingtheit der Einzelgrundrechte ergeben, kann es sich neuen Inhalten leichter öffnen als die anderen Grundrechte27. Letztlich hat das BVerfG im Soraya-Beschluss vom 14. 2. 1973, der die Publikation eines erfundenen Interviews mit der geschiedenen Ehefrau des Schahs des Iran, Prinzessin Soraya, betraf, die Konzeption des BGH ausdrücklich bestätigt28. Das Gericht erklärte die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu §§ 823 I, 847, 253 BGB als mit dem Grundgesetz vereinbar29.
Vgl. Vogelgesang, S. 45. BGHZ 13, 334 = JZ 1954, 698, 699; BGHZ 24, 72 = JZ 1957, 473. Das durch § 823 I BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht ist aber mit dem erst später vom BVerfG entwickelten Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht identisch, da es bei dem durch § 823 I BGB geschützten Persönlichkeitsrecht, wie auch das BVerfG festgestellt hat (BVerfGE 34, 269, 281 – Soraya = NJW 1973, 1221), um ein Institut des einfachen Rechts geht, vgl. Jarass, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989, 857, 858. 24 Vgl. BVerfGE 34, 269, 285 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 378; Degenhart, JuS 1992, 361, 362. 25 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3. 26 BVerfGE 34, 269, 281. 27 Vgl. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3 – 4. 28 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 7. 29 BVerfGE 34, 269. 22 23
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
III. Die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das BVerfG 1. Ausgangspunkt: Das Elfes-Urteil vom 16. 1. 1957 Das BVerfG hatte zwar selbst schon im Elfes-Urteil vom 16. 1. 1957 von einer Sphäre privater Lebensgestaltung, also einem unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit gesprochen, welcher der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist30. Von der Notwendigkeit einer Sphäre privater Lebensgestaltung war aber nicht im Zusammenhang mit dem Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG, sondern mit seinen Schranken die Rede gewesen31. Im Elfes-Urteil stellte sich die Frage, ob die Ausreise in den Schutzbereich des Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung des Art. 2 Abs. 1 GG fällt32. Dabei kam ein Verständnis von Art. 2 Abs. 1 GG zum Vorschein, das jedes erdenkliche menschliche Verhalten schützt, das nicht durch ein spezielles Grundrecht gesichert war33. Das im Elfes-Urteil aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelte Recht bedeutet seither die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinn,34 die sich nicht nur auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht in dem in der Leserbrief-Entscheidung des BGH entwickelten Sinn bezieht35. Die Sphäre privater Lebensgestaltung, von der 30 BVerfGE 6, 32, 41. Das BVerfG führt seine Rechtsprechung seitdem bis jetzt im wesentlichen unverändert fort. Konsequent seit BVerfGE 6, 32, 41 – Elfes = NJW 1957, 297; 6, 389, 433 – Homosexuelle = NJW 1957, 865; 27, 1, 6 – Mikrozensus = NJW 1969, 1707; 27, 344, 350 f. – Ehescheidungsakten = NJW 1970, 555; 32, 373, 379 – Arztkartei = NJW 1972, 1123; 34, 238, 245 f. – heimliche Tonbandaufnahme = NJW 1973, 891; 47, 46, 73 – Sexualkundeunterricht = NJW 1978, 807; 49, 286, 298 – Transsexuelle = NJW 1979, 595; 80, 367, 373 – Tagebuch = NJW 1990, 563; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 31 Zur Entwicklung des Privatsphärenschutzes durch das BVerfG s. ausführlich Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 8 f. 32 Das Elfes-Urteil des BVerfG betraf den früheren Zentrums- und späteren CDU-Politiker Elfes, dem die Verlängerung seines Reisepasses deshalb verweigert worden war, weil er zur Zeit des Rechtsstreits ein führendes Mitglied des „Bund der Deutschen“, einer politischen Partei, war und mehrfach im Ausland, darunter auch im kommunistischen, die Wehr- und Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung kritisiert hatte. Die Verwaltungsgerichte bestätigten die Ablehnung in allen drei Instanzen mit Hinweis auf seine politische Tätigkeit. Gegen die Entscheidung des BVerwG erhob Elfes Verfassungsbeschwerde. Vor dem Bundesverfassungsgericht berief er sich auf das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG, das seiner Meinung nach auch die Ausreisefreiheit garantierte. Das BVerfG schloss aber eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 11 Abs. 1 GG aus, da er nur die Einreise in das Bundesgebiet, nicht aber die Ausreise aus dem Bundesgebiet gewährleiste. Statt dessen kam das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht, vgl. BVerfGE 6, 32 ff. = NJW 1957, 297. 33 Zur verschiedenen Auffassungen zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG s. näher Schenke, JuS 1987, L65 ff. 34 Vgl. Merten, JuS 1976, 345 f.; Schenke, JuS 1987, L65, L67; Degenhart, JuS 1990, 161 ff.; Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, Rn. 13; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 368. 35 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 7.
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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im Elfes-Urteil gesprochen wurde, stellte dabei Schranken-Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit dar, die das BVerfG unter Berufung auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG gezogen hat, um zu verhindern, dass sich das Grundrecht der vorbehaltlosen Auslieferung an den Gesetzgeber aussetzt36. Damit erschöpfte sich die Wirkung des Art. 2 Abs. 1 GG – entgegen der im Kaiserreich und der Weimarer Republik herrschenden Grundrechtsauffassung37 – nicht nur in der Abwehr von Eingriffen, die ohne gesetzliche Grundlage erfolgten38. Vielmehr ist ein Gesetz, das in diesen Bereich eingreift, nie Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung39. Erst in späteren Entscheidungen des BVerfG,40 die sich mit der Frage der Erlangung und Verwendung von Informationen aus dem privaten Bereich beschäftigten, wurde die Sphäre privater Lebensgestaltung zum selbständigen grundrechtlichen Schutzobjekt erklärt, das bildhaft mit der Notwendigkeit des Menschen auf einen „Innenraum“, dem Angewiesensein auf eine Rückzugsmöglichkeit aus der Öffentlichkeit und dem Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden, begründet wurde41. Als verfassungsrechtliche Grundlage dafür hat das BVerfG das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht herangezogen. Aus der Verbindung der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit hat das Gericht die Notwendigkeit eines unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung herausgenommen, in welcher der Einzelne seine Lebensgestaltung allein, für sich und unter Ausschluss Dritter gestalten kann42. Damit wurde die Sphäre privater Lebensgestaltung, die im Elfes-Urteil des BVerfG als Schranken-Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit in Erscheinung getreten war, nun dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterstellt.
2. Anerkennung eines Selbstbestimmungsrechts über die Erhebung und Verarbeitung von Informationen aus der geschützten Intim- und Privatsphäre Bereits vor Erlass des Volkszählungsurteils von 1983 hat das BVerfG eine Vielzahl von Fällen entschieden, in welchen unmittelbar der öffentlichen Gewalt zuzurechnende Persönlichkeitsverletzungen im Zusammenhang mit der Erhebung, Weitergabe oder Veröffentlichung von Informationen über Personen thematisiert Vgl. hierzu auch BVerfGE 6, 32, 41 unter 2 c). Vgl. z. B. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1919, 103; G. Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat, Bd. I, 1912, 96. 38 Vgl. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 9. 39 BVerfGE 6, 32, 41. 40 Vgl. BVerfGE 27, 1, 6. Vgl. auch BVerfGE 32, 202, 220. Weitere Fälle sind BVerfGE 33, 367; 44, 353. 41 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 9. 42 Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 94. 36 37
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
werden43. Dabei wird im Schrifttum oft übersehen, dass das BVerfG in solchen Fällen praktisch – wie zuvor schon in der Leserbrief-Entscheidung des BGH – das Recht des Einzelnen, selbst zu bestimmen, welche seiner persönlichen Informationen zurückgehalten oder an andere offenbart werden sollen, anerkannt hat44. Ein Blick über die vom Gericht entschiedenen Fallgestaltungen wird zeigen, dass es jeweils schon angedeutet hat, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundrechtlichen Schutz für die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“, gewährt45. Diesbezüglich kommt es darauf an, festzustellen, nach welchen Kriterien im Einzellfall ein Schutz vor der Erhebung und Verarbeitung persönlicher Informationen gewährt wurde. Die Gemeinsamkeit dieser Fallgruppe liegt insbesondere darin, dass persönliche Informationen ohne Wissen oder Wollen desjenigen, auf den sie sich beziehen, erhoben oder verarbeitet wurden. Das BVerfG hat sowohl die Übersendung der Ehescheidungsakten ohne Kenntnisnahme der Ehegatten46 und die Verwertung einer ohne Wissen des Sprechenden hergestellten Tonbandaufnahme im Ermittlungsverfahren47 als auch eine statistische Befragung durch gesetzliche Anordnung von Aussagezwang,48 die Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte,49 die Verbreitung eines fingierten Interviews,50 die unerlaubte Publikation diskriminierender Tatsachen51 und die Verbreitung von nichtgetanen Äußerungen oder von Falschzitaten52 als Verletzungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewertet, weil es hier in der Tat bereits an der „Einwilligung“ durch den Betroffenen in die Erhebung und Verarbeitung persönlicher Informationen fehlte. Ein solches heimliches Eindringen oder die Erhebung und Verarbeitung persönlicher Daten gegen den Willen des Betroffenen stellen nach der neueren Judikatur des BVerfG53 Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar54. 43 Vgl. z. B. BVerfGE 27, 1; 27, 344; 32, 373; 34, 238; 35, 202; 44, 353; 54, 148; 54, 208; 63, 131; s. dazu näher Deutsch, S. 42 – 58; Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 8 f.; Vogelgesang, S. 41 f.; Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91 ff.; Ch. Mallmann, Datenschutz in Verwaltungsinformationssystem, 1976, 47 ff.; Gallwas, Der Staat 18 (1979), 507 ff.; Schwan, VerwArch. Bd. 66 (1975), 120 ff. 44 So auch Vogelgesang, S. 45 f. 45 Kritisch hierzu Kunig, Jura 1993, 595, 596. 46 BVerfGE 27, 344 ff. – Ehescheidungsakten = NJW 1970, 555. 47 BVerfGE 34, 238 ff. – heimliche Tonbandaufnahme = NJW 1973, 891. 48 BVerfGE 27, 1 ff. – Mikrozensus = NJW 1969, 1707. 49 BVerfGE 32, 373 ff. – Arztkartei = NJW 1972, 1123. 50 BVerfGE 34, 269 ff. – Soraya = NJW 1973, 1221. 51 BVerfGE 35, 202 ff. – Lebach = NJW 1973, 1226. 52 BVerfGE 54, 148 ff. – Eppler = NJW 1980, 2070; BVerfGE 54, 208 ff. – Böll / Walden = NJW 1980, 2072. 53 Vgl. BVerfGE 65, 1 ff. – Volkszählung = NJW 1984, 419. 54 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; Gusy, CR 1989, 628, 633; Groß, AöR 113 (1988), 161, 167; Bäumler, JR 1984, 361, 362; ders., in: Lis-
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Allerdings war das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über das Offenbarwerden seiner persönlichen Lebenssachverhalte zu entscheiden, am Anfang auf die geschützte Intim- und Privatsphäre begrenzt55. Ein besonderer Schutz persönlicher Daten wurde also zunächst ausschließlich unter Heranziehung des Privatsphärenschutzes entwickelt56. Die Grundrechtsrelevanz der Informationsgewinnung und -verarbeitung beurteilte sich daher danach, aus welcher Schutzsphäre die persönlichen Informationen entstammten und ob sie auf der Freiwilligkeit der Betroffenen beruhten57. Vorgänge aus der geschützten Intim- und Privatsphäre durften prinzipiell nicht ohne oder gegen den Willen des Betroffenen erhoben oder verarbeitet werden, weil zu dieser Sphäre grundsätzlich das Recht zählt, einen Vorgang vor Kenntnisnahme Dritter geheimzuhalten 58. Lediglich in der nur relativ geschützten Privatsphäre waren Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts im überwiegenden Allgemeininteresse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig59.
a) Selbstbestimmungsrecht im innersten Intimbereich Von einem „Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich“60 war praktisch bereits im Mikrozensus-Beschluss des BVerfG vom 16. 7. 1969 die Rede gewesen. Das Gericht wies darauf hin, dass eine statistische Befragung zur Person sich dort als entwürdigend und als Bedrohung des Selbstbestimmungsrechts empfinden lasse, wo sie den Bereich des menschlichen Eigenlebens erfasst, der von Natur aus Geheimnischarakter hat, und damit auch diesen inneren Bezirk zu statistisch erschließbarem und erschließungsbedürftigem Material erklärt61. Das Gericht sah eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts im innersten Lebensbereich darin, dass eine statistische Erhebung über Persönlichkeits- und Lebensdaten, die aus einem letzten unantastbaren, der Einwirkung der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogenen Bereich privater Lebensgestaltung entstammen, durch Aussagezwang gegen den Willen des Betroffenen erfolgte62. Das BVerfG ging von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Datenerhebung im engsten, absolut geschützten Bereich individueller Lebensgestaltung aus. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen unterliegt somit prinzipiell keinen Beken / Denninger, Kap. J, Rn 25; Baumann, DVBl. 1984, 612; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 181; Geiger, NVwZ 1989, 35, 37; Soiné, DÖV 2000, 173, 176. 55 So treffend Vogelgesang, S. 45. 56 Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173. 57 Vgl. BVerfGE 27, 344, 351 – 352; 32, 373, 379 – 380. 58 Vgl. BVerfGE 27, 344, 352; 32, 373, 380. 59 Vgl. BVerfGE 27, 344, 352. 60 Ausdruck BVerfGE 27, 1, 7 – Mikrozensus. 61 BVerfGE 27, 1, 7. 62 BVerfGE 27, 1, 8.
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schränkungen, sofern jener „Innenraum“, in den der Einzelne sich zurückziehen kann und den er vor Einblicken Dritter geheimhält, betroffen ist63. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit könnten einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich nicht rechtfertigen; für eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei kein Raum eröffnet64. Das Eindringen in den unantastbaren Intimbereich ist lediglich unter der Voraussetzung zulässig, dass der Betroffene zugestimmt hat, dass seine höchstpersönlichen Daten von Dritten erhoben werden. Sowohl die freiwillige, eigene Informationsherausgabe als auch die Einwilligung durch den Betroffenen in die Erhebung seiner persönlichen Daten ist Ausübung und nicht Einschränkung oder Verzicht des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG65. Mangels Eingriff in den Schutzbereich stellt sich für die Datenerhebung, die mit Einwilligung des Betroffenen geschieht, die gesamte Schrankenproblematik nicht mehr66. Der engste, absolut geschützte Intimbereich umfasst insoweit die Befugnis des Einzelnen, selbst und allein entscheiden zu können, ob und inwieweit seine höchstpersönlichen Lebenssachverhalte geheimzuhalten sind oder an andere offenbart werden sollen. Der Einzelne verlässt jedoch jenen innersten Bereich, der ihm um seiner freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen verbleiben muss, zwangsläufig, sobald er sich anderen freiwillig mitteilt67. Denn dort, wo er auf Geheimhaltung selbst keinen Wert legt, ist der Intimbereich schon wegen dieses Umstands in aller Regel nicht berührt68. Der Intimbereich muss daher die Vertraulichkeit und somit auch die Schutzbedürftigkeit schon immer dann verlieren, wenn der Einzelne Dritten gegenüber seine zum Intimbereich gehörenden Informationen freiwillig offenlegt69. Es kommt also auf den Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung an70. Das BVerfG geht nach wie vor davon aus, dass ein Eingriff in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist, unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist71. Schon wegen dieser Rigidität hat die Rechtsprechung nur äußerst selten einen Sachverhalt BVerfGE 27, 1, 6. Vgl. BVerfGE 27, 1, 7; 34, 238, 245; 35, 202, 220. 65 So auch Geiger, NVwZ 1989, 35, 36 f.; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 180 f.; Soiné, DÖV 2000, 173, 176; Gusy, CR 1989, 628, 633; Demgegenüber versteht Robbers die Einwilligung in die Weitergabe und Verarbeitung von persönlichen Daten durch den Betroffenen als Verzicht auf das Grundrecht. Als Beispiel für einen „Grundrechtsverzicht“ nennt er ausdrücklich die Einwilligung in die Weitergabe und Verarbeitung von persönlichen Daten (vgl. Gerhard Robbers, Der Grundrechtsverzicht, JuS 1985, 925 ff.). 66 Dazu s. Geiger, NVwZ 1989, 35, 37. 67 BVerfGE 33, 367, 377 – Sozialarbeiter = NJW 1972, 2214. 68 BVerfGE 80, 367, 374 – Tagebuch = NJW 1990, 563. 69 BVerfGE 33, 367, 377. 70 BVerfGE 80, 367, 374. 71 Vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 6, 389, 433; 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 379; 34, 238, 245 f.; 47, 46, 73; 49, 286, 298; 80, 367, 373; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 63 64
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diesem unantastbaren Kernbereich zugerechnet72. Zu diesem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung (= Intimbereich) gehörten weder die thematischen Bereiche des z. B. auf ärztlichen Krankenblättern enthaltenen Gesundheitszustandes73 und des z. B. in Ehescheidungsakten dokumentierten Ehelebens74 einer Person, noch geschäftliche Unterredungen75, noch der freie Umgang mit Drogen76. Auch molekulargenetische Untersuchungen zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren seien nicht grundsätzlich dem absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzuordnen77. Durch die Feststellung, Speicherung und zukünftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters nach § 2 DNA-IFG i.V. m. § 81g StPO werde der Kernbereich der Persönlichkeit nicht betroffen78. Selbst private Aufzeichnung (z. B. in Tagebüchern) mit höchstpersönlichem Charakter, die der Sache nach ein schriftlich fixiertes Selbstgespräch darstellen und die Auskunft geben über Gemütszustände und Reflexionen über die eigene Persönlichkeitsstruktur zur Ergründung der eigenen Gefühlswelt, gehörten nicht zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung79. Bis zum Großen Lauschangriff-Urteil des BVerfG vom 3. 3. 200480 hatte die Rechtsprechung zwar ausdrücklich von einem Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich gesprochen, aber in der Praxis bislang noch keinen Fall der Verletzung dieses Rechts entschieden. Nur der BGH hatte in der Kommunikation zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung einen solchen Kernbereich gesehen. Daher scheide eine Verwertbarkeit einer heimlich hergestellten Tonaufnahme diesbezüglich aus81. In der neueren Rechtsprechung zum sog. Großen Lauschangriff zu Zwecken der Strafverfolgung in Art. 13 Abs. 3 GG sah das BVerfG aber einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung im seelsorgerlichen Gespräch mit einem Geistlichen als gegeben an, ebenso auch in den höchstpersönlichen Gesprächen mit engsten Familienangehörigen, sonstigen engsten Vertrauten oder einzelnen Berufsgeheimnisträgern wie Strafverteidigern oder Ärzten in der Wohnung, welche nach ihrem Inhalt keinen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen82 (vgl. hierzu näher 2. Teil 3. Kapitel A.). Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 158. Vgl. BVerfGE 32, 373, 379 – Arztkartei = NJW 1972, 1123. 74 Vgl. BVerfGE 27, 344, 351 – Ehescheidungsakten = NJW 1970, 555. 75 Vgl. BVerfGE 34, 238, 248 – heimliche Tonbandaufnahme = NJW 1973, 891. 76 Vgl. BVerfGE 90, 145, 171 – Cannabis. Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 158. 77 Vgl. BVerfG, StV 2001, 145 ff. = NJW 2001, 879 ff. 78 BVerfG, StV 2001, 145, 146; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 158. 79 BVerfGE 80, 367, 376 ff. – die Entscheidung erging 4 : 4; zum Votum der vier anderen Richter siehe BVerfGE 80, 367, 380 ff., wonach diese Aufzeichnungen im Rahmen des gegen den Bf. geführten Strafverfahrens zu dem absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung gehörten. 80 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999 ff. 81 BGHSt, 31, 296, 299 f. = NJW 1983, 1569, 1570. 82 BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 72 73
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b) Selbstbestimmungsrecht in der nur relativ geschützten Privatsphäre Allerdings hat das BVerfG im Mikrozensus-Beschluss auch betont, dass nicht jede statistische Erhebung über Persönlichkeits- und Lebensdaten das Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich berühre83. Dieses Recht sah das Gericht dort nicht als verletzt an, wo die statistische Erhebung nur an das Verhalten des Menschen in der Außenwelt anknüpft84. Das ausschließliche Bestimmungsrecht des Einzelnen über seinen Privatbereich wird dementsprechend dann nicht absolut geschützt, wenn er als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen tritt, durch sein Sein oder Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens berührt85. Ein solcher Sozialbezug löst die Einbindung in den höchstpersönlichen Intimbereich und somit den unantastbaren Persönlichkeitsschutz86. Er kann bei entsprechender Intensität namentlich Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zum Schutz von Allgemeininteressen zulassen87. In der Privatsphäre, die sich von dem unantastbaren Intimbereich durch den Sozialbezug unterscheidet, muss der Einzelne als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Informationserhebungs- und -verarbeitungsmaßnahmen, die ohne oder gegen seinen Willen stattfinden, hinnehmen, wenn sie im überwiegenden Allgemeininteresse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt sind88. In den früheren Entscheidungen des BVerfG, in welchen das Recht des Staates auf Erhebung oder Verarbeitung von Informationen über Personen thematisiert wurden, nehmen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts in der Privatsphäre, die unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hinzunehmen sind, den weitesten Raum ein89. Die grundrechtliche Interessenlage wies hier also den Konflikt zwischen dem staatlichen Interesse, Informationen über den Einzelnen zu erheben und zu verarbeiten, und dessen Selbstbestimmungsrecht über eben diese Informationen, auf. Selbstbestimmungsrecht und staatliches Informationsinteresse waren mithin nach dem Verfassungsprinzip praktischer Konkordanz in Ausgleich zu bringen90. Dementsprechend war durch Güterabwägung im konkreten Fall zu ermitteln, ob dem verfolgten öffentlichen Interesse generell und nach der Gestaltung des Einzelfalls der Vorrang einzuräumen war, und ob der beabsichtigte Eingriff nach Art und Reichweite durch dieses Interesse gefordert wurde und im angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stand91. 83 84 85 86 87 88 89 90 91
BVerfGE 27, 1, 7. BVerfGE 27, 1, 7. BVerfGE 35, 202, 220. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 92. BVerfGE 35, 202, 220. BVerfGE 27, 344, 351. Vgl. z. B. BVerfGE 27, 1; 27, 344; 32, 373; 34, 238; 44, 353 – Drogenberatungsstelle. Degenhart, JuS 1992, 361, 363. BVerfGE 35, 202, 221.
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aa) Der Schutz gegen die zwangsweise Erhebung privater Informationen (1) Der Mikrozensus-Beschluss Der größte Teil der in der Praxis vom BVerfG entschiedenen Fälle behandelt die Erhebung privater Informationen. Der erste Fall, der sich ausführlich mit der Frage der Informationserhebung befasste, war der Mikrozensus-Beschluss von 1969, in dem sich die Frage stellte, ob im Rahmen einer staatlichen Repräsentativbefragung Daten über das Urlaubs- und Freizeitverhalten durch gesetzliche Anordnung von Aussagezwang, also gegen den Willen des Betroffenen, erhoben werden durften92. Das BVerfG hat hier ausdrücklich festgestellt, dass eine statistische Erhebung über Persönlichkeits- und Lebensdaten durch Auferlegung einer Auskunftspflicht das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen berührt93. Das Gericht ließ es aber mit dieser Feststellung indessen nicht bewenden, sondern prüfte, in welcher der geschützten Sphären dieses Recht tangiert und in Frage gestellt wurde, weil es zwischen dem Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich als uneingeschränktes Recht und dem Selbstbestimmungsrecht im privaten Bereich, in das der Einzelne Eingriffe als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger zu dulden hat, deutlich unterschied. Nach Auffassung des Gerichts betraf die Befragung über Urlaubs- und Erholungsreisen zwar einen Bereich des privaten Lebens, zwinge den Befragten aber weder zu einer Offenlegung seiner Intimsphäre noch gewähre sie dem Staat Einsicht in einzelne Beziehungen, die der Außenwelt nicht zugänglich sind und daher von Natur aus Geheimnischarakter haben94. Sämtliche Angaben über Ziel und Dauer der Reisen, Unterkunftsart und die benutzten Verkehrsmittel, die auch ohne eine Befragung ermittelt werden konnten, würden nicht jenem innersten Intimbereich zugerechnet, in den der Staat auch nicht durch eine Befragung zu statistischen Zwecken ohne Verletzung der Menschenwürde und des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen eingreifen könnte95. Letzten Endes ging es hier nur um eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts, die durch überwiegende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt werden konnte und die somit der Einzelne hinzunehmen hatte. (2) Der Arztkartei-Beschluss Eine vergleichbare Konstellation lag dem Arztkartei-Beschluss des BVerfG vom 8. 3. 1972 zugrunde. Es handelte sich hier ebenfalls um die Erhebung von privaten Daten durch Zwang. Der Fall betraf Arztkarteien über den Gesundheitszustand des Beschuldigten, die im Zusammenhang mit einem Strafverfahren als Beweismittel beschlagnahmt wurden96. 92 93 94 95 96
BVerfGE 27, 1 ff. = NJW 1969, 1707. BVerfGE 27, 1, 7. BVerfGE 27, 1, 8. BVerfGE 27, 1, 8. Vgl. BVerfGE 32, 373 ff. = NJW 1972, 1123.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
Das Gericht sah durch die Beschlagnahme der Arztkarteikarte des Beschuldigten ohne oder gegen dessen Willen den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – konkret: das Selbstbestimmungsrecht des Patienten über die Erhebung der auf einem Krankenkarteiblatt enthaltenen Informationen, die zwar nicht seine unantastbare Intimsphäre, wohl aber seinen privaten Bereich betrafen – als berührt an97. Als maßgeblich für einen Persönlichkeitsschutz hat das BVerfG hier nicht die Bedeutung des einzelnen Gesundheitsdatums für den Patienten, also die Sensibilität der auf dem Karteiblatt enthaltenen Informationen, sondern den Willen des Patienten, diese Informationen vor fremdem Einblick zu bewahren, angesehen. Derjenige, der sich in ärztliche Behandlung begebe, müsse und dürfe erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfahre, geheim bleibe und nicht zur Kenntnis Unberufener gelange98. Nur so könne zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt99. Im Arztkartei-Beschluss hob das BVerfG ausdrücklich auf das materielle Kriterium des Geheimhaltungswillens ab, ging aber noch von dem Privatsphärenschutz aus. So wurde auf die Art der Quelle, aus welcher die Informationen stammen, abgestellt, und dabei das Schutzbedürfnis der Persönlichkeit gegenüber Zugriffen Dritter auf den geschützten Bereich privater Lebensgestaltung beschränkt. Für den Schutz der Persönlichkeit, den Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt, mussten die Informationen jedenfalls der nur relativ geschützten Privatsphäre angehören. „Ärztliche Karteikarten (Krankenblätter) betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten. Damit nehmen sie teil an dem Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt“100. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen im Hinblick auf die Verwendung seiner personenbezogenen Daten unterfiel daher im Arztkartei-Beschluss noch dem Privatsphärenschutz. bb) Der Schutz gegen die heimliche Verarbeitung privater Informationen (1) Der Ehescheidungsaktenbeschluss Von den Entscheidungen des BVerfG, die sich mit der heimlichen Verarbeitung von privaten Informationen beschäftigten, soll hier vor allem der Ehescheidungsaktenbeschluss vom 15. 1. 1970 behandelt werden101. Dieser Fall betraf die Einsichtnahme eines Dienstherrn in die Akten eines Ehescheidungsprozesses, die eine BVerfGE 32, 373, 379. BVerfGE 32, 373, 380. 99 BVerfGE 32, 373, 380. 100 BVerfGE 32, 373, 379. 101 Vgl. BVerfGE 27, 344 ff. = NJW 1970, 555. 97 98
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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ehewidrige Liaison dokumentierten, und die in einem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren gegen den Ehemann herangezogen werden sollten. Dieser war zwar von der Aktenanforderung betroffen, von ihm wurde jedoch nichts verlangt. Erst später erfuhr er von der Einsichtnahme seines Dienstherrn in die Ehescheidungsakten. Die heimliche Übersendung der Ehescheidungsakten an den Untersuchungsführer in einem Disziplinarverfahren ohne Wissen der Ehegatten stellte einen Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht dar. Nach Auffassung des Gerichts hätten beide Ehegatten einen Anspruch auf Geheimhaltung des Akteninhaltes aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Akteninhalt lasse sich grundsätzlich „nur auf Grund einer von beiden erteilten Einverständniserklärung“ der Kenntnisnahme Außenstehender zugänglich machen102. Daraus zog das Gericht den Schluss, dass in der Gestattung einer Übersendung der Akten des Ehescheidungsverfahrens an den Untersuchungsführer, die ihre formelle Grundlage im Recht der Amtshilfe habe, ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Ehegatten liege103. Das Gericht hat jedoch auch hier einen Eingriff in das „Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich“ verneint. Akten eines Ehescheidungsverfahren gehörten zwar zum privaten Lebensbereich der Ehepartner, jedoch nicht zum unantastbaren Bereich in dem Sinne, dass schon jeder Einblick durch Außenstehende von vornherein unzulässig wäre. So wäre der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten ohne ihr Einverständnis dann zulässig, wenn er nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerechtfertigt sei104. (2) Der Tonband-Beschluss Eine ganz ähnliche Konstellation lag dem Tonband-Beschluss des BVerfG vom 31. 1. 1973 zugrunde, in dem es um die Frage ging, ob eine von einem Ehepaar heimlich hergestellte Tonbandaufnahme über ein geschäftliches Gespräch mit dem späteren Beschwerdeführer als Beweismittel in einem Strafverfahren verwertet werden durfte, um den Verdacht u. a. der Steuerhinterziehung gegen diesen zu erhärten105. Das BVerfG hat hier ausdrücklich ein Recht am gesprochenen Wort anerkannt: „Jedermann darf grundsätzlich selbst und allein bestimmen, wer sein Wort aufnehmen soll sowie ob und vor wem seine auf einen Tonträger aufgenommene Stimme wieder abgespielt werden darf“106. Nach Auffassung des Gerichts würde die Unantastbarkeit der Persönlichkeit erheblich geschmälert, wenn andere ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen über sein nicht öffentlich gesprochenes Wort 102 103 104 105 106
BVerfGE 27, 344, 352. BVerfGE 27, 344, 352. BVerfGE 27, 344, 351. Vgl. BVerfGE 34, 238 ff. = NJW 1973, 891. BVerfGE 34, 238, 246.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
nach Belieben verfügen dürften107. Private Gespräche müssten ohne die Befürchtung geführt werden können, dass deren heimliche Aufnahme ohne die Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet werden könnten, weil ansonsten die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation gestört würde108. Das Gericht stellte hier zunächst fest, dass sich die Verwertung einer heimlichen Tonbandaufnahme im Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten ohne dessen Einwilligung als ein Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am eigenen Wort darstellte. Nach dieser Feststellung gelangte das Gericht zur Prüfung, ob die heimliche Tonbandaufnahme den schlechthin unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung berührt oder lediglich den unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offenstehenden Bereich des privaten Lebens betrifft, weil es vorliegend um eine geschäftliche Unterredung ginge und somit höchstpersönliche Dinge, die der unantastbaren Intimsphäre zugerechnet werden könnten, nicht zur Sprache kämen109. In diesem Falle wäre die Verwertung der heimlichen Tonbandaufnahme im Strafverfahren zulässig, wenn sie durch ein überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt werden könnte110. Das Gericht sah vorliegend die Verwertung wegen Verstoßes gegen das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als unzulässig an, weil das schutzwürdige Interesse des Beschuldigten an der Nichtverwertung der heimlichen Tonbandaufnahme das allgemeine Strafverfolgungsinteresse überwog111. 3. Der Schutz der Selbstbestimmung ohne Beschränkung auf die Schutzsphären a) Das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit Die oben genannten Entscheidungen zeigen, dass das BVerfG mit dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen über seine persönlichen Informationen aus dem geschützten Bereich privater Lebensgestaltung versucht hat, einen Persönlichkeitsschutz gegen staatliche Informationserhebung und -verarbeitung zu gewährleisten. Allerdings machten die als nächstes zu besprechenden Fälle sichtbar, dass das Schutzbedürfnis der Persönlichkeit gegenüber Zugriffen Dritter nicht mehr nur auf die Intim- und Privatsphäre beschränkt war112. Im ersten Fall ging es um das Persönlichkeitsrecht eines Straftäters, über dessen aufsehenerregenden Soldatenmord von Lebach („Fall Lebach“) eine Fernsehanstalt 107 108 109 110 111 112
BVerfGE 34, 238, 246. BVerfGE 34, 238, 246 – 247. BVerfGE 34, 238, 248. BVerfGE 34, 238, 248. Vgl. BVerfGE 34, 238, 248 f. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 10.
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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(ZDF) ein Dokumentarspiel ausstrahlen wollte113. Der zweite Fall betraf den damaligen baden-württembergischen SPD-Vorsitzenden Eppler, dem in einer für den Landtagswahlkampf herausgegeben Musterrede der CDU vorgehalten wurde, er habe behauptet, die Belastbarkeit der deutschen Wirtschaft zu testen114. Im letzten Fall handelte es sich um einen Fernsehkommentar, in dem der Kommentator Walden den Schriftsteller Böll in den Bereich der Sympathisanten des Terrorismus gerückt und dies mit Zitaten untermauert hatte, die in der wiedergegebenen Form nicht von Böll stammten115. Diese Fälle haben zweierlei gemeinsam: Zum einen war weder die Intim- noch die Privatsphäre der Betroffenen in diesen Fällen berührt. Vielmehr hatte die Darstellung im Fernsehen und in der Musterrede ein öffentliches Verhalten zum Gegenstand116. Mit der Sphärentheorie, welche der Rechtsprechung des BVerfG bis dahin zu Grunde lag, hat dies nichts mehr zu tun117. Zum anderen wurden die Betroffenen in der Öffentlichkeit unzutreffend oder unvorteilhaft dargestellt118. So war der Schriftsteller Böll durch die in dem Fernsehkommentar ausgesprochene Ansicht, er gehöre zu denjenigen, die den Boden der Gewalt durch den Ungeist der Sympathie mit den Gewalttätern gedüngt hätten, in seiner persönlichen Ehre gekränkt, die nach Art. 5 Abs. 2 GG zu den Schranken der Meinungsfreiheit gehört119. Die übrigen Darstellungen waren den Betroffenen zwar abträglich, betrafen aber keinesfalls ihre persönliche Ehre. Sollten die Betroffenen gleichwohl den Angriffen nicht schutzlos ausgesetzt sein, musste das Schutzkonzept für die Persönlichkeit abermals ausgeweitet werden120. Zu diesem Zweck ging das BVerfG von dem Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung seiner Person aus, die nach Ansicht des Gerichts von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst wird121.
Vgl. BVerfGE 35, 202 ff. – Lebach = NJW 1973, 1226. Vgl. BVerfGE 54, 148 ff. – Eppler = NJW 1980, 2070. 115 Vgl. BVerfGE 54, 208 ff. – Böll / Walden = NJW 1980, 2072. 116 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 11. 117 Deutsch, S. 56. 118 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 10. 119 Vgl. BVerfGE 54, 208 = NJW 1980, 2072. Im Böll / Walden-Beschluss stellte das BVerfG fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht die persönliche Ehre umfasst. Damit wurde die persönliche Ehre, die bis dahin noch keinen Grundrechtsrang besaß, sondern einen rechtfertigenden Grund für Beschränkungen der Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG durch den Gesetzgeber bildete, zum selbständigen grundrechtlichen Schutzobjekt aufgewertet. So wurde sie aus einem Eingriffstitel in die Kommunikationsgrundrechte in eine eigene Grundrechtsgewährleistung im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG umgewandelt, vgl. hierzu näher Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 10 – 11. 120 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 11. 121 Vgl. BVerfGE 35, 202, 220; 54, 148, 155 f.; 54, 208, 218; 63, 131, 142 f. 113 114
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
aa) Das Lebach-Urteil Im Lebach-Urteil vom 5. 6. 1973 entschied das BVerfG, dass eine Fernsehsendung über die Entstehung, Ausführung und Verfolgung einer Straftat unter Namensnennung, Abbildung und Darstellung eines Straftäters zwangsläufig den Schutzbereich seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berühre122. Aus der Verbindung von Entfaltungsfreiheit und Menschenwürde hat das Gericht das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person entnommen:123 „Jedermann darf grundsätzlich selbst und allein bestimmen, ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen“. Daher war es dem Einzelnen grundsätzlich nicht zuzumuten, Eingriffe durch die Verbreitung von persönlichen Informationen in der Öffentlichkeit zu dulden124. Ihm wurde somit die Möglichkeit gegeben, die unerlaubte Publikation von seinen persönlichen Lebenssachverhalten und Daten mittels des Rundfunks oder anderer Massenmedien zu verhindern, auch wenn sie zuvor bereits in Teilen der Öffentlichkeit bekannt waren und es sich somit nicht um rein private Informationen handelte. Das BVerfG hob zugleich aber auch hervor, dass derjenige, der durch sein Verhalten auf andere einwirke und dadurch die Belange Dritter oder des Gemeinwesens berühre, sich Einschränkungen seines ausschließlichen Verfügungsrechts über seinen Privatbereich gefallen lassen müsse, soweit dieser nicht zum unantastbaren innersten Lebensbereich zählt125. Er kann zwar grundsätzlich selbst entscheiden, ob und wem gegenüber er sich darstellt, und insoweit unerwünschtes Publikum von dieser Darstellung ausschließen, aber eine weitere Verbreitung der einmal öffentlich gewordenen Informationen über sich in der Öffentlichkeit nicht uneingeschränkt verhindern126. Daher könnte sich der von einer öffentlichen Darstellung Betroffene nie der öffentlichen Erörterung seiner persönlichen Angelegenheiten entziehen, sofern ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit vorhanden wäre127. Inhaltlich wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Lebach-Urteil als Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über die Darstellung seiner Person verstanden. Allerdings ging es hier nicht um den privaten Bereich, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, sondern um die weitere Verbreitung von persönlichen Tatsachen, die bereits in irgendeiner Form an die Öffentlichkeit gelangt waren. Die ungenehmigte Darstellung in einem Fernsehfilm stellte sich so als eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts in der Öffentlichkeitssphäre dar128.
122 123 124 125 126 127 128
BVerfGE 35, 202, 219 – 220. BVerfGE 35, 202, 220. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 108. BVerfGE 35, 202, 220. Deutsch, S. 57. Deutsch, S. 57. So auch Vogelgesang, S. 47.
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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bb) Der Eppler-Beschluss Schließlich weitete das BVerfG im Eppler-Beschluss vom 3. 6. 1980 seine Rechtsprechung aus und bezog in den Schutz von Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG das Recht des Einzelnen ein, – ohne Beschränkungen auf seine Privatsphäre – grundsätzlich selbst entscheiden zu können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, und ob und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit verfügt werden kann129. Voraussetzung dieses Schutzes war, dass Vorgänge aus dem geschützten Persönlichkeitsbereich, grundsätzlich auch solche, die dem Öffentlichkeitsbereich, also dem Bereich, in dem sich der Einzelne der Öffentlichkeit offenbart, entstammen, publiziert wurden und der Betroffene dem nicht zugestimmt hat130. Damit wurde der Schutz der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit ausdrücklich auch auf persönliche Informationen aus der Öffentlichkeitssphäre erstreckt. Personenbezogene Informationen durften nicht mehr gegen den Willen des Betroffenen veröffentlicht werden, auch wenn sie zuvor bereits Teilen der Öffentlichkeit bekannt waren und es sich somit nicht um rein private Informationen handelte131. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, das bisher auf die Intim- und Privatsphäre begrenzt war, wurde nun auch in der Öffentlichkeitssphäre anerkannt, sofern es sich um den Schutz der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit handelt. Die Bedeutung des Eppler-Beschlusses liegt darin, dass das BVerfG den Grundrechtsschutz auch in der Öffentlichkeitssphäre nicht verneint hat132. Der Grund dafür war, dass es einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen würde, falls persönliche Informationen durch die Publizierung mittels der Presse oder anderer Massenmedien an jedermann, der von den publizierten Tatsachen Kenntnis nehmen kann, weitergegeben werden könnten. Die Intensität des Grundrechtseingriffs übersteigt dabei diejenige der bloßen Weitergabe an bestimmte einzelne Personen erheblich133. Das BVerfG wollte erkennbar einen Schutz vor den speziellen Gefahren bieten, die dem Persönlichkeitsrecht durch die Vermittlung von Persönlichkeitsbildern in den Massenmedien wie etwa Zeitung und Rundfunk droht134. Verhindert werden sollte nicht nur die Publikation diskriminierender Tatsachen, sondern auch die Zuschreibung unwahrer oder verfälschter Behauptungen, auch wenn sie bereits an die Öffentlichkeit gelangt sind135.
129 130 131 132 133 134 135
4 Son
BVerfGE 54, 148, 155. Vgl. dazu Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 108. Vgl. BVerfGE 54, 148, 155 f.; 54, 208, 218; 63, 131, 142 f. BVerfGE 54, 148, 155 f. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 108. Deutsch, S. 56; Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 14. Vgl. BVerfGE 35, 202, 220; 54, 148, 155 f.; 54, 208, 218; 63, 131, 142 f.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
cc) Der Böll / Walden-Beschluss und der Gegendarstellungsbeschluss Der Eppler- und der Böll / Walden-Beschluss haben insoweit gemeinsam, als sie die Weitergabe von Äußerungen betrafen, welche die hiervon Betroffenen nicht oder zumindest nicht so getan haben wollten136. Als besonders schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung hat das BVerfG das Unterschieben nichtgetaner Äußerungen137 und die Verbreitung von unrichtigen Zitaten138 gewertet139. Es stellte fest, es bedeutete gleichfalls einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, wenn jemandem Äußerungen in den Mund gelegt würden, die er nicht getan habe und die seinen von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigten 140. Dies folge aus dem dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugrunde liegenden Gedanken der Selbstbestimmung,141 wonach der Einzelne – ohne Beschränkungen auf seine Privatsphäre – grundsätzlich selbst solle entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen wolle142. Letztlich wurde demjenigen, dessen Angelegenheiten in den Medien öffentlich erörtert werden, im Gegendarstellungsbeschluss des BVerfG vom 8. 2. 1983143 ein wirksames Mittel zur Wahrung seiner Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit gegeben144. Dieses Recht wird als medienadäquates Verteidigungsmittel der Persönlichkeit begriffen145. Nach Auffassung des Gerichts soll der von einer medialen Darstellung Betroffene das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete und rechtlich gesicherte Gegendarstellungsrecht haben, der medialen Darstellung mit seiner Darstellung entgegenzutreten, weil er andernfalls zum bloßen Objekt öffentlicher Erörterung herabgewürdigt werden würde146.
Vgl. Deutsch, S. 54. BVerfGE 54, 148, 154 f. 138 BVerfGE 54, 208, 217 f. Bereits in der Leserbrief-Entscheidung hat der BGH die verfälschende Wiedergabe privater Aufzeichnungen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter dem Gesichtspunkt eines falschen Persönlichkeitsbildes betrachtet (BGHZ 13, 334 – Leserbrief = JZ 1954, 698, 699). Niemand muss hinnehmen, dass sein Persönlichkeitsbild durch Verbreitung falscher Tatsachen verfälscht wird. 139 Dazu Degenhart, JuS 1992, 361, 365 f. 140 BVerfGE 54, 148, 155; 54, 208, 217. 141 BVerfGE 54, 148, 155. 142 BVerfGE 54, 148, 155; 54, 208, 218. 143 Vgl. BVerfGE 63, 131 ff. = NJW 1983, 1179. 144 Deutsch, S. 57. 145 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 14. 146 BVerfGE 63, 131, 142 – 143. 136 137
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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dd) Das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit als Vorläufer des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Das oben angeführte Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit kommt dem im Volkszählungsurteil anerkannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung schon sehr nahe, weil es auch den Einzelnen dagegen schützt, dass seine persönlichen Informationen, unabhängig davon, welcher Sphäre sie angehören, ohne oder gegen seinen Willen publiziert werden. Anders als die Stimmen im Schrifttum147 hat das Volkszählungsurteil den Schutz der informationellen Selbstbestimmung nicht nur auf die im staatlichen Binnenbereich erfolgende Informationsverarbeitung erstreckt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umschließt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, welche Informationen über sich er mit anderen teilen, „veröffentlichen“ will. Dieses gewährt den Grundrechtsschutz auch gegen die Weitergabe personenbezogener Daten, die darauf zielt, erhobene Daten privaten Dritten oder gar der Öffentlichkeit148 (wie etwa die Öffentlichkeitsfahndung nach Personen, die personenbezogene Daten in Form von Personenbeschreibungen oder Lichtbildern einer Person an die Öffentlichkeit weitergibt)149 ebenso wie anderen öffentlichen Stellen als die, welche die Daten erhoben haben, zur Verfügung zu stellen150. Das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit lässt sich daher als Vorläufer des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verstehen151. So zählt auch das BVerfG selbst im Rahmen der dortigen Entscheidungsbegründung das Lebach-Urteil sowie den Eppler- und den Gegendarstellungsbeschluss auf152.
b) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aa) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Schließlich hat das BVerfG im Volkszählungsurteil vom 15. 12. 1983 ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung anerkannt. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Verarbeitung personenbezogener Daten war für das Gericht das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Deutsch, S. 58. BVerfGE, 78, 77, 84 – Die öffentliche Bekanntmachung einer Entmündigung gem. § 687 ZPO a.F. Siehe auch: OVG Lüneburg, NJW 1992, 192, 194 – personenbezogene Daten im Verfassungsschutzbericht; VG Berlin, NJW 1993, 2548, 2549 – personenbezogene Daten aus Stasi-Unterlagen (Fall Stolpe). Allgemein siehe bereits Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 108. 149 Vgl. Bär, CR 1997, 422, 430. 150 Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 176. 151 So auch Vogelgesang, S. 49; Denninger, ZRP 1981, 231, 232; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173; kritisch hierzu Deutsch, S. 58. 152 BVerfGE 65, 1, 42. 147 148
4*
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
allgemeine Persönlichkeitsrecht153. Aus dem im allgemeinen Persönlichkeitsrecht enthaltenen Gedanken der Selbstbestimmung hat das Gericht die Befugnis des Einzelnen abgeleitet, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“154. Eine entscheidende Funktion der Rechtsprechung des BVerfG liegt darin, das allgemeine Persönlichkeitsrecht fortzuentwickeln, es an die jeweils sich wandelnden Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit durch die neuartige technische Entwicklung anzupassen155. Die Rechtsprechung des BVerfG hat den Persönlichkeitsschutz stets den Gefahren der Entwicklung neuer Technologien angepasst156. So hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Reihe von tatbestandlichen Konkretisierungen erfahren, etwa durch das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit157. Die Notwendigkeit eines derart ausgeweiteten Persönlichkeitsschutzes ergab sich für das BVerfG aus der technischen Entwicklung, die es ermöglichte, Bild und Stimme des Menschen, die ehedem mit der Persönlichkeit untrennbar verbunden gewesen waren, von ihm abzulösen, aufzunehmen und in einer verfügbaren Gestalt zu reproduzieren158. Mit der Ausbreitung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) hat das Problem allerdings eine neue Dimension gewonnen159. So könnten – wie das BVerfG im Volkszählungsurteil ausführlich ausführt – heute mit Hilfe der EDV personenbezogene Daten nahezu unbegrenzt gespeichert und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen abgerufen werden160. Sie könnten darüber hinaus – insbesondere beim Aufbau integrierter Informationssysteme – mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen „Persönlichkeitsbild“ zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren könne161. Es ging dem BVerfG um einen Persönlichkeitsschutz, der den sich aus der EDV ergebenden besonderen Bedrohungen des Individuums gerecht wird162. Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht kann, worauf das BVerfG bereits im Eppler-Beschluss zutreffend hinwies, namentlich im Blick auf diese modernen Entwicklungen und der mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit, besondere Bedeutung gewin153 154 155 156 157 158 159 160 161 162
Vgl. Simitis, NJW 1984, 398, 399. BVerfGE 65, 1, 42. Degenhart, JuS 1992, 361, 363. Vgl. Vogelgesang, S. 41. Vgl. BVerfGE 34, 238, 246; 35, 202, 220; 54, 148, 155; 54, 208, 218; 63, 131, 142. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 12. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 15. BVerfGE 65, 1, 42. BVerfGE 65, 1, 42. Deutsch, S. 72.
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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nen163. Im Volkszählungsurteil hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „unbenanntes“ Freiheitsrecht seinerseits abermals eine spezielle Konkretisierung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfahren164. Durch ein solches Recht wird die individuelle Persönlichkeit nun vor den spezifischen Gefahren durch die elektronische Datenverarbeitung mit ihren Integrationsmöglichkeiten geschützt. Somit wurde im Volkszählungsurteil nicht ein neues Grundrecht erfunden, sondern es ging bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung um eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts165. Ein „Grundrecht auf Datenschutz“166 ist genauso wenig wie vorher vorhanden167. bb) Anerkennung eines Selbstbestimmungsrechts über die Erhebung und Verarbeitung „personenbezogener“ Daten Wie oben dargelegt, hatte sich die Rechtsprechung des BVerfG bereits frühzeitig mit den Fragen der unmittelbar der öffentlichen Gewalt zuzurechnenden Persönlichkeitsverletzungen vor allem im Zusammenhang mit der Erhebung, Übersendung, Verwertung und Verbreitung von Informationen über Personen befasst und dabei jeweils schon das Selbstbestimmungsrecht über die Informationen aus dem unantastbaren und nur relativ geschützten Bereich privater Lebensgestaltung168 und das – sich ohne Beschränkung auf die Privatsphäre auf sämtliche personenbezogenen Daten erstreckende – Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit169 anerkannt. Darin fehlte jedoch noch die sich auf den Schutz von allen persönlichen Daten sowie auf den Schutz vor jeglicher staatlicher Datenerhebung und Datenverarbeitung konzentrierte Betrachtungsweise. Erst im Volkszählungsurteil hat das BVerfG ein umfassendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung anerkannt und somit den Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt, nicht nur aus der Begrenzung auf die Privatsphäre gelöst, sondern darüber hinaus auch auf die Erhebung, Speicherung, Verwendung, Weitergabe und Veröffentlichung personenbezogener Daten erstreckt170. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt also für alle persönlichen Daten und für BVerfGE 54, 148, 153. Simitis, NJW 1984, 398, 399; Baumann, DVBl. 1984, 612; Berg, CR 1988, 234; Heußner, BB 1990, 1281, 1282; Degenhart, JuS 1992, 361, 361 – 362; Deutsch, S. 72; Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 15; Duttge, Der Staat 36 (1997), 281, 285; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 1; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173. 165 So auch BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173. 166 So aber Bäumler, JR 1984, 361, 362. 167 Vgl. Gallwas, Der Staat 18 (1979), 507, 520; Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, 1980; Krause, DVR 9 (1980), 229, 254 ff.; Simitis, NJW 1984, 398, 399. 168 Vgl. BVerfGE 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 379; 34, 238, 245 f. 169 Vgl. BVerfGE 35, 202, 220; 54, 148, 155; 54, 208, 218; 63, 131, 142. 170 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 16. 163 164
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
jede Form der Datenerhebung und Datenverarbeitung, auch für die nicht automatisierte Art der Datennutzung171.
B. Widerspruch des Volkszählungsurteils mit der früheren Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht? Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat den umfassenden Schutz personenbezogener Daten vor ihrer Erhebung und Verarbeitung zum Inhalt. In diesem Zusammenhang wies Krause auf den Widerspruch des Volkszählungsurteils mit der früheren Rechtsprechung des BVerfG172 zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht hin173. Das Abstellen auf den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfordere demnach den Nachweis der Verletzung der engeren Privatsphäre, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts enger gezogen werden müssten als diejenigen der allgemeinen Handlungsfreiheit und es nur vor Eingriffen schütze, die geeignet sind, die engere Persönlichkeitssphäre zu beeinträchtigen, wie das BVerfG selbst schon im Eppler-Beschluss klarstellte174. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht könne kein so weitgehendes informationelles Selbstbestimmungsrecht, das auch die trivialste personenbezogene Information vor jeglicher Kenntnisnahme schützt, hergeleitet werden175. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass die bei Krause anklingende „Sphärentheorie“ nicht Grundlage der Entscheidung ist176.
I. Das Privatsphärenschutzkonzept des BVerfG Bis zum Volkszählungsurteil war das BVerfG Vertreter der Sphärentheorie177. Es hat sich dem Ansatz der ursprünglich für das Zivilrecht konzipierten Sphärentheorie178 angeschlossen, zu der auch seine Rechtsprechung bis zum Volkszäh171 Vgl. BVerfGE 78, 77, 84 – Veröffentlichung einer Entmündigung gem. § 687 ZPO a.F.; BVerfG, Beschluss v. 25. 7. 1988, NJW 1996, 1484 – personenbezogene Informationen in staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Akten; s. auch Baumann, DVBl. 1984, 612, 613; Simitis, NJW 1984, 398, 399; Steinmüller, DuD 1984, 91, 92; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Podlech, Leviathan 1983, 84, 93; Bäumler, JR 1984, 361, 362; Riegel, DVBl. 1985, 765; Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 238; Vogelgesang, S. 55; Deutsch, S. 73; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 176. 172 BVerfGE 54, 148, 153 – Eppler = NJW 1980, 2070. 173 Krause, JuS 1984, 268, 270. 174 Krause, JuS 1984, 268, 270; kritisch hierzu Rosenbaum, Jura 1988, 178, 179. 175 Krause, JuS 1984, 268, 270; Vogelgesang, S. 118. 176 So auch Rosenbaum, Jura 1988, 178, 179; Heußner, BB 1990, 1281, 1282. 177 Kritisch zur Sphärentheorie Kamlah, DÖV 1970, 361, 362; Seidel, NJW 1970, 1581, 1582 f.; O. Mallmann, Zielfunktionen des Datenschutzes, 25 f.
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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lungsurteil neigte, und mit dieser versucht, den Grundrechtsschutz gegen staatliche Informationserhebung und -verarbeitung zu gewährleisten. Im Mittelpunkt aller Bemühungen des Gerichts, den Schutz vor einer staatlichen Befassung mit den eine Person betreffenden Informationen bieten zu wollen, stand der Versuch, einen dem Einzelnen gewährleisteten, dem Zugriff des Staates entzogenen Bereich abzugrenzen179. 1. Anerkennung verschiedener Schutzsphären Das BVerfG hat verschiedene und in ihrer Schutzwirkung unterschiedlich intensive Sphären zum Schutz gegen unbefugtes Eindringen in den persönlichen Bereich anerkannt180. Um den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit legen sich gleichsam in konzentrischen Kreisen Sphären abgestufter Schutzintensität:181 die Intimsphäre, die teilweise auch mit dem Kernbereich der Persönlichkeit gleichgesetzt wird182 und innerhalb der die freie Persönlichkeitsentfaltung prinzipiell keinen Beschränkungen unterliegt,183 die Privatsphäre, in die Eingriffe im überwiegenden Allgemeininteresse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig sind184 und die Öffentlichkeitssphäre,185 innerhalb 178 Wegen dem offenen, vom BGH fortlaufend zu konkretisierenden Tatbestand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat die Rechtsprechung des BGH den Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben. Dabei hat er stets betont, dass erst aufgrund dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung sich im Einzelfall das Schutzgut von einem nicht schutzwürdigen Persönlichkeitsinteresse unterscheiden lässt (vgl. BGHZ 24, 72 – Versicherungsbetrug = JZ 1957, 473, 474). Die Zivilrechtsprechung hat ihren Ansatz zu einer Sphärentheorie konkretisiert. In der Rechtsprechung des BGH besteht zwar keine Einigkeit über die unterschiedlichen Sphären, aber als die schutzwürdige, gegenüber dem unerwünschten Zugriff der Öffentlichkeit mit unterschiedlicher Abwehrintensität abzuschirmenden Schutzbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurden etwa Geheimsphäre (BGHZ 24, 72, 80 f.), Eigensphäre (BGHZ 27, 284, 288), Individualsphäre (BGHZ 26, 349, 355), Privatsphäre (BGHZ 24, 200, 208), persönliche Sphäre (BGHZ 36, 77, 80) anerkannt, vgl. hierzu ausführlich Rohlf, S. 26 f.; Schickedanz, BayVBl. 1984, 705 f.; Brandner, JZ 1983, 689 ff.; Geis, JZ 1991, 112 f.; Palandt / Thomas, BGB, § 823 Anm. 15. 179 Benda, in: FS für Geiger, 23, 28. 180 Dazu näher s. Rohlf, S. 71 f. 181 Degenhart, JuS 1992, 361, 362. 182 Vgl. BVerfGE 34, 238, 245; 80, 367, 373 – 374. 183 Vgl. BVerfGE 6, 389, 433; 27, 344, 350; 32, 373, 380; 34, 238, 245. 184 Vgl. BVerfGE 27, 344, 351; 32, 373, 379; 38, 312, 321; 44, 353, 373. 185 Diese Öffentlichkeitssphäre hat das BVerfG aber nicht ausdrücklich umschrieben und eingegrenzt. Lediglich hat das Gericht im Tonband-Beschluss darauf hingewiesen, dass eine ohne Wissen des Sprechenden hergestellte Tonbandaufnahme von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG herausfällt, wenn bei der festgehaltenen Mitteilung „der objektive Gehalt des Gesagten so sehr im Vordergrund steht, dass die Persönlichkeit des Sprechenden nahezu vollends dahinter zurücktritt und das gesprochene Wort damit seinen privaten Charakter einbüsst“ (vgl. BVerfGE 34, 238, 247 – heimliche Tonbandaufnahme = NJW 1973, 891). Das gesprochene Wort, das an sich zur Privatsphäre gehört, steht also nicht mehr unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn es
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
der die Persönlichkeitsentfaltung zwar nicht mehr als private Lebensgestaltung besonders geschützt ist,186 wohl aber der Schutz der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit gewährt wird187.
2. Der Schwachpunkt der Sphärentheorie: Relativität der Privatheit Der Schwachpunkt der Sphärentheorie ist jedoch darin zu sehen, dass eine exakte Sphärenabgrenzung unmöglich ist, weil die Lebensbereiche relativ sind, in die sich der Einzelne zurückzieht, um gesellschaftliches Verhalten vorzubereiten und alles das zu tun, was sich nicht vor der Gesellschaft darstellen lässt188. Kamlah hatte schon früher im Zusammenhang mit der „Relativität der Privatheit“189 darauf hingewiesen, dass der Versuch, gewissen Sphäre der Geheimhaltung untereinander objektiv abzugrenzen, nie zu einem befriedigenden Ergebnis führen könne, da Geheimnisse relativ, d. h. nur für bestimmte Personen, geheim seien190. Seiner Meinung nach schütze die strafrechtliche Sanktion gegen die Verletzung von Berufsgeheimnissen nicht eine absolut abgrenzbare Geheimsphäre, sondern nur vor Indiskretion durch bestimmte Personen191. Kamlah bejahte die Relativität von Privatgeheimnissen auch im Ehescheidungsaktenbeschluss des BVerfG von 1970,192 in dem es Akten über ein Ehescheidungsverfahren nicht dem schlechthin unantastbaren Intimbereich, sondern dem privaten Lebensbereich der Ehepartner zuordnete. Damit sei die These vom „unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung“ praktisch aufgegeben: „Welch intimere Privatsphäre zwischen zwei Menschen kann es geben als die Ehe, selbst wenn sie brüchig ist!“193. Zunächst komme es daher allein darauf an, wie der Betroffene über seine Lebensdaten verfüge.
beispielsweise bei den im geschäftlichen Verkehr üblichen fernmündlichen Durchsagen, Bestellungen und Börsennachrichten auf Tonband festgehalten wird, vgl. Vogelgesang, S. 44; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 27. 186 Rohlf, S. 76. Für die Öffentlichkeitssphäre besteht grundsätzlich kein Geheimhaltungsschutz, vgl. Degenhart, JuS 1992, 361, 364. 187 BVerfGE 35, 202, 220; 54, 148, 155; 54, 208, 218; 63, 131, 142. Nicht zutreffend deshalb Vogelgesang, S. 44, wonach in der Öffentlichkeitssphäre kein Schutz gewährt wird. Auch in der Öffentlichkeitssphäre wird der Grundrechtsschutz kaum verneint, s. dazu näher Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 96 u. 108. 188 Dazu Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 242. 189 Ausdruck Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 242. 190 Kamlah, DÖV 1970, 361, 362. 191 Kamlah, DÖV 1970, 361, 362. 192 Vgl. BVerfGE 27, 344 ff. = NJW 1970, 555 ff. 193 Kamlah, DÖV 1970, 361, 362.
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II. Der Ansatz des informationellen Selbstbestimmungsrechts 1. Verselbständigung gegenüber dem Privatsphärenschutz Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht daten-, sondern strikt verarbeitungsorientiert194. Ein Eingriff in den Schutzbereich wird nicht mehr davon abhängig gemacht, ob die erhobenen oder verarbeiteten Daten aus der Privatoder gar Intimsphäre stammen195. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht wird vielmehr unabhängig von der qualitativen Aussagekraft der betroffenen persönlichen Daten gewährt196. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG deutlich gemacht, dass nicht mehr die Zuordnung zu einer der in ihrer Schutzwirkung abgeschwächten intensiven Sphären, sondern der angestrebte Verwendungszusammenhang für die Schutzwürdigkeit der Daten entscheidend ist197. Nach Auffassung des Gerichts könne bei einer zwangsweisen Datenerhebung nicht nur auf die Art und die Intimität der Daten abgestellt werden198. Entscheidend seien ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit. Diese hängen einerseits von dem Zweck, dem die Erhebung dient, und andererseits von den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungsmöglichkeiten und Verknüpfungsmöglichkeiten ab199. Das Gericht weist hier ausdrücklich darauf hin, dass es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein „belangloses“ Datum mehr gibt, da durch Verarbeitung und Verknüpfung ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen kann200. Insoweit sind Informationen über eine Person sensibel und schutzbedürftig, völlig unabhängig von der Sphäre, aus der sie stammen201. Geschützt werden alle personenbezogenen Daten, somit grundsätzlich auch solche, die dem Öffentlichkeitsbereich, also dem Bereich, in dem sich der Einzelne der Öffentlichkeit offenbart, entstammen202. Daneben dürfen personenbezogene Daten grundsätzlich nur erhoben, gespeichert, verwendet, weitergegeben und veröffentlicht werden, wenn der Betroffene dem zustimmt203.
194 195 196 197 198 199 200 201 202 203
Vgl. Simitis, NJW 1984, 398, 402. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 174. Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 174. Denninger, KJ 1985, 215, 220. BVerfGE 65, 1, 45. BVerfGE 65, 1, 45. BVerfGE 65, 1, 45. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 377. Rosenbaum, Jura 1988, 178, 179. Jarass, NJW 1989, 857, 858.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
2. Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes personenbezogener Daten Die Notwendigkeit nach einem umfassenden Schutz personenbezogener Daten, völlig unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur Privatsphäre, ergab sich für das BVerfG aus den Entwicklungen der modernen Technik204. Angesichts der technischen Möglichkeiten der Datenintegration verliert neben der Unterscheidung zwischen personenindifferenten und personensensiblen Daten auch die Differenz zwischen Daten aus der privaten und solchen aus der öffentlichen Sphäre praktisch ihren Sinn205. Gerade mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) kann in der Synthese aller verfügbarer personenbezogener Daten ein umfassendes Persönlichkeitsprofil erstellt werden206. Ein gefahrenadäquater Schutz besteht nur dann, wenn sich die Grundrechtsgarantie ohne Bezug auf den Sphärenschutz auf alle personenbezogenen Daten erstreckt207. Das BVerfG hat im Volkszählungsurteil den informationsorientierten Grundrechtsschutz, der ursprünglich als Privatsphärenschutz angelegt war, der neuen Linie angepasst208. Der Ansatz des informationellen Selbstbestimmungsrechts, der sich unmittelbar an der elektronischen Datenverarbeitung und ihren Auswirkungen orientiert,209 trat somit die Nachfolge der Sphärentheorie an, mit der das BVerfG zwar einen umfassenden Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten versuchte, aber die nicht so umfassend war wie das neu geschaffene Recht auf informationelle Selbstbestimmung210.
III. Die Abkehr von der Sphärentheorie? Schließlich hat das BVerfG im Volkszählungsurteil auf die typischen Formulierung seiner früheren Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht verzichtet. Es erscheint aber zweifelhaft, ob das BVerfG im Volkszählungsurteil, wie dies im Schrifttum211 vielfach vertreten wird, die Abkehr von der Sphärentheorie vollzogen hat212. Vgl. Seidel, NJW 1970, 1581, 1582. Vgl. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 16. 206 BVerfGE 65, 1, 42. Zu dieser Gefahr der Abrufbarkeit eines umfassenden Persönlichkeitsprofils siehe auch Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 173 u. 174.; Benda, in: FS für Geiger, 23, 36 f.; Vogelgesang, S. 27 ff.; Heußner, BB 1990, 1281 ff.; Thiele, DÖV 1980, 639, 643. 207 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 16. 208 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 15. 209 Simitis, NJW 1984, 398, 399. 210 Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 241. 211 Vgl. Benda, DuD 1984, 86, 88; Steinmüller, DuD 1984, 91, 93; Simitis, NJW 1984, 398, 402; Podlech, Leviathan 12 (1984), 85, 91 ff.; Denninger, KJ 1985, 215, 220; Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 242; ders., NVwZ 1986, 249, 253; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 377; Geis, JZ 1991, 112, 113. 204 205
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG zwar einerseits klargestellt, dass es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein „belangloses“ Datum mehr gebe, dass vielmehr jedes persönliche Datum nur unter den in seiner Entscheidung aufgestellten Kautelen erhoben und verarbeitet werden dürfe213. Andererseits hat das Gericht aber auch anerkannt, dass der Einzelne nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über ,seine‘ Daten hat; er sei vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit214. Information, auch soweit sie personenbezogen sei, stelle ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden könne215. Unter Bezug auf seine frühere Rechtsprechung216 hat das Gericht darauf verwiesen, dass das Grundgesetz die Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden hat. Grundsätzlich müsse deshalb der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen217. Damit ließ das Gericht erkennen, den Bereich personenbezogener Daten jedenfalls nicht mehr einem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zuordnen zu wollen218. Im Volkszählungsurteil berücksichtigt das BVerfG jedoch noch Inhalt und Herkunft der betroffenen Daten219. Denn das Gericht konzediert ausdrücklich, dass ein überwiegendes Allgemeininteresse regelmäßig überhaupt nur an Daten mit Sozialbezug – unter Ausschluss unzumutbarer intimer Angaben und von Selbstbezichtigungen – bestehe220. Für die Durchführung der Volkszählung fordert das Gericht, dass nur Informationen mit Sozialbezug ohne unzumutbare intime Angaben, die auch nicht die Gefahr einer sozialen Abstempelung mit sich brächten, verlangt werden dürften221: „Es kann auch hier nicht jede Angabe verlangt werden. Selbst bei der Erhebung von Einzelangaben, die für statistische Zwecke gebraucht werden, muss der Gesetzgeber schon bei der Anordnung der Auskunftspflicht prüfen, ob sie insbesondere für den Betroffenen die Gefahr der sozialen Abstempelung (etwa als Drogensüchtiger, Vorbestrafter, Geisteskranker, Asozialer) hervorrufen 212 So auch Deutsch, S. 73; Degenhart, JuS 1992, 361, 363, Fn. 68; Wolter, GA 1988, 129, 134, Fn. 253; Hufen, JZ 1984, 1072, 1076; Mückenberger, KJ 1984, 1, 15. 213 Geis, JZ 1991, 112, 113. 214 BVerfGE 65, 1, 43 – 44. 215 BVerfGE 65, 1, 44. 216 BVerfGE 4, 7, 15; 8, 274, 329; 27, 1, 7; 27, 344, 351 f.; 33, 303, 334; 50, 290, 353; 56, 37, 49. 217 BVerfGE 65, 1, 44; 78, 77, 85; BVerfG, NJW 1988, 3009 f.; BVerwG, JZ 1991, 471, 473; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. 218 Geis, JZ 1991, 112, 113. 219 Deutsch, S. 73. 220 BVerfGE 65, 1, 46. 221 Deutsch, S. 73.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
können und ob das Ziel der Erhebung nicht auch durch eine anonymisierte Ermittlung erreicht werden kann“222. Das bedeutet, dass das BVerfG einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung erkennt, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist und damit nicht durch Abwägung mit den Allgemeininteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden darf. Nach dem Volkszählungsurteil gehen die Tagebuch-Entscheidung vom 14. 9. 1989223 und die Lauschangriff-Entscheidung vom 3. 3. 2004224 nach wie vor von der Vorstellung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung und Sphären geringerer Schutzintensität aus. Das BVerfG kehrt damit zur Dogmatik seiner früheren Rechtsprechung zurück und unterscheidet zwischen dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung und jenem Bereich des privaten Lebens, dem sog. Sozialbereich, der sich von dem unantastbaren Kernbereich durch den Sozialbezug unterscheidet und unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offen steht225. Dagegen gibt es nicht mehr einen ungeschützten Öffentlichkeitsbereich. Ist der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen, ist der Eingriff in jedem Falle unzulässig; liegt eine sonstige Betroffenheit vor, sind die entgegenstehenden Rechtsgüter miteinander abzuwägen226. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Volkszählungsurteil eine Abkehr von der Sphärentheorie und der „Kernbereichs-Dogmatik“ darstellt und damit ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr davon abhängig gemacht wird, ob die erhobenen oder verwendeten Daten thematisch den Bereich der Privat- oder gar Intimsphäre betreffen, müsste man davon ausgehen, dass dem Gesichtspunkt einer sphärenmäßigen Abstufung des Persönlichkeitsschutzes noch eine Bedeutung zukommt: Dieser Gesichtspunkt könnte nämlich als maßgebliches Kriterium für die Abwägung zwischen staatlichem Informationsinteresse und dem Selbstbestimmungsrecht über personenbezogene Daten herangezogen werden227. Sofern der Informationseingriff aufgrund des Inhalts und der Herkunft der betroffenen Daten gleichzeitig die engere Privatsphäre des Betroffenen betrifft, lässt sich erst auf der Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, Zumutbarkeit) der Sphärengedanke fruchtbar machen228. Der Sphärengedanke ist unter anderem bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Datenschutzes zu berücksichtigen229. So stellte das BVerfG fest, dass es von Art, Umfang und denkbaren Verwendungen der per222 223 224 225 226 227 228 229
BVerfGE 65, 1, 48. Vgl. BVerfGE 80, 367 ff. = NJW 1990, 563. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999 ff. Vgl. BVerfGE 80, 367, 374; BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. Vgl. BVerfGE 80, 367, 373 f.; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. Degenhart, JuS 1992, 361, 364. So auch Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 181. Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505.
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sonenbezogenen Daten sowie der Gefahr ihres Missbrauchs abhängt, inwieweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und im Zusammenhang damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den Gesetzgeber zu gesetzlichen Regelungen der Datenverarbeitung von Verfassungs wegen zwingen230. Umso strengere Anforderungen sind also hierbei zu stellen, je intensiver mit der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten ohne oder gegen den Willen des Betroffenen in dessen Persönlichkeitsbereich eingegriffen wird231.
C. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Grundlage des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung? I. Ableitung eines informationellen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im Schrifttum Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die Befugnis des Einzelnen entnommen, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält insoweit ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Teilweise wird im Schrifttum aber die Ableitung dieses Rechts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bezweifelt232. Maßgeblicher Prüfungsmaßstab für das umfassende Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll nach dieser Ansicht vielmehr die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG sein233. Bei seiner äußerst kritischen Würdigung des Volkszählungsurteils stellte Krause fest, dass jeder Zwang zu einer Auskunft – gleichviel ob sie sich auf einen persönlichen Lebenssachverhalt bezieht oder ob sie sonstige Tatsachen betrifft – in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleitstete allgemeine Handlungsfreiheit eingreife234. Wenn der Staat die Angabe personenbezogener Daten vom Bürger verlange, müsse dem Schutz der Handlungsfreiheit Vorrang eingeräumt und erst sekundär darauf eingegangen werden, dass dem Einzelnen durch die Abnötigung einer Auskunft zugleich die Offenlegung seines „geschützten Bereichs“ angesonnen wird235. Er kritisierte, das BVerfG spräche vom allgemeinen PersönlichkeitsBVerfGE 65, 1, 45 – 46. Degenhart, JuS 1992, 361, 363. 232 Vgl. z. B. Krause, JuS 1984, 268, 269 f.; ders., DB 1983, Beil. 23, 10 f. 233 Zur Ableitung eines informationellen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im Schrifttum bereits vor Erlass des Volkszählungsurteils siehe a. Steinmüller u. a., Gutachten, 88 f.; Podlech, DVR 1972 / 1973, 149, 156; Schwan, VerwArch. Bd. 66 (1975), 120 ff.; Ch. Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs- und Informationssystemen, 47 ff.; Egloff, DVR 1978, 115 ff.; Werckmeister, DVR 1978, 97 ff. 234 Krause, JuS 1984, 268, 269. 235 Krause, JuS 1984, 268, 269. 230 231
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recht, begründe den Eingriffscharakter des Volkszählungsgesetzes 1983 jedoch nicht mit der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im engeren Sinne, sondern mit der Beschränkung der Handlungsfreiheit236. Die erste und grundlegende Begründung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung findet sich in dem von Steinmüller und anderen im Auftrag des Bundesministeriums des Innern erstellten Gutachten zu dem Referentenentwurf eines Bundesdatenschutzgesetzes237. In bewusster Gegnerschaft zu der Sphärentheorie, die nach Auffassung der Autoren des Gutachtens wegen der Relativität des Sphärenbegriffs misslingt,238 entwickelte sich im Zuge der Arbeiten an einem Bundesdatenschutzgesetz der Ansatz eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung239. Ausgangspunkt für die Anerkennung eines umfassenden Rechts auf informationelle Selbstbestimmung war für Steinmüller u. a. dabei nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern das durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit240. Art. 2 Abs. 1 GG schütze nach Ansicht der Autoren des Gutachtens nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht, „welche Individualinformationen er (sc. eine Person) unter Umständen an wen abgibt“241. Begründet wurde das mit einem „kybernetischen Handlungsmodell“,242 wonach die Handlungsfreiheit durch die wertende, auf den Handelnden zurückwirkende Reaktion seines früheren Verhaltens seitens seiner Umwelt beeinflusst wird. Die Reaktion der Umwelt als Handlungsfolge hänge dabei von den Informationen über den Handelnden in der Umwelt ab243. Da das Wissen der Umwelt über einen Einzelnen als Reaktion der Umwelt auf diese Person zurückfließe und so ihre Entfaltung beeinflusse, ermögliche der Besitz von personenbezogenen Informationen es, „entweder den Betroffenen gar nicht erst zum Handeln kommen zu lassen, oder seinen Handlungsspielraum von vornherein entscheidend einzuschränken“244. Die Verfügungsmöglichkeit über personenbezogene Informationen sei also potentielle Einschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG. Daher müsse der Einzelne das Recht haben, den Umfang, in dem personenbezogene Informationen über ihn an die Umwelt gelangen, selbst zu bestimmen245. Krause, JuS 1984, 268, 269 – 270. Vgl. Steinmüller u. a., Gutachten, 48 ff. 238 Steinmüller u. a., Gutachten, 50 f. 239 Dazu Deutsch, S. 67. 240 Steinmüller u. a., Gutachten, 88 f. 241 Steinmüller u. a., Gutachten, 88. 242 Vgl. dazu Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, 39 f.; Luhmann, Grundrechte als Institution, 53 ff.; Steinmüller u. a., Gutachten, 86 f.; Ch. Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs- und Informationssystemen, 56. 243 Steinmüller u. a., Gutachten, 88. 244 Steinmüller u. a., Gutachten, 88. 245 Steinmüller u. a., Gutachten, 88. 236 237
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
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II. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 1. Verhältnis von allgemeiner Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht Seit dem Elfes-Urteil geht das BVerfG in ständiger Rechtsprechung246 davon aus, dass Art. 2 Abs. 1 GG jegliches Handeln und Unterlassen schützt247. Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG liegt dann vor, wenn der Betroffene entweder davon abgehalten wird, etwas zu tun, was er tun will, oder wenn er zu einem Handeln gezwungen wird. Verglichen mit der allgemeinen Handlungsfreiheit weist aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, das durch Art. 1 Abs. 1 GG beeinflusst und verstärkt wird,248 einen wesentlichen engeren Persönlichkeitsbezug auf249. Es handelt sich also um Verhaltensweisen, welche in einem besonderen Zusammenhang mit der Menschenwürde stehen und daher eines stärkeren Schutzes bedürfen als alle sonstigen Verhaltensweisen, die im Übrigen von Art. 2 Abs. 1 GG erfasst werden250. Zwar bedarf es keiner weiteren Begründung, dass der Zwang zur Auskunft, um statistische Daten zu gewinnen, in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreift, weil Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit von unberechtigtem staatlichem Zwang wie auch das Recht auf aktive Gestaltung der Lebensführung gewährleistet251. Das im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG speziellere allgemeine Persönlichkeitsrecht schließt für seinen Bereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG aus252. Diese Differenzierung wurde im Gemeinschuldner-Beschluss vom 13. 1. 1981 deutlich, in dem es um die Verfassungsmäßigkeit eines Zwanges zur Angabe personenbezogener Daten ging253. In diesem Beschluss war der beschwerdeführende Gemeinschuldner im Konkursverfahren seiner Auskunftsverpflichtung nach § 100 KO nicht nachgekommen, weil er befürchtete, sich selbst durch seine Angaben in einem parallel gegen ihn laufenden Strafverfahren zu belasten. Da in diesem Fall eine rechtliche, zwangsweise durchsetzbare Verpflichtung zur Auskunft bestand, könnte man davon ausgehen, dass dadurch unmittelbar die Freiheit des Betroffenen, zu tun und zu unterlassen, was man will, und damit die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit beeinträchtigt Vgl. etwa BVerfGE 6, 32 = NJW 1957, 297; BVerfGE 54, 143 = NJW 1980, 2579. Schenke, JuS 1987, L65 ff. 248 Vgl. BVerfGE 54, 148, 153; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 28; Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, Rn. 54. 249 Vgl. BVerfGE 54, 148, 153; siehe auch Schenke, JuS 1987, L65, L66; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 27; Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 8; Degenhart, JuS 1992, 361. 250 Jarass, NJW 1989, 857. 251 BVerfGE 9, 83, 88; 38, 312, 314 f. – Tierarzt = NJW 1975, 588. 252 BVerfGE 19, 206, 225; 32, 98, 107. 253 Vgl. BVerfGE 56, 37 ff. 246 247
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
war254. Allerdings ist von der durch den Zwang zur Selbstbezichtigung verursachten Beeinträchtigung nicht die allgemeine Handlungsfreiheit tangiert, sondern die davon zu unterscheidende, durch Art. 2 Abs. 1 GG zumindest mitgarantierte Rechtsposition des allgemeinen Persönlichkeitsrechts255. Eine derartige Beeinträchtigung berührt zusätzlich auch den Schutzbereich der Menschenwürde. Im Gemeinschuldner-Beschluss hat das BVerfG anerkannt, dass durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten könne, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen seines Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden256. Wegen dieser Folgen sei die erzwingbare Auskunftspflicht als Eingriff in die Handlungsfreiheit bzw. als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts i. S. des Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen257. Der Zwang zur Selbstbezichtigung soll zugleich die Würde des Menschen berühren, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird258. Das BVerfG unterscheidet also zwischen dem Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit, der in der Auferlegung einer zwangsweise durchsetzbaren Auskunftspflicht liegt, und der durch den Zwang zur Selbstbezichtigung verursachten Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der zusätzlich den Schutzbereich der Menschenwürde berührt259. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gebiete keinen lückenlosen Schutz vor Selbstbezichtigung. Die Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen Dritter, die eine Aussage erforderlich machten, wird gleichfalls mit der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person begründet260. Unzumutbar und mit der Menschenwürde unvereinbar sei aber ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen261. Insofern sei die Aussagepflicht des Gemeinschuldners durch ein entsprechendes Verwertungsverbot zu ergänzen, welches das BVerfG in ergänzender Auslegung der Konkursordnung entnahm262. Zu weit geht es hingegen, aus dem unter die allgemeine Handlungsfreiheit zu subsumierenden Schweigerecht ein Verbot dahingehend abzuleiten, dass der Staat sich grundsätzlich jeglicher Verarbeitung personenbezogener Daten zu enthalten habe263. Vgl. Deutsch, S. 45. Deutsch, S. 45. 256 Vgl. BVerfGE 56, 37, 41. 257 Vgl. BVerfGE 56, 37, 41 – 42. 258 Vgl. BVerfGE 56, 37, 42. 259 Deutsch, S. 44. 260 Vgl. BVerfGE 56, 37, 49. 261 Vgl. BVerfGE 56, 37, 49. 262 Deutsch, S. 44. 263 Deutsch, S. 45; a.A. Schlink, Die Amtshilfe, 172 ff.; 188 ff.; s. auch Schwan, VerwArch 66 (1975), 120, 131. 254 255
1. Kap.: Vom Persönlichkeitsrecht zum Recht auf Selbstbestimmung
65
In diesem Zusammenhang wies Alexy zu Recht darauf hin, „Eingriffe in Zustände und Rechtspositionen eines Grundrechtsträgers beeinträchtigen stets mittelbar auch seine Handlungsfreiheit. So wirken sich z. B. die Beeinträchtigung des Zustandes der Unbefangenheit der Kommunikation durch heimliche Tonbandaufnahmen und die Beseitigung der Rechtsposition eines Personalratsmitglieds auf Handlungsmöglichkeiten des betroffenen Grundrechtsträgers aus“264. Auch wenn der Zwang zur Auskunft auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einwirkt, ist also dadurch nur mittelbar die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen.
2. Der Persönlichkeitsschutz gegenüber der neuartigen Gefährdung für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit durch die elektronische Datenverarbeitung (EDV) Zugleich erstreckt das Volkszählungsurteil den informationsorientierten Persönlichkeitsschutz, den Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt, auch auf Informationen, die keinen wesentlich engeren Persönlichkeitsbezug aufzeigen, mit den Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung aber zu umfassenden Persönlichkeitsprofilen verknüpft und zusammengefasst werden können265. Der Grund dafür liegt darin, dass die EDV es möglich macht, die an verschiedenen Stellen über dieselbe Person gesammelten Einzelinformationen schnell und in beliebigen Kombinationen zusammenzufügen266. Sollten genügend Einzelinformationen vorliegen, steht dem Staat dann ein „Röntgenbild der Persönlichkeit“ zur Verfügung267. Die Möglichkeit, Persönlichkeitsprofile der Bürger zu erstellen und jederzeit abzurufen, verstärkt die Gefahr, dass der Staat den Menschen in seiner ganzen Persönlichkeit registriert und katalogisiert268. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist insoweit „normative Barriere“ gegen alle Tendenzen, den Einzelnen unter den Bedingungen einer automatischen Erhebung und Verarbeitung der seine Person betreffenden Informationen zum bloßen „Informationsobjekt“ zu machen269. Mit diesem Recht wird das um der Achtung vor der Person des Einzelnen und damit der Verteidigung seiner Subjektivität willen notwendige Steuerungsmittel des Verarbeitungsprozesses gewährleistet270. Es ist deshalb verfehlt, aus Art. 2 Abs. 1 GG ein generelles informationelles Selbstbestimmungsrecht als Grundposition abzuleiten.
264 265 266 267 268 269 270
5 Son
Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, 311 f. Degenhart, JuS 1992, 361, 364. Benda, in: FS für Geiger, 23, 36. Benda, in: FS für Geiger, 23, 36. Benda, in: FS für Geiger, 23, 36. Simitis, NJW 1984, 398, 399. Simitis, NJW 1984, 398, 399.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
3. Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit auch bei Datenerhebung ohne Kenntnis des Betroffenen oder bei Dritten? Der Ansatz, welcher aus Art. 2 Abs. 1 GG ein informationelles Selbstbestimmungsrecht ableitet, vermag auch insoweit nicht zu befriedigen, als dann kein Eingriff in die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit vorliegt, wenn der Betroffene keinem Offenbarungszwang von Informationen ausgesetzt ist. Dies wäre gerade dann der Fall, wenn die Erhebung oder Verarbeitung personenbezogener Daten ohne Kenntnis des Betroffenen erfolgt. Gleiches gilt, soweit der Staat personenbezogene Daten beansprucht, die bei einem Dritten vorhanden sind. Art. 2 Abs. 1 GG schützt zwar jedes erdenkliche menschliche Verhalten, aber auch nichts anderes als Verhalten271. Im Falle der Erhebung oder Verarbeitung personenbezogener Daten ohne Kenntnis des Betroffenen wird der Betroffene weder davon abgehalten, etwas zu tun, was er tun wollte, noch zu einem Handeln gezwungen. Der Scheidungsaktenbeschluss272 und der Arztkarteibeschluss273 des BVerfG machten die Besonderheit dieser Informationseingriffe deutlich. In diesen Fällen wurde die Handlungsfreiheit der Betroffenen nicht beeinträchtigt, denn die Betroffenen wurden weder gezwungen, sich zu äußern oder Informationen über sich preiszugeben, noch daran gehindert, etwas zu tun, das sie zu tun wünschten. Vielmehr fanden sie sich als Opfer des Handelns Dritter wieder. Die Frage, die sich hier stellte, war deshalb nicht diejenige nach dem grundrechtlichen Schutz für Handeln bzw. Unterlassen, sondern die nach dem Grundrechtsschutz vor Behandlung durch andere, die einen besonderen Konnex mit der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde aufwies274.
2. Kapitel
Die Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen und präzisen Datenschutzregelungen A. Erfordernis eines umfassenden Gesetzesvorbehalts für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Volkszählungsurteil des BVerfG war gleichzeitig eine Entscheidung zur rechtlichen Qualifizierung staatlicher Datenverarbeitungsvorgänge275. Die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten gegen den Willen oder ohne 271 272 273 274 275
Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 7. BVerfGE 27, 344 ff. = NJW 1970, 555. BVerfGE 32, 373 ff. = NJW 1972, 1123. Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 7. Merten, DÖV 1985, 518.
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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Wissen des Betroffenen stellt demnach einen Eingriff, der jeweils einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage bedarf, dar276. Das Urteil hat dabei der Diskussion um den Gesetzesvorbehalt im Zusammenhang mit der staatlichen Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten eine neue Richtung gewiesen277.
I. Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt 1. Gesetzesvorbehalt für Eingriffsakte Für jeden Grundrechtseingriff stellt sich die Frage des Gesetzesvorbehaltes, da Eingriffe nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig278. Nach der neueren, von der sog. Wesentlichkeitstheorie geleiteten Rechtsprechung des BVerfG zum Vorbehalt des Gesetzes279 ist dieser zwar nicht mehr ausschließlich und entscheidend von der Qualifikation der behördlichen Maßnahme als Eingriff abhängig280. Eingriffsakte – in der herkömmlichen Terminologie des Konstitutionalismus Eingriffe in „Freiheit und Eigentum“ – unterfallen jedoch unstreitig auch künftig jedenfalls dem Vorbehalt des Gesetzes, weil es bei allen wesentlichen Entscheidungen, die nach der Rechtsprechung des BVerfG dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst vorbehalten bleiben müssen, auch um Eingriffe geht281. Dieser in Art. 20 Abs. 3 GG zwar nicht ausdrücklich genannte, jedoch dort vorausgesetzte Grundsatz282 erweist sich als vorverlagerte Verteidigungslinie der Grundrechte als Abwehrrechte283 dadurch, dass er verlangt, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlässt,284 also der Gesetzgeber jedenfalls über die grundsätzliche Zulässigkeit eines solchen Eingriffs vor der Vornahme des Eingriffsaktes selbst entscheidet285. Andernfalls ist schon deshalb der Grundrechtseingriff nicht Gusy, CR 1989, 628, 633. Rebmann, NJW 1985, 1, 4. 278 BVerfGE 47, 46, 79 ff. – Sexualkunde = NJW 1978, 807. 279 Vgl. BVerfGE 34, 165, 192 ff. – Hess. Förderstufe; 41, 251, 259 ff. – Speyer-Kolleg; 45, 400, 417 ff. – Hess. Oberstufenreform; 47, 46, 78 ff. – Sexualkunde; 48, 210, 221 – Steuererlass; 49, 89, 126 ff. – Kalkar; 53, 30, 56 – Mülheim-Kärlich; 57, 295, 326 ff. – Rundfunkurteil; 58, 257, 268 ff. – Schulentlassung; 64, 261, 268 – Hafturlaub; 76, 1, 74 ff.; 76, 171, 184 ff.; 77, 170, 230 ff.; 80, 124, 131 ff. – Pressesubventionen; 83, 130, 140 – Mutzenbacher; 95, 267, 307 ff.; BVerfGE, NJW 1998, 2515 – Rechtschreibreform. 280 Denninger, CR 1988, 51, 55. 281 Denninger, CR 1988, 51, 55; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 319. 282 Vgl. Schenke, GewArch. 1977, 313; Wehr, JuS 1997, 419, 420; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 319; hierzu kritisch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6, Rn. 4. 283 Vgl. Di Fabio, JZ 1993, 689, 691; ebenso Bethge, VVDStRL 57 (1998), 10, 46; Sachs, JuS 1995, 303, 304. 284 Vgl. BVerfGE 83, 130, 142 – Mutzenbacher = NJW 1991, 1471. 285 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 250. 276 277
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
gerechtfertigt und rechtswidrig286. Grundrechtseingreifende Datenerhebungs- und -verarbeitungsmaßnahmen bedürfen demnach einer Grundlage in einem formellen Gesetz. 2. Ausweitung des Gesetzesvorbehalts durch Weiterungen der Freiheitsbereiche Allerdings stellt sich hier die Frage, welche staatlichen Datenverarbeitungsvorgänge Eingriffsqualität haben und damit einer formellen gesetzlichen Grundlage bedürfen287. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht schützt alle personenbezogenen Daten vor ihrer Erhebung und Verarbeitung. Es ist nicht auf bestimmte Datenarten begrenzt288. Die Sensitivität eines Datums ist nicht mehr Voraussetzung dafür, dass es dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unterstellt wird289. Das BVerfG hat auch nicht nach den Verarbeitungsformen und bestimmten Verarbeitungsphasen differenziert290. Jede Phase der Datenverarbeitung, angefangen bei der Erhebung über die Speicherung, Veränderung, Übermittlung und Sperrung bis zur Löschung, und jede Form der Verarbeitung personenbezogener Daten, also sowohl automatische wie auch manuelle Datenverarbeitung, berühren das informationelle Selbstbestimmungsrecht, sofern sie ohne Einwilligung des Betroffenen stattfinden291. Über den durch die Kriterien der Unmittelbarkeit und Finalität geprägten klassischen Eingriffsbegriff hinaus hat damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht den umfassenden Schutz vor jeder Erhebung und jeder weiteren Verwendung personenbezogener Daten zum Inhalt292. Diese Ausweitung der individuellen Freiheitssphäre durch Konstituierung eines verfassungsstarken Rechts auf informationelle Selbstbestimmung macht – Datenschutzregelungen worauf Kloepfer zutreffend hinweist – im Ergebnis die staatliche Befassung mit den eine Person betreffenden Daten grundsätzlich grundrechtsrelevant und stellt diese damit weitgehend unter einen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt293. Ein jeder staatlicher Akt der Datenerhebung und auch eine jede Verarbeitung von Daten, soweit es sich um Daten personenbezogenen Inhaltes handelt, stellt stets einen Eingriff in Freiheit im Sinne des Gesetzesvorbehaltes dar, der folglich, sofern er nicht durch die Einwilligung des Betroffenen gedeckt ist, einer (formellen) gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf294. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 250. Vgl. dazu ausführlich Schwan, VerwArch. Bd. 66 (1975), 120, 128; Bäumler, JR 1984, 361, 362; Vahle, VR 1986, 258, 259 f.; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 180; Denninger, CR 1988, 51, 55; Gusy, CR 1989, 628, 633; Groß, AöR 113 (1988), 161, 166 f.; Knemeyer, NVwZ 1988, 193, 194 f.; Kowalczyk, Datenschutz im Polizeirecht, 48 f.; Riegel, RiA 1984, 121. 288 Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505. 289 Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505. 290 Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505. 291 S. hierzu näher 2. Teil 2. Kapitel. 292 So auch Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 176. 293 Kloepfer, JZ 1984, 687, 688. 286 287
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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II. Weitergehende Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen und präzisen Datenschutzregelungen Eine besondere Bedeutung hat das Volkszählungsurteil des BVerfG nicht nur erlangt, weil das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch das Urteil anerkannt, sondern weil für Eingriffe in dieses Grundrecht das „Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes“ postuliert wurde. In seiner früheren Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz hat das BVerfG das Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze als die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes bewertet;295 Art. 80 Abs. 1 GG gerät insoweit zur Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts296. In gewissem Umfang wurde damit der Gesetzesvorbehalt durch das Bestimmtheitsgebot (= Gebot der Normenklarheit) konkretisiert297. Im Volkszählungsurteil hat der Gesetzesvorbehalt im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht abermals eine spezielle Konkretisierung zum Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes erfahren298: Als Voraussetzung für eine zulässige gesetzliche Beschränkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts hat das BVerfG gefordert, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck „bereichsspezifisch und präzise“ bestimmt299. Das bedeutet, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen eingeschränkt werden darf300. Zu klären ist aber, welchen rechtsstaatlichen Anforderungen die jeweilige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht genügen muss. 1. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur Klarheit und Bestimmtheit von Normen Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bedürfen, so das BVerfG, jeweils einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, „aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht“301. In das informationelle Selbstbestimmungsrecht darf so le294 Vgl. Kamlah, DÖV 1970, 361, 362 – 363; Schwan, VerwArch. Bd. 66 (1975), 120, 128; Bäumler, JR 1984, 361, 362; kritisch hierzu Krause, JuS 1984, 268, 272, wonach die Informationstätigkeit hinsichtlich des Einzelnen nach wie vor keinem allgemeinen Gesetzesvorbehalt unterliege. 295 BVerfGE 58, 257, 278. 296 BVerfGE 49, 89, 127. 297 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 251. 298 So auch Rosenbaum, Jura 1988, 178, 183. 299 BVerfGE 65, 1, 46. 300 Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505. 301 BVerfGE 65, 1, 44.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
diglich durch ein Gesetz eingegriffen werden, das dem Grundsatz der Normenklarheit gerecht wird302. Der Begriff der „Normenklarheit“ ist, worauf Bäumler zutreffend hinweist, aber kaum neu in der Rechtsprechung des BVerfG303. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG diesen Grundsatz von der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung übernommen304. Danach fordere das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Gebot der Normenklarheit (= Bestimmtheitsgebot), dass die gesetzliche Vorschrift in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so formuliert sei, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten könnten305.
a) Die Forderung des BVerfG nach vorhersehbaren und berechenbaren Gesetzen In den früheren Entscheidungen des BVerfG finden sich unter dem Terminus „Bestimmtheitsgebot“ 306 bzw. „Gebot der Normenklarheit“307 wichtige Aussagen zu den rechtsstaatlichen Anforderungen, die an eine möglichst präzise Formulierung von Gesetzen zu stellen sind308. Anlass zu derartigen Feststellungen haben Entscheidungen des BVerfG gegeben, in denen festzulegen war, bis zu welchem Grad an Genauigkeit die Wesentlichkeitstheorie den Gesetzgeber zwingt, wenn er die Exekutive zu Eingriffen gegenüber dem Bürger ermächtigt309; die (aus dem Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip abgeleitete) Wesentlichkeitstheorie verlangt nicht nur eine Entscheidung über das „Ob“ des gesetzgeberischen Handelns, sondern auch über das „Wie“310. Nicht selten wurden dabei terminologische Anleihen an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Delegationsbestimmtheit in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gemacht311. Danach soll das Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze (als die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts)312 fordern, dass eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sei, so dass das Handeln der Verwaltung messbar und in Bäumler, JR 1984, 361; Vogelgesang, S. 69. Bäumler, JR 1984, 361, 362. 304 BVerfGE 8, 274, 325; 9, 137, 147; 20, 150, 158 f.; 31, 255, 264; 34, 165, 192; 37, 132, 142; 45, 400, 420; 49, 168, 181; 56, 1, 12; 58, 257, 276; 59, 104, 114; Bäumler, JR 1984, 361, 362; Vogelgesang, S. 69. 305 BVerfGE 20, 150, 158 f.; 21, 73, 79; 31, 255, 264; 37, 132, 142; 45, 400, 420; 56, 1, 12; 62, 169, 183. 306 BVerfGE 56, 1, 12; 59, 104, 114. 307 BVerfGE 31, 255, 264; 34, 165, 192; 37, 132, 142; 45, 400, 420. 308 Bäumler, JR 1984, 361, 362. 309 Bäumler, JR 1984, 361, 362. 310 Kloepfer, JZ 1984, 687, 691. 311 Bäumler, JR 1984, 361, 362. 312 BVerfGE 58, 257, 278. 302 303
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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gewissem Ausmaß für den Bürger voraussehbar und berechenbar werde313. Diese Bestimmtheitsstandards finden dabei ihre innere Legitimation maßgeblich in der dem Gedanken der Rechtssicherheit immanenten Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns für den betroffenen Bürger314. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung für eine vorhersehbare und berechenbare Staatstätigkeit nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht an die Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll315. Der Gesetzgeber hat das höchst mögliche Maß an Bestimmtheit und damit an Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit zu schaffen316. b) Grundsätzliche Zulässigkeit von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen Das Bestimmtheitsgebot (= Gebot der Normenklarheit) fordert vorhersehbare und berechenbare Gesetze, damit der von einer gesetzlichen Regelung Betroffene die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag317. Das BVerfG hat dabei aber betont, dass das Bestimmtheitsgebot es dem Gesetzgeber nicht verbietet, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden318. Wegen der Vielgestaltigkeit des Lebens und der daraus folgenden Vielfalt der Verwaltungsaufgaben sah das Gericht die Verwendung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen als verfassungsrechtlich geboten an319. Das Bestimmtheitsgebot zwinge den Gesetzgeber nicht, Gesetzestatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben320. Der Gesetzgeber müsse vielmehr abstrakte und unbestimmte Formulierungen verwenden können, um die Verwaltungsbehörden in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben den besonderen Umständen des einzelnen Falles und den schnell wechselnden Situationen des Lebens gerecht zu werden321. Zwar dürfe der Gesetzgeber die Grenzziehung im Einzelnen nicht mit Hilfe einer vagen Generalklausel dem Ermessen der Verwaltung überlassen322. An die tatbestandliche Fixierung dürften jedoch auch keine BVerfGE 56, 1, 12. Kloepfer, JZ 1984, 687, 691. 315 BVerfGE 1, 14, 60; 7, 282, 301; 23, 62, 72 f.; 41, 251, 265 f.; 58, 257, 277. 316 Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. 317 BVerfGE 20, 150, 158 ff.; 21, 73, 79; 31, 255, 264; 37, 132, 142; 45, 400, 420; 56, 1, 12; 58, 257, 277; 62, 169, 183. 318 BVerfGE 8, 274, 326; 11, 234, 237; 14, 245, 251; 21, 1, 4; 28, 175, 183; 31, 255, 264; 35, 348, 358 f.; 37, 132, 142; 45, 400, 420; 48, 210, 221; 49, 168, 181; 56, 1, 12. 319 BVerfGE 8, 274, 326; 49, 168, 181; 56, 1, 12. 320 BVerfGE 49, 168, 181; 59, 104, 114. 321 BVerfGE 8, 274, 326; 13, 153, 161; 56, 1, 12. 322 BVerfGE 6, 32, 42; 56, 1, 12. 313 314
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden323. Die Auslegungsbedürftigkeit einer gesetzlichen Vorschrift soll ihr noch nicht die Bestimmtheit nehmen, die das Rechtsstaatsprinzip von einem Gesetz fordert324; auch ist die Heranziehung herkömmlicher juristischer Methoden ein Teil der zulässigen Konkretisierung325.
c) Es handelt sich um eine relative Bestimmtheit, die von der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und der Intensität eines Grundrechtseingriffs geprägt ist Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe werden zwar durch das Bestimmtheitsgebot (= Gebot der Normenklarheit) nicht ausgeschlossen. Dies darf aber nicht zur Folge haben, dass der Gesetzgeber seine Verantwortung für vorhersehbare und berechenbare Staatstätigkeit auf die Gerichte oder gar die Exekutive abschiebt326. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Generalklauseln und unbestimmter Rechtsbegriffe entbindet den Gesetzgeber nicht davon, die gesetzliche Vorschrift in ihrem Inhalt und ihren Voraussetzungen so zu formulieren, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können327. Sie muss im Hinblick auf das „Gebot der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns“ nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt sein. Der Grad rechtsstaatlich gebotener Bestimmtheit lässt sich nach Auffassung des BVerfG nicht allgemein festlegen. Bei der Frage, welche Anforderungen an das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelfall zu stellen seien, seien insbesondere die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts sowie die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen328. Der Gesetzgeber ist gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebensverhältnisse möglich ist329. So sind geringere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung insbesondere bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen330 oder wenn zu erwarten ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse alsbald ändern werden331. Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm müsse auch der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der der Gesetzgeber ermächtigt332. Die Anforderungen an die Bestimmtheit er323 324 325 326 327 328 329 330 331 332
BVerfGE 56, 1, 12 – 13. BVerfGE 21, 245, 261; 31, 255, 264; 37, 132, 142; 45, 400, 420. BVerfGE 17, 67, 82; 58, 257, 277; Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. BVerfGE 31, 255, 264; 37, 132, 142. BVerfGE 48, 210, 222; 49, 89, 133; 49, 168, 181; 56, 1, 13; 58, 257, 277 f.; 59, 104, 114. BVerfGE 49, 168, 181; 59, 104, 114. BVerfGE 11, 234, 237; 21, 1, 4; 28, 175, 183; 49, 89, 133; 58, 257, 278. BVerfGE 8, 274, 326; 14, 245, 251; 49, 89, 133; 58, 257, 278. BVerfGE 58, 257, 278.
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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höhen sich deshalb mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann333. Soweit die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift, sind höhere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung zu stellen, als wenn es um einen Regelungsbereich geht, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert334. Je schwerwiegender der Grundrechtseingriff, zu dem ermächtigt wird, ist, desto höher muss auch die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlicher Entscheidungen für den Bürger sein335. Es handelt sich also in der früheren Rechtsprechung des BVerfG um eine relative Bestimmtheit,336 die von der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte, insbesondere auch davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist, sowie der Intensität der Auswirkungen der Regelung für den Betroffenen, geprägt ist337.
2. Vom Bestimmtheitsgebot zum Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes In Ausweitung der bisherigen Rechtsprechung zur Klarheit und Bestimmtheit von Normen338 hat das BVerfG im Volkszählungsurteil gefordert, dass der Gesetzgeber unter Beachtung des Gebots der Normenklarheit „bereichsspezifische und präzise“ Regelungen für die staatliche Datenverarbeitung schafft339. Nach dem Volkszählungsurteil wird damit der Gesetzgeber nicht umhinkönnen, spezialgesetzliche und abschließende Regelungen über einzelne Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu schaffen340.
a) Erfordernis einer der Transparenz der Datenverarbeitung dienenden gesetzlichen Grundlage Neben den mit dem technischen Fortschritt der automatischen Datenverarbeitung gesteigerten Datenverknüpfungsmöglichkeiten ist die mangelnde Durchschaubarkeit der technischen Vorgänge der Datenverarbeitung ein entscheidender Faktor, der für die Ängste und Sorgen der Bürger verantwortlich gemacht 333 334 335 336 337
BVerfGE 48, 210, 222; 49, 89, 133; 56, 1, 13; 58, 257, 278; 59, 104, 114. BVerfGE 58, 257, 278. BVerfGE 56, 1, 13. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. BVerfGE 17, 67, 82; 48, 210, 221; 49, 89, 133; 56, 1, 13; 58, 257, 277 – 278; 59, 104,
114. 338 BVerfGE 8, 274, 325; 9, 137, 147; 20, 150, 158 f.; 31, 255, 264; 34, 165, 192; 37, 132, 142; 45, 400, 420; 49, 168, 181; 56, 1, 12; 58, 257, 276; 59, 104, 114. 339 BVerfGE 65, 1, 46. 340 Bäumler, JR 1984, 361, 364 – 365.
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
wird341. Bei der schwierigen Durchschaubarkeit der Vorgänge der Datenverarbeitung finden Schreckensvisionen wie jene des sog. „gläsernen Menschen“ günstige Nahrung342. Das Gebot der Transparenz, das heißt der Durchschaubarkeit der Datenverarbeitungsvorgänge, wird so als ein wichtiges Anliegen des Persönlichkeitsschutzes betrachtet343. Der gesamte Prozess der Datenverarbeitung soll im Grundsatz für den Bürger nachvollziehbar sein344. Das Gebot der Transparenz der Datenverarbeitung ist bei einer jeglichen Einschränkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts zu beachten. Da die Transparenz bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten ein essentieller Bestandteil des informationellen Selbstbestimmungsrechts ist, muss jedermann dem Gesetz entnehmen können, mit welchen Einschränkungen seines informationellen Selbstbestimmungsrechts er rechnen muss345. Die im Volkszählungsurteil angesprochenen Grundsätze zur Normenklarheit knüpfen so geradezu an der Feststellung an, eine gesellschaftliche und rechtliche Ordnung sei dann mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht unvereinbar, wenn sie den Bürger im Unklaren darüber lasse, „wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß“346. Aufgrund der normenklaren gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für einzelne Informationseingriffe müsse der Bürger wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn erheben, speichern, verwenden und weitergeben darf347. b) Gewährleistung der Transparenz der Datenverarbeitung durch bereichsspezifische und präzise Datenschutzregelungen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind nur dann zulässig, wenn das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit erfüllt ist348. Erst dann, wenn sich aus einer gesetzlichen Grundlage für Informationseingriffe klar und für den Bürger erkennbar ergibt, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn zur Kenntnis nehmen darf und mit welchen Verwendungsmöglichkeiten seiner personenbezogenen Daten er zu rechnen hat, um sein Verhalten danach einrichten zu können, gewinnt sie die im Volkszählungsurteil vom BVerfG geforderte Klarheit349. Der erforderliche Grad der Normenklarheit wird dabei noch deutlicher, wenn man das Volkszählungsurteil näher betrachtet350. 341 Benda, in: FS für Geiger, 23, 27 f.; ders., DuD 1984, 86, 87; Bäumler, JR 1984, 361 ff.; Vogelgesang, S. 152. 342 Schenke, NJW 1987, 2777. 343 Vogelgesang, S. 152. 344 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 10. 345 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 29. 346 Bäumler, JR 1984, 361, 363; Riegel, DVBl. 1987, 325. 347 BVerfGE 65, 1, 43. 348 BVerfGE 65, 1, 44. 349 Baumann, DVBl. 1984, 612, 616; Bäumler, AöR 110 (1985), 30, 31; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 183; Kutscha, NJ 1994, 545, 547.
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aa) Das Gebot der bereichsspezifischen und präzisen Zweckbestimmung für die Datenverarbeitung Die Anforderungen an die Normenklarheit stehen in engem Zusammenhang mit dem Prinzip der Zweckbindung der Daten,351 das verhindert, dass die zu einem bestimmten (zulässigen) Zweck erhobenen Daten zu einem anderen (unzulässigen) Zweck verwendet werden352. Die Zweckbindung legt einerseits den Verwendungszweck fest und beschränkt andererseits den Verwendungsumfang353. Personenbezogene Daten, die für statistische Zwecke erhoben wurden und nach der gesetzlichen Regelung ausschließlich für derartige Zwecke bestimmt sind, für Zwecke des Verwaltungsvollzuges (Zweckentfremdung) weiterzuübertragen, kann somit in unzulässiger Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, weil der staatliche Umgang mit personenbezogenen Daten für den Betroffenen nicht mehr überschaubar ist354. Die Verwendung personenbezogener Daten ist, wie das BVerfG im Volkszählungsurteil zu Recht feststellt, auf den bestimmten, gesetzlich festgelegten Zweck begrenzt, wobei die Gefahren der automatischen Datenverarbeitung einen – amtshilfefesten – Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erfordern sollen355. Da die Speicherung, Veränderung und Nutzung gewonnener Daten grundsätzlich an den Zweck gebunden sind, den das zur Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt hat,356 ist für die Frage der Reichweite der Zweckbindung die gesetzliche Regelung des Verwendungszweckes, zu dem die Erhebung erfolgt, entscheidend. Die Eingriffsbefugnis hat den Verwendungszweck der erlangten Daten klar offenzulegen. Nur der Zweck ist zulässig, der dem Betroffenen deutlich erkennbar ist357. Gegebenenfalls hat der Gesetzgeber zu regeln, dass eine zweckwidrige Verwendung, d. h. die Verwendung personenbezogener Daten für einen anderen als den gesetzlich bestimmten Zweck, der die ursprüngliche Datenerhebung legitimiert hat, ausgeschlossen ist358. Das BVerfG fordert insoweit eine bereichsspezifische und präzise Regelung des Verwendungszweckes der erlangten Daten, damit der Betroffenen aus ihr klar erfährt, zu welchem konkreten Zweck seine Daten verwendet werden sollen359. Der Zweck, zu dem Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorgenommen werden dürfen, muss bereichsspezifisch und präzise bestimmt werden Rosenbaum, Jura 1988, 178, 183. Bizer / Fox, Bereichspezifische Regelungen, DuD 1998, 62. 352 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 635; Schenke, Polizeirecht, Rn. 207; Siebrecht, StV 1996, 566, 567. 353 Simitis, NJW 1984, 398, 402. 354 Vgl. BVerfGE 65, 1, 61; Siebrecht, StV 1996, 566, 567. 355 BVerfGE 65, 1, 46. 356 BVerfGE 65, 1, 46; 100, 313, 360. 357 Benda, DuD 1984, 86, 90; Vogelgesang, S. 72. 358 Krause, JuS 1984, 268, 271. 359 BVerfGE 65, 1, 46. 350 351
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und die erhobenen Daten müssen für diesen Zweck geeignet und erforderlich sein360. Mit dem Gebot einer bereichsspezifischen und präzisen Regelung des Verwendungszwecks wäre die Sammlung von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken unvereinbar361. Zwar schließt das Gebot der Zweckbindung eine Zweckänderung von Daten nicht in jeder Hinsicht aus362. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf es jedoch dann, wenn personenbezogene Daten für andere als die bestimmten, bei der Erhebung angegebenen Zwecke verwendet werden sollen, weil die Zweckänderung von Daten für den Betroffenen einen erneuten Informationseingriff darstellt;363 die weitere Verwendung personenbezogener Daten (entgegen dem Erhebungszweck) schränkt genauso das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein wie die ihr zugrundeliegende Erhebung und ist daher an denselben grundrechtlichen Erfordernissen zu messen wie diese364. Der neue Verwendungszweck muss dabei hinreichend normenklar geregelt sein. Für eine Vorschrift beispielsweise, die die Verwendung der zu statistischen Zwecken erhobenen Daten für Zwecke des Verwaltungsvollzugs gestattet, hat das BVerfG aus dem Gebot der Normenklarheit gefolgert, dass der Bürger aus der gesetzlichen Regelung klar erkennen können müsse, dass seine Daten nicht allein zu statistischen Zwecken verwendet werden dürfen, für welche konkreten Zwecke des Verwaltungsvollzuges seine personenbezogenen Daten bestimmt und erforderlich sind und schließlich, dass ihre Verwertung unter Schutz gegen Selbstbezichtigungen auf die genannten Zwecke begrenzt bleibt365. Der Gesetzgeber muss daher nicht nur den Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt, sondern auch den neuen Verwendungszweck „bereichsspezifisch und präzise“ regeln366.
BVerfGE 65, 1, 46. BVerfGE 65, 1, 46. 362 BVerfGE 100, 313, 360. 363 BVerfGE 65, 1, 51, 61; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 638; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505. 364 Schenke, Polizeirecht, Rn. 207; Dix, Jura 1993, 571, 572 ff.; Welp, NStZ 1995, 601, 603; BVerfGE 100, 313, 360: „Zwar schließt der Grundsatz der Zweckbindung Zweckänderungen nicht rundweg aus. Sie bedürfen jedoch ihrerseits einer gesetzlichen Grundlage, die formell und materiell mit dem Grundsatz vereinbar ist. Dazu gehört, dass die Zweckänderungen durch Allgemeinbelange gerechtfertigt sind, die die grundrechtlich geschützten Interessen überwiegen. Der neue Verwendungszweck muss sich auf die Aufgaben und Befugnisse der Behörde beziehen, der die Daten übermittelt werden, und hinreichend normenklar geregelt sein. Ferner dürfen der Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt ist, und der veränderte Verwendungszweck nicht miteinander unvereinbar sein“. 365 BVerfGE 65, 1, 62 – 63. 366 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 638. 360 361
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bb) Das Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes Der Gesetzesvorbehalt im Sinn eines Parlamentsvorbehalts verpflichtet zu umfassenden und klaren Regelungen. Eine umfassende und klare Regelung ist dabei insbesondere eine zweckbezogene und zweckgebundene Regelung367. Aus ihr erfährt der betroffene Bürger, zu welchem Zweck seine Daten erhoben und verwendet werden dürfen und dass eine zweckwidrige Verwendung ausgeschlossen ist368. Außerdem verlangt das BVerfG, dass Zweckbezug und -bindung der Datenerhebung und -verwendung für den von einer gesetzlichen Vorschrift Betroffenen dadurch überschaubar und kontrollierbar sind, „dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt“369. Unter Heranziehung dieses Entscheidungssatzes kann ganz allgemein ein Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes formuliert werden370. Damit zwingt die vom BVerfG geforderte Normklarheit den Gesetzgeber, die notwendigen Datenverarbeitungsmaßnahmen in all ihren Phasen bereichsspezifisch und präzise zu regeln371. Die Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen und präzisen Datenschutzregelungen stellt sich dabei als eine spezifische verfassungsgerichtliche Antwort auf die Herausforderung durch die moderne Datenverarbeitung dar;372 gerade durch präzise, bereichsspezifische gesetzliche Vorschriften über einzelne Informationseingriffe könnten die gebotene Transparenz der Datenverarbeitung und die ihr dienende Normenklarheit hergestellt werden373. Beispielsweise soll eine bereichsspezifische und präzise Regelung des Verwendungszwecks die Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat, d. h. zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken ausschließen374 und soll damit für den Betroffenen die erforderliche Transparenz und Normenklarheit bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten sichern375; aus ihr erfährt er, zu welchem Zweck seine personenbezogenen Daten erhoben und verwendet werden dürfen376. Eine präzise, bereichsspezifische gesetzliche Regelung soll zudem zur Vorhersehbarkeit und Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 236. Simitis, NJW 1984, 398, 402; Krause, JuS 1984, 268, 271. 369 BVerfGE 65, 1, 46; Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 236; siehe auch Simitis, NJW 1984, 398, 402; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Vogelgesang, S. 71. 370 Rosenbaum, Jura 1988, 178, 183; Bäumler, JR 1984, 361, 364. 371 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 30. 372 Bäumler, JR 1984, 361, 363. 373 Vgl. Simitis, NJW 1984, 398, 400; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Bäumler, JR 1984, 361, 364; Bizer / Fox, DuD 1998, 62; kritisch hierzu Vogelgesang, S. 151 f. u. 201 f.; siehe auch Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513, 516 f. 374 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 13. 375 Bizer / Fox, DuD 1998, 62. 376 Bizer / Fox, DuD 1998, 62. 367 368
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Berechenbarkeit staatlichen Handelns beitragen, weil der Gesetzgeber mittels ihr die zulässigen Zwecke der Datenverarbeitung begrenzt und damit das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot realisiert, dass eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Eingriffsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein muss377. Fehle es aber schon an einer Regelung der konkreten, klar definierten Zwecke der Datenverarbeitung, so sei auch nicht mehr abzusehen, ob die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten für den verfolgten Zweck geeignet und erforderlich seien378. Nur wenn der Zweck möglichst klar bestimmt sei, sei die Prüfung der Verhältnismäßigkeit möglich379. 3. Keine Einschränkung ohne eine präzise, bereichsspezifische gesetzliche Regelung? a) Gewährleistung der gebotenen Transparenz der Datenverarbeitung und der ihr dienenden Normenklarheit durch spezialgesetzliche Datenschutzregelungen? Gesetze, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht einschränken, müssen die Transparenz der Datenverarbeitung gewährleisten. Der Gesetzgeber hat sich darum zu kümmern, dass die Datenverarbeitung transparent gemacht wird380. Anders als die Stimmen im Schrifttum381 und die Ansicht des BVerfG können jedoch bereichsspezifische gesetzliche Vorschriften über einzelne Informationseingriffe die gewünschte Transparenz der Datenverarbeitung und die ihr dienende Normenklarheit nicht immer gewährleisten. Spezialgesetzliche Regelungen der Datenverarbeitung müssten, worauf Vogelgesang in seiner Dissertation zu Recht hinwies,382 wegen der notwendigen Detailgenauigkeit und der spezielle Gebiete, die sie betreffen, notwendigerweise kompliziert und damit auch schwer zu verstehen und auffindbar sein. Bei ihnen wird sich der Bürger wegen der sehr detaillierten und komplizierten Regelungen über die Tragweite der Einschränkung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in jedem Einzelfall nicht selten bewusst sein383. Insbesondere ist zu beachten, dass das Ziel der Normenklarheit ab einem gewissen Punkt in sein Gegenteil umschlage kann;384 es stellen sich Probleme, die gerade mit der zunehmenden Übernormierung einhergehen385. An der Normenflut, welche Bizer / Fox, DuD 1998, 62. BVerfGE 65, 1, 66; Baumann, DVBl. 1984, 612, 616. 379 Rosenbaum, Jura 1988, 178, 184. 380 Rosenbaum, Jura 1988, 178, 183. 381 So Bäumler, JR 1984, 361, 363 f.; Simitis, NJW 1984, 398, 400. 382 Vogelgesang, S. 152. 383 Vogelgesang, S. 152. 384 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549. 385 Vgl. Kutscha, NJ 1994, 545, 547; zur Kritik der Regelungstechnik s. Wagner, DuR 1989, 165 ff. 377 378
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die neuen datenschutzrechtlichen Regelungen ohnehin bereits kennzeichnen,386 droht die Erreichung eines solchen Zieles jedenfalls teilweise zu scheitern387; als Resultat finden sich in neuen gesetzlichen Regelungen der Datenverarbeitung von Polizei, Verfassungsschutz und Geheimdiensten eine Fülle von unübersichtlichen detaillierten Vorschriften über einzelne Informationseingriffe, die dem verfassungsrechtlich gebotenen Ziel, durch Normenklarheit den staatlichen Eingriff für den Bürger erkennbar und vorhersehbar zu machen, kaum gerecht werden388. Das Volkszählungsurteil des BVerfG ist dabei mit seiner Forderung nach bereichsspezifischen und präzisen Regelungen des Datenschutzes tatsächlich zu einem zentralen Motor der vielfach beklagten „Normenflut“ geworden389. Ein echter rechtsstaatlicher Fortschritt wäre damit aber nicht verbunden390. Die totale Vergesetzlichung bzw. Verrechtlichung kann sich auch als „Bumerang“ für den Datenschutz erweisen391. In diesem Zusammenhang weist Hoffmann-Riem zutreffend darauf hin, der Erfolg der Datenschutzidee im Recht drohe zum Keim des Misserfolges von Datenschutz durch Recht zu werden392. b) Es geht auch bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht um eine absolute, sondern nur um eine relative Bestimmtheit Mit der Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen Datenschutzregelungen ist tatsächlich eine Absage an die allgemeinen polizeirechtlichen Generalklauseln als Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgt393. Bedarf es nunmehr für Informationseingriffe einer bereichspezifischen gesetzlichen Regelung des Datenschutzes, kann der staatliche Umgang mit personenbezogenen Daten nicht länger auf die bereichsübergreifenden Generalklauseln, sondern muss auf eigenständige Spezialvorschriften gestützt werden394. Hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten werden Generalklauseln, aber auch unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Rechtsbegriffe durch das Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelungen des Datenschutzes ausgeschlossen. Das Volkszählungsurteil steht somit der früheren Rechtsprechung des BVerfG zum Bestimmtheitsgebot (= Gebot der Normenklarheit) entgegen, in der das Gericht schon deshalb die Verwendung Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398. Vgl. Ossenbühl, Vorbehalt des Gesetzes, 9 f.; Zur „Verrechtlichungsfalle“ speziell beim Datenschutz s. auch Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513 ff. 388 Kutscha, NJ 1994, 545, 547. 389 Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513, 517. 390 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398. 391 Denninger, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Innere Sicherheit, 285, 315. 392 Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513, 517. 393 Knemeyer, NVwZ 1988, 193, 195; Simitis, NJW 1984, 398, 400. 394 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549. 386 387
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von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen zugelassen hat, weil die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissene Begriffe eingefangen werden kann395. Das Gericht hat dabei allerdings keinen Beweis für eine solche Sonderstellung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Hinblick auf die polizeiliche Generalklausel erbracht396. Bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht es ebenso wie bei anderen Grundrechten nicht um eine absolute, sondern nur um eine „relative“ Bestimmtheit, die von der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte sowie der Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen geprägt ist. Auch auf dem Gebiet des Datenschutzes ist die Verwendung von generalklauselartigen Formulierungen und unbestimmten Rechtsbegriffen dem Gesetzgeber nicht verwehrt397. Es kann nämlich auch bei den Datenverarbeitungsvorschriften immer Bereiche geben, die sich nur in eine Generalklausel fassen lassen, oder sich nur mit unbestimmten Gesetzesbegriffen umschreiben lassen398. Gerade im Bereich der Gefahrenabwehr kommt wegen der Vielgestaltigkeit der abzuwehrenden Gefahren dem Aspekt der Flexibilität in der Reaktion hohe Bedeutung zu399. Der Gesetzgeber kann den Polizeibehörden nicht für alle denkbaren Fallgestaltungen vorab genau festgelegte Direktiven an die Hand geben, weil die Vielgestaltigkeit der abzuwehrenden Gefahren eine genauere Umschreibung und Darstellung einzelner Tatbestandsmerkmale nicht zulässt400. Er darf, um der Vielzahl denkbarer Gefahrensituationen Rechnung zu tragen und den Polizeibehörden Spielraum für ein dem Einzelfall angepasstes Vorgehen zu belassen, bei der Formulierung der Eingriffsermächtigung auf der Tatbestandsseite bis zu einer gewissen Grenze auf unbestimmte Rechtsbegriffe und generalklauselartige Formulierungen zurückgreifen und auf der Rechtsfolgenseite die Frage, ob und in welcher Weise im konkreten Fall eingegriffen wird, in das pflichtgemäße Entschließungsermessen und Auswahlermessen der ausführenden Behörde stellen401. Die damit ggf. einhergehende Bedürftigkeit, den Anwendungsbereich der Norm im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln, stellt noch keine Verletzung des Gebots der Normenklarheit dar, solange eine solche Auslegung mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden kann402. Will der Gesetzgeber die Polizeibehörden in die Lage versetzen, ihren Aufgaben unter Berücksichtigung der besonderen Umständen des Einzelfalles und den schnell wechselnden Situationen des Lebens gerecht zu werden, kommt er BVerfGE 8, 274, 326; 37, 132, 142; 49, 168, 181; 56, 1, 12. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Steiner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1992, Rn. 70f. 397 BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961. 398 Bäumler, JR 1984, 361, 364. 399 Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. 400 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. 401 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 402 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 395 396
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ohne unbestimmte Rechtsbegriffe und generalklauselartige Formulierungen als ein unverzichtbares Element der notwendigen Flexibilität nicht aus;403 sie ermöglichen eine angemessene Reaktion auf Besonderheiten des konkreten Einzelfalls. Erst dann, wenn eine konkrete Regelung nicht mehr geeignet ist, der Vielgestaltigkeit des zu regelnden Sachverhaltes Rechnung zu tragen, sind geringere Anforderungen an den verfassungsrechtlich gebotenen Konkretisierungsgrad einer gesetzlichen Ermächtigung zu stellen404. Die Neuregelungen des Datenschutzes in den Landespolizei- und Ordnungsgesetzen enthalten daher – trotz der Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen und präzisen Datenschutzregelungen – vielfach allgemeine Formulierungen oder unbestimmte Rechtsbegriffe wie z. B. „Erforderlichkeit“ des Informationseingriffs der Polizei („soweit dies zur Wahrnehmung (bestimmter) polizeilicher Aufgaben erforderlich ist“)405.
B. Die Novelle der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder I. Geltung des Volkszählungsurteils des BVerfG für das Polizeirecht Das Urteil des BVerfG vom 15. 12. 1983 zum Volkszählungsgesetz 1983 hat auch auf die Rechtsentwicklung im Polizeirecht maßgeblich eingewirkt406. Über die Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bringt das Urteil vielfache allgemeine Aussagen und Forderungen, die für eine Datenerhebung und -verarbeitung durch die Polizei einerseits und für den individuellen Datenschutz gegenüber Polizeimaßnahmen, die sich auf personenbezogene Daten beziehen, andererseits grundsätzlich bedeutsam sind407. Die auf das herkömmliche Polizeirecht gestützte polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung entsprach nicht den Anforderungen, welche das BVerfG an die Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes und an die gesetzliche Grundlage für solche polizeiliche Maßnahmen stellt, die in BVerfGE 8, 274, 326; 13, 153, 161; 56, 1, 12. BVerfGE 11, 234, 237; 21, 1, 4; 28, 175, 183; 49, 89, 133; 58, 257, 278; Kastner, VerwArch. 2001, 216, 243. 405 Vgl. z. B. aus dem BWPolG: § 20 I 1 (polizeiliche Befragung), § 20 II (Datenerhebung zur Gefahrenabwehr / Störungsbeseitigung), § 20 III (Datenerhebung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung), § 20 IV 1 (Datenerhebung zur Gefahrenvorsorge), § 37 I 1 (Speicherung, Veränderung und Nutzung), § 38 I (dto. Für Polizeivollzugsdienst), § 39 I 2 (Datenabgleich), § 42 I (Datenübermittlung innerhalb Polizei), § 42 II (Datenübermittlung an sonstige Gefahrenabwehrbehörden), § 43 I 1 Nr. 1, 2; III 1 Nr. 2, 3 (Datenübermittlung an sonstige öffentliche Stellen), § 44 I (Datenübermittlung an private Stellen). 406 Eingehend zu den polizeirechtlichen Auswirkungen des Volkszählungsurteils des BVerfG s. Kowalczyk, Datenschutz im Polizeirecht, 91 ff.; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn 21; Götz, NVwZ 1994, 652, 659 f.; Riegel, RiA 1996, 12 ff.; Würz, Polizeiaufgaben und Datenschutz in Baden-Württemberg, Rz. 1 ff. 407 Knemeyer, NVwZ 1988, 193; Riegel, DVBl. 1987, 325, 326; Bäumler, JR 1984, 361, 364. 403 404
6 Son
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen408. Vor dem Volkzählungsurteil wurde die polizeiliche Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten auf die polizeiliche Generalklausel gestützt, die als ausreichende Ermächtigungsgrundlage für der Gefahrenabwehr dienende Informationseingriffe betrachtet wurde. Hatte das BVerfG Eingriffe in das vom ihm entwickelte, aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung unter das Gebot bereichsspezifischer und präziser Datenschutzregelungen gestellt, bestand nach dem Urteil in der Literatur weitgehend Einigkeit über einen grundlegenden Reformbedarf im Polizeirecht 409. Damit war festgestellt, dass die Polizeiund Ordnungsgesetze der Länder der Kodifikation bedurften410. Seit dem Volkszählungsurteil des BVerfG haben die Landesgesetzgeber um eine Umsetzung dieser Entscheidung in ihrem Polizeirecht gerungen. Die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder beinhalten umfassende Regelungen der polizeilichen Datenerhebung und -verarbeitung und kommen somit der Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen Datenschutzregelungen nach411. Sie orientieren sich dabei in mehr oder weniger starkem Umfang an dem 1986 überarbeiteten VEMEPolG412. Den Polizei- und Ordnungsgesetzen liegt trotz ihrer Anlehnung an den VEMEPolG 1986 aber keine einheitliche Systematik zugrunde413. In welchem Umfang, mit welchen Mitteln und unter welchen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Polizei Daten erheben und verarbeiten kann, ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet414. Über die bisher schon in den Standardmaßnahmen (wie z. B. Identitätsfeststellungen, erkennungsdienstliche Maßnahmen und Vorladungen) enthaltenen Befugnisse hinaus, sind in den neueren gesetzlichen Regelungen Ermächtigungsgrundlagen für weitere Informationseingriffe und damit in Verbindung stehende Maßnahmen vorhanden415. Wegen der sehr ausführlichen und umfangreichen Regelungen über einzelne Informationseingriffe durch die Polizei wird, wie oben dargelegt, vielfach bereits eine „Normenflut“ beklagt416. Vgl. hierzu Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 536; Merten, DÖV 1985, 518, 519. Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 304; zum damaligen Diskussionsstand Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 1984, 157 ff. 410 Merten / Merten, ZRP 1991, 213. 411 Vgl. nur BW LT Drucks. 10 / 5230, 1, 30. Die Novellierung des baden-württembergischen Polizeigesetzes bezieht sich ausdrücklich auf das Volkszählungsurteil des BVerfG. 412 Das Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (Stand: 12. 3. 1986). 413 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 304. 414 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 304. 415 Schenke, Polizeirecht, Rn. 176. 416 Vgl. dazu Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513, 516 f.; Krüger, DÖV 1990, 641, 644 f.; Pitschas / Aulehner, NJW 1989, 2353, 2356 f.; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; 408 409
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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II. Notwendigkeit und Umfang bereichsspezifischer Datenschutzregelungen im Polizeirecht Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht seien, so das BVerfG, nur auf der Grundlage einer „die Transparenz der Datenverarbeitung garantierenden“417 bereichsspezifischen gesetzlichen Regelung zulässig418. Die notwendigen Datenverarbeitungsmaßnahmen muss der Gesetzgeber in all ihren Phasen bereichspezifisch und präzise regeln419. Für den Polizeibereich bedeutet dies, dass für die Datenverarbeitung in den großen Bereichen der polizeilichen Aufgabenerfüllung, der Gefahrenabwehr, Gefahrenvorsorge, Strafverfolgungsvorsorge und Strafverfolgung aufgabenspezifische Datenverarbeitungsbefugnisse notwendig sind420. Die Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen Datenschutzregelungen stellt dabei jedoch eine Ursache der „Regelungsflut“ dar, welche die Neuregelungen des Datenschutzes im Polizeirecht ohnehin bereits kennzeichnen. Soviel Transparenz und Normenklarheit wie möglich muss, worauf Bäumler zu Recht hinwies, nicht immer bedeuten soviel detaillierte und komplizierte Normen wie möglich zu schaffen421. Im Folgenden soll daher aus einem spezifisch polizeirechtlichem Aspekt die Frage untersucht werden, wann der Polizeigesetzgeber im Zusammenhang mit dem Datenschutz bereichsspezifisch tätig werden muss oder wann er sich mit den im Polizeirecht bereits bestehenden allgemeinen Vorschriften begnügen kann422. Dabei wird man grundsätzlich davon auszugehen haben, dass es dann keiner speziellen Regelungen für den Datenschutz bedarf, wenn die im Polizeirecht tatsächlich vorhandenen Vorschriften noch immer einen hinreichenden Schutz gewähren423. Einer speziellen Vorschrift bedarf es angesichts der herkömmlichen polizeirechtlichen Systematik allerdings stets dann, wenn der Gesetzgeber der Polizei Datenerhebungsbefugnisse, wie z. B. Schleierfahndung und Videoüberwachung, einräumen will, die das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht voraussetzen und deren Wirkung nicht nur den Störer betrifft. Soweit die Erhebung personenbezoWürtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 540; Vogelgesang, S. 151 f. u. 201 f.; VGH Mannheim, NJW 1987, 3022; a.A. BayVerfGH, DÖV 1986, 69 ff.; VG Frankfurt, CR 1988, 158 ff.; Knemeyer, NVwZ 1988, 193, 196; Isensee, ZRP 1985, 139 ff.; Schwabe, DVBl. 2000, 1815 ff. 417 Vgl. Simitis, NJW 1984, 398, 400. 418 Zur Forderung im Volkszählungsurteil nach bereichsspezifischen Regelungen s. BVerfGE 65, 1, 46. 419 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 30. 420 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 30. 421 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 10. 422 Dazu Vogelgesang, S. 201 f.; zur Frage, inwiefern im Zusammenhang mit dem Schutz von Vertrauensverhältnissen verfassungsrechtlich begründeter Handlungsbedarf für die Polizeigesetzgeber besteht, siehe auch Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253. 423 So ähnlich Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253. 6*
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
gener Daten mittels besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, wie z. B. dem Einsatz von V-Leuten, erfolgt, bedarf es angesichts der Schwere des Eingriffs auch einer besonderen Ermächtigungsgrundlage424 (s. für V-Leute 2. Teil 3. Kapitel C. II. 1.). 1. Notwendigkeit spezieller Regelungen bei den Informationseingriffen unter erleichterten Voraussetzungen als die der polizeilichen Generalklausel und des polizeilichen Notstands Selbstverständlich werden personenbezogene Daten auch im Zusammenhang mit der Abwehr konkreter Gefahren erhoben und verarbeitet425. Polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung kann ein geeignetes Mittel zur Abwehr einer konkreten Gefahr etwa bei Entführungen oder Geiselnahmen426 oder bei der Gefahr weiterer schwerer Terroranschläge bzw. Sprengstoffanschläge sein427. Liegt eine konkrete Gefahr vor, so dürfen die für die Abwehr der Gefahr erforderlichen personenbezogenen Daten über den Störer erhoben werden428. Über den Nichtstörer dürfen Daten unter den engen Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstandes erhoben werden, die auch im Übrigen für seine Inanspruchnahme bestehen429. Beim Vorliegen einer konkreten Gefahr können polizeiliche Informationseingriffe, soweit sie unter Beachtung der allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Polizeirechts erfolgen, grundsätzlich nicht beanstandet werden430. Polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung stehen aber in engem Zusammenhang mit der Gefahrenvorsorge,431 „bei der bereits im Vorfeld konkreter Gefahren staatliche Aktivitäten entfaltet werden, um deren Entstehung entgegenzuwirken bzw. eine wirksame Bekämpfung sich später realisierender, momentan aber noch nicht konkret drohender Gefahren zu ermöglichen“432. So fehlt es häufig an einer konkreten Gefahr bei den sich vielfach im Vorfeld konkreter Gefahren bewegenden Maßnahmen wie etwa der planmäßigen Observation433 von Personen, die in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingreifen434. Ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalermächtigung als Rechtsgrundlage für polizeiliche Informationseingriffe im VorVgl. Deutsch, S. 221 f. und 301. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 538 u. 586. 426 Vgl. Wolter, Jura 1992, 520, 526. 427 Vgl. Kniesel, ZRP 1989, 329, 332. 428 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 694. 429 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 694. 430 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 431 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 538; zur Gefahrenvorsorge eingehend Di Fabio, Jura 1996, 566 ff.; auch Waechter, JZ 2002, 854, 855 ff. 432 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 10 und 71. 433 Dazu Vahle, Aufklärungs- und Observationsmaßnahmen, Diss. Bielefeld 1983. 434 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Steiner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1992, Rn. 70g. 424 425
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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feld konkreter Gefahren kommt wegen Fehlens der Voraussetzung einer konkreten Gefahr nicht in Betracht435. Soweit nicht einzelne Gefahrenvorsorgemaßnahmen wie z. B. eine sog. Schleierfahndung, die eine Befugnis der Polizei für die Identitätsfeststellung bei Personen in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs sowie auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität) zum Zwecke der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zum Inhalt hat, bereits im Vorfeld konkreter Gefahren durch eine positivgesetzliche Normierung in einer eigenständigen Spezialvorschrift wie z. B. § 26 I Nr. 6 BWPolG für zulässig erklärt werden, mangelt es für derartige polizeilichen Maßnahmen mangels Anwendbarkeit der polizeilichen Generalermächtigung an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage436. Problematisch ist die vorgenannte Schleierfahndung437 auch insoweit, als jedermann potenziell betroffen ist, in hohem Maße also auch der unbescholtene Bürger. Die Maßnahme fordert nicht das Vorliegen einer konkreten Gefahr und richtet sich auch nicht gegen einen Störer. Das bedingt eine Vorverlagerung der Eingriffsschwelle bezüglich Gefahr und Störer438. Adressat kann „jedermann“, auch eine Nichtstörer sein, ohne dass es hierbei eines Rückgriffs auf die Vorschriften über die Notstandsinanspruchnahme bedürfte439. Einer besonderen Befugnisnorm bedarf es im Hinblick auf die herkömmliche polizeirechtliche Systematik daher mangels Anwendbarkeit der polizeilichen Regelungen über die Gefahr und den Störer stets dann, wenn der Gesetzgeber polizeiliche Eingriffsbefugnisse begründen will, die das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht voraussetzen und deren Wirkung nicht nur den Störer betrifft, also wenn er Eingriffsnormen von den eingrenzenden Merkmalen der konkreten Gefahr und der Störereigenschaft lösen will, wie er es beispielsweise in § 26 I Nr. 2 – 6 BWPolG getan hat440. Durch die Novellierung des Polizeigesetzes vom 22. 7. 1996 hat der baden-württembergische Gesetzgeber in § 26 I Nr. 6 BWPolG eine ausdrückliche RechtsBäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 696. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Steiner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1992, Rn. 70g; so im Ergebnis auch Bär, CR 1997, 422, 430; Soiné, ZRP 1992, 84, 86; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 180. 437 Dazu näher BayVerfGH, NVwZ 2003 1375 ff.; SächsVerfGH, SächsVBl. 2003, 247; MVVerfG, DVBl. 2000, 262 ff.; Engelken, DVBl. 2000, 269 ff.; Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216 ff.; Weingart, BayVBl. 2001, 69 ff.; Schnekenburger, BayVBl. 2001, 129 ff.; Möller, NVwZ 2000, 382 ff.; Waechter, DÖV 1999, 138 ff.; Lisken, NVwZ 1998, 22 ff.; Stephan, DVBl. 1998, 81 ff.; Schmid, LKV 1998, 477 ff.; Moser von Filseck, BWVPr 1996, 272 ff. 438 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 325. 439 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 325. 440 Eine Identitätsfeststellung nach § 26 I Nr. 2 – 6 BWPolG fordert nicht durchgängig das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Damit zusammenhängend kann sie nicht allein gegenüber Störern, sondern gegenüber allen Personen vorgenommen werden, die sich an bestimmten (vor allem gefährlichen oder gefährdeten) Orten aufhalten (VGH Mannheim, VBlBW 1982, 338, 340); Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 325. 435 436
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
grundlage für die Schleierfahndung zu präventivpolizeilichen Zwecken geschaffen, die zwei „eherne“ Grundsätze des Polizeirechts durchbricht: Zum einen das Prinzip, dass der Ansatzpunkt für polizeiliche Maßnahmen gegenüber bestimmten Personen eine konkrete Gefahr sein muss. Zum anderen, dass grundsätzlich die für die Gefahr polizeirechtlich verantwortlichen Störer – in Ausnahmefällen auch die Nichtstörer – zur Abwehr einer bestehenden konkreten Gefahr von den Polizeiund Ordnungsbehörden in irgendeiner Weise in Anspruch genommen werden dürfen. Will der Gesetzgeber von den traditionellen Barrieren bzw. Eingriffsschwellen des liberalrechtsstaatlichen Polizeirechts abweichen, indem er der Polizei eine von der konkreten Gefahr und der Differenzierung zwischen Störer und Nichtstörer absehende Befugnis zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten einräumt, welche in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingreift, so muss er hierfür eine spezielle Ermächtigung schaffen. Für polizeiliche Informationseingriffe, die unter erleichterten Voraussetzungen als die der polizeirechtlichen Generalklausel (vgl. z. B. §§ 1, 3 BWPolG) und des polizeilichen Notstands (vgl. § 9 BWPolG) zulässig sind, bedarf es somit – unabhängig von der Art und Schwere des fraglichen Eingriffs – stets einer spezialgesetzlich geregelten Eingriffsermächtigung. Ohne eine solche wäre ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht rechtswidrig. 2. Notwendigkeit besonderer Ermächtigungsgrundlagen bei den besonders gravierenden Informationseingriffen Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für polizeiliche Informationseingriffe im Einzelnen erfüllen müssen, ist auch die Intensität des möglichen Grundrechtseingriffs, zu dem der Gesetzgeber ermächtigt, mit zu berücksichtigen441. Bei besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat der Gesetzgeber die Anforderungen an entsprechende der Gefahrenabwehr dienende Eingriffe näher auszugestalten und darf diese Aufgabe nicht der Polizei und der Judikative überlassen442. Je intensiver der Grundrechtseingriff ist, desto höhere Anforderungen sind an den Gesetzgeber zu stellen, Art und Umfang des Eingriffs an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen443. Bei der Gewichtung der Tiefe des Grundrechtsreingriffs spielt eine Rolle, ob die Polizei personenbezogene Daten offen oder verdeckt, beim Störer oder Nichtstörer und gezielt auf Grund hinreichender Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr oder bereits im Vorfeld konkreter Gefahren erhebt444. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität ist die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler – wie heute in meisten 441 442 443 444
BVerfGE 48, 210, 222; 49, 89, 133; 56, 1, 13; 58, 257, 278; 59, 104, 114. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. BVerfGE 56, 1, 13; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Dazu Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 264.
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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Polizei- und Ordnungsgesetzen geschehen – an das Vorliegen besonderer materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Voraussetzungen geknüpft445. So ist die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler z. B. nach § 22 III BWPolG zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder von potentiellen Straftätern und ihren Kontakt- und Begleitpersonen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG zulässig. Der Einsatz Verdeckter Ermittler ist außerdem an das Vorliegen spezieller verfahrensrechtlicher Anforderungen geknüpft, indem er grundsätzlich der Anordnung des Leiters des Landeskriminalamtes, der Wasserschutzpolizeidirektion, einer Landespolizeidirektion, eines Polizeipräsidiums, einer Polizeidirektion oder eines Abschnittes bedarf (s. z. B. § 22 VI BWPolG). Die Intensität des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist auch wesentlich von der Dauer der polizeilichen Maßnahme abhängig446. Durch spezielle Vorschriften ist nunmehr z. T. ausdrücklich die längerfristige Observation, die voraussichtlich innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden dauert oder über den Zeitraum einer Woche hinaus stattfindet (s. z. B. § 22 I Nr. 1 BWPolG)447 und damit einen gesteigerten Grundrechtseingriff enthält, geregelt448. Wegen der Eingriffsintensität ist diese Maßnahme an das Vorliegen spezieller materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Voraussetzungen geknüpft (vgl. z. B. § 22 III, VI BWPolG). Die kurzfristige Observation richtet sich demgegenüber nach den allgemeinen Vorschriften der Datenerhebung (s. z. B. §§ 19, 20 BWPolG)449. Einer ausdrücklichen Eingriffsermächtigung bedarf die Polizei – wohl in Übereinstimmung mit dem G 10-Urteil vom 14. 9. 1999450 – stets auch dann, wenn sie personenbezogene Daten, die durch einen der Strafverfolgung dienenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnen wurden, zum Zwecke der Gefahrenabwehr nutzen will451. Denn in einer solchen Umwidmung von Daten liegt, worauf das BVerfG im G 10-Urteil zutreffend hinweist, ein erneuter Grundrechtseingriff, der „größere Beeinträchtigungen als der Ersteingriff zur Folge haVgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 189. Gusy, Polizeirecht, Rn. 202. 447 Vgl. auch Art. 33 I Nr. 1 BayPAG; § 25 I Nr. 1 BerlASOG; § 32 BrandPolG; § 32 BremPolG; § 9 HambPolDVG; § 15 I Nr. 1 HSOG; § 33 I Nr. 1 MVSOG; § 34 NdsSOG; § 16 NWPolG; § 28 II Nr. 1 SaarlPolG; § 17 I Nr. 1 SachsAnhSOG; § 36 II Nr. 1 SächsPolG; § 185 I Nr. 2a SchlHVwG; § 34 I Nr. 1 ThürPAG. 448 BGH, NJW 1991, 2651. 449 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 610. 450 BVerfGE 100, 313 ff. = NJW 2000, 55 ff. 451 Vgl. BVerfGE 65, 1, 51, 62; 100, 313, 360; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 2003, 211; W.-R. Schenke, JZ 2001, 997, 998; ders., in: Festgabe für Hilger, 2003, 225, 233; Siebrecht, StV 1996, 566, 567; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 638; Gusy, Polizeirecht, Rn. 268. 445 446
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
ben kann“452. Da durch eine solche Nutzbarmachung entgegen dem Erhebungszweck der in der Erhebung strafprozessualer Daten liegende Eingriff weiter verschärft wird, kann aus der strafprozessual begründeten Ermächtigung zur Datenerhebung noch nicht die Befugnis zur ihrer Nutzung zum Zwecke der Gefahrenabwehr abgeleitet werden453. Für die Verwendung der strafprozessual erhobenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke müssen – ebenso wie für den umgekehrten Fall der Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten für strafprozessuale Zwecke – bereichspezifische gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich zu regeln, welche Voraussetzungen bei einer solchen Umwidmung von Daten erfüllt sein müssen. Insbesondere muss der neue Verwendungszweck hinreichend normenklar geregelt sein454. In der landespolizeirechtlichen Vorschrift des § 38 I 1, IV 1 BWPolG ist beispielsweise ausdrücklich die Verwendung personenbezogener Daten, die anlässlich eines konkreten Strafverfahrens gewonnen wurden, zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten normiert455. Die Verwendung der auf der Grundlage der Polizei- und Ordnungsgesetze durch einen Informationseingriff erhobenen personenbezogenen Daten für Zwecke der Strafverfolgung ist hingegen in den bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 161, 163 I 2, 483 StPO geregelt.
III. Überblick über die Neuregelungen des Datenschutzes im Polizeirecht Der datenschutzrechtliche Teil der neueren Polizei- und Ordnungsgesetze umfasst zwei Gruppen von Regelungen: Die §§ 19 – 25 BWPolG z. B. enthalten Grundsätze, Ermächtigungsgrundlagen sowie besondere Mittel und Methoden der Datenerhebung. Demgegenüber betreffen die §§ 37 – 47 BWPolG den Bereich der Datenverarbeitung, wobei neben allgemeinen Vorschriften auch Regelungen der Übermittlung, des Abgleichs und der Löschung von Daten vorhanden sind456. Da die Datenerhebung zum Zwecke der Verarbeitung erlangter Daten erfolgt, bilden die Datenverarbeitungsvorschriften eine notwendige Ergänzung der Regelung über die Datenerhebung457. Angesichts der Methoden der modernen Datenverarbeitung, durch die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in ganz besonderer Weise gefährdet wird, hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Datenverarbeitung nunBVerfGE 100, 313, 391. Vgl. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 2003, 225, 233; Siebrecht, StV 1996, 566, 567. 454 BVerfGE 65, 1, 51, 62; 100, 313, 360. 455 Vgl. § 10a III VEMEPolG; Art. 38 II BayPAG; § 42 III BerlASOG; § 20 IV HSOG; § 23 SachsAnhSOG; § 43 II SächsPolG; § 39 II BrandPolG; § 16 II HambPolDVG; § 37 I MVSOG; § 24 II NWPolG; § 40 II ThürPAG; § 39 III NdsSOG; § 25d I RhPfPOG; § 30 II SaarlPolG; § 189 II SchlHVwG. 456 Vgl. dazu Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 539 f. 457 Schenke, Polizeirecht, Rn. 205. 452 453
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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mehr eine Fülle von Regelungen geschaffen458. Allgemeine Grundsätze (etwa in §§ 19, 37 BWPolG) und konkrete Eingriffsermächtigungen (s. z. B. §§ 21 I, 22 II, III, 38 I, 39 I BWPolG) tragen Sorge dafür, dass die polizeiliche Datenerhebung und Datenverarbeitung den Anforderungen des Volkszählungsurteils des BVerfG genügt459.
1. Allgemeine Grundsätze der Datenerhebung und Datenverarbeitung a) Allgemeine Regeln der Datenerhebung Bei der Erhebung von personenbezogenen Daten ist auf verschiedene allgemeine Grundsätze der Datenerhebung zu achten, die beispielsweise in Baden-Württemberg in der Vorschrift des § 19 BWPolG460 gesetzlich geregelt sind:461 Nach § 19 I 1 BWPolG sind personenbezogene Daten grundsätzlich bei dem Betroffenen zu erheben („Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Datenerhebung“). „Betroffen“ ist dabei diejenige Person, auf die sich die zu erhebenden Daten beziehen462 (vgl. auch die Definition des Betroffenen in § 3 I BDSG oder § 3 BWLDSG). Nach § 19 I 2 BWPolG ist die Erhebung beim Betroffenen jedoch dann entbehrlich, wenn sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich wäre oder die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben gefährden würde. Gemäß § 19 III 1 BWPolG ist der Betroffene auch bei schriftlicher Erhebung stets, sonst auf Verlangen, auf die Rechtsgrundlage der Erhebung, auf eine im Einzelfall bestehende Auskunftspflicht oder auf die Freiwilligkeit der Auskunft hinzuweisen, wenn personenbezogene Daten offen erhoben werden („Der Grundsatz der Rechtsbelehrung bei der Datenerhebung“)463. Der Grundsatz der Rechtsbelehrung trägt schon deshalb zum Persönlichkeitsschutz und auch zum Rechtsschutz bei der Datenerhebung bei, weil durch die Belehrungspflicht gegenüber dem Betroffenen eine willkürliche Erhebung personenbezogener Daten weitgehend vermieden wird und dadurch auch ihm ermöglicht wird, eine gerichtliche Kontrolle der polizeilichen Maßnahme zu erreichen, wenn er sich durch sie in seinen Rechten beeinträchtigt sieht. Effektiver Rechtsschutz setzt auch hier Rechtskenntnis voraus464. Schenke, Polizeirecht, Rn. 205. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 539. 460 Vgl. Art. 30 BayPAG; § 18 BerlASOG; § 29 BrandPolG; § 2 HambPolDVG; § 13 HSOG; § 26 MVSOG; § 30 NdsSOG; § 9 NWPolG; § 25a RhPfPOG; § 25 SaarlPolG; § 37 SächsPolG; § 15 SachsAnhSOG; § 178 SchlHVwG; § 31 ThürPAG. 461 Schenke, Polizeirecht, Rn. 180. 462 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 566. 463 Vgl. Art. 30 IV BayPAG; § 18 V BerlASOG; § 29 IV 1 BrandPolG; § 27 I BremPolG; § 2 IV HambPolDVG; § 13 VIII HSOG; § 26 III MVSOG; § 12 V NdsSOG; § 9 VI NWPolG; § 11 I, 25 V SaarlPolG; § 15 VII SachsAnhSOG; § 37 II 3 SächsPolG; § 178 III SchlHVwG; § 31 IV 1 ThürPAG. 464 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 569. 458 459
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
Die Erhebung ist, vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen, „offen“ durchzuführen465 und unterliegt teilweise noch näheren inhaltlichen Begrenzungen466 („Der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung“). Entsprechend hoch sind die Anforderungen an eine verdeckte Datenerhebung, wie sie z. B. § 19 II 2 BWPolG als Ausnahme zur offenen Datenerhebung vorsieht467. Eine Datenerhebung, die nicht als polizeiliche Maßnahme erkennbar sein soll, ist daher nur zulässig, wenn sonst die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben gefährdet oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich oder wenn anzunehmen ist, dass dies den überwiegenden Interessen des Betroffenen entspricht (s. z. B. § 19 II 2 BWPolG). b) Allgemeine Regeln der Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten Die Polizei kann personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, soweit und solange dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich ist (s. z. B. § 37 I 1 BWPolG)468. In einigen Polizeigesetzen wird die Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten ausdrücklich mit der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung verknüpft, wie dies z. B. in § 24 I NWPolG geschehen ist469. Danach kann die Polizei „rechtmäßig erlangte personenbezogene Daten“ in Akten oder Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist. In Bundsländern, in denen die Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten nicht ausdrücklich an die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung gebunden wird (s. z. B. § 37 I 1 BWPolG), zieht die Rechtswidrigkeit der Datenerhebung nicht stets die Rechtswidrigkeit der Verwendung der dabei gewonnenen Daten nach sich, wird jedoch vielfach zur Einschränkung des der Polizei bei der Verwendung von Daten eingeräumten Ermessensspielraums führen470. Bei der Speicherung in Dateien muss etwa gemäß § 37 I 2 BWPolG erkennbar sein, welcher der Personengruppen der Betroffene angehört (z. B. einem Störer oder Nichtstörer, einem potentiellen Straftäter, seinen Kontakt- und Begleitpersonen, möglichen Opfern oder Gefährdeten einer Straftat, Zeugen, Hinweisgebern, Fachleuten für 465 Vgl. § 19 II BWPolG; Art. 30 III BayPAG; § 18 II 1 BerlASOG; § 29 III 1. HS BrandPolG; § 27 II 1 BremPolG; § 2 III HambPolDVG; § 13 VII HSOG; § 26 II MVSOG; § 9 IV NWPolG; § 25a II RhPfPOG; § 25 III SaarlPolG; § 15 VI SächsPolG; § 37 V 1 SächsPolG; § 178 II SchlHVwG; § 31 III ThürPAG. 466 Vgl. z. B. § 9 V NWPolG; § 13 V HSOG. 467 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 567. 468 Vgl. ähnliche Regelungen in Art. 37 BayPAG; § 42 BerlASOG; § 39 BrandPolG; § 36a I BremPolG; § 16 HambPolDVG; § 20 HSOG; § 36 MVSOG; § 38 NdsSOG; § 24 NWPolG; § 25a RhPfPOG; § 30 SaarlPolG; § 22 SachsAnhSOG; § 43 SächsPolG; § 188 SchlHVwG; § 40 ThürPAG. 469 Ebenso § 42 I BerlASOG; § 39 I BrandPolG; § 38 I 1 NdsSOG; § 40 ThürPAG. 470 Dazu s. Schenke, Polizeirecht, Rn. 215 ff.
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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die Abwehr bestimmter Gefahren). Ebenso muss feststellbar sein, bei welcher Stelle die der Speicherung zugrundeliegenden Unterlagen geführt werden (s. z. B. § 37 I 3 BWPolG)471. Die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten ist grundsätzlich nur zu den polizeilichen Zweck zulässig, zu dem die Daten erlangt worden sind (vgl. z. B. § 37 II 1 BWPolG). So können personenbezogene Daten, die durch den Einsatz Verdeckter Ermittler z. B. nach § 22 I Nr. 3 BWPolG gewonnen worden sind, nur zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung gespeichert, verändert und genutzt werden. Die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu einem anderen polizeilichen Zweck als dem, zu dem sie erhoben wurden, ist nur zulässig, soweit die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck erheben dürfte (vgl. z. B. § 37 II 2 BWPolG)472. Daher können sog. Zufallsfunde, die bei Gelegenheit einer Erhebung personenbezogener Daten gefunden werden, für andere Zwecke der Gefahrenabwehr nur dann verwendet werden, wenn sie auch für diese hätten erhoben werden können („hypothetischer Ersatzeingriff“)473.
2. Datenerhebung und Datenverarbeitung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze geben der Polizei die Befugnis, personenbezogene Daten über Störer und Nichtstörer zu erheben, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung474 erforderlich ist. Die zentrale Ermächtigungsgrundlage der Datenerhebung im baden-württembergischen Polizeigesetz ist § 20 II BWPolG475. Danach besitzt die Polizei ein umfassendes Datenerhebungsrecht zur Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung476. Durch die Novelle zum Landespolizeirecht wird aber 471 Vgl. auch in Verbindung mit wertenden Angaben § 38 II 1 BrandPolG; § 14 III 1 HambPolDVG; § 20 VI HSOG; § 36 II MVSOG; § 23 II 1 NWPolG; § 30 IV SaarlPolG; § 22 VI SachsAnhSOG; § 188 II SchlHVwG. Nach § 38 I 3 NdsSOG sind zu speichernde personenbezogene Daten mit der Zweckbestimmung zu kennzeichnen. 472 Vgl. § 10a II VEMEPolG; Art. 37 II 2 BayPAG; § 42 II 2 BerlASOG; § 38 I 2 BrandPolG; § 36b BremPolG; § 14 I, II HambPolDVG; § 20 III HSOG; § 36 I 3 MVSOG; § 38 I NdsSOG; § 23 I NWPolG; § 30 I SaarlPolG; § 22 II SachsAnhSOG; § 43 I 2, 3 SächsPolG; § 191 I SchlHVwG; § 39 ThürPAG; § 29 III 3 u. 4 BGSG. 473 Schenke, Polizeirecht, Rn. 207. 474 In Nordrhein-Westfalen und im Saarland handelt es sich um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern darüber hinaus auch für die öffentliche Ordnung. 475 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 586. 476 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 586.
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der Polizei ein umfassendes Datenerhebungsrecht außer zur Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eingeräumt (s. z. B. §§ 20 III BWPolG). Damit lassen die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder polizeiliches Handeln auch dann zu, wenn noch gar keine Anhaltspunkte für eine begangene Straftat vorliegen und damit nicht der Anfangsverdacht einer Straftat i. S. d. § 152 II StPO gegeben ist477. Hauptanwendungsbereiche sind hier der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung (s. z. B. § 22 II, III BWPolG), wie z. B. die längerfristige Observation, der Einsatz technischer Mittel, Verdeckter Ermittler sowie von V-Leuten478, aber auch die Aufnahme und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen (s. § 36 I Nr. 2 BWPolG), die polizeiliche Beobachtung (§ 25 I BWPolG), die Verwendung der auf der Basis der StPO erhobenen Daten (§ 38 I, IV BWPolG) und die Rasterfahndung (§ 40 I BWPolG), um Straftaten im Vorbereitungsstadium zu verhindern479. Der VEMEPolG 1986 präzisiert die Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr dergestalt, dass in gefahrenvorsorgerischer Sicht die Gefahrenabwehr auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in ihren beiden Erscheinungsformen der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten und der Verhütung von Straftaten erfasst. Demgemäß hat die Polizei die Aufgabe, im Rahmen der Gefahrenabwehr auch Straftaten zu verhüten und für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vgl. § 1 I 2 VEMEPolG 1986480). Der VEMEPolG 1986 unternimmt insoweit den Versuch, die Polizeitätigkeit im Vorfeld noch nicht begangener oder versuchter Straftaten in die Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr ausdrücklich einzubeziehen481. Die Landesgesetzgeber haben auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zum Teil in den neueren Polizei- und Ordnungsgesetzen ausdrücklich normiert (Nordrhein-Westfalen, Berlin, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen)482. Der Hintergrund dieses Konzepts ist vor allem die Einsicht, dass die Polizei nicht unvorbereitet auf den Gefahrenfall warten kann, wenn sie die Aufgabe der Gefahrenabwehr in effizienter Weise erfüllen soll, sondern durch Präsenz mit Sachmitteln, Personal und Informationen vorbereitet sein muss483. PolitiGusy, Polizeirecht, Rn. 201. In Baden-Württemberg fehlt es an gesetzlichen Regelungen für den Einsatz von „V-Leuten“. Vgl. § 8c II Nr. 4 VEMEPolG; § 26 I Nr. 1 BerlASOG; § 34 BrandPolG; § 34 BremPolG; § 11 HambPolDVG; § 16 I HSOG; § 33 I Nr. 3 MVSOG; § 36 NdsSOG; § 19 NWPolG; § 28 II Nr. 3 SaarlPolG; § 18 I SachsAnhSOG; § 185 I Nr. 3 SchlHVwG; § 34 I Nr. 5 ThürPAG. 479 Gusy, Polizeirecht, Rn. 201. 480 „Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) sowie Vorbereitungen zu treffen, um künftige Gefahren abwehren zu können (Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr). 481 Götz, NVwZ 1994, 652, 655. 482 Kritisch hierzu s. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 531 ff. 483 Vgl. Götz, Polizeirecht, Rn. 86. 477 478
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sche Relevanz und zum Teil auch rechtspolitische Kontroversen haben die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld traditioneller Strafverfolgung seit den 80er Jahren zum Gegenstand, als sich das Erfordernis vorbeugender Verbrechensbekämpfung als eine juristische Antwort auf die Zunahme der organisierten Kriminalität, der gewalttätigen Ausschreitungen und des Terrorismus durchgesetzt hat484. Sehr umstritten ist, ob die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr zuzurechnen ist485. Dieser verfassungsdogmatischen Einordnung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten kommt nicht nur unter kompetenzrechtlichen, sondern auch unter materiellrechtlichen, unter prozessrechtlichen und außerdem unter organisatorischen Gesichtspunkten erhebliche Bedeutung zu486. Unter 2. Teil 1. Kapitel A. wird insbesondere auf die Frage der Gesetzgebungskompetenz für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten noch näher einzugehen sein.
3. Der Adressat der Datenerhebung Bemerkenswert bei den Novellierungen der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder ist, dass sie weiterreichende Informationseingriffe gegenüber Nichtbeteiligten vorsehen487. Die Tendenz, Eingriffsnormen von den eingrenzenden Merkmalen der „Störereigenschaft“ zu lösen, wird in den neueren gesetzlichen Regelungen fortgesetzt488: Die Polizei kann z. B. gem. § 20 II BWPolG Daten der in §§ 6 und 7 BWPolG geregelten (Verhaltens- und Zustands-)Störer sowie „anderer Personen“ erheben, deren Daten zur Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung benötigt werden. Die Betroffenen der Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten sind in § 20 III BWPolG aufgezählt. Von diesen Informationseingriffen sind nicht allein potentielle Straftäter und Opfer (Nr. 1 und 3) betroffen, sondern auch Personen, bei denen eine Störereigenschaft (noch) nicht bejaht werden kann, Kontakt- und Begleitpersonen, Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potenziellen Opfers, Zeugen und Hinweisgeber (Nr. 2, 4 und 5). § 20 III Nr. 5 BWPolG sieht auch vor, dass die Polizei Daten über „sonstige Auskunftspersonen“ erheben kann, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Nach §§ 21 I 2, 22 IV BWPolG dürfen „Dritte“ durch jeweils offene Bild- und Tonaufzeichnungen und besondere Mittel der Datenerhebung – soweit es unvermeidbar ist – betroffen werden. Vgl. Götz, Polizeirecht, Rn. 86. Vgl. hierzu Hund, ZRP 1991, 463 ff.; Kniesel, ZRP 1992, 164 ff.; ders., ZRP 1989, 329 ff.; Merten / Merten, ZRP 1991, 213 ff.; Siebrecht, JZ 1996, 711 ff. 486 Dazu eingehend s. Schenke, Polizeirecht, Rn. 412 ff. 487 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 228; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563; kritisch hierzu Alberts, ZRP 1990, 147, 148 f.; siehe auch Schönstedt, Kriminalistik 1996, 503; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 606 f. 488 Vgl. Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568. 484 485
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Zu beachten ist dabei, dass z. B. die die Informationseingriffe regelnden §§ 19 ff. BWPolG als leges speziales die §§ 6 ff. BWPolG verdrängen489. Daher kann insoweit auf die allgemeinen Grundsätze der Störer- bzw. Nichtstörerverantwortlichkeit nicht mehr zurückgegriffen werden490. Auch der Nichtstörer kann Adressat der Datenerhebung sein, und zwar unabhängig von der Vorschrift des § 9 BWPolG über den sog. polizeilichen Notstand491. Der unbescholtene Bürger darf aber nicht zur beliebigen Informationsquelle der Polizei werden492. Die Anforderungen des polizeilichen Informationseingriffs im Hinblick auf den Adressaten der Datenerhebung werden – wie auch sonst bei Standardmaßnahmen – durch eng umgrenzte tatbestandliche Voraussetzungen bestimmt493. Die Erforderlichkeit der Datenerhebung für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben ist dabei das entscheidende Merkmal494. Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit gibt den Maßstab für die jeweils zulässige Datenerhebung495. Die Neuregelungen über die polizeiliche Datenerhebung zeigen somit deutlich, wie die Anknüpfung an einen Störer als Adressat polizeilicher Maßnahmen und damit die traditionellen Eingriffsschwellen des liberal-rechtsstaatlichen Polizeirechts aufgegeben wurden496.
IV. Besondere Mittel der Datenerhebung Zur Datenerhebung stehen der Polizei grundsätzlich zwei Mittel zur Verfügung: Sie kann sich personenbezogene Daten offen durch die Befragung von Personen als eine geradezu klassische Form der polizeilichen Informationsgewinnung497, 498 oder durch offene Bild- und Tonaufzeichnungen (Videoüberwachung)499 usw. verschaffen; die Datenerhebung kann aber auch heimlich bzw. verdeckt durchgeführt werden, sodass der Betroffene zunächst nichts von der ihm gegenüber getroffenen Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 228; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. Schenke, Polizeirecht, Rn. 228. 491 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. 492 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. 493 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. 494 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. 495 Vgl. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301. 496 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563; siehe auch Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568. 497 Schenke, Polizeirecht, Rn. 181. 498 Vgl. § 20 I 2 BWPolG; Art. 12 BayPAG; § 18 III 3 BerlASOG; § 3 II HambPolDVG; § 28 II 1 MVSOG; § 12 II NdsSOG; § 9 II 1 NWPolG; § 18 III SächsPolG; § 180 II 1 SchlHVwG; § 13 II 1 ThürPAG. S. auch die Regelung in § 14 II SachsAnhSOG. Dazu eingehend Gusy, NVwZ 1991, 614 ff.. 499 Vgl. § 21 BWPolG; Art. 32 BayPAG; § 24, 24a BerlASOG; § 31 BrandPolG; § 29 BremPolG; § 8 HambPolDVG; § 14 HSOG; § 32 MVSOG; § 32 NdsSOG; § 15, 15a, 15b NWPolG; § 27 SaarlPolG; § 38 SächsPolG; § 16 SachsAnhSOG; § 184 SchlHVwG; § 33 ThürPAG; s. auch § 8b VEMEPolG. 489 490
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polizeilichen Datenerhebungsmaßnahme erfährt500. Heimliche polizeiliche Datenerhebung ist als besonders schwerwiegender Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht nur zulässig, soweit sie gesetzlich ausdrücklich erlaubt ist501. In den neueren Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder finden sich dabei vielfach besondere Mittel der Datenerhebung, die typischerweise heimlich bzw. verdeckt erfolgen502. Dazu gehören die längerfristige Observation, der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes auf Tonträger, insbesondere in und aus Wohnungen, oder der Einsatz Verdeckter Ermittler und von V-Leuten sowie die polizeiliche Beobachtung. Ein besonderes Mittel zur Datenerhebung stellt nach § 36 II Nr. 4 SächsPolG auch die sog. polizeiliche Beobachtung (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung) dar. In Baden-Württemberg wird sie in Anlehnung an § 8c II VEMEPolG jedoch nicht für ein besonderes Mittel der Datenerhebung gehalten und unterliegt damit nicht den für diese geltenden allgemeinen Vorschriften (vgl. § 25 BWPolG)503. Der Einsatz von V-Leuten, die keine Polizeibeamte sind, aber mit der Polizei zusammenarbeiten, und die von den Verdeckten Ermittlern (getarnten Polizeibeamten) zu unterscheiden sind,504 ist heute als ein besonderes Mittel zur Datenerhebung in den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen ausdrücklich geregelt505. In Baden-Württemberg z. B. fehlt es aber an gesetzlichen Regelungen für den Einsatz von V-Leuten. Unter 2. Teil 3. Kapitel C. wird auf den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung noch näher einzugehen sein. 1. Die Rechtsnatur heimlicher Datenerhebungen Wird der Betroffene von der Polizeibehörde angewiesen, eine Auskunft zu erteilen, ist eine derartige Anordnung als ein Verwaltungsakt zu qualifizieren, weil durch sie Pflichten für den Betroffenen begründet werden506. So stellt sich das polizeiliche Auskunftsverlangen bei einer Befragung (s. z. B. § 20 I BWPolG) oder Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 579. Gusy, Polizeirecht, Rn. 201. 502 Vgl. hierzu z. B. Die Legaldefinition des § 22 I BWPolG sowie noch umfassender § 36 II SächsPolG. 503 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 203. 504 Gusy, Polizeirecht, Rn. 204; Schenke, Polizeirecht, Rn. 200. Unter V-Leute (Vertrauenspersonen) versteht man nach der Legaldefinition des § 8c II Nr. 4 VEMEPolG und des § 36 I 1 NdsSOG solche „Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist“. 505 Vgl. § 8c II Nr. 4 VEMEPolG; § 26 I Nr. 1 BerlASOG; § 34 BrandPolG; § 34 BremPolG; § 11 HambPolDVG; § 16 I HSOG; § 33 I Nr. 3 MVSOG; § 36 NdsSOG; § 19 NWPolG; § 28 II Nr. 3 SaarlPolG; § 18 I SachsAnhSOG; § 185 I Nr. 3 SchlHVwG; § 34 I Nr. 5 ThürPAG. 506 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 188; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 685; Deutsch, S. 279. 500 501
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bei einer Vorladung (§ 27 I, III BWPolG) dann als ein Verwaltungsakt dar, falls es um die Erhebung von Daten geht, hinsichtlich derer eine Auskunftspflicht besteht, und wäre folglich grundsätzlich im Wege einer Anfechtungsklage gem. § 42 I VwGO zu überprüfen507. Bei einer Erledigung des Verwaltungsaktes wäre eine Fortsetzungsfeststellungsklage, in direkter oder analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO, möglich508. Im umgekehrten Fall, also bei Ansprüchen des Betroffenen auf Auskunft von Daten, ist die allgemeine Leistungsklage, deren Zulässigkeit sich aus §§ 40, 43 II 1 VwGO ergibt, die statthafte Klageart, denn die geforderte Auskunft stellt sich nur als eine tatsächliche Handlung und nicht als Verwaltungsakt dar509. Geht es dagegen um einen heimlichen Informationseingriff, so ist fraglich, ob dieser einen auf Duldung gerichteten Verwaltungsakt darstellt. Die umstrittene Frage nach der Rechtsnatur der heimlichen Datenerhebungen bedarf hier einer Klärung. Die heimliche Beobachtung und der Einsatz technischer Mittel, Verdeckter Ermittler sowie von V-Leuten stellen nicht auf Duldung gerichtete Verwaltungsakte, sondern Realakte dar. Es fehlt hier in der Tat bereits an dem für das Vorliegen eines Verwaltungsakts essentiellen Kriterium einer Regelung, da der Betroffene jedenfalls zunächst nichts von der ihm gegenüber getroffenen Überwachungsmaßnahme erfährt510. Das heimliche Abhören von Telefongesprächen ist wegen des Fehlens der für eine Regelung wesensnotwendigen Bekanntgabe an den Betroffenen kein Verwaltungsakt511. Heimliche Maßnahmen, bei denen es an einer Bekanntgabe mangelt, stellen keine Regelung i. S. d. § 35 VwVfG dar. Nach herrschender Meinung setzt ein Verwaltungsakt unabdingbar seine Bekanntgabe voraus512. Teile der Literatur und der Rechsprechung vertreten jedoch die Ansicht, auch ohne Unterrichtung des Betroffenen regele eine heimliche Maßnahme einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Außenwirkung, erfülle also die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts513. In seinem Urteil vom 17. 10. 1990 507 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 188; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 685; Deutsch, S. 279. 508 Näher Schenke, Jura 1980, 133 ff.; ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 579. 509 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 202 und 303; ders., Polizeirecht, Rn. 220; a.A. VGH München, NJW 1984, 2235, 2236; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 685, wonach bei Ansprüchen des Bürgers auf Auskunft, Löschung, Sperrung oder Berichtigung von Daten die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart sei, weil in diesen Fällen eine abwägende Entscheidung der speichernden Stelle, mithin ein Verwaltungsakt, begehrt werde. 510 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 188; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 686; Deutsch, S. 280. 511 So auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 196; Schoch-Pietzcker, § 42 Abs. 1, Rn. 66; a.A. BVerwGE 87, 23, 25; Erfmeyer, DÖV1999, 719, 720. 512 Kopp / Schenke, VwGO, Anh. § 42, Rn. 36; zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten s. näher Erichsen / Hörster, Jura 1997, 659 ff. 513 Vgl. BVerwGE 87, 23, 25; VGH München, BayVBl. 1988, 562, 563; VG Bremen, NVwZ 1989, 895; H.J. Meyer, Polizeiliche Beobachtungsmaßnahmen, 106 ff.; Schwan, VerwArch. Bd. 66 (1975), 120, 130.
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qualifizierte das BVerwG eine heimliche Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs als Verwaltungsakt514. Nach Auffassung des Gerichts soll die gegen den Betroffenen getroffene Anordnung des Bundesminister des Innern (BMI) von der Überwachungsmaßnahme einen Einzellfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts regeln und durch die mit ihr verbundene Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 GG auch ohne Unterrichtung des Betroffenen eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen haben515. Die Anordnung des BMI stelle damit einen Verwaltungsakt im Sinne der §§ 42, 113 I VwGO dar (vgl. § 35 1 VwVfG). Dieser Verwaltungsakt hatte sich nach Einstellung der Überwachung erledigt. Es sei aber unschädlich, dass die Erledigung vor Klageerhebung eintrat, weil nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG § 113 I 4 VwGO analog auch auf diesen Fall anzuwenden sei516. Entgegen der Auffassung des BVerwG kann ein Verwaltungsakt aber hier schon mangels Bekanntgabe nicht vorliegen517. Der Umstand, dass in diesem Fall die Bekanntgabe an den Betroffenen durch die Unterrichtung der nach § 9 G 10 gebildeten Kommission ersetzt wird, ändert nichts daran, dass es an dem für das Vorliegen eines Verwaltungsaktes unerlässlichen Merkmal der Bekanntgabe an einen Betroffenen mangelt518. Die Überwachungsmaßnahme verwandelt sich auch nicht nachträglich von einem Realakt zu einem Verwaltungsakt, wenn der Betroffene später darüber informiert wird, dass die für ihn bestimmten Postsendungen und Telegramme geöffnet und eingesehen sowie die über bestimmte Telefonanschlüsse geführten Gespräche abgehört und auf Tonträger aufgenommen worden seien519. Die gekünstelt wirkende Figur der stillschweigenden, in einem schlicht hoheitlichen Handeln enthaltenen Duldungsverfügung ist – worauf Deutsch zu Recht hinweist – ein Relikt aus der Zeit, als Rechtsschutz nur gegenüber Verwaltungsakten eingeräumt wurde520. Nunmehr im Zeichen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 I VwGO, welche Rechtsschutz gegenüber allen Formen hoheitlichen Verwaltungshandelns unabhängig vom Vorliegen eines Verwaltungsakts garantiert, besteht heute – anders als nach dem früheren verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzip – kein Bedürfnis mehr, den Begriff des Verwaltungsakts möglichst extensiv auszulegen521. Der Rechtsschutz beschränkt sich unter der Geltung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 VwGO heute nicht mehr auf BVerwGE 87, 23, 25. BVerwGE 87, 23, 25. 516 BVerwGE 87, 23, 25. 517 Kopp / Schenke, VwGO, Anh. § 42, Rn. 36. 518 Kopp / Schenke, VwGO, Anh. § 42, Rn. 36. 519 Kopp / Schenke, VwGO, Anh. § 42, Rn. 36; Schenke, Polizeirecht, Rn. 178 u. 188; ders., Jura 1988, 257, 259. 520 Deutsch, S. 280. 521 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 186; anders früher O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, 3. Aufl. 1923, 97 (mit Fn. 9): „Der anzufechtende Verwaltungsakt wird also nötigenfalls ,erdichtet‘“. 514 515
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
den Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte522. Daher kann der Betroffene verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz auch gegenüber hoheitlichen Realakten in Anspruch nehmen523. Heimliche Überwachungsmaßnahmen, von denen der Betroffene bei ihrer Vornahme nichts erfährt oder erfahren soll, wie etwa das Abhören von Telfongesprächen, die Observation, der verdeckte Einsatz technischer Mittel oder der Einsatz Verdeckter Ermittler, stellen somit nur einen Realakt dar. Auch das VG Bremen sah in der verdeckten Anfertigung von Video und Fotoaufnahmen wegen der damit verbundenen Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen Maßnahmen mit Regelungscharakter524. Nach der im Urteil vom 5. 12. 1988 vertretenen Auffassung des VG Bremen enthalte die (verdeckte) Anfertigung von Video und Fotoaufnahmen gegenüber den Betroffenen die Regelung i. S. d. § 35 VwVfG, dass die ihnen in der Ausübung des Versammlungsrechts auferlegten Beschränkungen zu dulden seien525. Die Polizei habe damit zielgerichtet und gestaltend in die Rechte der Betroffenen eingegriffen, möglicherweise unter Verletzung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 2 GG526. Einer solchen rechtsgestaltenden Handlung komme – wie polizeilichen Vollzugsmaßnahmen – Verwaltungsaktscharakter zu. Die regelnde Wirkung eines Verwaltungsakts komme der (verdeckte) Anfertigung von Foto- und Videoaufnahmen zu, weil ihr grundrechtsbeschränkender Charakter deutlich zu Tage liege527. Auch hinter der Argumentation des VG Bremen steht im Ergebnis die antiquierte Ansicht, wonach Rechtsschutz lediglich gegenüber Verwaltungsakten zu erlangen sei528. Der Verwaltungsaktscharakter einer Maßnahme kann – entgegen der Auffassung des VG Bremen – auch nicht mit ihren Auswirkungen auf die Betroffenen begründet werden. Der hier anzunehmende Realakt verwandelt sich auch nach einer gesetzlich normierten nachträglichen Information des Betroffenen über die ihm gegenüber heimlich durchgeführte Maßnahme nicht im nachhinein in einen Verwaltungsakt529. Dennoch kommt der nachträglichen Unterrichtung des Betroffenen ein hohes Gewicht zu, da nur dadurch dem Betroffenen ermöglicht wird, eine gerichtliche Kontrolle der polizeilichen Maßnahme (vorbehaltlich spezialgesetzlicher Regelungen) durch die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage des § 43 VwGO zu erreichen530. Kein Verwaltungsakt liegt also dann vor, wenn Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen zunächst ohne Wissen des hierdurch Betroffenen erfolgen, 522 523 524 525 526 527 528 529 530
Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 171; ders., Jura 1988, 257, 258. Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 86; ders., Jura 1988, 257, 258. Vgl. VG Bremen, NVwZ 1989, 895. Vgl. VG Bremen, NVwZ 1989, 895. Vgl. VG Bremen, NVwZ 1989, 895. Vgl. VG Bremen, NVwZ 1989, 895. Deutsch, S. 280. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 188. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 188.
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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da es in einem solchen Fall an der für einen Verwaltungsakt essentiellen Bekanntgabe fehlt531. Vielmehr liegt hier ein Realakt vor. Rechtsschutz gegenüber einem erledigten Realakt erlangt der Betroffene demnach in der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage des § 43 VwGO, nicht in der Fortsetzungsfeststellungsklage. Da die Berechtigung des Trägers der Polizei- bzw. Ordnungsbehörde zur Vornahme des den Betroffenen belastenden Realaktes ein subjektives Recht532 darstellt und dadurch ein Rechtsverhältnis begründet wird, kann der Betroffene im Wege einer negativen Feststellungsklage gem. § 43 VwGO feststellen lassen, dass der Hoheitsträger ihm gegenüber zur Vornahme des Realakts nicht berechtigt war533.
2. Voraussetzungen für einen Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung Mit ausdrücklicher Zulassung der die informationelle Selbstbestimmung in ganz erheblichem Maße berührenden „Besonderen Mittel der Datenerhebung“ sind die Ermittlungsmethoden, wie sie im Geheimdienstbereich üblich sind, im Polizeirecht eingezogen534. Ihre Erforderlichkeit wird mit besonders schweren Straftaten, insbesondere mit dem Terrorismus und der organisierten Kriminalität535 begründet. Der Einsatz besonderer Mittel zur Datenerhebung kommt als besonders intensiver Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht nur zum Schutz besonders bedeutsamer Rechtsgüter in Betracht536. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität ist die Datenerhebung mit besonderen Mitteln an das Bestehen spezieller Voraussetzungen geknüpft537. So besteht in materiellrechtlicher Hinsicht vielfach z. B. das Erfordernis der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder einer Straftat von erheblicher Bedeutung538. In Baden-Württemberg dürfen besondere Mittel der Datenerhebung nur zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG eingesetzt werden (§ 22 III BWPolG). Die Zulässigkeit Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 178. Zu subjektiven Rechten des Staates und hierdurch begründeten Rechtsverhältnissen s. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 387 ff. 533 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 377; ders., Polizeirecht, Rn. 667. 534 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 624. 535 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960 f. 536 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 624. 537 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 189. 538 Vgl. z. B. § 22 III BWPolG; Art. 33 III BayPAG; § 25 IV BerlASOG; § 32 – 36 BrandPolG, jeweils Abs. 1; § 11 I i.V. m. 9 I, 12 I HambPolDVG; § 16 I, II HSOG; § 33 II – IV MVSOG; § 34 I, 35 II, 36 I, 36a I NdsSOG; § 17 I Nr. 1 u. 18 I Nr. 1 NWPolG; § 25b I Nr. 1 RhPfPOG; § 28 I SaarlPolG; § 39 I Nr. 1 u. Nr. 2 SächsPolG; § 185 II 1 SchlHVwG; ähnlich § 18 I, II SachsAnhSOG u. § 34 V ThürPAG. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 189. 531 532
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1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG
besonders starker Informationseingriffe rechtfertigt sich durch den Schutz bedeutender Rechtsgüter539. Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung wird zusätzlich an spezielle verfahrensrechtliche Anforderungen gebunden, indem er grundsätzlich der Anordnung des Behördenleiters, also des Leiters des Landeskriminalamts, der Wasserschutzpolizeidirektion, einer Landespolizeidirektion, eines Polizeipräsidiums, einer Polizeidirektion oder eines Abschnittes bedarf (§ 22 VI BWPolG)540. Als verfahrensrechtliche Besonderheit ist auch die bereits verfassungsrechtlich indizierte Benachrichtigungspflicht nach Abschluss heimlich getroffener Maßnahmen zu qualifizieren, die aber unter dem Vorbehalt der Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung stehen kann541.
3. Betroffene einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln Von entscheidender Bedeutung ist auch, „gegen wen“ sich der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung richten darf542. Ausdrücklich geregelt ist dies im baden-württembergischen Polizeigesetz. Im Bereich der Besonderen Mittel der Datenerhebung hat der Gesetzgeber selbst nach der betroffenen Person differenziert. Adresstaten der Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochen Wortes oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler sind z. B. – wie die Verweisung in § 22 III BWPolG klarstellt – jeweils (Verhaltens- und Zustands-)Störer und „andere Personen“ im Sinne des § 20 II BWPolG bzw. potentielle Straftäter und ihre Kontaktund Begleitpersonen im Sinne des § 20 III Nr. 1 und 2 BWPolG. Nach § 22 II 1. Alt. BWPolG darf sich der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen gegen den in § 20 II BWPolG genannten Personenkreis, also sowohl Störer als auch Nichtstörer richten, wenn es um die Abwehr einer erheblichen Gefahr geht. Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten können diese Mittel gegen Personen im Sinne des § 20 III Nr. 1, 2 und 4 BWPolG, also potentielle Straftäter, deren persönliches Umfeld sowie Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers, eingesetzt werden (vgl. § 22 II 2. Alt. BWPolG). Kennzeichnend für den heimlichen Informationseingriff ist, dass er regelmäßig nicht allein den für die Gefahr Verantwortlichen als ZielWürtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 541. Vgl. z. B. § 22 VI BWPolG; § 32 II 1, 34 II, 35 IV BrandPolG; § 30 BremPolG; §§ 15 II, 16 V, 17 IV HSOG; §§ 16 II, 17 III, 18 III, 19 II, 20 IV NWPolG; § 39 IV 1 SächsPolG. 541 Vgl. z. B. § 22 VI, VIII BWPolG; Art. 33 V BayPAG; § 25 VII BerlASOG; §§ 32 III, 33 VII, 34 III, 35 V, 36 IV BrandPolG; §§ 11 II, 12 IV i.V. m. 9 II, III HambPolDVG; §§ 16 V, VI i.V. m. 15 VII HSOG; § 34 V MVSOG; §§ 19 II, III, 20 IV, V NWPolG; §§ 25b I 2, 25 f. III RhPfPOG; § 28 VI SaarlPolG; § 18 V, VI i.V. m. § 17 VII, VIII SachsAnhSOG; § 39 VIII SächsPolG; § 186 IV SchlHVwG; § 34 VII ThürPAG. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 190. 542 Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 631. 539 540
2. Kap.: Forderung des BVerfG nach Datenschutzregelungen
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person trifft543. Von heimlichen Informationseingriffen nach § 22 BWPolG sind nicht nur Störer bzw. potentielle Straftäter betroffen, sondern darüber hinaus auch Personen, bei denen eine Störereigenschaft noch nicht bejaht werden kann, namentlich „andere Personen“ (§ 22 II 1. Alt., III 1. Alt. BWPolG), Kontakt- und Begleitpersonen (§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG)544 und Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers (§ 22 II 2. Alt. BWPolG). Außerdem dürfen auch Daten über unbeteiligte Dritte erhoben werden, wenn sie unvermeidbar betroffen sind (§ 22 IV BWPolG): Nach § 19 I 1 BWPolG sind personenbezogene Daten grundsätzlich bei dem Betroffenen mit seiner Kenntnis zu erheben. Alle anderen Personen sind Dritte545. Diese dürfen von der Datenerhebung nur betroffen werden, soweit das unvermeidbar ist. Die Löschung von Bild- und Tonaufzeichnungen von Dritten ist in § 22 VII BWPolG geregelt. Nach § 22 VIII 1 BWPolG ist der Betroffene über die heimlich erfolgte Maßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Von dieser generellen Unterrichtungspflicht werden aber drei Ausnahmen gemacht. Nach § 22 VIII 2 BWPolG darf die Unterrichtung unterbleiben, wenn hierdurch ein Verdeckter Ermittler oder seine weitere Verwendung für seinen Einsatz gefährdet würde, sich an den die Maßnahme auslösenden Sachverhalt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt oder seit Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind. Einschränkungen der Unterrichtungspflicht, wie in § 22 VIII 2 BWPolG normiert, erwecken aber nicht nur wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. hierzu 2. Teil 3. Kapitel C. III.).
543 544 545
Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Dazu BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457 f. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 349.
2. Teil
Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung und der Umwidmung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten Für die verfassungsrechtliche Würdigung der heimlichen Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten durch die Polizei ist zunächst die Frage der Gesetzgebungskompetenz maßgeblich (Kapitel 1). Im Folgenden wird neben der Kompetenzfrage aber auch auf die besonderen verfassungsrechtlichen Fragen eingegangen, die sich in Verbindung mit heimlichen Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellen (Kapitel 2, 3). Näher befassen werden sich dabei die folgenden Überlegungen mit der neuerdings viel diskutierten, aber dogmatisch noch keineswegs voll bewältigten Problematik von heimlichen polizeilichen Informationseingriffen, die besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse, wie etwa das Beichtgeheimnis, das Arzt-Patientenverhältnis und das Verhältnis der Presse zu ihnen Informanten, tangieren (Kapitel 3). Im Folgenden wird auf die Frage eingegangen, ob landespolizeirechtliche Bestimmungen, die polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung (vgl. z. B. §§ 22, 24, 25, 40 BWPolG) betreffen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, die das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG an eine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellt. In die verfassungsrechtliche Überprüfung sind ferner die landespolizeirechtlichen Vorschriften über die Verwendung der im Rahmen eines Strafverfahrens erhobenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke (vgl. etwa § 38 I 1, IV 1 BWPolG) und die bundesrechtlichen Vorschriften über die Verwertung der auf Grundlage der Polizeigesetze erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung (vgl. §§ 161, 163 I 2, 483 StPO) einzubeziehen. Prüfungsmaßstab ist dabei in erster Linie das durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Von den durch die zuvor genannten Normen ermöglichten Maßnahmen der heimlichen Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten können aber auch andere Grundrechte, wie insbesondere Art. 4 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 12 GG, betroffen sein. Die nachfolgenden Ausführungen werden sich auf Bestimmungen des baden-württembergischen Polizeigesetzes beschränken. Da die besonderen verfassungsrechtlichen Probleme, die sich in Verbindung mit heimlichen Eingriffen in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ergeben, aber auch durch die Polizeigesetze anderer Bundesländer aufgeworfen werden, wird ergänzend auf diese eingegangen.
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
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1. Kapitel
Gesetzgebungskompetenz A. Die Gesetzgebungskompetenz für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten Die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler ist z. B. nach § 22 Abs. 3 BWPolG außer zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte auch von potentiellen Straftätern und ihren Kontakt- und Begleitpersonen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässig. Zur heimlichen Erhebung von personenbezogenen Daten ist der Polizeivollzugsdienst danach sowohl zur Verhütung als auch zur möglichen Verfolgung im Einzelnen bezeichneter Straftaten berechtigt. Gegen die neuen Regelungen der polizeilichen Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten einschließlich besonderer Mittel der Datenerhebung1, die der Polizei ein umfassendes Datenerhebungs- und -verarbeitungsrecht auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten einräumen (vgl. z. B. §§ 20 III, 22 II, III, 25 I, 36 I Nr. 2, 38 I, IV, 40 I BWPolG), wird in der Literatur jedoch vielfach eingewendet, dass hier keine Maßnahme der präventiven Straftatenverhütung, sondern eine der repressiven Straftatenverfolgung vorliege und damit die Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG beim Bund liegt2. I. Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten 1. Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung? Sehr umstritten ist, ob die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr zuzurechnen ist3. Die Ermächtigungsgrundlagen für eine Maßnahme der repressiven Strafverfolgung sind traditionell im Strafprozessrecht des Bundes, die eine der präventiven Gefahrenabwehr dienende Maß1 Vgl. hierzu z. B. die Legaldefinition des § 8c II VE VEMEPolG und § 22 I BWPolG sowie noch umfassender § 36 II SächsPolG. 2 Vgl. z. B. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 539; Hund, ZRP 1991, 463, 466. 3 Vgl. hierzu BVerfG, NJW 2001, 879 ff. = StV 2001, 145 ff.; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 275; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347; Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001; Deutsch, S. 182 ff.; Hund, ZRP 1991, 463 ff.; Keller / Griesbaum, NStZ 1990, 416 ff.; Kniesel, ZRP 1992, 164 ff.; ders., ZRP 1989, 329 ff.; Lisken, ZRP 1994, 264 ff.; Merten / Merten, ZRP 1991, 213 ff.; Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225 ff.; Siebrecht, JZ 1996, 711 ff.; Soiné, CR 1998, 257 ff.; Wolter, StV 1989, 358 ff.; Zöller, RDV 1997, 163 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
nahme im Polizeirecht der Länder enthalten4. Für das Strafverfahrensrecht ist auch heute der Bund, für das Recht der Gefahrenabwehr sind weitgehend die Länder zuständig; das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht fällt, weil es in dem Zuständigkeitskatalog der Art. 73 ff. GG nicht aufgeführt ist, in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 Abs. 1 GG)5. Auch bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist eine eindeutige Zuordnung der Gesetzgebungskompetenz erforderlich6. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder der Länder für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten hängt von der Beantwortung der oben gestellten Frage, ob die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr zuzurechnen ist, ab7. Unterfällt diese Aufgabe dem Bereich der Strafverfolgung, der gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt, so sind nach Art. 72 Abs. 1 GG die Länder nur befugt, Gesetze zu erlassen, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG noch keinen Gebrauch gemacht hat. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten wird von der h. M.8 im Polizeirecht als Unterfall der Gefahrenabwehr angesehen und damit der rechtliche Standort dieser Aufgabe in das Polizeirecht gelegt, wohingegen grundsätzlich (von wenigen Ausnahmen abgesehen) das Strafprozessrecht nicht einschlägig sein soll, weil dieses die Verfolgung von konkreten Straftaten zum Gegenstand hat, hinsichtlich deren Begehung ein Verdacht vorliegt, weshalb die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld der Straftatenverfolgung nicht darunter falle9. Nach Hund hingegen könne Regelungsstandort für polizeiliche Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung ausschließlich die StPO sein; es gehe bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nicht um Gefahrenabwehr, sondern um Erleichterung der Strafverfolgung und um die Überwindung strafprozessualer Effektivitätshindernisse. Hierfür bestehe angesichts der abschließenden Regelung der StPO unter keinem Gesichtspunkt eine Gesetzgebungskompetenz der Länder10.
2. Die Verhütung künftiger Straftaten als Unterfall der Aufgabe Gefahrenabwehr Im einschlägigen Schrifttum wird dabei allerdings versucht, zwischen den beiden Erscheinungsformen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zu diffeVgl. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 235. Schenke, Polizeirecht, Rn. 23. 6 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 32. 7 Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 216. 8 Götz, Polizeirecht, Rn. 86; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 5, Rn. 6; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 590; Schoch, JuS 1994, 391, 394. 9 Vgl. Götz, Polizeirecht, Rn. 86. 10 Hund, ZRP 1991, 463, 466; siehe auch Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 539. 4 5
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
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renzieren. Die Verhütung künftiger Straftaten kann zunächst zweifellos noch unter die Zielsetzung der Gefahrenabwehr subsumiert werden,11 weil die Gefahrenvorsorge,12 die auch die Verhütung künftiger Straftaten einschließt, in einem engen und untrennbaren Zusammenhang zu der Bekämpfung konkreter Gefahren steht, die schon aus praktischen Gründen ohne eine solche Vorverlegung nie in effizienter Weise betrieben werden könnte,13 und traditionell gleichfalls dem Bereich der Gefahrenabwehr zugeordnet wird14. Damit fällt die Verhütung von Straftaten in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder aus Art. 70 GG für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht15. Zweifel können aber in Bezug auf die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten (Strafverfolgungsvorsorge) bestehen. 3. Einordnung der Strafverfolgungsvorsorge Die Strafverfolgungsvorsorge dient der Durchführung der Strafverfolgung in Bezug auf mögliche zukünftige (bzw. zukünftig bekannt werdende) Straftaten16. Bei ihr handelt es sich um die Erleichterung der Auffindung von künftigen Straftätern, um ein Reservoir für die Aufklärung zukünftiger Straftaten17. Darunter fallen z. B. erkennungsdienstliche Maßnahmen, insbesondere die Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken gegen den einer Straftat Beschuldigten sowie die Aufbewahrung und Speicherung der durch erkennungsdienstliche Maßnahmen gewonnenen personenbezogenen Daten zur besseren Erkennung des Verdächtigen im Falle erneuter Straffälligkeit, und die Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung, d. h. der sog. „genetische Fingerabdruck“ beim Beschuldigten sowie die Speicherung der dabei gewonnenen DNA-Identifizierungsmuster zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren18. Zukünftige Strafverfahren werden durch die Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung von Unterlagen und Datensammlungen erleichtert19. Klassische Gefahrenabwehr setzt das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus, § 152 II StPO für die Strafverfolgungsmaßnahmen das Vorliegen eines hinreichen11 Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217; Kniesel, ZRP 1992, 164, 165; Siebrecht, JZ 1996, 711, 712; Schenke, Polizeirecht, Rn. 10; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 180 u. 590; a.A. Hund, ZRP 1991, 463, 466; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 539; Rachor, in: Lisken / Denninger, Kap. F, Rn. 169. 12 Dazu zählen z. B. Streifengänge, Entgegennahmen von Informationen, polizeiliche Beobachtungen, vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 71. 13 VGH Mannheim, NVwZ 1989, 279, 280 m. w. N.; kritisch aber Staats, DÖV 1979, 155 ff. 14 Schenke, Polizeirecht, Rn. 10 u. 71. 15 Schenke, Polizeirecht, Rn. 10 u. 23. 16 Schenke, Polizeirecht, Rn. 10 u. 11. 17 Siebrecht, JZ 1996, 711, 712. 18 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 555 f. 19 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 181.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
den Anfangsverdachts, d. h. das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine begangene Straftat. Eine eindeutige Einordnung der Strafverfolgungsvorsorge als Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung im Sinne der StPO ist aber schon daher nicht möglich, weil sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Begehung einer Straftat in naher Zukunft bevorsteht, noch nicht so verdichtet hat, dass von der konkreten Gefahr einer Rechtsgutverletzung ausgegangen werden könnte, und ein Anfangsverdacht i. S. d. § 152 II StPO mangels bereits begangener Straftat regelmäßig nicht gegeben ist20: Die Strafverfolgungsvorsorgemaßnahmen verbleiben im Vorfeld der – naturgemäß erst nach der Begehung der Straftat einsetzenden – eigentlichen Strafverfolgung21. Sehr umstritten ist, ob die Strafverfolgungsvorsorge der Strafverfolgung, die gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt, zuzurechnen ist22 oder ob diese der Aufgabe der Gefahrenabwehr und damit der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG unterfällt23. Für die Strafverfolgungsvorsorge nehmen sowohl der Bund als auch die Länder eine Gesetzgebungszuständigkeit für sich in Anspruch24.
II. Rechtsprechung Die verfassungsgerichtliche Judikatur hat bislang meistens die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als zum polizeilichen Auftrag der Gefahrenabwehr gehörig betrachtet25. Das Mecklenburgisch-Vorpommersche und das Brandenburgische Verfassungsgericht sowie schon früher der Bayerische und der Sächsische Verfassungsgerichtshof haben sich dem angeschlossen. Die Verhütung künftiger Straftaten durch das Sammeln von dafür geeigneten Daten sei eine Aufgabe, die zum Bereich der Gefahrenabwehr zähle. Gleiches soll für das Sammeln von Daten zu dem Zweck gelten, die künftige Verfolgung zukünftiger Straftaten zu ermögSiebrecht, JZ 1996, 711, 712. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451. 22 So Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 265 ff.; Denninger, in: Lisken / Denninger, Kap. E, Rn. 165; Schenke, Polizeirecht, Rn. 11 f.; Wolf / Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 20 PolG, Rn. 19 ff.; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 219; Siebrecht, JZ 1996, 711, 713; Soiné, CR 1998, 257 ff.; Waechter, DÖV 1999, 138, 140; Wolter, StV 1989, 358, 365 f.; ders., in: SK StPO, vor § 151, Rn. 160 f.; Zöller, RDV 1997, 163, 165 ff. 23 So Deutsch, S. 190 f.; Kniesel / Vahle, DÖV 1987, 953, 955 f.; ders., Polizeiliche Informationsverarbeitung und Datenschutz im künftigen Polizeirecht, Rn. 18 ff.; Kniesel, ZRP 1987, 377, 380; ders., ZRP 1989, 329, 330; Paeffgen, JZ 1991, 437, 443; Schoch, JuS 1994, 391, 394; Götz, Polizeirecht, Rn. 86 ff.; Knemeyer, in: Gedenkschrift für Tagami, 1993, 131 ff.; ders., Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., 1995, Rn. 11b: „dritte polizeiliche Aufgabenkategorie“; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 590; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 5, Rn. 6. 24 Vgl. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 227. 25 Vgl. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 275; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 20 21
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
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lichen, also Maßnahmen zur Sicherung eines künftigen gerichtlichen Verfahrens bereits zu einer Zeit zu ergreifen, bevor i. S. des § 152 II StPO zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine (begangene) Straftat vorliegen (können)26. 1. Die Entscheidung des BayVerfGH bezüglich der Art. 30 bis 49 PAG Der BayVerfGH sieht die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Teil der Gefahrenabwehr an. In seiner Entscheidung vom 19. 10. 1994, welche alle wesentlichen Vorschriften des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) über die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Polizei (Art. 30 bis 49) betrifft, hat der VerfGH ausgeführt: „Art. 31 Abs. 1 Nr. 1 PAG sieht die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Fall der Gefahrenabwehr, was durch die Anbindung mit dem Wort „insbesondere“ zum Ausdruck kommt. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist daher Teil der Gefahrenabwehr und durch deren Präzisierung bestimmt und nach außen abgegrenzt“27. Der BayVerfGH kommt dann zu einem eindeutigen Fazit: Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist Teil des allgemeinen Polizeirechts, für das die Länder die Gesetzgebungskompetenz besitzen; sie ist nur insoweit ausgegliedert, als das Strafverfahrensrecht (Art. 30, 70, 74 Nr. 1 GG) reicht28. 2. Das Urteil des BVerfG bezüglich § 2 DNA-IFG i.V. m. § 81g StPO Nach § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7. 9. 199829, das von der Bundesregierung 1999 überarbeitet wurde,30 darf eine DNA-Analyse („Genetischer Fingerabdruck“) auch bei rechtskräftig Verurteilten sowie bei schuldunfähigen Straftätern durchgeführt werden. Im Beschluss vom 14. Dezember 2000, welcher richterliche Anordnungen der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren (genetischer Fingerabdruck) wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung in sog. „Altfällen“ rechtskräftig verurteilter Personen betraf, hat das BVerfG entscheiden, dass die gesetzliche Regelung des § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz (DNA-IFG) i.V. m. § 81g StPO weder formell noch inhaltlich gegen Verfassungsrecht verstößt31. Die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greifen nach Ansicht des Senats zwar in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbst26 27 28 29 30 31
MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301. BGBl. I S. 2646. BGBl. I S. 1242. BVerfG, NJW 2001, 879 ff. = StV 2001, 145 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
bestimmung ein, die gesetzliche Regelung in § 2 DNA-IFG i.V. m. § 81g StPO trägt aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Eingriffe in dieses Grundrecht ausreichend Rechnung32. Die Anordnung der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetischen Untersuchung zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren setzt nach Ansicht des Gerichts voraus, dass sich aus schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen die Wiederholungsgefahr von Straftaten mit erheblicher Bedeutung ergibt, für die das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann33. Allein die Annahme, dass eine Rückfallgefahr eines vor langer Zeit verurteilten Betroffenen „nicht sicher auszuschließen“ sei, könne einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht rechtfertigen; es bedürfe vielmehr positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe für die Annahme einer Wiederholungsgefahr34. Die Beschwerdeführer beanstandeten insbesondere unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten, dass der Bund das Gesetz erlassen hatte, obwohl die Länder für die Verhinderung von Straftaten zuständig seien. Bezüglich des § 2 DNA-IFG i.V. m. § 81g StPO hat das Gericht ausgeführt, dass von der Feststellung, Speicherung und zukünftigen Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters nach § 2 DNA-IFG i.V. m. § 81g StPO das Strafverfahren betroffen sei, weil diese Maßnahmen die Beweisführung in künftigen Strafverfahren erleichtern sollen35. Demnach hat das BVerfG den Schluss gezogen, dass den zu prüfenden Vorschriften weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck die Funktion zukommt, zukünftige Straftaten präventiv abzuwehren. Dass darüber hinaus die gewonnenen Daten auch für die Gefahrenabwehr genutzt werden könnten, soll nichts an deren in diesem Zusammenhang repressivem Charakter ändern36. Demnach hatte nach Ansicht des BVerfG der Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz37.
III. Stellungnahme 1. Die Strafverfolgungsvorsorge als Unterfall der Strafverfolgung Nicht der Gefahrenabwehr, sondern der Strafverfolgung ist die Strafverfolgungsvorsorge zuzurechnen, so dass sie daher der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfällt. Während die Gefahrenvorsorge wegen ihres engen und untrennbaren Zusammenhangs mit der BekämpBVerfG, NJW 2001, 879 ff. = StV 2001, 145 ff. BVerfG, StV 2001, 145, 148. 34 BVerfG, StV 2001, 145, 148. 35 BVerfG, StV 2001, 145, 146. 36 BVerfG, StV 2001, 145, 146. 37 BVerfG, StV 2001, 145, 146; s. in der Rechtsprechung auch schon vorher VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653. 32 33
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fung konkreter Gefahren wie diesen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt, steht die Strafverfolgungsvorsorge, die der Durchführung der Strafverfolgung in Bezug auf mögliche zukünftige Straftaten dient, in engem Zusammenhang mit der Strafverfolgung und ist damit zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens i. S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu zählen38. Der beabsichtigte Verwendungszweck aller zur Strafverfolgungsvorsorge gespeicherten Daten wie etwa Fingerabdrücke, Fotos und DNA-Dateien ist gerade der Einsatz bei der Aufklärung zukünftiger Straftaten39. Die Behauptung, das Sammeln von Informationen aus abgeschlossenen Strafverfahren entfalte aus sich heraus eine präventivpolizeiliche Wirkung, weil potentielle Wiederholungstäter das durch die Sammlung erhöhte Risiko einer rascheren Identifizierung kalkulieren und sich deshalb möglicherweise von der Begehung weiterer Straftaten abschrecken ließen,40 erscheint daher wenig überzeugend, weil es darum geht, eine möglichst wirksame polizeiliche Ermittlungstätigkeit zur Aufklärung von Straftaten und ihrer gerichtlichen Aburteilung zu leisten41. Selbst wenn die Aufbewahrung und Speicherung von Strafverfolgungsdaten wegen des höheren Entdeckungsrisikos abschreckend wirken sollte, ist dies lediglich ein „Nebeneffekt“ der Repression42. 2. Gesetzgebungskompetenz der Länder gem. Art. 72 Abs. 1 GG Die Strafverfolgungsvorsorge unterfällt wegen ihres engen Zusammenhangs mit der Strafverfolgung jedenfalls unter dem Aspekt der Annexkompetenz der Kompetenz des Bundes für das gerichtliche Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG43. Daraus ergibt sich aber nicht ohne weiteres das Verbot für den Landesgesetzgeber, den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge landesrechtlich zu regeln44. Vielmehr würde dies nur dann zutreffen, wenn der Bund für den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht hätte und sich damit das in § 6 EGStPO (Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung) statuierte Kodifikationsprinzip auf die Strafverfolgungsvorsorge beziehen würde45. Der Bundesgesetzgeber hat aber bislang keine abschließende Normierung der Strafverfolgungsvorsorge vorgenommen bzw. diesen Bereich unvollständig geregelt46. Da er nur ganz vereinzelte punktuelle Regelungen Schenke, Polizeirecht, Rn. 30. So auch Siebrecht, JZ 1996, 711, 713; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 219; Wolter, StV 1989, 358, 365 f. 40 Vgl. Sternberg-Lieben, NJW 1987, 1242, 1246; VGH München, NJW 1984, 2235. 41 Wolter, GA 1988, 49, 64. 42 Ringwald, ZRP 1988, 178, 180. 43 So auch Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 230; Siebrecht, JZ 1996, 711, 714. 44 A. A. Merten, ZRP 1988, 172 – 173; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 218. 45 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231. 46 Schenke, Polizeirecht, Rn. 12; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 590; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 5, Rn. 6. 38 39
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
wie den § 81b 2. Alt. StPO bezüglich erkennungsdienstlicher Maßnahmen und den § 81g StPO hinsichtlich DNA-Identitätsfeststellungen (sog. „genetischer Fingerabdruck“) getroffen hat, sind die Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG berechtigt, bestehende bundesrechtliche Lücken auf dem Gebiet der Strafverfolgungsvorsorge auszufüllen47. Deshalb bestehen jetzt auch bei Bejahung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen eine Vorschrift wie etwa § 1 I 2 NWPolG48, welcher der Polizei die Aufgabe zuweist, sowohl Straftaten zu verhüten als auch für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen, soweit der Bund hinsichtlich der Strafverfolgungsvorsorge von seinem konkurrierenden Gesetzgebungsrecht nicht abschließend Gebrauch gemacht hat49.
3. Raum für landespolizeigesetzliche Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge Nachgegangen werden soll hier der Frage, inwieweit der Bundesgesetzgeber noch Raum für landespolizeirechtliche Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge lässt50. Dabei wird man grundsätzlich davon auszugehen haben, dass strafprozessuale Ermächtigungsgrundlagen, welche der Bundesgesetzgeber inzwischen für polizeiliche Strafverfolgungsvorsorgemaßnahmen geschaffen hat, – soweit sie unmittelbar einschlägig sind – keinen Raum mehr für die Anwendung landespolizeirechtlicher Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge lassen (vgl. § 81b 2. Alt. StPO). Auch im Hinblick auf die bundesrechtliche Vorschrift des durch das DNAIdentitätsfeststellungsgesetz vom 7. 9. 199851 in die StPO neu eingefügten § 81g StPO, der die DNA-Identitätsfeststellung (sog. „genetischer Fingerabdruck“)52 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 590; Schenke, Polizeirecht, Rn. 12. Entsprechend: § 1 III BerlASOG; § 1 I 2, 1 V 2 BrandPolG; § 1 I 2 Nr. 1 HambPolDVG; § 1 IV HSOG; § 1 I 3 NdsSOG; § 1 I 3 RhPfPOG; § 2 I 2 ThürPAG. In Sachsen-Anhalt wird nunmehr die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten nur als eine „Verhütung zu erwartender Straftaten“ definiert (§ 2 I SachsAnhSOG). Auch in § 1 V BGSG wird nur noch von der Verhütung von Straftaten als Aufgabe der Gefahrenabwehr gesprochen und auch das BKAG bedient sich nunmehr des durch § 1 I 2 VEMEPolG „vorbelasteten“ Begriffs der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. Verbrechen nicht mehr (s. Schenke, Polizeirecht, Rn. 12). 49 Schenke, Polizeirecht, Rn. 71. 50 Dazu eingehend auch siehe Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231 f. 51 BGBl. I 1998, S. 2646. 52 Vgl. hierzu auch BVerfG, NJW 2001, 879 und NJW 2001, 2320; Busch, NJW 2002, 1754 ff.; Fluck, NJW 2001, 2292 ff.; Wollweber, NJW 2001, 2304 ff.; Senge, NJW 1999, 253 ff.; Rath / Brinkmann, NJW 1999, 2697 ff.; Satzger, JZ 2001, 639 ff.; Wenzel, Kriminalistik 1998, 419; Schneider / Rittner, ZRP 1998, 64 ff. Zu Fragen der Zuständigkeit für Anordnung der DNA-Analyse OLG Zweibrücken, NJW 1999, 300; LG Karlsruhe,NJW 1999, 301; AG Bad Kreuznach, NJW 1999, 303; a.A. LG Berlin, NJW 1999, 302; AG Landau, NJW 1999, 303. 47 48
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
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gegenüber dem Beschuldigten auch für Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, also zur Strafverfolgungsvorsorge regelt, bestünde eine Zuständigkeit der Länder zur Schaffung einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage ohnehin nicht. Auch wenn im Übrigen Raum für landespolizeirechtliche Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge bleibt, weil die bundesrechtlichen Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge nicht als abschließend gedacht sind, ist zu beachten, dass die landespolizeirechtlichen Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge nur solange und soweit Geltung beanspruchen können, bis der Bundesgesetzgeber polizeiliche Strafverfolgungsvorsorgemaßnahmen einheitlich und abschließend regelt53. Nach Inkrafttreten abschließender bundesrechtlicher Regelungen müssten die entsprechenden Regelungen in den Landespolizei- und Ordnungsgesetzen aufgehoben werden, soweit sie die informationelle Vorsorge für die spätere Aufklärung oder Verfolgung noch nicht begangener künftiger Straftaten zum Gegenstand haben54. a) Kein Raum mehr für die Anwendung landespolizeirechtlicher Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge hinsichtlich der bundesrechtlichen Regelungen des § 81b 2. Alt. StPO Das Strafprozessrecht weist mit § 81b 2. Alt. StPO eine Vorschrift zur Aufnahme und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Daten zum Zwecke der Strafverfolgung im Fall einer künftiger Straftat auf. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Dabei verweist „Zwecke des Erkennungsdienstes“ auf einen Zweck, der über die Durchführung des jeweiligen konkreten Strafverfahrens hinausgeht55. Daher drängt sich die Frage auf, ob der Bundesgesetzgeber, soweit er die Aufnahme und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Daten nicht nur zum Zwecke der Durchführung eines konkreten Strafverfahrens, sondern auch zur Vorhaltung von Hilfsmitteln für die künftige Strafverfolgung normiert hat, sein Gesetzgebungsrecht ganz oder teilweise überschritten hat56. Trotz vielfältiger Kritik57 ist die Vorschrift des § 81b 2. Alt. StPO – wie sich zumindest im Wege der verfassungskonformen Auslegung ergibt – so zu verstehen, dass die dort genannten Maßnahmen für Zwecke des Erkennungsdienstes nur dann vorgenommen bzw. die bei ihnen gewonnenen personenbezogenen Daten nur dann 53 54 55 56 57
Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 540 u. 670. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 540. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 555. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 229. Vgl. Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 179.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
aufbewahrt werden dürfen, wenn dies der Strafverfolgungsvorsorge dient, welche in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fällt58. Mit § 81b 2. Alt. StPO hat der Bund jedenfalls insoweit von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht, als es sich um die Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen bzw. die Aufbewahrung der dabei gewonnenen personenbezogenen Daten zur besseren Erkennung des Verdächtigen im Falle erneuter Straffälligkeit handelt59. Im Hinblick auf die insoweit bestehende strafprozessuale Ermächtigung in § 81b 2. Alt. StPO können erkennungsdienstliche Maßnahmen zur Strafverfolgungsvorsorge nicht mehr auf die landesrechtlichen Regelungen wie z. B. § 36 I Nr. 2 BWPolG60 gestützt werden61. Bei der hier befürworteten verfassungskonformen Interpretation des § 81b 2 Alt. StPO bleibt für die Anwendung dieser Vorschrift durchaus noch Raum und wird das schneidige und sachlich nicht gerechtfertigte Verdikt der Verfassungswidrigkeit hinsichtlich des § 81b 2. Alt. StPO vermieden62. Selbst wenn man aber die hier bejahte verfassungskonforme Interpretation des § 81b 2. Alt. StPO als zu weitgehend verneinte, wäre § 81b 2. Alt. StPO jedenfalls nicht in vollem Umfang für verfassungswidrig und nichtig zu bewerten, sondern es könnte nur von dessen Teilverfassungswidrigkeit bzw. Teilnichtigkeit ausgegangen werden63. Im Ergebnis ändert sich hierdurch nichts daran, dass ebenso wie bei einer verfassungskonformen Interpretation des § 81b 2. Alt. StPO sich erkennungsdienstliche Maßnahmen, die der Strafverfolgungsvorsorge dienen, auf diese Vorschrift gründen ließen und dasselbe für die spätere Verwendung erkennungsdienstlicher Daten für die Strafverfolgungsvorsorge zu gelten hat, auch wenn diese zunächst zum Zwecke eines konkreten Strafverfahrens aufgenommen worden sind64. Es erscheint auch wenig überzeugend, wenn Knemeyer die Anwendung des § 81b 2. Alt. StPO generell mit dem Argument verneint, dass das Polizeirecht als speziellere Grundlage eine Befugnis zur Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen für präventivpolizeiliche Zwecke bietet und damit die landespolizeirechtliche Regelung erkennungsdienstlicher Maßnahmen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausschließt65. Denn 58 Schenke,Polizeirecht, Rn. 126; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 232; VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653. 59 VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 555. 60 Danach kann der Polizeivollzugsdienst erkennungsdienstliche Maßnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen nur vornehmen, wenn dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil der Betroffene verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben, und die Umstände des Einzelfalles die Annahme rechtfertigen, dass er zukünftig eine Straftat begehen wird. 61 So zutreffend Schenke, Polizeirecht, Rn. 30 u. 126. 62 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 232 – 233. 63 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 233. 64 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 233. 65 Vgl. Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 179.
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
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dem Landesgesetzgeber kommt für den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge keine Gesetzgebungskompetenz mehr zu, soweit der Bund selbst von seiner konkurrierenden Kompetenz Gebrauch gemacht hat und eine Ermächtigungsgrundlage für eine auf diesem Sektor getroffene Maßnahme geschaffen hat, wie dies in § 81b 2. Alt. StPO geschehen ist66. Außerdem kann, wenn man von der (teilweisen) Verfassungsmäßigkeit des § 81b 2. Alt. StPO ausgeht, der Landesgesetzgeber diese bundesrechtliche Norm nicht in Frage stellen. Nicht Landesrecht bricht Bundesrecht, sondern Bundesrecht Landesrecht (Art. 31 GG)67. Andererseits sind auch gegen die Regelungen erkennungsdienstlicher Maßnahmen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder zwecks vorbeugender Verbrechensbekämpfung keine kompetenzrechtlichen Bedenken geltend zu machen, da ebenso wie bei einer verfassungskonformen Interpretation des § 81b 2. Alt. StPO die entsprechenden Regelungen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder zumindest unter dem Aspekt der verfassungskonformen Auslegung so auszulegen sind, dass sie nicht auf die Strafverfolgungsvorsorge68, sondern lediglich auf die Verhütung künftiger Straftaten Bezug nehmen, die in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt69. Da der Geltungsbereich der landespolizeilichen Regelungen erkennungsdienstlicher Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten wie z. B. § 36 I Nr. 2 BWPolG durch die konkurrierende Vorschrift des § 81b 2. Alt. StPO beschränkt ist, kämen sie nur dann als Ermächtigungsgrundlage in Betracht, wenn § 81b 2. Alt. StPO keine Anwendung findet (Art. 31 GG)70. Die Vorschrift des § 81b 2. Alt. StPO stellt keine Ermächtigungsgrundlage für die Aufnahme und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Daten zum Zwecke der Verhütung künftiger Straftaten dar, hinsichtlich derer Regelung den Länder eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit zusteht71. Auf die landespolizeirechtlichen Regelungen wie § 36 I Nr. 2 BWPolG können erkennungsdienstliche Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten daher noch insoweit gestützt werden, als es sich um die Verhütung von Straftaten handelt72. Danach können die Polizeibehörden erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn dies zur Verhütung von Straftaten erforderlich ist73. Daher ist es nicht durchschlagend, wenn ein Teil der PolizeiSchenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 233. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 233. 68 So auch VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653 f. 69 Schenke, Polizeirecht, Rn. 126. 70 VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653. 71 Schenke, Polizeirecht, Rn. 126; VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 654. 72 Nicht überzeugend OVG Münster, NJW 1999, 2689, 2690, wonach auf § 14 I Nr. 2 NWPolG erkennungsdienstliche Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nur gestützt werden können, soweit nicht die konkurrierende Vorschrift des § 81b 2. Alt. StPO anlässlich eines Strafverfahrens gegen einen Beschuldigten zur Gewinnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen für präventivpolizeiliche Zwecke ermächtigt. 73 VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 654. 66 67
8 Son
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rechtslehre74 eine landespolizeirechtliche Regelung erkennungsdienstlicher Maßnahmen wegen abschließender bundesrechtlicher Normierung in § 81b 2. Alt. StPO für verfassungswidrig ansieht. Als Geltungsbereich der landespolizeilichen Regelungen erkennungsdienstlicher Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bleiben neben den Fällen, bei denen es sich um die Verhütung künftiger Straftaten handelt, solche, in denen sich derartige Maßnahmen nicht gegen Beschuldigte, d. h. denjenigen, gegen den die Strafverfolgungsbehörden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet haben, richten, weil Maßnahmen nach § 81b StPO in beiden Alternativen nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden dürfen75. Danach sind die landespolizeirechtlichen Regelungen wie z B. § 36 I Nr. 2 BWPolG noch insoweit heranzuziehen, als erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen Personen, die nicht Beschuldigte i. S. des § 81b 2. Alt. StPO sind, also etwa Strafunmündige oder rechtskräftig Verurteilte angeordnet werden sollen.
b) Kein Raum mehr für die Schaffung landespolizeigesetzlicher Vorschriften über den sog. genetischen Fingerabdruck für Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Der Bundesgesetzgeber hat in § 81g StPO eine eigene strafprozessuale Ermächtigungsgrundlage für die Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetischer Untersuchung (sog. „genetischer Fingerabdruck“) gegenüber dem Beschuldigten auch für Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, also zur Strafverfolgungsvorsorge geschaffen76. Demnach dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtigt ist, Körperzellen entnommen und molekulargenetisch untersucht werden. Zu Zwecken der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren darf eine DNA-Analyse auch bei einem rechtskräftig Verurteilten sowie bei schuldunfähigen Straftätern gem. § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7. 9. 199877 erfolgen. In den Landespolizei- und Ordnungsgesetzen fehlt jedoch eine Regelung über den genetischen Fingerabdruck. Die Regelung des § 36 II BWPolG stellt keine Ermächtigungsgrundlage für den genetischen Fingerabdruck dar, da es sich bei den in § 36 II BWPolG exemplarisch genannten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nur um die Feststellung der äußeren Merkmale einer Person handelt. Außerdem 74 So z. B. Fugmann, NJW 1981, 2227, 2228 f.; Götz, NVwZ 1984, 211, 216; Rachor, in: Lisken / Denninger, Kap. F, Rn. 425. 75 Schenke, Polizeirecht, Rn. 126; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 233. 76 Eingefügt durch § 1 des DAN-Identitätsfeststellungsgesetzes vom 7. 9. 1998, BGBl. I S. 2646. Zur kompetenzrechtlichen Zulässigkeit dieser Regelung BVerfG, NJW 2001, 879 und NJW 2001, 2320. 77 BGBl. I S. 2646.
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stellt der genetische Fingerabdruck einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, und bedarf als solcher einer besonderen Ermächtigungsgrundlage78. Da der Bund insoweit von seiner Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von DNA-Analysen für Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren abschließend Gebrauch gemacht hat, sind die Länder nunmehr nicht befugt, landespolizeirechtliche Regelungen zu erlassen, die die Polizei zu molekulargenetischen Untersuchungen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren ermächtigen. Da DNA-Analysen sowohl der Strafverfolgungsvorsorge als auch der Gefahrenabwehr und der Gefahrenvorsorge dienen können und dem Bund zur Regelung der Gefahrenabwehr und der Gefahrenvorsorge, welche in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, keine Kompetenz zusteht, könnten jedoch DNA-Analysen durch die Landesgesetzgeber für Zwecke der Unterbindung bzw. Verhütung künftiger Straftaten geregelt werden.
c) Kein Raum mehr für die landespolizeigesetzlichen Regelungen einer Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke künftiger Strafverfahren im Anwendungsbereich des § 484 I StPO Das Strafverfahrensänderungsgesetz (StVÄG) 1999 regelt in § 484 StPO, unter welchen Voraussetzungen Strafverfolgungsbehören für Zwecke künftiger Strafverfahren die Personendaten des Beschuldigten und, soweit erforderlich, andere zur Identifizierung geeignete Merkmale in Dateien speichern, verändern und nutzen dürfen79. Der Geltungsbereich des § 484 StPO wird zwar durch § 484 IV StPO eingeschränkt, wonach sich die Verwendung personenbezogener Daten, die für Zwecke künftiger Strafverfahren in Dateien der Polizei gespeichert sind oder werden, ausgenommen die Verwendung für Zwecke eines Strafverfahrens, nach den Polizeigesetzen richtet80. Die Vorschrift bezieht sich jedoch nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur auf die Verwendung bereits gegenwärtig oder in der Zukunft gespeicherter Daten für andere Zwecke als die eines (konkreten) Strafverfahrens, also auch zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge81. Sie regelt damit nicht, dass sich die Speicherung für Zwecke künftiger Strafverfahren gleichfalls nach den Polizeigesetzen bestimmt, sondern verweist nur hinsichtlich der weiteren Verwendung von bereits für die Strafverfolgungsvorsorge in Dateien der Polizei gespeicherten Daten auf die Polizeigesetze82. Daher bleibt es zumindest bei der „ersten“ 78 So auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 125; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 562; a.A. Pieroth / Schlink / Kniesel, § 14, Rn. 57. 79 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 227. 80 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 227. 81 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 227. 82 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 227.
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polizeilichen Speicherung, Veränderung und Nutzung der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen Daten für Zwecke künftiger Strafverfahren bei der bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage des § 484 I StPO83. Sich mit § 484 I StPO teilweise überschneidende Vorschriften normieren aber auch die Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder wie z. B. § 37 I MVSOG, § 39 III NdsSOG und § 189 I SchlHVwG84. So sieht beispielsweise § 39 III NdsSOG vor, dass die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Verfolgung von Straftaten über eine tatverdächtige Person und im Zusammenhang damit über Dritte rechtmäßig erhoben oder erlangt hat, speichern, verändern und nutzen kann, wenn dies wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person erforderlich ist, um für die Verfolgung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person vorzusorgen oder solche Straftaten zu verhüten. Gegen diese Regelung bestehen, soweit sie die Verhütung einer künftigen Straftat zum Gegenstand hat, keine kompetenzrechtlichen Bedenken, weil die Verhütung von Straftaten in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder aus Art. 70 GG für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht fällt85. Hingegen handelt es sich bei der ersten Alternative dieser Norm ebenso wie bei § 484 I StPO offensichtlich um Strafverfolgungsvorsorge86. Damit ist das Verhältnis von § 484 I StPO zu diesen landespolizeirechtlichen Regelungen zu klären. Nach Schaffung der im Rahmen des 4. StVÄG neu eingeführten Regelung des § 484 I StPO, die eine umfassende Regelung für die polizeiliche Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge enthält und in § 484 IV StPO für landespolizeigesetzliche Regelungen nur noch insoweit Raum lässt, als es sich um die Verwendung personenbezogener Daten handelt, die für Zwecke künftiger Strafverfahren in Dateien der Polizei gespeichert sind oder werden, besteht in deren Anwendungsbereich kein Raum mehr für sich hiermit überschneidende Regelungen in den Landespolizei- und Ordnungsgesetzen87. Soweit landespolizeirechtliche Regelungen wie etwa § 37 I MVSOG, § 39 III NdsSOG und § 189 I SchlHVwG sich auf die „erste“ polizeiliche Speicherung, Veränderung und Nutzung der im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gewonnenen Daten zum Zwecke künftiger Strafverfahren, also zur Strafverfolgungsvorsorge beziehen, lassen sich diese Regelungen daher seit Inkrafttreten des 4. StVÄG nicht mehr anwenden88. Die landespolizeigesetzlichen Regelungen, die eine polizeiliche Verwendung der im Rahmen der Verfolgung von Straftaten gewonnenen Daten für Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge normieren, sind damit, soweit nicht die Verweisung des § 484 IV StPO auf die 83 84 85 86 87 88
Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 227. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 228. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 228; ders., Polizeirecht, Rn. 10 u. 23. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 228. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231.
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
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polizeigesetzlichen Regelungen zum Tragen kommt, durch den im Rahmen des 4. StVÄG neu erlassenen § 484 StPO aufgehoben89. Da die Vorschrift des § 484 StPO nur die Verwendung der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen Daten für Zwecke künftiger Strafverfahren betrifft, kann die Verwendung der für strafprozessuale Zwecke erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Verhütung künftiger Straftaten auch immer noch auf landesrechtliche Regelungen wie z. B. § 37 I MVSOG, § 39 III NdsSOG und § 189 I SchlHVwG gestützt werden90.
B. Die Gesetzgebungskompetenz für die Umwidmung personenbezogener Daten Die Übermittlung und Verwendung der einmal erhobenen personenbezogenen Daten entgegen dem ursprünglichen Erhebungszweck wird in Konsequenz des Volkszählungsurteils als eigenständiger Grundrechtseingriff angesehen, der einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf91. Geht man davon aus, dass die Übermittlung und Verwendung für präventivpolizeiliche Zwecke erhobener Daten für strafprozessuale Zwecke einer bereichsspezifischen und präzisen Ermächtigungsgrundlage bedarf, so muss geklärt werden, wer der hierfür zuständige Gesetzgeber ist92. Näher befassen werden sich daher die folgenden Überlegungen mit der Frage, in wessen Gesetzgebungskompetenz es fällt, durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnene personenbezogene Daten zu strafprozessualen Zwecken umzuwidmen93. Hier ist umgekehrt auch zu klären, wem die Gesetzgebungskompetenz für eine Regelung der Verwendung der durch heimliche strafprozessuale Datenerhebungsmaßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke zukommt94.
I. Umwidmung präventivpolizeilich erhobener Daten zu strafprozessualen Zwecken Will die Polizei personenbezogene Daten, welche durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewonnen wurden, für strafprozessuale Zwecke verwenden, bereitet Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231. 91 BVerfGE 65, 1, 51, 62; 100, 313, 360. 92 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 226 – 227. 93 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 94 Vgl. dazu eingehend Wolter / Schenke / Rieß / Zöller (Hrsg.), Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hilger, Heidelberg 2003. 89 90
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder Schwierigkeiten95. Hinsichtlich der Übermittlung und Verwendung der auf der Basis der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder erhobenen personenbezogenen Daten für strafprozessuale Zwecke besteht unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten noch Klärungsbedarf, stellt sich dabei doch die Frage, ob der Landesgesetzgeber, der für die erste polizeiliche Datenerhebung verantwortlich ist, auch abschließende und zwingende Regelung hinsichtlich einer Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage gewonnenen Daten für strafprozessuale Zwecke zu treffen hat (Modell des Verfügungs- und Kontrollrechts des Primärnutzers)96 oder ob über die Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten für strafprozessuale Zwecke ausschließlich der Bundesgesetzgeber zu befinden hat (Modell des Zugriffsrechts des Sekundärnutzers)97 oder ob über die Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr erlangten Daten für strafprozessuale Zwecke grundsätzlich allein der Bundesgesetzgeber zu befinden hat, wobei aber der Landesgesetzgeber in der Lage ist, die Verwendung solcher Daten für strafprozessuale Zwecke an seine Zustimmung zu binden bzw. zu beschränken (Modell der doppelten Tür,98 s. unten B 2)99. Die Problematik drängt sich auch in der umgekehrten Richtung auf, wenn durch einen heimlichen strafprozessualen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnene personenbezogene Daten für präventivpolizeiliche Zwecke verwendet werden sollen.
1. Die Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung und der Strafverfolgungsvorsorge a) Die Ermächtigung zur Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten für Zwecke der Strafverfolgung kann sich nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben Die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten ist grundsätzlich nur zu dem polizeilichen Zweck zulässig, zu dem die Daten erlangt worden sind (vgl. z. B. § 37 II 1 BWPolG). Die weitere Verwendung von personenDazu MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. Dieses Modell liegt den detailliert gefassten Umwidmungsregelungen des G 10 zugrunde, die auf das zweite G 10-Urteil des BVerfG (BVerfGE 100, 313 ff.) zurückgehen. Dazu s. Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 212. 97 So Gärditz, Strafprozess und Prävention, 345; Paeffgen, in: FS für Roxin, 1299, 1306; grundsätzlich auch Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 265; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 645. 98 So MVVerfG, LKV 2000, 345, 347; LR-Hilger, § 481 Rn. 5; Schenke, Polizeirecht, Rn. 31 u. 208 f.; Wolter, ZStW 107 (1995), 793, 821 f.; ders., in: FS für Roxin, 1141, 1152 f. u. 1166 f.; Zöller, Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen, 211 ff. 99 Zu den drei Modellen „Verfügungs- und Kontrollrecht des Primärnutzers“, „Zugriffsrecht des Sekundärnutzers“ und „doppelte Tür“, vgl. Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 212. 95 96
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bezogenen Daten zu einem anderen polizeilichen Zweck als dem, zu dem sie erhoben wurden, ist nur erlaubt, soweit die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck erheben dürfte (vgl. z. B. § 37 II 2 BWPolG)100. Zwar lässt etwa § 37 II 2 BWPolG die Umwidmung „innerhalb präventivpolizeilicher Zwecke“ zu, so dass personenbezogene Daten, die zum Schutz privater Rechte erhoben worden sind (s. § 20 V BWPolG), auch für Zwecke der Abwehr einer Gefahr oder der vorbeugenden Bekämpfung einer Straftat verwendbar sind, wenn sie auch zu diesem Zweck erhoben werden dürften101. Die Vorschrift des § 37 II 2 BWPolG ist aber nicht so zu interpretieren, dass sie eine Ermächtigung zur Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung begründet, d. h. sie erlaubt, präventivpolizeilich erhobene Daten zur Strafverfolgung umzuwidmen102. Denn die Entscheidung darüber, ob die im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen Daten tatsächlich für die Strafverfolgung verwendet werden dürfen, hat grundsätzlich der für letztere zuständige Bundesgesetzgeber zu treffen103. Im Rahmen der Strafverfolgung beinhaltet die vom Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) erlassene StPO nach § 6 EGStPO eine abschließende Regelung der polizeilichen Befugnisse (sog. „Kodifikationsprinzip“)104. Die landesrechtlichen Regelungen wie z. B. § 37 II 2 BWPolG sind, soweit sie die Verwendung der auf der Grundlage der Landespolizei- und Ordnungsgesetze erhobenen Daten auch zum Zwecke der Strafverfolgung umfassen und eine verfassungskonforme Restriktion ausscheidet, als Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenzregel der Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aufgrund der abschließenden Regelung durch den Bund und damit als verfassungswidrig und nichtig anzusehen105. Die Ermächtigung zur strafprozessualen Verwertung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen personenbezogenen Daten kann sich nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben106. Nur wenn und soweit sie dort vorhanden ist, darf der Bund die Daten repressiv verwenden107. Die Strafverfolgung nach Polizeirecht ist rechtlich ebenso unzulässig wie Gefahrenabwehr nach Strafprozessrecht108. Nach dem neu gefassten § 161 I 100 Vgl. § 10a II VEMEPolG; Art. 37 II 2 BayPAG; § 42 II 2 BerlASOG; § 38 I 2 BrandPolG; § 36b BremPolG; § 14 I, II HambPolDVG; § 20 III HSOG; § 36 I 3 MVSOG; § 38 I NdsSOG; § 23 I NWPolG; § 30 I SaarlPolG; § 22 II SachsAnhSOG; § 43 I 2, 3 SächsPolG; § 191 I SchlHVwG; § 39 ThürPAG; § 29 III 3. u. 4 BGSG. 101 BW LT-Drs. 10 / 5230, 47; Zeitler, Rn. 499; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 641. 102 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 641. 103 Schenke, Polizeirecht, Rn. 31. 104 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 29, 124 u. 416. 105 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 124; ders., JR 1970, 48 ff. 106 So auch MVVerfG, LKV 2000, 345, 347; Lisken, DRiZ 1987, 184, 187; Kutscha, NJW 1994, 85, 88; Weil, ZRP 1992, 243, 246 – 247. 107 MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 108 Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 169; Schwan, AöR 1977, 243 ff.; Riegel, BayVBl. 1977, 682 f.
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1 StPO ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden (also auch von den Polizeibehörden) Auskunft über die dort vorhandenen Daten zu verlangen, unabhängig davon, auf welcher Grundlage sie erlangt worden sind109. Der Bundesgesetzgeber hat damit nunmehr eine strafprozessuale Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung der auf der Grundlage der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung geschaffen (vgl. neben § 161 I 1 StPO auch §§ 163 I 2, 483 StPO)110. Von dem Begriff „anderer polizeilicher Zweck“ in § 37 II 2 BWPolG wird also die Strafverfolgung nicht erfasst111.
b) Die Verwendung der für Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Gefahrenvorsorge gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge Die Verwendung personenbezogener Daten zu einem anderen polizeilichen Zweck i. S. des § 37 II 2 BWPolG umfasst jedoch die Strafverfolgungsvorsorge. Personenbezogene Daten, welche durch den Einsatz Verdeckter Ermittler zum Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Verhütung künftiger Straftaten z. B. nach § 22 III BWPolG erlangt worden sind, dürfen deshalb auch zur Strafverfolgungsvorsorge gespeichert, verändert und genutzt werden, weil der Polizeivollzugdienst gemäß § 22 III BWPolG auch zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge zur Erhebung personenbezogener Daten befugt ist. Der Bund hat selbst von seiner Kompetenz zur Regelung vom Einsatz Verdeckter Ermittler zur Strafverfolgungsvorsorge noch keinen Gebrauch gemacht, da der Einsatz Verdeckter Ermittler gem. § 110a StPO die Strafverfolgungsvorsorge nicht zum Gegenstand hat112. Gegen die landesrechtlichen Regelungen wie z. B. § 22 III BWPolG, die die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler auch zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge gestatten, sind daher keine kompetenzrechtlichen Bedenken geltend zu machen. Nach § 37 II 2 BWPolG ist eine Verwendung der durch einen zum Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Verhütung künftiger Straftaten erfolgenden Einsatz von Verdeckten Ermittlern erlangten personenbezogenen Daten für Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge zulässig, weil die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck erheben darf. Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. Problematisch war die vor der Novellierung des § 161 StPO getroffene Entscheidung BGH, NJW 1996, 405, welche die Verwendung der aus einem sog. „Großen Lauschangriff“ nach den Landespolizeigesetzen herrührenden personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung auch dann zuließ, wenn diese Daten nach Strafprozessrecht nicht erhoben werden durften (vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 208); zur Kritik an dieser Entscheidung siehe auch Köhler, StV 1996, 186, 187; Kretschmer, Jura 1997, 581, 584; Welp, NStZ 1995, 601, 603 – 604. 111 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 641. 112 So treffend nunmehr auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 199. 109 110
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Ausgenommen davon wird aber die Verwendung der durch die Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Verhütung künftiger Straftaten erlangten Daten zu dem Zweck, die Strafverfolgung im Falle einer künftigen Straftat zu ermöglichen, d. h. zur Strafverfolgungsvorsorge, weil die Erhebung personenbezogener Daten durch die Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen z. B. gem. § 36 I Nr. 2 BWPolG zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge unzulässig ist113. Hinsichtlich erkennungsdienstlicher Maßnahmen zur Strafverfolgungsvorsorge hat der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht und eine strafprozessuale Ermächtigungsgrundlage für die Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen und die Aufbewahrung der bei ihnen gewonnenen erkennungsdienstlichen Daten zur Strafverfolgungsvorsorge geregelt, wie dies in § 81b 2. Alt. StPO geschehen ist. Damit dürfte insoweit kein Raum mehr für landesrechtliche Regelungen wie z. B. § 37 II 2 BWPolG bestehen, als es sich um die Verwendung personenbezogener Daten, die für Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Verhütung künftiger Straftaten durch erkennungsdienstliche Maßnahmen gewonnen wurden, zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge handelt; nach § 37 II 2 BWPolG ist eine Verwendung personenbezogener Daten zu einem anderen polizeilichen Zweck als dem, zu dem sie erhoben wurden, nur dann zulässig, wenn die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck erheben dürfte. Soweit die Vorschrift des § 37 II 2 BWPolG die Verwendung der zum Zwecke der Gefahrenabwehr (einschließlich der Verhütung von Straftaten) aufgenommenen erkennungsdienstlichen Daten für die Strafverfolgungsvorsorge erfasst, verstößt sie gegen die Gesetzgebungskompetenzregel der Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aufgrund der abschließenden Regelung durch den Bund und ist damit verfassungswidrig und nichtig. Die Befugnis zu einer solchen Nutzung kann sich nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben. Allerdings fehlt es an einer bundesrechtlichen Vorschrift, welche die spätere Verwendung erkennungsdienstlicher Daten, die zunächst für Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Verhütung künftiger Straftaten aufgenommen worden sind, zum Zwecke der Vorhaltung von Hilfsmitteln für die zukünftige Strafverfolgung regelt; § 81b 2. Alt. StPO stellt nur eine Ermächtigungsgrundlage für die Aufnahme und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge bzw. zur Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Daten, die zu Zwecken der Aufklärung einer Straftat gegenüber dem Beschuldigten eines konkreten Ermittlungsverfahrens aufgenommen worden sind, später jedoch außerhalb dieses Ermittlungsverfahrens in kriminalpolizeilichen Sammlungen zum Zwecke der Strafverfolgung im Falle einer künftigen Straftat aufbewahrt werden, dar114. Die Vorschrift des § 484 I StPO betrifft auch die Verwendung der nur bei 113 VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 555; Schenke, Polizeirecht, Rn. 30 u. 126; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 233; a.A. Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 179. 114 VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 652, 653; BVerwG, DÖV 1990, 117; VGH München, NVwZ-RR 1998, 496.
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der Strafverfolgung, nicht aber bei der Gefahrenabwehr gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge. Die bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 161, 163 I 2, 483 StPO beinhalten ferner lediglich eine Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung.
2. Die Gesetzgebungskompetenz für die Beschränkung der Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung Die Entscheidung darüber, ob die im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen personenbezogenen Daten tatsächlich für die Strafverfolgung verwendet werden dürfen, hat der grundsätzlich für die Strafverfolgung zuständige Bundesgesetzgeber zu treffen115. Die Ermächtigung zur Verwendung solcher Daten zum Zwecke der Strafverfolgung kann sich nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben116. Bezogen auf die Übermittlung und Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten zum Zwecke der Strafverfolgung bedarf es unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten noch einer Klärung, ob die Länder im Hinblick auf ihre ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 70 Abs. 1 GG für das allgemeine Polizeiund Ordnungsrecht in der Lage sind, die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erlangten personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung zu beschränken,117 oder eine Regelung der Beschränkung für die Verwendung dieser Daten zum Zwecke der Strafverfolgung – ebenso wie die Entscheidung über eine solche Verwendung – ausschließlich dem Bundesgesetzgeber überlassen bleibt118. a) Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Verwendungsbeschränkungen Über die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung hat grundsätzlich der Bundesgesetzgeber zu entscheiden119. Der Landesgesetzgeber ist im Hinblick auf seine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz aus Art. 70 Abs. 1 GG für das allMVVerfG, LKV 2000, 345, 347; Schenke, Polizeirecht, Rn. 31 und 208. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 117 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347; Schenke, Polizeirecht, Rn. 31 u. 208 f.; zum umgekehrten Fall der Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke s. LR-Hilger, § 481 Rn. 5; Wolter, ZStW 107 (1995), 793, 821 f.; ders., in: FS für Roxin, 1141, 1152 f. u. 1166 f.; Zöller, Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen, 211 ff. 118 Vgl. zum umgekehrten Fall der Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 645; Paeffgen, in: FS für Roxin, 1299, 1306; Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263 ff. 119 Schenke, Polizeirecht, Rn. 31. 115 116
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gemeine Polizei- und Ordnungsrecht dabei aber befugt zu bestimmen, ob und inwieweit personenbezogene Daten, welche die Polizei in Erfüllung ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr gewonnen hat, überhaupt nach Maßgabe bundesrechtlicher Regelungen zum Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden dürfen, weil die Gesetzgebungskompetenz des Landes auch dafür gegeben ist, dass das Landesrecht den Weg dazu eröffnet, präventiv erhobene Daten zur Strafverfolgung umzuwidmen120. Die Kompetenz des Landes zur Regelung von Datenerhebungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr bzw. der Gefahren- und Strafverfolgungsvorsorge (mit Ausnahme der §§ 81b 2. Alt., 81g StPO)121 schließt zugleich die Befugnis ein, durch Festsetzung von Übermittlungsschwellen jedenfalls dem Grunde nach zu bestimmen, ob und inwieweit die auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen personenbezogenen Daten auch zum Zwecke der Strafverfolgung nutzbar gemacht werden sollen. Dies rechtfertigt sich daraus, dass ein der unbeschränkten Dispositionsfreiheit des Bundes überlassener Zugriff auf präventivpolizeiliche Daten zu einer Gefährdung und Beeinträchtigung der Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr führen kann122. Deutlich wird dies beispielsweise, soweit durch eine auf Grundlage präventivpolizeilich erhobener Daten vorgenommene strafprozessuale Maßnahme eine Enttarnung der Informationsquelle droht, die sich dann nicht mehr weiter für präventivpolizeiliche Zwecke abschöpfen lässt123. Da durch die Verwendung derartiger präventiv erhobener Daten zum Zwecke der Strafverfolgung und ihre damit oft einhergehende Pflicht zur Offenbarung der Zweck der ersten polizeilichen Datenerhebung, d. h. die Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr gefährdet und beeinträchtigt werden kann, ist es dem Landesgesetzgeber zu gestatten, den Rahmen festzulegen, innerhalb dessen präventivpolizeilich erhobene Daten verwendet werden dürfen124. Geht man davon aus, dass der Landesgesetzgeber in der Lage ist, die Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung von vornherein zu beschränken, unterliegt dieser bei der Festsetzung der Übermittlungsschwelle für solche Daten aber Begrenzungen, die sich aus dem Grundsatz der Bundestreue i.V. m. den grundrechtlichen 120
MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. Vgl. zu dem sog. Modell der „doppelten Tür“ unten
B 2. 121 Für den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge gilt nicht das in § 6 EGStPO normierte Kodifikationsprinzip, weil der Bund die Strafverfolgungsvorsorge bisher nicht abschließend, sondern nur punktuell geregelt hat (s. §§ 81b 2. Alt.; 81g StPO). Daher sind die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG befugt, der Polizei im Rahmen der Strafverfolgungsvorsorge zusätzliche, bislang im Bundesrecht nicht normierte Eingriffsbefugnisse einzuräumen, vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 35 122 Zum umgekehrten Fall der Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke s. Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 217. 123 So treffend Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 217. 124 Im Ergebnis wohl auch Gärditz, Strafprozess und Prävention, 2003, 344; W.-R. Schenke, Polizeirecht, Rn. 31; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 234; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 217.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Schutzpflichten ergeben125. Der Grundsatz der Bundestreue – auch Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens genannt – fordert, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen126. Daher sind die Länder verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihrer Gesetzgebungskompetenzen die Auswirkungen ihrer Regelungen auf den Bund und die anderen Länder zu berücksichtigen, wenn dadurch die Belange des Bundes oder der übrigen Länder in unvertretbarer Weise beeinträchtigt oder geschädigt werden127. Wenn die Länder die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung von vornherein vollständig ausschließen, müsste dies die Wahrnehmung der dem Bund obliegenden Aufgabe einer wirksamen Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten erheblich erschweren128. Der vollständige Ausschluss der Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten für Zwecke der Strafverfolgung kommt zumindest dort nicht in Betracht, wo ein Zugriff auf präventivpolizeilich erhobene Daten zur wirksamen Aufklärung oder Verfolgung gerade schwerer Straftaten als ein wesentlicher Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens129 zwingend erforderlich ist. Andernfalls müsste dies zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der dem Bund nach Art. 2 Abs. 2 GG obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person führen. Die Länder sind also unter Beachtung grundrechtlicher Schutzpflichten verpflichtet, dem Bund die Verwendung ihrer auf polizeigesetzlicher Grundlage gewonnenen Daten zumindest zur Aufklärung oder Verfolgung besonders schwerer Straftaten zu ermöglichen. Die bisherigen Überlegungen zusammenfassend bestehen insoweit keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder gegen Vorschriften wie z. B. die §§ 21 IV, 22 VII sowie § 23 III 2 BWPolG, die davon ausgehen, dass präventivpolizeilich angefertigte Bild- und Tonaufzeichnungen zum Zwecke der Verfolgung von Straftaten (gem. § 21 IV BWPolG auch von Ordnungswidrigkeiten) verwendet werden können, da diese Vorschriften der Länder selbst keine Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung von Bild- und Tonaufzeichnungen zum Zwecke der Strafverfolgung bieten, sondern die Disposition über solche Verwendung dem Bundesgesetzgeber überlassen, der insoweit grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz für ihre Regelung besitzt und von ihr auch in der StPO Gebrauch gemacht hat (s. §§ 161, 163 I 2, 483 StPO)130. Der baden-württembergische Gesetzgeber hat nur geregelt, dass und in welchem Umfang personenbezogene Daten, welche die Polizei in Erfüllung Dazu eingehend Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 221. BVerfGE 92, 203, 230; zum Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens s. Maurer, Staatsrecht, Rn. 50 ff. 127 BVerfGE 4, 111, 140, 34, 9, 44. 128 Im Ergebnis wohl auch Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 221. 129 BVerfGE 77, 65, 76 m. w. N.; 80, 367, 375. 130 Schenke, Polizeirecht, Rn. 208. 125 126
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
125
ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr erhoben hat, zur Verfolgung von Straftaten (nach § 21 IV BWPolG auch von Ordnungswidrigkeiten) herausgegeben werden dürfen. Damit greift dieser nicht auf das Strafverfahrensrecht hinüber131. Da sich aus der Gesetzgebungskompetenz des Landes aus Art. 70 Abs. 1 GG für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht auch die Befugnis ergibt, den Weg dazu zu eröffnen, präventiv erhobene Daten zum Zwecke der Strafverfolgung umzuwidmen, kann der baden-württembergische Gesetzgeber seinerseits bestimmen, ob präventivpolizeilich angefertigte Bild- und Tonaufzeichnungen zur Verfolgung von Straftaten nutzbar sein sollen, wobei sich dann die Befugnis zur Nutzung dieser Daten für die Strafverfolgung nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben kann132. Er kann sich also für die Regelung der §§ 21 IV, 22 VII sowie 23 II 2 BWPolG auf eine ausreichende Kompetenzgrundlage in Art. 70 Abs. 1 GG stützen.
b) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Statuierung der Verwendungsbeschränkung Dem Bundesgesetzgeber bleibt es in der StPO überlassen, noch über Vorschriften wie z. B. die §§ 21 IV, 22 VII sowie 23 II 2 BWPolG hinausgehende Beschränkungen für die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erlangten personenbezogenen Daten zur Strafverfolgung zu statuieren133. Geschehen ist dies in § 161 II sowie § 100f II StPO. Die Verwendungsbeschränkungen, die in der StPO normiert sind, beziehen sich im Wesentlichen auf den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen134. Die Verwendung der durch den sog. Großen Lauschangriff, d. h. die heimliche akustische und optische Überwachung von Wohnungen ohne Beisein eines ermittelnden Amtsträgers durch Einsatz technischer Mittel,135 zu präventivpolizeilichen Zwecken (Art. 13 Abs. 4 GG, § 23 BWPolG) gewonnenen Daten für Zwecke der Strafverfolgung wird durch § 100f II StPO eingeschränkt136. So dürfen personenbezogene Daten, die der Polizeivollzugsdienst durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person z. B. gemäß § 23 I BWPolG erlangt hat, zwar im Strafverfahren unbeschränkt als Spurenansatz verwendet werden137. Wenn sie zu BeweisVgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 133 Vgl. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 235. 134 Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. 135 Vgl. Gornig, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 13, Rn. 67; Der Unterschied zum sog. „Kleinen Lauschangriff“ liegt dabei darin, dass sich bei letzterem der Ermittler innerhalb der Wohnung befindet und hier durch Einsatz technischer Mittel heimlich Aufzeichnungen vornimmt; zum Begriff siehe auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 153. 136 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 642. 137 Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. 131 132
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
zwecken im Strafprozess verwendet werden sollen, ist jedoch die Vorschrift des § 100f II StPO zu beachten, wonach personenbezogene Daten, die durch eine polizeirechtliche Maßnahme erlangt worden sind, die der Maßnahme nach § 100c I Nr. 3 entspricht, zu Beweiszwecken nur verwendet werden dürfen, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 100c I Nr. 3 StPO bezeichneten Straftat benötigt werden. Für die Verwendung der durch einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen z. B. gem. § 23 I BWPolG erhobenen Daten zu Beweiszwecken muss also eine Tat aus dem Katalog des § 100c I Nr. 3 StPO im Mittelpunkt stehen138. Personenbezogene Daten aus der präventiven Überwachung von Wohnungen gem. § 23 I BWPolG dürfen – worauf das MVVerfG zu Recht hinweist – insoweit nur dann zur Strafverfolgung umgewidmet werden, wenn es sich um Straftaten handelt, zu deren Aufklärung nach der StPO der Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen zulässig gewesen wäre (sog. hypothetischer Ersatzeingriff)139.
II. Umwidmung strafprozessual erhobener Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken Ermächtigungsgrundlagen der heimlichen polizeilichen Datenerhebung finden sich auch in der Strafprozessordnung (vgl. z. B. §§ 98a, 98b, 100c I Nr. 1 u. Nr. 2, 100d, 110a – 110e, 163e, 163f StPO)140. Danach ist die Polizei befugt, personenbezogene Daten heimlich auch zu Zwecken der Strafverfolgung zu erheben. Um einer effektiven Gefahrenabwehr willen müssen die Polizeibehörden dabei in der Lage sein, auf jene Daten zuzugreifen, die im Bereich ihrer Landesbehörden präsent sind, aber zu anderen Zwecken, hier also zur Strafverfolgung, erhoben wurden141. Will die Polizei personenbezogene Daten, die für strafprozessuale Zwecke durch einen heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnen wurden, zum Zwecke der Gefahrenabwehr nutzen, so ist – ebenso wie bei dem umgekehrten Fall der Verwendung der auf polizeigesetzBrodersen, NJW 2000, 2536, 2539. MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. 140 Durch das „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität“ (OrgKG) vom 15. 7. 1992 wurden Bestimmungen zur Rasterfahndung (§§ 98a, 98b StPO), zum Datenabgleich (§ 98c StPO), zum verdeckten Einsatz technischer Mittel (§§ 100c, 100d StPO), zum Einsatz verdeckter Ermittler (§§ 110a – e StPO) sowie zur polizeilichen Beobachtung (§ 163e StPO) eingefügt (v. 15. 7. 1992, BGBl. I S. 1302; vgl. auch BT-Drs. 12 / 2720). Durch das „Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts“ (StVÄG 1999) wurde auch eine Befugnis zur Erhebung personenbezogener Daten durch die längerfristige Observation (§ 163f StPO) zu Zwecken der Strafverfolgung in die StPO eingefügt (v. 2. 8. 2000, BGBl. I S. 1253; vgl. auch BT-Drs. 14 / 1484). Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 236. 141 Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 264. 138 139
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
127
licher Grundlage durch einen heimlichen Informationseingriff erlangten Daten zum Zwecke der Strafverfolgung – zu klären, welche Voraussetzungen bei einer solchen Umwidmung von Daten erfüllt sein müssen142 und wer unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten für entsprechende gesetzliche Regelungen zuständig ist. Nachfolgend soll zunächst darauf eingegangen werden, wem die Gesetzgebungskompetenz für eine Regelung der Übermittlung und Verwendung der durch einen der Strafverfolgung dienenden heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke zukommt143.
1. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Regelung der Verwendung der auf der Basis der StPO erhobenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke In landespolizeirechtlichen Vorschriften wie z. B. § 38 I 1, IV 1 BWPolG wird die Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke vorgesehen144. Nach § 38 I 1 BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens bekannt geworden sind, speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist145. § 38 IV 1 BWPolG regelt die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten in automatisierten Dateien, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erforderlich ist. Über die Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr (einschließlich der Verhütung künftiger Straftaten) hat grundsätzlich der für die letztere zuständige Landesgesetzgeber zu befinden. Die Kompetenz der Länder zu solchen Regelungen ergibt sich aus deren ausschließlicher Gesetzgebungskompetenz nach Art. 70 Abs. 1 GG für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht146. Sie wird auch in der bundesrechtlichen Regelung des § 481 I StPO anerkannt, wonach die Polizeibehörden nach Maßgabe der Polizeigesetze personenbezogene Informationen aus Strafverfahren verwenden dürfen147. S. hierzu unter 3. Teil 2. Kapitel. Dazu eingehend Wolter / Schenke / Rieß / Zöller (Hrsg.), Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hilger, Heidelberg 2003. 144 Schenke, Polizeirecht, Rn. 209. 145 Vgl. § 10a III VEMEPolG; Art. 38 II BayPAG; § 42 III BerlASOG; § 20 IV HSOG; § 23 SachsAnhSOG; § 43 II SächsPolG; § 39 II BrandPolG; § 16 II HambPolDVG; § 37 I MVSOG; § 24 II NWPolG; § 40 II ThürPAG; § 39 III NdsSOG; § 25d I RhPfPOG; § 30 II SaarlPolG; § 189 II SchlHVwG. 146 Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 264. 147 Schenke, Polizeirecht, Rn. 209. 142 143
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Die durch das StVÄG 1999 neu geschaffene Vorschrift des § 484 StPO lässt in § 484 IV StPO für landespolizeigesetzliche Vorschriften wie z. B. § 38 I 1 2. Alt., IV 1 BWPolG, welche zu einer polizeilichen Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge ermächtigen, nur noch insoweit Raum, als es sich um die Verwendung personenbezogener Daten handelt, die für Zwecke künftiger Strafverfahren in Dateien der Polizei gespeichert sind oder werden148.
2. Die Gesetzgebungskompetenz für die Beschränkung der Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke a) Das Modell der doppelten Tür Vor Inkrafttreten des StVÄG 1999 fanden sich Regelungen über die Verwendung der aus Strafverfahren herrührenden personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke ausschließlich in den Landespolizei- und Ordnungsgesetzen. Ein Beispiel hierfür ist die Vorschrift des § 38 I BWPolG149. Die Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke wurde deshalb als ausschließliche Angelegenheit der Länder betrachtet und nicht von einer entsprechenden Ermächtigung oder Zustimmung seitens des Bundesgesetzgebers abhängig gemacht150. Im StVÄG 1999 und bereits vorher im Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist der Bundesgesetzgeber jedoch dem „Modell der doppelten Tür“ gefolgt151; danach kann der Bundesgesetzgeber durch eine bundesrechtliche „Öffnungsklausel“ bestimmen, ob und inwieweit die im Rahmen eines Strafverfahrens gewonnenen personenbezogenen Daten auch für präventivpolizeiliche Zwecke nutzbar sein sollen, die Entscheidung über eine solche Nutzung bleibt aber dem Landesgesetzgeber in seinen Polizeiund Ordnungsgesetzen überlassen. Dabei fungiert die Vorschrift des § 481 I StPO, die darauf hinweist, dass eine Verwendung der aus einem Strafverfahren herrührenden personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke „nach Maßgabe der Polizeigesetze“ zu erfolgen hat, als Öffnungsklausel für die nähere Ausgestaltung der Datenumwidmung durch den Landesgesetzgeber152.
Vgl. dazu oben 2. Teil 1. Kapitel A. III. 3. c). Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 213. 150 LR-Hilger, § 481 Rn. 5; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 214. 151 Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 213. 152 Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 264; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 645. 148 149
1. Kap.: Gesetzgebungskompetenz
129
b) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Verwendungsbeschränkung Nach § 481 I 1 StPO dürfen Polizeibehörden nach Maßgabe der Polizeigesetze personenbezogene Informationen aus Strafverfahren verwenden. § 481 I 2 StPO sieht hierzu ergänzend vor, dass zu den dort genannten Zwecken Strafverfolgungsbehörden an Polizeibehörden personenbezogene Informationen aus Strafverfahren übermitteln dürfen. Gem. § 481 I 3 gelten die Sätze 1 und 2 nicht in den Fällen, in denen die Polizei ausschließlich zum Schutz privater Rechte tätig wird. Die Vorschrift des § 481 I StPO betrifft nicht die Strafverfolgung, sondern die weitere Nutzung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke, so dass der Schwerpunkt der Regelung im Bereich der von den Ländern zu verantwortenden Gefahrenabwehr liegt153. Für die Vorschrift des § 481 I StPO stellt sich zwar die kompetenzrechtliche Frage, ob eine Kompetenz des Bundes besteht, die es ermöglicht, die Verwendung der auf der Basis der StPO gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke dadurch an seine Zustimmung zu binden und zu beschränken, dass er die Zulässigkeit und den Umfang einer solchen präventiven Verwendung von einer bundesrechtlichen Öffnungsklausel wie § 481 I StPO abhängig macht154. Für eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass der Öffnungsklausel spricht aber der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG155. Eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs liegt nach Ansicht des BVerfG dann vor, „wenn eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt wird“156. Für die Regelung einer entsprechenden Öffnungsklausel ist eine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs zu bejahen, da die Verwendung strafprozessual erhobener Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken die Effizienz der Strafverfolgung gefährden kann157. Vom Bundesgesetzgeber kann und muss eine solche Umwidmung durch eine bundesrechtliche Regelung beschränkt werden, welche die Strafverfolgung erschweren könnte. Hierbei wäre vom Bundesgesetzgeber zu regeln, unter welchen Voraussetzungen von den Polizeibehörden nicht auf die strafprozessual erhobenen Daten zugegriffen werden darf. Daher kann der Bundesgesetzgeber, der über die Datenerhebung beschließt, – vorbehaltlich von Begrenzungen seiner Gesetzgebungskompetenz durch grundRalf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 216. Vgl. grundsätzlich ablehnend Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 265 f. 155 So auch Wolf-Rüdiger Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 234; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 217; anders aber Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 266, wonach keine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs, sondern eine Annexkompetenz des Bundes nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht komme. 156 BVerfGE 3, 407, 421; 8, 143, 149; 12, 205, 238; 22, 180, 210; 26, 281, 300; 98, 265, 299. 157 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 234; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 217. 153 154
9 Son
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
rechtliche Schutzpflichten sowie den Grundsatz der Bundestreue – zugleich auch regeln, ob und inwieweit die im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen Daten auch für präventivpolizeiliche Zwecke nutzbar sein dürfen, wobei sich dann die Ermächtigung zur einer solchen Nutzung nur aus den jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder ergeben kann. Aus diesem Grunde bestehen insoweit keine grundsätzlichen kompetenzrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 481 I StPO, als sie keine Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung personenbezogener Informationen aus Strafverfahren zu präventivpolizeilichen Zwecken bildet, sondern die Entscheidung über diese Verwendung dem Landesgesetzgeber überlässt158. Auch für die Übermittlung personenbezogener Daten aus Strafverfahren durch die Strafverfahrensbehörden an die Polizei gemäß § 481 I 2 StPO, die nur dann in Betracht kommt, wenn die Polizei die Daten nach Maßgabe der Polizeigesetze (vgl. z. B. § 38 BWPolG) für Zwecke der Gefahrenabwehr verwenden kann, lässt sich eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes unter dem Gesichtspunkt der Annexkompetenz bejahen159. Allerdings sind unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten Bedenken gegen die im Rahmen des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 neu eingeführte Regelung des § 100f I StPO geltend zu machen, wonach personenbezogene Informationen, welche durch einen Lauschangriff nach § 100c I Nr. 3 StPO ermittelt worden sind, außer für die Zwecke eines Strafverfahrens auch zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit einer Person oder erheblicher Sach- oder Vermögenswerte verwendet werden dürfen160. Derartige Bedenken wären aber nur dann begründet, wenn man die Vorschrift des § 100f I StPO als eine unmittelbare bundesrechtliche Eingriffsbefugnis ansähe. Denn dann hätte der Bundesgesetzgeber tatsächlich durch die Vorschrift des § 100f I StPO eine zum Polizei- und Ordnungsrecht gehörige Gesetzgebungskompetenz ausgeübt, die dem Bundesgesetzgeber verschlossen ist und damit als solche nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Strafverfolgung rechtfertigt werden könnte. Die Vorschrift des § 100f I StPO ist zumindest unter dem Aspekt der verfassungskonformen Auslegung so zu interpretieren, dass sie selbst noch keine bundesrechtliche Eingriffsbefugnis enthält. Vielmehr muss sich die Ermächtigung zur Verwendung strafprozessual erhobener Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr aus Landesrecht ergeben161. Schenke weist zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift des § 100f I StPO schon auf der Ebene des Bundesrechts sichern will, dass eine Verwendung personenbezogener Daten, die durch den Einsatz akustischer Mittel zur Wohnraumüberwachung nach § 100c I Nr. 3 StPO ermittelt worden sind, angesichts der 158 Hierzu kritisch Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 267; treffend hingegen Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 234. 159 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 234. 160 Dazu eingehend s. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 234 – 235. 161 MVVerfG, LKV 2000, 345, 347.
2. Kap.: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
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Schwere eines solchen Eingriffs auch für Zwecke der Gefahrenabwehr nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig sein kann. Insofern stellt sie eine gesetzliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar162.
c) Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Statuierung der Verwendungsbeschränkung Dem Landesgesetzgeber obliegt es, eine weitere, noch über § 100f I 2. Alt. StPO hinausgehende Beschränkungen für die Verwendung der aus einem Lauschangriff herrührenden personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke zu statuieren, wie dies z. B. in § 37 II 2 BWPolG geschehen ist163. Nach § 37 II 2 BWPolG ist die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu einem anderen polizeilichen Zweck als dem, zu dem die Erhebung erfolgte, nur dann zulässig ist, wenn die Polizei die Daten zu diesem Zweck erheben dürfte. Als Konsequenz des in § 37 II 2 BWPolG gewährleisten Prinzips des „hypothetischen Ersatzeingriffs“ kommt eine Verwendung der bei einem Lauschangriff gewonnenen personenbezogenen Daten zur Abwehr einer Gefahr für erhebliche Sach- oder Vermögenswerte nicht in Betracht, obwohl sie durch die bundesrechtliche Vorschrift des § 100f I 2. Alt. StPO noch nicht ausgeschlossen ist. Denn die Erhebung von personenbezogenen Daten in oder aus Wohnungen durch den Einsatz technischer Mittel nach § 23 I BWPolG ist nur zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person zulässig.
2. Kapitel
Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Für die verfassungsrechtliche Würdigung polizeilicher Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung und damit in Verbindung stehender Maßnahmen zur Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist neben der Frage der Gesetzgebungskompetenz auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung maßgeblich. Das Volkszählungsurteil des BVerfG hat insbesondere die Informationseingriffsproblematik verdeutlicht und verbindlich klargestellt, dass staatliche Informationseingriffe einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage bedürfen164. Jeder Akt staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten 162
Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 235; Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263,
268. 163 164
9*
Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 235. Merten, NJW 1992, 354; Merten / Merten, ZRP 1991, 213.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
ist selbst ein Eingriff in die Freiheitsrechte, der folglich, soweit er nicht durch die Einwilligung des Betroffenen gedeckt ist, einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Auch bei polizeilichen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung und der weiteren Verwendung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten zu anderen polizeilichen Zwecken handelt es sich um Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Für informationelle Eingriffsmaßnahmen der Polizei muss die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben geeignet und erforderlich sein und darf die dem Gesetz Unterworfenen nicht übermäßig und unzumutbar belasten165. Die verfolgten Zwecke und die zu ihrer Erreichung angewendeten Mittel sind in eine Relation zueinander zusetzen166. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung stehen in besonderer Weise im Konflikt mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen und rufen daher einen besonderen Legitimationsbedarf hervor, der durch materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Anforderungen erfüllt wird167.
A. Schutzbereiche des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Wann liegt ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht vor? Eines der zentralen Probleme dieser Arbeit ist es, den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu bestimmen. Ob eine behördliche Maßnahme Eingriffsqualität hat, beurteilt sich, wie bei allen Grundrechten, gerade danach, ob sie in den Schutzbereich des Grundrechts eingreift168. Was diesen nicht berührt, kann kein Eingriff sein169. Das im Volkszählungsurteil des BVerfG entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung erleichtert dabei von seinem Inhalt her die Bestimmung des Eingriffscharakters von Informationsakten170 erheblich171.
Vgl. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 264 unter IV.1.b). Vgl. MVVerfG, ebenda. 167 Götz, NVwZ 1994, 652, 660. 168 Denninger, CR 1988, 51, 55. 169 Gusy, CR 1989, 628, 633. 170 Vgl. hierzu näher Schwan, VerwArch. Bd. 66 (1975), 120, 128; Vahle, VR 1986, 258, 259 f.; Groß, AöR 113 (1988), 161, 166 f.; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 180; Gusy, CR 1989, 628, 633; Denninger, CR 1988, 51, 55; Knemeyer, NVwZ 1988, 193, 194 f.; Bäumler, JR 1984, 361, 362; Riegel, RiA 1984, 121; Kowalczyk, Datenschutz im Polizeirecht, 48 f. 171 Rosenbaum, Jura 1988, 178, 180. 165 166
2. Kap.: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
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I. Die Gewährleistung des Datenschutzes durch spezielle Freiheitsgrundrechte Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hat das BVerfG das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil abgeleitet172. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verleiht dem einzelnen die Befugnis, „selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“173. Dieses ergänzt, wie das BVerfG schon im Eppler-Beschluss klarstellt, als „unbenanntes“ Freiheitsrecht die speziellen („benannten“) Freiheitsrechte, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen, nur insoweit, als Letztere keinen Schutz gewähren174. Soweit ein besonderer Lebensbereich durch ein spezielles Freiheitsgrundrecht geschützt ist, kann sich der Einzelne bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt in die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht auf das allgemeine Grundrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG berufen175. Bei der Überprüfung des grundrechtlichen Schutzes vor staatlichen Informationsakten ist daher zunächst zu klären, inwieweit ein solcher durch die speziellen Freiheitsgrundrechte gewährleistet wird, bevor auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden darf176.
1. Die speziellen Grundrechtsbestimmungen des Datenschutzes Das Grundgesetz gewährt den Schutz vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten in erster Linie durch spezielle Grundrechte und damit in Form von Teilgewährleistungen177. Gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind die Art. 10 und 13 GG lex specialis178. Neben dem Geheimnisschutz des Art. 10 GG und der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 GG ist hier auch an die Gewährleistung der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu denken, vor allem soweit das forum internum des Glaubens und Gewissens in Betracht kommt179. Diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 140 GG / Art. 136 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung enthält zwar ein ausdrückliches verfassungsrechtliches Auskunftsverweigerungsrecht in Bezug auf die religiöse Über172 173 174 175 176 177 178
BVerfGE 65, 1, 42. BVerfGE 65, 1, 43. BVerfGE 54, 148, 153. BVerfGE 6, 32, 37; 67, 157, 171. Deutsch, S. 85 ff. Vgl. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3; Vogelgesang, S. 92. Vgl. BVerfGE 51, 97, 105; 67, 157, 171; 100, 313, 358; BVerfG, NJW 2004, 999,
1005. 179
Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
zeugung180. Zu Recht weist deshalb das BVerfG im Volkszählungsurteil darauf hin, zur Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG gehöre nicht nur das Recht, seine religiöse Überzeugung zu bekennen, sondern auch zu schweigen, wie dies durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 WRV besonders anerkannt sei181. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG jedoch einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG verneint, da die Befragung nach der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft im Rahmen einer gesetzlich angeordneten statistischen Erhebung für Bundeszwecke (Art. 73 Nr. 11 GG) erfolgte und damit der Ausnahmetatbestand des Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV182 eingriff183. Darüber hinaus werden im Schrifttum Art. 6 sowie die Art. 5, 8 und 9 GG als spezielle Verbürgung der Privatsphäre angesehen184. Demgegenüber hat es das BVerfG nicht anerkannt, den der ehelichen und familiären Privatsphäre gebührenden Schutz bei Art. 6 GG anzusiedeln185. Es sah die Grundlage des Schutzes der brieflichen Kommunikation zwischen Ehegatten und Eltern und Kindern in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, der dem Einzelnen eine Privatsphäre garantiert, deren Schutz auch die vertrauliche Kommunikation umfasst186. Das BVerfG zieht wiederholt den Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gerade im Zusammenhang mit der richterlichen Briefkontrolle im Strafgefangenen- bzw. Untersuchungshaftverhältnis als ausschlaggebenden oder zumindest als flankierenden Maßstab neben Art. 6 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG heran187. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht zieht insoweit Grenzen für die strafrechtliche Sanktionierung oder für die Befugnis, Briefe eines Untersuchungsgefangenen an seinen Ehegatten oder seine Eltern anzuhalten, die einen beleidigenden Inhalt über Dritte enthalten188. Art. 6 (sowie Art. 5 Abs. 1) GG wird insoweit nur als besondere Verstärkung qualifiziert189: „Das durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Gebot der Achtung der Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich erfährt durch die Verfassungsgarantie von Ehe und Familie eine besondere Verstärkung“190. Danach ist der Schutz der ehelichen und familiären Privatsphäre wegen Art. 6 GG besonders Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3. Vgl. BVerfGE 65, 1, 39. 182 Art. 136 Abs. 3 WRV: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert“. 183 Vgl. BVerfGE 65, 1, 39. 184 Dazu näher s. Rohlf, S. 136 ff. u. 171 ff.; Vogelgesang, S. 89 ff.; Deutsch, S. 85 ff. 185 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3. 186 Vgl. BVerfGE 35, 35, 39 f.; 42, 234, 236 f. – Briefkontakt mit Ehegatten; BVerfGE 57, 170, 178 f. – Breifkontakt mit Eltern. 187 Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 156. 188 Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 156. 189 Vgl. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3. 190 Vgl. BVerfGE 35, 35, 40; 42, 234, 236; 57, 170, 178; 60, 329, 339. 180 181
2. Kap.: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
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stark191. Im Eppler-Beschluss vom 3. 6. 1980 hat das Gericht auch betont, dass Art. 5 Abs. 1 GG weder gegen Missverständnisse oder Verfälschungen einer geäußerten Meinung durch andere schütze noch dieses Grundrecht einen Anspruch auf staatlichen Schutz vor der Verbreitung von Meinungen begründen könne, die man nicht geäußert habe192. Im Zusammenhang mit dem Datenschutz ist das Gericht im Volkszählungsurteil auch der Auffassung, Art. 5 Abs. 1 GG schütze auch gegenüber der Ermittlung, Speicherung und Weitergabe von Tatsachen, so dass der grundrechtliche Schutz vor Informationseingriffen ausschließlich durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet werde,193 nicht gefolgt: „Ein solcher Schutz würde von vornherein bei Informationseingriffen durch Datenerhebungen versagen, die bei Dritten oder durch heimliche Beobachtungen (Observationen) vorgenommen werden. An einer Meinungsäußerung fehlt es aber auch, wenn der Betroffene selbst Angaben zu einer statistischen Erhebung macht“, weil es bei Angaben im Rahmen statistischer Erhebungen wie denen des Volkszählungsgesetzes 1983 um reine Tatsachenmitteilungen gehe, die mit Meinungsbildung nichts zu tun hätten194. Das Gericht hat auch die Art. 8 und 9 GG bislang in keinem Fall als Prüfungsmaßstab herangezogen195. Allerdings erkennt das BVerfG, dass die Art. 10 und 13 GG spezielle Gewährleistungen des Schutzes vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personengezogener Daten enthalten196.
2. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG verbürgt dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und auf seine freie Entfaltung einen elementaren Lebensraum197. Dieses sichert dem Einzelnen einen für ein menschenwürdiges Leben notwendigen räumlichen Bereich privater Lebensgestaltung als Rückzugsbereich198. Das schließt insbesondere ein, dass er dort unbeobachtet handeln und sich äußern kann199. Dem Einzelnen soll das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“,200 gerade in seinen Wohnräumen gesichert Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 376. BVerfGE 54, 148, 152 – 153. 193 Vgl. z. B. Eberle, DÖV 1977, 306, 308. 194 BVerfGE 65, 1, 41. 195 Vgl. BVerfGE 54, 148, 152 f.; 65, 1, 40 f., 43. 196 Vgl. BVerfGE 32, 54, 68 ff.; 42, 212, 218 ff.; 33, 1, 11; 67, 157, 169 ff.; 100, 313, 358; BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. 197 Vgl. BVerfGE 42, 212, 219; 51, 97, 110; BVerfG, NJW 2004, 999, 1000; MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 198 MVVerfG, LKV 2000, 345, 351; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 464. 199 MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 200 Vgl. BVerfGE 27, 1, 6. 191 192
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sein201. Art. 13 Abs. 1 GG schützt die räumliche Privatsphäre insbesondere in Gestalt eines Abwehrrechts202. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG hat einen engen Bezug zur Menschenwürde und steht zugleich in einem nahen Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Privatsphäre des Bürgers203. Zur Persönlichkeitsentfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung zählt die Möglichkeit, ohne Angst vor staatlicher Überwachung innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen204. Geschützt werden auch Gefühlsäußerungen, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie Ausdrucksformen der Sexualität205. Die Möglichkeit entsprechender Entfaltung bedingt, dass der Einzelne über einen dafür geeigneten Freiraum verfügt206. Auch die vertrauliche Kommunikation benötigt jedenfalls dann ein räumliches Substrat, wenn die Rechtsordnung um der höchstpersönlichen Lebensgestaltung willen einen besonderen Schutz gewährt und die Bürger auf diesen Schutz vertrauen207. Das ist regelmäßig die Privatwohnung, die für andere zu verschließen ist. Verfügt der Einzelne über einen solchen Raum, kann er für sich sein und sich nach selbst gesetzten Maßstäben frei entfalten208. Die Privatwohnung dient dem Einzelnen als „letztes Refugium“, in dem sich die Freiheit seiner Gedanken unbeobachtet manifestieren kann209. Sie ist damit als Ort ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde210. Dies fordert zwar nicht einen absoluten Schutz der Räume der Privatwohnung, wohl aber absoluten Schutz des Verhaltens in diesen Räumen, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung zeigt211. Art. 13 Abs. 1 GG schützt mit der Wohnung umfassend den räumlichen Bereich privater Lebensgestaltung und erstreckt diesen auf jeden nicht allgemein zugänglichen Raum, der Personen als Aufenthaltsstätte dient212. Danach umfasst die Wohnung – in Anlehnung an die weite Auslegung des Wohnungsbegriffes durch das BVerfG213 – außer den eigentlichen Wohnräumen auch Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäfts201 Vgl. BVerfGE 32, 54, 75; 51, 97, 107; 75, 318, 328; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002; MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 202 Vgl. BVerfGE 7, 230, 238; 65, 1, 40; BVerfG, NJW 2004, 999, 1000. 203 Vgl. BVerfGE 32, 54, 73; 51, 97, 107; 75, 318, 328; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002; MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 204 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 205 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 206 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 207 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 208 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 209 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002 u. 1020. 210 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002 u. 1020. 211 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 212 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 967. 213 Vgl. z. B. BVerfGE 32, 54, 69 ff. = NJW 1971, 2299.
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räume sowie anderes befriedetes Besitztum, wie z. B. Campingwagen, Zelt, Hausboot, soweit es auch als Medium zur Entfaltung von Privatheit dient214. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG formuliert, dass Wohnung i.S. des Art. 13 GG allein die räumliche Privatsphäre sei215. Dieses Grundrecht normiere für die öffentliche Gewalt ein grundsätzliches Verbot, gegen den Willen des Wohnungsinhabers in die Wohnung einzudringen und darin zu verweilen, aber auch Abhörgeräte in der Wohnung zu installieren oder sie dort zu benutzen216. Dazu gehörten hingegen nicht Erhebungen und die Einholung von Auskünften, die ohne Eindringen oder Verweilen in der Wohnung vorgenommen werden können217. Sie würden von Art. 13 GG nicht erfasst werden218. Dieses Passage wäre dahin gehend zu verstehen, dass Art. 13 GG nur vor dem körperlichen Eindringen in die Wohnung – durch Betreten oder durch das Einbringen von Abhörgeräten wie „Wanzen“ –, nicht aber vor unkörperlichen Eingriffen, wie z. B. dem Abhören und Aufzeichnen von außerhalb der Wohnung durch Richtmikrofone, schütze219. Demgegenüber sind die Landesverfassungsgerichte und die h. M. in der Literatur davon ausgegangen, dass das Grundrecht des Art. 13 GG stets betroffen ist, wenn staatliche Stellen – unabhängig davon, auf welchem technischen Wege – mit Hilfe technischer, optischer und akustischer Hilfsmittel die innerhalb der Wohnung stattfindenden Vorgänge überwachen, ausspähen oder belauschen220. Der besondere grundrechtliche Schutz der Wohnung soll die Wohnung in ihrer Funktion sichern, nämlich als räumliche Privatsphäre, als Ort, an dem der Einzelne damit rechnen kann, in Ruhe gelassen zu werden221. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG soll vor jeder Art staatlichen Zugriffs auf die Wohnung schützen, der die darin stattfindende private Lebensgestaltung beeinträchtigen kann222. In der neueren Rechtsprechung zum Großen Lauschangriff223 zu Zwecken der Strafverfolgung in Art. 13 Abs. 3 GG entscheidet das BVerfG jedoch in Abkehr 214 Vgl. Schenk, Polizeirecht, Rn. 154; Ruthig, JuS 1998, 506, 511 f.; Gusy, Polizeirecht, Rn. 258; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 461. 215 BVerfGE 65, 1, 40 unter Bezugnahme auf BVerfGE 32, 54, 72. 216 BVerfGE 65, 1, 40; 76, 83, 89 f.; BVerfG, NJW 2004, 999, 1000. 217 BVerfGE 65, 1, 40. 218 BVerfGE 65, 1, 40; kritisch hierzu s. Guttenberg, NJW 1993, 567, 568 f. 219 Guttenberg, NJW 1993, 567, 568. 220 So SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 967; MVVerfG, LKV 2000, 345, 351; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 460; Schwan, DÖV 1975, 661, 667; Gusy, JuS 1980, 718, 720 f.; Rohlf, S. 157, 161; Vahle, VR 1986, 258, 261; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 54; Deutsch, S. 119; Guttenberg, NJW 1993, 567, 568 f.; Kutscha, NJW 1994, 85, 86; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; Ruthig, JuS 1998, 506, 512; zurückhaltend bzgl. von außen wirkender Eingriffe Kunig, in: v. Münch / Kunig, GG, 4. Aufl. 1992, Art. 13, Rn. 16. 221 Guttenberg, NJW 1993, 567, 568. 222 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 967. 223 Der sog. „Große Lauschangriff“ ist die heimliche akustische und optische Wohnraumüberwachung ohne Beisein eines ermittelnden Amtsträgers durch Einsatz technischer Mit-
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von der bisherigen Rechtsprechung224, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nicht nur im physischen Eindringen in den Wohnraum und in dem Anbringen von technischen Mitteln in den geschützten Räumen, sondern auch im Belauschen der Vorgänge in der Wohnung mit akustischen Hilfsmitteln liege225. Er werde durch die Speicherung und Verwendung der gewonnenen Daten sowie durch deren Weitergabe an andere Stellen fortgesetzt226. Einen Eingriff stelle jede Form akustischer oder optischer Wohnraumüberwachung dar, unabhängig davon, ob er durch technische Mittel erfolge, die in den geschützten Räumen angebracht oder von außerhalb der Wohnung eingesetzt würden, zum Beispiel unter Nutzung von Richtmikrofonen227. Damit unterfallen auch Informationseingriffe, die nicht mit einem körperlichen Eindringen in die Wohnung verbunden sind, dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 13 GG. Die Notwendigkeit eines derart ausgeweiteten Schutzes ergab sich für das BVerfG aus der technischen Entwicklung, die es erlaubt, in die räumliche Privatsphäre auch auf andere Weise einzudringen228. Bei der Schaffung des Grundgesetzes trug zwar Art. 13 Abs. 1 GG primär dem Schutz des Wohnungsinhabers vor unerwünschter physischer Anwesenheit von Trägern der öffentlichen Gewalt bei229. Seitdem sind jedoch neue technische Möglichkeiten für Gefährdungen des Grundrechts in Erscheinung getreten. Der Schutzzweck der Grundrechtsnorm würde, wie das BVerfG zu Recht ausführt, vereitelt, wenn der Schutz vor einer Überwachung der Wohnung durch technische Hilfsmittel, auch wenn sie von außerhalb der Wohnung eingesetzt werden, nicht von der Gewährleistung des Absatz 1 umfasst wäre230. Demnach schaffe Art. 13 Abs. 3 GG eine konstitutive Beschränkung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG231. Dies gelte aber nur insoweit, als die Überwachung von außen solche innerhalb der Wohnung stattfinden Vorgänge erfasst, die der natürlichen Wahrnehmung von außerhalb des geschützten Bereichs entzogen sind232. Wenn ein Einzelner in der Wohnung laut spricht oder seine Wohnungsfenster offen belässt und damit die Wahrnehmbarkeit der Kommunikation von außen selbst ermöglicht, verlässt er selbst seine räumliche Privatsphäre233. tel. Der Unterschied zum „Kleinen Lauschangriff“ liegt dabei darin, dass sich bei letzterem der Ermittler innerhalb der Wohnung befindet und hier durch Einsatz technischer Mittel heimlich Aufzeichnungen vornimmt; zum Begriff s. Schenke, Polizeirecht, Rn. 153; Gornig, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 13, Rn. 67. 224 BVerfGE 65, 1, 40. 225 BVerfG, NJW 2004, 999, 1001 u. 1005. 226 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. 227 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005 unter Bezugnahme auf SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 967; Herdegen, BK 1993, Art. 13, Rn. 42. 228 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 229 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 230 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 231 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 232 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005 – 1006; so schon Guttenberg, NJW 1993, 567, 568. 233 Vgl. Guttenberg, NJW 1993, 567, 568; BVerfG, NJW 2004, 999, 1006.
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In der Lauschangriff-Entscheidung vom 3. 3. 2004 weist das BVerfG unter Bezugnahme auf das G 10-Urteil234 zutreffend auch darauf hin, dass das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht neben Art. 13 GG nicht zur Anwendung kommt, soweit Eingriffe in die räumliche Privatsphäre des Wohnungsinhabers zu überprüfen sind235. Nach Ansicht des Gerichts enthält Art. 13 GG eine spezielle Gewährleistung des Schutzes vor staatlicher Überwachung der räumlichen Privatsphäre, die die allgemeinere Vorschrift insoweit verdrängt236. Art. 13 GG ist also lex specialis gegenüber dem im Persönlichkeitsrecht wurzelnden Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese Spezialität wirke sich wegen des weiten Schutzbereichs von Art. 13 GG nicht nur gegenüber der staatlichen Überwachung selbst aus237. Sein Schutz erstrecke sich vielmehr auch auf notwendige Vorbereitungsakte und auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Erhebung anschließe, sowie auf den Gebrauch, der von den erlangten Kenntnissen gemacht werde238. Das Grundrecht aus Art. 13 GG bleibt also Maßstab auch für die Eingriffe nach Erhebung personenbezogener Daten, also vor allem deren Nutzung239. Mit dem Recht, in der Wohnung ungestört zu sein, und dem Recht am eigenen in der Wohnung gesprochenen Wort schütze nach Auffassung des BVerfG das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 GG gerade den Teil der Privatsphäre, den sonst das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleiste240. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts komme hingegen insoweit in Betracht, als von der Wohnraumüberwachung Personen betroffen würden, die sich als zufällig Anwesende in einer überwachten Wohnung nicht auf das speziellere Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG berufen könnten241. Maßnahmen der Wohnraumüberwachung können sowohl Wohnungsinhaber als auch zufällig in einer Wohnung Anwesende erfassen. Diese Personen sind zwar nicht in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG, wohl aber in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen, weil Grundrechtsträger des Art. 13 Abs. 1 GG jeder Inhaber oder Bewohner eines Wohnraums ist, unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Wohnraums beruht; bei mehreren Bewohnern einer Wohnung steht das Grundrecht jedem Einzelnen, bei Familien mithin jedem Familienmitglied zu242. Der Schutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Vgl. BVerfGE 100, 313 ff. BVerfG, NJW 2004, 999, 1005 unter Bezugnahme auf BVerfGE 100, 313, 358; aber schon MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 236 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005; BVerfGE 100, 313, 358; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 237 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005; BVerfGE 100, 313, 359. 238 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005; BVerfGE 100, 313, 359. 239 MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 240 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. 241 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. 242 BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. 234 235
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Art. 1 Abs. 1 GG kann insoweit allerdings nicht weiter reichen als derjenige aus Art. 13 GG243. Auskunftspflichten über die Wohnung fallen, worauf das BVerfG schon im Volkszählungsurteil hingewiesen hat, nicht unter Art. 13 GG244. Da das Grundrecht des Art. 13 GG auch räumliche Bedingungen eines ungestörten privaten und beruflichen Lebens schützt, sind bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Eingriffs die Art. 4, 6 und 12 GG keine als Maßstabsnormen eigenständig hinzutretenden Grundrechte245. Der Schutz der räumlichen Privatsphäre kann aber in Einzelfällen durch weitere Grundrechtsgarantien ergänzt sein246. So wird z. B. das Gespräch zwischen Eheleuten in der eigenen Wohnung sowohl von Art. 13 Abs. 1 GG als auch zusätzlich durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt247. Auch bezüglich der Gespräche mit Berufsgeheimnisträgern können neben dem grundrechtlichen Schutz der räumlichen Privatsphäre Grundrechte in Betracht kommen, die – wie etwa Art. 4 GG im Hinblick auf das Gespräch mit einem Geistlichen oder Art. 12 GG im Hinblick auf das Gespräch des Rechtsanwalts mit seinem Mandanten in der Kanzlei – der besonderen Schutzbedürftigkeit der Kommunizierenden Rechnung tragen248. 3. Der grundrechtliche Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG Das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Recht auf informationelle Selbstbestimmung kommt auch neben Art. 10 GG nicht zur Anwendung249. Art. 10 enthält drei Grundrechtsgarantien: Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Bezogen auf den Brief-, Post- und Fernmeldeverkehr enthält Art. 10 GG eine spezielle Garantie, die die allgemeine Vorschrift verdrängt250. Art. 10 GG hat einen engen Bezug zur Menschenwürde251. Er schützt, wie das BVerfG dies ausgedrückt hat, den „vor den Augen der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen (Informationen) und wahrt damit die Würde des denkenden und freiheitlich handelnden Menschen“252. Er steht damit in einem Ergänzungsverhältnis zu Art. 13 Abs. 1 GG, der die Kommunikation in der räumlich geschützten Privatsphäre schützt253. Der durch 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253
BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. Vgl. BVerfGE, 65, 1, 40. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. Vgl. BVerfGE 67, 157, 171; 100, 313, 358; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1788. Vgl. BVerfGE 67, 157, 171; 100, 313, 358; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1788. Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2. Vgl. BVerfGE 67, 157, 172. Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2.
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Art. 10 GG vermittelte Datenschutz wird in Einzelfällen durch weitere, bereichsspezifische Grundrechtsgarantien ergänzt254. Hierunter fällt insbesondere der Schutz von Vertrauensverhältnissen, unter anderem zwischen Presse und Informanten, aber auch die anderen geschützten Amts- und Berufsgeheimnisse etwa von Ärzten, Geistlichen und Rechtsanwälten255. Das Briefgeheimnis schützt Briefe als Instrumente der körperlichen Übermittlung individueller Kommunikation256. Unter Brief versteht man jede individuelle schriftliche Kommunikation an einen oder mehrere bestimmte Empfänger257. Geschützt wird der briefliche Verkehr einzelner Personen untereinander gegen eine Kenntnisnahme der öffentlichen Gewalt von dem Inhalt des Briefes258. Die grundrechtliche Gewährleistung des Briefsgeheimnisses bezieht sich sowohl auf das Geheimnis des Briefinhalts als auch auf den brieflichen Verkehr als solchen259. Das Briefgeheimnis schützt deshalb auch vor einer gezielte Beobachtung darüber, wer wann und wie oft Briefe von wem bekommt oder an wen schreibt260. Demnach kommt es nicht darauf an, ob es um einen verschlossenen oder offenen Brief geht261. Wer die Versendung vornimmt, spielt auch keine Rolle262. Der Schutz des Briefsgeheimnisses erstreckt sich lediglich auf eine „individuelle“ schriftliche Mitteilung, die vom Absender an eine oder mehrere bestimmte Personen gerichtet ist263. Daher werden Sendungen an einen unbestimmten Personenkreis, wie Postwurfsendungen, nicht umfasst, soweit sie keine sich aus dem Schriftstück ergebende Absender-Adressat-Beziehung erkennen lassen264. Unter Briefe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 GG fallen also neben den eigentlichen Briefen auch Telegrame, Postkarten und Drucksachen, nicht aber Zeitungen265. Der Schutz des Postgeheimnisses erstreckt sich auf alle postalisch beförderten Sendungen, vom Brief über die Zeitungssendung und Warenprobe bis zur Postanweisung, von der Einlieferung bei der Post bis zur Ablieferung beim Empfänger266. Das Postgeheimnis überschneidet sich insoweit mit dem Briefgeheimnis, Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 4. Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 4. 256 Vgl. Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3. 257 Vgl. Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3. 258 Vgl. BVerfGE 33, 1, 11; 67, 157, 171. 259 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 62. 260 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 62. 261 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 62; Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 10, Rn. 10; Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3; a.A. BVerwGE 76, 152, 153 f. 262 Vgl. Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3. 263 Vgl. Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3. 264 Vgl. Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3; Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 10, Rn. 10. 265 Vgl. Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 3; Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 10, Rn. 10; Katz, Staatsrecht, Rn. 779. 266 Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 769; Katz, Staatsrecht, Rn. 778; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 63; Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 5. 254 255
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
als es die Übermittlung individueller schriftlicher Mitteilungen durch die Post schützt267. Geschützt werden auch unverschlossene Sendungen268. Der Schutz des Postgeheimnisses bezieht sich nicht nur auf den Inhalt aller von der Post vermittelten Sendungen269. Vielmehr erstreckt er sich auch auf sämtliche Umstände, die die konkrete Benutzung der Post betreffen, wie z. B. Art und Weise, Zeit und Ort der Postbenutzung sowie die an der Benutzung als Absender und Empfänger beteiligten Personen270. Das Fernmeldegeheimnis schützt die unkörperliche Übermittlung individueller Kommunikation mit Hilfe des Fernmeldeverkehrs und damit auch der Telekommunikation271. Umfasst werden damit z. B. der Telefon-, Telefax-, Telegrammund Fernschreibeverkehr, aber auch Computernetze wie das Internet272. Dem steht nicht entgegen, dass dem Verfassungsgesetzgeber im Zeitpunkt der Schaffung des GG bestimmte Formen der modernen Telekommunikation noch nicht bekannt waren273. Denn der Begriff des Fernmeldegeheimnisses ist elastisch genug, um auf die heutigen technischen Gegebenheiten im Kommunikationswesen zu reagieren274. Da Art. 10 GG nur eine individuelle Kommunikation schützt, werden Rundfunksendungen für die Allgemeinheit sowie an jedermann adressierte Inhalte des Internets nicht erfasst275. Die grundrechtliche Gewährleistung des Fernmeldegeheimnisses bezieht sich sowohl auf den Inhalt geführter Telefongespräche als auch auf die näheren Umstände des Fernmeldeverhältnisses276. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen und Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist277. Auch insoweit darf der Staat grundsätzlich keine Kenntnis nehmen. Das Grundrecht will die Bedingungen einer freien Telekommunikation aufrechterhalten 278. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein279. Mit der grundrechtlichen Gewährleistung der Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses soll verhindert werden, dass der Meinungs- und InformationsVgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 769; Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 5. Vgl. BVerwG, NVwZ 1998, 1084. 269 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 63. 270 Vgl. BVerfGE 67, 157, 172 = NJW 1985, 121; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 63; Katz, Staatsrecht, Rn. 778; Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 10, Rn. 11. 271 Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2. 272 Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2. 273 Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2. 274 Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2. 275 Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 2.; Jarass / Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 4. 276 Vgl. BVerfGE 67, 157, 172. 277 Vgl. BVerfGE 67, 157, 172; 85, 386, 396; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1788; OVG Münster, NJW 1975, 1335. 278 Vgl. BVerfG, NJW 2003, 1787, 1788. 279 Vgl. BVerfGE 100, 313, 358 = NJW 2000, 55; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1788. 267 268
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austausch mit Hilfe von Telekommunikationsanlagen daher unterbleibt oder nach Form und Inhalt verändert verläuft, da die Beteiligten damit rechnen müssen, dass staatliche Stellen sich in die Kommunikation einschalten und Kenntnisse über die Kommunikationsbeziehungen oder Kommunikationsinhalte erlangen280. Das Fernmeldegeheimnis wird beeinträchtigt, wenn staatliche Stellen sich ohne Zustimmung der Beteiligten Kenntnis von dem Inhalt oder den Umständen eines fernmeldetechnisch vermittelten Kommunikationsvorgangs verschaffen281. In seiner Entscheidung zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst hat das BVerfG hervorgehoben, dass Art. 10 GG nicht nur gegenüber der staatlichen Kenntnisnahme von Fernmeldekommunikationen schütze, welche die Kommunikationspartner für sich behalten wollten, sondern sich sein Schutz auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die zulässige Kenntnisnahme anschließe, und den Gebrauch, der von den erlangten Kenntnissen gemacht wird, erstrecke282. Dieser Datenschutz geht im Anwendungsbereich der Telekommunikation dem sonst durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht vermittelten, aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Datenschutz vor283. Die Auffassung, wonach etwa eine Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation gem. § 100a StPO gewonnenen Erkenntnisse für die polizeiliche Gefahrenabwehr nur einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht dagegen in Art. 10 GG beinhalte,284 steht daher bereits im eindeutigen Widerspruch zum zweiten G 10Urteil des BVerfG285.
II. Der allgemeine Datenschutz durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht 1. Grundsätzliche Subsidiarität gegenüber Spezialgrundrechten Das aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann als Prüfungsmaßstab nur zur Anwendung kommen, soweit spezielle Freiheitsgrundrechte ausscheiden. Der durch spezielle Freiheitsgrundrechte vermittelte Datenschutz ist aber lückenhaft, und umfasst eben nur Teilgewährleistungen286. Nicht alles, was dem Bereich des Privaten zuzurechnen ist, wird durch ihn erfasst und abgeschirmt287. So fehlt es etwa an einem ausdrück280 281 282 283 284 285 286 287
Vgl. BVerfGE 100, 313, 359 = NJW 2000, 55; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1789. Vgl. BVerfGE 100, 313, 366 = NJW 2000, 55; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1789. Vgl. BVerfGE 100, 313, 359 unter Bezugnahme auf BVerfGE 65, 1, 46. Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 4. So Zeitler, Rn. 507. Vgl. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 5. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 5.
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lichen einzelgrundrechtlichen Geheimnisschutz für die wichtigen Gebiete des Sexualverhaltens des Menschen oder seines körperlichen und geistigen Gesundheitszustandes288. Das Postulat des lückenlosen Geheimnisschutzes verweist auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, das bereitsteht, „unbenannte Freiheitsrechte“ aufzunehmen und ihre Verletzung abzuwehren289. Der durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vermittelte, aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Datenschutz kann aber auch im Blick auf moderne Entwicklungen und der mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit besondere Bedeutung gewinnen, wenn die speziellen („benannten“) Freiheitsrechte, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen, hierauf nicht zugeschnitten sind290. Der Einzelne bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes291. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG ausführlich die sich aus der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) ergebenden besonderen Bedrohungen des Individuums ausgeführt292. Mit Hilfe des allgemeinen Datenschutzes, der seine Gestalt im informationellen Selbstbestimmungsrecht gefunden hat, wird die individuelle Persönlichkeit vor den spezifischen Gefahren durch die EDV mit ihren Integrationsmöglichkeiten geschützt.
2. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Freiheit um der Menschenwürde willen Die Menschenwürde ist tragendes Konstitutionsprinzip und oberster Verfassungswert293. Wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht dieses Bekenntnis zu der Menschenwürde auch den Art. 2 Abs. 1 GG294. Das in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht steht in engem Zusammenhang mit der menschlichen Würde. Ihrem Schutz dient – neben speziellen Freiheitsverbürgungen – das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen kann295. Wegen des offenen, vom BVerfG fortlaufend zu konkretisierenden Tatbestands des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat die Rechtsprechung des BVerfG den Inhalt Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 5. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 5. 290 BVerfGE 54, 148; Degenhart, JuS 1992, 361. 291 BVerfGE 65, 1, 42. 292 BVerfGE 65, 1, 42. 293 Vgl. BVerfGE 6, 32, 36; 45, 187, 227; 72, 105, 115; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001; Wintrich, BayVBl. 1957, 137; Benda, in: FS für Geiger, 23. 294 Vgl. BVerfGE 27, 1, 6. 295 Vgl. BVerfGE 54, 148, 153; 65, 1, 41. 288 289
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des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet. Dabei betont das BVerfG stets den engen Bezug zu der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde, die für Art. 2 Abs. 1 GG Inhalts- und Abgrenzungsfunktion hat296. Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG müsse berücksichtigt werden, dass nach der Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG die Menschenwürde unantastbar sei und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beanspruche297. Als Auslegungsrichtlinie dient die Menschenwürdegarantie zur Verstärkung des Grundrechtsschutzes gegenüber staatlichen Maßnahmen, denen ihr Bezug zur Menschenwürde eine besondere Bedeutung verleiht298. 3. Der Schutz aller personenbezogener Daten vor ihrer Erhebung und Verarbeitung a) Personenbezogene Daten als Schutzobjekt des informationellen Selbstbestimmungsrechts In Konsequenz des Volkszählungsurteils des BVerfG wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht – anders als noch im Mikrozensus-Beschluss299 – unabhängig davon, ob die erhobenen oder verwendeten Daten thematisch die Privatoder gar Intimsphäre betreffen, also unabhängig von der qualitativen Aussagekraft der betroffenen persönlichen Daten, gewährt300. Denn gerade heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung lässt sich in dem Verbund aller verfügbarer Daten über eine Person ein umfassendes Persönlichkeitsprofil erschließen;301 „insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ,belangloses‘ Datum mehr“302. Geschützt werden somit alle personenbezogenen Daten, die in individualisierter, nicht anonymisierter Form erhoben und verarbeitet werden. Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das aus der Verbindung der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit abgeleitet wird, die individuelle Freiheit schützt, kann seine Schutzwirkung erst entfaltet werden, wenn die Daten „personenbezogen“ sind303. Es ist gerade die „Personenbezogenheit“, die die Daten dem Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zuordnet. Sachbezogene Daten fallen dagegen nicht unter einen individualrechtlichen Grundrechtsschutz und damit auch nicht unter das Recht auf 296 297 298 299 300 301 302 303
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S. BVerfGE 34, 238, 245; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 28. Vgl. BVerfGE 34, 238, 245. Vgl. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, Rn. 54. BVerfGE 27, 1 ff. – Mikrozensus = NJW 1969, 1707. So treffend Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 174. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 174; Wanner, CR 1986, 216, 222. BVerfGE 65, 1, 45. Bär, BayVBl. 1992, 618, 619.
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informationelle Selbstbestimmung304. Der Begriff der personenbezogenen Daten als Schutzobjekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung deckt sich mit der Legaldefinition des Bundesdatenschutzgesetzes 305. Gemäß § 3 I BDSG sind personenbezogene Daten alle Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person; dabei sind Einzelangaben zum einen Daten, die den Betroffenen bestimmen oder bestimmbar machen (z. B. Name, Kfz-Kennzeichen, Personalnummer etc)306. Einzelangaben sind zum anderen aber auch Daten, die einen in der Person des Betroffenen liegenden oder auf den Betroffenen bezogenen Sachverhalt beschreiben (etwa Adressen, Einkommen, Familienstand, Beruf, Halter eines Pkw, aber auch der Zeitpunkt von Straftaten, ihrer Begehungsform und ihr Umfang etc.)307. Gemeint sind damit in einem umfassenden Sinne sämtliche denkbaren Informationen über Zustände, Äußerungen, Handlungen oder Verhältnisse einer Person308. Sachbezogene Daten sind hingegen alle Informationen, die nicht mit einer natürlichen Person verknüpft sind (etwa die Existenz eines Hinterausgangs aus einem Hotel, Abflugzeiten einer bestimmten Linienmaschine etc.)309.
b) Der Schutz in jeder Phase und jeder Form der Datenverarbeitung Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG ein umfassendes Rech auf informationelle Selbstbestimmung anerkannt, weshalb sich seine Schutzwirkung nicht nur – ohne Bezug auf den Sphärenschutz – auf alle personenbezogenen Daten, sondern darüber hinaus auch auf jede Form der Datenverarbeitung erstreckt. Zwar hat das BVerfG das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zunächst im Blick auf neuartige Gefahren der Datenverarbeitung entwickelt,310 aber sein Schutz geht über die automatisierte Datenverarbeitung hinaus und umfasst folglich generell die staatliche Erhebung und Verarbeitung personenbezogener, auch manuell registrierter Daten311. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in diesem weiten Bär, BayVBl. 1992, 618, 619. Vogelgesang, S. 25; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 175. 306 Vgl. Niethammer, BayVBl. 1992, 171, 172; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 560. 307 Vgl. Niethammer, BayVBl. 1992, 171, 172; Bär, BayVBl. 1992, 618, 620; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 560. 308 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 309 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 560. 310 BVerfGE 65, 1, 41 f. = NJW 1984, 419. 311 So auch Baumann, DVBl. 1984, 612, 613; Simitis, NJW 1984, 398, 399; Steinmüller, DuD 1984, 91, 92; Podlech, Leviathan 1983, 84, 93; Bäumler, JR 1984, 361, 362; ders., in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn 19; Riegel, DVBl. 1985, 765; ders., DVBl. 1987, 325; ders., RiA 1996, 12, 13; Schlink, Der Staat 25 (1986), 233, 238; Vogelgesang, S. 55; Groß, AöR 113 (1988), 161, 165 f.; Gusy, CR 1989, 628, 633; Deutsch, S. 72 f.; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 176;a.A. BGH, NJW 1991, 2651; Benda, Datenschutz und Grundgesetz, 4 f.; Rebmann, NJW 1985, 1, 4; Roewer, NJW 1985, 773, 775; Rogall, GA 304 305
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Sinne schützt auch in jeder Phase der Datenverarbeitung, angefangen bei der Erhebung über die Speicherung, Veränderung, Nutzung, Übermittlung und Sperrung bis zur Löschung von personenbezogenen Daten312. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat somit den umfassenden Schutz personenbezogener Daten vor ihrer Erhebung und Verarbeitung zum Inhalt.
4. Die Gewährleistung der individuellen Entscheidungsfreiheit Weiteres Schutzgut ist die Gewährleistung der individuellen Entscheidungsfreiheit im Sinne der Freiwilligkeit personenbezogener Angaben bzw. der freien Einwilligung zu deren Verarbeitung als Basis aller übrigen Freiheiten313. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung will Garantie der Entscheidungsfreiheit des Menschen sein,314 denn derjenige, der nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und derjenige, der das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden315. Personenbezogene Daten dürfen damit nur mit freiwilliger und ausdrücklicher Einwilligung des Betroffenen erhoben, gespeichert, verarbeitet, weitergegeben oder sonst verwendet werden316. Dementsprechend gewährleistet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedem die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, „wann und innerhalb welcher Grenzen er einen persönlichen Lebenssachverhalt offenbart und wie mit seinen personenbezogenen Daten verfahren wird“317.
5. Die Ergänzung des datenschutzrechtlichen Schutzes durch andere, bereichsspezifische Grundrechtsgarantien Ergänzt wird der datenschutzrechtliche Schutz durch andere, bereichsspezifische Grundrechtsgarantien318. Zu denken ist insbesondere an den Schutz von Vertrau1985, 1, 12; Krause, JuS 1984, 268, 272; Kniesel, Die Polizei 1984, 304, 314; Hippel / Weiß, JR 1992, 316, 321 f. 312 So auch Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Riegel, DVBl. 1985, 765, 766; ders., DVBl. 1987, 325; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn 19; Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 25. 313 Vgl. Baumann, DVBl. 1984, 612; Gusy, CR 1989, 628, 633; Vogelgesang, S. 53. 314 Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 175. 315 BVerfGE 65, 1, 43. 316 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; s. auch Baumann, DVBl. 1984, 612. 317 Vgl. BVerfGE 65, 1, 42; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451. 318 Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 4. 10*
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ensbeziehungen zu engsten Familienangehörigen (Art. 6 Abs. 1 GG) und zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen319. Zu letzteren gehören die Geistlichen (Art. 4 GG), Abgeordneten (Art. 47 GG) und sowie als Berufsgeheimnisträger insbesondere Rechtsanwälte, Ärzte und Drogenberater (Art. 12 GG) sowie Journalisten (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Die grundrechtliche Absicherung von Vertrauensbeziehungen hat einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstärkenden Grundrechtsschutz zur Folge320. So wird die vertrauliche Kommunikation zwischen Eheleuten nicht allein von Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, sondern zusätzlich auch durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Auch bezüglich der Daten aus Vertrauensverhältnissen zu den Berufsgeheimnisträgern können neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Grundrechte in Betracht kommen, die – wie z. B. Art. 4 GG im Hinblick auf das Beichtgeheimnis – der besonderen Schutzbedürftigkeit der Kommunizierenden Rechnung tragen321. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann schließlich in Einzelfällen durch weitere Grundrechtsgarantien ergänzt sein.
B. Die heimliche Erhebung personenbezogener Daten und deren weitere Verwendung durch die Polizei als Informationseingriffe I. Merkmale des Informationseingriffs 1. Personenbezogenheit der betroffenen Daten Die Abgrenzung der grundrechtsneutralen von der grundrechtseingreifenden Datenverarbeitung erfolgt zunächst am Merkmal der personenbezogenen Daten322. So sind z. B. die – in jüngerer Zeit viel diskutierten – Videoüberwachungen323 (offene Bild- und Tonaufzeichnungen)324, von der heute insbesondere größere Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 4. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. 321 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. 322 Vgl. Gusy, CR 1989, 628, 633; ders., Polizeirecht, Rn. 187; Bär, BayVBl. 1992, 618, 619; s. auch Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 560. 323 Dazu Fischer, VBlBW 2002, 89 ff.; Dolderer, NVwZ 2001, 130 ff.; Roggan, NVwZ 2001, 134 ff.; Vahle, NVwZ 2001, 165 ff.; Schwarz, ZG 2001, 246; Garstka, DuD 2000, 192 ff.; Höfling, in: Möller / v.Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung, 29 ff.; Robrecht, NJ 2000, 348 ff.; Kloepfer / Breitkreutz, DVBl. 1998, 1149 ff.; s. auch BVerwG, DVBl. 1989, 200 ff.; VGH Mannheim, VBlBW 2004, 20 ff.; VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117 ff.; VG Halle, LKV 2000, 164 ff. 324 Vgl. § 21 BWPolG; Art. 32 BayPAG; § 24, 24a BerlASOG; § 31 BrandPolG; § 29 BremPolG; § 8 HambPolDVG; § 14 HSOG; § 32 MVSOG; § 32 NdsSOG; § 15, 15a, 15b NWPolG; § 27 SaarlPolG; § 38 SächsPolG; § 16 SachsAnhSOG; § 184 SchlHVwG; § 33 ThürPAG; s. auch § 8b VEMEPolG. 319 320
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Städte vielfach Gebrauch machen, zumindest dort, wo sie aufgezeichnet werden und damit die Möglichkeit besteht, einzelne Personen heranzuzoomen, identifizierbar zu machen und personenbezogene Daten zu gewinnen, bereits als ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu bewerten,325 weil sie sich in solchen Fällen auf bestimmte oder bestimmbare Personen beziehen326. Sachbezogene Daten sind im Gegensatz zu den personenbezogenen Daten grundrechtsneutral327. Ihre Erhebung und Verarbeitung greift in den Schutzbereich nicht ein und stellt daher keinen Eingriff dar, weil hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als individuelle Freiheit nicht gilt328. So erlangt die vorgenannte Videoüberwachung, „sofern sie lediglich ermöglicht, die allgemeine Gefahrenlage auf Plätzen oder Straßen zu erkennen und so als mögliches Hilfsmittel für die polizeiliche Einsatzplanung zu fungieren“, keine Grundrechtsrelevanz329. Die bloße Objektbeobachtung, z. B. eines Gerichtsgebäudes nach einer Bombendrohung, stellt ebenfalls keinen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar330. Erst bei einer konkreten Personalienfeststellung liegt eine als Informationseingriff zu qualifizierende Datenerhebung vor331. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird insoweit nicht mehr davon abhängig gemacht, aus welcher Sphäre die erhobenen oder verarbeiteten Daten stammen, jedoch davon, ob sie personenbezogenen oder sachbezogenen sind.
2. Erhebung und Verarbeitung der Daten gegen den Willen oder ohne Wissen des Betroffenen Das zweite Eingriffsmerkmal, das sich schon aus der Konturierung des Schutzbereichs herleiten lässt, ist: „Erhebung oder Verarbeitung der Daten gegen den Willen oder ohne Wissen der Person, auf welche sie sich beziehen“332. Da alle personenbezogenen Daten schützwürdig sind, kann ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr nach abgestuften Schutzgegenständen (Sphärentheorie) bestimmt werden, sondern ist aus der Verletzungsform der Art und Weise des Zugriffs auf personenbezogene Daten zu erschließen333. Der staatliche Zugriff auf personenbezogene Daten stellt stets dann 325 Vgl. VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117; Schenke, Polizeirecht, Rn. 198; Gusy, Polizeirecht, Rn. 188; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 176; Dolderer, NVwZ 2001, 130, 131; Roggan, NVwZ 2001, 134, 135. 326 Gusy, Polizeirecht, Rn. 188. 327 So auch Gusy, CR 1989, 628, 633. 328 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 560. 329 Gusy, Polizeirecht, Rn. 188. 330 Vahle, VR 1986, 258, 261. 331 Vahle, VR 1986, 258, 261. 332 Gusy, CR 1989, 628, 633. 333 Seidel, Datenbanken und Persönlichkeitsrecht, 1972, 74, 130.
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einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, wenn die Daten von dem Betroffenen, um dessen Informationen es geht, nicht freiwillig angegeben werden334. Dies ist der Fall, wenn personenbezogene Daten durch zwangsweise Befragung oder heimliche Überwachungsmaßnahme von dem Staat selbst gegen den Willen oder ohne Wissen des Betroffenen ermittelt wurden oder wenn sie bei Dritten ohne Wissen des Betroffenen erhoben wurden335. Kein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt dagegen dann vor, wenn die erhobenen oder verarbeiteten personenbezogenen Daten auf der Freiwilligkeit der Betroffenen beruhen336. Freiwilligkeit schließt begrifflich schon einen Eingriff aus337. Eine freiwillige Offenbarung von personenbezogenen Daten stellt eine Ausübung des Grundrechts im Sinne von Selbstbestimmung dar338. Ausgangspunkt für die Frage des Eingriffscharakters von staatlichen Informationsakten ist insoweit die Überlegung, ob der Betroffene in die Erhebung oder Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten „einwilligt“ hat339. Die Erhebung oder Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die ohne Einwilligung des Betroffenen geschieht, stellt demnach stets einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, der jeweils einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, dar. Während das Vorliegen einer Einwilligung in den Informationseingriff das Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigung entbehrlich macht, ist die Zulässigkeit der ohne Einwilligung des Betroffenen erfolgenden Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten aber in einem formellen Gesetz gesetzlich zu regeln. 334 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; Soiné, DÖV 2000, 173, 176; Gusy, CR 1989, 628, 633; Geiger, NVwZ 1989, 35, 37; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 181; Bäumler, JR 1984, 361, 362. 335 Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 201; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 25; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 99. 336 So auch Schlink, NVwZ 1986, 249, 252. An der Freiwilligkeit fehlt es jedoch etwa, falls in einem vom Bürger eingeleiteten Verfahren eine Auskunftspflicht vorhanden ist, wie z. B. beim Antrag auf Gewährung von Sozialleistungen (§§ 60, 66 SGB I). Die Verweigerung führt regelmäßig zur Nachteile, etwa zur Möglichkeit der Leistungsverweigerung nach § 66 SGB I (vgl. Rosenbaum, Jura 1988, 178, 181; Baumann, DVBl. 1984, 612, 615). In diesem Zusammenhang hat das BVerfG im Flick-Ausschuss-Urteil vom 17. Juli 1984 entschieden, dass der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger Angaben macht, um eine nur auf Antrag mögliche Steuerbefreiung, Minderung, seiner Steuerschuld oder eine sonstige steuerliche Vergünstigung zu erlangen, grundsätzlich nicht zu einer Abschwächung des grundrechtlich verbürgten Schutzes seiner Daten führt (BVerfGE 67, 100, 144). 337 Vgl. Soiné, DÖV 2000, 173, 176; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 180 f.; Geiger, NVwZ 1989, 35, 37. 338 Vgl. Geiger, NVwZ 1989, 35, 36 f.; Gusy, CR 1989, 628, 633; Rosenbaum, Jura 1988, 178, 181, wonach dem Einverständnis des Betroffenen mit der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten tatbestandsausschließende Wirkung für einen Grundrechtseingriff zukommen könnte. Dabei sei vor allem zu beachten, dass sich die einverständliche Mitteilung von Informationen als Ausübung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, nämlich als aktive Selbstbestimmung über die eigenen Daten. 339 Soiné, DÖV 2000, 173, 176.
2. Kap.: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
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II. Eingriffsqualität heimlicher polizeilicher Datenerhebungen Mit der Problematik der Eingriffsqualität von staatlichen Informationsakten hat sich das Volkszählungsurteil des BVerfG recht ausführlich befasst. Zwar hat sich das BVerfG ausdrücklich nur mit der zwangsweisen Datenerhebung gegen den Willen des Betroffenen, also der sanktionsbewehrten Auskunftspflicht, befasst340. Doch bedeutet es ebenfalls einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, wenn die Erlangung personenbezogener Daten ohne dessen Wissen „heimlich bzw. verdeckt“ erfolgt, also wenn der Betroffene sie überhaupt nicht bemerkt (etwa bei einer verdeckten Observation) oder wenn der Betroffene sie jedenfalls nicht als polizeiliche Maßnahme bemerkt (etwa bei einem Einsatz Verdeckter Ermittler)341 oder wenn personenbezogene Daten bei Dritten ohne Wissen des Betroffenen erhoben werden342. Denn in diesen Fällen weiß er nicht, was bei welcher Gelegenheit mit seinen persönlichen Daten geschieht343. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das BVerfG selbst im Volkszählungsurteil klarstellt, wäre eine gesellschaftliche und rechtliche Ordnung unvereinbar, in der die „Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß“344. Sein grundrechtlicher Schutz richtet sich also dagegen, dass der Bürger in Unbekenntnis darüber gehalten wird, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß345. Da eine solche Unsicherheit, die unter Umständen das soziale Verhalten prägt, die Menschenwürde und die Handlungsfreiheit beeinträchtigen kann, muss der Bürger in der Lage sein zu erkennen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß346. Nur diese Kenntnis kann ihm die Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen verschaffen:347 Denn „wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden“348. Derjenige, der unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und Vgl. Gusy, CR 1989, 628, 633. Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 201. 342 Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 25. 343 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Riegel, DVBl. 1987, 325, 326; Groß, AöR 113 (1988), 161, 167; Gusy, CR 1989, 628, 633; Bär, BayVBl. 1992, 618, 619; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 25. 344 BVerfGE 65, 1, 43; Dieser im Volkzählungsurteil zitierte Satz stammt ursprünglich von Podlech, vgl. Podlech, in: AK GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 44 f., 77 ff.; auch ders., Leviathan 1984, 85, 91 Fn. 14. 345 BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. 346 BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. 347 Baumann, DVBl. 1984, 612. 348 BVerfGE 65, 1, 43 = NJW 1984, 419. 340 341
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird sich bemühen, sich so weit wie möglich in der Anonymität der Masse zu verbergen, indem er möglichst nicht von den von ihm als „normal“ vermuteten Verhaltensmustern abweicht349. In diesem Bestreben, nicht durch abweichendes Verhalten aufzufallen, findet er sich einem sozialen Anpassungsdruck ausgesetzt, der um so intensiver wird, je perfekter die integrierte Datenverarbeitung technisch entwickelt und organisiert ist350. Im Beschluss des BVerfG vom 5. 7. 1995,351 der die Befugnis des Bundesnachrichtendienstes zur Verwertung und Weitergabe von Daten betrifft, die er bei der heimlichen Überwachung des Fernmeldeverkehrs aufgrund der sog. verdachtslosen Rasterfahndung erlangt hat, weist das Gericht – unter Verweis auf das Volkszählungsurteil – zu Recht darauf hin, dass die Befürchtung einer Überwachung mit der Gefahr einer späteren Auswertung, etwaigen Übermittlung und weiterer Verwendung durch andere Behörden bei den Grundrechtsträgern schon im Vorfeld zu Kommunikationsstörungen und zu Verhaltensanpassungen führen könne, durch die nicht nur die Entfaltungschancen der Einzelnen, sondern auch das Gemeinwohl beeinträchtigt werde352. Der staatliche Zugriff auf personenbezogene Daten, der ohne Kenntnisnahme des hierdurch Betroffenen erfolgt, berührt stets das in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung353. Bezüglich der heimlichen polizeilichen Datenerhebungen liegt es damit auf der Hand, dass exemplarisch die längerfristige Observation (vgl. z. B. § 22 I Nr. 1 BWPolG), der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes auf Tonträger (vgl. § 22 I Nr. 2 BWPolG), der Einsatz Verdeckter Ermittler (vgl. §§ 22 I Nr. 3, 24 BWPolG), die polizeiliche Beobachtung (vgl. § 25 BWPolG) sowie die Rasterfahndung (vgl. § 40 BWPolG) in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreift354. Diesbezügliche Informationseingriffe sind nur dann zulässig, wenn sie von einer besonderen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage abgedeckt sind,355 an die strenge Anforderungen zu stellen sind. Nichts anderes gilt für den Einsatz von V-Leuten. Da die Polizei beim Einsatz von V-Leuten diese als Werkzeuge ver-wendet und daher die durch sie erfolgenden Erhebungen personenbezogener Daten der Polizei zugerechnet werden können, stellt der Einsatz von V-Leuten einen (faktischen) Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar356. Von der 349
Geiger / Schneider, Der Umgang mit Computern, A 46, 1980, 281 – 283; BVerfGE 65,
1, 43. 350 351 352 353 354 355 356
Wanner, CR 1986, 216, 222. BVerfG, NJW 1996, 114 ff. BVerfG, NJW 1996, 114; Gröpl, NJW 1996, 100, 101. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 25. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451. Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 201. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 201; Duttge, JZ 1996, 556, 559 f.
2. Kap.: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
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Unzulässigkeit des Einsatzes von V-Leuten ohne besondere gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geht auch das BVerfG im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aus357: “ Das den Ermittlungsbehörden im Rahmen des den verpflichteten Vertrauenspersonen erteilten Auftrags zuzurechnende Verhalten der Vertrauensleute, die Verlobte eines Beschuldigten unter Missachtung ihres bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu Angaben zu veranlassen, stellt sich nicht nur als eine rein passive Informationserlangung ohne Eingriffscharakter, sondern spätestens mit der Nachfrage bei der Zeugin als eine heimliche Befragung einer Aussageperson durch V-Personen und damit als eine Maßnahme dar, die jedenfalls ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig war“358. III. Die Umwidmung personenbezogener Daten Schon angesichts der Gefahren der automatischen Datenverarbeitung fordert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen – amtshilfefesten – Schutz gegen eine Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote359. Die Verwendung von einmal erhobenen personenbezogenen Daten zu anderen als den bei der Datenerhebung angegebenen Zwecken stellt in Konsequenz des Volkszählungsurteils einen erneuten Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar,360 weil der Betroffene nicht erfährt, zu welchem Zweck seine personenbezogenen Daten verarbeitet werden, er also nicht mehr wissen kann, „wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß“361. Da durch eine Nutzung der im Rahmen der Strafverfolgung z. B. durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler gemäß § 110a StPO erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr (s. z. B. § 38 I 1 BWPolG) der in der Erhebung strafprozessualer Daten liegende Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weiter verschärft wird, müssen für eine solche Nutzbarmachung – ebenso wie für den umgekehrten Fall der Nutzung der für Zwecke der Gefahrenabwehr durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung (vgl. § 161 I StPO) – bereichsspezifische Regelungen geschaffen werden362. Die weitere Verwendung von personenbezogenen Daten innerhalb des Zweckes, zu dem die Datenerhebung erfolgte, stellt hingegen keinen über die Erhebung hinausgehenden Eingriff dar, weil dies vom Gesetzgeber in Form der Ermächtigung zur Datenerhebung gerechtfertigt und daher für die Betroffenen voraussehbar und berechenbar ist363. 357 358 359 360 361 362 363
BVerfG, StV 2000, 233, 234 = NStZ 2000, 489, 490; Schenke, Polizeirecht, Rn. 201. BVerfG, StV 2000, 233, 234 = NStZ 2000, 489, 490. BVerfGE 65, 1, 46. Vgl. BVerfGE 65, 1, 43, 51, 62; 100, 313, 360. BVerfGE 65, 1, 43. Vgl. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 233. Siebrecht, StV 1996, 566, 567.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
3. Kapitel
Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung Personenbezogene Daten dürfen nur mit freiwilliger und ausdrücklicher Zustimmung der Person, auf welche sie sich beziehen, erhoben, gespeichert, verarbeitet, weitergegeben oder sonst verwendet werden364. Dementsprechend gewährleistet das in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er einen persönlichen Lebenssachverhalt offenbart und wie mit seinen personenbezogenen Daten verfahren wird365. Dies gilt allerdings nicht schrankenlos366. Einschränkungen können im überwiegenden Allgemeininteresse insbesondere dann erforderlich sein, wenn der Einzelne als in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen tritt, durch sein Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre seiner Mitmenschen oder die Belange der Gemeinschaft berührt367. Der Staat darf jedoch durch keine Maßnahme, auch nicht durch eine Gesetz, die Menschenwürde verletzten oder sonst über die in Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Schranken hinaus die Freiheit der Person in ihrem Wesensgehalt antasten368. Bei der Frage der Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach der Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG die Menschenwürde unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht. Zwar ist nach der das Volkszählungsurteil tragenden Ansicht des BVerfG jede Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten gegen den Willen oder ohne Wissen des Betroffenen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu qualifizieren und erfordert insoweit eine gesetzliche Grundlage369. Sie muss aber Sicherungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde enthalten, da Art und Weise der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten zu einer Situation führen können, in der die Menschenwürde im Einzelfall verletzt wird. Erforderlich sind deshalb gesetzliche Regelungen, die unter Beachtung des Grundsatzes der Normklarheit und Normbestimmtheit sicherstellen, dass die Art und Weise der Datenerhebung und Datenverarbeitung nicht zu einer Verletzung der Menschenwürde führt370. Den 364 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451; Baumann, DVBl. 1984, 612; Jarass, NJW 1989, 857, 858. 365 BVerfGE 65, 1, 42; 80, 367, 373. 366 BVerfGE 65, 1, 43; 80, 367, 373. 367 BVerfGE 65, 1, 44; 80, 367, 373. 368 BVerfGE 27, 1, 6. 369 BVerfGE 65, 1, 44. 370 BVerfG, NJW 2004, 999, 1003.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Eingriffsgrenzen muss eine gesetzliche Ausgestaltung hinreichend Rechnung tragen.
A. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG als Grenze heimlicher Informationseingriffe Der Gewährleistung des auf Wertungen verweisenden Begriffs der „Menschwürde“ bedarf der Konkretisierung371. Dies geschieht in der Rechtsprechung in Ansehung des einzelnen Sachverhalts mit dem Blick auf den zur Regelung stehenden jeweiligen Lebensbereich und unter Herausbildung von Fallgruppen und Regelbeispielen372. Dabei wird der Begriff der Menschenwürde häufig vom Verletzungsvorgang her beschrieben373. Auch die psychische Situation, das Lebensgefühl, das ebenso wie der körperliche Bereich zur menschlichen Existenz zählt, wird in den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG dadurch einbezogen, dass das BVerfG betont, dass dem Schutz der Integrität der menschlichen Person in geistigseelischer Beziehung angesichts seiner Menschenwürde ein besonders hoher Wert beizumessen sei374. Die Menschenwürdegarantie erlangte insbesondere im Hinblick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit große Bedeutung, so etwa in den 1980erJahren für den Missbrauch der Erhebung und Verwertung von Daten375.
I. Das Verbot einer umfassenden Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen des Einzelnen 1. Es widerspricht der Würde des Menschen, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen Das BVerfG hat wiederholt hervorgehoben, dass es der Würde des Menschen widerspricht, ihn zum „bloßen Objekt“ der Staatsgewalt zu machen376. Die Herabwürdigung des Menschen zum Objekt, zur vertretbaren Größe verstößt gegen die BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. Vgl. zu Art. 100 BayVerf. z. B. BayVerfGH, BayVBl. 1982, 47, 50; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 373 Vgl. BVerfGE 1, 97, 104; 27, 1, 6; 30, 1, 25; 72, 105, 115 ff.; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 374 Vgl. BVerfGE 27, 344, 351; Benda, in: FS für Geiger, 23, 28. 375 Vgl. BVerfGE 65, 1; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 376 BVerfGE 5, 85, 204; 7, 198, 205; 27, 1, 6; 30, 1, 25 f. u. 39 ff.; 96, 375, 399; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 371 372
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG377. Die Datenschutzdiskussion geht von der Befürchtung aus, dass der Bürger zum „Datenobjekt“ wird378. Der Schutz personenbezogener Daten soll verhindern, den Menschen mit den Mitteln der Datenerhebung und -speicherung zum bloßen Informationsobjekt des Staates werden zu lassen, ihn gläsern zu machen379. Der Mensch darf nicht zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit erfasst werden380. Im Mikrozensus-Beschluss hat das BVerfG diesen Gedanken schon deutlich gemacht: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist“381. Verhindert werden soll die Denaturierung des Menschen zum „bloßen Informationsobjekt“ oder gar zum „gläsernen Menschen“,382 eine bereits im Mikrozensus-Beschluss hervorgehobene Gefahr einer persönlichkeitsfeindlichen Registrierung und Katalogisierung des Einzelnen, die gerade unter den Bedingungen einer sich weiterentwickelnden Datenverarbeitungstechnologie besonders groß ist383. Im Volkszählungsurteil von 1983 hat das BVerfG in Anlehnung an seine frühere Entscheidung auf die Gefahr von automatisch erstellten Persönlichkeitsbildern hingewiesen384. Damit wird dem Grundsatz der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung getragen385. Unter Zuhilfenahme der elektronischen Datenverarbeitung wären heute Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person, technisch gesehen, unbegrenzt speicherbar und ohne Rücksicht auf Entfernungen, ohne Zeitverzögerung abrufbar, und durch den Aufbau integrierter Informationssysteme könnten derartige personenbezogene Daten zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene sie auf ihre Richtigkeit prüfen und ihre Verwendung kontrollieren könne386. Damit hätten sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsicht- und Einflussnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einwirken könnten387.
377 378 379 380 381 382 383 384 385 386 387
Benda, in: FS für Geiger, 23, 27. Benda, in: FS für Geiger, 23, 27. Vgl. BVerfGE 65, 1, 17 u. 48; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 43. BVerfGE 65, 1, 42. BVerfGE 27, 1, 6. BVerfGE 65, 1, 17. Vgl. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 101. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 43. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 43. BVerfGE 65, 1, 42. BVerfGE 65, 1, 42.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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2. Grenzen der sog. „Objektformel“ Allerdings sind der Leistungskraft der sog. Objektformel auch Grenzen gesetzt388. Diese Formel kann lediglich die Richtung andeuten, in welcher die Konkretisierung des Inhalts und damit der Schutzbereich der Menschenwürde gesucht wird389. Die heimliche Überwachung des Staats macht zwar den Menschen insoweit in besonderer Weise zum Objekt staatlicher Maßnahmen, als staatliche Stellen ihn hier nicht im Wege einer offenen Interaktion in Anspruch nehmen, also in einer Situation, in der dem Einzelnen die Möglichkeit gegeben wird, an der Maßnahme teilzunehmen und auf sie bewusst zu reagieren390. Man wird aber nicht annehmen können, dass allein daher schon jede Form des heimlichen Vorgehens des Staates gleich die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG verletzt391. In der Abhör-Entscheidung hat das BVerfG darauf hingewiesen, der Mensch sei nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, dem er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich zu fügen habe392. Wie Benda ausführt, sei der Mensch der industriellen Massengesellschaft, die ein hohes Maß intensiver staatlicher Daseinsvorsorge, planender Eingriffe und ordnender Lenkung erfordere, unvermeidlich auch ein Objekt staatlicher Regelungen; zudem unterliege er in seinem beruflichen und privaten Leben Abhängigkeiten und Umwelteinflüssen393. Im Abhör-Urteil hat das BVerfG daher hervorgehoben, dass die Menschenwürde nicht schon dadurch verletzt werde, dass jemand zum Adressat staatlicher Maßnahmen werde, wohl aber dann, wenn die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Frage stelle394. Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, müsse also, wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, sein395. Einer solchen Minimalisierung des Würdeprinzips ist jedoch zu Recht entgegengehalten worden, damit reduziere man die Menschenwürde „auf ein Verbot der Wiedereinführung z. B. der Folter, des Schandpfahls und der Methoden des Dritten Reiches“396. Bei einer derartigen tatbestandlichen Verkürzung der Menschenwürde auf die Fälle, in denen staatliches Handeln die Achtung des Wertes vermissen lässt, BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. Benda, in: FS für Geiger, 23, 27. 390 Vgl. Guttenberg, NJW 1993, 567, 571. 391 Guttenberg, NJW 1993, 567, 571; Deutsch, S. 17. 392 Vgl. BVerfGE 30, 1, 25 – 26. 393 Benda, in: FS für Geiger, 23, 27. 394 Vgl. BVerfGE 30, 1, 26. 395 Vgl. BVerfGE 30, 1, 26. 396 Vgl. Minderheitsvotum zum Abhörurteil, BVerfGE 30, 1, 39. In der Abhör-Entscheidung des BVerfG hat das Minderheitsvotum gegenüber einer Minimalisierung des Würdeprinzips ausgeführt, bei dem Mehrheitsvotum reduziere man die Menschenwürde auf ein Verbot der Wiedereinführung z. B. der Folter, des Schandpfahls und der Methoden des Dritten Reiches. 388 389
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt, führt ein heimliches Vorgehen des Staats an sich noch nicht zu einer Verletzung des absolut geschützten Achtungsanspruchs. Wird jemand zum Objekt einer Beobachtung, geht damit nicht zwingend eine Missachtung seines Werts als Mensch einher397. Die Menschenwürdegehalt ist auch davor zu bewahren, durch eine zu enge Umgrenzung de facto gegenstandslos zu werden.
II. Absoluter Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung? Das BVerfG erkennt nach wie vor einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung an, bei dem eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes ausscheidet398. Bevor eine Abwägung zwischen dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung und den Allgemeininteressen durchgeführt werden kann, ist danach auch auf die Frage einzugehen, ob hier nicht schon der eingriffsfeste Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt wird, so dass Eingriffe überhaupt und generell unzulässig wären. Es scheint dabei allerdings noch nicht abschließend geklärt, ob der so bestimmte Kernbereich privater Lebensgestaltung grundsätzlich anzuerkennen ist. Umstritten ist auch, ob der Kernbereich, selbst wenn er grundsätzlich bejaht wird, wirklich absolut eingriffsfest ist, oder er nicht doch zum Schutz ganz überragend wichtiger Güter angetastet werden kann399. 1. Die sog. Kernbereichs-Dogmatik des BVerfG Das BVerfG erkennt in ständiger Rechtsprechung einen letzten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung an, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist400. Danach schützt das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG einen Kernbereich privater Lebensgestaltung absolut als unantastbar401. Hier trifft die Beeinträchtigung auf den über Art. 1 Abs. 1 GG mitdefinierten Grundrechtskern des Art. 2 Abs. 1 GG und kann in einen selbstständigen Eingriff in Art. 1 Abs. 1 GG übergehen402. Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit könnten Eingriffe in diesen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes finde nicht statt403. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. Vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 6, 389, 433; 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245; 80, 367, 373, BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 399 Dazu s. auch Guttenberg, NJW 1993, 567, 570 – 571. 400 Vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 6, 389, 433; 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245; 80, 367, 373. 401 Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 158. 402 Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 158. 403 Vgl. BVerfGE 34, 238, 245; 80, 367, 373. 397 398
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Um die Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu rechtfertigen, zieht das BVerfG den Menschenwürdegehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die Garantie des Wesensgehalts der Grundrechte heran404: „Dies folgt einerseits aus der Garantie des Wesensgehalts der Grundrechte (Art. 19 Abs. 2 GG), andererseits leitet es sich daraus ab, dass der Kern der Persönlichkeit durch die unantastbare Würde des Menschen geschützt wird“. Der Wesensgehalt im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG ist zwar nicht mit dem Menschenwürdegehalt eines Grundrechts gleichzusetzen. Eine Antastung des Wesensgehalts kann jedoch im Einzelfall zugleich den Menschenwürdegehalt eines Grundrechts beeinträchtigen405. Ein unantastbarer, der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogener Kernbereich privater Lebensgestaltung bezeichnet dabei den unantastbaren, mit seinem Menschenwürdekern identischen Wesensgehalt des Grundrechts406. In seiner Rechtsprechung assoziiert das BVerfG den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung u. a. mit dem Wesensgehaltsbegriff des Art. 19 Abs. 2 GG407 und auch ein Teil der Literatur408 folgt der Argumentation mit der Wesensgehaltsgarantie. Dabei bleiben die Grenzen wegen der geringen Fassbarkeit des Wesensgehaltsbegriffs409 jedoch weitgehend unklar410. So werde heute dem Art. 19 Abs. 2 GG lediglich deklaratorischer Charakter zugemessen,411 die eigentliche Prüfung aber in die Grundrechte selbst verlegt412. Anzusetzen sei daher unmittelbar bei Art. 1 Abs. 1 GG413. Es erscheint sinnvoll, sich der Abgrenzung zwischen dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung und jenem Bereich des privaten Lebens, der unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offen steht, in erster Linie vom Aspekt des Menschenwürdegehalts her zu näheren, der daher im Folgenden in den Vordergrund der Überlegungen gestellt wird. 2. Das Große Lauschangriff-Urteil vom 3. 3. 2004 Die Rechtsprechung des BVerfG zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung ist nicht nur auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, sondern auch auf die spezielle grundrechtliche Gewährleistung der Privatsphäre und insbesondere auf Art. 13 GG zu bezieVgl. BVerfGE 80, 367, 373. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 406 Degenhart, JuS 1992, 361, 363. 407 Vgl. BVerfGE 27, 344, 350 f.; 32, 373, 379; 34, 238, 245; 80, 367, 373. 408 So z. B. Löwe / Rosenberg / Gollwitzer, StPO, § 244, Rn. 166; Creutz, ZRP 1988, 415, 419 f.; a.A. Simitis, NJW 1971, 673, 680; Schmidt, JZ 1974, 241, 246. 409 Allg. hierzu kritisch Denninger, in: AK GG, Art. 19 Abs. 2, Rn. 12. 410 Vgl. Geis, JZ 1991, 112, 115; Guttenberg, NJW 1993, 567, 571. 411 Vgl. Hesse, § 10, Rn. 332; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 234 ff. 412 Geis, JZ 1991, 112, 115. 413 Geis, JZ 1991, 112, 115. 404 405
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
hen414. Die bekannte neuere Rechtsprechung des BVerfG zum sog. Großen Lauschangriff zu Strafverfolgungszwecken in Art. 13 Abs. 3 GG gibt Anlass, den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung als Menschenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG zu überdenken415. Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 13) vom 26. 3. 1998 hat der verfassungsändernde Gesetzgeber erstmals eine Grundlage dafür gegeben, dass technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen zu Zwecken der Strafverfolgung eingesetzt werden dürfen (Art. 13 Abs. 3 GG n. F.)416. Im Großen Lauschangriff-Urteil von 2004 stellte sich u. a. die Frage, ob die in Art. 13 Abs. 3 GG vorgenommene Verfassungsänderung die Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG erfüllt, weil bestimmte Vorschriften des Grundgesetzes durch die sog. „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG einer sonst mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat möglichen Verfassungsänderung entzogen werden417. Die Schranken, die dem Gesetzgeber bei Änderung der Verfassung gezogen sind, ergeben sich aus Art. 79 Abs. 3 GG418. Art. 79 Abs. 3 GG verbietet dabei Verfassungsänderungen, durch welche die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Zu ihnen zählt das Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), aber auch das Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit (Art. 1 Abs. 2 GG)419. In Verbindung mit der in Art. 1 Abs. 3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verbürgungen dann der Einschränkung durch den Gesetzgeber prinzipiell entzogen, wenn sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind420. Ebenfalls ist auf grundlegende Elemente des Rechts- und des Sozialstaatsprinzips, die in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG zum Ausdruck kommen, zu achten421. Auf die Verfassungsbeschwerde gegen Art. 13 Abs. 3 – Abs. 6 GG sowie gegen Vorschriften der Strafprozessordnung zur Durchführung der akustischen Überwachung von Wohnraum zu Strafverfolgungszwecken hatte sich das BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit des neuen Art. 13 Abs. 3 GG, insbesondere mit der Frage, ob er mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar ist, zu beschäftigen.
414 415 416 417 418 419 420 421
Vgl. Guttenberg, NJW 1993, 567, 571. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999 ff. Vgl. BGBl. I, 610. Vgl. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 8. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. BVerfGE 84, 90, 121; BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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a) Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG gehört die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung Im Großen Lauschangriff-Urteil sieht das BVerfG in Bezug auf den Gewährleistungsgehalt des Menschenwürdebegriffs einerseits der Leistungskraft der von ihm immer wieder herangezogenen Dürig’schen Objektformel, nach der es der Würde des Menschen widerspricht, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen,422 und andererseits der im Abhörurteil des BVerfG vertretenen Ansicht, die Menschenwürde werde nur verletzt, wenn die Behandlung des Betroffenen „Ausdruck der Verachtung des Wertes ist, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt“,423 Grenzen gesetzt424. Demgegenüber fordert das BVerfG, bei der heimlichen akustischen Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung in Art. 13 Abs. 3 GG sei ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, da der Schutz der Menschenwürde in der in Art. 13 Abs. 1 GG verbürgten Unverletzlichkeit der Wohnung verankert sei und zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG dabei die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung gehöre425. Das BVerfG knüpft hier deutlich an die Vorstellung eines unantastbaren „Kernbereichs“ privater Lebensgestaltung an. In diesen Bereich dürfe die akustische Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken (Art. 13 Abs. 3 GG) nicht eingreifen426. Würde der Staat in ihn eindringen, verletzte dies die jedem Menschen unantastbar gewährleistete Freiheit zur Entfaltung in den ihn betreffenden höchstpersönlichen Angelegenheiten427. Selbst überwiegende Allgemeininteressen könnten einen Eingriff in diesen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen, so dass eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Strafverfolgungsinteresse insoweit nicht stattfinde428. Denn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könne nur dort als weitere Einschränkung in Betracht kommen, wo ein staatliches Handeln die Menschenwürde nicht verletze429. Da der Menschenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist, garantiert, verstoße die heimliche akustische Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken (Art. 13 Abs. 3 GG) dann gegen die 422 423 424 425 426 427 428
Vgl. Dürig, AöR (81) 1956, 117, 128. Vgl. BVerfGE 30, 1, 26. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001 – 1002. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. Vgl. BVerfGE 34, 238, 245; 75, 369, 380; 93, 266, 293; BVerfG, NJW 2004, 999,
1002. 429
11 Son
BVerfG, NJW 2004, 999, 1002.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Menschenwürde, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht respektiert wird430. Bezeichnend stützt sich das Große Lauschangriff-Urteil wesentlich auf die vom BVerfG beständig vertretene Auffassung von dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung. Die heimliche akustische Wohnraumüberwachung zu Zwecken der Strafverfolgung (Art. 13 Abs. 3 GG) verletzt dann die Menschenwürde, wenn ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung, der bei einem heimlichen Vorgehen des Staats zu wahren ist, nicht respektiert wird431. Um die Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu rechtfertigen, zieht das Gericht dabei eindeutig den Menschenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG, nicht aber die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG heran432. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht mit dieser Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung Abstand genommen hat, weil die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG hier keine Maßstabsnorm ist433. Die in Art. 13 Abs. 3 GG vorgenommene Verfassungsänderung ist nicht an der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG zu messen434. Diese Garantie bindet den einfachen, nicht aber den verfassungsändernden Gesetzgeber435. Maßstab für eine verfassungsändernde Grundrechtseinschränkung ist allein der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Menschenwürdegehalt eines Grundrechts436. Im Großen Lauschangriff-Urteil gelang das BVerfG zur Annahme der Verfassungsmäßigkeit des durch eine Verfassungsänderung eingeführten Art. 13 Abs. 3 GG durch eine verfassungskonforme oder verfassungssystematische Interpretation dieser Vorschrift437. Danach verstoße die Ermächtigung zur gesetzlichen Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung zu Zwecken der Strafverfolgung in Art. 13 Abs. 3 GG nicht gegen Art. 79 Abs. 3 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie nur gesetzliche Regelungen und darauf aufbauende Maßnahmen ermögliche, welche die dort gezogenen Grenzen einhalten. Begrenzungen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung seien zum einen in Art. 13 Abs. 3 GG enthalten, ergäben sich darüber hinaus aber noch aus anderen im Zuge systematischer Verfassungsauslegung heranBVerfG, NJW 2004, 999, 1002. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 432 BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 433 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351; Krüger / Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 35; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 882 ff. m. w. N. 434 BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 435 BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 436 BVerfG, NJW 2004, 999, 1001. 437 Auf der gleichen Argumentationslinie bewegen sich insoweit das Große LauschangriffUrteil (BVerfG, NJW 2004, 999 ff.) und das Abhörurteil des BVerfG (BVerfGE 30, 1 ff.). Es scheint dabei allerdings zweifelhaft, ob man die für die Interpretation unterverfassungsrechtlicher Vorschriften geltende verfassungskonforme Interpretation überhaupt auf die Auslegung verfassungsrechtlicher Bestimmungen anwenden kann. Vgl. zum Abhörurteil Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 10. 430 431
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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zuziehenden Verfassungsnormen438. Entsprechende Begrenzungen der Ermächtigung zur akustischen Wohnraumüberwachung zielten dabei allerdings auch darauf, das Risiko der Verletzung des Menschenwürdegehalts des Art. 13 Abs. 3 GG bei der Durchführung der Maßnahmen auszuschließen439. Art. 13 Abs. 3 GG sei dahin gehend auszulegen, dass seine gesetzliche Ausgestaltung die Informationserhebung durch die akustische Wohnraumüberwachung dann ausschließen müsse, wenn die Ermittlungsmaßnahme in den durch Art. 13 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung vordringen würde440. Art. 13 Abs. 3 GG ermächtigt ausschließlich zum Erlass von gesetzlichen Regelungen, die gewährleisten, dass die akustische Wohnraumüberwachung den Kernbereich privater Lebensgestaltung unberührt lässt441. b) Zur inhaltlichen Bestimmung des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung In Anlehnung an seine frühere Entscheidung442 betont das BVerfG im Großen Lauschangriff-Urteil, Vorkehrungen zum Schutz der Menschenwürde seien sowohl in Situationen gefordert, in denen der Einzelne mit sich allein sei, als auch dann, wenn er mit anderen kommuniziere443. Der Mensch als Person, auch im Kernbereich seiner Persönlichkeit, verwirkliche sich notwendig in sozialen Bezügen444. Dies bedeutet, dass der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht nur auf das forum internum beschränkt werden darf. Denn eine solche Minimalisierung des Kernbereichs, die den Einzelnen auf sich selbst beschränkt, führt zu einer Isolierung, die dem auf Außenbezogenheit angelegten menschlichen Wesen widerspricht; Intimität setzt deshalb zumindest im Ansatz auch den Schutz der Möglichkeiten individueller Kommunikation mit anderen voraus, schon deshalb, weil der Mensch zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit in jedem Falle des Gegenübers bedarf445. Die Zuordnung eines Sachverhalts zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung oder – soweit dieser nicht betroffen ist – zu jenem Bereich des privaten Lebens, der unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offen steht, hänge deshalb nicht davon ab, ob eine soziale Bedeutung oder Beziehung überhaupt bestehe; entscheidend sei vielmehr, welcher Art und wie intensiv sie im konkreten Fall sei446. 438 BVerfG, NJW 2004, 999, 1002; kritisch hierzu s. die abweichende Meinung der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt (BVerfG, NJW 2004, 999, 1021 f.). 439 BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 440 BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 441 BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. 442 BVerfGE 6, 389, 433; 35, 202, 220. 443 BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 444 BVerfGE 80, 367, 374; BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 445 Vgl. Geis, JZ 1991, 112, 115; Hufen, JZ 1984, 1072, 1076. 446 BVerfGE 80, 367, 374; BVerfG, NJW 2004, 999, 1003.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Für die Frage, ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnen sei, komme es nach Auffassung des BVerfG darauf an, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters sei und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berühre. Maßgebend seien die Besonderheiten des jeweiligen Falles447. Entscheidend sei, ob eine Situation vorliege, in der auf Grund von konkreten Hinweisen im Einzelfall der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung betroffen werde, zum Beispiel im Zuge der Beobachtung von Äußerungen innerster Gefühle oder von Ausdrucksformen der Sexualität448. Zur Differenzierung zwischen dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung und dem Sozialbereich stellt damit das BVerfG auf eine „Einzelfallbetrachtung“ ab. Als Kriterien der Einzelfallentscheidung zieht das Gericht – entgegen dem Tagebuchbeschluss449 – formale Komponenten nicht in Betracht. Der Wille des Betroffenen zur Geheimhaltung betrifft nicht eine Verletzung der Menschenwürde, sondern einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG: Die Frage, ob der Betroffene einen Lebenssachverhalt geheim halten will, wird hinsichtlich der Bestimmung eines Eingriffs in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG bedeutsam. Nicht nur das körperliche Eindringen in der Wohnung und das Verweilen darin, sondern auch das heimliche Ausspähen von Vorgängen in der Wohnung durch technisches Gerät, das in oder außerhalb der Wohnung zum Einsatz gebracht wird, und das gegen den Willen des Wohnungsinhabers erfasst, stellen einen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung dar450. Abzulehnen ist das vom BVerfG in dem Tagebuchbeschluss gebrachte Argument, Tagebücher oder ähnliche persönliche Aufzeichnungen seien schon deshalb nicht zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu rechnen, da der Beschwerdeführer seine Gedanken schriftlich niedergelegt und sie damit aus dem von ihm beherrschbaren Innenbereich entlassen und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben habe451. Denn die Argumentation des BVerfG führt letztlich dazu, dass der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung nur auf das forum internum zu beschränken ist. Während Vorgänge, die sich in Kommunikation mit anderen vollziehen, einem hoheitlichem Eingriff schlechthin entzogen sein können,452 lassen sich Tagebücher, die selbst vom Autor nicht als Äußerung gegenüber einem Kommunikationspartner bestimmt sind, nicht dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuordnen. Tagebücher oder ähnliche private Aufzeichnungen müssen vielmehr dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sein453. Denn BVerfGE 34, 238, 248; 80, 367, 374; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. BVerfGE 80, 367, 375; BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 449 BVerfGE 80, 367, 374. 450 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001 u. 1005; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 967; MVVerfG, LKV 2000, 345, 351; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 460. 451 Vgl. BVerfGE 80, 367, 376. 452 Vgl. BVerfGE 80, 367, 374. 453 Geis, JZ 1991, 112, 116. 447 448
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Eintragungen in ein Tagebuch, in denen sich der Autor mit sich selbst auseinandersetzt, sind nichts anderes als Projektionen des forum internum auf das Papier454. Diese Auffassung des BVerfG ist aber abzulehnen. Im Großen Lauschangriff-Urteil betont das BVerfG, Gespräche, die Angaben über begangene Straftaten enthielten und damit in einem unmittelbaren Bezug zu konkreten strafbaren Handlungen ständen, gehörten ihrem Inhalt nach nicht dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung an455. Diese Argumentation des BVerfG weist in die Richtung seines sehr umstrittenen und auch nur mit Stimmengleichheit ergangenen Tagebuchbeschlusses vom 14. 9. 1989456: Nach der den Tagebuchbeschluss tragenden Auffassung sollen private Tagebuchaufzeichnungen – trotz ihres Charakters als selbstgesprächsartige Reflexion – einem Eingriff im Wege der strafprozessualen Verwertung schon dann nicht schlechthin entzogen sein, wenn sie Angaben über begangene Straftaten enthalten457. Im Großen Lauschangriff-Urteil hat das BVerfG aber – anders als der Tagebuchbeschluss458 – darauf hingewiesen, dass jedwede Verknüpfung zwischen dem Verdacht einer begangenen Straftat und den Äußerungen des Beschuldigten für die Bejahung des Sozialbezugs nicht genüge459. Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die etwa ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthielten, gewännen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe einer Straftat freizulegen vermöchten. Demgegenüber bestehe ein hinreichender Sozialbezug bei Äußerungen, die unmittelbar eine konkrete Straftat beträfen460. Die Zuordnung eines Sachverhalts zum unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung oder zum Sozialbereich wird daher danach vorgenommen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Gespräche, die ein Einzelner zum Beispiel mit seinen Familienangehörigen oder sonstigen engsten Vertrauten in der Wohnung führt, nach ihrem Inhalt einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen461. Im Großen Lauschangriff-Urteil sah damit das BVerfG in dem höchstpersönlichen Gespräch mit engsten Familienangehörigen, sonstigen engsten Vertrauten oder einzelnen Berufsgeheimnisträgern in der Wohnung, welches nach seinem Inhalt keinen unmittelAmelung, NJW 1988, 1002, 1005; Geis, JZ 1991, 112, 116. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 456 BVerfGE 80, 367, 375. 457 BVerfGE 80, 367, 375. 458 „Mit dieser Straftat ist aber der in den Niederschriften reflektierte Vorgang in einer Weise verknüpft, dass die Aufzeichnungen selbst nicht jeglichem staatlichen Zugriff entzogen sein können. . . Bereits diese enge Verknüpfung zwischen dem Inhalt der Aufzeichnungen und dem Verdacht der außerordentlich schwerwiegenden strafbaren Handlung verbietet ihre Zuordnung zu dem absolut geschützten Bereich persönlicher Lebensgestaltung, der jedem staatlichen Zugriff entzogen ist“. BVerfGE 80, 367, 377 = NJW 1990, 563. 459 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 460 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. 461 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003 u. 1006. 454 455
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
baren Bezug zu Straftaten aufweist, einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung462.
3. Grenzen der Kernbereichs-Dogmatik des BVerfG a) Hängt die absolute Schutzwürdigkeit von Räumlichkeiten von ihrer konkreten Nutzung ab? Aus dem verfassungsrechtlich absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung folgert das BVerfG, es beständen innerhalb von Wohnungen Räume, die zu diesem absolut geschützten Kernbereich gehören463. Dabei hänge der Schutzbedarf von Räumlichkeiten von ihrer konkreten Nutzung ab464. Der dogmatische Schwachpunkt der Argumentation des BVerfG ist damit darin zu sehen, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht generell bestimmt wird, z. B. in der Weise, dass keinesfalls aus einem Gespräch zwischen dem Beschuldigten und seinem engsten Familienangehörigen in der Privatwohnung oder aus einem Gespräch des Beschuldigten mit seinem Strafverteidiger in der Kanzlei Daten erhoben und verwertet werden dürften, sondern sich der Umfang des Kernbereichs wesentlich auch nach dem Zweck des Eingriffs und dem Gewicht des mit ihm verfolgten Allgemeininteresses richtet. Der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung wird durch das staatliche Interesse am Eingriff bestimmt: Die Zuordnung zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung oder zum Sozialbereich wird nicht nur nach Anhaltspunkten für die Menschenwürderelevanz des Inhalts eines in der Wohnung geführten Gesprächs vorgenommen. Vielmehr wird auch berücksichtigt, ob Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung der in der Wohnung das Gespräch führenden Personen bestehen, welche die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt465. Zur Differenzierung zwischen dem unantastbaren Kernbereich und dem Sozialbereich stellt das BVerfG zusätzlich auf die Intensität des Sozialbezugs des Gesprächsinhalts ab, also auf die Frage, ob konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die zu erwartenden Gespräche nach ihrem Inhalt einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen. Der absolute Schutzbedarf eines Raumes wird also durch eine Abwägung mit dem Interesse an der Strafverfolgung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bestimmt: „Der Schutzbedarf von Räumlichkeiten hängt von ihrer konkreten Nutzung ab. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Wohnraumüberwachung sind umso strenger, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass mit ihnen höchstpersönliche Gespräche erfasst würden. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist typischerweise beim Abhören von Gesprächen mit engsten Familienangehörigen, sonstigen engsten Vertrauten und einzelnen Be462 463 464 465
Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003 f. BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002 u. 1006.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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rufsgeheimnisträgern gegeben. Bei diesem Personenkreis dürfen Überwachungsmaßnahmen nur ergriffen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gesprächsinhalte zwischen dem Beschuldigten und diesen Personen keinen absoluten Schutz erfordern, insbesondere bei einer Tatbeteiligung der das Gespräch führenden Personen. Ein konkreter Verdacht auf solche Gesprächsinhalte muss schon zum Zeitpunkt der Anordnung bestehen. Er kann nicht erst durch eine akustische Wohnraumüberwachung begründet werden“466.
Damit werden die durch die Abhörmaßnahme zu schützenden Allgemeininteressen zum Kriterium der Sphärenzurechung467. Zur Differenzierung zwischen Kernbereich und Sozialbereich stellt das BVerfG auch auf eine Einzelfallbetrachtung ab. So sind die Besonderheiten des jeweiligen Falles maßgebend468. Schon hier zeigt sich, dass die Zuordnung zum unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung in Beziehung zu den Umständen des Einzelfalls gesetzt wird und allgemeine Erwägungen dazu eher theoretischer Natur sind469. Damit ist ein absolut geschützter abwägungsfreier Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht mehr garantiert470. Ein solcher Schutz, den das BVerfG mit dem Ansatz der sog. Sphärentheorie und der Annahme eines unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleisten will, ist aber bereits mittels eines relativen Schutzes durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ausreichender Weise erreichbar. Die Ausführungen des BVerfG im Großen Lauschangriff-Urteil laufen inhaltlich ohnehin nur auf eine Wiederholung dessen hinaus, was sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ableiten lässt. Auf der Basis einer Abwägung zwischen der Unverletzlichkeit der Wohnung und dem Strafverfolgungsinteresse nimmt das BVerfG selbst die Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor. Der Ansatz des BVerfG findet im Ergebnis seine Entsprechung in der Ansicht, die den in Art. 19 Abs. 2 GG geschützten Wesensgehalt ebenfalls unter Berücksichtigung der im jeweiligen Einzelfall zu ermittelnden Wertigkeit des Allgemeinwohlbelangs „relativ“ bestimmt471. Die absolute Schutzwürdigkeit von Räumlichkeiten werde nach Ansicht des BVerfG von ihrer jeweiligen konkreten Nutzung bestimmt472. Die Abhängigkeit der absoluten Schutzwürdigkeit von Räumlichkeiten von ihrer jeweils aktuellen Nutzung ist aber wegen fehlender Erkennbarkeit der Nutzung als Kriterium zur Differenzierung zwischen Kernbereich und Sozialbereich untauglich, weil es gerade wegen der Abgeschlossenheit einer Wohnung für einen Außenstehenden nicht BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 162. 468 Vgl. BVerfGE 34, 238, 248; 80, 367, 374; BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 469 Vgl. Vogelgesang, S. 43; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 161. 470 Vgl. Sondervotum zum Tagebuchbeschluss, BVerfGE 80, 367, 382; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 2 Abs. 1, Rn. 90; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 162. 471 Vgl. Hesse, § 10, Rn. 332; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 161. 472 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. 466 467
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
immer im Vorhinein erkennbar ist, ob in ihr absolut schutzwürdige Gespräche zu erwarten sind oder nicht473. Auch der Verdacht der Tatbeteiligung eines sich in der Wohnung aufhaltenden engsten Familienangehörigen wird nicht immer zweifelsfrei feststellbar sein474. So erkennt auch das BVerfG, dass es sich nicht selten erst nachträglich herausstellen wird, ob es sich um absolut geschützte Gespräche oder um Gespräche mit Tatbeteiligten innerhalb der Wohnung, die von den Strafverfolgungsbehörden zum Objekt des Lauschangriffs gemacht werden soll, handelte475. Dies zeigt, dass es den im Lauschangriff-Urteil vom BVerfG angestrebten Mittelweg beim Wohnungsschutz nicht gibt476.
b) Die Relativierung des Kernbereichschutzes Der dogmatische Schwachpunkt der Argumentation des BVerfG ist auch darin zu sehen, dass es für die Zuordnung eines Sachverhalts zum Bereich des Höchstpersönlichen oder zum Sozialbereich eine jeweils konkrete Feststellung als erforderlich ansieht477. Denn es lässt sich wegen der Abgeschlossenheit einer Wohnung für einen Außenstehenden zunächst nicht feststellen, ob in ihr höchstpersönliche Gespräche zu erwarten sind oder es sich um Gespräche mit möglichen Tatbeteiligten handelt, die die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berühren478. Für eine solche Unterscheidung bestehen nur Anhaltspunkte, die auf den Inhalt dessen schließen lassen, was in der Wohnung stattfindet479. Wie im Großen Lauschangriff-Urteil ausgeführt, könnte bei Privatwohnungen eher als bei Betriebs- und Geschäftsräumen, bei Gesprächen mit Familienangehörigen oder engen Vertrauten eher als mit Geschäftspartnern oder Bekannten eine Situation eintreten, welche dem Bereich des Höchstpersönlichen zuzurechnen ist480. Gewissheit, ob dies zutrifft, ist aber regelmäßig erst nachträglich zu erlangen, „wenn man die Abgeschlossenheit der Wohnung durchbricht und sich Kenntnis von dem verschafft, was in ihr passiert“481. Damit kann man jedoch schon in einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung eingegriffen haben, in den die akustische Überwachung von Wohnraum zu Strafverfolgungszwecken nicht eingreifen darf482. Forderte man, wie im Großen Lauschangriff-Urteil das Minderheitsvotum zu Recht ausgeführt hat, für die Zuordnung einer Situation hinter verschlossenen 473 474 475 476 477 478 479 480 481 482
Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1399. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1007. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1007. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1399. Vgl. BVerfGE 80, 367, 375; BVerfG, NJW 2004, 999, 1007. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Türen zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung eine jeweils konkrete Feststellung, hätte dies also zur Folge, dass zunächst stets ein Eingriff in diesen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung vorgenommen werden müsste483. Auf der gleichen Linie liegen der Tagebuchbeschluss vom 14. 9. 1989 und das Große Lauschangriff-Urteil vom 3. 3. 2004 des BVerfG. Beiden Entscheidungen wohnt die gleiche inhaltliche Tendenz inne: eine Relativierung des Kernbereichsschutzes484. Inhaltlich in die gleiche Richtung zielend, wird damit die Relativierung des Kernbereichschutzes im Großen Lauschangriff-Urteil fortgesetzt. Der Kernbereichsschutz ist insoweit relativiert, als auch höchstpersönliche Tagebuchaufzeichnungen oder Gespräche mit engsten Familienangehörigen in Privatwohnungen, die dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind, dort einem staatlichen Zugriff offen stehen können, wo es zunächst nicht erkennbar ist, ob Tagebuchaufzeichnungen oder Gespräche den Bereich des Höchstpersönlichen betreffen oder ob sie Angaben über begangene Straftaten enthalten, welche die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berühren. Nach der den Tagebuchbeschluss tragenden Ansicht bestehe dabei im Rahmen der Strafverfolgung nicht von vornherein ein verfassungsrechtliches Hindernis, Tagebuchaufzeichnungen daraufhin durchzusehen, ob sie der prozessualen Verwertung zugängliche Informationen enthielten485. Bei dem Zugriff dürfte aber zugleich auch der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung mit berührt werden486. Diese geschilderte Auffassung des BVerfG widerspricht seiner Prämisse, der Staat dürfe in einen absolut geschützten, der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogenen Kernbereich privater Lebensgestaltung schon daher nicht eindringen, weil dies die jedem Menschen unantastbar gewährte Freiheit zur Entfaltung in den ihn betreffenden höchstpersönlichen Angelegenheiten verletze. Damit schafft das BVerfG selbst den absoluten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ab. Wollte das Gericht die Absolutheit oder Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht verneinen, wären Abhörmaßnahmen dann von vornherein auszuschließen, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, durch sie in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung einzudringen. Erkennt das BVerfG an, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung wirklich absolut eingriffsfest ist und er damit auch zum Schutz ganz überragend wichtiger Güter nicht angetastet werden darf, so hätte zur Vermeidung von Eingriffen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung die akustische Wohnraumüberwachung von vornherein auszuscheiden, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass mit ihr absolut geschützte Gespräche erfasst werden. Dementsprechend müssten die gesetzlichen Regelungen das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen 483 484 485 486
Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. zum Tagebuschbeschluss Geis, JZ 1991, 112, 114 f. Vgl. BVerfGE 80, 367, 375; auch BVerfG, NJW 2004, 999, 1005. Vgl. Guttenberg, NJW 1993, 567, 572.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Wortes in Wohnungen untersagen, wenn es wahrscheinlich ist, dass absolut geschützte Gespräche abgehört würden. Für einen umfassenden Kernbereichsschutz wäre nicht ein Verwertungsverbot, sondern ein umfassendes Erhebungsverbot unerlässlich, wie es sich in § 100d III 2 StPO findet. Dogmatisch läuft die Argumentation des BVerfG auch auf eine unzulässige Schutzbereichsdefinition von den Schranken her hinaus487: Der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung wird regelmäßig erst bestimmt, „wenn man die Abgeschlossenheit der Wohnung durchbricht und sich Kenntnis von dem verschafft, was in ihr passiert“488. Das Gericht verlässt insoweit – vom Ergebnis her argumentierend – die selbst aufgestellte Stufenprüfung einer Eingriffsrechtfertigung489. Demgegenüber sieht das Minderheitsvotum im Großen Lauschangriff-Urteil in „Privatwohnungen“, denen typischerweise oder im Einzelfall die Funktion als Rückzugsbereich privater Lebensgestaltung zukommt, einen Kernbereich490. Damit steht die Grenzziehung, ob der Kernbereich privater Lebensgestaltung oder nur der Sozialbereich betroffen ist, am Anfang der Schutzbereichsbestimmung und wird nicht durch einen generellen Abwägungsprozess ersetzt. Insoweit ist der Begriff „Kernbereich“ hinreichend greifbar bestimmt.
c) Das Gebot der unverzüglichen Löschung höchstpersönlicher Daten ergibt sich ohne die Anerkennung eines Kernbereichs bereits aus dem Folgenbeseitigungsanspruch Auch das Gebot der unverzüglichen Löschung von erlangten Daten, die aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung stammen, ergibt sich – entgegen der Ansicht des BVerfG491 – auch ohne die Annahme eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung, sofern es sich erst nachträglich herausstellt, dass es sich um Gespräche höchstpersönlichen Inhalts mit engsten Familienangehörigen, anderen engsten Vertrauten oder einzelnen Berufsgeheimnisträgern in der Wohnung handelte492. Das Gebot einer unverzüglichen und umfassenden Löschung höchstpersönlicher Daten, die nicht hätten erhoben werden dürfen, ist nämlich bereits aus dem heute anerkannten, verfassungsrechtlich garantierten Folgenbeseitigungsanspruch abzuleiten. Die dogmatische Rechtfertigung für die Löschungspflicht liefern der in den Grundrechten verankerte Folgenbeseitigungsanspruch bzw. seine datenschutzrechtlichen Konkretisierungen493. Dieser umfasst nicht nur den Fall Vgl. Geis, JZ 1991, 112, 116. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. 489 Vgl. Geis, JZ 1991, 112, 116. 490 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. 491 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1007; BVerfGE 80, 367, 374; auch MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 492 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1399. 493 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 487 488
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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einer von Anfang an gegebenen rechtswidrigen Grundrechtsbeeinträchtigung, sondern auch den eines erst nachträglich rechtswidrig werdenden Eingriffs494.
4. Der Schwachpunkt der Argumentation des Minderheitsvotums: Absoluter Schutz von Privatwohnungen? Fraglich ist, ob gegenüber dem Mehrheitsvotum das von 2 Bundesverfassungsrichterinnen getragenen Minderheitsvotum eher überzeugen kann. Dieses geht davon aus, dass die akustische Überwachung von „Privatwohnung“ generell und stets unzulässig ist. Nach dieser Auffassung sei es nämlich um des Schutzes der Möglichkeit freier persönlicher Entäußerung willen zur Wahrung der Menschenwürde jedenfalls für Privatwohnungen, in denen sich der Beschuldigte allein, mit Familienmitgliedern oder mit ersichtlich engen Vertrauten aufhält, zu unterstellen, dass sie Raum für höchstpersönliche Kommunikation böten und entsprechend genutzt würden495. Sie genössen daher umfassenden Schutz, wie ihn Art. 13 Abs. 1 GG gewährleiste496. Zur Vermeidung von Eingriffen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung sieht das Minderheitsvotum es somit als verfassungsrechtlich geboten an, die jedenfalls in einer Privatwohnung geführten Gespräche einem generellen Überwachungsverbot zu unterstellen497. Werden Gespräche zwischen dem Beschuldigten und seinen Familienmitgliedern oder ersichtlich engen Vertrauten in einer Privatwohnung geführt, so setzt der absolute Schutz ein, unabhängig davon, ob die in ihr zu erwartenden Gespräche nach ihrem Inhalt den Bereich des Höchstpersönlichen betreffen oder einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen. Zwar zieht auch das Minderheitsvotum die Intensität des Sozialbezuges in Betracht, weil es eine Unterscheidung zwischen Kernbereich und Sozialbereich damit begründet, ob in einer Wohnung höchstpersönliche Dinge oder aber solche zur Sprache kommen, welche die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berühren498. Bei Privatwohnungen legt das Minderheitsvotum allerdings auf die Menschenwürderelevanz des Gesprächsinhalts einen besonders hohen Wert499. Zur Persönlichkeitsentfaltung bedürfe es Rückzugsräume, in denen der Einzelne ohne Angst vor Überwachung sich selbst zum Ausdruck bringen und mit Vertrauten über persönliche Ansichten und Empfindungen kommunizieren könne500. Das sei regelmäßig die Privatwohnung. Sie ist als letztes Refugium ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde501. Das Minderheitsvotum hat jedenfalls für Privatwohnungen 494 495 496 497 498 499 500 501
Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
– anders als das Mehrheitsvotum – an dem Ansatz der Absolutheit oder Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung festgehalten. Allerdings führt die im Großen Lauschangriff-Urteil tragende Argumentation des Minderheitsvotums im Ergebnis dazu, dass in Privatwohnungen sowohl höchstpersönliche Gespräche mit Familienmitgliedern oder anderen engen Vertrauten als auch solche, die in einem unmittelbaren Bezug zu konkreten Straftaten stehen, einem absoluten Überwachungsverbot unterliegen. Dem Minderheitsvotum ist entgegenzuhalten, dass das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG es nicht gebietet, Privatwohnungen generell von der heimlichen akustischen Überwachung von Wohnraum auszunehmen. Ein uneingeschränkter Schutz von Privatwohnungen vor staatlicher akustischer Überwachung der räumlichen Privatsphäre kann nicht aus der Verfassung abgeleitet werden. Nicht sämtliche Gespräche, die ein Einzelner mit seinen Familienangehörigen oder anderen engen Vertrauten in Privatwohnungen führt, haben höchstpersönlichen Charakter, wie auch das Minderheitsvotum selbst anerkennt502. Enthalten die in Privatwohnungen geführten Gespräche Angaben über begangene Straftaten, beziehen sie sich also unmittelbar auf eine konkrete Straftat, so entziehen sie sich nicht der strafrechtlichen Ermittlung und Verwertung503. Solche Gespräche gehören zweifellos nicht zu den geschützten Ausprägungen der Menschenwürde, und ebenso ist es nicht Ausdruck der Menschenwürde, für besonders schwerwiegende Straftaten die für ein menschenwürdiges Leben notwendige räumliche Privatsphäre ge-(miß-)brauchen zu können504. Die heimliche akustische Überwachung von Privatwohnungen dient dabei nicht der Aufdeckung von Privatgeheimnissen, sondern der Aufklärung von besonders schwerwiegenden Straftaten. Dass durch die Art und den Inhalt dessen, was im räumlich abgeschlossenen Familienkreis passiert, Grenzen für eine heimliche Erhebung personenbezogener Daten und deren Verwendung gesetzt sind, ist, worauf das MVVerfG im Urteil vom 18. 5. 2000 zu Recht hinweist, nicht durch ein über die Rücksicht auf diese Grenzen weit hinausgehendes generelles Überwachungsverbot zu sichern, sondern durch Zurückhaltung bei der Erhebung und Verwendung, wenn durch die heimliche akustische Überwachung von Wohnraum der innere, höchstpersönliche Bereich des familiären Lebens betroffen ist505. Die heimliche akustische Überwachung von Privatwohnungen mit technischen Mitteln kann freilich dazu führen, dass staatliche Stellen Einblick in den Bereich des Höchstpersönlichen eines Einzelnen bis hin zu seinem Intimleben wie z. B. Äußerungen innerster Gefühle oder Ausdrucksformen der Sexualität gewinnen506. Wegen der Heimlichkeit von Maßnahmen wird der Einzelne, der sich ja unbeobachtet glaubt und der auf die Abgeschlossenheit seiner Privatwohnung für einen 502 503 504 505 506
Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1020. Vgl. BVerfGE 80, 367, 378. Vgl. Guttenberg, NJW 1993, 567, 572. So treffend MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. Vgl. Guttenberg, NJW 1993, 567, 570.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Außenstehenden vertraut, sich selbst zum Ausdruck bringen und mit seinen engsten Familienangehörigen höchstpersönliche Gespräche führen. Durch den heimlichen Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen gewinnt der Staat die Herrschaft über Informationen, welche die Betroffenen nur für sich und unter sich behalten wollen507. Das heimliche Abhören und Ausspähen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen stellt einen Eingriff von höchster Intensität dar508. Die Ungeschütztheit und Arglosigkeit der Betroffenen wird ausgenutzt, und es kann auf intimste Bereiche zugegriffen werden509. Der Eingriff ist noch deutlich intensiver als der schwere Eingriff des Abhörens von Telekommunikation. Bei der Telefonüberwachung greift der Staat auf das Wort zu, das der Betroffene von dem einen an einen anderen Ort übermittelt510. Dagegen bezieht sich Art. 13 Abs. 3 GG auf die vertrauliche Nahkommunikation. Damit lässt sich für den Betroffenen seine Privatheit gerade dort, wo er sie am meisten ausübt, aufheben511. Aus der Intensität des Eingriffs folgt für die notwendige Abwägung zwischen dem Maß der grundrechtlichen Betroffenheit und den Belangen der Allgemeinheit,512 dass nur überragende Allgemeininteressen den Eingriff rechtfertigen können513. Die akustische Überwachung von Privatwohnungen ist dann gerechtfertigt, wenn sie zur Verfolgung von im Gesetz einzeln bestimmten, besonders schwerwiegenden Straftaten erforderlich ist und wenn ein auf sie gerichteter Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet wird. Aus der Tiefe des Eingriffs folgt auch, dass auf allen seinen Stufen – bei der Anordnung der Überwachung, bei ihrer Durchführung und bei dem Umgang mit den erhobenen Informationen – strikt auf den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne zu achten ist, dass die Einzelmaßnahme zur Zweckerreichung unerlässlich ist514. Dies gilt nicht nur dort, wo der Eingriff zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten unumgänglich ist, wo also keine anderen Möglichkeiten mit Aussicht auf Erfolg realisierbar sind. Eine heimliche akustische Überwachung von Wohnraum darf nur als „ultima ratio“ erfolgen. Sie kann im Übrigen nur in Betracht kommen, wenn und solange sich der Beschuldigte vermutlich in ihr aufhält, ist zeitlich zu befristen und bedarf der Anordnung durch einen richterlichen Spruchkörper515. Ein heimliches Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen in Privatwohnungen muss sich, Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351; Amelung, NJW 1991, 2533, 2535. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 509 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 510 Die Überwachung der Telekommunikation ist „ein schwerer, im Gewicht jedoch deutlich hinter der heimlichen Kenntnisnahme von Handlungen und Äußerungen, die nach dem Willen der Beteiligten in der Wohnung bleiben sollen, zurückbleibender Eingriff“. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 350 u. 351. 511 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 512 Vgl. BVerfGE 100, 313, 375 f. 513 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 514 Vgl. BVerfGE 65, 1, 44; MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 515 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 507 508
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
selbst wenn es grundsätzlich zulässig ist, auf Gesprächssituationen beschränken, die strafverfahrensrelevante Inhalte umfassen. Aufzeichnungen von Gesprächen mit engsten Familienangehörigen, die sich nicht unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen, sind unverzüglich zu löschen; jede Verwertung solcher im Rahmen der Strafverfolgung erhobener höchstpersönlicher Daten, die nach ihrem Inhalt keinen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen, ist ausgeschlossen. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist nicht unbegrenzt gewährleistet. Der absolute Schutz, der der Privatwohnung verfassungsrechtlich zukommt, reicht nur insoweit, als das in ihr ausgeübte Verhalten um der Menschenwürde willen geschützt ist. Nicht jede Äußerung in einer Privatwohnung hat höchstpersönlichen Charakter und nicht jede heimliche akustische Überwachung von Privatwohnung verletzt damit den Menschenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG. Dort aber, wo sich jemand allein oder ausschließlich mit seinen Familienangehörigen oder anderen engsten Vertrauten in einer Privatwohnung aufhält und keine Anhaltspunkte für deren Tatbeteiligung besteht, werden Handlungen und Gespräche in den Räumen der Privatwohnung zur Wahrung der Menschenwürde absolut geschützt. Dies ergibt sich jedoch ohne die Annahme der absoluten Schutzwürdigkeit von Privatwohnungen bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
III. Der Schutz durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die bisherigen Überlegungen zusammenfassend wird der Menschenwürdegehalt des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) unter Berücksichtigung der im jeweiligen Einzelfall zu ermittelnden Wertigkeit des Allgemeinwohlbelangs „relativ“ bestimmt. Die Grenze staatlicher Zugriffsmöglichkeiten auf die Unverletzlichkeit der Wohnung ist nicht dahin gehend zu ziehen, dass die Räume oder jedenfalls bestimmte Räume einer Wohnung stets und unter allen Umständen „absolut“ geschützt und jedem staatlichen Zugriff entzogen sind516. Auch Privatwohnungen, in denen das Minderheitsvotum im Großen Lauschangriff-Urteil den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung sieht und die damit absolute Schutzwürdigkeit genießen sollen, können im Einzelfall in einer Weise genutzt werden, die diesen absoluten Schutz nicht verdient und einen Eingriff zur Bewahrung anderer hochwertiger Rechtsgüter erforderlich machen kann. Dem Gesetzgeber ist es daher nicht gänzlich verwehrt, für das staatliche Interesse an der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr Eingriffe auch in eine Wohnung vorzusehen. Der entsprechende Schluss ist dabei allerdings nicht nur auf das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung des Art. 13 Abs. 1 GG, sondern auch auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu übertragen. Danach ist der Gesetzgeber weder verpflichtet noch steht es ihm frei, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung absoluten Vorrang vor anderen wichtigen 516
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Gemeinschaftsgütern einzuräumen. Es ist grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten, ob und unter welchen Voraussetzungen die Polizei durch heimliche Datenerhebungen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen darf. Die Grenzen heimlicher Informationseingriffe sind durch den Gesetzgeber zu ziehen, der u. a. die verfahrensrechtlichen Anforderungen und inhaltlichen Maßgaben polizeilicher Datenerhebung und Datenverarbeitung unter Abwägung der Sicherheitsinteressen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu regeln hat. Ob durch eine gesetzliche Regelung der Menschenwürdegehalt des Grundrechts angetastet wird, hängt davon ab, ob die betreffende Eingriffsnorm den Freiheitsgehalt des Grundrechts in einer die Menschenwürde verletzenden Weise entwertet und damit den Schutz, den die Verfassung gewährleisten will, unterläuft517. Bei heimlichen Informationseingriffen ist vor allem Bedacht darauf zu nehmen, dass Art und Weise des Eingriffs zu einer Situation führen können, in der die Menschenwürde verletzt wird. Eine zeitliche und räumliche „Rundumüberwachung“ wird daher regelmäßig schon deshalb unzulässig sein, weil die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass hierbei die Menschenwürde verletzt wird518.
B. Absoluter Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen? Bei einer offenen Datenerhebung durch Befragungen wird dem Betroffene z. B. durch § 27 IV 2 BWPolG in entsprechender Anwendung von §§ 52 I, 53, 53a und 55 StPO ein Recht zur Verweigerung der Auskunft eingeräumt, soweit er durch die Auskunft sich selbst oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden oder ihm auf Grund seines Berufes ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht519. Bei den Vorschriften über Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 519 Ein solches an die §§ 52 bis 55 StPO anknüpfendes Auskunftsverweigerungsrecht mit Unterschieden im Einzelnen ist auch in § 18 VI BerlASOG; § 3 III HambPolDVG; § 12 II HSOG; § 28 II 3 MVSOG; § 12 V 2 NdsSOG; § 25a III RhPfPOG; § 11 I 3, 4 SaarlPolG; § 18 VI 2 SächsPolG; § 14 II 2 SachsAnhSOG; § 180 II 3 SchlHVwG geregelt. Sind solche Regelungen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen nicht aufgenommen worden, stellt sich die Frage, ob auf allgemeine Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze zurückgegriffen werden darf. Das gilt etwa für Nordrhein-Westfalen, das in seinem Polizeigesetz kein Aussageverweigerungsrecht regelt, in § 26 II 4 NWLVwVfG aber vorsieht, dass der Auskunftspflichtige die Auskunft auf solche Fragen, zu deren Beantwortung er durch Rechtsvorschrift verpflichtet ist, verweigern kann, wenn deren Beantwortung ihn selbst oder einer der in § 383 I Nr. 1 bis 3 ZPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem OWiG aussetzen würde. Hier ist problematisch, ob die Vorschriften des NWPolG ein Auskunftsverweigerungsrecht konkludent ausschließen und insofern die allgemeinen landesverwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften verdrän517 518
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
heimliche Informationseingriffe durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung wie z. B. gem. § 22 BWPolG fehlt es jedoch bislang an gesetzlichen Regelungen, welche Konsequenzen es hat, wenn eine heimliche polizeiliche Erhebung in Bezug auf solche Personen erfolgt, denen bei einer offenen Datenerhebung durch Befragungen ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen wäre520. Lediglich § 40 I 2 BWPolG sieht für die Rasterfahndung vor, dass Daten, die einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, von ihr ausgenommen sind. Im Zusammenhang mit heimlichen Informationseingriffen ist daher klärungsbedürftig, ob und in welchem Umfang sich hier aus bestimmten Vertrauensverhältnissen, z. B. zwischen engsten Familienangehörigen, Arzt und Patient, Rechtsanwalt und Mandant oder Presse und Informanten, – ähnlich wie bei einer offenen Datenerhebung durch Befragungen – Begrenzungen des Rechts zur Datenerhebung bzw. zur Datenverwendung ableiten lassen521.
I. Verfassungsrechtliche Fundierung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen 1. Zur Ratio der Zeugnisverweigerungsrechte gem. §§ 52 – 53a StPO Das Polizei- und Ordnungsrecht kennt eine Reihe von Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechten. Sie verweisen partiell auf §§ 52 ff. StPO, partiell beinhalten sie eigene, vergleichbare Formulierungen522. Im Schrifttum wird dabei vielfach vertreten, dass bestimmte Vertrauensverhältnisse durch Zeugnis-, Aussageverweigerungsrechte und sonstigen Beweiserhebungsverbote im einfachen Gesetzesrecht anerkannt und ausgeformt seien523. Die Anerkennung und Ausgestaltung von gen (vgl. Scholler / Schloer, Grundzüge des Polizei- und Ordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 104 f.) oder ob die polizeirechtlichen Vorschriften insoweit eine Lücke enthalten, die durch eine unmittelbare Anwendung des (engeren) § 26 II 4 NWLVwVfG geschlossen werden müsse (vgl. Gusy, NVwZ 1991, 614, 618; Haurand / Vahle, NVwZ 2003, 513, 517). Dabei wird man davon auszugehen haben, dass eine analoge Anwendung der bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 52 ff. StPO zur Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechts im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung sowie auch aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Siehe dazu näher Schenke, Polizeirecht, Rn. 182; Würtenberger / R.P.Schenke, Der Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen im Recht der polizeilichen Informationserhebung, JZ 1999, 548, 551; Gusy, Polizeiliche Befragung am Beispiel des § 9 NRWPolG, NVwZ 1991, 614, 618, ders., Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 135, 140 f. 520 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 307. 521 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191. 522 Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149, 152. 523 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 307; Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149, 152.
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Vertrauensverhältnissen im einfachen Gesetzesrecht habe beispielsweise in den §§ 52 – 55 StPO sowie in §§ 383 ff. ZPO ihren Ausdruck gefunden524. Umstritten ist aber, ob die Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung zum Schutz der Vertrauensverhältnissen zwischen den dort genannten Personen und Beschuldigen geschaffen worden sind525. Obwohl die Frage nach der sog. „Ratio“ der Zeugnisverweigerungsrechte vielfach erwähnt wird, ist sie jedoch von einer auch nur einigermaßen konsentierten Lösung weit entfernt526. Gleichwohl besteht hier das Bedürfnis einer gewissen Festlegung, weil ohne diese die Folgefragen nicht konsistent zu beantworten sind. Festzulegen ist also wenigstens vom Grundgedanken her, ob den Zeugnisverweigerungsrechten gem. §§ 52 – 53a StPO ein einheitlicher Schutzgedanke zugrunde liegt oder ob verschiedene Schutzgüter für die Zeugnisverweigerungsrechte bestehen, z. B. differenzierend zwischen § 52 StPO einerseits und §§ 53, 53a StPO andererseits527. a) Der Schutzzweck der Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung sind ihrem Wesen nach Bestandteile des Beweiserhebungsrechts der Verfahrensordnungen528. Nach Ansicht des BVerfG sollen sie unmittelbare Wirkungen lediglich innerhalb eines Verfahrens äußern und sich erst aktualisieren, falls derjenige, den seine wirkliche oder mutmaßliche Beziehung zum Prozessgegenstand in die Rolle des Zeugen und damit eines Verfahrensbeteiligten bringt, es ablehnt, den von ihm geforderten Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten529. Das Gericht sieht die Bedeutung solcher Bestimmungen darin, dass sie die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung dadurch beschränken, dass sie Ausnahmen von einer grundsätzlich für alle geltenden Bürgerpflicht statuieren. Das geschehe im Strafverfahren in unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Gründen530. 524 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 307. 525 Vgl. dazu BVerfG, NJW 2004, 999, 1004; MVVerfG, LKV 2000, 345, 353; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und zukünftigen Strafverfahrensrecht, 1979, 8 ff.; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen unter besonderer Berücksichtigung von Schutzzweck und Enumerationsprinzip, 2000; Paeffgen, in: FS für Rieß, 413, 415 f.; ders., Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 218 f.; Gärditz / Stuckenberg, Zu Funktion und Ratio der Zeugnisverweigerungsrechte im Strafverfahren, 99, 112 f.; Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 332. 526 S. dazu näher Paeffgen, in: FS für Rieß, 2002, 413, 415; Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 332. 527 Paeffgen, in: FS für Rieß, 2002, 413, 415. 528 Vgl. BVerfGE 36, 193, 203. 529 Vgl. BVerfGE 36, 193, 203. 530 Vgl. BVerfGE 36, 193, 203.
12 Son
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Aus dem verfassungsrechtlichem Aspekt betrachtet, verwirklichen die gesetzlich verankerten Zeugnisverweigerungsrechte unterschiedliche Schutzgüter531. Da die Privilegierung der in den §§ 52 – 53a StPO genannten Personen durch ein Zeugnisverweigerungsrecht Ausprägungen ganz unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Rechtsgüter sind, ist es nicht möglich, einen Allgemeinen Teil der Zeugnisverweigerungsrechte aus dem Grundgesetz herzuleiten532. Den Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung im Strafverfahren ist jedoch nur so viel gemeinsam, dass sie – von § 55 StPO abgesehen – in bestimmten Verhältnissen, Bindungen oder Pflichten des Zeugen wurzeln, die ihren Ort außerhalb des Verfahrens haben,533 und auch der Vermeidung von Pflichtenkollisionen des Zeugen dienen, die sich aus solchen Verhältnissen, Bindungen oder Pflichten ergeben534. Den Zeugnisverweigerungsrechten der in den §§ 52 – 53a StPO genannten Personen ist insoweit jedenfalls zweierlei gemeinsam: Zum einen geht es um den Schutz rechtlich anerkannter Vertrauensverhältnisse, zum anderen werden Zeugnisverweigerungsrechte zur Vermeidung von Pflichtenkollisionen der Angehörigen oder der Berufsträger, die sich aus ihrer Beziehungen zu dem Angeklagten ergeben, also zum Schutz des Zeugen, angenommen. aa) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen Das BVerfG hat – abgesehen vom Drogenberatungsstellen-Beschluss vom 24. 5. 1977535 – bisher noch kein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus dem Grundgesetz begründet, wohl aber gesetzlich begründete Vertrauensbeziehungen verfassungsrechtlich anerkannt und zur Legitimation gesetzlich begründeter Aussageverweigerungsrechte herangezogen536. Derartige Vertrauensbeziehungen, die Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149. Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149, 150; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 550, 552 ff. 533 Vgl. BVerfGE 36, 193, 203. 534 Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149; BVerfGE 56, 37, 41 – 42. Im Gemeinschuldner-Beschluss vom 13. 1. 1981 hatte sich das BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit eines Zwanges zur Auskunft zu befassen. In diesem Beschluss war der beschwerdeführende Gemeinschuldner im Konkursverfahren seiner Auskunftsverpflichtung nach § 100 KO nicht nachgekommen, da er befürchtete, sich selbst durch seine Angaben in einem parallel gegen ihn laufenden Strafverfahren zu belasten. Im Gemeinschuldner-Beschluss hat das BVerfG anerkannt, durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten könne die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen seines Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Wegen dieser Folgen sei die erzwingbare Auskunftspflicht als Eingriff in die Handlungsfreiheit bzw. als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts i.S. des Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen. Der Zwang zur Selbstbezichtigung berühre zugleich die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird. 535 BVerfGE 44, 353, 376 ff. 536 Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149, 150. 531 532
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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ein Zeugnisverweigerungsrecht begründen können, sind in der Rechtsprechung des BVerfG in unterschiedlichen Konstellationen anerkannt537. Dazu gehören vor allem die Angehörigenverhältnisse im Sinne des § 52 StPO538, die Beziehungen zwischen Arzt und Patient,539 aber auch die anderen anerkannten Amts- und Berufsgeheimnisse z. B. von Geistlichen540, Rechtsanwälten541 und Redakteuren542. Das Ziel der Zeugnisverweigerungsrechte ist vor allem der Schutz von familiären bzw. nahen persönlichen Vertrauensbeziehungen (§ 52 StPO) sowie der Schutz von Vertrauensverhältnissen zwischen bestimmten Berufsträgern und denjenigen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen (§§ 53, 53a StPO)543. Im Beschluss vom 28. 11. 1973 weist das BVerfG zu Recht darauf hin, dass den Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung im Strafverfahren insoweit gemeinsam ist, als sie – von § 55 StPO abgesehen – in bestimmten Verhältnissen, Bindungen oder Pflichten des Zeugen wurzeln, die ihren Ort außerhalb des Verfahrens haben, nach ihrer Bewertung durch den Gesetzgeber aber so wichtig sind, dass sie den Belangen der Wahrheitserforschung im Falle des Widerstreits vorgehen und daher innerhalb des Verfahrens Berücksichtigung finden544. Dies soll für die Schonung familienrechtlicher Beziehungen (§ 52 StPO), die Beachtung beruflich bedingter Verschwiegenheitspflichten (§ 53 I Nr. 1 bis 3 StPO), die Anerkennung des Schutzbedürfnisses der Abgeordneten gegenüber dem Zwang zur Offenbarung gewisser Informationen und Informationswege (§ 53 I Nr. 4 StPO) ebenso wie für die Rücksichtnahme auf das Redaktionsgeheimnis von Presse und Rundfunk (§ 53 I Nr. 5 StPO) gelten. Der Berücksichtigung solcher Verhältnisse, Bindungen oder Pflichten des Zeugen sollen wiederum allgemeinere Gesichtspunkte zugrunde liegen545. bb) Der Schutz des Zeugen Daneben dienen die Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung auch dem Zeugenschutz. Die Zeugnisverweigerungsrechte gem. §§ 52 – 53a StPO schützen den Zeugen vor Konflikten, die sich ergeben können aus der Besonderheit einer Vernehmungssituation, insbesondere durch die Wahrheitspflicht bei einer Zeugenvernehmung einerseits und die Pflichten, die aus seinen familiären bzw. nahen persönlichen Vertrauensbeziehungen (§ 52 StPO) oder aus seinen berufVgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149. BVerfG, StV 2000, 233, 234 = NStZ 2000, 489, 490. 539 BVerfGE 32, 373, 378 u. 382 ff.; 88, 203, 282, 289. 540 BVerfGE 42, 312, 335. 541 BVerfG, NJW 2002, 2458 542 BVerfGE 36, 193, 204; 50, 234, 240; 100, 313, 365; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793. 543 So auch BGHSt 9, 59, 61; LR-Dahs, § 53 Rn. 1; KK-Senge, § 53 Rn. 1; Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 338. 544 Vgl. BVerfGE 36, 193, 203. 545 Vgl. BVerfGE 36, 193, 203. 537 538
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
lichen Vertrauensverhältnissen (§§ 53, 53a StPO) gegenüber dem Beschuldigten andererseits erwachsen. Die StPO nimmt Rücksicht auf einen möglichen inneren Konflikt, den ein unbedingter Zeugniszwang für die in den §§ 52 – 53a StPO aufgeführten Personen wegen ihrer familiären bzw. nahen persönlichen Vertrauensbeziehungen oder wegen ihrer beruflichen Vertrauensverhältnisse zum Beschuldigten zur Folge haben könnten. Überdies soll vermieden werden, dass der Zeugen gegen seinen Willen im Rahmen des Verfahrens als Beweismittel gegen den Beschuldigten instrumentalisiert werden kann.
b) Zeugnisverweigerungsrechte als Ausgestaltung von Vertrauensverhältnissen Zusammenfassend zeigt sich, dass das Strafprozessrecht dem Zeugen nicht das Recht verleiht, durch eine Zeugnisverweigerung die Überführung des Beschuldigten zu verhindern, sondern er ist nur von der Verpflichtung entbunden, zur Belastung des Beschuldigten beizutragen. Dabei stellt sich die Frage, weshalb die in den §§ 52 – 53a StPO genannten Personen von der grundsätzlich für alle Bürger geltenden Verpflichtung zur Zeugenaussage freigestellt sind. Das Strafprozessrecht gewährt die Zeugnisverweigerungsrechte den in den §§ 52 – 53a StPO genannten Personen vor allem wegen ihrer familiären bzw. nahen persönlichen Vertrauensbeziehungen (§ 52 StPO) oder wegen ihrer beruflichen Vertrauensverhältnisse (§§ 53, 53a StPO) zum Beschuldigten. Sie waren dem Gesetzgeber wichtig genug, ihnen gegenüber das grundsätzliche Gebot der Aufklärung und Verfolgung von Verbrechen zurücktreten zu lassen. Der Schutz von Vertrauensverhältnissen ist dabei aber mit dem Aspekt der Vermeidung einer Pflichtenkollision der Angehörigen oder der Berufsträger untrennbar verbunden. Wegen der familiären bzw. nahen persönlichen oder beruflichen Vertrauensbeziehungen konnte der unbedingte Zeugniszwang für die in den §§ 52 – 53a StPO genannten Personen zu einem Widerstreit der Pflichten führen. Auch auf diese mögliche innere Belastung nimmt das Strafprozessrecht Rücksicht. Die Zeugnisverweigerungsrechte dienen also neben der Vermeidung aktueller Konfliktsituationen in der Zeugenrolle insbesondere dem Schutz von familiären bzw. nahen persönlichen Vertrauensbeziehungen (§ 52 StPO) sowie dem Schutz von Vertrauensverhältnissen zwischen bestimmten Berufsträgern und denjenigen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen (§§ 53, 53a StPO)546. Dieses Ziel hat den Gesetzgeber veranlasst, das öffentliche Interesse an der Aufklärung eines strafbaren Sachverhalts zurücktreten zu lassen und unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu gewähren.
546 So ähnlich Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP), Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Strafverfahrensrechts vom 17. 7. 2001 (§§ 100g, 100h StPO-E als Nachfolgeregelung zu § 12 FAG), 361, 366.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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2. Die grundrechtliche Absicherung von Vertrauensverhältnissen In Bezug auf den Schutz bestimmter Vertrauensbeziehungen bei heimlich erfolgenden Informationseingriffen bedarf es in zweiter Linie einer Klärung, ob die im einfachen Gesetzesrecht durch Zeugnis-, Aussageverweigerungsrechte und sonstige Beweiserhebungsverbote anerkannten und ausgeformten Vertrauensverhältnisse auch verfassungsrechtlich abgesichert sind547. Dabei dürfte unbestritten sein, dass die Anerkennung und Ausgestaltung von Vertrauensverhältnissen im einfachen Gesetzesrecht, wie sie z. B. in den §§ 52 – 55 StPO sowie in §§ 383 ff. ZPO ihren Ausdruck gefunden hat, auf ein verfassungsrechtliches Fundament gestellt wird548. Nach wohl allgemeiner Auffassung fordern die Grundrechte den Schutz bestimmter Vertrauensverhältnisse549. Zu diesen gehören die Beziehungen zu engsten Familienangehörigen wie die Ehegattenbeziehung und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern (Art. 6 GG),550 ähnliche enge Vertrauensverhältnisse, wie z. B. die Beziehung zu Geschwistern oder zu Lebensgefährten (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG),551 und die Verhältnisse zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen. Zu letzteren zählen die Geistlichen (Art. 4 GG)552, Abgeordneten (Art. 47 GG) und sowie als Berufsgeheimnisträger insbesondere Rechtsanwälte, Ärzte und Drogenberater (Art. 12 GG) sowie Journalisten (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG)553. „Besondere“ Vertrauensbeziehungen sind dabei insbesondere die Ehegattenbeziehung und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, welche eines besonderen Schutzes wegen Art. 6 GG bedürfen, oder solche Vertrauensverhältnisse, die sowohl grundrechtlich als auch durch Gesetz554 oder durch rechtlich anerkanntes Herkommen555 eine besondere Anerkennung gefunden haben. Neben diese besonderen Vertrauensverhältnisse treten „allgemeine“ Vertrauensbeziehungen, 547 Würtenberger / Ralf. Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 307. 548 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 307. 549 Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247. 550 Vgl. BVerfGE 35, 35, 39 f.; 42, 234, 236 f. – Briefkontakt mit Ehegatten; BVerfGE 57, 170, 178 f. – Breifkontakt mit Eltern. 551 Vgl. BVerfGE 90, 255, 259 ff. – Breifkontakt mit Bruder; BVerfG, Beschl. v. 24. 6. 1996, NJW 1997, 185, 186 – Breifkontakt mit der Lebensgefährtin. 552 Vgl. BVerfGE 42, 312, 335. 553 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. Zum Verweis auf Art. 12 GG bei Rechtsanwälten und Ärzten BVerfG, NJW 2002, 2458; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f.; zum Journalisten BVerfGE 36, 193, 204; 50, 234, 240; 100, 313, 365; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793. 554 Z. B. § 203 I 4 StGB für Suchkrankenberatungsstellen, s. BVerfGE 44, 353, 377. Siehe dazu näher Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 97. 555 BVerfGE 32, 373, 379; Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 97; Vogelgesang, S. 203; z. B. Arzt-Patient.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
die durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich garantiert sind. a) Der grundrechtliche Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen aa) Der Schutz von mittels Amts- und Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnissen (Art. 4, 5, 12 und 47 GG) Das Grundgesetz schützt eine Reihe von besonderen Vertrauensverhältnisse, deren Funktionsfähigkeit Amts- und Berufsgeheimnisse voraussetzen556. Die verfassungsrechtliche Grundlage für den Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen ist in den Grundrechten zu sehen557. So umfasst das Recht auf ungestörte Religionsausübung aus Art. 4 GG den Schutz des Beichtgeheimnisses558. Die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 GG umfasst namentlich für die beratenden Berufe, die Heilberufe und die Rechtsanwälte den Schutz des Berufsgeheimnisses559. Die Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beinhaltet den Informantenschutz sowie den Schutz des Redaktionsgeheimnisses560. Daneben schützt Art. 47 GG vertrauliche Angaben gegenüber Abgeordneten561. (1) Die Bedeutung des Schutzes von Amts- und Berufsgeheimnissen Neben der klassischen individuellen Abwehrfunktion kommt der grundrechtlichen Gewährleistung auch eine institutionelle Bedeutung zu, da das Vertrauen in die Integrität der verfassungsrechtlich geschützten Verhältnisse auch für die Funktionsfähigkeit der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung erheblich bedeutsam sein soll562. Für die Freiheit ermöglichende und gewährleistende Funktion von gesellschaftlichen Institutionen sowie ihre sachgerechte Arbeit kommt es vielfach darauf an, dass sich auf deren Abschottung und die Diskretion ihrer Geheimnisträger vertrauen lässt563. So würde das kirchenrechtliche Institut des Beichtgeheimnisses weitgehend entwertet, wenn der Beichtende damit rechnen müsste, dass das, was er seinem Beichtvater anvertraut hat, dem staatlichen Zugriff unterliegt564. VerVgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 307. 558 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 559 Vgl. zum Verweis auf Art. 12 GG bei Rechtsanwälten und Ärzten BVerfG, NJW 2002, 2458; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f. 560 Vgl. BVerfGE 20, 162, 176 u. 187 ff.; 36, 193, 204; 50, 234, 240; 77, 65, 74 f.; 100, 313, 365; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793. 561 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 562 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BVerfG, DVBl. 2001, 1057, 1058; Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 308. 563 Vgl. Denninger, StV 1998, 401, 406; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. 564 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. 556 557
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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schwiegenheit und Vertraulichkeit bilden auch eine wichtige Grundbedingung für eine sachgerechte Ausübung der Anwaltstätigkeit565 und ein Arzt kann seine Aufgabe nicht erfüllen, wenn er und der Patient auf die Vertraulichkeit ihres Gesprächs nicht mehr vertrauen können566. Das BVerfG wies im Arztkartei-Beschluss vom 8. 3. 1972 darauf hin, derjenige, der sich in ärztliche Behandlung begebe, müsse und dürfe erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfahre, geheim bleibe und nicht zur Kenntnis Unberufener gelange567. Nur so könne zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens gehöre, denn es vergrößere die Chancen der Heilung und diene damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge568. Hierzu werden auch die Klientenakten einer Drogenberatungsstelle gerechnet569. Im Drogenberatungsstellen-Beschluss erkannte das BVerfG die Geheimhaltung als essentielle Bedingung für die Funktionsfähigkeit der Vertrauensbeziehungen zwischen Drogenberater und Klienten an570. Auch die Eigenständigkeit und Freiheit der Presse und des Rundfunks leben von einem intakten Informantenschutz571. Im Urteil des BVerfG vom 12. 3. 2003, das einen durch strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation einer Rundfunkanstalt begründeten Eingriff in das zwischen Rundfunkangehörigen und ihren Informanten bestehende Vertrauensverhältnis betraf,572 stellte das Gericht klar, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG den im Bereich von Presse und Rundfunk tätigen Personen und Organisationen subjektive Freiheitsrechte garantiere und darüber hinaus in seiner objektiv-rechtlichen Bedeutung auch die institutionelle Eigenständigkeit der Presse und des Rundfunks schütze,573 die das Vertrauensverhältnis zu den Informanten und das Redaktionsgeheimnis umfasst574. Im Urteil des BVerfG vom 12. 3. 2003575 und auch im zweiten G 10-Urteil des BVerfG vom 14. 9. 1999576 hat das Gericht betont, die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit beziehen sich nicht allein auf die Verbreitung von Nachrichten und Meinungen in einem Presseorgan, sondern schließen auch diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht zu Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. Denninger, StV 1998, 401, 406. 567 BVerfGE 32, 373, 380. 568 BVerfGE 32, 373, 380. 569 BVerfGE 44, 353, 372 f. 570 BVerfGE 44, 353, 376 u. 378. 571 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. 572 Vgl. BVerfGE 107, 299 ff. = NJW 2003, 1787. S. dazu näher Kugelmann, NJW 2003, 1777 ff.; Gusy, NStZ 2003, 399 ff. 573 Vgl. BVerfGE 10, 118, 121; 66, 116, 133; 77, 65, 74 ff. 574 Vgl. BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793. 575 Vgl. BVerfG, NJW 2003, 1787 ff. 576 Vgl. BVerfGE 100, 313 ff. 565 566
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erfüllen vermögen577. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informanten578 sowie die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit, die sämtlich für die Datenerhebung und -verarbeitung unerlässlich sind579. Die Gewährleistung der Vertraulichkeit journalistischer Kommunikation wird insoweit von objektiv-rechtlichen, institutionellen Garantien der Medienfreiheit geschützt580. Neben der klassischen individuellen Abwehrfunktion der Grundrechte drängen den Staat auch die objektiven Grundrechtsfunktionen, Eingriffe in besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken581. Dies hat der Gesetzgeber zu beachten. Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften können gerichtlich voll überprüft werden582. (2) Der Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen in der Rechtsprechung des BVerfG In der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung hat der Schutz von Vertrauensverhältnissen zunächst im Rahmen der prozessualen Verwertbarkeit von Informationen eine besondere Bedeutung erlangt. Dabei hat das BVerfG die Vertrauensbeziehungen zwischen Arzt und Patient oder Drogenberater und Süchtigem als besonders geschützten Bereich der persönlichen Kommunikation qualifiziert583. Es differenzierte hier hinsichtlich des Ergebnisses nach den Verhältnissen zwischen dem Arzt und seinem Patienten oder dem Drogenberater und seinem Klienten, denen im konkreten Fall ein Schutz zuteil wurde, und den Verhältnissen zwischen dem Sozialarbeiter und seinem Klienten584 oder dem Tierarzt und seinem Auftraggeber585, deren Beziehung dieser Schutz verweigert wurde586. Nach Auffassung des BVerfG unterscheiden sich die jeweiligen Beziehungen in wesentlichen Punkten. In allen Fällen wurde zwar ein besonderes Vertrauen in Anspruch genommen, welches für die Funktionsfähigkeit dieser Beziehungen in der Regel notwendig ist. Die im Ergebnis geschützten Beziehungen werden jedoch dadurch gekennzeichnet, dass ihnen von Rechts wegen oder aufgrund besonderen Herkommens eine erhöhte Verschwiegenheit eignet587. Ausdrücklich geschützte Vertrauensverhältnisse sind Vgl. BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793; BVerfGE 100, 313, 365. BVerfGE 20, 162, 176 u. 187 ff.; 50, 234, 240, 77, 65, 74 f.; 100, 313, 365; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1793. 579 Vgl. BVerfGE 66, 116, 130 ff.; 100, 313, 365. 580 Kugelmann, NJW 2003, 1777, 1778. 581 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. 582 Kugelmann, NJW 2003, 1777, 1778. 583 BVerfGE 32, 373, 379 f.; 44, 353, 372 f. 584 BVerfGE 33, 367 ff. 585 BVerfGE 38, 312 ff. 586 Deutsch, S. 49. 587 Deutsch, S. 49. 577 578
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so solche Beziehungen, die durch Gesetz, wie z. B. das Verhältnis zwischen Drogenberater und Süchtigem,588 oder durch rechtlich anerkanntes Herkommen, wie etwa die Beziehung zwischen Arzt und Patient,589 eine spezielle Anerkennung gefunden haben590. Im Drogenberatungsstellen-Beschluss vom 24. 5. 1977 hob das BVerfG hervor, dass das geltende Recht das Vertrauen der Klienten an der Geheimhaltung der gegenüber der Suchtberatungsstelle gemachten Angaben, welches für eine erfolgreiche Beratungstätigkeit notwendig sei, strafrechtlich schütze591. Fehlt eine besondere Anerkennung der Vertrauensverhältnisse, die durch Gesetz oder durch rechtlich anerkanntes Herkommen entstehen können, schon deshalb, weil z. B. ein „geschlossenes Bild“ der Berufsausübung nicht besteht, so wird ein besonderer Schutz nicht gewährleistet592. So ist die faktische Inanspruchnahme von Vertrauen nicht genügend, um einen qualifizierten Schutz vor staatlicher Kenntnisund Einflussnahme zu begründen593. Vielmehr setzen die geschützten Beziehungen das Bestehen eines rechtlich anerkannten, auf höchstpersönliche Belange bezogenen Vertrauensverhältnisses voraus594. Deshalb hat das BVerfG einen Schutz des Vertrauensverhältnisses lediglich mit Angehörigen bestimmter Heil- und Betratungsstellen anerkannt, deren Berufsbild durch die Begründung höchstpersönlicher, grundsätzlich keine Offenbarung duldender Vertrauensbeziehungen gekennzeichnet und deshalb typischerweise mit der Erwartung verbunden ist, dass Tatsachen aus der Privatsphäre der Klienten gegenüber jedermann verschwiegen werden595. An letzterem fehlt es beim Berufsbild des Sozialarbeiters, der zudem regelmäßig als Teil einer Organisation und nicht als beruflich unabhängiges Individuum auftrete596. bb) Der Schutz von familiären Vertrauensverhältnissen gem. Art. 6 GG Trotz seines Wortlautes ist Art. 6 GG nicht allein als Garantie der Institute Ehe und Familie zu qualifizieren597. Vielmehr enthält er auch ein Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen in diese Bereiche598. Die Schutzbereiche von Ehe und Familie reichen von der Gründung bis zur – zumindest bei der Ehe – Auflösung und umfassen alle Angelegenheiten des ehelichen und familiären ZusammenVgl. BVerfGE 44, 353, 377. Vgl. BVerfGE 32, 373, 379. 590 Vogelgesang, S. 203. 591 BVerfGE 44, 353, 376 u. 378. 592 Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 97. 593 Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 97. 594 Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 97. 595 BVerfGE 33, 367, 378 – 379. 596 Deutsch, S. 48; kritisch dazu Krause, DVR 1980, 229, 244. 597 Deutsch, S. 110. 598 Vgl. BVerfGE 6, 55, 71; 6, 386, 388; 24, 119, 135; 62, 323, 329; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 634; Rohlf, S. 172; Vogelgesang, S. 103; Deutsch, S. 110. 588 589
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lebens599. Art. 6 GG schützt u. a. bestimmte Beziehungen, in die typischerweise ein hohes Maß an Vertrauen investiert wird600. Dazu gehört die freie Meinungsäußerung in Ehe und Familie601. Ehe und Familie haben für die Kommunikation im höchstpersönlichen Bereich, gerade auch im Intimbereich, eine besondere Bedeutung602. So fußt eine in der ehelichen Vertrautheit besonders leicht mögliche thematisch unbegrenzte Kommunikation mit dem Ehepartner auf der Erwartung, dass der Vorgang nicht von Außenstehenden zur Kenntnis genommen werden kann603. Art. 6 GG garantiert der Ehe und Familie das für ihr Zusammenleben notwendige Maß an Vertrautheit und Abgeschlossenheit604. Demgegenüber lehnt es das BVerfG ab, die eheliche und familiäre Privatsphäre bei Art. 6 GG anzusiedeln, wie oben (2. Teil 2. Kapitel A. I. 1.) erwähnt605. Das Gericht sieht die Grundlage des Schutzes der brieflichen Kommunikation zwischen Ehegatten und Eltern und Kindern in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, der dem Einzelnen eine Privatsphäre garantiert, deren Schutz auch die vertrauliche Kommunikation umschließt606. Nach Auffassung des BVerfG soll das durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Gebot der Achtung der Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich durch die Verfassungsgarantie von Ehe und Familie eine besondere Verstärkung erfahren607. Art. 6 GG wird damit lediglich als besondere Verstärkung qualifiziert608. Der Schutzbereich des Art. 6 GG umfasst sowohl die Ehegattenbeziehung als auch das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern609. Nichts anders gilt aber für die Kommunikation mit anderen engsten Familienangehörigen, wie zum Beispiel Geschwistern und Verwandten in gerader Linie, insbesondere wenn sie im selben Haushalt leben610. Das familiäre Beziehungsverhältnis braucht zwar nicht in einer Hausgemeinschaft gelebt zu werden611. Wird es aber in einer Hausgemeinschaft gelebt, dann umfasst der Familienbegriff alle, die einander dadurch verbunden 599 Vgl. BVerfGE 29, 166, 175; 31, 58, 82; 36, 146, 162; 52, 224, 250; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 641 u. 644; Deutsch, S. 110. 600 Deutsch, S. 112. 601 Vgl. BVerfGE 35, 35, 39 f.; 42, 234, 236 f.; 57, 170, 178 f.; 90, 255, 259 ff. 602 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 603 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 604 Vgl. Rohlf, S. 78; Vogelgesang, S. 104 u. 203. 605 Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3. 606 Vgl. BVerfGE 35, 35, 39 f.; 42, 234, 236 f. – Briefkontakt mit Ehegatten; BVerfGE 57, 170, 178 f. – Briefkontakt mit Eltern. 607 Vgl. BVerfGE 35, 35, 40; 42, 234, 236; 57, 170, 178; 60, 329, 339. 608 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 376; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, Rn. 3. 609 Vgl. BVerfGE 57, 170, 178. 610 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 611 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 643.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
187
sind612. Das Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG enthält auch als wesentlichen Bestandteil das Recht oder die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen613. Da der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG auch die Freiheit der Eheschließung umfasst, wird er sich auch auf Verlöbnisse erstrecken können614. Gleichgeschlechtliche Verbindungen sind jedoch auch heute nach allgemeinem Verständnis aus dem Ehebegriff ausgeschlossen,615 weil Merkmal der Ehe die Geschlechtsverschiedenheit der Ehegatten (so noch ausdrücklich Art. 119 Abs. 1 Satz 2 WRV) ist616. Auch die nichteheliche oder eheähnliche Lebensgemeinschaft steht nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG617. Für andere als eheliche Gemeinschaften gilt Art. 2 Abs. 1 GG, der freilich gerade keine Freiheit der Eheschließung garantiert, was gesetzliche Regelungen aber nicht schlechthin ausschließt618. Art. 6 Abs. 1 GG umschließt ferner nicht den Schutz der Generationen-Großfamilie619. Die Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG bedeutet vielmehr grundsätzlich die in der Hausgemeinschaft geeinte engere Familie, das sind die Eltern mit ihren Kindern, also die Kleinfamilie als umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern620. Damit fallen die etwa in § 52 I Nr. 3 StPO genannten mit dem Beschuldigten Verwandten oder Verschwägerten nicht unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG621. Geschwister allein fallen auch nicht unter den Familienbegriff622.
Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 643. Vgl. BVerfGE 31, 58, 67; 36, 146, 162. 614 Vgl. Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 228. 615 Vgl. BVerfGE 105, 313, 345 f.; BVerfG, NJW 1993, 3058; BVerwGE 100, 287, 294; BayObLG, NJW 1993, 1996; OLG Köln, NJW 1993, 1997; LG Frankfurt / M., NJW 1993, 1998; Pauly, NJW 1997, 1955 f.; Robbers, JZ 2001, 779, 781; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6 Rn. 6; Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 2; a.A. AG Frankfurt / M., NJW 1993, 940; Schimmel, Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare, 1996, 187 ff.; Ott, NJW 1998, 117; Trimbach / Webert, NJ 1998, 63. 616 Vgl. Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6 Rn. 6. 617 Vgl. BVerfGE 9, 20, 34 f.; 36, 146, 165; BSG, NJW 1993, 1160; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6, Rn. 6; Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 2; Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 228. 618 Vgl. Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6, Rn. 6; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 60. 619 Vgl. BVerfGE 48, 327, 339. 620 Vgl. BVerfGE 48, 327, 339; 80, 81, 90. 621 Vgl. Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 228. 622 BVerwG, NVwZ 1994, 385; Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 4; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6, Rn. 6. 612 613
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
b) Der grundrechtliche Schutz von allgemeinen Vertrauensverhältnissen (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) Hier genießen die nicht in Art. 6 Abs. 1 GG begründeten Vertrauensverhältnisse, wie z. B. die eheähnliche Beziehung623, das Verhältnis zwischen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern und die Beziehung zwischen Geschwistern624 und zu Verwandten oder Verschwägerten, sowie sonstige Vertrauensverhältnisse, z. B. zwischen engen persönlichen Freuden, den Schutz der Privatsphäre gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Denn das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt auch die vertrauliche Kommunikation innerhalb der engeren Privatsphäre625. Für den Fall des Briefverkehrs zwischen einem Untersuchungsgefangenen und seiner Schwester hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 26. 4. 1994 ausgeführt, dass Art. 2 Abs. 1 GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantierte und es zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehöre, dass der Einzelne unbeobachtet sich selbst überlassen sein dürfe und mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren können müsse626. Auf Grund der Bedeutung einer Rückzugsmöglichkeit für die Persönlichkeitsentfaltung vermittelt das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG der vertraulichen Kommunikation einen grundrechtlichen Schutz627. Gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen rückt qualitativ der Aspekt der Selbstentfaltung auch gegenüber der Meinungsfreiheit in dem Vordergrund628. Lediglich unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit sei dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich629. Unter solchen Umständen könne es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl sollen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts verdienen630. Der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Schutz der Privatsphäre gilt, wie durch die Rechtsprechung des BVerfG festgestellt worden ist, über den Kreis des durch Art. 6 Abs. 1 GG verstärkten PersönlichkeitsVgl. BVerfG, NJW 1997, 185, 186 – Breifkontakt mit der Lebensgefährtin. Vgl. BVerfGE 90, 255, 259 ff. – Breifkontakt mit Bruder. 625 Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 156. 626 BVerfGE 90, 255, 260. 627 BVerfGE 90, 255, 260. Vgl. auch BVerfGE 35, 35, 39 f.; 42, 234, 236 f. – Briefkontakt mit Ehegatten; BVerfGE 57, 170, 178 – Briefkontakt mit Eltern; BVerfG, NJW 1997, 185, 186 – Briefkontakt mit der Lebensgefährtin. Dazu s. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 156 628 BVerfGE 90, 255, 260. Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 156. 629 BVerfGE 90, 255, 260. 630 BVerfGE 90, 255, 260. 623 624
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
189
schutzes, also den engsten Familienkreis, hinaus auch für die vertrauliche Kommunikation innerhalb ähnlicher enger Vertrauensbeziehungen631. Daher sei der Kreis möglicher Vertrauenspersonen nicht auf Ehegatten632 oder Eltern633 beschränkt634. Von der Funktion des Persönlichkeitsschutzes her sei die Übertragung auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse wie die Beziehungen zu einem Bruder635 oder zur Lebensgefährtin636 geboten.
c) Die Rechtsfolgen des grundrechtlichen Schutzes von Vertrauensverhältnissen Die grundrechtliche Abwehrfunktion aktiviert sich unabhängig davon, wie polizeiliche Informationseingriffe bestimmte Vertrauensverhältnisse tangieren, so dass die betreffenden Grundrechte den Schutz sowohl vor der offenen wie auch der heimlichen Datenerhebung gewähren637. Der Schutz von Vertrauensverhältnissen hängt nicht von der Art und Weise der staatlichen Kenntnisnahme ab, vor allem nicht davon, ob Eingriffe in Vertrauensverhältnisse durch Zwang oder heimlich erfolgen638. Er bezieht sich demnach sowohl auf die Beschlagnahme von Unterlagen und eine gesetzliche Anordnung von Aussagezwang als auch auf das heimliche Beobachten oder Belauschen der geschützten Vorgänge639. Sind Vertrauensverhältnisse grundrechtlich geschützt, löst jeder Eingriff eine ganze Reihe von rechtlichen Schutzmechanismen aus, unter denen das Übermaß- und Willkürverbot, im öffentlichen Recht die Möglichkeit der Abwehrklage bzw. der Anspruch auf Folgenbeseitigung und ein gewisses Maß an Verfahrensvorkehrungen fallen640.
3. Verfassungsrechtliche Fundamente der Zeugnisverweigerungsrechte Zeugnisverweigerungsrechte der in den §§ 52 – 53a StPO genannten Personen als Anerkennung und Ausgestaltung von Vertrauensverhältnissen im einfachen Gesetzesrecht beruhen ihrerseits auf unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Fundamenten641. So spielt zum Beispiel für das in § 52 I StPO normierte ZeugnisverBVerfGE 90, 255, 262; BVerfG, Beschl. v. 24. 6. 1996, NJW 1997, 185, 186. BVerfGE 35, 35, 40; 42, 234, 236. 633 BVerfGE 57, 170, 178. 634 BVerfGE 90, 255, 262. 635 BVerfGE 90, 255, 262. 636 BVerfG, NJW 1997, 185, 186. 637 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 308. 638 Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 103. 639 Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 103. 640 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 248. 641 Vgl. Schily, ZRP 1999, 129, 131. 631 632
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
weigerungsrecht der Angehörigen Art. 6 GG642 bzw. Art. 1 I, 2 I GG herein, für das der Geistlichen Art. 4 GG, für das der Presse- und Rundfunkmitarbeiter Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, für das der Rechtsanwälte und Ärzte Art. 12 GG643 und für das der Abgeordneten Art. 47 GG. Der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Fundierung entsprechend sind auch die einfachgesetzlichen Positivierungen unterschiedlich ausgestaltet:644 Das gilt einerseits für den Umfang der Kommunikation, hinsichtlich derer von dem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrach gemacht werden kann645. Dieser ist bei Angehörigen im Sinne des § 52 StPO uneingeschränkt, bei den Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) und ihren Berufshelfern (§ 53a StPO) dagegen beschränkt, z. B. bei § 53 I Nr. 1 bis 4 StPO auf das, was dem jeweiligen Berufsgeheimnisträger gerade in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden ist646. Ein Beispiel: Sehen Ehepartner und Arzt einer Person einen Verkehrsunfall ihres Ehepartners und Patienten, kann sich der Ehepartner auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen, der Arzt hingegen nicht647. Das gilt andererseits für die Disponibilität des Zeugnisverweigerungsrechts, das in gewissen Fällen dann nicht besteht, wenn die § 53 I Nr. 2 bis 3b StPO genannten Personen von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind (vgl. §§ 53 II, 53a II StPO)648.
II. Die Abwägung von Vertrauensverhältnissen mit den staatlichen Schutzpflichten 1. Ein uneingeschränkter Schutz von Vertrauensverhältnissen vor Datenerhebungen und Datenverarbeitung kann nicht aus der Verfassung abgeleitet werden Kennzeichnend für den heimlichen Informationseingriff ist, dass er regelmäßig nicht allein den für die Gefahr Verantwortlichen als Zielperson trifft649. Denn die Erkenntnisse können auch aus seiner Kommunikation mit anderen oder bei Dritten gewonnen werden. Der Gesprächspartner oder der Dritte kann für die Gefahr ebenfalls verantwortlich sein. Dann ergibt sich für ihn keine besondere Schutzbedürftigkeit, denn der Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts bedeutet nicht, dass Datenschutz zum Tatenschutz werden darf650. Vielfach aber steht der 642 643 644 645 646 647
Vgl. BVerfG, NStZ 1999, 255. Vgl. Schily, ZRP 1999, 129, 131. Vgl. Schily, ZRP 1999, 129, 131. Vgl. Schily, ZRP 1999, 129, 131. Vgl. Schily, ZRP 1999, 129, 131. Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
151. 648 649 650
Vgl. Schily, ZRP 1999, 129, 131. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 163.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Dritte der Gefahr, die abgewendet werden soll, völlig fern651. So gebietet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dass Dritte von der heimlichen Datenerhebung nicht mehr als unvermeidbar betroffen werden dürfen; dies hat der baden-württembergische Gesetzgeber durch § 22 IV BWPolG umgesetzt. Bei der Bestimmung über heimliche Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel z. B. nach § 22 I Nr. 2 BWPolG fehlen bislang gesetzliche Regelungen, inwieweit derartige Informationseingriffe auch in besondere Vertrauensverhältnisse zulässig sind652. Eingriffe in Vertrauensverhältnisse zu polizeilichen Zwecken sind nicht per se unzulässig653. Aus der Nichterwähnung entsprechender Vertrauensverhältnisse lässt sich nur folgern, dass der baden-württembergische Gesetzgeber Eingriffe in derartige Vertrauensverhältnisse gem. § 22 III BWPolG nicht generell als ausgeschlossen ansah654. Die Regelung des § 22 III BWPolG über heimliche Informationseingriffe ermöglicht Eingriffe auch in besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse. In Baden-Württemberg ist die Polizei von Gesetzes wegen befugt, durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung nach § 22 BWPolG auch aus mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnissen Daten zu erheben. Eingegriffen wird zwar vielfach in die durch Grundrechte geschützten Vertrauensverhältnisse. Einen generellen Ausschluss solcher Vertrauensverhältnisse von heimlichen Datenerhebungen fordert die Verfassung aber nicht655. Besondere Vertrauensverhältnisse – z. B. unter Ehepartnern – sind bei Eingriffen, durch die schwere Schäden für besonders hohe Rechtsgüter abgewendet werden sollen, nicht absolut geschützt656. Teilweise ist ein Schutz von Vertrauensverhältnissen vor polizeilichen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebungen ausdrücklich normiert657. Beispielsweise untersagt § 39 II 1 SächsPolG grundsätzlich Datenerhebungen mit besonderen Mitteln, soweit sie in ein geschütztes Vertrauensverhältnis eingreifen würden658. Einschränkungen für besondere Mittel der Datenerhebung statuieren in Bezug auf geschützte Vertrauensverhältnisse auch die Vorschriften der §§ 32 I 5 u. 6, 33 I 5, 34 I 4 BrandPolG659. Die Vorschrift des § 33 VI MVSOG sieht generell vor, dass die Polizei aus einem mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnis im Sinne der §§ 53, 53a StPO personenbezogene Daten mit technischen Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548. 653 So auch Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 308; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 654 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. 655 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 656 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 657 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 319. 658 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285. 659 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f. 651 652
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Mitteln in oder aus Wohnungen nur unter den Voraussetzungen des § 33 IV MVSOG erheben darf660. Ein Eingriff mit technischen Mitteln in das Beichtgeheimnis ist nach § 33 VI 2 MVSOG niemals zulässig661. Alle Bundesländer sehen zudem für die Rasterfahndung vor, dass Daten, die einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, von ihr ausgenommen werden (s. stellvertretend für die anderen Landespolizei- und Ordnungsgesetze z. B. § 40 I 2 BWPolG; „Rechtsvorschriften über ein Berufs- oder besonderes Amtsgeheimnis bleiben unberührt“). Die genannten Bestimmungen indizieren aber bereits, dass ein absoluter Schutz von Vertrauensverhältnissen vor Datenerhebungen und Datenverarbeitungen offensichtlich nicht zwingend vorgeschrieben ist und auch nicht aus der Verfassung abgeleitet werden kann662. Es ist in weitem Umfang dem Gesetzgeber vorbehalten, ob und in welchem Umfang er auf der Grundlage einer Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der polizeilichen Gefahrenabwehr und dem Schutz von Vertrauensbeziehungen diese vor Datenerhebungen schützt663. Die Grundrechte fordern den Schutz von bestimmten Vertrauensverhältnissen. Die betreffenden Grundrechte sind aber nicht schrankenlos gewährleistet664. Die grundrechtlichen Abwehrrechte, die bestimmte „privilegierte“ Personen, wie z. B. Ehepartner, Geistliche, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte, gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt geltend machen können, sind mit den staatlichen Schutzpflichten in Ausgleich zu bringen, denen selbst Verfassungsrang zukommt665. Die Abwehrfunktion der Grundrechte drängt den Staat, Eingriffe in Vertrauensverhältnisse weitestgehend zu unterlassen, aber derartige Eingriffe können, soweit sie der Effektuierung staatlicher Schutzpflichten in Bezug auf andere hochwertige Rechtsgüter dienen, auch verfassungsrechtlich geboten sein666. Deshalb dürfte unbestritten sein, dass eine Reihe schwerer Straftaten, insbesondere auf den Gebieten der Organisierten Kriminalität und auch des Terrorismus, nur wirksam verhindert und aufgeklärt werden können, wenn die Polizei über die dafür notwendigen Erkenntnisse verfügt667. Im Einzelfall kann dies auch Eingriffe in besondere Vertrauensverhältnisse notwendig machen668. Die Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung kann durch deren Anerkennung erschwert Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352 f. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 662 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; a.A. in Verbindung mit der sich bei V-Leuten stellenden Problematik Waechter, NdsVBl. 1996, 49, 52. 663 Schenke, Polizeirecht, Rn. 191. 664 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 248. 665 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 248. 666 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 248. 667 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; Denninger, JA 1987, 131. 668 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. 660 661
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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oder gar vereitelt werden. Sie ist mit einer Beeinträchtigung der polizeilichen Informationsmöglichkeiten als Voraussetzung jeder effizienten polizeilichen Tätigkeit erkauft, die es dem Staat erschwert, die ihm obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten zu erfüllen669.
2. Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Großen Lauschangriff-Urteil des BVerfG Im Strafprozessrecht stellt sich ebenso wie im Polizeirecht die Frage, ob und inwieweit Zeugnisverweigerungsrechte vor ihrer Aushöhlung durch heimlich erfolgende Informationseingriffe zu schützten sind. Im Strafprozessrecht wird in Verbindung mit Lauschangriffen in einer Wohnung nach § 100c I Nr. 3 StPO in den Fällen des § 53 StPO und in § 100d III 1 u. 2 StPO ein striktes Datenerhebungsverbot geregelt, wenn zu erwarten ist, dass sämtliche aus der Maßnahme zu gewinnenden Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen würden; bei anderen Vertrauensverhältnissen, die durch einen solchen Eingriff betroffen sind, ergeben sich nur nach näherer Maßgabe des § 100d III 3 – 5 StPO unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen der Verwertung der durch den Lauschangriff gewonnenen Daten. Dabei hatte sich die jüngst ergangene Entscheidung des BVerfG zur heimlichen akustischen Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken in Art. 13 Abs. 3 GG mit der Notwendigkeit eines besonderen Schutzes von Vertrauensverhältnissen auseinander zu setzen670. Bezeichnend stützt sich das Lauschangriff-Urteil vom 3. 3. 2004 wesentlich auf die vom BVerfG beständig vertretene Ansicht von dem letzten unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung: „Die akustische Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken verstößt dann gegen die Menschenwürde, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht respektiert wird“671. Eine absolute Schranke staatlicher Informationseingriffe bildet der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen sein soll672. Ist der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen, leiten sich Beweiserhebungs- und -verwertungsverbote unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG ab. Führt eine Überwachung ausnahmsweise zur Erhebung von Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, ist sie abzubrechen und Aufzeichnungen müssen gelöscht werden; jede Verwertung von solchen Informationen ist ausgeschlossen673.
669 670 671 672 673
13 Son
Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 552. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004 f. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
a) Der absolute Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umfasst auch die Kommunikation mit Personen des besonderen Vertrauens In der neuen Rechtsprechung zum Großen Lauschangriff zu Strafverfolgungszwecken geht das BVerfG davon aus, dass der absolute Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auch die Kommunikation mit Personen des besonderen Vertrauens umfasst674. Beispielhaft hierfür wurden das seelsorgerliche Gespräch mit einem Geistlichen und das höchstpersönliche Gespräch mit engsten Familienangehörigen genannt. Das Gericht hat jedoch betont, dass sich der Kreis der besonderen Vertrauenspersonen nur teilweise mit den in §§ 52 und 53 StPO genannten Zeugnisverweigerungsberechtigten decke. Die aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung folgenden Abhörverbote seien nicht identisch mit den strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechten675. aa) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen zwischen engsten Familienangehörigen Den in § 52 I StPO aufgeführten Angehörigen des Beschuldigten, also der Verlobte, der (auch ehemalige) Ehegatte sowie diejenigen, die mit ihm in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren, wird ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt. Gleiches gilt seit dem 1. August 2001 nach dem neuen § 52 I Nr. 2a StPO auch für den Lebenspartner des Beschuldigten676. Bei der Frage nach der sog. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts für Angehörigen i. S. des § 52 I StPO ist im Schrifttum ein breites Meinungsspektrum vorhanden, das im wesentlichen von einem Verständnis des § 52 StPO als Ausformung des nemo-tenetur-Prinzips677 und einer Betonung des Schutzes familienrechtlicher Beziehungen678 über den Schutz der Rechtspflege vor Falschaussagen679 bis hin zur Vermeidung von Rollenkonflikten680 reicht681.
Vgl. BVerfGE 90, 255, 260; BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 676 Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 328. 677 Petry, Beweisverbote im Strafprozess, 1971, 45 ff.; SK StPO-Rogall, vor § 48 Rn. 141. 678 LR-Dahs, § 52 Rn. 1; KMR-Paulus, § 52 Rn. 2; Eisenberg, Rn, 1241; Kühne, Rn. 812; Duttge, JZ 1999, 261, 263. 679 Sternberg-Lieben, JZ 1995, 844; Gössel, NJW 1981, 649, 653; Michaelis, NJW 1969, 730. 680 Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1; KK-Senge, § 52 Rn. 1; HK-Lemke, § 52 Rn. 2; Roxin, § 26 Rn. 14; Ranft, Rn. 500; Weigend, Gutachten C für den 62, DJT, 1998, 70; Bialek, S. 47 (Fn. 135) m. w. N. 681 Zur Frage nach der Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts für Angehörige i. S. § 52 I StPO s. Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 332 f. 674 675
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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(1) § 52 StPO ist nicht zum Schutz des Vertrauensverhältnisses, sondern zur Vermeidung von Rollenkonflikten geschaffen worden In der neuen Rechtsprechung zum Großen Lauschangriff zu Strafverfolgungszwecken geht das BVerfG dabei davon aus, dass Sinn und Zweck des § 52 StPO darin liegt, dass den dort genannten Zeugen der Konflikt zwischen der Wahrheitspflicht und der Belastung des Angehörigen erspart bleiben soll682: „§ 52 StPO ist nicht zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den dort genannten Angehörigen und Beschuldigten geschaffen worden. Vorrangig soll vielmehr auf die Zwangslage des Zeugen Rücksicht genommen werden, der einer Wahrheitspflicht unterliegt und befürchten muss, einem Angehörigen zu schaden. Das Zeugnisverweigerungsrecht knüpft zudem an das formale Kriterium des Verwandtschaftsverhältnisses und nicht an ein besonderes Vertrauensverhältnis an, wie es insbesondere auch zu engen persönlichen Freunden bestehen kann“683.
Folgerichtig wird hier angenommen, dass die Vorschrift des § 52 I StPO lediglich dem Schutz des Zeugen dient684. Darauf wurde bereits im Großen Lauschangriff-Urteil des MVVerfG vom 18. 5. 2000 hingewiesen685. Hinsichtlich des Schutzumfanges hat das MVVerfG zwischen dem Schutz von mittels Amts- und Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnissen i.S. des §§ 53, 53a StPO einerseits und dem Schutz von Vertrauensverhältnissen zu den in § 52 StPO aufgeführten Personen – also Verlobten, Ehegatten, engen Verwandten und Verschwägerten – differenziert686. Anders als bei dem Personenkreis der §§ 53 und 53a StPO knüpfe das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO nicht an die Geheimhaltungsbedürftigkeit des Inhalts der Daten an, die in dem Vertrauensverhältnis gewonnen worden seien687. Es handele sich vielmehr darum, den nahen Angehörigen den persönlichen Konflikt mit sich und ihrer Familie zu ersparen, in den sie geraten könnten, wenn sie gezwungen wären, über den Beschuldigten auszusagen, und sich dabei zwischen die Alternative gestellt sehen könnten, entweder jenen zu belasten oder die Unwahrheit zu sagen688. Eine solche Zwangslage bestehe aber nicht, wenn Erkenntnisse aus einer familiären Beziehung auf andere Weise als durch die Zeugenaussage eines nahen Angehörigen gewonnen werden689. Es sei daher von Verfassungs wegen hinzunehmen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des 682 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004; MVVerfG, LKV 2000, 345, 353; Roxin, § 26, Rn. 14; Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1. 683 BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 684 So auch RGSt 55, 20; 68, 275, 277; BGHSt 2, 351, 354; 10, 77, 78; 12, 235, 239; 17, 337, 348; 27, 231, 232; Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1; KK-Senge, § 52 Rn. 1; HKLemke, § 52 Rn. 2; Roxin, § 26 Rn. 14; Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 335; Bialek, S. 47 (Fn. 135) m. w. N. 685 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345 ff. 686 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 687 MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 688 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353; BGHSt 2, 351, 354; 12, 235, 239; 22, 35, 36. 689 MVVerfG, LKV 2000, 345, 353.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Einsatzes technischer Mittel nicht auch für die Vertrauensverhältnisse zu den in § 52 I StPO genannten Personen die bei Vertrauensverhältnissen zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen geltenden höheren Hürden errichtet habe690. (2) Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umfasst das höchstpersönliche Gespräch mit dem Ehepartner oder mit anderen engsten Familienangehörigen Im Lauschangriff-Urteil geht das BVerfG davon aus, § 52 StPO sei nicht zum Schutz von Vertrauensverhältnissen zwischen den dort genannten Angehörigen und Beschuldigten geschaffen worden. Das Gericht hat jedoch anerkannt, dass es eines besonderen Schutzes von Vertrauensverhältnissen wie die Ehegattenbeziehung oder die Beziehungen zu sonstigen engsten Familienangehörigen wegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG bedarf691. Dabei hat das BVerfG mit der Kernbereich-Dogmatik den Versuch unternommen, den Schutz der ehelichen und familiären Vertrauensverhältnisse vor der heimlichen akustischen Wohnraumüberwachung zu gewährleisten. Bei Beobachtungen sei ein unantastbarer, der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogener Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, den der Menschenwürdegehalt des Grundrechts garantiert692. Einen solchen Kernbereich sieht das BVerfG u. a. in dem höchstpersönlichen Gespräch mit dem Ehepartner oder mit anderen engsten Familienangehörigen, zum Beispiel Geschwistern und Verwandten in gerader Linie, insbesondere wenn sie im selben Haushalt leben693: „Ein gewichtiger Anhaltspunkte für die Menschenwürderelevanz des Gesprächsinhalts ist die Anwesenheit von Personen des höchstpersönlichen Vertrauens. Der Einzelne konstituiert seine Persönlichkeit in erster Linie im Wechselspiel mit anderen, also in der Kommunikation. Ehe und Familie haben insoweit für die Kommunikation im höchstpersönlichen Bereich, gerade auch im Intimbereich, eine besondere Bedeutung. So fußt eine in der ehelichen Vertrautheit besonders leicht mögliche thematisch unbegrenzte Kommunikation mit dem Ehepartner auf der Erwartung, dass der Vorgang nicht von Außenstehenden zur Kenntnis genommen werden kann. Nichts anderes gilt für Gespräche mit anderen engsten Familienangehörigen, etwa Geschwistern und Verwandten in gerader Linie, insbesondere wenn sie im selben Haushalt leben. Neben Art. 13 I GG kommt hier auch Art. 6 I und II GG zum Tragen“.
Nicht sämtliche Gespräche, die ein Einzelner mit seinem Ehepartner oder mit seinen engsten Familienangehörigen in der Wohnung führt, hätten allerdings dabei höchstpersönlichen Charakter694. Gespräche, welche Angaben über begangene Straftaten enthalten, gehörten ihrem Inhalt nach nicht dem absolut geschützten 690 691 692 693 694
MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003 u. 1006. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Kernbereich privater Lebensgestaltung an695. Nur dann, wenn sich jemand allein oder ausschließlich mit Personen in der Wohnung aufhält, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis steht – etwa mit engsten Familienangehörigen oder sonstigen engsten Vertrauten – und es keine Anhaltspunkte für deren Tatbeteiligung gibt, werden Handlungen und Gespräche in den Räumen der Privatwohnung zur Wahrung der Menschenwürde absolut geschützt696. Ein Gespräch zwischen dem Beschuldigten und seinem Ehepartner oder seinem engsten Familienangehörigen erfordern also nur dann einen absoluten Schutz, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen ist, da es nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakter hat697. bb) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen Nach Ansicht des BVerfG schütze die Vorschrift des § 53 StPO seinem Grundgedanken nach das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugen und dem Beschuldigten698. Auch dieser Schutz erfolge jedoch nicht in allen Fällen des § 53 StPO um der Menschenwürde des Beschuldigten oder der Gesprächspartner willen. So wiesen die Zeugnisverweigerungsrechte der Presseangehörigen und der Parlamentsabgeordneten keinen unmittelbaren Bezug zum Kernbereich privater Lebensgestaltung auf. Sie würden um der Funktionsfähigkeit der Institutionen willen und nicht wegen des Persönlichkeitsschutzes des Beschuldigten gewährt699. (1) Der absolute Schutz des Beichtgeheimnisses vor heimlichen Informationseingriffen Demgegenüber sah das BVerfG im Großen Lauschangriff-Urteil im seelsorgerlichen Gespräch mit einem Geistlichen einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung700. So gehöre der Schutz der Beichte oder der Gespräche mit Beichtcharakter zum verfassungsrechtlichen Menschenwürdegehalt der Religionsausübung im Sinne des Art. 4 I und II GG701. Das Beichtgeheimnis ist damit gegen die akustische Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung absolut geschützt702. Gründe für diese Hervorhebung gegenüber den sonstigen Vertrauensverhältnissen führt das MVVerfG im Urteil vom 18. 5. 2000 aus: 695 696 697 698 699 700 701 702
Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003, 1004 u. 1006. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1003; auch MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
„Die Beichte steht in engem Zusammenhang mit der Freiheit von Glauben und Gewissen, die in Art. 4 I GG ohne Gesetzesvorbehalt als unverletzlich gewährleistet ist. Innerhalb der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist das forum internum, die Bildung des eigenen Glaubens und Gewissens in sich selbst, staatlichem Zugriff nicht zugänglich. Dieser Bereich ist berührt, wenn jemand seine Gewissensnot einem Seelsorger anvertraut. § 33 VI 2 MVSOG703 ist eine Vorschrift, durch die der Gesetzgeber in zulässiger Weise dem spezifischen, mit der Menschenwürde verknüpften Gehalt des Grundrechts aus Art. 4 I GG Rechnung getragen hat“704.
Da das „forum internum“ der Freiheit von Glauben und Gewissen staatlichem Zugriff nicht zugänglich ist, will das MVVerfG also eine Ausnahme von Eingriffe in Vertrauensverhältnisse nur für das Beichtgeheimnis machen705. (2) Die Berufsgeheimnisse von Strafverteidigern und Ärzten Im Großen Lauschangriff-Urteil hat das BVerfG hervorgehoben, dass auch dem Gespräch mit dem Strafverteidiger die zur Wahrung der Menschenwürde wichtige Funktion zukomme, darauf hinwirken zu können, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren werde706. Arztgespräche könnten im Einzelfall dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sein707. Dabei wird die absolute Schutzwürdigkeit eines Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant oder Arzt und Patient – anders als das Beichtgeheimnis – jedoch von einer Tatbeteiligung der das Gespräch führenden Personen bestimmt708. So sind eine heimliche Erhebung von Daten aus einem Gespräch des Strafverteidigers mit seinem Mandanten in der Kanzlei oder aus einem Gespräch des Arztes mit seinem Patienten in der Praxis und deren Verwertung dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gesprächsinhalte zwischen dem Beschuldigten und diesen Personen keinen absoluten Schutz erfordern. Bei diesem Personenkreis dürfen Überwachungsmaßnahmen vor allem dann ergriffen werden, wenn es Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung der das Gespräch führenden Personen gibt709. Es erscheint aber zweifelhaft, ob sich ein derartiger Schutz von Vertrauensverhältnissen nur aus der Sphärentheorie und der Annahme eines unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung ergibt. Ein solcher Schutz von Vertrauensverhältnissen, den das BVerfG mit dem Ansatz eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleisten will, ist nämlich 703 Nach § 33 VI 2 MVVSOG ist ein Eingriff mit technischen Mitteln in das Beichtgeheimnis niemals zulässig. 704 MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 705 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 309. 706 BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 707 Vgl. BVerfGE 32, 373, 379; BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 708 BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. 709 BVerfG, NJW 2004, 999, 1006.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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bereits mittels eines relativen Schutzes durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ausreichender Weise erreichbar. Deshalb wird es im Folgenden in den Vordergrund der Überlegungen gestellt, dass die Annahme des Gerichts, es gäbe absolut schutzwürdige Vertrauensbeziehungen, praktisch keine Konsequenzen hat.
b) Die Kritik am Großen Lauschangriff-Urteil des BVerfG aa) Dogmatische Bedenken gegen die Rechtsprechung des BVerfG Durch ein Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in der Wohnung wird zwar vielfach in Vertrauensverhältnisse eingegriffen, die im Schutze der Wohnung gelebt werden710. Einen generellen Ausschluss solcher Vertrauensverhältnisse von der heimlichen Überwachung fordert die Verfassung jedoch nicht711. Das BVerfG erkennt einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung an, bei dem eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausscheidet712. Einen solchen absolut geschützten Kernbereich sieht das BVerfG in dem höchstpersönlichen Gespräch mit dem Ehepartner und sonstigen engsten Familienangehörigen oder in dem Gespräch des Pfarrers mit einem Beichtenden, des Strafverteidigers mit seinem Mandanten oder des Arztes mit seinem Patienten713. Freilich werde hierbei die absolute Schutzwürdigkeit eines Gespräches mit engsten Familienangehörigen oder einzelnen Berufsgeheimnisträgern – von der Ausnahme des seelsorgerlichen Gesprächs mit einem Geistlichen abgesehen – davon abhängig sein, dass Anhaltspunkte für deren Tatbeteiligung bestehen714. Die Kernbereich-Dogmatik des BVerfG ist insoweit problematisch, als der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht generell bestimmt wird, etwa in der Weise, dass keinesfalls aus einem Gespräch zwischen Eheleuten in der eigenen Wohnung oder aus einem Gespräch des Rechtsanwalts mit seinem Mandanten in der Kanzlei Daten erlangt und verwerdet werden dürften, sondern sich der Umfang des Kernbereichs wesentlich auch nach dem Zweck des Eingriffs und dem Gewicht des mit ihm verfolgten Allgemeininteresses richtet. Erst dann, wenn sich jemand allein oder ausschließlich mit Personen in der Wohnung aufhält, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis steht – z. B. mit engsten Familienangehörigen oder einzelnen Berufsgeheimnisträgern – und es keine konkreten Anhaltspunkte für deren Tatbeteiligung gibt, erfordern die Gesprächsinhalte einen absoluten Schutz. Der „absolut“ geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung wird damit unter Berücksichtigung der im jeweiligen Einzelfall zu ermittelnden Wertigkeit des AllgemeinMVVerfG, LKV 2000, 345, 352. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 712 Vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245; 80, 367, 373, BVerfG, NJW 2004, 999, 1002. 713 BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 714 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. 710 711
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
wohlbelangs „relativ“ bestimmt. Der absolute Schutz eines Vertrauensverhältnisses wird so durch Abwägung mit den Strafverfolgungsinteressen nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit relativiert. Schon hier zeigt sich, dass ein absolut geschützter „abwägungsfreier“ Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht mehr garantiert ist. Ein solcher Schutz, den das BVerfG mit dem Ansatz der Sphärentheorie und der Annahme eines unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleisten will, lässt sich jedoch schon mittels eines relativen Schutzes durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ausreichender Weise erreichen. Bei der heimlichen akustischen Wohnraumüberwachung dürfen Daten, welche zur Erreichung des Überwachungszwecks ungeeignet sind, nicht erhoben oder müssen jedenfalls alsbald gelöscht oder gesperrt werden715. Das ist insbesondere dann geboten, wenn sich ergibt, dass ein Gespräch z. B. zwischen Eheleuten in der eigenen Wohnung oder ein Gespräch des Arztes mit seinem Patienten in der Praxis nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakter hat. Die weiteren Grenzen der Kernbereichs-Dogmatik sind schon oben umschrieben worden. Das oben Ausgeführte gilt folglich auch hier (vgl. dazu 2. Teil 3. Kapitel A. II. 3.). bb) Ist § 52 StPO nicht zum Schutz des Vertrauensverhältnisses geschaffen worden? Im Großen Lauschangriff-Urteil sah das BVerfG Sinn und Zweck des in § 52 StPO normierten Zeugnisverweigerungsrechts nur darin, den nahen Angehörigen des Beschuldigten den Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und Verwandtenliebe zu ersparen716. Eine derartige Begrenzung erscheint angesichts der Bedeutung der Vertrauensbeziehung jedoch zu eng717. Entgegen der Auffassung des BVerfG im Großen Lauschangriff-Urteil dient auch § 52 I StPO dem Schutz des Vertrauensverhältnisses der dort genannten Angehörigen zum Beschuldigten718. Der Katalog des § 52 I StPO typisiert bestimmte Vertrauensverhältnisse, ohne dass ein „wirkliches“ Vertrauensverhältnis im Einzelfall bestehen müsste719. Nach der das Große Lauschangriff-Urteil tragenden Ansicht des BVerfG720 und der h. M.721 soll den in diesen Vorschriften genannten MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004; auch MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 717 Deutsch, S. 112. 718 Vgl. Rengier, S. 8; Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 52, 53 StPO bei den auf Beweisgewinnung gerichteten Zwangsmaßnahmen, 54 ff.; Dünnebier, MDR 1964, 965; Grünwald, JZ 1966, 489, 497. 719 Vgl. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 52, 53 StPO bei den auf Beweisgewinnung gerichteten Zwangsmaßnahmen, 62. 720 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 721 Vgl. Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1; KK-Senge, § 52 Rn. 1; HK-Lemke, § 52 Rn. 2; Roxin, § 26 Rn. 14; Ranft, Rn. 500; Weigend, Gutachten C für den 62, DJT, 1998, 70; Bialek, S. 47 (Fn. 135) m. w. N. 715 716
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Zeugen der Konflikt zwischen der Wahrheitspflicht und der Belastung des Angehörigen erspart bleiben. Der Schutzzweck des § 52 I StPO kann jedoch nicht allein im Pflichtenwiderstreit722 oder Gewissenszwiespalt723 des Zeugen zu suchen sein. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich nur den Schutz des Zeugen selbst beabsichtigt, so hätte er auch den in nichtehelicher oder eheähnlicher Gemeinschaft Zusammenlebenden ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumen müssen. Denn die oben beschriebene Konfliktlage des Zeugen zwischen der Wahrheitspflicht und Belastung des Angehörigen kann auch bei in nichtehelicher oder eheähnlicher Gemeinschaft Zusammenlebenden angenommen werden724. Jedoch schützt § 52 I StPO enge freundschaftliche Beziehungen gerade nicht725. Im Beschluss vom 22. 1. 1999 hat das BVerfG ausgeführt: „Das Grundgesetz gebietet es nicht, bei einer engen freundschaftlichen Beziehung außerhalb einer noch bestehenden Ehe, die keinen verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen kann, weil sie der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ehe zuwider läuft, ein über die strafprozessualen Vorschriften hinausgehendes Zeugnisverweigerungsrecht zu gewähren“726. Der Bundesgesetzgeber hat das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO ausschließlich auf „legale“ Angehörigenverhältnisse beschränkt, d. h. auf durch Ehe und Familie begründete Bande einschließlich der dazu führenden Beziehungen oder Verhältnisse nebst dem einschlägigen formellen Bindungswillen im Sinne des Eheversprechens727. Dabei geht es um den Schutz rechtlich anerkannter Vertrauensverhältnisse. Die Privilegierung der in § 52 I StPO genannten Personen ist teilweise Ausdruck des besonderen Schutzes von familiären Vertrauensbeziehungen nach Art. 6 GG. Die StPO nimmt bei der Einschränkung des Zeugniszwanges auf die Ehegattenbeziehung und das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern Rücksicht (§ 52 I Nr. 2, 3 StPO)728. § 52 StPO konkretisiert damit partiell die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Forderung, das familiäre Vertrauensverhältnis zu schützen. Hierbei muss es – ähnlich wie beim Gewissenskonflikt – im Zeitpunkt der Vernehmung nicht tatsächlich vorliegen729. Einen zentralen Ansatzpunkt, um die Privilegierung einiger der in § 52 I StPO genannten Personen durch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu erklären, bildet also Art. 6 Abs. 1 GG730. Allerdings umfasst § 52 StPO nicht nur Personen, deren Verhältnis zu dem Beschuldigten unter den Schutz des Art. 6 GG fällt. Der gleichgeschlechtliche Lebenspartner des Be722 723 724 725 726 727 728 729 730
Vgl. BGHSt 12, 239; 22, 37. Vgl. KMR-Müller-Sax, § 52 StPO Anm. 1c. Eisenberg, Rn, 1244; Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 221. Eisenberg, Rn, 1244. Vgl. jüngst BVerfG, NStZ 1999, 255 m. krit. Anm. Wollweber, NStZ 1999, 628 f. Vgl. Eisenberg, Rn, 1244. Vgl. BVerfGE 57, 170, 178. Vgl. Bialek, S. 70. Vgl. Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 228.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
schuldigten i. S. des § 52 I Nr. 2a StPO fällt z. B. nicht unter diesen Schutz731. Art. 6 Abs. 1 GG umfasst auch nicht den Schutz der Generationen-Großfamilie732. Damit scheiden – abgesehen von Eltern und Kindern – die in § 52 I Nr. 3 StPO genannten mit dem Beschuldigten Verwandten oder Verschwägerten aus733. Hier wird insoweit auf nicht in Art. 6 Abs. 1 GG begründete Beziehungen Rücksicht genommen734. Der Gesetzgeber darf jedoch das Zeugnisverweigerungsrecht auf den gleichgeschlechtlichen Lebenspartner des Beschuldigten (§ 52 I Nr. 2a StPO) und die in § 52 I Nr. 3 StPO genannten mit dem Beschuldigten Verwandten oder Verschwägerten ausdehnen, weil Art. 6 GG, der die Ehe und Familie unter besonderen Schutz des Staates stellt, nicht verbietet, andere Formen des Zusammenlebens mit der Ehe gleichzustellen, 735 oder sowohl die heute typische Kleinfamilie als auch solche Angehörigen zu schützen, bei denen eine enge Anbindung an die Mitglieder der Kleinfamilie vermutet wird736. Daher darf der Gesetzgeber das Zeugnisverweigerungsrecht ggf. auch auf die nichteheliche oder eheähnliche Lebensgemeinschaft auszudehnen737. Nach der asymptotischen Annäherung von eingetragenen homosexuellen Partnerschaften an die Ehe738 ist § 52 StPO entsprechend erweitert worden739. Allerdings wäre die Privilegierung des gleichgeschlechtlichen Lebenspartners gem. § 52 I Nr. 2a StPO und der in § 52 I Nr. 3 StPO aufgeführten mit dem Beschuldigten Verwandten oder Verschwägerten auch als gesetzliche Ausgestaltung des in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Privatsphäre sowohl des Zeugen als vor allem auch des später Beschuldigten anzusehen740. Denn jedenfalls die nicht in Art. 6 Abs. 1 GG begründeten Vertrauensbeziehungen wie das Verhältnis zwischen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern und die Beziehung zu Verwandten und Verschwägerten genießen unzweifelhaft den Schutz der Privatsphäre nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 731 Vgl. BVerfGE 105, 313, 345 f.; BVerfG, NJW 1993, 3058; BVerwGE 100, 287, 294; BayObLG, NJW 1993, 1996; OLG Köln, NJW 1993, 1997; LG Frankfurt / M., NJW 1993, 1998; Pauly, NJW 1997, 1955 f.; Robbers, JZ 2001, 779, 781; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6, Rn. 6; Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 2; a.A. AG Frankfurt / M., NJW 1993, 940; Schimmel, Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare, 187 ff.; Ott, NJW 1998, 117; Trimbach / Webert, NJ 1998, 63. 732 Vgl. BVerfGE 48, 327, 339. 733 Vgl. Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 228. 734 Vgl. Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 228. 735 Vgl. Eisenberg, Rn, 1244. 736 Vgl. Rengier, S. 9; Bialek, S. 50. 737 Vgl. Eisenberg, Rn, 1244. 738 Siehe Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: „Lebesspartnerschaften“ v. 16. 2. 2001 (BGBl. I, S. 266 ff.). 739 Vgl. Paeffgen, Zeugnisverweigerungsrechte und Verfassung, 215, 221. 740 Vgl. Rengier, S. 11.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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GG garantiert dem Einzelnen eine Privatsphäre, deren Schutz auch die vertrauliche Kommunikation innerhalb enger Vertrauensverhältnisse umfasst741. Das Leben im Kreise der Verwandtschaft und der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft gehört typischerweise zur Privatsphäre des Einzelnen742. Das Strafprozessrecht nimmt damit nicht nur auf den Kreis der den durch Art. 6 Abs. 1 GG verstärkten Schutz genießenden Vertrauenspersonen, sondern auch auf ähnliche enge Vertrauensverhältnisse Rücksicht. In den Fällen des § 52 I StPO wird nämlich partiell auf in Art. 6 Abs. 1 GG begründeten Vertrauensverhältnisse, partiell aber auch auf in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten engen Vertrauensbeziehungen Rücksicht genommen. Mit dem Recht auf Privatsphäre erhält § 52 StPO – neben Art. 6 GG – ein verfassungsrechtliches Fundament, das sowohl dem Zeugen wie auch dem späteren Beschuldigten zugute kommt743. Dass § 52 StPO auf den Schutz des familiären bzw. engen persönlichen Vertrauensverhältnisses zielt, macht zudem die – anerkanntermaßen den § 52 StPO ergänzende – Beschlagnahmereglung des § 97 I Nr. 1 StPO deutlich, die schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und seinen Angehörigen – private Briefe meist – grundsätzlich für beschlagnahmefrei erklärt. So erweist sich § 52 StPO als nähere Ausgestaltung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG bzw. jedenfalls des in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Privatsphäre sowohl des Zeugen als vor allem auch des (später) Beschuldigten; dies ist die materielle Grundlage, auf der sich das Vertrauensverhältnis unter Angehörigen entfalten kann744. Im Lauschangriff-Urteil vom 18. 5. 2000 führt das MVVerfG aus, dass es bei dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO darum gehe, den nahen Angehörigen den persönlichen Konflikt mit sich und ihrer Familie zu ersparen, in den sie geraten könnten, wenn sie gezwungen wären, über den Beschuldigten auszusagen, und sich dabei zwischen die Alternative gestellt sehen könnten, entweder jenen zu belasten oder die Unwahrheit zu sagen745. Jedoch bestehe eine solche Zwangslage dann nicht, wenn Erkenntnisse aus einer familiären Beziehung auf andere Weise als durch die Zeugenaussage eines nahen Angehörigen gewonnen werden746. Denn der konkrete Rollenkonflikt des Zeugen zwischen der Wahrheitspflicht und den Pflichten, die sich aus seiner familiären bzw. nahen persönlichen Beziehung gegenüber dem Beschuldigten ergeben, entsteht erst dann, wenn der Zeuge davon erfährt, dass seine Aussage als Beweismittel in Betracht kommt747. Daher fehlt dieser konkrete 741 742 743 744 745 746 747
151.
BVerfGE 90, 255, 260; BVerfG, NJW 1997, 185, 186. Vgl. Rengier, S. 10. Vgl. Rengier, S. 10. Vgl. Rengier, S. 11. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353; BGHSt 2, 351, 354; 12, 235, 239; 22, 35, 36. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
204
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Konflikt bei der heimlichen Datenerhebung748. Mit ihr wäre jedoch stets eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären bzw. engen persönlichen Vertrauensbeziehung verbunden. Im Beschluss vom 1. 3. 2000 („Sedlmayr-Fall“), der insbesondere die Frage betraf, ob der Einsatz von V-Leuten im Ermittlungsverfahren, der zur Erlangung von Äußerungen einer zur Aussageverweigerung berechtigten Zeugin – einer Verlobten des Beschuldigten – führte, nach deren Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung ein Beweisverwertungsverbot der durch den Einsatz der V-Leute erlangten Erkenntnisse zur Folge haben muss, sah das BVerfG in der durch V-Leute erfolgenden heimlichen Befragung einer Aussageperson, wenn diese zu dem Beschuldigten in einem dem § 52 StPO unterfallenden Vertrauensverhältnis steht, einen Verstoß gegen das Prinzip eines fairen Verfahrens749. Nach Ansicht des Gerichts enthält die in einer heimlichen Befragung einer Aussageperson durch V-Personen liegende Missachtung des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschuldigten und seinen Angehörigen i. S. des § 52 StPO einen Verstoß gegen das Prinzip eines fairen Verfahrens, weil der in verschiedenen Vorschriften des Strafverfahrensrechts garantierte Schutz eines Angehörigenverhältnisses (vgl. §§ 52 I und III, 97 I, 100d III 3, 252 StPO) in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens gehört750. cc) Absoluter Schutz von Vertrauensverhältnissen vor Maßnahmen nach § 100c I Nr. 3 StPO? Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung betont, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren – zur Überführung von Straftätern ebenso wie zur Entlastung Unschuldiger – hervorgehoben und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet751. Die Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten ist eine staatliche Aufgabe von Verfassungsrang und das Straf- und Strafprozessrecht ist dabei das unverzichtbare Instrument des Staates zur Erfüllung seiner Schutzpflichten. Die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden liegt also im öffentlichen Interesse und hat in einem Rechtsstaat hohe Bedeutung752. Dass das Strafverfolgungsinteresse überhaupt und generell hinter dem Schutz von Vertrauensverhältnissen zurücktreten muss, lässt sich verfassungsrechtlich nicht begründen753. Es gibt keinen generell absoluten Schutz von Vertrauens748
Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
151. BVerfG, StV 2000, 233, 234 = NStZ 2000, 489, 490. BVerfG, StV 2000, 233, 234 = NStZ 2000, 489, 490. 751 Vgl. BVerfGE 29, 183, 194; 77, 65, 76; 80, 367, 375; 100, 313, 389; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1789; BVerfG, NJW 2004, 999, 1008. 752 Vgl. BVerfG, NJW 2003, 1787, 1794. 753 Vgl. BVerfG, NJW 2003, 1787, 1794. 749 750
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
205
verhältnissen. Die Verfassung lässt vielmehr Einschränkungen zum Schutz gewichtiger Verfassungsgüter zu754. Die durch Strafverfolgungsmaßnahmen mögliche Aufklärung von Straftaten und ihr Beitrag zur Sicherung der Befolgung der Strafgesetze können durch Zeugnisverweigerungsrechte oder ähnliche verfassungsrechtliche Beschränkungen der Strafverfolgung empfindlich berührt werden755. Soweit die Gesprächsinhalte zwischen dem Beschuldigten und seinen engsten Familienangehörigen oder einzelnen Berufsgeheimnisträgern keinen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen, sind sie dem Zugriff der öffentlichen Gewalt grundsätzlich entzogen. Das ändert allerdings nichts daran, dass selbst insoweit schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen zurücktreten müssen, wo überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten756. Der absolute Schutz, der den besonderen Vertrauensverhältnissen verfassungsrechtlich zukommt, reicht also nur so weit, wie z. B. das Gespräch mit dem Strafverteidiger oder Arzt um der Menschenwürde willen geschützt ist. Anzuerkennen ist nur, dass der Schutz von Vertrauensverhältnissen in den Fällen in gewissen Grenzen relativiert werden kann, in denen ein Eingriff in besondere Vertrauensverhältnisse unabweisbar ist, damit der Staat seiner Schutzpflicht gerecht werden kann. Es wäre ein äußerst zweifelhaftes Ergebnis, wenn man den Eingriff in besondere Vertrauensverhältnisse auch dort nicht zulassen wollte, wo er zur Aufklärung oder Verfolgung solcher Straftaten unabweisbar ist, denen der Gesetzgeber ein besonderes Gewicht beimisst, und ein auf sie gerichteter Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet wird. dd) Die Optimierung divergierender Verfassungswerte obliegt zunächst dem Gesetzgeber Die Grundrechte verlangen den Schutz besonderer Vertrauensverhältnissen, z. B. zwischen engsten Familienangehörigen (Art. 6 GG), Strafverteidiger und Mandant oder Arzt und Patient (Art. 12 GG). Die betreffenden Grundrechte gebieten es jedoch nicht, engste Familienangehörigen oder einzelne Berufsgeheimnisträger generell von der heimlichen akustischen Überwachung von Wohnraum zu Strafverfolgungszwecken auszunehmen. Danach ist der Gesetzgeber weder verpflichtet noch steht es ihm frei, dem Schutz besonderer Vertrauensverhältnissen absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Gemeinwohlgütern, wie z. B. der Verbrechensaufklärung, dem Opferschutz und der Entlastung Unschuldiger vom Tatverdacht einzuräumen. Die betreffenden Grundrechte sind keinesfalls unbegrenzt gewährleistet. Das System der Zeugnisverweigerungsrechte in §§ 52 – 53a StPO bildet jedenfalls im Hinblick auf den privilegierten Personenkreis eine abschließende Regelung. Die Bestimmungen der §§ 52 – 53a StPO sind dabei das Ergebnis einer im 754 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 461; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 755 Vgl. BVerfGE 77, 65, 76; BVerfG, NJW 2003, 1787, 1794. 756 Vgl. BVerfGE 32, 373, 380.
206
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Gesetzgebungsverfahren getroffenen Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwischen den berührten Interessen. Der Strafrechtspflege mit dem Interesse an einer weitgehenden Aufklärung stehen der Zeugenschutz einerseits und die Wünsche nach Geheimhaltung aufgrund von Vertrauensverhältnissen andererseits gegenüber, die grundrechtlichen Schutz beanspruchen können. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist dabei zunächst und ursprünglich dem Gesetzgeber vorbehalten. Der Gesetzgeber hat sich für eine bestimmte Auflösung dieser Interessenkollision entschieden. Dabei ist insbesondere im Auge zu behalten, dass jeder Verzicht auf die Aussagepflicht die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung begrenzt757. Die Antwort auf die Frage, ob und wem ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen, wer also von der Verpflichtung zur Zeugenaussage zu entbinden ist, ist – worauf Baier zu Recht hinweist – eine für die Verwirklichung der Grundrechte wesentliche Entscheidung, die nur der Gesetzgeber treffen kann758. Im Bereich der Strafverfolgung schützt § 100d III StPO bestimmte, in §§ 52 ff. StPO vorausgesetzte Vertrauensverhältnisse und begründet für die heimliche akustische Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung nach § 100c I Nr. 3 StPO im Rahmen des § 53 I StPO ein Beweiserhebungsverbot (§ 100d III 1 u. 2 StPO)759. Darüber hinaus enthält die Regelung des § 100d III 3 in den Fällen der §§ 52 und 53a StPO hinsichtlich der Erkenntnisse aus Maßnahmen gem. § 100c I Nr. 3 StPO ein eingeschränktes, der Abwägung unterliegendes Beweisverwertungsverbot760. Für Zeugnisverweigerungsberechtigte nach § 53 StPO ist nach § 100d III 1 StPO ein umfassendes Datenerhebungsverbot normiert. Dies bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber, wie dies in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird,761 in der Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und Berufgeheimnisträgern gem. § 53 StPO einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung gesehen hat. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist vielmehr in § 100d III 1 StPO durch ein Überwachungsverbot Rechnung getragen worden. Der Gesetzgeber unternahm eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen dem grundrechtlichen Schutz entsprechender Vertrauensverhältnisse, der einen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG verstärkenden Grundrechtsschutz zur Folge hat, und den entgegenstehenden Interessen, vor allem dem an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege. Im Bereich der Strafverfolgung hat der Bundesgesetzgeber in § 100d III 1 StPO den durch Amts- und Berufsgeheimnisse geschützten Vertrauensverhältnissen zwischen dem Arzt und seinem Patienten oder dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten Vorrang vor dem Strafverfolgungsinteresse des Staates ein757 758 759
Vgl. Baier, JR 1999, 495, 499. Baier, JR 1999, 495, 499. Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
152. 760
Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
152. 761
Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004 f.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
207
geräumt762. Demgegenüber finden sich in §§ 100a ff. StPO keine Vorschriften über Zeugnisverweigerungsrechte bzw. aus diesen herzuleitende Abhör- oder Verwertungsverbote763. Insoweit betritt die Regelung des § 100d III StPO rechtliches Neuland764. Da diese Regelung wesentlich durch die Intensität des Grundrechtseingriffs bedingt ist, kann sie selbst im Bereich der Strafverfolgung nicht verallgemeinert werden765. Dieser Regelung liegt – entgegen der Auffassung des BVerfG – nicht die allgemeine Erwägung zu Grunde, dass die heimliche akustische Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung ausscheidet, wenn ein Sachverhalt dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen ist766. Die Vorschrift des § 100d III StPO zielt vielmehr auf den Ausgleich zwischen dem Strafverfolgungsinteresse des Staates und dem grundrechtlich fundierten Schutz von Vertrauensverhältnissen. Es obliegt in weitem Umfang der politischen Entscheidung des einfachen Gesetzgebers, ob und inwieweit er auf der Grundlage einer Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Schutz von Vertrauensverhältnissen diese vor der heimlichen akustischen Überwachung von Wohnraum schützt767. Das BVerfG hat in seiner früheren Rechtsprechung dem Gesetzgeber bei der Abwägung kollidierender Verfassungswerte erhebliche Spielräume eingeräumt768. Die Art und Weise, wie die kollidierenden Verfassungswerte zum optimalen Ausgleich zu bringen sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber selbst und erst in zweiter Linie der Interpretation des Verfassungsrechts aufgegeben769. 3. Die Belange des Schutzes von Vertrauensverhältnissen als ein wesentlicher Abwägungsfaktor Die Verfassung schützt, wie das BbgVerfG in seinem Urteil zum Brandenburgischen Polizeigesetz zu Recht feststellt, bestimmte Vertrauensverhältnisse nicht absolut, sondern ermöglicht eine Abwägung mit gegenläufigen Verfassungsbelangen770. Für die Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt dem Gesichtspunkt einer Abstufung des Schutzes von Vertrauensverhält762 763
Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624. Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
152. 764
Vgl. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149,
152. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191. A.A. BVerfG, NJW 2004, 999, 1006. 767 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191. 768 Vgl. z. B. BVerfGE 88, 203, 262. 769 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 553. 770 S. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457; so auch SächsVerfGH, LKV 1996, 273 = LVerfGE 4, 303, 366; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; Paeffgen, NJ 1996, 454, 461. 765 766
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
nissen eine besondere Bedeutung zu. Er ist u. a. bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Datenschutzes zu berücksichtigen. Wenn ein besonderes, rechtlich institutionalisiertes Vertrauensverhältnis, z. B. zwischen Arzt und Patient oder Rechtsanwalt und Mandant, in Anspruch genommen wird, so ist die Intensität des Schutzes besonders ausgeprägt771. Ähnliches gilt, wenn die familiären, den durch Art. 6 Abs. 1 GG verstärkten Schutz genießenden Vertrauensbeziehungen beansprucht werden772. Der Schutz besonderer Vertrauensverhältnisse ist dabei aber je nach dem Grad der rechtlichen Institutionalisierung von konkretem Vertrauen abgestuft773. In § 203 StGB ist die Verletzung von Privat- und Berufsgeheimnissen unter Strafe gestellt. Schutzgut dieser Strafbestimmung ist vor allem das Vertrauen in die Verschwiegenheit der Angehörigen bestimmter Berufe, der Verwaltung usw.774 Ohne dieses Vertrauen könnten diese Berufe und Vertrauenspersonen ihre Aufgaben im Allgemeinheitsinteresse nicht oder nur unvollkommen erfüllen775. Hat der Staat Vertrauen geschaffen, nimmt dieses am besonderen grundrechtlichen Schutz teil776. Ehe und Familie stehen hingegen unabhängig von der konkreten Inanspruchnahme von Vertrauen und dem Inhalt der jeweiligen Erkenntnisse unter dem Schutz des Art. 6 GG777. So spielt die Frage, ob Ehe und Familie in der Realität nur eine leere rechtliche Hülse sind oder noch das an besonderer Vertraulichkeit leisten, was Anlass für ihren Schutz ist, keine Rolle778. Im Gegensatz zu Vertrauensverhältnissen zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen kommt es hier nicht auf die spezielle Anerkennung an, welche durch Gesetz oder durch rechtlich anerkanntes Herkommen entsteht, sondern vielmehr nur auf die Inanspruchnahme eines verfassungsrechtlich institutionalisierten Vertrauensverhältnisses779. Daher genießen die familiären Vertrauensbeziehungen einen geringeren Schutz als die besonderen, rechtlich institutionalisierten Vertrauensverhältnisse, wie beispielsweise die Beziehungen zwischen Arzt und Patient oder Rechtsanwalt und Mandant. Eine staatliche Kenntnisnahme von dem Kommunikationsvorgang oder von seinem Inhalt ist somit in Ehe und Familie in weiterem Umfang zulässig780. Der Schutzumfang der durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Vertrauensverhältnisse, wie z. B. die eheähnliche Beziehung, das Verhältnis zwischen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern und die Beziehungen zu Geschwistern und Verwandten oder Verschwägerten sowie sonstige Vertrauensverhältnisse zwischen engen persönlichen Freuden, reicht im Wesentlichen weniger weit als derjenige 771 772 773 774 775 776 777 778 779 780
Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 99. Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 99. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 103. Dazu Vogelgesang, S. 203. Vogelgesang, S. 203. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 97. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 98. Deutsch, S. 111. Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 98. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 98.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
209
der besonderen Vertrauensbeziehungen, also die Beziehungen zu engsten Familienangehörigen und zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen781. 4. Das Polizeirecht weist als Recht der Gefahrenabwehr einen weit stärkeren Bezug zu den grundrechtlichen Schutzpflichten auf, als er der Strafverfolgung eigen ist Die Regelung des § 23 BWPolG regelt – anders als § 100d StPO für strafprozessuale Maßnahmen – nicht das Verbot, durch einen Großen Lauschangriff in grundrechtlich durch Amts- und Berufsgeheimnisse geschützte Vertrauensbeziehungen einzugreifen782. Ein Verbot des Eingriffs in Amts- und Berufsgeheimnisse kann – entgegen der im Schrifttum vertretenen Auffassung783 – auch nicht durch eine analoge Anwendung der Vorschriften der §§ 53, 53a StPO und § 100d III StPO begründet werden, weil es an der für eine Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage fehlt784. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Polizeigesetze und der Strafverfolgung kommt eine Analogie zu den strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechten (§§ 53, 53a StPO) und Beweiserhebungsverboten (§ 100d III StPO) nicht in Betracht785. Zwar erkennt das BVerfG im Tagebuchbeschluss786 und im Großen Lauschangriff-Urteil787 einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung an. Es hat jedoch einen solchen Kernbereich ausdrücklich nur für das Strafverfahren bestimmt788. Ebenfalls können aus der Ansicht des BGH789 über den absoluten Schutz von Gesprächen unter Eheleuten keine zwingenden Schlüsse über das Strafverfahren hinaus gezogen werden790. Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr ist ein absolut geschützter Kernbereich privater Lebensgestaltung wohl nicht anzuerkennen791. Es ist heute in der Rechtsprechung792 und Rechtslehre793 anerkannt und wird zum Beispiel durch die verfassungsrechtliche Regelung des Art. 13 GG beVgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 98. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624. 783 Vgl. z. B. Knemeyer / Keller, SächsVBl. 1996, 197, 199; Habermehl, JA 1990, 331, 333; Erichsen, Jura 1993, 45, 46. 784 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624. 785 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 182. 786 Vgl. BVerfGE 80, 367, 374. 787 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1004. 788 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 789 Vgl. BGHSt 31, 296, 299 f. = NJW 1983, 1569, 1570. 790 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 791 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 792 Vgl. BVerfGE 100, 313, 383 u. 394 f.; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 793 S. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 553; Schenke, JZ 2001, 997; Gusy, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 135; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 781 782
14 Son
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
legt, dass ein der Gefahrenabwehr dienender Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers in weiterem Umfang verfassungsrechtlich zulässig ist als ein der Strafverfolgung dienender794. Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr ist nach wohl allgemeiner Ansicht mehr „erlaubt“ als auf dem der Strafverfolgung795. Zwar tragen auch das materielle Strafrecht und das seiner Durchsetzung dienende Strafprozessrecht zur Erfüllung der dem Staat dem Bürger gegenüber obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten bei796. Das Straf- und Strafprozessrecht setzt aber eine begangene Straftat, also die eingetretene und beendete Rechtsgutverletzung voraus. Sein Primärzweck ist auf Sanktionierung begangener Rechtsgutsverletzungen ausgerichtet. Demnach kann der Schaden an einem Rechtsgut durch das Straf- und Strafprozessrecht nicht mehr abgewehrt werden797. Demgegenüber zielt das Polizeirecht primär darauf, Gefährdungslagen für polizeirechtlich geschützte Rechtsgüter abzuwehren798. Es handelt sich darum, dass die drohenden, jedoch noch nicht eingetretenen Schäden verhindert werden sollen. Daneben ist das Polizeirecht in immer höherem Maße auf die Vorsorge für die Gefahrenabwehr ausgerichtet799. Das Polizeirecht steht damit – jedenfalls soweit es der Abwehr einer konkreten Gefahr dient – in einem weit stärkeren Bezug zu den aus Art. 2 Abs. 2 GG abzuleitenden grundrechtlichen Schutzpflichten, als es dem Straf- und Strafprozessrecht eigen ist800. Aus diesem Grund geht bezeichnenderweise auch das zweite G 10Urteil des BVerfG zu Recht davon aus, dass Art. 10 GG einen größeren Schutz vor strafprozessualen als vor präventivpolizeilichen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis gewährt801. Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr ist daher ein absolut abwägungsfester Schutz von Vertrauensverhältnissen, der jeden präventivpolizeilichen Eingriff abwehren könnte, – anders als dies möglicherweise im Strafprozessrecht vertretbar sein mag802 – nicht anzuerkennen803. Das Recht zur Datenerhebungen bzw. zur Datenverwendung darf so der Polizei in der Weise eingeräumt werden, dass notfalls tief in grundrechtlich mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse eingegriffen wird804. Falls das Eindringen in mittels Amtsoder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse als „ultima ratio“ nicht zulässig wäre, könnte der Polizei das einzigste Mittel genommen sein, durch das sie ein schweres Verbrechen, etwa einen Sprengstoffanschlag oder eine Geiselnahme, Schenke, JZ 2001, 997. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 796 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 553. 797 Dazu eingehend Gusy, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 135. 798 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 553. 799 Gusy, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 135, 136. 800 Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; ders., JZ 2001, 997; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 553. 801 Vgl. BVerfGE 100, 313, 383 u. 394 f. 802 Dazu nur s. Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 339 f. 803 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 804 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 794 795
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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verhindern könnte805. Das wäre nicht hinnehmbar806. Das Polizeirecht weist als Recht der Gefahrenabwehr einen weit stärkeren Bezug zu den grundrechtlichen Schutzpflichten auf, als er der Strafverfolgung eigen ist807. Hier können sich die staatlichen Schutzpflichten sogar zu einem Schutzanspruch verdichten808. So kann der Datenschutz im Polizeirecht nicht so weit reichen wie im Strafprozessrecht809. Es ist, worauf das MVVerfG in seinem Lauschangriff-Urteil zu Recht hinweist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstan-den, dass für den Bereich der Gefahrenabwehr Strafverteidiger nicht aus dem Kreis derjenigen herausgenommen worden sind, die im polizeilichen Notstand unter engen gesetzlichen Voraussetzungen Betroffene einer heimlichen Datenerhebung sein können810. Bei der Neufassung des § 23 BWPolG durch Gesetz vom 15. 12. 1998 ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Lauschangriffe in Amts- und Berufsgeheimnisse zu präventivpolizeilichen Zwecken zulässig seien811. Damit hat der badenwürttembergische Gesetzgeber die Problematik erkannt, sich im Bereich des § 23 BWPolG aber gegen § 100d III StPO entsprechende Sonderregelungen ausgesprochen812. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden813.
C. Anforderungen des Volkszählungsurteils hinsichtlich Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Wie schon erwähnt, wollte das BVerfG in seiner Entscheidung zum Volkszählungsgesetz 1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht unbeschränkt gelten lassen814. Allerdings hat das Gericht für Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG eine verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage gefordert815. Dabei hat das Gericht eine Vielzahl von inhaltlichen Anforderungen an zulässige gesetzliche Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung formuliert816. Hiernach sind Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 807 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; ders., Polizeirecht, Rn. 191. 808 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 248. 809 So treffend Wolter, ZStW Bd. 107 (1995), 793, 820. 810 MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 811 Innenminister Schäuble, Landtagsprotokoll 12 / 51 vom 15. 7. 1998, S. 4011; s. auch BVerfG, DÖV 2001, 777. Vgl. hierzu Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624. 812 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624. 813 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624; Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352 f. 814 BVerfGE 65, 1, 43 f. Vgl. dazu 1. Teil 1. Kapitel B. III. 815 BVerfGE 65, 1, 44. 816 BVerfGE 65, 1, 44, 46. 805 806
14*
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage und im Rahmen der darin festgelegten Zwecke zulässig, wobei die gesetzliche Grundlage nach allgemeinen Grundsätzen dem rechtsstaatlichen Gebot der Normklarheit und -bestimmtheit entsprechen und mit dem Übermaßverbot vereinbar sein sowie hinreichende organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen enthalten muss, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken817.
I. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen Einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedarf es stets dann, wenn die Polizei in ein Grundrecht des Betroffenen eingreifen will. So bedarf die Polizei, um personenbezogene Daten gegen den Willen oder ohne Wissen des Betroffenen erheben oder verwenden zu dürfen, der gesetzlichen Eingriffsermächtigung, die Eingriffsbefugnisse der Polizei begründet und begrenzt818. Erfolgt ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, können hieraus – unmittelbar gestützt auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – Abwehransprüche resultieren (öffentlich-rechtlicher Beseitigungsanspruch)819. Sollen personenbezogene Daten von der Polizei ohne gesetzliche Grundlage gesammelt und gespeichert werden, lässt sich gleichfalls unter unmittelbarem Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – unter dem Gesichtspunkt des Folgenbeseitigungsanspruchs – deren Vernichtung verlangen820. In den neueren Landespolizei- und Ordnungsgesetzen bestehen besondere Eingriffsermächtigungen für polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung (vgl. z. B. §§ 22, 24, 25, 40 BWPolG) und die Verwendung der im Rahmen eines Strafverfahrens mit denselben Methoden gewonnenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke (s. z. B. § 38 BWPolG), die in direktem Gegensatz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen. Zu beachten ist hierbei, dass sich die Verwendung der aus einer nach § 100a StPO angeordneten Telefonüberwachung stammenden personenbezogenen Daten nicht Vgl. BVerfGE 65, 1, 44, 46; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 451. Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 172 und 200; ders., CR 1989, 628, 634. 819 OVG Lüneburg, NJW 1992, 192 ff. – personenbezogene Daten im Verfassungsschutzbericht; VG Berlin, NJW 1993, 2548 ff. – Öffentliche Äußerung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (Fall Stolpe); OVG Koblenz, NVwZ 1986, 575 f. – Vorlage von Steuerakten an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss; OVG Münster, CR 1995, 115, 116 – Datenweitergabe seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz; vgl. hierzu Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 180. 820 BVerfGE, 65, 1, 46 – Löschungspflichten; VGH Mannheim, NJW 1983, 1690 f. – Zum Anspruch auf Vernichtung von Unterlagen des Verfassungsschutzes. Zur Frage eines Folgenbeseitigungsanspruchs auf Vernichtung von erkennungsdienstlichen Unterlagen VGH Mannheim, NJW 1987, 2762 f.; VGH Mannheim, NJW 1987, 3022 f. einerseits sowie VG Frankfurt, NJW 1987, 2248 f. andererseits; allgemein Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 104; vgl. hierzu Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 180. 817 818
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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auf Vorschriften wie § 38 I 1 BWPolG stützen lässt, wonach der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, speichern, verändern und nutzen kann, soweit und solange dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist [s. hierzu näher unter 2. c)]. Die Strafprozessordnung sieht die Befugnis vor, personenbezogene Daten, die auf Grundlage der Landespolizei- und Ordnungsgesetze erhoben wurden, zum Zwecke der Strafverfolgung zu verwenden (vgl. §§ 161, 163 I 2, 483 StPO). 1. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung a) Die Observation Bei der Observation handelt es sich um eine planmäßige angelegte Beobachtung einer Person durch die Polizei über einen längeren Zeitraum hinweg821. Die Zulässigkeit der Erhebung personenbezogener Daten durch die „längerfristige“ Observation ist dabei wegen des mit einer Observation für den Beobachteten, aber auch für seinen Freundes- und Bekanntenkreis verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung822 z. B. in § 22 I Nr. 1 BWPolG ausdrücklich gesetzlich geregelt823. Danach versteht man unter einer längerfristigen Observation „die voraussichtlich innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden dauernde oder über den Zeitraum einer Woche hinaus stattfindende Observation“. Die „kurzfristige“ Observation richtet sich demgegenüber nach den allgemeinen Vorschriften der Datenerhebung (s. z. B. §§ 19, 20 BWPolG). Auch wenn die Observation nur kurzfristig durchgeführt wird, ist sie aber nur unter den dafür maßgeblichen Voraussetzungen (s. z. B. § 19 BWPolG) zulässig, weil es sich in der Regel um eine verdeckte Datenerhebung handelt, die nicht als polizeiliche Maßnahme erkennbar ist. Die Erhebung personenbezogener Daten durch eine längerfristige Observation ist z. B. gemäß § 22 III BWPolG nicht nur zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte, sondern auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässig824. Adressaten dieser Maßnahmen sind, wie die Verweisung z. B. in § 22 III BWPolG klarstellt, jeweils Störer und Nichtstörer i. S. des § 20 II Gusy, Polizeirecht, Rn. 202. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 626. 823 Vgl. Art. 33 I Nr. 1 BayPAG; § 25 I Nr. 1 BerlASOG; § 32 BrandPolG; § 32 BremPolG; § 9 HambPolDVG; § 15 I Nr. 1 HSOG; § 33 I Nr. 1 MVSOG; § 34 NdsSOG; § 16 NWPolG; § 28 II Nr. 1 SaarlPolG; § 17 I Nr. 1 SachsAnhSOG; § 36 II Nr. 1 SächsPolG; § 185 I Nr. 2a SchlHVwG; § 34 I Nr. 1 ThürPAG. Dazu BGH, NJW 1991, 2651; Gusy, Anmerkung zum Urteil des BGH v. 14. 5. 1991, StV 1991, 499; Wolter, Jura 1992, 520. 824 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 610. 821 822
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
BWPolG bzw. potentielle Straftäter und ihre Kontakt- und Begleitpersonen i. S. d. § 20 III Nr. 1 und 2 BWPolG825. Die längerfristige Observation ist als ultima ratio nur zulässig, wenn andernfalls die Wahrnehmung der Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes gefährdet oder erheblich erschwert würde (s. z. B. § 22 III BWPolG). Dritte dürfen durch diese Art der Datenerhebung unvermeidbar betroffen werden (s. z. B. § 22 IV BWPolG)826. Die längerfristige Observation muss vom Leiter einer der etwa in § 22 VI BWPolG genannten Polizeidienststellen oder Polizeibehörden angeordnet werden, soweit dieser seine Anordnungsbefugnis nicht auf besonders beauftragte Polizeibeamte des höheren Dienstes übertragen hat (sog. Behördenleitervorbehalt)827. Nach § 22 VIII 1 BWPolG ist der Betroffene über die erfolgte Maßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. b) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel Weder der VEMEPolG 1986 noch die neueren Landespolizei- und Ordnungsgesetze enthalten eine nähere Definition der „technischen Mittel“828. Als Beispiel für den verdeckten Einsatz technischer Mittel ist z. B. in Baden-Württemberg in der Vorschrift des § 22 I Nr. 2 BWPolG die Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen829 sowie das Abhören oder Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger830 genannt. Sie ermächtigt damit zum heimlichen Einsatz akustischer und optischer Mittel, mit denen Bilder und Sprache festgehalten werden können831. Zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger zählen Aufnahmen mit Richtmikrofonen oder mit Hilfe von Minimikrofonen (sog. Wanzen), nicht aber die Telefonüberwachung832: § 22 I Nr. 2 BWPolG ermöglicht keine Überwachung des Fernmeldeverkehrs für präventivpolizeiliche Zwecke, weil § 4 BWPolG unter den auf seiner Basis einschränkbaren Grundrechten nicht den Art. 10 GG und das in ihm geschützte 825 Zur Frage, gegen wen sich die Observation richten darf, s. auch näher Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 631 ff. 826 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 610. 827 Vgl. hierzu BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; Lisken / Mokros, NVwZ 1991, 609, 612 ff. 828 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 641. 829 S. Art. 33 I Nr. 2 BayPAG; § 25 I Nr. 2 BerlASOG; § 33 BrandPolG; § 33 I BremPolG; § 10 HambPolDVG; § 15 I Nr. 2 HSOG; § 33 I Nr. 2 MVSOG; § 17 NWPolG; § 35 NdsSOG; § 25b I RhPfPOG; § 28 II Nr. 2 SaarlPolG; § 17 I Nr. 2 SachsAnhSOG; § 36 II Nr. 2 SächsPolG; § 185 I Nr. 1 SchlHVwG; § 34 I Nr. 2 ThürPAG. 830 S. Art. 33 I Nr. 2 BayPAG; § 25 I Nr. 2 BerlASOG; § 33 BrandPolG; § 33 I BremPolG; § 10 HambPolDVG; § 15 II Nr. 2 HSOG; § 33 I Nr. 2 MVSOG; § 35 NdsSOG; § 18 NWPolG; § 25b I RhPfPOG; § 28 II Nr. 2 SaarlPolG; § 17 I Nr. 2 SachsAnhSOG; § 36 II Nr. 2 SächsPolG; § 185 I Nr. 2b SchlHVwG; § 34 I Nr. 2 ThürPAG. 831 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 832 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 617, 620 und 650 f.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Fernmeldegeheimnis zitiert833. Damit genügt das baden-württembergische Polizeigesetz nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, nach dem bei allen Eingriffen in ein Grundrecht mit Gesetzesvorbehalt das Grundrecht unter Angabe des Artikels genannt werden muss834. § 22 I Nr. 2 BWPolG gilt auch nicht hinsichtlich des verdeckten Einsatzes technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen, der einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG darstellt und in der Vorschrift des § 23 BWPolG gesondert geregelt ist835. Unter ähnlichen Voraussetzungen wie die längerfristige Observation ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger gem. § 22 I Nr. 2 BWPolG zulässig836. Bild- und Tonaufzeichnungen von Dritten sind unverzüglich, spätestens jedoch nach zwei Monaten zu löschen, soweit sie im Einzelfall nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind (vgl. z. B. § 22 VII BWPolG). c) Der Einsatz Verdeckter Ermittler837 Durch spezielle Vorschriften ist nunmehr z.T. ausdrücklich auch der Einsatz Verdeckter Ermittler (getarnte Polizeibeamte) normiert838. Verdeckte Ermittler sind „Polizeibeamte, die unter Geheimhaltung ihrer wahren Identität (s. z. B. § 22 I Nr. 3 BWPolG) polizeiliche Aufgaben wahrnehmen“839. Solche Beamte werden unter einer Legende, d. h. unter falscher Identität, in Milieus eingeschleust, um sämtliche verwertbaren Informationen weiterzugeben 840. § 24 BWPolG und parallele Vorschriften in anderen Polizeigesetzen 841 sehen vor, dass, soweit es zur Geheimhaltung der wahren Identität eines Verdeckten Ermittlers erforderlich ist, 833 So auch BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452; Schenke, Polizeirecht, Rn. 197a u. 343; a.A. Pieroth / Schlink / Kniesel, § 14, Rn. 130. 834 Vgl. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. 835 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 836 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 617. 837 Dazu auch BGH, JZ 1995, 970 ff.; 1996, 259 ff. (m. Anm. Rogall); JZ 1997, 1128 ff. (m. Anm. Frister); BVerwG, NJW 1997, 2534 ff.; OLG Karlsruhe, DVBl. 1999, 1229 ff.; Quentin, JuS 1999, 134 ff.; Thomas, StV 1997, 657 ff.; Krey, JR 1998, 1 ff.; Wulff, in: FS für Remmers, 615 ff. 838 Schenke, Polizeirecht, Rn. 198. Vgl. § 8c II Nr. 3 VEMEPolG; §§ 22 I Nr. 3, 24 BWPolG; Art. 33 I Nr. 3, 35 BayPAG; § 26 I Nr. 2 BerlASOG; § 35 BrandPolG; § 35 BremPolG; § 12 HambPolDVG; § 16 II HSOG; § 33 I Nr. 4 MVSOG; § 36a NdsSOG; § 20 NWPolG; § 25b I RhPfPOG; § 28 II Nr. 4 SaarlPolG; § 18 II SachsAnhSOG; §§ 36 II Nr. 3, 41 SächsPolG; §§ 34 I Nr. 3, 36 ThürPAG. 839 Schenke, Polizeirecht, Rn. 198. 840 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 626. 841 Vgl. Art. 35 I BayPAG; § 26 II BerlASOG; § 35 II BrandPolG; § 35 VI BremPolG; § 12 II HambPolDVG; § 16 III 3 HSOG; § 33 V MVSOG; § 36a II NdsSOG; § 20 II NWPolG; § 41 I SächsPolG; § 18 III SachsAnhSOG; § 36 I ThürPAG.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
„entsprechende Urkunden“ hergestellt, verändert oder gebraucht werden dürfen und dass der Verdeckte Ermittler zur Erfüllung seines Auftrages unter Geheimhaltung seiner wahren Identität „am Rechtsverkehr“ teilnehmen darf842. Verdeckte Ermittler sind – außer dass sie ihre Identität nicht preisgeben müssen und insoweit Daten „heimlich“ erheben können – an die Grenzen der allgemeinen Rechtsordnung gebunden843. So darf ein Verdeckter Ermittler unter Geheimhaltung seiner wahren Identität mit Einverständnis des Berechtigten dessen Wohnung betreten. Nicht erlaubt ist jedoch eine Täuschung über die Identität, wenn diese mit einem besonderen Zutrittsrecht verbunden ist, beispielsweise als Beauftragter eines Elektrizitätswerks oder der Bundespost (§ 24 II BWPolG)844. Die nachträgliche Unterrichtung der Betroffenen unterbleibt nach § 22 VIII BWPolG bei den Gefahren für Leib und Leben des verdeckten Ermittlers oder wenn hierdurch sein weiterer Einsatz gefährdet wäre. Gegen die in § 22 VIII 2 BWPolG geregelten Einschränkungen von der Unterrichtungspflicht sind verfassungsrechtliche Bedenken geltend zu machen (vgl. hierzu näher 2. Teil 3. Kapitel C. III. 3.)845. Hinsichtlich der sachlichen Voraussetzungen und der Anordnungskompetenz gilt das zur längerfristigen Observation Ausgeführte (vgl. z. B. §§ 22 III, 22 VI BWPolG). Da die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler nicht offen, also „heimlich“ erfolgt, ist ihr Einsatz durch die Polizei- und Ordnungsgesetze nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen zulässig (vgl. hierzu näher 3. Teil 1. Kapitel B.)846. So kann z. B. gem. § 22 III BWPolG der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler von Störern und Nichtstörern i. S. des § 20 II BWPolG zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder von potentiellen Straftätern und ihren Kontakt- und Begleitpersonen i. S. d. § 20 III Nr. 1 und 2 BWPolG zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erheben, wenn anderenfalls die Wahrnehmung von Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes gefährdet oder erheblich erschwert würde. Der Einsatz Verdeckter Ermittler bedarf der Anordnung des Leiters einer der in § 22 VI BWPolG genannten Polizeidienststellen oder Polizeibehörden.
Zur Kritik hieran Graulich, NVwZ 1991, 648, 651. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 641; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 627; Gusy, Polizeirecht, Rn. 205. 844 Vgl. BW LT-Drs. 10 / 5230, S. 43; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 626. 845 Vgl. hierzu näher Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690; s. ferner auch SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963 ff.; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395; ders., Polizeirecht, Rn. 188; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 637; Deutsch, S. 24 ff.; nicht überzeugend die Ablehnung einer verfassungsrechtlich gebotenen nachträglichen Benachrichtigungspflicht durch BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 846 Schenke, Polizeirecht, Rn. 198. 842 843
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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d) Der Einsatz von V-Leuten (Vertrauenspersonen) Der Einsatz von V-Leuten ist heute in den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen ebenso wie der Einsatz Verdeckter Ermittler spezialgesetzlich näher geregelt847. Mangelt es wie in Baden-Württemberg an ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften für den Einsatz von V-Leuten, wird man von einer Unzulässigkeit des Einsatzes solcher V-Leute ohne eine besondere Ermächtigungsgrundlage auszugehen haben. Unter V-Leuten versteht man nach der Legaldefinition des § 8c II Nr. 4 VEMEPolG und des § 36 I 1 NdsSOG solche „Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist“. V-Leute, die keine Polizeibeamte sind, aber mit der Polizei zusammenarbeiten, sind von den Verdeckten Ermittlern zu unterscheiden848. Diese unterscheiden sich von V-Leuten durch ihre Eigenschaft als Polizeibeamte, die jedoch für Dritte nicht erkennbar ist849. Es handelt sich bei V-Leuten um „Private“, wobei es keinen rechtlichen Unterschied begründet, ob die Initiative zur Zusammenarbeit von der Polizei oder den V-Leuten selbst ausging850. Sie sind – anders als die Verdeckten Ermittler i. S. des § 22 I Nr. 3 BWPolG – kein Teil der Polizei und üben keine hoheitlichen Tätigkeiten aus851. Auch während ihres Einsatzes bleiben sie Privatpersonen852. Zu Grundrechtseingriffen gegenüber Dritten sind sie lediglich aufgrund der bürgerlichrechtlichen Schutz- und Selbsthilferechte, des strafrechtlichen Notwehrrechts und des strafprozessualen Verfolgungsrechts befugt853. V-Leute dürfen als ein besonderes Mittel der Datenerhebung nach den für sie einschlägigen gesetzlichen Vorschriften in der Regel unter denselben oder zumindest ähnlichen inhaltlichen854 und verfahrensrechtlichen855 Voraussetzungen wie Verdeckte Ermittler eingesetzt werden856.
847 Vgl. z. B. § 8c II Nr. 4 VEMEPolG; § 26 I Nr. 1 BerlASOG; § 34 BrandPolG; § 34 BremPolG; § 11 HambPolDVG; § 16 I HSOG; § 33 I Nr. 3 MVSOG; § 36 NdsSOG; § 19 NWPolG; § 28 II Nr. 3 SaarlPolG; § 18 I SachsAnhSOG; § 185 I Nr. 3 SchlHVwG; § 34 I Nr. 5 ThürPAG. S. dazu näher Friedrichs, Der Einsatz von „V-Leuten“ durch die Ämter für Verfassungsschutz, 1981; Scherp, Die polizeiliche Zusammenarbeit mit V-Personen, 1992; Weiler, Befragung von Beschuldigten oder aussageverweigerungsberechtigten Zeugen im Ermittlungsverfahren durch V-Leute, GA 1996, 101 – 116; Hilger, Verdeckte Ermittler, V-Leute, FS für Ernst-Walter Hanack 1999, 207 – 220. 848 Schenke, Polizeirecht, Rn. 200. 849 Gusy, Polizeirecht, Rn. 204. 850 Schenke, Polizeirecht, Rn. 200. 851 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 465. 852 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 465. 853 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 465. 854 Vgl. z. B. §§ 36 I, 34 I 1 NdsSOG; § 19 I NWPolG. 855 Grundsätzlich besteht ein Behördenleitervorbehalt, vgl. § 36 III NdsSOG; § 19 II NWPolG. 856 Schenke, Polizeirecht, Rn. 200.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
e) Die polizeiliche Beobachtung (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung) Ein besonderes Mittel der Datenerhebung stellt nach § 36 II Nr. 4 SächsPolG auch die polizeiliche Beobachtung dar857. Sie bezweckt Bewegungsbilder des Betroffenen durch die Zusammenfassung bestimmter Meldungen zu erstellen858. Im Falle seines „Antreffens“, d. h. bei jeglichem polizeilichem Kontakt, lassen sich Erkenntnisse über die Person (z B. Aussehen, Reiseroute), mitgeführte Gegenstände (z. B. Autos, Werkzeuge, Gepäck) und Begleitpersonen an die ausschreibende Stelle melden859. So kann z. B. nach § 25 I BWPolG860 der Polizeivollzugsdienst eine Person oder Kennzeichen der auf den Namen der Person zugelassenen, von ihr benutzen oder von ihr eingesetzten Kraftfahrzeuge zu Zwecken der Mitteilung über das Antreffen ausschreiben, wenn entweder die Gesamtwürdigung der Person und ihrer bisher begangenen Straftaten erwarten lassen, oder Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person zukünftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung begehen wird und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist. Auf Grund der Ausschreibung können die anlässlich einer polizeilichen Kontrolle gewonnenen Erkenntnisse, vor allem über das Antreffen der Person, über Kontakt- und Begleitpersonen sowie über mitgeführte Sachen an die ausschreibende Polizeidienststelle übermittelt werden (vgl. z. B. § 25 II BWPolG). In Verbindung mit dieser Maßnahme sind z. B. in den Vorschriften der § 25 II – IV BWPolG eine Reihe verfahrensrechtlicher Sicherungen861 geregelt, welche die Anordnungsbefugnis, ihre Befristung und Löschungs- bzw. Unterrichtungspflichten betreffen862.
Schenke, Polizeirecht, Rn. 203. Gusy, Polizeirecht, Rn. 206. 859 Gusy, Polizeirecht, Rn. 206. 860 Ähnliche Regelungen in § 8d VEMEPolG; Art. 36 BayPAG; § 36 BrandPolG; § 31 BremPolG; § 27 BerlASOG; § 13 HambPolDVG; § 17 HSOG; § 35 MVSOG; § 37 NdsSOG; § 21 NWPolG; § 29 SaarlPolG; § 19 SachsAnhSOG; § 42 SächsPolG; § 187 SchlHVwG; § 37 ThürPAG. 861 Die Ausschreibung bedarf der Anordnung des Leiters oder eines von ihm besonders beauftragten Polizeibeamten des höheren Dienstes des Landeskriminalamtes (§ 25 II 1 BWPolG). Die Anordnung ergeht schriftlich und ist zu begründen; sie ist auf höchstens 12 Monate zu befristen (§ 25 II 2 BWPolG). Verlängerungen bis zu jeweils 12 Monaten sind zulässig; hierzu bedarf es jeweils einer neuen Anordnung (§ 25 II 3 BWPolG). Liegen die Voraussetzungen für die Anordnung nicht mehr vor, ist der Zweck der Ausschreibung erreicht oder kann er nicht erreicht werden, ist die Ausschreibung unverzüglich zu löschen (§ 25 III BWPolG). Nach Beendigung der Maßnahme ist der Betroffene zu unterrichten (§ 25 IV BWPolG). 862 Schenke, Polizeirecht, Rn. 203. 857 858
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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f) Die Rasterfahndung Auch die Rasterfahndung gehört zu den heimlichen Maßnahmen, da der durch eine Rasterfahndung Betroffene von einem solchen Eingriff nichts erfährt863. Bei der Rasterfahndung liegt eine Überschneidung von Datenerhebung und Datenverarbeitung vor. Sie wird aber nicht im Zusammenhang der Datenerhebung, sondern der weiteren Verarbeitung personenbezogener Daten geregelt864. Die Rasterfahndung bezweckt mittels elektronischer Merkmalsraster aus einer beliebig großen Personenzahl eine möglichst kleine Gruppe von Tatverdächtigen bzw. potenziellen Störern herauszufiltern865. Bei der Rasterfahndung werden bestimmte Datensammlungen nach vorher festgelegten Merkmalen (Rastern) überprüft. Man hat beispielsweise festgestellt, dass Terroristen nicht polizeilich gemeldet sind und ihre Stromrechnungen bar bezahlen, so dass es sich empfiehlt, die Daten der Einwohnermeldeämter mit denen barbezahlender Stromkunden abzugleichen, um auf diese Weise an verdächtige Personen heranzukommen. Hierbei kann die Polizei nicht nur auf Daten öffentlicher Stellen wie etwa Einwohnermeldeämter und Universitäten, sondern auch auf Kundendaten von privaten Stellen wie z. B. Elektrizitätswerken, Banken, Reisegesellschaften, Fluggesellschaften, Renten- und Krankenversicherungen zugreifen. Durch das Abgleichen der Daten wird der Kreis der Verdächtigen immer enger gezogen866. Der Charakter der Rasterfahndung lässt sich auch anhand eines bekannt gewordenen Mordfalls verdeutlichen: Am 22. Februar 2001 verschwand die zwölfjährige Ulrike aus Eberswalde in Brandenburg. Ihre Leiche wurde zwei Wochen später in einem abgelegenen Waldgebiet 30 km entfernt entdeckt. Bekannt ist, dass der Täter sie mit einem in Strausberg gestohlenen weißen VW Polo verschleppte. Das Auto wurde später ausgebrannt in der Nähe bei Bernau gefunden. Das Kind wurde sexuell missbraucht und dann erdrosselt. Auf die Spur des Mannes führte die Polizei ein Fingerabdruck, den die Kriminalisten an einer Flasche neben Ulrikes Leichnam entdeckten. Den Abdruck glich die Polizei mit den Dateien von Sexualstraftätern und Autodieben ab867. Auf den Täter stießen die Ermittler schließlich bei der Überprüfung der Fingerabdrücke von Autodieben868. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 25; Götz, NVwZ 1994, 652, 660. Götz, NVwZ 1994, 652, 660. 865 Simon / Taeger, JZ 1982, 140, 141. 866 s. dazu eingehend Herold, Kriminalistik-Forum 1980, 165 ff.; ders., in: DER SPIEGEL v. 8. 9. 1986, auszugsweise abgedruckt bei Wehner, Kriminalistik 1986, 540, 541; Riegel, ZRP 1980, 300 ff.; Simon / Taeger, JZ 1982, 140 ff.; Wanner, CR 1986, 216 ff.; Siebrecht, CR 1996, 545 ff.; Wittig, JuS 1997, 961 – 970. 867 Der Mordfall Ulrike hatte insbesondere Unionspolitiker zu der Forderung veranlasst, dass die genetischen Daten aller Männer in Deutschland erfasst und gespeichert werden sollen. Diese Forderung wiesen Politiker der rot-grünen Koalition, aber auch der FDP umgehend als populistisch zurück. Bundesjustizministerin Herta Däubler Gmelin (SPD) lehnte auch die Forderung nach Erfassung aller Männer in der Gendateien umgehend ab. Vgl. Mannheimer Morgen v. 12. 3. 2001. 868 Die Polizei verfügte durch Erhebung und Auswertung der Spuren am Fundort der Leiche über den vollständigen genetischen Fingerabdruck des Täters. Ein Vergleich mit der 863 864
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Die DNA-Analyse einer Speichelprobe des Täters stimmte mit dem genetischen Fingerabdruck von Spuren an Ulrikes Leiche überein869. Die meisten neueren Polizei- und Ordnungsgesetze sehen die Rasterfahndung für präventivpolizeiliche Zwecke vor. Mit Inkrafttreten der neuen Polizei- und Ordnungsgesetze ist nun die Frage über das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage der Rasterfahndung weggefallen870. Im Einzelnen unterscheiden sich die Voraussetzungen je nach Bundesland871. Während die Rasterfahndung beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zur Abwehr einer „gegenwärtigen Gefahr“ für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person eingesetzt werden kann (vgl. § 31 I NW PolG), ist sie in anderen Bundesländern daneben oder allein zur vorbeugenden Bekämpfung von schweren Straftaten erlaubt872. Der Datenabgleich mit nichtpolizeilichen Daten ist z. B. gem. § 40 I BWPolG nur zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässig. Berufs- und besondere Amtsgeheimnisse bleiben unberührt (vgl. z. B. § 40 I 2 BWPolG). Die Übermittlung ist auf Namen, Anschriften, Tag und Ort der Geburt der betroffenen Personen sowie auf im Einzelfall festzulegende Merkmale zu beschränken (§ 40 II 1 BWPolG). Eine Verwendung „überschießender“ Daten (das sind solche, die mit den Grunddaten zusammenhängen und nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ausgesondert werden könnten) zum Zwecke der Rasterfahndung ist nicht zulässig (§ 40 II 3 BWPolG)873. Für die Anordnung der präventiven Rasterfahndung ist zunächst die Zustimmung des Innenministeriums erforderlich (sog. qualifizierter Behördenleitervorbehalt, § 40 III 1 BWPolG). derzeit 90 000 Einträge umfassenden Datenbank des Bundeskriminalamtes ergab aber keinen „Treffer“. Bei der Suche nach dem Mörder der zwölfjährigen Ulrike hat die Polizei auch von vorbestraften Sexual- und Gewalttätern aus der Region ihren genetische Fingerabdruck zum Zweck des Abgleichs mit dem Fingerabdruck des unbekannten Täters eingefordert. Sie wurden aufgefordert, freiwillig Blut oder Speichel für den Gentest abzugeben. Die Rasterfahndung sollte zudem auch auf Autodiebe ausgeweitet werden, weil das am 27. Februar ausgebrannt aufgefundene Tatfahrzeug fünf Tage zuvor als gestohlen gemeldet worden war. Endgültige Sicherheit gab den Kriminalisten die DNA-Analyse einer Speichelprobe des Täters, die mit dem genetischen Fingerabdruck von Spuren an Ulrikes Leiche übereinstimmten. Fünf Wochen nach dem Mordfall gestand ein 25 Jahre alter Mann aus der Region die Tat. Da der geständige Mann bereits mehrfach wegen Autodiebstahls vorbestraft und damit aktenkundig war, stießen die Ermittler schließlich auf die Übereinstimmung. Damit wurde der Sexualmörder der 12-jährigen Ulrike gefasst. Mannheimer Morgen v. 12. 3. 2001 und 30. 3. 2001. 869 Vgl. DER SPIEGEL v. 29. 3. 2001. 870 Einige Beiträge, die in den achtziger Jahren publiziert wurden, befassten sich mit der Frage der grundsätzlichen Regelungsbedürftigkeit der Rasterfahndung und der Suche nach möglichen Ermächtigungsgrundlagen. Vgl. etwa Riegel, ZRP 1980, 300, 301 ff.; auch Simon / Taeger, JZ 1982, 140, 141 ff. 871 Vgl. auch Art. 44 BayPAG; § 47 BerlASOG; § 46 BrandPolG; § 36 i BremPolG; § 23 HambPolDVG; § 26 HSOG; § 44 MVSOG; § 45a NdsSOG; § 31 NWPolG; § 37 SaarPolG; § 31 SachsAnhSOG; § 47 SächsPolG; § 195 f. SchlHVwG; § 44 ThürPAG. 872 Gusy, Polizeirecht, Rn. 275. 873 Vgl. BW LT-Dr. 10 / 5230, 49.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
221
Hingegen behält § 98b I 1 StPO nur grundsätzlich dem Richter die Anordnung der repressiven Rasterfahndung vor. Von einer jeden Maßnahme ist jedoch nach Abschluss der Rasterfahndung der Landesbeauftragte für den Datenschutz unverzüglich zu unterrichten (§ 40 III 2 BWPolG, § 24 LDSG; § 98b I 1 StPO). Die erlangten Daten sind u. a. nach Zweckerreichung zu löschen, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. (§ 40 IV BWPolG).
2. Die Zweckänderungen der erhobenen Daten Die Verwendung der etwa durch einen der Strafverfolgung dienenden Einsatz von Verdeckten Ermittlern gewonnenen personenbezogenen Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr beinhaltet genauso einen erneuten Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht wie umgekehrt, weshalb es für einen solchen Informationseingriff, in Konsequenz der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum informationellen Selbstbestimmungsrecht, die bereichsspezifische Regelungen verlangt, zwingend einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf874. a) Die Umwidmung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten zu anderen polizeilichen Zwecken § 37 II 2 BWPolG und die novellierten Polizei- und Ordnungsgesetze875 lassen die Umwidmung innerhalb präventivpolizeilicher Zwecke zu, soweit die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck erheben dürfte876. So lassen sich personenbezogene Daten, welche zum Schutz privater Rechte erlangt worden sind (vgl. z. B. § 20 V BWPolG), auch zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der vorbeugenden Bekämpfung einer Straftat verwenden877. Die bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 161, 163 I 2, 483 StPO regeln die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung878. Insbesondere die im Rahmen des StVÄG 1999 neu eingeführte Regelung des § 161 I 1 StPO ist nunmehr ausdrücklich als Befugnisnorm ausgestaltet. Danach ist die Staatsanwaltschaft befugt, von 874 Vgl. BVerfGE 65, 1, 51, 62; 100, 313, 360; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211; W.-R. Schenke, JZ 2001, 997, 998; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 233; Siebrecht, StV 1996, 566, 567; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504, 505; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 638; Gusy, Polizeirecht, Rn. 268. 875 Vgl. Art. 37 II 2 BayPAG; § 42 II 2 BerlASOG; § 38 I 2 BrandPolG; § 36b BremPolG; § 14 I, II HambPolDVG; § 20 III HSOG; § 36 I 3 MVSOG; § 38 I NdsSOG; § 23 I NWPolG; § 30 I SaarlPolG; § 22 II SachsAnhSOG; § 43 I 2, 3 SächsPolG; § 1191 I SchlHVwG; § 39 ThürPAG; § 29 III 3 u. 4 BGSG. 876 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 641. 877 Beispiel aus der BW LT-Drs. 10 / 5230, S. 47. 878 Schenke, Polizeirecht, Rn. 208.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
allen Behörden, also auch von den Polizeibehörden, Auskunft über die dort vorhandenen Daten zu verlangen879. So sind z. B. personenbezogene Daten, die auf polizeigesetzlicher Grundlage durch eine Rasterfahndung (vgl. z. B. § 40 BWPolG) oder einen Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen (s. z. B. § 22 I Nr. 2 BWPolG) erlangt wurden, grundsätzlich unbeschränkt für Zwecke der Strafverfolgung verwendbar880. b) Die Umwidmung der auf der Basis der StPO erhobenen Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken Für eine Verwendung von Daten aus einem heimlichen strafprozessualen Informationseingriff, wie z. B. einem Einsatz verdeckter Ermittler nach § 110a StPO oder einer Rasterfahndung nach § 98a StPO, zu präventivpolizeilichen Zwecken enthält nunmehr § 481 StPO eine gesetzliche Grundlage. Danach sollen generell personenbezogene Daten aus Strafverfahren „nach Maßgabe der Polizeigesetze“ verwendet werden dürfen. Aus den in § 481 StPO getroffenen Regelungen ergibt sich eindeutig, dass die StPO allein noch keine Ermächtigungsgrundlage für die polizeirechtliche Verwendung strafprozessual gewonnener Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr enthält, sondern es dem Landesgesetzgeber überlässt, diese Verwendung in den Polizei- und Ordnungsgesetzen zu normieren881. Eine Verwendung strafprozessual erhobener Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist lediglich auf der Basis einer polizeirechtlichen Ermächtigungsnorm zulässig882. Folglich lässt sich eine in der strafprozessualen Kommentarliteratur vertretene Ansicht,883 nach der die StPO bereits allein die Verwendung der durch strafprozessuale Eingriffe gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr zulassen soll, jedenfalls nach Erlass des § 481 StPO nicht mehr aufrechterhalten884. Insoweit erteilt der Gesetzgeber zugleich der schon aus verfassungsrechtlichen Gründen unhaltbaren Ansicht885 eine Absage,886 der zufolge es wegen der der StPO und den Polizeigesetzen angeblich gleichermaßen eigenen präventiven Zielsetzung für die Verwendung strafprozessual erhobener personenbezogener Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr keiner ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfe. Konsequenterweise muss § 481 StPO auch bezüglich der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation (vgl. § 100a StPO) Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. 881 Schenke, JZ 2001, 997, 998 – 999. 882 Zu der sich in diesem Zusammenhang stellenden Problematik der Gesetzgebungsompetenz siehe 2. Teil 1. Kapitel B. II. 883 Vgl. KK-Nack, StPO, 4. Aufl., 1999, § 98b, Rn. 13 m. w. N. 884 Schenke, JZ 2001, 997, 999. 885 So z. B. Globig, ZRP 1991, 81 ff. und 289 ff.; kritisch hierzu Hassemer, ZRP 1991, 121, 125; Riegel, ZRP 1991, 286, 288; Schild, ZRP 1991, 311. 886 Schenke, JZ 2001, 997, 999. 879 880
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
223
resultierenden personenbezogenen Daten gelten887. Aus der StPO lässt sich nicht eine Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr ableiten888 [s. zur Verwendung der durch strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zur Gefahrenabwehr näher unter c)]. Alle novellierten Landespolizei- und Ordnungsgesetze sehen die Befugnis vor, personenbezogene Daten, die im Rahmen eines Strafermittlungsverfahrens ermittelt wurden, zur Gefahrenabwehr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zu speichern, zu verändern und zu nutzen. § 38 I 1, IV 1 BWPolG lässt etwa die Verwendung strafprozessual erhobener Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken zu und füllt damit den Rahmen aus, den die Vorschrift des § 481 StPO auf repressiver Seite eröffnet889. Gemäß § 38 I 1 BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen der Strafverfolgung bekannt geworden sind, speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist890. § 38 IV 1 BWPolG regelt auch die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten in automatisierten Dateien, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erforderlich ist. Danach kann die Polizei z. B. personenbezogene Daten, welche für Zwecke der Strafverfolgung durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 110a StPO oder eine Rasterfahndung nach § 98a StPO erhoben wurden, zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verwenden. § 38 I 1, IV 1 BWPolG regelt landesrechtlich, unter welchen Voraussetzungen die Polizei personenbezogene Daten zur Gefahrenabwehr bzw. zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten speichern, verändern und nutzen kann, die im Rahmen eines Strafverfahrens gewonnen wurden. Dabei handelt es sich nicht nur um personenbezogene Daten von Straftatverdächtigen (§ 38 I 2 BWPolG), sondern auch von sonstigen Personen, deren Daten im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren erhoben und gespeichert worden sind (§ 38 I 1, IV BWPolG)891. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des Grundrechtsschutzes ist eine restriktive Auslegung von § 38 I BWPolG erforderlich (s. hierzu näher 3. Teil 2. Kapitel D.)892. Schenke, JZ 2001, 997, 999. Schenke, JZ 2001, 997, 999. 889 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 644. 890 Vgl. § 10a III VEMEPolG; Art. 38 II BayPAG; § 42 III BerlASOG; § 20 IV HSOG; § 23 SachsAnhSOG; § 43 II SächsPolG. Nach § 39 II BrandPolG, § 16 II HambPolDVG, § 37 I MVSOG, § 24 II NWPolG und § 40 II ThürPAG wird gefordert, dass die weitere Verarbeitung der Gefahrenabwehr dient. Besondere Anforderungen werden in § 39 III NdsSOG, § 25d I RhPfPOG, § 30 II SaarlPolG und in § 189 II SchlHVwG gestellt. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 209, Fn. 506. 891 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 648. 892 Würtenberger, in: Festgabe für Hilger, 263, 267. 887 888
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
c) Die Umwidmung der durch eine strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr Zu den umstrittensten Fragen der polizeilichen Datenverwendung gehört es, ob sich die allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften, welche die Verwendung der im Rahmen eines Strafermittlungsverfahrens gewonnenen personenbezogenen Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr zulassen (s. etwa § 38 I 1 BWPolG), auch auf die aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation nach 100a StPO resultierenden personenbezogenen Daten erstrecken können. Die polizeiliche Praxis, unterschützt von Teilen des polizeirechtlichen Schrifttums,893 geht dabei davon aus, dass die polizeirechtlichen Vorschriften, welche die Verwendung der im Rahmen des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens erlangten personenbezogenen Daten für den Polizeivollzugsdienst zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gestatten, auch auf solche Daten anwendbar sind, die aus einer Telefonüberwachung nach § 100a StPO stammen. Dies ist freilich bei näherer Hinsicht vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des BVerfG894 zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst, welche sich mit der Verwendung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse für andere als nachrichtendienstliche Zwecke befasst, höchst problematisch895. Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich mit der Frage, ob und inwieweit de lege lata die polizeirechtlichen Bestimmungen der Länder oder möglicherweise andere rechtliche Gesichtspunkte wie etwa vor allem die allgemeinen Rechtfertigungsgründe eine Verwendung von personenbezogenen Daten aus strafprozessual motivierten Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis für Zwecke der Gefahrenabwehr zulassen896. Bei der Beantwortung dieser Frage empfiehlt es sich, zwischen den Bundesländern, die in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen das Fernmeldegeheimnis nicht als ein auf ihrer Basis einschränkbares Grundrecht zitieren [dazu aa) (1)] und den Bundesländern, die einen Eingriff in dieses Grundrecht ausdrücklich normieren [dazu aa) (2)], zu differenzieren897. Sollte sich hierbei ergeben, dass eine solche Verwendbarkeit ausscheidet oder jedenfalls nur unter sehr einschränkenden Voraussetzungen zulässig ist, ist unter bb) der Frage nachzugehen, ob und inwieweit hier für den Polizeigesetzgeber Handlungsbedarf besteht898.
So z. B. Wolf / Stephan, § 38, Rn. 3; Würz, Rn. 347 u. 348; Zeitler, Rn. 507. BVerfGE 100, 313 ff. 895 Zur Verwendung der durch strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zur Gefahrenabwehr näher Schenke, JZ 2001, 997 ff. 896 Dazu, dass sich aus der StPO eine Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation herrührenden personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr nicht ableiten lässt, s. oben 2. Teil 3. Kapitel C. I. 2. b). 897 Vgl. Schenke, JZ 2001, 997, 999. 898 Vgl. Schenke, JZ 2001, 997, 998. 893 894
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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aa) Die Zulässigkeit der Verwendung der Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung gem. § 100a StPO zu Zwecken der Gefahrenabwehr (1) Art. 10 GG nicht als einschränkbares Grundrecht zitiert (a) Die Nichtzitierung des Art. 10 GG als ein zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschränkbares Grundrecht in den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder Da in den meisten Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Länder mit Ausnahme von Hessen (§ 10 HSOG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 78 MVSOG), Niedersachsen (§ 10 NdsSOG) und Thüringen (§ 11 ThürPAG) das Fernmeldegeheimnis nicht als ein zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschränkbares Grundrecht genannt wird, können in Konsequenz des zweiten G 10-Urteils des BVerfG vom 14. 9. 1999899 die aus einer gemäß § 100a StPO angeordneten Telefonüberwachung herrührenden personenbezogenen Daten hier nicht für Zwecke der Gefahrenabwehr verwendet werden. Auch in den Bundesländern, die in ihren Polizeiund Ordnungsgesetzen den Art. 10 GG nicht als ein auf ihrer Basis einschränkbares Grundrecht zitieren, geht allerdings die polizeirechtliche Praxis – im Einklang mit der h. M. im polizeirechtlichen Schrifttum900 – davon aus, dass sich z. B. die Vorschrift des § 38 I 1 BWPolG, nach welcher der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, speichern, verändern und nutzen kann, soweit und solange dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, auch auf die durch eine Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO gewonnenen Erkenntnisse anwenden lässt. Dem widerspreche nicht der Umstand, dass die Regelung des § 4 BWPolG, die die auf Grund des Gesetzes einschränkbaren Grundrechte benennt, den Art. 10 GG gerade nicht zitiert. Soweit die Verwendung der Erkenntnisse aus einer Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO für die polizeiliche Gefahrenabwehr mit dem Argument legitimiert wird, dass eine solche Verwendung lediglich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, nicht BVerfGE 100, 313 ff. So z. B. Wolf / Stephan, § 38, Rn. 3; Würz, Rn. 347 u. 348; Zeitler, Rn. 507; ausführlich schon früher Globig, ZRP 1991, 81 ff.; 289 ff.; kritisch Hassemer, ZRP 1991, 121, 125; Riegel, ZRP 1991, 286, 288; Belz / Mussmann, § 38, Rn. 8; siehe auch Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 654 und Reichert / Ruder / Fröhler, Rn. 486. Von der Möglichkeit einer Verwendung der aus strafprozessualen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis stammenden personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr wird offensichtlich auch in den Stellungnahmen zu § 38 BWPolG entsprechenden Regelungen in anderen Landespolizei- und Ordnungsgesetzen ausgegangen, vgl. z. B. Belz, Polizeigesetz des Feistaates Sachsen, 3. Aufl., 1999, § 43, Rn. 12; ebenso z. B. Haus / Wohlfahrt, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 1997, Rn. 290; Schipper, Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, 3. Aufl. 1994, Rn. 261; Koch, Datenerhebung und -verarbeitung in den Polizeigesetzen der Länder, 1999, 165; Tegtmeyer, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 8. Aufl., 1995, § 24, Rn. 9 u. 11; Hornmann, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 1997, § 20, Rn. 23. 899 900
15 Son
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hingegen in Art. 10 GG eingreife,901 steht dieser Ansicht allerdings schon die neuere Judikatur des BVerfG eindeutig entgegen,902 das in seinem zweiten G 10-Urteil zu Recht betont, dass Art. 10 GG nicht nur gegenüber der staatlichen Kenntnisnahme von Telekommunikationsdaten schütze, sondern sich auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die zulässige Kenntnisnahme anschließe, und den Gebrauch, der von den erlangten Kenntnissen gemacht wird, erstrecke903. Damit wird im zweiten G 10-Urteil des BVerfG in überzeugender Weise dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass die durch einen Eingriff in Art. 10 GG begründete Grundrechtsbeeinträchtigung durch eine Verwendung der hieraus gewonnenen Daten zu anderen als den ursprünglich verfolgten Zwecken noch verstärkt wird und daher eine solche Datenverwendung ebenfalls an den verfassungsrechtlichen Erfordernissen des Art. 10 Abs. 2 GG zu messen bleibt904. Jedenfalls kann deshalb die Nichterwähnung des Art. 10 GG im gesetzlichen Katalog der nach den Polizei- und Ordnungsgesetzen einschränkbaren Grundrechte nicht mit dem Argument überspielt werden,905 dass die Nutzung der aus strafprozessualen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis resultierenden personenbezogenen Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 10 GG darstelle. Da die meisten Polizei- und Ordnungsbehördengesetze der Länder das durch Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis gerade nicht als ein zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschränkbares Grundrecht benennen, lassen sich unter Zugrundelegung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung906 zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst die aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden personenbezogenen Daten hier nicht zum Zwecke der Verhütung von Straftaten verwenden, die als Aufgabe der Gefahrenabwehr in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt907. Die fatalen Folgen einer Nichterwähnung des Art. 10 GG in den Polizeiund Ordnungsgesetzen der Länder werden beispielsweise deutlich, wenn die Polizei im Rahmen einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation von einem bevorstehenden schweren Verbrechen erfährt908. Sie darf hier diese Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr nicht verwenden, da es an einer Ermächtigungsgrundlage für entsprechende Gefahrenabwehrmaßnahmen fehlt909. Damit ergibt sich in den Bundesländern, die in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen den 901 902 903 904 905 906 907 908 909
So Zeitler, Rn. 507. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. BVerfGE 100, 313, 359. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. BVerfGE 100, 313 ff. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 13 – 14. Schenke, Polizeirecht, Rn. 209. Schenke, Polizeirecht, Rn. 209.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Art. 10 GG gerade nicht als ein auf ihrer Basis einschränkbares Grundrecht benennen, ein untragbares Ergebnis910. Eine Verwendung dieser Erkenntnisse für Zwecke der Strafverfolgung ist dagegen ausgeschlossen, sofern noch kein strafbares Verhalten vorliegt911. Um dieses unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, das der staatlichen Schutzpflicht nicht gerecht wird,912 versucht man zum Teil die Verwendung dieser Erkenntnisse zu Zwecken der Gefahrenabwehr einmal durch verfassungskonforme Auslegung der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder [dazu (a)], zum anderen unter unmittelbarem Rückgriff auf grundrechtliche Schutzpflichten [dazu (c)] oder schließlich unter Stützung auf allgemeine, jedem Bürger zustehende Rechtfertigungsgründe [dazu (d)] zu legitimieren913. Allerdings vermögen diese Versuche – wie noch anschließend zu zeigen sein wird – nicht zu überzeugen. (b) Rechtfertigung der Umwidmung durch verfassungskonforme Auslegung der Polizei- und Ordnungsgesetze? Selbst diejenigen Stimmen, die davon ausgehen, dass die Verwendung der Erkenntnisse aus strafprozessualen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis zum Zwecke der Gefahrenabwehr einen zusätzlichen Eingriff in Art. 10 GG beinhaltet, bemühen sich diese dennoch trotz fehlender Zitierung des Art. 10 GG zu legitimieren914. Die hierfür in der Literatur tragende Argumentation, dass die Polizei in bestimmten Gefahrensituationen zum Einschreiten verpflichtet sei (sog. „Ermessensschrumpfung auf Null“),915 lässt sich aber keinesfalls annehmen, denn eine solche Verpflichtung setzt logisch voraus, dass die Polizei überhaupt zu dem in der Datenverwendung liegenden Eingriff in Art. 10 GG befugt ist916. Nicht überzeugend ist auch das Argument, dass sich das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG hier deshalb nicht anwenden lasse, weil es bei „immanenten Grundrechtsschranken“ nicht greife917. Diese Ansicht übersieht, dass das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG zwar bei der Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 236. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 236. Darf die Polizei hier die ihr durch eine strafprozessuale Telefonüberwachung dienstlich bekannt gewordenen Erkenntnisse polizeirechtlich nicht verwenden, um entsprechende Gefahrenabwehrmaßnahmen zu treffen, müsste sie trotz der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen Erkenntnisse, sofern es noch an einem strafbaren Handeln fehlt, der Vorbereitung eines Verbrechens tatenlos zusehen und könnte erst nach Begehung strafbarer Handlungen repressiv tätig werden. Dazu eingehend Schenke, JZ 2001, 997, 998. 912 Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 14. 913 Kritisch gegenüber solchen Ansätzen s. Schenke, JZ 2001, 997, 999 ff.; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 237 ff. 914 So z. B. Wolf / Stephan, § 38, Rn. 3; Würz, Rn. 347 u. 348. 915 Würz, Rn. 347. 916 Schenke, JZ 2001, 997, 1000. 917 So aber Zeitler, Rn. 507; Würz, Rn. 348. 910 911
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte (wie z. B. Art. 4 I, 5 III GG) nicht gilt, Art. 10 Abs. 2 GG aber einen Gesetzesvorbehalt regelt918. Mit dem herkömmlichen Verständnis des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist diese Ansicht jedenfalls nicht in Einklang zu bringen, weil dieser grundsätzlich alle Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt und damit auch den Art. 10 GG betrifft919. Deshalb findet auf Art. 10 Abs. 1 GG das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG uneingeschränkt Anwendung920. Die Einschränkungen, welche das BVerfG921 und die h. M.922 dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG dann zuteil werden lassen, wenn der Gesetzgeber nur bisher schon bekannte Grundrechtseingriffe wiederholt, kommen schon angesichts der Neuartigkeit der hier untersuchten Grundrechtseingriffe nicht zum Zuge923. Bedenken im Hinblick auf die Nichterwähnung des Art. 10 GG können auch nicht zerstreut werden, indem in Art. 12a StVÄG dem Zitiergebot in bezug auf Art. 10 GG Rechnung getragen wird,924 da die polizeigesetzlich erlaubte Verwendung der aus strafprozessualen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis stammenden personenbezogenen Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr einen über § 481 StPO hinausreichenden Eingriff in Art. 10 GG darstellt und deshalb dessen zusätzliche Zitierung in den Polizei- und Ordnungsgesetzen erfordert925. Zwar wäre es erwägbar, aus Gründen der praktischen Konkordanz das Zitiergebot teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass es dann nicht gilt, wenn es sich um den Schutz anderer in der Verfassung anerkannter höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit handelt926. Man muss sich aber mit der Berechtigung einer derartigen teleologischen Reduktion im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter befassen, denn unabhängig von der Reichweite des verfassungsrechtlichen Zitiergebots ist hier der in der dem Zweck der Gefahrenabwehr dienenden Umwidmung der Erkenntnisse aus einer strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung liegende Eingriff in Art. 10 GG vor dem Hintergrund der einfachgesetzlichen polizeirechtlichen Vorschriften wie § 4 BWPolG, die die auf Grund des Gesetzes einschränkbaren Grundrechte ausdrücklich benennen, nicht zu rechtfertigen927. Die entsprechende Aufzählung ist nämlich lediglich als abschließend zu verstehen928. Dies gilt insbesondere dort, wo im gesetzlichen Katalog der nach den Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 652, Fn. 261. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. 920 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 652, Fn. 261. 921 BVerfGE 5, 13, 16; 61, 82, 113. 922 Vgl. z. B. Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 5. 923 Schenke, JZ 2001, 997, 1000. 924 So aber Brodersen, NJW 2000, 2536, 2540; Soiné., Kriminalistik 2001, 245, 250. 925 Schenke, JZ 2001, 997, 1000. 926 So der Sache nach wohl Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 654; ebenso Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich des Polizeirechts, 1996, S. 344. 927 Schenke, JZ 2001, 997, 1001. 928 Schenke, JZ 2001, 997, 1001. 918 919
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Polizei- und Ordnungsgesetzen einschränkbaren Grundrechte nicht nur Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt genannt werden, wie es bei § 4 BWPolG der Fall ist (vgl. § 4 Nr. 5 BWPolG bzgl. Art. 14 GG)929. Gegen eine Erstreckung von den polizeirechtlichen Vorschriften wie § 38 I 1 BWPolG auf solche Daten, die aus einer telefonischen Überwachung nach § 100a StPO herrühren, wären im Übrigen jedenfalls insoweit verfassungsrechtliche Bedenken geltend zu machen, als nach § 38 I 1 BWPolG eine Datenverwendung zu Zwecken der Gefahrenabwehr bereits dann statthaft wäre, wenn sie zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist930. Das Bestehen einer einfachen Gefahr dürfte aber die Verwendung der bei einem so schwerwiegenden heimlichen Eingriff wie einer telefonischen Überwachung gewonnenen Erkenntnisse noch nicht rechtfertigen931. An die Verwendung der durch einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis gewonnenen personenbezogenen Daten sind unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hohe verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen, wie das BVerfG in seinem zweiten G 10-Urteil zu Recht ausgeführt hat932. Aus ihm lässt sich resultieren, dass eine Verwendung der im Wege einer Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit als statthaft anzusehen ist. Deshalb kann, von den verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die fehlende Zitierung des Art. 10 GG einmal ganz abgesehen, die Verwendung der Erkenntnisse aus einer nach § 100a StPO angeordneten Telefonüberwachung zu Zwecken der Gefahrenabwehr auch nicht auf Normen wie § 38 I 1 BWPolG gestützt werden933. Zwar wäre zu erwägen, den Anwendungsbereich des § 38 I 1 BWPolG unter Rückgriff auf den (im Gefahrenabwehrrecht ausdrücklich verankerten) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu reduzieren und damit dem besonderen Stellenwert des Art. 10 GG Rechnung zu tragen. Dies dürfte sich aber unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerfG im zweiten G 10-Urteil934 aus funktionellrechtlichen Gründen nicht annehmen lassen, denn der Landesgesetzgeber ist danach selbst dazu aufgerufen, die Einschränkbarkeit der Verwertbarkeit der aus einer Überwachung der Telekommunikation herrührenden perSchenke, JZ 2001, 997, 1001. Schenke, JZ 2001, 997, 1001. 931 Schenke, JZ 2001, 997, 1001. 932 Vgl. BVerfGE 100, 313, 389 f. Nach Ansicht des BVerfG ist die Verwendung der durch den Bundesnachrichtendienst erhobenen personenbezogenen Daten zu anderen Zwecken als zu denen, zu denen sie erlangt wurden, nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen in strikter Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zulässig. Hieraus lässt sich folgern, dass sie grundsätzlich nur zur Verfolgung schwerwiegender Straftaten bzw. zu deren Unterbindung – nach näherer Maßgabe durch den Landesgesetzgeber zu treffender Regelungen – verwendet werden können. 933 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 237. 934 BVerfGE 100, 313, 396. 929 930
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
sonenbezogenen Daten vorzusehen935. Den im zweiten G 10-Urteil durch das BVerfG aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verwendung der aus strafprozessualen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis herrührenden Erkenntnisse zu Zwecken der Gefahrenabwehr ist nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 38 BWPolG und der ihm entsprechenden Regelungen in anderen Polizei- und Ordnungsgesetzen Rechnung zu tragen936. Auch durch den Rückgriff auf das Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs (s. z. B. § 37 II 2 BWPolG)937 lassen sich verfassungsrechtliche Bedenken nicht zerstreuen, solange die Polizei- und Ordnungsgesetz – mit Ausnahme von Thüringen (s. den dort neu geschaffenen § 34a ThürPAG) – eine der Gefahrenabwehr dienende Überwachung der Telekommunikation nicht normieren938 und es damit an den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines hypothetischen Ersatzeingriffs fehlt939. Bei einer Anwendung des § 38 I 1 BWPolG und entsprechender Vorschriften in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder auf die bei einer Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO gewonnenen Erkenntnisse bestehen schließlich noch insoweit verfahrensrechtliche Bedenken, als zur Sicherung der beschränkten Verwertbarkeit der aus einem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis herrührenden personenbezogenen Daten zu anderen Zwecken eine Pflicht zu ihrer Kennzeichnung besteht940 und diese nicht in allen Bundesländern geregelt ist941. Ohne eine solche Kennzeichnung könnte aber die beschränkte Verwertbarkeit der aus einer strafprozessualen Telefonüberwachung stammenden personenbezogenen Daten nicht sichergestellt werden942. Umgesetzt wurde das vom BVerfG aufgestellte Erfordernis einer Kennzeichnungspflicht 943 nunmehr in der Ende 2000 erfolgten Novellierung des HSOG durch § 20 VI 2 HSOG, der für personenbezogene Daten, welche dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, eine KennzeichnungsSchenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 238. Schenke, JZ 2001, 997, 1001. 937 S. hierzu 3. Teil 2. Kapitel B. 938 Eine heimliche Überwachung der Telekommunikation für Zwecke der Gefahrenabwehr ist in den Bundesländern, die sie nicht ausdrücklich vorsehen, selbst wenn sie in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen den Art. 10 GG als ein auf ihrer Basis einschränkbares Grundrecht zitieren, wegen der Schwere des Eingriffs ausgeschlossen und kann insbesondere nicht auf die allgemeinen polizeilichen Generalklauseln sowie in den Polizei- und Ordnungsgesetzen statuierte Generalermächtigungen zur Datenerhebung gestützt werden. Vgl. hierzu Schenke, Polizeirecht, Rn. 197a. 939 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 238. 940 BVerfGE 100, 313, 396. Das BVerfG entnimmt dem Art. 10 GG eine staatliche Verpflichtung, die Übermittlung – wie auch die Durchführung sowie die Vernichtung und Löschung der Daten – zu protokollieren, weil ohne diese eine hinreichende Kontrolle der Übermittlungen durch die dafür vorgesehenen Gremien oder auch im Wege des Gerichtsschutzes nicht stattfinden könnte. 941 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 238. 942 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 238. 943 BVerfGE 100, 313, 396. 935 936
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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pflicht in den Akten vorsieht. Es erscheint jedoch sehr zweifelhaft, ob sich entsprechende Kennzeichnungspflichten in anderen Bundesländern noch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Polizei- und Ordnungsgesetze begründen lassen944. Dem verfassungsgerichtlich geforderten Erfordernis einer Kennzeichnungspflicht trägt z. B. die Vorschrift des § 37 I 3 BWPolG, die in Verbindung mit der Speicherung von Daten normiert, dass feststellbar sein muss, bei welcher Stelle die der Speicherung zugrundeliegenden Unterlagen geführt werden, selbst bei extensiver Interpretation jedenfalls nicht in vollem Umfang Rechnung. Noch weniger gilt dies in anderen Bundesländern, die dem § 37 I 3 BWPolG entsprechende Regelungen nicht vorsehen945. (c) Rechtfertigung der Umwidmung unter unmittelbarem Rückgriff auf grundrechtliche Schutzpflichten? Ausgeschlossen ist, für die Verwendung der durch eine Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO gewonnenen Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr unmittelbar auf grundrechtliche Schutzpflichten zurückzugreifen946. Das kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil allein durch den Rückgriff auf die – grundsätzlich auf eine Konkretisierung durch den Gesetzgeber angewiesenen – grundrechtlichen Schutzpflichten eine Handlungsermächtigung für die Polizei jedenfalls nicht begründet werden kann947. Die grundrechtlichen Schutzpflichten vermögen allenfalls den zuständigen Gesetzgeber zur Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zu verpflichten, welche dem Schutz potentiell gefährdeter Grundrechte dienen soll948. Eine andere Auffassung steht dem Erfordernis des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts entgegen, der eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage verlangt und dem schon aus funktionellrechtlichen Gründen nicht durch Rückgriff auf nicht näher spezifizierte, erst durch die Judikative zu konkretisierende grundrechtliche Schutzpflichten genügt werden kann949. Zudem wäre der Rückgriff auf grundrechtliche Schutzpflichten mit dem Vorrang des Gesetzes schwerlich in Einklang zu bringen, weil die Polizei- und Ordnungsgesetze offenbar als eine abschließende Konkretisierung grundrechtlicher Schutzpflichten gedacht und – wie bereits dargelegt – einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich sind950.
Ablehnend BVerfGE 100, 313, 396. Schenke, JZ 2001, 997, 1001, Fn. 33. 946 Schenke, JZ 2001, 997, 1003; ders., Polizeirecht, Rn. 41; s. dazu eingehend auch Wahl / Masing, JZ 1990, 553 ff.; a.A. Brugger, VBlBW 1995, 446, 449. 947 Schenke, JZ 2001, 997, 1003. 948 Schenke, JZ 2001, 997, 1003. 949 Schenke, Polizeirecht, Rn. 41. 950 Vgl. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 237. 944 945
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
(d) Rechtfertigung der Umwidmung unter Stützung auf allgemeine Rechtfertigungsgründe und ein ungeschriebenes staatliches Notrecht? Gleichfalls ausgeschlossen ist die Rechtfertigung einer der Gefahrenabwehr dienenden Umwidmung der Erkenntnisse aus strafprozessualen Eingriffen in die Telekommunikation unter Rückgriff auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe,951 vor allem auf den rechtfertigenden Notstand, denn der hoheitlich handelnde Staat kann sich nicht auf die im Bürger-Bürger-Verhältnis geltenden Rechtfertigungsgründe berufen952. Dem Staat wird nämlich die Stützung auf die dem Bürger zustehenden Rechtfertigungsgründe versagt, weil diese dann, wenn sie der Staat für sich in Anspruch nimmt, grundrechtlichen Erfordernissen nicht genügen und hierbei vor allem dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht entsprechen953. Zudem widersprechen die allgemeinen Rechtfertigungsgründe den Erfordernissen des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts, der eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe verlangt954. Erst recht scheidet eine Rechtfertigung der Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr unter Stützung auf ein ungeschriebenes Notrecht des Staates aus955. Denn der Gesetzgeber hat mit der Schaffung einer Notstandsverfassung eine abschließende verfassungsgesetzliche Vorsorge für Not- und Ausnahmesituationen geschaffen956. Deshalb lässt es sich hier keinesfalls annehmen, von einer Lücke auszugehen, die unter Rückgriff auf ein ungeschriebenes Notrecht ausgefüllt werden kann957. (2) Art. 10 GG als einschränkbares Grundrecht zitiert In Hessen wird seit der Ende 2000 erfolgten Novellierung des HSOG das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das neben Art. 10 GG auch durch Art. 12 der Ver951 Dafür allgemein Schwabe, Die Notrechtsvorbehalte des Polizeirechts, 1979, 37 ff. und wohl auch Brugger, VBlBW 1995, 446, 454; ablehnend Amelung, JuS 1986, 329 ff.; Götz, Polizeirecht, Rn. 414; Schenke, JZ 2001, 997, 1003; ders., in: Festgabe für Hilger, 225, 238; ders., Polizeirecht, Rn. 40 und 562. 952 Schenke, JZ 2001, 997, 1003. 953 Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 14 ; ders., Polizeirecht, Rn. 40 und 562. 954 Schenke, JZ 2001, 997, 1003, wonach ihre Anwendung speziell im Datenschutzrecht zudem zu einer Aushöhlung der ausdifferenzierten, dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dienenden Rechtsvorschriften dienen müsste, die sinnvollerweise nur als abschließend zu verstehen sind. 955 Schenke, JZ 2001, 997, 1003; ders., Polizeirecht, Rn. 42; Gusy, Polizeirecht, Rn. 175; a.A. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, 1328 ff. 956 Schenke, Polizeirecht, Rn. 42. 957 Schenke, Polizeirecht, Rn. 42.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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fassung des Landes Hessen geschützt ist, ausdrücklich als ein zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschränkbares Grundrecht genannt (§ 10 HSOG)958. In Verbindung hiermit steht die Regelung des § 20 IV HSOG, nach der die Polizeibehörden, „soweit Bestimmungen der Strafprozessordnung oder andere gesetzliche Regelungen nicht entgegenstehen, personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Verfolgung von Straftaten gewonnen haben, zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten speichern oder sonst verarbeiten können. Die Speicherung oder sonstige Verarbeitung in automatisierten Verfahren ist nur zulässig, wenn es sich um Daten von Personen handelt, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben; entfällt der Verdacht, sind die Daten zu löschen“. Diese Vorschrift betrifft auch Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis959. Die Vorschrift des § 20 VI 2 HSOG regelt im Zusammenhang mit der Speicherung von Daten, dass personenbezogene Daten, die dem Art. 10 GG unterliegen, mindestens in den Akten entsprechend zu kennzeichnen sind. Damit trägt der hessische Landesgesetzgeber dem vom BVerfG geforderten Kennzeichnungserfordernis durch Schaffung eines neuen § 22 VI 2 HSOG Rechnung960. Freilich bestehen insoweit verfassungsrechtliche Bedenken, als nach § 20 IV 1 HSOG eine Speicherung oder sonstige Verwendung von personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr bereits dann zulässig sein soll, wenn sie zur Abwendung von (einfachen) Gefahren erfolgt961. Zwar wäre es erwägbar, diese Vorschrift unter Rückgriff auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuschränken; als ein zusätzlicher Anhaltspunkt für eine solche Restriktion könnte sich hier der in § 20 IV HSOG verwandte Hinweis anbieten, nach dem eine Verarbeitung zur Gefahrenabwehr nur zulässig ist, wenn dem „andere gesetzliche Regelungen nicht entgegenstehen“. Eine Eingrenzung einer zu weit gefassten gesetzlichen Rechtsgrundlage hinsichtlich der Verwendung von Erkenntnissen aus einem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis ist jedoch mittels des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht möglich und verfassungsrechtliche Einwände gegen die Anwendung dieser Regelung auf die aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden Erkenntnisse sind auf diese Weise nicht ausräumbar962. Eine solchermaßen bewirkte Eingrenzung des § 20 IV HSOG, bei welcher sich die nähere inhaltliche Konturierung der Vorschrift erst im Wege der GesetzesSchenke, JZ 2001, 997, 1002. Schenke, JZ 2001, 997, 1002. 960 Schenke, JZ 2001, 997, 1002. 961 Zwar wird dies in § 20 IV 2 HSOG noch weiter dahingehend eingeschränkt, dass die Speicherung oder sonstige Verarbeitung in automatisierten Verfahren nur zulässig ist, wenn es sich um Daten von Personen handelt, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben und bei Entfallen des Verdachts die Daten zu löschen sind. Diese Beschränkung kommt aber nur bei einer Verarbeitung in automatisierten Verfahren zum Zuge. Überdies widerspricht sie selbst bei einem automatisierten Verfahren – jedenfalls von ihrem Wortlaut her – nicht der allgemeinen Verwendung zur Abwehr einer Gefahr, soweit die Person nur verdächtig ist, früher eine Straftat begangen zu haben. Dazu Schenke, JZ 2001, 997, 1002. 962 BVerfGE 100, 313, 396. 958 959
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
vollziehung durch die zur Gefahrenabwehr berufenen Behörden bzw. die Judikative vornehmen lässt, wäre mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit schwerlich in Einklang zu bringen. Aus Gründen der Normenklarheit hat der Gesetzgeber die Ermächtigungsgrundlage selbst auszugestalten und kann deren nähere inhaltliche Konkretisierung – auch aus funktionellrechtlichen Gründen – nicht der Polizei bzw. den Gerichten überlassen963. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, eine gesetzliche Reglung zu schaffen, die die Verwendung der aus einer strafprozessualen Telefonüberwachung gewonnenen personenbezogenen Daten nicht zur Abwehr jeder Gefahr gestattet, sondern qualifizierte Anforderungen stellt964. Eine Verwendung von Daten aus einer Überwachung der Telekommunikation zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit als zulässig anzusehen965. In Niedersachsen ist nunmehr ausdrücklich vorgesehen, dass die Polizei zum Zwecke der Gefahrenabwehr auch in Art. 10 GG und damit in das dort normierte Fernmeldegeheimnis eingreifen darf (§ 10 NdsSOG). In Niedersachen bestehen deshalb unter dem Gesichtspunkt des Zitiergebots keine Bedenken gegen die Verwendung von Erkenntnissen aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation zu Zwecken der Gefahrenabwehr966. Auch die Regelung des § 39 III NdsSOG, nach der die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Verfolgung von Straftaten über eine tatverdächtige Person oder im Zusammenhang damit über einen Dritten rechtmäßig erhoben oder rechtmäßig erlangt hat, speichern, verändern und nutzen kann, wenn dies wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Personen erforderlich ist, um für die Verfolgung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person vorzusorgen oder solche Straftaten zu verhüten, dürfte, soweit sie sich auf die Verhütung von Straftaten bezieht, die als Aufgabe der Gefahrenabwehr in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein967. Allerdings sind unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten Bedenken gegen die Fortgeltung der Regelung hinsichtlich der in ihr getroffenen Verwendung personenbezogener Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge geltend zu machen. Sie stützen sich darauf, dass nunmehr in der durch das StVÄG 1999 neu erlassenen Regelung des § 484 StPO eine Datenverarbeitung für Zwecke künftiger Strafverfahren (Strafverfolgungsvorsorge) geregelt ist968. Diese Bestimmung lässt in § 484 IV StPO für polizeigesetzliche Vorschriften der Länder nur noch insoweit Raum, als es um die Verwendung personenbezogener Daten geht, die für Zwecke 963 964 965 966 967 968
Schenke, JZ 2001, 997, 1001. Schenke, JZ 2001, 997, 1002. BVerfGE 100, 313, 395. Schenke, JZ 2001, 997, 1002. Schenke, JZ 2001, 997, 1002. Schenke, JZ 2001, 997, 1002.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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künftiger Strafverfahren in Dateien der Polizei gespeichert sind oder werden969. § 39 III NdsSOG, der eine polizeiliche Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge vorsieht, ist damit, soweit nicht die Verweisung des § 484 IV StPO auf die polizeirechtlichen Regelungen zum Tragen kommt, durch den im Rahmen des 4. StVÄG erlassenen § 484 StPO aufgehoben970 [s. hierzu 2. Teil 1. Kapitel A. III. 3. c)]. In bezug auf die unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstandende Regelung der Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation herrührenden personenbezogenen Daten zur Verhütung einer Straftat findet sich aber im NdsSOG nicht die Pflicht zur Kennzeichnung der aus einem Eingriff in Art. 10 GG stammenden Daten,971 die das BVerfG verlangt hat, um auch nach der Umwidmung die Beachtung der sich aus ihrer Herkunft ergebenden Verwendungsbeschränkungen sicherzustellen972. Solange es an einer die Kennzeichnungspflicht enthaltenden Regelung – wie sie in Hessen nunmehr in § 20 VI 2 HSOG geschaffen wurde – fehlt, ist eine Nutzung von gekennzeichneten personenbezogenen Daten, die aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammen, zum Zwecke der Gefahrenabwehr allenfalls noch für eine kurz bemessene Übergangsfrist statthaft973. bb) Notwendigkeit einer landespolizeigesetzlichen Regelung der Verwendung von Erkenntnissen aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation Es erscheint schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten, die Verwendung von Erkenntnissen aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation landespolizeigesetzlich zu regeln. Eine Pflicht, sie jedenfalls in gewissem Umfang zu gestatten, ergibt sich aus der Art. 2 Abs. 2 GG zu entnehmenden verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers974. Zwar kommt Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231. Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 231. 971 Schenke, JZ 2001, 997, 1002. 972 Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 223. 973 Die Vorschriften des § 38 I 3, II NdsSOG, die eine Kennzeichnungspflicht von Daten normieren, betreffen, wie sich u. a. aus § 38 I 1 NdsSOG und ihrer systematischen Stellung ergibt, nicht die auf der Basis der StPO erhobenen personenbezogenen Daten. Für diese enthält § 39 III und V NdsSOG Sonderregelungen. § 39 V NdsSOG, der sich auf die strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation als ein außerhalb der StPO normiertes besonderes Mittel der Datenerhebung bezieht, sieht diesbezüglich vor, das die solche Daten verarbeitende Stelle nicht verpflichtet ist, die Art und Weise der Datenerhebung zu ermitteln. Damit wird im eindeutigen Widerspruch zum zweiten G 10-Urteil des BVerfG eine solche Kennzeichnungspflicht sogar implizit verneint. Das provoziert schwerwiegende verfahrensrechtliche Bedenken und dürfte zur Nichtigkeit dieser Regelung führen. S. hierzu Schenke, JZ 2001, 997, 1002. 974 Schenke, JZ 2001, 997, 1003. 969 970
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
dem Gesetzgeber, wie das BVerfG deutlich gemacht hat,975 in der Regel ein weiter gesetzgeberischer Spielraum zu; in concreto dürfte aber der legislative Handlungsspielraum hinsichtlich der Normierung des „Ob“ der Datenverwendung bereits so eingeschränkt sein, dass der Gesetzgeber in den Fällen, in denen es sich um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person handelt, eine Verwendung der Daten aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation wenigstens in gewissem Umfang zuzulassen hat976. Sonst ergäbe sich in der Tat ein schlechthin untragbare Ergebnis, wie den Befürwortern einer solchen Datenverwendung bereits de lege lata zuzugeben ist977. Soweit eine Verwendung der aus einer nach § 100a StPO angeordneten Telefonüberwachung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr in den Polizei- und Ordnungsgesetzen nicht geregelt ist, ergibt sich für die Landesgesetzgeber im Hinblick auf die ihnen obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten Handlungsbedarf978. Sie müssen dort, wo es um den Schutz vor drohenden Verletzungen besonders hochrangiger, verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit geht (s. auch ThürLT-Drucks. 3 / 2128, S. 34), durch entsprechende Ergänzungen der Landespolizei- und Ordnungsgesetze die Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden personenbezogenen Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr ermöglichen979. In den Bundesländern, welche polizeiliche Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis nicht ausdrücklich zulassen, drängt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer landespolizeigesetzlichen Regelung der Verwendung von Erkenntnissen aus strafprozessual motivierten Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis angesichts der erfolgten bundesverfassungsgerichtlichen Weichenstellung nunmehr mit voller Schärfe auf980. Auch in Hessen bestehen trotz Zitierung des Fernmeldegeheimnisses als ein zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschränkbares Grundrecht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verwendung von Erkenntnissen aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation für Zwecke der Gefahrenabwehr. Selbst in Niedersachsen, das polizeiliche Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis schon bisher ausdrücklich regelte, besteht – wie oben schon gezeigt – aus verfassungsrechtlichen Gründen für den Gesetzgeber dringender Handlungsbedarf981. Die neue Rechtsprechung des BVerfG zu den Grenzen einer Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst dürfte dabei weit über den entschiedenen Fall hinausreichend eine Signalwirkung für eine rechtsstaatliche 975 Vgl. z. B. BVerfGE 79, 174, 201 f.; siehe zu grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. II GG auch BVerfGE 46, 160 ff. (Fall Schleyer). 976 Schenke, JZ 2001, 997, 1003. 977 Schenke, JZ 2001, 997, 1003. 978 Schenke, JZ 2001, 997, 1003; ders., Polizeirecht, Rn. 209. 979 Schenke, Polizeirecht, Rn. 209. 980 Schenke, JZ 2001, 997, 998 und 999 f. 981 Schenke, JZ 2001, 997, 998 und 1002 f.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Ausgestaltung des Datenschutzes enthalten, welche zum einen den Erfordernissen des Art. 10 GG Rechung trägt, zum anderen aber auch den staatlichen Schutzpflichten gegenüber den potentiellen Opfern einer Schwerkriminalität genügt982 (s. zur Voraussetzung für die präventivpolizeiliche Verwendung von Erkenntnissen aus einer Überwachung der Telekommunikation de lege ferenda 3. Teil 2. Kapitel E.). II. Das Bestimmtheitsgebot Als nicht auf die polizeirechtliche Generalklausel stützbar betrachtet wird heute in Konsequenz der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung983 zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welche bereichsspezifische Regelungen fordert, die Erhebung personenbezogener Daten984. Zudem kann bei besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen die Ansicht vertreten werden, der Gesetzgeber müsse hier die tatbestandlichen Voraussetzungen für entsprechende der Gefahrenabwehr dienende Eingriffe näher ausgestalten und dürfe diese Aufgabe nicht der Polizei und der Judikative überlassen, wie dies bei der Anwendung der Generalermächtigung zuträfe985. Je nachhaltiger und tiefer in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingegriffen wird, desto höhere Anforderungen sind an den Gesetzgeber zu stellen, Art und Umfang des Eingriffs an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen986.
1. Ein Einsatz von V-Leuten auf der Grundlage der allgemeinen Datenerhebungsermächtigung? Polizeiliche Maßnahmen wie etwa ein Einsatz von V-Leuten sind ohne besondere gesetzliche Ermächtigungsgrundlage überhaupt nicht zulässig987. Da die Heimlichkeit dieser Maßnahme sowie die beim Einsatz von V-Leuten möglichen Eingriffe in besondere, verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse spezifische grundrechtliche Probleme aufwerfen, bedarf es für einen solchen Eingriff einer besonderen Ermächtigungsgrundlage988. Im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sah auch das BVerfG den Einsatz von V-Leuten ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage als unzulässig an989. Dasselbe hat dann aber auch für den Einsatz von V-Leuten zu präventivpolizeilichen 982 983 984 985 986 987 988 989
Schenke, JZ 2001, 997, 1004. BVerfGE 65, 1, 46. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49. BVerfGE 56, 1, 13; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Schenke, Polizeirecht, Rn. 201. Schenke, Polizeirecht, Rn. 201. BVerfG, StV 2000, 233, 234 = NStZ 2000, 489.
238
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Zwecken zu gelten990. Fehlt es wie z. B. in Baden-Württemberg an ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften für den Einsatz von V-Leuten,991 kann ein solcher Einsatz daher – entgegen einer Ansicht in der Literatur992 – nicht auf die allgemeine Datenerhebungsermächtigung (vgl. z. B. § 20 BWPolG) gestützt werden993. Denn das Vorliegen einer einfachen Gefahr, dass die allgemeine Datenerhebungsermächtigung als Eingriffsvoraussetzung erfordert, dürfte einen so schwerwiegenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wie einen Einsatz von V-Leuten noch nicht rechtfertigen. Vielmehr ist es verfassungsrechtlich geboten, heimliche Datenerhebungsmethoden nur differenziert und nur bei einem unabweisbaren, höherwertigen Bedürfnis zu erlauben994. Unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind hohe verfassungsrechtliche Anforderungen an einen solchen Eingriff zu stellen995. Der Gesetzgeber hat eine spezialgesetzliche Regelung zu treffen, die den Einsatz von V-Leuten nicht zur Abwehr einer jeden Gefahr zulässt, sondern besondere – gesteigerte – Anforderungen stellt. So kann die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz von V-Leuten abweichend von der allgemeinen Datenerhebungsermächtigung nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gestützt werden und wäre wohl nur bei Vorliegen einer qualifizierten Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit zu rechtfertigen (s. z. B. § 34 I BrandPolG)996. Außerdem empfiehlt es sich, beim verdeckten Einsatz von V-Leuten spezielle verfahrensrechtliche Anforderungen zu postulieren. Da die Eingriffsabwehr durch den Betroffenen mangels Kenntnis einer Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung jedenfalls zunächst ausfällt, erfordert die Heimlichkeit dieser Maßnahme besondere Verfahrensregeln997. Soweit die Polizei mit dem Einsatz von V-Leuten personenbezogene Daten erhebt und damit „heimlich“ in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, können der herkömmliche individuelle und institutionelle Grundrechtsschutz faktisch nicht in gleicher Weise wirksam werden998. In diesem Rahmen bedarf es, wie der SächsVerfGH zutreffend feststellt, einer besonderen Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes durch Verfahrensregeln, welche den individualrechtlichen wie den strukturellen Schutzbedürfnissen gerecht werden müssen999. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität Schenke, Polizeirecht, Rn. 201. Keine Regelungen finden sich auch in Bayern und Sachsen. 992 So Götz, NVwZ 1994, 652, 660. 993 So auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 201. 994 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 629. 995 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960: „Je nachhaltiger und tiefer in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingegriffen wird, desto höher sind die Anforderungen an den jeweiligen Eingriff“. 996 Vgl. z. B. §§ 36 I, 34 I 1 NdsSOG; § 19 I NWPolG. 997 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 579. 998 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; auch MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 999 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 990 991
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
239
ist daher im Polizeigesetz ausführlich zu regeln, unter welchen materiellrechtlichen Voraussetzungen und unter welchen verfahrensrechtlichen Anforderungen die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den Einsatz von V-Leuten erfolgen kann1000.
2. Eine nähere Definition der technischen Mittel? Nach § 22 I Nr. 2 BWPolG ist der Polizei die Befugnis zum verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger eingeräumt. Das BWPolG enthält dabei keine nähere Definition der „technischen Mittel“. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung1001 lässt sich aber eine nähere Definition der technischen Mittel von dem Gesetzgeber nicht verlangen1002. Im Hinblick auf die vielfältigen technischen Möglichkeiten und die auf diesem Gebiet rasch voranschreitende Entwicklung ist eine genauere Beschreibung der nach § 22 I Nr. 2 BWPolG zulässigen technischen Mittel weder praktikabel noch unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots geboten. Maßgeblich ist insoweit nicht die Art des technischen Mittels, sondern die Bedingungen, unter denen es zum Einsatz kommen darf1003. Dass ein solcher Einsatz unter den – vergleichsweise weiten – Voraussetzungen des § 22 II, III BWPolG nur außerhalb von Wohnungen erfolgen darf, ergibt sich aus § 23 BWPolG, der für den Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen über diesen Bereich hinaus besondere – qualifizierte – Anforderungen enthält1004. Der verdeckte Einsatz technischer Mittel nach § 22 I Nr. 2 BWPolG darf ferner nicht zu einem Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG führen, weil § 4 BWPolG unter den auf seiner Grundlage einschränkbaren Grundrechten nicht den Art. 10 GG zitiert1005.
3. Unbestimmtheit der Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe? Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot, welches für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu gelten hat,1006 fordert, dass die zu Eingriffen in Grundrechte ermächtigenden Gesetze so formuliert sind, dass der von einer 1000 1001 1002 1003 1004 1005 1006
Vgl. z. B. § 19 I, II NWPolG. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 641. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452; Schenke, Polizeirecht, Rn. 197a und 343. BVerfGE 65, 1, 46; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963.
240
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
gesetzlichen Regelung Betroffene ebenso wie der Rechtsanwender Inhalt und Grenzen der Ermächtigung erkennen und sein Verhalten danach einrichten kann1007. Das Gesetz selbst hat die Eingriffsvoraussetzungen zu bestimmen und darf dies nicht den mit dem Gesetzesvollzug betrauten Behörden und der Judikative überlassen1008. Je schwerer der mögliche Grundrechtseingriff wiegt, zu dem eine gesetzliche Regelung ermächtigt, desto höhere Anforderungen sind an den Gesetzgeber gestellt, Art und Umfang des Eingriffs an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen1009. Dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit kommt dann hohe Bedeutung zu, wenn der Gesetzgeber heimliche Informationseingriffe schon zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zulässt1010. Die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung ist z. B. gem. § 22 III BWPolG außer zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässig. Gleiches gilt für den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen (§ 22 II BWPolG). Die polizeiliche Beobachtung ist z. B. gem. § 25 I BWPolG zulässig, wenn entweder die Gesamtwürdigung einer Person und ihrer bisher begangenen Straftaten oder sonstige Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) begehen wird und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist. Die Rasterfahndung ist gem. § 40 I BWPolG zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) zulässig. Heimliche Informationseingriffe, welche diesem Zweck dienlich sein können, sind nicht nur in akuten Gefährdungssituationen denkbar, sondern auch in einem vorgelagerten Stadium, in dem die Anhaltspunkte für einen künftigen Schadenseintritt weniger deutlich sind und dementsprechend ein polizeiliches Eingreifen, zumal mit verdeckten Mitteln wie besondere Mittel der Datenerhebung nach § 22 BWPolG, die polizeiliche Beobachtung nach § 25 BWPolG oder die Rasterfahndung gemäß § 40 BWPolG, besonders problematisch erscheinen mag1011. Der Gesetzgeber muss – in diesem Vorfeldbereich – die Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe möglichst präzise beschreiben und damit eine bestimmte Eingriffsschwelle normativ vorgeben1012. Die Eingriffsnorm muss, worauf der SächsVerfGH zutreffend hinweist, so gefasst sein, dass niemand befürchten muss, ohne hinreichende und damit für ihn vorhersehbare Anhaltspunkte und Verdachtsumstände zum Objekt 1007 BVerfGE 20, 150, 158 f.; 21, 73, 79; 31, 255, 264; 37, 132, 142; 45, 400, 420; 56, 1, 12; 62, 169, 183; 83, 130, 145. 1008 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 1009 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 1010 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 1011 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 1012 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
241
polizeilicher Ausforschung zu werden1013. Vor allem bezüglich der Rasterfahndung nach § 47 I 1 Nr. 2 SächsPolG weist der SächsVerfGH auch zutreffend darauf hin, dass die Rasterfahndung als Vorfeldinstrument operationalisierbar und ihre Zulässigkeitsschwelle im Hinblick auf das Gebot der Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns hinreichend bestimmt sein muss1014. Dem hat der baden-württembergische Gesetzgeber dabei allerdings dadurch begegnet, dass er heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ausdrücklich nur bei dem Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die künftige Begehung einer der Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG zulässt. § 22 III 2. Alt. BWPolG verlangt für die Anordnung einer längerfristigen Observation, den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder den Einsatz verdeckter Ermittler, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Straftaten mit erheblicher Bedeutung i.S. des § 22 V BWPolG künftig begangen werden (§ 20 III Nr. 1 bzw. Nr. 2 BWPolG)1015. Für den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen verlangt § 22 II 2. Alt. BWPolG, dass tatsächliche Anhaltspunkte einer zukünftigen Straftat mit erheblicher Bedeutung i.S. des § 22 V BWPolG vorliegen. „Tatsächliche Anhaltspunkte“ für die zukünftige Begehung einer Straftat i. S. d. § 20 III BWPolG als Eingriffsschwelle müssen bei jedem der Adressaten des § 20 III BWPolG vorliegen1016. Im Gegensatz dazu verlangt der Wortlaut des § 40 I BWPolG für die Vornahme der Rasterfahndung keine derartigen Voraussetzungen. Nach § 40 I 1 BWPolG ist die Rasterfahndung zulässig, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) erforderlich ist. Bezüglich der Rasterfahndung gem. § 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SächsPolG ist der SächsVerfGH davon ausgegangen, dass die Rasterfahndung nur dann zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich im Sinne des § 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SächsPolG ist, wenn zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, die auf bestimmte Deliktsarten i. S. des § 36 Abs. 1 SächsPolG hindeuten1017. Diese Auffassung des SächsVerfGH ist auch auf den § 40 I 1 BWPolG übertragbar. Die bloße Befürchtung oder Vermutung der Polizei, dass eine Person Straftaten mit erheblicher Bedeutung begehen wird, reicht somit für die Anordnung der Rasterfahndung gemäß § 40 I 1 BWPolG nicht aus; vielmehr muss hierfür eine bestimmter, durch das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte belegter Anlass bestehen1018. Bezüglich der polizeilichen Beobachtung 1013 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961; BVerfGE 93, 181, 191; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 573. 1014 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 968. 1015 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 574. 1016 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 588 u. 591. 1017 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 969. 1018 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 969.
16 Son
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
verlangt § 25 I Nr. 2 BWPolG, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) künftig begehen wird. Danach ist ein Eingriff nur aufgrund einer hinreichend sicheren Faktenlage („Tatsachen“) statthaft1019. Der Polizei müssen stichhaltige, nachprüfbare Umstände vorliegen, die auf eine künftige Straftat und deren Täter schließen lassen1020. Heimliche polizeiliche Informationseingriffe allein aufgrund vager Vermutungen, gleichsam nach dem Belieben der Polizei, sind durch § 25 I Nr. 2 BWPolG nicht gedeckt1021. Die Bestimmtheit der Norm wird dadurch verstärkt, dass Eingriffe nur im Vorfeld von „Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG)“ zulässig sind1022. Den Begriff der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ verwendet § 22 V BWPolG. Der baden-württembergische Gesetzgeber hat sich im Rahmen von § 22 V BWPolG für einen generalisierenden (offenen) Katalog von Straftaten entschieden und davon abgesehen, die relevanten Straftatbestände von erheblicher Bedeutung in einem geschlossenen Straftatenkatalog enumerativ und abschließend aufzulisten1023. Straftaten mit erheblicher Bedeutung sind danach alle Verbrechen (§ 22 V Nr. 1 BWPolG) und zahlreiche Vergehen (§ 22 V Nr. 2 BWPolG), die – teilweise wiederum durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – nach ihrem Schutzgut bzw. nach den Modalitäten der Tatbegehung umschrieben werden1024. Bei Straftaten mit erheblicher Bedeutung lässt das BWPolG Eingriffe größerer Intensität in das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu, z. B. durch besondere Mittel der Datenerhebung nach § 22 BWPolG. Im Gegensatz zu § 22 V BWPolG enthält z B. § 8 III NWPolG einen (breiten) Katalog von Straftaten1025. Straftaten von erheblicher Bedeutung sind demnach „insbesondere“ Verbrechen sowie die in § 138 des Strafgesetzbuches genannten Vergehen, Vergehen nach § 129 des Strafgesetzbuches und gewerbs- oder bandenmäßig begangene Vergehen nach den §§ 243, 244, 260, 261, 263 bis 264a, 265b, 266, 283, 283a, 291 oder 324 bis 330 des Strafgesetzbuches, § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) oder d) des Waffengesetzes, §§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 oder 29a Abs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes sowie § 92a des Ausländergesetzes. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung1026 sprechen verfassungsrechtliche Gesichtspunkte wie Gründe der Praktikabilität und Gesichtspunkte der Normenklarheit für einen Straftatenkatalog wie in § 8 III NWPolG. Auch die praktische Anwendung in den Ländern,
1019 1020 1021 1022 1023
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. zur entsprechenden Regelung in § 36 I SächsPolG SächsVerfGH, JZ 1996, 957,
961. 1024 1025 1026
Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961. Ebenso § 1 IV HambPolDVG. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 604.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
243
die vom Wortlaut her keine Einschränkung vorsehen oder zumindest auf Straftaten mit erheblicher Bedeutung abstellen, sollte sich an diesem Katalog orientieren1027. Bei den Datenerhebungsmaßnahmen kann der Gesetzgeber aber aufgrund der Fülle der möglichen Anwendungsfälle nicht alle Konstellationen absehen, so dass es grundsätzlich rechtsstaatlich gerechtfertigt und vertretbar ist, wenn er generalklauselartige Formulierungen und unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet1028. Auch wenn der baden-württembergische Gesetzgeber keinen Katalog von Straftaten (z. B. in Anlehnung an § 100a StPO) geschaffen hätte, auf den Maßnahmen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten begrenzt sein müssten,1029 wäre dies verfassungsrechtlich kaum zu beanstanden, weil der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den der Gesetzgeber in den §§ 3, 5 BWPolG nochmals deklaratorisch statuiert, sehr wohl ausreichende Handhaben bietet, Fälle von „Gelegenheitskriminalität“ in der Regel aus dem Anwendungsbereich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten auszuscheiden1030. Es erscheint zudem zweifelhaft, ob ein notwendig breiter Katalog von relevanten Straftaten überhaupt zur Normenklarheit beiträgt1031. Die Vorschrift des § 22 V BWPolG genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm. Der Begriff der Straftaten mit erheblicher Bedeutung ist ausreichend klar festgelegt. Zu umfassend ist aber jedenfalls § 13 III HSOG, der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ als Straftaten definiert, die auf Grund ihrer Begehungsweise oder ihrer Dauer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen und geeignet sind, die Rechtssicherheit der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für Straftaten, die banden-, gewerbs-, gewohnheits- oder serienmäßig begangen werden (vgl. § 13 III HSOG). Danach kann keine Straftat von vornherein ausgeschlossen werden1032. Damit erlauben die Vorschriften der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt., 25 I, 40 I BWPolG heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung nur für besonders gelagerte Fälle (Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG) und nur unter bestimmten Voraussetzungen, die letztlich darauf hinauslaufen, dass fassbare Anhaltspunkte für eine schwere sich anbahnende Straftat i. S. des § 22 V BWPolG sprechen und die heimliche Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftat erforderlich ist. Diese Voraussetzungen geben dem grundrechtsbeeinträchtigenden Eingriff Maß und Ziel1033.
1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033
16*
Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 604. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 588. So treffend Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 588. Vgl. Kniesel / Vahle, Rn. 47; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 588. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 599. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455.
244
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
4. Rechtsstaatswidrige Gefahr der Stigmatisierung des sog. gefährlichen Intensivtäters i. S. des § 25 I Nr. 1 BWPolG? Nach § 25 I BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst eine Person oder Kennzeichen der auf den Namen der Person zugelassenen, von ihr benutzten oder von ihr eingesetzten Kraftfahrzeuge zu Zwecken der Mitteilung über das Antreffen ausschreiben, wenn die Gesamtwürdigung der Person und ihrer bisher begangenen Straftaten erwarten lässt, dass die Person künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) begehen wird und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist. Danach genügt es für die Zulässigkeit des Einsatzes der polizeilichen Beobachtung zum Zwecke der Erhebung personenbezogener Daten, dass die Gesamtwürdigung der Person und der von ihr bisher begangenen Straftaten erwarten lässt, dass sie auch künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG begehen wird. Das Tatbestandsmerkmal der „Gesamtwürdigung der Person und der von ihr begangenen Straftaten“ bezieht sich dabei auf die Persönlichkeit des Betroffenen und kennzeichnet im polizeirechtlichen Sprachgebrauch den sog. gefährlichen Intensivtäter1034. Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung ist ein typisches Instrument „im Vorfeld der Strafverfolgung“1035, das aus der in einer bundeseinheitlichen Richtlinie (PDV 384.2) geregelten „beobachtenden Fahndung“ hervorgegangen und in den neueren Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder als Instrument der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung normiert ist1036. Der Einsatz der polizeilichen Beobachtung bei Intensivtätern kann im Vergleich zu den klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr der Verhinderung von Straftaten bereits im Vorfeld ihrer Begehung dienen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass polizeiliche Eingriffe z. B. nach § 25 I BWPolG schon zulässig sind, wenn noch keinerlei Gefahr vorliegt, wie der SächsVerfGH zu Unrecht annimmt („Vorfeldinstrument“) und demgemäß von einem Handeln der Polizei im „Gefahrenvorfeld“ spricht, das im Hinblick auf die Schwere der damit verbundenen Grundrechtseingriffe unverhältnismäßig sei1037. Die Vorschrift des § 25 I BWPolG über die polizeiliche Beobachtung erlaubt nicht Eingriffe zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung schon im Vorfeld konkreter Gefahren, sondern gesteht der Polizei ein Eingreifen unter den in der Regelung bestimmten Voraussetzungen nur im Rahmen der Gefahrenabwehr zu (vgl. dazu 3. Teil 1. Kapitel B.)1038. Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist somit nach § 25 I BWPolG nur zulässig, wenn eine Straftat mit erhebVgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962. Vgl. hierzu 3. Teil 1. Kapitel B. 1036 Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 170 ff., 442 ff., und 657 ff. 1037 S. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960; so auch Paeffgen, NJ 1996, 454, 459; Bäumler, NVwZ 1996, 765, 766; Gusy, Polizeirecht, Rn. 187; Denninger, in Lisken / Denninger, Kap. E, Rn. 163; ähnlich Benfer, NVwZ 1999, 237 f. 1038 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 1034 1035
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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licher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG konkret droht1039. Bei den schwerwiegenden Eingriffen, wie sie mit einer heimlichen Datenerhebung verbunden sind, wäre es nicht vertretbar, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu verzichten1040. Soweit die Gesamtwürdigung der Person und der von ihr bisher begangenen Straftaten (bei vernünftiger Würdigung der Sachlage) erwarten lässt, dass die betreffende Person auch künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG begehen wird, kann der Einsatz der polizeilichen Beobachtung gem. § 25 I BWPolG zur Gefahrenabwehr (zumal die polizeiliche Ermessensentscheidung auch hier dem rechtsstaatlichen Filter des Übermaßverbots zu genügen hat) – anders als die Ansicht des SächsVerfGH – nicht allgemein als verfassungswidrig und nichtig angesehen werden1041. Im Urteil vom 14. 5. 1996 hat der SächsVerfGH eine ähnliche Regelung in § 39 I Nr. 2b SächsPolG wegen Verstoßes gegen die mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisteten Grundsätze der Normenklarheit und Normenbestimmtheit für verfassungswidrig und nichtig gehalten. Nach Ansicht des SächsVerfGH impliziere die frühere Regelung des § 39 I Nr. 2b SächsPolG1042 über die polizeiliche Beobachtung in einer für den Einzelnen nicht mehr berechenbaren Weise die Gefahr, dass der Polizeivollzugsdienst die gebotene Prognoseentscheidung über die zukünftige Begehung von Straftaten allein anhand von allgemeinem Erfahrungswissen und Alltagstheorien treffe und massive Überwachungsmaßnahmen durchführe, ohne dass dies von der konkreten Tatsachen- oder Indizlage gedeckt wäre1043: „Die normative Gegenüberstellung von § 39 I Nr. 2b SächsPolG, wo von einer „Gesamtwürdigung“ die Rede ist, mit den bei Nr. 2a verlangten „Tatsachen“ kann dahin verstanden und entsprechend angewendet werden, es brauche sich bei den Umständen und Faktoren, welche der Gesamtwürdigung bei den sog. gefährlichen Intensivtätern zugrundezulegen sind, nicht um objektive Fakten oder Beweisanzeichen, sondern nur um subjektive Einschätzungen zu handeln“1044. Nach Auffassung des SächsVerfGH berge die frühere Regelung des § 39 I Nr. 2b SächsPolG auch die „rechtsstaatswidrige Gefahr der Stigmatisierung“ des von ihr betroffenen Personenkreises der sog. gefährlichen
1039 Dazu, dass unter Verhütung von Straftaten auch solche Fälle fallen, bei denen eine Straftat konkret droht Schenke, Polizeirecht, Rn. 12, Fn. 13 und BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 1040 So auch Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. 1041 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397; a.A. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962. 1042 Ein besonderes Mittel der Datenerhebung stellt nach § 36 II Nr. 4 SächsPolG auch die polizeiliche Beobachtung dar. Nach der frühere Regelung des § 39 I Nr. 2b SächsPolG soll es für die Zulässigkeit der Datenerhebung mit besonderen Mitteln ausreichen, dass die „Gesamtwürdigung der Person und der von ihr bisher begangenen Straftaten erwarten lässt, dass sie auch künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung i. S. des § 36 I SächsPolG begehen wird SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962. 1043 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962. 1044 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Intensivtäter in sich, weil diese nach ihrem Wortlaut eine Negativprognose allein auf der Grundlage von Erfahrungswissen und Vermutungen erlaubt, ohne dass diese wertende Entscheidung durch objektive Umstände irgendwelcher Art, seien es Tatsachen oder wenigstens tatsächliche Anhaltspunkte, untermauert sein müsste1045. Schließlich hat der SächsVerfGH das Merkmal der „Gesamtwürdigung“ dadurch generell abgelehnt, dass er das Gesetz, soweit es auf die „Gesamtwürdigung“ abstellt, als in rechtsstaatswidriger Weise unbestimmt betrachtet1046. Diesen vom SächsVerfGH erhobenen Bedenken kann jedoch noch durch eine verfassungskonforme Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 I Nr. 2b SächsPolG Rechnung getragen werden. Relevant wird in diesem Zusammenhang insbesondere, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 I Nr. 2b SächsPolG bei Heranziehung der allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätze kein Raum dafür lassen, allein aus einer früheren Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung auf die drohende Wiederholung zu schließen1047. Vielmehr müssen jedenfalls unter dem Aspekt der verfassungskonformen Auslegung konkrete Anhaltspunkte und Indizien vorliegen, die mit dem Begriff der Gesamtwürdigung einer Person und der von ihr begangenen Straftat umschrieben werden, um die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung nach § 39 I Nr. 2b SächsPolG zu rechtfertigen1048. Dabei ist im Auge zu behalten, dass der Polizeivollzugsdienst seine Prognoseentscheidung selbstverständlich in sachgemäßer Weise unter Berücksichtigung aller hier relevant werdender Umstände und Faktoren treffen muss und es regelmäßig eine Entscheidungssituation gibt, bei der es unerlässlich ist, ohne nähere Aufklärung sofort die besonderen Mittel der Datenerhebung des § 39 SächsPolG einzusetzen1049. Der Polizeivollzugsdienst kann und muss gegebenenfalls das Wissens anderer sachverständiger Personen verwenden, um seine Prognoseentscheidung nicht allein auf allgemeines Erfahrungswissen und Alltagstheorien zu stützen1050. Läuft die gebotene Prognose der Polizei in der aufgezeigten Weise ab, kann man von einer rechtsstaatswidrigen Gefahr der Stigmatisierung des gefährlichen Intensivtäters nicht mehr sprechen. Daher können die Bedenken gegen die frühere Regelung des § 39 I Nr. 2b SächsPolG, aber auch gegen § 25 I Nr. 1 BWPolG schwerlich überzeugen1051.
1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051
SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 962. Götz, JZ 1996, 969, 970. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397; so auch Götz, JZ 1996, 969, 970.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
247
5. Notwendigkeit der Schaffung spezialgesetzlicher Regelungen zum Schutz von Vertrauensverhältnissen bei heimlichen Datenerhebungen im Polizeirecht? Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung von heimlichen polizeilichen Informationseingriffen in besonders geschützte Vertrauensverhältnisse ist neben der Frage der Intensität des Schutzes solcher Vertrauensverhältnisse (vgl. dazu oben 2. Teil 3. Kapitel B.) auch zu klären, welchen Anforderungen entsprechende Eingriffsgrundlagen gegebenenfalls genügen müssen1052. Zwingen Eingriffe in besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse, wie z. B. das Beichtgeheimnis, das Arzt-Patientenverhältnis und das Verhältnis der Presse zu ihnen Informanten, zu Einschränkungen bei Maßnahmen der polizeilichen Datenerhebung, bedarf es einer Klärung, ob es für den Schutz besonderer Vertrauensverhältnisse – in Anlehnung an das Urteil des SächsVerfGH vom 14. 5. 19961053 – einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf, welche die Reichweite des Schutzes solcher Vertrauensverhältnisse regelt,1054 oder ob diesem Schutz auch durch eine durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesteuerte restriktive Auslegung der im Polizei- und Ordnungsrecht bereits bestehenden Eingriffsgrundlagen Rechnung getragen werden kann1055. Im Folgenden wird noch näher darauf einzugehen sein, ob und inwieweit im Zusammenhang mit dem Schutz von Vertrauensverhältnissen verfassungsrechtlich begründeter Handlungsbedarf für die Polizeigesetzgeber besteht1056.
a) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen und der Vorbehalt des Gesetzes Für Eingriffe in grundrechtlich mittels Amts- und Berufsgeheimnisse geschützte Vertrauensverhältnisse bedarf es – worauf das BbgVerfG zu Recht hinweist – einer gesetzlichen Grundlage, die Ausmaß und Grenzen möglicher Beeinträchtigungen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit festlegt1057. Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 273. Vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 4, 303 ff. = LKV 1996, 273 ff. = JZ 1996, 957 ff. 1054 So SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285 = JZ 1996, 957, 262; zustimmend Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549 f. wonach es für die polizeilichen Eingriffe in verfassungsrechtlich durch Amts- und Berufsgeheimnisse geschützten Vertrauensverhältnisse einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfe; Paeffgen, NJ 1996, 454, 461; Habermehl, SächsVBl. 1996, 201, 210; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 634; kritisch gegenüber dieser Annahme Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f.; nunmehr ebenso BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f. 1055 So Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f.; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f.; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 252 f. 1056 Vgl. auch Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247. 1057 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 1052 1053
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Nach der neueren, von der sog. Wesentlichkeitstheorie geleiteten Rechtsprechung des BVerfG zum Gesetzesvorbehalt1058 kommt es für diesen nicht mehr ausschließlich und entscheidend auf die Qualifikation der polizeilichen Maßnahme als Eingriff an1059. Für jeden Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen gilt jedoch unstreitig auch künftig jedenfalls der Gesetzesvorbehalt, denn es geht bei allen wesentlichen Entscheidungen, die nach der Rechtsprechung des BVerfG dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst vorbehalten bleiben müssen, auch um Eingriffe1060. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen1061. Deshalb muss der Gesetzgeber jedenfalls die wesentlichen Entscheidungen, also die Entscheidung über die grundsätzliche Zulässigkeit eines Grundrechtseingriffes, vor der Vornahme des Eingriffsaktes treffen. Andernfalls ist schon daher der Grundrechtseingriff nicht gerechtfertigt und rechtswidrig1062. Polizeiliche Eingriffe in verfassungsrechtlich mittels Amts- und Berufsgeheimnisse geschützte Vertrauensverhältnisse sind immer schon dann rechtswidrig, wenn sie ohne eine den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes entsprechenden einfachgesetzlichen Grundlage erfolgen1063. Die aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip abgeleitete Wesentlichkeitstheorie verlangt jedoch nicht allein eine Entscheidung über das „Ob“ des gesetzgeberischen Handelns, sondern auch über das „Wie“1064. Dabei wird dem Gesetzgeber hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung ein großer gesetzgeberischer Spielraum eingeräumt,1065 wie das BVerfG deutlich gemacht hat1066. Die jüngst ergangenen Entscheidungen zu heimlichen Informationseingriffen des SächsVerfGH, des BbgVerfG und des MVVerfG hatten sich mit der Notwendigkeit der Schaffung einer „ausdrücklichen“ gesetzlichen Regelung des Schutzes von Amts- und Berufsgeheimnissen zu beschäftigen1067. Wie weit der Gesetzgeber dem Schutz von Ver1058 Vgl. BVerfGE 34, 165, 192 ff.; 41, 251, 259 ff.; 45, 400, 417 ff.; 47, 46, 78 ff.; 48, 210, 221; 49, 89, 126 ff.; 53, 30, 56; 57, 295, 326 ff.; 58, 257, 268 ff.; 64, 261, 268; 76, 1, 74 ff.; 76, 171, 184 ff.; 77, 170, 230 ff.; 80, 124, 131 ff.; 83, 130, 140; 95, 267, 307 ff.; BVerfG, NJW 1998, 2515. 1059 Denninger, CR 1988, 51, 55. 1060 Denninger, CR 1988, 51, 55; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 319. 1061 Vgl. BVerfGE 83, 130, 142 = NJW 1991, 1471. 1062 Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 250 unter Berufung auf BVerfGE 41, 251, 256 f.; 51, 268, 287 f. 1063 Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 250. 1064 Kloepfer, JZ 1984, 687, 691. 1065 Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; ders., DVBl. 1996, 1393, 1397. 1066 Vgl. z. B. BVerfGE 88, 203, 262. 1067 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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trauensverhältnissen bei der Ausgestaltung der Eingriffsgrundlagen Rechnung tragen muss, wird dabei jedoch innerhalb der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt1068.
b) Die Forderung des SächsVerfGH nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung des polizeilichen Eingriffs in Vertrauensverhältnisse Der SächsVerfGH hat in seinem 1996 gefällten Urteil zum sächsischen Polizeigesetz die Vorschrift des § 39 SächsPolG über heimliche Informationseingriffe insoweit für unvereinbar mit der SächsVerf. erklärt, als der Gesetzgeber nicht ausdrücklich und hinreichend bestimmt geregelt hat, ob und unter welchen Voraussetzungen Maßnahmen der polizeilichen Datenerhebung in verfassungsrechtlich durch Amts- und Berufsgeheimnisse geschützte Vertrauensverhältnisse eingreifen dürften1069. Insoweit hat der SächsVerfGH die weitestreichenden Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm erhoben1070. Danach muss erkennbar sein, „zugunsten welcher Rechtsgüter in welche Vertrauensverhältnisse und unter welchen Voraussetzungen eingegriffen werden darf“1071. Da sich zur Begründung die Entscheidung des SächsVerfGH nicht auf Besonderheiten der Sächsischen Landesverfassung, sondern ganz allgemein auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip stützt, hat die Entscheidung auch über Sachsen hinaus eine besondere Bedeutung erlangt1072. Dem SächsVerfGH hat sich auch das MVVerfG angeschlossen1073. Die notwendigen Abwägungen dürften nicht gänzlich in die Hand der Verwaltung gegeben werden, sondern müssten so weit wie möglich bereits auf der Ebene des Gesetzes vorgenommen werden1074.
1068 Vgl. Habermehl, JA 1990, 331, 333; Erichsen, Jura 1993, 45, 46; Paeffgen, NJ 1996, 454, 461; Knemeyer / Keller, SächsVBl. 1996, 197, 199; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f.; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548 f.; ders., Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 310 f.; Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 272 f.; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247 ff. 1069 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285. 1070 Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 274. 1071 SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 274. 1072 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548. 1073 Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 274. 1074 MVVerfG, LKV 2000, 345, 352.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
c) Kritik des BbgVerfG am Urteil des SächsVerfGH vom 14. 5. 1996 Demgegenüber formuliert das BbgVerfG in seinem Urteil vom 30. 6. 1999 zum Brandenburgischen Polizeigesetz deutlich zurückhaltender1075. Das BbgVerfG stellt Eingriffe in Vertrauensverhältnisse unter den Vorbehalt des Gesetzes, will vom Gesetzgeber jedoch keine normativen Detailregelungen verlangen1076. Das Gericht weist zu Recht darauf hin, dass es die verfassungsrechtlichen Anforderungen überdehnen würde, falls man – in Anlehnung an den SächsVerfGH – von dem Gesetzgeber Regelungen darüber verlangen wollte, zugunsten welcher Rechtsgüter in welche Vertrauensverhältnisse unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eingegriffen werden darf und wo jeweils die Grenze eines solchen Eingriffs liegt1077. „Dies wäre kaum umsetzbar bzw. mit der Gefahr von Unübersichtlichkeit und Überdetailliertheit verbunden1078. Eine dahingehende Pflicht des Gesetzgebers lässt sich aus der Verfassung nicht ableiten. Es muss genügen, dass sich der Gesetzgeber der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Vertrauensverhältnisse bewusst gewesen ist und eine – ggf. durch Auslegung zu ermittelnde – Regelung getroffen hat, die die widerstreitenden Verfassungsbelange zu einem angemessenen Ausgleich bringt“1079. Dementsprechend sei die Vorschrift zur Datenerhebung bei Kontakt- und Begleitpersonen gefährlicher Intensivtäter verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn die besondere Schutzwürdigkeit von Amts- und Berufsgeheimnissen war in den Gesetzesmaterialen thematisiert worden, obgleich sie im Gesetzeswortlaut selbst keinen Niederschlag gefunden hatte1080.
d) Entbehrlichkeit einer spezialgesetzlichen Regelung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse aa) Verfassungswidrigkeit des § 22 BWPolG in Bezug auf in Vertrauensverhältnisse eingreifende Datenerhebungen als Konsequenz der Rechtsprechung des SächsVerfGH? Die Landespolizei- und Ordnungsgesetze kennen – wenn überhaupt – nur für ganz besonders gelagerte Fälle Bestimmungen zum Schutz des Amts- und Berufs1075 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 310. 1076 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 310. 1077 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 1078 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456; ebenso schon Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; dem SächsVerfGH zustimmend dagegen Paeffgen, NJ 1996, 454, 461; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549 f. 1079 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456; BVerfGE 56, 1, 13. 1080 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456; Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 310.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
251
geheimnisses (vgl. z. B. § 33 VI MVSOG und §§ 32 I 5 u. 6; 33 I 5; 34 I 4 BrandPolG)1081. Auch in den bundesrechtlichen Regelungen über die heimliche Datenerhebung finden sich keine Bestimmungen über Zeugnisverweigerungsrechte bzw. aus diesen herzuleitende Abhör- oder Verwertungsverbote (vgl. z. B. §§ 98a, 98b, 100a, 100c I Nr. 1 u. Nr. 2, 110a, 163e, 163f StPO). Insoweit bildet die Regelung des § 100d III StPO rechtliches Neuland1082. So müsste die Ansicht des SächsVerfGH, wonach eine „ausdrückliche“ gesetzliche Regelung des polizeilichen Eingriffs in Vertrauensverhältnisse geboten sei, bei ihrer Richtigkeit nicht nur zur Verfassungswidrigkeit des § 39 SächsPolG, sondern darüber hinaus auch zur Verfassungswidrigkeit einer Vielzahl entsprechender datenschutzrechtlicher Regelungen in der StPO wie auch in den Polizeigesetzen anderer Länder führen, bei denen – wie etwa in § 22 BWPolG – bisher Regelungen über den Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen fehlen1083. bb) Ein weiter gesetzgeberischer Spielraum des Gesetzgebers Bei der Bestimmung über heimliche Datenerhebung durch den Einsatz besonderer Mittel gem. § 22 BWPolG fehlen ausdrückliche gesetzliche Regelungen, ob und unter welchen Voraussetzungen derartige Informationseingriffe auch in Amtsund Berufsgeheimnisse eingreifen dürfen. Aus der Nichterwähnung entsprechender Vertrauensverhältnisse kann aber nur gefolgert werden, dass der baden-württembergische Gesetzgeber in Verbindung mit ihnen Eingriffe gem. § 22 BWPolG nicht generell für ausgeschlossen hielt1084. Selbstverständlich sind jedoch derartige Eingriffe im Hinblick auf den besonderen grundrechtlichen Schutz entsprechender Vertrauensverhältnisse, welche einen das informationelle Selbstbestimmungsrecht verstärkenden Grundrechtsschutz zur Folge hat, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig1085. Im Bereich der Gefahrenabwehr ist es verfassungsrechtlich naheliegend, wenn nicht gar geboten, im Hinblick auf die dem Staat obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten zum Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person auch heimliche polizeiliche Informationseingriffe in Amts- und Berufsgeheimnisse zuzulassen1086. Ein uneingeschränkter Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen vor Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung nach § 22 BWPolG, die ihrerseits der Effektuierung grundrechtlicher Schutzpflichten in Bezug auf andere hochwertige Rechtsgüter dienen, dürfte – anders als im Strafprozessrecht, wo vieles für weitreichende 1081 1082 1083 1084 1085 1086
Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Gusy, Verfassungsfragen bei Zeugnisverweigerungsrechten im Polizeirecht, 149, 152. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 624.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Beweisverwertungsverbote sprechen mag1087 – jedenfalls unter Zugrundlegung der neueren Rechtsprechung des BVerfG sowie der Landesverfassungsgerichte1088 im Polizeirecht keinesfalls geboten sein1089. Es obliegt vielmehr in weitem Umfang dem einfachen Gesetzgeber, ob und inwieweit er auf der Grundlage einer Abwägung zwischen der dem Staat obliegenden Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr einerseits und dem Schutz von Vertrauensbeziehungen andererseits diese vor Maßnahmen der polizeilichen Datenerhebung schützt1090. Zu weitgehend ist hingegen die Ansicht des SächsVerfGH, wonach eine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber geboten sei, zugunsten welcher Rechtsgüter in welche Vertrauensverhältnisse unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eingegriffen werden darf und wo jeweils die Grenze eines solchen Eingriffs liegt1091. Seine Ansicht beruht auf einer Überdehnung der Verfassung1092. Eine dahingehende umfassende Normierungspflicht des Gesetzgebers für den Schutz der Vertrauensverhältnisse kann, worauf das BbgVerfG zutreffend hinweist, aus der Verfassung nicht abgeleitet werden1093. cc) Der Schutz von Vertrauensverhältnissen ist auch mittels einer durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesteuerten restriktiven Interpretation der im Polizeirecht bereits bestehenden Eingriffsnorm erreichbar Zwar mag man eine „ausdrückliche“ gesetzliche Regelung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen – trotz einer damit verbundenen weiteren Ausdehnung der Normenflut1094 – als rechtspolitisch wünschenswert ansehen,1095 es besteht aber kein verfassungsrechtlich begründeter Handlungsbedarf für die PolizeigesetzVgl. dazu nur Zöller, Zeugnisverweigerungsrechte, 325, 339 f. BVerfGE 100, 313, 383 u, 394 f.; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f., 458 f.; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 1089 W.-R. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 272. 1090 Schenke, Polizeirecht, Rn. 191. 1091 SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; zustimmend Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 549; kritisch gegenüber dieser Annahme Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398 und nunmehr ebenso BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 1092 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 1093 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 1094 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; kritisch zum Datenschutz in der „Verrechtlichungsfalle“ Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513, 516 f.; siehe auch Krüger, DÖV 1990, 641, 644 f.; Pitschas / Aulehner, NJW 1989, 2353, 2356 f.; Vogelgesang, S. 151 f. u. 201 f.; VGH Mannheim, NJW 1987, 3022; a.A. BayVerfGH, DÖV 1986, 69 ff.; VG Frankfurt, CR 1988, 158 ff.; Knemeyer, NVwZ 1988, 193, 196; Isensee, ZRP 1985, 139; Schwabe, DVBl. 2000, 1815 ff. 1095 Kritisch dazu s. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 262. 1087 1088
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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geber1096. Es bedürfte trotz der vom SächsVerfGH erhobenen Forderung nach einer positivgesetzlichen Normierung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse dann keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen, wenn dieser Schutz auch durch eine durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesteuerten restriktiven Auslegung der im Polizei- und Ordnungsrecht bereits vorhandenen Eingriffsgrundlagen erreichbar ist1097. Es muss genügen, dass sich der Gesetzgeber der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Vertrauensverhältnisse bewusst gewesen ist und eine – gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnde – Regelung getroffen hat, welche die widerstreitenden Verfassungsbelange zu einem angemessenen Ausgleich bringt1098. Bei der Bestimmung über die heimliche Datenerhebung durch den Einsatz von technischen Mitteln zur Überwachung von Wohnungen gem. § 23 BWPolG fehlen ausdrückliche gesetzliche Regelungen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Polizei durch einen Großen Lauschangriff in Amts- und Berufsgeheimnisse eingreifen darf. Im Bereich des das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnungen aus Art. 13 GG in ganz erheblichem Maß berührenden Einsatzes von technischen Mitteln zur Überwachung von Wohnungen hat der baden-württembergische Gesetzgeber selbst aber nach der betroffenen Person differenziert. So dürfen verdeckte technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur für die Erhebung personenbezogener Daten über den für eine Gefahr Verantwortlichen (§§ 6 und 7 BWPolG) und den sog. Nichtstörer, bei letzterem unter den Voraussetzungen des § 9 BWPolG, eingesetzt werden (§ 23 I BWPolG). Die Überwachung von Wohnungen mittels technischer Mittel ist in oder aus Wohnungen von Personen, die für die polizeiliche Gefahr nicht verantwortlich sind, lediglich beim Vorliegen der engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands statthaft1099. Im Anwendungsbereich der allgemeinen Grundsätze über die polizeirechtliche Verantwortlichkeit bedarf es – worauf Ruthig zutreffend hinweist – keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse, da dieser auch mittels einer durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesteuerten restriktiven Auslegung der Vorschriften über Störer und Nichtstörer umgesetzt werden kann1100. Lässt man einmal die Kollusionsfälle, für welche selbst im Strafprozessrecht eine Durchbrechung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse normiert und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, außer Betracht, sind die von polizeilichen Maßnah1096 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; ders., Polizeirecht, Rn. 191; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 255. 1097 So Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 f.; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f.; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 252 f. 1098 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. 1099 So ausdrücklich z. B. Art. 34 I Nr. BayPAG; § 23 I BWPolG; § 18 II i.V. m. 18 I Nr. 1 NWPolG; § 25b I RhPfPOG; § 40 I 2 SächsPolG und der Sache nach § 33 IV 2 MVSOG. Dieses Erfordernis ergibt sich aber unabhängig von seiner positivgesetzlichen Normierung bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 196. 1100 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253.
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men betroffenen Träger von Amts- und Berufsgeheimnissen „Nichtstörer“1101. Die Vorschriften über die sog. Notstandsinanspruchnahme (§ 9 BWPolG) gewährleisten hier – neben den über das Opportunitätsprinzip1102 – ein angemessenes Schutzniveau1103. Die Vorschrift des § 9 BWPolG über den polizeilichen Notstand entfaltet ihre grundrechtssichernde Funktion nämlich auch im Hinblick auf den Träger von Amts- und Berufsgeheimnissen1104. Nach § 9 I BWPolG setzt die Notstandsinanspruchnahme nicht nur eine unmittelbar bevorstehende oder eine bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, d. h. die zeitliche Nähe des Schadenseintritts voraus,1105 sondern fordert auch, dass die rechtzeitige Bekämpfung der Störung weder durch Maßnahmen gegenüber dem Störer noch durch den Einsatz eigener Mittel der Polizei möglich ist1106. Aus der gesetzlichen Wertung ergibt sich, dass die Notstandsinanspruchnahme lediglich als ultima ratio in Betracht kommt1107. Nach wohl allgemeiner Ansicht muss die Heranziehung von Nichtstörern, auch wenn dies in Baden-Württemberg nicht ausdrücklich normiert ist,1108 ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten erfolgen können1109. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist abzuleiten, dass nur dann, wenn die in Anspruch zu Nehmenden der Verpflichtung ohne die Verletzung eigener höherwertiger Pflichten nachkommen können, die Notstandsinanspruchnahme zulässig ist1110. Die Notstandsinanspruchnahme erlaubt dem Nichtstörer somit die Berufung auf Verschwiegenheitspflichten und macht durch die Hervorhebung der Höherwertigkeit andererseits eine angemessene Abwägung mit den polizeilichen Schutzgütern möglich1111. Insoweit bietet sie sehr wohl ausreichende Handhaben, den Besonderheiten der Vertrauensverhältnisse angemessenen Rechnung zu tragen1112. Bei heimlichen Maßnahmen dürfte als Konsequenz des auch im Polizeirecht geltenden Verursacherprinzips und der grundsätzlichen Subsidiarität der Inanspruchnahme von Nichtstörern eine Notstandsinanspruchnahme, also z. B. eine Überwachung der Wohnung eines nicht für die Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253. Das Opportunitätsprinzip ist besonders geeignet, um der Schutzwürdigkeit von Vertrauensverhältnissen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Ermessensausübung in elastischer Weise Rechnung zu tragen. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191 und 217; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253. 1103 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 262. 1104 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253. 1105 Schenke, Polizeirecht, Rn. 314; zu weitgehend aber Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 474, wonach die Störung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten muss. 1106 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 314 f. 1107 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 474. 1108 Keine Regelungen finden sich auch in Hamburg und Sachsen. 1109 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 474. 1110 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 474. 1111 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 254. 1112 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 254. 1101 1102
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
255
polizeiliche Gefahr Verantwortlichen, regelmäßig ausscheiden, da nachzuweisen wäre, weshalb z. B. eine Überwachung eigener Räumlichkeiten des Störers und sonstige Eigenmaßnahmen der Polizei nicht genügen1113. Die Vorschrift des § 9 BWPolG über den polizeilichen Notstand in ihrer den konkreten Schutzbedürfnissen Rechnung tragenden Interpretation entspricht grundsätzlich dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot1114. Da in der Sache – außer einer Benennung des Kreises der Privilegierten – keinesfalls eine weitergehende Konkretisierung des Abwägungsvorgangs erzielt werden kann, als sie diese allgemeine Vorschrift bereits bietet, würden der Sache nach nur die Tatbestandsvoraussetzungen aus der allgemeinen in die – zu schaffenden – besonderen Vorschriften verlagert, ohne dass damit ein stärkerer Schutz der Vertrauensverhältnisse verbunden wäre1115. Dies nochmals ausdrücklich festzuschreiben, bringt jedenfalls dann keinen rechtsstaatlichen Fortschritt mit sich, wenn eine neu geschaffene Spezialvorschrift inhaltlich ohnehin nur die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift über die Notstandsinanspruchnahme wiederholte1116. Im Bereich des § 23 BWPolG über den Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen sind weitere Regelungen des Schutzes der Vertrauensverhältnisse verfassungsrechtlich nicht geboten1117. Auch im Bereich des § 22 BWPolG hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt, ob und unter welchen Voraussetzungen die Polizei durch den verdeckten Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung in Amts- und Berufsgeheimnisse eingreifen darf. Allerdings besteht auch hier kein Ergänzungsbedarf1118. Angesichts des hohen durch § 22 BWPolG verbürgten Schutzniveaus wie auch des hier zu beachtenden Übermaßverbots dürfte eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse verfassungsrechtlich nicht geboten sein. Denn im Anwendungsbereich des § 22 BWPolG – d. h. bei erheblichen Gefahren für hochwertige Rechtsgüter – kommt den grundrechtlichen Schutzpflichten eine so hohe Bedeutung zu, dass der verfassungsrechtliche Schutz besonderer Vertrauensverhältnisse, wie er durch die Berufsfreiheit und die weiteren verfassungsrechtlichen Gewährleistungen garantiert wird, dahinter zurückstehen kann, sofern dies der Landesgesetzgeber nach seiner sicherheitspolitischen Konzeption als notwendig ansieht1119. Ein entsprechender Wille lässt sich auch im Umkehrschluss aus Regelungen über den Schutz besonderer Vertrauensverhältnisse bei offener Datenerhebung durch Befragungen ableiten, wie er z. B. in § 18 VI 3 SächsPolG1120 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 254. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 254. 1115 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 258 – 259. 1116 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49. 1117 So auch Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 1118 A.A. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 634. 1119 Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 254 – 255. 1120 Vgl. auch § 12 II 3 HSOG; § 28 II 4 MVSOG; § 12 V 2 NdsSOG; § 180 II 4 SchlHVwG. 1113 1114
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
angeordnet ist1121: Danach besteht ein Recht zur Verweigerung der Auskunft dann nicht, wenn die Auskunft zur Abwehr einer Gefahr für Leben oder Freiheit einer Person oder einer erheblichen Gesundheitsgefahr zwingend erforderlich ist. Aus diesem Grund ist dem SächsVerfGH in der Literatur kritisch entgegengehalten worden, dass die von ihm eingeforderte Entscheidung des Gesetzgebers über den Umgang mit besonderen Vertrauensverhältnissen bei heimlichen Informationseingriffen bereits mittelbar dem sächsischen Polizeigesetz entgenommen werden könne1122. Selbst wenn man in diesem Punkt anderer Auffassung ist, wäre im Hinblick auf die vom SächsVerfGH behauptete Regelungslücke in § 39 SächsPolG diese durch eine durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesteuerte restriktive Auslegung der bestehenden Ermächtigungsgrundlagen zu schließen (hierzu 4. Teil 2. Kapitel). Angesichts der hohen gesetzlichen Anforderungen wie auch des hier zu beachtenden Übermaßverbots dürften weitere Regelungen zum Schutz der Vertrauensverhältnisse nicht erforderlich sein. Bedeutsam wird in diesem Zusammenhang zusätzlich, dass das im Gegensatz zum Strafprozessrecht vom Opportunitätsprinzip beherrschte Polizeirecht ausreichende Handhaben bietet, der Schutzwürdigkeit der Vertrauensverhältnisse unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Ermessensausübung in elastischer Weise Rechnung zu tragen1123. Dies lässt eine angemessene Reaktion auf Besonderheiten des konkreten Einzelfalls zu1124. So ist ein Eingriff in Vertrauensverhältnisse nachrangig gegenüber einem (ebenso wirksamen) Eingriff, durch den Vertrauensverhältnisse nicht berührt werden1125. dd) Die Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts liefe nur auf eine Wiederholung dessen hinaus, was sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt Der vom SächsVerfGH erhobenen Forderung nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung des polizeilichen Eingriffes in Vertrauensverhältnisse ist im Schrifttum zu Recht entgegengehalten worden, eine positivgesetzliche, dem Schutz dieser Vertrauensverhältnisse dienende Normierung, die auf das Erfordernis einer Abwägung zwischen dem Aspekt der Gefahrenabwehr und dem Schutz von Vertrauensverhältnissen hinwiese, liefe nur auf eine Wiederholung dessen hinaus, was sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebe,1126 der unabhängig von seiner positivgesetzlichen Normierung als ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips schon kraft Verfassungsrechts gilt1127. W.-R. Schenke weist zu Recht auch darauf 1121 1122 1123 1124 1125 1126 1127
Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 252. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; ebenso schon Ruthig, JuS 1998, 506, 515. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398. Schenke, Polizeirecht, Rn. 331.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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hin, „das vom SächsVerfGH aufgestellte Postulat einer gesetzgeberischen Regelung des Schutzes solcher Vertrauensverhältnisse würde die Normenflut, welche die neue datenschutzrechtliche Regelung ohnehin bereits kennzeichnet, nur noch weiter vergrößern“1128. Ein echter rechtsstaatlicher Fortschritt sei damit nicht verbunden1129. ee) Einer weiteren tatbestandlichen Ausdifferenzierung stünde die Vielgestaltigkeit der einzelnen Vertrauensverhältnisse entgegen Das Bestimmtheitsgebot als die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Vorbehalts des Gesetzes1130 verpflichtet den Gesetzgeber, die zu Grundrechtseingriffen ermächtigenden Gesetze so zu fassen, dass der potentiell Betroffenen ebenso wie der Rechtsanwender Inhalt und Grenzen der Ermächtigung erkennen kann1131. Das Gesetz selbst muss die Eingriffsvoraussetzungen bestimmen und darf dies nicht den mit dem Gesetzesvollzug betrauten Behörden überlassen1132. Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, richtet sich maßgeblich nach dessen Grundrechtsbezug1133. „Je intensiver der mögliche Grundrechtseingriff ist, zu dem die Norm ermächtigt, desto höhere Anforderungen sind an den Gesetzgeber gestellt, Art und Umfang des Eingriffs an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen“1134. Zwischen der Intensität eines Grundrechtseingriffes und dem Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung besteht so eine Wechselbeziehung 1135. Kommt es für die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm entscheidend auf die Tiefe des Grundrechtseingriffs an und erweitert sich der Kreis der betroffenen Grundrechte, sofern heimliche Informationseingriffe besondere, grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse tangieren, liegt es nahe, den Gesetzgeber für die Auflösung entsprechender Konfliktlagen zu verpflichten1136. Auch in diesem Zusammenhang ist freilich im Auge zu behalten, dass sich von dem Gesetzgeber keine normativen Detailregelungen verlangen lassen1137. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nur im Rahmen des gesetzestechnisch verständigerweise Machbaren zu einer tatbestandlichen Ausdifferenzierung gehalten und darf im Übrigen allgemeine Formulierungen oder unbestimmte Rechtsbegriffe wie z. B. „Erforderlichkeit“ des 1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134 1135 1136 1137
17 Son
Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398. BVerfGE 58, 257, 278. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Vgl. BVerfGE 83, 130, 142. BVerfGE 56, 1, 13 ; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 274. BVerfGE 56, 1, 13 ; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Eingriffs verwenden1138. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wird bisweilen wegen der Vielgestaltigkeit des Lebens und der daraus folgenden Vielfalt der staatlichen Aufgaben als geradezu verfassungsrechtlich geboten angesehen1139. Eine Wechselbeziehung besteht damit auch zwischen der Bestimmtheit der Regelung und der Vielgestaltigkeit des zu ordnenden Lebenssachverhalts1140. Ist eine hochgradig konkrete Regelung nicht mehr geeignet, der Vielgestaltigkeit des zu regelnden Sachverhaltes Rechnung zu tragen, kann sich der Gesetzgeber dann mit einer abstrakteren Regelung begnügen1141. ff) Die Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr als Grenze einer Übernormierung Weitere Grenzen der Anforderungen an das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit lassen sich im Polizeirecht aber auch aus der Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr ableiten1142. Ihr kommt über die Schutzpflichtdimension der Grundrechte selbst Verfassungsrang zu. Die Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr verpflichtet den Staat zu einem effektiven Schutz der Grundrechte seiner Bürger vor Drittgefährdungen1143. Wegen der Vielgestaltigkeit der abzuwehrenden Gefahren kommt dabei gerade im Polizeirecht dem Aspekt der Flexibilität in der Reaktion besondere Bedeutung zu1144. Ein Polizeirecht, das mit unübersichtlichen und überdetaillierten Eingriffsermächtigungen „vollzugsunfreundlich“ ist, wäre leicht mit der Gefahr verbunden, die dem Staat obliegende Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht oder nur noch unvollkommen zu erfüllen1145. Die Beurteilung der konkreten Fälle, in denen ein polizeiliches Einschreiten in Betracht käme, hängt jedenfalls derart von den Umständen des Einzelfalles ab, „dass dem Gesetzgeber gar keine andere Wahl bliebe, als die Abwägungsentscheidung trotz einer gewissen normativen Steuerung des Abwägungsprozesses letzten Endes doch in die Hände der Behörde zu legen“1146. Hier ergibt sich aus der Effektivität der polizeilichen Gefahrenabwehr die Forderung, den Gefahrenabwehrbehörden noch genügend Spielraum für eine effektive Gefahrenbekämpfung zu belassen1147. 1138 1139
BVerfGE 56, 1, 13 ; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456. BVerfGE 8, 274, 326; 49, 168, 181; 56, 1, 12; Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216,
243. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. 1142 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 550. 1143 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 550. 1144 Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 243. 1145 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 550; s. auch Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 1146 Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 1147 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 550; Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 249. 1140 1141
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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III. Verfahrensrechtliche Vorkehrungen 1. Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung Damit die Grundrechte ihre Funktion in der sozialen Wirklichkeit erfüllen können, bedarf es nach gefestigter Rechtsprechung der Verfassungsgerichte nicht nur inhaltlicher Normierungen, sondern auch geeigneter Organisationsformen und Verfahrensregelungen1148. Grundrechte wirken sich nicht allein auf das materielle Recht aus, sondern enthalten auch Garantien für das Verwaltungsverfahren, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz bedeutsam wird1149. Die subjektive Rechtsqualität der Freiheitsgrundrechte erfordert verfahrensrechtliche Vorkehrungen, um dem Grundrechtsinhaber eine Rechtsmacht einzuräumen, die es ihm erlaubt, sich gegenüber einer möglichen Grundrechtsverletzung zu wehren1150. Auf diesen den Grundrechten immanenten status activus processualis hat das BVerfG bereits im Mülheim-Kärlich-Beschluss vom 20. 12. 19791151 hingewiesen1152. Er gehört seitdem zum anerkannten grundrechtlichen Standard1153. Dabei kommt es für das Ausmaß verfahrensrechtlicher Garantien auf die Art und Intensität des Grundrechtseingriffs an und erlangen diese um so größere Bedeutung, je geringer der nachträgliche Rechtsschutz durch die Gerichte gewährleistet ist1154. „Ob und inwieweit verfahrensrechtliche Garantien erforderlich sind, richtet sich zum einen nach der Art und Intensität des Grundrechtseingriffs, zum anderen danach, inwieweit der Grundrechtsschutz durch die nachträgliche Kontrolle der Gerichte gewährleistet ist“1155. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinflusst nicht allein die Ausgestaltung des materiellen Rechts, sondern setzt – wie alle Grundrechte – zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung1156. Dabei ist prozeduraler Grundrechtsschutz vor allem dann geboten, wenn eine gerichtliche Ergebniskontrolle an materiellen Maßstäben zwar noch möglich ist, aber erst zu einem Zeitpunkt stattfinden kann, in dem etwaige Grundrechtsverletzungen kaum mehr korrigierbar sind1157. Dies hat um so mehr 1148 Vgl. BVerfGE 53, 30, 65; 63, 131, 143; 65, 1, 44; 69, 315, 355; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 1149 Vgl. BVerfGE 53, 30, 65; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 1150 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. 1151 Vgl. BVerfGE 53, 30 (57, 65 ff.). 1152 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. 1153 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. 1154 BVerfGE 84, 34, 46; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. 1155 BVerfGE 84, 34, 46; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 1156 BVerfGE 65, 1, 44 f.; 69, 315, 355; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. 1157 BVerfGE 90, 60, 96; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455.
17*
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
dann zu gelten, wenn ein nachträglicher Rechtsschutz durch die Gerichte regelmäßig oder doch ganz überwiegend nicht denkbar ist, z. B. da die staatliche Maßnahme dem betroffenen Grundrechtsträger rechtlich oder doch jedenfalls faktisch in aller Regel verborgen bleibt und ihm auch nicht notwendig nachträglich bekannt zu machen ist1158. Den Anforderungen an das Verfahren kommt daher bei der heimlichen Erhebung personenbezogener Daten eine besondere Bedeutung zu1159. Die herkömmlichen Schutzmechanismen, z. B. die vorherige Anhörung und die Möglichkeit vorbeugenden oder zumindest gleichzeitigen Rechtsschutzes, versagen hier1160. Insbesondere das Recht auf Anhörung des Betroffenen, also das Recht des Betroffenen, vor Entscheidungen, die seine Grundrechtspositionen betreffen, angehört zu werden, gehört grundsätzlich zum Kern eines grundrechtsgemäßen und rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens1161. Die Betroffenen müssen rechtzeitig über den Verfahrensstand informiert werden und die Möglichkeit haben, ihre Interessen und ihre Sichtweise zur Geltung zu bringen, bevor eine Entscheidung getroffen wird1162. Bei der heimlichen Datenerhebung muss jedoch der staatliche Eingriff den Betroffenen jedenfalls zunächst regelmäßig verborgen bleiben, sofern sich die staatlichen Maßnahmen effektiv durchführen lassen sollen1163. Damit aber fallen die mit einem staatlichem Eingriffshandeln verbundenen Garantien eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens weitgehend aus1164. Soweit die Polizei durch Mittel heimlicher Datenerhebung handelt, können verfahrensrechtliche Garantien, die für offene Verwaltungsverfahren entwickelt wurden, nicht in gleicher Weise für die verdeckten Verfahren zur Anwendung kommen1165. Bei verdecktem polizeilichen Handeln bedarf es deshalb besonderer verfahrensmäßiger Vorkehrungen, um einen angemessenen Grundrechtsschutz sicherzustellen1166. Das Grundrecht fordert, zumal bei verdeckten Eingriffen, eine besondere Ausgestaltung des Verfahrens, um die Grundrechtsbeeinträchtigung normativ zu begrenzen und den Belangen des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen1167. Dem dienen nicht zuletzt Regelungen über die Anordnungskompetenz und über die nachträgliche Unterrichtung des Betroffenen1168. Auch insoweit hat der GeSächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 1160 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 1161 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 1162 BVerfGE 84, 59, 72; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; Grimm, NVwZ 1985, 865, 869. 1163 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 1164 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963. 1165 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. 1166 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 963; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. 1167 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 465. 1168 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 465. 1158 1159
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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setzgeber freilich einen erheblichen Gestaltungsspielraum, bei dem sowohl die Interessen des Betroffenen als auch schutzwürdige Rechtspositionen Dritter und öffentliche Belange berücksichtigt werden können1169. Bei der Umsetzung der Verfahrensanforderungen kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu1170. Die Hervorhebung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Statuierung von Kontrollmechanismen ist aus der Warte des informationellen Selbstbestimmungsrechts nicht zu beanstanden1171. Der Gesetzgeber muss aber dem verfahrensrechtlich zu fordern Mindestmaß an Grundrechtsschutz genügen1172. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist danach begrenzt durch die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung der Mindestanforderungen von Verfahrensgarantien zugunsten des Betroffenen1173.
2. Richter- und Behördenleitervorbehalte a) Sog. Behördenleitervorbehalte Bei der Datenerhebung mit besonderen Mitteln werden vielfach besondere verfahrenrechtliche Anforderungen postuliert1174. Nach § 22 VI 1 BWPolG darf der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung, ausgenommen der verdeckte Einsatz technischer Mittel, lediglich vom Leiter des Landeskriminalamtes, der Wasserschutzpolizeidirektion, einer Landespolizeidirektion, eines Polizeipräsidiums, einer Polizeidirektion oder eines Abschnittes angeordnet werden. Die Leiter des Landeskriminalamtes, der Wasserschutzpolizeidirektion und der Landespolizeidirektionen können die Anordnungsbefugnis auf besonders beauftragte Polizeibeamte des höheren Dienstes übertragen (§ 22 VI 2 BWPolG). Damit bedürfen die längerfristige Observation und der Einsatz Verdeckter Ermittler der Anordnung des Leiters (Behördenleitervorbehalt) einer der in § 22 VI BWPolG1175 genannten Polizeidienststellen oder Polizeibehörden, soweit dieser seine Anordnungsbefugnis nicht delegiert hat1176. Fehlt es an der nach § 8c I 3 VEMEPolG bzw. § 22 VI BWPolG (außer bei Gefahr im Verzug) erforderlichen Anordnung durch den Behördenleiter / Leiter der Dienststelle bzw. Polizeipräsidenten oder durch einen von BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. 1171 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 1172 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. 1173 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. 1174 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 190. 1175 Vgl. z. B. § 22 VI BWPolG; §§ 32 II 1, 34 II, 35 IV BrandPolG; § 30 BremPolG; §§ 15 II, 16 V, 17 IV HSOG; §§ 16 II, 17 III, 18 III, 19 II, 20 IV NWPolG; § 39 IV 1 SächsPolG. Zu den Behördenleitervorbehalten im neuen Polizeirecht Lisken / Mokros, NVwZ 1991, 609, 612 ff.; Lisken, in: Lisken / Denninger, Kap. K, Rn. 52; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304; BbgVerfG, LKV 450, 455. 1176 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 613. 1169 1170
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
diesen besonders beauftragten Polizeibeamten, ist z. B. die längerfristige Observation aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig1177. Bei Gefahr im Verzug,1178 wenn also zur Verhinderung eines Schadens sofort eingegriffen werden muss und die Effektivität der Gefahrenbekämpfung durch Einholen der nach § 8c I 3 VEMEPolG bzw. § 22 VI BWPolG grundsätzlich erforderlichen Anordnung durch den Behördenleiter / Leiter der Dienststelle bzw. Polizeipräsidenten oder durch einen von diesen besonders beauftragten Polizeibeamten in Frage gestellt oder jedenfalls eingeschränkt würde, besteht eine Eilkompetenz der Polizei. Der Begriff „Gefahr im Verzug“, wie das BVerfG1179 bezüglich einer Durchsuchung zutreffend betont hat, ist aber sehr restriktiv auszulegen1180. Auslegung und Anwendung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterliegen einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, die bei der Annahme von Gefahr im Verzug voraussetzt, dass sowohl das Ergebnis als auch die Grundlagen der Entscheidung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Observation in den Akten dargelegt werden1181. Für die polizeiliche Beobachtung nach § 25 BWPolG ist auch bestimmt, dass sie nur vom Leiter oder einem von ihm besonders beauftragten Polizeibeamten des höheren Dienstes des Landeskriminalamtes angeordnet werden kann. Die Anordnung ergeht schriftlich und ist zu begründen; sie ist auf höchstens 12 Monate zu befristen. Verlängerungen bis zu jeweils 12 Monaten sind zulässig; hierzu bedarf es jeweils einer neuen Anordnung (§ 25 II BWPolG). Für die Anordnung einer Rasterfahndung besteht ferner ein sog. qualifizierter Behördenleitervorbehalt1182. Nach § 40 III 1 BWPolG darf die Rasterfahndung nur durch die in § 22 VI BWPolG genannten Personen mit Zustimmung des Innenministeriums angeordnet werden. Die oben genannten Regelungen der §§ 22 VI, 25 II, 40 III 1 BWPolG genügen hier dem verfassungsrechtlich Gebotenen. Die Kompetenz zur Anordnung von heimlichen Eingriffen hat der baden-württembergische Gesetzgeber auf Stellen übertragen, die Distanz zu der Polizeiaktion haben und eine hinreichende Gewähr für die unvoreingenommene Berücksichtigung der Belange des Betroffenen bieten1183. Die Entscheidung bei heimlichen Maßnahmen ist den unmittelbar mit der Sache betrauten Beamten, denen die notwendige Distanz für eine objektive Bewertung fehlen könnte, entzogen und auf eine höhere Verwaltungsebene verlagert, die in hinreichendem Maße auch die schützenswerten Belange des Betroffenen einzubeziehen geeignet ist1184. Durch die Verlagerung der Einsatzentscheidung auf eine 1177 1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184
Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 174. Vgl. hierzu Schenke, Polizeirecht, Rn. 78. BVerfG, NJW 2001, 1121 ff. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 156, 174. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 156. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 672. Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
263
höhere Verwaltungsebene – wenn auch unter Delegationsvorbehalt – wird gewährleistet, dass diese Entscheidung von Amtswaltern mit größerer Erfahrung und der erforderlichen Distanz zum Einzelfall getroffen wird1185. Die Bedenken, den Behördenleitern fehle die erforderliche Objektivität, greifen verfassungsrechtlich nicht durch1186. Die Regelungen der §§ 22 VI, 25 II, 40 III 1 BWPolG bewirken, dass ein besonders geschulter Dienststellenleiter – der wie jeder Angehörige der Exekutive an Recht und Gesetz gebunden ist – vor dem Einsatz prüft, ob die materiellen und formellen Voraussetzungen für den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung bestehen1187.
b) Grundsätzlicher Richtervorbehalt beim sog. „Großen Lauschangriff“ Nach § 23 II BWPolG unterfällt der Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen ausdrücklich einem Richtervorbehalt1188. Die Maßnahme bedarf – außer bei Gefahr im Verzug – der Anordnung durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Maßnahme durchgeführt werden soll. Das Erfordernis dieser richterlichen Anordnung ergibt sich aus Art. 13 Abs. 4 Satz 1 GG1189. Nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 GG kann die Maßnahme bei Gefahr im Verzug auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Eine Ausnahme vom Richtervorbehalt normiert Art. 13 Abs. 5 Satz 1 GG für den Fall, dass technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen sind („Kleiner Lauschangriff“)1190. In Verbindung mit dem Richtervorbehalt stellt sich die Frage, ob der Richter vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsprinzips überhaupt (mit-)entscheiden darf1191. Gegen den Richtervorbehalt könnten Bedenken insbesondere wegen der fehlenden Konzentration der Entscheidung auf einen mit den genuin verwaltungsrechtlichen Vorgängen hinreichend vertrauten und entsprechend spezialisierten Richter oder Spruchköper hinsichtlich der Effektivität des polizeilichen Einsatzes zur Datenerhebung erhoben werden1192. Die richterliche Kontrolle kann weder das Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. Vgl. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 1187 Vgl. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 1188 § 23 BWPolG; Art. 34 II BayPAG; § 25 V BerlASOG; §§ 33 V 1, 36 III 1 BrandPolG; § 33 III 1 BremPolG; § 10 III HambPolDVG; § 15 V HSOG; § 34 III MVSOG; § 35 IV NdsSOG; § 18 III NWPolG; § 25b I 2 i.V. m. § 21 I RhPfPOG; § 28 IV SaarlPolG; § 17 V SachsAnhSOG; § 39 IV 2 SächsPolG; § 186 I 1 SchlHVwG; § 35 II 1 ThürPAG. 1189 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 623. 1190 Schenke, Polizeirecht, Rn. 192. 1191 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 578. 1192 Vgl. Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, 1993, 187 ff.; auch der SächsVerfGH (JZ 1996, 957, 964) sieht diese Bedenken gegen den Richtervorbehalt, betrachtet sie jedoch bei „geeigneter Ausgestaltung dieses Instituts“ als überwindbar. 1185 1186
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
prognostische Urteil über das Gelingen des Polizeieinsatzes ersetzen noch der Polizei die Verantwortung für diesen Einsatz abnehmen1193. Die richterliche Anordnung wird regelmäßig ohne die Garantie rechtlichen Gehörs ergehen, also notwendig einseitig auf der Schilderung des Sachverhalts durch die Polizei beruhen1194. Die Einschaltung des Richters kann aber der Verhinderung einer Fehlinterpretation der Rechtslage und damit einer rechtswidrigen Entscheidung der Polizei dienen1195. Auch vermag die richterliche Kontrolle wegen der Unabhängigkeit des Richters zum Grundrechtsschutz des betroffenen Bürgers beizutragen1196. Schwierig zu beantworten ist die Frage, ob es bei einer richterlichen Anordnung von heimlich durchgeführten polizeirechtlichen Maßnahmen noch (bei bestehendem berechtigtem Interesse)1197 eines gerichtlichen Rechtsschutzes bedarf, mit dem sich nachträglich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen lässt1198. Da die richterliche Anordnung gem. Art. 13 Abs. 4 GG nicht den Erfordernissen eines gerichtlichen Rechtsschutzes i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG genügt, da sie ohne Kenntnis des Betroffenen ergeht und damit wesentliche Garantien eines gerichtlichen Verfahrens (insbesondere der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Grundsatz des rechtlichen Gehörs) insoweit zunächst nicht eingehalten werden können, spricht viel für die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahme1199. Geboten ist sie jedenfalls dort, wo erst der einfache Gesetzgeber einen Richtervorbehalt eingefügt hat, weil hier schon von vornherein die (ohnehin höchst problematische) Möglichkeit nicht in Betracht kommt, die VorVgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 578. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 578. 1195 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 578. 1196 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 578. 1197 Bei durch die Polizei- und Ordnungsbehörden heimlich getroffenen Maßnahmen ist die Einräumung nachträglichen Rechtsschutzes von erheblicher Bedeutung, der durch eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage (§ 43 VwGO) gewährleistet wird. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage gem. § 43 VwGO setzt das Bestehen eines berechtigten Interesses an der begehrten Feststellung voraus. Der Begriff des berechtigten Interesses ist bei § 43 VwGO genauso zu interpretieren wie bei einer Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts in direkter oder analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO. Das berechtigte Interesse ist daher bei Gefahr der Wiederholung des Realakts, bei diskriminierendem Charakter sowie dann, wenn dieser sich typischerweise kurzfristig erledigt, zu bejahen. Bei gegenüber dem Betroffenen zunächst heimlich vorgenommenen Realakten ist ebenso ein berechtigtes Interesse zu befürworten. Selbst wenn sich solche Realakte nicht ohnehin bereits kurzfristig erledigen, haben sie sich jedenfalls dann, wenn sie dem Betroffenen nachträglich bekannt gemacht werden (z. B. bei einer über einen längeren Zeittraum andauernden heimlichen Observation), bereits in dem Sinn erledigt, dass die sich hieraus ergebenden Beeinträchtigungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Ohne Bejahung eines berechtigten Interesses könnten sie daher nicht gerichtlich überprüft werden. Vgl. hierzu näher Schenke, Polizeirecht, Rn. 669; ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 579 ff. 1198 Schenke, Polizeirecht, Rn. 192. 1199 Vgl. hierzu näher Wolter, DÖV 1997, 939, 945 ff. 1193 1194
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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schrift des Art. 19 Abs. 4 GG durch eine speziellere verfassungsgesetzliche Regelung des Richtervorbehalts als verdrängt anzusehen1200. Selbst wenn man einen gerichtlichen Rechtsschutz gegen heimlich erfolgte richterliche Anordnungen als nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG garantiert betrachtet, muss jedenfalls wegen Art. 103 Abs. 1 GG die Möglichkeit nachträglichen rechtlichen Gehörs eröffnet sein und für das Gericht die Befugnis bestehen, seine vorherige Entscheidung zu korrigieren und zumindest die Rechtswidrigkeit der früheren Anordnung feststellen zu lassen1201. c) Bedarf es auch für heimliche Informationseingriffe nach den §§ 22, 25, 40 BWPolG einer Anordnung des Richters? Es erscheint zweifelhaft, ob eine richterliche Anordnung über den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen (§ 23 BWPolG) hinaus auch in weiteren Fällen verfassungsrechtlich geboten ist, etwa für den sonstigen Einsatz technischer Mittel (§ 22 I Nr. 2 BWPolG), den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 22 I Nr. 3 BWPolG), die polizeiliche Beobachtung (§ 25 BWPolG) oder die sog. Rasterfahndung (§ 40 BWPolG)1202. Ein Richtervorbehalt lässt sich in diesen Fällen nicht aus der Verfassung herleiten1203. Bei der Durchsuchung von Wohnungen (Art. 13 Abs. 2 GG), der Überwachung von Wohnungen (Art. 13 Abs. 4, Abs. 4 GG) und der Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) ist der Richtvorbehalt ausdrücklich durch Verfassungsnormen vorgeschrieben. Dies bedeutet, dass die Verfassungsnormen den Grundsatz durchbrechen, dass der Richter die Exekutive erst nachträglich und auf Anrufung kontrolliert1204. Primärzuständigkeiten des Richters stellen Ausnahmen im Polizeirecht dar. Die Verfassung gebietet nicht, diese Ausnahmen über die verfassungsgesetzlich ausdrücklich geregelten Konstellationen hinaus zu verallgemeinern1205. Es obliegt vielmehr in erster Linie dem Gesetzgeber, den Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verfahrens zu bewirken1206. Dem Gesetzgeber seht es frei, die ihm geeignet erscheinende Form zu wählen, wenn sie nur hinreichend wirksam ist. Bei der Statuierung von Kontrollmechanismen kommt dem Gesetzgeber ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu. Die oben genannten Regelungen des baden-württembergischen Polizeigesetzes wären nur dann mit der Verfassung nicht vereinbar, wenn der Verzicht auf eine richterliche Schenke, Polizeirecht, Rn. 192. Schenke, Polizeirecht, Rn. 192. 1202 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 576; zu Richter- und Behördenleitervorbehalten im neuen Polizeirecht Lisken / Mokros, NVwZ 1991, 609 ff.; Lisken, NWVBl. 1990, 325; Gusy, GA 1999, 319, 329 f.; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. 1203 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. 1204 BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 1205 BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 1206 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 577. 1200 1201
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Anordnung einen effektiven Rechtsschutz oder die Verwirklichung von Grundrechten vereiteln würde1207. Davon kann man jedoch nicht ausgehen. Hier stellt sich auch die Frage, ob es – in Anlehnung an das Urteil des SächsVerfGH – geboten ist, die Anordnungskompetenz auf den zuständigen Minister zu übertragen1208. Zwingende Gründe dafür, die Anordnungskompetenz generell einer Behörde mit größerer Distanz als dem Behördenleiter, etwa z. B. dem zuständigen Minister, dem Datenschutzbeauftragten oder der Staatsanwaltschaft, vorzubehalten oder sie in anderer Weise an eine übergeordnete Behörde anzubinden, sind – wie das BbgVerfG richtig erkennt – der Verfassung nicht zu entnehmen1209. Ein Minister- oder Richtervorbehalt bietet sich hingegen nach Ansicht des SächsVerfGH als Kompensationsmöglichkeit der aus der fehlenden Beteiligung der Betroffenen an dem Verwaltungsverfahren resultierenden Kontrolldefizite an1210. Nach der vom SächsVerfGH als ungenügend empfundenen Regelung der Anordnungskompetenz in § 39 SächsPolG bestand – anders als nach dem baden-württembergischen Polizeigesetz – keine Unterrichtungspflicht des Betroffenen und damit keine effektive Möglichkeit zumindest nachträglichen Rechtsschutzes1211. Eine Beteiligung der Betroffenen war bei den heimlichen Informationseingriffen nicht möglich. Daher hat der SächsVerfGH zu Recht die verfassungsrechtliche Notwendigkeit betont, die aus der mangelnden Beteiligung der Betroffenen an dem Verwaltungsverfahren resultierenden Kontrolldefizite auf andere Weise zu kompensieren1212. Nach Ansicht des SächsVerfGH sei dabei der Gesetzgeber nicht gehindert, über die in Verbindung mit § 39 SächsPolG nur nicht ausreichende Verlagerung der Einsatzentscheidung auf eine höhere Verwaltungsebene hinausreichend eine andere Lösung, z. B. einen (verfassungsrechtlich aber nicht zwingend vorgeschriebenen) Richtervorbehalt oder einen Ministervorbehalt, die Zustimmung durch eine kompetenziell entsprechend ausgestattete, sachnahe Behörde mit hinreichender Unabhängigkeit, wie z. B. den Datenschutzbeauftragten oder bestimmte Abteilung der Staatsanwaltschaft, die auf die Bekämpfung organisierter Kriminalität konzentriert sind, vorzusehen1213. Da der von einem heimlichen Eingriff Betroffene selbst am verdeckten Verwaltungsverfahren nicht teilnehmen könne, müssten hier seine grundrechtlich geschützten Interessen möglichst von unabhängigen Dritten vor der Entscheidung über einen Grundrechtseingriff zur Geltung zu bringen sein1214. Zur Kompensation des unvermeidlichen Rechtsschutzdefizits sah der SächsVerfGH eine Höherstufung der Entscheidungskompetenz durch die 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214
So auch Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 577. Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Einführung von Minister- oder Richtervorbehalten als geboten. Die baden-württembergische Regelung ist aber in mehrfacher Hinsicht grundrechtssensibler und sieht deutlich höhere Schutzvorkehrungen vor1215.
3. Nachträgliche Benachrichtigungspflicht bei heimlichen Grundrechtseingriffen Die Verfassung gebietet, dass eine Benachrichtigung stattfindet, wenn personenbezogene Daten „heimlich“ erhoben worden sind1216. Mögen heimliche Informationseingriffe aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr auch oftmals statthaft sein, ist ihre nachträgliche Offenlegung doch nicht nur wegen des informationellen Selbstbestimmungsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich erforderlich1217. Erst die Benachrichtigung von dem verdeckten Grundrechtseingriff ermöglicht es dem Betroffenen, die Unrechtmäßigkeit der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten sowie etwaige Rechte auf Berichtigung oder Löschung geltend zu machen1218.
a) Das Recht auf Auskunft (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 19 Abs. 4 GG) Das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewährleistet nicht nur das Recht, auf Nachfrage eine Auskunft zu erhalten, sondern darüber hinaus, Kenntnis von einer heimlichen Datenerhebung zu erlangen1219. Der Betroffene hat ein grundrechtlich verbürgtes Recht darauf, jedenfalls zu erfahren, dass, warum, wann und wo Daten über ihn mit technischen Mitteln erhoben worden sind1220. Mit Erlass des Volkszählungsurteils des BVerfG von 1983 mehren sich die Stimmen in der Literatur, die zur Begründung eines Auskunftsanspruchs das informationelle Selbstbestimmungsrecht als einen Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG heranzuziehen1221. Bäumler entnimmt der Ablehnung des BVerfG einer Gesellschaftsordnung und einer diese ermög1215
Siehe zur entsprechenden brandenburgischen Regelung BbgVerfG, LKV 1999, 450,
455. Vgl. BVerfGE 100, 313, 361; MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 689; Schenke, Polizeirecht, Rn. 188 u. 220; ders., DVBl. 1996, 1393, 1395; Deutsch, S. 17 ff.; Staff, ZRP 1992, 384, 386; Lisken, DRiZ 1987, 184, 188; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964 f.; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; a.A. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 1218 Vgl. BVerfGE 100, 313, 361; MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. 1219 MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. 1220 MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. 1221 Zur Ableitung eines Auskunftsanspruchs siehe auch Deutsch, S. 21 ff. 1216 1217
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
lichenden Rechtsordnung, in der Bürger nicht mehr wissen könnten, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie wisse,1222 dass dem informationellen Selbstbestimmungsrecht auch ein Auskunftsanspruch immanent sei1223. Für Baumann ergibt sich aus diesem Recht ein Anspruch des Bürgers auf Auskunft über die Rechtsgrundlage der Datenerhebung, auf den Zweck der Verwendung und auf eventuelle Übermittlungsempfänger sowie hinsichtlich der über den Betroffenen gespeicherten Daten und deren Herkunft1224. Kowalczyk leitet ein derartiges positives Statusrecht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab1225. Auch das BVerfG verlangt im Volkszählungsurteil unter Hinweis auf u. a. den Mülheim-Kärlich-Beschluss1226 besondere organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und erwähnt insoweit Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten als verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen1227. Der Auskunftsanspruch ist zugleich ein Gebot des Art. 19 Abs. 4 GG. Eine gerichtliche Kontrolle der Überwachungsmaßnahme auf Veranlassung des Betroffenen ist lediglich denkbar, nachdem dieser über die Maßnahme informiert worden ist; erst dann kann er die Rechtsschutzinitiative, wie sie ihm bei offenen Grundrechtseingriffen ohne weiteres offen steht, entfalten1228. Ein Anspruch des Betroffenen auf Erteilung einer Auskunft lässt sich insoweit auch aus dem in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebot der Rechtsschutzeffektivität1229 ableiten1230. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das Recht auf formalen Zugang zu den Gerichten, sondern auch den Anspruch des Einzelnen auf Erlangung effektiven Rechtsschutzes1231. Darunter fällt, „dass dem Betroffenen das Beschreiten des Rechtsweges nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf, und dass die faktischen Vorbedingungen zur Erlangung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gegeben sein müssen“1232. Damit Vgl. BVerfGE 65, 1, 43. Bäumler, NVwZ 1988, 199; siehe auch Schatzschneider, NVwZ 1988, 223; Riegel, DVBl. 1985, 765, 772; Schwan, DVR 1985, 257, 280. 1224 Baumann, DVBl. 1984, 612, 618. 1225 Kowalczyk, Datenschutz im Polizeirecht, 75. 1226 BVerfGE 53, 30 ff. 1227 BVerfGE 65, 1, 44, 46. Vgl. Deutsch, S. 22 – 23. 1228 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 354; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964 – 965; ebenso schon Deutsch, S. 25. 1229 Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur irgendeine Form von Rechtsschutz, in ihm ist nach h. M. auch das Gebot der Rechtsschutzeffektivität verankert. Vgl. BVerfGE 35, 382, 401; 40, 95, 98; 51, 268, 284 f.; 55, 349, 369; 65, 1, 70; Schenke, in: BK (Zweitbearb.), Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 383 m. w. N; kritisch Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, 150 f.; ders., AöR Bd. 105 (1980), 623, 638 ff. Vgl. hierzu Deutsch, S. 24. 1230 Deutsch, S. 25. 1231 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 966. 1232 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 966. 1222 1223
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ein Bürger aber tatsächlich Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG erlangen kann, bedarf es der Information über eine gegen ihn gerichtete polizeiliche Maßnahme1233. Hieran mangelt es regelmäßig – außer in den Fällen zufälliger Kenntniserlangung – bei heimlichen Eingriffsmaßnahmen, die dem Betroffenen auch nachträglich nicht mitgeteilt werden müssen1234. Durch die Geheimhaltung wird ein effektiver, auf Unterbleiben oder Abbruch der polizeilichen Überwachungsmaßnahme oder Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit gerichteter Rechtsschutz, der über eine allgemeine Leistungsklage (§ 40 i.V. m. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO) oder eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage (§ 43 VwGO) gewährt wird, faktisch erheblich erschwert1235. Der durch eine Überwachungsmaßnahme Betroffene kann sich damit auf einen durchsetzbaren, nicht im Ermessen der Verwaltung stehenden Anspruch auf Offenlegung des Eingriffs berufen, weil nur auf diese Weise ein dem offenen Grundrechtseingriff entsprechender Rechtsschutzinitiativeffekt ausgelöst wird1236. Der Ableitung eines Auskunftsanspruchs aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist aber im Schrifttum mit dem Argument entgegengetreten worden, Art. 19 abs. 4 GG gebe keine Garantie für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes1237. Zwar begründet diese Vorschrift keine subjektiven Rechte, sondern setzt sie voraus1238. Anderes muss aber dort angenommen werden, wo es um materiellrechtliche Hilfsrechte geht, die eine Voraussetzung für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz des Bürgers vor subjektiven Rechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt darstellen1239. Ohne diese Öffnung des Art. 19 Abs. 4 GG zum materiellen Recht würden das prozessuale Hauptgrundrecht und das in ihm angelegte Gebot der Rechtsschutzeffektivität zu substantiellen Schwächen führen1240. Daher erfordert dieses grundsätzlich gleichfalls eine Benachrichtigung des Betroffenen in Bezug auf für ihn sonst nicht ersichtliche Grundrechtseingriffe1241.
SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 966. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 966. 1235 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 966. 1236 Vgl. Deutsch, S. 25; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964 – 965; MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. 1237 Vgl. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, 258. 1238 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395; ders., in: BK (Zweitb.), Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 287 ff. 1239 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395 1240 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 1241 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 1233 1234
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
b) Benachrichtigungspflicht nach Abschluss heimlich getroffener Maßnahmen nach den §§ 22 ff. BWPolG Angesichts der Heimlichkeit der Datenerhebungsmaßnahmen nach den §§ 22 ff. BWPolG ist, worauf der SächsVerfGH zu Recht hinweist, ein Auskunftsrecht ohne eine entsprechende Pflicht der Polizeibehörde zur Benachrichtigung über die erfolgten Informationseingriffe in seiner Wirksamkeit entscheidend begrenzt1242. Als Voraussetzung für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sei in Vorwirkung des Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich die nachträgliche staatliche Offenlegung des heimlichen Informationseingriffs geboten, da nur auf diese Weise ein dem offenen Grundrechtseingriff vergleichbarer Rechtsschutzinitiativeffekt erreicht wird1243. Das Fehlen einer nachträglichen Benachrichtigung beim Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung verstößt gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG1244. Der besonders tiefe Eingriff, wie er durch eine heimliche Datenerhebung begründet wird, löst aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zwingend die Verpflichtung des Staates aus, den heimlichen Eingriff nachträglich den Betroffenen offenzulegen. Es ist ein elementares Recht des Einzelnen, zu erfahren, dass und warum eine derartige einschneidende Maßnahme gegen ihn ergriffen wurde1245. Dem entspricht die in den §§ 22 VIII, 23 IV, 25 IV BWPolG angeordnete Benachrichtigungspflicht 1246. Im Hinblick auf die zunächst erfolgte Heimlichkeit des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, den Betroffenen jedenfalls dann, wenn der Zweck des heimlichen Grundrechtseingriffs dadurch nicht mehr gefährdet wird, über den Grundrechtseingriff zu informieren und ihm damit wenigstens nachträglich die Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsschutzes zu eröffnen1247. Dies bedeutet nicht, dass die Polizei alle Einzelheiten ihres Polizeieinsatzes und damit auch strategische und taktische Aspekte des polizeilichen Handelns offenlegen müsste1248. Jeder Adressat einer polizeilichen Maßnahme ist aber über die Existenz der Maßnahme, ihren Zweck und ihr wesentliches Ergebnis zu informieren1249. Der von einem verdeckten Eingriff in seine Grundrechte Betroffene, d. h. derjenige, gegen den sich die Überwachungsmaßnahme gerichtet hat und über den durch die Maßnahme personenbezogene Daten erlangt worden sind, ist also über die Maßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne eine Gefährdung des Zweckes der 1242 1243
Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964 – 965; MVVerfG, LKV 2000, 345, 354; vgl. Deutsch,
S. 25. 1244 1245 1246 1247 1248 1249
Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964 – 965; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 689. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 689. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 689.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
271
Maßnahme geschehen kann1250. Die Zielpersonen, auf die sich eine heimliche Überwachung richtet, und die anderen von der Maßnahme Betroffenen sind grundsätzlich zu unterrichten1251. „Betroffener“ im Sinne des § 22 VIII 1 BWPolG ist jeder, dessen personenbezogene Daten von der Polizei erhoben worden sind1252. Jede Erhebung von personenbezogenen Daten ist dem Berechtigten zur Kenntnis zu geben, sobald der Zweck der Erhebung dies zulässt1253. Die generelle Ablehnung einer verfassungsrechtlich gebotenen nachträglichen Benachrichtigungspflicht ist – anders als die Ansicht des BayVerfGH1254 – auch nicht durch überwiegende Geheimhaltungsbedürfnisse der Polizei zu rechtfertigen1255. Eine grundsätzliche Geheimhaltung von Informationseingriffen lässt sich nicht mit vereinfachenden Formeln wie „Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden“1256 legitimieren1257. Das Absehen von einer Unterrichtung kann auch nicht mit bloßen Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt werden, sondern ließe sich allein mit gegenläufigen Belangen von Verfassungsrang rechtfertigen1258. Insbesondere reicht es für das Absehen von einer Unterrichtung nicht aus, dass durch diese die künftige Arbeit der Polizei erschwert werden könnte1259.
c) Die Einschränkungen der Unterrichtungspflicht nach § 22 VIII BWPolG Wenn man die engen Voraussetzungen für heimliche Grundrechtseingriffe nach den §§ 22 ff. BWPolG betrachtet, bestehen an der Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen selbst keine Bedenken, auch wenn sie notwendigerweise zunächst ohne MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. 1252 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. 1253 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. 1254 Vgl. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304: „Eine darüber hinausgehende Unterrichtungspflicht im Bereich der verdeckten Datenerhebung würde z. B. bei der organisierten Kriminalität Einblicke in die Ermittlungsarbeit der Polizei geben, die die Aufgabe der Polizei erheblich erschweren oder unmöglich machen könnten. Die Verpflichtung des Staates zum Schutz seiner Bürger (Art. 99 BV), die auch den Schutz der Bürger vor künftigen Straftaten erfasst, legitimiert verfassungsrechtlich diese grundsätzliche Geheimhaltung. Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden. Dass der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der verdeckten Datenerhebung praktisch nicht durchgängig verwirklicht werden kann, weil der Betroffene mangels Unterrichtung von den gegen ihn gerichteten Maßnahmen nichts erfährt, ist in der Pflicht des Staates zum möglichst effektiven Schutz seiner Bürger und der daraus folgenden Notwendigkeit begründet, in strafrechtlich relevanten Bereichen verdeckt zu handeln“. 1255 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 965; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1394. 1256 So aber BayVerfGH, JZ 1995, 299, 304. 1257 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 1258 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. 1259 MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. 1250 1251
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Kenntnisnahme des dadurch Betroffenen erfolgen1260. Aus dem Übermaßverbot ergibt sich aber, dass eine verfassungsrechtlich fundierte nachträgliche Verpflichtung zur Unterrichtung besteht, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme und eine Gefährdung der durch diese Maßnahme geschützten Rechtsgüter ausgeschlossen werden kann1261. Dies wird durch § 22 VIII 1 BWPolG zunächst gewährleistet1262. Danach ist der Betroffene über die heimlich erfolgte Datenerhebungsmaßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zweckes der Maßnahme geschehen kann. Dies geschieht von Amts wegen und nicht wie bei § 45 BWPolG i.V. m. § 21 BWLDSG n.F.1263 bloß auf Antrag1264. Von dieser generellen Unterrichtungspflicht werden jedoch drei Ausnahmen gemacht. Regelungen über Ausnahmen von der Unterrichtungspflicht finden sich in § 22 VIII 2 BWPolG1265. Danach darf die Unterrichtung unterbleiben, wenn hierdurch ein Verdeckter Ermittler oder seine weitere Verwendung für seinen Einsatz gefährdet würde, sich an den die Maßnahme auslösenden Sachverhalt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt oder seit Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind. Gegen die Einschränkungen der Unterrichtungspflicht, wie sie sich in § 22 VIII 2 BWPolG finden, bestehen aber nicht allein wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtliche Bedenken, soweit sie die Benachrichtigung auch dann noch ausschließen, wenn durch diese der Zweck der Maßnahme nicht mehr gefährdet wird1266. Eine Einschränkung der Unterrichtungspflicht ist im Einklang mit der allgemeinen Grundrechtsdogmatik nur dann zu rechtfertigen, wenn dies zum Schutz anderer gleichgewichtiger verfassungsrechtlicher Schutzgüter erforderlich ist1267. Soweit die Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690. Vgl. BVerfGE 30, 1, 21; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690. 1262 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690. 1263 Nach § 45 BWPolG erteilt der Polizeivollzugsdienst „Auskunft über die von ihm gespeicherten personenbezogenen Daten“ nach § 17 LDSG. Das LDSG wurde anlässlich der Umsetzung der „EG-Datenschutzrichtlinie“ [Richtlinie 95 / 46 / EG des europäischen Parlaments und des Rates v. 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. EG L 281 v. 23. 11. 1995, S. 31)] erstmals seit dem Jahre 1991 wieder umfassend kodifiziert (Gesetz zur Änderung des LDSG und anderer Gesetzes v. 23. 5. 2000, GBl. S. 450 ff.). In Konsequenz dieser Novellierung des LDSG ist das Auskunftsrecht des Betroffenen anstatt wie bislang in § 17 LDSG, nunmehr in § 21 LDSG geregelt. § 45 BWPolG ist nun so zu lesen, als ob er einen Verweis auf den neuen § 21 LDSG enthielte, weil § 45 BWPolG dynamisch auf die jeweils gültige datenschutzrechtliche Regelung verweist. Dazu Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 676. 1264 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 614. 1265 Vgl. Art. 34 V BayPAG; § 25 VII BerlASOG; § 33 VII BrandPolG; §§ 10 VI i.V. m. 9 III HambPolDVG; § 15 VII HSOG; § 34 V, VI MVSOG; § 30 IV 3, V NdsSOG; § 18 V NWPolG; § 25 f. III RhPfPOG; § 28 VI SaarlPolG; § 39 IX SächsPolG; § 17 VII SachsAnhSOG; § 186 IV, V SchlHVwG; § 34 VII ThürPAG. 1266 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 188. 1267 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 965. 1260 1261
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
273
Kenntnis des Grundrechtseingriffs dazu führen würde, dass dieser seinen Zweck verfehlt, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, die Kenntnisgewährung entsprechend einzugrenzen1268. Unter Umständen reicht es aus, den Betroffenen erst später von dem Eingriff zu benachrichtigen1269. Nach der im Abhörurteil vom 15. 12. 1970 tragenden Ansicht des BVerfG darf von einer Benachrichtigung nur abgesehen werden, wenn und solange durch sie der mit der Datenerhebung verfolgte Gemeinwohlbelang gefährdet wäre1270: Danach darf die nachträgliche Benachrichtigung des Überwachten unterbleiben, wenn dies durch die spezielle Geheimhaltungsbedürftigkeit der Überwachungsmaßnahme (hier: des Abhörens und Kontrollierens von Telefongesprächen und Funksprüchen, von Fernschreiben, Telegrammen und Briefen zu Zwecken des Verfassungs- und Staatsschutzes) veranlasst ist und dem Schutz eines überragenden Rechtsgutes (z. B.: der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes) dient1271. Von einer Benachrichtigung darf daher nur abgesehen werden, wenn und solange der Zweck eines verfassungsrechtlich legitimen Eingriffs und die durch diesen Eingriff geschützten Rechtsgüter ansonsten beeinträchtigt würde. Insofern bestehen keine stets, sondern allenfalls im Einzelfall überwiegenden Geheimhaltungsinteressen1272. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob die Einschränkungen der Unterrichtungspflicht in den Fällen des § 22 VIII 2 BWPolG den Anforderungen entsprechen, die das BVerfG in seinem Abhörurteil aufgestellt hat. Gegen die in § 22 VIII 2 BWPolG geregelten Einschränkungen der Unterrichtungspflicht werden im Schrifttum,1273 aber auch durch die Landesverfassungsgerichte1274 teilweise verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Dabei stellt sich die Frage, ob diesen noch im Wege einer verfassungskonformen Interpretation der entsprechenden Bestimmungen Rechnung getragen werden kann oder ob sich hier bereits das Verdikt der Verfassungswidrigkeit als unumgänglich erweist. d) Verfassungswidrigkeit der dritten Variante des § 22 VIII 2 BWPolG Der erste Ausschluss der Unterrichtung zielt auf die Aufrechterhaltung der Tarnung von Verdeckten Ermittlern (§ 22 VIII 2 1. Var. BWPolG). Bezogen auf den Vgl. BVerfGE 100, 313, 361. Vgl. BVerfGE 49, 329, 342 f.; 100, 313, 361. 1270 Vgl. BVerfGE 30, 1, 21, 31; MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. 1271 Vgl. BVerfGE 30, 1, 18; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690. 1272 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 965. 1273 Vgl. hierzu näher Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690; Schenke, Polizeirecht, Rn. 196 ff.; Würz, Polizeiaufgaben und Datenschutz in Baden-Württemberg, Rn. 232; Zeitler, Allgemeines und besonderes Polizeirecht für Baden-Württemberg, Rn. 459 ff.; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 637 ff.; Gusy, Richterliche Kontrolle des Verfassungsschutzes, 67; ders., JZ 1991, 513, 514; Deutsch, S. 24 ff. 1274 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964 f.; MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. 1268 1269
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
Enttarnungsschutz des Verdeckten Ermittlers hat der baden-württembergische Gesetzgeber eine Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen an der Unterrichtung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 19 Abs. 4 GG) und den polizeilichen bzw. persönlichen Interessen des Ermittlers zu Gunsten des letzteren getroffen. Die erste Variante des § 22 VIII 2 BWPolG kommt aber nur ausnahmsweise zur Anwendung1275: In aller Regel führt die Mitteilung über den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nicht zu dessen Enttarnung1276. Eine Einschränkung der Unterrichtungspflicht kann nur dann und insoweit gerechtfertigt werden, wie für eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr des Beamten im Falle seiner Enttarnung hinreichende Anhaltspunkte vorliegen1277. Nach der zweiten Ausnahme unterbleibt eine Unterrichtungspflicht, wenn sich an den die Maßnahme auslösenden Sachverhalt ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt (§ 22 VIII 2 2. Var. BWPolG). Diese Einschränkung der Unterrichtungspflicht ist zwar verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Diesen kann aber noch durch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift Rechnung getragen werden1278. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kann – worauf das MVVerfG zu Recht hinweist – die Polizei nicht von ihrer Verantwortung dafür entbinden, dass die Unterrichtung des Betroffenen sicherzustellen ist1279. Die Vorschrift, die bei einem sich an die Überwachung anschließenden Ermittlungsverfahren eine Unterrichtung ausschließt, ist einschränkend dahin zu interpretieren, dass sie nur die (Normal-)Fälle erfasst, bei denen durch die vorherige Unterrichtung des Betroffenen die sachgerechte Durchführung eines Ermittlungsverfahrens beeinträchtigt würde und im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine anderweitige Unterrichtung erfolgt1280. Der Betroffene ist daher spätestens nach Abschluss der Ermittlung zu unterrichten, wobei von der Unterrichtung abgesehen werden darf, wenn er im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Kenntnis von der Maßnahme erlangt hat1281. Beispielsweise enthält § 33 VII 2 BrandPolG eine in diese Richtung zielende ausdrückliche gesetzliche Regelung: „Wird wegen desselben Sachverhalts ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet, erfolgt die Unterrichtung, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind; die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn der Betroffene im Rahmen des Ermittlungsverfahrens von der Maßnahme Kenntnis erlangt“1282. Die dritte Einschränkung der Unterrichtungspflicht ist für den Fall vorgesehen, bei dem seit Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind (vgl. § 22 1275 1276 1277 1278 1279 1280 1281 1282
Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 691. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 691. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 691. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355; Schenke, Polizeirecht, Rn. 197. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355; Schenke, Polizeirecht, Rn. 197. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 197.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
275
VIII 2 3. Var. BWPolG). Sie setzt das Verstreichen von 5 Jahren seit Beendigung der Maßnahme voraus und hat somit Befriedungsfunktion1283. Die Befriedungsfunktion des Zeitablaufs ist jedoch verfassungsrechtlich bedenklich, wenn der Rechtsfrieden hergestellt wird, gerade indem das Gesetz die Möglichkeit eines nachträglich erreichbaren gerichtlichen Rechtsschutzes durch die Einschränkung der Unterrichtungspflicht von vorneherein vermeidet1284. Zudem erscheint es zweifelhaft, ob der Betroffene im Einzelfall keine schutzwürdigen Interessen an der Unterrichtung haben kann, die erst nach einer Offenbarung verifiziert werden können1285. Gegen den in der dritten Variante des § 22 VIII 2 BWPolG geregelten Ausschluss von der Unterrichtungspflicht werden in der Literatur1286 verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Den hier bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die zeitliche Befristung kann auch im Wege einer verfassungskonformen Interpretation dieser Vorschrift nicht Rechnung getragen werden. Anders als bei dem Fall der zweiten Variante des § 22 VIII 2 BWPolG, bei dem sich ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt, erweist sich hier bereits das Verdikt der Verfassungswidrigkeit als unumgänglich1287. Eine Restriktion kommt daher in Bezug auf die zeitliche Befristung der Unterrichtungspflicht nicht in Betracht1288. Nach § 34 V 2 MVSOG ist der Landesbeauftragte für den Datenschutz zu unterrichten, wenn ohne eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme eine Unterrichtung innerhalb von 5 Jahren seit Abschluss der Maßnahme nicht möglich ist. Nach Auffassung des MVVerfG ist die Vorschrift insoweit verfassungswidrig, als der Datenschutzbeauftragte erst nach diesem Zeitraum unterrichtet zu werden braucht1289. 4. Löschungspflichten bei heimlichen Eingriffen nach den §§ 22 ff. BWPolG a) Eine Löschungspflicht besteht bei Unzulässigkeit der Erhebung und bei Zweckerreichung Zu einem wirksamen Schutz der informationellen Selbstbestimmung gehört auch die Bejahung von Löschungspflichten, die der besonderen Situation der heimlichen Datenerhebung Rechnung tragen1290. Handelt es sich um Daten, die entVgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 614. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 693. 1285 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 693; so aber die Regierungsbegründung, vgl. BW LT-Drucks. 10 / 5230, S. 42. 1286 Vgl. Würz, Polizeiaufgaben und Datenschutz in Baden-Württemberg, Rn. 232 (die dritte Variante des § 22 VIII 2 BWPolG sei verfassungswidrig). 1287 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 197; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 693. 1288 Schenke, Polizeirecht, Rn. 197. Eine solche Restriktion scheidet auch in Bezug auf den Fall der Nichterstellung von Aufzeichnungen aus; a.A. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. 1289 MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. 1290 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 965; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 1283 1284
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
weder aus dem nach Ansicht des BVerfG1291 absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung stammen oder die in sonstiger Weise rechtswidrig erhoben worden sind, so besteht eine Löschungspflicht1292. Die dogmatische Rechtfertigung für die Löschungspflicht bieten der heute anerkannte, verfassungsrechtlich gewährleistete Folgenbeseitigungsanspruch bzw. seine datenschutzrechtlichen Konkretisierungen1293. Dieser umschließt sowohl den Fall einer von Anfang an gegebenen rechtswidrigen Grundrechtsbeeinträchtigung als auch den eines erst später rechtswidrig werdenden Eingriffs1294. Nach § 46 I 1 Nr. 1 BWPolG besteht eine Löschungs- und Vernichtungspflicht bei Unzulässigkeit der Speicherung1295. Die Löschungs- und Vernichtungspflicht, der ein entsprechender Anspruch der Personen entspricht, deren Daten gespeichert worden sind, ist die einfachgesetzliche Umsetzung des verfassungsrechtlich garantierten Folgenbeseitigungsanspruchs1296. Eine Löschungs- und Vernichtungspflicht besteht nach § 46 I 1 Nr. 2 BWPolG auch bei Zweckerreichung bzw. Zweckfortfall1297. Bedarf es erlangter Daten zur Erfüllung der mit geheimen Eingriffen gem. den §§ 22 ff. BWPolG verfolgten Zwecke nicht mehr, so sind diese zu löschen und die dazugehörigen Unterlagen zu vernichten1298. Diese Verpflichtung ergibt sich bereits als eine Konsequenz des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots1299. Sie wird in den Polizei- und Ordnungsgesetzen jedoch nochmals ausdrücklich normiert, wie sich etwa in § 46 I Nr. 2 BWPolG zeigt1300. Zur Effektuierung entsprechender Pflichten trägt die Festlegung von Prüfungsterminen bei, bei denen jeweils zu überprüfen ist, ob die Speicherung personenbezogener Daten weiterhin erforderlich ist1301. Neben den allgemeinen Löschungsvorschriften bestehen vielfach noch spezielle Regelungen. Den allgemeinen Vorschriften gehen die speziell geregelten Löschungspflichten in den 1291 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1007; BVerfGE 80, 367, 374; siehe auch SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 965; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 1292 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 1293 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 1294 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396; zum Rechtwidrigwerden von zunächst rechtmäßig vorgenommenen Hoheitsakten s. ders., DVBl. 1989, 433 ff. 1295 Vgl. auch Art. 45 II Nr. 1 BayPAG; § 48 II Nr. 1 BerlASOG; § 47 II Nr. 2 BrandPolG; § 36k II Nr. 1 BremPolG; § 24 II Nr. 2 HambPolDVG; § 27 II Nr. 1 HSOG; § 45 II 1 Nr. 1 u. 2 MVSOG (bei unzulässiger Erhebung und Speicherung); § 32 II 1 Nr. 2 NWPolG; § 25e II Nr. 1 RhPfPoG; § 38 II 1 Nr. 1 SaarlPolG; § 32 II 1 Nr. 1 SachsAnhSOG; § 49 I SächsPolG i.V. 19 I Nr. 1 SächsDSG; § 45 II Nr. 1 ThürPAG. 1296 Schenke, Polizeirecht, Rn. 218. 1297 Vgl. auch Art. 37 III BayPAG; § 48 II Nr. 2 BerlASOG; § 47 II Nr. 3 BrandPolG; § 36k II Nr. 2 BremPolG; § 24 II Nr. 3 HambPolDVG; § 27 II Nr. 2 HSOG; § 45 II 2 Nr. 2 MVSOG; § 39a NdsSOG; § 32 II 1 Nr. 3 NWPolG; § 25e II Nr. 2 RhPfPoG; § 38 II 1 Nr. 2 SaarlPolG; § 32 II 1 Nr. 2 SachsAnhSOG; § 196 II 1 SchlHVwG; § 45 II Nr. 2 ThürPAG. 1298 Schenke, Polizeirecht, Rn. 218. 1299 Schenke, Polizeirecht, Rn. 218. 1300 Schenke, Polizeirecht, Rn. 218. 1301 Schenke, Polizeirecht, Rn. 218.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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§§ 21 III, 22 VII, 23 I 2, 25 III, 40 IV, aber auch den §§ 38 I 1, II, III 2 BWPolG vor1302. Nach § 38 I 1 BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, nur dann und insoweit speichern, wie dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Darin besteht inzident eine Löschungspflicht, die als lex specialis § 46 I Nr. 2 BWPolG vorgeht1303. Nach § 38 II, III 1 BWPolG hat der Polizeivollzugsdienst alle personenbezogene Daten innerhalb der dort geregelten Fristen dahingehend zu überprüfen, ob ihre weitere Speicherung erforderlich ist. Ihre Löschung ist grundsätzlich nach Ablauf der Regelfrist (§ 38 III 2, 3 BWPolG) geboten1304. b) Vernichtungspflicht und Rechtsschutzgarantie Benötigt die Polizei zur Erfüllung der mit dem Einsatz besonderer Mittel nach §§ 22 ff. BWPolG verfolgten Zwecke die erhobenen Daten nicht mehr oder sind sie rechtswidrig erhoben worden, so sind diese zu löschen und die dazugehörigen Unterlagen zu vernichten. Zwar dient die Löschung personenbezogener Daten der Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung1305. Das Gebot effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG kann aber dem entgegenstehen, da der Betroffene nach Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch darauf hat, dass der Rechtsschutz effektiv ist1306. Was den Umfang der Benachrichtigung betrifft, lässt sich auf einen Zielkonflikt hinweisen1307: Während § 46 I 1 Nr. 1 BWPolG Löschungspflichten und § 38 III 2 BWPolG Löschungsfristen vorsehen, setzt die Benachrichtigung nach § 22 VIII 1 BWPolG gerade voraus, dass die Daten nicht gelöscht werden. Insofern kann eine besondere Konfliktlage entstehen, indem es einerseits dem Datenschutz entspricht, nicht (mehr) „benötigte“ Daten zu löschen, aber andererseits durch die Löschung ein effektiver Rechtsschutz vereitelt werden kann1308. Im zweiten G 10-Urteil vom 14. 9. 1999 sieht auch das BVerfG diese Konfliktlage und fordert insoweit, dass Vernichtungspflicht und Rechtsschutzgarantie miteinander abzustimmen sind: „Im Licht von Art. 19 Abs. 4 GG ist auch die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Vernichtung nicht mehr erforderlicher Daten zu verstehen. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verbietet Maßnahmen, die darauf abzielen oder geeignet sind, den Rechtsschutz der Betroffenen zu vereiteln1309. Daher muss die Vernichtungspflicht für die Fälle, in denen der BetrofVgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 681. Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 681. 1304 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 681; VGH Mannheim, DVBl. 1992, 1309, 1312. 1305 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 465. 1306 MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. 1307 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690, Fn. 354. 1308 MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 690. 1309 BVerfGE 69, 1, 49. 1302 1303
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
fene die gerichtliche Kontrolle staatlicher Informations- und Datenverarbeitungsmaßnahmen anstrebt, mit der Rechtsschutzgarantie so abgestimmt werden, dass der Rechtsschutz nicht unterlaufen oder vereitelt wird“1310. Dies muss – worauf das MVVerfG zutreffend hinweist – so geschehen, dass, wenn ein ernsthaftes, grundsätzlich zu vermutendes Interesse des Betroffenen an Rechtsschutz oder an der Geltendmachung seines Datenschutzrechts gegenüber der zuständigen Stelle besteht, die Daten einstweilen nicht gelöscht, sondern gesperrt werden und zu keinem anderen Zweck mehr als zur Information des Betroffenen verwendet werden dürfen1311. Der Anspruch auf Auskunft entfällt notwendigerweise, wenn die Daten bereits wieder gelöscht sind. In Betracht kommt dann allenfalls ein Anspruch auf Auskunft über den Zweck der Speicherung und etwaige Datenübermittlungen1312.
IV. Das Übermaßverbot Das Übermaßverbot verlangt, dass die Grundrechtsbeschränkung von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt wird, das angewendete Mittel zur Erreichung des Zweckes geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist1313. Je größer der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen ist, um so strenger sind die Anforderungen an die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Datenerhebung und -verarbeitung1314. Der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass Datenschutz zum Tatenschutz werden darf1315. Einschränkungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind durch Allgemeinbelange gerechtfertigt, die die grundrechtlich geschützten Interessen überwiegen1316. Die Allgemeinbelange betreffen vor allem den Rechtsgüterschutz innerhalb der Gefahrenabwehr sowie die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs1317. Dem Gesetzgeber obliegt hier die Aufgabe, einen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Sicherheitsinteresse und dem vom Staat zu beachtenden Interesse des Einzelnen, vor staatlicher Überwachung durch Erhebung und Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten möglichst verschont zu bleiben, zu schaffen1318. Auch bei Berücksichtigung der GemeinschaftsBVerfGE 100, 313, 364 f.; MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. 1312 Vgl. VGH Mannheim, DVBl. 1992, 1309, 1311; Schenke, Polizeirecht, Rn. 220. 1313 BVerfGE 78, 77, 85 = JZ 1988, 555. 1314 Vgl. BVerfGE 65, 1, 54 ff. 1315 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 163. 1316 BVerfGE 65, 1, 44; auch BVerfGE 78, 77, 85; BVerfG, NJW 1988, 3009 f.; BVerwG, JZ 1991, 471, 473; BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. 1317 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 540. 1318 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 1310 1311
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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bezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen gibt es Schranken, jenseits derer die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten schlechthin unzumutbar sind1319. Bei der Beurteilung dieser Frage ist jeweils von Bedeutung, wie persönlichkeitsbezogen bestimmte Daten sind und welcher Empfänger für welchen Zweck in welcher Weise von ihnen in Kenntnis gesetzt werden soll1320. 1. Gesetzeszweck Präventive polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung und die Verwendung der im Rahmen eines Strafverfahrens mit denselben Maßnahmen erhobenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke, die in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, sind in den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder verankert (vgl. z. B. §§ 22, 24, 25, 38, 40 BWPolG). In der StPO finden sich auch Ermächtigungsgrundlagen für die Verwendung der auf der Grundlage der Polizei- und Ordnungsgesetze durch einen heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung (vgl. §§ 161, 163 I 2, 483 StPO). Solche präventiven und repressiven Polizeimaßnahmen können aber nicht allein deshalb gerechtfertigt sein, weil damit eine bereits geübte Praxis nun schließlich die erforderliche gesetzliche Grundlage erhält. Wegen der schweren und oft nicht wiedergutzumachenden Grundrechtseingriffe, die mit ihnen verbunden sind, bedürfen informationelle Eingriffsmaßnahmen einer besonderen Rechtfertigung1321. a) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Die heimlichen Datenerhebungen und die anschließende Datenverarbeitung durch die Polizei, wie sie durch die Änderung des Polizeirechts und des Strafprozessrechts ermöglicht wurden, müssen als solche einen verfassungsgemäßen Zweck verfolgen. Dem polizeilichen Zweck der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung kommt dabei großes Gewicht zu. In Betracht kann u. a. die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kommen. Ihr kommt nach dem Grundgesetz hohe Bedeutung zu1322. Aus diesem Grund hat das BVerfG wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung betont, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren – zur Überführung von Straftätern ebenso wie zur Entlastung Unschuldiger – hervorgehoben und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet1323. 1319 1320 1321 1322 1323
BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 300. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960. BVerfGE 100, 313, 389. BVerfGE 100, 313, 389.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
b) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten Der Landesgesetzgeber hat auch mit den neuen gesetzlichen Regelungen über heimliche Informationseingriffe und die präventive Verwendung der auf der Basis der StPO erhobenen Daten erkennbar den Zweck verfolgt, im Interesse der Sicherheit der Bürger und damit im Allgemeininteresse die Möglichkeiten der „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ durch die Polizei zu erweitern1324. Insbesondere hinsichtlich der organisierten Kriminalität, 1325 deren Bekämpfung in diesem Zusammenhang am häufigsten erwähnt wird, lässt sich darauf hinweisen, dass die organisierte Kriminalität nicht mehr beseitigt werden kann, wenn sie erst einmal Bestandteil der Gesellschaft geworden ist1326. Das Vorliegen organisierter Kriminalität ist eine Erscheinung im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben1327. Weltweit haben sich kriminelle Gruppen durch schnelle Anpassung ihrer Strukturen an bestehende Institutionen eingerichtet1328. Nach polizeilichen Untersuchungen stehen den internationalen Drogenkartellen globale Vertriebsnetze und Handelsstrukturen zur Verfügung, sie betreiben ihre Geschäfte nach modernen Marketingmethoden und zur Geldwäsche pflegen sie differenzierte Verfahren1329. Gegen polizeiliche Überwachung schützen sie sich dadurch, dass die Begehung von Straftaten möglichst als Normalverhalten getarnt wird1330. Kriminelles Verhalten kann äußerlich von rechtmäßigem kaum noch unterschieden werden. Hintermänner und Drahtzieher treten nicht nach außen in Erscheinung1331. BVerfG und BGH haben die Gefahren organisierter Kriminalität frühzeitig erkannt1332. Die Präventionsbedürftigkeit dieser Kriminalität ergibt sich aus der ihr innewohnenden besonderen Gefährlichkeit. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der polizeilichen Informationseingriffe zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung kann sowohl in dem Gewicht einzelner Rechtsgüter als auch in der Bedrohung liegen, welche das Gemeinwesen durch die organisierte Kriminalität erfährt1333. Hieraus legitimiert sich das öffentliche Interesse daran, diese schwere, auch organisierte Kriminalität schon vorbeugend zu bekämpfen1334. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. Als organisierte Kriminalitätsformen können etwa überregionale Rauschgiftkriminalität, Waffen-, Falschgeld- und Wirtschaftsstraftaten in organisierter Form, Schutzgelderpressungen, internationale Kfz-Verschiebungen und Großhehlerei genannt werden. Nach den Polizeiuntersuchungen stehen den internationalen Drogenkartellen globale Vertriebsnetze und Handelsstrukturen zur Verfügung, sie betreiben ihre Geschäfte nach modernen Marketingmethoden und zur Geldwäsche pflegen sie differenzierte Verfahren, vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164. 1326 Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164 f. 1327 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. 1328 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. 1329 Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164. 1330 Kniesel, ZRP 1992, 164. 1331 Wolter, GA 1988 , 49, 51. 1332 BVerfGE 57, 284; BGHSt 32, 120 f.; vgl. auch BVerfG, NStZ 1987, 276. 1333 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961. 1324 1325
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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c) Stellungnahme Die grundrechtlich abgesicherte Freiheit des Einzelnen kann sich, wie das BbgVerfG zu Recht feststellt, nur auf der Basis tatsächlicher Sicherheit entfalten. Sicherheit dient der Freiheit; sie ist ihrerseits ein wesentlicher Verfassungswert, die mit anderen Verfassungswerten im gleichen Rang steht und unverzichtbar ist1335. Mit den gesetzlichen Regelungen über heimliche polizeiliche Informationseingriffe und damit in Verbindung stehender Maßnahmen der Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durfte der Gesetzgeber also im Interesse der inneren Sicherheit des Staates und der zu gewährleistenden Sicherheit der Menschen den Zweck verfolgen, die Effektivität der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung und der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durch die Polizei, insbesondere auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität, jedoch auch der Rauschgiftkriminalität und des Terrorismus, zu steigern1336. Dies war neben der Anpassung des Polizeirechts und des Strafprozessrechts an die neuere Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Datenschutzes der legitime Hauptzweck des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes und der Strafprozessordnung1337.
2. Geeignetheit a) Die Ungeeignetheit heimlicher Datenerhebungen zur Abwehr einer „gegenwärtigen“ bzw. „konkreten“ Gefahr? Nach dem Grundsatz der Geeignetheit des Mittels ist nur der Einsatz solcher Mittel zulässig, die zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet sind. Die bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 161, 163 I 2, 483 StPO, die die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung regeln, sind zur Verfolgung von Straftaten geeignet. Der Strafverfolgungsbehörden müssen nach Vorliegen eines konkreten Tatverdachts strafprozessual relevanten Daten, die in allen Behörden, also auch in den Polizeibehörden präsent sind, unabhängig davon, auf welcher Grundlage sie erhoben worden sind, zur Verfügung stehen, um strafrechtliche Sachverhalte aufzuklären und den Täter zu ermitteln und ihn der Bestrafung zuzuführen, und die Nutzung von personenbezogenen Daten aus präventivpolizeilicher Datenerhebung für Zwecke der Strafverfolgung ist dabei geeignet, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Auch für den Bereich der Gefahrenabwehr sind polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung und die Verwendung der im Rahmen eines Strafverfahrens gewonnenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr geeignet; man denke 1334 1335 1336 1337
SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453; auch BVerfGE 49, 24, 56 f. = NJW 1978, 2235. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
z. B. an das Abhören von Gesprächen zwischen Personen, die der aktuellen Geiselnahme verdächtig sind, durch einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen, der zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zulässig ist (s. z. B. § 33 I Nr. 1 BrandPolG)1338. Bei einer Geiselnahme kann auch die Kriminalakte dazu beitragen, die Aktionen des Geiselnehmers und die notwendigen Reaktionen zutreffend einzuschätzen oder das Ausmaß der Gefahr für das Leben der Geisel richtig zu bewerten, wenn sie entsprechende Kenntnisse über den Täter vorhält1339. Nach Bäumler dürften dabei aber Polizeimaßnahmen der heimlichen Datenerhebung wie z. B. die Observation, der Einsatz Verdeckter Ermittler und die Rasterfahndung als Mittel der Gefahrenabwehr praktisch ausscheiden. Sie seien auf lange Zeit angelegt und zur unmittelbaren Gefahrenabwehr kaum geeignet1340. Insbesondere die Rasterfahndung sei schon deshalb kein geeignetes Mittel zur Abwehr einer „gegenwärtigen“ Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person (vgl. z. B. § 46 I BrandPolG), da gegenwärtige Gefahren ein entschlossenes Handeln statt Recherchieren in Datenbeständen erforderten1341. Die Probleme ergeben sich hinsichtlich einer Rasterfahndung dann, wenn sie an das Vorliegen einer „gegenwärtigen“ Gefahr geknüpft ist, denn hiermit wird eine besondere zeitliche Nähe der Gefahr verlangt1342. Deren Vorliegen erscheint angesichts der hohen Anforderung, die an eine gegenwärtige Gefahr gestellt werden, nicht selten zweifelhaft1343. Selbst wenn sie nicht verneint wird, stellt sich immer noch die Frage, ob in einem solchen Fall die zeitaufwendige Rasterfahndung – die nach ihrer Durchführung regelmäßig weitere Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich der durch ein Raster erfassten Personen notwendig macht – überhaupt noch die entsprechenden Gefahren rechtzeitig bekämpfen kann1344. Die sich insoweit ergebenden Schwierigkeiten haben im Übrigen den Landesgesetzgebern den Anlass gegeben, auf das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr zu verzichten1345. Dieser Problematik – die sich in der Praxis insbesondere bei Rasterfahndungen stellte, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeleitet worden waren – versuchen die Gerichte teilweise Rechnung zu tragen, indem sie vom Vorliegen einer „Dauergefahr“ ausKöhler, StV 1996, 186, 187. Kniesel, ZRP, 1989, 329, 332. 1340 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 368 u. 709. 1341 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 717. Auch das OLG Frankfurt äußerte Zweifel an der Geeignetheit der Rasterfahndung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr (OLG Frankfurt NVWZ 2002, 626, 627); ebenso Lisken, NVwZ 2002, 513, 516; Gusy, KritV. 2002, 474, 489 f.; Bausback, BayVBl. 2002, 713 ff. 1342 Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a. 1343 Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a. 1344 Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a; 213a; vgl. auch Gusy, KritV. 2002, 474, 489 f.; Bausback, BayVBl. 2002, 713 ff. 1345 S. die Novellierung des § 26 I 1 HSOG und des § 31 I NWPolG; Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a. 1338 1339
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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gehen, die sie ebenfalls als gegenwärtige Gefahr ansehen1346. Durchaus überzeugend wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass es vor allem für terroristische Aktivitäten häufig einer längeren Vorbereitungsphase bedarf, so dass sich schon entsprechende Vorbereitungsakte als gegenwärtige Gefahr zeigen können, zumal in der Regel schon in diesem Stadium strafbare Handlungen bestehen1347. Unter einer „konkreten“ Gefahr versteht man eine Sachlage, die im Einzelfall tatsächlich oder jedenfalls aus der (ex-ante-)Sicht des für die Polizei handelnden Amtswalters bei verständiger Würdigung der Sachlage in naher Zukunft die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in sich birgt1348. „Gegenwärtige“ Gefahr ist demgegenüber nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 1b NdsSOG (s. auch § 3 Nr. 3b SachsAnhSOG und § 54 Nr. 3b ThürOBG) „eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zweit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht“. Nach dem MVVerfG und dem SächsVerfGH soll gegenwärtige Gefahr bedeutet, dass ein Schaden in unmittelbarer Zukunft, in allernächster Zeit zu erwarten ist, wenn nicht in die Entwicklung eingegriffen wird1349. Gegenwärtige Gefahr erfordert also die besondere zeitliche Nähe und einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts1350. Diese Qualifizierung wird nur selten gegeben sein, so dass nur in besonderen Ausnahmefällen heimliche Polizeimaßnahmen wie z. B. die Observation nach § 32 I Nr. 1 BrandPolG, der Einsatz von Verdeckten Ermittlern nach § 35 I Nr. 1 BrandPolG und die Rasterfahndung nach § 46 I BrandPolG ein geeignetes Mittel zur Abwehr einer „gegenwärtigen“ Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person sein dürften. So dürfte die Rasterfahndung gem. § 46 I BrandPolG, worauf Bäumler zutreffend hinweist, allenfalls dort als ein geeignetes Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib oder Leben einer Person in Betracht kommen, wo die Gefahr länger andauert, etwa bei Entführungen oder Geiselnahme1351. Bäumler verneint aber auch hier die Eignung der Rasterfahndung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr mit dem Argument, dass in diesen Fällen die entsprechende Maßnahme bereits nach §§ 98a, 98b StPO möglich sei1352. Zwar ist in diesen Fäl1346 OVG Koblenz, DuD 2002, 307, 308; VG Mainz, DuD 2002, 303, 305. Zu der eher unterschiedlichen Rechtsprechung zur Frage der Gegenwärtigkeit der Gefahr vgl. Bausback, BayVBl. 2002, 713, 717 ff.; s. z. B. einerseits zum früheren § 26 I 1 HSOG OLG Frankfurt, DuD 2002, 238, 239, andererseits zur früheren Fassung des § 31 I NWPolG OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629 ff. Dazu näher Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a. 1347 So treffend Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a. 1348 Schenke, Polizeirecht, Rn. 69. 1349 SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423, 1427; MVVerfG, LKV 2000, 345, 349. 1350 BVerwGE 45, 51, 58; OLG Frankfurt, NVWZ 2002, 626, 627; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629. 1351 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 717. 1352 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 717.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
len die Überschneidung mit strafprozessualen Eingriffsmöglichkeiten gegeben. In diesen Fällen geht es aber nicht allein um Strafverfolgung. Bäumler verkennt die „Doppelfunktionalität“ bei Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei1353. Bei länger andauernden Gefahren, z. B. bei Entführungen und Geiselnahme, handelt es sich um eine Gemengelage von präventivpolizeilichen und strafprozessualen Maßnahmen1354. Dabei kann die Polizei gleichzeitig sowohl gefahrenabwehrend als auch strafverfolgend tätig werden. Heimliche Maßnahmen wie die Observation, der Einsatz Verdeckter Ermittler und die Rasterfahndung sind nunmehr je nach der Zielsetzung entsprechender Maßnahmen durch den Bundesgesetzgeber zu Zwecken der Strafverfolgung und durch den Landesgesetzgeber zu Zwecken der Gefahrenabwehr geregelt, so dass die Polizei in der Lage ist, entsprechende Maßnahmen sowohl auf eine polizeigesetzliche wie auch auf eine strafprozessuale Rechtsgrundlage zu stützen1355. Die Rasterfahndung kann z. B. bei einer Geiselnahme (Kombination von Strafverfolgung und gegenwärtiger Gefahrenabwehr) nicht nur repressiv der Aufklärung bereits begangener Straftaten, sondern auch präventiv der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben der Geisel dienen1356. Die Rasterfahndung zu präventivpolizeilichen Zwecken kann also der Polizei nicht wegen der bloß zeitgleichen Strafverfolgungsmaßnahme verwehrt sein1357. Dabei ist der präventivpolizeiliche, aus den grundrechtlichen Schutzpflichten hergeleitete Schutz von Leib oder Leben der Geisel dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch gleichrangig1358. Die Behauptung von Bäumler, die Rasterfahndung dürfte schon daher für die Bekämpfung einer gegenwärtigen Gefahr ungeeignet sein, weil praktische Fälle, in denen die Rasterfahndung das geeignete Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für eines der o.a. Rechtsgüter ist, wenn überhaupt, nur selten auftreten dürften,1359 trägt im Übrigen der Absicht des Gesetzgebers nicht in ausreichender Weise Rechnung, der diesen schwerwiegenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur Abwehr nicht einer jeden Gefahr, sondern einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, also nur beim 1353 Zu solchen sog. doppelfunktionellen polizeilichen Maßnahmen s. Schenke, VerwArch. Bd. 60 (1969), 332, 345; ders., Polizeirecht, Rn. 423 f.; Erichsen, Jura 1993, 45, 49; Götz, NVwZ 1984, 211, 215; ders., NVwZ 1994, 652, 658; BayobLG, NVwZ 1990, 194, 195; Wulff, in: FS für Remmers, 615 f. 1354 Wolter, Jura 1992, 520, 526. 1355 Schenke, Polizeirecht, Rn. 11 u. 185. 1356 Zur Notwendigkeit, der Polizei eine Berufung sowohl auf das Polizeigesetz als auch auf die StPO zu erlauben, vgl. Wolter, Jura 1992, 520, 526. 1357 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 191. 1358 Vgl. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 191. 1359 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 717; s. auch OLG Frankfurt, NVwZ 2002, 626, 627, wonach die Eignung der Rasterfahndung zur Abwehr einer „gegenwärtigen“ Gefahr sehr fraglich sei.
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Vorliegen „qualifizierter“ Gefahrenlagen erlauben wollte. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität ist es vielmehr verfassungsrechtlich geboten, dass sich die Rasterfahndung auf besondere seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Gefahr länger andauert wie z. B. bei Entführungen und Geiselnahmen oder bei der Gefahr von weiteren schwerwiegenden Terroranschlägen bzw. Sprengstoffanschlägen. Die Eignung scheitert nicht an der großen Streubreite der Datenerhebungsmethode, die nur in vergleichsweise wenigen Fällen Erfolg verspricht1360. Bäumler übersieht weiter, dass hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit differenziert werden muss je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Der Begriff der Gefahr setzt voraus, dass tatsächlich oder zumindest bei auf den Zeitpunkt des Handelns der Polizei- bzw. Ordnungsbehörde abstellender Betrachtungsweise bei verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt spricht1361. Bei dem von der Polizei zu fällenden prognostischen Urteil, das in vollem Umfang gerichtlich überprüft werden kann, fällt ins Gewicht, welchem Schutzgut ein Schaden droht1362. Je höherrangiger ein Rechtsgut und je größer der ihm drohende Schaden ist, um so geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen1363. So braucht z. B. bei drohendem Schaden für Leib und Leben nicht ein gleich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad als für den Eintritt eines Schadens für unbedeutende Vermögenswerte zu bestehen1364. Ist der zu erwartende Schaden außergewöhnlich groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden; hinreichend wahrscheinlich ist die Gefahr bei besonders großen Schäden bereits dann, wenn nur eine entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht1365. Obwohl beispielsweise die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, die mit anonymen Bombendrohungen verbunden ist, nach aller Erfahrung äußerst gering ist, muss wegen des damit verbundenen Risikos dieser Gefahr nachgegangen werden, da – wenn entgegen aller Wahrscheinlichkeit die Gefahr sich verwirklichen sollte – der dann zu gewärtigende Schaden so groß wäre, dass ein Eingreifen trotz der nur entfernten Möglichkeit des Schadenseintritts nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar geboten ist1366. Sowohl bei Entführung und Geiselnahme als auch bei der Gefahr weiterer Terroranschläge wäre danach eine gegenwärtige Gefahr für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib oder Leben der anschlagsgefährdeten Personen zu bejahen1367. Die weitere Begehung schwerwiegender Dauerdelikte wie Terror1360 1361 1362 1363 1364 1365 1366 1367
Vgl. BVerfGE 100, 313, 373. Schenke, Polizeirecht, Rn. 77. BVerwG, DÖV 1970, 713, 715. Vgl. BVerwG 45, 51, 61; 47, 31, 40. Schenke, Polizeirecht, Rn. 77. BVerwG, DÖV 1970, 713, 715. BVerwG, DÖV 1970, 713, 715; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629. OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629; a.A. OLG Frankfurt, NVwZ 2002, 626; 627.
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anschläge begründet eine hohe Gefahr für die als Anschlagsziele ausgewählten verschiedenen Einrichtungen des Bundes oder eines Landes und für Leib oder Leben der durch solche Anschläge gefährdeten Vielzahl von Menschen1368. Bei derartig gravierenden Schäden dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gestellt werden1369. Wegen des hohen Ranges des Schutzguts und wegen der Art sowie des Ausmaßes der Schäden, die Terroranschläge zur Folge haben können, sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nur gering1370. Bei der Gefahr besonders großer Schäden durch die weitere Begehung der Terroranschläge genügt also eine nur geringe Wahrscheinlichkeit für die Anordnung einer Rasterfahndung, einer Observation oder eines Einsatzes Verdeckter Ermittler. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung wie die Observation, der Einsatz Verdeckter Ermittler und die Rasterfahndung sind zwar von ihrer Natur her – entgegen etwa der Beschlagnahme, dem Gewahrsam oder gar dem Schusswaffengebrauch – keine Maßnahmen, die unmittelbar eine „gegenwärtige“ Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person abzuwehren geeignet sind1371. Mit Hilfe polizeilicher Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung kann jedoch die effektive Bekämpfung einer gegenwärtigen Gefahr für eines der o. a. hochrangigen Rechtsgüter „gefördert“ werden. Geeignet ist ein Mittel nach Auffassung des BVerfG dabei bereits dann, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg „gefördert“ werden kann1372. Auf Gesetzesebene genügt es, wenn die abstrakte Möglichkeit der Erreichung des Gesetzeszwecks besteht, die zugelassenen Maßnahmen also nicht von vornherein untauglich sind, sondern dem gewünschten Erfolg förderlich sein können1373. Für den Bereich der Gefahrenabwehr sind polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung also bereits dann geeignet, wenn sie auch nur teilweise zur Realisierung des gesteckten Ziels führt und der verfolgte Zweck möglicherweise gefördert wird1374. Mit Hilfe der Rasterfahndung, aber auch des Einsatzes Verdeckter Ermittler1375 können z. B. Erkenntnisse über Planung und Vorbereitung von weiteren Terroranschlägen und Hinweise auf mögliche Aufenthaltsorte der mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen Terroristen gewonnen werVgl. BGH, StV 1996, 185, 186. Schenke, Jura 1988, 257, 261; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629, 630. 1370 BVerwG 62, 36, 38 f.; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629. 1371 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 538. 1372 BVerfGE 30, 316; 33, 187; BVerfG, NJW 2004, 999, 1008. Nach Ansicht des SächsStGH, U. v. 14. 5. 1996 genügt es, dass durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung die „Gefahrenabwehr“ vor allem in Bezug auf die organisierte Kriminalität „gefördert“ wird. Krit. hierzu Bäumler, NVwZ 1996, 765 ff. 1373 BVerfGE 90, 145, 172; 100, 313, 373. 1374 OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629, 630. 1375 So aber Wulff, Zum Einsatz verdeckter Ermittler nach Polizeirecht, in: FS für Remmers, 615, 620, wonach das Erfordernis einer „konkreten“ Gefahr als Eingriffsvoraussetzung den Einsatz von Verdeckten Ermittlern leer laufen lassen müsste. 1368 1369
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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den1376. Vor allem per Rasterfahndung können potenzielle extremistische Terroristen systematisch enttarnt werden, die als sog. terroristische „Schläfer“1377 an der Vorbereitung von weiteren Terroranschlägen beteiligt sein könnten1378. Die Rasterfahndung dürfte das Erfolg versprechende Mittel sein, mit dem die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr die zu erwartenden terroristischen Folgetaten wirksam unterbinden kann. Auch mit Hilfe der Observation kann die Polizei etwa bei Vorliegen unaufgeklärter Serien von schweren Brandstiftungen1379 den vielfachen Brandstifter entlarven und auf diese Weise die – in absehbarer Zeit zu erwartenden – weiteren schweren Brandlegungen verhindern, die nicht nur zahlreiche Bewohner in Leibes- und Lebensgefahr bringen, sondern auch sehr großen Sachschaden zur Folge haben1380. In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass die Frage, ob polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung wie die Observation, der Einsatz Verdeckter Ermittler und die Rasterfahndung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr geeignet sind, derzeit nicht abschließend beurteilt werden kann. Bei der Beurteilung der Eignung des gewählten Mittels sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Prognose und Einschätzung der der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Spielraum zu1381. Die Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung zur Zweckerreichung unterliegt zuerst der sog. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, soweit die Einschätzung nicht grob fehlerhaft ist1382. Im Einzelnen wird die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter beeinflusst1383. Nach dem Urteil des MVVerfG vom 1376 Vgl. BGH, StV 1996, 185, 186. Nach Ansicht des SächsStGH, U. v. 14. 5. 1996 reicht es, dass die Bejahung der Geeignetheit der Rasterfahndung für die Gefahrenabwehr durch den Gesetzgeber „vertretbar“ ist; der erstrebte Gemeinwohlzweck könne zumindest „gefördert“ werden; kritisch dazu Bäumler, NVwZ 1996, 765, 766. 1377 Dies sind Extremisten, die sich völlig unauffällig verhalten und auf ihren Terroreinsatz warten. Die terroristischen „Schläfer“ sollen von islamistischen Rädelsführern jederzeit aktiviert werden können, um aus dem Hinterhalt Tod und Verderben über zahllose Menschen zu bringen. Um diese Personen zu enttarnen, wurde von den Polizeibehörden eine bundesweite Rasterfahndung durchgeführt, vgl. Mannheimer Morgen v. 1. 10. 2001. 1378 OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629, 630. 1379 Vgl. BGH, NJW 1991, 2651, 2652. 1380 So auch BGH, NJW 1991, 2651, 2652; a.A. Wolter, Jura 1992, 520, 526, wonach in diesem Fall von vornherein nicht die klassische Abwehr konkreter Gefahren in Betracht komme. Eine langfristige Observation sei für die Abwehr konkreter Gefahren auch von vornherein ungeeignet, weil die Brandlegungen nicht unmittelbar bevorstehe. Angesichts der Schwere der befürchteten Verbrechen genügt aber eine nur geringe Wahrscheinlichkeit für die Anordnung einer langfristigen Observation; ebenso Merten, NJW 1992, 354, 355; Hantschel, Jura 2001, 472, 475. 1381 BVerfGE 77, 84, 106; 90, 145, 173; BVerfG, NJW 2004, 999, 1008. 1382 Vgl. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 248. 1383 BVerfGE 50, 290, 332 f.; 88, 203, 262; 90, 145, 173; BVerfG, NJW 2004, 999, 1008.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
21. 10. 1999,1384 das sich mit der Befugnis der Polizei, unter bestimmten Voraussetzungen ereignis- und verdachtsunabhängig die Identität von Personen festzustellen, beschäftigt, habe primär der Gesetzgeber zu beurteilen, ob die Identitätsfeststellung geeignet ist, die internationale Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen1385. Für die Eignung auf der Gesetzesebene genüge es, dass die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung besteht, die zugelassenen Maßnahmen also nicht von vornherein untauglich sind, sondern dem gewünschten Erfolg förderlich sein können1386. Liegen diese Voraussetzungen vor, hindern unterschiedliche Bewertungen sachverständiger Kreise den Gesetzgeber nicht, ein ihm wirksam erscheinendes Mittel zu erreifen1387. Dabei sei aber der Gesetzgeber zur begleitenden Beobachtung verpflichtet, um hierdurch die Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung auch nach Erlass stetig zu überprüfen,1388 weil in einem Bereich mit typischerweise starkem Eingriffscharakter die Gefahr übermäßig freiheitsbeschränkender Maßnahmen erheblich verstärkt wird.
b) Die Geeignetheit polizeilicher Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Ob ein bestimmtes Mittel zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten geeignet ist, unterliegt, wie das BbgVerfG zu Recht feststellt, der Bewertung der von ihnen ausgehenden Gefahr für den Einzelnen und die Allgemeinheit einerseits und einer Einschätzung der Tauglichkeit des gewählten Mittels zur Bekämpfung dieser Gefahr andererseits1389. Diese Bewertung ist aber, ggf. auf der Grundlage von sachverständigen Stellungnahmen und Prognosen, Sache des Gesetzgebers1390. Die Eignung der heimlichen Datenerhebungen und der Nutzung der im Rahmen eines Strafverfahrens gewonnenen Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten wird mit besonders gefährlichen Verbrechensformen, insbesondere mit der organisierten Kriminalität begründet. Die Besonderheit organisierter Kriminalität liegt darin, dass es sich – z. B. im Bereich der Waffen-, Drogen-, Steuer- und Zollkriminalität – um Straftaten ohne ein privates Opfer, und damit, anders als bei den herkömmlichen Straftaten, die zu rund 90 % aufgrund von Anzeigen der Bürger verfolgt werden, um Delikte ohne Anzeigeerstatter handelt1391. Im Bereich der organisierten Kriminalität besteht MVVerfG, DVBl. 2000, 262 ff. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267. 1386 MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267; s. auch BVerfGE 30, 316; 33, 187; 90, 145, 172; 100, 313, 373; BVerfG, NJW 2004, 999, 1008; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629, 630. 1387 MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 1388 MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960. 1389 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 1390 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 1391 Wolter, GA 1988 , 49, 51. 1384 1385
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
289
nämlich zwar ein Verdacht bzgl. einer Straftat (§ 152 II StPO), nicht einmal ansatzweise aber bzgl. eines Straftäters1392. Angesichts einer begangenen Straftat ohne Spur von dem Täter kann aber die organisierte Kriminalität nicht ausschließlich repressiv durch Verfolgung begangener Straftaten bekämpft werden1393. Die wirksame Bekämpfung der organisierten Kriminalität verlangt ein situationsgerechtes flexibles Handeln durch die Polizei1394. Die Polizei hat als Widerpart des organisierten Verbrechens ihre Fahndungs- und Beobachtungsmethoden der Langfristigkeit und der Weiträumigkeit der gegnerischen Strategien anzupassen1395. In diesem Kriminalitätsbereich reichen jedoch die herkömmlichen Mittel des Polizeirechts häufig nicht aus1396. Die neue Qualität der polizeilichen Arbeit zeigt sich eher in der vorbeugenden Bekämpfung der organisierten Kriminalität1397. Für eine wirksame Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit dem Ziel der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist eine frühzeitige Informationsbeschaffung und -auswertung entscheidend, die durch ein operatives Vorgehen in kriminalstrategischer Zielsetzung erfolgt1398. Die Gewinnung und Auswertung von Erkenntnissen über Struktur und Vorgehensweise der organisierten Kriminalität trägt zur vorbeugenden Bekämpfung derselben bei. Je stärker die Sicherheit des Staates und der Bürger durch die organisierte Kriminalität und auch durch den Terrorismus gefährdet wird, desto eher scheint es angezeigt, diese Kriminalität durch die heimliche Datenerhebung und die Nutzung der anlässlich eines konkreten Strafverfahrens gewonnenen personenbezogenen Daten, die mit Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung verbunden sind, bereits vorbeugend zu bekämpfen1399. Die heimliche Datenerhebung bei potentiellen Straftätern kann – verglichen mit den klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr – der Verhinderung von Straftaten bereits im Vorfeld ihrer Begehung dienen1400. Es gibt Situationen, in denen die Polizei eine Straftat, deren Begehung aufgrund konkreter Tatsachen droht, nicht anders erfolgversprechend zu verhindern versuchen kann, als den potentiellen Straftäter ohne sein Wissen durch moderne Methoden der Datenerhebung, wie z. B. eine längerfristige Observation, den Einsatz technischer Mittel, Verdeckter Ermittler oder von V-Leuten, die polizeiliche Beobachtung und die Rasterfahndung, zu beobachten1401. Dies gilt dann, wenn Straftaten, wie z. B. die organisierte Kriminalität und der Terrorismus, 1392 1393 1394 1395 1396 1397 1398 1399 1400 1401
19 Son
Wolter, GA 1988 , 49, 51. So aber Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 535. SächsVerfGH, JZ. 1996, 957, 959. Vgl. Denninger, JA 1987, 131. S. dazu auch Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568 f. Wolter, GA 1988 , 49, 52. SächsVerfGH, JZ. 1996, 957, 959. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 36. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453; a.A. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 648. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
– typischerweise konspirativ – in organisierter Form begangen werden sollen und eine offene Annäherung an den potentiellen Täterkreis zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse aus praktischen Gründen ausscheidet1402. Es bedarf der heimlichen Informationsbeschaffung dadurch, dass die Polizei die Hintermänner und Drahtzieher einzelner Straftaten bzw. vermuteter krimineller Szenen bzw. Gruppierungen beobachtet. 3. Erforderlichkeit Die Erforderlichkeit einer Maßnahme ist dann gegeben, wenn kein gleich geeignetes, aber den Betroffenen geringer belastendes Mittel vorhanden ist1403. Auch bei der Frage der Erforderlichkeit wie der Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung zur Erreichung des angestrebten Zwecks kann dem Gesetzgeber nach der Rechsprechung1404 eine Einschätzungsprärogative zustehen. Die grundsätzliche Geeignetheit und Erforderlichkeit der heimlichen Datenerhebungen und die anschließende Datenverarbeitung durch die Polizei, wie sie durch die Änderung des Polizeirechts und des Strafprozessrechts ermöglicht werden, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich noch nicht absehen lässt, ob hierdurch dauerhaft die Effektivität der Polizeiarbeit bei der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung und der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung gesteigert wird1405. Steht hinter der Einschätzung des Gesetzgebers die ernsthafte und begründete Erwartung eines Erfolgs, so kann eine solche experimentierende Regelung verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden1406. Die Erforderlichkeit hängt also bis zu einem gewissen Grade wiederum von der gesetzgeberischen Einschätzung ab und fehlt nur dann, wenn eindeutig ein geringer belastendes, aber gleich geeignetes Mittel ersichtlich ist1407. Unter Zugrundelegung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative kann ein gänzlicher Verzicht auf die heimliche Datenerhebung und die anschließende Datenverarbeitung durch die Polizei sicherlich kein gleich geeignetes Mittel sein1408. Schließlich ist ein umfassendes Datenerhebungs- und Verwertungsrecht der Polizei „angesichts der Entwicklung der – zunehmend organisierter in Erscheinung tretenden und sich ihrerseits moderner nachrichtentechnischer Mittel bedienender – Rogall, JZ 1987, 847, 852; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. BVerfGE 100, 313, 375. 1404 MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 1405 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960. 1406 Vgl. BVerfGE 100, 313, 373; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960. 1407 Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 248. 1408 Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 248. Nicht überzeugend daher Siebrecht, CR 1996, 545, 555, wonach aus rechtpolitischer Sicht gänzlich auf Rasterfahndungen verzichtet werden sollte. 1402 1403
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
291
Kriminalität“ 1409 jedenfalls grundsätzlich zur Kriminalitätsbekämpfung geeignet (und erforderlich). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Gewinnung und Auswertung von Informationen über kriminelle Organisationen und Terroristen und der von ihnen geplanten Straftaten einen Beitrag zur Bekämpfung derselben leistet. Ein umfassendes Datenerhebungs- und Verwertungsrecht der Polizei stellt ein erfolgversprechendes und polizeilich benötigtes Instrument im Kampf gegen die heutigen Erscheinungsformen der Kriminalität, darunter auch der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus, dar1410. Daher durfte der baden-württembergische Gesetzgeber Maßnahmen z. B. gem. §§ 22 III, 25 I 1, 38 I 1, IV 1, 40 I BWPolG unter den dort bestimmten Voraussetzungen für ein geeignetes (und erforderliches) Mittel zur vorbeugenden Bekämpfung der darin angesprochenen schweren Straftaten halten. Diese Einschätzung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Erfolge in welchen Kriminalitätsbereichen im Einzelnen zu erwarten sind1411.
4. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verlangt, dass die sich aus dem Einsatz des anzuwenden Mittels ergebenden Beeinträchtigungen nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg stehen1412. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn hat eine Güterabwägung stattzufinden zwischen den Belangen der Betroffenen und den vom Gesetz verfolgten Zwecke. Bei den heimlichen Datenerhebungen und der anschließenden Datenverwendung durch die Polizei, die durch die Änderung der Polizeigesetze und der StPO ermöglicht wurden, sind das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der einen Seite und die Gefahrenabwehr, die vorbeugende Verbrechensbekämpfung oder die Strafverfolgung auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen. a) Kriterien für die angemessene Güterabwägung Das BVerfG hat bisher nur bei Individualgrundrechten eine besondere staatliche Schutzpflicht anerkannt1413. Einen absoluten Vorrang hat es jedoch allerdings auch hier nicht angenommen1414. Vielmehr sei es Aufgabe des Gesetzgebers, Art und Umfang des nur als Ziel von der Verfassung vorgegebenen Schutzes zu bestimmen1415. Das Interesse des Staates an dem Rechtsgüterschutz innerhalb der Ge1409 1410 1411 1412 1413 1414 1415
19*
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453; a.A. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 679. Schenke, Polizeirecht, Rn. 338. BVerfGE 39, 1, 42; 88, 203, 251. Vgl. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 250. BVerfGE 88, 203, 253 f.
292
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
fahrenabwehr bzw. die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs einerseits und das Interesse des Bürgers, von heimlichen polizeilichen Maßnahmen verschont zu sein, andererseits, müssen zu einem angemessenen Ausgleich geführt werden, was bedeutet, dass praktische Konkordanz hergestellt werden muss1416. Dem Gesetzgeber obliegt hier die Aufgabe, einen Ausgleich zwischen Individual- und Allgemeininteressen zu schaffen1417. Für den angemessenen Ausgleich zwischen Individual- und Allgemeininteressen, den der Gesetzgeber bei Regelungen, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht einschränken, herbeizuführen hat, spielt dabei auf grundrechtlicher Seite eine Rolle, unter welchen Voraussetzungen welche und wie viele Grundrechtsträger wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind1418. Kriterien sind also die Gestaltung der Einschreitschwellen, die Zahl der Betroffenen und die Intensität der Beeinträchtigungen 1419. Auf Seiten der Gemeinwohlinteressen ist das Gewicht der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele als Kriterium zu berücksichtigen1420. Bezüglich letzterem kommt es u. a. auf die Größe der Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts an1421.
b) Einschreitschwelle Der baden-württembergische Gesetzgeber hat polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung von materiellrechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht, die den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begrenzen. So erfordert z. B. § 22 III BWPolG, dass anderenfalls die Wahrnehmung der Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes gefährdet oder erheblich erschwert würde. Dadurch wird im Gesetzestext selbst klargestellt, dass der Einsatz der besonderen Mittel der Datenerhebung als besonders schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ultima ratio der Gefahrenabwehr ist. Die heimliche Datenerhebung ist nur zulässig, wenn der Polizei außer ihr kein anderes, gleich wirksames Mittel zur Gefahrenabwehr verbleibt1422. Die heimliche Datenerhebung kann auch nur zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter, also zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Verbrechen bzw. den Rechtsfrieden besonders störender Vergehen in Betracht kommen (vgl. §§ 22 III, 22 V BWPolG). Außerdem ist bereits durch § 19 II 2 BWPolG klargestellt, dass personenbezogene Daten grundsätzlich offen zu erheben sind und 1416 1417 1418 1419 1420 1421 1422
Vgl. Kastner, VerwArch. Bd. 92 (2001), 216, 250. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 596. BVerfGE 100, 313, 376. BVerfGE 100, 313, 376; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 264. BVerfGE 100, 313, 376; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 264. BVerfGE 100, 313, 376; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 264 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454.
3. Kap.: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
293
sich die verdeckte Datenerhebung demgegenüber als Ausnahmefall darstellt. Die heimliche Datenerhebung, die in direktem Widerspruch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht,1423 kann also nur dort und insoweit in Betracht kommen, als sonst die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben gefährdet oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist oder wenn anzunehmen ist, dass dies den überwiegenden Interessen des Betroffenen entspricht (vgl. z. B. §§ 19 II 2 BWPolG). Umstritten ist – trotz der in den Polizei- und Ordnungsgesetzen teilweise detaillierten Regelung der Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe durch die Polizei –, wann die schwerwiegenden Eingriffe getätigt werden können. Gegen die entsprechenden polizeigesetzlichen Regelungen werden im Schrifttum,1424 aber auch durch die Landesverfassungsgerichte1425 teilweise schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, unter welchen Voraussetzungen personenbezogene Daten, die durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewonnen wurden, zum Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden dürfen. Fraglich ist auch, welche Voraussetzungen bei einer Umwidmung der durch heimliche strafprozessuale Maßnahmen gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke erfüllt sein müssen. c) Adressatenbezogenheit Problematisch sind die Regelungen der §§ 22, 40 BWPolG über heimliche Informationseingriffe auch insoweit, als sie nicht adressatenbezogen eingegrenzt sind1426. Betroffene der Datenerhebung durch eine längerfristige Observation, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochen Wortes auf Tonträger oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler sind – wie die Verweisung in § 22 II, III BWPolG klarstellt – jeweils Störer und Nichtstörer im Sinne des § 20 II BWPolG bzw. potentielle Straftäter und ihre Kontaktund Begleitpersonen im Sinne des § 20 III Nr. 1 und 2 BWPolG (nach § 22 II BWPolG auch Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers i. S. d. § 20 III Nr. 4 BWPolG). Vor allem in die Massenfahndungsmethode Rasterfahndung werden typischerweise eine Vielzahl von unbescholtenen Bürgern (Nichtstörern) einbezogen, nur weil bei ihnen zufällig die Kombination von MerkBäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 37; Götz, NVwZ 1994, 652, 660. Vgl. Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217; Hund, ZRP 1991, 463, 466; Müller, StV 1995, 602, 605. 1425 BayVerfGH, JZ 1995, 299 ff.; SächsVerfGH, LKV 1996, 273 ff.; BbgVerfG, LKV 1999, 450 ff.; MVVerfG, LKV 2000, 345 ff. 1426 Dazu Riegel, DVBl. 1987, 325 ff.; Alberts, ZRP 1990, 147, 148 f.; Schönstedt, Kriminalistik 1996, 503. 1423 1424
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung
malen zutrifft. Im Extremfall könnten zwangsläufig Daten der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik abgeglichen werden, nur weil sie zufällig gleiche Merkmale oder gleiche Tatsachen aufweisen1427.
d) Verfassungskonforme Eingrenzung der Eingriffsermächtigungen Hinsichtlich der Einschreitschwellen und des Adressatenkreises ist somit eine verfassungskonforme Eingrenzung der Vorschriften über heimliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit in Verbindung stehende Maßnahmen der Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten geboten. Hierzu geben z. B. die Vorschriften der §§ 25 I 1, 38 I 1, IV 1, 40 I 1 BWPolG („erforderlich“) und § 22 II, III BWPolG („wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde“) Anlass, wobei für die Anordnung solcher Informationseingriffe durch die Polizei weitere Erforderlichkeitsprüfungen vorgeschrieben sind1428. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Übermaßverbots, der unabhängig von seiner einfachgesetzlichen Positivierung kraft Verfassungsrechts gilt, bietet auch ausreichende Handhaben, strafprozessuale Ermächtigungen zur Verwertung der auf Grundlage der Polizei- und Ordnungsgesetze erhobenen Daten für Zwecke der Strafverfolgung in den §§ 161, 163 I 2, 483 StPO in verfassungskonformer Auslegung einzuschränken. Hierbei ist eine restriktive Interpretation der Vorschriften über heimliche Informationseingriffe und damit in Verbindung stehende Maßnahmen der Verwendung von personenbezogenen Daten geboten, um sie nicht zu einem Einfallstor polizeilicher Omnipotenz werden zu lassen und das Polizeirecht und das Strafprozessrecht nicht zum Instrument totaler Bürger-Erfassung zu pervertieren1429. Insoweit bestehen Bedenken dagegen, dass sich das Urteil des MVVerfG vom 21. 10. 19991430 mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung nicht einmal hinsichtlich Folgeeingriffen und Daten beschäftigt, obwohl § 29 II 1 („erforderlichen“) und § 36 I 1 SOG M.-V. sowie die allgemeinen polizeilichen Maßnahmenvoraussetzungen („notwendigen“) in §§ 13 ff. SOG M.-V. hierzu Anlass gegeben hätten1431. Notwendig ist es, die Einschreitschwellen und die Adressatenbezogenheit heimlicher Informationseingriffe und damit in Verbindung stehender Maßnahmen der Verwendung von personenbezogenen Daten als Eingriffsschwelle gesondert zu untersuchen. Die nachfolgenden Ausführungen werden sich auf diese zentralen Problembereiche beschränken. Unter dem 3. Teil wird auf die Einschreitschwellen und unter dem 4. Teil auf die Adressatenbezogenheit noch näher einzugehen sein. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 421. Der baden-württembergische Gesetzgeber statuiert den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Übermaßverbots in §§ 3, 5 BWPolG nochmals deklaratorisch. 1429 Vgl. Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 569. 1430 Vgl. MVVerfG, DVBl. 2000, 262 ff. 1431 Vgl. Engelken, DVBl. 2000, 269. 1427 1428
3. Teil
Voraussetzungen für heimliche polizeiliche Informationseingriffe und die Umwidmung der dadurch gewonnenen Daten 1. Kapitel
Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr bemessen sich Maß und Reichweite zulässiger Grundrechtseingriffe nach dem Maß der Gefahr in Beziehung zur Schwere des Grundrechtseingriffs1. Je konkreter die für eine Gefahr essentielle Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und je höherrangiger das zu schützende Rechtsgut sind, desto mehr und weiterreichende die Eingriffsbefugnisse stehen der Polizei und den anderen zur Gefahrenabwehr zuständigen Behörden zu, solange nicht – bei wertender Betrachtung der zugrundeliegenden Situation – der Wesensgehalt des Grundrechts angetastet wird2. Je nachhaltiger und tiefer in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingriffen wird, desto höher sind die Anforderungen an den jeweiligen Eingriff3. Dem muss der Gesetzgeber bei der Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch eine an Inhalt und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete differenzierende Regelung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten Rechnung tragen.
A. Intensität des Eingriffs durch eine heimliche Datenerhebung Die verdeckte Erhebung und Verwertung personenbezogener Daten z. B. durch besondere Mittel der Datenerhebung (§ 22 BWPolG), durch die polizeiliche Beobachtung (§ 25 BWPolG) oder durch die Rasterfahndung (§ 40 BWPolG) stellen 1 2 3
SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960.
296
3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
einen sehr schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar4. Denn heimliche Datenerhebung steht dem Anspruch des Betroffenen, zu wissen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß, „diametral“ entgegen5. Der durch eine heimliche Datenerhebungsmaßnahme Betroffene erfährt jedenfalls zunächst nichts von einem solchen Eingriff. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist aber eine gesellschaftliche und rechtliche Ordnung unvereinbar, in welcher der Einzelne nicht mehr wissen kann, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß6. Denn derjenige, der nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche der ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und derjenige, der das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden7. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, da Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist8. Im Volkszählungsurteil sah das BVerfG in der Unkenntnis des Einzelnen über die seiner Umwelt zur Verfügung stehenden personenbezogenen Daten eine schwerwiegende Beeinträchtigung der individuellen Persönlichkeitsentfaltungschancen des Einzelnen und der auf Selbstbestimmung gegründeten freiheitlichen demokratischen Ordnung9. Die verdeckte und daher von dem Betroffenen mit den Mitteln des abwehrenden gerichtlichen Rechtsschutzes nicht zu verhindernde Gewinnung und Verwertung personenbezogener Daten durch besondere Mittel der Datenerhebung nach § 22 BWPolG, durch die polizeiliche Beobachtung nach § 25 BWPolG oder durch die Rasterfahndung nach § 40 BWPolG, greifen für die Betroffenen in erheblichem Maße in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein10. Denn die Polizei kann hier anders als bei der Gewinnung von Erkenntnissen über offen zutage tretende und damit von dem Betroffenen in gewissem Sinne von sich aus in den öffentlichen Raum entäußerter Lebensumstände mit verdeckten Mitteln die privatesten und daher in besonderem Maße schutzbedürftigen personenbezogenen Daten des Betroffenen erheben und verwerten11. Durch polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung gewinnt die Polizei die Herrschaft über Daten, die der Betroffene nur für sich und unter seiner Herrschaft behalten will. Das gilt um BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 717. 6 BVerfGE 65, 1, 43. 7 BVerfGE 65, 1, 43. 8 BVerfGE 65, 1, 43; auch BVerfG, NJW 1996, 114. 9 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, 3, 15. 10 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 11 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 4 5
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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so mehr, als solche Daten durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung möglicherweise aus besonderen, grundrechtlich geschützten Vertrauensverhältnissen wie z. B. dem Arzt-Patientenverhältnis, dem Verhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Mandaten oder der Presse zu ihner Informanten gewonnen und verwertet werden können. Außerdem könnte eine heimliche polizeiliche Datenerhebung in Bezug auf solche Personen erfolgen, denen bei ihrer offenen Befragung ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen würde, soweit sie durch die Auskunft sich selbst oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden oder weil ihnen auf Grund ihres Berufes ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen wäre (vgl. z. B. § 27 IV 2 BWPolG). Erfolgt die verdeckte Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnung oder soll verdeckt das nichtöffentlich gesprochene Wort abgehört und auf Tonträger aufgezeichnet werden, können Persönlichkeitsrechte des Betroffenen erheblich beeinträchtigt werden. Durch die photographische, tontechnische oder filmische Aufzeichnung ist eine von dem ursprünglichen Kontext losgelöste ständige Konservierung und Verfügbarkeit von Bild und Wort erreichbar12. Die Persönlichkeitsentfaltung würde erheblich geschmälert, wenn andere ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen über sein eigenes Bild oder sein nicht öffentlich gesprochenes Wort nach Belieben verfügen könnte13. Die Unbefangenheit der Kommunikation, die für die Persönlichkeitsentfaltung konstitutiv ist, würde, wie das BVerfG bereits im Tonband-Beschluss von 1973 ausgeführt hat, gestört, wenn der Sprechende ständig damit rechnen muss, dass seine als flüchtig gedachten Worte jederzeit aus dem Zusammenhang gerissen und ohne seine Einwilligung gegen ihn verwertet werden könnten14. Entsprechendes gilt für die Observation, da sie mit der Anfertigung von Lichtbildern oder Belauschung eines Gesprächs zusammenfallen können15. Da die Intensität des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht wesentlich von der Dauer der polizeilichen Maßnahme abhängt, enthält die längerfristige Observation, die voraussichtlich innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden dauert oder über den Zeitraum einer Woche hinaus stattfindet (vgl. § 22 I Nr. 1 BWPolG), einen gesteigerten Grundrechtseingriff16. Aus der langfristigen Observation kann sich für den Störer oder für potenzielle Straftäter wie ggf. für unbeteiligte Dritte die Gefahr der technischen Festschreibung eines Persönlichkeitsoder Bewegungsbildes ergeben17. Durch die polizeiliche Beobachtung als eine BVerfGE 34, 238, 246; 35, 202, 220. BVerfGE 34, 238, 246; 35, 202, 220. 14 BVerfGE 34, 238, 246. 15 Deutsch, S. 7. 16 Gusy, Polizeirecht, Rn. 202. 17 S. § 22 I Nr. 1 BWPolG; Art. 33 I Nr. 1 BayPAG; § 25 I Nr. 1 BerlASOG; § 32 BrandPolG; § 32 BremPolG; § 9 HambPolDVG; § 15 I Nr. 1 HSOG; § 33 I Nr. 1 MVSOG; § 34 NdsSOG; § 16 NWPolG; § 28 II Nr. 1 SaarlPolG; § 17 I Nr. 1 SachsAnhSOG; § 36 II Nr. 1 SächsPolG; § 185 I Nr. 2a SchlHVwG; § 34 I Nr. 1 ThürPAG. 12 13
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
besondere Form der Observation können unter Umständen Bewegungsbilder einer bestimmten Person hergestellt werden18; bei der polizeilichen Beobachtung kann eine bestimmte Person (potenzieller Straftäter) polizeilich ausgeschrieben werden; dies gilt auch für Kennzeichnen der auf den Namen der Person zugelassenen, von ihr benutzen oder von ihr eingesetzten Kraftfahrzeuge19. Die Ausschreibung erfolgt regelmäßig in einer Fahndungsdatei (z. B. INPOL-Datei Sach- oder Personenfahndung) und hat zur Folge, dass dann, wenn eine Person etwa anlässlich eines Grenzübertritts in eine Polizeikontrolle gerät, die entsprechenden Daten mit der Fahndungsdatei abgeglichen werden und die an der Grenze anlässlich der Polizeikontrolle gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere über das Antreffen der Person bzw. ihres Fahrzeugs, über Kontakt- und Begleitpersonen sowie über mitgeführte Sachen an die ausschreibende Polizeidienststelle übermittelt werden können,20 so dass die Erstellung von Bewegungsbildern zumindest möglich wird21. Die Rasterfahndung nach § 40 BWPolG ermöglicht der Polizei den Zugriff auch auf besonders „sensible“ Daten, deren Inhalt sich nicht allein auf Name, Anschrift sowie Tag und Ort der Geburt beschränkt (§ 40 II 1 BWPolG), sondern Daten etwa über Lebensgewohnheiten (z. B. Geschlechtsleben), Familienverhältnisse, Gesundheitszustand, finanzielle Verhältnisse, Religion und politische Gesinnung der betroffenen Personen enthält22. Die beliebige Kombinierbarkeit personenbezogener Daten, die aus den unterschiedlichsten Quellen herrühren, führt zu der möglichen Erstellung von Persönlichkeits-, Verhaltens- und Bewegungsprofilen des Einzelnen, da die EDV die an den verschiedensten Stellen über dieselbe Person gesammelten Einzelinformationen zusammenfügen kann23. Detaillierte Informationen sind heute bereits z. B. bei den Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, bei den Sozialleistungsträgern, Rentenversicherungen, Arbeitsämtern und vielen anderen staatlichen und gemeindlichen Stellen vorhanden24. Aus technischer Sicht können diese Informationen ohne weiteres beschafft werden25. Dabei erlangen die Betroffenen aber überhaupt keine Kenntnis von dem Zugriff der Polizei auf die Daten. Das BVerfG weist zutreffend darauf hin, dass „die Befürchtung einer Überwachung mit der Gefahr Vgl. Vahle, VR 1986, 258, 260. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 628. 20 Schenke, Polizeirecht, Rn. 203. 21 Götz, Polizeirecht, Rn. 524. 22 Nach den Terroranschlägen in den USA hat BKA-Staatsschutzchef Manfred Klink am 17. September 2001 in einem vertraulichen Telex einen ersten „Kriterienkatalog“ zur Fahndung nach sog. islamischen „Schläfern“ verschickt. Tätermerkmale sind u. a.: Vermutlich keine nach außen tretende fundamentalistische Haltung / technische Studienfächer / keine eigenen Kinder / geistig beweglich / stressresistent / mehrsprachig / keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich / rege Reisetätigkeit / finanziell autark. FOCUS v. 24. September 2001. 23 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 222; Wittig, JuS 1997, 961, 968; Siebrecht, CR 1996, 545, 549. 24 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 222. 25 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 221 f. 18 19
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
299
einer späteren Auswertung, etwaiger Übermittlung und weiterer Verwendung durch andere Behörden bei den Grundrechtsträgern schon im Vorfeld zu Kommunikationsstörungen und zu Verhaltensanpassungen führen kann“.26 Die Zulässigkeit von polizeilichen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung kann, soweit sie den Störer treffen, grundsätzlich kaum in Frage gestellt werden. Die Problematik liegt darin, dass in verschiedener Hinsicht unbescholtene Bürger (Nichtstörer) betroffen sind. Besondere Mittel der Datenerhebung bedingen zugleich, dass unbeteiligte Dritte unvermeidbar betroffen sind (s. § 22 IV BWPolG)27. Von heimlichen Informationseingriffen sind außer Störern bzw. potentiellen Straftätern – unter bestimmten Voraussetzungen – auch Personen betroffen, bei denen eine Störereigenschaft noch nicht bejaht werden kann, also „andere Personen“ (§ 20 II BWPolG), Kontakt- und Begleitpersonen (§§ 22 II, III, 25 I BWPolG), Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potenziellen Opfers (§ 22 II BWPolG), unbeteiligte Dritte (§ 22 IV BWPolG) sowie Träger von Amts- und Berufsgeheimnissen. Problematisch ist vor allem die Rasterfahndung gem. § 40 BWPolG insoweit, als jedermann potenziell betroffen ist, in hohem Maße auch der unbescholtene Bürger. Bei ihr ist kein konkreter Verdacht gegen alle von der Fahndungsmaßnahme betroffenen Personen erforderlich28. Das Verfahren der Rasterfahndung wird zunächst gegen Unbekannt geführt. Unverdächtige werden ausgesiebt, bis ein „Bodensatz“ oder „Destillat“ von Verdächtigen verbleibt29. Auf einen personenbezogenen Verdacht wird verzichtet30. Der Verdacht gegen eine bestimmte Person ist anders als im klassischen Polizeirecht häufig nicht der Ausgangspunkt, sondern erst das Ergebnis der Rasterfahndung31. Verdächtig ist danach nicht eine Person, sondern nur eine Situation32. Bei der Rasterfahndung können die Daten eines großen Kreises von Personen, die sich nicht verdächtig gemacht haben, sondern nur zufällig die Suchkriterien erfüllen, gespeichert und ausgewertet werden. Bei polizeilichen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung gem. §§ 22, 25, 40 BWPolG wird damit die Anknüpfung an einen Störer als Adressat polizeilicher Maßnahmen aufgegeben33. Die bisherigen Überlegungen zusammenfassend ist die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten durch den Einsatz besonderer Mittel der DatenBVerfG, NJW 1996, 114. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 597. 28 Vgl. Wittig, JuS 1997, 961, 968. 29 S. z. B. Simon / Taeger, JZ 1982, 140, 141; auch Wanner, CR 1986, 216, 221; Denninger, in: Hohmann (Hg.), 158. 30 Siebrecht, CR 1996, 545, 546. 31 Vgl. Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, 104; ebenso Wittig, JuS 1997, 961, 968. 32 Siebrecht, CR 1996, 545, 546. 33 Ebenso z. B. in § 20 II BWPolG, § 20 III Nr. 5 BWPolG, §§ 21 I 2, 22 IV BWPolG. Dazu näher Alberts, ZRP 1990, 147, 148 f.; Lisken / Mokros, NVwZ 1991, 609, 610; Schönstedt, Kriminalistik 1996, 503; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. 26 27
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
erhebung nach § 22 BWPolG, durch die polizeiliche Beobachtung nach § 25 BWPolG oder durch die Rasterfahndung nach § 40 BWPolG als ein schwerwiegender heimlicher Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu qualifizieren. Dieser durch den baden-württembergischen Gesetzgeber in §§ 22, 25 und 40 BWPolG geregelte Eingriff darf nur zum Schutz bedeutender Rechtsgüter vorgenommen werden, wenn diesbezüglich eine konkrete Gefahr vorliegt und kein weniger belastendes anderes Mittel zur Gefahrenabwehr zur Verfügung steht.
B. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung im Vorfeld konkreter Gefahren zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten? I. Heimliche polizeiliche Datenerhebungen im Vorfeld konkreter Gefahren? Für die Anordnung einer längerfristigen Observation, den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder den Einsatz verdeckter Ermittler verlangt z. B. § 22 III BWPolG, dass entweder eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte abzuwehren ist oder Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG vorbeugend zu bekämpfen sind. Die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen ist nach § 22 II BWPolG außer zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für eines der o. a. hochrangigen Rechtsgüter auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i.S. des § 22 V BWPolG erlaubt. Die polizeiliche Beobachtung kann nach § 25 I Nr. 2 BWPolG angeordnet werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) künftig begehen wird und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist. Nach § 40 I BWPolG ist die Rasterfahndung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) zulässig. Nach Ansicht von Merten / Merten erstrecke sich dabei der Begriff der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ über zwei Rechtsbereiche, nämlich über die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung34. In beiden Bereichen sollen traditionelle rechtsstaatliche Schranken mit diesem Begriff überwunden werden. Angestrebt würde nicht nur die Eröffnung des vor der konkreten Gefahr liegenden polizeirechtlichen Vorfeldes, sondern auch die Überwindung der strafprozessualen Schranke des hinreichenden Anfangsverdachts. Im Vorfeld noch nicht konkretisier34
Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
301
ter Gefahren bzw. noch nicht begangener oder versuchter Straftaten könne die Polizei Daten und Informationen heimlich erheben, verarbeiten und speichern. Es gehe also um Strafverfolgung und Gefahrenabwehr im Vorfeld, um Vorfeldtätigkeit ohne zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Gefahrhinweise, um Strafverfolgung bzw. Gefahrabwehr in rechtsstaatlich bisher verschlossenen vorgelagerten „Grauzonen“35. Angesichts der vielfältigen Bedrohungen, denen sich der Staat und seine Bürger heute durch organisierte oder andere schwere Kriminalität ausgesetzt sehen, ist es zwar vielfach geboten, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die bereits im Vorfeld konkreter Gefahren Handlungsmöglichkeiten eröffnen, wobei jedoch grundrechtliche Erfordernisse nicht zu kurz kommen dürfen36. Ob heimliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten schon zulässig sind, wenn noch gar keine Gefahr vorliegt, ist aber angesichts der Schwere der damit verbundenen Grundrechtseingriffe zu bezweifeln37. 1. Die sogenannten polizeilichen Vorfeldaktivitäten Die Polizei hat unter Berufung auf den Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in den vergangenen Jahren sog. „Vorfeldaktivitäten“ entwickelt38. Nirgends ist aber der Begriff des „Vorfeldes“ definiert39. Er wird im Sprachgebrauch der Praktiker und Politiker bislang dort benutzt, wo es sich um die Verschaffung von hinreichenden Anhaltspunkten für einen konkreten Verdacht in einem für kriminell gehaltenen Umfeld handelt40. Er findet sich aber im polizeirechtlichen Schrifttum, häufig in Zusammensetzungen wie z. B. Vorfeldermittlungen, Vorfeldstrategie, Vorfeldtatbestand, Vorfeldbereich und Vorfeldverdachtsgewinnung41. Es geht um die Polizeitätigkeit im Vorfeld einer konkreten Gefahr sowie eines hinreichenden Tatverdachts. Durch die Thematisierung der polizeilichen Vorfeldaktivitäten versuchen Polizeirecht und Polizeipraxis u. a. die strafprozessuale Begrenzungsfunktion des Anfangsverdachts (§ 152 II StPO) zu überwinden42. Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten müsse sich die Polizei im Vorfeld des konkretisierbaren Tatverdachts Ermittlungsmethoden bedienen können, die nach der StPO nicht zulässig sind43. Sehr umstritten ist dabei, ob und Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217. Wolf-Rüdiger Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Seoul 1999, 4. 37 So auch BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 38 Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164 f. 39 Lisken, ZRP 1994, 264, 265. 40 Lisken, ZRP 1994, 264, 265. 41 Vgl. hierzu Keller / Griesbaum, NStZ 1990, 416 ff.; Hund, ZRP 1991, 463 ff.; Merten / Merten, ZRP 1991, 213 ff.; Kniesel, ZRP 1992, 164 ff.; Lisken, ZRP 1994, 264 ff.; Wolter, Formen des Vorermittlungsverfahrens und Reform des Ermittlungsverfahrens, 501 ff. 42 Vgl. Roxin, § 37 B I. 43 Kniesel, ZRP 1992, 164, 166. 35 36
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
inwieweit die sog. polizeilichen Vorfeldaktivitäten im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr rechtlich möglich und rechtspolitisch legitim sind44. 2. Polizeiliches Effektivitätsdenken contra Rechtsstaat und Notwendigkeit von polizeilichen Vorfeldstrategien a) Kritik von Hund an den polizeilichen Vorfeldstrategien In Anbetracht der neuen informationellen Befugnisse der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist rechtsstaatliche Besorgnis angemahnt45. Nach Ansicht von Hund könnte man vielleicht die polizeirechtlichen Regelungen über den Einsatz technischer Mittel, die Rasterfahndung oder den Datenabgleich, den Einsatz Verdeckter Ermittler, die Observation und die polizeiliche Beobachtung noch hinnehmen, wenn es tatsächlich um die Abwehr realer Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ginge46. Auffallend sei aber, dass diese schwerwiegenden Grundrechtseingriffe auch für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zugelassen würden – also für Fälle, in denen eine konkrete Gefährdung nicht bestehe47. Nach Ansicht von Hund geht es bei der angeblichen „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ nicht um Gefahrenabwehr, sondern um Erleichterung der Strafverfolgung und die Überwindung strafprozessualer Effektivitätshindernisse. Durch polizeiliche Vorfeldstrategien könnten rechtsstaatliche Prinzipien gefährdet werden, insbesondere durch eine sich von der Grenze des § 152 II StPO lösende Vorfeldverdachtsgewinnung48. Die Polizei breche nur in das Polizeirecht ein, um die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft und die rechtsstaatlichen Effektivitätshindernisse der StPO abstreifen zu können49. Bei seiner Kritik hat Hund darauf hingewiesen, dass sich die Polizei mit Verlassen des gesicherten Bodens der StPO und dem Betreten des durch die Polizeigesetze der Länder erschlossenen Geländes zwangsläufig vom Rechtsstaat entfernt und sich auf den Weg in den Polizeistaat begibt50. b) Entgegnung von Kniesel auf Hund In seiner Entgegnung auf Hund hat Kniesel jedoch ausgeführt, „wer zur Kriminalitätsbekämpfung auf die StPO und ihre Mittel fixiert ist, hindert effiziente Kriminalitätsbekämpfung im Ansatz. Die StPO ist ausgerichtet auf einzelne Straftaten. Kriminelle Strukturen liegen nicht in ihrem Blickfeld. Da sich Hintermänner 44 45 46 47 48 49 50
Vgl. Roxin, § 37 B I. Hund, ZRP 1991, 463 ff.; s. auch Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 219 ff. Hund, ZRP 1991, 463, 466. Hund, ZRP 1991, 463, 466. Hund, ZRP 1991, 463. Hund, ZRP 1991, 463. Hund, ZRP 1991, 463, 467 ff.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
303
und Drahtzieher die Finger nicht schmutzig machen, seien Organisationen mit den Mitteln der StPO schwerlich greifbar. Konkrete Straftaten als Ausschnitt bzw. Momentaufnahme organisierter Kriminalität werden nur bei untergeordneten und gleichzeitig austauschbaren Organisationsmitgliedern sichtbar. In Richtung der Hintermänner muss es daher zunächst um das Aufhellen von Strukturen gehen. Es bedarf der Informationsbeschaffung im Vorfeld der konkreten Gefahr und des konkretisierbaren Tatverdachts, indem Personen erkannter bzw. vermuteter krimineller Szenen bzw. Gruppierungen beobachtet werden“51. Nach Kniesel ist die StPO kein rechtstaatliches „Arkanum“, verbürge für sich genommen kein Mehr an Rechtstaatlichkeit gegenüber den Polizeigesetzen der Länder; als ob der Rechtstaat in ersterer ein „Heimspiel“ und in letzterer ein „Auswärtsspiel“ zu bestreiten hätte52. c) Auffassung des SächsVerfGH zu den Vorfeldermittlungen Der SächsVerfGH hat sich bereits mit Fragen zu den Vorfeldermittlungen bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Reihe von Bestimmungen des SächsPolG im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens befasst53. Nach Ansicht des SächsVerfGH sei der Einsatz der besonderen Mittel der Datenerhebung auch schon im Vorfeld konkreter Gefahrensituationen zur Verhinderung und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten geeignet und erforderlich54. Unter Bezugnahme auf die Auffassung von Kniesel55 stellte der SächsVerfGH zunächst fest, dass die Kriminalitätsbekämpfung durch Vorfeldaktivitäten im Durchleuchten des kriminellen Umfeldes, im Erkennen von verbrechensbegünstigenden Strukturen und in der Feststellung sich einnistender Verbrechenslogistik sowie im operativen Vorgehen gegen solche Gebilde, wie etwa der Beseitigung von Tatgelegenheiten und der Auflösung von Organisationen und Szenen besteht56. Weiterhin wurde ausgeführt, dass die Informationsbeschaffung (Datenerhebung) dabei häufig mit Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden sein wird, ohne dass schon zu diesem Zeitpunkt die das herkömmliche Polizeirecht prägenden Grundkategorien wie die Bestimmung der Eingriffsschwelle über den Gefahrenbegriff sowie die Unterscheidung von Störern und Nichtstörern das polizeiliche Handeln bestimmen können57. Hinzu kommt, dass Angehörige kriminell eingestufter Gruppierungen, von denen nach kriminalistischer Erfahrung die Begehung weiterer schwerer Delikte zu erwarten ist, bei denen jedoch die Tatbegehung räumlich Kniesel, ZRP 1992, 164 – 165. Kniesel, ZRP 1992, 164. 53 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957 ff.; zur Kritik der Rechtsprechung s. Götz, JZ 1996, 969 ff.; Schenke, DVBl. 1996, 1393 ff.; Bäumler, NVwZ 1996, 765 ff.; Paeffgen, NJ 1996, 454 ff. 54 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. 55 Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164. 56 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. 57 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; auch Kniesel, ZRP 1992, 164. 51 52
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
und zeitlich noch nicht fixiert werden kann, sich mit den Kategorien des Störerbegriffs alter Prägung nicht durchgängig erfassen lassen58. Hieraus folgert der SächsVerfGH, „vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich jedenfalls vertretbar und damit vom gesetzgeberischen Gestaltungsermessen gedeckt, den Sicherheitsorganen zur Bekämpfung dieser „Szenen“ Befugnisse zu Ermittlungen und Informationseingriffen einzuräumen, die auch das Vorfeld einer konkreten Gefahr nicht ausklammern. Nach der verfassungsmäßigen Ordnung ist die polizeiliche Tätigkeit nicht generell auf die Abwehr konkreter, im Einzelfall bestehender Gefahren beschränkt59. Informationseingriffe der Sicherheitsbehörden sind deshalb innerhalb bestimmter Kriminalitätsbereiche nicht von vornherein an das Vorliegen einer konkreten Gefahr gebunden, sondern auch vor dem Erreichen dieser Schwelle rechtsstaatlich unbedenklich“60.
3. Stellungnahme a) Grundsätzliche Zulässigkeit von polizeilichen Tätigkeiten im Vorfeld der Strafverfolgung Die polizeiliche Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist heute in den meisten Polizeigesetzen gesetzlich geregelt worden und für die Tätigkeit der Polizei im Vorfeld der Strafverfolgung sind entsprechende Befugnisnormen aufgenommen worden61. Die neuen informationellen Befugnisse der Polizei im Vorfeld der Strafverfolgung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten werden dabei deshalb anerkannt, da sie in der Auseinandersetzung mit moderner Kriminalität unverzichtbar sind62. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer schwerer Straftaten erfordert verdeckte und computergestützte Informationseingriffe im Vorfeld des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens. Vielfach handelt es sich z. B. im Bereich der Waffen- und Drogenkriminalität in organisierter Form um Straftaten ohne privates Opfer, insbesondere um Delikte ohne Anzeigeerstatter63. Hintermänner und Drahtzieher treten nicht nach außen in Erscheinung64. Angesichts einer begangenen Straftat ohne Spur von dem Täter enthält die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ihr besonderes Gepräge nicht nur durch die repressive Tätigkeit, die von einem Anfangsverdacht (§ 152 II StPO: „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“) für eine begangene 58 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 unter Bezugnahme auf Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568 f. 59 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 – 960 unter Bezugnahme auf BVerfGE 30, 1, 29; BVerfG, NJW 1996, 114. 60 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 – 960. 61 Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164, 165. 62 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 63 Wolter, GA 1988 , 49, 51. 64 Wolter, GA 1988 , 49, 51.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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Straftat abhängt65. Die neue Qualität der polizeilichen Arbeit zeigt sich vielmehr in der vorbeugenden Bekämpfung der organisierten Kriminalität66. Danach können schon im Vorfeld von noch nicht begangenen Straftaten Daten und Informationen – auch heimlich – erhoben und gespeichert werden, um die Strukturen der Organisierten Kriminalität in Richtung der Hintermänner und Drahtzieher aufhellen und Organisationen und Szenen auflösen zu können67. Zur Verhinderung und vorbeugenden Bekämpfung von schweren (organisierten) Straftaten muss ein Handlungsraum für die Tätigkeit der Polizei im Vorfeld von noch nicht begangenen oder versuchten Straftaten bleiben68. Kriminalität kann nicht nur durch die Verfolgung von begangenen Straftaten, sondern auch präventiv durch Verhinderung und Unterbindung von Straftaten bereits im Vorfeld ihrer Begehung bekämpft werden. Die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld der Strafverfolgung darf aber kein Einfallstor für polizeiliche Omnipräsenz und Omnipotenz durch Datenverfügungsmacht über jedermann sein. Dazu gehört, dass niemand durch polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld der Strafverfolgung ohne entsprechende Verdachtsmomente in das Visier der Polizei gerät69. Ein Verdachtsschöpfungsrecht gegen jedermann wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren70. Der Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten darf also keine Blankovollmacht zu unbegrenzten polizeilichen Eingriffe im Vorfeld konkreter Gefahren sein.
b) Verbot der sog. „Blankoermächtigung“ Die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld einer konkreten Gefahr ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, solange sie nicht in subjektive Recht des Bürgers eingreift. Darunter fallen z. B. Streifengänge, Entgegennahme von Informationen71, bloß kurzfristiges „flüchtiges“ Beobachten von Personen – z. B. im Rahmen von Streifenfahrten72 – und schlichte Datenerhebung. Die der Gefahrenabwehr dienende polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld einer konkreten Gefahr, die nicht in subjektive Rechte des Bürgers eingreift, kann auf die Aufgabenzuweisung an die Polizei und Ordnungsbehörden gestützt werden73. Einschränkungen können sich jedoch in Konsequenz des Volkszählungsurteils und eines dort durch das BVerfG anerkannten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für einen Teil der polizeilichen Tätigkeiten im Vorfeld einer konkreten Gefahr, wie z. B. der 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Wolter, GA 1988 , 49, 52. Wolter, GA 1988 , 49, 52. Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164. Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164, 166. Kniesel, ZRP 1992, 167. Kniesel, ZRP 1992, 167. Schenke, Polizeirecht, Rn. 71. Vahle, VR 1986, 258, 261. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 71.
20 Son
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
Schleierfahndung, daraus ergeben, dass diese bereits Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen und als solche zwingend einer bereichspezifischen gesetzlichen Grundlage bedürfen74. Die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld einer konkreten Gefahr, die mit Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden ist, lässt sich damit nicht mehr auf die Aufgabenzuweisung an die Polizei- und Ordnungsbehörden stützen75. Dementsprechend hat der Landesgesetzgeber dem Wandel in der rechtlichen Beurteilung der subjektivrechtlichen Relevanz dieser polizeilichen Tätigkeit bereits in Verbindung mit den neueren polizei- und ordnungsgesetzlichen Regelungen über Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen76. Sehen die Polizeiund Ordnungsgesetze keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage vor, sind Maßnahmen wie z. B. eine Schleierfahndung und eine Videoüberwachung unzulässig. Die Schleierfahndung gem. § 26 I Nr. 6 BWPolG ist nicht an das Vorliegen einer konkreten Gefahr gebunden, sondern auch bereits vor dem Erreichen dieser Schwelle zulässig77. Damit zusammenhängend setzt die Schleierfahndung nicht voraus, dass sie sich gegen einen polizeilichen Störer richtet. Das bedingt eine Vorverlagerung der Eingriffsschwelle bezüglich Gefahr und Störer78. Wenn der Gesetzgeber eine Entscheidung dafür trifft, die Schwelle für polizeiliche Eingriffsmaßnahmen dergestalt abzusenken, dass er Informationsgewinnungseingriffe auch im Vorfeld einer konkreten Gefahr zulässt, so muss er hinsichtlich des hohen Ranges des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch dafür sorgen, dass die tatbestandliche Fassung der Befugnisnorm den Polizeibehörden keine „Blankoermächtigung“ erteilt, die ein Einfallstor zu polizeilicher Allmacht sein könnte79. Würden derartige Befugnisse als Regel bestehen, so könnten die rechtsstaatlichen Sicherungen in unzumutbarer Weise auf einem weiten Feld unterlaufen werden80. Die informationellen Befugnisse der Polizei im Vorfeld einer konkreten Gefahr dürfen deshalb nur ausnahmsweise zugelassen werden. Den Ausnahmecharakter einer solchen Befugnis muss der Gesetzgeber deutlich machen81. Soweit der Gesetzgeber schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr zu polizeilichen Informationseingriffen ermächtigt, bedarf dieses Herabsenken der polizeilichen Einschreitschwelle einer strengen, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz standhaltenden Überprüfung82. Danach dürfen derartige Eingriffe grundsätzlich nur dann gesetzlich zugelassen werden, wenn sie dem Schutz hochwertiger Rechtsgüter dienen83. 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83
Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49 und 72. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 72. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 72. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 325. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 325. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 961; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 266. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 266. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 266. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 10 und 340. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 340.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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c) Das Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit als Eingriffsvoraussetzung für heimliche Informationseingriffe Die Schleierfahndung nach § 26 I Nr. 6 BWPolG, die das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht voraussetzt, ist unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots grundsätzlich unbedenklich, da für eine solche polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld konkreter Gefahren sachliche Gründe sprechen und in der Identitätsfeststellung ein vergleichbar geringfügiger Eingriff gegenüber dem Nichtstörer liegt84. Anderes gilt jedoch für polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung. Denn bei den besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, wie sie mit einer heimlichen Datenerhebung verbunden sind, ist es nicht vertretbar, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer „konkreten Gefahr“ zu verzichten85. Ferner können heimliche Informationseingriffe wegen der Eingriffsintensität nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gestützt werden und lassen sich auch nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit rechtfertigen86. Wie schon erwähnt, können gerade aus diesem Grund polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung nicht auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden87. Für derartige Maßnahmen müssen vielmehr besondere materiellrechtliche Voraussetzungen bestehen, sofern sie einen gesteigerten Grundrechtseingriff enthalten88. Von heimlichen Maßnahmen, wie z. B. einer längerfristigen Observation, dem Einsatz technischer Mittel, Verdeckter Ermittler sowie von V-Leuten, einer polizeilichen Beobachtung oder einer Rasterfahndung, geht nämlich ein besonders schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus, weshalb es daher gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, wenn der Einzelne befürchten müsste, ohne hinreichende Anhaltspunkte für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch heimliche Maßnahmen in das Visier der Polizei zu geraten89. d) Heimliche Informationseingriffe im Vorfeld konkreter Gefahren zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten? Nach § 40 I BWPolG ist die Rasterfahndung zulässig, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) 84 So auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 121; auch Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 328; Weingart, BayVBl. 2001, 69, 72 ff.; a.A. MVVerfG, DVBl. 2000, 262; Lisken, NVwZ 1998, 22 ff.; Waechter, DÖV 1999, 138; Schnekenburger, BayVBl. 2001, 129, 132 ff. 85 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. 86 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 693, wonach die Erhebung personenbezogener Daten zum Zwecke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung – unabhängig davon, ob sie offen oder verdeckt erfolgt – nicht auf die Generalklausel gestützt werden könne. 87 Vgl. 1. Teil 2. Kapitel B. II. 2. 88 Gusy, Polizeirecht, Rn. 202. 89 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 573.
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
erforderlich ist. Das BVerfG und der SächsVerfGH halten eine sog. verdachtslose Rasterfahndung für unzulässig90. Eine verdachtslose Rasterfahndung kann außerhalb des Polizeirechts – nämlich nach dem G zu Art. 10 GG – ausnahmsweise zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Gefahren, die nicht vornehmlich personenbezogen sind, zulässig sein; das ist jedoch nur aus dem gegenüber dem Polizeirecht und dem Strafprozessrecht unterschiedlichen Zweck dieses Gesetzes gerechtfertigt91. Nach der auch auf den § 40 I 1 BWPolG übertragbaren Ansicht des SächsVerfGH ist die Rasterfahndung nur dann zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich i. S. des § 47 I 1 Nr. 2 SächsPolG, wenn zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf bestimmte Deliktsarten i. S. des § 36 I SächsPolG hindeuten92. Die bloße Befürchtung des Polizeivollzugsdienstes, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden, soll für die Anordnung der Rasterfahndung nicht genügen; vielmehr müsse hierfür ein bestimmter, durch das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte belegter Anlass bestehen93. Der SächsVerfGH verlangt insoweit zu Recht das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die zukünftige Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung in Abgrenzung zur verdachtslosen Rasterfahndung94. Der SächsVerfGH sieht es dagegen als verfassungsrechtlich vertretbar und damit vom gesetzgeberischen Gestaltungsermessen gedeckt an, der Polizei Befugnisse zu heimlichen Ermittlungen und Informationseingriffen durch den Einsatz der besonderen Mittel der Datenerhebung auch schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr zur Verhinderung und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung einzuräumen95. Hierbei stellt sich die Frage, weshalb der SächsVerfGH die verdachtslose Rasterfahndung verbietet, jedoch die Datenerhebung mit besonderen Mitteln im Vorfeld konkreter Gefahren als verfassungsrechtlich unbedenklich ansieht96. Die Ansicht des SächsVerfGH, wonach ein Einsatz der besonderen Mittel der Datenerhebung schon zulässig ist, wenn noch keine konkrete Gefahr vorliegt, erscheint unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sehr zweifelhaft. Die besonderen Mittel der Datenerhebung, die heimlich bzw. verdeckt erfolgen, sind Grundrechtseingriffe von größtenteils erheblichem Gewicht, die einen besonderen grundrechtlichen Rechtfertigungsbedarf und erhöhte Anforderungen an ihre Begrenzung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auslösen97. Der Rechtfertigungsbedarf ist durch qualifizierte Anlasstatsachen zu erfüllen. Wegen der besonders schwerwiegenden und oft nicht wiedergutzu90
BVerfG, NJW 1996, 114, 116; BVerfGE 100, 313, 383; SächsVerfGH, JZ 1996, 957,
969. 91 92 93 94 95 96 97
Vgl. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 969. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 969. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 671. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 – 960. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. Götz, Polizeirecht, Rn. 514.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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machenden Eingriffe, die mit einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln verbunden sind, dürften solche Eingriffsmaßnahmen nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit, aber nicht für die öffentliche Ordnung, statthaft sein98. So besteht vielfach das Erfordernis der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder einer Straftat von erheblicher Bedeutung99. Bezüglich einer polizeilichen Beobachtung verlangt z. B. § 25 I Nr. 2 BWPolG, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG begehen wird. Wenn i. S. des § 25 I Nr. 2 BWPolG Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung begehen wird, bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, dass hier sehr wohl bereits eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen kann, da nämlich in diesem Fall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit mit einem Schaden für ein die öffentliche Sicherheit betreffendes Schutzgut zu rechnen ist100. Unter Zugrundelegung der sonst für die Bestimmung des Gefahrenbegriffs geltenden Grundsätze begründen die in § 25 I Nr. 2 BWPolG genannten Tatsachen jedenfalls in der Regel die für eine Gefahr essentielle hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts101. Das gilt um so mehr, als die Anforderungen an die Bejahung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts um so geringer zu stellen sind, je höherrangiger ein Rechtsgut ist und je größer der ihm drohende Schaden ist102. Daher kann man nicht davon ausgehen, dass ein Einsatz der polizeilichen Beobachtung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten auch für Fälle, in denen eine Gefahr noch nicht besteht, zugelassen wird103. Die polizeiliche Beobachtung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, wie sie durch § 25 I Nr. 2 BWPolG ermöglicht wird, ist vielmehr auf den Bereich der Gefahrenabwehr beschränkt, d. h. auf das Handeln der Polizei zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, hier also von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG.
98 Im Schutz nur der öffentlichen Sicherheit liegt bereits eine Einschränkung gegenüber der öffentlichen Ordnung als Schutzgut (vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 350). Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie der Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen (vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 53). 99 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 189. 100 So auch Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 462; a.A. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; Bäumler, NVwZ 1996, 765, 766; Paeffgen, NJ 1996, 454, 459. 101 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. 102 BVerwG, DÖV 1970, 713, 715. 103 So aber Hund, ZRP 1991, 463, 466; Kniesel, ZRP 1992, 164 – 165; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217.
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
II. Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die zukünftige Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung als Einschreitschwelle In Baden-Württemberg ist die Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten an das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ für die zukünftige Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG geknüpft; § 22 III 2. Alt. BWPolG verlangt z. B. für die Anordnung einer längerfristigen Observation, den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes und den Einsatz verdeckter Ermittler, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG künftig begangen werden (§ 20 III Nr. 1 bzw. Nr. 2 BWPolG). Entsprechendes gilt für den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen zum Zwecke der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (§ 22 II 2. Alt. BWPolG)104. Das baden-württembergische Polizeigesetz erfordert insoweit als Eingriffsvoraussetzung für den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung (zumindest) das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die zukünftige Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG.
1. Die Grenze der Zumutbarkeit Grundrechtseingriffe müssen ihrer Intensität nach in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Einzelnen hinzunehmenden Einbußen stehen105. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründen ist die Grenze der Zumutbarkeit noch zu wahren106. Wegen der besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffe, die in einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln liegen, kann ihre Angemessenheit nur dann gewahrt werden, wenn die Belange, denen solche heimlichen Maßnahmen dienen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung überragen, und wenn die Annahme, dass die erlangten personenbezogenen Daten für diese Belange relevant sind und die Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Straftaten verwickelt sind, eine sichere Basis hat107. Fehlt es daran, sind die Grenzen des Zumutbaren überschritten108. Zwingend geboten ist daher ein hohes Gewicht des jeweils in Rede stehenden Rechtsguts und eine hinreichende Tatsachenbasis für den Verdacht einer zukünftigen 104 105 106 107 108
Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 574. BVerfGE 65, 1, 51, 54; 100, 313, 391. BVerfGE 65, 1, 51, 54; 67, 157, 173, 178; 100, 313, 391. BVerfGE 100, 313, 392. BVerfGE 100, 313, 392.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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Straftat109. Hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrades ist dabei zu differenzieren, je nachdem, welches Rechtsgut auf dem Spiel steht110. „Je gewichtiger das Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde oder worden ist, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen ggf. die Tatsachen sein, die dem Verdacht zugrunde liegen“111. Je höherrangiger das zu schützende Rechtsgut ist, desto weiter darf die Einschreitschwelle bereits in das Vorfeld einer drohenden Rechtsgutverletzung verlagert werden112. Dem muss der Gesetzgeber durch eine nach dem jeweiligen Gefährdungsgrad differenzierende Regelung über die informatorischen Eingriffsbefugnisse Rechnung tragen113. Er hat differenzierende, am jeweiligen Gefährdungsgrad ausgerichtete Eingriffstatbestände zu normieren114.
2. Verdachtsgrad einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten a) Verdachtsgrad einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in Anlehnung an den Begriff des Anfangsverdachts i. S. des § 152 II StPO Das Tatbestandsmerkmal „tatsächliche Anhaltspunkte“, das die landespolizeirechtlichen Vorschriften der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. i.V. m. § 20 III Nr. 1 und Nr. 2 BWPolG als Eingriffsvoraussetzung für den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung verlangen, korrespondiert mit dem Begriff des „Anfangsverdachtes“ i. S. des § 152 II StPO. Dort ist festgelegt, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufzunehmen hat, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Die Anordnung der Rasterfahndung gem. § 98a I 1 StPO kommt in Betracht, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung (§ 98a I Nr. 1 – 6 StPO) begangen worden ist. Nach § 110a I 1 StPO dürfen verdeckte Ermittler zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer der in § 110a I Nr. 1 – 4 StPO genannten Straftaten vorliegen. Die Ausschreibung zur Beobachtung anlässlich von polizeilichen Kontrollen, die die Feststellung der Personalien zulassen, kann angeordnet werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung 109 110 111 112 113 114
BVerfGE 100, 313, 392. BVerwG, DÖV 1970, 713, 715. BVerfGE 100, 313, 392. BVerfGE 100, 313, 392. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960.
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
begangen wurde (§ 163e I 1 StPO). Gleiches gilt für die Anordnung einer längerfristigen Observation (§ 163 f. I 1 StPO). Damit knüpfen die Vorschriften der §§ 98a I 1, 110a I 1, 163e I 1, 163f I 1 StPO an § 152 II StPO an und verlangen das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Der baden-württembergische Gesetzgeber geht damit davon aus, dass der den Einsatz Verdeckter Ermittler auslösende Verdachtsgrad im Polizeirecht und der Verdachtsgrad des Einsatzes Verdeckter Ermittler nach § 110a I 1 StPO identisch sind und der Verdachtsgrad eines jeden Einsatzes Verdeckter Ermittler in Anlehnung an den Begriff des Anfangsverdachts i. S. des § 152 II StPO aufzufassen ist. Entsprechendes gilt für die längerfristige Observation.
b) Anfangsverdachtsgrad Der Anfangsverdacht muss sich noch nicht zu einem hinreichenden Tatverdacht gem. § 203 StPO oder zu einem dringenden Tatverdacht gem. §§ 111a, 112 StPO verdichtet haben. Für die Einleitung der Strafverfolgung ist der sog. einfache Anfangsverdacht erforderlich und ausreichend (§ 152 II StPO: „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“)115. Ein Anfangsverdacht ist bereits dann gegeben, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit vorliegt, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist116. Bloße Vermutungen genügen jedoch nicht117. Dies ergibt sich bereits aus dem Bezug auf zureichende Tatsachen118. Kriminalistische Hypothesen, die auf die allgemeine Erfahrung gestützt werden, sind nicht ausreichend119. Es müssen vielmehr Anhaltspunkte im Einzelfall gegeben sein120. Der Hinweis auf eine statistische Häufigkeit genügt nicht121. Soweit jedoch überhaupt Tatsachen vorliegen, die auf die Begehung einer Straftat hindeuten, werden diese Anhaltspunkte regelmäßig auch zureichend sein, weil nach allgemeiner Auffassung auch eine noch so geringe Wahrscheinlichkeit für die Begründung eines Anfangsverdachts ausreicht122. Der Anfangsverdacht gem. § 152 II StPO muss sich nicht notwendig bereits auf eine bestimmte Person beziehen123. Die Verdachtsschwelle ist also insoweit vergleichsweise niedrig, als der Verdacht weder „hinreichend“ (so aber bei § 203 StPO) noch „dringend“ (so aber bei den §§ 111a, Vgl. Roxin, § 37 B I. Vgl. BVerfG, NStZ 1982, 430; BGH, NJW 1989, 96, 97; Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4; KK-Schoreit, § 152 Rn. 31; Siebrecht, CR 1996, 545, 546; Hund, ZRP 1991, 463, 464. 117 Vgl. Hamburg, NJW 1984, 1635; Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4. 118 Siebrecht, Rechtsprobleme der Rasterfahndung, CR 1996, 545, 546. 119 Vgl. Schoreit, in: KK StPO, § 152 Rn. 31. 120 Vgl. Schoreit, in: KK StPO, § 152 Rn. 31. 121 Siebrecht, Rechtsprobleme der Rasterfahndung, CR 1996, 545, 546. 122 LR-Rieß, § 152 Rn. 23. 123 Siebrecht, Rechtsprobleme der Rasterfahndung, CR 1996, 545, 546. 115 116
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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112 StPO) sein muss, sich nicht notwendig bereits gegen eine konkrete Person zu richten braucht und Indizien, die mit nur geringer Wahrscheinlichkeit auf die Begehung einer Straftat schließen lassen, bereits genügen124.
c) Maßgeblicher Verdachtsgrad eines Straftateintrittes Nach § 100c I Nr. 2 StPO darf das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn „bestimmte Tatsachen“ den Verdacht begründen, dass jemand eine Straftat nach dem Katalog des § 100a StPO begangen hat. Der hierfür erforderliche Verdachtsgrad liegt über dem Anfangsverdacht i. S. des § 152 II StPO125. Im Vergleich zu den „zureichenden tatsächlichen Anhalspunkten“, die für eine Rasterfahndung gem. § 98a StPO, einen Einsatz Verdeckter Ermittler gem. 110a StPO, eine polizeiliche Beobachtung gem. 163e StPO und eine längerfristige Observation nach 163f StPO vorliegen müssen, bezeichnen „bestimmte Tatsachen“ im Sprachgebrauch der StPO einen genaueren Erkenntnisstand über die Sachlage126. Damit müssen konkretere Tatsachen vorliegen als es für die Begründung eines Anfangsverdachts nach § 152 II StPO erforderlich ist, denn sonst hätte eine Formulierung der Verdachtslage wie in § 100c I Nr. 1 StPO ausgereicht127. Vermutungen, selbst wenn sie durch einzelne Tatsachenelemente untermauert sind, genügen nicht. Erforderlich ist das Feststehen von Tatsachen, die auf das Vorliegen einer Straftat mit einer größeren Wahrscheinlichkeit als im Rahmen von § 152 II StPO schließen lassen, vergleichbar einem dringenden Tatverdacht128. Nach dem zweiten G 10-Urteil des BVerfG vom 14. 9. 1999, das sich mit der Verwendung der bei der Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst erlangten personenbezogenen Daten für andere als nachrichtendienstliche Zwecke befasst, genügen „tatsächliche Anhaltspunkte“ für den Verdacht, dass jemand eine in § 3 III 1 G 10 enthaltene Katalogstraftat plant, begeht oder begangen hat, nicht für die Übermittlung gem. § 3 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 3 G 10, vielmehr müssen „bestimmte Tatsachen“ einen solchen Verdacht begründen129. Ein Vergleich ergibt, dass es also nicht mehr auf „tatsächliche Anhaltspunkte“, sondern auf „bestimmte Tatsachen“ für den Verdacht einer Katalogstraftat ankommt130. Das BVerfG geht damit davon aus, dass eine Verdachtsbasis, die sich auf tatsächliche Anhaltspunkte stützt, verglichen mit einer Verdachtsbasis, die bestimmte Tatsachen für den Verdacht einer Katalogstraftat beinhaltet, zu niedrig ist, 124 125 126 127 128 129 130
Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 185; LR-Rieß, § 152 Rn. 23 ff. m.N.w. Vgl. Siebrecht, CR 1996, 545, 546. Vgl. KK-Schoreit, § 163d Rn. 9; Siebrecht, CR 1996, 545, 546. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 317. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 317. BVerfGE 100, 313, 394 f. Gröpl, NJW 1996, 100, 102.
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und daher für derartige schwere Eingriffe nicht ausreichend ist131. Das BVerfG hat sich schon zu dieser terminologischen Verschiedenheit zwischen den beiden Formulierungen geäußert – freilich nur vorläufig im Rahmen einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG: Nach dem Beschluss des BVerfG vom 5. 7. 1995132 ist § 3 III 1 G einstweilen mit der Maßgabe anzuwenden, dass bei der Durchführung von Maßnahmen nach Absatz 1 erlangte personenbezogene Daten nur dann verwendet werden dürfen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine der in der Vorschrift genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. § 3 V 1 G 10 ist einstweilen mit der Maßgabe anzuwenden, dass die nach Absatz 1 erlangten Daten den in der Vorschrift genannten Behörden nur dann zu übermitteln sind, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine der in § 3 III G 10 genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen, die auf der Befürchtung einer Überwachung beruhen, werden um so eher eintreten und umso gravierender sein, je mehr die Grundrechtsträger befürchten müssen, dass ihre vielfach personenbezogenen Daten ohne eine zureichende Verdachtsschwelle übermittelt und ausgewertet werden133. Insoweit lasse sich ein Überwiegen der Sicherheitsbelange im Rahmen der zu treffenden Abwägung nur dann annehmen, wenn „bestimmte Tatsachen“ vorliegen, die den Verdacht der Planung oder Begehung einer der genannten Straftaten begründen134. Diese Formulierung der Verdachtslage vom BVerfG entspricht schließlich der konkreten, d. h. im Einzelfall bestehenden Gefahr i. S. des Polizeirechts. Dort, wo bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass jemand Straftaten mit erheblicher Bedeutung künftig begehen wird, liegt bereits zweifellos eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Eintritts von Straftaten vor. 3. Können tatsächliche Anhaltspunkte als Einschreitschwelle die Notwendigkeit einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln begründen? a) Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die zukünftige Begehung einer Straftat als eine vergleichsweise niedrigere Gefahrenschwelle Bei den besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, wie sie mit einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln verbunden sind, ist es unvertretbar, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu verzichten135. Zudem lassen sich heimliche Informationseingriffe wegen der Schwere des Eingriffs nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung stützen. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung dürfen also nur 131 132 133 134 135
BVerfGE 100, 313, 394. BVerfGE 93, 181 ff. = NJW 1996, 114 ff. BVerfGE, NJW 1996, 114, 116. BVerfGE, NJW 1996, 114, 116. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397.
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dann zugelassen werden, wenn sie der Abwehr einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit dienen, bezogen auf künftige Straftaten also nur dann, wenn deren Begehung hinreichend wahrscheinlich ist. Freilich ist dabei zu berücksichtigen, dass dort, wo es sich um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter handelt, für die Annahme einer Gefahr bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit genügt als bei nur weniger bedeutenden136. Die Besonderheit der von §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG erfassten Fallgestaltungen besteht darin, dass die Anhaltspunkte zur Bestimmung der Gefahr und des potentiellen Störers möglicherweise weniger umfassend und daher ggf. mit einer relativ größeren Fehlertoleranz behaftet sind als in den Fällen einer Gefahr, wie sie z. B. von §§ 22 II 1. Alt. 1, III 1. Alt. BWPolG (zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende Fremde Sachund Vermögenswerte) vorausgesetzt wird137. Dies bedeutet aber – anders als die Ansicht in der Literatur138 und des SächsVerfGH139 – nicht, dass heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nach §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG schon zulässig sind, wenn noch gar keine konkrete Gefahr vorliegt, so dass diese Vorschriften nur Eingriffsbefugnisse der Polizei im Vorfeld einer konkreten Gefahr zum Gegenstand haben140. Auch wenn ein Handeln der Polizei zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung aus der Natur der Sache heraus eine vergleichsweise niedrigere Gefahrenschwelle erfordert, bleibt doch die Grundvoraussetzung einer Gefahr bestehen141. Die §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG erlauben nicht Eingriffe zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung schon im Vorfeld einer Gefahr, sondern gestehen der Polizei ein Eingreifen unter den dort bestimmten Voraussetzungen nur im Rahmen der Gefahrenabwehr zu142. Bei den heimlichen Datenerhebungen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung hat der baden-württembergische Gesetzgeber die Tendenz, bereits vor Entstehung einer Gefahr zu handeln, aufzufangen versucht, indem er formuliert hat, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen, dass Personen Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG künftig begehen werden (s. §§ 20 III, 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG)143. Dass sich der baden-württemVgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 49. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 138 Vgl. Hund, ZRP 1991, 463, 466; Kniesel, ZRP 1992, 164 – 165; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217. 139 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 – 960. 140 Dieser Fehler findet sich z. B. bei SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 f.; Bäumler, Verfassungsrechtliche Prüfung des Sächsischen Polizeigesetzes, NVwZ 1996, 765, 766; Paeffgen, Polizeirecht und Grundrechtsschutz, Anmerkungen zum Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes vom 14. 5. 1996, NJ 1996, 454, 459. 141 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 142 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 143 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 588 u. 591. 136 137
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bergische Gesetzgeber des Begriffes der Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht ausdrücklich bedient, ist unschädlich144. Es genügt, dass die Vorschriften mit den in ihnen genannten Voraussetzungen eine solche Gefahr für die öffentliche Sicherheit umschreiben145. Für die Anordnung einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung verlangen die §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. i.V. m. 20 III BWPolG, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Straftaten mit erheblicher Bedeutung i.S. des § 22 V BWPolG künftig begangen werden. Die Formulierungen der Verdachtslage entsprechen dem § 152 II StPO. Die Verdachtsschwelle zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens ist aber, wie bereits erwähnt, nicht so hoch146. Die Möglichkeit, dass nach kriminalistischer Erfahrung eine verfolgbare Straftat vorliegt, reicht für die Begründung eines Anfangsverdachts (§ 152 II StPO: zureichende tatsächliche Anhaltspunkte) aus. Für die Anordnung einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG genügt aber jedenfalls nicht die Möglichkeit, dass Straftaten künftig begangen werden. Da die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts Merkmal der Gefahr ist, scheidet ein Lebenssachverhalt aus, bei dem der Eintritt von Straftaten nicht schon wahrscheinlich, sondern nur möglich ist147. Im Folgenden wird auf die Frage eingegangen, ob für die Anordnung einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG bereits eine „geringe“ Wahrscheinlichkeit dafür genügt, dass Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG künftig begangen werden.
b) „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ als Anknüpfungspunkt für heimliche polizeiliche Informationseingriffe Wenn für die Anordnung einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG bereits eine geringe Wahrscheinlichkeit genügen soll, dass Straftaten künftig begangen werden, muss das Rechtsgut überragend wichtig sein148. Dem hat der badenwürttembergische Gesetzgeber dadurch begegnet, dass er heimliche Maßnahmen nach §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG ausdrücklich nur zur vorbeugenden Bekämpfung der in § 22 V BWPolG genannten Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässt, die in ihren Auswirkungen die öffentliche Sicherheit typischerweise erheblich beeinträchtigen. Durch den Begriff der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ wird hervorgehoben, dass der heimliche Eingriff nur zum Schutz besonders 144 145 146 147 148
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463. So auch Keller-Griesbaum, NStZ 1990, 416, 417; Hund, ZRP 1991, 463, 464. BayVerfGH, JZ 1995, 299, 301. BVerfGE 30, 1, 18; 100, 313, 392.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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bedeutsamer Rechtsgüter zulässig ist. Das Einschreiten der Polizei gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG ist auf das Handeln der Polizei zum Schutz besonders bedeutsamer Rechtsgüter der öffentliche Sicherheit beschränkt, indem die Vorschriften die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten an den weiter einschränkenden Zusatz „erhebliche Bedeutung“ anknüpfen. Nur beim Vorliegen einer solchen qualifizierten Gefahrenlage dürfen heimliche Informationseingriffe gem. den §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG statthaft sein. Es geht hier um besonders gemeinschädlicher Formen der Kriminalität. Die Fälle geringerer krimineller Energie ohne besondere Gemeinschädlichkeit können heimliche polizeiliche Informationseingriffe gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG hingegen nicht rechtfertigen149. Dies zwingt den Gesetzgeber aber unter Gesichtspunkten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht, die entsprechenden Straftatbestände von vornherein auszunehmen150. Der erheblichen Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG stehen die erheblichen Gefahren gegenüber, die der Allgemeinheit durch die Begehung schwerer Straftaten drohen151. Denn die von den in § 22 V BWPolG einzeln genannten, besonders schwerwiegenden Straftaten bei tatsächlichen Anhaltspunkten für ihre drohende Begehung ausgehenden Gefahren für das Gemeinwohl sind beträchtlich 152. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die heimliche Datenerhebung als besonders schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur in engem Rahmen zum Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter in Betracht kommen kann. Insoweit dienen „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ in den Polizei- und Ordnungsgesetzen als Anknüpfungspunkt für qualifizierte Informationseingriffe153.
c) Dort, wo es um den Schutz besonders bedeutender Rechtsgüter geht, dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Bejahung einer Gefahr gestellt werden Beschränkt sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung des Schutzguts auf wenige hochrangige und bedeutsame Rechtsgüter und ist der diesen drohende Schaden außergewöhnlich groß, so ist es ihm nicht verwehrt, die Einschreitschwelle relativ niedrig zu halten154. Je höherrangiger ein Rechtsgut und je größer der ihm drohende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen und desto mehr und weiterreichende EingriffsVgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397; anders aber SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960. 151 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 152 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 153 Schenke, JZ 2001, 997, 1004. 154 BVerfGE 100, 313, 392. 149 150
318
3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
befugnisse sind der Polizei zuzugestehen155. Diesen Grundsätzen genügen hier die Regelungen der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG. Die Regelungen der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG werden dem Gebot, differenzierende, am jeweiligen Gefährdungsgrad ausgerichtete Eingriffstatbestände zu normieren, insoweit gerecht, als dort durch die Bezugnahme auf § 22 V BWPolG ein Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zum Schutz besonders bedeutsamer Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit zugelassen werden. Zwar ist die Einschreitschwelle „tatsächliche Anhaltspunkte“ für die zukünftige Begehung einer Straftat, verglichen mit derjenigen, die z. B. §§ 22 II Alt. 1, III Alt. 1 BWPolG (Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende Fremde Sach- und Vermögenswerte) für heimliche Informationseingriffe fordert, relativ niedrig angesetzt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass polizeiliche Eingriffe gem. §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG schon zulässig sind, wenn noch gar keine Gefahr vorliegt. Vor allem fällt ins Gewicht, dass dort, wo es um den Schutz hochwertiger Rechtsgüter geht, der Gesetzgeber die Einschreitschwelle relativ niedrig halten darf. Angesichts der Hochwertigkeit der Rechtsgüter, die durch die besondere Art der Begehung der in § 22 V BWPolG genannten Straftaten mit erheblicher Bedeutung bedroht werden, dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Bejahung einer Gefahr gestellt werden. Für die Anordnung einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nach §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG reicht deshalb bereits eine „geringe“ Wahrscheinlichkeit dafür aus, dass Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG künftig begangen werden.
d) Der Abschied von der konkreten Gefahr? Wenn, wie es §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG voraussetzen, tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Personen Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) begehen werden, liegt jeweils auch bereits eine Gefahr vor. Das gilt um so mehr, als die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts um so geringer zu stellen sind, je höherwertiger ein Rechtsgut ist und je größer der ihm drohende Schaden ist. Dort, wo es sich um den Schutz hochwertiger Rechtsgüter handelt, die durch die Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG bedroht werden, ist die Gefahr bereits dann hinreichend wahrscheinlich, wenn nur eine „geringe“ Wahrscheinlichkeit eines Eintritts einer Straftat mit erheblicher Bedeutung besteht156. Daher geht es auch in den Fällen der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG nicht um Eingriffe im Vorfeld einer Gefahr, sondern um ein Handeln der Polizei zur Abwehr von Gefahren für Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 960; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. Vgl. BVerwG, DÖV 1970, 714; BVerwG 47, 31, 40 = NJW 1975, 130; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629. 155 156
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
319
die öffentliche Sicherheit, hier also von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG157. Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist nach §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG nur statthaft, wenn eine der Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG konkret droht158. Die Vorschriften der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG dienen angesichts der Schwere der dort aufgeführten Straftaten, ihrer großen Bedeutung für die öffentliche Sicherheit und nicht zuletzt angesichts der von diesen Vorschriften vorausgesetzten Anhaltspunkte für eine organisierte Begehungsweise der Abwehr von der Allgemeinheit drohenden sehr erheblichen Schäden. Angesichts dieser Regelungen überzeugt die Behauptung159 nicht, polizeiliche Vorermittlungen mittels Datenerhebungen seien unabhängig von dem Vorliegen einer konkreten Gefahr. Nicht die bloße Vermutung des Polizeivollzugsdienstes, irgend jemand könnte irgendwann eine Straftat begehen, rechtfertigt den Eingriff, sondern erst das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die auf bestimmte Deliktsarten i. S. des § 22 V BWPolG hindeuten160. In einer solchen Situation liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch dann vor, wenn die Polizei noch keine letzte Gewissheit über die künftige Begehung einer der in § 22 V BWPolG aufgeführten schwerwiegenden Straftaten hat161. Daraus, dass die zum Eintritt einer Straftat führende Kausalkette noch abbrechen kann, etwa dadurch, dass der Täter seine Pläne ändert, ergibt sich nicht, dass bis dahin keine Gefahr bestanden hätte162. Polizeiliche Eingriffe zur Abwehr von Gefahren fordert keine Gewissheit, sondern die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts163. Eine solche Wahrscheinlichkeit aber besteht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG begangen werden soll. Da die Vorschriften der §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung an bestimmte besonders schwere Straftaten i. S. des § 22 V BWPolG knüpfen und auch im Übrigen tatbestandliche Einschränkungen aufweisen, bestehen gegenüber diesen Vorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. Dazu, dass unter Verhütung von Straftaten auch solche Fälle fallen, bei denen eine Straftat konkret droht Schenke, Polizeirecht, Rn. 12, Fn. 13 und BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 159 Vgl. Müller, StV 1995, 602, 605; auch SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; Bäumler, NVwZ 1996, 765, 766; Paeffgen, NJ 1996, 454, 459; Hund, ZRP 1991, 463, 466; Kniesel, ZRP 1992, 164 – 165; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217. 160 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 969. 161 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463. 162 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463. 163 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 463. 157 158
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
III. Bei heimlichen Informationseingriffen ist es nicht vertretbar, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu verzichten Die Einschreitschwellen für polizeiliche Maßnahmen stellen traditionell die konkrete Gefahr im Bereich der Gefahrenabwehr und der hinreichende Tatverdacht im Bereich der Strafverfolgung dar164. Es geht aber bei dem Begriff der „Vorfeldaktivitäten“ um die polizeiliche Tätigkeit, die das Vorliegen einer konkreten Gefahr sowie eines hinreichenden Tatverdachts nicht voraussetzt165. Die Vorfeldaktivitäten der Polizei, wie sie durch die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze ermöglicht werden, haben gemeinsam, dass es sich hier um Ermittlungen und Informationseingriffe der Polizei ohne zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine „begangene“ Straftat handelt. Die Vorfeldaktivitäten der Polizei fordern nicht das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine begangene Straftat, also eines Anfangsverdachts i. S. des § 152 II StPO. Fehlt mangels konkreter Indizien für eine begangene Straftat der Anfangsverdacht i. S. d. § 152 II StPO, kann eine präventive polizeiliche Maßnahme auf der Basis der Polizei- und Ordnungsgesetze vorausgehen166. Derartige Maßnahmen sind denen des Strafverfahrens zeitlich vorgelagert167 und dienen nicht der Aufklärung begangener, sondern der Verhütung zukünftiger Straftaten168. Zwar erlauben die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze polizeiliches Handeln auch dann, wenn noch gar keine Anhaltspunkte für begangene Straftaten vorliegen,169 so dass mit verdeckten Ermittlungen nicht erst beim Vorliegen eines Anfangsverdachts nach Begehung einer bestimmten Straftat begonnen werden soll, sondern unabhängig davon personenbezogenen ermittelt werden soll170. Das bedeutet jedoch nicht, dass heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung nach den neueren Polizei- und Ordnungsgesetzen darüber hinaus bereits zulässig sind, wenn noch keinerlei Gefahr vorliegt171. Die polizeiund ordnungsrechtlichen Ermächtigungsnormen erfordern vielmehr als Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe zumindest das Vorliegen einer Gefahr für besonders bedeutsame Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit172. BVerfGE 100, 313, 383. Vgl. Hund, ZRP 1991, 463, 466; Kniesel, ZRP 1992, 164 – 165; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217. 166 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 185. 167 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 185. 168 Gusy, Polizeirecht, Rn. 198. 169 Gusy, Polizeirecht, Rn. 198. 170 Vgl. Kube-Erhardt, NStZ 1991, 171, 173; Hund, ZRP 1991, 463, 466. 171 So z. B. SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959; Bäumler, NVwZ 1996, 765, 766; Paeffgen, NJ 1996, 454, 459; auch Hund, ZRP 1991, 463, 466; Kniesel, ZRP 1992, 164 – 165; Merten / Merten, ZRP 1991, 213, 217. 172 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 10, 70. 164 165
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
321
Danach darf die Polizei personenbezogene Daten und Informationen zwar im Vorfeld noch nicht begangener oder versuchter Straftaten, aber nicht im Vorfeld einer Gefahr „heimlich“ erheben, verarbeiten und speichern. Bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen, wie sie durch eine heimliche Datenerhebung begründet werden, kann nicht vertreten werden, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu verzichten173. Bezüglich der polizeilichen Tätigkeiten im Vorfeld eines Anfangsverdachts zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten kann wiederum zwischen den Tätigkeiten im Vorfeld einer Gefahr, wie z. B. Streifengänge, Entgegennahme von Informationen, schlichte Datenerhebung und Schleierfahndung, und den Tätigkeiten, die das Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen voraussetzen, wie z. B. dem Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung, der polizeilichen Beobachtung und der Rasterfahndung, unterschieden werden.
C. Besondere Vertrauensverhältnisse als Grenze heimlicher Informationseingriffe Grenzen heimlicher Informationseingriffe ergeben sich nicht aus generellen Verboten, sondern nur aus der gebotenen Zurückhaltung bei der Erhebung und Verwendung der erlangten Daten. Im Großen Lauschangriff-Urteil vom 18. 5. 2000 führt das MVVerfG hinsichtlich verfassungsrechtlicher Grenzen für eine heimliche Erhebung von Daten aus Vertrauensverhältnissen zu den in § 52 I StPO genannten Personen und deren Verwertung zu Recht aus: „Dass durch die Art und den Inhalt dessen, was im räumlich abgeschlossenen Familienkreis vor sich geht, Grenzen für den Umgang mit heimlich erlangten personenbezogenen Daten gesetzt sind, ist nicht durch ein über die Rücksicht auf diese Grenzen weit hinausgehendes generelles Verbot zu sichern, sondern durch Zurückhaltung bei der Erhebung und Verwendung, falls durch den Einsatz technischer Mittel der innere, höchstpersönliche Bereich des familiären Lebens betroffen ist“174. Nichts anders gilt aber auch für Eingriffe in Vertrauensverhältnisse zu Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen. Amts- und Berufsgeheimnisse generell von polizeilichen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung auszunehmen, ist jedenfalls verfassungsrechtlich nicht geboten175. Daten aus besonderen Vertrauensverhältnissen sind nicht jedem Eingriff a priori entzogen176. Eingriffe in besondere Vertrauensverhältnisse zu polizeilichen ZweVgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 175 So wohl auch SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457; Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; ders., Polizeirecht, Rn. 191; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 176 Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 96. 173 174
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
cken sind nicht per se unzulässig, ihre Berührung kann jedoch Restriktionen ansonsten zulässiger Informationseingriffe notwendig machen177. Sicher sind dabei derartige Eingriffe im Hinblick auf die grundrechtliche Absicherung entsprechender Vertrauensverhältnisse, die einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstärkenden Grundrechtsschutz zur Folge hat, lediglich unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig; sie müssen dem sowohl verfassungsrechtlich als auch einfachgesetzlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen178. Auf allen Stufen des Eingriffs ist strikt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten179. Eine heimliche Erhebung von Daten aus Vertrauensverhältnissen und deren Verwertung unterliegt damit einer strikten Prüfung unter dem Aspekt des Übermaßverbotes, wobei die Belange des Schutzes von Vertrauensverhältnissen einen wesentlichen Abwägungsfaktor darstellen180. Die Polizei hat dem besonderen Schutz von Vertrauensverhältnissen bei der Auslegung und Anwendung von die Datenerhebung regelnden Normen zu respektieren181. Dabei dürften keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen bestehen, dass es in Kollusionsfällen eines besonderen Schutzes der Vertrauensverhältnisse nicht bedarf182. Ferner müssen zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für hochwertige Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit, wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person, auch heimliche Informationseingriffe in besondere Vertrauensverhältnisse zulässig sein, selbst wenn diese im Rahmen der Überwachung von Wohnraum zu präventivpolizeilichen Zwecken gem. § 23 I BWPolG angeordnet werden183. Das Eindringen in verfassungsrechtlich durch Amts- oder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse ist dabei allerdings nur als ultima ratio in der extremen Ausnahmelage, dass dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person unerlässlich ist, zulässig184. Dann dürfen ausnahmsweise auch Kenntnisse über solche Geheimnisse beschafft werden, bei deren Preisgabe die Vertrauensperson selbst den Straftatbestand des § 203 StGB erfüllen würde185. Erst recht müssen heimliche Datenerhe177 Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 308. 178 Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1397 – 1398. 179 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 351. 180 Vgl. Gusy, VerwArch. 74 (1983), 91, 96. 181 Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; BVerfG, NVwZ 2001, 1261, 1262. 182 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f.; BVerfG, DVBl. 2001, 1057, 1058; Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 308. 183 So auch Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 273; Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 309; ders., JZ 1999, 548, 554; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 461; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352 f. unter Ausschluss des von Art. 4 I GG geschützten Beichtgeheimnisses (a. a. O., S. 353). 184 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 185 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353.
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
323
bungen dann im Bereich des § 22 BWPolG zulässig sein. Unter den Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands darf die Polizei durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gem. § 22 BWPolG in Amts- und Berufsgeheimnisse eingreifen. Freilich kann es zu einem Eingriff in ein Vertrauensverhältnis auch dann kommen, wenn die engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands nicht vorliegen. Es muss sich aber jedenfalls um die Abwehr einer erheblichen Gefahr für hochwertige Rechtsgüter, wie z. B. Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person, handeln. So ist z. B. ein heimlicher Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen Presse- bzw. Rundfunkangehörigen und ihren Informanten im Hinblick auf den durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich geschützten Informationsschutz von Presse und Rundfunk nur zur Abwehr erheblicher Gefahren für höherwertige Rechtsgüter zulässig186. Bei einer erheblichen Gefahr für hochwertige Rechtsgüter – also insbesondere Leben, Gesundheit oder Freiheit – könnte z. B. nach § 28 II 4 MVSOG187 auch eine Auskunft nicht unter Berufung auf eine Pflicht zur Zeugnisverweigerung abgelehnt werden188. So muss eine heimliche Erhebung solcher Daten aus verfassungsrechtlich geschützten mit Amts- und Berufsgeheimnissen abgesicherten Vertrauensverhältnissen unter verdecktem Einsatz besonderer Mittel jedenfalls dann zulässig sein, wenn es um den Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, wie z. B. des Lebens, der Gesundheit und der Freiheit, geht189. Bei erheblichen Gefahren für hochrangige Schutzgüter – also im Anwendungsbereich des § 22 BWPolG – kommt den grundrechtlichen Schutzpflichten ein so hohe Bedeutung zu, dass der Landesgesetzgeber die Schutzwürdigkeit des besonderen Vertrauensverhältnisses gegenüber dem Allgemeininteresse an der Verhinderung schwerer Schäden für wichtige Rechtsgüter zurücktreten lassen darf190. In jüngerer Zeit finden sich eine Reihe von Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte, in denen sich die Gerichte mit dem Schutz von Vertrauensverhältnissen bei heimlichen Informationseingriffen auseinander zu setzen hatten191. Die Landesverfassungsgerichte setzen verfassungsrechtliche Grenzen für eine heimliche Erhebung von Daten aus Vertrauensverhältnissen und deren Verwendung, auf die abschließend eingegangen werden soll. Das MVVerfG weist in seinem Lauschangriff-Urteil zu Recht darauf hin, dass die Verfassung keinen generellen Aus186 Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation einer Rundfunkanstalt und einem dadurch begründeten Eingriff in das Vertrauensverhältnis zu Informanten, BVerfG, NJW 2003, 1787 ff. und dazu Gusy, NStZ 2003, 399 ff. sowie Kugelmann, NJW 2003, 1777 ff. 187 Vgl. auch § 12 II 3 HSOG; § 12 V 2 NdsSOG; § 18 VI 2 SächsPolG; § 180 II 4 SchlHVwG. 188 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 189 SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285. 190 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 191 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f.; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352.
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
schluss von Vertrauensverhältnissen von der heimlichen Überwachung fordert. Bei der Überwachung sei aber zu beachten, dass ein Eingriff in Vertrauensverhältnisse nachrangig gegenüber einem (ebenso wirksamen) Eingriff zu sein hat, durch den Vertrauensverhältnisse nicht berührt werden192. Auch für mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse dürfe für den polizeilichen Notstand bestimmt werden, dass ihr Schutz hinter dem Allgemeininteresse an der Verhinderung schwerer Schäden für besonders hochrangige Rechtsgüter zurücktrete193. Eine Ausnahme davon will das MVVerfG nur für das Beichtgeheimnis machen, da das forum internum der Glaubens- und Gewissensfreiheit staatlichem Zugriff nicht zugänglich sei194. Das MVVerfG hat auch betont, dass personenbezogene Daten, die die Polizei aus besonderen Vertrauensverhältnissen zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlangt hat, nur insoweit zur Strafverfolgung umgewidmet werden dürfen, als es sich um Straftaten handelt, bei denen der Eingriff auch im Strafverfahren hätte stattfinden können (sog. „hypothetischer Ersatzeingriff“)195. Nach Auffassung des SächsVerfGH sei eine Datenerhebung aus verfassungsrechtlich geschützten, mit Amts- und Berufsgeheimnissen abgesicherten Vertrauensverhältnissen unter verdecktem Einsatz besonderer Mittel nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, wie z. B. des Lebens, der Gesundheit und der Freiheit mit der Sächsischen Verfassung vereinbar196. Vor allem im Rahmen von Vorfeldermittlungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten hält der SächsVerfGH Eingriffe in solche Vertrauensverhältnisse nur für gerechtfertigt, wenn sie das einzige Mittel zur Informationsgewinnung darstellen, diese dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient und durch weiteres Zuwarten die Gefahr einer irreversiblen Schädigung dieser Rechtsgüter begründet wird197. In seinem Urteil zum Brandenburgischen Polizeigesetz vom 30. 6. 1999 hatte sich auch das BbgVerfG mit der Problematik ausführlich zu befassen, welche Grenzen Vertrauensverhältnisse Eingriffen im Vorfeldbereich setzen. Das BbgVerfG war in seinem Urteil diesbezüglich deutlich restriktiver eingestellt198. Es geht zunächst davon aus, dass die Verfassung durch Amts- und Berufsgeheimnisse geschützte Vertrauensverhältnisse nicht absolut schützt, sondern eine Abwägung mit gegenläufigen Verfassungsbelangen ermöglicht199. Die vorbeugende Bekämpfung schwerer und schwerster Kriminalität als eine staatliche Aufgabe von Verfassungsrang stehe der Schutzwürdigkeit der genannten Vertrauensverhältnisse jedenfalls dann nicht nach, wenn der durch die Verfassung geschützte Geheimnisträger selbst eine Straftat von erheblicher Bedeutung Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352; ebenso schon Ruthig, JuS 1998, 506, 515. MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. 194 MVVerfG, LKV 2000, 345, 353. Vgl. auch Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 309. 195 MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. Vgl. dazu näher 3. Teil 2. Kapitel B. 196 SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285. 197 SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285. 198 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. 199 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457 f. 192 193
1. Kap.: Eingriffsvoraussetzungen
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begehen will bzw. wenn Tatsachen für die Annahme sprechen, dass er dies will200. In einer solchen Situation könne ein Eingriff in das Vertrauensverhältnis zugunsten der Verhinderung der Straftat je nach Lage des Falles verhältnismäßig sein201. Derjenige, der als Träger eines Amts- oder Berufsgeheimnisses eine Straftat von erheblichem Gewicht begehen wolle, sei nicht per se schutzwürdiger als andere potentielle Täter202. Der Gesetzgeber sei deshalb von Verfassungs wegen nicht gehindert, der Polizei in einer solchen Situation die Möglichkeit eines Eingriffs in besondere Vertrauensverhältnisse an die Hand zu geben203. Da dies allerdings noch nichts über die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme im Einzelfall besage, müssten der Behördenleiter und ggf. der Amtsrichter bei jeder Anordnung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes prüfen, ob die Tatsachen und die Schwere der drohenden Straftat den konkret beabsichtigten Eingriff rechtfertigen204. Das BbgVerfG sieht heimliche Eingriffe in mittels Amts und Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung prinzipiell als zulässig an, will aber solche Eingriffe auf Kollusionsfälle begrenzen. Soweit ein Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen also selbst als potentieller Straftäter in Frage komme, dürfe der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Schutz des Vertrauensverhältnisses gegenüber dem Allgemeininteresse an der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zurücktreten lassen205. Soweit der Betroffene nur als Kontakt- oder Begleitperson in Anspruch genommen werden soll, überwiegt dagegen der verfassungsrechtliche Schutz von Vertrauensverhältnissen206. Mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Bedeutung der Vertrauensverhältnisse soll ihr verfassungsrechtlicher Schutz, wie durch die Berufsfreiheit und die weiteren verfassungsrechtlichen Gewährleistungen garantiert wird, generell höher zu bewerten sein als das Interesse des Staates, Amts- und Berufsgeheimnisträger zu überwachen, die selbst nicht als potentielle Täter in Betracht kommen207.
BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 202 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 203 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 204 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 205 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457, 458 und 464. 206 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 464. „Kontakt- oder Begleitpersonen i. S. der §§ 33 I 1 Nr. 3 und 34 I 1 Nr. 3 BbgPolG sind nur solche Personen, zu denen der potentielle Straftäter gerade mit Bezug auf die in Frage stehende Straftat in Verbindung steht oder Verbindung aufnimmt“. 207 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458; Würtenberger / Ralf Schenke, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 309. 200 201
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
2. Kapitel
Grenzen der Umwidmung der durch heimliche Informationseingriffe gewonnenen personenbezogenen Daten Im Folgenden sollen die Fragen untersucht werden, die sich in den Fällen stellen, in denen die Polizei personenbezogene Daten, die durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewonnen wurden, für strafprozessuale Zwecke verwenden will. In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche Voraussetzungen bei einer solchen Umwidmung von Daten erfüllt sein müssen208. Dies hat der Gesetzgeber ausdrücklich zu regeln. Pauschale Ansätze verbieten sich dabei im Hinblick auf die große Unterschiedlichkeit der betroffenen Daten und die angewandten Datenerhebungsmethoden209. Die Problematik stellt sich im Übrigen auch in der umgekehrten Richtung, falls durch heimliche strafprozessuale Datenerhebungsmaßnahmen erhobene personenbezogene Daten für präventivpolizeiliche Zwecke genutzt werden sollen210.
A. Anforderungen des BVerfG an die weitere Verwendung der durch einen heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht erhobenen Daten Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schließt zwar die Umwidmung der zu einem bestimmten Zweck erhobenen Daten zu einem anderen Zweck nicht grundsätzlich aus. In der Umwidmung personenbezogener Daten liegt aber eine erneute Durchbrechung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, die größere Beeinträchtigungen als der Ersteingriff zur Folge haben kann. Aus diesem Grund legt das BVerfG dem Gesetzgeber die Verpflichtung auf, für hinreichend normklare und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Regelungen zu sorgen, um eine Nutzung personenbezogener Daten zu anderen als den ursprünglich verfolgten Zwecken zu legalisieren211. Die Zwecke, zu denen personenbezogene Daten übermittelt und weiter verwendet werden dürfen, müssen bereichsspezifisch und präzise festgelegt werden und auch mit dem ursprünglichen Zweck, der die Datenerhebung unter Beschränkung des Rechts auf informationelle SelbstVgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 347. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 33. 210 Siehe dazu eingehend Wolter / Schenke / Rieß / Zöller (Hrsg.), Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hans Hilger, Heidelberg 2003. 211 BVerfGE 65, 1, 51, 62; 100, 313, 360. 208 209
2. Kap.: Grenzen der Umwidmung der gewonnenen personenbezogenen Daten
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bestimmung gerechtfertigt hat, vereinbar sein212. Der Gesetzgeber muss ferner den Anforderungen, die das Übermaßverbot an grundrechtsbeschränkende Regelungen stellt, ausreichend gerecht werden: Die Umwidmung muss zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich sein und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Einzelnen hinzunehmenden Einbußen stehen213. Zwingend geboten sind hierbei unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im engeren Sinn ein hohes Gewicht des jeweils in Rede stehenden Rechtsguts und eine hinreichende Tatsachenbasis für den Verdacht einer zukünftigen Straftat214. Da die Verwendung der zu einem bestimmten Zweck erhobenen Daten zu einem anderen Zweck genauso einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt wie die ihr zugrundeliegende Datenerhebung und daher an denselben grundrechtlichen Erfordernissen gemessen werden muss wie diese, lassen sich für eine solche Datenverwendung grundsätzlich keine geringere Eingriffsvoraussetzungen verlangen als für den Ersteingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung215. Insbesondere verbietet sich die Annahme, dass nach einem derartigen Eingriff bereits eine Lockerung des Grundrechtsschutzes stattgefunden hat und deshalb die Anforderungen an die weitere Verwendung erhobener Daten, verglichen mit den für die Datenerhebung geltenden, erheblich abgesenkt werden können216. Dies wird vor allem in der neuen Rechtsprechung des BVerfG zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst 217 deutlich ausgesprochen.
B. Das Prinzip des sog. hypothetischen Ersatzeingriffs Das BVerfG hat im zweiten G 10-Urteil vom 14. 9. 1999, das sich mit der Verwendung der aus der Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst herrührenden personenbezogenen Erkenntnisse zu anderen als nachrichtendienstlichen Zwecken befasst, betont, dass Art. 10 GG seinen Schutz nicht nur gegenüber staatlicher Kenntnisnahme von Fernmeldekommunikationen, welche die Kommunikationspartner für sich behalten wollten, entfalte, sondern sich sein Schutz auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Kenntnisnahme von geschützten Kommunikationsvorgängen anschließt, und den Gebrauch, der von den erlangten Kenntnissen gemacht wird, erstrecke218. Damit wurde zutreffend dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass die durch einen Eingriff 212 213 214 215 216 217 218
BVerfGE 65, 1, 46, 62; 100, 313, 389. BVerfGE 65, 1, 54; 67, 157, 173, 178; 100, 313, 391; MVVerfG, LKV 2000, 345, 356. BVerfGE 100, 313, 392; MVVerfG, LKV 2000, 345, 356. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 207; ders., JZ 2001, 997, 1000. Vgl. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. BVerfGE 100, 313 ff. = NJW 2000, 55 ff. BVerfGE 100, 313, 359.
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
in Art. 10 GG begründete Grundrechtsbeeinträchtigung bei einer Verwendung der hierbei gewonnenen Daten für andere als die bei der Erhebung verfolgten Zwecke noch verstärkt wird und daher eine solche Datenverwendung ebenfalls an den grundrechtlichen Erfordernissen des Art. 10 Abs. 2 GG zu messen ist219. Nach dem zweiten G 10-Urteil sind unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hohe verfassungsrechtliche Anforderungen an die weitere Verwendung der durch einen Eingriff in Art. 10 GG gewonnenen Daten zu stellen220. Das BVerfG beanstandete daher eine Regelung, welche zur Verwendung der aus einem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis stammenden nachrichtendienstlichen Erkenntnisse undifferenziert zum Zwecke der Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten ermächtigt, weil sie den grundrechtlich geschützten Interessen nicht gerecht wird221. Zutreffend geht das Gericht hinsichtlich der strafprozessualen Verwendung personenbezogener Daten, die durch eine nachrichtendienstlichen Überwachung der Telekommunikation erlangt wurden, davon aus, es sei nicht gerechtfertigt, die Übermittlungsschwelle für solche Daten unter diejenige abzusenken, welche auch sonst bei der Strafverfolgung für Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis nach § 100a StPO gilt, und schränkt auch die Verwendung solcher Daten zu anderen Zwecken der Gefahrenabwehr als den mit der Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst ursprünglich verfolgten ein222. Im Bereich der Strafverfolgung sieht das Gericht also das Konzept des sog. „hypothetischen Ersatzeingriffs“ als verfassungsrechtlich geboten an, so dass es angesichts der erheblichen Schwere des Eingriffs bei der Übermittlung der vom Bundesnachrichtendienst erhobenen Daten verfassungsrechtlich geboten ist, eine Tatsachenbasis für den Verdacht vorzuschreiben, die der in § 100a StPO entspricht223. Im Bereich der Strafverhinderung betrachtet das Gericht eine Datenübermittlung nur als zulässig, wenn dies der Verhinderung bestimmter Katalogstraftaten, welche die Verwendung der Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes rechtfertigen, dient und konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Verdachtsbasis vorliegen224. Damit spricht sich das Gericht im zweiten G 10-Urteil für hohe verfassungsrechtliche Anforderungen an die Übermittlung und Verwendung der durch einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis erhobenen personenbezogenen Daten aus. Wenn das BVerfG betont, dass sich die Maßgaben, die das Gericht im Volkszählungsurteil aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt hat,225 weitgehend auch auf die speziellere Garantie in Art. 10 GG übertragen lassen,226 dürften die entsprechenden Konsequenzen aber auch in umgekehrter Richtung zulässig sein227. 219 220 221 222 223 224 225 226
Vgl. Schenke, JZ 2001, 997, 1000. BVerfGE 100, 313, 389 f. BVerfGE 100, 313, 395. BVerfGE 100, 313, 394 – 395. BVerfGE 100, 313, 394 ; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211, 217. BVerfGE 100, 313, 395. Vgl. BVerfGE 65, 1, 44 ff. BVerfGE 100, 313, 359.
2. Kap.: Grenzen der Umwidmung der gewonnenen personenbezogenen Daten
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C. Die Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten für strafprozessuale Zwecke Personenbezogene Daten, die durch den Einsatz Verdeckter Ermittler zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung z. B. nach § 22 III BWPolG erlangt worden sind, dürfen nicht in gleicher Weise auch für Zwecke zugänglich gemacht werden, die einen derartigen Eingriff nicht gerechtfertigt hätten228. Da die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler heimlich erfolgt und damit die Daten durch einen schwerwiegenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnen worden sind, dürfte es verfassungsrechtlich nicht zulässig sein, die durch den Einsatz Verdeckter Ermittler nach den Polizeigesetzen der Länder erlangten Daten zu Zwecken zu verwenden, die in ihrer Wertigkeit nicht wenigstens annähernd dem Zweck der ursprünglichen Erhebung entsprechen229. In Betracht kann dabei wohl aber eine Verwendung zur Strafverfolgung kommen. Es widerspräche dem Primärzweck nicht, dass diejenigen Daten, die – obwohl unter anderen Gesichtspunkten erhoben – für die Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten relevant sind, an die Strafverfolgungsbehörden weiteregeben werden230. Die Daten und Informationen, die die Polizei in Erfüllung ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr gewonnen hat, sollen, sofern sie auf strafbares Verhalten bestimmter Personen hindeuten, für die Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten nutzbar gemacht werden231. Ihr kommt nach dem Grundgesetz hohe Bedeutung zu232. Die Umwidmung der erlangten Daten zu anderen Zwecken muss aber in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Bürger hinzunehmenden Einbußen stehen233. Da die Daten durch einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie er mit einer heimlichen Datenerhebung verbunden ist, erhoben worden sind, dürfen personenbezogene Daten, welche die Polizei auf polizeigesetzlicher Grundlage durch den Einsatz Verdeckter Ermittler erlangt hat, nur insoweit zum Zwecke der Strafverfolgung verwenden werden, als es sich jedenfalls um Straftaten handelt, zu deren Ermittlung unter Wahrung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG personenbezogene Daten auch im Strafverfahren „heimlich“ hätten er227 So MVVerfG, LKV 2000, 345, 356 f.; Ralf Schenke, in: Festgabe für Hilger, 211; im Ergebnis wohl auch Gusy, Informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz, KritV. 2000, 52, 55. 228 Vgl. BVerfGE 100, 313, 390; MVVerfG, LKV 2000, 345, 356. 229 BVerfGE 65, 1, 62; 100, 313, 389; MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. 230 BVerfGE 100, 313, 390. 231 Vgl. BVerfGE 100, 313, 388. 232 Vgl. BVerfGE 100, 313, 388. 233 BVerfGE 65, 1, 54, 67, 157, 173, 178; 100, 313, 391; MVVerfG, LKV 2000, 345, 356.
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
hoben werden können234. Bei den schwerwiegenden Eingriffen wäre es verfassungsrechtlich auch nicht zu rechtfertigen, die Schwelle für die Verwendung der durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler nach den Polizeigesetzen erlangten personenbezogenen Daten zu Zwecken der Strafverfolgung unter diejenige abzusenken, die bei der Strafverfolgung für heimliche Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gilt235. Deshalb wird man grundsätzlich davon auszugehen haben, dass personenbezogene Daten, soweit sie durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erlangt worden sind, nur dann zur Strafverfolgung umgewidmet werden dürfen, wenn es sich hierbei um Straftaten und die Tatsachenbasis für den Verdacht einer Straftat handelt, bei denen der Eingriff auch im Strafverfahren hätte stattfinden können236. Eine Einschränkung der Zweckänderung ergibt sich aus § 161 II StPO sowie aus § 100f II StPO für die Verwertung der durch den sog. Großen Lauschangriff zu präventivpolizeilichen Zwecken (Art. 13 Abs. 4 GG, § 23 BWPolG) gewonnenen Daten237. Diese dürfen zwar im Strafverfahren unbegrenzt als Spurenansatz verwendet werden. Für die Verwertung der Erkenntnisse zu Beweiszwecken muss es jedoch um eine Tat aus dem Katalog des § 100c I Nr. 3 StPO gehen („sog. hypothetischer Ersatzeingriff“). Personenbezogene Daten, welche die Polizei aus der Überwachung von Wohnungen oder von besonderen Vertrauensverhältnissen zum Zweck der Gefahrenabwehr erlangt hat, dürfen, worauf das MVVerfG zu Recht hinweist, dabei nur insoweit zur Strafverfolgung umgewidmet werden, als es sich um Straftaten handelt, bei denen der Eingriff auch im Strafverfahren hätte stattfinden können238. Wegen der außerordentlichen Tiefe des Grundrechtseingriffs, die in der Anwendung technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen und aus besonders geschützten Vertrauensverhältnissen liege, müssten nach Ansicht des MVVerfG für die Verarbeitung und Nutzung der dabei erlangten personenbezogenen Daten strikte, dem durch Art. 13 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrecht Rechnung tragende Begrenzungen bestehen239. Sind bei einem Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen zu präventivpolizeilichen Zwecken Daten aus einem der in § 53 I StPO genannten Vertrauensverhältnisse gewonnen worden, so dürfen diese nicht in das Strafverfahren eingeführt werden, da die Strafverfolgungsbehörden in das Vertrauensverhältnis nicht durch eine Überwachung hätten eingreifen dürfen (§ 100d III 1 StPO)240. Gleichfalls ist bei der Weitergabe zur Strafverfolgung in Bezug auf 234 235 236 237 238 239 240
Vgl. BVerfGE 100, 313, 394, MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. Vgl. BVerfGE 100, 313, 394, MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 642. MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 356. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 357.
2. Kap.: Grenzen der Umwidmung der gewonnenen personenbezogenen Daten
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die Erkenntnisse aus sonstigen Vertrauensverhältnissen auf die durch § 100d III StPO gesetzten Grenzen zu achten241. Anders als Art. 13 Abs. 3 GG, der zum Zwecke der Strafverfolgung nur den Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen gestattet, lässt Art. 13 Abs. 4 GG zum Zwecke der Gefahrenabwehr sowohl eine akustische als auch eine „optische“ Überwachung zu242. So dürfen Erkenntnisse aus einer visuellen Wohnraumüberwachung nicht umgewidmet werden, weil nach Art. 13 Abs. 3 Satz 1 GG n.F., § 100c I Nr. 3 StPO im Strafverfahren Wohnungen nur akustisch überwacht werden dürfen243. Das Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs gilt allerdings zur Zeit nur für die Umwidmung personenbezogener Daten zur Strafverfolgung, welche durch den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen zu präventivpolizeilichen Zwecken (Art. 13 Abs. 4 GG, § 23 BWPolG) erlangt worden sind244. Der Bundesgesetzgeber hat damit davon abgesehen, hinsichtlich der Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erlangten personenbezogenen Daten zur Strafverfolgung das Konzept des hypothetischen Ersatzeingriffs über den engen Bereich des § 100f II StPO auszudehnen245. Der Bundesregierungs-Entwurf eines StVÄG 1996246 sah zwar in § 161 II StPO-E eine Regelung vor, die nach dem Vorbild des § 100f II StPO formuliert war247. Sie ist aber nicht Gesetz geworden248. So können personenbezogene Daten, welche die Polizei auf polizeigesetzlicher Grundlage durch einen Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen, einen Einsatz Verdeckter Ermittler oder eine Rasterfahndung erhoben hat, grundsätzlich unbeschränkt für strafprozessuale Zwecke verwendet werden249. Im Blick auf die nicht geringere Schwere des Grundrechtseingriffs wird man jedoch bei der Verwendung der durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewonnenen Daten davon auszugehen haben, dass sie zur Strafverfolgung nur dann umgewidmet werden dürfen, wenn es sich um Straftaten handelt, zu deren Aufklärung unter Wahrung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG personenbezogene Daten auch im Strafverfahren „heimlich“ hätten erhoben werden können.
Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. Schenke, Polizeirecht, Rn. 194. 243 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 357. 244 Wolf / Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 37 PolG, Rn. 18. 245 Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. 246 BT-Dr. 13 / 9718. 247 Sind z. B. personenbezogene Informationen durch eine Rasterfahndung gem. § 40 BWPolG oder einen Einsatz besonderer Mittel gem. 22 BWPolG erlangt worden, sollen sie danach nur zu Beweiszwecken verwendet werden dürfen, „soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 98a Abs. 1 bezeichneten Straftat benötigt werden“. 248 Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. 249 Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. 241 242
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3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
Soweit personenbezogene Daten durch einen heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht erlangt worden sind, müssen für die weitere Verwendung der dabei gewonnenen personenbezogenen Daten strikte, dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrecht Rechnung tragende Begrenzungen bestehen250. Da die Daten durch einen so schwerwiegenden heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht wie einen Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen gem. § 22 I Nr. 2 BWPolG, einen Einsatz Verdeckter Ermittler gem. § 22 I Nr. 3 BWPolG oder eine Rasterfahndung gem. § 40 BWPolG erlangt worden sind, lässt es sich nicht vertreten, die Anforderungen an die Verwendung solcher Daten zum Zwecke der Strafverfolgung unter diejenigen abzusenken, die bei der Strafverfolgung für heimliche Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gelten251. Sind personenbezogene Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler z. B. gem. § 22 I Nr. 3 BWPolG erlangt worden, dürfen sie also nur zu Beweiszwecken verwendet werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 110a I bezeichneten Straftat benötigt werden. Angesichts der nicht geringeren Eingriffstiefe erscheint es auch verfassungsrechtlich geboten, eine Tatsachenbasis für den Verdacht einer Straftat vorzuschreiben, die der in § 110a StPO für den Einsatz Verdeckter Ermittler normierten entspricht („zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“).
D. Die Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke Auch bei der Ausgestaltung der umgekehrten Regelungen der Verwendung der durch heimliche strafprozessuale Maßnahmen gewonnenen personenbezogenen Daten für präventivpolizeiliche Zwecke sollte der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Grundsätze, welche das BVerfG in seiner Rechtsprechung zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst 252 für Datenübermittlungen in das Polizeirecht aufgestellt hat, die Übermittlung und Verwendung solcher Daten nur zur Abwehr von Gefahren bzw. zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zulassen, die mit denen vergleichbar sind, die zu den heimlichen strafprozessualen Informationseingriffen geführt haben. Soweit die Daten durch einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff erhoben worden sind, dürfte es verfassungsrechtlich nicht zulässig sein, dass der Gesetzgeber die Schwelle für die Verwendung der durch heimliche strafprozessuale Maßnahmen gewonnenen Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken, verglichen mit derjenigen, welche die Polizeigesetze für solche Eingriffe fordert, relativ niedrig ansetzt. Die Verwendung der aus einem 250 251 252
Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 356. Vgl. hierzu kritisch Brodersen, NJW 2000, 2536, 2539. BVerfGE 100, 313 ff. = NJW 2000, 55.
2. Kap.: Grenzen der Umwidmung der gewonnenen personenbezogenen Daten
333
Einsatz von Verdeckten Ermittlern z. B. gemäß § 110a StPO resultierenden personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten dürfte so wohl nur beim Vorliegen einer qualifizierter Gefahrenlage, welche ihren Einsatz auch in den Polizeigesetzen rechtfertigen würde, statthaft sein. Personenbezogene Daten, welche die Polizei auf der Basis der StPO durch heimliche strafprozessuale Maßnahmen erlangt hat, dürfen also nur insoweit zur Abwehr von Gefahren oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verwenden werden, als es sich jedenfalls um Gefahren bzw. Straftaten und den Wahrscheinlichkeitsgrad eines Schadenseintrittes bzw. den Verdachtgrad eines Straftateintrittes handelt, bei denen die Polizei die Daten auch auf polizeigesetzlicher Grundlage hätte erheben können. Hinsichtlich der Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke sieht z. B. § 38 I 1 BWPolG vor, dass der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, speichern, verändern und nutzen kann, soweit und solange dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Bei einer Anwendung des § 38 I 1 BWPolG auf etwa die bei einem Einsatz Verdeckter Ermittler gemäß § 110a StPO gewonnenen personenbezogenen Daten könnten jedenfalls insoweit verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, als hiernach eine Datenverwendung zu Zwecken der Gefahrenabwehr bereits dann zulässig wäre, wenn sie zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Da die Daten durch einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff gewonnen worden sind, wäre es verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, die Schwelle für die Verwendung der durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler gem. § 110a StPO gewonnenen Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr unter diejenige abzusenken, welche im Rahmen der Gefahrenabwehr für die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 22 III BWPolG gilt. Die Vorschrift des § 38 I 1 BWPolG würde die Anforderungen an die weitere Verwendung der durch heimliche strafprozessuale Maßnahmen gewonnenen personenbezogenen Daten über das zumutbare Maß hinaus absenken, wenn sie bereits das Vorliegen einer einfachen Gefahr genügen ließe und damit deutlich hinter § 22 III BWPolG zurückbliebe253. Die Bedenken, die gegen eine Anwendung des § 38 I 1 BWPolG auf die durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler gem. § 110a StPO gewonnenen Daten erhoben werden könnten, da das Vorliegen einer einfachen Gefahr die Verwendung der bei einem so schwerwiegenden heimlichen Informationseingriff wie einem Einsatz Verdeckter Ermittler gewonnenen Daten noch nicht rechtfertigen dürfte, schlagen aber insoweit nicht durch, als der Anwendungsbereich des § 38 I 1 BWPolG durch § 37 II 2 BWPolG eingeschränkt wird. Nach § 37 II 2 BWPolG ist die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu einem anderen polizeilichen Zweck als dem, zu dem sie erhoben wurden, nur zulässig, soweit die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck 253
Vgl. BVerfGE 100, 313, 394 – 395.
334
3. Teil: Voraussetzungen für heimliche Informationseingriffe
erheben dürfte254. Insoweit findet sich hier eine allgemeine polizeirechtliche Positivierung des Prinzips des „hypothetischen Ersatzeingriffs“255. Als Konsequenz des in § 37 II 2 BWPolG verankerten Prinzips des hypothetischen Ersatzeingriffs ist eine präventive Verwendung der aus einem Einsatz Verdeckter Ermittler gem. § 110a StPO herrührenden personenbezogenen Daten nur zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässig, da die Erhebung personenbezogener Daten durch den Einsatz Verdeckter Ermittler gem. § 22 III BWPolG nur beim Vorliegen solcher qualifizierter Gefahrenlagen erlaubt ist. Personenbezogene Daten, welche durch einen Einsatz Verdeckter Ermittler nach 110a StPO erlangt worden sind, dürfen also nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahren, welche die Vorschrift des § 22 III BWPolG für ihren Einsatz fordert, zu Zwecken der Gefahrenabwehr gespeichert, verändert und genutzt werden. Andernfalls ließe sich die Zahl der betroffenen Grundrechtsträger nicht im Rahmen des Zumutbaren halten256.
E. Die Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation gewonnenen personenbezogenen Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken Eine Verwendung strafprozessual erhobener Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist, wie schon dargelegt, grundsätzlich ausgeschlossen, wenn es sich um Erkenntnisse aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation (s. § 100a StPO) handelt257. Deshalb kann die dem Zwecke der Gefahrenabwehr dienende Verwendung der aus einer Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO stammenden personenbezogenen Daten nicht auf Normen wie § 38 I 1 BWPolG gestützt werden258. Soweit eine Verwendung der aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation herrührenden personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr in den Polizei- und Ordnungsgesetzen nicht normiert ist, besteht für den Landesgesetzgeber die grundrechtliche Schutzpflicht, eine solche Verwendung dort zuzulassen, wo es sich um den Schutz vor drohenden Verletzungen besonders hochrangiger, verfassungsrechtlich geschützter 254 Vgl. § 10a II VEMEPolG; Art. 37 II 2 BayPAG; § 42 II 2 BerlASOG; § 38 I 2 BrandPolG; § 36b BremPolG; § 14 I, II HambPolDVG; § 20 III HSOG; § 36 I 3 MVSOG; § 38 I NdsSOG; § 23 I NWPolG; § 30 I SaarlPolG; § 22 II SachsAnhSOG; § 43 I 2, 3 SächsPolG; § 191 I SchlHVwG; § 39 ThürPAG; § 29 III 3 u. 4 BGSG. 255 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 235. 256 BVerfGE 100, 313, 394. 257 Schenke, Polizeirecht, Rn. 209. 258 Schenke, in: Festgabe für Hilger, 225, 236 ff.
2. Kap.: Grenzen der Umwidmung der gewonnenen personenbezogenen Daten
335
Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit handelt [s. hierzu näher 2. Teil 3. Kapitel C. I. 2. c)]259. Besondere Beachtung verdient die neue Entscheidung des BVerfG zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst vor allem insoweit, als nach ihr die Verwendung der durch den Bundesnachrichtendienst erlangten personenbezogenen Daten zu anderen Zwecken als zu denen, zu denen sie erlangt wurden, nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen in strikter Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip möglich ist260. Bei der Ausgestaltung der neu zu schaffenden polizeirechtlichen Regelungen über die Verwendung der Erkenntnisse aus einer strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung sollte man unter Berücksichtigung der Grundsätze, welche das BVerfG in seinem zweiten G 10-Urteil vom 14. 9. 1999261 anklingen ließ, die Verwendung der aus einer Überwachung der Telekommunikation stammenden personenbezogenen Daten nur in engem Rahmen zum Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter bzw. – in Anlehnung an § 39 III 1 NdsSOG – zur Verhütung von Straftaten gestatten, die sich mit denen vergleichen lassen, die zu der strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation geführt haben262. Jedenfalls muss es aber um Straftaten mit erheblicher Bedeutung263 gehen. Eine Verwendung der aus einer Überwachung der Telekommunikation resultierenden personenbezogenen Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr dürfte wohl nur beim Vorliegen einer solchen qualifizierten Gefahrenlage zulässig sein.
Schenke, Polizeirecht, Rn. 209. Schenke, Grundrechtliche Probleme der Telekommunikation, 1, 14. 261 BVerfGE 100, 313, 389 f. 262 Schenke, JZ 2001, 997, 1004. 263 Die Straftat mit erheblicher Bedeutung dient auch sonst in den Polizei- und Ordnungsgesetzen vielfach als Anknüpfungspunkt für qualifizierte Eingriffe (vgl. z. B. §§ 16 I Nr. 2; 17 I Nr. 2; 18 I Nr. 2; 19 I Nr. 2; 20 I Nr. 2; 21 I Nr. 2 NWPolG). Dazu Schenke, JZ 2001, 997, 1004, Fn. 47. 259 260
4. Teil
Adressaten heimlicher Informationseingriffe 1. Kapitel
Adressatenbezogenheit A. Grundsatz des Zurechnungszusammenhanges Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr wird die Legitimation polizeilicher Eingriffe grundsätzlich in der Weise hergestellt, dass eine Gefahr abzuwehren ist und die Abwehr durch Maßnahmen gegen einen für die Gefahr verantwortlichen Störer geschieht (s. §§ 6, 7 BWPolG)1. Unter qualifizierten Voraussetzungen kann im sog. polizeilichen Notstand auch der Nichtstörer in Anspruch genommen werden (s. § 9 BWPolG), dem gegebenenfalls eine Entschädigung zu gewähren ist (§ 55 BWPolG)2. Im Polizeirecht darf die Unterscheidung zwischen Störern und Nichtstörern nicht nivelliert werden3. Im Rechtsstaat darf niemand als potentieller Verbrecher behandelt werden4. In der Abhör-Entscheidung hat das BVerfG bereits klargestellt, dass derartige gravierende Eingriffe nur gegen Personen durchgeführt werden dürften, die in einen konkreten Verdacht geraten sind, schwere Straftaten begangen zu haben5. Im jüngsten Urteil vom 21. 10. 1999 hat das MVVerfG zu Recht darauf hingewiesen, „Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet staatliche Maßnahmen, die die Freiheit der Person über die in Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Schranken hinaus beeinträchtigen. Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt das Recht eines jeden zu eigenem selbstbestimmten Verhalten. Das schließt die beliebige Vereinnahmung zu staatlicher Zweckverfolgung aus“6. Hinzu kommt, dass „der Freiheitsanspruch des einzelnen verlangt, dass er von polizeilichen Maßnahmen verschont bleibt, die nicht durch eine hinreichende Beziehung zwischen ihm und einer Gefährdung eines zu schützenden Rechtsguts oder eine entsprechende Gefahrennähe legitimiert sind“7. Anderenfalls werde gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip fol1 2 3 4 5 6 7
MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265. SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265. BVerwGE 26, 169, 170; MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265. BVerfGE 30, 1, 22 f. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 264 – 265.
1. Kap.: Adressatenbezogenheit
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gende Verbot unnötiger Eingriffe verstoßen8. Die polizeiliche Maßnahme sei also nur dann zulässig, wenn der verfassungsrechtlich notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen dem Einzelnen und einer Gefährdung eines zu schützenden Rechtsguts besteht9. Die Notwendigkeit, dass polizeiliche Maßnahmen auf eine von dem Adressaten ausgehende Gefahr bezogen sein müssen, wurde damit unter dem Begriff „Zurechnungszusammenhang“ zusammengefasst und zu einem von Verfassungs wegen geltenden Grundsatz erhoben10.
B. Die Adressaten heimlicher Informationseingriffe I. Die Ausdehnung der von der heimlichen Datenerhebung betroffenen Personenkreise Allerdings verzichtet die Datenerhebung mit besonderen Mitteln nach den §§ 22 ff. BWPolG – von der Wohnraumüberwachung nach § 23 BWPolG abgesehen – auf eine Begrenzung auf Störer oder Nichtstörer unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands. Adressaten der heimlichen Datenerhebung durch eine längerfristige Observation, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochen Wortes auf Tonträger oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler sind – wie die Verweisung in § 22 III BWPolG klarstellt – jeweils (Verhaltens- und Zustands-)Störer und Nichtstörer im Sinne des § 20 II BWPolG bzw. potentielle Straftäter und deren Kontakt- und Begleitpersonen i. S. d. § 20 III Nr. 1 und 2 BWPolG. Dritte können und dürfen durch diese Art der Datenerhebung unvermeidbar betroffen werden (vgl. § 22 IV BWPolG)11. Die verdeckte Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen (Fotos, Videoaufnahmen) richtet sich nach § 22 II BWPolG. Wer Adressat dieser polizeilichen Maßnahmen sein kann, hängt von dem Anlass der Datenerhebung ab12. Wenn es um die Abwehr einer erheblichen Gefahr geht, darf sich der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen gegen den in § 20 II BWPolG genannten Personenkreis, also sowohl gegen Störer als auch Nichtstörer richten (§ 22 II 1. Alt. BWPolG). Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten können diese Mittel gegen Personen i. S. d. § 20 III Nr. 1, 2 und 4 BWPolG, also potentielle Straftäter, deren persönliches Umfeld sowie Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers, eingesetzt werden (§ 22 II 2. Alt. BWPolG)13. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 265; BVerfGE 17, 306, 313 f.; 30, 250, 263. MVVerfG, DVBl. 2000, 262, 267. 10 Vgl. Kastner, VerwArch. April. 2001, 216, 251. 11 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 612. 12 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 616. 13 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 616. 8 9
22 Son
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
Nach § 25 I BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst eine Person oder Kennzeichen der auf den Namen der Person zugelassenen, von ihr benutzten oder von ihr eingesetzten Kraftfahrzeuge zu Zwecken der Mitteilung über das Antreffen ausschreiben, wenn entweder die Gesamtwürdigung der Person und ihrer bisher begangenen Straftaten erwarten lassen, oder Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person zukünftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG begehen wird und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist. Danach können bestimmte Personen („potentielle Straftäter“) polizeilich ausgeschrieben werden14. Dabei muss es um einen sog. Intensivtäter (Nr. 1) oder um eine Person gehen, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen (Nr. 2), dass sie künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG begehen wird. Nur potentielle Straftäter selbst dürfen zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben werden15. Diese Regelungen über die heimliche Datenerhebung nach den §§ 22 ff. BWPolG zeigen deutlich die Abkehr vom Grundsatz des Polizeirechts, wonach Eingriffsmaßnahmen gegenüber Personen nur unter den Voraussetzungen der Störereigenschaft oder des sog. polizeilichen Notstandes für Nichtstörer zulässig sind. Ausgenommen hiervon wird nur der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen gem. § 23 BWPolG. Bemerkenswert bei den Novellierungen der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder ist, dass sie den Personenkreis ausdehnen, über den zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben – vor allem zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten – Daten erhoben werden können16. Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten darf sich z. B. der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen gegen Personen richten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig eine der Straftaten i. S. des § 22 V BWPolG begehen werden (§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG). Darüber hinaus soll sie aber auch gegen Kontakt- und Begleitpersonen i.S. des § 20 III Nr. 2 BWPolG (nach § 22 II 2. Alt. BWPolG auch gegenüber Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers i. S. d. § 20 III Nr. 4 BWPolG) zulässig sein (§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG). Zudem sollen auch Daten über unbeteiligte Dritte erhoben werden dürfen, wenn sie unvermeidbar betroffen sind (vgl. § 22 IV BWPolG). Von heimlichen Informationseingriffen nach § 22 BWPolG können ferner Träger von Amts- und Berufsgeheimnissen betroffen sein, die selbst nicht als Störer bzw. potentielle Straftäter in Betracht kommen. Dasselbe gilt für eine längerfristige Observation und den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 22 III BWPolG). Kennzeichnend für den Eingriff ist, dass er regelmäßig nicht nur den für die Gefahr Verantwortlichen als Zielperson trifft17. Die Erkenntnisse sollen zumeist aus seiner Kommunikation mit anderen oder bei Dritten erlangt werden. Tan14 15 16 17
Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 616. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 659. Vgl. Schrader / Werner, JZ 1995, 305. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352.
1. Kap.: Adressatenbezogenheit
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giert werden von heimlichen Eingriffen nach den §§ 22 ff. BWPolG nicht allein Störer bzw. potentielle Straftäter, sondern auch Personen, bei denen eine Störereigenschaft noch nicht bejaht werden kann, also etwa Nichtstörer (vgl. § 22 II 1. Alt., III 1. Alt. BWPolG), Kontakt- und Begleitpersonen (§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG), Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potenziellen Opfers (§ 22 II 2. Alt. BWPolG) und unbeteiligte Dritte (§ 22 IV BWPolG) sowie Träger von Amts- und Berufsgeheimnissen, ohne dass es dabei eines Rückgriffs auf die Regelung des § 9 BWPolG über den sog. polizeilichen Notstand bedürfte.
II. Das Hauptproblem: Die Adressaten der Rasterfahndung § 40 BWPolG sieht die sog. Rasterfahndung zu präventiv-polizeilichen Zwecken vor. Danach kann der Polizeivollzugsdienst von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen die Übermittlung von Daten bestimmter, in automatisierten Dateien gespeicherter Personengruppen zum Zwecke des maschinellen Abgleichs mit anderen in automatisierten Dateien gespeicherten Datenbeständen verlangen, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG erforderlich ist18. Die Polizei verfügt zwar über eigene Informationssysteme, aus diesen gewonnene Informationen sind aber für eine effektive Bekämpfung von Straftaten dann eventuell nicht ausreichend, wenn die Polizei gegen Personen zu ermitteln hat, über die sie keine hinreichenden Erkenntnisse besitzt. In diesem Fall ist sie auf Erkenntnisse angewiesen, die bei anderen öffentlichen Stellen oder bei privaten Stellen vorliegen19. Bei der Rasterfahndung handelt sich es um die Nutzbarmachung dieser Erkenntnisse20. Während öffentliche Stellen im Rahmen der Amtshilfe zur Mitwirkung verpflichtet sind, lässt sich das Übermittlungsverlangen gegenüber nichtöffentlichen Stellen im Wege des Verwaltungszwangs durchsetzen21. Die Vorschrift über die Rasterfahndung regelt die Zugriffsermächtigung der Polizei auf fremde Datenbestände und die Anforderungen an diesen Zugriff. Die Rasterfahndung hat durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 eine besondere Bedeutung erlangt22. Bereits in den 70er Jahren erschütterte eine 18 Vgl. auch Art. 44 BayPAG; § 47 BerlASOG; § 46 BrandPolG; § 36i BremPolG; § 23 HambPolDVG; § 26 HSOG; § 44 MVSOG; § 45a NdsSOG; § 31 NWPolG; § 37 SaarPolG; § 31 SachsAnhSOG; § 47 SächsPolG; § 195 f. SchlHVwG; § 44 ThürPAG. 19 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 219. 20 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 219. 21 Vgl. BW LT-Dr. 10 / 5230, 49. 22 Die schrecklichen Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 schockieren die ganze Welt. Von Terroristen entführte Flugzeuge stürzten in das Word Trade Center und das Pentagon und richteten verheerende Verwüstungen an. Die beiden 110 Stockwerke hohen Zwillingstürmen stürzten in sich zusammen und begruben Tausende. Die Zahl der Opfer ist bisher noch nicht absehbar. Die Terroranschläge haben in aller Welt Trauer, Schmerz und Fassungslosigkeit ausgelöst.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
Terrorgruppe namens Rote-Armee-Fraktion (RAF), die eher als „Baader-MeinhofBande“ bekannt war, die Bundesrepublik mit Mordanschlägen23. Bereits vor ihrer offiziellen Einführung diente die Rasterfahndung der Bekämpfung des Terrorismus nach terroristischen Anschlägen24. In den 70er Jahren wohnten die RAF-Terroristen in einer oder mehreren unter Falschnamen angemieteten konspirativen Wohnungen, die Polizei wusste nur nicht wo. Da die RAF-Terroristen die Stromrechnung nicht überweisen konnten, gingen die Ermittler davon aus, dass ihre Falschnamen sich in der Gruppe derjenigen befinden müssten, die ihre Stromrechnung bar bezahlen. Die gesuchten Falschnamen der Terroristen konnten dadurch herausgefunden werden, dass alle legalen Namensträger so lange aus der Menge der barbezahlenden Stromkunden herausgefiltert wurden, bis nur noch die Träger von Falschnamen verblieben25. In Frankfurt etwa sind am Ende des teilweise auch manuell unterstützten Filterungsprozesses nur noch zwei Falschnamen, der eines Rauschgifthändlers und der des gesuchten Terroristen Heißler, von 18 000 bar zahlenden Stromkunden verblieben26. Das Konzept der Rasterfahndung beruht auf Erfahrungen des Bundeskriminalamtes (BKA) bei der Bekämpfung des Terrorismus27. Die Rasterfahndung ist eine mit Hilfe von Computern systematisierte Methode, die sich aus der Fahndung nach RAF-Terroristen in Deutschland in den 70er Jahren entwickelt hat. Damals konnten mehrere RAF-Terroristen allein mit23 Am 7. April 1977 wird in Karlsruhe, dem Sitz der Bundesanwaltschaft, der Generalbundesanwalt Siegfried Buback auf offener Straße erschossen. Zu der Tat bekannte sich ein Kommando Ulrike Meinhof – Rote-Armee-Fraktion. Am 30. Juli 1977 wird in seinem Haus in Oberursel bei Frankfurt der Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, erschossen. Nach dem Tod von Siegfried Buback ist es der zweite Mord, der von Terroristen in der Bundesrepublik verübt wird. Am 19. Oktober 1977 wird Hans-Martin Schleyer, der von Terroristen entführte Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände, im französischen Mülhausen im Kofferraum eines grünen Audi 100 tot aufgefunden. 24 Näher dazu Herold, Kriminalistik-Forum, 1980, 165, 169; auch ders., in: DER SPIEGEL v. 8. 9. 1986, auszugsweise abgedruckt bei Wehner, Kriminalistik 1986, 540, 541. 25 Als typisches Beispiel für eine Rasterfahndung wird der Abgleich von Kundendateien der Hamburger Elektrizitätswerke Ende der 70er Jahre angeführt. Damals unterhielt die RAF konspirative Wohnungen in mehreren Großstädten. Das BKA setzte voraus, dass Terroristen ihre Stromrechnung bar und unter falschen Namen bezahlten. Im Hinblick darauf hat das Bundeskriminalamt (BKA) von den Hamburger Elektrizitätswerken die Übermittlung von Kundendaten der Stromwerke zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangt. Das BKA hat den Abgleich der Kundendaten der Stromwerke mit anderen Datenbeständen (etwa Melderegister, Versicherungsdaten) durchgeführt, um die legalen Namensträger herauszufiltern, bis nur noch Träger von Falschnamen übrigblieben. Wegen der Ablehnung der Hamburger Elektrizitätswerke, die Daten zu übermitteln, konnten die Kundendateien in Hamburg erst abgeglichen werden, nachdem Teile der Kundendaten aufgrund eines Beschlusses des Ermittlungsrichters beschlagnahmt wurden. Vgl. Herold, in: DER SPIEGEL v. 8. 9. 1986, auszugsweise abgedruckt bei Wehner, Kriminalistik 1986, 540; auch Wittig, JuS 1997, 961, 968. 26 S. Herold, in: DER SPIEGEL v. 8. 9. 1986, auszugsweise abgedruckt bei Wehner, Kriminalistik 1986, 540, 541. 27 Herold, Kriminalistik-Forum, 1980, 165, 169.
1. Kap.: Adressatenbezogenheit
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tels der Rasterfahndung festgenommen werden28. Bei der Verfolgung islamistischer Terroristen war in Deutschland aber wieder eine bundesweite Rasterfahndung angelaufen. Die Ermittlungsbehörden haben in Deutschland lebende islamistische Terroristen aufgespürt, die als sog. terroristische „Schläfer“29 an der Vorbereitung von Anschlägen beteiligt sein könnten30. Um die sog. terroristische Schläfer zu finden, die sich völlig unauffällig verhalten und auf ihren Terroreinsatz warten, wurden in Deutschland alle Angehörigen aus islamischen Staaten über die Melderegister erfasst und danach wurde über einen Computerabgleich personenbezogener Daten gezielt nach Menschen gesucht, die jene Kriterien erfüllen, die Schläfern zugeschrieben werden: 18 bis 40 Jahre alt, ledig, männlich, Student, technische Studienfächer, mehrsprachig, keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich, rege Reisetätigkeit und finanziell gut versorgt31. Bei der Suche wurden alle verfügbaren Datenbestände benutzt, darunter auch von Hochschulen32 und Banken. Manche Mittel zur Datenerhebung (z. B. Befragung, Observation) dienten der polizeilichen Aufgabenerfüllung auch schon vor Beginn des Informationszeitalters. Im Informationszeitalter wird die Rasterfahndung aber immer mehr an Bedeutung gewinnen. Ihr Potential in Zukunft wird wegen der Zunahme öffentlicher und privater Datenbestände eher noch wachsen33. Angesichts der im Gang befindlichen zunehmenden informationellen Vernetzung von Daten durch Computer kann die Rasterfahndung ein Mittel zu einer weitgehenden Überwachung werden, insbesondere, wenn bei den erfassten Personengruppen nicht klar zwischen abweichendem Verhalten und Straftäterprofil unterschieden wird34. Die computergestützte Raster28 Nach Herold, in: DER SPIEGEL v. 8. 9. 1986, auszugsweise abgedruckt bei Wehner, Kriminalistik 1986, 540, 541. 29 Dies sind Extremisten, die sich völlig unauffällig verhalten und auf ihren Terroreinsatz warten. Die terroristischen „Schläfer“ sollen von islamistischen Rädelsführern jederzeit aktiviert werden können, um aus dem Hinterhalt Tod und Verderben über zahllose Menschen zu bringen. 30 Zur Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 s. OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629, 631; OLG Frankfurt, NVwZ 2002, 626, 627; Gohla / Klug, NJW 2002, 2431, 2437 f.; Seel, Die Polizei 2002, 192; Lisken, NVwZ 2002, 513 ff. 31 Nach den Terroranschlägen in den USA hat BKA-Staatsschutzchef Manfred Klink am 17. September 2001 in einem vertraulichen Telex einen ersten „Kriterienkatalog“ zur Fahndung nach sog. islamischen „Schläfern“ verschickt. Tätermerkmale sind u. a.: Vermutlich keine nach außen tretende fundamentalistische Haltung / technische Studienfächer / keine eigenen Kinder / geistig beweglich / stressresistent / mehrsprachig / keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich / rege Reisetätigkeit / finanziell autark. FOCUS v. 24. September 2001. 32 Das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) hat auch an den Hochschulen im Südwesten nach Schläfern, also nach ausgebildeten Terroristen gesucht. Von den Universitäten haben die Ermittler im Rahmen der Rasterfahndung bereits Daten von Studenten angefordert. Vgl. Mannheimer Morgen v. 29. 9. 2001. 33 Vgl. Wittig, JuS 1997, 961, 968. 34 Vgl. Alberts, CR 1997, 105.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
fahndung ermöglicht insbesondere eine technisch vereinfachte und effiziente Datenerhebung und Datenverarbeitung besonders in zeitlicher Hinsicht35. Die Rasterfahndung ist zwar sehr effizient bei der polizeilichen Aufgabenerfüllung, insbesondere der Bekämpfung des Terrorismus, der Sittlichkeitsdelikte 36 und auch des organisierten Verbrechens37, birgt aber Risiken für den Schutz des Individuums. Die entscheidende Problematik der Rasterfahndung liegt insbesondere darin, dass sie nicht adressatenbezogen eingegrenzt ist. Die Rasterfahndung bezweckt mit Hilfe elektronischer Merkmalsraster aus einer beliebig großen Personenzahl eine möglichst kleine Gruppe von Tatverdächtigen bzw. Störern herauszufiltern38. Bei der Rasterfahndung richten sich polizeiliche Eingriffe nicht nur gegen Polizeipflichtige oder Tatverdächtige, sondern auch allgemein gegen alle Personen mit gleichen persönlichen Merkmalen39. Daher werden zwangsläufig und vielfach Daten von „unbescholtenen Bürgern“ abgeglichen, nur weil sie zufällig mit bestimmten Merkmalen der gespeicherten Personen oder Tatsachen übereinstimmen40. Jeder unbescholtene Bürger kann somit zum Objekt polizeilicher Ausforschung werden. Angesichts der Vielzahl von unbescholtenen Bürgern als Adressaten der Rasterfahndung ist eine verfassungskonforme Eingrenzung der Zugriffsermächtigung der Polizei auf fremde Datenbestände geboten.
C. Der Charakter des Terrorismus und der organisierten Kriminalität Bezüglich der Adressatenbezogenheit ist aber darauf abzustellen, dass Terroristen und kriminelle Organisationen, von denen nach kriminalistischer Erfahrung die Begehung weiterer schwerer Delikte zu erwarten ist, mit den überkommenen polizeilichen Kategorien des Störerbegriffs nicht mehr durchgängig erfasst werden 35 Früher waren Fahndungsgesuche meist nur unter zeitraubendem Arbeitsaufwand zu erledigen. Hingegen ermöglicht die elektronische Fahndung die Bearbeitung der Fahndungsgesuche in größter Geschwindigkeit. Nach einem Vergleich von etwa 66 Millionen Personalien aus Datenbeständen, vor allem der Einwohnermeldeämter, mit ca.190 000 Fahndungsnotierungen ist es der Polizei gelungen, in einem Zeitraum von rund 2 Jahren etwa 5 000 Fahndungen zu erledigen. Ca. 1 800 mit Haftbefehl gesuchte Personen konnten so festgenommen werden. Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 220. 36 Im Jahre 2001 hat der Mordfall Ulrike, bei dem die zwölfjährige Ulrike aus Eberswalde in Brandenburg von einem Sexualmörder mit einem gestohlenen Auto verschleppt, sexuell missbraucht und dann erdrosselt wurde, auch bestätigt, dass die Rasterfahndung eine effiziente und nützliche Fahndungsmethode ist. Laut Polizeiangaben sei die Festnahme des Täters offensichtlich vor allem der Erfolg einer groß angelegten systematischen Rasterfahndung, s. Mannheimer Morgen v. 30. 3. 2001; DER SPIEGEL v. 29. 3. 2001. 37 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 220. 38 Vgl. hierzu ausführlich Simon / Taeger, JZ 1982, 140, 141. 39 Vgl. Simon / Taeger, JZ 1982, 140, 141. 40 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 671.
1. Kap.: Adressatenbezogenheit
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können41. Der Charakter des Terrorismus und der organisierten Kriminalität liegt vor allem darin, dass sich Terroristen und kriminelle Organisationen bemühen, ihre Identitäten gegenüber den staatlichen Stellen geheim zu halten. Sie bewegen sich ohne Auffälligkeit ganz normal. So wohnten in den 70er Jahren die RAF-Terroristen in konspirativen Wohnungen und bezahlten ihre Stromrechnungen bar und unter falschem Namen. Nach den Kamikaze-Angriffen von Terroristen mit gekaperten Verkehrsflugzeugen auf die USA sind das größere Problem auch die sog. „Schläfer“. Dies sind Extremisten, die sich zur Tarnung dem hiesigen Lebensstil angepasst haben, um irgendwann als Terrorist aktiviert zu werden42. Terroristen verhalten sich im Vorfeld ihrer Anschläge in der Regel möglichst unauffällig43. Aus diesem Grunde kommt auch die Rasterfahndung teilweise an ihre Grenzen. So ist die positive Rasterfahndung in diesen Fällen – im Gegensatz zur negativen Rasterfahndung – nicht erfolgversprechend. Die Rasterfahndung wird in der Praxis in zwei völlig unterschiedlichen Erscheinungsformen, d. h. positive und negative Rasterfahndung, angewendet44. Bei der positiven Rasterfahndung ermittelt die Polizei durch Datenabgleich solche Personen, die bestimmte positive Merkmale aufweisen. So werden etwa die Hotelmeldezettel-Daten mit der Fahndungsliste abgeglichen45. Bei der negativen Rasterfahndung werden hingegen je nach Übereinstimmungen oder Nichtübereinstimmungen mit den vorher festgelegten Merkmalen große Datenbestände aus dem meist nichtpolizeilichen Bereich stufenweise herausgefiltert. Dann wird die verbleibende kleine Personengruppe, die als Tatverdächtige in Betracht kommt, mit anderen Datenbeständen abgeglichen. Personengruppen, die als Täter außer Betracht bleiben, werden auf diese Weise negativ ausgerastert. Während bei der positiven Rasterfahndung die Verbrechensbekämpfung an dem kraft richterlichen Haftbefehls gesuchten Straftäter ansetzt,46 sind bei der negativen Rasterfahndung Gegenstand der Rasterfahndung eine Vielzahl unbescholtener Bürger, die aus Sicht der Polizei zufällig betreffs der Fahndungsrelevanz gleiche Merkmale aufweisen47. Unter der Rasterfahndung versteht man meistens die „negative“ Rasterfahndung48. Da in der Regel keine genügenden Anhalts41 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959 unter Bezugnahme auf Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568 f. 42 Jedenfalls sollen sich zwei der als Kamikazeflieger und Zerstörer des World Trade Centers hauptverdächtigen Araber vor dem Anschlag nicht nur lange Zeit an ihrem „Schlafort“ Hamburg aufgehalten, sondern zeitweise auch an Rhein und Ruhr verkehrt haben. Mannheimer Morgen v. 17. 9. 2001 u. v. 26. 9. 2001. 43 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 213b. 44 Näher zu der negativen und positiven Rasterfahndung Wanner, CR 1986, 216, 219; auch Denninger, in: Hohmann (Hrsg.), S. 158. 45 Denninger, in: Hohmann (Hrsg.), S. 158. 46 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 221. 47 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 422. 48 Denninger hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass datenschutzrechtlich gesehen diese Unterscheidung zwischen positiver und negativer Rasterfahndung insoweit keine ausschlaggebende Rolle spielen kann, als grundrechtlich gesehen ein Eingriff in das Recht auf
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
punkte für eine positive Rasterfahndung vorliegen, ist der positive Datenabgleich nämlich nicht erfolgversprechend. Für eine wirksame Verbrechensbekämpfung der schweren Kriminalität wurde daher die negative Rasterfahndung entwickelt49, 50. Kriminelle Organisationen gehen auch konspirativ vor. Gegen eine polizeiliche Überwachung schützen sie sich dadurch, dass die Begehung von Straftaten (z. B. Herstellung und Einführung von bzw. Handel mit Rauschgift) möglichst als Normalverhalten getarnt wird51. Nach polizeilichen Untersuchungen haben sich kriminelle Gruppen auch durch schnelle Anpassung ihrer Strukturen an bestehende Institutionen eingerichtet52. Sowohl das äußere Erscheinungsbild der Täter als auch ihre Aktionen sollen keine Unrechtsvertypung mehr darstellen; kriminelles Verhalten kann äußerlich von rechtmäßigem kaum noch unterschieden werden53. Hintermänner und Drahtzieher treten nicht nach außen in Erscheinung54. Differenziert werden kann nur, wenn die Polizei sich Hintergründe erschließt und Strukturen offenlegt55. Es geht um äußerst vielgestaltige, in steter Entwicklung begriffene Erscheinungsformen des Verbrechens, deren Bekämpfung situationsgerechtes flexibles Handeln durch die Polizei verlangt56. Die heimliche Datenerhebung stellt dabei ein erfolgversprechendes und polizeilich benötigtes Instrument im Kampf gegen die heutigen Erscheinungsformen der Kriminalität, darunter auch der Organisierten Kriminalität, dar57. Dies gilt vor allem dann, wenn Straftaten – typischerweise unter Abschottung gegenüber Dritten – in organisierter Form begangen werden sollen und eine offene Annäherung an den potentiellen Täterkreis zur Gewinnung weiterer Informationen aus praktischen Gründen ausscheidet58. Auch der SächsVerfGH ist davon ausgegangen, dass die Sicherheitsbehörden in eine derartige Organisation eindringen und bereits die frühe Entstehungsphase von Straftaten, die Zusammenhänge, die Arbeitsweisen mafioser Gebilde und die sie steuinformationelle Selbstbestimmung bei beiden Abgleichmethoden vorliegt. Denninger, in: Hohmann (Hrsg.), S. 159. 49 Vgl. Wanner, CR 1986, 216, 220. 50 Nach Herold habe die Polizei auf die positive Rasterfahndung aus zwei Gründen verzichtet: „einmal, weil die Rechtsentwicklung schon seit Jahren darauf hinauslief, für eine solche Fahndungsform eine spezialgesetzliche Ermächtigung zu verlangen. Zum anderen wollte die Polizei in der aufgeladenen und wenig sachlichen Atmosphäre der aufbrandenden Datenschutzdiskussion sich nicht dem an sich abstrusen Vorwurf aussetzen, sie könne unkontrolliert Zusatzkriterien in die Suche einbringen und damit ganz andere als die vorgegebenen Suchziele verfolgen“. Vgl. Herold, in: DER SPIEGEL v. 8. 9. 1986, auszugsweise abgedruckt bei Wehner, Kriminalistik 1986, 540, 541. 51 Vgl. Kniesel, ZRP 1992, 164 f. 52 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. 53 Kniesel, ZRP 1992, 164. 54 Wolter, GA 1988, 49, 51. 55 Kniesel, ZRP 1992, 164. 56 SächsVerfGH, JZ. 1996, 957, 959. 57 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. 58 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453.
1. Kap.: Adressatenbezogenheit
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ernden Personen ergründen müssen59. Die insoweit erforderliche Informationsbeschaffung (Datenerhebung) führt, worauf Kniesel zu Recht hinweist, aber häufig zu Eingriffen in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, ohne dass zu diesem Zeitpunkt schon die herkömmlichen polizeirechtlichen Differenzierungskriterien (Störer bzw. Nichtstörer, Tatverdächtiger bzw. Nichttatverdächtiger) greifen könnten60. Das läuft darauf hinaus, dass der Einzelne auch ohne einen bestimmten Zurechnungszusammenhang einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur effizienten Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität zwangsläufig hinnehmen muss. Es ist aber mit dem freiheitlichen Meschenbild des Grundgesetzes nicht vereinbar, jedermann als potentiellen Rechtsbrecher zu betrachten61. Das macht eine Besinnung darauf erforderlich, inwieweit überhaupt eine allgemeine „Aufopferungspflicht“62 des Bürgers zur Aufrechterhaltung von Sicherheitsinteressen verfassungsrechtlich akzeptabel ist63. Mit dieser Problematik werden sich die folgenden Überlegungen beschäftigen (2. Kapitel). Hierbei wird man davon auszugehen haben, dass heimliche polizeiliche Maßnahmen nach den §§ 22, 40 BWPolG sich nicht gegen jeden beliebigen Dritten richten dürfen. Jedenfalls im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der eine Überwachung jedes beliebigen Dritten im Umfeld des potentiellen Täters nicht zulässt, ist eine restriktive Interpretation der heimliche Informationseingriffe regelnden Regelungen der §§ 22, 40 BWPolG von Verfassungs wegen geboten64. Nur so lässt sich verhindern, dass die Bestimmungen zum Einfallstor polizeilicher Omnipotenz werden und zu einem Instrument der totalen Bürgererfassung pervertieren65.
59 60 61 62 63 64 65
SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. Kniesel, ZRP 1992, 164; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. BVerwGE 26, 169 f. = NJW 1967, 1192; VGH München, DVR 1984, 130 ff. Ausdruck Köhler, ZStW 1995, 10, 20. Vgl. Möller, NVwZ 2000, 382, 385. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. Vgl. Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 569.
346
4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
2. Kapitel
Eingrenzung des Adressatenkreises A. Eingrenzung des von einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln betroffenen Personenkreises I. Das Übermaßverbot als Maßstab für die zulässige Datenerhebung mit besonderen Mitteln Solange es bei einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln nach den §§ 22 ff. BWPolG um (Verhaltens- und Zustands-)Störer geht, gibt es prinzipiell keine Streitfragen über die grundsätzliche Zulässigkeit der Erhebung der betreffenden Daten zu dem Personenkreis66. Nach § 22 II, III BWPolG können aber auch gegen Nichtbeteiligte besondere Mittel der Datenerhebung eingesetzt werden. Auch der Nichtstörer kann somit Adressat der heimlichen Datenerhebung sein, und zwar unabhängig von § 9 BWPolG über den polizeilichen Notstand. Denn die heimliche Informationseingriffe regelnden Regelungen der §§ 22 ff. BWPolG verdrängen als leges speciales die allgemeinen Vorschriften über die polizeirechtlich Verantwortlichen (§§ 6, 7 BWPolG) und diejenigen Personen, die unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen als Nichtsstörer in Anspruch genommen werden dürfen (§ 9 BWPolG)67. Daher lässt sich insoweit auf die allgemeinen Grundsätze der Störerbzw. Nichtstörerverantwortlichkeit nicht mehr zurückgreifen68. Spielen die tradierten Störerbegriffe für diese Eingriffsermächtigungen keine Rolle mehr,69 so unterliegen polizeiliche Informationseingriffe doch dem letztlich der Abgrenzung von Störern und Nichtstörern (mit) zugrundeliegenden Übermaßverbot70. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Übermaßverbots, den der baden-württembergische Gesetzgeber in den §§ 3, 5 BWPolG nochmals deklaratorisch statuiert, bietet ausreichende Handhaben, den Ermessensspielraum der Polizei in verfassungskonformer Auslegung einzuschränken71. Das Übermaßverbot hat in allen Polizei- und Ordnungsgesetzen seinen deklaratorischen Niederschlag gefunden, gilt aber unabhängig von seiner einfachgesetzlichen Positivierung als ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips schon kraft Verfassungsrechts72. Vgl. Riegel, DVBl. 1987, 325, 328. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 228; Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 563. 68 Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 228. 69 Kniesel / Vahle, DÖV 1989, 566, 568. 70 Schenke, Polizeirecht, Rn. 228. So wäre es z. B. als unzulässig anzusehen, wenn die Polizei Daten über eine Person, bei der offensichtlich auch der Verdacht, Störer zu sein, ausscheidet, erhebt. 71 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400. 72 Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Vgl. hierzu grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; ferner Wittig, DÖV 1968, 817 ff.; Lücke, DÖV 1974, 769 ff. 66 67
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
347
Dieses begrenzt sowohl das polizeiliche Entschließungs- als auch das Auswahlermessen73.
II. „Andere Personen“ i. S. d. § 20 II BWPolG als Betroffene der heimlichen Datenerhebung gem. § 22 BWPolG Betroffene der heimlichen Datenerhebung gem. § 22 BWPolG sind zunächst die in §§ 6 und 7 BWPolG geregelten (Verhaltens- und Zustands-)Störer, weiter-hin auch „andere Personen“, deren Daten zur Gefahrenabwehr benötigt werden (s. § 22 II 1. Alt., III 1. Alt. BWPolG)74. Hierbei stellt sich die Frage, ob diejenigen Personen, die nicht Störer i. S. des §§ 6, 7 BWPolG sind, nur unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes (§ 9 BWPolG) Adressaten der heimlichen Datenerhebung sein können. Die Vorschrift des § 9 BWPolG über die Notstandsinanspruchnahme stellt sicherlich den wichtigsten, aber keinesfalls den einzigen Schutz von Personen dar, die für die Gefahr nicht verantwortlich sind. Auch Nichtstörer partizipieren von bereichsspezifisch verschärften Anforderungen, wie sie sich häufig auch bei den Standardmaßnahmen finden75. Die Regelung des § 22 II, III BWPolG lässt den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zu Lasten von Personen, welche für die Gefahr nicht verantwortlich sind, unter den in ihr bestimmten Voraussetzungen zu. Nach § 22 III 1. Alt. BWPolG ist die Erhebung von personenbezogenen Daten durch eine längerfristige Observation, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochen Wortes auf Tonträger oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sachund Vermögenswerte zulässig. Nach § 22 II 1. Alt. BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen von den Nichtstörern i. S. d. § 20 II BWPolG zur Abwehr einer erheblichen Gefahr erheben. Die „erhebliche Gefahr“ wird als Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten gegen den Nichtstörer vielfach postuliert und knüpft dabei an die Schwere der Rechtsverletzung an76. Erforderlich ist damit eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut77. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität wird also die Datenerhebung mit besonderen Mitteln durch das baden-württembergische Polizeigesetz nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen erlaubt78. In beiden Fällen 73 74 75 76 77 78
Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 586. Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 254. Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Schenke, Polizeirecht, Rn. 189.
348
4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
müssen besondere Rechtsgüter (z. B. Staatsschutz, Lebensschutz) den Einsatz rechtfertigen79. Denn die Zulässigkeit besonders intensiver Grundrechtseingriffe rechtfertigt sich durch den Schutz von bedeutenden Rechtsgütern80. Zudem können besondere Mittel der Datenerhebung nur als ultima ratio eingesetzt werden, wenn anderenfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde (vgl. § 22 II, III BWPolG). Damit hat der baden-württembergische Gesetzgeber – auch dies ist für die Frage der Angemessenheit von Bedeutung – den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gem. § 22 BWPolG von weiteren materiellrechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht, die den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begrenzen81. So ist gemäß § 22 II, III BWPolG ein heimliches Handeln der Polizei lediglich zulässig, wenn der Polizei außer der heimlichen Datenerhebung kein anderes, gleich wirksames Mittel verbleibt, um die erhebliche Gefahr zu verhindern82. Das erlegt eine intensive Prüfung insbesondere auch für den Fall auf, dass zu Lasten von denjenigen Personen, die für die polizeiliche Gefahr nicht verantwortlich sind, vorgegangen werden soll83. Weiter ist bereits durch § 19 II BWPolG klargestellt, dass personenbezogene Daten von der Polizei vorrangig „offen“ zu erheben sind und sich die verdeckte Datenerhebung demgegenüber als Ausnahmefall darstellt84. Außerdem dürfen grundsätzlich nur gefahren- oder tatbezogene Merkmale erfasst werden, also nicht pauschal alle Lebensumstände eines Bürgers ausgeforscht werden, auch wenn dies nicht ausdrücklich normiert ist (ausdrückliche Normierung z. B. in § 29 V 2 BbgPolG). Dieses Erfordernis ergibt sich jedoch unabhängig von seiner einfachgesetzlichen Positivierung bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch über Störer dürfen nur Daten erhoben werden, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sein können85. Die Datenerhebung beschränkt sich auf gefahren- und tatbezogene Merkmale. Wenn also wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität die Datenerhebung mit besonderen Mitteln an das Vorliegen spezieller Voraussetzungen geknüpft ist, profitieren auch diejenige Personen, die nicht Störer i. S. des §§ 6, 7 BWPolG sind, von diesem Schutz86. Die Regelung des § 22 II, III BWPolG, beinhaltend heimliche Informationseingriffe gegen „andere Personen“ i. S. d. § 20 II BWPolG zur Gefahrenabwehr, genügt angesichts der hohen gesetzlichen Anforderungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es geht hier um die Abwehr einer Gefahr für besonders hochrangige Rechtsgüter. In einer solchen Situation muss es dem Staat erlaubt sein, zum Staats79 80 81 82 83 84 85 86
Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 612. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 541. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 632. Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 255.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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schutz oder zum Schutz von Leben, Gesundheit und Freiheit des Einzelnen in den geschützten Privatbereich der nichtverantwortlichen Personen einzudringen, wenn dies zur Gefahrenabwehr unabweisbar ist. Zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die in § 22 III genannten hochrangigen Rechtsgüter, wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person, sind im Ergebnis auch Informationseingriffe (wie sie sich z. B. in § 28 II 4 MVSOG87 finden) gegen Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen zulässig, die selbst nicht als Störer bzw. potentielle Straftäter in Betracht kommen. Rechtzeitige und effektive Gefahrenabwehr setzt notwendigerweise entsprechende Informationen voraus88. Die Regelung des § 22 II, III BWPolG erscheint geeignet und dürfte dem baden-württembergischen Gesetzgeber zum Schutz der darin genannten bedeutenden Rechtsgüter erforderlich erscheinen. Es sind Situationen denkbar, in denen ein heimlicher Informationseingriff gegenüber Nichtbeteiligten, wie er durch § 22 II, III BWPolG ermöglicht wird, als einzig wirksames Mittel verbleibt, um eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte abzuwenden. Die Regelung ist auch nicht unangemessen. Sind die in § 22 III BWPolG genannten hochwertigen Rechtsgüter gefährdet, muss der Schutz der Privatsphäre nicht nur der polizeiliche Verantwortlichen, sondern auch derjenigen, die für diese Gefahr nicht verantwortlich sind, je nach Fallgestaltung zurücktreten können. Ist eine drohende Verletzung besonderer Rechtsgüter, wie etwa Leib, Leben oder Freiheit, anders als durch die Inanspruchnahme von nichtverantwortlichen Personen nicht mit Aussicht auf Erfolg abzuwenden, muss dieses von Verfassungs wegen hingenommen werden, damit sich jene überragenden Rechte anderer Personen – nach Möglichkeit – gewähren lassen89. Zwar gibt die Vorschrift des § 22 II, III BWPolG die Befugnis, personenbezogene Daten über den Nichtstörer i. S. d. § 20 II BWPolG zur Gefahrenabwehr zu erheben. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass es ins Belieben der Polizei gestellt ist, über wen sie Daten erheben möchte90. Die Grundregel des Polizeirechts, wonach der Verursacher der Gefahr primär für deren Beseitigung einzustehen hat, gilt auch für den besonderen Bereich der Datenverarbeitung91. Die Polizei hat sich also bei der heimlichen Datenerhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr zunächst an den Störer zu halten92. Als Konsequenz des auch im Polizeirecht geltenden Verursacherprinzips und der prinzipiellen Subsidiarität der Inanspruchnahme von Nichtstörern93 ist der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen einen anderen 87 Vgl. auch § 12 II 3 HSOG; § 18 VI 3 SächsPolG; § 12 V 2 NdsSOG; § 180 II 4 SchlHVwG. 88 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. 89 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 349. 90 Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 698. 91 Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 698. 92 Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 698. 93 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 565.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
als den für die Gefahr Verantwortlichen nur dann zulässig, wenn dies zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für hochwertige Rechtsgüter „unerlässlich“ ist. Das ergibt sich unabhängig von seiner positivgesetzlichen Normierung bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Vergleich zu der Inanspruchnahme von Störern muss die Inanspruchnahme des Nichtstörers noch erhöhten Anforderungen genügen94. III. Der unbescholtene Bürger als Objekt einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten? Probleme ergeben sich hinsichtlich einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten daraus, dass die Regelung des § 22 II, III BWPolG durch die Ausdehnung des Kreises möglicher Betroffener auf „Kontakt- oder Begleitpersonen“ neben potentiellen Straftätern auch andere Bürger in ihrem Grundrecht beeinträchtigen kann95. Im Vergleich zu den Anforderungen an die heimliche Überwachung eines potentiellen Straftäters werden die Anhaltspunkte für einen Tatbezug bei Personen, zu denen er im Vorfeld der in Frage stehenden Straftat in Verbindung steht oder Verbindung aufnimmt, vielfach weniger konkret und greifbar sein96. Insoweit verlagert sich der polizeiliche Einsatz damit (weiter) von der zu bekämpfenden Gefahr weg in einen im gewissen Sinne diffusen Bereich hinein, der durch den Einsatz gegebenenfalls erst „aufgehellt“ wird97. Hier tritt ein grundsätzliches Problem polizeilicher Betätigung auf dem Gebiet der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in besonderer Weise in Erscheinung. 1. Darf sich der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung nach § 22 BWPolG gegen jeden beliebigen Dritten richten? Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten darf sich z. B. der Einsatz technischer Mittel gegen Personen richten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG begehen (§ 22 II 2. Alt, III 2. Alt. BWPolG). Darüber hinaus dürfen aber auch Daten über Kontakt- und Begleitpersonen erhoben werden (§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG). Zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung können technische Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen (Fotos, Videoaufnahmen) auch gegen Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers i. S. d. § 20 II Nr. 4 BWPolG eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang 94 95 96 97
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
351
ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Maßnahmen nach § 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG sich nicht gegen „jeden beliebigen Dritten“ richten dürfen, sondern allein gegen den potentiellen Straftäter und seine Kontakt- und Begleitpersonen sowie nach § 22 II 2. Alt. BWPolG gegen Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers. Zwar regelt die Regelung des § 22 II, III BWPolG dem Wortlaut nach nur, über wen personenbezogene Daten erlangt werden dürfen, also im Falle des § 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG über potentielle Straftäter und deren Kontakt- und Begleitpersonen sowie nach § 22 II 2. Alt. BWPolG auch über Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers. Ein „Umweg“ über gezielte Eingriffe bei unbeteiligten Dritten ist, worauf das BbgVerfG zu Recht hinweist, der Polizei versperrt98. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass das heimliche Filmen oder Abhören eines Dritten, auch wenn es zur Erhebung personenbezogener Daten über den potentiellen Straftäter beiträgt, regelmäßig zugleich eine gezielte Erhebung personenbezogener Daten des Dritten selbst darstellen würde99. Dies aber ist, wie sich aus § 22 II, III BWPolG ergibt, nicht zulässig. Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten über einen anderen als den potentiellen Straftäter gezielt allein über seine Kontakt- oder Begleitpersonen und nach § 22 II BWPolG über Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers erhoben werden100. „Unbeteiligte Dritte“ dürfen von der heimlichen Datenerhebung lediglich betroffen werden, soweit das unvermeidbar ist (vgl. § 22 IV BWPolG). Die gezielte heimliche Inanspruchnahme Dritter ist danach ausgeschlossen. Der Polizei verbleibt nur die offene Datenerhebung101.
2. Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen „potentielle Straftäter“ zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung Als Person i. S. des § 20 III Nr. 1 BWPolG, gegen die sich der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gem. § 22 II, III BWPolG oder der Einsatz der polizeilichen Beobachtung gem. § 25 I BWPolG zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung richten darf, kommt lediglich derjenige in Betracht, bei dem hinreichend sichere objektive Anhaltspunkte für die beabsichtigte Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG sprechen („potentieller Straftäter“)102. Im Vergleich zu den klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr kann die heimliche Datenerhebung bei potentiellen Straftätern der Verhinderung von Straftaten bereits im Vorfeld ihrer BegeVgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 100 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 101 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 102 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452. 98 99
352
4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
hung dienen103. Es gibt, wie das BbgVerfG zutreffend erkennt, Situationen, in denen die Polizei eine Straftat, deren Begehung aufgrund konkreter Tatsachen droht, nicht anders erfolgversprechend zu verhindern versuchen kann, als personenbezogene Daten von dem potentiellen Straftäter ohne seine Kenntnisnahme unter dem Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zu erheben104. Die Regelungen der §§ 22 II, III, 25 I BWPolG erlauben heimliche Eingriffe bei potentiellen Straftätern nur für besonders gelagerte Fälle und nur unter bestimmten – engen – Voraussetzungen. So besteht in materiellrechtlicher Hinsicht das Erfordernis der Abwehr einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG. In diesem Fall müssen Verbrechen bzw. den Rechtsfrieden besonders störende Vergehen (s. § 22 V Nr. 2a – c BWPolG) den Einsatz rechtfertigen105. Vor allem aber fällt ins Gewicht, dass die §§ 22 II, III, 25 I BWPolG der Abwehr der Allgemeinheit drohender sehr erheblicher Schäden dienen. Es geht hier um die vorbeugende Bekämpfung besonders gemeinschädlicher Formen der Kriminalität106. Die von den in § 22 V BWPolG genannten Straftaten bei Anhaltspunkten für ihre drohende Begehung ausgehenden Gefahren für das Gemeinwohl sind sehr beträchtlich107. Der baden-württembergische Gesetzgeber durfte das Interesse des Einzelnen, trotzt des Vorliegens von Tatsachen, die auf die Begehung einer solchen Straftat hindeuten, von einer verdeckten polizeilichen Maßnahme verschont zu bleiben, dahinter zurücktreten lassen108. Zudem sind besondere Mittel der Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gem. §§ 22, 25 BWPolG nur als ultima ratio einsetzbar, wenn anderenfalls die Wahrnehmung der Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes gefährdet oder erheblich erschwert würde (§ 22 II, III BWPolG) oder wenn die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) erforderlich ist (§ 25 I BWPolG). Wenn in der Regel von „erforderlichen“ Maßnahmen gesprochen wird, so steht dies für Eignung, Erforderlichkeit (Auswahl des mildesten Mittels) und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn der polizeilichen Datenerhebung und -verarbeitung109. So ist gemäß § 25 I BWPolG die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung nur zulässig, wenn diese zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten „erforderlich“ ist, wenn also sie als einzig wirksames Mittel verbleibt, um die Gefahr zu verhindern110. Insoweit ist die heimliche Datenerhebung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung nach §§ 22 II, III, 25 I BWPolG an das Vorliegen von weiteren materiellrechtlichen Voraussetzungen geknüpft, die den Eingriff in das Recht auf informationelle 103 104 105 106 107 108 109 110
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 452; SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 959. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 612. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 541. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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Selbstbestimmung begrenzen111. Außerdem sind heimliche Datenerhebungen gem. §§ 22, 25 BWPolG über nicht gefahren- oder tatbezogene Merkmale grundsätzlich nicht zulässig. Auch über verdächtige Personen dürfen nur Daten erhoben werden, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sein können112. Damit ist ausgeschlossen, dass der von einer Datenerhebung Betroffene in Situationen überwacht wird, die ohne erkennbaren Bezug zu der beabsichtigten Straftat ausschließlich seine Intimoder Privatsphäre betreffen113. Die Datenerhebung ist auf gefahren- und tatbezogene Merkmale beschränkt. Insgesamt bestehen hiernach unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegen die Regelungen der §§ 22 II, III, 25 I BWPolG, welche die heimliche Datenerhebung gegen potentielle Straftäter zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 V BWPolG) beinhalten, keine letztlich durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschriften lassen Eingriffe nur für besonders gelagerte Fälle und nur unter besonderen Voraussetzungen zu. Auch angesichts der §§ 22 II, III, 25 I BWPolG über heimliche Informationseingriffe gegen potentielle Straftäter zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten braucht niemand damit zu rechnen, ohne hinreichenden Anlass zum Objekt polizeilicher Ausforschung zu werden114. Der private Lebensbereich des Einzelnen, der sich innerhalb des Schutzbereichs seiner Grundrechte bewegt und deshalb grundsätzlich darauf vertrauen darf, nicht Objekt heimlicher Überwachung durch den Staat zu werden, bleibt, wo nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen der §§ 22 II, III, 25 I gegeben sind, unberührt115. Soweit nach den §§ 22 II, III, 25 I BWPolG im Ausnahmefall ein Eingriff statthaft ist, ist dieser, wie dargestellt, an das Vorliegen spezieller Voraussetzungen geknüpft, die letztlich darauf hinauslaufen, dass fassbare Anhaltspunkte für eine schwere sich anbahnende Straftat i. S. d. § 22 V BWPolG sprechen und die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftat erforderlich ist116. Diese Voraussetzungen geben, worauf das BbgVerfG richtig hinweist, dem grundrechtsbeeinträchtigenden Eingriff Maß und Ziel117.
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. Vgl. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 632. 113 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 454. 114 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455; so aber Stephan, DVBl. 1998, 81 ff.; Lisken, NVwZ 1998, 22 ff. 115 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. 116 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. 117 BbgVerfG, LKV 1999, 450, 455. 111 112
23 Son
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
3. „Sog. Kontakt- und Begleitpersonen“ a) Der Begriff der sog. Kontakt- oder Begleitpersonen i. S. des § 20 III Nr. 2 BWPolG Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten lässt die Vorschrift des § 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG die Erhebung von personenbezogenen Daten durch eine längerfristige Observation, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler über sog. Kontakt- und Begleitpersonen von Personen zu, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig eine Straftat mit erheblicher Bedeutung im Sinne des § 22 V BWPolG begehen. Das baden-württembergische Polizeigesetz enthält dabei allerdings keine Legaldefinition des Begriffs der Kontakt- und Begleitpersonen. Die Polizei- und Ordnungsgesetze anderer Bundesländer unternehmen teilweise einen Versuch zur näheren Qualifizierung der Kontakt- und Begleitpersonen. So sieht beispielsweise § 39 I Nr. 3 SächsPolG in der Fassung v. 21. 6. 1999 vor, dass der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten durch den Einsatz besonderer Mittel über Personen erheben kann, die zu den potentiellen Straftätern in näherer persönlicher oder geschäftlicher Beziehung stehen oder zu ihnen über einen längeren Zeitraum eine Verbindung unterhalten oder eine Verbindung unter konspirativen Umständen hergestellt haben oder pflegen (Kontakt- und Begleitpersonen). Unter Kontakt- und Begleitpersonen sind nach § 26 II Nr. 2 SaarlPolG diejenigen zu verstehen, bei denen Anhaltspunkte bestehen, dass sie mit einem potentiellen Straftäter bezüglich künftiger Straftaten in Verbindung stehen. Nach § 13 II Nr. 2 HessSOG sind Kontaktund Begleitpersonen solche Personen, die mit einem potentiellen Straftäter in einer Weise in Verbindung stehen oder treten werden, die die Erhebung ihrer personenbezogenen Daten zur Verhütung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erfordert. In diesem Zusammenhang hat Kutscha darauf hingewiesen, dass zum Objekt heimlicher Datenerhebung jeder Bürger werden könne, der in irgendeinen zufälligen Zusammenhang mit einem Verdächtigen gerät, sei es am Bankschalter, in einer Gaststätte, in der Straßenbahn oder schlicht an irgendeinem anderen öffentlich zugänglichen Ort118. Damit gehe es im Ergebnis um eine „voraussetzungslose Eingriffsbefugnis gegenüber jedermann“119. Auch Bäumler geht davon aus, dass die Erhebung von Daten über Kontakt- und Begleitpersonen der vermuteten Täter künftiger Straftaten schon daher abzulehnen sei, da praktisch jedermann betroffen sein könnte, auch wenn er nur zufällig Kontakt zu Verdächtigen hat120. Eine Observation, die sich auch gegen Kontakt- und Begleitpersonen richten darf, sei allen118 119 120
Kutscha, NJ 1994, 545, 548. Kutscha, NJ 1994, 545, 548. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 605.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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falls hinnehmbar, falls letztere einschränkend definiert werden121. Gegen die Erhebung von Daten über Kontakt- und Begleitpersonen der vermuteten Täter künftiger Straftaten sollen nach Auffassung von Bäumler insoweit verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, als die Voraussetzungen weder von vornherein (BayPAG, NWPolG, VE ME) näher eingrenzt noch trotz Eingrenzungsversuchs (SaarlPolG, HSOG, HambPolDVG) normenklar bestimmt seien122. Der Bürger könne das Risiko nicht vorhersehen, wann er als Begleit- oder Kontaktperson eines künftigen Straftäters angesehen und von der Datenerhebung erfasst werde. Damit werde die Datenverarbeitung insoweit für den Bürger undurchschaubar sein123. Der Begriff der Kontakt- oder Begleitpersonen i. S. d. § 20 III Nr. 2 BWPolG ist aber bei verfassungskonformer Auslegung hinreichend bestimmt. Das baden-württembergische Polizeigesetz enthält – anders als die Polizei- und Ordnungsgesetze anderer Bundesländer124 – keine Legaldefinition des Begriffs, so dass seine Bedeutung durch Auslegung zu ermitteln ist. Zwar könnte der Begriff für sich betracht jedermann erfassen, der – aus welchen Gründen auch immer – in „Kontakt“ zu einem potentiellen Straftäter steht oder ihn „begleitet“125. Bereits mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift – vorbeugende Bekämpfung von Straftaten – beschränkt sich der Kreis der Betroffenen aber auf solche „Personen, zu denen der potentielle Straftäter gerade in Bezug auf die drohende Straftat Verbindung hat oder aufnimmt“126. Nur dann können heimliche Datenerhebungen bei ihnen der Verhinderung der Straftat dienen127. Jedenfalls im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der eine Überwachung „jedes beliebigen Dritten“ im Umfeld des potentiellen Straftäters nicht erlaubt, ist der Begriff der Kontakt- oder Begleitpersonen – wie das BbgVerfG zu Recht betont – von Verfassungs wegen restriktiv auszulegen128. Erfasst würden danach als Kontakt- oder Begleitpersonen nur Personen, die in strafrechtsrelevanten Beziehungen zum Störungsverdächtigen stehen, also mögliche Auftraggeber, Helfer oder andere Personen, die in sonstiger Weise bei der Planung, Durchführung oder späteren Verwertung der Tatvorteile oder zum Schutz des Täters eine Rolle spielen können, sei es durch bewusste Unterstützung oder dadurch, dass sie ohne ihr Wissen von dem potentiellen Täter für seine Zwecke benutzt werden (vgl. § 39 I 1 Nr. 3 BbgPolG)129. Unter Kontakt- oder Begleitpersonen sind in diesem Sinne nur solche Personen zu verstehen, bei denen konkrete Tatsachen für einen objektiven Tatbezug sprechen130. Ein in anderem Kon121 122 123 124 125 126 127 128 129 130
23*
Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 634. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 607. Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 607. Vgl. z. B. § 39 I Nr. 3 SächsPolG; § 26 II Nr. 2 SaarlPolG; § 13 II Nr. 2 HSOG. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458; s. auch SächsVerfGH, JZ 1996, 957. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
text erfolgendes Zusammentreffen mit dem potentiellen Täter kann hingegen nicht den gezielten Einsatz besonderer Mittel gemäß § 22 II, III BWPolG rechtfertigen. Hinnehmbar wäre nur eine Erfassung von Personen mit strafrechtsrelevanten Beziehungen zur Zielperson, also z. B. Anstifter und Teilnehmer131. Daher wäre die in § 22 II, III BWPolG normierte Erhebung personenbezogener Daten über Kontakt- und Begleitpersonen im Bereich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung nur insoweit zulässig, als solche Personen erfasst werden, „zu denen der potentielle Straftäter gerade mit Bezug auf die in Frage stehende Straftat in Verbindung steht oder Verbindung aufnimmt“132, und soweit die Verbindung im Hinblick auf die vermuteten Straftaten erfasst wird133. Die Datenerhebung mit besonderen Mitteln nach § 22 BWPolG beschränkt sich insoweit auf die Gewinnung von Hinweisen bezüglich der angenommenen Straftaten und muss zu deren vorbeugender Bekämpfung zwingend erforderlich sein (s. z. B. § 39 I Nr. 3 2 SächsPolG). Bei dieser Interpretation besteht – wie das BbgVerfG zu Recht erkennt – kein Anlass für Befürchtungen dahingehend, dass bereits die zufällige und auf den zufälligen Kontakt beschränkt bleibende Begegnung, z. B. an einem Bankschalter oder in einer Gaststätte, für den gezielten Einsatz solcher Mittel ausreiche134.
b) Kontakt- und Begleitpersonen als Betroffene heimlicher Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Die Vorschrift des § 22 II, III BWPolG ermöglicht den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen Kontakt- oder Begleitpersonen eines potentiellen Straftäters zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG. Die Datenerhebung mit besonderen Mitteln ihrerseits ist aber tatbestandlich an das Vorliegen einer konkreten Gefahr geknüpft. In einer solchen Situation wahrt die Eingriffsermächtigung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann und insoweit, als sichergestellt ist, dass die konkrete Maßnahme erst ab einer bestimmten Eingriffsschwelle erlaubt ist und auch dann erst in Betracht kommt, wenn sie zur Gefahrenabwehr unverzichtbar ist135. Zunächst greifen hier dieselben Eingriffsbeschränkungen wie bei der heimlichen Ausforschung eines potentiellen Straftäters, was sich daraus ergibt, dass es um Kontakt- oder Begleitpersonen eben derjenigen Personen gehen muss, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung begehen werden (vgl. §§ 20 III Nr. 1 und 2, 22 II, III BWPolG). Dem Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 607; ähnlich Kniesel / Vahle, Rn. 48. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 133 Vgl. SächsVerfGH, JZ 1996, 957. 134 So BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458; SächsVerfGH, JZ 1996, 957; a.A. Kutscha, NJ 1994, 545, 548; Bäumler, in: Lisken / Denninger, Kap. J, Rn. 605. 135 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. 131 132
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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lässt sich entnehmen, dass heimliche Informationseingriffe gegenüber Kontaktoder Begleitpersonen nur dann zulässig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine bestimmte andere Person Straftaten mit erheblicher Bedeutung begehen will136. Der Sache nach geht es auch hier nicht um Eingriffe im Vorfeld einer Gefahr, sondern um ein Handeln der Polizei zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, hier also von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG (vgl. oben 3. Teil 1. Kapitel B. II.)137: Es handelt sich also um eine Situation, in der bei ungehindertem Geschehensablauf mit gewisser Wahrscheinlichkeit (an die um so geringere Anforderungen zu stellen sind, je bedeutsamer das gefährdete Rechtsgut ist) ein Schaden für die öffentliche Sicherheit (hier die Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung) konkret droht138. Eine heimliche Datenerhebung bei Kontakt- oder Begleitpersonen darf somit nur dann erfolgen, wenn fassbare Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Straftat mit erheblicher Bedeutung konkret eintreten wird, die nur noch durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen eine Kontakt- oder Begleitperson verhindert werden kann139. Damit ist eine hinreichend hohe Eingriffsschwelle vorgesehen. Darüber hinaus gilt auch hier die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebende Begrenzung, wonach grundsätzlich nur gefahren- oder tatbezogene Merkmale erlangt werden dürfen. Ein heimlicher Informationseingriff zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gem. § 22 II, III BWPolG soll nicht nur gegen die Person zulässig sein, die im Verdacht steht, selbst künftig eine Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG begehen zu wollen, sondern darüber hinaus auch gegen „Kontaktund Begleitpersonen“, bei denen eine Störereigenschaft (noch) nicht bejaht werden kann. Im Grundsatz gelten insoweit die Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit des § 22 II 1. Alt., III 1. Alt. BWPolG über heimliche Eingriffe gegen „andere Personen“ i. S. des § 20 II BWPolG entsprechend (vgl. hierzu oben 4. Teil 2. Kapitel A. II.). Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen Kontaktoder Begleitpersonen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung ist nur erlaubt, wenn dies zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung unerlässlich ist, wenn also der Polizei die heimliche Datenerhebung bei Kontakt- oder Begleitpersonen als letzte Möglichkeit verbleibt, um drohende schwere und schwerste Straftaten vorbeugend zu bekämpfen140. Dies bedeutet, dass der anordnende Polizeipräsident erst dann zu dem besonderen Mittel der Datenerhebung des § 22 II, III BWPolG gegen Kontakt- oder Begleitpersonen greifen darf, wenn jedes andere polizeiliche Instrument einschließlich der heimlichen Datenerhebung bei dem potentiellen Straftäter selbst keinen Erfolg verspricht141. Der Einsatz 136 137 138 139 140 141
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 453 – 454. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
besonderer Mittel der Datenerhebung gegen Kontakt- oder Begleitpersonen hat im Vergleich zu der Inanspruchnahme eines potentiellen Straftäters erhöhten Anforderungen zu genügen142.
IV. Amts- oder Berufsgeheimnisträger als Adressat der heimlichen Datenerhebung Im Bereich des § 22 BWPolG über den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung ist – anders als der sog. Große Lauschangriff nach § 23 BWPolG – von einer Begrenzung auf Störer oder Nichtstörer unter den Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands keine Rede. Adresstaten der Datenerhebung z. B. durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochen Wortes oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler sind jeweils (Verhaltens- und Zustands-)Störer und „andere Personen“ im Sinne des § 20 II BWPolG bzw. potentielle Straftäter und ihre Kontakt- und Begleitpersonen im Sinne des § 20 III Nr. 1 und 2 BWPolG, wie die Verweisung in § 22 III BWPolG klarstellt143. Von der verdeckten Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen ist nach § 22 II BWPolG der in § 20 II BWPolG genannten Personenkreis, also Störer und Nichtstörer bzw. Personen i. S. d. § 20 III Nr. 1, 2 und 4, also potentielle Straftäter, deren persönliches Umfeld sowie Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potenziellen Opfers, betroffen. Konsensfähig dürfte dabei sein, dass es jedenfalls dann eines besonderen Schutzes von Vertrauensverhältnissen nicht bedarf, wenn der durch die Verfassung geschützte Geheimnisträger selbst der für eine Gefahr Verantwortliche ist oder eine Straftat mit erheblicher Bedeutung i.S. des § 22 V BWPolG begehen will bzw. wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass er dies will. In einer solchen Situation kann ein Eingriff in das Vertrauensverhältnis zugunsten der Abwehr der Gefahr oder der Verhinderung der Straftat je nach Lage des Falles verhältnismäßig sein144. Vor allem derjenige, der als Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen eine Straftat mit erheblicher Bedeutung begehen will, ist nicht schutzwürdiger als andere potentielle Täter145. Deshalb sind heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung gem. § 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG auch bei Angehörigen von Vertrauensschutz genießenden Berufen, soweit sie selbst aufgrund konkreter TatVgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen darf sich gegen den in § 20 II BWPolG genannten Personenkreis, also sowohl Störer als auch Nichtstörer richten, wenn es sich um die Abwehr einer erheblichen Gefahr handelt (§ 22 II 1. Alt. BWPolG). Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten können diese Mittel gegen Personen im Sinne des § 20 III Nr. 1, 2 und 4 BWPolG, also potentielle Straftäter, deren persönliches Umfeld sowie Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers, eingesetzt werden (§ 22 II 2. Alt. BWPolG). 144 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457; auch MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 145 Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. 142 143
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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sachen als potentielle Straftäter in Betracht kommen, nicht ausgeschlossen, sondern unter den Voraussetzungen des § 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG, also bei einer drohenden Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG, grundsätzlich möglich146. Außer in den Kollusionsfällen sind die von polizeilichen Maßnahmen betroffenen Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen „Nichtstörer“147. Amts- und Berufsgeheimnisse generell von heimlichen polizeilichen Informationseingriffen auszunehmen, dürfte dabei aber jedenfalls unter Zugrundlegung der neueren Rechtsprechung des BVerfG sowie der Landesverfassungsgerichte148 im Polizeirecht keinesfalls geboten sein149. Dies gilt jedenfalls insoweit, als polizeiliche Informationseingriffe der Abwehr erheblicher Gefahren dienen und Rechtsgüter bedroht sind, denen wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person ein hoher Rang in der grundgesetzlichen Werteordnung zukommt150. Eine Inanspruchnahme von Amts- oder Berufsgeheimnisträgern, die selbst nicht als Störer bzw. potentielle Straftäter in Betracht kommen, dürfte mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den besonderen grundrechtlichen Schutz entsprechender Vertrauensverhältnisse nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen statthaft sein. Dabei dürfte unstrittig sein, dass die privilegierten Nichtstörer, d. h. Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen, die nicht selbst als Störer bzw. potentielle Straftäter in Betracht kommen, unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands in Anspruch genommen werden151. Im polizeilichen Notstand darf sich der Eingriff auch gegen einen anderen als den für die Gefahr Verantwortlichen richten152. Im polizeilichen Notstand dürfen entsprechend § 9 BWPolG auch bei einem Nichtstörer Daten erhoben werden153. Auch für mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse darf für den polizeilichen Notstand bestimmt werden, dass ihr Schutz hinter dem Allgemeininteresse an der Verhinderung schwerer Schäden für besonders hochrangige Rechtsgüter zurücktritt154. Freilich kann es zu einem Eingriff in ein Vertrauensverhältnis Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 457. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 253. 148 BVerfGE 100, 313, 383 u. 394 f.; SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 456 f., 458 f., 461; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. 149 Wolf-Rüdiger Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1398; Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 272; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 150 Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 151 SächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285; BbgVerfG, LKV 1999, 450, 461; MVVerfG, LKV 2000, 345, 352 f. unter Ausschluss des von Art. 4 I GG geschützten Beichtgeheimnisses. S. auch Ralf Schenke, Präventivpolizeiliche Überwachung der Telekommunikation, 265, 273; Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554; ders., Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 303, 309. 152 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 349. 153 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 349. 154 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345. 146 147
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
auch dann kommen, wenn die engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands nicht vorliegen. Eine heimliche Erhebung von Daten aus verfassungsrechtlich geschützten, mit Amts- und Berufsgeheimnissen abgesicherten Vertrauensverhältnissen unter verdecktem Einsatz besonderer Mittel dürfte auch zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, wie etwa des Lebens, der Gesundheit und der Freiheit einer Person, zulässig sein155. So muss z. B. ein heimlicher Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen Presse- bzw. Rundfunkangehörigen und ihren Informanten im Hinblick auf den durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich geschützten Informationsschutz von Presse und Rundfunk zur Abwehr erheblicher Gefahren für höherwertige Rechtsgüter zulässig sein156. Bei erheblichen Gefahren für hochwertige Schutzgüter kommt der dem Staat obliegenden Aufgabe der Gefahrenabwehr ein so hohes Gewicht zu, dass die Integrität grundrechtlich geschützter Amts- und Berufsgeheimnisse gegenüber dem Allgemeininteresse an der Bekämpfung einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder einer der in § 22 V BWPolG genannten Straftaten zurückzutreten hat, soweit dies der baden-württembergische Gesetzgeber nach seiner sicherheitspolitischen Konzeption als erforderlich betrachtet157. Eine entsprechender Wille kann sich auch im Umkehrschluss aus der Regelungen über den Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen bei offenen Befragungen ergeben, wie er z. B. in § 28 II 4 MVSOG158 angeordnet ist159. Wegen der Erheblichkeit und der Eingriffsintensität ist der verdeckte Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung an das Vorliegen besonderer Voraussetzungen gebunden160. So besteht vielfach z. B. das Erfordernis der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder einer Straftat von erheblicher Bedeutung161. In Baden-Württemberg ist die Erhebung von personenbezogenen Daten z. B. durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger oder durch den Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 22 III BWPolG zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte oder einer Straftat mit erheblicher Bedeutung im Sinne des § 22 V BWPolG zulässig, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner AufSächsVerfGH, LKV 1996, 273, 285. Schenke, Polizeirecht, Rn. 191; zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation einer Rundfunkanstalt und einem dadurch begründeten Eingriff in das Vertrauensverhältnis zu Informanten, BVerfG, NJW 2003, 1787 ff. und dazu Gusy, NStZ 2003, 399 ff. sowie Kugelmann, NJW 2003, 1777 ff. 157 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 158 Vgl. auch § 12 II 3 HSOG; § 18 VI 3 SächsPolG; § 12 V 2 NdsSOG; § 180 II 4 SchlHVwG. 159 Vgl. Würtenberger / Ralf Schenke, JZ 1999, 548, 554. 160 Schenke, Polizeirecht, Rn. 189. 161 Schenke, Polizeirecht, Rn. 189. 155 156
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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gaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen ist nach § 22 II BWPolG zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten i. S. d. § 22 V BWPolG zulässig, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. Die Datenerhebung mit besonderen Mitteln ist durch § 22 II, III BWPolG lediglich beim Vorliegen „qualifizierter“ Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit erlaubt162. Die als Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten gegen den Nichtstörer vielfach postulierte „erhebliche Gefahr“ knüpft an die Schwere der Rechtsverletzung an163. Notwendig ist damit eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut164. Bestimmt man den Begriff der „erheblichen Gefahr“ so, dass hiermit drohende Schäden für wichtige Rechtsgüter oder Schäden in besonders großem Ausmaß gemeint sind, so wird diese Voraussetzung bei einer drohenden Straftat mit erheblicher Bedeutung unter Berücksichtigung der Legaldefinition des § 22 V BWPolG regelmäßig erfüllt sein165. Es geht auch hier um die Abwehr erheblicher Gefahren für hochwertige Rechtsgüter. Auch im Bereich des § 22 III 2. Alt. BWPolG ist damit eine hinreichend hohe Eingriffsschwelle bezeichnet. Die Zulässigkeit besonders starker Informationseingriffe rechtfertigt sich durch den Schutz bedeutender Rechtsgüter166. Das erlegt eine intensive Prüfung insbesondere auch für den Fall auf, dass zu Lasten von denjenigen Personen, die für die polizeiliche Gefahr nicht verantwortlich sind, vorgegangen werden soll167. Die Staffelung von jeweils die Eingriffsbefugnis verengenden ausdrücklichen Anforderungen an den Eingriff zeigt, dass den Rechten der Bürger mit aller Sorgfalt Rechnung getragen werden soll168. Angesichts der geschilderten hohen Schutzstandards, die sich aus den polizeirechtlichen Konkretisierungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ableiten lassen, entsprechen die Regelungen des baden-württembergischen Polizeigesetzes für die meisten Fälle auch hinsichtlich des Schutzes von Vertrauensverhältnissen den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie wahren den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, aber genügen auch insbesondere dem Bestimmtheitsgebot (s. dazu oben 2. Teil 3. Kapitel C. II. 5.).
162 163 164 165 166 167 168
Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 198. Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Schenke, Polizeirecht, Rn. 331. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400. Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 541. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 352.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
V. Die heimliche Erhebung personenbezogener Daten über „unbeteiligte Dritte“ Nach § 19 I 1 BWPolG sind personenbezogene Daten grundsätzlich bei dem Betroffenen mit seiner Kenntnis zu erheben. Alle anderen Personen sind Dritte169. Diese dürfen von der heimlichen Datenerhebung nur betroffen werden, soweit das unvermeidbar ist (§ 22 IV BWPolG). Auch hier gilt im Grundsatz das zu heimlichen Informationseingriffen gegen „andere Personen“ i. S. d. § 20 II BWPolG Gesagte entsprechend (vgl. hierzu oben 4. Teil 2. Kapitel A. II.). Es muss hierbei eine nach § 22 II bzw. III BWPolG zulässige Maßnahme zugrunde liegen170. Die Erhebung von personenbezogenen Daten über unbeteiligte Dritte stellt einen Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Die Regelung des § 22 IV BWPolG, wonach Daten auch dann nach § 22 II, III BWPolG erhoben werden dürfen, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden, trägt dem Umstand Rechnung, dass bei einem Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung jeweils gegen Störer oder Nichtstörer i. S. des § 20 II BWPolG bzw. gegen potentielle Straftäter oder deren Kontakt- oder Begleitpersonen je nach Fallgestaltung auch unbeteiligte Dritte mit erfasst werden könnten171. Wird zum Beispiel ein potentieller Straftäter bei einem Treffen mit einer Kontaktperson auf offener Straße gefilmt, wird es vielfach nicht vermieden werden können, dass dabei unbeteiligte Dritte mit ins Bild geraten172. Ohne eine entsprechende Regelung ließe sich deshalb eine Datenerhebung in einer solchen Situation praktische kaum durchführen173. „Dritte“ i. S. d. § 22 IV BWPolG sind diejenige Personen, gegen die die heimliche Datenerhebung nicht gezielt gerichtet ist, die also unbeabsichtigt betroffenen werden. Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang zu § 22 II, III BWPolG, der abschließend auf diejenigen verweist, gegen die eine heimliche Maßnahme gezielt eingesetzt werden darf. Um die Folgen des Eingriffs auf das Notwendige zu beschränken, erlaubt das baden-württembergische Polizeigesetz nicht eine Speicherung der so erlangten Daten um ihrer selbst willen174. Für einen Spezialfall ergibt sich dies ausdrücklich aus § 22 VII BWPolG, wonach Bild- und Tonaufzeichnungen, die ausschließlich die nicht in § 22 II und III genannten Personen betreffen, unverzüglich, spätestens jedoch nach zwei Monaten zu löschen sind, soweit sie im Einzelfall nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Zudem resultiert die Löschungspflicht aus den allgemeinen Vorschriften über die Speicherung von Daten. Nach § 37 II BWPolG darf eine Speicherung, Veränderung und Nutzung 169 170 171 172 173 174
Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 349. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458 – 459. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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personenbezogener Daten grundsätzlich nur zu dem Zweck erfolgen, zu dem die Daten erhoben worden sind; eine Speicherung zu einem anderen polizeilichen Zweck ist nur erlaubt, soweit die Polizei die Daten zu diesem Zweck erheben dürfte. Bei Unzulässigkeit der Speicherung besteht gem. § 46 I 1 Nr. 1 BWPolG eine Löschungs- und Vernichtungspflicht. So sind rechtswidrig gespeicherte Daten zu löschen und die dazugehörigen Unterlagen zu vernichten. In der Zusammenschau ergeben diese Vorschriften die Pflicht der Polizei, zufällig erlangte Daten unbeteiligter Dritte zu löschen, sobald der Zweck – hier: Datenerhebung bei der Zielperson – entfallen ist175. Eine Weiternutzung um ihrer selbst willen ist danach nicht zulässig176. Dies bedeutet, dass die Polizei nach der Datenerhebung im Rahmen des technisch Möglichen aufgezeichnete Stimmen oder Bilder von unbeteiligten Dritten zu löschen hat177. Angesichts dieser Sicherungen gegen eine Weiternutzung der zufällig gewonnenen Daten stellt sich die mit § 22 IV BWPolG erfolgende Erstreckung der heimlichen Datenerhebung auf unbeteiligte Dritte noch als verhältnismäßige Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar. Die Eingriffsbefugnis gegenüber unbeteiligten Dritten ist also verfassungsrechtlich noch tragbar. Allerdings bedarf es dabei einer verfassungskonformen Auslegung zur Benachrichtigungspflicht der zufällig mit erfassten unbeteiligten Drittbetroffenen (s. dazu unter VI. 3.)178.
VI. Benachrichtigungspflichten des „Betroffenen“ bei der Datenerhebung mit besonderen Mitteln 1. Benachrichtigungspflicht der Zielpersonen Die Benachrichtigung über eine heimliche Datenerhebung regelt das Gesetz in den §§ 22 VIII, 23 IV, 25 IV BWPolG. Danach ist der Betroffene über die erfolgte Maßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Dabei kommt als „Betroffener“ zunächst derjenige in Betracht, gegen den sich die heimliche Datenerhebungsmaßnahme gerichtet hat179. Das sind diejenigen, welche die Polizei als für eine Gefahr Verantwortliche oder als Nichtverantwortliche überwachen durfte. Danach sind diejenigen zu benachrichtigen, gegen die sich eine heimliche Datenerhebung richtete, insbesondere bezogen auf die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten die potentiellen Straftäter und ihre Kontakt- oder Begleitpersonen sowie nach § 22 II BWPolG Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers. Die Zielpersonen, auf die sich eine heimliche Datenerhebung richtet, sind im Grundsatz zu unterrich175 176 177 178 179
Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. Vgl. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. Vgl BbgVerfG, LKV 1999, 450, 458. MVVerfG, LKV 2000, 345, 354.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
ten180. Dies gilt auch dann, wenn es nicht gelungen war, bei der Überwachung personenbezogene Daten zu erlangen181. 2. Unterrichtungspflicht des Trägers von Amtsund Berufsgeheimnissen Ebenfalls sind von einer Datenerhebung durch den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung die Beteiligten an dem mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnis zu unterrichten, wenn in dieses eingegriffen wurde oder nach Maßgabe einer ergangenen Anordnung eingegriffen werden sollte182. Wegen der Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses besteht diese Unterrichtungspflicht auch dann, wenn der Träger des Amts- oder Berufsgeheimnisses nicht Zielperson der heimlichen Datenerhebung war, aber dennoch in das Vertrauensverhältnis eingegriffen wurde, z. B. anlässlich des Besuches eines Arztes bei der Zielperson in deren Wohnung183. 3. Unterrichtung der zufällig mit erfassten unbeteiligten Dritten Andererseits geht die Regelung des § 22 IV BWPolG davon aus, dass unbeteiligte Dritte von einer heimlichen Datenerhebung „betroffen“ werden können und dürfen. Dabei gebietet die Verfassung, worauf das MVVerfG zutreffend hinweist, die Auslegung, dass grundsätzlich jeder, über den durch eine heimliche Datenerhebung personenbezogene Daten erlangt wurden, als Betroffener zu benachrichtigen ist184. Denn gerade diejenigen, denen die Gefahr, zu deren Abwehr gehandelt wurde, nicht zugerechnet werden könne, seien vielfach durch die heimliche Überwachung unter grundrechtlichen Aspekten besonders schutzwürdig185. Es ist keinesfalls so, dass beispielsweise dem zufällig ins Bild geratenen Dritten die ihn betreffende Aufzeichnung zwangsläufig gleichgültig sein wird186. Je nach Fallgestaltung kann vielmehr eine solche Aufzeichnung, etwa da sie den Betreffenden in einem verdächtigen oder anrüchigen Milieu zeigt, durchaus Grundrechtsrelevanz haben187. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass nach § 22 IV BWPolG unbeteiligte Dritte nicht mehr als unvermeidbar betroffen sein dürfen188. Die Benachrichtigung stellt die Voraussetzung dafür dar, dass der Einzelne überprüfen 180 181 182 183 184 185 186 187 188
MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. MVVerfG, LKV 2000, 345, 354. MVVerfG, LKV 2000, 345, 354 – 355. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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(lassen) kann, ob dem genügt worden ist189. Ein pauschaler Verzicht auf die Benachrichtigung lässt sich daher verfassungsrechtlich nicht legitimieren190. Zu beachten ist jedoch, dass eine Grenze der Benachrichtigungspflicht dahingehend gesetzt ist, indem umfangreiche Ermittlungen über die Identität Unbeteiligter nicht angestellt werden müssen191. Danach ist der Betroffene, wenn Daten bei ihm und über ihn ohne sein Wissen erhoben wurden, davon zu unterrichten, „wenn hierfür nicht in unverhältnismäßiger Weise weitere Daten erhoben werden müssten oder solange bei Minderjährigen erhebliche Nachteile für diese zu besorgen sind“192. Damit lassen sich im Interesse des Betroffenen weitere Datenerhebungen zur Identifizierung des bis dahin unbekannten Betroffenen vermeiden193. Bei Personen, die nicht einmal voraussehbar mitbetroffenen Dritte (§ 22 IV BWPolG) sind, die mithin rein zufällig bei Gelegenheit der Maßnahme mit technischen Mitteln erfasst wurden, besteht eine Unterrichtungspflicht aber dann nicht, wenn keine Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten erstellt oder sie unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme vernichtet worden sind194.
B. Eingrenzung der von der Rasterfahndung betroffenen Personenkreise Solange es sich bei den von der präventiven Rasterfahndung Betroffenen um Störer bzw. potentielle Straftäter handelt, bestehen grundsätzlich keine Bedenken gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Verarbeitung der betreffenden Daten hinsichtlich des Personenkreises195. Bei der präventiven Rasterfahndung sind allerdings polizeiliche Eingriffe nicht mehr auf einzelne Störer beschränkt. Zu Adressaten der polizeilichen Aktivität werden vielmehr alle Personen mit gleichen persönlichen Merkmalen196. Die tradierten Störerbegriffe spielen daher für diese Eingriffsermächtigung keine Rolle mehr. Bei der Rasterfahndung werden die Anknüpfung an einen Störer als Adressat polizeilicher Maßnahmen und damit die traditionellen Barrieren des liberal-rechtsstaatlichen Polizeirechts aufgegeben197. Die gesetzliche Regelung über die Rasterfahndung ist offensichtlich darauf angelegt, die Inanspruchnahme der Nichtstörer als Mittel zum Zweck der Bekämpfung der Störer zu verwenden198. Die Regelung geht von der Rechtstreue der betroffenen Personen 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198
MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. BbgVerfG, LKV 1999, 450, 459. MVVerfG, LKV 2000, 345, 355. Vgl. Riegel, DVBl. 1987, 325, 328. Simon / Taeger, JZ 1982, 140, 141. Auch z. B. § 20 II BWPolG, § 20 III Nr. 5 BWPolG, §§ 21 I 2, 22 IV BWPolG. Möller, NVwZ 2000, 382, 385.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
aus und verwendet diese als Instrument der Abwehr einer Gefahr, die ihnen noch nicht einmal ex-ante zugerechnet werden kann. Sie macht den polizeilichen Notstand zum Regelfall199. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Übermaßverbots, den der baden-württembergische Gesetzgeber in den §§ 3, 5 BWPolG nochmals deklaratorisch statuiert, bietet auch hier ausreichende Möglichkeiten, den Ermessensspielraum der Polizei in verfassungskonformer Interpretation einzuschränken200. I. Verbot der sog. Zufallsfunde Zufallsfunde sind Beweismittel oder Spuren, die bei Gelegenheit einer Ermittlungsmaßnahme gefunden werden und auf die Verübung einer Straftat hindeuten, auf die sich die Untersuchung nicht bezieht201. Die Rasterfahndung ist dann rechtwidrig, wenn sie gezielt nach Zufallsfunden sucht. Unzulässig ist ein prophylaktischer Datenabgleich solcher Personen, die nicht zum Kreis der Störer zählen, um zu zufälligen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. z. B. § 39 I 2 BWPolG)202. Ermittlungen „ins Blaue hinein“, deren Ergebnisse nicht verwertet werden dürfen, sind unzulässig203. Die durch den Abgleich erlangten personenbezogenen Daten unterliegen ferner einem Verwertungsverbot (§ 40 IV BWPolG). 1. Verbot der vollständigen Erfassung des Personenkreises Im Beschluss des BFH vom 25. 7. 2000,204 der sich mit den Ermittlungsbefugnissen der sog. „Steuerfahndung“ hinsichtlich der Feststellung der Verhältnisse anderer als der von der Prüfung unmittelbar betroffenen Personen im Bankenbereich beschäftigt, hat er ausgeführt, dass eine unzulässige Rasterfahndung nicht nur dann vorliegen kann, wenn jedwede Anhaltspunkte für steuerlich erhebliche Umstände fehlen, sondern auch dann, wenn ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren in einem Kreditinstitut mit einem bestimmten Auftrag dazu benutzt wird, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Zusammenhang mit diesem Auftrag bestimmte Verhaltensweisen von Kunden dieses Kreditinstitutes in ihrer Totalität oder jedenfalls möglichst vollständig zu erfassen mit dem Ziel, in allen Fällen undifferenziert, d. h. unabhängig von der Höhe der festgestellten Beträge oder von sonstigen Besonderheiten, die Vorgänge hinsichtlich ihrer steuerlich korrekten Erfassung einer Vgl. Möller, NVwZ 2000, 382, 385. Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400. 201 Vgl. dazu Rieß, JR 1979, 167; auch Rogall, NStZ 1986, 385, 392; zu Begriff und Rechtsfolgen von Zufallsfunden ausführlich Labe, Zufallsfund und Restitutionsprinzip im Strafverfahren, 38 ff. 202 Würtenberger / Heckmann / Riggert, Rn. 421. 203 Vgl. Senat, BFHE 148, 108 = BStBl II 1998, 359 = NVwZ 1988, 478 = NJW 1988, 1936 L; BFHE 149, 404 = BStBl II 1987, 484 = NJW 1988, 2502. 204 Vgl. BFHE, NJW 2000, 3157 – 3160. 199 200
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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Überprüfung zu unterziehen205. In diesem Streitfall war die Antragstellerin weder Mitarbeiter in der Sparkasse, gegen die sich in ihrer Gesamtheit das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung richtete, noch gehörte sie zu dem Personenkreis (Kunden der Sparkasse), der Geldund / oder Wertpapiertransfers (einschl. Depotübertragung) von der Sparkasse zu der N-Bank Luxemburg bzw. in umgekehrter Richtung veranlasst hat und so eventuell Begünstigter (Täter) solcher Steuerhinterziehungen hätte sein können. Das vorgegebene Raster im Streitfall lautete daher: Ermittlung möglichst aller Kunden der Sparkasse, die in den fraglichen Jahren Inhaber von Tafelpapieren waren.
a) Die Zahl der Betroffenen Der entscheidende Grund, der den Senat dazu veranlasste, im oben genannten Streitfall von einer unzulässigen Rasterfahndung auszugehen, war vor allem die sehr hohe Anzahl von Fällen, in denen die Steuerfahndung Kunden der Sparkasse als Inhaber oder ehemalige Inhaber von Tafelpapieren ermittelt und um steuerliche Auskünfte angeschrieben hat. So weist der BFH zutreffend darauf hin, dass die hohe Anzahl der betroffenen Kunden die Absicht des Finanzamts belegt, möglichst alle ins Auge gefassten Fälle zu erfassen und es angesichts dessen bereits schwer fällt, von Zufallsfunden bei sog. Vorfeldermittlungen zu sprechen, bei denen regelmäßig die bloße Möglichkeit einer steuerlichen Verkürzung für ein Tätigwerden der Steuerfahndung im Rahmen ihrer Aufgabenzuweisung ausreicht206. Schließlich hat das Finanzamt für die Steuerfahndung jegliche Differenzierung hinsichtlich des Nennwerts der ermittelten Tafelpapiere unterlassen. Eine Erheblichkeitsschwelle hat das Finanzamt bei seinen Ermittlungen nicht vorgegeben oder eingehalten. Auch dies spricht für die Annahme einer unzulässigen Rasterfahndung, bei der ausnahmslos alle Kunden der Sparkasse die Inhaber von Tafelpapieren waren, ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des betreffenden Vorgangs und unabhängig von dessen steuerlicher Gewichtigkeit erfasst und überprüft werden sollten.207
b) Die Merkmale der Adressaten Die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen sind dann überschritten, wenn ohne Differenzierung eine Eingriffsbefugnis gegenüber allen Personen vorgesehen wird. Bei der Rasterfahndung wählt die Polizei zwangläufig die Adressaten nur nach den im Einzelfall festzulegenden Merkmalen oder Kriterien aus. Aus den bestimmten Tatsachen und Erkenntnissen formuliert die Polizei Merkmale zur Überprüfung in den Datenbeständen öffentlicher und privater Stellen und somit zur Erstellung eines Verdächtigenprofils. Bei der Rasterfahndung kommt als Anknüp205 206 207
Vgl. BFHE, NJW 2000, 3157, 3159. Vgl. BFHE, NJW 2000, 3157, 3159. Vgl. BFHE, NJW 2000, 3157, 3160.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
fungspunkt für Maßnahmen der Datenverarbeitung nämlich nicht die Gefahr, die von den Adressaten ausgeht, sondern nur bestimmte Merkmale der Adressaten in Betracht. Die Menge der herausgerasterten personenbezogenen Daten und damit die Anzahl der Betroffenen hängt somit maßgeblich von den für die Recherche erstellten Merkmalen ab. Solche Merkmale bewirken jedenfalls einigermaßen eine Eingrenzung des Adressatenkreises. Stellt man bezüglich der Adressatenauswahl auf polizeiliche Merkmale ab, so muss aber zumindest seitens der Polizei dargelegt werden, welche Merkmale bei der Rasterfahndung maßgeblich sind bzw. waren. Eine ermessensfehlerfreie Adressatenauswahl wird man nur dann annehmen können, wenn im Wesentlichen auf bestimmte verdächtige Verhaltensweisen der betroffenen Personen abgestellt wurde. Die Anordnung einer Rasterfahndung setzt das Vorliegen von Rastermerkmalen voraus, die eine sorgfältige vorangegangene Untersuchung erfordern208.
2. Einschränkung der Verwertungsbefugnis der Zufallsfunde Bei der Rasterfahndung als Massenfahndungsmethode werden jedoch zwangsläufig und vielfach Daten von unverdächtigen Dritten einbezogen. Je allgemeiner die Festlegung der Merkmale (Raster) ist, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich in dem Ergebnis der Rasterfahndung wiederfinden209. Damit können Zufallsfunde schon durch die gewählten Merkmalsraster planmäßig erzeugt werden. Die durch den Abgleich erlangten personenbezogenen Daten können grundsätzlich zu dem Zweck genutzt werden, dessentwegen die Rasterfahndung eingeleitet worden ist (§ 40 IV BWPolG). Die durch Zufallsfunde entstehende Gefahr einer weitgehenden Auswertung, etwaigen Übermittlung und weiteren Verwendung der Daten durch andere Stellen soll durch die eingeschränkte Verwertungsbefugnis der Zufallsfunde begrenzt werden210. Im oben genannten Streitfall weist der BFH zutreffend darauf hin, dass die gewonnenen Aufzeichnungen und Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen. Sie dürfen weder von dem Finanzamt selbst ausgewertet noch an das für die Antragstellerin zuständige Veranlagungs-Finanzamt weitergegeben werden211. Da die Verwendung von personenbezogenen Daten zu einem anderen Zweck als zu dem, dessentwegen ihre Nutzung angeordnet worden ist, eine Intensivierung des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht darstellt,212 sind die Zufallsfunde insoweit zu löschen, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind (§ 40 IV BWPolG).
208 209 210 211 212
So auch Siebrecht, CR 1996, 545, 552. Vgl. Siebrecht, CR 1996, 545, 553. So auch Siebrecht, CR 1996, 545, 553. Vgl. BFHE, NJW 2000, 3157, 3160. Vgl. Siebrecht, CR 1996, 545, 553.
2. Kap.: Eingrenzung des Adressatenkreises
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II. Zeugnisverweigerungsrechte Der baden-württembergische Gesetzgeber gewährleistet den Schutz vor Eingriffen in grundrechtlich geschützte Amts- und Berufsgeheimnisse durch die Rasterfahndung (§ 40 I 2 BWPolG)213. Aufgabe dieses Schutzes von Amts- und Berufsgeheimnissen ist es vor allem, das grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und Adressaten der Rasterfahndung zu wahren. Das gilt insbesondere für Daten des Arztes oder Rechtsanwalts. Der Patient oder Mandant soll sich darauf verlassen können, dass die einem Arzt oder Rechtsanwalt anvertrauten Tatsachen auch vor einer zufälligen Offenbarung geschützt werden214. Sensible Daten der Zeugnisverweigerungsberechtigten dürfen deshalb nicht für Rasterfahndungszwecke verwendet werden, weil die Besonderheit der Rasterfahndung darin gesehen wird, dass es um eine Form der Massendatenverarbeitung geht, bei der regelmäßig die Daten einer Vielzahl von Unbeteiligten abgeglichen werden und bei der viele Unbeteiligte anschließend kontrolliert werden können215. Wegen des Defizits an allgemeinen angehobenen Eingriffsschwellen bezüglich der polizeirechtlichen Verantwortlichen liegt es jedenfalls nahe, eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Schutzes von Amts- und Berufsgeheimnissen zu fordern, wie sie sich etwa in § 40 I 2 BWPolG findet216. Ausgenommen von der Rasterfahndung werden somit alle Daten, die einem Berufsoder Amtsgeheimnis unterliegen217.
III. Benachrichtigungspflichten Rechtsschutzprobleme ergeben sich daraus, dass der durch eine Rasterfahndung Betroffene von einem solchen heimlichen Eingriff nichts erfährt und ihm auch nicht nachträglich die Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsschutzes durch Information über den nach § 40 BWPolG erfolgten Eingriff eingeräumt wird218. Angesichts der großen Zahl von Grundrechtsbeeinträchtigungen und der vergleichsweise geringen Eingriffstiefe, die mit einer Rasterfahndung verbunden sind, dürfte diese Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes aber unter dem Gesichtspunkt der praktischen Konkordanz legitimierbar sein219. Bei der großen Zahl der einzubeziehenden Merkmalsträger ist eine individuelle Benachrichtigung nur schwer realisierbar220. Eine generelle Information über erfolgte Rasterfahndungen 213 214 215 216 217 218 219 220
24 Son
Vgl. dazu auch Würtenberger / Schenke, JZ 1999, 548 ff. Vgl. hierzu ausführlich auch Siebrecht, CR 1996, 545, 551. Vgl. Siebrecht, CR 1996, 545, 551. Vgl. Ruthig, Der Schutz von Vertrauensverhältnissen im Polizeirecht, 247, 261. Vgl. Schenke, Polizeirecht, Rn. 213a. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400. So auch Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400; ders., Polizeirecht, Rn. 213c. So auch Rogall, NStZ 1986, 385, 392; a.A. Siebrecht, CR 1996, 545, 554.
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4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe
kommt nicht in Betracht, weil sie deren Zwecksetzung gefährdet221. Außerdem erwiese sich eine solche Information als geradezu kontraproduktiv, da sie eine Identifizierung des bis dahin unbekannten Betroffenen voraussetzen und dadurch den Eingriff sogar noch weiter verschärfen würde222. Das objektivrechtliche Kontrolldefizit wird insbesondere im Hinblick auf den fehlenden gerichtlichen Rechtsschutz durch das Erfordernis der Zustimmung des Innenministeriums für die Anordnung einer Rasterfahndung gem. § 40 III 1 BWPolG in seiner Bedeutung abgeschwächt223. Insbesondere ist der Landesbeauftragte für den Datenschutz als ein unabhängiges staatliches Organ gem. § 40 III 2 BWPolG unverzüglich zu unterrichten. Ihn trifft über den Wortlaut der Bestimmung hinaus eine Prüfungspflicht224. Die erlangten Daten sind auch u. a. nach Zweckerreichung zu löschen, soweit sie zur Verfolgung von Straftaten nicht mehr benötigt werden (vgl. § 40 IV BWPolG)225. Der SächsVerfGH hat zu Recht auf die verfassungsrechtliche Notwendigkeit hingewiesen, die aus der fehlenden Beteiligung der Betroffenen am Verwaltungsverfahren resultierenden Kontrolldefizite auf andere Weise zu kompensieren226. Die Hervorhebung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Statuierung von Kontrollmechanismen ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 I i.V. m. Art. 1 I GG nicht zu beanstanden227. Zieht man allerdings auch die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung mit heran, so ist der Handlungsspielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung von Kontrollorganen erheblich beschränkt228. Beispielsweise sind nach § 31 V NWPolG Personen, gegen die nach Abschluss der Rasterfahndung weitere Maßnahmen durchgeführt werden, hierüber durch die Polizei zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der weiteren Datennutzung erfolgen kann. Dies ist eine sachgerechte und aus Praktikabilitätserwägungen notwendige Regelung, da es unter Umständen um eine Vielzahl von Personen geht229.
Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400. Schenke, Polizeirecht, Rn. 213c. 223 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1400. 224 Nur eine derart umfassende Kontrollkompetenz soll die mangelnde Möglichkeit des Einzelnen ausgleichen können, überaus komplexe administrative Zusammenhänge sowie hochtechnische Verarbeitungsprozesse zu durchschauen. Vgl. Simitis, NJW 1984, 398, 403. 225 § 40 IV BWPolG: „Ist der Zweck der Maßnahme erreicht oder zeigt sich, dass er nicht erreicht werden kann, sind die übermittelten und die im Zusammenhang mit dem Abgleich zusätzlich angefallenen Daten zu löschen und die Unterlagen zu vernichten, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind“. 226 SächsVerfGH, JZ 1996, 957, 964. 227 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1395. 228 Nicht überzeugend daher Siebrecht, CR 1996, 545, 554. 229 So auch Rogall, NStZ 1986, 385, 392. 221 222
Zusammenfassung 1. Teil: Das Volkszählungsurteil des BVerfG 1. Kapitel: Vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung I. 1. Es handelt sich bei dem informationellen Selbstbestimmungsrecht nicht um ein von Art. 2 Abs. 1 GG verselbständigtes und daher neues „Grundrecht auf Datenschutz“, für dessen Konstituierung nicht die Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern der Verfassungsgeber zuständig wäre, sondern um eine spezielle Ausprägung eines sich an moderne Entwicklungen anpassenden Persönlichkeitsschutzes. 2. Die Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zeigt deutlich, dass das BVerfG aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zunächst nur ein Selbstbestimmungsrecht über die Erhebung und Verarbeitung von Informationen aus der geschützten Intim- und Privatsphäre abgeleitet hat, dem dann erst im Volkszählungsurteil der Schritt zu einem Schutz aller personenbezogener Daten vor ihrer Erhebung und Verarbeitung folgte. II. 1. Der Ansatz der sog. „Sphärentheorie“, zu der auch die Rechtsprechung des BVerfG bis zum Volkszählungsurteil neigte, ist nicht Grundlage der Entscheidung. Das Volkszählungsurteil erstreckt den Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts auch auf Informationen, die keinen wesentlich engen Persönlichkeitsbezug aufweisen, mit den Möglichkeiten der EDV aber zu umfassenden Persönlichkeitsprofilen verknüpft und zusammengefasst werden können. 2. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob das BVerfG im Volkszählungsurteil die Abkehr von der Sphärentheorie vollzogen hat. Es berücksichtigt nämlich durchaus noch Inhalt und Herkunft der Information. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Volkszählungsurteil eine Abkehr von der Sphärentheorie darstellt und damit ein Eingriff in den Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nicht mehr davon abhängig gemacht wird, ob die erhobenen oder verarbeiteten Daten aus der Privat- oder gar Intimsphäre stammen, müsste man davon ausgehen, dass dem Sphärengedanken noch insoweit eine Bedeutung zukommt, als er als maßgebliches Kriterium für die Abwägung zwischen staatlichem Informationsinteresse und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen herangezogen werden könnte. III. Der Ansatz, der aus Art. 2 Abs. 1 GG ein informationelles Selbstbestimmungsrecht ableitet, vermag insoweit nicht zu befriedigen, als dann kein Eingriff in die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit vorliegt, wenn 24*
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Zusammenfassung
der Betroffene keinem Offenbarungszwang von Informationen ausgesetzt ist, also wenn die Erhebung oder Verarbeitung personenbezogener Daten ohne Kenntnis des Betroffenen erfolgt oder wenn der Staat personenbezogene Daten beansprucht, die bei einem Dritten vorhanden sind. Zu weit geht es auch, dem unter die allgemeine Handlungsfreiheit zu subsumierenden Schweigerecht ein Verbot dahingehend zu entnehmen, dass der Staat sich grundsätzlich jeglicher Verarbeitung personenbezogener Daten zu enthalten habe.
2. Kapitel: Die Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen Datenschutzregelungen I. 1. In Konsequenz des Volkszählungsurteils und eines dort durch das BVerfG anerkannten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung stellt ein jeder staatlicher Akt der Datenerhebung und auch eine jede Verarbeitung von Daten, soweit es um Daten personenbezogenen Inhaltes geht, stets einen Freiheitseingriff im Sinne des Gesetzesvorbehaltes dar, der folglich, sofern er nicht durch die Einwilligung des Betroffenen gedeckt ist, einer gesetzlichen Grundlage bedarf. 2. In Ausweitung der bisherigen Rechtsprechung zur Klarheit und Bestimmtheit von Normen hat das BVerfG im Volkszählungsurteil gefordert, dass der Gesetzgeber unter Beachtung des Gebots der Normenklarheit bereichsspezifische und präzise Regelungen für die staatliche Datenverarbeitung schafft. Im Volkszählungsurteil hat damit der Gesetzesvorbehalt im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht abermals eine spezielle Konkretisierung zum „Gebot bereichsspezifischer und präziser Regelung des Datenschutzes“ erfahren. 3. Bedarf es nunmehr für Informationseingriffe einer bereichspezifischen Datenschutzregelung, kann die staatliche Datenerhebung und -verarbeitung nicht länger auf die bereichsübergreifenden Generalklauseln, sondern muss auf eigenständige Spezialvorschriften gestützt werden. II. 1. Die neueren Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder beinhalten umfassende Regelungen der polizeilichen Datenerhebung und -verarbeitung und kommen somit der Forderung des BVerfG nach bereichsspezifischen Datenschutzregelungen nach. Sie stellen aber eine Ursache der Normenflut dar, die die Neuregelungen des Datenschutzes im Polizeirecht ohnehin bereits kennzeichnen. 2. Es bedürfte trotz der im Volkszählungsurteil erhobenen Forderungen nach einem umfassenden bereichsspezifischen Schutz dann keiner speziellen Regelungen für den Datenschutz, wenn die im Polizeirecht tatsächlich vorhandenen Vorschriften noch immer einen hinreichenden Schutz gewährten. Dies nochmals ausdrücklich festzuschreiben, würde jedenfalls dann keinen rechtsstaatlichen Fortschritt mit sich bringen, wenn eine neu geschaffene Spezialvorschrift inhaltlich ohnehin lediglich die Tatbestandsvoraussetzungen der im Polizeirecht bereits bestehenden Vorschriften wiederholte.
Zusammenfassung
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3. Die heimliche Beobachtung und der Einsatz technischer Mittel, Verdeckter Ermittler sowie von V-Leuten stellen nicht auf Duldung gerichtete Verwaltungsakte, sondern Realakte dar. Da der Betroffene jedenfalls zunächst nichts von der ihm gegenüber heimlich getroffenen Maßnahme erfährt, liegt schon wegen des Fehlens der für einen Verwaltungsakt essentiellen Bekanntgabe kein Verwaltungsakt vor. Der hier anzunehmende Realakt verwandelt sich auch nach einer gesetzlich normierten nachträglichen Information des Betroffenen über die ihm gegenüber heimlich durchgeführte Maßnahme nicht im nachhinein in einen Verwaltungsakt. Rechtsschutz gegenüber einem erledigten Realakt erlangt der Betroffene demnach in der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage des § 43 VwGO, nicht in der Fortsetzungsfeststellungsklage.
2. Teil: Verfassungsrechtliche Probleme der heimlichen Datenerhebung und der Umwidmung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten 1. Kapitel: Gesetzgebungskompetenz I. Die sog. Strafverfolgungsvorsorge unterfällt wegen ihres engen Zusammenhangs mit der Strafverfolgung wie diese der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Für die Strafverfolgungsvorsorge gilt aber anders als für die Strafverfolgung nicht das in § 6 EGStPO statuierte „Kodifikationsprinzip“. Da der Bund bisher keine abschließende Normierung der Strafverfolgungsvorsorge vorgenommen, sondern nur ganz vereinzelte punktuelle Regelungen wie den § 81b 2. Alt. StPO bezüglich erkennungsdienstlicher Maßnahmen und den § 81g StPO hinsichtlich DNA-Identitätsfeststellungen (sog. „genetischer Fingerabdruck“) getroffen hat, sind die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG befugt, bestehende bundesrechtliche Lücken auf dem Gebiet der Strafverfolgungsvorsorge auszufüllen (s. auch § 484 IV StPO). 1. Erkennungsdienstliche Maßnahmen, die der Strafverfolgungsvorsorge dienen, können wegen der insoweit bestehenden Regelung in § 81b 2. Alt. StPO nicht mehr auf die landesrechtlichen Regelungen wie z. B. § 36 I Nr. 2 BWPolG gestützt werden. Da der Bund insoweit von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemach hat, sind landesrechtliche Regelungen erkennungsdienstlicher Maßnahmen zumindest unter dem Aspekt der verfassungskonformen Auslegung so zu verstehen, dass sie sich nicht auf die Strafverfolgungsvorsorge, sondern nur auf die Verhütung künftiger Straftaten beziehen, die als Aufgabe der Gefahrenabwehr in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder aus Art. 70 Abs. 1 GG fällt. 2. Die landesgesetzlichen Regelungen, die eine polizeiliche Verwendung der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten für Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge normieren, sind, soweit nicht die Verweisung des
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§ 484 IV StPO auf die polizeigesetzlichen Regelungen zum Tragen kommt, durch den im Rahmen des 4. StVÄG erlassenen § 484 StPO aufgehoben. Da § 484 StPO nur die Verwendung der bei der Strafverfolgung gewonnenen Daten für Zwecke künftiger Strafverfahren betrifft, lässt sich die Verwendung der für strafprozessuale Zwecke erhobenen Daten zum Zwecke der Verhütung zukünftiger Straftaten auch immer noch auf landesrechtliche Regelungen wie z. B. § 39 III NdsSOG stützen. II. Die Entscheidung darüber, ob die im Rahmen der Gefahrenabwehr gewonnenen Daten tatsächlich für die Strafverfolgung verwendet werden dürfen, hat grundsätzlich der für letztere zuständige Bundesgesetzgeber zu treffen. Die Länder sind im Hinblick auf ihre ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Polizeirecht jedoch befugt zu bestimmen, ob und inwieweit personenbezogene Daten, die die Polizei in Erfüllung ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr erlangt hat, überhaupt nach Maßgabe bundesrechtlicher Regelungen für die Strafverfolgung verwendet werden dürfen. Dies rechtfertigt sich daraus, dass ein der unbeschränkten Dispositionsfreiheit des Bundes überlassener Zugriff auf präventive Daten zu einer Gefährdung der Effizienz der polizeilichen Gefahrenabwehr führen kann. Geht man davon aus, dass der Landesgesetzgeber in der Lage ist, die Verwendung der auf polizeigesetzlicher Grundlage erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung von vornherein zu beschränken, unterliegt dieser bei der Festsetzung der Übermittlungsschwelle für solche Daten aber Begrenzungen, die sich aus dem Prinzip der Bundestreue i.V. m. den grundrechtlichen Schutzpflichten ergeben. III. Der Bund, der über die Datenerhebung zur Strafverfolgung bzw. Strafverfolgungsvorsorge beschließt, kann – vorbehaltlich von Begrenzungen seiner Gesetzgebungskompetenz durch grundrechtliche Schutzpflichten sowie das Prinzip der Bundestreue – zugleich auch regeln, ob und inwieweit die im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten auch für die Gefahrenabwehr nutzbar sein dürfen, wobei sich dann die Ermächtigung zur einer solchen Nutzung nur aus den jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder ergeben kann. Für eine solche Regelungsbefugnis des Bundes spricht der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Durch die Verwendung strafprozessual erhobener Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr und ihre hiermit oft einhergehende Pflicht zur Offenbarung kann nämlich die Effizienz der Strafverfolgung gefährdet werden. 2. Kapitel: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung I. 1. Das aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende informationelle Selbstbestimmungsrecht kann als Prüfungsmaßstab nur zur Anwendung kommen, soweit spezielle Freiheitsgrundrechte ausscheiden. Gegenüber dem im Persönlichkeitsrecht wurzelnden Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind die Art. 10 und 13 GG lex specialis.
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2. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG ein umfassendes informationelles Selbstbestimmungsrecht anerkannt, weshalb sich sein Schutz nicht nur auf alle personenbezogenen Daten, sondern darüber hinaus auch auf jede Form der Datenverarbeitung, also sowohl automatische wie auch manuelle Datenverarbeitung, und auf jede Phase der Datenverarbeitung, angefangen bei der Erhebung über die Speicherung, Veränderung, Nutzung und Übermittlung bis zur Löschung personenbezogener Daten erstreckt. Weiteres Schutzgut ist die Gewährleistung der individuellen Entscheidungsfreiheit im Sinne der Freiwilligkeit personenbezogener Angaben bzw. der freien Einwilligung zu deren Verarbeitung als Basis aller übrigen Freiheiten. Ergänzt wird der datenschutzrechtliche Schutz durch andere, bereichsspezifische Grundrechtsgarantien. II. Da alle personenbezogenen Daten schützwürdig sind, kann ein Eingriff in den Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nicht mehr nach abgestuften Schutzgegenständen (Sphärentheorie) bestimmt werden, sondern ist aus der Verletzungsform der Art und Weise des Zugriffs auf personenbezogene Daten zu erschließen. Im Volkszählungsurteil hat sich das BVerfG zwar ausdrücklich nur mit der zwangsweisen Datenerhebung gegen den Willen des Betroffenen befasst. Doch bedeutet es ebenfalls einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, wenn die Erlangung personenbezogener Daten ohne dessen Wissen heimlich erfolgt. Der Einsatz von V-Leuten stellt einen (faktischen) Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar, da die Polizei beim Einsatz von V-Leuten diese als Werkzeuge verwendet und daher die durch sie erfolgenden Erhebungen personenbezogener Daten der Polizei zugerechnet werden können. 3. Kapitel: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung I. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG als Grenze heimlicher Informationseingriffe 1. Das BVerfG erkennt nach wie vor einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung an, bei dem eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausscheidet. Die Kernbereich-Dogmatik des BVerfG ist aber insbesondere insoweit problematisch, als der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht generell bestimmt wird, sondern sich der Umfang des Kernbereichs wesentlich auch nach dem Zweck des Eingriffs und dem Gewicht des mit ihm verfolgten Allgemeininteresses richtet. Der „absolut“ geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung wird damit unter Berücksichtigung der im jeweiligen Einzelfall zu ermittelnden Wertigkeit des Allgemeinwohlbelangs „relativ“ bestimmt. Ein solcher Schutz, den das BVerfG mit dem Ansatz eines unantastbaren Kernbereichs gewährleisten will, ist aber bereits mittels eines relativen Schutzes durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ausreichender Weise erreichbar. 2. Die Grenze staatlicher Zugriffsmöglichkeiten auf die Unverletzlichkeit der Wohnung ist nicht dahin gehend zu ziehen, dass die Räume oder jedenfalls be-
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stimmte Räume einer Wohnung stets und unter allen Umständen „absolut“ geschützt und jedem staatlichen Zugriff entzogen sind. 3. Zwar erkennt das BVerfG im Tagebuchbeschluss und im Lauschangriff-Urteil einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung an. Es hat aber einen solchen Kernbereich ausdrücklich nur für das Strafverfahren bestimmt. Im Polizeirecht ist ein absolut geschützter Kernbereich privater Lebensgestaltung wohl nicht anzuerkennen. Es ist heute in der Rechtsprechung und Rechtslehre anerkannt und wird z. B. durch die verfassungsrechtliche Regelung des Art. 13 GG belegt, dass ein der Gefahrenabwehr dienender Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers in weiterem Umfang verfassungsrechtlich zulässig ist als ein der Strafverfolgung dienender. Das Polizeirecht steht – jedenfalls soweit es der Abwehr einer konkreten Gefahr dient – in einem weit stärkeren Bezug zu den grundrechtlichen Schutzpflichten, als es dem Straf- und Strafprozessrecht eigen ist. 4. Die Grenzen heimlicher Informationseingriffe sind durch den Gesetzgeber zu ziehen, der u. a. die verfahrensrechtlichen Anforderungen und inhaltlichen Maßgaben polizeilicher Datenerhebung und -verarbeitung unter Abwägung der Sicherheitsinteressen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu regeln hat. 5. Bei heimlichen Informationseingriffen ist vor allem darauf zu achten, dass Art und Weise des Eingriffs zu einer Situation führen können, in der die Menschenwürde verletzt wird. Eine zeitliche und räumliche „Rundumüberwachung“ wird daher regelmäßig schon deshalb unzulässig sein, weil die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass hierbei die Menschenwürde verletzt wird. II. Absoluter Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen? 1. Die Grundrechte fordern den Schutz von bestimmten Vertrauensverhältnissen. Die betreffenden Grundrechte sind jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Die Verfassung schützt bestimmte Vertrauensverhältnisse nicht absolut, sondern ermöglicht eine Abwägung mit gegenläufigen Verfassungsbelangen. Die grundrechtlichen Abwehrrechte, die bestimmte „privilegierte“ Personen, wie z. B. Ehepartner, Geistliche, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte, gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt geltend machen können, sind mit den staatlichen Schutzpflichten in Ausgleich zu bringen, denen selbst Verfassungsrang zukommt. 2. Ein absolut abwägungsfester Schutz von Vertrauensverhältnissen, der in der Lage wäre, jeden präventivpolizeilichen Eingriff abzuwehren, ist – anders als dies möglicherweise im Strafprozessrecht vertretbar sein mag – im Polizeirecht nicht anzuerkennen. Das Polizeirecht weist als Recht der Gefahrenabwehr einen weit stärkeren Bezug zu den grundrechtlichen Schutzpflichten auf, als er der Strafverfolgung eigen ist. Ein uneingeschränkter Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen vor polizeilichen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung, die ihrerseits der Effektuierung grundrechtlicher Schutzpflichten in Bezug auf andere hochwer-
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tige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit dienen, dürfte jedenfalls unter Zugrundlegung des zweiten G 10-Urteils des BVerfG sowie der Landesverfassungsgerichte im Polizeirecht keinesfalls geboten sein. Es obliegt vielmehr in weitem Umfang dem einfachen Gesetzgeber, ob und inwieweit er auf der Grundlage einer Abwägung zwischen der dem Staat obliegenden Aufgabe der Gefahrenabwehr einerseits und dem Schutz von Vertrauensverhältnissen andererseits diese vor Datenerhebungen schützt.
III. Anforderungen des Volkszählungsurteils hinsichtlich Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung A. 1. Heimliche polizeiliche Informationseingriffe sind nur dann zulässig, wenn sie von einer speziellen Ermächtigungsgrundlage abgedeckt sind, die besondere – qualifizierte – Anforderungen an solche Eingriffe stellt (vgl. z. B. §§ 22, 24, 25, 40 BWPolG). Fehlt es wie etwa in Baden-Württemberg an speziellen Vorschriften für den Einsatz von V-Leuten, kann ein solcher Einsatz nicht auf die allgemeine Datenerhebungsermächtigung (vgl. z. B. § 20 BWPolG) gestützt werden. 2. Die Verwendung der durch einen der Strafverfolgung dienenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewonnenen personenbezogenen Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr beinhaltet genauso einen erneuten Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht wie umgekehrt, weshalb es für einen solchen Informationseingriff, in Konsequenz des Volkszählungsurteils des BVerfG, das bereichsspezifische Datenschutzregelungen verlangt, zwingend einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf (vgl. z. B. § 38 BWPolG; §§ 161, 163 I 2, 483 StPO). 3. Da in den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder Art. 10 GG nicht als ein einschränkbares Grundrecht genannt wird, lassen sich in Konsequenz des zweiten G 10-Urteils des BVerfG die aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation stammenden Daten hier nicht für Zwecke der Gefahrenabwehr verwenden. Zudem sind, von den verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Zitiergebot einmal ganz abgesehen, Normen wie § 38 I 1 BWPolG, die die Verwendung der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr gestatten, nicht auf solche Daten anwendbar, die aus einer Telefonüberwachung gem. § 100a StPO stammen, da unter Zugrundelegung des zweiten G 10-Urteils in Konsequenz des Art. 10 GG eine der Gefahrenabwehr dienende Verwendung der aus einer Überwachung der Telekommunikation herrührenden Daten nur beim Vorliegen qualifizierter Gefahrenlagen als statthaft anzusehen ist und zur Sicherung dieser Verwendungsbeschränkung das Erfordernis einer Pflicht zur Kennzeichnung der aus einem Eingriff in Art. 10 GG stammenden Daten aufgestellt wird. 4. Im Zusammenhang mit dem Schutz der Vertrauensverhältnisse besteht kein verfassungsrechtlich begründeter Handlungsbedarf für die Polizeigesetzgeber. Die
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Ansicht des SächsVerfGH, nach der eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Eingriffs in Vertrauensverhältnisse geboten sei, beruht auf einer Überdehnung der Verfassung. Eine dahingehende umfassende Normierungspflicht des Gesetzgebers für den Schutz von Vertrauensverhältnissen kann aus der Verfassung nicht abgeleitet werden. Es bedürfte trotz der vom SächsVerfGH erhobenen Forderung nach einer positivgesetzlichen Normierung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse dann keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen, wenn dieser Schutz auch durch eine durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesteuerten restriktiven Interpretation der im Polizei- und Ordnungsrecht bereits vorhandenen Eingriffsnorm erreichbar ist. Eine positivgesetzliche, dem Schutz von Vertrauensverhältnissen dienende Normierung, welche auf das Erfordernis einer Abwägung zwischen dem Aspekt der Gefahrenabwehr und dem Schutz der Vertrauensverhältnisse hinwiese, liefe lediglich auf eine Wiederholung dessen hinaus, was sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt. B. 1. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fordert, zumal bei verdeckten Eingriffen, eine besondere Ausgestaltung des Verfahrens, um die Grundrechtsbeeinträchtigung normativ zu begrenzen und den Belangen des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen. Dem dienen nicht zuletzt Regelungen über die Anordnungskompetenz und über die nachträgliche Unterrichtung des Betroffenen. Auch insoweit kommt dem Gesetzgeber freilich ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu. Er muss jedoch dem verfahrensrechtlich zu fordern Mindestmaß an Grundrechtsschutz genügen. 2. Fehlt es an der nach § 8c I 3 VEMEPolG bzw. § 22 VI BWPolG (außer bei Gefahr im Verzug) erforderlichen Anordnung durch den Behördenleiter / Leiter der Dienststelle bzw. Polizeipräsidenten oder durch einen von diesen besonders beauftragten Polizeibeamten, ist z. B. die längerfristige Observation aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig. Bei Gefahr im Verzug besteht eine Eilkompetenz der Polizei. Der Begriff „Gefahr im Verzug“ ist aber sehr restriktiv auszulegen. Seine Auslegung und Anwendung unterliegen einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. 3. Nach § 23 II BWPolG unterfällt der Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen ausdrücklich einem Richtervorbehalt. Es erscheint zweifelhaft, ob eine richterliche Anordnung darüber hinaus auch in weiteren Fällen verfassungsrechtlich geboten ist, etwa für den sonstigen Einsatz technischer Mittel (§ 22 I Nr. 2 BWPolG), den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 22 I Nr. 3 BWPolG), die polizeiliche Beobachtung (§ 25 BWPolG) oder die Rasterfahndung (§ 40 BWPolG). Ein Richtervorbehalt lässt sich in diesen Fällen nicht aus der Verfassung herleiten. 4. Hinsichtlich der Frage, ob es bei einer richterlichen Anordnung von heimlich durchgeführten polizeirechtlichen Maßnahmen noch (bei bestehendem berechtigtem Interesse) eines gerichtlichen Rechtsschutzes bedarf, mit dem sich nachträglich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen lässt, wird man grundsätzlich
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davon auszugehen haben, dass eine gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahme jedenfalls dort geboten ist, wo erst der einfache Gesetzgeber einen Richtervorbehalt eingefügt hat, da hier schon von vornherein die (ohnehin höchst problematische) Möglichkeit ausgeschlossen ist, die Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 GG durch eine speziellere verfassungsgesetzliche Regelung des Richtervorbehalts als verdrängt anzusehen. Selbst wenn man einen gerichtlichen Rechtsschutz gegen heimlich erfolgte richterliche Anordnungen als nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG garantiert betrachtet, muss jedenfalls wegen Art. 103 Abs. 1 GG die Möglichkeit nachträglichen rechtlichen Gehörs eröffnet sein und für das Gericht die Befugnis bestehen, seine vorherige Entscheidung zu korrigieren und zumindest die Rechtswidrigkeit der früheren Anordnung feststellen zu lassen. 5. Gegen die Einschränkungen der Unterrichtungspflicht, wie sie sich in § 22 VIII 2 BWPolG finden, bestehen nicht nur wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtliche Bedenken, soweit sie die Benachrichtigung auch dann noch ausschließen, wenn durch diese der Zweck der Maßnahme nicht mehr gefährdet wird. Die generelle Ablehnung einer verfassungsrechtlich gebotenen nachträglichen Benachrichtigungspflicht ist auch nicht durch überwiegende Geheimhaltungsbedürfnisse der Polizei zu rechtfertigen. 6. a) Die erste Variante des § 22 VIII 2 BWPolG, wonach die Unterrichtung unterbleiben darf, wenn hierdurch ein Verdeckter Ermittler oder seine weitere Verwendung für seinen Einsatz gefährdet würde, kommt nur ausnahmsweise zur Anwendung. Eine Einschränkung der Unterrichtungspflicht kann nur dann und insoweit gerechtfertigt werden, wie für eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr des Beamten im Falle seiner Enttarnung hinreichende Anhaltspunkte vorliegen. b) Die Vorschrift des § 22 VIII 2 2. Var. BWPolG, welche bei einem sich an die Überwachung anschließenden Ermittlungsverfahren eine Unterrichtung ausschließt, ist einschränkend dahin auszulegen, dass sie nur die (Normal-)Fälle erfasst, bei denen durch die vorherige Unterrichtung des Betroffenen die sachgerechte Durchführung eines Ermittlungsverfahrens beeinträchtigt würde und im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine anderweitige Unterrichtung erfolgt. c) Schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen die dritte Einschränkung der Unterrichtungspflicht, welche für den Fall vorgesehen ist, bei dem seit Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind (§ 22 VIII 2 3. Var. BWPolG). Den hier bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die zeitliche Befristung kann auch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift nicht Rechnung getragen werden. 7. Zu einem wirksamen Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts gehört auch die Bejahung von Löschungspflichten, die der besonderen Situation der heimlichen Datenerhebung Rechnung tragen. Eine Löschungspflicht besteht bei Unzulässigkeit der Erhebung und auch bei Zweckerreichung bzw. Zweckfort-
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fall. Wenn ein ernsthaftes, grundsätzlich zu vermutendes Interesse des Betroffenen an Rechtsschutz oder an der Geltendmachung seines Datenschutzrechts gegenüber der zuständigen Stelle besteht, dürfen die Daten einstweilen nicht gelöscht, sondern müssen gesperrt werden und dürfen zu keinem anderen Zweck mehr als zur Information des Betroffenen verwendet werden. C. Die Eignung polizeilicher Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung wie die Observation, der Einsatz Verdeckter Ermittler und die Rasterfahndung scheitert nicht an der großen Streubreite der Datenerhebungsmethode, die nur in vergleichsweise wenigen Fällen Erfolg verspricht. Geeignet ist ein Mittel bereits dann, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Bei der Beurteilung der Eignung des gewählten Mittels sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Prognose und Einschätzung der der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Spielraum zu. 3. Teil: Voraussetzungen für heimliche polizeiliche Informationseingriffe und die Umwidmung der dadurch gewonnenen Daten 1. Kapitel: Eingriffsvoraussetzungen für heimliche Informationseingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten I. Es handelt sich bei den heimlichen Informationseingriffen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nach §§ 22 II 2. Alt., III 2. Alt., 25 I, 40 I BWPolG nicht um Eingriffe im Vorfeld einer Gefahr, sondern um ein Handeln der Polizei zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, hier also von Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG. Bei den besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, wie sie mit einer heimlichen Datenerhebung verbunden sind, ist es unvertretbar, auf das rechtsstaatlich bedeutsame eingrenzende Merkmal des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu verzichten. Zudem lassen sich heimliche Informationseingriffe wegen der Schwere des Eingriffs nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung stützen. Polizeiliche Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung dürfen nur dann zugelassen werden, wenn sie der Abwehr einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit dienen, bezogen auf künftige Straftaten also nur dann, wenn deren Begehung hinreichend wahrscheinlich ist. Freilich ist dabei zu berücksichtigen, dass dort, wo es sich um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter handelt, für die Annahme einer Gefahr bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit genügt als bei nur weniger bedeutenden. Angesichts der Hochwertigkeit der Rechtsgüter, die durch die besondere Art der Begehung der in § 22 V BWPolG genannten Straftaten mit erheblicher Bedeutung bedroht werden, dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Bejahung einer Gefahr gestellt werden. Dort, wo es um den Schutz hochwertiger Rechtsgüter geht, die durch die Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG bedroht werden, ist die Gefahr bereits dann hinreichend wahrscheinlich, wenn nur
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eine geringe Wahrscheinlichkeit eines Eintritts einer Straftat mit erheblicher Bedeutung besteht. II. Amts- und Berufsgeheimnisse generell von heimlichen polizeilichen Informationseingriffen auszunehmen, dürfte im Polizeirecht keinesfalls geboten sein. Dies gilt jedenfalls insoweit, als polizeiliche Informationseingriffe der Abwehr erheblicher Gefahren dienen und Rechtsgüter bedroht sind, denen wie Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person ein hoher Rang in der grundgesetzlichen Werteordnung zukommt. Bei erheblichen Gefahren für hochwertige Rechtsgüter kommt der dem Staat obliegenden Aufgabe der Gefahrenabwehr eine so hohe Bedeutung zu, dass die Integrität grundrechtlich geschützter Amts- und Berufsgeheimnisse gegenüber dem Allgemeininteresse an der Bekämpfung einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder einer der in § 22 V BWPolG genannten Straftaten mit erheblicher Bedeutung zurückzutreten hat. Jedoch ist dabei darauf zu achten, dass ein Eingriff in Vertrauensverhältnisse nachrangig gegenüber einem (ebenso wirksamen) Eingriff zu sein hat, durch den Vertrauensverhältnisse nicht berührt werden. 2. Kapitel: Grenzen der Umwidmung der durch heimliche Informationseingriffe gewonnenen personenbezogenen Daten I. Personenbezogene Daten dürfen, soweit sie durch einen der Gefahrenabwehr dienenden heimlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht erlangt wurden, nur dann zur Strafverfolgung umgewidmet werden, wenn es um Straftaten und die Tatsachenbasis für den Verdacht einer Straftat geht, bei denen der Eingriff auch im Strafverfahren hätte stattfinden können. II. Personenbezogene Daten, die die Polizei auf der Basis der StPO durch heimliche strafprozessuale Maßnahmen erlangt hat, dürfen nur insoweit zur Abwehr von Gefahren oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verwenden werden, als es jedenfalls um Gefahren bzw. Straftaten und den Wahrscheinlichkeitsgrad eines Schadenseintrittes bzw. den Verdachtgrad eines Straftateintrittes geht, bei denen die Polizei die Daten auch auf polizeigesetzlicher Grundlage hätte erheben können. III. Soweit eine Verwendung von Erkenntnissen aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation für Zwecke der Gefahrenabwehr in den Polizei- und Ordnungsgesetzen nicht geregelt ist, besteht für den Landesgesetzgeber die grundrechtliche Schutzpflicht, eine solche Verwendung dort zuzulassen, wo es um den Schutz vor drohenden Verletzungen besonders hochrangiger, verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit geht. Bei der Ausgestaltung der neu zu schaffenden landespolizeirechtlichen Regelungen über die Verwendung der Erkenntnisse aus einer strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation sollte man unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das BVerfG in seinem zweiten G 10-Urteil anklingen ließ, die Verwendung der aus einer Überwachung der Telekommunikation gem. § 100a StPO stam-
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menden personenbezogenen Daten nur in engem Rahmen zum Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit bzw. – in Anlehnung an § 39 III 1 NdsSOG – zur Verhütung von Straftaten gestatten, welche sich mit denen vergleichen lassen, die zu der strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation geführt haben. Jedenfalls muss es aber um Straftaten mit erheblicher Bedeutung gehen.
4. Teil: Adressaten heimlicher Informationseingriffe 1. Kapitel: Adressatenbezogenheit Problematisch sind die Regelungen der §§ 22, 40 BWPolG über heimliche Informationseingriffe insbesondere insoweit, als sie nicht adressatenbezogen eingegrenzt sind. Hier wird man davon auszugehen haben, dass heimliche polizeiliche Maßnahmen nach den §§ 22, 40 BWPolG sich nicht gegen jeden beliebigen Dritten richten dürfen. Jedenfalls im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der eine Überwachung jedes beliebigen Dritten im Umfeld des potentiellen Täters nicht zulässt, ist eine restriktive Auslegung der heimliche Informationseingriffe regelnden Regelungen der §§ 22, 40 BWPolG von Verfassungs wegen geboten. Nur so lässt sich verhindern, dass die Bestimmungen zum Einfallstor polizeilicher Omnipotenz werden und zu einem Instrument der totalen Bürgererfassung pervertieren. 2. Kapitel: Eingrenzung des Adressatenkreises I. Eingrenzung des von einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln betroffenen Personenkreises A. Ein heimlicher Informationseingriff gegenüber Nichtstörern, wie er durch § 22 II, III BWPolG ermöglicht wird, ist nur dann zulässig, wenn er als einzig wirksames Mittel verbleibt, um eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte abzuwenden. B. 1. Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung gem. § 22 II 2. Alt., III 2. Alt. BWPolG darf sich nicht gegen „jeden beliebigen Dritten“ richten, sondern allein gegen den potentiellen Straftäter und seine Kontakt- und Begleitpersonen sowie nach § 22 II 2. Alt. BWPolG gegen Personen aus dem räumlichen Umfeld eines potentiellen Opfers. „Unbeteiligte Dritte“ dürfen von der heimlichen Datenerhebung nur betroffen werden, soweit das unvermeidbar ist (§ 22 IV BWPolG). Ein „Umweg“ über gezielte Eingriffe bei unbeteiligten Dritten ist der Polizei versperrt. 2. Als Person i. S. d. § 20 III Nr. 1 BWPolG, gegen die sich der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gem. § 22 II, III BWPolG oder der Einsatz der poli-
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zeilichen Beobachtung gem. § 25 I BWPolG zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung richten darf, kommt nur derjenige in Betracht, bei dem hinreichend sichere objektive Anhaltspunkte für die beabsichtigte Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. des § 22 V BWPolG sprechen („potentieller Straftäter“). 3. a) Die in § 22 II, III BWPolG normierte Erhebung personenbezogener Daten über Kontakt- und Begleitpersonen im Bereich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung wäre nur insoweit zulässig, als solche Personen erfasst werden, „zu denen der potentielle Straftäter gerade mit Bezug auf die in Frage stehende Straftat in Verbindung steht oder Verbindung aufnimmt“, und soweit die Verbindung im Hinblick auf die vermuteten Straftaten erfasst wird. Erfasst würden danach als Kontakt- oder Begleitpersonen nur Personen, die in strafrechtsrelevanten Beziehungen zum Störungsverdächtigen stehen, also mögliche Auftraggeber, Helfer oder andere Personen, die in sonstiger Weise bei der Planung, Durchführung oder späteren Verwertung der Tatvorteile oder zum Schutz des Täters eine Rolle spielen können, sei es durch bewusste Unterstützung oder dadurch, dass sie ohne ihr Wissen von dem potentiellen Täter für seine Zwecke benutzt werden (vgl. § 39 I 1 Nr. 3 BbgPolG). b) Der Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung gegen Kontakt- oder Begleitpersonen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung ist nur erlaubt, wenn dies zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung unerlässlich ist, wenn also der Polizei die heimliche Datenerhebung bei Kontaktoder Begleitpersonen als letzte Möglichkeit verbleibt, um drohende schwere und schwerste Straftaten vorbeugend zu bekämpfen. C. 1. Es bedarf jedenfalls dann eines besonderen Schutzes der Vertrauensverhältnisse nicht, wenn der durch die Verfassung geschützte Geheimnisträger selbst der für eine Gefahr Verantwortliche ist oder eine Straftat mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG begehen will bzw. wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass er dies will. 2. Die privilegierten Nichtstörer, d. h. Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen, die nicht selbst als Störer bzw. potentielle Straftäter in Betracht kommen, dürfen unter den Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands in Anspruch genommen werden. Auch für mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse darf für den polizeilichen Notstand bestimmt werden, dass ihr Schutz hinter dem Allgemeininteresse an der Verhinderung schwerer Schäden für besonders hochrangige Rechtsgüter zurücktritt. 3. Zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die in § 22 III BWPolG genannten hochwertigen Rechtsgüter, wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person, oder einer der Straftaten mit erheblicher Bedeutung i. S. d. § 22 V BWPolG sind im Ergebnis auch Informationseingriffe (wie sie sich z. B. in § 28 II 4 MVSOG finden) gegen Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen zulässig, die selbst nicht als Störer bzw. potentielle Straftäter in Betracht kommen.
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D. „Dritte“ i. S. d. § 22 IV BWPolG sind diejenigen Personen, gegen die die heimliche Datenerhebung nicht gezielt gerichtet ist, die also unbeabsichtigt betroffenen werden. Um die Folgen des Eingriffs auf das Notwendige zu beschränken, verbietet das baden-württembergische Polizeigesetz eine Speicherung der so gewonnenen Daten um ihrer selbst willen. Nach § 22 VII BWPolG sind Bild- und Tonaufzeichnungen, die ausschließlich die nicht in § 22 II und III genannten Personen betreffen, unverzüglich, spätestens jedoch nach zwei Monaten zu löschen, soweit sie im Einzelfall nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Zudem resultiert die Löschungspflicht aus den allgemeinen Vorschriften über die Speicherung von Daten. E. Die Zielpersonen, auf die sich eine heimliche Datenerhebung richtet, und die anderen von der Maßnahme Betroffenen sind über die erfolgte Maßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. 1. Von einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln sind die Beteiligten an dem mittels Amts- oder Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnis zu unterrichten, wenn in dieses eingegriffen wurde oder nach Maßgabe einer ergangenen Anordnung eingegriffen werden sollte. Wegen der Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses besteht diese Unterrichtungspflicht auch dann, wenn der Träger des Amts- oder Berufsgeheimnisses nicht Zielperson der heimlichen Datenerhebung war, aber dennoch in das Vertrauensverhältnis eingegriffen wurde, z. B. anlässlich des Besuches eines Arztes bei der Zielperson in deren Wohnung. 2. Grundsätzlich ist jeder, über den durch eine heimliche Datenerhebung personenbezogene Daten erlangt wurden, als Betroffener zu benachrichtigen. Eine Grenze ist der Benachrichtigungspflicht aber dahingehend gesetzt, indem umfangreiche Ermittlungen über die Identität Unbeteiligter nicht angestellt werden müssen. Bei Personen, die nicht einmal voraussehbar mitbetroffenen Dritte (§ 22 IV BWPolG) sind, die mithin rein zufällig bei Gelegenheit der Maßnahme mit technischen Mitteln erfasst wurden, besteht eine Unterrichtungspflicht aber dann nicht, wenn keine Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten erstellt oder sie unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme vernichtet worden sind.
II. Eingrenzung der von der Rasterfahndung betroffenen Personenkreise A. 1. Die Rasterfahndung ist dann rechtwidrig, wenn sie gezielt nach Zufallsfunden sucht. Unzulässig ist ein prophylaktischer Datenabgleich solcher Personen, die nicht zum Kreis der Störer zählen, um zu zufälligen Erkenntnissen zu gelangen (s. z. B. § 39 I 2 BWPolG). 2. Bei der Rasterfahndung kommt als Anknüpfungspunkt für Maßnahmen der Datenverarbeitung nicht die Gefahr, die von den Adressaten ausgeht, sondern nur bestimmte Merkmale der Adressaten in Betracht. Die Menge der herausgerasterten
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personenbezogenen Daten und damit die Anzahl der Betroffenen hängt somit maßgeblich von den für die Recherche erstellten Merkmalen ab. Solche Merkmale bewirken jedenfalls einigermaßen eine Eingrenzung des Adressatenkreises. 3. Stellt man bezüglich der Adressatenauswahl auf polizeiliche Merkmale ab, so muss aber zumindest seitens der Polizei dargelegt werden, welche Merkmale bei der Rasterfahndung maßgeblich sind bzw. waren. Eine ermessensfehlerfreie Adressatenauswahl wird man nur dann annehmen können, wenn im Wesentlichen auf bestimmte verdächtige Verhaltensweisen der betroffenen Personen abgestellt wurde. Die Anordnung einer Rasterfahndung setzt das Vorliegen von Rastermerkmalen voraus, die eine sorgfältige vorangegangene Untersuchung erfordern. 4. Die durch den Abgleich erlangten personenbezogenen Daten können grundsätzlich zu dem Zweck genutzt werden, dessentwegen die Rasterfahndung eingeleitet worden ist (vgl. § 40 IV BWPolG). Die durch Zufallsfunde entstehende Gefahr einer weitgehenden Auswertung, etwaigen Übermittlung und weiteren Verwendung der Daten durch andere Stellen soll durch die eingeschränkte Verwertungsbefugnis der Zufallsfunde begrenzt werden. Da die Verwendung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck als zu dem, dessentwegen ihre Nutzung angeordnet worden ist, eine Intensivierung des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht darstellt, sind die Zufallsfunde insoweit zu löschen, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind (§ 40 IV BWPolG). B. Die Vorschrift des § 40 I 2 BWPolG sieht für die Rasterfahndung vor, dass Daten, die einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, von ihr ausgenommen sind. Daher dürfen sensible Daten der Zeugnisverweigerungsberechtigten nicht für Rasterfahndungszwecke verwendet werden, da die Besonderheit der Rasterfahndung darin gesehen wird, dass es sich um eine Form der Massendatenverarbeitung handelt, bei der regelmäßig die Daten einer Vielzahl von Unbeteiligten abgeglichen werden und bei der viele Unbeteiligte anschließend kontrolliert werden können. C. Angesichts der großen Zahl der einzubeziehenden Merkmalsträger und der vergleichsweise geringen Eingriffstiefe kommt eine Verpflichtung, nachträglich alle Personen zu informieren, bei denen nur eine Rasterfahndung ohne anschließende weitere Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt wurde, nicht in Betracht. Bei der großen Zahl der Betroffenen ist eine individuelle Benachrichtigung nur schwer realisierbar. Zudem erwiese sich eine solche Information als geradezu kontraproduktiv, weil sie eine Identifizierung des bis dahin unbekannten Betroffenen voraussetzen und dadurch den Eingriff sogar noch weiter verschärfen würde. Jedoch sind Personen, gegen die nach Abschluss der Rasterfahndung weitere Maßnahmen durchgeführt werden, hierüber durch die Polizei zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der weiteren Datennutzung erfolgen kann (vgl. z. B. § 31 V NWPolG).
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Sachwortregister Adressat – der Datenerhebung 94, 337 Allgemeine Handlungsfreiheit 36, 63 Allgemeine Leistungsklage 96 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 34, 37, 52, 63 Altfälle 107 Amtsund Berufsgeheimnis 182 Amtshilfe 45, 339 Anfangsverdacht 92, 304, 312 Anfechtungsklage 96 Annexkompetenz 109, 130 Anpassungsdruck 152 Auskunftsanspruch 267 Auskunftsverweigerungsrecht 133, 297 Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung 95, 218 Befragung 94, 95, 175 Behördenleitervorbehalt 214, 261 – qualifizierter 220, 262 Beichtgeheimnis 148, 182, 192, 197 Bekämpfung von Straftaten, vorbeugende 92, 103, 280, 288, 300, 321, 324, 350 Bekenntnisfreiheit 133 Benachrichtigungspflicht 270, 365 Beobachtung – heimliche 96 – polizeiliche 95, 152, 218, 240, 244, 295, 309 Berufsfreiheit 255, 325 Bestimmtheitsgebot 70, 239 Bewegungsbild 218 Big Brother 23 Bild- und Tonaufzeichnungen 94, 124, 148, 215, 362 Blankoermächtigung 306 Briefgeheimnis 141 Bundestreue 123 26*
Daten – Grunddaten 220 – Löschung 170 – personenbezogene 146 – sachbezogene 146 Datenerhebung – allgemeine Grundsätze 89 – besondere Mittel 95, 240, 295 – Rechtsnatur 96 Datenobjekt 156 DNA-Analyse Siehe Genetischer Fingerabdruck Doppelfunktionale Maßnahmen 284 Ehe 185 Eheschließungsfreiheit 187 Eilkompetenz 262 Einschätzungsprärogative 287 Einschreitschwelle 294 Erforderlichkeit 290 Erkennungsdienstliche Maßnahmen 112 Ermächtigungsgrundlagen – zur heimlichen Datenerhebung 212 Ermessensschrumpfung auf Null 227 Ewigkeitsgarantie 160 Fahndung, beobachtende 244 Familie 185 Fernmeldegeheimnis 142 Feststellungsklage 98 Folgenbeseitigungsanspruch 170, 212, 276 Fortsetzungsfeststellungsklage 96 forum internum 133, 163, 164, 198, 324 Gebot der Normenklarheit Siehe Bestimmtheitsgebot Geeignetheit – des Mittels 281
404
Sachwortregister
Gefahr – erhebliche 347, 361 – gegenwärtige 282 – im Verzug 262 – konkrete 283 Gefahrenschwelle 315 Gefahrenvorsorge 84, 105 Gefährlicher Intensivtäter 244 Gegendarstellungsrecht 50 Generalklausel – polizeirechtliche 82, 86, 237 Genetischer Fingerabdruck 105, 107, 114 Gesetzesvorbehalt 67, 248 Gesetzgebungskompetenz – kraft Sachzusammenhangs 129 Gestaltungsspielraum 261, 265 Gewaltenteilungsprinzip 263 Hypothetischer Ersatzeingriff 126, 324, 328, 330 Immaterieller Schaden 35 Informationsobjekt 65, 156 Intimbereich 40, 42, 55 Kennzeichnungspflicht bezüglich Daten 230, 235 Kernbereichs-Dogmatik 60, 158, 166 Kodifikationsprinzip 109, 119 Kontakt- und Begleitpersonen 354 Kybernetisches Handlungsmodell 62 Lauschangriff – Großer 125, 137, 160, 193 – Kleiner 125 Legende 215 lex specialis 133, 139, 277 Löschungspflicht 275 Modell der doppelten Tür 118, 128 Normenflut 78, 82, 252, 257 Notrecht – ungeschriebenes 232 Notstand – polizeilicher 84, 94, 253, 323, 336
Objektformel 157 Observation – längerfristige 95, 152, 213, 282, 297 Offenheit der Datenerhebung 90 Öffentlichkeitssphäre 49, 55 Öffnungsklausel 128 Opportunitätsprinzip 254, 256 Organisierte Kriminalität 304, 343 Persönlichkeitsbild 49, 52, 156 Postgeheimnis 141 Potentielle Straftäter 351 Prinzip eines fairen Verfahrens 204 Privatsphäre 42, 55 Privilegierte Personen 192 Rasterfahndung 152, 219, 240, 282, 295, 339, 343, 365 – negative 343 – positive 343 – verdachtslose 152, 308 Realakte 96 Recht – am eigenen Bild 52 – am eigenen Wort 46, 52 – auf informationelle Selbstbestimmung 51, 57, 62, 65, 143, 149 – auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit 51, 52 – zur Verweigerung der Auskunft 175, 256 Rechtfertigungsgründe – allgemeine 232 Rechtsbegriff unbestimmter 71 Rechtsbelehrung bei der Datenerhebung 89 Rechtsschutzgarantie 97, 267, 277, 370 Regelungsflut Siehe Normenflut Richtervorbehalt 263 Röntgenbild der Persönlichkeit 65 Rundumüberwachung 175 Schläfer, terroristische 287, 341 Schleierfahndung 83, 85, 306, 307 Schmerzensgeld 35 Schutzpflichten – grundrechtliche 124, 210, 231 Selbstbezichtigung 59, 64 Sozialbereich 60
Sachwortregister Sozialbezug 42 Sphärentheorie 54, 58, 167 status activus processualis 259 Steuerfahndung 366 Stigmatisierung 245 Straftaten mit erheblicher Bedeutung 242, 316 Strafverfolgungsvorsorge 105, 108, 109, 112, 114, 115, 120 Telekommunikationsüberwachung 224 Terrorismus 343 Übermaßverbot 278 Umwidmung von Daten Siehe Zweckänderung erhobener Daten Unbeteiligte Dritte 362 Unmittelbarkeit der Datenerhebung 89 Unterrichtungspflicht Siehe Benachrichtigungspflicht Verdachtsschwelle 312, 314, 316 Verdeckter Einsatz technischer Mittel 95, 152, 215, 239, 240 Verdeckter Ermittler 95, 152, 215, 282 Vernichtungspflicht 277 Vertrauensverhältnisse 176 – allgemeine 181 – besondere 181 – familiäre 186
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Verursacherprinzip 254, 349 Videoüberwachung 83, 94, 149 V-Leute 95, 152, 217, 237 Volkszählungsurteil 65, 69, 79, 82 Vorbeugende Verbrechensbekämpfung Siehe Bekämpfung von Straftaten, vorbeugende Vorfeldaktivitäten 301 Vorfeldermittlungen 301, 303, 367 Vorfeldstrategien 302 Vorladung 96 Wanzen 214 Wesensgehaltsgarantie 159 Wesentlichkeitstheorie 67, 248 Wohnung – Begriff 136 – Einsatz technischer Mittel 138 Zeugnisverweigerungsrecht 153, 177, 189, 193 Zielperson 101, 190, 271, 363 Zitiergebot 215, 227 Zufallsfunde 91, 366 Zumutbarkeit 310 Zurechnungszusammenhang 337 Zweckänderung erhobener Daten 76, 221, 326 Zweckbindung 75 Zweckentfremdung 75, 153